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German Pages 183 Year 1989
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 572
Zonenrandförderung Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Perspektiven
Von
Wilfried Berg
Duncker & Humblot · Berlin
WILFRIED BERG
Zonenrandförderung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 572
Zonenrandförderung Verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Perspektiven
Von Prof. Dr. Wilfried Berg Bayreuth
Duncker & Humblot * Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Berg, Wilfried: Zonenrandförderung: verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen und Perspektiven / von Wilfried Berg. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 572) ISBN 3-428-06775-4 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-06775-4
Inhalt
A. Einführung I. Aufgabenstellung II. Übersicht über den Gang der Untersuchung B. Zur Situation der Zonenrandförderung I. Ausgangslage und gegenwärtige Situation des Zonenrandgebiets
9 11 14 15 15
II. Veränderung der Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Zonenrandförderung
19
1. Subventionsabbau
20
2. Strukturwandel
22
III. Auswirkungen der Regionalpolitik der EG und der fortschreitenden Integration
25
1. Regionalpolitische Ziele und Maßnahmen der EG
26
2. Ökonomische Betrachtung der Zonenrandförderung durch die EG
29
3. Verschärfung der Randlage zum 31.12.1992
30
IV. Zusammenfassung C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung - Interpretation und Anwendung I. Ziele der Bestimmungen über die Zonenrandförderung II. Zonenrandförderung im ROG
32
33 33 36
III. Zonenrandförderung nach dem ZRFG
39
IV. Zonenrandförderung nach dem GRW
43
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
46
6
Inhalt 1. Zum Beihilfenbegriff im EG-Recht und zur Funktion der Beihilfenregeln
46
2. EG-Beihilfenkontrolle und nationale Regionalpolitik
49
3. EG-Beihilfenbestimmungen und Zonenrandförderung
51
a) Zonenrandförderung als ein Element der Wirtschaftspolitik?
53
b) Zonenrandförderung als Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile?
58
c) Zur Zielkonvergenz der Beihilfenbestimmungen des EWGV und der Zonenrandförderung
62
VI. Zusammenfassung D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes - Grundlegung zukunftsorientierter Zonenrandförderung I. Verfassungsrechtliche Herleitung des Wiedervereinigungsgebotes
65
68 71
1. Die Präambel und Art. 146 des Grundgesetzes als Grundlagen des Wiedervereinigungsgebotes
71
2. Folgerungen aus dem verfassungsrechtlichen Wiedelvereinigungsgebot
74
a) Rechtspflicht
74
b) Gestaltungsspielraum
76
c) Konkretisierung
76
d) Grenzen
78
3. Die Bedeutung der Grundrechte für das Wiedervereinigungsgebot
80
a) Deutsche Staatsbürgerschaft und Grundrechtsträgerschaft
81
b) Insbesondere: Informationsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht
85
II. Wiedervereinigung und Völkerrecht
88
1. Viermächte-Recht und Deutschlandvertrag
89
2. Das Selbstbestimmungsrecht
91
3. Potentielle Auswirkungen einer Wiedervereinigung Deutschlands
95
III. Zusammenfassung E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG I. Wiedervereinigungsgebot und Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen
97 99
102
Inhalt 1. Grenzen der durch Art. 24 I GG eingeräumten Übertragungskompetenz
103
2. Vorbehalte zugunsten der Wiedervereinigung im Gemeinschaftsrecht
107
a) Protokollerklärung für den Fall der Wiedervereinigung
108
b) Protokoll über den innerdeutschen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen
110
c) Wirtschaftsbeihilfen im Hinblick auf die deutsche Teilung
112
d) Sonderregelung zur deutschen Staatsangehörigkeit
113
3. Würdigung II. Wiedervereinigungsgebot und EWG-Vertrag
114 116
1. Die wirtschaftliche Integration als ursprünglicher Ansatz der EG
116
2. Die eigentliche Zielsetzung der EG
117
a) Frieden
120
b) Freiheit
121
c) Besserung der Lebensbedingungen
125
d) Dezentralisierung
126
III. Das Verhältnis zwischen deutschem Recht und Gemeinschaftsrecht bei der Verwirklichung des Wiedervereinigungsgebotes
128
1. Die EG als Rechtsgemeinschaft mit eigener Rechtsordnung
129
2. Die "deutsche Frage" zugleich als gemeinschaftsrechtliche Frage
131
3. Dezentralisierung und Kooperation
134
IV. Zusammenfassung F. Zonenrandförderung als Instrument der Wiedervereinigung I. Wirtschaftsförderung und Freiheitsentfaltung
138 140 142
1. Das Beispiel der westeuropäischen Entwicklung
143
2. Das Beispiel der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland
146
3. Erfolge der Zonenrandförderung
148
II. Entwicklungsperspektiven einer auf Wiedervereinigung durch freie Selbstbestimmung abzielenden Zonenrandförderung
152
1. Umweltschutz
153
8
Inhalt 2. Wirtschaftsförderung
154
3. Kommunikation und Kultur
155
III. Zusammenfassung G. Antworten auf die Ausgangsfragen
160 161
1. Ist die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich zur Zonenrandförderung verpflichtet?
161
2. Darf die EG Maßnahmen der Zonenrandförderung der Bundesrepublik Deutschland einschränken oder verhindern?
164
3. Ist die EG ihrerseits durch Gemeinschaftsrecht zur Zonenrandförderung verpflichtet?
166
H. Folgerungen I. Zonenrandgebiet als Einheit II. Förderung der Wiedervereinigung und Nachteilsausgleich
168 168 168
III. Förderung der europäischen Integration
169
IV. Eigenständigkeit der Zonenrandförderung
169
Literatur
170
A. Einführung Die Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland ist eine Folge des militärischen Zusammenbruchs des nationalsozialistischen Regimes und des Deutschen Reiches im zweiten Weltkrieg. Aber sie wäre ohne die ideologische Polarisierung der Welt zwischen Ost und West, zwischen pluralistischparlamentarischen und volksdemokratischen Regierungssystemen, zwischen Kommunismus und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen nicht entstanden. Die von den Siegermächten festgelegten, durch den Vormarsch der Truppen weitgehend zufällig entstandenen Demarkationslinien waren ursprünglich als vorläufige Verwaltungsgrenzen für die Zuständigkeiten der jeweiligen Besatzungsmacht gedacht gewesen. Im Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 wurde die "wirtschaftliche Einheit" Deutschlands ausdrücklich postuliert ("a single economic unit"). Die Demarkationslinien der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen hatten zwar noch Einfluß auf die Zusammensetzung der einzelnen Bundesländer. So war Art. 29 GG in seiner urspränglichen Fassung dazu bestimmt, "die von den Besatzungsmächten seit 1945 geschaffenen willkürlichen Ländergrenzen zu korrigieren und damit auf einen raschen Vollzug eingestellt" . Aber innerhalb der westlichen Besatzungszonen gab es letztlich - trotz verschiedener "Sonderwege" Frankreichs - gleichartige demokratische und wirtschaftliche Entwicklungen und die Kommunikationsströme konnten schon bald ungehindert fließen. Deshalb konnte sich die Bundesrepublik Deutschland ohne grundlegende innere Neugliederung weiterentwickeln. Durch das 33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 23.8.1976 wurde aus der strikten Verpflichtung zur Neugliederung des Bundesgebietes in Art. 29 I GG eine bloße Ermächtigung. Das Land Baden-Württemberg war 1951 auf der Grundlage des Art. 118 GG gebildet worden; gemäß Art. 23 GG war 1957 der Beitritt des Saarlandes erfolgt. Die sowjetische Besatzungszone hingegen wurde alsbald durch den "Eisernen Vorhang" vom größten Teil
1 Vgl. H. Schäfer, Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften? 1970, S. 16. - Insgesamt läßt sich sagen, daß die Bevölkerungszahlen in den Zonen und die Wirtschaftskraft unterschiedlich verteilt waren; "die Zonengrenzen verliefen quer zu den ökonomischen BedürfnissenH, vgl. M. Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945 bis 1949,1987, § 5 Rn. 44.
10
A. Einführung
Deutschlands hermetisch abgeriegelt . Der Eiserne Vorhang trennt - mitten in Deutschland, mitten in Europa - zwei Welten voneinander. Diese Grenze ist mit keiner anderen Grenze vergleichbar. Ebenso unvergleichlich ist die Situation des Grenzlandes entlang dieser Trennungslinie. Zerschnitten sind hier Eisenbahnlinien und Autostraßen, Berge, Täler und Flüsse, dicht besiedelte Industriestandorte, landwirtschaftlich genutzte Flächen und Erholungsgebiete, landsmannschaftliche Verbindungen, kulturelle und wirtschaftliche Einzugs- und Austauschregionen. Anders als in normalen Grenzgebieten haben sich die Menschen hier seit Generationen nicht im Bewußtsein einer Grenze angesiedelt, sondern im Bewußtsein einer Zentrallage, im Bewußtsein umfassender Kommunikationsmöglichkeiten. Dies und der Umstand gleichmäßigen Abgeschnittenseins sind die einzigen Gemeinsamkeiten, der einzige gemeinsame Nenner zwischen Flensburg und Kiel, Lübeck und Lüneburg, Wolfsburg und Göttingen, Fulda, Coburg, Hof, Bayreuth und Passau: Es ist die Lage innerhalb eines 40 km breiten Gebietsstreifens westlich der 2133 km langen Grenzlinie zur Ostsee, zur DDR und zur CSSR 3 . Die Zufälligkeit einer Momentaufnahme hat rund 7 Millionen Menschen von der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste bis zur Grenze der CSSR im Zonenrandgebiet zusammengefaßt, in dem plötzlich nahezu alle Kontakte historisch gewachsener Lebensbeziehungen nach Osten zu beendet waren.
2
Dazu, zum Inhalt und zur Begründung der Verordnung des Ministerrates der DDR vom 26.5.1952 über Kontrollstreifen, Schutzstreifen und Sperrzonen siehe Butz, Rechtsfragen der Zonenrandförderung, 1980, S. 4 f. Siehe im übrigen: Göttinger Arbeitskreis für Ost-West-Fragen (Hrsg.), Die Deutschlandfrage und die Anfänge des Ost-West-Konflikts 1945 bis 1949,1984. Wenn BVerfGE 36, 1 (26) formuliert, bei der Grenze zur DDR handele es sich um eine "staatsrechtliche Grenze ... ähnlich denen, die zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland verlaufen", so soll damit nur auf die Fortexistenz des Staates "Deutschland als Ganzes" hingewiesen werden; die DDR ist also kein Ausland. Über die reale Bedeutung dieser Grenze wird damit nichts ausgesagt. Zur Kritik an dieser Formulierung des BVerfG siehe nur R. Bernhardt, WDStRL 38 (1980), S. 34. 3
Das Gebiet des Zonenrandes im Rechtssinne wird durch die Anlage zu § 9 ZRFG be-
stimmt, wonach nur die darin aufgezählten Land- und Stadtkreise zum Zonenrandgebiet gehören. Die Abgrenzung selbst erfolgt nach dem Kriterium, daß alle diejenigen Kreise in das Zonenrandgebiet einbezogen wurden, "die mit mehr als 50 % ihrer Fläche oder ihrer Bevölkerung nicht weiter als 40 km von der Demarkationslinie zur DDR bzw. der Grenze zur CSSR" entfernt lagen (so die amtliche Begründung zu § 9 ZRFG, BT Drs VI/1548, S. 9).
I. Aufgabenstellung
11
I. Aufgabenstellung Die staatliche Reaktion auf die Standort-Herausforderung dieser Abrißkante des Ostblocks, der räumlichen Nähe ohne Nachbarschaft und der Trennungslinie in Deutschland war im wesentlichen ökonomischer Art. Im Laufe der Jahre wurden - ausgehend von einem besonderen Fonds "zur Sanierung von Notstandsgebieten" - zahlreiche Maßnahmen im Bereich der Regionalförderung ergriffen, die im regional- und wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum ausführlich dargestellt worden sind 4 . Die Probleme des Zonenrandgebietes sind aber keineswegs nur ökonomischer Art. Vor allem muß berücksichtigt werden, daß die Ursachen für die Probleme des Zonenrandgebietes letztlich nicht im ökonomischen Bereich liegen, sondern in politischen und rechtlichen Konstellationen zu finden sind. Insbesondere die rechtlichen Fundamente der Zonenrandförderung sind bislang zu wenig herausgearbeitet worden 5 . Die vorglegte Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, den hier entstandenen Nachholbedarf soweit wie möglich zu befriedigen und dabei zugleich den Blick auf Zukunftsperspektiven zu öffnen, deren Entwicklung in den anzuwendenden verfassungs-, Völker- und europarechtlichen Normen angelegt ist. Sicherlich kann ein "gut geführtes Rechtsargument" auch politisch von beträchtlichem Nutzen sein, da es "verhindern hilft, daß sich eine bloße faktische Lage zur Rechtsposition verfestigt" 6 . Aber mehr noch muß es darum gehen, das Recht als solches wirken zu lassen: "Gerade in Zeiten, die mit politisch unlösbaren Fragen konfrontiert waren - der gespaltene Glaube, das ohnmächtige Reich, die verspätete Nation - wuchs bei uns das Vertrauen in die rationalisierende, die beruhigende und befriedigende Macht des Rechts" .
4
Vgl. nur die Arbeiten von Angerer (1984); Asmacher/Schalk/Thoss (1987); Cholewa/ Dyong/von der Heide/Arenz (Stand 1987); Dannhorn (1987); von Drygalski , DVB1 1986, 812 f.: Fischer, Heyde, Söffing und Teyssen, in: Eberstein (ab 1971); /. Maier (1987); A. Rieger (198 G. Ritter (1987); Spannowsky (1987). Siehe auch die 1984 herausgegebene Darstellung äer Arbeitsgemeinschaft der Industrie - und Handelskammern des Zonenrandgebietes über "Ze Fragen und Perspektiven der Zonenrandfördeurng - Eine Situationsanalyse und Empfehlung für die weitere Entwicklung". 5
Ausnahmen machen insoweit die Arbeiten von Butz (Fn. 2) und - in einem größeren Zusammenhang - von Püttner/Spannowsky (1986). 6
Vgl. Blumenwitz , Die Überwindung der europäischen Teilung und die deutsche Frage, 1986, S. 9. 7
So Hans Maier , Recht und Politik, Festvortrag anläßlich der Eröffnung des 57. Deutschen
Juristentages Mainz 1988, Sitzungsbericht H, S. 40 f.
12
A. Einführung
Im Vordergrund der folgenden Untersuchungen steht das geltende Recht des Bundes und das geltende Recht der Europäischen Gemeinschaft (EG) 8 . Zwar läßt sich nicht verkennen, daß auch die einzelnen Bundesländer 9 und die kommunalen Gebietskörperschaften 1 0 rechtlich und tatsächlich erheblichen Einfluß auf die Zonenrandförderung nehmen können und nehmen; aber die die Zonenrandförderung als solche grundlegend dirigierenden Rechtsentscheidungen haben Bund und EG getroffen. Sie setzen den rechtlichen Rahmen, in dem Länder und Gemeinden dann ihre Kompetenzen ausschöpfen können.
g Rechtlich muß an sich von den drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS, EWG, EAG) gesprochen werden; politisch besteht aber schon heute "die" Europäische Gemeinschaft (künftig: EG), vgl. Fikentscher, Wirtschaftsrecht Band I, 1983, S. 385. Zum Gebrauch der Bezeichnung EG auf der Grundlage einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. 2. 1978 siehe Lenz, ZRP 1988, 449. Angesichts der einheitlichen Organverfassung der drei Gemeinschaften kann man der EG die europäische Rechtsordnung bereits als Einheit zurechnen, vgl. Zuleeg, Selbstverwaltung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1983, S. 91 f. 9
Angesichts der dominierenden Rolle des Bundes bei der Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben wird das GRW im folgenden selbstverständlich berücksichtigt, siehe unten C. IV. - Zur Bundeskompetenz zur Finanzierung der Zonenrandförderung siehe Butz (Fn. 2), S. 45 ff. und näher zum ZRFG unten, C III. - Zu den Einflußnahmen der Bundesländer auf die Förderung des Zonenrandgebietes siehe ausf. Butz (Fn. 2), S. 147 ff., 170 f., 171 ff. zur Förderung durch Gemeinden und Gemeindeverbände; Rüter, Regionalpolitik im Umbruch, 1987, S. 89 ff. - /. H. Kaiser, Regionalpolitik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und der EG, 1981, S. 172 betont jedoch, daß für die wirtschaftlichen Folgen des "Eisernen Vorhangs" die "Verantwortung des westdeutschen Gesamtstaates" (und nicht der einzelnen Länder) "evident" sei. - Zu den Besonderheiten der regionalen Strukturpolitik im föderativen System siehe z. B. den 17. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", BT Drs 11/2362, Teil I Nr. 3, S. 8 f.; s. ferner Neupert, Die Länder als Träger regionalpolitischer Maßnahmen, 1989, S. 27 ff. 10 Zu den Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung bei fortschreitender europäischer Integration siehe nur Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 988 ff.; Mombaur, DÖV 1989, 243 ff.; Siedentopf, DÖV 1988, 981 ff., 987; Windelen, West-Ost-Beziehungen auf kommunaler Ebene, 1987, S. 126 ff. - Als Beleg dafür, daß auch hier Initiativen des Bundes eine wichtige Rolle spielen, sei nur das "Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GVFG)" von 1971 genannt, dessen Neufassung am 28.1.1988 bekanntgemacht worden ist, BGBl I, 100 (besondere Berücksichtigung des Zonenrandgebietes in §§ 2 I Nr. 1 d, 4 I, 6 II GVFG). - Siehe ferner die Empfehlungen des Planungsausschusses zur kommunalen Wirtschaftsförderung, in: 17. Rahmenplan (Fn. 9), Teil I Nr. 7, S. 14.
I. Aufgabenstellung
13
Ganz besondere Aufmerksamkeit ist dem Recht der EG zu widmen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist unverkennbar, daß sich die EG in zunehmendem Maße regionalpolitisch engagiert (näher dazu unter B. III); soweit Zonenrandförderung unter Aspekten der Regionalpolitik gesehen wird, muß dies in Rechnung gestellt werden. Als Besonderheit der EG ist jedoch ihre relative politische Unbeweglichkeit zu berücksichtigen. Angesichts der immer wieder zu konstatierenden Unfähigkeit des Rates (der aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten besteht) zu politischen Kompromißentscheidungen muß sehr häufig der EuGH in Luxemburg ein auf Rechtsnomen gegründetes Urteil fällen. Die Bedeutung des EuGH als dem eigentlichen Motor der europäischen Integration kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden 1 1 . Sicherlich mag die Methode der Rechtsfortbildung durch den EuGH und damit die Fundierung der von ihm angewandten Rechtssätze zuweilen umstritten sein; unbestritten ist jedoch der umfassende Konsens, den die Entscheidungen des Gerichtshofs in allen Mitgliedstaaten finden und die Erkenntnis, daß die Weiterentwicklung der EG im wesentlichen nach rechtlichen Grundsätzen bestimmt wird 1 2 . Bezogen auf die hier zu behandelnde Problematik der Zonenrandförderung sind danach folgende Fragen zu beantworten: 1. Ist die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich zur Zonenrandförderung verpflichtet? 2.
Darf die EG Maßnahmen der Zonenrandförderung der Bundesrepublik einschränken oder verhindern?
11
Vgl. nur Ehlerniann, Die Europäische Gemeinschaft und das Recht, 1984, S. 93; Everting , Sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch Herren der Verträge? 1983, S. 177; Dörr, NWVBL 1988, 294; Hilf, EuGRZ 1987, 4; Pernice in Grabitz (Hrsg.), Kommentar, Art. 164 Rn. 35 f.; Sedemund/Montag, NJW 1988, 602 f., 605; Stettner, AÖR 111 (1986) 362 f.: "L'Europe juridique" - der EuGH als "Motor der Integration"; Väth, Die Wettbewerbskonzeption des EuGH, 1987, S. 2 f.: "Ersatzkaiser"-Rolle des EuGH. - Auch das BVerfG hat in wichtigen Entscheidungen aus jüngster Zeit die große Bedeutung des EuGH hervorgehoben, vgl. E 73, 339 (366 ff. - Solange II); 75, 223 (233 f., 244 - EuGH als gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 1011 2 GG). 12
Vgl. Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil,
Die Europäische Gemeinschaft - Rechtsordnung und
Politik -, 1987, S. 137 ff., 213 ff., 219 ff. Siehe aber auch die Kritik an der Rechtsprechung des EuGH (z.B. seitens des Freistaates Bayern), die z.B. von Borchmann, DÖV 1988, 632 wiedergegeben wird: "Hier schwingt sich ein Gericht vom rechtlichen Bewahrer zum politischen Herrscher über die Verträge auf". Siehe ferner Börner, Deutsche Grundrechte und Gemeinschaftsrecht, 1980, S. 8: Auch die ständige Rechtsprechung des EuGH "ist nicht Rechtsquelle".
14
A. Einführung
3.
Ist die EG ihrerseits durch Gemeinschaftsrecht zur Zonenrandförderung verpflichtet?
II. Übersicht über den Gang der Untersuchung Im folgenden Teil (B) wird auf der Grundlage eines kurzen Überblicks über die Ausgangslage die gegenwärtige Situation des Zonenrandgebiets dargestellt. Anschließend wird im Teil C auf die wichtigsten (einfachgesetzlichen) Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung hingewiesen; dabei wird die herrschende Interpretation der Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes (ROG), des Zonenrandförderungsgesetzes (ZRFG), des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) und der Art. 82, 92 des EWG-Vertrages (EWGV) kritisch beleuchtet. Teil D widmet sich der verfassungs- und völkerrechtlichen Fundierung der Zonenrandförderung im Wiedervereinigungsgebot. In Teil E werden sodann Wiedervereinigungsgebot und Recht der EG zueinander in Beziehung gesetzt. In Teil F geht es schließlich darum, Zonenrandförderung als Instrument der Wiedervereinigung zu beschreiben; dabei wird versucht, die Ergebnisse
und Begründungszusammenhänge aus den verfassungs-, Völker- und gemeinschaftsrechtlichen Untersuchungen miteinander zu verbinden. In dem zusammenfassenden Teil G wird dann das Ergebnis einer europaverträglichen Lösung bundesdeutscher Zonenrandförderung formuliert. Hier werden die am Ende des vorangegangenen Unterabschnitts gestellten Fragen beantwortet. Teil H zeiht die wichtigsten Folgerungen aus der gesamten Untersuchung.
B. Zur Situation der Zonenrandförderung L Ausgangslage und gegenwärtige Situation des Zonenrandgebiets Die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen nach dem zweiten Weltkrieg wurde von der deutschen Bevölkerung so empfunden, wie sie zumindest von den westlichen Siegermächten gewollt war: Die Grenzlinien galten als Demarkationslinien mit vorläufigem Charakter. Der Beginn der deutschen Regionalpolitik mit "Notstandsprogrammen" im Jahre 1951 und mit der Förderung des Zonenrandgebiets auf Initiative der 1950 gegründeten "Arbeitsgemeinschaft der Grenzlandkammern" und auf der Grundlage eines einfachen Bundestagsbeschlusses vom 2. 7. 1953 waren Ausdruck des Willens, die Teilung keinesfalls endgültig hinzunehmen. Noch im Jahre 1955 und bis in das Jahr 1961 hinein wurde etwa vom Bundesrat und von verschiedenen Bundesregierungen eine interne Neugliederung des Bundesgebietes (entgegen dem Verfassungsgebot der ursprünglichen Fassung des Art. 29 GG) mit der Begründung abgelehnt, daß insoweit auf die zu erwartende Wiedervereinigung Rücksicht genommen werden müsse 1 . Mehr als 40 Jahre nach dem Ende der Besetzung Deutschlands haben sich in Deutschland zwei Staaten etabliert, eingebunden in ein Netz völkerrechtlicher Verpflichtungen, mit gegensätzlichen Staats, Gesellschafts und Wirtschaftsordnungen. Für manche erscheint eine Wiedervereinigung weiter entfernt als je zuvor 2 . Jedenfalls läßt sich Zonenrandförderung gegenwärtig
1
Zum Bewußtsein der Vorläufigkeit der Teilung Deutschlands als Ausgangspunkt der Zonenrandförderung siehe Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz, Raumordnung in Bund und Ländern, Stand 1987, ROG-Kommentar § 1 Rn. 14; Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 2; P. Heyde, Förderung des Zonenrandgebiets, B IV 1, S. 1, 9; J. H. Kaiser, Regionalpolitik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und der EG, 1981, S. 173. - Zur entsprechenden Begründung bei der Diskussion der Neugliederungsfrage H. Schäfer, Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften? 1970, S. 17. 2
Siehe nur Egon Balv\ Die Teilung als Chance, Süddeutsche Zeitung vom 28. 11. 1988, S. 11; H. Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, 1987, § 7 Rn. 34 zur "Besiegelung des Endes aller grundgesetzlichen Vorläufigkeit"; M. Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945 bis 1949, § 5 Rn. 115: "Ein gesamtdeutscher Frie-
16
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
nicht mehr als vorübergehende Notstands- und Überbrückungshilfe bis zur Wiedervereinigung begründen. Unabhängig von diesem Begründungsansatz weist das Zonenrandgebiet als Lebens- und Wirtschaftsraum gegenüber anderen Standorten in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin Besonderheiten auf, die auch heute noch ganz überwiegend als Anlaß für öffentliche Förderungsmaßnahmen angesehen werden. So hat Winfried Fischer sechs Aspekte beschrieben, die insbesondere für eine Standortverschlechterung der im Zonenrandgebiet - dem "Ostrand der freien Welt" - gelegenen Wirtschaftsunternehmen verantwortlich sind 3 : 1. Die Lahmlegung früherer Verkehrsverbindungen macht weiträumige Umwege erforderlich 2.
Verlust von Absatzgebieten
3.
Verlust von Bezugsquellen, z.B. Kohle, Kaolin
4.
Kostensteigerimg durch Verschlechterung der Standortlage
5.
Standort als Hemmnis bei der Auftragsvergabe
6. Abwerbungs- und Abwanderungsgefahr bei Betrieben und Menschen.
densvertrag und die Wiedervereinigung der getrennten Teile haben inzwischen den Charakter ungreifbarer Fernziele angenommen". W. Grewe, Der Übergang vom Besatzungsregime zu den Verträgen von Bonn und Paris, 1985, S. 20 beklagt den geringen Stellenwert, den die Wiedervereinigungsfrage im heutigen öffentlichen Bewußtsein der Deutschen einnehme. Demgegenüber ist zu betonen, daß auch schon vor der massiven "Konkretisierung und Bekräftigung" des Wiedervereinigungsgebotes durch den Beschluß des BVerfG vom 21. 10. 1987 (E 77,137-170) (so Murswiek, JuS 1988, 565) im Rahmen der "Wiederentdeckung Mitteleuropas" die Wiedervereinigungsfrage sehr intensiv wissenschaftlich und publizistisch behandelt wurde; siehe dazu den Besprechungsaufsatz von W. Schuller, Wieder Wiedervereinigung?, Der Staat 1987, 421 ff. und neuestens Haack/Hoppe/Lintner/Seiffert (Hrsg.), Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, 1989. 3
Vgl. Fischer, Förderung des Zonenrandgebietes, S. 2 ff.; ähnlich, aber aktualisierter Butz, Rechtsfragen der Zonenrandförderung, 1980, S. 5 ff.; A. Rieger, Investitionsförderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet - Eine betriebswirtschaftliche Wirkungsanalyse, 1982, S. 1 ff. In diesem Sinne sehen auch Püttner/Spannowsky, Das Verhältnis der europäischen Regionalpolitik zur deutschen Regionalpolitik, 1986, S, 178 die "geographisch bedingten Verschlechterungen der Wettbewerbsbedingungen", die durch die Teilung verursachte "Randlage", als Grundlage der besonderen Förderungsbedürftigkeit des Zonenrandgebiets. - Vgl. auch Allgemeine Begründung zum Entwurf des ZRFG, BT Drs VI/1548 S. 5.
I. Ausgangslage und gegenwärtige Situation des Zonenrandgebiets
17
Nicht übersehen werden darf die erhebliche psychische Belastung, der die Bewohner des Zonenrandgebietes seit der Grenzziehung ausgesetzt sind 4 . Als wesentliches Kennzeichen, das den Raum des Zonenrandgebietes von anderen Lebens- und Wirtschaftsräumen der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet, läßt sich wohl übergeifend der fundamentale "Kommunikationsverlust", insbesondere zwischen Deutschen in beiden Teilen Deutschlands, benennen; die Abgrenzung der CSSR hat insoweit ganz vergleichbare Auswirkungen. Während Grenzgebiete zu den westlichen, südlichen und nördlichen Nachbarländern durch vielfältigste grenzüberschreitende Zusammenarbeit "Brückenfunktionen" erfüllen und gerade wegen ihrer Grenzlage neue wirtschaftliche Aktivitäten entwickeln, konnten 5 , haben sich für das Zonenrandgebiet keine neuen wirtschaftlichen Beziehungen über die Ostgrenze hinweg knüpfen lassen 6 . Die Kommunikationsverluste wiegen auch deshalb besonders schwer, weil es gerade auf verkehrspolitischem Gebiet nicht gelungen ist, das Abgeschnittensein des Zonenrandgebiets nach Osten durch Verbesserung der Verkehrswege nach Westen oder in NordSüd-Richtung zu mildern - im Gegenteil: In einzelnen Gebieten hat sich die Standortsituation noch zunehmend dadurch verschlechtert, daß die Verkehrsströme mit der deutschen Teilung vom Ost-West-Verkehr im Deutschen Reich zum Nord-Süd-Verkehr in der Bundesrepublik "eine neue 4 Darauf weist insbesondere Ernst, in: Ernst/Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumordnungsrecht, 1981, Rn. 23 hin; siehe auch Butz (Fn. 3), S. 6. 5 Dazu siehe Cholewa et al. (Fn. 1), Vorb. XIII Rn. 1, 4 ff. mit Beispielen zur Überwindung des früheren "Westwalls" und zu neuen wirtschaftlichen Kontakten und zu neuen Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Für den Bereich der EG vgl. die Resolution Nr. 2 über die Europäische Raumordnungscharta (verabschiedet von der Europäischen Raumordnungsminister-Konferenz am 20. 5. 1983 in Torremolinos), Besondere Ziele Nr. 3, in: Bielenberg/Erbguth/Söfker, Band 1, B 515; entsprechend die Resolution vom Ministerkomitee des Europarates), ebenda. 6
Vgl. Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 5. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des Zonenrandgebietes betont in ihrer Situationsanalyse "Zentrale Fragen und Perspektiven der Zonenrandförderung", 1984, S. 9, daß sich aus der Entspannungspolitik für die Wirtschaft des Zonenrandgebietes noch keine neuen Perspektiven ergeben haben. Siehe auch den 16. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1987 bis 1990 (1991), BT Drs 11/583 Teil I, 2.1.: Berlin und das Zonenrandgebiet "befinden sich nach wie vor durch die Teilung Deutschlands und die rigorose Abgrenzung seitens der DDR und CSSR in einer sehr ungünstigen Standortlage am Rand des Bundesgebietes und des Gemeinsamen Marktes, die die wirtschaftliche Entwicklung dieser Gebiete in besonderem Maße beeinträchtigt". Ebenso 17. Rahmenplan (1988 bis 1991 (1992)), BT Drs 11/2362 Teil I, 2.1.
18
B. Zur Situation der Zonenrandförderung n
Richtung eingeschlagen haben" . Die Bundesregierung mußte im übrigen immer wieder einräumen, daß der "angestrebte verkehrsgerechte Ausbau" im Zonenrandgebiet "noch nicht überall erreicht ist"; insbesondere die fehlende Vervollständigung der regionalen Verkehrserschließung sei "eine der Ursachen für das Ausbleiben wirtschaftlicher Entwicklungsimpulse" 8 . Einen besonderen Hinweis verdient in diesem Zusammenhang der anhaltende Kampf vieler Landkreise im Zonenrandgebiet gegen die fortschreitenden Streckenstillegungen durch die Deutsche Bundesbahn - anstelle einer verbesserten Verkehrserschließung. Es verwundert von daher nicht, daß die Bundesregierung bislang noch keinen Anlaß gesehen hat, sich gegenüber verkehrspolitischen Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft auf Art. 82 EWGV zu berufen 9 . Nach Art. 82 EWGV ist die Bundesrepublik Deutschland berechtigt, verkehrspolitische Maßnahmen zum Ausgleich für die wirtschaftlichen Nachteile zu treffen, die dem Zonenrandgebiet durch die Teilung Deutschlands entstehen. Eine das Zonenrandgebiet wesentlich stärker als andere Gebiete der Bundesrepublik Deutschland treffende Belastung liegt schließlich im Umweltbereich. Während es in der EG schon seit Beginn der 70-iger Jahre eine intensive gemeinschaftliche Umweltpolitik gegeben hat, und während es durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) zu neuen, gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen für den Umweltschutz gekommen ist, müssen Fortschritte beim Umweltschutz mit der DDR und mit der CSSR in schwierigen und langwierigen bilateralen Verhandlungen immer wieder neu erarbeitet werden. Dabei liegt der Umweltschutzstandard in der DDR und in der CSSR weit unter dem Niveau der an die Bundesrepublik im übrigen angrenzenden Staaten. Angesichts der klimatischen und topographischen Verhältnisse in Mitteleuropa wird gerade das Zonenrandgebiet durch die
7
Vgl. Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 16; weitere Hinweise auf besondere
Probleme der Verkehrspolitik im Zonenrandgebiet dort Rn. 17. g Vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zur "Wirtschaftlichen Bedeutung und Entwicklung strukturschwacher Regionen" vom 13. 12. 1984, BT Drs 10/2629, z.B. S. 12 (zu Frage 12); siehe auch den Bericht 1986 des Bundesministers für Verkehr über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes vom 23. 1. 1987, BT Drs 10/6810. - Angerer, Anmerkungen zur Zonenrandpolitik, 1984, S. 13 betont, daß die Zonenrandpolitik im Verkehrsbereich bisher die wenigsten Ergebnisse aufzuweisen habe. 9
Näher dazu Erdmenger, Kommentierung des Artikel 82 EWGV, Rn. 3. - Zu den bei Streckenstillegungen der Bundesbahn entstehenden Rechtsfragen siehe G. Gornig, BayVBl 1983,193 ff.; Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern (Fn. 6), S. 24 und allgemein zur Verkehrspolitik dort S. 21 bis 25.
II. Veränderung der Rahmenbedingungen für die Zonenrandförderung
19
Schadstoffexporte aus der DDR und der CSSR, aber auch aus Polen in kaum erträglichem Maße geschädigt. Das dramatische Waldsterben in den Hochlagen und an den Osthängen des Fichtelgebirges und des Bayerischen Waldes, der Rhön und der Fränkischen Platte und der vor allem in Nord-OstBayern bei Inversionslagen immer wieder auftretende "Katzendreckgestank" seien nur als Beispiele für neu zugewachsene Probleme erwähnt, die sich im Grenzbereich besonders stark auswirken. Dabei handelt es sich zudem um Probleme, die einerseits in ihren Auswirkungen wesentlich gravierender, andererseits aber auch wesentlich schwerer zu lösen sind als in anderen Grenzgebieten der Bundesrepublik Deutschland. Die erste deutsch-deutsche Umweltvereinbarung über die Reinhaltung des thüringischfränkischen Grenzflusses Röden wurde erst im Oktober 1983 unterzeichnet 10. Die Größe der die Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland überschreitenden Umweltbelastungen und ihre deutschlandpolitische Dimension hat Roman Herzog, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, am Ende seiner Ansprache in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1988 exemplarisch mit den Worten zum Ausdruck gebracht: "Wenn sich sonst an der innerdeutschen Grenze ... nichts bewegen würde - ich behaupte: Die Grenze, die eine saubere Elbe zieht, ist eine andere Grenze als die heutige!"
II. Veränderung der Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Zonenrandförderung Die Förderung des Zonenrandgebietes wie auch die Förderung von WestBerlin sind alsbald nach Schaffung des Grundgesetzes zum Ausgleich für die Nachteile in die Wege geleitet worden, die durch die Teilung Deutschlands entstanden waren. Bereits in der 1. Legislaturperiode wurden für die Berlin10
Siehe Umweltpolitik der Bundesregierung - Bilanz und Perspektiven, 2. Aufl. 1986, S. 93; Umweltpolitik in Bayern - Fortschreibung des Umweltprogramms der Bayerischen Staatsregierung, 1986, S. 43 (dort auch zu den unterschiedlichen technischen Standards in der DDR), S. 89 ff. zu den Waldschäden (S. 92: Schwerpunkte bei "deutlich exponierten Ostlagen"); siehe ferner J. Schmölling, Bestandsaufnahme und aktuelle Situation der grenzüberschreitenden Umweltverschmutzung, in: von Moltke/Schmölling/Kloepfer/Kohler, Grenzüberschreitender Umweltschutz in Europa, 1984, S. 27 ff. (S. 29 zum sog. "Katzendreckgestank"). - Zum neuen "Umwelt-Europarecht" siehe nur Bender/Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 14; Pernice, Die Verwaltung 1989, S. 1 ff.; zur Umweltpolitik und zum Umweltrecht in der EG vor der EEA siehe H von Moltke, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: von Moltke et al., S. 11 ff. 11
Vgl. R. Herzog, Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1988,1988, S. 24.
