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German Pages 116 [117] Year 1989
ISSN 0044-3409 • Z. Psychol. • Leipzig • 196 (1988) 1 • S. 1 - 1 1 2
ZEITSCHRIFT FÜR
PSYCHOLOGIE mit Zeitschrift für angewandte Psychologie
Schriftleitung F r i e d h a r t K l i x (Berlin) • J o a c h i m H o f f m a n n (Berlin) Redaktion: J ü r g e n M e h l (Berlin) • F r i e d r i c h K u k l a (Berlin)
Unter Mitwirkung
von
J . E . Axcoaga (Buenos Aires) P. B . Baltes (Berlin/West) N. Bischof (Zürich) Ai A'. Bodàljow (Moskau) H. Dörner (Bamberg) H.' Diiker (Marburg)' J : Engelkamp (SaaTbrötkcn) P. Fraisse (Paris), H.-G. Ceißlcr (Leipzig) W. Ilacker (Drcaden) D. J . Herrmann (New York) A. Kossakowski (Berlin)
D . KoväiM'ifiraalslaväi)! ß. F. Lomow (Moskau) D. Magnusson (Stockholm) K-. Piuvlik (Hamburg) P. Petzold (Jena) H.-D. Rösler (Rostock) E . Roth (Salzburg) H . - D . Schmidt (Berlin). L. S. Svetkova (Moskau) HI Sydow (Berlin) M. Wertheimer (Boulder) G. D"YilewaH«-:(L0uvom)
VEB JOHANN
AMBROSIUS
BARTH
LEIPZIG
Inhalt Anmerkung der Redaktion
1
Eckardt, G. (Jena). Zum 100. Geburtstag des Mitbegründers der Berliner Schule
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Sarris, V. (Frankfurt/M.). Max Wertheimer in Frankfurt — über Beginn und Aufbaukrise der Gestaltpsychologie. I I I . Weitere Studien über das Sehen von Bewegung. Mit 10 Abb
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Sydow, H. (Berlin). Kind und Computer: Möglichkeiten zur Förderung der geistigen Entwicklung und der Vorbereitung auf die Beherrschung neuer Technologien
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Bortz, J ; Muchowski, Elisabeth (Berlin). Analyse mehrdimensionaler Kontingenztafeln nach dem allgemeinen linearen Modell
83
Buchbesprechungen
2, 26, 101
MACINTER S e l e c t e d papers from workshops organized b y t h e N e t w o r k on M a n - C o m p u t e r I n t e r a c t i o n R e s e a r c h ( M A C I N T E R ) of t h e I n t e r n a t i o n a l Union of P s y c h o l o g i c a l S c i e n c e
(IUPsyS) In englischer Sprache Herausgegeben von Prof. Dr. F. Klix und Dr. H. Wandke, Berlin (Zeitschrift für Psychologie. Suppl. 9) 1987. 93 Seiten, 42 Abbildungen Broschur. DDR 12,- M, Ausland 2 4 , - DM
Die zunehmende Verbreitung von elektronischen Informationstechnologien in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens hat die Frage der Benutzerfreundlichkeit von Computersystemen in eine zentrale Position gerückt, was die Effektivität dieser Systeme betrifft.
Organisato-
rischer Ausdruck dieser Entwicklung ist die Gründung eines Internationalen Netzwerkes der I U P s y S zur Mensch-Computer-Interaktion (MACINTER) im J a h r e 1984. Bestellungen an den Buchhandel
erbeten
VEB JOHANN A M B R O S I U S B A R T H L E I P Z I G
ZEITSCHRIFT
FÜR
Band 196, 1988 mit Zeitschrift für angewandte Psychologie Z. Psychol. 196 (1988) 1
PSYCHOLOGIE Heft 1 Band 102 VEB J . A. Barth, Leipzig
Herausgeber und Redaktion der Zeitschrift für Psychologie halten es für angezeigt, des 100. Geburtstages von Wolfgang Köhler zu gedenken. Zur Einleitung haben wir den Beitrag von G. Eckardt (Jena) aufgenommen. Er hat sich in der Darstellung der wissenschaftshistorischen Bedeutung dieser großen Forscherpersönlichkeit zu einer Hervorhebung inhaltlich wesentlicher Schwerpunkte in den psychologischen und auch den damit verbundenen philosophischen wie erkenntnistheoretischen Aussagen des Köhlerschen Lebenswerkes entschlossen. Die dabei getroffenen Wertungen mögen Zustimmung oder auch kritische Bedenken der Leser hervorrufen. Wir würden beides begrüßen, zumal es dazu führen kann, daß Leser unserer Zeitschrift oder Fachkollegen, die sich durch das Köhlersche Lebenswerk oder seine Würdigung im nachfolgenden Aufsatz angesprochen fühlen, sich auch angeregt finden, selbst einen kleineren oder umfänglicheren Beitrag zu dieser Thematik im Rahmen der Zeitschrift zur Diskussion zu stellen. Die Redaktion
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Z. Psychologie 196-1
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V E B J . A. Barth, Leipzig
Buchbesprechung Jäger, R. S.; Horn, R.; Ingenkamp, K . (Hrsg.): Tests und Trends 4. Jahrbuch der Pädagogischen Diagnostik. 233 S., 2 4 , 5 x 1 7 cm. Weinheim-Basel: Beltz Verlag 1985. E s handelt sich um den vierten Band einer Jahrbuchfolge, die sich nach Absicht der Herausgeber an Fachwissenschaftler wie Praktiker gleichermaßen wenden soll. Obwohl primär an einen Adressatenkreis im Bereich der pädagogisch-psychologischen Diagnostik gedacht ist, dürften die in den Jahrbüchern enthaltenen Darstellungen über inhaltliche und methodische Entwicklungen in der Regel für die gesamte Psychodiagnostik von Interesse sein. Dies gilt auch für einen größeren Teil der Beiträge aus dem vorhegenden Band. Er wird mit einem Überblicksartikel von Ingenkamp zur Entwicklung pädagogisch-psychologischer Diagnostik von 1955—1985 im deutschsprachigen Raum eingeleitet. In diesem Beitrag wird die Entwicklung diagnostischer Problemstellungen und inhaltlicher Konzeptionen diskutiert und eine Übersicht über erzielte Fortschritte in der Bereitstellung konkreter Verfahren und Instrumente gegeben. Die Darstellung mag für die B R D ein repräsentatives Bild liefern; über die Entwicklung pädagogisch orientierter psychodiagnostischer Forschung und Praxis in der D D R informiert sie jedoch sehr vonvollkommen. Im Artikel von Trost wird am Beispiel der Zulassung zu den medizinischen Studiengängen der mögliche Einsatz der psychologischen Eignungsdiagnostik beim Hochschulzugang diskutiert. Hervorhebenswert ist hier die Gediegenheit des methodischen Herangehens an die Konstruktion, Standardisierung und Anwendung des in diesem Rahmen entstandenen „Medizinertests". Eine stärker methodologisch-konzeptionelle Ausrichtung weist der Beitrag von Schlee über Förderdiagnostik auf, der in seiner problematisierenden Diktion Nachdenkenswertes über das generelle Verhältnis von Diagnostik und Intervention sowie Förder- und Selektionsstrategien bereithält. Als ein nicht weniger aktuelles Thema wird von Wieczerkowski und Wagner die Diagnostik von Hochbegabungen diskutiert. Zunächst geht es ihnen um die Auseinandersetzung mit konträren theoretischen Positionen zur Natur der Hochbegabung (Hochbegabung als Disposition oder Prozeß), im weiteren werden Möglichkeiten der Identifikation von Hochbegabungen mittels diagnostischer Methoden diskutiert, auch hier verknüpft mit (sehr vorläufigen) Überlegungen zum Zusammenhang von Diagnose- und Förderstrategien. Ein methodischer Zugang, der in der Diagnostik generell stärkere Beachtung verdient, ist die biographische Analyse. Jäger (unter Mitarbeit von Nord-Rüdiger) erörtert Sinn und Zweck der Analyse biographischer Daten, klassifiziert die hierfür relevanten Methoden und diskutiert deren Leistungsmöglichkeiten — illustriert an konkreten Beispielen. Auch der letzte Beitrag greift ein für die Psychodiagnostik gewichtiges Thema auf. Petermann diskutiert das Situationskonzept in seiner Bedeutung für die Psychodiagnostik. Seine Ausführungen sind ein begrüßenswertes Plädoyer für die stärkere Berücksichtigung realer Situationskonstellationen bei der Konstruktion und Anwendung psychodiagnostischer Verfahren. Der insgesamt informative Band schließt mit Buch- und Testbesprechungen sowie einer Überblicksdarstellung von Schultests aus der B R D , Osterreich und der Schweiz ab. Die einschlägigen DDR-Publikationen des Psychodiagnostischen Zentrums fanden noch keine Berücksichtigung. Wenn dies in einem der nächsten Bände nachgeholt werden sollte, wird man auch von einer vollständigen Darstellung für den deutschsprachigen R a u m sprechen können. Im Vorwort des Erstherausgebers wird dies, allzu großzügig, bereits für den vorliegenden Band behauptet. U. Schaarschmidt (Berlin)
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Y E B J . A. Barth, Leipzig
Aus der Sektion Psychologie der Friedrich-Scliiller-Universität Jena
Wolfgang Köhler, Gestaltpsychologie und „Naturphilosophie" der Gestalt Zum 100. Geburtstag des Mitbegründers der Berliner Schule Yon G. Eckardt Alle Geschichte beschäftigt sich mit dem Leben, denn die Geschichte ist Nachzeichnung der Erscheinungen des Lebens in der Zeit. Heinrich Luden ( 1 7 7 8 - 1 8 4 7 )
1. Das Unbehagen am Elementarismus Als Wolfgang Köhler am 21. Januar 1887 im damaligen Reval (heute Tallinn, Estnische S S R ) als Sohn des Gymnasialdirektors Franz Eduard Köhler (1840—1919) und dessen Ehefrau, der Pfarrerstocher Wilhelmine geb. Girgensohn, geboren wurde, hatte die Psychologie auf dem Wege ihrer Verselbständigung gerade die ersten Schritte zurückgelegt. Es gab ein anerkanntes Standardwerk, die „Grundzüge der physiologischen Psychologie" (1873/74). Ein Institut, 1879 in Leipzig als private Einrichtung gegründet, bald danach staatlich anerkannt, erfreute sich weltweiten Zuspruchs. In einer Fachzeitschrift, den „Philosophischen Studien", deren erstes Heft 1881 erschien, publizierten die Anhänger der „neuen Wissenschaft" ihre vorwiegend experimentellen Arbeiten. Der Mann, der diese Entwicklung einleitete sowie inhaltlich und organisatorisch weitestgehend bestimmte, war Wilhelm Wundt (1832—1920). Unter seiner alles überragenden Autorität konnte man den Eindruck gewinnen, daß die junge Wissenschaf tsdisziplin ein zwar in vielem ausbaubedürftiges, aber im ganzen doch einheitliches System darstellt. Im Geburtsjahr Köhlers fanden weitere Ereignisse statt, die zur Konsolidierung des Verselbständigungsprozesses beitrugen: Die „Grundzüge. . ." erschienen in 3. Auflage; in Göttingeil wurde dem Philosophischen Seminar eine Psychologische Abteilung angegliedert. Als Wolfgang Köhler 18 Jahre alt war und zu studieren begann - zunächst 2 Semester in Tübingen (1905/06), dann 2 Semester in Bonn (1906/07), schließlich 5 Semester in Berlin (1907—1909) —, war der Eindruck einer relativen Einheitlichkeit der immer noch jungen Wissenschaft längst nicht mehr zu gewinnen. Man redete von „Krise"; Kontroversen beherrschten die Lage. Die bedeutsamste dieser Kontroversen war die zwischen Wilhelm Dilthey (1833-1911) und Hermann Ebbinghaus (1850-1909) in den Jahren 1894-1896 geführte, in deren Verlauf von ersterem das experimentelle Vorgehen in der Psychologie grundsätzlich in Frage gestellt wurde, wobei der Vorwurf des „verschleierten Materialismus" als wissenschaftspolitisch intendierter Seitenhieb herhalten mußte (vgl. Klix 1979). Auf einer anderen Ebene lagen die Diskussionen, in denen es um die weithin praktizierte methodologische Strategie ging, nach welcher von der Analyse sog. Bewußtseinselemente zur wissenschaftlichen Aufklärung der Gesamtheit des psychischen Lebens vorgedrungen werden sollte. Gegen eine derartige elementaristische Forschungsstrategie wurden insbesondere von Christian von Ehrenfels (1890), Alexius Meinong (1891) und Hans Cornelius (1897, 1900) ernsthafte Bedenken angemeldet. 1 l*
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Zu den Kritikern des von Wundt initiierten Typs einer wissenschaftlichen Psychologie gehörte auch der Direktor des Psychologischen Instituts der Berliner Universität, Carl Stumpf (1848—1936, vgl. Sprung, L. und Mitarb. 1986). Stumpf war Schüler von Franz Brentano (1838—1917), der nahezu zeitgleich zu Wundts „Grundzügen" eine Art Gegenkonzeption entwickelte: die „Psychologie vom empirischen Standpunkt" ¿,1874). Die Psychologie sollte nicht isolierte Bewußtseinsin/iaiie untersuchen, sondern Bewußtselnsakte in ihrer Intentionalität erfassen. In den Vorlesungen und Übungen des BrentanoSchülers Carl Stumpf wurde der Kontakt des jungen Köhler zur Psychologie vertieft, nachdem er eine erste Einführung bereits in Bonn bei Benno Erdmann (1851—1921) vermittelt bekam, und er erwarb die Befähigung zur experimentellen Arbeit. Zugleich zeigte er ein ausgeprägtes Interesse an den neuen Entwicklungen in der Physik und hörte bei Walther Hermann Kernst (1864—1941), dem Begründer der physikalischen Chemie, und Max Planck (1858—1947), der den Grundstein zur Entwicklung der Quantentheorie legte. B e v o r wir nun dazu übergehen, das, was Wolfgang Köhler in die Entwicklung der Psychologie p r o d u k t i v eingebracht hat, zu skizzieren, soll eifle kurze Zwischenbemerkung eingeschoben werden über die A r t und Weise, die uns angemessen erscheint, des 100. Geburtstages dieses Mannes zu gedenken. Die Gestaltpsychologie kann heute weitgehend als eine historische Größe gelten. Eine aktuelle systematische Auseinandersetzung mit ihren philosophischen Prämissen, theoretischen Positionen und empirischen Ergebnissen würde ohnehin den Rahmen eines Gedenkartikels sprengen. Zudem ist Wolfgang Köhler zwar Mitbegründer der Gestallpsycliologie, aber die Gestaltpsychologie kann nicht auf das wissenschaftliche W e r k Köhlers reduziert werden. W i r glauben, am ehesten dem Erfordernis einer historisch angemessenen W ü r d i gung gerecht zu werden, wenn wir uns um eine möglischst authentische, gewissermaßen f ü r sich sprechende Rekonstruktion des wissenschaftlichen Entwicklungsganges des J u b i l a r s bemühen und ihn selbst dabei möglichst häufig zu W o r t kommen lassen. Allerdings wollen wir damit nicht einem f ü r den Leser belanglosen, bloßen faktographischen Registrieren das W o r t reden, sondern historische Einordnungen und W e r tungen vornehmen, um fachhistorische Einsichten zu vermitteln. Eine weitere Einschränkung b e t r i f f t den weitgehenden Verzicht auf eine Charakterisierung der Einbindung der Gcstaltp'sychologic im allgemeinen und Köhlers im besonderen in die konkret-historischen Bedingungen und Entwicklungen ihrer Zeit. Ein solcher Verzicht ist v o n der Sache her problematisch, erscheint uns aber angesichts der erfreulichen Tatsache, daß zu diesem Problem mehrere Arbeiten vorliegen (z. B. Ash, M. 1980, 1 9 8 2 ; Sprung, L. u. 11. 1987), als in diesem Rahmen v e r t r e t b a r .