20
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
und die Zonenrand-Hilfe besondere Hilfsprogramme erstellt. Mitte der 50iger Jahre ist dann aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung das Hilfsprogramm für das Zonenrandgebiet mit den anderen Notstandshilfen des Bundes zum regionalen Förderungsprogramm der Bundesregierung zusammengefaßt worden. Damit traten bei der Ausgestaltung der Programme regionalpolitische Gesichtspunkte in den Vordergrund. Ende der 50-iger Jahre wurden die provisorischen Notstandshilfen durch ein regionalpolitisches Instrumentarium ersetzt, das bei der großen Finanzreform 1969 in Art. 91 a I Nr. 2 GG verankert worden ist. Im Hinblick auf die europäische Entwicklung und durch die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik geraten die allgemeinen regionalpolitischen Zielsetzungen inzwischen allerdings zunehmend unter politischen Druck: Zum einen wird die Dauerförderung des Zonenrandgebietes 40 Jahre nach Gründung zweier deutscher Staaten unter dem Aspekt des wirtschaftspolitischen Postulats eines generellen Subventionsabbaus als problematisch angesehen (dazu sogleich unter 1); zum anderen führt ein grundlegender Strukturwandel innerhalb des Industriestandortes Bundesrepublik dazu, daß insbesondere altindustrielle Reviere zu neuen Problemgebieten geworden sind, deren spezifische Förderung von starken politischen Kräften verlangt wird (dazu unter 2).
1. Subventionsabbau Gemäß § 12 StabG muß die Bundesregierung alle zwei Jahre einen Subventionsbericht vorlegen. Dieser Bericht gliedert die Subventionen nach Arten der Beeinflussung der Wirtschaftsstruktur; unterschieden werden Erhaltungs-, Förderungs- und Anpassungssubventionen. Lediglich Erhaltungssubventionen sind auf Dauer angelegt. Im übrigen fordert § 12 IV StabG von der Bundesregierung jedoch, daß sie in ihren Subventionsberichten stets Vorschläge zu machen hat, wie Subventionen möglichst frühzeitig beendet oder stufenweise abgebaut werden können; dazu muß ein Zeitplan aufgestellt werden. Dementsprechend geht eine starke rechts- und wirtschaftspolitische Strömung dahin, sämtliche Subventionen von vornherein zeitlich zu befristen oder degressiv zu staffeln und Erhaltungshilfen einer Abbauliste zuzuordnen Subventionen werden in einem marktwirtschaftlich orientierten Wirt12
Siehe insbes, die Vorschläge von von Arnim, Subventionen - Von den Schwierigkeiten der Subventionskontrolle, 1986, S. 13 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. Siehe auch Jooss, Subventionsrecht - eine Bestandsaufnahme, RiA 1987, 108 mit Nachw. in Fn. 274; Wintrich, NVwZ 1988, 895 vergleicht die Wirkung von Subventionen mit der Schädlichkeit von Dro-
II. Veränderung der Rahmenbedingungen für die Zonenrandförderung
21
schaftssystem als Fremdkörper empfunden. In den Subventionsberichten der Bundesregierung heißt es deshalb auch regelmäßig, Subventionen dürften nur in "besonders zu begründenden Ausnahmefällen" gewährt werden. Pointiert formuliert Bodo Börner: "Jeder Pfennig mehr an Subventionen höhlt die freiheitliche Wirtschaftsverfassung mehr « 13
aus" .
Konkrete Auswirkungen auf die Zonenrandförderung hat die politische Tendenz zum Subventionsabbau durch die im Rahmen des "Steuerreformgesetzes 1990" erfolgte Aufhebung des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) erhalten. Im Hinblick auf große Schwierigkeiten beim Vollzug aller bisherigen Fassungen des InvZulG wird die Aufhebung vom Gesetzgeber als wichtiges Beispiel für Steuervereinfachungen, aber auch als wesentlicher Beitrag zur Finanzierung der Tarifreform 1990 gesehen. Die Aufhebung stehe "im engen sachlichen Zusammenhang mit der ebenfalls vorgesehenen Einschränkung in anderen Förderungsbereichen"; auch sei der Wegfall der Investitionszulage "unter finanzpolitischen Gesichtspunkten sachgerecht und unter regional, forschungs- und energiepolitischen Gesichtspunkten vertretbar" 1 4 . Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die bisherige Förderung nach dem Investitionszulagengesetz ein Kernstück der Zonenrandförderung gen. - Zu den Bemühungen um Subventionsabbau innerhalb der EG siehe Franzmeyer, Europäische Industriepolitik im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Beschäftigungsgarantie, 1981, S. 503; Spannowsky, Der Handlungsspielraum und die Grenzen der regionalen Wirtschaftsförderung des Bundes, 1987, S. 42. - Zur Problematik der - an sich als nicht marktkonform angesehenen - "Dauersubvention" bei der Zonenrandförderung (z.B. bei den Frachthilfen) siehe Butz (Fn. 3), S. 32; Fricke, Theoretische Grundlagen einer Regionalpolitik für periphere Räume aus finanzpolitischer Sicht, 1981, S. 18: Erhaltungssubventionen widersprechen dem Konzept einer Induzierung sich selbst tragenden Wachstums. 13
Vgl. Börner, Subventionen - Unrichtiges Europarecht? 1984, S. 67; Hellmann, Gemeinsame
Industriepolitik, Rn. 35: "Ein kaum gebremster Subventionswettlauf hat die Sanierung der Stahlindustrie lange verzögert". - Zur "negativen Einstellung der Rechtsordnung zum Subventionswesen" siehe ferner Berg, GewArch 1987, 1; Fikentscher,
Wirtschaftsrecht, Band I 1983,
S. 672 ff.; Jooss, RiA 1988, 73 ff., 108 f. (mit Hinweisen zu den Mißbrauchsgefahren); Rengeling, JZ 1984, 797; Stotz,
Die EG-Stahlkrise im Lichte der Wirtschaftsverfassung des EGKS-
Vertrages, 1983, S. 285; Thiesing, Vorbemerkung Rn. 5 zu Art. 92 bis 94 EWGV. 14
Zur Begründung der Aufhebung des InvZulG siehe BT Drs 11/2157 vom 19. 4. 1988, S. 118,177. - Der 17. Rahmenplan zum GRW enthält am Ende von Teil II lediglich einen Hinweis darauf, daß das InvZulG aufgehoben werden soll; im Plan selbst wird die Förderung nach den InvZulG noch berücksichtigt, (Fn. 6), S. 35.
22
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
überhaupt war 1 5 . Die als Ausgleich für den Wegfall der Investitionszulagen vorgesehene Aufstockung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" kann keinen vollwertigen Ersatz bieten. Bis Ende 1987 galt im Zonenrandgebiet ein Förderhöchstsatz von maximal 25 %, der sich in der Regel aus einer mit Rechtsanspruch versehenen 10%igen Investitionszulage und einem zu versteuernden Investitionszuschuß von 15 % aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe zusammensetzte. Die Förderhöchstsätze in der Gemeinschaftsaufgabe sind zum 1. 1. 1988 neu geordnet worden. Der maximale Förderhöchstsatz beträgt seitdem 23 %. Das Investitionszulagengesetz läuft zum 31. 12. 1989 (ohne Berücksichtigung der Übergangsregelung) aus. In Zukunft wird der Förderhöchstsatz voll aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe finanziert werden müssen. Auf diese besteht kein Rechtsanspruch. Außerdem sind sie in vollem Umfang steuerpflichtig. Die Verschlechterung für die Wirtschaft im Zonenrandgebiet liegt indes nicht nur in der Reduzierung des Höchstfördersatzes von 25% auf 23% und auch nicht allein in der quantifizierbar höheren Steuerlast; ganz wesentlich werden sich die deutlich verringerte Transparenz und Berechenbarkeit künftiger Förderungsmöglichkeiten auf die Investitionsbereitschaft von Unternehmen im Zonenrandgebiet auswirken. Schon in früheren betriebswirtschaftlichen Wirkungsanalysen wurden als wichtigste Mängel der Investitionsförderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet verbreitete Unkenntnis und Unkalkulierbarkeit vermutet 1 6 . Da diese Mängel in einer Förderung nach dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GRW) strukturell angelegt sind 1 7 , kann in Zukunft mit einer verstärkten Anreizwirkung durch Vergabe von Mitteln nach dem GRW im Zonenrandgebiet keinesfalls gerechnet werden.
2. Strukturwandel Der Allgemeine Teil des 16. Rahmenplans der Gemeinschaftaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 198715
Siehe nur Butz (Fn. 3), S. 79 ff.; Dannhorn, Der Einfluß steuerpolitischer Förderinstru-
mente auf die unternehmerische Entscheidung im Rahmen der Regionalen Wirtschaftsförderung in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S. 89 ff.; Söffing,
Förderung des Zonenrand-
gebietes - Steuerliche Maßnahmen; Spannowsty (Fn. 12), S. 159 ff. 16
Vgl. insbes. die kritische Würdigung von Rieger (Fn. 3), S. 275 ff.
17
Butz (Fn. 3), S. 118 schlägt vor, die Strukturmängel des GRW gerade nach dem Modell des InvZulG zu beheben. Das Steuerreformgesetz 1990 dürfte diesen Reformansatz einstweilen erledigt haben.
II. Veränderung der Rahmenbedingungen für die Zonenrandförderung
23
1990 (1991) vom 20. 5. 1987 beginnt mit Beschlüssen zur regionalpolitischen Flankierung des sektoralen Strukturwandels; dabei geht es um Probleme der norddeutschen Küstenregionen und insbesondere um die Flankierung des Anpassungsprozesses in der Schiffbauindustrie. Mit den Strukturkrisen bei Kohle, Stahl und Werften entstehen neue Problemregionen, die eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit aufweisen. Zugleich wird in diesem Rahmenplan aber auch festgestellt: "Der Standortvorteil der Bundesrepublik dürfte sich künftig eher noch stärker auf Faktoren gründen, die bisher noch eng mit Agglomerationsvorteilen verbunden sind (Humankapital, Technologie, organisatorisches Wissen, Informations- und Kommunikationssysteme etc.). Dies dürfte die Chancen der regionalen Strukturpolitik
erschweren,
zukunftsträchtige
18
wirtschaftsschwache
Regionen zu bringen"
.
Da sich der Strukturwandel im Bereich der Stahlindustrie nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt, sondern zumindest auch EG-Länder wie Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien trifft 1 9 , gerät die Förderung des Zonenrandgebietes in mehrfacher Hinsicht in Bedrängnis: - Die Ausweitung der Strukturförderung und die Ausweitung übriger Fördergebiete schränken die Förderpräferenz des Zonenrandgebietes merklich ein Durch das Strukturhilfegesetz sind den Bundesländern Mittel zur 18
Vgl. 16. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I, 2.4. Ebenso wörtlich 17. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I, 2.4. Hervorhebung nicht im Original. - Jooss, RiA 1988, 105 stellt fest, daß sich auch im Bereich der EG subventionspolitische Aktivitäten vorwiegend auf sogenannte "altindustrielle Problemgebiete" richten. Kaiser (Fn. 1), S. 170 beklagt, daß die EG bisher "zu wenig Aufmerksamkeit den geographischperipheren und wirtschaftlich marginalen Regionen" gewidmet habe. Siehe auch Wild, UPR 1986, 117. Franzmeyer (Fn. 12), S. 509 weist auf die "Asymmetrie" der industriepolitischen Möglichkeiten der EG hin: Die traditionellen Wirtschaftsbereiche können unter kompetenziellen Aspekten stärker beeinfluß werden als die modernen, in denen neuartige Technologien entwickelt werden. 19
Siehe nur Börner (Fn. 13), S. 71 ff.; Hellmann (Fn. 13), Rn. 33 ff. mit Übersicht über die wichtigsten in Schwierigkeiten befindlichen Sektoren in der EG; Seidel, Subventionshoheit und Finanzierungslast in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1984, S. 276 f.; Stotz (Fn. 13), S. 23 ff. (zur Entstehung der Stahlkrise); Thiesing (Fn. 13), Rn. 7; EuGH NJW 1988, 1452 ff. (zur Genehmigung zusätzlicher nationaler Beihilfen Italiens für die Stahlindustrie durch die EG-Kommission). - Zum Gemeinschaftsprogramm RESIDER zur Verstärkung der regionalpolitischen Flankierung in Stahlstandorten (1988) und zum EG-Verordnungsentwurf RENAVAL (Verstärkungsprogramm für Werftregionen) siehe 17. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 10.1.1. 20
Vgl. Rieger (Fn. 3), S. 278 unter 4. Siehe auch Kaiser (Fn. 1), S. 174 Fn. 12, der für 1981
Investiti
24
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
Verfügung gestellt worden, die jährlich das Zweieinhalbfache der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe ausmachen. - Die Förderung altindustrieller Ballungsräume verschärft die Konkurrenz um qualitativ hochwertige Arbeitsplätze essentiell. Die unübertreffbare Erschließung der Ballungsräume und ihre sonstigen Standortvorteile werden dadurch geradezu potenziert und vergrößern den - ohnehin uneinholbaren - Wettbewerbsvorsprung noch weiter 2 1 . - Die internationalen Verflechtungen der wichtigsten Wirtschaftsstrukturen verstärken die Wirtschaftskraft der Ballungsräume durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit; vor allem aber verstärken sie den politischen Druck auf sektorale Förderung. Die Wirtschaft des Zonenrandgebietes muß dadurch noch mehr ins Hintertreffen geraten 2 2 . Strukturprobleme in den nordeutschen Küstenregionen wurden von der Freien und Hansestadt Hamburg zum Anlaß genommen, im November 1987 den "Entwurf eines Gesetzes zur Steigerung der Effizienz der regionalen feststellt, daß inzwischen mehr als 60% der Fläche der Bundesrepublik "regionales Fördergebiet" sind. Zwar ist der Gesamtumfang der deutschen Regionalförderung auf Betreiben der EG-Kommission inzwischen reduziert worden, vgl. Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 992; aber der Zuwachs bei der Strukturförderung wird dadurch keineswegs ausgeglichen. Dies wird auch deutlich bei einem Vergleich zwischen dem 16. und dem 17. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6): Während beide Pläne im Teil III 16 Regionale Aktionsprogramme aufweisen, sieht der 16. Rahmenplan in Teil IV bis VI nur drei Ergänzungsprogramme vor (Stahlstandorte, Sonderprogramm "Bremen", Werftregion); der 17. Rahmenplan enthält in Teil VII bis IX zusätzlich schon drei weitere Ergänzungsprogramme: Ersatzarbeitsplätze außerhalb von Sektoren, die in besonderem Maße vom Strukturwandel betroffen sind, Ersatzarbeitsplätze in den Arbeitsmarktregionen Aachen und Jülich und Ersatzarbeitsplätze außerhalb der Montanindustrie in Regionen, die in besonderem Maße vom Strukturwandel betroffen sind. - Kritisch zur Umorientierung der Gemeinschaftsaufgabe auf altindustrielle Problemgebiete Pfeifer, Erfahrungen mit der Gemeinschaftsaufgabe "Verbeserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", 1989, S. 43 ff. Das Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft in den Ländern (Strukturhilfegesetz) vom 20. 12. 1988 (BGBl I S. 2358) erwähnt das Zonenrandgebiet überhaupt nicht; gem. § 4 II können nicht gleichzeitig Finanzhilfen nach diesem Gesetz gewährt werden für Investitionen, die z.B. schon nach Art. 91 a GG (als Gemeinschaftsaufgabe) gefördert werden. Patzig, DÖV 1989, 330 ff. hält das Strukturhilfegesetz für im wesentlichen verfassungswidrig. 21
Darauf weisen insbesondere Angerer (Fn. 8), S. 9 und die Arbeitsgemeinschaft der Industrieund Handelskammern (Fn. 6), S. 16 ff. hin. Mombaur, DÖV 1989, 248 Fn. 14: "Es läßt sich die Behauptung wagen, daß Städte und Gemeinden an Rhein und Ruhr in der kulturell lebendigsten Region liegen". 22
Siehe auch schon oben, zu Fn. 5.
25
III. Auswirkungen der Regionalpolitik der EG
Wirtschaftspolitik" als Gesetzesantrag dem Bundesrat zuzuleiten . Das Ziel dieses Entwurfs geht dahin, daß künftig nicht mehr das Zonenrandgebiet als Einheit gefördert werden soll; vielmehr sollen "auch im Zonenrandgebiet nur als förderungsbedürftig ermittelte Arbeitsmarktregionen regionale Fördermittel erhalten". Alle Arbeitsmarktregionen sollen nach den gleichen Kriterien beurteilt werden. Der nach § 6 GRW zuständige Planungsausschuß soll dann auch im Zonenrandgebiet über die Förderungsbedürftigkeit jeder Arbeitsmarktregion entscheiden können. Die Alternative der "Beibehaltung der undifferenzierten Zonenrandförderung" wird wegen der hohen "Mitnahmeeffekte" bei Investitionen in den "nicht förderungsbedürftigen Teilen des Zonenrandgebietes" als intolerabel angesehen.
III. Auswirkungen der Regionalpolitik der EG und der fortschreitenden Integration Im System der "begrenzten Einzelermächtigung" der EG war im EWGV eine ausdrückliche Kompetenz für eine eigenständige, gemeinschaftliche Regionalpolitik nicht enthalten. Gestützt auf Art. 235 EWGV wurde jedoch im Jahre 1975 der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) errichtet. Dieses Ereignis gilt als "Beginn einer europäischen Regionalpolitik im eigentlichen Sinne" 2 4 . Der Rat hat diesem Fonds seinerzeit die Aufgabe übertragen, sich an der Finanzierung bestimmter Maßnahmen zu beteiligen, um zur Korrektur gravierendster regionaler Ungleichgewichte in den Europäischen Gemeinschaften beizutragen. Im Unterschied zu den durch die Verordnung von 1985 geschaffenen integrierten Mittelmeerprogrammen können durch den EFRE prinzipiell Maßnahmen in allen Mitgliedstaaten gefördert werden. Nach mehrfachen Umstrukturierungen wandelte sich der EFRE schließlich von einem reinen Finanzinstrument zu einem Mittel der EG, eigene 23
BRat Drs 489/87 vom 13.11.1987.
24
Vgl. von Drygalski,
DVB1 1986, 810; Götz, Subventionen im Gemeinsamen Markt: Sub-
ventionen aus Gemeinschaftsmitteln, 1978, S. 382; Piittner/Spannowsty
(Fn. 3), S. 41 ff., 83 ff.;
Sattler, JöR N.F. 36 (1987) S. 424; Wäldchen, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften, Rn. 1 ff.; Wild,
UPR 1986, 116. - Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil,
Die Europäische
Gemeinschaft - Rechtsordnung und Politik -, 1987, S. 489 ff. weisen darauf hin, daß auch die Präambel zum EWGV und die Art. 39 II a, 49 d, 80 II und 92 EWGV bereits Ansätze für regionalpolitische Aktivitäten der EG enthalten. - Im einzelnen zu Entwicklung und Bedeutung des EFRE siehe auch 16. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 10.1; 17. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 10.1.
26
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
Programme aufzulegen. Durch Art. 130 c EWGV, eingefügt durch die EEA von 1986, hat der EFRE inzwischen auch eine sichere Rechtsgrundlage erhalten. Die gleichzeitig eingefügten Bestimmungen der Art. 130 d und e EWGV sollen dazu dienen, die Effizienz des EFRE, des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft und des Europäischen Sozialfonds zu erhöhen und die verschiedenen Aktivitäten zu koordinieren. - Aus dieser Entwicklung läßt sich unschwer folgern, daß die EG ihre regionalpolitischen Vorstellungen künftig eher noch verstärkt fortsetzen wird 2 5 . Die regionalpolitische Einflußnahme der EG beschränkt sich aber nicht auf die Handhabung bestimmter Fonds oder auf den Einsatz der Europäischen Investitionsbank gemäß Art. 129 f. EWGV; vielmehr kontrolliert die EGKommission mit Hilfe des ihr durch Art. 92, 93 EWGV eingeräumten Beihilfenaufsichtsrechts auch die Regionalpolitik der Mitgliedstaaten 2 6 .
1. Regionalpolitische Ziele und Maßnahmen der EG Nach Einführung der Art. 130 c - e in den EWGV wäre eine Diskussion über die Kompetenz der EG zu einer eigenen Regionalpolitik, aber auch über deren Legitimität müßig. Eine echte Gemeinschaft - selbst unter der
25
Vgl. Cholewa et al. (Fn. 1), Vorb. XVI Rn. 8; von Drygalski, DVB11986,814; Everling, Sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch Herren der Verträge?, 1983, S. 176 f.; von der Heide, DÖV 1986,195 f.; Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 992; Rüter, Regionalpolitik im Umbruch, 1987, S. 122 f.; Wäldchen, Die Rolle der Regionalpolitik in der EG, 1989, S. 49 ff. In seinem Beschluß vom 14. 9. 1988 hat der Bundesrat zwar die Zusammenführung der verschiedenen Fonds empfohlen, zugleich aber vor einer zentralistischen Steuerung der Arbeitsmarktpolitik durch die EG gewarnt; BRat Drs 395/88 = ZRP 1988, 444. Siehe auch Haas, DÖV 1988, 614. 26
Dazu Jooss, RiA 1987, 105 und besonders ausführlich Püttner/Spannowsky
177 ff.; Püttner,
(Fn. 3), S. 41 ff.,
Rechtsprobleme der Regionalbeihilfen durch die EG, 1989, S. 60 ff. - Als
Beispiel für die Praxis der EG-Kommission sei hier nur die "Mitteilung gem. Art. 93 II EWGV an die anderen Beteiligten als die Mitgliedstaaten über das regionale Wirtschaftsförderungsprogramm und das Mittelstandsförderungsprogramm des Landes Bayern" erwähnt, ABl. Nr. C 205/3 vom 14.8.1986. Weitere Beispiele im 16. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 10.2 am Ende und an der entsprechenden Stelle im 17. Rahmenplan. - In der Literatur wird formuliert, die EG-Kommission habe sich von einer "Hüterin" zu einer - im EWGV nicht vorgesehenen - "Herrin" über die von den Mitgliedstaaten zu gewährenden Beihilfen aufgeschwungen, vgl. Leibrock, NJW 1989,1416.
III. Auswirkungen der Regionalpolitik der EG
27
eingeschränkten Zielsetzung einer Wirtschaftsunion - kann nur entstehen, wenn ein Mindestmaß an wirtschaftlicher und sozialer Homogenität zwischen allen beteiligten Regionen geschaffen wird. Da auf der anderen Seite aber auch nationale Förderungen, die über den Ausgleich regionaler Benachteiligungen hinausgreifen, zu Wettbewerbsfälschungen führen können, besteht insgesamt in der Regionalpolitik ein gemeinschaftsrechtlicher Regelungsbedarf 2 1 . Gemeinschaftliche Regionalpolitik soll - von der Idee her - nicht die von den Mitgliedstaaten verfolgte Politik ersetzen; sie soll lediglich komplementär wirken . Nun ist es aber so, daß die EG von einem "klassischen Mittel" Gebrauch macht, um die Bedeutung ihres Finanzbeitrages zu erhöhen, indem sie den Einsatz ihrer Mittel davon abhängig macht, daß auch der Träger des geforderten Vorhabens und der jeweilige Mitgliedstaat bestimmte finanzielle Beiträge leisten. Dadurch erhält die Gemeinschaft entscheidenden Einfluß auf Zielsetzung und Durchführung nationaler Programme - eine Methode, die an den aus dem Kommunalrecht wohl bekannten "goldenen Zügel" erinnert. Hinzukommt, daß die EG-Kommission in Ausübung ihrer beihilfepolitischen Kompetenzen gemäß Art. 92, 93 EWGV "nach und nach manches Teilstück der "Programmhoheit" über staatliche Beihilfen an sich zieht, indem sie die staatlichen Beihilfen je in einem Gemeinschaftsprogramm-Rahmen einzufügen sucht" 2 9 . Insofern kommt es nunmehr darauf an, welche Maßstäbe die EG an ihre regionalpolitischen Entscheidungen anlegt. Der in Art. 80 I I EWGV im Abschnitt über die Verkehrspolitik eingeführte Begriff des Maßstabes einer "angemessenen Standortpolitik" soll auf eine möglichst gleichmäßige und überregional ausgeglichene räumliche Verteilung der Wirtschaft hinzie-
27
Vgl. Everling, Gestaltungsbedarf des Europäischen Rechts, 1987, S. 78 ff. Vgl. auch Cholevm et al. (Fn. 1), § 1 ROG Rn. 28. 90 Vgl. von Drygalski, DVB11986, 813; Seidel (Fn. 19), S. 278 ff. 29
Vgl. Götz (Fn. 24), S. 379, 395. Götz sieht allerdings den Regionalfonds (1978!) noch eher als ein "Beispiel für die Beteiligung der Staaten" an der Programmhoheit bei der Vergabe von Subventionen aus Gemeinschaftsmitteln. - Zum regionalpolitischgestalterischen Einfluß der EG über das Prüfungsrecht nach Art. 92, 93 EWGV siehe Borchmann, DÖV 1988, 630; Spannowsky (Fn. 12), S. 27 f. mit Fn. 31, S. 41 ff. - In ihrer Antwort auf eine Große Anfrage vom 13.12.1984 (Fn. 8), S. 22 f. zu Frage 29 hat die Bundesregierung zwar den regionalen Förderbeiträgen der EG für das Bundesgebiet keine primäre Bedeutung beigemessen; entscheidend sei jedoch ein hinreichender Handlungsspielraum gegenüber der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenkontrolle. Siehe auch die Ausführungen im 16. und 17. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 10.2.
28
B. Zur Situation der Zonenrandförderung TA
len . Aus dem EFRE sind seit 1975 vor allem die Staaten mit den strukturschwächsten Gebieten, also z.B. Griechenland, Irland, Schottland, der Norden Großbritanniens und der Süden Italiens begünstigt worden. Aber auch im übrigen konzentriert sich die EG bei ihren regionalpolitischen Aktivitäten auf die - aus ihrer Sicht - bedürftigsten Gebiete. Danach kommen "weniger rückständige Gebiete" (abgesehen von alten Industriestandorten mit erheblichen Strukturproblemen) kaum noch in den Genuß gemeinschaftlicher Finanzhilfen. Darüber hinaus werden nationale Regionalbeihilfen für Gebiete, die zwar innerstaatlich, nicht aber EG-weit unter dem Entwicklungsdurchschnitt liegen, zunehmend beanstandet oder untersagt; denn die Intensität der Regionalprobleme aller Regionen der Gemeinschaft wird an einem Index gemessen, der sich am Gemeinschaftsdurchschnitt orientiert 3 1 . In den letzten Jahren ist die EG-Kommission verstärkt gegen Maßnahmen der deutschen Regionalförderung vorgegangen. Seit 1983 ist auf diese Weise die Fördergebietskulisse der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erheblich reduziert worden. Von vielen Seiten wird das eigene Diagnosesystem der EG als bedenklich angesehen, weil die Gefahr einer Verhinderung jeglicher Regionalpolitik in den "reicheren" Mitgliedstaaten bestehe. Dies ist auch bereits in der einstimmigen Annahme einer Entschließung des Deutschen Bundestages vom 26. 3. 1982 zum Ausdruck gekommen. Danach sind Gemeinschaftsdurchschnittswerte als Maßstab für die Regionalpolitik, also für die "Verminderung von regionalen Disparitäten auf nationaler Ebene" (Wild), ungeeignet 3 2 .
30
So z.B. Erdmenger, Kommentierung des Art. 80 EWGV, Rn. 15. 31
Zur Berechnung des Maßstabes für gemeinschaftliche Regionalpolitik siehe Wäldchen (Fn. 24), Rn. 63; Thiesing, Kommentierung des Art. 92 EWGV Rn. 55, 58. - Deutliche Kritik im 16. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 10.1. Siehe auch 17. Rahmenplan (Fn. 6), Teil I Nr. 10.1.2 am Ende: "Zentralistische Ansätze sind erfahrungsgemäß am wenigsten geeignet, regionale Entwicklungsprobleme zu lösen"; R. Schmidt, Aktuelle Fragen der regionalen Strukturpolitik, 1989, Vorwort S. V (zur Gefahr der Nivellierung auf dem Niveau eines "scheinrationalen EG-Durchschnittswerts"); von Waidenfels, ebenda, S. 2; Püttner (Fn. 26), S. 62. 32
Siehe BT Drs 9/1449 vom 11. 3. 1982; zu den Auswirkungen der von GemeinschaftsDurchschnittswerten ausgehende Regionalpolitik der EG siehe Borchmann, DÖV 1988, 630; Jooss, RiA 1987,105; Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 992; Püttner/Spannowsky (Fn. 3), S. 6, 37 f., 39 ff., 167 ff.; Spannowsky (Fn. 12), S. 90 ff.; Wild, UPR 1986,120.
III. Auswirkungen der Regionalpolitik der EG
2. Ökonomische Betrachtung der Zonenrandförderung
29
durch die EG
Es trifft zwar zu, daß die Zonenrandförderung bisher als solche von der EG noch nicht in Frage gestellt worden ist; aber bereits 1979 hat die EG-Kommission gegenüber solchen Fördermaßnahmen ein Beanstandungsrecht in Anspruch genommen, hinsichtlich deren sie der Ansicht ist, einzelne, geförderte Gebiete seien durch die Teilung Deutschlands wirtschaftlich nicht mehr benachteiligt. Nach Auffassung der Kommission steht die Ausnahme bestimmter Beihilfen nach Art. 92 II c) EWGV von dem Unvereinbarkeitsprinzip des Art. 92 I EWGV unter dem Vorbehalt, daß (weiterhin) eine wirtschaftliche Benachteiligung im Einzelfall bestehen muß 3 3 . Diese Auffassung liegt auch durchaus in dem seit 1981 dokumentierten Trend der Kommission, Maßnahmen der aktiven Anpassung (positive adjustment) Vorrang vor solchen der defensiven Konservierung bestehender Strukturen zu geben 3 4 . Mit dieser von der EG-Kommission in Anspruch genommenen Kompetenz zur Einzelprüfung der wirtschaftlichen Lage jeder Arbeitsmarktregion wird der in der bundesdeutschen Nachkriegspolitik fest verankerte Grundsatz von der Einheit des Zonenrandgebiets angegriffen. In der schon zitierten einstimmig angenommenen Erschließung hat der Deutsche Bundestag diesen Grundsatz nochmals nachhaltig bekräftigt: "Ebenso weist der Deutsche Bundestag jeden Versuch zurück, die Zonenrandförderung entgegen der Bestandsgarantie des Art. 92 II c) EWGV anzutasten und die notwendige Einheitlichkeit dieser Förderung für das gesamte Zonenrandgebiet in Frage zu stellen"
Von der Entstehungsgeschichte und ursprünglichen Aufgabenstellung der EG her gesehen ist es durchaus verständlich, daß die Kommission ausschließlich wirtschaftliche Probleme im Zonenrandgebiet in ihre Betrachtungen einbezieht. Insofern ist das Zonenrandgebiet selbstverständlich ebensowenig eine Einheit wie andere, nicht unter wirtschaftlichen, sondern unter
33
Näher dazu Püttner/Spannowsky (Fn. 3), S. 176 ff.; siehe auch Thiesing (Fn. 31), Rn. 48, Kommentierung des Artikel 93 Rn. 5, der der Kommission ein Recht zur Einzelfallprüfung zugesteht. - Die Argumentation der EG-Kommission entspricht weitgehend derjenigen, die die Freie und Hansestadt Hamburg zur Begründung ihres Entwurfs des Gesetzes zur Steigerung der Effizienz der regionalen Wirtschaftspolitik vorgebracht hat; siehe oben, zu Fn. 23. Dazu, daß die EG die Zonenrandförderung insgesamt z.Zt. nicht in Frage stellt Wild, UPR1986,121. 34
Vgl. Wäldchen (Fn. 24), Rn. 65. - Zum Trend der EG-Kommission zu einer strengen Beihilfenkontrolle siehe Nachweise oben Fn. 12 f. 35
BT Drs 9/1449. - Ebenso Angerer (Fn. 8), S. 4; Arbeitsgemeinschaft
der Industrie-
Handelskammern (Fn. 6), S. 13 f.; Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 10.
und
30
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
politischen Aspekten zusammengefaßte großflächige Gebiete, wie etwa ganze Staaten. Es ist ja gerade kennzeichnend für das Zonenrandgebiet, daß seine Grenzen der zufälligen, duch die militärischen Ereignisse im zweiten Weltkrieg bestimmten und durch die politischen Gegensätze zwischen den Besatzungsmächten verfestigten Demarkationslinie folgen 3 6 . Eine ausschließlich ökonomische Sicht kann danach den eigentlichen Problemen des Zonenrandgebietes nicht gerecht werden. Im übrigen zeigt auch die zur Stützung regionalpolitischer Kompetenzen der EG immer wieder herangezogene Bestimmung des Art. 80 I I EWGV, daß Ausnahmen vom Verbot von Unterstützungsmaßnahmen keineswegs allein mit wirtschaftlicher Argumentation gerechtfertigt werden müssen; denn Art. 80 II EWGV stellt die (wirtschaftlichen) "Bedürfnisse der unterentwickelten Gebiete" und die "Probleme der durch politische Umstände schwer betroffenen Gebiete" gleichwertig nebeneinander 3 7 .
3. Verschärfung
der Randlage zum 31. 12. 1992
Mit dem Inkrafttreten der EEA am 1. 7. 1987 ist die Gemeinschaft durch Art. 8 a I EWGV verbindlich aufgefordert, bis zum 31. 12. 1992 "den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen". Gemäß Art. 8 a II EWGV umfaßt der Binnenmarkt einen "Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen. Dienstleistungen und Kapital... gewährleistet ist". Dieses "Kernstück" der EEA 3 8 bietet für die bundesdeutsche Wirtschaft, aber auch für die kommunale und regionale Standortpolitik ganz erhebliche Chancen, wird aber auch die Standortkonkurrenz zwischen den Städten, Gemeinden und Kreisen wesentlich verschärfen 3 9 . Insbesondere die durch die extreme Randlage - in einer in Europa sonst unbekannten Grenzsituation bedingten Standortnachteile der Städte und Gemeinden im Zonenrandgebiet werden sich gravierend auswirken: Die Randlage dieses Gebietes ist jetzt
36
Siehe dazu oben, B. I mit Nachweisen in Fn. 3 ff.
37
Näher dazu Erdmenger, Kommentierung des Artikel 80 EWGV Rn. 16.
38
So E. Klein, DÖV 1986, 952; ähnlich Grabitz, Stillhalte-Verpflichtungen vor dem Binnen-
markt, 1988, S. 1 ff. Zur Entwicklung siehe auch Sattler, JöR (N.F.) 36 (1987), S. 449. - Der 17. Rahmenplan zum GRW (Fn. 6), Teil I Nr. 2.1 übernimmt wörtlich die Formulierung des 16. Rahmenplans von der "sehr ungünstigen Standortlage" des Zonenrandgebiets "am Rand des Bundesgebietes und des Gemeinsamen Marktes": Die Verschärfung dieser Lage durch die Verwirklichung des Binnenmarktes wird jedoch nicht zur Kenntnis genommen. 39
Dazu Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 989.
III. Auswirkungen der Regionalpolitik der EG
31
nicht mehr bezogen auf den Mittelpunkt der Bundesrepublik Deutschland, sondern auf den Mittelpunkt der gesamten - und wachsenden - EG. Das bisherige System der Zonenrandförderung ist (jedenfalls auch) als Ausgleich für die durch die deutsche Teilung bedingte Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen zu verstehen, also als Kompensation der durch die Randlage in der Bundesrepublik Deutschland entstandenen Wettbewerbsnachteile 4 . Als in den fünfziger Jahren die Weichen für eine westeuropäische Integration gestellt und am 25. 3.1957 die Römischen Verträge geschlossen wurden, wurde von den Vertragsparteien gleichzeitig das "Protokoll über den innerdeutschen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen" beschlossen und dem EWGV als Anhang beigefügt. Dieses Protokoll ist gemäß Art. 239 EWGV Bestandteil des Vertrages. Es gilt - wie der EuGH mehrfach entschieden hat unverändert weiter. Darin ist festgelegt, daß mit dem EWGV keine Änderung des innerdeutschen Handels eingetreten ist; der Handel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ist demnach kein Außenhandel. Damit sollte eine Verschärfung der Teilung Deutschlands als Folge der Durchführung des EWGV verhindert werden 4 . Im Hinblick auf die mit der Errichtung des Binnenmarktes zu erwartende neue, verschärfte Randlage des Zonenrandgebietes fehlt es bislang an vergleichbaren Überlegungen, zu einem Ausgleich der sich potenzierenden Wettbewerbsnachteile beizutragen. Angesichts der bislang noch immer äußerst unbefriedigenden Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes könnte sich für die Bundesregierung hier ein Anlaß bieten, besondere verkehrswirtschaftliche Anstrengungen zu unternehmen; die rechtlichen Voraussetzungen hierzu hält Art. 82 EWGV schon lange vor 4 2 .
40
So insbesondere Pütttter/Spannowsky (Fn. 3), S. 175 ff. Siehe auch den bei Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG Rn. IIa wiedergegebenen Kabinettsbeschluß der Bundesregierung über programmatische Schwerpunkte der Raumordnung vom 30.1.1985. 41 Vgl. E. Klein, Die deutsche Frage in der EG, 1986, S. 73; Butz (Fn. 3), S. 198 f. mit weiteren Nachweisen. Siehe auch Karpenstein, Vorb. zu den Artikeln 48 und 49 EWGV, Rn. 19; Thiesing, Kommentierung des Artikel 227 EWGV Rn. 65; Rösch, Kommentierung des "Protokolls über den innerdeutschen Handel", Rn. 4. - Zur Verschärfung der Randlage des Zonenrandgebietes durch die westeuropäische Integration und zur entsprechenden Begünstigung der westlichen Regionen des Bundesgebietes Cholewa et al. (Fn. 1), Vorb. XIII Rn. 1 ff.; Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 11. 42
Siehe oben, zu Fn. 9.
32
B. Zur Situation der Zonenrandförderung
IV. Zusammenfassung 1. Das Zonenrandgebiet ist einheitlich durch die geographische Randlage an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Ostblock gegenüber anderen Gebieten der Bundesrepublik im wirtschaftlichen Wettbewerb benachteiligt und von einem weit verstandenen, fundamentalen "Kommunikationsverlust", insbesondere zwischen Deutschen in beiden Teilen Deutschlands betroffen. 2.
Eine zusätzliche, in der jüngsten Vergangenheit immer spürbarer werdende Belastung liegt in den massiven Schadstoffimmissionen, die aus der DDR und aus der CSSR importiert werden.
3.