Seine erste selbständige Arbeit verfaßte Köhler zu wissenschaftlichen Fragestellungen eines Arbeitsgebietes, auf dem sich sein akademischer Lehrer Carl Stumpf bereits bleibende Verdienste erworben hatte (Sprung und Mitarb. 1986): der Psychologie der akustischen Wahrnehmung. Er stellt eine „psychologische Theorie der Klangfarbe" und der „Vokalcharaktere" auf, die im Widerspruch zu der als klassisch geltenden Auffassung von Helmholtz stand. Aus der Retrospektive des Köhlerschen Entwicklungsganges betrachtet, sind für uns jene Bemerkungen in den „Akustischen Untersuchungen I" (1910) von Interesse, in denen Köhler das Verhältnis zur Physik bei der Bearbeitung eines psychologischen Gegenstandes beschreibt. Köhler meint — und in dieser Hinsicht bewegt er sich durchaus im Spektrum der von der Psvchophysik praktizierten Vorgehensweisen —, man müsse bei der Untersuchung psychischer Erscheinungen zunächst die physikalischen Eingangsbedingungen hinreichend sicher und objektiv charakterisieren: „ W e n n ich nun hauptsächlich psychologisches Interesse an der Frage [der K l a n g f a r b e n und der Vokale, G. E.] hatte . . ., so mußte ich mir doch sagen, daß ein solcher Versuch, ohne hinreichende K l a r k e i t über
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die objektiven Bedingungen jener akustischen Elemente unternommen, recht waghalsig, ja unmöglich sein würde; denn jede der vorliegenden physikalischen Lehren involvierte ohne weiteres Folgerungen für das psychische Material, aus dem sich gehörte Klänge aufbauen. . . . Vorderhand mußte es sicherer scheinen, von irgendwie gesicherten objektiven Befunden auf psychische Tatbestände zu schließen, als eine unabhängige Feststellving dieser letzteren zu versuchen, ist es doch bisher noch fraglich, ob sie sich überhaupt quantitativen Methoden unterwerfen werden lassen" (Köhler 1910, S. 242 f.).
Ausgehend von derartigen methodologischen Überlegungen, leitet Köhler beispielsweise den Abschnitt „Uber Klangfarben" mit der „Physik der K l a n g f a r b e n " ein und schließt erst danach den „Versuch einer psychologischen Theorie der K l a n g f a r b e " an. In den „Akustischen Untersuchungen I I " (1911) präzisiert Köhler seine Auffassung zum Verhältnis zwischen Psychologie und P h y s i k : „Inzwischen ist das Bedürfnis des Psychologen nach Kenntnis der physikalischen Bedingungen, die bei seinen Versuchen in Frage kommen, die bei seinen Schlüssen benutzt werden, nur immer mehr gestiegen. Er muß sich aus dem angegebenen Grunde oft genug selbst helfen, und um so eher kann er für Augenblicke Physiker werden, je mehr er zugleich von der Uberzeugung durchdrungen ist, daß nichts seine Wissenschaft so sehr aufhält, als wenn Bewußtseinsvorgänge wie physikalische Gegenstände oder Photographien von solchen behandelt worden" (Köhler 1911, S. 59).
Die Diktion läßt keinen Zweifel zu: Der Psychologe muß auf die physikalischen Bedingungen psychischer Prozesse Bezug nehmen, aber psychologische Gegenstände sind prinzipiell von physikalischen abzugrenzen. Von Physikalisnius kann hier (noch) keine Rede sein! Der wesentlichste Unterschied zur Psychophysik in bezug auf das Verhältnis zwischen Psychologie und Physik wird aber in den „Akustischen Untersuchungen" gleichermaßen deutlich m a r k i e r t : Man müsse „die qualitative Gesamtheit eines Schallphänomens"' (Köhler 1915, S . 197) untersuchen, d. h. eine elementenhafte Beziehung zwischen Einzelreiz und Einzelempfindung ausschließen. Eine additive Zusammenfügung von Teiltönen ergebe noch keinen Vokalklang: „In einem Vokalklang verbleiben die Tciltönc nicht völlig selbständig nebeneinander, sondern treten irgendwie zu einem resultierenden Ganzen zusammen. Was herausgehört wird, sind nicht „die" Teiltöne, sondern Reste von ihnen, die bei der Verbindung überschüssig bleiben und die für den Gesamtcharakter relativ gleichgültig zu sein scheinen" (Köhler 1913a, S. 101 f.).
Diese Feststellungen laufen faktisch auf eine Bestätigung des Übersummativitäts-Kriteriums von Ehrenfels für den Bereich der akustischen Wahrnehmung hinaus. Die Ergebnisse der „Akustischen Untersuchungen", die Bormg als „pre-Gestalt psychophysical studies" (Boring 1957, S . 616) bezeichnet, generalisierend, gelangt Köhler bald zu einer umfassenden Ablehnung der sog. „ K o n s t a n z a n n a h m e " , d. h. der Annahme umkehrbar eindeutiger Beziehungen zwischen EinzOlreiz und Einzelempfindung. In dem Aufsatz „Uber unbemerkte Empfindungen und Urteilstäuschungen" (1913) wirft Köhler den Befürwortern der „ K o n s t a n z a n n a h m e " vor, daß sie sich empirisch nicht verifizierbarer Zusatzannahmen bedienen. B e i Diskrepanzen zwischen Reizkonfiguration und Empfindungsresultat rekurriere man entweder auf „unbemerkte Empfindungen" (es wird angenommen, daß Reize Empfindungen hervorbringen, die vom Individuum nicht bemerkt werden) oder auf „Urteilstäuschungen" (es wird angenommen, daß Urteile über das Auf-
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treten von Empfindungen nicht mit den eigentlichen Empfindungen identisch sind). Beispielsweise besitze die Interpretation der Nichtübereinstimmung zwischen den geometrischen und den phänomenalen Größenbeziehungen bei der Müller-Lyer-Figur als Ergebnis von „Urteilstäuschungen" überhaupt keinen wissenschaftlichen Erklärungswert. Wenn demzufolge die physikalischen Reizgrundlagen nicht ausreichen, um die phänomenalen Gegebenheiten, das „Wahrgenommene", befriedigend zu erklären, so müsse man — dies folgert Köhler — auf „andere Faktoren" Bezug nehmen. Welche Faktoren sind das? Es sind solche „zentraler Natur". „Denn den Beobachtungen gemäß nehmen wir nun an, daß im allgemeinen bei dem Zustandekommen der Sinnesgegebenheiten außer den Reizen und den bisher bekannten peripheren Bedingungen noch eine Reihe anderer Faktoren, vor allem solche zentraler Natur, von ganz wesentlicher Bedeutung sind" (Köhler 1913b, S. 79).
Damit wird ein für die weitere Entwicklung der psychologischen Konzeption Köhlers wesentlicher Gedanke geäußert: Zentralnervöse Prozesse haben für die Organisation der Wahrnehmung eine determinierende Funktion. Die theoretischen Voraussetzungen für die spätere Formulierung der Isomorphie-Annahme sind de facto schon gegeben. 2 Am Schluß seines Aufsatzes äußert Köhler die Uberzeugung, daß „auch eine so orientierte Forschung . . . in dem größeren Reichtum ihres Materials Gesetze und Konstanzen finden" werde (a. a. 0 . , S. 80). Charakterisieren wir den Entwicklungsstand der Köhlerschen Psychologie-Konzeption vor dem Aufbruch nach Teneriffa (1913), so können wir zusammenfassend drei Punkte benennen: 1. Infolge diskrepanter Beziehungen zwischen Reizkonfiguration und Wahrnehmungsstruklur kann eine ausschließliche Gebundenheit der Wahrnehmungen an die Reizgrundlage nicht angenommen werden. 2. Zentralnervöse Prozesse haben für die Organisation der Wahrnehmung wesentliche Bedeutung. 3. Es ist möglich, Gesetzesaussagen über Wahrnehmungsvorgänge zu machen. 2. Die „genial einfachen Experimente": Anthropoiden-Untersuchungen Ob der vom akademischen Lehrer Carl Stumpf unterstützte, ein J a h r vor dem Ausbruch des verheerenden 1. Weltkrieges beginnende und - wie es zunächst geplant war — für eine überschaubare Dauer anberaumte Wechsel des 26jährigen Privatdozenten der Psychologie, systematischen Philosophie und Philosophie der Geschichte von den ruhigen Verhältnissen der wahrnehmungspsychologischen Laborarbeit am Berliner Institut zur „Außenarbeit" auf der Anthropoidenstation der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Teneriffa als „ein Zufall in seinem Leben" oder „dann doch wieder kein Zufall" (Teubner 1967, VI) zu werten ist, soll hier keiner detaillierten Erörterung unterzogen werden. Tatsache bleibt, daß Köhler mit der Inangriffnahme tierpsychologischer Untersuchungen ein Terrain betrat, das Forscher anderer Provenienz, insbesondere Behavioristen und ihre Vorläufer, als ihre Domäne beanspruchten. Immerhin waren seit dem die
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gestaltpsychologische Ära einleitenden Schlüsselereignis, den Wertheimerschen Untersuchungen und Interpretationen zum phi-Phänomen, gerade eben drei Jahre ins Land gezogen, und die „neue Richtung" bewegte sich bislang nahezu ausschließlich im abgesteckten Rahmen wahrnehmungspsychologischer Studien. Der Versuch, die Gestaltkonzeption auf einem bisher gänzlich unbekannten und unbearbeiteten Gebiet anzuwenden bzw. ihre Anwendbarkeit zu überprüfen, legt die Vermutung nahe, daß Köhler schon früh von ihrer Generalisicrbarkeit für das gesamte Fachgebiet der Psychologie überzeugt war. Köhlers Arbeiten auf Teneriffa können geradezu als Paradebeispiel für jenen Typ von Untersuchungen angesehen werden, wie er als Desiderat den Autoren des späteren Publikationsorgans der Gestaltpsychologen, „Psychologische Forschung", nahegelegt wird: Arbeiten, „in denen aus theoretischen Überlegungen ein Experiment hergeleitet wird, dessen Ergebnisse dann wieder mit der Theorie in Verbindung gebracht werden". Kurz gesagt: Köhlers Anthropoiden-Untersuchungen sind ein klassisches Muster theoriegeleiteter empirisch-experimenteller Forschung auf dem Gebiet der Psychologie, Worum geht es in diesen Untersuchungen? Ausgangspunkte sind zwei Fragestellungen. Erstens wird gefragt, ob Anthropoiden „in irgendeinem Grade verständig und einsichtig zu handeln vermögen, wenn die Umstände intelligentes Verhalten erfordern" (Köhler, 1921, S. 1); auf diese Weise sollte der Verwandtschaftsgrad zwischen Menschen und Anthropoiden psychologisch bestimmt werden. Wir haben es also mit einer vergleichend-psychologischen Fragestellung zu tun. Zweitens geht Köhler davon aus, daß Verhaltensbeobachtungen an Anthropoiden „unter einfachsten Verhältnissen die Natur von Intelligenzleistungen deutlich hervortreten lassen" (ebda.). Er drückt die Hoffnung aus, den „natürlichen Ausgangspunkt theoretischen Verstehens" zu erfassen. In der zweiten Fragestellung geht es somit um — zunächst unspezifisch formuliert — die Analyse kognitiver Prozesse. Seine „genial einfachen Experimente" (Bergius, 1980) führte Köhler anhand von drei Aufgabentypen (Problemlösungssituationen) durch: Umwegsituationen, Werkzeuggebrauch, Werkzeugherstellung. Als Antwort auf die erste Frage zieht er das Fazit: „Die Schimpansen zeigen einsichtiges Verhalten von der Art des beim Menschen bekannten" (Köhler, 1921, S. 191). Zur Beantwortung der zweiten („theoretischen") Fragestellung sind breitere Auslassungen erforderlich. Köhler vertritt die Auffassung, daß das Verhalten der Anthropoiden in den genannten Problemlösesituationen auf „Einsicht" schließen lasse. Hinweise auf Einsicht ergäben sich aus der Plötzlichkeit der Problemlösung, dem „glatten" Verlauf in der Verfolgung des Handlungszieles, den spezifischen Ausdruckssymptomen vor der eigentlichen Endhandlung (z. B. „Stutzen"), der subjektiven Neuartigkeit des Lösungsweges, der potentiellen Wiederholbarkeit der Lösungsstrategie in strukturgleichen oder — ähnlichen Problemsituationen. Was die theoretischen Reflexionen über die der Einsicht zugrundeliegenden psychischen Mechanismen betrifft, gibt sich Köhler wesentlich zurückhaltender als dies gelegentlich in der Sekundärliteratur geschildert wird. Er wolle „keine Theorie einsichtigen Verhaltens" entwickeln, meint er ( a . a . O . , S. 234), schließt aber mehrere Interpretationsvarianten aus: Erstens beruhe
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der Zusammenhang zwischen den einzelnen Komponenten der „einsichtigen" Handlung nicht auf Zufall (kein Versuch-Irrtum-Lernen), zweitens lägen dem Lösungsverhalten keine Nachahmungsprozesse zugrunde (subjektive Neuartigkeit), drittens seien keine „Agentien jenseits der Erfahrung" im Spiel (gegen vitalistische Deutungen). Positiv behauptet Köhler ltediglich, daß Schimpansen „intelligentes Verhalten" zeigen, das — und hier liegt der springende Punkt — „nach dem optischen Aufbau der Situationen orientiert" sei (a. a. 0 . , S. 193). Kriterium für Einsicht sei das „Entstehen der Gesamtlösung in Rücksicht auf die Feldstruktur" (a. a. 0 . , S. 137). Deshalb müsse einer „tauglichen Erklärung" der intelligenten Verhaltensweisen von Schimpansen eine „ausgeführte Theorie der Raumgestalten" zugrunde gelegt werden (a. a. 0 . , S. 193). Immerhin ist damit die Stoßrichtung vorgegeben, in dereine „Erklärung" gestaltstheoretischen Zuschnitts vorzunehmen ist. Die einsichtige Lösung erfolgt „dem Artcharakter der (optisch gegebenen) Feldstruktur. . . gemäß" (ebda.). Implizit heißt dies: Einsicht ist das Ergebnis von selbstregulierenden Prozessen im Wahrnehmungsgeschehen. Tembrock (1963, S. 138f.) expliziert Köhlers Auffassungen: „Die Handlungserfolge (mit Werkzcuggebrauch) [werden] als zentralnervöse Reorganisationen der Spannungen im Wahrnehmungsfeld aufgefaßt. . . . Einsicht ist damit ein kortikaler Vorgang der Feldstrukturierung. Die Beziehung zwischen Ziel und Mittel, es zu erreichen, ist damit im letzten Sinne für Köhler kein Lernprozeß, sondern ein Ereignis der Wahrnehmung". Prinzipiell müßte zufolge des Köhlerschen Erklärungsansatzes Einsicht vollkommen erfahrungsunabhängig gewonnen werden können. Hier offenbart sich einer der problematischen Punkte in Köhlers Interpretationen, der Anlaß zu kritischen Einwänden von verschiedenen Seiten her bot. Exemplarisch wählen wir die kritische Argumentation Karl Bühlers aus, weil sie m. E. auf Wesentliches verweist. Verkürzt läßt sich Bühlers Kritik in zwei Punkten zusammenfassen: Erstens negiert er, daß den Leistungen der Schimpansen Einsicht zugrunde liege. Wenn man von Einsicht spreche, müsse man erst „beweisen, daß die Schimpansen Urteile bilden" (Bühler, 1922, S. 21, LIervorhebung: G. E.). Die Tatsache, „daß Sachverhältnisse (,Sachbezüge') das Verhalten der Affen bestimmen", weise aber noch nicht auf die Fähigkeit zur Urteilsbildung und damit auf Einsicht hin (ebda.). Das zweite Argument: Bei der psychologischen Erklärung der Schimpansen-Leistungen müsse man „Gedächtniswirkungen erfolgreicher Zielverfolgungen" in Betracht ziehen (a. a. 0 . , S. 23). Der Schimpanse kenne und gebrauche z. B . den Stock oder stockähnliche Gegenstände auch in Freiheit. „Jedenfalls muß dem Baumbewohner das Zusammen von Ast und Frucht geläufig sein. Sitzt er nun im Versuchsraum vor dem Gitter, wo draußen die astlose Frucht und drinnen der fruchtlose Ast liegt, so ist psychologisch betrachtet dies die Hauptleistung, daß beide im Bewußtsein zusammengeraten" (a. a. 0 . , S. 24). Diesem „Zusammengeraten im Bewußtsein" entspricht ein Vorgang, den Bühler als „Erfindung" oder „Erfinden" bezeichnet und der sich häufig in Form eines „Aha Erlebnisses" vollzieht. Für wichtig hält Bühler nun, daß „Erfindungen . . . durch ihr Verhältnis zum Gedächtnis ausgezeichnet sind" (a. a. 0 . , S. 25). Die wesentlichen Aussagen Bühlers lassen sich zusammenfassen: Das Problemlösungsverhalten von Schimpansen deutet nicht auf Prozesse der „Urteilsableitung und Urteilsbegründung" (im Sinne rational-diskursiver Akte) hin; es ist an die Aktivierung von Gedächtnisbesitz gebunden.