Das bisherige System der Zonenrandförderung wird gefährdet durch die pauschale Tendenz zum Subventionsabbau; die Aufhebung des InvZulG hat bereits ein wesentliches Element der Zonenrandförderung ohne angemessenen Ausgleich beseitigt.
4.
Der deutliche Strukturwandel in den altindustriellen Ballungsräumen und im Küstengebiet der Bundesrepublik, aber auch im Bereich der gesamten EG führt zu massiver Subventionierung extrem standortbegünstigter Regionen. Diese Fördermittel ziehen auf mittlere Sicht eine potenzierte Standortverschlechterung des Zonenrandgebietes nach sich.
5.
Die wachsenden regionalpolitischen Aktivitäten der EG, insbesondere die extensive Nutzung des Beihilfenaufsichtsrechts durch die Kommission und die Anlegung von Maßstäben, die am Gemeinschaftsdurchschnitt orientiert sind, engen den Handlungsspielraum für eine nationale Förderpolitik immer stärker ein.
6.
Eine besondere Gefahr für die Zonenrandförderung liegt darin, daß die EG-Kommission die Einheitlichkeit des Zonenrandgebietes als Fördergebiet in Frage stellt und für sich die Kompetenz in Anspruch nimmt, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine wirtschaftliche Benachteiligung einer konkreten Arbeitsmarktregion durch die Teilung Deutschlands besteht.
7.
Die wettbewerbsverschlechternde Randlage des Zonenrandgebietes wird sich durch die Schaffung des Binnenmarktes zum 31. 12. 1992 deutlich verschärfen; Entlastungsmaßnahmen oder ausgleichende Förderungen sind bislang nicht in Sicht.
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung - Interpretation und Anwendung Die unter B dargestellte gegenwärtige Situation der Zonenrandförderung ist keineswegs günstig. Im folgenden Abschnitt soll deshalb geprüft werden, ob die für die Zonenrandförderung noch bestehenden Rechtsgrundlagen des einfachen Bundesrechts - insbesondere also Vorschriften des ROG, des ZRFG und des GRW - und des primären Gemeinschaftsrechts hinreichende Hilfen für die Zunkunftsbewältigung erwarten lassen. Dabei kann es hier nicht darum gehen, die Entwicklung dieser Rechtsgrundlagen im einzelnen nachzuzeichnen und Detailprobleme der Auslegung und Anwendung zu behandeln 1 . Vielmehr soll versucht werden, die großen Linien des Systems der Zonenrandförderung aufzuzeigen und die generelle Zukunftstauglichkeit dieses Systems zu testen.
L Ziele der Bestimmungen über die Zonenrandförderung Bei der Durchsicht der politischen Erklärungen zur Zonenrandförderung, aber auch bei der Lektüre der gesetzlichen Bestimmungen selbst und ihrer Interpretation im Schrifttum fallen immer wieder zwei miteinander konkurrierende Begründungsstränge auf: Einmal soll es um den "Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands" gehen 2 ; zum anderen heißt es, 1
Für diese Zwecke empfiehlt sich insbesondere der Rückgriff auf die Darstellungen von
Butz, Rechtsfragen der Zonenrandförderung, 1980; Cholewa/Dyong/von
der Heide/Arenz,
Raumordnung in Bund und Ländern, Stand 1987; Eberstein (Hrsg.), Handbuch der regionalen Wirtschaftsförderung, ab 1971; Püttner/Spannowsky,
Das Verhältnis der europäischen Regio-
nalpolitik zur deutschen Regionalpolitik, 1986, und auf die Kommentare und Handbücher zum EWGV und die dort nachgewiesene Rechtsprechung und Spezialliteratur. - Siehe im übrigen auch die Übersichten und Tabellen bei Rieger,
Investitionsförderungsmaßnahmen im
Zonenrandgebiet, 1982 und Dannhorn, Der Einfluß steuerpolitischer Förderinstrumente auf die unternehmerische Entscheidung im Rahmen der Regionalen Wirtschaftsförderung in der Bundesrepublik Deutschland, 1987. 2
So z. B. die Zielsetzung in § 11 ZRFG; in diesem Sinne ausdrücklich Butz (Fn. 1), S. 30 ff.
mit weiteren Nachweisen zu entsprechend formulierten Bestimmungen.
34
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
das "Ziel der Wiedervereinigung des gesamten Deutschlands" sei zu berücksichtigen und "seine Verwirklichung zu fördern" Das erstgenannte Ziel läßt sich relativ zwanglos in das Zielsystem der regionalen Wirtschaftsförderung 4 einordnen. Damit wird letztlich aber nur auf die jeweilige Region als solche Bezug genommen. Das Zonenrandgebiet würde sich dabei nicht von anderen benachteiligten Gebieten in der Bundesrepublik Deutschland, in Süditalien oder in Irland unterscheiden: Stets geht es beim Einsatz von Instrumenten der regionalen Wirtschaftsförderung dort um Ausgleich von Nachteilen und um Angleichung der Lebens- und Wirtschaftsbedingungen in Räumen, die z. T. zwar sehr schwerwiegende Nachteile aufzuweisen haben, die aber mit dem Zonenrandgebiet in keiner Weise vergleichbar sind. Unter dem Aspekt des bloßen "Nachteilsausgleichs" ist es regionalwirtschaftlich schwierig, Angriffe auf die Zonenrandförderung, wie sie von der EG-Kommission und von der Freien und Hansestadt Hamburg geführt werden 5 , abzuwehren. Denn für prosperierende Arbeitsmarktregionen im Zonenrandgebiet läßt sich nicht ohne weiteres der Nachweis führen, daß ein Nachholbedarf im Vergleich mit dem übrigen Bundesgebiet bestehe. Es verlangt einen großen Argumentationsaufwand, um im System der regionalen Wirtschaftspolitik auch für prosperierende Regionen im Zonenrandgebiet die Notwendigkeit eines "Nachteilsausgleichs" zu begründen und einen entsprechenden Kausalitätsnachweis zu führen. Denn selbst der durch die extreme Randlage bedingte Wettbewerbsnachteil des gesamten Zonen-
3
So z. B. § 1 II ROG; auch der in § 2 Nr. 4 ROG genannte Grundsatz, die Leistungskraft des Zonenrandgebietes sei bevorzugt mit dem Ziel zu stärken, daß in allen seinen Teilen Bedingungen geschaffen werden, die denen im gesamten Bundesgebiet "mindestens gleichwertig sind", geht deutlich über das bloße "Ausgleichsziel" hinaus. Prägnant formuliert neuestens Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1989, S. 295: "Primär bestimmen nicht ökonomische Kriterien, sondern das "Wiedervereinigungsgebot" der Präambel des GG die Förderung." Sehr anschaulich spricht Heyde, Förderung des Zonenrandgebiets, B IV 3 S. 6 von der "Brückenstellung" des Zonenrandgebietes und seiner "Schaufensterfunktion". - Auf den Zusammenhang zwischen Förderung der Wiedervereinigung und Zonenrandförderung weist auch Butz (Fn. 1), S. 30, 48 hin. - Siehe auch § 2 I S. 2 GRW: Die Förderung "hat auf gesamtdeutsche Belange" Rücksicht zu nehmen und § 2 IV a S. 2 GRW über die "politisch bedingte Sondersituation des Zonenrandgebietes". 4
Siehe dazu die vorzügliche Systematik bei Dannhorn (Fn. 1), S. 6 ff. und die Ubersicht S. 13. Siehe auch den großen Rahmen im 17. Rahmenplan zum GRW, BT Drs 11/2362, Teil I Nr. 2.2: "Die regionale Strukturpolitik ist Bestandteil der gesamten Wirtschaftspolitik. Ihre zentralen Ziele sind das Wachstumsziel, das Stabilisierungsziel und das Ausgleichsziel..." 5
Siehe dazu oben, Teil B zu Fn. 23,33 ff.
I. Ziele der Bestimmungen über die Zonenrandförderung
35
randgebietes 6 könnte bei Ansiedlung bestimmter Wirtschaftszweige, etwa der Kommunikationstechnologie, im Einzelfall ausgeglichen sein. Auch wäre es insgesamt denkbar, Zonenrandförderung auf ganz gezielte "Ausgleichsmaßnahmen", z. B. im Sinne von Frachthilfen zu begrenzen. Ein solcher "Nachteilsausgleich" bliebe aber letztlich hinter den Möglichkeiten der Raumordnung und der regionalen Strukturpolitik im herkömmlichen Sinne weit zurück 7 . In Wirklichkeit wird das Abstellen auf den (bloßen) Ausgleich von Nachteilen der Randlage der eigentlichen Besonderheit und Problematik des Zonenrandgebietes nicht gerecht. Das, was die Lage im Zonenrandgebiet von der Lage aller übrigen benachteiligten Regionen in der Bundesrepublik Deutschland und in der EG grundlegend unterscheidet, ist die unmittelbare Nachbarschaft zur DDR und zur CSSR ohne die Möglichkeit einer normalen wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Kommunikation. Dieses Problem findet im Grenzbereich zur DDR nochmals eine qualitative Steigerung dadurch, daß hier die politisch-militärisch zufällig gezogene Grenze mitten durch Deutschland geht und damit den in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden deutschen Staatsangehörigen die Möglichkeit nimmt, verfassungs- und menschenrechtlich fundierte Grundrechte der Freizügigkeit, der Ausreise-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und aller übrigen Formen freier Kommunikation auszuüben. Es ist deshalb erneut an die schon Ende der 40-iger/Anfang der 50-iger Jahre bewußt gewordene Erkenntnis zu erinnern, "daß die Förderung des Zonenrandgebiets im geteilten Deutschland eine staatspolitische Aufgabe von deutschlandpolitischem Rang ist", die sich mit der Förderung anderer Teile des Bundesgebietes nicht vergleichen läßt 8 . Zukunftsorientierte Zonenrandförderung muß also darauf
6
Darauf, also auf die spezielle "Chancenminderung", stellen Püttner/Spannowsky
(Fn. 1), S.
175 ff. im Hinblick auf die Anwendung des Art. 92 II c) EWGV allein ab; siehe auch oben, Teil B zu Fn. 40. Auch Jooss, RiA 1987,105 sieht den "Abbau der bestehenden Disparitäten" als Ziel der Regionalpolitik im Zonenrandgebiet. Ebenso betont Kaiser , Regionalpolitik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft, 1981, S. 173 die wirtschaftlichen
Folgen der Teilung Deutschlands.
7
Mit Recht betont E. Teyssen , Frachthilfen für das Zonenrandgebiet und für das Frachthilfegebiet, 1981, S. 3, daß es sich bei der Frachthilfe für das Zonenrandgebiet um eine "politisch bedingte Maßnahme" handle und nicht um ein Instrument der Raumordnung oder der regionalen Strukturpolitik im herkömmlichen Sinne. 8
Vgl. Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG, Rn. 4 f., 10; siehe auch Fischer , Förde-
rung des Zonenrandgebietes, S. 11: Die Förderung des Zonenrandgebietes sei keine Notstandsmaßnahme, sondern eine "politische Aufgabe ersten Ranges". - Umfangreiche Nach-
36
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
bedacht sein, daß sie ihre Grundlage und Rechtfertigung nicht primär aus eine wirtschaftlichen Benachteiligung zieht; ihr Bezugspunkt ist vielmehr die Wiedervereinigung Deutschlands. An diesem Ziel ist ihre - über die allgemeinen regionalen Wirtschaftsförderungsmaßnahmen hinausgehende - Förderung zu messen. Würde Zonenrandförderung als "Hilfe zur Umorientierung" des Zonenrandgebietes verstanden, wäre sie ein Mittel zur Fixierung der Grenze in Deutschland und damit eine Maßnahme, die mit dem jüngst vom Bundesverfassungsgericht erneut konkretisierten Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen wäre 9 .
II. Zonenrandförderung im ROG Es mag hier dahinstehen, ob sich so generell sagen läßt, wie es Joseph H. Kaiser sehr pointiert ausdrückt, daß es für die Regionalpolitik "kennzeichnend" ist, daß sie "gelegentlich ihre Effizienz wichtiger nimmt als ihre gesetzlichen Grundlagen" Die späte Normierung der Voraussetzungen der Zonenrandförderung in einem förmlichen Gesetz dürfte jedenfalls seine Gründe wesentlich darin finden, daß - zumindest bis zur Errichtung der weise für entsprechende Bewertungen aus dem politischen Raum in: Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des Zonenrandgebietes, Zentrale Fragen und Perspektiven der Zonenrandförderung, 1984, S. 10 ff. Siehe auch § 2 IVa Satz 2 GRW über die "politisch bedingte Sondersituation des Zonenrandgebietes". Vgl. auch Raumordnungsbericht 1986, BT Drs. 10/6027 Nr. 4.7 (S. 69): "Die Zonenrandförderung ist ... vor allem deutschlandpolitisch begründet. Sie geht über die rein wirtschaftliche Zielsetzung der Regionalplanung hinaus"; siehe dort auch Nr. 4.8 (S. 71). 9
Zu den Voraussetzungen und Konkretisierungen des Wiedervereinigungsgebotes siehe BVerfGE 77, 137 (149 ff.); siehe auch oben, zu Fn. 3. Siehe ferner Maunz/Herzog, Kommentierung des Art. 29 GG, 1977, Rn. 17, wonach bei einer etwaigen Neugliederung des Bundesgebietes in Rechnung zu stellen sei, daß die Zonenrandgebiete "im Falle einer Wiedervereinigung die Hauptlast der wirtschaftlichen Eingliederung zu tragen hätten und daher wirtschaftlich besonders stabil sein müssen". - Zur angeblichen Funktion der Zonenrandförderung als "Hilfe zur Umorientierung" siehe hingegen die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steigerung der Effizienz der regionalen Wirtschaftspolitik, BR Drs 489/87 vom 13. 11. 1987 seitens der Freien und Hansestadt Hamburg. Mit Recht stellt hingegen Dolzer, Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur DDR, 1987, Rn. 40 fest, es sei unzulässig, die Herstellung "normaler" (völkerrechtlicher) Beziehungen als Ziel der Deutschlandpolitik zu verfolgen, es sei denn, man versteht unter Normalisierung der innerdeutschen Beziehungen die praktische Vollendung der Einheit Deutschlands. 10
Vgl. Kaiser (Fn. 6), S. 17.
. Zonenrandförderung im
G
37
Berliner Mauer am 13. 8. 1961 - kein Anlaß gesehen wurde, an der Vorläufigkeit der deutschen Teilung zu zweifeln n . In Gesetzesform wurden Aspekte der Zonenrandförderung erstmals 1952 durch die §§ 6 a, 51 GüKG fixiert 1 2 . Nach Erlaß einiger weiterer punktueller, vorwiegend steuerrechtlicher Präferenzvorschriften zugunsten des Zonenrandgebietes wurde die Förderung dieses Gebietes 1965 beim Erlaß des ROG zu einer Hauptaufgabe des raumordnungspolitischen Handelns des Bundes. Nach § 2 Nr. 4 Satz 1 ROG ist die Leistungskraft des Zonenrandgebietes "bevorzugt" zu stärken; es sollen Bedingungen und Strukturen geschaffen werden, die denen im gesamten Bundesgebiet "mindestens gleichwertig" sind; und nach Satz 2 dieses Grundsatzes Nr. 4 sind dort die Bildungs-, Kultur-, Verkehrs-, Versorgungs- und Verwaltungseinrichtungen "vordringlich zu schaffenAuf die Begründung für all diese Verpflichtungen aus dem Wiedervereinigungsgebot, wie sie in § 1 II ROG ausdrücklich formuliert wird, wurde bereits hingewiesen 1 3 . Das Gesetz gibt dem Grundsatz Nr. 4 - Förderung des Zonenrandgebietes - Priorität vor den übrigen neun in § 2 ROG genannten Grundsätzen der Raumordnung, während zwischen diesen Grundsätzen kein weiteres Rangordnungsverhältnis festgelegt wird. Gemäß § 4 III und V ROG ist diese Priorität auch von den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden zu beachten. So hat z. B. der Freistaat Bayern durch Art. 2 BayLplG zunächst die Grundsätze der Raumordnung des § 2 I ROG pauschal übernommen, sodann aber unter dem Aspekt der leistungsfähigen Verkehrsbedienung in Nr. 8 Satz 4 bestimmt: "Die durch die ungünstige Lage zu Produktionszentren und Märkten sowie die Unterbrechung wirtschaftlicher Beziehungen zu benachbarten Räumen außerhalb des Bundesgebiets
11
Siehe dazu oben, Teil B zu Fn. 1.
12
Vgl. Butz (Fn. 1), S. 19 mit weiteren Nachweisen. - Interessanterweise sieht der Bundesminister für Verkehr in seinem Bericht 1986 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes in der weiteren Förderung des Güterfernverkehrs erneut einen Ansatz zur Hilfe für das Zonenrandgebiet. 13
Siehe oben, zu Fn. 3. Vgl. auch Ernst, in: Ernst/Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumordnungsrecht, 1981, Rn. 54. Nicht recht zu vereinbaren mit der dort hervorgehobenen Priorität der Zonenrandförderung ist die zuvor (Rn. 39) verwandte Formulierung, daß die Raumordnung "nicht etwa einen Grenzraum mit rückständigen Gebieten dulden darf: Das wäre keine "bevorzugte" Stärkung der Leistungskraft des Zonenrandgebietes mit "mindestens gleichwertigen" Bedingungen wie im gesamten Bundesgebiet im Sinne des § 2 I Nr. 4 ROG! Richtig Cholewa et al. (Fn. 1), § 1 ROG Rn. 13, 17: Die Raumordnung habe "alles zu tun, was der Wiedervereinigung förderlich ... ist".
38
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
verursachten Nachteile sollen ausgeglichen werden; dies gilt insbesondere für das Zonenrandgebiet"14.
Angesichts der schon mehrfach angesprochenen, sehr heterogenen Zusammensetzung des Zonenrandgebietes kommen als Bezugspunkte für die "bevorzugte" Stärkung und für die "mindestens gleichwertigen" Strukturen selbstverständlich nur strukturell vergleichbare Regionen im Bundesgebiet in Betracht. Das Zonenrandgebiet ist eben kein unter raumplanerischen Aspekten geschlossenes Gebiet, sondern allein unter politischen Aspekten eine Einheit. Soweit jedoch ein Strukturvergleich von Einzelregion zu Einzelregion möglich ist, muß dem Wortlaut des Gesetzes entsprochen werden: Im Zonenrandgebiet sind nicht nur jeweils gleichwertige, sondern bessere Lebensbedingungen als im Durchschnitt des übrigen Bundesgebiets zu schaffen. Die gegenteilige Ansicht von Butz 1 5 vermag nicht zu überzeugen. Der Rückgriff auf den "tragenden Gedanken" aller in § 2 ROG festgelegten Grundsätze, das regionale Gefälle der allgemeinen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet zu verringern, besagt eben nichts im Hinblick auf die besondere, politisch bedingte Situation des Zonenrandgebietes und seinen Auftrag bei der Erfüllung des verfassungsrecht14
Dadurch wird der hinsichtlich der allgemeinen Kommunikationsdefizite im Zonenrandgebiet besonders relevante Verkehrssektor (siehe dazu oben, Teil B zu Fn. 7 ff.) herausgehoben; zugleich wird die Förderung deijenigen Teile Bayerns, die zwar nicht zum Zonenrandgebiet gehören, gleichwohl aber in ihren Verkehrsverbindungen durch die deutsche Teilung beeinträchtigt sind, in die landesrechtlichen Grundsätze der Raumordnung mit aufgenommen. Siehe auch Art. 13 II Nr. 5 b) BayLplG (insbesondere das Zonenrandgebiet gehört zu den Gebieten, "deren Lebens- und Wirtschaftsbedingungen zu ihrer Erhaltung oder Verbesserung besonderer Maßnahmen bedürfen"). 15
Vgl. Butz (Fn. 1), S. 22, 201 und entsprechend S. 30 ff. (bei der Auslegung des § 1 I ZRFG). - Zutreffend demgegenüber Heyde (Fn. 3); siehe auch dort und im Text zu Fn. 9 die Bezugnahmen auf das Wiedervereinigungsgebot. - Unklar ist die von Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 11 vertretene Position: Richtig ist zunächst die Feststellung, die Forderung zur Schaffung "mindestens gleichwertiger" Strukturen gehe zwar weit, entspreche aber durchaus der besonderen politischen Ausgangslage. Unerfindlich bleibt dann aber, daß daraus nur zu folgern sei, "daß es im Zonenrandgebiet kein Gefälle gegenüber dem übrigen Bundesgebiet geben dürfe"; ebenfalls unklar sind die Zielfindungen in Rn. 18 und die dort anzutreffende Behauptung, das ROG sehe das Zonenrandgebiet als wirtschaftliche und planerische Einheit mit gleichrangiger Problemlage: Diese Behauptung ist nur zutreffend, wenn damit die deutschlandpolitische Problemlage, nicht aber die räumliche und strukturelle Problemlage gemeint ist.
. Zonenrandförderung nch de
G
39
liehen Wiedervereinigungsgebots (vgl. § 1 I I ROG). Wenn man schon erkennt - wie dies Butz tut daß das Zonenrandgebiet strukturell völlig uneinheitlich zusammengesetzt ist und keine raumordnerisch geschlossene Einheit darstellt, dann muß man nach den wirklichen Gründen für die Schaffung dieses Gebildes "Zonenrandgebiet" suchen. Insoweit kann die Verankerung der Zonenrandförderung im ROG zu Mißverständnissen führen: Das Zonenrandgebiet ist eben nicht als räumliche Struktur und auch nicht als Wirtschaftsraum zu erfassen, sondern allein als politische Schöpfung. Seine "vorrangige" Förderung ist Ergebnis einer politischen, vor allem einer deutschlandpolitischen Entscheidung. Und das Ziel dieser Förderung ist ein politisches, vor allem ein deutschlandpolitisches Ziel, nämlich die Überwindung der Grenzen in Deutschland.
III. Zonenrandförderung nach dem ZRFG Mit dem durch § 2 I Nr. 4 ROG erstmals gesetzlich begründeten Vorrang der Zonenrandförderung war politisch der Weg zur Schaffung eines eigenständigen Gesetzes zur Förderung des Zonenrandgebiets (ZRFG) 1971 geebnet 1 6 . Im Unterschied zum ROG, das die Förderung des Zonenrandgebietes unter dem eingeschränkten Blickwinkel der räumlichen Verteilung der Daseinsfunktionen vorschreibt, verfolgt das ZRFG das Ziel einer umfassenden Verbesserung der Verhältnisse im Grenzgebiet zur DDR und zur CSSR. So nimmt zwar § 11 ZRFG ausdrücklich Bezug auf § 2 I Nr. 4 ROG; in dem folgenden Vorschriften der §§ 2 bis 7 werden aber sämtliche Bereiche aufgeführt, in denen staatliche Leistungen zur Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen möglich sind - von der regionalen Wirt-
16
Das ZRFG stammt vom 5. 8. 1971 (BGBl I S. 1237), zuletzt geändert durch Art. 11 des Haushaltbegleitgesetzes 1989 vom 20.12.1988 (BGBl I S. 2262). Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des ZRFG Butz (Fn. 1), S. 26 ff.; Söfßng, Förderung des Zonenrandgebietes Steuerliche Maßnahmen, S. 5 ff. Siehe auch Cholewa et al. (Fn. 1), Anh. IV zu § 2 ROG Rn. 21. - Zur Vielzahl der nach dem ZRFG möglichen, hier im einzelnen nicht zu behandelnden Förderungsinstrumente siehe z. B. Butz (Fn. 1), S. 59 ff.; Dannhorn (Fn. 1), S. 28 ff. (speziell zur steuerlichen Förderpolitik gem. § 3 ZRFG); Tettinger, Rechtsprobleme der Subventionierung des Sports, 1987, S. 35, 41 zum Sportstättenbau im Rahmen des § 6 ZRFG. Mit Recht betont Heyde (Fn. 3), mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des ZRFG, daß Zonenrandförderung nicht nur Wirtschaftsförderung sein kann, "sondern auch die Infrastruktur im weitesten Sinne umfaßt". Siehe auch den Beschluß der Bundesregierung vom 30. 1. 1985 "Programmatische Schwerpunkte der Raumordnung" (BT Drs 10/3146 unter II 1) und bereits die Begründung zum Entwurf des § 1 ZRFG, BT Drs VI/1548.
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Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
schaftsförderung über steuerliche und verkehrspolitische Maßnahmen, das Wohnungswesen, soziale Einrichtungen bis hin zur Bildung und Kultur. Die praktische Bedeutung des Zonenrandförderungsgesetzes liegt einmal darin, daß die bis dahin allein nach Verwaltungsrichtlinien durchgeführten Hilfen im Zonenrandgebiet auf eine dauerhafte, förmlich-gesetzliche Grundlage gestellt wurden. Zum anderen sollten z. B. in den Bereichen des Wohnungsbaus und der sozialen Einrichtungen neue, materielle Verbesserungen eingeführt werden. Schließlich sollten aber auch die Vorteile des bisherigen, gesetzesfreien und flexiblen Förderungssystems nicht aufgegeben, sondern nur in einen gesetzlichen Zielrahmen eingepaßt werden. - Für die Bevölkerung und die Wirtschaft im Zonenrandgebiet ist damit insgesamt ein grundsätzlicher Vertrauensschutz geschaffen worden; unmittelbare Rechtsansprüche auf bestimmte Leistungen ergeben sich für den einzelnen aus dem ZRFG jedoch nicht. Ebenso wie das ROG fordert auch das ZRFG eine "bevorzugte" Stärkung der Leistungskraft des Zonenrandgebietes und einen "besonderen Vorrang" der Förderung dieses Gebietes, § 11 und I I ZRFG. Anders als im Falle des ROG gelten diese Gebote gemäß § 1 I I ZRFG unmittelbar jedoch nur für Behörden und sonstige Einrichtungen des Bundes. Die ausdrückliche Präferenzentscheidung des Bundesgesetzgebers für die Förderung des Zonenrandgebietes müßte sich in der Praxis insbesondere bei der Verkehrspolitik des Bundes auswirken. In § 4 Satz 1 ZRFG ist nämlich - über die allgemeinen Präferenzentscheidungen in § 2 I Nr. 4 ROG und in § 1 ZRFG hinaus festgelegt: "Die Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung sind im Zonenrandgebiet im Rahmen der Bundesverkehrswege bevorzugt zu fördern".
Der besondere Nachholbedarf des Zonenrandgebietes auf dem Sektor des Verkehrswesens war von Anfang an eine der größten charakteristischen Belastungen, die ein wesentliches Element des hier bestehenden Kommunikationsverlustes in wirtschaftlicher und psychologisch-menschlicher Hinsicht ausmachen 1 7 . Indes geht die Politik der Streckenstillegungen der Deutschen
17
Siehe oben, Teil B zu Rn. 3 ff., 7 ff. und Gornig, BayVBl 1983, S. 197. - Die verschiedenen
Richtlinien und Vereinbarungen über Frachthilfen können eine aktive, zukunftsgerichtete Verkehrspolitik nicht ersetzen; siehe nur Bekanntmachung über die Richtlinien für die Umwegfrachthilfe im Zonenrandgebiet und in den übrigen Frachthilfegebieten vom 20. 12. 1982; Bekanntmachung einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Zonenrandländern über die Gewährung von Frachthilfe vom 29. 6. 1983; Bundesfrachthilfe-Richtlinien vom 11. 7. 1983; sämtlich abgedruckt bei Eberstein (Fn. 1), Teil D. - In seinem Bericht 1986
. Zonenrandförderung nch de
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Bundesbahn (meist genehmigt nach § 14 III BbG durch den Bundesminister für Verkehr) gerade im Zonenrandgebiet unvermindert weiter. Zur Rechtfertigung dieser Politik wird in der Regel auf § 28 I BbG in der Fassung vom 1. 8.1961 verwiesen. Nach dieser Vorschrift ist die Deutsche Bundesbahn "wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen so zu führen, daß die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken; eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ist anzustreben. In diesem Rahmen hat sie ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen".
Nun kann es keinen Zweifel daran geben, daß die Deutsche Bundesbahn als Rechtssubjekt des Öffentlichen Rechts, die ohne Änderung des Grundgesetzes auch nicht als Person des Privatrechts geführt werden darf, gemäß § 1 I I ZRFG an die Bestimmung des § 4 ZRFG gebunden ist 1 8 . Da das ZRFG in der Vorschrift des § 4 speziell den Ausbau der "Bundesverkehrswege" anspricht und da das ZRFG später als § 28 I BbG vom Bundesgesetzgeber geschaffen worden ist, handelt es sich hier um eine lex specialis, die das Ziel "bester Verkehrsbedienung" und damit den Rahmen für die "kaufmännischen Grundsätze" bei der Führung der Deutschen Bundesbahn von vornherein festlegt. Dabei geht es um eine rechtlich zwingende Rahmenvorgabe 1 9 ; sie ist deutlich von der in § 28 I 2 BbG genannten allgemeinpolitischen Leitvorstellung von der "gemeinwirtschaftlichen Aufgabe" der Deutüber den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes (Fn. 12), betont der Bundesminister für Verkehr unter Nr. 2.4, daß bis 1991 Investitionen der Deutschen Bundesbahn in Höhe von 8 Mrd. DM im Zonenrandgebiet vorgesehen seien. 18
Davon gehen selbstverständlich auch Butz (Fn. 1), S. 160 und Gornig, BayVBl 1983, S. 197
aus. - Zur öffentlich-rechtlichen Rechtsstellung der Deutschen Bundesbahn siehe nur Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 117 f. m. N. in Fn. 47 (überzeugend zur Unzulässigkeit der Umwandlung ins Privatrecht) und S. 294. 19
Vgl. Butz (Fn. 1), S. 157; Gornig, BayVBl 1983, S. 197 m. N. in Fn. 43 f. Entgegen der Ansicht von Gornig, S. 198 mit Fn. 49 braucht dem Bundesgesetzgeber auch nicht nachgewiesen zu werden, daß er "mit § 4 ZRFG die Eigenwirtschaftlichkeitsklausel des § 28 BbG einschränken wollte". Vielmehr hat der Gesetzgeber durch § 4 ZRFG von vornherein eine Zielvorgabe konkretisiert, die als zwingendes Datum in die verkehrspolitischen Maßnahmen der Bundesbahn eingerechnet werden muß. Interessanterweise stammen alle Nachweise, die Gornig in Fn. 46 und 48 für seine Auffassung anführt, dem Grundsatz der Eigenwirtschaftlichkeit gebühre allgemeiner Vorrang, aus der Zeit vor Inkrafttreten des ZRFG. In der Begründung zu § 4 ZRFG (BT Drs 6/1548, S. 8) heißt es hingegen, dort, wo der Verkehr infolge unvermeidbarer Rationalisierungsmaßnahmen auf die Straße verlagert werden müsse, handele es sich "in den meisten Fällen nicht um Ersatzlösungen, sondern um Maßnahmen, die eine Verbesserung der Verkehrsbedienung zur Folge haben".
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C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
sehen Bundesbahn abzuheben. Deshalb hat die Deutsche Bundesbahn bei allen konzeptionellen Unternehmensentscheidungen dem Vorrang des Zonenrandgebietes nicht nur Rechnung zu tragen; sie hat die Verkehrsbedienung des Zonenrandgebietes vielmehr "bevorzugt zu fördern". Eine andere Auslegung des § 28 I BbG und seines Verhältnisses zu § 4 ZRFG wäre methodisch nicht vertretbar und ließe die gesetzliche Grundentscheidung für eine Priorität der Zonenrandförderung in einem der für die Entwicklung dieses Gebietes wichtigsten Bereiche leerlaufen. Der von Gornig vertretene "Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit" läßt sich auch nicht mit Hinweis auf die nach § 28 a BbG bestehende Ausgleichspflicht begründen 2 0 . Die Ausgleichspflicht entsteht gemäß § 28 a I S. 1 b BbG dann, wenn der Bundesminister für Verkehr die Genehmigung einer von der Deutschen Bundesbahn im Sinne des § 14 III S. 1 d BbG geplanten Streckenstillegung mit der Begründung versagt, die Deutsche Bundesbahn trage mit dieser Maßnahme "den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland, vor allem der Verkehrs-, Finanz- und Sozialpolitik" keine Rechnung. Die - jede Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland, also auch die Deutsche Bundesbahn treffende - strikte Rechtspflicht aus § 4 ZRFG ist eben keine Frage der Politik der Bundesrepublik Deutschland, sondern des positiven Rechts. Für die Anwendung der §§ 14 III, 28 a BbG bleiben noch genügend Anwendungsfälle im gesetzlich nicht geregelten, verkehrspolitisch offenen Bereich 2 1 . § 4 ZRFG ist ein Prüfstein dafür, ob der Gesetzgeber die Macht hat, eine eingeübte, ökonomisch motivierte Verwaltungspraxis zu dirigieren. Im übrigen wäre nicht zu verstehen, warum etwa Maßnahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung, die den Grundsätzen des § 2 I Nr. 4 ROG widersprechen (etwa Abwerbung von Betrieben aus dem Zonenrandgebiet), von den Aufsichtsbehörden beanstandet werden
20
A. A. Gornig, BayVBl 1983, S. 197 f.
21
Sofern man der hier vertretenen Ansicht des bereits im Rahmen des § 28 BbG zu berücksichtigenden Vorrangs des § 4 ZRFG nicht folgt, müßte jedenfalls der Bundesminister für Verkehr bei seiner Entscheidung nach § 14 III BbG durch § 4 ZRFG gebunden sein - andernfalls wäre das vom Bundestag beschlossene ZRFG in einer seiner wichtigsten Bestimmungen nichts weiter als Makulatur. Keinesfalls kann es Sinn der - relativen - Verselbständigung der Deutschen Bundesbahn sein, daß sich der Staat seiner gesetzlich (möglicherweise sogar verfassungsrechtlich, dazu unten Teil D) begründeten Verantwortung für die bevorzugte Förderung des Zonenrandgebietes entzieht; die Frage der Kostentragung darf nicht der Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen im Wege stehen. - Zur staatlichen Ausgleichspflicht siehe Finger, Gemeinwirtschaftlichkeit und Eigenwirtschaftlichkeit bei der Deutschen Bundesbahn, DÖV 1984, 713.
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müßten , während ein Verstoß gegen § 4 ZRFG durch Streckenstillegungen seitens der Deutschen Bundesbahn sanktionslos bleiben soll: Immerhin können Gemeinden die kommunale Wirtschaftsförderung auf die Verfassungsgarantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 28 I I 1 GG) zurückführen; das Eigenwirtschaftlichkeitsprinzip des § 28 BbG kann sich auf eine verfassungsrechtliche Fundierung jedenfalls nicht stützen 2 3 . Rechtlich nicht mehr zu begründen ist schließlich die gewissermaßen als letzte Rückzugsposition aufgebaute Rettung eines Restes von Zonenrandförderung, wenn gesagt wird: "Nur dort, wo eine nachhaltige und nicht auszugleichende Verschlechterung der Verhält24
nisse des Zonenrandgebietes droht, muß eine Streckenstillegung unterbleiben"
Es bleibt unerfindlich, was dieses Ergebnis mit der gesetzlich vorgeschriebenen bevorzugten Förderung der Verkehrserschließung und Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet noch zu tun haben soll. Rechtlich akzeptabel und genehmigungsfähig könnte eine Streckenstillegung allenfalls dann sein, wenn mit ihr eine nachweisbare Verbesserung der Verkehrsbedienung im Zonenrandgebiet verbunden wäre, etwa durch flächendeckende und schnellere Busverbindungen; allein dann könnte von einer Förderung im Sinne des Gesetzes die Rede sein.
IV. Zonenrandförderung nach dem GRW Durch Änderung des Grundgesetzes vom 12. 5. 1969 wurden mit Art. 91a GG "Gemeinschaftsaufgaben" als neue Institute der Regionalpolitik geschaffen. Die für die Zonenrandförderung besonders wichtige Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" wurde durch das GRW vom 6. 10. 1969 näher geregelt, das am 1. 1. 1970 in Kraft trat. Der erste, nach § 4 GRW vorgeschriebene Gemeinsame Rahmenplan wurde allerdings erst im Jahre 1971 für den Zeitraum 1972 bis 1975 erstellt. Nach dem derzeit gültigen 16. Rahmenplan für den Zeitraum 1987-1990 (1991) ist inzwischen bereits der 17. Rahmenplan beschlossen worden. 22
So - in diesem Fall völlig zu Recht - Butz (Fn. 1), S. 174.
23
Eher im Gegenteil! Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1985, S. 182 meldet vorsichtige Zweifel an, ob das Eigenwirtschaftlichkeitsprinzip im Sinne des § 28 BbG mit dem Grundgesetz voll zu vereinbaren ist. 24 So Gornig, BayVBl 1983, 198 im Anschluß an Butz, (Fn. 1), S. 162, der meint, dies schreibe § 4 ZRFG in Verb, mit § 28 a I b BbG Verbindlich vor".
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C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
Durch § 11 ZRFG vom 5. 8. 1971 wurde das GRW in zwei Punkten geändert: So wurde das Zonenrandgebiet in § 1 I I en bloc zusätzlich zu den sonst im einzelnen umschriebenen und zusätzlich noch gemäß §§ 5, 6 im jeweiligen Rahmenplan durch den Planungsausschuß abzugrenzenden förderungsbedürftigen Gebieten aufgeführt; außerdem wurde durch Einfügung eines Absatz IV a in § 2 GRW die Sonderstellung des Zonenrandgebietes auch hinsichtlich der Förderungsintensität klargestellt 25 : "Bei der Förderung der in § 1 Abs. 1 genannten Maßnahmen ist das Zonenrandgebiet bevorzugt zu berücksichtigen. Die politisch bedingte Sondersituation des Zonenrandgebietes kann Abweichungen von den vorstehenden Grundsätzen und Ergänzungen der in § 1 Abs. 1 genannten Maßnahmen notwendig machen".
Nach der durch das Steuerreformgesetz 1990 erfolgten Aufhebung des aus derselben regionalpolitischen Aufbruchzeit (vom 18. 8. 1969) stammenden InvZulG ist das GRW gegenwärtig eine wichtige Stütze der praktischen Zonenrandförderung. Darauf und auf die Schwächen dieses Gesetzes, die insbesondere in den Unsicherheiten der Kalkulation liegen, wurde bereits hingewiesen. Kennzeichnend ist insoweit der Satz aus den allgemeinen Grundsätzen der Rahmenpläne: "Ein Rechtsanspruch auf GA-Mittel besteht nicht" 26 . Positiv hervorzuheben ist jedoch, daß das GRW nicht nur verbal, sondern auch in der praktischen Durchführung dem Zonenrandgebiet die besondere Stellung einräumt, die ihm aufgrund seiner ausschließlich politisch erklärbaren Entstehung, Konsistenz und Problematik gebührt. Gemäß § 1 II GRW wird deshalb auch allein das Zonenrandgebiet kraft Gesetzes als Förderungsgebiet anerkannt, während für andere Gebiete jeweils eine besondere Festlegung durch den Planungsausschuß erforderlich ist die sich nach konkreten wirtschaftlichen Bedürftigkeitskriterien richtet . Das in
25
Zur Entstehungsgeschichte und Funktion des GRW siehe nur Butz (Fn. 1), S. 108 ff.; Kaiser (Fn. 6), S. 173 f.; Rieger (Fn. 1), S. 84 ff.; Rüter, Regionalpolitik im Umbruch, 1987, S. 84 ff. Der 16. Rahmenplan ist als BT Drs 11/583, der 17. Rahmenplan als BT Drs 11/2362 abgedruckt. 26 So z. B. Teil II des 16. und 17. Rahmenplans (Fn. 25), (Regelungen über Voraussetzungen, Art und Intensität der Förderung, Allgemeine Grundsätze Nr. 1.7); siehe dort auch jeweils Nr. 8, wonach im Hinblick "auf die politische Sondersituation in unmittelbarer Nähe der Zonengrenze" in "begründeten Ausnahmefällen" von bestimmten Grundsätzen abgewichen werden kann. - Zur Kritik siehe ferner oben, Teil B zu Fn. 14 ff. 27
Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß sich die Versuche, die Einheitlichkeit des Zonenrandgebietes aufzubrechen, auf die Revision des § 1 II GRW richten, siehe oben, Teil B zu Fn. 23 und auch zu Fn. 33 und Teil C zu Fn. 5.
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§ 2 I V a GRW aufgenommene strikte Rechtsgebot der bevorzugten Förderung des Zonenrandgebietes und der dortige Hinweis auf seine politisch bedingte Sondersituation und das Gebot der Rücksichtnahme auf gesamtdeutsche Belange in § 2 I 2 GRW lassen an Klarheit kaum etwas zu wünschen übrig. Diese Bestimmungen stehen in einer Linie mit den §§ 1 II, 2 I Nr. 4 ROG, §§ 1, 4, 5 (bevorzugte Förderung des sozialen Wohnungsbaus) und 6 (bevorzugte Förderung sozialer Einrichtungen) ZRFG und lassen keinen Zweifel daran, daß sich der parlamentarische Gesetzgeber bewußt und pointiert für den Vorrang der Zonenrandförderung vor anderen staatlichen Förderprogrammen einsetzt. Erstaunlich retrospektiv wirken hingegen Äußerungen der Verwaltung und der Politik, wenn es um die Durchsetzung der gesetzlichen Zielvorgaben geht. So heißt es z. B. im 16. (und wörtlich übernommen im 17.) Rahmenplan zum GRW 2 8 , Berlin und das Zonenrandgebiet befänden sich m
nach wie vor durch die Teilung Deutschlands und dierigorose Abgrenzung seitens der DDR und CSSR in einer sehr ungünstigen Standortlage am Rande des Bundesgebietes und des Gemeinsamen Marktes, die die wirtschaftliche Entwicklung dieser Gebiete in besonderem Maße beeinträchtigt". "Der Planungsausschuß ist der Meinung, daß das Zonenrandgebiet im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe nach wie vor bevorzugt zu fördern ist... Der Planungsausschuß bezieht sich weiterhin auf seine das Zonenrandgebiet betreffenden Beschlüsse vom 29. 6. 1971 (!) ..."
Ähnlich ist der Tenor einer Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zur "wirtschaftlichen Bedeutung und Entwicklung strukturschwacher Regionen" vom 13.12.1984 2 9 : "Im Rahmen der Regionalpolitik kommt der Stärkung der Wirtschaftskraft Berlins und des Zonenrandgebiets aufgrund der fortwirkenden besonderen Nachteile aus der Teilung Deutschlands unverändert vorrangige Bedeutung zu".
Bezugnahmen auf Beschlüsse von 1971, Hinweise auf "nach wie vor" bestehende, "fortwirkende" Nachteile und die Beteuerung "unverändert" vorrangiger Bedeutung der Zonenrandförderung erwecken nicht den Eindruck
28
Zitate aus dem 16. Rahmenplan (Fn. 25), Teil I, Nr. 2.1, 4.3. Hervorhebungen nicht im
Original. 29 BT Drs 10/2629, S. 2 unter Nr. 2. Hervorhebungen nicht im Original. Siehe auch die von der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern (Fn. 8), S. 10 zitierte Passage aus der Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Kohl vom 4. 5. 1983: "Auch die Zonenrandförderung bleibt Ausdruck unseres Willens, uns mit den Folgen der deutschen Teilung nicht abzufinden".
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C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
einer aktiven, zukunftsorientierten und auf grundlegende Verbesserungen abzielenden Politik. Die zitierten Äußerungen und die Verwaltungsprogramme zur Umsetzung des GRW lassen jede deutschlandpolitische Perspektive vermissen. Dem in § 2 I 2 GRW angedeuteten und in § 1 I I ROG ausdrücklich als Ziel formulierten Wiedervereinigungsgebot wird die Durchführung des GRW nicht gerecht 30 .
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG Seit einigen Jahren muß der Planungsausschuß seine besondere Aufmerksamkeit der europäischen Regionalpolitik und der Beihilfenkontrolle der EG-Kommission zuwenden. Dahinter traten die Überlegungen einer Fortentwicklung der nationalen Regionalpolitik zurück. Nun braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden, welche Bedeutung die entsprechenden EG-Politiken für die nationale Regionalpolitik und insbesondere für die Zonenrandförderung erlangt haben und noch erlangen können 3 1 . Angesichts der unübersehbaren Dynamik der Europäischen Integration und der damit deutlich kontrastierenden Statik (wenn nicht Rückläufigkeit der Entwicklung) der Zonenrandförderung ist der große Einsatz des Planungsausschusses hier durchaus verständlich. Andererseits läge etwas mehr Beweglichkeit und Initiative in Fragen der Zonenrandförderung durchaus in der Kompetenz des Planungsausschusses, während die Dynamik der EG-Entwicklung von vielen anderen Kräften gesteuert wird. Auf die Bedeutung der EG-Beihilfenregelungen für die Zonenrandförderung geht der Planungsausschuß nicht ein. - Im folgenden soll versucht werden, Inhalt und Grenzen der EG-Einflußmöglichkeiten auf die deutsche Zonenrandförderung zu klären.
1. Zum Beihilfenbegriff
im EG-Recht und zur Funktion der Beihilfenregeln
In der Literatur trifft man immer wieder auf die Ansicht, das EG-Recht habe - etwa mit den Art. 92 f. EWGV oder Art. 4 c EGKSV - ein allgemei-
30
Siehe bereits oben, zu Fn. 3 und insbes. zu Fn. 9. 31
Der 16. und der 17. Rahmenplan (Fn. 25), befassen sich in Teil I unter Nr. 10 mit der
EG-Regionalpolitik und Beihilfenkontrolle der EG-Kommission. - Zu den Auswirkungen der Regionalpolitik und der fortschreitenden Integration auf die Entwicklungsperspektiven für die Zonenrandförderung siehe oben, Teil B III zu Fn. 24 ff.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
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nes "Beihilfenverbot" für die Mitgliedstaaten ausgesprochen . In Wirklichkeit ist - wie Götz dies formuliert hat - z. B. Art. 92 EWGV "alles andere als ein Subventionsverbot"; und selbst Art. 4 c EGKSV, der seinem Wortlaut nach noch am ehesten als striktes Subventionsverbot verstanden werden könnte, wurde "zu einer Vorschrift kompetenzregelnden Charakters umgerüstet", so daß er "einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung und Gestaltung staatlicher Subventionen nicht mehr im Wege stand". In der wirtschaftspolitischen Realität von Staaten, die Wirtschaftsintervention betreiben und einer EG, die vielfach nicht so sehr als Rechtsgemeinschaft denn als "Interventionsgemeinschaft" erscheint, hätte ein allgemeines Subventionsverbot auch keinen Sinn 3 3 . Infolgedessen werden ganz überwiegend auch dogmatische Versuche, den EG-Beihilfenbegriff exakt zu bestimmen, als wenig hilfreich angesehen. Klar erkennbar ist lediglich, daß die EG-Kommission in ihren Prüfungsverfahren nach Art. 93 EWGV einen denkbar weiten Beihilfenbegriff verwendet und daß der Beihilfenbegriff gegenüber dem (in Art. 4 c EGKSV gleichzeitig verwandten) Subventionsbegriff der weitere ist; denn es geht nicht nur um Überprüfung positiver Leistungen an Unternehmen, sondern auch um Maßnahmen, die in verschiedenartigsten Formen die Belastungen vermindern, welche ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat
32
So spricht z. B. Börner, Subventionen - Unrichtiges Europarecht?, 1984, S. 75 davon, das Subventionsverbot sei die "Grundlage des freien Warenverkehrs"; entsprechend ist für Rengeling, JZ 1984, 796 das Subventionsverbot ein "Eckpfeiler" der Wettbewerbsregeln; vgl. auch Püttner (Fn. 3), S. 101, 303. Thiesing,, Kommentierung des Art. 92 EWGV Rn. 1 sieht darin ein Verbot mit Ausnahmevorbehalt. - Zu Art. 4 c) EGKSV siehe Stotz, Die EG-Stahlkrise im Lichte der Wirtschaftsverfassung des EG KS-Vertrages, 1983, S. 98, 285; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, § 38 Rn. 3, 6,10 (S. 672,674, 676: "Absolutes Verbot"). 33 Vgl. Götz, Subventionen im Gemeinsamen Markt: Subventionen aus Gemeinschaftsmitteln, 1978, S. 372 mit Fn. 2, 395 f. Ebenso z. B. Jooss, RiA 1987,105; Leibrock, NJW 1989,1416; Seidel, Subventionshoheit und Finanzierungslast in der EWG, 1984, S. 273; Wägenbaur, Vorbemerkung zu Art. 30 bis 37 EWGV, Rn. 66; Zuleeg, Selbstverwaltung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1983, S. 97. - Ausführlich zur Problematik Lefevre, Staatliche Ausführförderung und das Verbot wettbewerbsverfalschender Beihilfen im EWG-Vertrag, 1977, S. 104 ff., der schließlich zuweilen aber doch von einem "Beihilfenverbot" spricht, S. 131. S. ferner Hoischen, Die Beihilfenregelung in Art. 92 EWGV, 1989. 34
Wiedergabe der von der EG-Kommission 1963 auf eine Anfrage des Abgeordneten Burgbacher hin formulierten "Beihilfendefinition" z. B. bei Rengeling, JZ 1984, 798. Zur Einebnung der Unterschiede zwischen Subvention und Beihilfe im EG-Recht siehe z. B. Götz, Recht der
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C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
Die Bedeutung der EG-Beihilfenvorschriften erschließt sich nicht aus der Definition eines Beihilfenbegriffs, sondern nur aus der Funktion der EG bei der Verwirklichung der Ziele des Gemeinsamen Marktes. Im Hinblick auf die in Art. 2 EWGV festgelegte und in Art. 85 ff. EWGV konkretisierte Aufgabe der EG, durch die Errichtung des Gemeinsamen Marktes "eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft" zu fördern, kann sich die Beihilfenkontrolle nicht an Formen und Mitteln staatlicher Beihilfen, sondern nur an ihren Wirkungen auf den Wettbewerb orientieren. Neben der Form einer staatlichen Beihilfe ist deshalb prinzipiell auch der durch die Beihilfe geförderte Sachbereich, der Wirtschaftssektor oder die Wirtschaftsstruktur irrelevant, wenn es um die Überprüfung nach Art. 92, 93 EWGV geht. Denn der EWG-Vertrag weist der EG nicht einzelne Sachbereiche zu, sondern Kompetenzen für die Verwirklichung von Zielen. Der Regelungsbedarf der EG erstreckt sich "quer über alle Sektoren" 3 5 . Der EWG-Vertrag ist nach alledem also weder an einer Definition des Beihilfenbegriffs noch an einem Subventionsverbot interessiert sondern allein an einem unbeeinträchtigten Handel 3 6 . In der Wettbewerbsordnung der EG soll ein Wirtschaftserfolg dann den Ausschlag geben, wenn er auf natürlichen Standortvorteilen und menschlichen Leistungen basiert. Diese Wettbewerbsordnung wird verfälscht, wenn die Auslese» und Steuerungsfunktion des Marktes durch die künstliche Veränderung der natürlichen Leistungsfaktoren ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt wird. Art. 92 EWGV "unterscheidet somit nicht nach den Gründen oder Zielen solcher Maßnahmen, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen" 3 7 . Die Frage, ob eine staatliche Beihilfe den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und dadurch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 21; Stotz (Fn. 32), S. 98 mit Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung des EuGH. 35
Vgl. Everling y Gestaltungsbedarf des Europäischen Rechts, 1987, S. 71 ff. mit Hinweis darauf, daß der Gemeinsame Markt "noch heute Kern der Gemeinschaft" ist. 36 Vgl. Lefévre (Fn. 33), S. 107 und dort S. 124 f. auch zum folgenden. 37
Vgl. EuGH Rs. 310/85, NJW 1987, 3072 unter Nr. 8; Rs. 248/84, NJW 1989, 1430; Ipsen (Fn. 32), § 38 Rn. 1, 11 (S. 670, 676); Leibrock, NJW 1989, 1416 ff. - Selbst Maßnahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung können danach im Sinne des Art. 92 I EWGV mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sein, siehe die Beispiele bei Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 993; Zuleeg (Fn. 33), S. 98. Entscheidend dürfte sein, ob die Förderung einem Unternehmen mit innergemeinschaftlichen Handelsbeziehungen zugute kommt, vgl. Püttner/Spannowsky (Fn. 1), S. 169 ff.; Thiesing (Fn. 32), Rn. 34.
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V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
Sinne des Art. 92 I EWGV beeinträchtigt, wird von der EG-Kommission streng geprüft. Nationale Subventionen werden nur dann akzeptiert, wenn sie "transparent, minimal, zweckdienlich und befristet" sind. Danach muß ihre Höhe in Prozenten der zu fördernden Investition ausdrückbar sein; sie dürfen nicht höher sein, als dies der Förderungszweck gerade verlangt; die zu fördernde Maßnahme muß bestimmt und der Kommission vorher mitgeteilt worden sein; schließlich müssen Subventionen tatsächlich der Umstrukturierung dienen und dürfen nicht die Weiterführung unrentabler Produktionen begünstigen 3 8 .
2. EG-Beihilfenkontrolle
und nationale Regionalpolitik
Gemäß Art. 92, 93 EWGV hat die EG-Kommission nur solche staatlichen Beihilfen zu überprüfen, die bestimmte "Unternehmen oder Produktionszweige" begünstigen. "Nicht betroffen sind somit alle staatlichen Hilfen für Gebietskörperschaften, Vereine und Privatpersonen, die ideellen Zwecken dienen (z. B. Kultur, Freizeit, Sport, Gesundheit) und alle Beihilfen und Maßnahmen, die außerhalb von Unternehmen auf den Ausbau der Infraoq
struktur (Straßen, Brücken, Schulen, Bahnen usw.) gerichtet sind" . Im übrigen ist jedoch nicht zu übersehen, daß die EG-Kommission gerade durch ihre Beihilfenkontrolle im Bereich der regionalen Wirtschaftspolitik massiv auf nationale Förderprogramme einwirkt, und im 16. (und - mit geringfügigen sprachlichen Korrekturen - auch im 17.) Rahmenplan zum GRW wird ausdrücklich eingeräumt: "Für Bund und Länder ist es unstreitig, daß auch die Regionalbeihilfen gemäß Art. 92 ff. EWG-Vertrag einer Beihilfenkontrolle durch die EG-Kommission unterworfen sind, um 40
Wettbewerbs- und handelsbeeinträchtigende Wirkungen zu vermeiden"
38
Näher dazu Franzmeyer,
Europäische Industriepolitik im Spannungsfeld zwischen Wett-
bewerb und Beschäftigungsgarantie, 1981, S. 503. Siehe auch Börner (Fn. 32), S. 69; Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil,
Die EG - Rechtsordnung und Politik - , 1987, S. 356 ff.; Fikentscher,
Wirtschaftsrecht, Band 1,1983, S. 674 f.; Neundörfer,
Die Politik von Kommission und Rat so-
wie die Judikatur des Gerichtshofs im Bereich der sektoriellen Beihilfen, 1984, S. 86 ff.; Rengeling, JZ 1984, 801; Seidel (Fn. 33), S. 279; Thiesing, Vorbemerkung zu Art. 92 bis 94 EWGV, Rn. 8, 11; Kommentierung des Art. 92 EWGV Rn. 34 f., 68, 77 f.; Kommentierung des Art. 93 Rn. 5. 39 Vgl. Püttner/Spannowsky (Fn. 1), S. 167 m. w. N. in Fn. 1 und 2. Siehe außer den dort Genannten insbesondere Seidel (Fn. 33), S. 278 ff. mit Fn. 13; Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 992.
50
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
Angesichts des sehr hohen Komplexitätsgrades der Wirkungszusammenhänge regionalpolitisch motivierter nationaler Beihilfensysteme und angesichts der zusätzlichen Erkenntnisschwierigkeiten bei prognostischen Entscheidungen wird man der EG-Kommission eine breite Prüfungskompetenz nicht absprechen können. Hierfür spricht auch die Weite der Formulierungen in Art. 92 III EWGV, der eine weite Ermessensfreiheit der EG-Kommission bei ihren Entscheidungen korrespondiert 41. Festzuhalten bleibt jedoch, daß reine Infrastrukturmaßnahmen, soweit sie nicht punktuell zugunsten einzelner Unternehmen erfolgen, und Einkommenstransfers zwischen Hoheitsträgern zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben keine Wirtschaftsbeihilfen sind. Sie unterliegen weder dem Beihilfenaufsichtsrecht der EG noch anderen Bindungen oder Auflagen des Gemeinschaftsrechts. Staatliche Förderungen allgemeiner Art, die der gesamten Wirtschaft zugute kommen, fallen nicht unter die Beihilfenvorschriften des EWG-Vertrages, sondern unter Art. 103 EWGV, wonach die Mitgliedstaaten "ihre Konjunkturpolitik" lediglich als eine "Angelegenheit von gemeinsamem Interesse" betrachten 4 2 . Ferner bleibt festzuhalten, daß nach der Vorschrift des Art. 92 I EWGV ausdrücklich nur die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als Beurteilungsmaßstab genannt ist. Dort, wo mangels Wettbewerbsfähigkeit einer Region eine Beteiligung am Markt nicht möglich ist, kann die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit nicht als Beihilfe im Sinne des Art. 92 EWGV verstanden werden - ganz gleichgültig, ob die Ausgleichs- und Hilfsmaßnahmen einem abstrakten "Beihilfenbegriff' unterfallen oder nicht; denn die vom EuGH mit Recht als entscheidend angesehenen Wirkungen solcher Maßnahmen können naturgemäß nicht derart sein, daß sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Nur Förderungen, die über den
40
Vgl. 16. und 17. Rahmenplan (Fn. 25), Teil I, Nr. 10.2; vgl. auch Everling (Fn. 35), S. 78 ff.
- Zu den Einwirkungen der EG-Kommission auf die deutsche Regionalpolitik im Wege der Beihilfenkontrolle siehe oben, Teil B zu Fn. 26, 29, 32. 41
Näher zur Auslegung und Anwendung der Ausnahmevorschrift des Art. 92 III EWGV Lefivre (Fn. 33), S. 131 ff.; Thiesing (Fn. 32), Rn. 50 ff.; Wägenbaur (Fn. 33), Rn 66. - Jooss, RiA 1987,105 m. w. N. in Fn. 205 schlägt vor, Art. 93 III a) EWGV so zu interpretieren, daß nicht ein einheitlicher EG-Durchschnitt für die Frage der Unterentwicklung von Gebieten zum Maßstab genommen wird. Dieser Vorschlag könnte zwar zur Entschärfung des Konfliktpotentials beitragen, schränkt die Prüfungskompetenz der EG jedoch nicht ein. S. auch Püttner, Rechtsprobleme der Regionalbeihilfen durch die EG, 1989, S. 60 ff. 42
Vgl. Thiesing (Fn. 32), Rn. 3.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
51
Ausgleich regionaler Benachteiligung hinausgehen, können zu Wettbewerbsverfälschungen führen 4 3 .
3. EG-Beihilfenbestimmungen
und Zonenrandförderung
Art. 92 I I c) EWGV bestimmt im Kapitel "Wettbewerbsregeln" (Art. 85 bis 94 EWGV): "Mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind".
Entsprechend heißt es in der im Titel über den Verkehr (Art. 74 bis 84 EWGV) angesiedelten Bestimmung des Art. 82 EWGV: "Die Bestimmungen dieses Titels stehen Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen, soweit sie erforderlich sind, um die wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die der Wirtschaft bestimmter von der Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik aus dieser Teilung entstehen".
Verschiedentlich werden diese Bestimmungen in dem Sinne verstanden, daß die deutsche Zonenrandförderung von Beihilfeverboten im EWGV "unberührt" bleibe {Heyde). So seien Investitionshilfen aller Art, Vergabebegünstigungen und - mangels Sonderbestimmungen in Art. 95 ff. EWGV auch steuerliche Vergünstigungen im Zonenrandgebiet durch Art. 92 I I c) EWGV unmittelbar privilegiert. Zusätzlich könnten Frachthilfen nach Art. 82 EWGV aufrechterhalten werden. Auf diese Weise werde das gesamte Svstem der Zonenrandförderung auch durch den EWG-Vertrag geschützt . 43
Vgl. Everling
(Fn. 35), S. 78; siehe auch Kaiser (Fn. 6), S. 171; Lefevre
(Fn. 33), S. 130;
Rengeling, JZ 1984, 797. - Zum Subventionsbegriff und zur Praxis des EuGH siehe oben, zu Fn. 37. Siehe auch EuGH Slg. 1985, 1339 (Rs. 18/84): Die Bestimmungen der Art. 92, 94 EWGV verfolgen das Ziel, den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten "unter normalen Wettbewerbsbedingungen" sicherzustellen. Als "allgemeine Richtschnur" stellt Fikentscher
(Fn. 38), S. 675 heraus, daß Beihilfen dann mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar sind, wenn sie keine Belastungen für den Binnenwettbewerb darstellen. 44
Vgl. Butz (Fn. 1), S. 197 ff.; Heyde (Fn. 3), S. 7; Götz (Fn. 34), S. 199; Lefevre (Fn. 33), S. 130 f.; Thiesing (Fn. 32), Rn. 49; Erdmenger, Kommentierung des Art. 80, Rn. 16; Kommentierung des Art. 82, Rn. 2. Vgl. auch Püttner (Fn. 3), S. 303/4: "Die Vergabe von Regionalbeihilfen im Zonenrandgebiet ... erfolgt nach dem Ermessen des deutschen Gesetzgebers"; der Kommission stehe insofern kein Ermessen zu.
52
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
In der Tat hat die EG-Kommission dies und auch die deutsche Abgrenzung des Zonenrandgebiets nach § 9 ZRFG bislang im wesentlichen bejaht, auch wenn eine gemeinschaftsrechtliche Festlegung derjenigen Gebiete, die im Sinne der Art. 82 und 92 I I c) EWGV durch die Teilung Deutschlands betroffen sind, nicht existiert. Aber die Kommission hat auch schon gegen Beihilfen Bedenken erhoben, die in bestimmten Arbeitsmarktregionen des Zonenrandgebietes gewährt werden 4 5 . Eine eigenständige Methode zur Beurteilung von Beihilfen zugunsten des Zonenrandgebietes nach Art. 92 I I c) EWGV hat die Kommission indes bislang nicht entwickelt. Während in Art. 92 I I a) - c) EWGV die Arten von Beihilfen genannt werden (sozialer Art, zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen und zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile), die mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind, werden in Art. 92 III a) - d) EWGV alle mit diesem Markt ggf. vereinbaren Beihilfen charakterisiert. Zur Beurteilung der mit dem Gemeinsamen Markt ggf. vereinbaren Beihilfen hat die EG-Kommission eine ihrer Ansicht nach objektive Methode entwickelt, um sich zu vergewissern, daß diese Beihilfen weder den Wettbewerb verzerren noch die Handelsbedingungen in einer Weise verändern, die dem Gemeinsamen Markt zuwiderläuft. Die EGKommission hat diese Methode zuletzt den Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 2. 8. 1988 (Nr. SG (88) D/9537) mitgeteilt. Zur Beurteilung der Verein- oder Unvereinbarkeit von Beihilfen im Rahmen von Art. 92 III EWGV zieht die EG-Kommission Indikatoren wie die Arbeitslosenquote und die Bruttowertschöpfung sowie die soziale Lage heran. Sie betrachtet derzeit regionale Beihilfen in der Bundesrepublik als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, wenn die durchschnittliche regionale Bruttowertschöpfung zu Faktorkosten je Einwohner der Jahre 1980-1982-1984 den Schwellenwert von 74 % des Bundesdurchschnitts überschreitet und die durchschnittliche regionale Arbeitslosenquote der Jahre 1983 bis 1987 den Schwellenwert von 136 % des Bundesdurchschnitts unterschreitet. Diese Beurteilungsmethode bezieht sich eindeutig auf Art. 92 III EWGV und ist auf Art. 92 I I EWGV weder aus formalen, systematischen noch inhaltlichen Gründen anwendbar, d. h. sie ist nicht anwendbar zur Beurteilung von Beihilfen sozialer Art, von Beihilfen zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen und von Beihilfen zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands existierenden wirtschaftlichen Nachteile im Zonenrandgebiet. So erklärt sich auch der Hinweis der EG-Kommission in ihrem Schreiben vom 2. 8. 1988 zur Beur-
45
Näher dazu oben, Teil B III 2 m. N. in Fn. 33 ff.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
53
teilung von Beihilfen nach Art. 92 III EWGV, daß das Zonenrandgebiet sowie Berlin West in der Liste der in der Bundesrepublik förderbedürftigen Regionen nicht genannt werden. Eine Methode zur Beurteilung der Beihilfen gemäß Art. 92 II EWGV müßte demnach die spezifischen Besonderheiten der in a) - c) genannten Tatbestände berücksichtigen und andere Indikatoren als die für Art. 92 III EWGV maßgeblichen heranziehen. Dies bedeutet, daß für die Beurteilung von Beihilfen im Zonenrandgebiet die EG-Kommission sich an der Frage "Wie hätten sich die Zonenrandregionen entwickelt, wenn keine Teilung stattgefunden hätte bzw. eine durchlässige Grenze existieren würde?" orientieren müßte. Eine Methode zur Beurteilung dieses Sachverhalts hat die EG-Kommission der Bundesregierung noch nicht vorgelegt. Ungeachtet des Fehlens einer adäquaten Prüfungsmethode erweist sich jedoch auch der Wortlaut der Art. 82 und 92 I I c) EWGV unter zwei Aspekten als problematisch: Zum einen suggerieren sie die Vorstellung, Zonenrandförderung sei ein Element der Wirtschaftspolitik (dazu unter a); zum andern behandeln beide Vorschriften nur den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile; über eine zukunfts- und entwicklungsorientierte Zonenrandförderung sagen sie nichts aus (dazu unter b). a) Zonenrandförderung als ein Element der Wirtschaftspolitik? Es wurde schon darauf hingewiesen, daß es aus der ursprünglich rein wirtschaftspolitischen Orientierung des EWG-Vertrages und dementsprechend auch aus der Sicht der EG als einer "Wirtschaftsgemeinschaft" selbstverständlich ist, daß allein die wirtschaftlichen Voraussetzungen und Auswirkungen der Zonenrandförderung zum Gegenstand von Überprüfungen gemacht worden sind. Auf der anderen Seite ist aber auch dargestellt worden, daß Entstehung, Abgrenzung und Probleme des Zonenrandgebietes in erster Linie politischer Natur sind. Die die Zonenrandförderung im wesentlichen dirigierenden deutschen Gesetze - allen voran das ROG, aber auch das ZRFG und das GRW - und die politischen und wissenschaftlichen Äußerungen hierzu machen deutlich, daß sich das System der Zonenrandförderung zwar weitgehend wirtschaftlicher Instrumente bedient, daß die dahinter stehende Zielsetzung, ihr eigentlicher Zweck also, auf die deutsche Wiedervereinigung hin orientiert ist. Nun können eine wirtschaftspolitische Grundlegung des EWG-Vertrages und eine entsprechende Orientierung der EG-Kommission nicht ausschließen, daß mit wirtschaftlichen Mitteln auch ganz andere, außerwirtschaftlich-nationale oder gemeinschaftlich-politische Zielsetzungen verfolgt
54
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
werden. Umgekehrt formuliert: Es ist weder die Funktion des EWG-Vertrages noch die der EG überhaupt, mit dem wirtschaftspolitischen Hebel die Verfolgung außerwirtschaftlicher Politiken zu verhindern. Weder Bildungs, noch Umwelt- oder Gesundheitspolitik sind "ancillae oeconomiae". Auch der (u. a. durch Art. 92 EWGV) geschützte unverfälschte wirtschaftliche Wettbewerb ist nicht Selbstzweck, sondern nur ein Mittel, um die in Art. 2 EWGV genannten (und sich dynamisch entwickelnden) Aufgaben der EG zu erfüllen 4 6 . Es wäre grundlegend falsch, als letztes Ziel der EG eine Wirtschaftsunion zu sehen oder gar eine Vereinigung "kleineuropäischer Kaufleute" (Murswiek); vielmehr hat auch der EuGH immer wieder darauf hingewiesen, daß die Ziele der EG - wie auch die Präambel zum EWG-Vertrag hervorhebt - weit über die wirtschaftliche Integration hinausgehen 4 7 . Unter diesen Aspekten ist die wiedervereinigungspolitisch motivierte Zonenrandförderung (soweit sie wirtschaftlicher Art ist) durchaus vergleichbar mit wirtschaftlichen Maßnahmen in anderen Bereichen, etwa im Bildungswesen, beim Umweltschutz oder im Gesundheitswesen. Zwar steht fest, daß z. B. die Organisation des Bildungswesens und die Bildungspolitik nicht zu den Materien gehören, die der EWG-Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat; aber die in Art. 128 EWGV angesprochene gemeinsame Politik der Berufsausbildung ist inzwischen doch zu einem "unentbehrlichen Bestandteil der Tätigkeit der Gemeinschaft" geworden, zu deren Zielen u. a. Freizügigkeit, Mobilität und Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen gehören. Deshalb müssen die Organe der EG darüber wachen, daß keine nationalen Hürden aufgebaut werden, die den Zugang des einzelnen zum und seine Teilnahme am Unterricht im Bildungswesen verhindern 4 8 . - Soweit aber ein Beharren auf gemeinschaftlichen Maßnahmen die Verwirklichung eines essentiellen nationalen oder 46
Vgl. Thiesing (Fn. 32), Rn 50. - Nach Ansicht von Hochbaum, BayVBl 1987, 490 betrachtet die EG-Kommission das Bildungswesen allerdings als "ancilla oeconomiae". Sehr plastisch spricht Ipsen, Diskussionsbeitrag, in: WDStRL 46 (1988), S. 168 davon, daß die EG-Kommission durch Operieren mit dem Begriff "Kulturwirtschaft" Kulturerzeugnisse als Objekte der Wirtschaft in ihre Politik einbezieht. 47
Vgl. nur EuGH Slg. 1976, 455 Rn. 8,10 (Rs 43/75 - DEFRENNE II). Die Formulierung von der Vereinigung "kleineuropäischer Kaufleute" verwendet Murswiek, Wiedervereinigung Deutschlands und Vereinigung Europas, 1986, S. 118. - Ausführlich zu den Zielen der EG siehe z. B. Zuleeg, Kommentierung des Art. 2 EWGV Rn. 1 ff., vor allem Rn. 6, 21 f.: Der Gemeinsame Markt ist nur Mittel zum Zweck. Siehe ferner Magiern, DÖV 1987, 229 ff. 48
Vgl. EuGH NJW 1985, 2085 ff. Rn. 19, 23 (Rs. 293/83 - GRAVIER). Ausführlich zur
Bildungspolitik in der Rechtsprechung des EuGH Hochbaum, BayVBl 1987, 485 f.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
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gemeinschaftlichen Zieles erschweren oder gar vereiteln würde, kann es durchaus gerechtfertigt sein, effektiven nationalen Maßnahmen - auch und gerade wirtschaftlicher Art - Vorrang einzuräumen. So ist zwar z. B. das nationale Verbot der Einfuhr eines Lebensmittelzusatzes, der in einem anderen EG-Mitgliedstaat hergestellt wird und dort zugelassen ist, durchaus geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern; ein solches nationales Verbot stellt also eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne des Art. 30 EWGV dar. Solange diese Materie jedoch nicht vollständig durch gemeinschaftsrechtliche Vorschriften harmonisiert ist und solange gemeinschaftliche Verfahren nicht die Kontrolle aller zum Schutz der Gesundheit notwendigen Maßnahmen regeln, solange ist es nach Auffassung des EuGH Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, "in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen". Lediglich der der Bestimmung des Art. 36 Satz 2 EWGV zugrundeliegende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, "daß dieses Verbot auf das Maß dessen beschränkt wird, was zur Erreichung der rechtmäßig verfolgten Ziele des Gesundheitsschutzes erforderlich ist" 4 9 . Insgesamt erweist sich damit erneut, daß auch im Bereich des EG-Rechts zwischen Zielen und Mitteln deutlich zu trennen ist. Angesichts des auf dynamische Entwicklung angelegten EWG-Vertrages läßt sich zwar nicht mehr sagen, daß die EG-Organe ausschließlich dafür zuständig sind zu bestimmen, daß wirtschaftliche Instrumente nationaler Politik den Gemeinsamen Markt nicht behindern; auch im Bereich eigener, gemeinschaftlicher Zielsetzungen wächst die Kompetenz der EG kontinuierlich, zuweilen gar sprunghaft weiter 5 0 . Aber in bestimmten Bereichen nationaler Politik, die
49 Vgl. EuGH NJW 1987, 1136 ff. Rn. 14, 16, 21, 23 (Rs. 304/84 - MULLER). Hervorhebungen nur hier. - Unter dem Aspekt des Umweltschutzes siehe zuletzt auch EuGH Urteil vom 20. 9. 1988 (Rs. 302/86 - Pfandflaschen) Rn. 9, 13; dazu Pernice, Die Verwaltung 1989, 6. Siehe im übrigen Beutler et al. (Fn. 38), S. 282 ff.; Sedemund/Montag, NJW 1988, 605 m. w. N. in Fn. 39 f.; Schweitzer/Streinz, JuS 1987, 730 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen den Art. 30 und 36 EWGV; dieselben, JA 1987, 358 ff.; Zuleeg, Vorbehaltene Kompetenzen der Mitgliedstaaten der EG auf dem Gebiete des Umweltschutzes, NVwZ 1987, 280 ff. (dort auch zur "Subsidiaritätsklausel" des Art. 130 r IV EWGV). 50
Zum "Prozeßcharakter" der europäischen Integration siehe z. B. BVerfGE 22, 293 (296); Haberle , Europa in kulturverfassungsrechtlicher Perspektive, 1983, S. 57; sehr plastisch spricht Ipsen (Fn. 46), S. 168 von der EG-Verfassung als einer "Wandelverfassung": sie sei "nach ihrer ganzen Anlage, ihrer Zweckbestimmung auf Dynamik ausgerichtet". Siehe ferner Beutler et al. (Fn. 38), S. 45 ff., 75 ff.; Dörr, NWVBL 1988, 289 ff.; Everling (Fn. 35), S. 67 ff.; Lenz, Europäi-
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C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
Ausdruck der unverwechselbaren Identität einzelner Mitgliedstaaten sind, muß die Frage der EG-Marktkonformität der wirtschaftlichen Instrumente dieser Politik hinter der Sache selbst, dem Ziel dieser nationalen Politik zurücktreten; hier liegen Grenzen der Souveränitätsübertragung vom Mitgliedstaat auf die Gemeinschaft, wie sie - für die Bundesrepublik Deutschland - vom Bundesverfassungsgericht z. B. in Auslegung des Art. 24 GG gezogen worden sind 5 1 . Was in Hinsicht auf das strikte Verbot des Art. 30 EWGV für Ausnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten nationaler Zielsetzungen beim Gesundheits- und Umweltschutz gilt, muß danach auch in Hinsicht auf die - wesentlich flexiblere - Bestimmung des Art. 92 EWGV über die Vereinbarkeit staatlicher Beihilfen gelten. Zwar fehlt insoweit eine der Ausnahmevorschrift des Art. 36 EWGV entsprechende Bestimmung, die essentielle, national berücksichtigungsfähige Werte aufführt. Da Art. 92 EWGV aber kein Beihilfenverbot ausspricht, wäre die Existenz einer eigenen "Ausnahmeregelung" systemfremd. Jedoch sprechen Wortlaut, Sinn und Zweck der (im Zusammenhang zu lesenden) Bestimmungen des Art. 92 II EWGV über Beihilfen, die mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind und vor allem die vergleichbare Vorschrift des Art. 80 I I EWGV dafür, daß auch im Beihilfenrecht ein Vorrang nationaler Politiken zulässig sein kann. Nach Art. 92 II b) EWGV sind auch solche Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, die zur Beseitigung von Schäden gewährt werden, die durch außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind. Zuweilen wird die Ansicht vertreten, daß die in Art. 92 I I c) EWGV zugunsten der durch die Teilung Deutschlands besonders betroffenen Gebiete enthaltene Regelung deshalb an sich überflüssig wäre; dieser Sachverhalt ließe sich auch schon unter Art. 92 II b) EWGV subsumieren 5 2 . Ähnliches soll im Verhältnis zwischen Art. 80 II und 82 EWGV gelten: Während Art. 82 EWGV im Bereich der Verkehrspolitik Ausnahmen für gewisse deutsche Gebiete - vergleichbar mit
sches Recht als Integrationsfaktor, 1987, S. 18; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1984, S. 532; Zuleeg, Die Europäische Gemeinschaft als Integrationsverband, 1984, S. 294 ff. 51
Siehe nur Hilf, EuGRZ 1987, 6; Maidowski, Identität der Verfassung und Europäische-In-
tegration, JuS 1988,114 ff. - Zu den Schutz- und Notstandsklauseln im EWGV als "Souveränitätsvorbehalte" siehe Beutler et al. (Fn. 38), S. 84 ff. und S. 288 ff. 52
Vgl. z. B. Leßvre (Fn. 33), S. 130; ebenso Rengeling, Das Beihilfenrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1984, S. 33 ff.; Thiesing (Fn. 32), Rn. 48. - Mit Recht weist von Wallenberg, Kommentierung des Art. 92 EWGV Rn. 35, darauf hin, daß Art. 92 II EWGV eigenständige Bedeutung und nicht nur den Sinn einer Klarstellung habe. Nicht ganz entschieden Seidel, Grundfragen des Beihilfenaufsichtsrechts der EG, 1984 S. 66.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
57
Art. 92 I I c) EWGV - zulasse, ermöglicht hier schon Art. 80 I I EWGV, Unterstützungstarife zum Ausgleich politischer Sondersituationen zu genehmigen; dabei soll Art. 80 I I EWGV der Bestimmung des Art. 82 EWGV insoweit vorgehen 5 3 . Die Annahme, der EWG-Vertrag habe mit den Art. 82 und 92 I I c) Überflüssiges geregelt und allenfalls Klarstellungen erreichen wollen, ist nicht begründbar. Zur Zeit des Abschlusses der Römischen Verträge war das Bewußtsein der Teilung Deutschlands mit all ihren Folgen wirtschaftlicher, aber auch politischer Art in Deutschland und Europa tief eingegraben. Art. 82 und 92 II c) EWGV sind eingereiht zu sehen in eine Gruppe gewichtiger Bestimmungen des Vertragswerks von Rom, die alle die Teilung Deutschlands betreffen und zumindest für die europäische Integration zu mildern suchen: Z. B. das Protokoll über den innerdeutschen Handel, die deutschen Erklärungen zur Staatsangehörigkeit und zur Wiedervereinigung oder die Regelungen zur Geltung der Verträge für Berlin. Hier wird ganz deutlich, daß außerwirtschaftliche Zielsetzungen bestimmend waren, um ein Problem von politisch einmalig komplexer Genese und Ausstrahlung hinreichend flexibel berücksichtigen zu können. Daß die Berücksichtigung außerwirtschaftlicher Zielsetzungen im Beihilfenrecht der EG auch sonst kein Fremdkörper ist, zeigt insbesondere Art. 80 I I EWGV der vorschreibt, daß "die Probleme der durch politische Umstände schwer betroffenen Gebiete" in die Entscheidung der EG-Kommission einzubeziehen sind 5 4 . - Aus all dem ist zu schließen, daß Art. 82 und 92 I I c) EWGV keineswegs dazu zwingen, Maßnahmen zur Überwindung der deutschen Teilung allein unter dem Aspekt wirtschaftlicher Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt zu sehen. Der allzu enge Wortlaut dieser Bestimmungen, der nur vom Ausgleich wirtschaftlicher "Nachteile" spricht, ist - ebenso wie der Wortlaut des EWGV insgesamt - im Rahmen der dynamisch fortschreitenden Entwicklung der europäischen Integration und der Deutschlandpolitik unter Einbeziehung
53
Vgl. Erdmenger, Kommentierung des Art. 82 EWGV Rn. 2.