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Köhlers S t e l l u n g n a h m e insbesondere zu dem letztgenannten A r g u m e n t ist v o n Interesse, weil sie einen wesentlichen G r u n d z u g gestaltspsychologischen Denkens offenbart. E r bestreitet nicht, daß die S c h i m p a n s e n E r f a h r u n g z. B . im U m g a n g mit S t ö c k e n haben. D a r ü b e r h a t er sich bereits im Bericht von 1917 g e ä u ß e r t : „ . . . natürlich haben die geprüften S c h i m p a n s e n unkontrolliert schon mehrere J a h r e als l e b h a f t e Tiere im B u s c h e der W e s t k ü s t e zugebracht u n d sind auch dort mit manchen Dingen z u s a m m e n g e k o m m e n , wie sie ähnlich in einer Anzahl der Versuche v e r w a n d t w u r d e n " (Köhler, 1921, S . 147). Aber das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von E r f a h r u n g sei für die E r k l ä r u n g der Einsichtsbildung gänzlich ohne B e l a n g : „ W e n n die Tiere mil einzelnen Gegenständenoder Situationen schon vor den Versuchen zu tun g e h a b t haben, so hat das unmittelbar noch keinen B e z u g auf unsere F r a g e " (ebda.). In der „ f ü r Amerika geschriebenen", d. h. gegen den B e h a v i o r i s m u s gerichteten A b h a n d lung „Psychologische P r o b l e m e " (1933) greift Köhler die F r a g e des Z u s a m m e n h a n g s — oder b e s s e r : NichtZusammenhangs — von Einsicht u n d E r f a h r u n g nochmals a u f : „ D e n n irgend etwas ist doch jedenfalls von einer H a n d l u n g , einem G e d a n k e n g a n g sachlich verstanden, ehe die Prozesse einsetzen, die z u m vollkommenen Verstehen f ü h r e n ; irgend etwas an einer S i t u a t i o n u n d an der eigenen Stellung zu ihr ist einem schon einsichtig gegeben, bevor, wenn ü b e r h a u p t , die echle L ö s u n g einsetzt. D a s Problem besteht durin, ob jene sachlich fundierte einsichtige Z u s a m m e n h a n g s d y n a m i k zunächst ,unvollständiger' A r t K r ä f t e enthält, welche zur Entwicklung der L ö s u n g oder einzelner Lösungsschritte beitragen können und wirklich b e i t r a g e n " (Köhler, 1933, S . 238, H e r v o r h e b u n g e n : G. E . ) . Wenn m a n „die R e a l i t ä t von u n m i t t e l b a r e m sachlichem Z u s a m m e n h a n g im B e w u ß t s e i n " im A u g e habe, sei Einsicht nichts anderes als „ u n m i t t e l b a r e s E r f a s s e n von F e l d z u s a m m e n h ä n g e n " (a. a. 0 . , S . 239). Einsichtiges Lernen ist demzufolge für die Gestaltpsychologie kein T h e m a . Die diesen A u f f a s s u n g e n a d ä q u a t e allgemeine theoretische Grundlage läßt sich in bestimmter Hinsicht als die des N a t i v i s m u s kennzeichnen." In gewisser Hinsicht bedeutet die Gestaltpsychologie eine Neuformulierung des N a t i v i s m u s " , konstatiert z. B . C. C. P r a t t ( P r a t t , in Köhler, 1971, S . 16). Diese nativistische B a s i s h a t sich als nicht t r a g f ä h i g erwiesen. Wir wissen heute, „ d a ß Einsichtsleistungen nur möglich sind, wenn der lernfähige Organismus Vorinformationen über ^ die vorliegende U m g e b u n g s s i t u a t i o n h a t " (Klix, 1973, S . 392). K l i x bringt diesen G e d a n k e n auf die p r ä g n a n t e F o r m e l : „ E i n s i c h t s b i l d u n g ist Ordnungsbildung über a k l i v i e r b a r e m G e d ä c h t n i s b e s i t z " (a. a. 0 . , S . 394). Angesichts dieser kritisch-ablehnenden Bewertungen gegenüber Köhlers theoretischen Interpretationen erhebt sich die berechtigte F r a g e , ob es für eine psychologiegeschichtliche B e t r a c h t u n g sinnvoll ist, die geschilderten Untersuchungen besonders hervorzuheben u n d zu würdigen. Generell ist dazu anzumerken, daß die Köhlerschen Untersuchungsergebnisse nicht zwangsläufig eine gestalttheoretische Interpretation erfordern. Unbestreitbar sind ferner die nachhaltigen E i n f l ü s s e u n d Anregungen, die von den Anthropoiden-Studien ausgingen. B i s in die jüngere Vergangenheit hinein haben zahlreiche Fragestellungen u n d F o r s c h u n g s g e g e n s t ä n d e ihren A u s g a n g s p u n k t in den Arbeiten Köhlers auf Teneriffa.
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Die wesentlichen Gründe für eine hohe Wertschätzung der Köhlerschen Untersuchungen liegen in erster Linie auf methodologisch-methodischer Ebene. Es ist ganz und gar keine Übertreibung, die Glorifizierungstendenzen in Nekrologen geschuldet ist, wenn etwa Hörmann sagt: „Er [Köhler; G. E.] war sicher einer der besten Experimentatoren, die es in der Psychologie je gegeben h a t " (Hörmann, 1967, S. X V I ) . Die Hauptfelder, auf deren Bearbeitung die Untersuchungen Köhlers wesentliche Anregungen und Einflüsse ausübten, seien im folgenden kurz skizziert: 1. Köhler wies Intelligenzleistungen bei Schimpansen nach, indem er Problemlöseprozesse als zeitlich erstreckte Geschehensganzheiten analysierte. Zu Recht wird er daher (zusammen mit Kurt Lewin) als „eigentlicher Urheber der genetischen Betrachtung von psychischen Prozessen" (Schmidt, 1970, S. 40) gewürdigt. Problemlösungshandlungen werden als Sukzessivganzheiten beschrieben und der Ablauf der einzelnen Handlungsglieder minutiös registriert. So bietet beispielsweise die Köhlersche Beschreibung des sog. Doppelstock-Gebrauchs durch den Schimpansen Sultan eine glänzende Vorlage für die Rekonstruktion des „stadialen Aufbaus" einer Problemlösungshandlung dieses Typs, wobei die Funktion der einzelnen Handlungsglieder (Haupt-, Neben-, Zwischenhandlungen, Grad der Zielnäherung) exakt beschreibbar ist (Schmidt, 1970, S. 171 ff.). Köhler hat also maßgeblich eine aktualgenetische Sichtweise mitinitiiert. 2. Zwischen den 7—9 auf der Station lebenden Schimpansen gab es „erstaunliche Charakterunterschiede" (Köhler 1922, S. 15). Von zwei Schimpansen-Individuen wird berichtet, daß sie „in ihrer Art annähernd ebenso stark voneinander abwichen wie zwei menschliche Kinder grundverschiedenen Charakters" und „daß auf intellektuellem Gebiet die Verschiedenheit der einzelnen Individuen nicht minder groß ist" (Köhler, 1921, S. 5). Als Kriterium für die Beurteilung der Verhaltensunterschiede in den „Intelligenzversuchen" bezieht sich Köhler weniger auf das fertige Ergebnis als vielmehr auf die Prozeßcharakteristika des Problemlösens. Der Aufbau der Handlung, die Abfolge und Charakteristika der einzelnen Teilschritte sind die entscheidenden Paramter für die Bewertung des intelligenten Verhaltens. Beispielsweise werden Teilschritte, die nicht unmittelbar der Zielerreichung dienen, aber Anzeichen für die „Einsicht" in Lagebeziehungen bzw. Siluationsmerkmale aufweisen, als „gute Fehler" charakterisiert usw. Im Prinzip konnten auf dieser Basis diagnostische Strategien entwickelt werden, für die die Charakterisierung des Ablaufs bzw. Verlaufs einer Handlung erstrangige Relevanz besitzen. In diesem Sinne hat Köhler mit seinen Schimpansenversuchen den Weg für eine Verlaufsdiagnostik bereitet (vgl. Schmidt, 1970, S. 41). In der Tat wurden in späterer Zeit z. B. Umwegversuche mit Kindern unter diagnostischen Gesichtspunkten durchgeführt (Gottschaidt, 1933; Küssner, 1961). 3. Die Köhlerschen Untersuchungsergebnisse wurden als empirische Belege zur Bestätigung theoretischer Annahmen, insbesondere auf dem Gebiet der Denkpsychologie, herangezogen. Hierfür ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. 3 Wir wollen ein in seiner theoretisch-methodologischen Tragweite besonders bemerkenswertes Beispiel herausgreifen. Bekanntlich gab L. S. Wygotski (1898-1934) die Anthropoiden-Studie Köhlers 1930
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in russischer Sprache heraus und stellte ihre eine Einleitung voran. 4 Was interessierte Wygotski an Köhlers Arbeit? Es war der Nachweis von tierischen Intelligenzleistungen, die nicht an Sprache gebunden sind. „In Köhlers Versuchen finden wir den Beweis, daß die Anfänge der Intelligenz, d. h. des Denkens im eigentlichen Sinne des Wortes, bei den Tieren unabhängig von der Entwicklung der Sprache auftreten" (Wygotski, 1964 [1934], S. 88. Hervorhebung: G.Ii.). Die Leistungen der Schimpansen „bilden zweifellos die erste, aber vorsprachliche Phase in der Denkentwicklung" (ebda.). Wygotski benutzt dieses „Faktum", um nachzuweisen, daß „diegenetischen Wurzeln und der Entwicklungsverlauf des Denkens und Sprechens . . . bis zu einem gewissen Punkt verschieden sind" (a. a. 0., S. 109). „Der Weg zur menschlichen Intelligenz und der Weg zur menschlichen Sprache fallen in der Tierwelt nicht zusammen, die genetischen Ursprünge von Denken und Sprechen sind verschieden" (a. a. 0., S. 105).5 Die Kompatibilität der empirischen Befunde Köhlers mit den (entwicklungs-)theoretischen Auffassungen Wvgotskis liegt auf der Hand. Uberraschen könnte vielleicht, daß Wygotski den theoretischen Andeutungen Köhlers in bezug auf die den Intelligenzleistungen bzw. der „Einsicht" der Schimpansen zugrunde gelegten psychologischen Mechanismen weitgehend zu folgen scheint, zumindest aber keinen Widerspruch anmeldet. Zwar bemängelt Wygotski, daß „die Frage nach dem Mechanismus intelligenten Verhaltens . . . durch Köhlers Versuche nicht eindeutig . . . beantwortet" werde (a. a. O., S. 96), aber der Köhlcrschen Annahme, daß die Einsichtsleistungen ein Ergebnis der Wahrnehmungsorganisation seinen, hat er nicht widersprochen. „Köhler hat durch exakte experimentelle Analysen nachgewiesen, daß besonders der Einfluß einer aktuellen optischen Situation für das Verhalten der Schimpansen maßgebend ist", konstatiert er in lapidarer P'orm (a. a. O., S. 92). Immerhin wußte ja Wygotski, daß Köhler von der Charakterisierung der „Einsicht" als einer Wahrnehmungsleistung her auf eine „Theorie der Raumgestalten" zur Erklärung von Intelligenzleistungen rekurrierte und diese faktisch auf das autochthone Wirken von Gestaltgesetzen zurückführte. Hat damit Wygotski die gestalttheoretischen Positionen stillschweigend akzeptiert? Diese Frage ist insofern nicht nur rhetorisch als das scheinbare „Einigsein" Wvgotskis mit Köhler seinerzeit in der sowjetischen Psychologie heftige kritische Auseinandersetzungen auslöste, insbesondere seitens der Anhänger der Pawlow-Schule. 6 Wir können hier nur wiederholen, was bereits an anderer Stelle gesagt wurde: Die Köhlerschen Untersuchungsergebnissc erfordern nicht zwangsläufig seine gestalttheoretische Interpretation. Dies betrifft auch das FakLum der Gebundenheit bestimmter Problemlösungsprozesse an bestimmte Wahrnehmungsbedingungen und -leistungen. Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten in der Art und Weise, wie psychologische Probleme in der Gestaltpsychologie und bei Wygotski gesehen und bearbeitet werden. So ist etwa die Ablehnung der sog. „atomaren Analyse", d. h. einer elementaristischen Forschungsstrategie, beiden gemeinsam (Köhler versus Assoziationspsychologie und Behaviorismus; Wygotski versus Reaktologie und Reflexologie).7 Ferner bekennen sich — wie wir bereits sahen — sowohl Köhler als auch Wygotski — allerdings von jeweils sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten '/ii einer antiintellektualistischen Interpretation der Genese von Denkprozessen.8 Trotz dieser partiellen Gemeinsamkeiten besteht aber zwischen Köhler als Repräsen-
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tanten der Gestaltpsychologie und Wygotski als Repräsentanten der kulturhistorischen Schule ein wesentlicher und qualitativer Unterschied in der theoretischen und methodologischen Gesamtkonzeption der Psychologie, der sich genauer als Gegensatz kennzeichnen läßt. „Der Unterschied zwischen seiner [Wygotskis; G. E.] Methodologie und der Betrachtungsweise der Gestaltpsychologen tritt jedoch klar zutage, wenn man ein anderes wichtiges Moment der von ihm entwickelten Theorie der Ganzheitlichkeit ins Auge faßt, nämlich ihren Historismus. Historische Betrachtung war den Gestaltpsychologen etwas völlig Fremdes. Sie wollten die Situation ,jetzt und hier' untersuchen" (Leontjew, 1985, S. 30). In diesem übergreifenden Kontext erhält dann auch das Phänomen „Werkzeuggebrauch von Anthropoiden" bei Köhler und bei Wygotski einen jeweils unterschiedlichen theoretischen Stellenwert: Während bei Köhler das Werkzeug lediglich als Komponente einer Wahrnehmungssituation, als Objekt der Relationswahrnehmung von Belang ist, verbindet Wygotski den Gedanken vom „Vermitteltsein der natürlichen psychischen Funktionen durch spezifische ,psychische Werkzeuge'" (Leont jew, ebda.) mit der Hervorhebung des historischen Charakters dieser psychischen Funktionen. Bei Wygotski werden somit, „die ganzheitliche und die historische Betrachtungsweise . . . unlöslich miteinander verbunden" (a. a. 0 . , S. 31). Ein wesentliches Moment der theoretisch-methodologischen Kritik an der Gestallpsychologie ist damit global gekennzeichnet: das ahistorische Herangehen an die Untersuchung psychischer Prozesse. Bevor die theoretisch-methodologische Kritik schärfere Konturen erhält, ist es zunächst erforderlich, wesentliche Grundzüge des Theoriengebäudes der Gestaltpsychologie wenigstens andeutungsweise anhand der einschlägigen Arbeiten Köhlers zu skizzieren.