54
Ausdrücklich betont Everting , Die Bundesrepublik Deutschland in der EG, 1981, S. 37, daß für Entwicklungen in Richtung auf eine Wiedervereinigung im europäischen Rahmen "alle Wege offen gehalten" werden müssen. Zutreffend stellt von Wallenberg (Fn. 52), Rn. 34, fest, daß Art. 92 II a) und b) EWGV soziale Gründe, Buchstabe c) "aber auch geschichtliche Gegebenheiten in der Gemeinschaft" berücksichtigt. - W. N. zum Einfluß der deutschen Teilung auf das Vertragswerk der EG oben, Teil B Fn. 41; zur Fehlerhaftigkeit einer ausschließlich ökonomisch orientierten Betrachtung der Zonenrandförderung im Hinblick auf Art. 82 EWGV siehe oben, Teil B zu Fn. 37. - Dazu, daß Zonenrandförderung danach nicht nur Wirtschaftsförderung bedeuten kann, siehe Heyde (Fn. 3), S. 6.
58
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
systematischer Erwägungen nur als einer neben vielen weiteren relevanten Gesichtspunkten zu sehen. Deutschlandpolitik kann - wenn sie rechtlich auf Identitätsmerkmale der Bundesrepublik Deutschland rückführbar ist durchaus Maßnahmen der Zonenrandförderung rechtfertigen, die - so wie nationale Maßnahmen zum Lebens-, Gesundheits- und Umweltschutz nach Art. 36 EWGV - die wirtschaftlichen Zielsetzungen des EWG-Vertrages und damit das Ziel der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes überlagern. So wie Art. 36 EWGV Leben und Gesundheit der Menschen einen höheren Stellenwert beimißt als der Vollendung des Binnenmarktes und so wie Art. 130 r IV EWGV für den Umweltschutz demjenigen die Kompetenz zuweist, der die umweltpolitischen Ziele des Art. 130 r I EWGV am besten erreichen kann 5 5 - ebenso überlassen Art. 82, 92 I I c) EWGV speziell der Bundesrepublik Deutschland das Recht, Zonenrandförderung als Mittel ihrer Deutschlandpolitik zu nutzen. b) Zonenrandförderung als Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile? Eine der Prämissen des gemeinschaftlichen Beihilfenrechts ist diejenige, daß es nicht darauf ankommt, ausgehend von einem festen Beihilfenbegriff bestimmte Formen und Mittel staatlicher Wirtschaftsunterstützung zu erkennen und abzuwehren; entscheidend sind allein die Wirkungen auf den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt: Nur dann, wenn die Marktfunktion durch künstliche Veränderung der natürlichen Leistungsfaktoren außer Kraft gesetzt und dadurch der Wettbewerb verfälscht wird, sind Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar 5 6 . Kennzeichen der Situation im Zonenrandgebiet ist nun aber, daß hier durch die politisch bedingte Zerschneidung eines organischen Wirtschaftsraumes und durch die politisch bedingte Rigorosität der Grenzziehung die natürlichen Leistungsfaktoren in der Ausgangslage jeder wirtschaftlichen Betätigung künstlich außer Kraft gesetzt sind. Mangels "natürlicher" (im Sinne politisch unverfälschter) Wirtschaftsbedingungen ist die Wirtschaft im Zonenrandgebiet überhaupt nicht in der Lage, an einem echten Wettbewerb teilzunehmen: Die Wettbewerbsbedingungen sind von vornherein verzerrt. Hätten Art. 82, 92 II c) EWGV in dieser Situation keinen anderen Sinn, als zuzulassen, daß die Bundesrepublik Deutschland die bestehenden, unnatürlichen Wettbewerbsnachteile ausgleicht, um der Zonenrandwirtschaft 55
Vgl. Zuleeg, NVwZ 1987, 283 f. Treffend bezeichnet Pernice, Die Verwaltung 1989, 35 die Subsidiaritätsklausel des Art. 130 r IV EWGV deshalb als "Optimierungsklausel". 56
Siehe oben, zu Fn. 43.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
59
überhaupt die Teilnahme am Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft zu ermöglichen, dann wären diese Bestimmungen schlicht überflüssig. Mangels bestehender Wettbewerbsfähigkeit könnten solche Beihilfen den "Wettbewerb" überhaupt nicht verfälschen und somit auch den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen. Solche Beihilfen wären im Sinne der Art. 80, 92 ff. EWGV von vornherein gänzlich irrelevant. Mit Recht - wenn auch recht zurückhaltend - formuliert dementsprechend Leßvre, den in Art. 92 I I EWGV genannten obligatorischen Ausnahmen sei gemeinsam, "daß die jeweiligen Beihilfen die Chancen- und Wettbewerbsgleichheit eher wiederherstellen als verfälschen" 5 7 . Gleichwohl wird - in enger Anlehnung an den Wortlaut der Art. 82, 92 I I c) EWGV - ganz überwiegend die Meinung vertreten, staatliche Beihilfen im Zonenrandgebiet seien nur in dem Maße zulässig, in dem ein Erfordernis zum Ersatz der durch die Teilung Deutschlands entstandenen wirtschaftlichen Nachteile gegeben sei; in gleicher Weise seien auch Beihilfen nach Art. 92 I I b) EWGV unbedenklich, weil sie nur den Zustand wiederherstellen, der durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse "zum Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert worden ist". Auf diese Auslegung stützt sich auch die EG-Kommission, wenn sie auf der Prüfung besteht, ob im Einzelfall ein bestimmtes Gebiet durch die Teilung wirtschaftlich benachteiligt ist 5 8 . Auch wenn dabei übersehen wird, daß eine solche Auslegung die Privilegierung der Zonenrandförderung im EWG-Vertrag und damit die gesamte Vorschrift des Art. 92 II c) EWGV überhaupt nicht zur Wirkung kommen lassen kann, wird zumindest vereinzelt das Unbefriedigende dieses Ergebnisses erkannt; denn nach dieser Ansicht wäre es sogar unzulässig, auf eine wirtschaftliche Angleichung des Zonenrandgebietes auf das Niveau des übrigen Bundesgebietes hinzuwirken - geschweige denn Bedingungen zu schaffen, "die denen im gesamten Bundesgebiet mindestens gleichwertig sind", wie
57
Vgl. Leßvre (Fn. 33), S. 131. Zutreffend betont auch Kaiser (Fn. 6), S. 171 die Notwendigkeit, Wettbewerbspolitik "durch eine die Wettbewerbsfähigkeit vorbereitende und fördernde Regionalpolitik" zu ergänzen. 58
Vgl. Butz (Fn. 1), S. 30, 200; Rengeling (Fn. 52), S. 35; Thiesing, Kommentierung des Art. 92 Rn. 47; Kommentierung des Art. 93 Rn. 5. Entsprechend für Art. 82 EWGV Erdmenger (Fn. 52), Rn. 4. - Zur entsprechenden Einstellung der EG-Kommission siehe Püttner/Spannowsky (Fn. 1), S. 176 f. - Zur Problematik des Ansatzes eines bloßen Ausgleichs wirtschaftlicher Nachteile siehe ausführlich oben, Teil B zu Fn. 33 ff. - Zwar bezeichnet Fischer (Fn. 8), S. 11 die Zonenrandförderung einerseits als "politische Aufgabe ersten Ranges", plädiert andererseits aber lediglich dafür, die Nachteile auszugleichen, die durch die Grenzziehung entstanden sind und zum großen Teil noch fortbestehen.
60
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
dies § 21 Nr. 4 ROG fordert 59 . Auch könnte mit dieser Auslegung der zentrale Ansatz von der Einheitlichkeit des Zonenrandgebietes bei der Zonenrandförderung 6 0 allenfalls noch mit Mühe aufrechterhalten werden; denn im Zonenrandgebiet hat - wie auch überall sonst - jede Gemeinde, jeder Landkreis und jedes einzelne Unternehmen im Laufe der vergangenen 40 Jahre eine ganz eigenständige Entwicklung genommen, in der sich naturgemäß die durch die Teilung Deutschlands ursprünglich verursachten "wirtschaftlichen Nachteile" entsprechend unterschiedlich auswirken. Ein sicher untauglicher Versuch zur Korrektur der fehlerhaften Auslegung der Art. 82, 92 I I c) EWGV geht dahin anzunehmen, der Sinn und Zweck dieser Vorschriften seien "die Sicherung der bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eingesetzten und auf Dauer eingeplanten Zonenrandmittel" 6 1 . Eine solche konservierende, geradezu museale Sicht kann nicht Richtschnur für eine phantasievolle, zukunftsorientierte, auf deutschlandpolitische Verbesserungen gerichtete Förderungspolitik sein. Damit würde Zonenrandförderung aber zugleich auch zum Fremdkörper im beihilfenrechtlichen System des EWG-Vertrages. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus Art. 92 III EWGV. Danach können Beihilfen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden, wenn sie der Förderung bestimmter Entwicklungen, Vorhaben oder Wirtschaftszweige dienen. Staatliche Beihilfen, die hingegen nur der Erhaltung dienen, fördern keine Entwicklungen. Deshalb lehnt die EG-Kommission reine Erhaltungssubventionen - mit Recht - ab. Beihilfen müssen von vornherein darauf angelegt sein, sich allmählich zu verringern und auf Dauer selbst überflüssig zu machen, indem sie nachhaltige Strukturverbesserungen initiieren 6 2 . Brauchbarer ist allerdings schon die Überlegung, daß zur Zeit des Abschlusses der Römischen Verträge den Vertragspartnern die deutsche Zonenrandförderungspraxis bekannt war, die von vornherein darauf ausging, eben nicht nur die wirtschaftlichen Nachteile der deutschen Teilung im Zonenrandgebiet auszugleichen (etwa durch Instrumente wie die Frachthilfen), 59
Siehe oben, zu Fn. 10 ff. - Butz (Fn. 1), S. 200 erkennt dieses Problem der allein am
Wortlaut der Art. 82, 92 II c) EWGV orientierten Auslegung durchaus. 60
Siehe oben, Teil B zu Fn. 35.
61
So aber Butz (Fn. 1), S. 200. Hervorhebung nur hier.
62
Vgl. Fikentscher (Fn. 38), S. 675; Franzmeyer (Fn. 38), S. 503; Thiesing, Vorbemerkung zu Art. 92 bis 94 EWGV Rn. 5, 8; Kommentierung des Art. 92 Rn. 50, 65. Weitere Nachweise oben, Fn. 38. Vgl. auch Fricke, Theoretische Grundlagen einer Regionalpolitik für periphere Räume aus finanzpolitischer Sicht, 1981, S. 18.
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
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sondern dieses Gebiet auch zu fördern; keinesfalls sollte die dortige Entwicklung hinter der Entwicklung im übrigen Bundesgebiet zurückbleiben. Als Folge des darauf gerichteten Bundestagsbeschlusses vom 2. 7.1953 wurden im Bundeshaushalt 1954 erstmalig besondere Mittel für Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet bereitgestellt, während bis dahin aus Bundesmitteln nur Frachthilfen gezahlt wurden 6 3 . Ebenfalls verwertbar für die Betrachtung der Frage, welche Beihilfen im Sinne der Art. 82, 92 II c) EWGV denn nun "erforderlich" sind, ist der Ansatz, daß die Benachteiligung des Zonenrandgebietes in erster Linie geographisch bedingt sei. Dieser Wettbewerbsnachteil bestehe permanent, ganz gleich, wie stark sich im Einzelfall ein Teilgebiet innerhalb des Zonenrandgebietes aus eigener Kraft weiter entwicklen konnte Auf die wirtschaftsund deutschlandpolitische Problematik dieser Argumentation soll hier nicht erneut eingegangen werden 6 5 . Festzuhalten bleibt, daß Art. 82, 92 I I c) EWGV die Bundesrepublik Deutschland zu mehr und anderem berechtigen als zum bloßen Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile im Zonenrandgebiet. Andernfalls wären die Bestimmungen der Art. 82, 92 II c) EWGV eigentlich überflüssig, weil sie in Wirklichkeit nichts über die Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt aussagten, sondern nur etwas darüber, wie überhaupt erst Wettbewerbsfähigkeit hergestellt werden kann. Da solche Maßnahmen niemals unter das Unvereinbarkeitsverdikt der Art. 80 I, 92 I EWGV fallen können, brauchen sie im EWGVertrag auch nicht geregelt zu werden. Hält man die Art. 82 II, 92 I I c) EWGV als Ermächtigungen zum nationalen Nachteilsausgleich der Teilungsfolgen hingegen nicht für sinnlos, dann könnten sie das Ziel haben, Erhaltungssubventionen zuzulassen. Dieses Ziel stünde aber mit den Grundgedanken des gesamten gemeinschaftlichen Beihilfensystems in Widerspruch. Den eigentlichen, politisch bedingten und politisch wirkenden Problemen des Zonenrandgebietes kann vielmehr nur durch eine, die gesamte
63
Ausführlich zur historischen Entwicklung der Förderungspraxis Butz (Fn. 1), S. 12 ff., 200 f. m. z. N. Zutreffend betonen Püttner (Fn. 3), S. 295 und Teyssen (Fn. 7), den Ausnahmecharakter der Frachthilfe gegenüber den Instrumenten der Raumordnung oder der regionalen Strukturpolitik; zur Situation bei den Frachthilfen siehe ferner Rüter (Fn. 25), S. 91 ff. - Zum Einfluß der deutschen Teilung auf das Vertragswerk der EG siehe oben, zu Fn. 54 und Teil B zu Fn. 41. 64
So vor allem Püttner/Spannowsky
65
Ausführlich dazu oben, zu Fn. 6 ff.
(Fn. 1), S. 177 ff.
62
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
politische Komplexität berücksichtigende, zukunftsorientierte, phantasievolle und aktive Förderung begegnet werden. Selbstverständlich gehört dazu auch der Ausgleich der durch die geographische Randlage entstandenen und sich weiter auswirkenden wirtschaftlichen Standortnachteile. Darüber hinausgehende Förderungen verbietet der EWG-Vertrag jedoch nicht. Dies ist das Ergebnis der historischen Lage, in der die Römischen Verträge abgeschlossen worden sind. Es ergibt sich aber auch aus der systematischen Stellung der Art. 82 und 92 I I c) EWGV im Gefüge des Gemeinschaftsrechts. c) Zur Zielkonvergenz der Beihilfenbestimmungen des EWGV und der Zonenrandförderung Eine eingehende, verfassungs-, Völker- und gemeinschaftsrechtliche Zielbestimmung der Zonenrandförderung durch die Bundesrepublik Deutschland und der Beihilfenpolitik durch die EG folgt in den Teilen D und E. An dieser Stelle können hierzu also nur Perspektiven aufgezeigt werden, denen in manchen Beziehungen lediglich Hypothesen zugrundeliegen. Zur Abrundung der Beihilfenproblematik darf aber auch ein (nur vorläufiger) Blick auf Sinn und Zweck der Zonenrandförderung in der Europäischen Gemeinschaft nicht fehlen. Die Frage nach dem Ziel der Beihilfenkontrolle durch die Gemeinschaftsorgane ist vordergründig schnell beantwortet. Nationale Subventionen bedeuten "im internationalen Wirtschaftsverkehr und besonders für die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes einen wettbewerbsverzerrenden Störfaktor" (Fikentscher). Da sie zugleich aber ein verbreitetes Mittel staatlicher Wirtschaftsförderung und -lenkung sind, da zudem Wettbewerb nicht Selbstzweck ist, sondern nur eines - wenn auch das wichtigste - Mittel ist, um die in Art. 2 EWGV genannten Aufgaben der Gemeinschaft zu erfüllen, werden staatliche Beihilfen (anders als Einfuhrbeschränkungen, Art. 30 EWGV) nicht schlicht verboten; sie unterfallen nur gemäß Art. 92 bis 94 EWGV einer detaillierten gemeinschaftsrechtlichen Kontrolle. Um die wettbewerbsverzerrenden und -verfälschenden Wirkungen nationaler Subventionen hintanzuhalten, dient dieses Verfahren dazu, solche Subventionen nach Möglichkeit zu beschränken, wo unvermeidlich, zu erfassen und - sofern dies geht - "durch eigene Subventionen aus Gemeinschaftsmitteln, verteilt nach gemeinschaftspolitischen Grundsätzen, zu ersetzen" 6 6 . Beihilfen aus Mitteln der EG selbst unterliegen nicht der Kon-
66
Vgl. nur Fikentscher
(Fn. 38), S. 672; Thiesing (Fn. 32), Rn. 50. - Zum Maßstab des ge-
V. Zonenrandförderung im Beihilfenrecht der EG
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trolle nach Art. 92 bis 94 EWGV. - Beschränkt man die Betrachtung hier auf den abwehrenden Zweck der Beihilfenbestimmungen des EWGV, so gilt: "Es soll vermieden werden, öffentliche Mittel dafür zu verschwenden, die Anpassung von begünstigten Unternehmen an die Wettbewerbslage zu verzögern, überholte Wirtschaftsstrukturen aufrecht zu erhalten und eine vernünftige Arbeitsteilung im Gemeinsamen Markt zu verhindern" 67.
Bezogen auf den Gemeinsamen Markt spielt dabei der Aspekt der internationalen Arbeitsteilung eine besondere Rolle. Die These von den Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung hat erstmals Adam Smith 1776 wirkungsvoll vertreten. Der Grundgedanke dieser These geht dahin, daß man dann mit einem allgemeinen Gewinn an Wohlstand rechnen könne, wenn sich jedes Land auf die Produktion derjenigen Waren konzentriert, bei der es über absolute Kostenvorteile verfügt . Wird das Zonenrandgebiet aus der Sicht des Gemeinsamen Marktes unter dem Aspekt einer vernünftigen Arbeitsteilung in diesem Sinne gesehen, so wird man auf den ersten Blick Zweifel an dem Sinn einer staatlichen Förderung dieses Gebietes überhaupt haben können; denn der periphere Standort dieser Region, seine extreme Randlage und seine Kommunikationsverluste sind gerade seine äußerlich charakteristischen Merkmale. Solche Standortbedingungen behindern die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Gebiet in starkem Maße. Unter herkömmlich wirtschaftlichem Blickwinkel kann das Zonenrandgebiet danach in der Tat im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung mit keiner Region Europas konkurrieren. Dringt man jedoch etwas tiefer in die eigentliche Zonenrandproblematik ein, dann erweist sich bald, daß dieses Gebiet unter dem politischen Aspekt einer Öffnung der Grenzen zum Osten einmalige Standortvorteile aufweisen könnte: Keine Region Europas ist den (bis jetzt noch weitgehend) geschlosmeinsamen Interesses der Gemeinschaft auch für die Beurteilung des Nutzens nationaler Beihilfen (am Beispiel der Art. 2, 95 EGKSV) Matthies, Die Verfassung des Gemeinsamen Marktes, 1981, S. 129 f. 67
So z. B. Rengeling,, JZ1984, 797 im Anschluß an Thiesing, Vorbemerkung zu Art. 92 bis 94
EWGV Rn. 5. Vgl. auch Wäldchen, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften, Rn. 65: Den Maßnahmen der aktiven Anpassung soll nach Auffassung der Kommission Vorrang vor solchen der defensiven Konservierung der bestehenden Strukturen gegeben werden. 68
Näher dazu Lefivre
(Fn. 33), S. 35, 124. - Zum Modell "funktionaler Arbeitsteilung der
einzelnen Räume" in der Regionalpolitik
siehe Spannowsky, Der Handlungsspielraum und die
Grenzen der regionalen Wirtschaftsförderung des Bundes, 1987, S. 81.
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C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
senen Grenzen Osteuropas so nahe; keine andere Region weist zugleich so viele natürliche und menschliche, aber auch technische, wirtschaftliche und politische Verbindungslinien zu Osteuropa auf wie diese Nahtstelle zwischen den Systemen in Deutschland; keine andere Region hat deshalb auch nur annähernd vergleichbare Chancen, etwas für die Öffnung der Grenzen in Europa - und zwar solcher, die faktisch und politisch noch wirkliche Grenzen sind 6 9 - zu bewirken. Wirkungen dieser Art entstehen jedoch nicht von selbst. Sie setzen Investitionen voraus. Da die Einmaligkeit des Standortes des Zonenrandgebietes politisch bedingt ist, da auch jede Verringerung der Grenzsperren politische Initiativen voraussetzt, müssen diese Investitionen auch auf politischen Entscheidungen beruhen und von der Politik getragen werden. Die enge Nachbarschaft zur DDR und zur CSSR ist eben kein Standortfaktor, der, Bodenschätzen vergleichbar, die Wirtschaft unmittelbar anzieht indem er absolute und unmittelbare wirtschaftliche Kostenvorteile verspricht. Verkehrswege müssen geschaffen und instand gesetzt werden, Einrichtungen der Kultur, des Fremdenverkehrs, der Gastronomie bedürfen der Förderung, Produktionsstätten, Einzelhandelsbetriebe und Banken müssen funktionsfähig und aufnahmebereit sein. Je stärker sich politische Initiativen auf allen Gebieten auswirken und die Grenzen durchlässiger machen, desto mehr werden die vorgehaltenen Einrichtungen der Infrastruktur und der Wirtschaft genutzt werden und desto mehr werden sich auch die Märkte öffnen. Hier liegen die eigentlichen Ziele der Zonenrandförderung.
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Björn Engholm hat als Präsident des Bundesrats seine Ansprache in der 594. Sitzung des Bundesrats am 4. 11. 1988 aus Anlaß seines Amtsantritts mit der Überschrift versehen: "Über die stetige Aufhebung von Grenzen"; dabei bezieht sich Engholm lediglich auf die - ohnehin kaum noch spürbaren - Grenzen innerhalb der EG; die Grenze in Deutschland und die Grenzen in Osteuropa werden nicht erwähnt. Ebenso widmen sich die Resolutionen der Europäischen Raumordnungsministerkonferenz vom 20. 5.1983 und vom 22./23.10.1985 (abgedruckt in: Bielenberg et al., Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, Band I, Stand 1988, B 515) nur der Problematik der innerhalb der EG bzw. innerhalb des Europarats bestehenden Grenzen. Zu den positiven Entwicklungen der Grenzräume innerhalb der EG und ihrer Brückenfunktion siehe oben, Teil B zu Fn. 5, 22. - Mit Recht hat Schweisfurth, Europabekenntnis und Wiedervereinigungsgebot des GG, 1983, S. 858 die krasse Diskrepanz zwischen europapolitischen Initiativen bei der westeuropäischen Integration und der "Inaktivität" in der Wiedervereinigungspolitik moniert. - Die "Brückenstellung" des Zonenrandgebietes, die Heyde (Fn. 3), S. 6 schon frühzeitig erkannt hat, kann als Standortvorteil gar nicht genug bewußt gemacht werden. Vgl. auch Bender, Europa und die Deutschen, Deutschlandarchiv 1981, S. 262 in Bezug auf Berlin: Hier müsse sich der Standortnachteil zum -vorteil wenden lassen, "wenn aus dem ehemaligen Kampfplatz zwischen Ost und West ein Ort der Vermittlung würde". - Zur Problematik von Dauersubventionen siehe die Nachweise oben, Teil B Fn. 12.
VI. Zusammenfassung
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Von daher zeigt sich, daß Zonenrandförderung - auch teleologisch betrachtet - im Einklang mit Sinn und Zweck der Beihilfenbestimmungen des EWG-Vertrages steht. - Der bewußte Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Brückenstellung des Zonenrandgebietes wird dazu führen, daß die Beihilfen einen wirklichen Strukturwandel einleiten und dadurch allmählich selbst überflüssig werden. - Die Grenze in Deutschland ist eines der gravierendsten künstlichen Markthindernisse; sie belastet die Wirtschaft des Zonenrandgebietes mit unvergleichlichen Kostennachteilen. Je durchlässiger die Grenze wird, desto mehr stärkt sich die Wettbewerbsfähigkeit im Zonenrandgebiet. - Wahrung und Festigung von Frieden und Freiheit, der letzte Erwägungsgrund der Präambel des EWG-Vertrages und eigentliches Ziel des Zusammenschlusses der Wirtschaftskräfte in der EG, lassen sich nur durch einen Abbau der Spannungen an der Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland erreichen. Die - in Verfolgung dieses Zieles gewährte - wirtschaftliche Förderung des Grenzgebietes ist eine der praktischen Voraussetzungen für die Sicherheit von Frieden und Freiheit in Europa. Damit verfolgt die Zonenrandförderung dieselben Ziele, die auch die Beihilfenbestimmungen verfolgen, nämlich dort staatliche Hilfen zuzulassen, wo der wirtschaftliche Wettbewerb allein nicht ausreicht, um die nach Art. 2 EWGV anzustrebenden Entwicklungen hervorzurufen. Es geht dabei nicht etwa um Aufrechterhaltung isolierter, nationaler Strukturen oder gar um Wettbewerbsverzerrung. Ebensowenig geht es um die Verlagerung wirtschaftlicher Schwierigkeiten von einem Mitgliedstaat auf einen anderen und um Verhinderung einer vernünftigen Arbeitsteilung im Gemeinsamen Markt. Es geht allein darum, den Wirtschaftsstandort an der Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland und der EG so zu fördern, daß ein grundlegender Strukturwandel initiiert werden kann, um auf effektive und verläßliche Weise zur Wahrung und Festigung von Frieden und Freiheit in Europa beizutragen.
VI. Zusammenfassung 1. Die Bestimmungen über die Zonenrandförderung in der Bundesrepublik Deutschland haben von jeher eine doppelte Zielsetzung: Ausgleich der Nachteile, die die Teilung Deutschlands mit sich gebracht hat und Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands.
66
C. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen der Zonenrandförderung
2.
Die deutschlandpolitisch motivierten gesetzlichen Regeln zur vorrangigen Förderung des Zonenrandgebietes sind bei raumbedeutsamen Planungen von den zuständigen Stellen strikt zu beachten. Andere Zielvorgaben, so z. B. der Grundsatz der Eigenwirtschaftlichkeit der Deutschen Bundesbahn, sind nachrangig zu berücksichtigen.
3.
Solange Zonenrandförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" durchgeführt wird, muß ihre deutschlandpolitische Zielsetzung stärker und entwicklungsorientierter vertreten werden. Darüber hinaus sollten Voraussetzungen und Umfang der Zonenrandförderung auf verläßlichere und kalkulierbarere Grundlagen gestellt werden.
4.
Der EWG-Vertrag enthält keinen Grundsatz eines allgemeinen Verbotes staatlicher Beihilfen. Ziel der Beihilfenregeln ist es, möglichst unverfälschten Wettbewerb und unbeeinträchtigten Handel im Gemeinsamen Markt zu gewährleisten.
5.
Reine Infrastrukturmaßnahmen und Einkommenstransfers zwischen Hoheitsträgern zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben unterfallen dem Beihilfenaufsichtsrecht der EG nicht. Auch staatliche Maßnahmen, die lediglich zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen und nur auf Ausgleich regionaler Benachteiligung abzielen, werden von Art. 92 ff. EWGV nicht erfaßt.
6.
Eine eigenständige Methode zur Beurteilung von Beihilfen nach Art. 92 II c) EWGV hat die EG-Kommission bislang nicht entwickelt. Die zu Art. 92 III EWGV entwickelten Kriterien sind zur Beurteilung von Maßnahmen der Zonenrandförderung jedenfalls unanwendbar.
7.
Trotz des engen Wortlauts der Art. 82, 92 I I c) EWGV sind nicht nur Maßnahmen zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten "wirtschaftlichen" Nachteile mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Historische, systematische und teleologische Aspekte sprechen vielmehr dafür, daß auch deutschlandpolitisch orientierte Beihilfen von der EG-Kommission nicht beanstandet werden dürfen.
8.
Entsprechend darf die Zonenrandförderung der Bundesrepublik Deutschland nicht auf den bloßen "Ausgleich" der durch die Teilung entstandenen "Nachteile" begrenzt werden.
9.
Zonenrandförderung verstößt nicht gegen das dem Gemeinsamen Markt zugrundeliegende Prinzip einer vernünftigen internationalen Arbeitsteilung; denn das Zonenrandgebiet weist unter dem politischen Aspekt einer Öffnung der Grenzen zum Osten als einzige Region in Europa den Standortvorteil einer unmittelbaren Nahtstelle zu den RGW-
VI. Zusammenfassung
67
Ländern auf, mit der Anlage zu zahllosen natürlichen, menschlichen, technischen und wirtschaftlichen Verbindungslinien. 10. Die Zielkonvergenz zwischen den Beihilfenbestimmungen der EG und der deutschen Zonenrandförderung beruht - ausgehend von diesem Standortfaktor - vor allem auf folgenden Elementen: a) Der Ausbau der Brückenstellung des Zonenrandgebiets ermöglicht einen kontinuierlichen Strukturwandel in diesem Gebiet. b) Je durchlässiger die Grenze in Deutschland wird, desto geringer werden die Kostennachteile der Wirtschaft im Zonenrandgebiet. c)
Erst der Abbau der Spannungen an der Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland schafft die Voraussetzungen dafür, daß die eigentlichen Ziele der EG - Wahrung und Festigung von Frieden und Freiheit in Europa - erreicht werden können.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes - Grundlegung zukunftsorientierter Zonenrandförderung Die Untersuchung über die Ziele der Zonenrandförderung mußte von dem Befund ausgehen, daß hier einige Unklarheiten herrschen und zwar nicht nur im Verhältnis zwischen der Bundesregierung und der EG-Kommission, sondern auch bei den politischen Instanzen der Bundesrepublik Deutschland selbst und im Schrifttum. Unklar ist dabei insbesondere, ob Zonenrandförderung primär auf Ausgleich der Nachteile gerichtet ist, die dem Lebens- und Wirtschaftsraum an der Ostgrenze der Bundesrepublik entstanden sind, oder ob insoweit wichtigstes Ziel die Förderung der Wiedervereinigung Deutschlands ist. Eine nähere Betrachtung der (einfachen) bundesgesetzlichen Grundlagen der Zonenrandförderung hat allerdings schnell erkennen lassen, daß der Gesetzgeber Maßnahmen der Zonenrandförderung letztlich immer auf das Ziel der Wiedervereinigung hin orientiert hat; der Nachteilsausgleich hat dabei sekundäre, dienende Funktion. Das Leitbild stellt dabei § 1 I I 1 ROG (von 1965) auf: "Das Ziel der Wiedervereinigung des gesamten Deutschlands ist zu berücksichtigen und seine Verwirklichung zu fördern".
Dementsprechend lautet § 21 2 GRW (von 1969): "Sie (die Förderung der in § 1 I GRW genannten Maßnahmen) hat auf gesamtdeutsche Belange und auf die Erfordernisse der Europäischen Gemeinschaften Rücksicht zu nehmen".
Schließlich wurde durch § 11 Nr. 2 ZRFG (von 1971) nach § 2 IV GRW folgender Absatz 4 a neu eingefügt, dessen Satz 2 heißt: "Die politisch bedingte Sondersituation des Zonenrandgebietes kann Abweichungen von den vorstehenden Grundsätzen und Ergänzungen der in § 1 Abs. 1 genannten Maßnahmen notwendig machen".
Im Einklang mit diesen gesetzlich formulierten Zielen betonen auch die politischen Erklärungen der obersten Bundesorgane in zunehmendem Maße die deutschlandpolitischen Aspekte der Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet \ Daß dabei auch die durch die deutsche Teilung bedingte ex1
Siehe Nachweise oben, Teil C Fn. 3, 8, 25 ff.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
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treme Randlage mit ihren hohen wirtschaftlichen Kosten und mit ihren sonstigen Wettbewerbsnachteilen einen Ausgleich finden muß, versteht sich von selbst. Eine Zonenrandförderung, die den Nachteilsausgleich als Endziel ihrer Bemühungen betrachtete, wäre jedoch mit dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes in seiner Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht nicht zu vereinbaren 2 . Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit das Wiedervereinigungsgebot verfassungs- und völkerrechtlich fundiert ist, wie starke dirigierende Wirkungen sich daraus also für die Träger staatlicher Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Gerade für die Exekutive ist diese Frage von besonderer und aktueller Bedeutung. Nach Aufhebung des InvZulG, das dem Bürger strikte Rechtsansprüche auf Förderung im Zonenrandgebiet eingeräumt hatte, stehen Förderungsleistungen hier nur noch im Ermessen der Verwaltung. Deren Spielräume sind um so geringer, je präziser verfassungsrechtliche Zielvorgaben sind. Über die politische Wünschbarkeit ebenso wie über politische Realisierungschancen einer deutschen Wiedervereinigung gehen die Meinungen nach wie vor weit auseinander 3 . Über den Willen der Bevölkerung in der Bundesrepublik und in der DDR zur deutschen Einheit gibt es ungezählte Spekulationen, aber keine gesicherten Daten, ebensowenig wie es bislang praktikable Wegweisungen dazu gibt, diesen Willen herauszufinden oder gar durchzusetzen. . Eine politische Betrachtung dieser Frage kann selbstver-
2
Siehe oben, Teil C zu Fn. 9.