3. Von der gestaltpsychologischen Wahrnehmungslehre zur Universaltheorie der Gestalt Den unbefangenen Betrachter von heute mag es vielleicht verwundern, daß der überaus erfolgreiche Experimentator Wolfgang Köhler nach seinen Anthropoiden-Untersuchungen eine Abhandlung schrieb, die expressis verbis als „naturphilosophische Untersuchung" ausgewiesen ist: Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zusland (1920, Neuherausgabe 1924). Wenn wir uns erinnern, daß Köhler für die Interpretation der Einsichtsleistungen von Schimpansen eine „ausgeführte Theorie der Raumgestalten" forderte, dürfte sich der Grad der Verwunderung vermindern, denn eine derartige Theorie mußte in der Tat erst noch „ausgeführt" werden. Ein Rest von Verwunderung wird möglicherweise dennoch bleiben angesichts der Tatsache, daß Köhler sich bei dem Versuch, allgemeine Leitprinzipien für die theoretische Interpretation psychologischer Untersuchungsergebnisse zu gewinnen, in naturphilosophische Gefilde begeben zu müssen glaubte. Bei der Suche nach Gründen für die Bezugnahme auf eine naturphilosophische Ebene bei der theoretischen Interpretation empirischer Befunde können verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. So wäre etwa denkbar, daß Köhler generell ein geeignetes übergreifendes System (Denkschema), das Kriterien bzw. Orientierungen für die theoretische Interpretation psychologischer Ereignisse lieferte, nicht vorfand (das mechanisti-
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sehe Denkschema des Elementarismus hielt er — wir wir sahen — für ebenso ungeeignet wie das finalistische des Yitalismus). E s wäre aber auch denkbar, daß psychische Phänomene einfach für Naturphänomene gehalten wurden, die hinsichtlich ihrer strukturellen und funktionellen Charakteristika sich qualitativ nicht von anderen (physikalischen, chemischen, biologischen) Naturphänomenen unterschieden. Philosophisch ausgedrückt: Wenn Psychisches nicht als höchstorganisierte Bewegungsform materieller Systeme mit einer qualitativen Spezifik anerkannt und von anderen (niederen) Bewegungsformen prinzipiell unterschieden wurde, war es möglich, philosophische Annahmen über die Nat u r schlechthin als Prinzipien für theoretische Ableitungen in der Psychologie zu handhaben. Andeutungen Köhlers im Vorwort des o. g. Buches, daß die aufgeworfenen Fragestellungen „einen ganz allgemeinen S i n n " (Köhler 1924 [1920], S . V I I ) haben, sind noch relativ unbestimmt. Der breite Geltungsanspruch, der mit dem B u c h erhoben wird, ist jedoch daran erkennbar, daß sowohl eine „Einleitung für Philosophen und Biologen" als auch eine „Einleitung für Physiker" vorangestellt wird. E i n e Einleitung für Psychologen gibt es nicht, obwohl sich der Gestaltbegriff seit von Ehrenfelds auf „psychische Zustände und Vorgänge" (a. a. 0 . , S . I X ) bezog. 3.1.
„Physikalismus"
B e i genauerem Hinsehen zeigt sich, daß es keine umfassenden naturphilosophischen Systeme, sondern bestimmte physikalische Theorien sind, die als Muster für die Deutung der gestaltpsychologischen Phänomene herangezogen werden. Die geeignetsten dieser Muster waren Theorien über Strukturbildungen im physikalischen Feld. Die Autoritäten unter den Physikern, auf die sich Köhler bezog, haben diese Probleme b e a r b e i t e t : Pierre Curie, E r n s t Mach, Clerk Maxwell, Max Planck, Walter Xernst. Köhler selbst schildert die Genese seiner Bezugnahme auf die Physik in einem seiner letzten Vortragsentwürfe : „Under Planck's influence I had dimly felt that between Wertheimer's new thinking in psychology and the physicist's thinking in field physics there was some hidden connection. W h a t was it? I now began to study the important works on field physics. The first discovery I made was that, fifty years before Wertheimer, some of his basic questions had already been asked not by psychologists but by physicists, first of all by Clerk Maxwell, the greatest physicist of that period" (Köhler, 1967, S. X X I ) .
W a s die Orientierung an der Physik betrifft, sind mehrere Aspekte, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen, geltend zu machen. Zum einen war die Physik eine Wissenschaft, in der sich in ähnlicher Weise wie in der Psychologie die Unzulänglichkeit einer mechanistischen Denkweise in zunehmendem Maße erwies. Gerade die Physiker, die zu den akademischen Lehrern Köhlers während seines Studiums an der Berliner Universität zählten, Walther Hermann Nernst und Max Planck, beförderten mit ihren experimentellen und theoretischen Arbeiten maßgeblich den Paradigmenwechsel in der Physik von der klassischen Mechanik zur modernen Quantenphysik. Die Physik aber als „fortgeschrittenste Naturwissenschaft" (Köhler, 1971, S. 45) war für Köhler das Leitbild für wissenschaftliches Arbeiten schlechthin. Anleihen an Forschungsstrategien, die dem neuen Paradigma in der Physik entsprachen, lagen daher nahe. 9 Indes verbleibt dieser Aspekt der Hinwen-
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dung zur Physik auf der Ebene einer äußeren, nicht zwangsläufig die Untersuchungsgegenstände selbst inhaltlich betreffenden Beziehung. Ein zweiter Gesichtspunkt, der bei der Kennzeichnung der engen „Nachbarschaft" zwischen Psychologie und Physik geltend zu machen ist, betrifft den (möglichen) Nachweis von Analogien in bezug auf Struktureigenschaften und Funktionsprinzipiell von einerseits physikalischen, andeierseits psychologischen „Tatbeständen". Das bevorzugte Terrain, auf dem diese Analogien zutage traten oder zutage gefördert wurden, war das der sog. „Gestalten". Die Ankündigung Köhlers, daß „in dieser Schrift [„Die physischen Gestalten. . . " ; G. E.] der Nachweis physikalischer Gestalten' mit großer Breite und bis ins einzelne geführt" wird (Köhler 1924, S. X X ) , ist hier einzuordnen. Köhler stellt folgerichtig als erstes sog. „physikalische Voruntersuchungen" an (insbesondere Kapitel 2 „Die elektrostatischen Strukturen"), die einzig und allein dem Ziel dienen, die Existenz physikalischer Gestalten nachzuweisen, die sog. phänomenalen Gestalten analog sind. Beispielsweise kommt er zu dem Ergebnis, daß es sich bei der von Wertheimer für den Bereich der phänomenalen Wahrnehmung beschriebenen Tendenz „zur Prägnanz der Gestalt" „um Gestalten von demselben Grundcharakter wie in der Physik handelt" (a. a. 0 . , S. 259). Der Versuch, Analogien in bezug auf Strukturbeziehungen und -eigenschaften im Bereich einerseits psychischer, andererseits physikalischer Vorgänge aufzufinden, kann potentiell auf einer formalen Ebene erfolgen und hat per se noch nichts mit Physikalismus im eigentlichen Sinne zu tun. Nun ist Köhler allerdings — und damit kommen wir zum dritten Gesichtspunkt der o. g. Beziehung — bei der einfachen Konstatierung formaler Analogien nicht stehengeblieben, sondern ist zur Erklärung psychophysischer Prozesse mittels physikalischer Kategorien übergegangen. Die Grenze, die zwischen dem Konstatieren von Analogien und der Verwendung von Analogien zu Erklärungszwecken liegt, wurde überschritten und erst damit der Physikalismus zum methodologischen Prinzip erhoben: „Gibt es physikalische Gestalten, dann besteht begründete Hoffnung, zentral-physiologische Vorgänge von Gestaltcharakter als Spezialfälle von jenen her verstehen zu können" (a. a. 0 . , S. X V , Hervorhebung: G. E,).
Von der „physikalischen Auffassung des nervösen Geschehens" ist es dann nur noch ein kurzer Schritt zur physikalischen Analyse des sog. „phänomenalen Geschehens". Das Prinzip des psychophysischen Isomorphismus bildet die Brücke, um diesen Schritt zu gehen. 3.2. Das
Isomorphieprinzip
Anregungen Wertheimers folgend, versucht Köhler in den „Physischen Gestalten", Isomorphie-Relationen zunächst im sog. „optischen Gebiet" nachzuweisen, indem er dort „eine Art sachlicher Ähnlichkeiten zwischen psychophysischem Geschehen und phänomenalem Feld" (a. a. 0 . , S. 193) aufzufinden meint. Die Kongruenzannahme wird als raumsymbolische Dichotomie ausgedrückt: „Denn was innen, das ist außen". 1 0 Vom optischen Gebiet aus erfolgt sodann die Generalisierung auf das gesamte „aktuelle
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Bewußtsein" : „Aktuelles Bewußtsein ist in jedem Falle zugehörigem psychophysischen Geschehen den (phänomenal und physisch) realen Struktureigenschaften nach verwandt, nicht sachlich sinnlos nur zwangsläufig daran gebunden" (ebda.). Dies ist die frühe Version des Isomorphieprinzips. Die spätere Fassung lautet: „Psychologische Tatsachen und die zugrundeliegenden Gehirnvorgänge sind in allen ihren Strukturcharakteristika ähnlich" (Köhler, 1971 [1966], S . 5 0 ) . Aus der Aufwertung der Isomorphieannahme zu einem allgemeinen Leitsatz der Psychologie ergeben sich weitgehende forschungsmethodische, methodologische und philosophisch-erkenntnistheoretische Folgen. Diese werden in den „Physischen Gestalten. . ." 1920 teilweise schon angedeutet, im einzelnen aber erst 1933 in den „Psychologischen Problemen" auf den Begriff gebracht. Wir wollen einige wesentliche dieser Folgen, soweit sie bei Köhler sichtbar werden, charakterisieren, ohne den Anspruch zu erheben, eine systematische Darstellung und Wertung der gestalttheoretischen Auffassungen insgesamt zu geben. 1. Mit der Annahme, daß der Bereich des Psychischen, des Organischen und des Anorganischen, durch die Existenz und Wirksamkeit von „Gestalten" ausgezeichnet sei, wird der Gestaltbegriff zu einem Universalbegriff ausgeweitet. Diese Ausweitung bot nicht selten Anlaß zu ironisierender Kritik aus den verschiedensten „Lagern", z. B. seitens K. S. Lashleys und seitens L. S. Wygotskis. 1 1 2. Aus der Annahme einer Isomorphierelation zwischen phänomenalem, physiologischem und physikalischem Geschehen leitet Köhler die Berechtigung ab, Schlußfolgerungen von einer Ebene auf eine andere in beliebiger Weise zu ziehen. Die Folgerungskette kann in quasi aufsteigender (phänomenale ->- physiologische physikalische Gestalten) und in quasi absteigender (physikalische ->- physiologische ->- phänomenale Gestalten) durchgespielt werden. In den „Psychologischen Problemen" wird diese Prozedur an zahlreichen Beispielen demonstriert. In erweiterter Betrachtung hat die phänomenale Gegebenheit von räumlichen und zeitlichen Relationen schlechthin ihre jeweilige nervenphysiologische Entsprechung. 12 In letzter Verallgemeinerung gilt, daß „die konkrete Struktur der Erlebnisse die getreue Wiedergabe einer entsprechenden Funktionalordnung in den Prozessen, von welchen die Erlebnisse abhängen", werde (Köhler, 1933, S. 41). 3. An den Satz, daß die phänomenale Struktur eine „getreue Widergabe" der jeweiligen physiologischen Prozeßstruktur sei, fügt Köhler eine erkenntnistheoretisch außerordentlich aufschlußreiche Anmerkung a n : „Wer es vorzieht, den gleichen Gedanken genau umgekehrt zu formulieren, kann das tun" (ebda.). Die Umkehrung würde sinngemäß lauten: Die hirnphysiologischen Prozesse finden ihre Entsprechung in der Struktur des phänomenalen Erlebens. Nun kann man zwar einwenden, daß aus der Behauptung einer Kongruenz von phänomenaler und physischer Struktur nicht notwendigerweise erkenntnistheoretische Schlüsse abgeleitet werden müssen und daß man ein Entsprechungsverhältnis nicht mit einem Delerminationsverhältnis verwechseln dürfe. Fakt ist aber, daß Köhler mit dem Isomorphieprinzip erkenntnistheoretische Folgerungen verbindet. Wir geben eines der Beispiele wieder, aus dem dies hinreichend deutlich hervorgeht. Wenn eine Versuchsperson den Satz bildet „Dieses Buch ist größer als jenes", dann kann diese Aussage „Ausdruck eines Vergleichserlebnisses" sein (phäno-
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menale Deutung) oder als „Anzeichen einer . . . dynamisch-funktionellen Beziehung in den zugehörigen physiologischen Prozessen" angesehen werden (physiologische Deutung). Die Entscheidung für die eine oder andere Deutung sei „wirklich recht unwichtig" (Köhler, 1933, S. 42). Psychophysische Prozesse bilden somit einen in sich geschlossenen .dynamischen Zusammenhang und werden nur aus sich selbst heraus verstanden. Eine „äußere Vermittlung" der psychophvsischen Prozesse wird nicht in Betracht gezogen. Damit wird auch jegliche gnostische Funktion psychischer Prozesse in bezug auf außerhalb von ihnen gegebene, objektive Tatbestände ausgeschlossen. Mit anderen Worten: Die Möglichkeit, daß psychischen Prozessen eine Widerspiegelungsfunktion gegenüber einer außerhalb und unabhängig von ihnen existierenden Wirklichkeit zukommt, wird verneint. In letzter Konsequenz führt die Gestalttheorie also zu subjektividealistischen erkenntnistheoretischen Positionen. 11 Wenn dem „phänomenalen Geschehen" eine Widerspiegelungsfunktion abgesprochen und eine Vermittlung durch die Widerspiegelungsfunktion ausgeschlossen wird, dann heißt dies, daß Verhalten durch die Beschaffenheit einer Situation selbst „erzeugt" (!) wird. Die Situation bedarf keiner Widerspiegelung durch ein Subjekt, sondern ihre Beschaffenheit als solche bestimmt „unmittelbar" mein Verhalten. Die Verhaltenstendenzen in einer bestimmten Situation sind „die natürliche Folge oder die Entwicklung eines implizite oder im Keim schon vorher im Feld bestehenden Ansatzes" (a. a. 0 . , S. 250). Köhler spricht in diesem Zusammenhang von einem „Kraftfeld" und von „Vektoren", die diesem eigen sind. 14 4. Die Isomorphierelation setzt ein dynamisches Geschehen im psychophysischen Feld voraus. Das Prinzip der Dynamik, genauer der Eigendynamik des Feldes, ist neben dem Prinzip der Ganzheitsbestimmtheit eine fundamentale Komponente gestalttheoretischen Denkens. Vom Prinzip der Dynamik her stoßen wir wiederum auf den bereits erwähnten Nativisinus: Da die aktuelle Feldbeschaffenheit unmittelbar gegeben ist und unmittelbar Verhaltenstendenzen „erzeugt", spielen vorherige Erfahrungen des Individuums für die Organisation seines Verhaltens höchstens eine untergeordnete Rolle. Eine weitere Konsequenz, die sich aus der Annahme der „Erzeugung" des Verhaltens durch die Dynamik des Feldes ergibt, betrifft die gestaltpsychologische Persönlichkeitsauffassung. Köhler spricht von der „Bestimmung von Ichzuständen durch Umgebungsbestandteile" (a. a. 0 . , S. 241). Mit den „Umgebungsbestandteilen" meint er jedoch nicht etwas außerhalb des Individuums objektiv Existierendes, sondern das dynamische Beziehungsgefüge im psychophysischen Feld. Man müsse davon ausgehen, „daß in einem Gebiet des gleichen physiologischen Feldes diejenigen Prozesse vor sich gehen, die . . . jeweils dem Ich, seinen gegenwärtigen Zuständen und Verhaltensweisen, zugrunde liegen. Wie mein Ich sich inmitten der Dinge und Ereignisse meiner anschaulichen Umgebung befindet, so muß das Geschehensganze, das eben jenem Ich entspricht, im Hirnfeld eine Umgebung von Geschehnissen haben, die aus sensorischen Prozessen usw. . . . bestehen" (a. a. 0 . , S. 240). Das Ich wird faktisch aufgelöst in der Dynamik des psychophysischen Geschehens. Die Subjektfunktion der Persönlichkeit verflüchtigt sich im „Feld". Die bisherigen mit dem Isomorphieprinzip verbundenen bzw. aus ihm abgeleiteten Implikationen Köhlers lassen sich vorläufig in folgenden Stichworten zusammenfassen:
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— Ausweitung der These von den Gestalteigenschaften der Wahrnehmung auf eine Universaltheorie der Gestalt — Berechtigung, Schlußfolgerungen von Struktureigenschaften und -beziehungen im psychischen („phänomenalen") Bereich auf solche im physiologischen und physikalischen Bereich zu ziehen und umgekehrt — Nichtbeachtung der gnostischen Widerspiegelungsfunktion psychischer Prozesse — Zurückführung des Verhaltens und der Verhaltenstendenzen auf die der jeweiligen aktuellen Situationsbeschaffenheit entsprechende Eigendynamik im psychophysischen Feld. 3.3. Der Rückgriff
auf die Phänomenologie
und seine
Folgen
Wie im ersten Abschnitt dargelegt, war für die Herausbildung der Gestaltpsychologie die explizite Antithetik zum elementaristischen Ansatz der klassischen Psychophysik von entscheidender Bedeutung. Nachdem sich die Gestaltpsychologie als Schule etabliert hatte, betrachtete sie den Behaviorismus als einen ihrer wichtigsten aktuellen Antipoden. Eine Reihe theoretischer Aussagen Köhlers wird daher erst auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Behaviorismus verständlich. Zugleich werden bei diesen Auseinandersetzungen übergreifende philosophische Orientierungen deutlich, die zur Legitimation der eigenen Argumentation herangezogen werden. Eine dieser Argumentationen mündet in den Vorwurf, die Behavioristen hätten in ihren Untersuchungen auf Konstrukte zurückgegriffen, die einer Grundlage in der „unmittelbar zugänglichen W e l t " entbehrten. „Ein Beobachter, der menschliches und tierisches Verhalten vorurteilslos betrachtete, würde Reflexe und bedingte Reflexe kaum als die nächstliegenden oder gar als die allein in B e t r a c h t kommenden Funktionstypen ansehen, mit deren Hilfe seine Beobachtungen erklärt werden müßten. Diejenigen aber, welche felsenfest überzeugt sind, daß die Theorie ursprünglicher und erworbener Reflexe die ganze Wahrheit vom Nervensystem darstellt, haben gar kein rechtes Motiv mehr für unbekümmerte Beobachtung natürlichen Verhaltens" (Köhler, 1933, S. 35). E s sei statt dessen angebracht, daß „ich mich auf meine Anschauung verlassen kann, wo es sich um Feststellungen über das Verhalten . . . handelt." (a. a. 0 . , S . 36, Hervorhebungen: G. E.). Mit der Berufung auf „vorurteilslose" Betrachtung, „unbekümmerte Beobachtung" und schließlich „meine Anschauung" greift Köhler ein methodologisches Postulat auf, wie es seinerzeit von der Phänomenologie Husserlscher Prägung erhoben wurde. Husserl forderte eine „absolut vorurteilsfreie Gründung aller Wissenschaften . . . auf das originär zu Erfassende" (Husserl, 1913; zit. nach Noack 1976, S . 192). Was aber sollte „das originär zu Erfassende" sein? Es waren nicht die Empfindungen, denn diese waren auf physikalisch-physiologischc Prozesse zurückzuführende Größen, mithin nichts Ursprüngliches. Das Ausgehen von Empfindungen bei der psychologischen Analyse komme vielmehr einem „bodenlosen Theoretisieren in anschauungsfreien Begriffen und mathematischen Spekulationen" gleich (Husserl a. a. 0 . ) . In meiner naiven Erfahrung weiß ich nichts von physikalisch-physiologischen Prozessen; sie werden nicht subjektiv erlebt. Genau in diesem Sinne erklärt Köhler „die Welt, wie wir sie unkritisch und unmittelbar . . . vorfinden", zum „Ausgangsmaterial" für die Psychologie (Köhler, 1933, S. 1). Psychologisches Fragen müssen 2
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bei einem „naiven Weltbild" (ebda.) einsetzen. Die Affinität der Köhlerschen Forderungen zu denen Husserls ist offensichtlich. Im übrigen wird sie von Vertretern beider Seiten — der Gestalttheorie und der Phänomenologie — ausdrücklich hervorgehoben. Der aus der Berliner Schule kommende W. Metzger z. B. erhebt die „in der phänomenologischen Schule der Philosophie . . . an den Forscher gerichtet(en)" methodologischen Forderungen zum Verhaltenscodex des Psychologen und rühmt die (denkmethodische) „Erziehungsarbeit, die von der phänomenologischen Schule der Philosophie geleistet wurde", nämlich „unbefangen (zu) sehen" (Metzger, 1954, S. 12 und 25). Andererseits wird aus phänomenologischen Kreisen der Gestaltpsychologie bescheinigt, sie habe „durch die Ablehnung der Lehre von den Einzelempfindungen . . . die Aufmerksamkeit der Psychologen für die Ideen Husserls und seiner Schüler sehr stark gefördert" (Buytendijk, 1959, S. 87). Der Einfluß der Phänomenologie auf die Gestaltpsychologie im allgemeinen und auf Köhler im besonderen ist allerdings eher mittelbarer Art. Direkte Bezugnahmen Köhlers auf Husserl sind selten. 15 Von Interesse ist der inhaltliche Zusammenhang, in dem Köhler in den „Psychologischen Problemen" auf Husserl (neben Brentano und Stumpf) zu sprechen kommt: Köhler verweist auf die Abhängigkeit der Wahrnehmungsresultate von „meiner" aktuellen inneren Befindlichkeit und demonstriert diese an Wahrnehmungsänderungen als „Folge meiner inneren Haltung", z. B. bei Kippfiguren. Ebenso sei das Bemühen, sich an etwas Bestimmtes zu erinnern, immer als Orientierung auf etwas charakterisierbar; es sei gegenständlich gerichtet. Inder Anmerkung dazu heißt es dann: „Die Erörterungen dieses Kapitels bewegen sich gelegentlich nahe den Vorstellungen der ,Aktpsychologie' (Brentano, Stumpf, Husserl u. a.)" (Köhler, 1933, S. 228). Bei diesen Autoren seien zwar keine Ausführungen über „das Problem einer Organisation im Gesamtfeld" zu finden, aber sie hätten darauf hingewiesen, daß der „,Akt l . . . einen Gegenstand h a t " (ebda.). Die Nähe der Auffassungen Köhlers zu denen der Phänomenologie wird somit insbesondere am Konzept der Intentionalität sichtbar. Wie bei Husserl — in Fortführung Brentanos — die Eigenart des Bewußtseins darin besteht, immer „Bewußtsein von E t w a s " und insofern auf etwas gerichtet zu sein, so spricht Köhler davon, daß sich im psychophysischen Geschehen „ein unmittelbar gerichteter Zustand (Vektor) ergeben" muß (a. a. 0 . , S. 249). Ferner ist ebenso wie bei Husserl auch bei Köhler die Gerichtetheit eine dem psychischen Akt immanente, nicht die Vermittlung eines objektiven Äußeren betreffende. Nach Husserl ist „der intentionale Gegenstand der Vorstellung derselbe wie ihr wirklicher", und es sei „widersinnig, zwischen beiden zu unterscheiden" (Husserl, 1901; zit. nach Noack 1976, S. 195). Köhler meint in dem Sinne nach analoger Weise, daß das in der Anschauung Gegebene „die einzige Basis darstellt, von der aus ich in der Konstruktion der Wirklichkeit fortfahren kann" (Köhler 1933, S. 16). Die „direkt zugängliche Welt" wird getrennt von einer vagen „physischen Realität", die als transzendent im Sinne von jenseits anschaulicher Erfahrung gilt. Wenn Husserl als methodologischen Grundsatz die Devise „Zurück zu den Sachen!" ausgibt, versteht er unter „Sachen" nicht objektiv-reale Gegenstände und Sachverhalte, sondern das im Bewußtsein unmittelbar Gegebene, das Intentionale. Auf gestaltpsychologischer Ebene entspricht den „Sachen" das Phänomenale oder — wie Köhler auch formuliert — die „Anschauungsdinge". Die bereits erörterte Isomorphieannahme verdankt
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ihre gedankliche Entstehung — wenn wir Köhler Glauben schenken dürfen — der Umsetzung eben dieses Leitprinzips phänomenologischer Methode — „Zurück zu den Sachen!" — auf das psychophysische Problem. Köhler läßt an seiner phänomenologisch bestimmten methodologischen Strategie keinen Zweifel; er will „von gegebenen Eigenschaften des Phänomenalen Schlüsse auf die Beschaffenheit zugehöriger physiologischer Prozesse ziehen" (a. a. 0 . , S. 38), dafür brauche man ein „Leitprinzip"; die Isomorphieannahme sei das nächstliegende. Die Möglichkeit, daß eine von einem dieserart begründeten Isomorphieprinzip geleitete Psychophysiologie in empirische Nachweisschwierigkeiten kommen könnte, hat Köhler zwar rhetorisch eingeräumt , in seiner Forschungspraxis aber nicht ernstlich in Betracht gezogen. Schon 1920 hält er eine am Isomorphieprinzip ausgerichtete psychophysiologische Forschung für prinzipiell durchführbar: „Man pflegt zu sagen, selbst bei genauester physikalischer Beobachtung und Kenntnis der Hirnprozesse würde doch aus ihnen nichts über die entsprechenden Erlebnisse zu entnehmen sein. Dem muß ich also widersprechen. Es ist im Prinzip eine Hirnbeobachtung denkbar, welche in Gestalt- und deshalb in wesentlichsten Eigenschaften Ahnliches physikalisch erkennen würde, wie der Untersuchte phänomenal erlebt" (a. a. 0 . , S. 193, Anm. 1, Hervorhebungen im Original). Die intensive Forschungsarbeit, die Köhler insbesondere nach seiner Emigration in die USA leistete, steht zu einem großen Teil im Zeichen dieses 1920 angekündigten Versuches, die Isomorphieannahme empirisch (psychophysiologisch) zu bestätigen. Die strenge Bindung seiner psychophysiologischen Untersuchungen an die Isomorphieannahme brachte ihn allerdings in erhebliche Widersprüche zu den seinerzeit modernen Trends in der Neurophysiologie des Zentralnervensystems. Gemäß seiner Auffassung vom dynamischen Feldgeschehcn hat Köhler das Zentralnervensystem faktisch als einen „quasi homogenen Elektrolyten, in dem die Erregungsvorgänge kontinuierlich verteilt sind und in ubiquitärer Wechselwirkung stehen" (Bischof, 1966b, S. 335), betrachtet. Die Struktur des neuroanatomischen Substrats spielte für seine Art, Psychophysiologie zu betreiben, kaum eine Rolle. In den Langfeld Memory Lectures 1966 erblickt er in der Technik, mit Hilfe von Mikroelektroden Stromschwankungen in einzelnen Nervenzellen abzuleiten, ein Anzeichen für das Wiederaufleben des „alten Glaubens an die primäre Bedeutung rein lokaler Tatsachen" und fügt bedauernd hinzu: „Maxwells und Plancks Worte sind, so scheint es, nicht gehört worden" (Köhler, 1971, S. 90). Bekannt geworden sind insbesondere die zum Teil mit Mitarbeitern (H. Wallach, D. Dinnerstein, D. A. Emery) verfaßten Arbeiten über figurale Nachwirkungen 1 6 sowie die zusammen mit R. Held durchgeführten Versuche, mittels Ableitung von Gleichströmen aus Cortexbereichen Anzeichen von Wahrnehmungsprozessen feststellen zu wollen. 17 Die kritische Haltung, die seitens der mainstream-Neurophysiologie zu Unternehmungen dieser Art eingenommen wurde, brachte Teuber mit den Worten zum Ausdruck: „So wie sich das Köhler vor beinahe einem halben Jahrhundert vorstellte, geht es wohl doch nicht im Gehirn zu. . . . Diese Experimente liegen gewiß nicht in der Hauptströmung der Entwicklung, die uns zur gegenwärtigen Physiologie des Zentralnervensystems gebracht hat" (Teuber, 1967, S. VIII). Gewinnt man geradezu den Eindruck, Köhler sei das Opfer seiner eigenen, zu lange aufrechterhaltenen Hypothese geworden, so muß doch historisch korrekterweise vermerkt 2*
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werden, daß er die psychophysiologische Forschung irisgesamt wesentlich befruchtet hat und ferner zeitlebens betont hat, daß die Isomorphieannahme eine Hypothese sei (vgl. Köhler, 1971, S. 50). Schließlich haben Hypothesen das Recht, falsifiziert zu werden.
4. Köhlers Werk als Bestandteil des wissenschaftshistorischen Erbes der Psychologie Um Wolfgang Köhler im ganzen gerecht werden zu können, tun wir gut daran, seine Leistungen aus der historischen Situation heraus zu bewerten, in der sie entstanden sind. Wenden wir uns unter diesem Aspekt der Lage der Psychologie am Anfang unseres Jahrhunderts zu und versuchen rückblickend einzuschätzen, ob und wie Köhlers Werk die Entwicklung unseres Wissenschaftsgebietes beeinflußt hat. Wir haben fürs erste festzustellen, daß er zusammen mit Max Wertheimer, Kurt Koffka und K u r t Lewin in der T a t außerordentlich weitreichende Impulse gesetzt hat. In einer Zeit, in der die mechanistischen Beschränkungen und elementaiistischen Verkürzungen einer weithin dem Assoziationsprinzip verhafteten Psychologie immer offensichtlicher wurden und mit der Kritik an diesen Schwächen zugleich die entscheidende methodologische Errungenschaft — die Einführung des Experiments in die psychologische Forschung — in" Gefahr zu geraten drohte im Sinne eines Rückfalls in den Status einer ancilla philosophiae, womöglichst noch unter lebensphilosophischer Ägide (Dilthey) — in dieser Zeit also kommt Köhler und seinen gestalttheoretisch orientierten Mitstreitern das bleibende Verdienst zu, nicht nur diesen Rückfall mit verhindert zu haben, sondern auch die atomistische Sichtweise überwunden und mit der Akzentuierung der Ganzheitlichkeit und Strukturiertheit psychischer Prozesse die experimentelle Forschungsmethodik bereichert und auf eine neue Basis gestellt zu haben. Freilich war damit nicht der Ausweg aus der Krise gefunden. Die Ausweitung der Gestaltpsychologie zu einer Gestalt-„Weltanschauung", die in eine subjektividealistische Richtung tendierenden erkenntnistheoretischen Implikationen, das Verharren auf den Prinzipien des Physikalismus und Isomorphismus sowie die Anleihen an eine der philosophischen Phänomenologie verpflichtete Denkweise trugen nicht dazu bei, die Krise zu überwinden, sondern dazu, deren Inhalte zu verlagern. Dennoch bildete die Orientierung an den fortgeschrittensten Naturwissenschaften und insbesondere die Schaffung neuartiger Standards in der experimentellen Arbeit wichtige Voraussetzungen für den Fortschritt der psychologischen Erkenntnisgewinnung. Köhler hat unmittelbar und mittelbar zu diesen Fortschritten beigetragen. Was die mittelbaren Beiträge anbelangt, ist insbesondere auf die unter Köhlers Direktorat (1922—1934 Institutsdirektor in Berlin, kommissarische Leitung bereits 1920/21, Zwischenstation in Göttingen 1921/22) herrschende, kreativitätsfördernde Atmosphäre am Berliner Institut zu verweisen (Heider, 1970; Meili, 1972; Metzger, 1970 und 1972). Der methodische Einfallsreichtum und die Originalität der Themenstellungen vieler am Berliner Institut entstandener und vorwiegend in der „Psychologischen Forschung" veröffentlichter Arbeiten — Arbeiten, die mittlerweile zu Standardinhalten der Ausbildungsprogramme mehrerer Psychologengenerationen avancierten und mithin „klassisch" genannt werden dürfen — konnten nur in einer solchen Atmosphäre gedeihen. Bei allem Enthusiasmus für die wissenschaftliche Arbeit
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v e r k r o c h sich K ö h l e r nicht im „Elfenbeinturm". Er gehörte zu den wenigen deutschen Psychologen, die rautig ihre S t i m m e gegen faschistische W i l l k ü r erhoben. Nach der Machtergreifung Hitlers stellte er sich schützend v o r bedrohte Mitarbeiter, insbesondere die jüdischen und als linksstehend geltenden, n a h m in dem Zeitungsartikel „Gespräche in Deutschland" (Deutsche Allgemeine Zeitung v o m 28. 4. 1933) in massiver F o r m öffentlich gegen die Entlassung jüdischer Wissenschaftler Stellung (Henle 1 9 7 8 , Sprung und Sprung 1987) und u n t e r s t ü t z t e auch iii der Emigration antifaschistische Aktionen, wie sie etwa von seinem Mitarbeiter K a r l Duncker (1903—1940) mit dem Entwurf eines „ A u f rufs an die Deutschen" geplant waren (Eckardt 1968). K u r z v o r seinem Tode ließ er es sich nicht nehmen, seine (ihren S t a n d o r t notwendigerweise verändernde) ehemalige W i r k u n g s s t ä t t e , das Psychologische Institut der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t zu Berlin, zu besuchen. W o l f g a n g Köhlers W e r k ist Bestandteil des bedeutenden historischen Erbes, das der Psychologie als Wissenschaft gegeben und aufgegeben ist.