3 Siehe Nachweise oben, Teil B Fn. 2. Isensee, Die Verfassung als Vaterland, 1986, S. 11 meint, das amtliche Leitbild des wiedervereinigten Deutschlands sei im Laufe der Jahre zum "juristischen Konstrukt verblaßt, das beinahe nur noch deutschlandrechtlichen Spezialisten verstchbar ist". 4
BVerfGE 77, 137 (161) geht davon aus, das deutsche Volk halte "in seiner überwältigen-
den Mehrheit sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Deutschen Demokratischen Republik an dem Willen fest, die Spaltung Deutschlands auf friedliche Weise zu überwinden und die volle staatliche Einheit wiederherzustellen". Dazu auch Gusseck, NJW 1988, 1306; Uhlitz, ZRP 1987, 192. - Zur "Eliminierung des Wiedervereinigungsgebots und aller Bestimmungen, in denen die Vorstellung von der Einheit der deutschen Nation zum Ausdruck kam" bei der Totalrevision der DDR-Verfassung von 1974 G. Brunner, Das Staatsrecht der DDR, 1987, § 10 Rn. 11; ausführlich G. Zieger, "Die" Haltung von SED und DDR zur Einheit Deutschlands: 1949 bis 1987, 1988; Doehring, Verfassungsrechtliche Bindungen der Bundesregierung bei Bestrebungen zur Wiedervereinigung Deutschlands, 1985, S. 43 meint: "Die Regierung der DDR wäre einer Wiedervereinigung unter sozialistischen Vorzeichen sicherlich nicht abgeneigt"; ebenso Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, 1987, § 11 Rn. 20, 105; Röper, DÖV 1988, 497. Hacker, Das Selbstbestimmungs-
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
ständlich nicht über ihre außenpolitischen Implikationen hinweggehen; immerhin ist die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen unmittelbar nach der Kapitulation Folge des unter nationalsozialistischer Führung vom Großdeutschen Reich begonnenen und verlorenen zweiten Weltkriegs. Für die Siegermächte war damals die Wiederherstellung einer ungeteilten deutschen Staatlichkeit zunächst jedenfalls unvorstellbar, und noch heute wird z.B. gesagt, Grundlage der französischen Außenpolitik sei die Spaltung Deutschlands 5 . Ein noch weitaus gravierenderer, international wirkender Aspekt hängt mit der Teilung der Welt in sowjetische und amerikanische Einflußsphären zusammen. Deutschland ließ sich nach dem zweiten Weltkrieg aus dem Widerstreit der amerikanischen und der sowjetischen Sicherheitsinteressen nicht heraushalten, seine Wiedervereinigung "hätte das internationale Gleichgewicht beeinträchtigt" 6 . Im folgenden soll auf Rechtsfragen der Wiedervereinigung, nicht auf politische Positionen eingegangen werden. Gleichwohl lassen sich die politischen, insbesondere die außenpolitischen Zusammenhänge bei einer solchen Betrachtung nicht einfach ausklammern. Eine grundlegende Schwäche der rechtswissenschaftlichen Diskussion in Deutschland um die Wiedervereinigung dürfte gerade darin liegen, daß die zwei politisch bedingten Grundfragen dieses Problems nicht hinreichend auseinandergehalten werden. Auf der einen Seite geht es um eine eher quantitative Frage, nämlich um die Teilung der Staatsgewalt in Deutschland. Dies ist der allein vom Deutschen Reich aufgrund des von ihm begonnenen zweiten Weltkriegs zu verantwortende Bereich. Hier kann man - wenn überhaupt - von der "Deutschen Frage" sprechen, wenn man sich bewußt ist, daß auch eine Wieder Vergrößerung Deutschlands nicht nur politische, sondern auch rechtliche Positionen der Siegermächte, aber auch der EG berührt 7 . - Die andere, eher qualitativ zu recht der Völker aus der Sicht der DDR, 1985, S. 153 meint hingegen, auch in der Politik der DDR sei die "Vision eines sozialistischen Gesamtdeutschlands" nur noch selten anzutreffen. 5
So z.B. Menudier, Die deutsche Frage aus der heutigen Sicht Frankreichs, 1987, S. 30. Siehe allgemein auch P. Bender, Europa und die Deutschen, 1981, S. 254: Fast 80 Mill. Deutsche in einem Staat vereint "wären für alle Europäer unerträglich". Vgl. ferner Ress (Fn. 4), § 11 Rn. 1. 6
Vgl. nur Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepu-
blik Deutschland, 1987, § 6 Rn. 5. 7
Zu den rechtlichen Grenzen einer Wiedervereinigung durch "Konföderation" siehe Ress (Fn. 4), Rn. 59, 106 ff.; siehe auch Rauschning, Der Fortbestand des deutschen Staates und die Verträge von Bonn und Paris, 1985, S. 36. Zumindest äußerst mißverständlich formuliert W. Geiger, EuGRZ 1986, 124: Beim Wiedervereinigungsgebot gebe es "für uns keine "offene
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des W i e d e r v e r e i n i g u n g s g e b o t e s 7 1
bewertende Seite ist die des Systemunterschieds zwischen Ost und West, der Teilung Europas und der Teilung der Welt in die Einflußsphären der beiden Großmächte. Die Grundlagen für diese Entwicklung sind in der Zeit von 1945 bis 1948 während des "kalten Krieges" gelegt worden, so daß sich dieses Teilungsproblem als Konflikt der politischen Systeme darstellt 8 . Die Ursächlichkeit des in Deutschland begonnenen Weltkriegs für die Kumulation der Teilungsprobleme in Deutschland ist zwar gleichfalls gegeben; Verantwortung und Lösungsmöglichkeiten liegen insoweit jedoch gar nicht bzw. zu einem geringen Teil bei den beiden deutschen Staaten.
I. Verfassungsrechtliche Herleitung des Wiedervereinigungsgebotes 1. Die Präambel und Art. 146 des Grundgesetzes als Grundlagen des Wiedervereinigungsgebotes Der tägliche Umgang mit dem Grundgesetz und seine das Recht und die politische Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland immer stärker durchdringenden Wirkungen haben im öffentlichen Bewußtsein die Besonderheiten seiner Entstehung und zentrale Zielvorstellungen des Parlamentarischen Rates gänzlich verdrängt. Zwar ist hier eine "Vollverfassung" für die Bundesrepublik Deutschland geschaffen worden; aber schon die - mit allen Verfassungstraditionen bewußt brechende - Bezeichnung als "Grundgesetz" statt als "Verfassung" und die explizite Beschränkung seiner Geltungsdauer in Art. 146 sind überdeutliche Merkmale seines provisorischen Charakters und Ausdruck des "Legitimationsmangels" des Parlamentarischen Rates: Das Grundgesetz "setzt sich seine Abschaffung durch eine (endgültige) Verfassung zum Ziel und betont diese Zielsetzung mit seinem Namen" 9 .
deutsche Frage", sondern für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes eine entschiedene deutsche Frage!" Ebenso D. Wilhelm, ZRP 1986, 273. Demgegenüber betont E. Klein, Wiedervereinigungsgebot und Völkerrecht, 1985, S. 75 eine "Offenheitsverantwortung" der Bundesrepublik: Sie müsse die Offenheit der deutschen Frage international zum Tragen kommen lassen. g Zutreffend Stolleis
}
Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945
bis 1949, 1987, § 5 Rn. 115; R. Bernhardt, WDStRL 38 (1978), S. 47; Ress (Fn. 4), Rn. 1. Nicht ganz zutreffend bemerkt Seiffert,
Die Einheit der deutschen Nation und ihre staatliche Zu-
kunft, 1985, S. 280, der Konflikt der politischen Systeme sei das "eigentliche Teilungsproblem"; ähnlich, aber noch ungenauer, Schuller, Der Staat 1987, 424: Die deutsche Teilung sei "Folge des Ost-West-Konfliktes".
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedevereinigungsgebotes
Nach herrschender Meinung ist Deutschland als Staat mit dem Ende des zweiten Weltkriegs nicht untergegangen, sondern nur - als Ganzes - handlungsunfähig geworden. Die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch von Beginn an von ihrer Identität mit dem Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich" ausgegangen. Dementsprechend hat auch der Parlamentarische Rat das Grundgesetz nicht als Akt der Neugründung eines Staates verstanden 1 0 . Man sah in der Schaffung einer "neuen Ordnung" in den westdeutschen Ländern "für eine Übergangszeit" auch kein Element der Abschottung gegenüber der damaligen sowjetisch besetzten Zone - im Gegenteil: Die vor der Einsetzung des Parlamentarischen Rates am 21./22. 7. 1948 in dem Jagdschloß Niederwald bei Rüdesheim zusammengekommenen Ministerpräsidenten entschieden sich für den baldigen Zusammenschluß der westdeutschen Länder gerade in der Erwartung seiner "magnetischen Wirkung" auf die Ostzone. So erklärte Emst Reuter: "Die politische und ökonomische Konsolidierung des Westens ist eine elementare Voraussetzung für die Gesundung auch unserer Verhältnisse und für die Rückkehr des Ostens zum gemeinsamen Mutterland" 11.
Wenn sich auch die ursprüngliche Hoffnung auf eine solche Magnetwirkung bislang als trügerisch erwiesen hat 1 2 , so gelten die Prämissen der Präambel und des Art. 146 GG doch weiter:
9
Vgl. Murswiek, Kommentierung der Uberschrift des GG, Rn. 4, 10, 12 f. Isensee (Fn. 3), S. 11 spricht von der Bundesrepublik Deutschland als "Provisorium auf Dauer". - / / . Schäfer, Der Auftrag des Art. 29 GG, 1970, S. 17 beschreibt, daß sich z.B. der Bundesrat noch 1955 darauf berief, der Neugliederungsauftrag des Art. 29 GG solle bis zur Zeit nach der Wiedervereinigung zurückgestellt werden. 10
Vgl. nur BVerfGE 77, 137 (149 ff., 155 ff.). Anders ist die in der DDR staatlicherseits
vertretene Auffassung, vgl. R. Bernhardt,
Die Deutsche Teilung und der Status Gesamt-
deutschlands, 1987, § 8 Rn. 13 ff. 11
Zitiert nach F. J. Strauß, Die Rittcrsturz-Konferenz - ein Meilenstein auf dem Weg zur Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 34 f. Vgl. auch B. Vogel, Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee - Grundlage für die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 54. Vgl. ferner Schweisfurth, Europabekenntnis und Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, 1983, S. 862 zu entsprechenden Argumenten im Parlamentarischen Rat. Siehe auch Göttinger Arbeitskreis fi'tr Ost-West-Fragen (Hrsg.), Die Deutschlandfrage und die Anfänge des Ost-West-Konflikts 1945 - 1949, 1984. - Interessanterweise wurde die spätere westeuropäisch orientierte Integrationspolitik unter einem ähnlichen Aspekt gesehen; man sprach von dem "Sog, den Europa ausüben würde", vgl. Doehring, DVB11979, 634; Schweisfurth, S. 867.
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des W i e d e r v e r e i n i g u n g s g e b o t e s 7 3
Präambel Satz 3: "Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". A r t . 146 G G : "Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". "Präambel und Art. 146 GG fassen das gesamte Grundgesetz auf dieses Ziel hin ein; der Verfassungsgeber hat dadurch den Willen zur staatlichen Einheit Deutschlands normiert, der wegen der zwischen den Besatzungsmächten ausgebrochenen Spannungen ersthafte Gefahr drohte. Er wollte damit einer staatlichen Spaltung entgegenwirken, soweit dies in seiner Macht lag. Es war die politische Grundentscheidung des Parlamentarischen Rates, nicht einen neuen ( "westdeutschen") Staat zu errichten, sondern das Grundgesetz als Reorganisation eines Teilbereichs des deutschen Staates - seiner Staatsgewalt, seines Staatsgebiets, seines Staatsvolkes - zu begreifen. Dieses Verständnis der politischen und geschichtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland liegt dem Grundgesetz zugrunde"
Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und die demonstrativ systematische Einfassung seines Textes in die Vorläufigkeitsregeln der Präambel und des Art. 146 (als der abschließenden Bestimmung) stellen klar, daß die Wiedervereinigung der ausdrückliche Zweck des Grundgesetzes in organisatorischer Hinsicht ist. Mit Murswiek läßt sich das Wiedervereinigungsgebot danach in dem Sinne als "Staatsfundamentalzier bezeichnen, als es den Maßstab für die Bewertung aller anderen staatsorganisatorischen Ziele festlegt. Eine Streichung des Wiedervereinigungsgebots aus dem Grundgesetz bedeutete folglich keine Verfassungsänderung im Sinne des Art. 79 GG, sondern eine Umwandlung des Grundgesetzes in ein aliud, in eine "Verfassung"; es handelte sich dabei um einen Akt der Verfassungsgebung, zu dem keines der nach den Vorschriften des Grundgesetzes bestellten und gewählten Bundesorgane legitimiert wäre 1 4 . 12
Vgl. Murswiek, Wiedervereinigung Deutschlands und Vereinigung Europas, 1986, S. 117; Schweisfurth (Fn. 11), S. 868. 13 Vgl. BVerfGE 77,137 (150). 14
Vgl. mit ausführlicher Begründung Murswiek (Fn. 12), S. 120 ff.; ähnlich Blumenwitz, JuS 1988, 612 ("Totalrevision"); E. Klein, Die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für Deutschland als Ganzes, 1985, S. 173; Röper, DÖV 1988, 4%; Ress (Fn. 4), Rn. 102; Wilhelm, ZRP 1986, 271 f. Auch nach Ansicht von Doehring, NJW 1982, 2209 gehört das Wiedervereinigungsgebot zu den "Staatszielbestimmungen" des GG; vgl. auch Uhlitz, ZRP 1987, 192. - Zuleeg, Rechtslage Deutschlands, 1984, Rn. 43, und ders., ZRP 1987, 188 ist zuzustimmen, daß der Nationalstaatsgedanke keinen Eingang in Art. 79 III GG gefunden hat. Die Aufgabe des Wiedervereinigungsgebotes wäre aber auch keine Verfassungsänderung, sondern bedeutete
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
Ungeachtet der staatsrechtlichen Probleme und Zweifel hinsichtlich des Fortbestandes des rechtsfähigen, allerdings selbst nicht handlungsfähigen Deutschen Reiches bleibt unbestritten, daß die deutsche Nation jedenfalls als Kultur- und Sprachgemeinschaft fortbesteht 1 5 . "Das Wiedervereinigungsgebot richtet sich auf ein Gebiet mit vorgegebener Deutschsprachigkeit und findet in dieser kulturstaatlichen Voraussetzung eine wesentliche Stütze" 16 . Das in der Präambel und in Art. 146 GG als Staatsziel angelegte und kulturstaatlich abgestützte Wiedervereinigungsgebot findet in Art. 23 Satz 2 GG eine gewisse territorale und in Art. 116 GG eine personale Anknüpfung 1 7 . 2. Folgerungen aus dem verfassungsrechtlichen
Wiedervereinigungsgebot
a) Rechtspflicht Das Bundesverfassungsgericht hat schon früh, nämlich in seinem KPDUrteil vom 17. 8. 1956, erkannt, der Präambel des Grundgesetzes komme zwar "vor allem politische, aber auch rechtliche Bedeutung zu" und hat daraus gefolgert:
Verfassungsgebung. Kimminich, Ist die Deutsche Frage offen? 1986, S. 99, 106 sieht dagegen in der Bezugnahme auf das "deutsche Volk" über Art. 1 II, 20 in Art. 79 III GG bereits ein Hindernis für den verfassungsändernden Gesetzgeber; ebenso Dieckmann, DÖV 1988, 442; im Ergebnis ebenso Scholz, Der Status Berlins, 1987, § 9 Rn. 5. 15
Vgl. R. Bernhardt (Fn. 10), Rn. 48; Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, 1987, § 14 Rn. 15; Häberle, Diskussionsbeitrag, in: WDStRL 38 (1980), S. 115 mit besonderem Hinweis auf die Bedeutung der Literatur für Gesamtdeutschland. - Allerdings: Versteckte sich hinter der Formel "deutsche Nation" nur noch der Begriff einer Sprach und Kultureinheit, "dann wäre das rechtlich die Aufgabe einer unverzichtbaren Rechtsposition", BVerfGE 36, 1 (19). - Zur historisch unterschiedlichen Entwicklung der Nationen als "Staatsnationen" und "Kulturnationen" R. Herzog, Ansprache in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1988, 1988, S. 18 und S. 20: "Eine Nation ohne den Willen zum eigenen Staat ist Stand von heute - ein Unding"; siehe auch Seiffert, Voraussetzungen für die Lösung der deutschen Frage, 1986, S. 131; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 9. 16
Vgl. P. Kirchhof\
17
Vgl. Dolzer, Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschend
Deutsche Sprache, 1987, § 18 Rn. 51.
zur DDR, 1987, § 12 Rn. 7.
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des W i e d e r v e r e i n i g u n g s g e b o t e s 7 5
"Alle politischen Staatsorgane haben die Rechtspflicht,
die Einheit Deutschlands mit allen
Kräften anzustreben; sie müssen ihre Maßnahmen auf dieses Ziel ausrichten, insbesondere alles unterlassen, was die Wiedervereinigung rechtlich hindert oder faktisch unmöglich macht".
Das Gericht hat in späteren Entscheidungen den "Verfassungsgrundsatz der Verpflichtung zur Wiedervereinigung" nicht nur als ein politisches Ziel, sondern auch als ein "verfassungsrechtliches Gebot" bekräftigt und in seinen Folgerungen präzisiert 1 8 . In seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrages hat das Gericht zwei Elemente des Wiedervereinigungsgebotes besonders herausgestellt: Einmal sind dadurch alle Verfassungsorgane verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken, was die Forderung einschließt, "den Wiedervereinigungsanspruch im Inneren wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten". Zum anderen sind sie verpflichtet, "alles zu unterlassen, was die Wiedervereinigung vereiteln würde". Das Verhältnis zwischen diesen beiden, als "Vollendungsgebot" und als "Wahrungsgebot" zu kennzeichnenden Pflichten geht dahin, daß das letztere nur eine dem ersteren "dienende Funktion" auszuüben hat; denn das eigentliche Ziel der gesamtdeutschen Verantwortung geht auf "Wiederherstellung der nationalen und staatlichen Einheit für das deutsche Volk durch dessen freie Entscheidung" 1 9 . Dafür zeigt das Grundgesetz selbst zwei verschiedene Wege auf. Der eine führt über Art. 23 Satz 2 GG, der zweite über Art. 146 GG. Art. 23 Satz 2 GG sieht vor, daß das Grundgesetz "in anderen Teilen Deutschlands" nach deren Beitritt in Kraft zu setzen ist. Demgegenüber bestimmt Art. 146, daß dieses Grundgesetz an dem Tage seine Gültigkeit verliert, "an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist" 2 0 .
18
Vgl. BVerfGE 5, 85 (127) und Leitsatz 1, S. 85 (KPD) - Hervorhebung nur hier - ; E 12, 45 (51 f. - allgemeine Wehrpflicht); E 36, 1 (17 - Grundlagenvertrag); E 77, 137 (149 ff. Staatsangehörigkeit). - Die Entwicklung in der Rechtsprechung des BVerfG hin zu einer weiteren normativen Aufwertung der Präambel und zu einer allmählichen Begrenzung des weiten Ermessensspielraums zeichnet Blumenwitz, JuS 1988, 612 nach. 19 20
Vgl. E. Klein (Fn. 14), S. 163 f., 167.
Näher zu den Möglichkeiten und Grenzen der Art. 23 Satz 2, 146 GG Maunz, Kommentierung des Art. 146 Rn. 2 ff.; E. Klein (Fn. 7), S. 61; Ress (Fn. 4), Rn. 62, 63.
76
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
b) Gestaltungsspielraum Die Rechtspflichten aus dem organisationsrechtlichen Wiedervereinigungsgebot, nämlich auf die deutsche Einheit hinzuwirken und keine Rechtsposition aufzugeben, die der Wiedervereinigung auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung des deutschen Volkes dienlich ist, diese Rechtspflichten lassen den Staatsorganen indes einen breiten Raum politischen Ermessens. Es muß den zu politischem Handeln berufenen Organen der Bundesrepublik Deutschland überlassen bleiben in eigener Verantwortung zu entscheiden, "welche Wege sie zur Herbeiführung der Wiedervereinigung als politisch richtig und zweckmäßig ansehen". Insbesondere dem Gesetzgeber kann das Bundesverfassungsgericht erst entgegentreten, "wenn er die Grenzen dieses Ermessens eindeutig überschreitet, wenn seine Maßnahme also rechtlich oder tatsächlich einer Wiedervereinigung in Freiheit offensichtlich entgegensteht" 2 1 . Auf das Wiedervereinigungsgebot kann - für sich gesehen - nicht das Verlangen gestützt werden, die Staatsorgane müßten bestimmte Handlungen zu diesem Zwecke vornehmen; dieses Gebot ist auch nicht als Grundrecht zu verstehen, dessen Verletzung im Wege einer Verfassungsbeschwerde von einzelnen Bürgern geltend gemacht werden könnte
c) Konkretisierung Im übrigen werden aber in zunehmendem Maße konkretpositive Folgerungen aus dem Wiedervereinigungsgebot gezogen. Nach Auffassung von Paul Kirchhof ist z. B. im Wiedervereinigungsgebot eine "Rechtspflicht zur Wahrung eines einheitlichen Sprachgebietes angelegt, die ein Hinwirken auf eine stetige Sprachgemeinschaft auch bei zwei deutschen Staaten verlangt" 2 3 . Mit dem Erlaß des § 1 II ROG hat der Bundesgesetzgeber eine dem verfassungsrechtlichen Wiedervereinigungsgebot entstammende Rechtspflicht in das Raumordnungs- und Planungsrecht übernommen, nämlich "alles zu tun, was der Wiedervereinigung förderlich ist" 2 4 . Als
21
Vgl. BVerfGE 36,1 (17 f.); ebenso schon E 12, 45 (51 f.); 5, 85 (126 ff.).
22
Vgl. BVerfGE 77, 137 (149); zur Unzulässigkeit von Verfassungsbeschwerden siehe BVerfG NJW 1987, 3245 f.; E 43, 203 (211). 23
Vgl. P. Kirchhof (Fn. 16), Rn. 51. Vgl. Cholewa/Dyong/von
der Heide/Arens,
Raumordnung in Bund und Ländern, 1987,
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des W i e d e r v e r e i n i g u n g s g e b o t e s 7 7
"normative Konkretisierung des im Grundgesetz enthaltenen Wiedervereinigungsgebots" hat das Bundesverfassungsgericht ferner sehr konkrete, individualrechtlich wirkende Konsequenzen in Fragen der Staatsangehörigkeit gezogen 2 5 . Ein eminent praktischer und wichtiger Ansatzpunkt, der hier nur als Merkposten genannt werden kann, ist die Förderung der vielfältigen Verbindungen im menschlichen Bereich, sei es in der organisatorischen Form von Städtepartnerschaften, bei sportlichen Begegnungen, im Kulturaustausch oder im Wege des "Begrüßungsgeldes" . Auf die Bedeutung des Wiedervereinigungsgebotes für Maßnahmen im Umweltschutz und für die Zonenrandförderung insgesamt wurde bereits hingewiesen 2 1 . Schließlich ist besonders zu betonen, daß der verfassungsrechtliche Auftrag zur Förderung der deutschen Wiedervereinigung angesichts der weltpolitischen Dimensionen dieses Problems in seinen Ursachen und Auswirkungen nicht im Rahmen innerdeutscher Beziehungen allein erfüllt werden kann. Insbesondere muß von daher Aufgabe jeder deutschen Europapolitik sein, alles zu tun, um die besonderen Beziehungen zur DDR, wie das Protokoll über
Kommentierung des § 1 ROG Rn. 13. Dies entspricht dem von Mauttz , Kommentierung der Präambel des Grundgesetzes, 1976, Rn. 26 dem Grundgesetz entnommenen Verfassungsgebot an den Gesetzgeber, Gesetze zu erlassen, die die Wiedervereinigung fördern. 25
Vgl. BVerfGE 77, 137 (150 f.). Ebenso Bleckmann , DÖV 1988, 440; Blumenwitz, , JuS
1988, 608; Gusseck , NJW 1988,1303.
26 Die Notwendigkeit, das "Höchstmaß an Verbindungen jeder Art zu halten und herzustellen", wird von P. Bender (Fn. 5), S. 259, 263 mit Recht betont. - Zur Vielfalt der dem Wiedervereinigungsgedanken entspringenden Kontaktmöglichkeiten siehe nur Dolzer (Fn. 17), Rn. 38, 45 ff., 55 ff.; Ress (Fn. 4), Rn. 40 ff., 81, 90 ff. (Reiseverkehr, Handel, Umweltschutz, Sport, Kultur, Städtepartnerschaften). - Speziell zu Städtepartnerschaften siehe Institut ßr Kommunalwissenschaften der Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), West-Ost-Beziehungen au kommunaler Ebene, 1987; siehe auch Priesnitz , Innerdeutsche Städtepartnerschaften, Der Städtetag 1988, 809 f. - Zum innerdeutschen Handel, zum Reiseverkehr und zum Umweltschutz z. B. Zieger , Das Verhältnis der beiden Staaten in Deutschland zueinander unter Gesichtspunkten des modernen Völkerrechts, 1985, S. 285, 295 f. - Aus der Sicht Frankreichs wird allerdings der Ausbau der Kontakte und der deutsch-deutschen Beziehungen für wichtiger gehalten als die Wiedervereinigung, vgl. Menudier (Fn. 5), S. 42. 27
Zur Bedeutung des Umweltschutzes unter dem Aspekt der Wiedervereinigung siehe Herzog (Fn. 15), S. 24; Ress (Fn. 4), Rn. 94. - Butz f Rechtsfragen der Zonenrandförderung, 1980, S. 48 f. und S. 30 Fn. 25 stellt klar, daß Maßnahmen der Zonenrandförderung auch zur Förderung der Wiedervereinigung dienen, sie damit "gleichsam als Vorstufe zur Wiedervereinigung" zu sehen seien. - Siehe im übrigen oben, Teil B zu Fn. 10 f. (Umweltschutz) und Teil C zu Fn. 3 ff., 13, 30,54 f.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
den innerdeutschen Handel von jeher vorsieht, aufrechtzuerhalten und zu verbessern 2 8 . d) Grenzen Schließlich darf indes nicht übersehen werden, daß das Wiedervereinigungsgebot auch Grenzen kennt, die es im folgenden abzustecken gilt. Es spricht viel dafür, daß der Inhalt dieser Verfassungspflicht von den Grenzen her letztlich besser verdeutlicht werden kann. Angesichts der großen Gefahr von Mißverständnissen, die mit den politischen Implikationen dieses Themas seit eh und je verbunden sind, braucht die Notwendigkeit einiger Klarstellungen nicht näher begründet zu werden. Völlig zutreffend ist die Aussage von Doehring und Eckart Klein, das Grundgesetz verlange keine Wiedervereinigung "um jeden Preis" 2 9 . So kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben, daß die Wiedervereinigung niemals im Wege der Gewaltanwendung erreicht werden darf 3 0 . Schon aus der klaren Formulierung der Präambel, daß die Einheit Deutschlands allein in "freier Selbstbestimmung" vorstellbar ist, aber auch aus dem Gewaltverbot als allgemeiner Regel des Völkerrechts (Art. 25 GG) und aus dem in Art. 26 GG zusätzlich und prononciert ausgesprochenen Aggressionsverbot folgt diese Schranke jeder Wiedervereinigungspolitik ganz zwingend. Allein schon die Vorstellung einer Wiedervereinigung durch Gewalt ist vom Inhalt des Wiedervereinigungsgebots und von seiner verfassungsrechtlichen Einbettung her völlig unverständlich. Grundlegend falsch wäre nämlich schon der Ansatz, Wiedervereinigung bedeute in irgendeiner Weise die Vergrößerung des Staatsgebietes der Bundesrepublik Deutschland. Aus Art. 146 GG und aus den deutschlandrechtlichen Prämissen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ließe sich eher geradezu auf das Gegenteil schließen. Mit der Annahme einer gesamtdeutschen Verfassung durch das deutsche Volk verlöre das Grundgesetz seine Gültigkeit, und damit verlöre auch die Bun28
Vgl. nur Everling,
Die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft,
1981, S. 38. Murswiek,
Systematische Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht des deut-
schen Volkes, 1985, S. 259 betont die Legitimation und die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes international geltend zu machen. - Zur deutschlandpolitischen Fundierung der Zonenrandförderung siehe oben, Teil C zu Fn. 25 ff. 29 Vgl. Doehring (Fn. 4), S. 53; E. Klein (Fn. 7), S. 69. 30
Vgl. nur ft Bernhardt (Fn. 8), S. 25; E. Klein (Fn. 7), S. 65; Dolzer (Fn. 17), Rn. 9, Geiger, EuGRZ 1986,124; Murswiek (Fn. 12), S. 110; Ress (Fn. 4), Rn. 65; Seiffert (Fn. 8), S. 281.
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desrepublik Deutschland als solche ihre verfassungsrechtliche Grundlage. Die Bundesrepublik Deutschland kann ihre Hoheitsgewalt ausschließlich auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes erstrecken. Das Grundgesetz läßt sich nur als Statut der Reorganisation eines Teilbereichs des deutschen Staates begreifen. Die (Mit-)Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für Deutschland als Ganzes gibt ihr keinen Anspruch auf Gebietszuwachs 3 1 . Wiedervereinigung bedeutet auch nicht Wiederherstellung eines "Großdeutschen Reiches", sondern Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit: Die Deutsche Frage ist in der Tat - spätestens seit der Diskussion um die Paulskirchenverfassung von 1948/49 - die Frage von "Einheit und Freiheit" (Peter Häberle) 32' Betont man mit dem Grundgesetz das freiheitliche Ziel des Wiedervereinigungsgebots, dann verbietet sich nicht nur seine Verfolgung durch Gewalt, sondern auch durch Freiheitsverzicht etwa durch Einführung einer Einparteiendiktatur mit kommunistischem Vorzeichen. Insofern wird der Wiedervereinigungsbegriff von Doehring gründlich mißverstanden, wenn er meint, die Präambel sei dem gesamten Grundgesetz keineswegs in dem Sinne übergeordnet, daß jede Art von Wiedervereinigung Vorrang vor jedem anderen Rechtssatz hätte 3 3 . An der fundamentalen Bedeutung des Staatsziels der Wiedervereinigung ist nicht zu deuteln. Aber es kann dabei nur um Wiedervereinigung im Sinne des Grundgesetzes, also auf der Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Verfassung gehen. Was Doehring fälschlich als "Wiedervereinigung" bezeichnet, ist lediglich eine organisatorische Verbindung des Staatsgebiets der DDR mit dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland: Das aber hat beinahe nichts mit dem Wiedervereinigungsbegriff als Staatsziel des Grundgesetzes zu tun. Einheit ohne Freiheit aller Deutschen ist kein von den Staatsorganen der Bundesrepublik Deutschland legitimerweise anzustrebendes Ziel 3 4 . Der absolute Vorrang 31
Vgl. BVerfGE 36, 1 (16). Besonders deutlich Murswiek (Fn. 28), S. 259. Allein im Falle
eines (freiwilligen) Beitritts anderer Teile Deutschlands nach Art. 23 Satz 2 GG ist eine Ausweitung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes möglich, vgl. E. Klein (Fn. 7), S. 60. 32
Vgl. P. Häberle (Fn. 15), S. 116. Zutreffend betont auch Murswiek (Fn. 9), Rn. 37, "daß die Idee der nationalen Einheit in Deutschland ursprünglich mit der Idee der politischen Freiheit eng verbunden war"; hieran knüpften die Präambel und die Entscheidung des Art. 22 GG für die Bundesflagge an. 33
Vgl. Doehring (Fn. 4), S. 52.
34
Der Sache nach völlig zutreffend sind die von Doehring (Fn. 4), S. 45 f. aufgeführten zehn Thesen zur staats- und völkerrechtlichen Eingrenzung der Wiedervereinigungspolitik; ähnlich die von Maunz (Fn. 20), Rn. 18 ff. genannten Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Ver-
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
der Freiheit als Wert, die Untrennbarkeit freiheitlicher Zielsetzungen von aller unter dem Grundgesetz verfaßten Staatstätigkeit folgt nicht zuletzt daraus, daß das Grundgesetz mit seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung die Bundesrepublik seit 40 Jahren trägt, während seit derselben langen Zeit auf die Einheit um der Freiheit willen verzichtet werden mußte. Wiedervereinigungspolitik kann danach nur bedeuten, gen geschaffen werden, um eine freie Entscheidung über seine künftige staatliche Organisation möglich zu Regierungen, nur das Volk kann in diesem Sinne über entscheiden.
daß alle Bedingundes deutschen Volkes machen. Nicht die Wiedervereinigung
3. Die Bedeutung der Grundrechte für das Wiedervereinigungsgebot Schon die vom Grundgesetz vorgenommene Orientierung des Wiedervereinigungsgebotes an Freiheit und Selbstbestimmung weist auf die enge Verknüpfung dieses organisationsrechtlichen Staatsziels mit den grundrechtlichen Aufgabenstellungen der Verfassung hin. Von daher war es nur konsequent, daß das Bundesverfassungsgericht unlängst das Wiedervereinigungsgebot zur Grundlage seiner Entscheidung über die deutsche Staatsangehörigkeit gemacht hat. Damit wurde einer großen Zahl Deutscher die Möglichkeit eröffnet, sich auf die Grundrechte des Grundgesetzes zu berufen und effektiven Grundrechtsschutz zu erlangen 3 5 . Sicherlich kann man die Staatsangehörigkeit auch sehen als das "personale Band, das um Deutschland gelegt ist", so daß das Wiedervereinigungsgebot die Aufrechterhaltung dieser "Klammerfunktion" fordere, damit die deutsche Nation "als dynamische Größe, als das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts auf Dauer "in Einheit" gehalten wird" 3 6 . Diese Funktion wäre bei einem "Auseinanderdriften" der Beurteilung von Entscheidungen über die fassung. - Wenig hilfreich erscheint demgegenüber die Formulierung von Seiffert (Fn. 15), S. 132: "Freiheit für alle Deutschen bringt nur die staatliche Einheit". Deutsche Einheit setzt nach Satz 3 der Präambel zum Grundgesetz einen Akt "freier Selbstbestimmung" des gesamten deutschen Volkes voraus. Aufgabe deutscher Wiedervereinigungspolitik muß es deshalb sein, die Voraussetzungen für freie Entscheidungen in ganz Deutschland zu schaffen. 35
Vgl. BVerfGE 77, 137 (150 f.). Dadurch sei die Zahl der Menschen mit (gesamt-)
deutscher Staatsangehörigkeit um gut 800.000 gewachsen, vgl. Röper, DÖV 1988, 488. Grawert (Fn. 15), Rn. 45 sieht in einer zunehmenden Divergenz im Staatsangehörigkeitsrecht der beiden deutschen Staaten allerdings keine Probleme. 36
Vgl. E. Klein, JuS 1987, 282.
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des Wiedervereinigungsgebotes
deutsche Staatsangehörigkeit in jedem der beiden deutschen Staaten nicht mehr zu erfüllen gewesen. Das Wiedervereinigungsgebot bedeutet unter diesem Aspekt nicht nur, daß deutsche Staatsangehörige vereinigt werden sollen; es fordert von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland vielmehr auch, daß grundsätzlich alle Bürger der DDR als Deutsche anerkannt werden 3 7 . Noch wichtiger als dieser, auf das gesamte deutsche Volk als Subjekt des Selbstbestimmungsrecht bezogene Gedanke erscheint jedoch die Möglichkeit, vom Ansatz der deutschen Staatsangehörigkeit ausgehend den Gedanken der Verantwortung der Bundesrepublik für die Grundrechtsverwirklichung aller Deutschen in das Wiedervereinigungsgebot mit einzubeziehen. a) Deutsche Staatsbürgerschaft und Grundrechtsträgerschaft Die fortdauernde Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft im Sinne des Art. 116 I GG bedeutet zunächst einmal, daß alle Bürger der DDR in gleicher Weise Inhaber der Grundrechte des Grundgesetzes sind wie die Bürger der Bundesrepublik Deutschland. So ist auch die Wahrung der Aus- und Einreisefreiheit für alle Deutschen den Staatsorganen der Bundesrepublik durch das Grundgesetz zur verfassungsrechtlichen Pflicht gemacht worden 3 8 . Die Unmöglichkeit für die DDR-Bürger, dieses Recht auszuüben, ist deshalb kein Umstand, mit dem sich die Staatsorgane der Bundesrepublik beruhigen dürften. Jedes Verbot der Ausreise aus der DDR oder der Wiedereinreise, jede Zensur der Presse, jedes Versammlungsverbot, jede Behinderung der Religions- oder der Meinungsfreiheit, die über die Einschränkungsmöglichkeiten der im Grundgesetz gewährten entsprechenden Freiheitsrechte hinausgeht, ist eine Grundrechtsverletzung. Da nach Art. 1 III GG die gesamte Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland an die Grundrechte als "unmittelbar geltendes Recht" gebunden ist 3 9 , muß sie alles erdenkliche und in ihrer (staats- und völkerrechtlich allerdings begrenzten) Macht stehende tun, um solche permanenten Grundrechtsverletzungen (wo schon nicht zu verhindern, so doch) mindestens erträglicher zu gestalten oder allmählich zu verringern. Im Grundrechtsbezug des Art. 1 III GG aller 37
Die Kritik von J. Kokott, NVwZ 1988, 801 an der Entscheidung des BVerfG verkennt die
dynamische, zunkunftsorientierte Wirkung des Wiedervereinigungsgebots. 38
Vgl. Ress (Fn. 4), Rn. 86 mit Fn. 299. - Völkerrechtlich bestehen keine Hindernisse, daß die Bundesrepublik auch die Bürger der DDR als Staatsangehörige ansieht, vgl. Grawert (Fn. 15), Rn. 43. 39
Zur Bedeutung des Art. 1 III GG siehe zuletzt Schnapp, JuS 1989,1 ff. m.w.N.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
Staatsgewalt liegt letztlich auch die eigentliche Wurzel (und das eigentliche Ziel) des Wiedervereinigungsgebotes. Wie alle staatlichen Aufgaben läßt sich auch diese Pflicht zurückführen auf dem Zweck der Grundrechtsverwirklichung, so daß Art. 1 I des Entwurfs von Herrenchiemsee zutreffend formulierte: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen". Und dementsprechend normiert Art. 1 I als Eingangsartikel des Grundgesetzes "das unbedingte und in der Art seiner Realisierung unverfügbare oberste Prinzip der neuen Ordnung: Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, sie zu achten und zu schützen"40. Zusätzlich zu der aus Art. 1 III GG, dem Umfang der deutschen Staatsangehörigkeit und dem Wiedervereinigungsgebot herzuleitenden Rechtspflicht einer Grundrechtsverantwortung aller Träger öffentlicher Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber allen deutschen Staatsangehörigen gibt es hierfür auch einen "ethischen" Ansatz. Roman Herzog hat in seiner Ansprache vor dem Deutschen Bundestag am 17. Juni 1988 mit Recht daran erinnert, daß die "Eröffnungsbilanz 1948/49" der Deutschen in der DDR noch viel schlechter aussah als in der Bundesrepublik Deutschland: "Moralisch gibt es ... überhaupt keinen Grund dafür, daß sie die Folgen unserer Geschichte um so viel länger und um so viel bitterer tragen als wir. Sie hatten doch nur das Pech, im Frühjahr 1945 einige Kilometer östlicher zu wohnen als wir und unsere Eltern oder ihre Flucht nach dem Westen etwas früher abgebrochen zu haben als andere. Das ist der ganze Unterschied zwischen ihnen und uns ... Solche Menschen läßt man mit ihrem Schicksal nicht einfach allein" 4 1 .