Anmerkungen Ehrenfels, Ch. v . : Über Gestaltqualitäten. Vierteljahresschrift für wiss. Philos. 14 (1890) 249-292, Meinong, A.: Zur Psychologie der Komplexionen und Relationen. Z. Psychol. 2 (1891) 245—265. Cornelius, H.: Psychologie als Erfahrungswissenschaft, 1897, ders.: Über Gestallqualitäten. Z. Psychol. 24 (1900) 117-141. 2 Die Charakterisierung der Köhlerschcn Abhandlung von 1913 als „a forerunner of the doctrine of isomorphism" bei Boring (1957, S. 616) ist relativ berechtigt. 3 Nach Bergius sind die Untersuchungen zur Intelligenz von Anthropoiden „ein Wendepunkt in der Denkpsychologie" geworden. „Vom Vorstellungsverlauf und von der ausschließlichen Beschäftigung mit sprachlichen Aufgaben ging man nun zur Untersuchung produktiven Problemlösens über" (1967, S. III). 4 Das Buch Köhlers wurde von L. W. Sankow und I. M. Sokolow ins Russische übersetzt. Wygotski stützte sich in seiner Einleitung auf einen Aufsatz aus dem Jahre 1929, in dem er die Köhlersche Arbeit bereits ausführlich analysierte. Dieser Aufsatz erschien in „EcTeCTBOSHaHHe H MapKCH3M" 1, 1929, und wurde noch im gleichen Jahr in deutscher Sprache in der Schriftenreihe „Unter dem Banner des Marxismus" Nr. 3 unter dem Titel „Die genetischen Wurzeln des Denkens und der Sprache" veröffentlicht. Es konnte nicht ermittelt werden, ob Köhler den Artikel Wygotskis kannte. Eine weitere ausführliche Bezugnahme auf Köhlers Anthropoiden-Untersuchungen findet sich in den gemeinsam von Wygotski und Lurija verfaßten „Studien zur Geschichte des Verhaltens" („9TIO;HHI no HCTOpHH nOBefleHHH"), 1930, der „ersten umfassenden Abhandlung der kulturhistorischen Schule". Vgl. dazu Scheerer 1980. 5 Seine Auffassungen über das Verhältnis zwischen Denken und Sprechen in der phylogenetischen Entwicklung faßte Wygotski in folgenden Punkten zusammen: „1. Denken und Sprechen haben verschiedene entwicklungsgescbichtliche Wurzeln. 2. Die Entwicklung des Denkens und der Sprache verläuft unabhängig voneinander auf verschiedenen Wegen. 3. Das Verhältnis zwischen Denken und Sprechen ist im Verlauf der phylogenetischen Entwicklung keine konstante Größe. 4. Die Anthropoiden lassen eine menschenähnliche Intelligenz in einigen Beziehungen erkennen . . . und eine menschenähnliche Sprache in völlig anderen . . . 5. Die Anthropoiden lassen den für den Menschen charakteristischen engen Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen nicht erkennen. 1
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6. I n der Phylogenese des D e n k e n s u n d S p r e c h e n s k ö n n e n wir eine v o r s p r a c h l i c h e P h a s e in der E n t w i c k l u n g der Intelligenz u n d eine v o r i n t e l l e k t u e l l e P h a s e in der E n t w i c k l u n g d e r S p r a c h e feststellen" ( W y g o t s k i , 1964, S. 98). E i n e k r i t i s c h - a b l e h n e n d e H a l t u n g zu diesen A u f f a s s u n g e n bezog P . P . Blonski in seiner S c h r i f t „ G e d ä c h t nis u n d D e n k e n " (1935). Vgl. d a z u P e t r o w s k i (1967, S. 310f.). 6 Die „ I n t e l l i g e n z p r ü f u n g e n a n M e n s c h e n a f f e n " v o n W . K ö h l e r w u r d e n in zwei der sog. „ M i t t w o c h S i t z u n g e n " (16.5 u n d 12. 9. 1934) einer dezidierten k r i t i s c h e n B e h a n d l u n g d u r c h I. P . P a w l o w u n t e r zogen. P a w l o w warf K ö h l e r A n t h r o p o m o r p h i s i e r u n g s t e n d e n z e n bei der I n t e r p r e t a t i o n der S c h i m p a n s e n l e i s t u n g e n v o r . Hinsichtlich seiner Tier—Mensch—Vergleiche erweise sich K ö h l e r als „ O p f e r des Animism u s " . A u s f ü h r l i c h e B e s p r e c h u n g der k r t i s c h e n E i n w ä n d e P a w l o w s bei A. W . P e t r o w s k i 1967, S. 211 f. 7
Scheerer spricht den V e r t r e t e r n der k u l t u r h i s t o r i s c h e n Schule (Wygotski, L u r i j a , L e o n t j e w ) sogar einen t e m p o r ä r e n „ e n t h u s i a s m for G e s t a l t p s y c h o l o g y " zu, der a u s der g e m e i n s a m e n Gegenposition zu m e c h a n i s t i s c h e n K o n z e p t i o n e n resultiere: „ T h e i m p a c t of G e s t a l t ideas served a n i m p o r t a n t f u n e t i o n in t h e s t r u g g l e a g a i n s t m e c h a n i s t i c theories of b e h a v i o r w h i c h were a t t h a t t i m e p r e d o m i n a n t in Soviet psychology" (Scheerer, 1980, S. 113). I n d e m B e i t r a g Scheerers w i r d zugleich eine m a t e r i a l r e i c h e Ü b e r s i c h t ü b e r die R e z e p t i o n der G e s t a l t psychologie in der S o w j e t u n i o n u n d ü b e r wechselseitige K o m m u n i k a t i o n e n bis z u m J a h r e 1931 (Beginn der „reaktologischen D e b a t t e " ) gegeben. 8 „ E s m a g p a r a d o x erscheinen, d a ß der I n t e l l e k t u a l i s m u s gerade in der Theorie des D e n k e n s a m u n h a l t b a r s t e n ist. Man sollte meinen, d a ß er gerade hier a n w e n d b a r sei, a b e r n a c h einer zutreffenden Bemerkung v o n K ö h l e r erweist sich der I n t e l l e k t u a l i s m u s besonders in der Intelligenzpsychologie als u n h a l t b a r ; er h a t dies in seinen U n t e r s u c h u n g e n überzeugend n a c h g e w i e s e n " ( W y g o t s k i , 1964, S. 8 5 ; H e r v o r h e b u n g e n : G. E.). 9
R ü c k b l i c k e n d (1966) b e r i c h t e t Köhler, d a ß „die f r ü h e n G e s t a l t p s y c h o l o g e n . . . f a s t n a i v in einer Richt u n g a r b e i t e t e n , die völlig m i t T e n d e n z e n ü b e r e i n s t i m m t e , die sich in der N a t u r w i s s e n s c h a f t herausgeb i l d e t h a t t e n " (Köhler, 1971, S. 47). 10 Die G e s t a l t p s y c h o l o g e n liebten es, sich auf G o e t h e zu b e r u f e n . Die o. g. F o r m e l ist ein F r a g m e n t aus e i n e m S i n n s p r u c h G o e t h e s ( „ E p i r r h e m a " , H a m b u r g e r G o e t h e - A u s g a b e , B d . 1). Bei G o e t h e g e h t es allerdings n i c h t u m die P o l a r i t ä t v o n Physiologischem u n d P h ä n o m e n a l e m , s o n d e r n u m die E i n h e i t v o n W e s e n u n d E r s c h e i n u n g , m i t h i n u m eine i n h a l t l i c h völlig a n d e r s a r t i g e i n n e n - a u ß e n - R e l a t i o n (vgl. d a z u Bischof 1966a). Der g e s a m t e S i n n s p r u c h i m G o e t h e s e h e n O r i g i n a l t e x t l a u t e t : „ N i c h t s ist d r i n n e n , n i c h t s ist d r a u ß e n : D e n n w a s i n n e n , das ist a u ß e n . So ergreifet o h n e S ä u m n i s Heilig ö f f e n t l i c h G e h e i m n i s . " 11
I n einem Gespräch m i t K ö h l e r soll K . S. L a s h l e y (1890—1958) g e ä u ß e r t h a b e n : „ H e r r Köhler, die Fors c h u n g der G e s t a l t p s y c h o l o g e n ist gewiß sehr i n t e r e s s a n t . A b e r m a n c h m a l k a n n ich das G e f ü h l n i c h t los w e r d e n , d a ß Sie es heimlich avif eine n e u e Religion abgesehen h a b e n " (nach Köhler, 1971, S. 3 6 f . ) . W y g o t s k i h a t in seiner A b h a n d l u n g „ D i e Krise der Psychologie in i h r e r h i s t o r i s c h e n B e d e u t u n g " (1927) die A u s w e i t u n g des G e s t a l t b e g r i f f s ins Universale ebenfalls ironisch k o m m e n t i e r t : „Schließlich, zur W e l t a n s c h a u u n g geworden, e n t d e c k t e die Gestaltpsychologie die G e s t a l t in der P h y s i k u n d in der Chemie, i n der Physiologie u n d der Biologie, u n d die G e t a l t , e r s t a r r t zu einer logischen F o r m e l , bildete die G r u n d lage der W e l t ; als G o t t die W e l t e r s c h u f , sagte er, es w e r d e G e s t a l t , u n d es w a r d G e s t a l t " ( W y g o t s k i , 1985, S. 81). 12
Die e n t s p r e c h e n d e n I s o m o r p h i e - S ä t z e l a u t e n : Die „anschauliche R a u m o r d n u n g (ist) die getreue W i e d e r g a b e einer e n t s p r e c h e n d e n O r d n u n g i m zug r u n d e l i e g e n d e n d y n a m i s c h e n P r o z e ß z u s a m m e n h a n g " . Die „ w a h r g e n o m m e n e Z e i t ö r d n u n g (ist) die get r e u e W i e d e r g a b e einer e n t s p r e c h e n d e n O r d n u n g i m z u g r u n d e l i e g e n d e n P r o z e ß z u s a m m e n h a n g " (Köhler, 1933, S. 40). 13
Hiebscli (1974, S. 500) spricht v o n e i n e m „ i m m a n e n t e n e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e n I d e a l i s m u s der Ges t a l t p s y c h o l o g i c " . Die Gestaltpsychologie stehe „in e i n e m d i r e k t e n Gegensatz z u r Widerspiegelungst h e o r i e des B e w u ß t s e i n s " .
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Kurt Lewin (1890—1947) hat diese Gedanken zu einer Feldtheorie des Psychischen ausgebaut. In den „Physischen Gestalten" geht Köhler im Zusammenhang mit dem Versuch einer terminologisch-kategorialen Bestimmung der „Eigenstrukturen von 1 Ladungen" auch auf Husserl ein, bei dem jedoch die Köhler interessierende „Frage kaum gestreift zu werden" scheint. Vgl. Köhler 1924, S. 58, Anm. 1. 16 Köhler, W ; Wallach, I i . : Figural after-effects: An investigation of visual processes. 1944. Köhler, W ; Dinnerstein, D.: Figural after-effects in kinesthesis. 1947. Köhler, W.; Emery, D. A.: Figural after-effects in the third dimension of visual space. 1947. Köhler, W.: Movement after-effects and figural after-effects. 1965. Köhler, W.: Unsolved problems in the field of figural after-effects. 1965. (Genaue bibliographische Nachweise bei Jäger, S., 1987, S. 22 f.) 17 Köhler, W . ; Held, R . : The critical correlate of pattern vision. Science 109 (1949) p. 442. Köhler, W.; Held, R . : The cortical correlate of pattern vision. Science 110 (1949) p. 414—419. (Weitere bibliographische Angaben bei Jäger a. a. 0.). 14
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Znsammenfassung In dem Beitrag werden wesentliche Stationen des wissenschaftlichen Entwicklungsganges W. Köhlers charakterisiert. Unter Hinweis auf den ganzheitlichen Charakter psychischer Prozesse hat Köhler in den „Akustischen Untersuchungen" und anderen Arbeiten bis 1913 die Unangemessenheit des elementaristischen Forschungsansatzes und die Unhaltbarkeit der sog. „ Konstanzanahme" aufgezeigt. Seine Untersuchungen über intelligentes Verhalten von Anthropoiden (1913—1920) sind ein klassisches Muster theoriegeleiteter empirisch-experimenteller Forschung. Sie vermittelten entscheidende Impulse für die Begründung einer aktualgenetischen Sichtweise und einer prozeßorientierten Diagnostik und dienten als empirische Belege für theoretische Annahmen auf dem Gebiet der Denkpsychologie (dargestellt am Beispiel L. S. Wygotskis). Mit der Ausweitung des psychologischen Gestaltbegriffs zu einer allgemeinen naturphilosophischen Kategorie („Die physischen Gestalten in Ruhe und im stationären Zustand"; „Psychologische Probleme"), dem damit verbundenen Physikalismus, der Annahme einer Isomorphie von psychischem und hirnphysiologischem Geschehen und dem Rückgriff auf der phänomenologischen Philosophie E. Husslers entlehnte Denkschemata gelangte Köhler zu bedenklichen erkenntnistheoretischen Folgerungen und in empirische Nachweisschwierigkeiten, wie sie etwa in den späteren psychophysiologischen Arbeiten zutage traten. Bleibende Verdienste erwarben sich Köhler und die Gestaltpsychologie mit dem Ausbau und der Erneuerung der experimentellen Methodik.
Summary Essential stages of the scientific development of W. Köhler are characterized in this article. With reference to the integral character of psychic processes Köhler showed the inadequacy of the elementary approach and the unsustainable position of the so-called "constancy assumption" in "Acoustic Investigations" and other articles till 1913. His investigations on intelligent behaviour of anthropoids (1913— 1920) are a classic example of theory-based empirical-experimental research. They offer important impulses for an actual-genetic view and a process-oriented diagnosis and they serve as empirical evidence for theoretical assumptions in the field of psychology of thinking (as demonstrated by L. S. Wygotski). With expanding the psychological concept of Gestalt to a general category of philosophy of nature ("The psychic figures in quiet and in stationary s t a t u s " ; "Psychological problems"), the closely connected physicalism, the assumption of an isomorphy of psychic and brain-physiological events and reverting to thought patterns derived from E. Husserl's phenomenological philosophy, Köhler reached questionable epistemological conclusions and empirical proof as in the later psychophysiological work. Köhler and Gestalt psychology acquired permanent merit by expanding and reviving experimental methodology.
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Eckardt, Wolfgang Köhler zum 100. Geburtstag
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Z. Psychol. 196 (1988) 26
V E B J . A. B a r t h , Leipzig
Buchbesprechungen Duell, W . ; Frei, F . : Arbeit gestalten — Mitarbeiter beteiligen. (Eine H e u r i s t i k qualifizierender Arbeitsg e s t a l t u n g ) . 220 S. m i t e t w a 10 A b b . F r a n k f u r t — N e w Y o r k : C a m p u s 1986. Humanisierung des Arbeitslebens Band 77. Broschiert 44,—DM. Diese „ H e u r i s t i k qualifizierender A r b e i t s g e s t a l t u n g " e n t h ä l t 3 Teile. N a c h einer k u r z e n E i n f ü h r u n g w i r d eine allgemeine H e u r i s t i k der A r b e i t s g e s t a l t u n g dargestellt u n d b e g ü n d e t , w a r u m auf G r u n d u n t e r s c h i e d licher A r b e i t s b e d i n g u n g e n r e z e p t h a f t e A r b e i t s g e s t a l t u n g s l ö s u n g e n n i c h t möglich sind. I m 3. Teil werd e n spezielle F r a g e n d i s k u t i e r t : Veründerungsprozesse u n d I n s t r u m e n t e der V e r ä n d e r u n g (Methoden), P r o b l e m e der I n t e r e s s e n s i c h e r u n g u n d die Rolle der G e w e r k s c h a f t e n , V e r ä n d e r u n g e n i m M a n a g e m e n t u n d i n t e c h n i s c h e n S y s t e m e n . Die A u t o r e n gehen d a v o n aus, d a ß u n t e r gegebenen A r b e i t s b e d i n g u n g e n P o t e n z e n zur E i n b e z i e h u n g der A r b e i t e n d e n bei allen A r b e i t s g e s t a l t u n g s m a ß n a h m e n z u sichern sind, wobei d e r Beteiligungsprozeß selbst eine Qualifizierungsmöglichkeit i s t . H e r v o r z u h e b e n ist dabei die Sichtweise, eine f o r t l a u f e n d e Qualifizierung der B e s c h ä f t i g t e n in der A r b e i t s t ä t i g k e i t zu erreichen. I n d e r P u b l i k a t i o n w e r d e n die i m 2. Teil dargelegten allgemeinen P r i n z i p i e n z u r Realisierung qualifizierender A r b e i t s g e s t a l t u n g d u r c h gründliche Diskussion t h e o r e t i s c h e r H i n t e r g r ü n d e u n d empirischer U n t e r s u c h u n g e n wissenschaftlich f u n d i e r t . I n s g e s a m t w u r d e f ü r das sehr komplizierte T h e m a eine A u f b e r e i t u n g v o n wesentlichem, f ü r das nichtsozialistische W i r t s c h a f t s g e b i e t gültigem Wissen u n d v o n e m p i r i s c h e n E r g e b n i s s e n g e f u n d e n , die j e d e n i m B e t r i e b T ä t i g e n z u r p r a k t i s c h e n A r b e i t h e r a u s f o r d e r t . K . - P . T i m p e (Berlin)
Fischler, M. A.; Firschein, O.: Intelligence — The Eye, t h e B r a i n , a n d t h e Computer. 331 S. m i t 121 A b b . , 14 T a b . R e a d i n g , M a s s a c h u s e t t s ; Menlo P a r k , California; D o n Mills, O n t a r i o ; W o k i n g h a m , E n g l a n d ; A m s t e r d a m — S y d n e y — S i n g a p o r e — T o k y o — Madred — B o g o t á — S a n t i a g o — S a n J u a n : A d d i s o n - W e s l e y P u b l i s h i n g 1987. G e g e n s t a n d des B u c h e s ist eine p o p u l ä r gehaltene, auf a n s p r u c h s v o l l e m wissenschaftlichen N i v e a u geschriebene, vergleichende Ü b e r s i c h t ü b e r Intelligenzleistungen bei Mensch u n d C o m p u t e r . D a r g e s t e l l t w e r d e n A u f f a s s u n g e n z u m Intelligenzbegriff, sowie Vergleiche bzw. U n t e r s c h i e d e zwischen C o m p u t e r leistungen u n d i n f o r m a t i o n s v e r a r b e i t e n d e n F ä h i g k e i t e n des Menschen. A n diese einleitenden K a p i t e l schließen sich A b s c h n i t t e z u r W i s s e n s r e p r ä s e n t a t i o n , z u m P r o b l e m l ö s e n u n d L e r n e n , z u r S p r a c h e , zu einigen P r o b l e m e n der S p r a c h e r k e n n u n g u n d S z e n e n a n a l y s e sowie zu E x p e r t s y s t e m e n a n . G u t v e r s t e h e n es die A u t o r e n , in W o r t u n d Bild Einblicke in m o d e r n e wissenschaftliche P r o b l e m s t e l l u n g e n u n d i h r e p r a k t i s c h e B e d e u t u n g zu geben. F r a g e n der W i s s e n s r e p r ä s e n t a t i o n , e i n g e s c h r ä n k t auf f o r m a l i s i e r b a r e I n h a l t e , bilden einen E c k p f e i l e r f ü r die folgenden K a p i t e l . K l a r e Gliederung, B e s c h r ä n k u n g auf Wesentliches u n d sehr viele v e r a n s c h a u l i c h e n d e Beispiele e r m ö g lichen es wissenschaftlich i n t e r e s s i e r t e n L a i e n u n d i n t e r d i s z i p l i n ä r o r i e n t i e r t e n Lesern, sich d e m T h e m a „ R e p r ä s e n t a t i o n u n d A n w e n d u n g v o n W i s s e n " i m Z u s a m m e n h a n g m i t der C o m p u t e r t e c h n i k auf vielfältige Weise zu n ä h e r n . So w i r d jeder, der sich m i t d e m breit g e f ä c h e r t e n S a c h v e r h a l t der Intelligenz b e s c h ä f t i g t , A n r e g u n g e n u n d Hinweise f ü r die eigene A r b e i t f i n d e n . E i n sehr u m f a n g r e i c h e s L i t e r a t u r verzeichnis ermöglicht o h n e Schwierigkeiten eine V e r t i e f u n g der D a r l e g u n g e n . E i n e gewisse Einseitigkeit, b e d i n g t d u r c h f a s t ausschließliche B e z u g n a h m e auf a n g l o a m e r i k a n i s c h e L i t e r a t u r , ist allerdings n i c h t zu ü b e r s e h e n . Die g u t d u r c h d a c h t e n grafischen u n d d i d a k t i s c h e n G e s t a l t u n g s e l e m e n t e m a c h e n die vorliegende Publik a t i o n zu einer i n s g e s a m t sehr g u t lesbaren, n i v e a u v o l l e n p o p u l ä r w i s s e n s c h a f t l i c h e n D a r s t e l l u n g n e u e r e r E r k e n n t n i s s e , P r o b l e m e u n d A n w e n d u n g s r i c h t u n g e n k o g n i t i v e r L e i s t u n g e n in der C o m p u t e r t e c h n i k . K . - P . T i m p e (Berlin)
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VEB J . A. Barth, Leipzig
Aus dem Institut für Psychologie der J.-W.-Goetlie-Universität in Frankfurt/M.
Max Wertheimer in Frankfurt - über Beginn und Auf baukrise der Gestaltpsychologie 1 III. Weitere Studien über das Sehen von Bewegung (1929-1933) Ton Y. Sarris2 Mit 10 Abbildungen „Es soll darangegangen werden, unter diesen einfachen und exakt variablen Bedingungen die Erscheinungen und ihre Konstituenten zu studieren und experimentell Bausteine zu theoretischen Entscheidungen zu gewinnen; in dem Sinne, daß das Experiment auf vorschreitende spezielle Fragen, die selbst sich am Beobachtungsmaterial ergeben, eindeutige Antwort geben möchte; wenn möglich: das Konstitutive des Eindrucks an sicli experimentell herauszulösen." M. Wertheimer: Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung (1912, S. 168.)
Es ist weithin unbekannt geblieben, daß Max Wertheimer im Anschluß an seine berühmte Frankfurter Ausgangsarbeit „ E x p e r i m e n t e l l e Studien über das Sehen von Bewegung" (Phi-Phänomen) vom Jahre 1912 weitere wichtige, hierauf aufbauende Untersuchungen in Frankfurt a. M. und Berlin initiierte. An anderer Stelle sind Wertheimers Ausgangsexperimente zum Phi-Phänomen (1910—1912) sowie die Fortsetzungsarbeiten zu seiner Gestaltgesetzeslehre (1911—1914) ausführlich dargestellt (Sarris, 1987a, b). Im folgenden stehen Wertheimers Frankfurter Folgeuntersuchungen zur Bewegungswahrnehmung im Vordergrund des Interesses (1929—1933). Es werden ausgewählte Arbeiten von Wertheimer-Schülern vorgestellt, und zwar hauptsächlich die von W. Metzger (1934), E. Oppenheimer (1935) und B. Krolik (1935). Aus diesen Arbeiten geht Wertheimers unvermindertes Forschungsinteresse an weiteren experimentellen Studien zur Bewegungswahrnehmung hervor. Es folgt dann eine zweiteilige vergleichende Bewertung der gestaltpsychologischen Arbeiten aus der Sicht der dreißiger Jahre, bevor dann ein Rück- und Ausblick den Aufsatz beschließt. Eingeleitet wird dieser Schlußaufsatz durch die nachfolgenden Hinweise auf die besonderen Voraussetzungen für den Beginn von Wertheimers weiteren Arbeiten an der Frankfurter Universität. Zum Gedenken an die vor 75 Jahren in Frankfurt a. M. entstandene Arbeit über Scheinbewegungen von Max Wertheimer (1880—1943) und deren Folgen für die Psychologie. 2 Dieses ist der III. und letzte Teil einer insgesamt dreiteiligen Abhandlung über Wertheimers Frankfurter Arbeiten zur Bewegungswahrnehmungsforschung. Teil I und II erschienen in der Zeitschrift für Psychologie, 1987, H. 3 (S. 2 8 3 - 3 1 0 ) und II. 4 (S. 4 0 3 - 4 3 1 ) . Max Wertheimers Zeittafel findet sich an anderer Stelle (Sarris, 1987 a, S. 284). 1
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Vorbemerkungen zu Wertheimers zweiter Frankfurter Arbeitsperiode ( 1 9 2 9 - 1 9 3 3 ) 3 Zum Verständnis von Wertheimers damaliger besonderen Arbeitssituation ist festzustellen : Der Ruf auf die Frankfurter Professur hatte lange auf sieh warten lassen, obschon andere höchst renommierte Wissenschaftler wie etwa A. Einstein, W. Köhler u. a. sich mehrfach für Wertheimer verwendet hatten (Luchins und Luchins, 1986). Hatte doch die internationale Fachdiskussion die Bedeutung von Wertheimers Arbeiten schon seit langem herausgestellt. Aber angesichts der extremen politisch-kulturellen Verhältnisse damals in Deutschland — Max Wertheimer war J u d e aus angesehener Prager Familie — verlief seine Wissenschaftskarriere wesentlich langsamer, als es normalerweise anzunehmen gewesen wäre. So kommt es, daß das Ordinariat für Psychologie schließlich erst im J a h r e 1929 — also erst 17 J a h r e nach der Habilitation (1912) — anstand. Wertheimer, der diese Professur an der Frankfurter J.-W.-Goethe-Universität erhielt, wurde damit der Nachfolger von Friedrich Schumann ( 1 9 1 0 - 1 9 2 9 ) und Karl Marbe ( 1 9 0 5 - 1 9 0 9 ) . E r konnte sein Ordinariat allerdings nur vier J a h r e lang wahrnehmen (1929—1933). T a b . I. Einige Hauptvertreter der fünf bekanntesten psychologischen Schulen aus heuliger Sieht — nach der Darstellung des weit verbreiteten nordamcrikanischen T e x t b u c h s von Marx und llillix (1973). (Nach Marx & Hillix, 1973.) 1880
1890
Assoziation ismus * Ebbinghaus Strukturalismus
1900
1910
1920
1930
Pawlow
Bekhterev
Thorn dike
Guthrie
Woodworth
Mc Geoch
Hull Tolman
Skinner
*
Wundt
Titchener
James
Funktionalismus Dewey
Angell Behaviorismus Watson Weiss
Mach
v. Ehrcnfels
Gestalttheorie Wertheimer
Spence
Köhler Koffka
* Der Assoziationismus und der Strukturalismus entsprechen - in etwa — der Elementcnpsychologie
Wie stellte sich damals wohl die genuin wissenschaftliche Situation im allgemeinen dar, als Max Wertheimer im J a h r e 1929 von Berlin wieder nach Frankfurt wechselte — z. B . welche mit seiner gestalttheoretischen Schule rivalisierenden anderen Lehrmeinungen der Psychologie waren damals vorherrschend? — Eine erste Antwort darauf vermittelt die Übersicht in Tabelle I (gekürzt nach Marx und Hillix, 1973). Weiter unten wird hierauf näher eingegangen. Zur damaligen politisch-kulturellen Situation an der Frankfurter J . - W . - G o e t h e - U n i v e r s i t ä t vgl. Ash, 1 9 8 4 ; Stuchlik, 1 9 8 4 ; s. ferner Ash und Geuter, 1 9 8 5 ; Graumann, 1985.
3
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Sarris, Max Werlheimer in Frankfurt I I I
Soweit bis heute bekannt, gestaltete sich der Beginn von Wertheimers Lehr- und Forschungsaufgaben in dieser zweiten Frankfurter Arbeitsperiode unauffällig und gut. Hier und im folgenden hat man aber bei einer solchen Feststellung die für die damaligen deutschen Universitäten allgemein — speziell auch für die Frankfurter
Universitätssituation
— geltenden politischen und kulturellen Umstände zu beachten (s. Fußnote 3, S. 28).
Neubeginn der Arbeiten an der Frankfurter Universität Manches spricht für die Annahme, daß Wertheimer seine Arbeiten am Frankfurter Psychologischen Institut innerhalb kürzester Zeit voll und ganz hat aufnehmen können. Das unterstreicht auch der Umstand, daß Wertheimer trotz der kurzen ihm noch verbleibenden Zeit in Deutschland viele Forschungsarbeiten hat initiieren können (Ncwman, 1944). Welches waren die Arbeitsvoraussetzungen i . e . S., die Wertheimer nun als neuernannter Ordinarius für Philosophie, insbesondere Psychologie nach seinem Wechsel von der Berliner Universität (19:18—1929) zurück an die ihm wohlbekannte Frankfurter J . W . GoetheUniversität vorfand? Es war dies zunächst einmal das von seinem Vorgänger und früheren Lehrer F . Schumann gepflegte Forschungs- und Ausbildungsklima (vgl. unten „Prof. Wertheimer als Vp. . . . " aus Schumanns Publikation, 1931). Ferner waren es natürlich die von Wertheimer selbst nach Frankfurt mitgebrachten Ideen für weitere Forschungsarbeiten sowie nicht zuletzt auch die an der Frankfurter Universität günstigen personellen und materiellen Voraussetzungen, die das seinerzeit der Naturwissenschaftlichen F a k u l t ä t angehörende Psychologische Institut damals noch zu bieten hatte. ..Prof. Werlheimer als Vp. . . ." in F. Schumanns Labor. — Im folgenden wird ein Versuclisprotokoll zitiert, das Schumann als Yersuchsleitcr von einem seiner Experimente zum /'/«-Phänomen mit Wertheimer als Probanden erstellt und in seiner andernorts ausführlicher behandelten Arbeit (1931) veröffentlicht hat (s. Sarris, 1987 b). Abgesehen davon, daß der Inhalt dieses Protokolls heute kaum noch bekannt sein dürfte, findet man darin psychologiegeschichtlich aufschlußreiche Stellen, die das damalige psychologische Experimentieren kennzeichnen: „Ebenso beobachtete Herr Prof. Wertheimer als Vp. das Phänomen des ,Wachsens' und ,Schrumpfens' losgelöst von dem Wahrnehmungsgebilde des Objekts, das zu wachsen und zu schrumpfen schien. Ich exponierte ihm sukzessiv einen größeren senkrechten und einen kleinen schrägen Strich, die zusammen den spitzen Winkel der nebenstehenden Abbildung bildeten. Bei raschem Hin- und Herdrehen zeigte sich eine Winkelbewegung als reines Bewegungsphänomen. Das Feld, über das sich das Bewet gungsphänomen erstreckte, hatte die Gestalt der nebenstehenden Abbildung. In diesem Falle ^ . / / f
spielte sich auch das Schrumpfen und Dehnen als Bewegungsphänomen ab, ohne daß das Wahrnehmungsbild der Linie in diesem Felde aufgetaucht wäre. Es war also das Phänomen des Schrumpfens und Dehnens vom Wahrnehmungsbilde der Linie im Bewußtsein isoliert, bzw. die einheitliche Verbindung zwischen beiden war aufgehoben, so daß das Phänomen des Schrumpfens bzw. Dchnens isoliert zur Auffassung kam. — Dementsprechend wurde auch von Herrn Prof.
Gelb gelegentlich ein Eindruck der Dehnung, des Größerwerdens beobachtet, der sich nicht auf die betreffende Figur bezog. Es war ein Eindruck des Größerwerdens, ohne daß ein Objekt grüßer zu werden schien. . . . Ferner gab Herr Prof. Wertheimer bei den eben erwähnten Versuchen, bei denen ein größerer senkrechter und ein kleinerer schräger Strich exponiert wurden, nach Ausprobieren des optimalen Bewegungssta-
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diums folgendes zu Protokoll: ,Der Strich ging sichtbar durch das ganze Feld zugleich schrumpfend, und zwar das eine Mal in seiner ganzen Länge, das andere Mal in seinem Endteil.' Ähnliche Aussagen erhielt ich, als ich die beiden Teile der bekannten MüllerLyerschen Täuschungsfigur . . . in rascher Aufeinanderfolge derartig exponierte, daß die Scheitelpunkte aufeinanderfielen. . . . . . (Danach) konnte Herr Prof. Wertheimer als Yp. folgendes beobachten. Er betrachtete zunächst im Fernrohr des Tacliistoskops einen Kreis, der mehrere Sekunden sichtbar war. Dann erschien plötzlich ein größerer, konzentrisch gelegener Kreis, der wieder einige Sekunden sichtbar blieb. Im Moment des Wechsels traten zunächst Bewegungserscheinungen auf, die nach allen Seiten gerichtet waren. Derartige Beobachtungen legen die Annahme nahe, daß es sich bei dem ,Ausdehnen und Zusammenziehen der Aufmerksamkeit' nicht um dieselben Erscheinungen handelt, wie bei dem ,Wachsen und Schrumpfen'. Es fehlt bei ersteren wohl das Bewegungsphänomen." (Schumann, 1931, S. 265ff).