40
Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1988, Rn. 116; Tomuschat, WDStRL 36 (1978), S. 44. Dazu, daß die Sicherung der Freiheit des einzelnen nach unserer Verfassung das eigentliche Ziel des Staates ist, die "Staatsaufgabe schlechthin" siehe Berg, Zum Einfluß des öffentlichen Rechts auf das Privatrecht, Die Verwaltung 1988, 323. Siehe auch BVerfGE 65, 1 (41 - Volkszählungsurteil): "Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt". In den Beratungen des Parlamentarischen Rates hatten insbesondere Carlo Schniid und Adolf Süsterhenn für einen Grundrechtsteil plädiert, der das Grundgesetz regiert, weil der Schutz der Grundrechte die vornehmste Aufgabe jedes Staates sei, vgl. Mußgnug (Fn. 6), Rn. 55 ff. m. w. N. 41
Vgl. Herzog (Fn. 15), S. 13 f. - Siehe auch P. Bender (Fn. 5), S. 263, der die deutsche Frage weniger national als sozial sieht. - Zum "ethischen Ansatz" für die Wiedervereinigung siehe auch Maunz, Kommentierung des Art. 20 I GG Rn. 6. - Schon der Allgemeine Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rates befürwortete eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit statt einer bloßen "Bundeszugehörigkeit", weil er in letzterer eine "zu starke Vernachläs-
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Der Lastenausgleich, der im Westen als selbstverständliches Gebot der sozialen Gerechtigkeit gewährt und angenommen worden ist, hat die Deutschen jenseits der Elbe nicht erreicht. Selbstverständlich bedeutet die verfassungsrechtlich und ethisch begründete Fürsorgepflicht der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Bürgern der DDR lediglich ein permanentes Angebot, ein dauerndes "Offenhalten der Tür"; daraus ergibt sich weder ein Zwang hinsichtlich der Staatsangehörigkeit noch hinsichtlich der Ausübung und des Schutzes der Grundrechte. Hierin liegt gerade ein Kennzeichen der freiheitlichen Grundordnung, daß sie niemandem aufgedrängt wird 4 2 . Aber das permanente Bemühen um Verbesserung des Grundrechtschutzes in der DDR, insbesondere das Bemühen um Freizügigkeit, um Informations- und Meinungsfreiheit bleibt der Bundesegierung von Verfassungs wegen aufgegeben. Sieht man das eigentliche Ziel des Wiedervereinigungsgebots darin, allen Deutschen in gleicher Weise den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte unverbrüchlich zu sichern, so wird mit jeder Verbesserung der Grundrechtswirklichkeit der Bürger der DDR zugleich ein Stück Wiedervereinigung verwirklicht. Eine der gravierendsten Grundrechtsverletzungen liegt noch immer in der Praxis an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR und in dem Eingemauertsein der Deutschen in Ostberlin. Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundlagenvertragsurteil erkannt, daß der Vertrag eine zusätzliche Rechtsgrundlage dafür abgibt, "daß die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Pflicht alles ihr Mögliche tut, um diese unmenschlichen Verhältnisse zu ändern und abzubauen" 4 3 . Auch dies ist ein Schritt auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Schließlich ist nochmals an die besonders fortgeschrittene Umweltzerstörung an der Grenze zur DDR und in der DDR zu erinnern 4 4 . Es ist inzwisigung der in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone lebenden Deutschen" sah, vgl. Schnapp, Kommentierung des Art. 73 Nr. 2 GG, Rn. 5. 42
Vgl. R. Bernhardt
(Fn. 8), S. 32; Grawert (Fn. 15), Rn. 46; Maunz (Fn. 41), Rn. 6; Ress
(Fn. 4), Rn. 74 f. Tomuschat , WDStRL 36, (1978), S. 12 Fn. 21 stellt klar, daß das "Offenhalten der Tür nach Osten" mittels der deutschen Staatsangehörigkeit ebenso selbstverständlich sein sollte, wie die Öffnung nach Westen mittels der "Gemeinschaftsbürgerschaft"; zugleich verstehe sich von selbst, "daß Wohl und Wehe der eigenen Staatsangehörigen die primäre Sorge der verantwortlichen Staatsführung" sein müsse (S. 44). 43
Vgl. BVerfGE 36, 1 (35); Dazu Ress (Fn. 4), Rn. 88. - Mit Recht fordert Seiffert , Das
ganze Deutschland, 1986, S. 210, daß die Beziehungen zur DDR nicht als Selbstzweck zu fördern sind, sondern nur zum Wohle der Menschen, um die Möglichkeiten zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu stärken.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
sehen allgemein anerkannt, daß der Umweltschutz eine fundamentale Grundrechtsdimension aufweist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, daß alle staatlichen Organe verpflichtet sind, sich auch durch Umweltschutzmaßnahmen schützend und fördernd vor die in Art. 2 II 1 GG garantierten Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen 4 5 . Gerade hier können und müssen in der Praxis - weit mehr als bisher - Konsequenzen daraus gezogen werden, daß auch die Bürger der DDR als deutsche Staatsangehörige Träger der Grundrechte im Sinne des Grundgesetzes sind. Die Bundesrepublik darf z. B. nicht tatenlos zusehen, wie Deutsche, die ihrer Fürsorgepflicht unterfallen, in ihrer Gesundheit nachhaltig geschädigt werden. Die im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes enthaltene Wahrungspflicht dürfte es nicht nur gebieten, "die Einheit des deutschen Volkes als des Trägers des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zukunftsgerichtet auf Dauer zu bewahren" 4 6 ; auch Leben und Gesundheit des einzelnen bedürfen der Sicherung. Mit Blumenwitz kann man es als ein wichtiges Ergebnis der Staatsangehörigkeits-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ansehen, daß das Gericht hier in die Diskussion der deutschen Rechtslage wieder ein "qualitatives Element" eingeführt hat, nämlich den "auf Freiheit und Demokratie gegründeten Legitimitätsvorsprung der Bundesrepublik gegenüber der DDR" 4 7 . Nun darf der Einsatz für die Verwirklichung der Grundrechte und für das Freiheitsverständnis des Grundgesetzes außerhalb seines Geltungsbereichs nicht dahin mißverstanden werden, hier würde einem "missionarischen Drang" das Wort geredet. "Die Legitimation, verfassungsrechtliche Postulate auch in der auswärtigen Politik als Direktiven zu betrachten, kann sich nicht aus einer angenommenen Überlegenheit des Grundgesetzes, sondern nur aus der Evidenz und Allgemeingültigkeit seiner Aussagen für die men-
44
Siehe dazu oben, Teil B zu Fn. 10 f. und Ress (Fn. 4), Rn. 94 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 321-327. 45
Vgl. BVerfGE 56, 54 (73). Siehe ferner Berg, Recht des Umweltschutzes, 1988, S. 488 ff.;
Kimminich, Umweltschutz - Prüfstein der Rechtsstaatlichkeit, 1987, S. 142 f. AA Vgl. BVerfGE 77,137 (151). Hervorhebung nur hier. 47
Vgl. Blumenwitz, JuS 1988, 610. - Die "sozialistischen Menschenrechte" sind keine Menschenrechte im Sinne von Gegenrechten gegenüber dem Staat oder gegenüber einer Mehrheit, sondern "politische Instrumente in der Hand der Staatsführung", vgl. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band I, 1983, S. 102, 160. Siehe auch Tomuschat (Fn. 40), S. 21: Der totalitäre Staat demonstriert "durch die physische Abschrankung der Grenzen seine umfassende Verfügungsmacht über das Individuum".
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des W i e d e r v e r e i n i g u n g s g e b o t e s 8 5
schliche Existenz schlechthin ergeben ... Menschenwürde ist ein Attribut jeder menschlichen Person und empfängt von daher auch als Verfassungsrechtssatz eine universalistische
Gel-
tungstendenz ..." 48.
Das Bekenntnis des Art. 1 I I GG zu den Menschenrechten "als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" verpflichtet die deutsche Staatsgewalt - auch in der Außenpolitik zu einer die Menschenrechte "stärkenden und weiterentwickelnden Politik" (Denninger). Der völkerrechtliche Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten hat inzwischen auch im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes in zunehmendem Maße Modifizierungen zugunsten auch völkerrechtlich anzuerkennender Individualrechte erfahren 4 9 . b) Insbesondere: Informationsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht Im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes hat das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes eine verfassungsrechtliche Hervorhebung gefunden. Dabei geht es - wie schon oben dargestellt - um die Frage, ob und wie die staatliche Einheit für das deutsche Volk durch dessen freie Entscheidung wiederhergestellt werden soll 5 0 . In seinem Beschluß zur deutschen Staatsangehörigkeit sieht das Bundesverfassungsgericht den Umstand, daß die Spaltung Deutschlands nicht vom Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes gedeckt ist, als ausschlaggebend dafür an, daß die Einbeziehung der Staatsbürger der DDR in die deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne des deutschen Grundgesetzes nicht dem allgemeinen Völkerrecht widerspricht 5 1 .
48
Vgl. Tomuschat (Fn. 40), S. 44 f. Hervorhebung nur hier. 49
Vgl. Denninger, Die Grundrechte, Art. 1 Abs. 2, 3, Rn. 15 (die "Basisfunktion der Menschenrechte"): Zur Schwierigkeit, die "Grenze zwischen dem - auch international - gebotenen Eintreten zur Förderung der Menschenrechte und andererseits der unerlaubten Intervention" zu ziehen. - Dazu, daß auch das Wiedervereinigungsgebot nicht in Konflikt mit dem Interventionsverbot steht, E. Klein (Fn. 7), S. 66. so Vgl. nur Ress (Fn. 4), Rn. 55 und oben zu Fn. 18 ff. 51
Vgl. BVerfGE 77, 137 (171) und die Nachweise zur Bedeutung des empirischen Willens im Hinblick auf die Wiedervereinigung oben, Fn. 4. Mit Recht legt das BVerfG bei seiner Argumentation besonderes Gewicht auf das Selbstbestimmungsrecht; aber es ist unsinnig, mit Gusseck, NJW 1988, 1303 abzuzählen, daß dabei das Selbstbestimmungsrecht "schon nume-
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
Nun trifft natürlich nicht "das Volk", das als solches weder entscheidungsnoch handlungsfähig ist, eine solche Entscheidung, sondern nur jeder einzelne. So wie die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages durch das Volk gem. Art. 38 I S. 1, 20 II S. 2 GG millionenfach-individuelle Wahlentscheidungen der einzelnen Bürger voraussetzt, ebenso setzt auch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes eine riesige Zahl freier Einzelentscheidungen über Einheit oder Teilung Deutschlands voraus. Es ist danach die Ausübung des individuellen Menschenrechts der Meinungsfreiheit, ohne die sich die freiheitliche Demokratie und damit auch die Einheit Deutschlands in Freiheit nicht konstituieren könnten. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht deshalb schon früh und seitdem immer wieder die exzeptionelle Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit als (in gewissem Sinne) "Grundlage jeder Freiheit überhaupt" herausgehoben und ausgesprochen: "Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der (Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de V homme nach Art. 11 der Erklärung der Menschenund Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlichdemokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebensclement ist"
Das klassische Menschenrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit kann diese seine demokratischen Funktionen nur erfüllen, wenn dem Bürger hinreichende Informationen zur Verfügung stehen, auf deren Grundlage er seine Meinung frei bilden und äußern kann. Bis zum Jahre 1945 kennt die deutsche Verfassungsgeschichte allerdings kein eigenständiges Grundrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Als Teil des Art. 5 I S. 1 wurde das Grundrecht der Informationsfreiheit unter dem unmittelbaren Eindruck der Erfahrungen mit totalitärer Propagandapolitik formuliert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung über die Verfassungswidrigkeit der Einziehung eines aus der DDR zugesandten Exemplars der "Leipziger Volkszeitung" gerade diese Aspekte der Entstehungsgeschichte herangezogen, um dem Grundrecht der Informationsfreiheit ein Höchstmaß an Effektivität zu sichern:
risch" im Vergleich zur "Wiedervereinigung" zum zentralen Begriff werde: In Satz 3 der Präambel ist die "freie Selbstbestimmung" des deutschen Volkes die Voraussetzung für die Wiedervereinigung. 52
Vgl. BVerfGE 7, 198 (208 - Lüth). Zum aktuellen Stand siehe nur Degenhart, Kommen-
tierung des Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 7, 38, 54; Schmidt-Jortzig, freiheit, 1989, § 141 Rn. 6 ff. (S. 639 ff.).
Meinungs- und Informations-
. Verfassungsrechtliche
e r u n g des W i e d e r v e r e i n i g u n g s g e b o t e s 8 7
"Mit zunehmender Informiertheit erkennt der Bürger Wechselwirkungen in der Politik und ihre Bedeutung für seine Existenz und kann daraus Folgerungen ziehen; seine Freiheit zur Mitverantwortung und zur Kritik wächst. Nicht zuletzt können die Informationen den Einzelnen befähigen, die Meinungen anderer kennenzulernen, sie gegen einander abzuwägen, damit Vorurteile zu beseitigen und Verständnis für Andersdenkende zu wecken ... Dieser Aspekt des Auswählenkönnens ist der Grundtatbestand jeder Information ... Dem Einzelnen soll ermöglicht werden, sich seine Meinung auf Grund eines weit gestreuten Informationsmaterials zu bilden. Er soll bei der Auswahl des Materials keiner Beeinflussung durch den Staat unterliegen. Da die Informationsfreiheit infolge ihrer Verbindung mit dem demokratischen Prinzip gerade auch dazu bestimmt ist, ein Urteil über die Politik der eigenen Staatsorgane vorzubereiten, muß das Grundrecht vor Einschränkungen durch diese Staatsorgane weitgehend bewahrt werden ... Wenn die Informationsquelle an irgendeinem Ort allgemein zugänglich ist, mag dieser auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland liegen, dann kann auch ein rechtskräftiger Einziehungsbeschluß nicht dazu führen, dieser Informationsquelle die Eigenschaft der allgemeinen Zugänglichkeit zu nehmen"
Niemand kann derzeit wissen, wie sich die Bürger der DDR die Verfassung eines gesamtdeutschen Staates vorstellen; vermutet wird lediglich, daß das Muster der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne weiteres akzeptiert würde 5 4 . Angesichts der freiheitlichen Prämisse des Grundgesetzes würde das Grundgesetz selbst die Ablehnung der Wiedervereinigung durch ein entsprechendes Votum der Bevölkerung der DDR hinnehmen 5 5 . Unabdingbare Voraussetzung wäre jedoch - wie bei jeder fundierten, verantwortlichen Meinungsäußerung -, daß die Möglichkeiten einer freien und umfassenden Information bestehen. Unabhängig vom Wiedervereinigungsgebot und unabhängig auch von der betonten "Völkerrechtsfreundlichkeit" des Grundgesetzes entspricht die Tendenz der Offenheit für grenzüberschrei-
53
Vgl. BVerfGE 27, 71 (80 ff. - Leipziger Volkszeitung). Auch im Fall BVerfGE 27, 88
(Der Demokrat) ging es um die Beschränkung des Zugangs von Druckwerken aus der DDR durch Behörden der Bundesrepublik. Siehe ferner Degenliart roth/Schlink,
(Fn. 52), Rn. 12 ff.; Pie-
Grundrechte - Staatsrecht II, 1988, Rn. 638 ff.; Schmitt Glaeser, Jura 1987, 570 f.
mit umf. w. N.; siehe dort auch S. 568: Die "Möglichkeit einer freien umfassenden Information" ist Voraussetzung für die Chance fundierter Meinungsbildung; Schmidt-Jortzig
(Fn. 52), Rn. 28
ff. (S. 650 ff.). 54 55
Siehe dazu Röper, DÖV 1988,499.
So mit Recht E. Klein (Fn. 7), S. 71, 65 und ganz deutlich BVerfGE 77, 137 (151): Erst wenn eine Trennung der DDR von Deutschland "durch eine freie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts besiegelt wäre", ließe sich die in der DDR ausgeübte Hoheitsgewalt aus der Sicht des Grundgesetzes "als eine von Deutschland abgelöste fremdstaatliche Gewalt qualifizieren".
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
tende Informationen auch bereits der im Grundrecht der Informationsfreiheit selbst angelegten internationalen Öffnung 5 6 . Die Freiheitlichkeit des Staatswesens ist unteilbar - nach innen wie nach außen. Im freiheitlichen Verfassungsstaat sind die grenzüberschreitenden Kommunikationsprozesse kein Privileg der organisierten Hoheitsgewalt; vielmehr beruht der internationale Verkehr "ganz überwiegend von Verfassungs wegen auf autonomen individuellen Entscheidungen" . Eine der schwersten, das Zonenrandgebiet geradezu kennzeichnenden Belastungen liegt in dem über Jahrzehnte andauernden Kommunikationsverlust in einem sehr weiten Sinne 5 8 . Jede Maßnahme der Bundesrepublik Deutschland, die darauf gerichtet ist, den Informationsstandard der Bürger in der DDR (und der Bürger der Bundesrepublik Deutschland über die DDR) nachhaltig zu verbessern, trägt dazu bei, eine freie Entscheidung des deutschen Volkes über seine künftige staatliche Organisation zu ermöglichen - eine unverzichtbare Bedingung der Wiedervereinigung. Das bedeutet zugleich Hilfe für die Bürger im Zonenrandgebiet und einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der Grund und Menschenrechte.
II. Wiedervereinigung und Völkerrecht Unter der Überschrift: "Die Einbettung in Hegemonialstrukturen" faßt Georg Ress die Gründe für den Fortbestand der deutschen Teilung sehr prägnant dahin zusammen, daß darin einmal ein "erwünschtes Mittel zur Zügelung einer erneuten deutschen Großmachtpolitik" gesehen und daß dadurch zum anderen eine "schwer erträgliche Stärkung des politischen Gegenspielers" vermieden werden soll 5 9 . Vornehmlich den ersten Gesichtspunkt haben die Siegermächte durch ein umfassendes System von (Mit-) Verantwortlichkeiten und Vorbehalten in den Griff zu bekommen versucht. Dazu im folgenden. Der zweite Gesichtspunkt, weitgehend eine Begleiterscheinung des unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg ausbrechenden "Kalten Krieges" war im wesentlichen Anlaß, das Provisorische des Grund-
56
Vgl. Degenhart (Fn. 52), Rn. 280. Umfassend zur universalen Bedeutung und zur natur-
rechtlichen Begründung der Informationsfreiheit Gornig, Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988. 57
Vgl. Tomuschat (Fn. 40), S. 19 f.
58
Dazu oben im Text, Teil B zu Fn. 3 ff.
59
Vgl. Ress (Fn. 4), Rn. 1. Siehe zu diesen beiden (dort als quantitative und qualitative Aspekte bezeichneten) Fragen oben zu Fn. 7 f.
II. Wiedervereinigung und V e r r
89
gesetzes und das Wiedervereinigungsgebot überhaupt in das Grundgesetz einzubringen in der Hoffnung auf eine weltpolitische Entspannung. Allein durch deutsches Recht und deutsche Politik, ohne Zutun der Weltpolitik, wird sich weder der eine noch der andere Grund für die fortbestehende deutsche Teilung beiseiteräumen lassen.
1. Viermächte-Recht und Deutschlandvertrag Die Siegermächte haben auf die Niederlage des deutschen Reiches im zweiten Weltkrieg nicht mit einer Vernichtung Deutschlands reagiert; es gibt auch keinerlei Belege dafür, daß die Alliierten das Deutsche Reich untergehen lassen wollten . Mit der Berliner Erklärung vom 5. 6. 1945 übernahmen die Vier Mächte zwar die oberste Regierungsgewalt in Deutschland; aber sie annektierten Deutschland nicht als "herrenloses Territorium". Hierdurch, ferner bereits durch das Londoner Protokoll vom 12. 9.1944 und durch die Potsdamer Beschlüsse - die letzten umfassenden Vereinbarungen der Siegermächte - wurde eine Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes begründet, auf die auch die Sowjetunion niemals verzichtet hat 6 1 . Ebenso haben die Westmächte in ihren Noten zu den Ostverträgen klargestellt, daß auch diese Verträge die Rechte und Verantwortlichkeiten aller Vier Mächte nicht berührt haben. Konkrete Aussagen zur Wiedervereinigung Deutschlands sind den Rechtsgrundlagen zur Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes jedoch nicht zu entnehmen. Allerdings sichert der immer wieder gebrauchte Begriff "Deutschland als Ganzes" (Germany as a whole) den Vier Mächten "die letztverbindliche Entscheidung über alle Rechtsvorgänge, die den Status Deutschlands, einschließlich der territorialen Fragen, betreffen" 6 2 .
60
Siehe nur R. Bernhardt (Fn. 10), Rn. 5; Maunz (Fn. 20), Rn. 6; Rauschning (Fn. 7), S. 26 ff.; Ress (Fn. 4), Rn. 5, 47; BVerfGE 77,137 (154 ff.). Siehe auch A. G. Maurer, Die staatsangehörigkeitsrechtlichen Beziehungen geteilter Staaten, 1988, S. 190 ff. (Die deutsche Teilung ist rechtlich nicht abgeschlossen). 61
Vgl. BVerfGE 77,137 (157 ff.) mit umfassenden Nachweisen; Scholz (Fn. 14), Rn. 3 m. N. in Fn. 2 zu Rn 1 zur Begründung der Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin. - Zu den Fortschreibungen der alliierten Rechtspositionen siehe Ress (Fn. 4), Rn. 10 ff. m. N. in Fn. 44 ff.; mit guten Gründen geht Ress (Fn. 4), Rn. 81, davon aus, daß der Zeitablauf eher eine Verfestigung und Verstärkung der Position der Vier Mächte mit sich gebracht hat als eine Abschwächung. 62
Vgl. Ress (Fn. 4), Rn. 48.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
Deutlicher ist hier der Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Deutschlandvertrag) vom 26. 5. 1952. Gemäß Art. 1 I dieses Vertrages wird zwar mit seinem Inkrafttreten (am 5. 5. 1955) das Besatzungsregime beendet, und gemäß Art. 1 II wird die Bundesrepublik dann "die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben". In Art. 2 Satz 1 Deutschlandvertrag heißt es sodann jedoch: "Ini Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrags verhindert hat, behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung".
Läßt sich darin eine weiterbestehende Einschränkung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sehen, so enthält Art. 7 II Deutschlandvertrag eine gemeinsame Verpflichtung der Drei Mächte, die Bundesrepublik bei der Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Vollendung des Wiedervereinigungsgebotes zu unterstützen: "Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist".
Schließlich erscheint die Wiedervereinigung Deutschlands noch in der Revisionsklausel des Art. 10 I a) Deutschlandvertrag. Geht man davon aus, daß durch den Fortbestand der Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes auch mit dem Deutschlandvertrag keine volle Souveränität der Bundesrepublik erreichbar war, dann liegt im Hinblick auf die Wiedervereinigung die besondere Bedeutung dieses Vertrages in der gemeinsamen Verpflichtung der Westmächte auf die Wiedervereinigung als Ziel ihrer eigenen Politik. Für sich allein oder in bilateralen Verträgen können weder die Bundesrepublik Deutschland, noch die DDR noch die Westmächte - je für sich, vereint oder auch gemeinsam mit der Sowjetunion - über Deutschland als Ganzes verfügen: Sie können also weder die Wiedervereinigung herbeiführen noch Deutschland als Ganzes aufteilen 6 3 . Wohl aber hat die Bundesrepublik Deutschland bei ihrem Bemühen
63
Vgl. R. Bernhardt
(Fn. 10), Rn. 10 f., 38; Doehring, NJW 1982, 2213; Hesse (Fn. 40), Rn.
100, 763; E. Klein (Fn. 7), S. 70, 73; Meissner, Die Frage des Friedensvertrages mit Deutschland vom Potsdamer Abkommen bis zu den Ostverträgen, 1985, S. 217 ff.; Mußgnug (Fn. 6), Rn. 12; Rauschning (Fn. 7), S. 32 f., 36, 41; Röper, DÖV 1988, 496; Seiffert
(F . 15), S. 128;
II. Wiedervereinigung und V e r r
91
um die deutsche Einheit nunmehr gewichtige Verbündete, die unverzichtbar sind, wenn es gilt, die beiden eingangs genannten, hochkomplexen weltpolitischen Hindernisse für eine Wiedervereinigung Deutschlands abzubauen. Zu Recht hat deshalb auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Staatsangehörigkeitsbeschluß die völkerrechtlichen Grundlagen dafür, daß an der Einheit der deutschen Nation festgehalten werden kann, ganz in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellt 64 .
2. Das Selbstbestimmungsrecht Bei den staatsrechtlichen Überlegungen zur Grundlegung des Wiedervereinigungsgebotes wurde dargelegt, daß die in Satz 3 der Präambel des Grundgesetzes hervorgehobene "freie Selbstbestimmung" des deutschen Volkes die zentrale Voraussetzung für die Wiedervereinigung ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Umstand in seinem Staatsangehörigkeitsbeschluß geradezu "ausschlaggebende" Bedeutung dafür beigemessen, daß die Aufrechterhaltung einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit mit dem Ziel der Wiederherstellung der vollen staatlichen Einheit dem allgemeinen Völkerrecht nicht widerspricht 6 5 . Nun darf die Bedeutung des all-
Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1984, S. 511 f.; Zieger (Fn. 26),S. 297. - Daß der Beitritt der Bundesrepublik zur EWG nichts an der bestehenden völkerrechtlichen Lage geändert hat, ergibt sich schon aus Art. 234 EWGV; dazu BeutlerIBieber/Pipkom/Streil, Die EG, 1987, S. 74, 512. - Allerdings ist zu beachten, daß auch das Deutschlandvertragswerk ursprünglich nur als vorläufige Regelung konzipiert war, vgl. Grewe, Der Übergang vom Besatzungsregime zu den Verträgen von Bonn und Paris, 1985, S. 8. 64
Vgl. BVerfGE 77, 137 (153 bis 167); dies wird von Gusseck, NJW 1988,1303 ff. zutreffend hervorgehoben. Vgl. auch Horn/Mampel, Die deutsche Frage aus der heutigen Sicht des Auslandes, 1987, S. 12: Eine Lösung ist nur im europäischen Verbund möglich. - In seiner Dokumentation "Die Ostverträge im Lichte des internationalen Vertragsrechts", 1982, S. 50 stellt Blumenwitz fest, daß es der Bundesrepublik auch in völkerrechtlich relevanter Weise gelungen sei, "dem Rechtsschein einer endgültigen Regelung entgegenzuwirken". - Zuleeg (Fn. 14), Rn. 76 betont die Bedeutung des Zusammenwirkens zwischen der Bundesregierung und den Siegermächten, um die "Reste der nationalen Einheit" zu erhalten. - Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 96 ff. (§ 4, Rn. 9) zeigt auf, daß auch die drei EG-Verträge die Sonderfragen, die sich aus der deutschen Teilung ergeben, berücksichtigen und die Einheit Deutschlands respektieren. 65
Vgl. BVerfGE 77, 137 (161) und oben, zu Fn. 51 ff. zugleich zur engen Verbindung zwischen freier Selbstbestimmung und Informationsfreiheit. E. Klein (Fn. 14), S. 162 sieht mit
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
gemeinen Völkerrechts nicht überschätzt werden. Denn da das Völkerrecht "auch künftig kein Recht der Völker sondern ein Recht der Staaten sein wird, ist ein Volk - trotz seines Selbstbestimmungsrechts - solange schutzlos, wie sich nicht Staaten seiner Rechte annehmen" 6 6 . Der qualitative Kern des Problems der deutschen Teilung ist jedoch kein nationaler, sondern ein weltpolitischer. Die Bedingungen, unter denen das deutsche Volk von seinem Selbstbestimmungsrecht in freier Weise Gebrauch machen kann, können keinesfalls allein von den Deutschen festgelegt, geschweige denn geschaffen werden. Bei seinen Bestrebungen um Wiedervereinigung ist Deutschland deshalb darauf angewiesen, daß sich möglichst viele Staaten seines Selbstbestimmungsrechts annehmen - dafür kann aber das Völkerrecht die besten Grundlagen bieten. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist eine markante Schöpfung der neueren Völkerrechtsentwicklung 6 7 . Sicherlich hat sich dieses Recht aus dem jahrhundertelangen Dekolonisierungsprozeß heraus entwickelt; aber es würde dem heutigen Stand des Völkerrechts nicht mehr entsprechen, den Anwendungsbereich dieses Rechts auf die historische Phase des Befreiungskampfes gegen Kolonialherrschaft zu beschränken. Denn auch weiterhin setzen sich die Vereinten Nationen gemäß Art. 1 Nr. 2 UN-Charta das Ziel, "freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen";
und auch weiterhin findet sich der Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker z.B. in Art. 55, 73 ("Selbstregierung") UN-Charta, in Art. 2 Nr. 2 ("Selbstregierung") der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Art. 1 I S. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte ("alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung") und wortgleich in Art. 11 S. 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ferner in Korb 1 VIII der KSZE-Schlußakte vom 1. 8. 1975 ("Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker") etc. Die Recht im Selbstbestimmungsrecht den Kern des Wiedervereinigungsgebots; ebenso Seiffert (Fn. 15), S. 124; Waitz von Eschen, BayVBl 1989, 330. 66
So Blumenwitz, JuS 1988, 613.
67
Zur Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts als einem Grundsatz des universalen
Völkerrechts vgl. nur BVerfGE 77, 137 (161); Zieger (Fn. 26), S. 298. - Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsnatur des Selbstbestimmungsrechts der Nationen im geltenden Völkerrecht siehe Doehring, Das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation, 1983, S. 556 ff.; Meissner, Sowjetunion und Selbstbestimmungsrecht, 1962, S. 36 ff. (zum Rechtscharakter des Selbstbestimmungsrechts der Völker).
II. Wiedervereinigung und V e r r
93
aktuelle Geltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker als Rechtssatz läßt sich danach nicht mehr bestreiten. Im Hinblick auf die deutsch-deutsche Situation tritt - zu dem allgemeinen Völkerrechtssatz - der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (Grundlagenvertrag) vom 21. 12. 1972 als Rechtsgrundlage hinzu. In Art. 2 des Grundlagenvertrages wird nämlich nicht nur auf die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Ziele und Prinzipien Bezug genommen; vielmehr werden dort Selbstbestimmungsrecht und Wahrung der Menschenrechte explizit genannt. Art. 3 I I Grundlagenvertrag schwächt diese Hervorhebung des Selbstbestimmungsrechts nicht ab. Nach dieser Vorschrift bekräftigen die Vertragspartner "die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität".
Schon die Verwendung der Begriffe "Unverletzlichkeit" der Grenze und der "territorialen Integrität" läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß jede gewaltsame Änderung verboten werden soll. Freie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts und Gewalt schließen einander im übrigen begriffsnotwendig aus 6 8 . Allerdings zielt die Auffassung der DDR auch nicht darauf ab, die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in Frage zu stellen; sie läuft vielmehr auf ein recht spezielles Verständnis dieses Rechts hinaus, das sich mit dem Verständnis in einer freiheitlichen Demokratie nicht vereinbaren läßt. Die DDR ist der Ansicht, ihre Bevölkerung habe sich spätestens mit der Abstimmung über die Verfassung vom 6. 4. 1969 "für die sozialistische Gesellschaftsordnung ... unwiderruflich entschieden". Diese Entscheidung sei nach gründlichen demokratischen Diskussionen getroffen worden unter Einbeziehung des Aspektes der "sozialen Emanzipation" 6 9 . 68
Der Grundlagenvertrag wird häufig als weitere Begründung des Selbstbestimmungsrechts in Deutschland herausgehoben, vgl. Hacker (Fn. 4), S. 154,156; Doehring (Fn. 67), S. 570 f.; Ress (Fn. 4), Rn. 58; Zieger (Fn. 26), S. 298. - Allerdings sehen die Unterzeichner-Staaten aus Osteuropa in der Schlußakte der KSZE-Konferenz den "endgültigen Ausschluß der Wiedervereinigung", vgl. Maunz (Fn. 20), Rn. 17; dabei wird jedoch ebenfalls nicht das Selbstbestimmungsrecht, sondern nur das Gewaltverbot berücksichtigt. Zum Gewaltverbot siehe bereits oben, zu Fn. 30 f. m. z. N. 69
Zitiert nach Blumenwitz (Fn. 64), S. 34; siehe auch Dolzer (Fn. 17), Rn. 9. - Nachweise zur Stellung der Sowjetunion zum Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes und Quellenangaben dazu von 1925 bis 1961 bei Meissner (Fn. 67), S. 118 ff., 398 ff. (Quellen).
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedevereinigungsgebotes
Diese Argumentation übersieht jedoch, daß nicht der abstrakte Begriff "Volk" über die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts entscheiden kann, sondern ausschließlich jeder einzelne in einer freien Abstimmung und unter der Voraussetzung möglichst umfassender Information über Inhalt und Folgen der Alternativen. Dies entspricht nicht nur der Analyse der innerstaatlich wirkenden Grundrechte der Informations- und der Meinungsfreiheit; dies entspricht auch dem gefestigten Standard des universalen Völkerrechts, wonach nunmehr "auch die völkerrechtlichen Rechtsstrukturen auf die men70
schliche Person als obersten Rechtswert ausgerichtet sind" . In diesem Sinne hat das "deutsche Volk", haben die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und die Menschen in der DDR bislang keine Gelegenheit gehabt, sich zur Wiedervereinigung oder zur Loslösung aus dem überlieferten Staatsverband verantwortlich zu entscheiden. Das universale Völkerrecht gibt auch dem gesamten deutschen Volk einen Anspruch auf freie Entscheidung über seinen politischen Status. Keines der beiden Teilvölker kann darüber allein bestimmen. Das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland ist ein anderes Subjekt als das gesamtdeutsche Volk, auch wenn es sich aus der Mehrheit der Angehörigen des deutschen Volkes zusammensetzt. Eine Majorisierung der Bürger der DDR durch die Bürger der Bundesrepublik Deutschland ist dabei ausgeschlossen. Jede auf fairen Abstimmungsbedingungen beruhende Entscheidung muß respektiert werden 7 1 .
70
Vgl. Tomuscftat (Fn. 40), S. 50-53; siehe auch dort (S. 53) den Hinweis: "Kein Staat besitzt ein Interpretationsmonopol, und der Eigendynamik eines fixierten Textes vermag er sich auf die Dauer nicht zu entziehen". - Zum verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen Informationsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht siehe unter diesem Aspekt oben, zu Fn. 50 ff. - Zu den Menschenrechten als Legitimationsgrundlage des Staates siehe oben zu Fn. 40 ff. 71
Vgl. R. Bernhardt (Fn. 8), S. 22; Dolzer (Fn. 17), Rn. 18; Grawert (Fn. 15), Rn. 20; E. Klein (Fn. 7), S. 59, 66, 70, 73; besonders ausführlich, unter Darlegung möglicher Alternativen, Murswiek (Fn. 28), S. 256 ff. - Im Ergebnis ebenso Doehring (Fn. 67), S. 563 f., allerdings mit unklaren Hinweisen dazu, das westdeutsche Staatsvolk könnte aufgrund internationaler Verpflichtungen, z.B. aufgrund Art. 7 Deutschlandvertrag, gezwungen sein, von seinem Selbstbestimmungsrecht (nur) einen "bestimmten Gebrauch zu machen": Ein so verstandenes Recht auf "freie Selbstbestimmung" wäre ein Widerspruch in sich! - Unnötige Mißverständnisse provoziert auch die immer wieder anzutreffende Formulierung, es gebe (in bestimmten Punkten) keine "offene deutsche Frage", vgl. Geiger, EuGRZ 1986, 124; Wilhelm, ZRP 1986, 273: Wie das deutsche Volk zur Wiedervereinigung entscheiden wird, ist eben bis zur Entscheidung offen - sonst bedürfte es weder der Entscheidung noch des Rechts auf Selbstbestimmung. Zur begriffsnotwendigen Offenheit des Ergebnisses einer Ausübung des freien Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes siehe oben, zu Fn. 55.
II. Wiedervereinigung und V e r r
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Würde dem deutschen Volk allerdings auf Dauer die Ausübung seines völkerrechtlich begründeten Rechts auf freie Selbstbestimmung versagt bleiben, dann hätte das nachhaltige negative Auswirkungen auf die Autorität der Völkerrechtsordnung. Zugleich bedeutete dies eine schwere Belastung der friedlichen und freiheitlichen Entwicklung in Europa. Der derzeit bestehende territorale Zustand in Mitteleuropa ist mit dem Odium behaftet, auf völkerrechtswidrige Weise zustandegekommen zu sein. Dieser Makel kann nur durch Ausübung des Selbstbestimmungsrechts getilgt werden. Die friedenstiftende und friedenerhaltende Funktion dieses Rechts, die in der UNCharta, in den internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte und in der KSZE-Schlußakte erkannt und anerkannt worden ist, T2 muß auch in Europa zur Wirkung gebracht werden . 3. Potentielle Auswirkungen einer Wiedervereinigung
Deutschlands
Ging es in diesem Abschnitt bisher um die völkerrechtliche Fundierung des Rechts auf Wiedervereinigung aus völkerrechtlichen Verträgen und aus dem Selbstbestimmungsrecht, so sollen abschließend Ausblicke auf mögliche - im wesentlichen politische - Auswirkungen einer Wiedervereinigung Deutschlands auf das Zusammenleben der Völker in Europa versucht werden. In seinem Referat "Deutschland nach 30 Jahren Grundgesetz" auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1979 in Berlin hat Rudolf Bernhardt in seiner ersten Bemerkung zur Verfassungsauslegung die notwendige Einbeziehung völkerrechtlicher Befunde und "internationaler Lagen" betont: Speziell das Grundgesetz sei "weltoffen" zu interpretieren. Ergänzend hat er einen weiteren internationalen Aspekt erwähnt: "Die Auslegung der nationalen Verfassung sollte international möglichst glaubwürdig und verständlich sein"73.
Zur Entstehungszeit des Grundgesetzes stellte sich die weltpolitische Lage so dar, daß eine "normale" Verfassung für Deutschland insgesamt nicht ge72
Vgl. Murswiek (Fn. 28), 260; Seiffert (Fn. 15), S. 125. - Gefahren bei einer dauernden Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts sehen Horn/Mampel (Fn. 64), S. 9; siehe dort auch Mtnudier, S. 49, wonach aus der Sicht der Franzosen auch die fortdauernde Teilung einer Nation für den Frieden in Europa als gefährlich angesehen wird. - Siehe auch Kriele, Menschenrechte und Friedenspolitik, 1984, S. 685, der die Alternative formuliert: "Friede durch Recht, oder: Weder Recht noch Friede". 73
Vgl. R. Bernhardt (Fn. 8), S. 11.
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
schaffen werden konnte. Die verheerenden Folgen großdeutscher Politik unter nationalsozialistischer Herrschaft und der aufkommende "Kalte Krieg" mit seiner Blockbildung zwischen Ost und West führten zu Vorbehalten der Siegermächte hinsichtlich der Souveränität Deutschlands und zum Provisorischen des Grundgesetzes. Die Bezeichnung einer Verfassung als "Grundgesetz" in der auf die eigene Ablösung abzielenden Bedeutung "hat in der internationalen Staatenpraxis keine Parallele" 7 4 . Mit der Erreichung des "Staatsfundamentalziels" der Wiedervereinigung würde zugleich die Anomalie einer auf Unvollständigkeit gegründeten und auf ihren Gültigkeitsverlust abzielenden Verfassungsordnung beseitigt - ein entscheidender Schritt in Richtung auf internationale Verständlichkeit der deutschen Verfassung. Mit der Wiedervereinigung entfielen zugleich die Souveränitätsvorbehalte der Siegermächte für "Deutschland als Ganzes" 7 5 . Dabei wäre allerdings die Wiederherstellung der deutschen Einheit in keinem Fall Sache der Deutschen allein: Darin liegt aber keine Schwächung dieses Rechts, sondern gerade seine Stärke, nämlich in der internationalen gemeinschaftlichen Anstrengung mit dem kongruenten internationalen und deutschen Ziel der Sicherung von Frieden und Freiheit in der Welt. Die dynamische Weiterentwicklung der Staatengemeinschaft seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, insbesondere die Fortschritte im Völkerrecht und die nicht mehr umkehrbare Einrichtung und Entwicklung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa haben auch Deutschland als Ganzes - weit über die historisch begründeten vertraglichen Vorbehalte der Siegermächte hinaus - in den weltweiten Prozess der Entspannung, der Förderung von Frieden und Freiheit unlösbar eingebunden. Die Wiedervereinigung würde Deutschland nicht in die nationalstaatliche Isolation entlassen. Deutschland würde zu einem gleichberechtigten, auf Friedenssicherung und Freiheitsförderung in der Welt hin verpflichteten Glied in der Kette der europäischen Staaten - entsprechend der Zielsetzung im 1. Satz der Präambel des Grundgesetzes. Anstelle des mit der deutsch-deutschen Grenze verbundenen Zustands permanenter Spannung in Europa und in der Welt träte ein Zentrum der Stabilität, des Friedens und der Freiheit: Darauf gerichtet zu sein, macht die Auslegung des Grundgesetzes international in der Tat glaubwürdig 7 6 . 74
Siehe dazu die rechtsvergleichenden Hinweise bei Murswiek (Fn. 9), unter III (nach Rn. 61). - Zum vorläufigen Charakter des Grundgesetzes siehe oben, zu Fn. 9 ff. 75 Näher dazu oben, zu Fn. 59 ff. 76
Siehe auch Starck, Frieden als Staatsziel, 1984, S. 871 ff. (speziell zur komplexen Bezie-
hung zwischen Frieden und Freiheit).
III. Zusammenfassung
97
Es gilt zu erkennen, daß die historischen Bedingungen der Teilung Deutschlands angesichts dieser Zielsetzungen ein Stück Geschichte werden müssen, so wie inzwischen die deutsch-französische Rivalität oder die Glaubenskriege innerhalb der christlichen Kirchen.
III. Zusammenfassung 1.
Eine Ursache der Teilung Deutschlands ist der vom Deutschen Reich unter nationalsozialistischer Führung begonnene und verlorene zweite Weltkrieg.
2.
Eine weitere Ursache für den Fortbestand zweier Staaten in Deutschland liegt in dem nach dem zweiten Weltkrieg ausgebrochenen OstWest-Konflikt und in der Teilung der Welt in sowjetische und amerikanische Einflußsphären.
3.
Das Grundgesetz ist auf Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands hin konzipiert. Das aus der Präambel des Grundgesetzes und aus Art. 146 GG zu entnehmende Wiedervereinigungsgebot kann als "Staatsfundamentalzier durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht abgeschafft werden.
4.
Das Wiedervereinigungsgebot auferlegt allen Verfassungsorganen die Rechtspflicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das gesamte deutsche Volk in freier Entscheidung seine staatliche Einheit wiederherstellen kann.
5.
Beispiele für die Konkretisierung dieser Rechtspflicht finden sich im Staatsangehörigkeitsrecht, in den Bereichen Raumordnung, Planung und Zonenrandförderung, bei der Förderung deutsch-deutscher Begegnungen, beim Umweltschutz oder im innerdeutschen Handel.
6.
Gewaltanwendung ist als Mittel zur Wiederherstellung staatlicher Einheit Deutschlands von vornherein ausgeschlossen. Wiedervereinigung zielt auch nicht auf Vergrößerung des Staatsgebietes der Bundesrepublik Deutschland, sondern allein auf Einheit Deutschlands durch freie Entscheidung.
7.
Das Festhalten an einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit ist nicht nur Voraussetzung der Wiedervereinigung im organisatorischen Sinne, sondern vor allem Voraussetzung dafür, daß alle Deutschen in gleicher Weise einen Anspruch auf Schutz ihrer Menschen- und Bürgerrechte erlangen; mit jeder Verbesserung der Grundrechtswirklich-
D. Verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebotes
keit der Bürger der DDR wird so ein Stück Wiedervereinigung verwirklicht. 8. Bei der Verwirklichung des Rechts auf freie Selbstbestimmung als weiterer Voraussetzung der Wiedervereinigung kommt dem Grundrecht der Informationsfreiheit und der Verbesserung der gegenwärtigen Informationsmöglichkeiten in beiden Teilen Deutschlands fundamentale Bedeutung zu. 9. Die Siegermächte haben sich weiterhin Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Deutschland als Ganzes vorbehalten. 10. Die besondere Bedeutung des Deutschlandvertrages liegt in der durch die Westmächte übernommenen Verpflichtung, mit friedlichen Mitteln auf die Wiedervereinigung Deutschlands als gemeinsam mit der Bundesrepublik zu erreichendes Ziel hinzuwirken. 11. Das im universalen Völkerrecht inzwischen verfestigte Selbstbestimmungsrecht der Völker gibt auch dem gesamten deutschen Volk einen Anspruch auf freie Entscheidung über seinen politischen Status. Bislang hat das deutsche Volk keine Gelegenheit gehabt, sich zur Frage der Wiedervereinigung verantwortlich zu entscheiden. 12. Durch die mit deutschen Anstrengungen und mit internationaler Unterstützung erreichte Wiedervereinigung träte an die Stelle des mit der deutsch-deutschen Grenze verbundenen Zustandes permanenter Spannung ein Zustand der Stabilität des Friedens und der Freiheit im Zentrum Europas.
E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG In der staatlichen Politik, zuweilen auch in der Wissenschaft, findet sich die Übung, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung wichtiger nationaler Ziele der EG anzulasten. Da ist leicht von Kompetenzüberschreitungen, von Dirigismus, Zentralismus und "Eurokratie" die Rede; das das Gemeinschaftsrecht beherrschende Prinzip der Subsidiarität werde ständig mißachtet. Hier wiederholen sich Kritikmuster, die im vertikal und horizontal gewaltenteilenden Rechtsstaat geläufig sind: Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern, zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaften, zwischen Verwaltung und Gerichten. Von der ursprünglichen Konzeption des EWG-Vertrages her gesehen dürften solche Probleme an sich nicht auftauchen. Der EG sind Befugnisse nur nach dem Prinzip der "Einzelzuweisung" übertragen worden; es gilt der Satz: "Für neue Aufgaben bedarf es grundsätzlich neuer Kompetenzen" 1 . Angesichts der weltweiten Tendenz zur Vergrößerung von Märkten wuchs auch in Europa das Bedürfnis nach staatenübergreifenden harmonisierenden Maßnahmen. Auch wenn der EWG-Vertrag eine Reihe von Wegen der Rechtserzeugung zur Begründung neuer Zuständigkeiten vorhält, halfen sich Rat und EG-Kommission - durch den EuGH teils unterstützt, teils geradezu geführt - durch immer ausdehnendere Auslegungen bestehender Zuständigkeitsregeln, insbesondere auch den Art. 235 EWGV (der zum Erlaß von Vorschriften für unvorhergesehene Fälle ermächtigt, sofern erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines der vertraglichen Ziele zu verwirklichen). Erst durch die seit dem 1. 7. 1987 in Kraft befindliche Einheitliche Europäische Akte (EEA) sind im Wege der Änderung und Ergänzung des EWG-Vertrages unübersehbare neue Kompetenzen auf die EG übertragen worden, z. B. durch die Art. 130 a ff. (u. a. im Bereich der 1
Vgl. Kaiser, Grenzen der EG-Zuständigkeit, EuR 1980,104 (mit deutlich restriktiver Tendenz). Siehe demgegenüber Everling, Gestaltungsbedarf des Europäischen Rechts, 1987, S. 68 ff. Vgl. auch Grabitz, Stillhalte-Verpflichtungen vor dem Binnenmarkt, 1988, S. 40 f.: "Die EWG beschränkt sich auf die wirtschaftliche Integration mit dem in Art. 2 EWGV aufgeführten Aufgaben-Kanon und weist weder eine sachlich umfassende Aufgabenstellung noch eine Kompetenz-Kompetenz auf"; Schweitzer, Rechtsetzung durch die Europäischen Gemeinschaften und Kompetenzverlust in den Mitgliedstaaten, 1988, S. 22.
100
E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG
Regionalpolitik) oder durch Art. 130 r ff. (im Bereich der Umweltpolitik). Die Tendenz der Gemeinschaftsorgane zur extensiven Auslegung und Anwendung ihrer Kompetenzen wird sich dadurch nicht aufhalten lassen. Im übrigen ist für viele der EWG-Vertrag auch nicht mit dem Maß zu messen, das sich an staatliche Verfassungen anlegen läßt. Hans Peter Ipsen bezeichnet die EG-Verfassung vielmehr als eine "Wandelverfassung": Sie sei "nach ihrer ganzen Anlage, ihrer Zweckbestimmung auf Dynamik angelegt" 2 . Für die Mitgliedstaaten kann diese Situation unbehaglich werden, weil das europäische Gemeinschaftsrecht (nach der inzwischen nahezu einhellig akzeptierten Rechtsprechung des EuGH) nationales Recht jeder Art und Form - also auch Verfassungsrecht - verdrängt. Auch die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit des sekundären Gemeinschaftsrechts beurteilt sich allein nach dem dafür maßgeblichen primären Gemeinschaftsrecht, nicht nach nationalem Recht. Gerichtliche Kontrolle in letzter Instanz übt der EuGH in Luxemburg aus 3 . Die Mitgliedstaaten versuchen nun ihrerseits durch extensive Auslegung von "Souveränitätsvorbehalten" in der Form von Schutz- und Notstandsklauseln des EWG-Vertrages - zum Teil aber auch durch politischen Druck Handlungsspielräume für nationale Politiken zu erhalten oder zurückzugewinnen . Nicht selten wird dabei das Argument des Schutzes heimischer Wirtschaftszweige als Vorwand für ungebrochene nationalstaatliche Egois2
Vgl. Ipsen, Diskussionsbeitrag, in: WDStRL 46 (1988), S. 168. Siehe auch schon oben,
Teil C Fn. 50. 3
Zum Anwendungsvorrang des EG-Rechts siehe nur Badura, Staatsrecht 1986, D. 143; Everling, DVB1 1985, 1201 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1988, Rn. 107,109, 111. Zum Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts als "fundamentalem Rechtsprinzip" siehe auch W. Bernhardt, Verfassungsprinzipien - Verfassungsgerichtsfunktionen - Verfassungsprozeßrecht im EWG-Vertrag, 1987, S. 180 ff. - Das BVerfG hat mittlerweile seine im sogenannten Solange-I-Beschluß (E 37, 271, 280 ff.) formulierten Vorbehalte zugunsten der Überprüfung von Grundrechtsverletzungen aufgegeben und "verzichtet" zugunsten des EuGH auf die Ausübung "seiner" Gerichtsbarkeit, vgl. E 73, 339 (377 ff., 387). Kritisch hinsichtlich der Begründung Hilf, EuGRZ 87, 1 ff. - Zur Stärkung der Position des EuGH siehe auch BVerfGE 75, 223 (233 ff.). 4
Zu den "Souveränitätsvorbehalten" im EWG-Vertrag siehe z. B. Beutler/Bieber/Pipkorn/ Streil, Die EG, 1987, S. 84 ff. Eine leidenschaftliche Warnung vor der systematischen Inanspruchnahme und damit vor dem Mißbrauch der Schutzklausel des Art. 100a EWGV durch Narjes, Die Europäisierung des Rechts, 1987, S. 17. Umfassende Nachweise bei Pernice, Die Verwaltung 1989, 6 ff.
E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG
men eingesetzt; auch wird mit versteckten Subventionen, die im Gewände quantitativer oder anderer nichttarifärer Einfuhrhemmnisse (wie Selbstbeschränkungsabkommen, Antidumping-Aufschläge oder technische Normen) daherkommen 5 . Die Gemeinschaftsorgane reagieren durch eine schärfere Gangart im Bereich der Genehmigungs- und Kontrollpraxis, aber auch im Bereich der Rechtsetzung, indem sie zunehmend zum Mittel der Verordnung anstelle der Richtlinie greifen, um auf diese Weise mehr Eindeutigkeit und mehr Stringenz zu erreichen 6 Auf der anderen Seite darf jedoch nicht verkannt werden, daß das Gemeinschaftsrecht nicht das Ziel hat, die Vielfalt nationaler Identitäten zu beseitigen. Ähnlich wie die Individualität des einzelnen Bürgers die staatlichen Kompetenzen in der freiheitlichen Demokratie (über die Grund- und Menschenrechte) begrenzt, so achten und schützen auch die Verträge nationale Eigenart und Staatlichkeit der Mitglieder der Gemeinschaft. Mit Sicherheit wird die Fixierung von Orientierungspunkten für eine gemeinschaftsverträgliche Abgrenzung zwischen gemeinschaftlichen und nationalen Gestaltungsaufgaben in Zukunft immer größere Probleme aufwerfen, zumal in den Beziehungen zwischen einem Bundesstaat wie der Bundesrepublik Deutschland und der EG 7 . Die Überlegung, das Gemeinschaftsrecht strebe in er-
5
Siehe nur Franzmeyer, Europäische Industriepolitik im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Beschäftigungsgarantie, 1981, 501 f.; Hellmann, Gemeinsame Industriepolitik, Rn. 52; Lenz, Europäisches Recht als Integrationsfaktor, 1987, S. 28; Väth, Die Wettbewerbskonzeption des EuGH, 1987, S. 1 ff., 266 f. Ausführlich zu den Anwendungsproblemen des Art. 30 EWGV Müller, Dienstleistungsmonopole im System des EWGV, 1988, S. 103 ff. 6
Vgl. Wägenbaur, ZG 1988,303 ff., 318; siehe auch Wahl, DVB11988,86, der das Recht als "potentiell allgegenwärtige Herausforderung für das nationale öffentliche Recht" bezeichnet. Zum Instrumentarium der EG siehe Schweitzer (Fn. 1), S. 23 ff. - Zur zunehmenden Durchdringung auch des bundesdeutschen Verwaltungsrechts durch das Gemeinschaftsrecht s. Erbguth, DÖV 1988,481 ff. 7
Vgl. Beschluß des Bundesrates vom 14. 9. 1988 BR Drs 395/88 zur Europäischen Struk-
turpolitik; Everlittg
(Fn. 1), S. 84; siehe ferner Borchmann, Die Europäischen Gemeinschaften
im Brennpunkt politischer Aktivitäten der Bundesländer, DÖV 1988, 623 ff. und dort auch zu den allgemeinen Grundsätzen zum "Föderalismus in der EG" aus der Stellungnahme der Ministerpräsidenten vom 21. bis 23. 10. 1987: "Europa der kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt"; Häberle, Europa in kulturverfassungsrechtlicher Perspektive, 1983 zur Spannung zwischen "Europa als Wirtschaftsgemeinschaft und/oder Kultur(gesellschaft)"; Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, EuGRZ 1986, 556 ff.; F. J. Strauß, Grußansprache am 21. 9. 1988 beim Staatsakt des Freistaates Bayern, 1988, S. 48: "Zunehmend bemächtigt sich die Gemeinschaft jener Kompetenzen, die nach dem Grundgesetz allein
102
E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG
ster Linie nur den Abbau von den Gemeinsamen Markt behindernden Normen an, mag als grobe Richtschnur dienen können, löst die Probleme aber keineswegs. Sicher ist es danach richtig, daß es dort prinzipiell kein gemeinschaftliches Regelungsbedürfnis gibt, wo keine Einschränkung oder Bedrohung des Gemeinsamen Marktes (im Sinne der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in allen Ländern) stattgefunden hat 8 . Eine eindeutige Abgrenzung ergibt sich daraus aber nicht. So könnte in letzter Konsequenz selbst die Abschaffung unterschiedlicher Landessprachen gefordert werden; denn die wirtschaftlichen Behinderungen beim Durchschreiten der Sprachräume sind evident. Im folgenden soll versucht werden, aus dem primären Gemeinschaftsrecht heraus Maßstäbe für die Abgrenzung nationaler und gemeinschaftlicher Regelungskompetenzen unter besonderer Berücksichtigung des Gebots der Wiedervereinigung Deutschlands zu entwickeln. Dabei ist einerseits zurückzugreifen auf die verfassungs- und völkerrechtliche Fundierung des Wiedervereinigungsgebots in Teil D, andererseits aber auch auf Überlegungen, die bereits in Teil C zu den beihilfenrechtlichen Befugnissen der EG angestellt worden sind 9 .
I. Wiedervereinigungsgebot und Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen Die Präambel des Grundgesetzes, die - insbesondere in ihrem Satz 3 - die wichtigste verfassungsrechtliche Grundlage für das "Staatsfundamentalziel Wiedervereinigungsgebot" abgibt, bringt gleichzeitig in Satz 1 den Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck, "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Karl Doehring hat diesen Befund prägnant zusammengefaßt: "Die Wiedervereinigung Deutschlands und die europäische Integration als Inhalte der Präambel des Grundgesetzes"10. den deutschen Ländern zustehen". Siehe auch die 1988 vom Bundesrat herausgegebenen Dokumente "Bundesrat und Europäische Gemeinschaften". g So Lenz (Fn. 5), S. 28 f. Vgl. auch Grabitz, Methoden der Verfassungspolitik in der Gemeinschaft, 1981, S. 105. 9
Zu den mit dem Wiedervereinigungsgebot als Grundlage für die Zonenrandförderung zusammenhängenden Fragen beihilfenrechtlicher Befugnisse der EG siehe oben, Teil C. V. 3 a) m. N. in Fn. 46 ff. 10
Vgl. Doehring, DVB11979, 633; ders., NJW 1982, 2209 ff.
I. Wiedervereinigungsgebot und Übertragung von Hoheitsrechten
103
Da Art. 24 I GG dem Bund die Kompetenz verleiht, "durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen" zu übertragen, besteht hier nach herrschender Meinung ein "offensichtliches Spannungsverhältnis": "Je stärker die Bundesrepublik in die westeuropäische Integration eingebunden ist, umso schwerer läßt sich das Ziel der Wiedervereinigung erreichen" u .
Allerdings dürfte zweifelhaft sein, ob dieses Spannungsverhältnis (oder gar ein "unlösbarer Zielkonflikt") in dieser Weise im Grundgesetz wirklich angelegt ist. Als das Grundgesetz 1948 konzipiert und 1949 verkündet worden ist, gab es weder eine EWG noch eine westeuropäische Integration, so daß auch die Präambel unter einem "vereinten Europa" zumindest im organisatorischen Sinne nicht die EG verstanden haben kann, wie wir sie heute 11 • kennen . Dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Problematik der Frage, bis zu welchem Grade die westeuropäische Integration unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland vorangetrieben werden darf. Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums, den das Bundesverfassungsgericht den politischen Organen zubilligt, um das Ziel der Wiedervereinigung anzustreben 1 3 , dürfte es nicht leicht sein, hier eine verbindliche Grenzlinie zu ziehen.
7. Grenzen der durch Art. 241 GG eingeräumten Übertragungskompetenz Das Grundgesetz bietet besonders günstige Voraussetzungen für eine Öffnung des Staates in Richtung auf europäische Integrationsbestrebungen. Die Präambel des Grundgesetzes und die - im deutschen Verfassungsrecht vorbildlose - Bestimmung des Art. 24 I GG erweitern die allgemeine Völ11
Vgl. Tomuschat, Kommentierung des Art. 24 GG, Rn. 6; ebenso Doehring (Fn. 10). Vgl.
auch R Bernhardt,
WDStRL 38 (1980), S. 47: Eine weitere Stärkung der EG könne für
Deutschland als Ganzes hinderlich sein; Murswiek, Wiedervereinigung Deutschlands und Vereinigung Europas - zwei Verfassungsziele und ihr Verhältnis zueinander, 1986, S. 106, 111, 113; Röper, DÖV 1988, 497, 499. Allerdings sieht Ress, Grundlagen und Entwicklungen der innerdeutschen Beziehungen, 1987, § 11 Rn. 3, 108 zwar ein Spannungsverhältnis, aber keinen "rechtlich unauflösbaren Zielkonflikt"; ebenso Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,1984, S. 520 mit Fn. 25; Maunz, Kommentierung des Art. 70 GG, Rn. 21. 12
Darauf mit aller Nachdrücklichkeit und zugleich mit wissenschaftlicher Akribie aufmerksam gemacht zu haben, ist ein besonderes Verdienst von Th. Schweisfurth, Europabekenntnis und Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, 1983, S. 860 ff.; ebenso Murswiek (Fn. 11), S. 112 ff. 13 Vgl. BVerfGE 77, 137 (149). Einzelheiten oben, Teil D. I. 2 zu Fn. 18 ff.
104
E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG
kerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes um die "Dimension einer speziellen Europaoffenheit" 1 4 . Die Besonderheit des Art. 24 I GG liegt darin, daß dem einfachen Bundesgesetzgeber die Kompetenz "zur materiellen Änderung der Verfassung" eingeräumt wird, während Verfassungsänderungen gemäß Art. 79 GG an sich nur in einem besonderen Vefahren zulässig sind und - schon formal - hohe Hürden zu überwinden haben 1 5 . Dabei muß es nicht nur zur eigentlichen Übertragimg von Hoheitsrechten kommen; vielmehr öffnet Art. 24 I GG die innerstaatliche Rechtsordnung auch derart, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines aus anderen Quellen stammenden Rechts Raum gegeben wird. Dabei kann der zwischenstaatlichen Einrichtung durchaus der unmittelbare Durchgriff auf den einzelnen Bürger eingeräumt sein 1 6 . Allerdings läßt Art. 24 I GG die Übertragung von Hoheitsrechten und ihre anschließende Wahrnehmung durch zwischenstaatliche Einrichtungen nicht schrankenlos zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eröffnet diese Bestimmung nicht den Weg, "das Grundgefüge der Verfassung anzutasten". Diese Grenze wäre erreicht, wenn ein Vertragsgesetz "die Identität der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen aufheben würde". Als unverzichtbares, zum Grundgefüge der geltenden Verfassung gehörendes Essentiale sind jedenfalls die Rechtsprinzipien anzusehen, die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zugrundeliegen 1 7 . Wenn dabei auch Anklänge an die "Ewigkeitsklausel" des Art. 79 III GG unüberhörbar 14
Vgl. Maidowski, JuS 1988,115; Stern (Fn. 11), S. 517. Beutler et al. (Fn. 4), S. 56, 97 ff. ma-
chen darauf aufmerksam, daß eine Bestimmung vom Inhalt des Art. 24 I GG in den Verfassungen der ursprünglichen Mitgliedsländer der EWG singulär war. 15
Vgl. BVerfGE 58,1 (36 - Eurocontrol); Grabitz, Die deutschen Länder in der EG-Politik, 1986, S. 179. Stern (Fn. 11), S. 524, 532 ff. verwendet den wohl noch deutlicheren Begriff von Maßnahmen "außerordentlicher Gesetzgebung". 16 17
Vgl. BVerfGE 37, 271 (289 - Solange I); 68,1 (93 f. - Pershing 2).
Vgl. BVerfGE 37, 271 (279 f. - Solange I; 295 f. - abweichende Meinung); 58, 1 (40 f. Eurocontrol); 73, 339 (375 f. - Solange II); dazu Hilf, EuGRZ 1987, 6. Zu den Grenzen für die Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 I GG siehe auch Börner, Deutsche Grundrechte und Gemeinschaftsrecht, 1980, S. 7. Siehe auch bereits BVerfGE 31,58 (75 f.) zu den Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG. - Siehe auch schon BVerfGE 4,157 (170 - Saarstatut) zu "unverzichtbaren Grundprinzipien des GG", die auch durch politische Verträge nicht angetastet werden dürfen.
I. Wiedervereinigungsgebot und Übertragung von Hoheitsrechten
105
sind, wird diese Vorschrift vom Bundesverfassungsgericht doch weder als ausdrückliche Schranke erwähnt noch mit ihren Rechtsgedanken analog herangezogen. - In der Literatur wird demgegenüber regelmäßig davon ausgegangen, daß der die "Identität" der geltenden Verfassungsordnung ausmachende, vor Übertragungen nach Art. 24 I GG absolut geschützte Bereich, über Art. 79 III GG zu bestimmen sei 1 8 . Im Hinblick auf das Wiedervereinigungsgebot ist nun gerade umstritten, ob dieses Gebot unmittelbar Art. 79 III GG unterfällt, ob es aus anderen Gründen der Aufhebung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen ist oder ob sich dieses Gebot in nichts vom sonstigen Inhalt des Grundgesetzes unterscheidet 1 9 . Eine ausdrückliche Nennung haben die Präambel des Grundgesetzes oder das Wiedervereinigungsgebot in Art. 79 III GG nicht gefunden. Manches spricht allerdings dafür, daß über die Bezugnahme auf das "Deutsche Volk" in Art. 79 III, 1 I I GG und in Anbetracht der Geltung der Grundrechte für das gesamte deutsche Volk auch die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, auf die Wiederherstellung der Einheit und Freiheit Deutschlands hinzuwirken, von Art. 79 III GG erfaßt i s t 2 0 . 18
Allerdings wird in der abweichenden Meinung der Richter Rupp, Hirsch und Wand zur Solange-I-Entscheidung (E 37, 272, 296) auf die Abhörentscheidung (E 30, 1, 19) Bezug genommen: "Wie alle Verfassungsvorschriften ist diese Bestimmung (ich ergänze: Art. 24 I GG) so auszulegen, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung in Einklang steht (vgl. BVerfGE 30, 1 (19))". In der Abhörentscheidung ihrerseits steht die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG ganz im Mittelpunkt. - Bezugnahmen auf Art. 79 III GG bei der Bestimmung der Schranken für Art. 24 I GG z. B. bei Seifert/Hömig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar 1988, Art. 24 Rn. 4; Beutler et al. (Fn. 4), S. 97 f.; Eiselstein, NVwZ 1989, 323 m. Fn. 3; Haas, DÖV 1988, 625; Dörr, NWVBL 1988, 292 f., der hinsichtlich des unentziehbaren Kernbereichs eine Parallele zur Garantie kommunaler Selbstverwaltung, Art. 28 II GG, gegenüber dem Staat zieht; Everling (Fn. 1), S. 71; Maidowski, JuS 1988, 115; Püttner/Spannowsky, Das Verhältnis der europäischen Regionalpolitik zur deutschen Regionalpolitik, 1986, S. 119; Tomuschat (Fn. 11), Rn. 50 f. ("Erstrecht-Schluß"); ebenso Stern (Fn. 11), S. 55 ff.; A. Weber, Rechtsfragen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in der Bundesrepublik, 1987, S. 16 f. 19
Zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Wiedervereinigungsgebotes siehe oben, Teil
D. I m. N. in Fn. 9 ff. 20
Siehe die Überlegungen von Kimminich, Ist die deutsche Frage offen?, 1986, S. 99; vgl.
auch Bleckmann, DÖV 1988, 437 ff., 442; Wilhelm, ZRP 1986, 267 ff.; Doehring, DVB1 1979, 638 ist hingegen dezidiert der Meinung, daß die Präambel der Sperre des Art. 79 III GG nicht unterliege. - Aus der Unanwendbarkeit des Art. 79 III GG läßt sich aber nicht automatisch schließen, das Grundgesetz stünde einer Aufhebung des Wiedervereinigungsgebotes nicht entgegen; so aber wohl TUileeg, Rechtslage Deutschlands, 1984, Rn. 43.
106
E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG
Wichtiger erscheint jedoch die Beachtung des vom Bundesverfassungsgericht immer wieder formulierten Gedankens der Wahrung der "Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland" und des Verbots, diese Identität durch "Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen aufzugeben". Selbstverständlich sind die in Art. 79 III GG genannten Werte und Organisationsprinzipien essentielle Elemente für die Identitätsbestimmung unserer Verfassungsordnung; aber sie sind nicht die einzigen. Auch das "Bekenntnis zu einem vereinten Europa in der Präambel des Grundgesetzes" gehört dazu 2 1 . Aber wo schon - mit Recht die Aussagen der Präambel als Identitätsmerkmale dieser Verfassungsordnung herangezogen werden, da darf die Einbeziehung des Wiedervereinigungsgebotes nicht fehlen; denn das Grundgesetz ist in organisatorischer Hinsicht auf die Wiedervereinigung als "Staatsfundamentalziel" hin konzipiert. Die Aufhebung des Wiedervereinigungsgebotes der Präambel des Grundgesetzes wäre keine Verfassungsänderung im eigentlichen Sinne des Art. 79 GG; sie wäre ein Akt der Verfassungsgebung, eine Verwandlung des "Grundgesetzes in ein aliud, in eine "Verfassung" - dazu ist keines der nach den Regeln des Grundgesetzes gewählten und bestellten Verfassungsorgane legitimiert 2 2 . Deshalb darf die Bundesrepublik Deutschland auf keine zwischenstaatliche Einrichtung (wie z. B. die EG) gemäß Art. 241 GG Hoheitsrechte in dem Umfang übertragen, daß sie rechtlich gehindert würde, die Wiedervereinigung weiterzutreiben und mitzuhelfen, einen gesamtdeutschen Staat zu konstituieren. Art. 24 I GG gibt dem Bund folglich keine Kompetenz dazu, die Bundesrepublik Deutschland als Teilstaat in einen westeuropäischen Bundesstaat einzugliedern 2 3 . Das Bundesverfassungsgericht hat den Organen der Bundesrepublik Deutschland zwar hinsichtlich der Modalitäten bei der Erfüllung des Wiedervereinigungsgebotes einen breiten Raum politischen Er21
Vgl. BVerfGE 37, 271 (296 - Solange I, abweichende Meinung); Ress, EuGRZ 1986,555.
22
Näher oben, Teil D zu Fn. 14. Insoweit treffend Seiffert, Das ganze Deutschland - Perspektiven der Wiedervereinigung, 1986, S. 198 ff., 205: Die Aufgabe des Wiedervereinigungsgebotes bedeute einen "anderen Staat" und damit eine "neue Verfassung"; Verfassungsgeber seien aber nicht die in Art. 79 II GG für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, sondern nur das deutsche Volk, das heute in zwei Staaten lebt. Ebenso Ress (Fn. 11), Rn. 102. 23
Vgl. R. Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, 1987, Rn. 51; Doehring, DVB11979, 638 f.; ders., NJW 1982, 2214 (unter Einbeziehung völkerrechtlicher Aspekte); Everling, Die Bundesrepublik Deutschland in der EG, 1981, S. 37 mit Fn. 12; Murswiek (Fn. 11), S. 115 f.; Schweisfurth (Fn. 12), S. 873 ff.
I. Wiedervereinigungsgebot und Übertragung von Hoheitsrechten
107
messens zur Verfügung gelassen; das Gericht könnte dem Gesetzgeber erst entgegentreten, "wenn seine Maßnahme rechtlich oder tatsächlich einer Wiedervereinigung in Freiheit offensichtlich entgegenstünde" 2 4 . Mit dem Beitrag zu einem europäischen Bundesstaat könnte die Bundesrepublik Deutschland aber eine eigenverantwortliche "Außenpolitik" nicht mehr betreiben. Die Regierung eines dann bestehenden europäischen Bundesstaates könnte - von der Bundesregierung unbehindert - durch völkerrechtliche Verträge mit anderen Staaten den dauerhaften Ausschluß einer deutschen Wiedervereinigung vereinbaren. Die Bundesregierung darf sich nicht auf diese Weise aus ihrer verfassungsrechtlichen Verantwortung für alle Deutschen selbst entlassen. Eine solche Entscheidung dürfte allein das deutsche Volk als Ganzes treffen. 2. Vorbehalte zugunsten der Wiedervereinigung
im Gemeinschaftsrecht
Beim gegenwärtigen Stand der westeuropäischen Integration ist allerdings nicht anzunehmen, daß die Mitgliedstaaten durch organisationsrechtliche Bindungen ihren außenpolitischen Handlungsspielraum bereits eingebüßt hätten. Die EG ist keine der üblichen internationalen Organisationen. Ihre Hoheitsrechte sind originär. Gründungs und Beitrittsakte der Mitgliedstaaten sind zwar völkerrechtliche Verträge; sie haben aber die weitreichende Wirkung, eine eigene öffentliche Gewalt ins Leben gerufen zu haben, mit einer selbständigen Rechtsordnung eigener Art, der die Befugnis zu normativen Regelungen ebenso zusteht wie die Befugnis zu Einzelfallentscheidungen. Die EG kann als Völkerrechtspersönlichkeit selbständig - im eigenen Namen durch den Rat - Verträge mit anderen Völkerrechtssubjekten abschließen und sie führt gemäß Art. 110 ff. EWGV eine gemeinsame Handelspolitik; zugleich hat sie "nach innen" Rechtsetzungs- und Einzelfallentscheidungsmacht gegenüber ihren Mitgliedstaaten und gegenüber dem einzelnen Bürger, und ihre Rechtsetzung geht dem nationalen Recht im Range vor. So läßt sich mit Ehlermann sagen: "Die Gemeinschaft ist nicht nur ein verhältnismäßig junges, sondern auch absolut neuartiges Wesen" - mit Strukturprinzipien, die denen eines Bundesstaates durchaus ähnlich sind 2 5 . 24
Vgl. BVerfGE 77,137 (149) und oben zu Fn. 13.
25
Vgl. - in manchen Folgerungen etwas zu weit gehend - Ehlermann, Die EG und das Recht, 1984, S. 92 f.; dort (S. 91) auch zu Problemen der Anerkennung im Ostblock; dazu auch Ernst/Beseler, Die Handelspolitik, Vorbemerkung zu den Art. 110 bis 116 EWGV Rn. 17 ff. . Siehe ferner BVerfGE 22, 293 (296 f.); Badura (Fn. 3), D. 135 ff.; Beutler et al. (Fn. 4); Everling, Sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch Herren der Verträge? 1983, S. 173 ff.; Magiern, DÖV 1987, 230; Stettner, AöR 111 (1986), 388.
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E. Wiedervereinigungsgebot und das Recht der EG
Aber die EG ist kein Bundesstaat, sie ist überhaupt kein souveräner Staat, dem die Kompetenz-Kompetenz über die inneren Angelegenheiten zukäme. Vielmehr sind die Mitgliedstaaten, deren eigene Staatlichkeit durch die EG in der Substanz nicht in Frage gestellt wird, prinzipiell weiterhin "Herren der Verträge" 2 6 . a) Protokollerklärung für den Fall der Wiedervereinigung Die Herrschaft über die Verträge hat indes deutliche Grenzen. Im hier interessierenden Zusammenhang muß insbesondere geprüft werden, in welcher Weise eine Trennung der Bundesrepublik Deutschland von der EG möglich wäre für den Fall, daß entweder die EG eine die Wiedervereinigung ausschließende Politik betriebe oder daß der Austritt aus der EG Bedingung für die Wiedervereinigung wäre. Der EWG-Vertrag unterliegt keiner zeitlichen Beschränkung. Er unterscheidet sich dadurch wesentlich vom EGKS-Vertrag, der gemäß Art. 97 auf die Dauer von 50 Jahren vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an geschlossen worden ist. Da die Mitgliedstaaten der EG "Herren der Verträge" geblieben sind, die EG also keine von den Verträgen gelöste Existenz hat, mag die theoretische Möglichkeit weiterhin bestehen, daß die Existenz der EG durch einen Vertrag aller Pateien einvernehmlich wieder aufgehoben wird. Realistischer dürfte umgekehrt die Möglichkeit des Ausschlusses einzelner Mitgliedstaaten für den Fall einer Abkehr von der Demokratie sein; denn das Demokratieprinzip ist ein "allgemeiner Rechtsgrundsatz, der dem Gemeinschaftsrecht innewohnt" 26