Dieses Versuchsprotokoll dokumentiert die nachfolgenden drei Merkmale damaligen psychologischen Experimentierens in Frankfurt (sowie auch an vielen anderen Universitätsorteh in Deutschland) in anschaulicher Weise: — Untersuchungen zu Wertheimers P/u-Phänomen waren in den dreißiger J a h r e n — wenigstens im Schumannschen Labor — noch von aktuellem Forschungsinteresse. — Die experimentelle Phänomenanalyse als die für viele Psychologen damals noch hinreichende Methode für gutes psychologisches Experimentieren war auch Anfang der dreißiger J a h r e noch gang und gäbe. — Die persönliche Rolle und Integrität einer „Yp" als Proband in einem psychologischen Experiment besaß, wenigstens in Deutschland, immer noch einen hohen Stellenwert. Weiter unten wird hierauf näher eingegangen. Wertheimers Planungsperspektiven für die weitere Forschung: — Unter Wertheimers wissenschaftlichen Planungsperspektiven ist hier das gemeint, was mit einem mehr oder weniger fest umrissenen Arbeitsprogramm in Forschung und Lehre zusammenhängt. Leider ist bis heute darüber nur wenig wirklich dokumentarisch bekannt. Wir kennen jedoch Wertheimers Lehrveranstaltungsprogramm der zweiten Frankfurter Zeit; es liegen ferner die unter seiner Leitung angefertigten Arbeiten der Frankfurter Schüler vor (s. unten S. 34ff) — das ist aber auch schon fast alles, was uns erhalten geblieben ist (s. Ash, 1984, 1985). Von gewissem Nutzen sind immerhin auch die umfangreichen New Yorker Seminarpapiere, „Wertheimer's Seminars Revisited: Problems in Perception (I—V)", die Abraham S. Luchins und Edith H. Luchins (1972—1974, mimeo) Max Wertheimers Lehrveranstaltungen an der Frankfurter Universität (1929—1933) W S 1929/30
SS 1930
— Psychologie des produktiven Denkens — Philosophisches Seminar (über Gestalttheorie) — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten — Erkenntnistheorie — Völkerpsychologie (mit Demonstrationen) — Philosophisches Seminar (zusammen mit Gelb, Tillich und Riezler) — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten
Sarris, Max Wertheimer in F r a n k f u r t I I I W S 1930/31
SS 1931
W S 1931/32
SS 1932
W S 1932/33
SS 1933*
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— Psychologie (mit Demonstrationen und Experimenten) — Psychologisches Seminar (für Fortgeschrittene) — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten — Psychologie (mit Demonstrationen) — Psychologisches Seminar (für Fortgeschrittene) — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten — Philosophisches Kolloquium (zusammen mit Tillich, Riezler und Gelb) — Psychologie (mit Demonstrationen) — Psychologisches Seminar — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten - Logik — Seminar über Probleme der Logik — Experimentell-psychologische Übungen (Sinneswahrnehmung) — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten - Logik (mit Besprechungen) — Psychologische Übungen (zusammen mit Metzger) — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten — Psychologie der W a h r n e h m u n g — Übungen über Probleme der Logik — Leitung wissenschaftlicher Arbeiten
* Nicht mehr gelesen
kürzlich herausgegeben haben (s. auch S. 37 ff). Dort sind die Aufzeichnungen von Wertheimers Lehrveranstaltungen aus späterer Zeit in New York von etwa 1936—1940 enthalten, die auch die Unterrichtssituation an der Frankfurter Universität wenigstens zum Teil wiedergeben. Dazu wird im folgenden aus dem Erinnerungsbericht eines — von Luchins und Luchins namentlich nicht genannten — früheren Wertheimer-Schülers zitiert, der als Student bei Wertheimer sowohl in Frankfurt als auch später in New York gehört hatte: „. . .Wenn m a n Wertheimers Lehrtätigkeit in Deutschland mit der an der New School (in New York) vergleicht, so ist der Haupteindruck der, daß der Unterricht in Deutschland einen höheren Stellenwert h a t t e . Das lag vor allem an der mangelnden Geräteausstattung an der New School; in F r a n k f u r t dagegen waren die Hörsäle für Vorlesungen und Praktika beide mit allem, was f ü r experimentelle Demonstrationen erforderlich ist, gut ausgerüstet. Das (Frankfurter) Wahrnehmungsseminar war besonders reichhaltig. . . . Nur ein Beispiel (aus F r a n k f u r t e r Zeiten): Um zu demonstrieren, was Wertheimer ,Urqualit ä t e n ' (Primärqualitäten) nannte, . . . ging er folgendermaßen vor: Zwei Bildprojektoren, jeder von einem Assistenten (Studenten) bedient, warfen ein und dieselbe Landschaft auf eine Leinwand, so daß die beiden Schwarz-Weiß-Bilder nebeneinander erschienen. Jeder Assistent h a t t e nun einen dünnen farbigen Glaskeil zur Verfügung; der eine war hellblau, der andere rotbraun. Auf ein Zeichen von Wertheimer hin schoben sie diese Keile sehr langsam, und zwar gleichzeitig, am F o k a l p u n k t unter F ü h r u n g vom dünnen Ende her in den Lichtstrahl hinein. Wenn das Experiment klappte — und das war gar nicht so leicht —, dann spürten die Zuschauer eine allmähliche Veränderung i n der Stimmung der beiden Landschaftsbilder, und zwar beträchtlich früher, als ihnen die Veränderung in der Farbe bewußt wurde: Die Landschaft in der blauen Tönung fing an, ,kühler' auszusehen, die braunrot getönte dagegen ,wärmer', noch bevor die erste als blaugetönt und die zweite als braunfarbig erkannt wurden. . . . Wertheimer (beim experimentellen Demonstrieren in Frankfurt) erinnerte an einen Juwelier, der eine Kostbarkeit nach der anderen aus seinem Schmuckkasten herausnahm, um sie (uns) zu zeigen und sie dann wieder liebevoll zurückzulegen.
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Zusätzlich zu der großen Vorlesung mit Demonstrationen gab es in Frankfurt noch ein Praktikum, das in Wirklichkeit eine Mischung aus Vorlesung und Seminar mit praktisch durchgeführten Experimenten war . . . Es wurde viel experimentelle Forschung am (Frankfurter) Institut betrieben, vor allem durch die Arbeiten der Doktoranden. Zu meiner Zeit arbeiteten Erika Oppenheimer und Krolik dort ebenso wie Turhan. . . Sowohl in Frankfurt als auch hier (New York) gab es ein ganz besonderes Seminar, in Europa , Wahrheitsseminar' genannt. Da wurden meistens Diskussionen über berühmte Probleme aus verschiedenen Zweigen der Wissenschaft geführt und mögliche Verbesserungen der benutzten Methoden erörtert. In Frankfurt waren einige der Teilnehmer Philosophen (Tillich, Riezler), Soziologen (Karl Mannheim, Horkheimer) und eine ganze Menge Studenten . . ." (Luchins und Luchins, 1973, Vol. III. Pp. If.) Schließlich kann man auch noch — mit der weiterhin gebotenen Vorsicht — v o n W e r t heimers zuvor in Berlin (1918—1929) durchgeführten Untersuchungen einige Schlüsse auf seine F r a n k f u r t e r Forschungspläne ziehen, da jene relativ gut dokumentiert sind (Metzger, 1 9 7 2 ; Luchins und Luchins, 1986). So wissen wir etwa, daß Metzgers F r a n k f u r t e r Habilitation (1934) mit dem Thema „Beobachtungen über phänomenale Identität" auf dessen in Berlin durchgeführte Experimente zurückgeht, die ihrerseits einen klaren Bezug zu W e r t h e i m e r s (1911—1914) eigenen früheren Untersuchungen in F r a n k f u r t und den hierauf aufbauenden Berliner Arbeiten v o n Ternus (1925) und Duncker (1929) aufweisen (s. S. 3 4 f f ) . Ist man dazu bereit, aus diesen und anderen F a k t e n eine Schlußfolgerung in Richtung auf die v o n W e r t h e i m e r vermutlich gehegten weiteren Arbeitspläne und Forschungsprojekte zu ziehen, dann ließe sich wohl ferner v e r m u t e n , daß sich W e r t heimer in F r a n k f u r t mit den nachfolgenden wissenschaftlich noch unbefriedigend gelösten Fragen beschäftigt hat bzw. beschäftigen w o l l t e : — Experimentell-apparativ genauere Prüfung von sog. „Zwischenstadien" des Phi-Phänomens. — Bereits Wertheimers (1912) frühe Dewegungswahrnehmungsstudien hatten erkennen lassen, daß es außer dem sog. reinen (optimalen) Phi-Phänomen auch noch phänomenologisch charakteristische „Zwischenstadien" gibt. Zwar waren in der Folgezeit dann Art und Anzahl dieser Stadien vielfach von anderen Forschern untersucht worden, aber eine eigentliche Klärung dieses Problems war noch nicht erreicht (vgl. dazu Sarris, 1987 b). — Vergleichende apparativ-phänomenanali/tische Erprobung weiterer Phi-Phänomen-Versuchsanordnungen. — Dieses Forschungsdesideratum, das inhaltlich eng mit der zuvor angegebenen Thematik verknüpft ist, bezieht sich vor allem auf den Bau und die Erprobung weiterer apparativer Varianten. Es erinnert daran, daß auch Schumann laufend seine Versuchsanordnungen apparativ neu gestaltet und verbessert hat (s. unten S. 40f u. S. 47ff). — Experimentell systematische Prüfung der Gestaltfaktoren in der Bewegungswahrnehmung. — Abgesehen davon, daß hierauf Metzgers (1934) Arbeit schon ausführlich eingeht (s. S. 34ff), beziehen wir uns diesbezüglich hauptsächlich auf Wertheimers (1923) explizit bekundetes Forschungsinteresse (vgl. Sarris, 1987 b, besonders S. 411f). Denn der schon seit der Ausgangsarbeit ausstehende systematische Nachweis der Geltungsbereiche der Gestaltfaktoren in der Bewegungswahrnehmung mußte naturgemäß für Wertheimer auch weiterhin ein zentrales expcrimentalpsychologisches Thema bleiben. Im Hinblick auf die zuletzt angeführte Forschungsperspektive ist auch die Bemerkung von Luchins u. Luchins (1986) v o n Bedeutung, daß nämlich W e r t h e i m e r bei seinem W e c h sel v o n Berlin nach F r a n k f u r t ein reges Interesse an der Kooperation mit einem Mathematiker bei der Lösung seiner Forschungsaufgaben gezeigt h a b e : „. . . Wertheimer (1923) betonte die Notwendigkeit, den Bereich, in welchem jedes (Gestalt-)Gesetz wirksam ist, zu untersuchen, so z. B. die Bedingungen zu bestimmen, unter denen dessen Auswirkungen
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Sarris, Max Wertheimer in Frankfurt III
kleiner oder größer werden . . . Er verwandte viel Mühe darauf, die Gestaltgesetze in mathematischer Form zu beschreiben. Das mag einer der Gründe dafür gewesen sein, daß er in seiner Berliner Zeit nicht viel veröffentlicht hat . . . Erst später in Frankfurt (1029—1933) unternahm er schließlich Anstrengungen, mit der Mathematischen [gemeint: Naturwissenschaftlichen] Fakultät der Universität zusammenzuarbeiten." (Luchins und Luchins 1986, p. 21; Hervorhebung V.S.).
Schon in seiner ersten Frankfurter Zeit (1910—1916) soll Wertheimer — allerdings vergeblich — nach einer mathematischen Fundierung seiner PAi-Phänomenergebnisse gesucht haben: . . . . . Wertheimer nahm an, daß die Phi-Wahrnehmung auf einem bestimmten Gesetz beruhen müsse, das mathematisch ausdrückbar ist. Die zur Zeit noch bestehende mathematische Analyse sei nicht sachgerecht, denn sie zerstückele die Realität. Darum wurde eine neue Art der Mathematik gebraucht, eine Mathematik der Strukturen." (Luchins und Luchins, 1982, p. 164; Hervorhebung V. S.).
Sicherheitshalber wird an dieser Stelle nochmals betont, daß diese erschlossenen Forschungsperspektiven Max Wertheimers am Anfang der dreißiger Jahre in Frankfurt von uns nur unter Vorbehalt verstanden werden. Dies gilt auch für die Vermutung, daß Wertheimer bestimmte das P/ii-Phänomen betreffende Arbeiten im klinisch-medizinischen Bereich habe fortsetzen wollen (vgl. bei Sarris, 1987a). Materielle
und personelle
Arbeitsvoraussetzungen.
— Darunter sind die üblichen Grund-
voraussetzungen zu verstehen, durch die eine mit naturwissenschaftlichen Methoden verfolgte Forschungsarbeit überhaupt erst ermöglicht wird, also vor allem die Laboreinrichtungen und das Mitarbeiterpersonal (Tab. II). Tab. II. Der Personalbestand des Psychologischen Instituts (um 1930) in der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Frankfurter Universität während des Ordinariats von Max Wertheimer (1929—1933) * Prof. Dr. phil. Friedrich Schumann (entpflichtet) Prof. Dr. phil. Max Wertheimer, Mitglied der Straßburger wissenschaftlichen Gesellschaft (Philosophie, insbes. Psychologie) Prof. Dr. Adhemar Gelb Dr. E. Levy, Wiss. Assistent (Nachfolger von F. Kleint) C. Wingenbach, Mechaniker * (Nach den Vorlesungsverzeichnissen der Frankfurter J . W. Goethe-Universität 1929 ff. — V. S )
Zu den finanziellen Mitteln, mit denen Wertheimers neues Frankfurter Institut aufgrund seiner Berufungsverhandlungen ausgestattet war, heißt es bei M. G. Ash: „Zu diesem Zeitpunkt wurde der Institutsetat um 40 % erhöht und außerdem ein entsprechender Zuschuß für neue Bücher und Geräte bewilligt (Vereinbarung zwischen Max Wertheimer und dem Preußischen Wissenschafts- und Erziehungsministerium vom 20. März 1929)." (Ash, 1984a, p. 1).
Angesichts des Umstandes, daß das Frankfurter Psychologische Institut damals noch der Naturwissenschaftlichen Fakultät eingegliedert war, kann vermutet werden, daß Wertheimer schon bei seiner Ankunft in Frankfurt ein für damalige Maßstäbe gut ausgestattetes Experimentallabor vorfand. Die forschungsfreundliche Atmosphäre am damaligen Frankfurter Institut ist bereits oben vermerkt worden (vgl. „Prof. Wertheimer als Vp", 3
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Z. Psycho!. 196 (1988) 1
S. 29). — Das folgende Zitat mag das Bild der wissenschaftlichen Voraussetzungen für den Beginn von Wertheimers zweiter Arbeitsperiode in Frankfurt abrunden: „Auf dieser Basis einer verbesserten materiellen und personellen Ausstattung wurde das Institut bald ein produktives Forschungszentrum, das Wissenschaftler und Studenten aus aller Welt aufsuchten." (Ash, 1984 a, p. l f ) .
Die Bedeutung, der materiellen und personellen Voraussetzungen für Wertheimers wahrnehmungspsychologische Forschungsarbeiten wird unten noch einmal — aber aus anderer Perspektive — angesprochen (s. S. 54ff). Weiterführende Untersuchungen zur Bewegungswahrnehmung mit den Frankfurter Schülern Nach Newman (1944, S. 433) zählen zu Wertheimers Frankfurter Schülern Siemsen, Oppenheimer, Krolik, Becker, Turhan, Goldmeier und Metzger (zu den Berliner Schülern, außer dem dortigen früheren Doktoranden und Assistenten Metzger, noch Dunckcr, Ternus, Kopfermann und auch Arnheim). Metzger (1934), der sich bei Wertheimer im J a h r e 1932 habilitierte, hat einen Teil der Frankfurter Dissertationen der anderen oben Genannten, nachdem Wertheimer Deutschland verlassen hatte, zu Ende betreut; so auch die unter ihm mit einem neuen Thema entstandene Dissertation von Rausch (1937), welcher — von Newman unerwähnt (s. auch S. 50 f) — in Deutschland weithin als [Wertheimer]-Metzger-Schüler gilt. Die äußerlich auffallend heterogenen Arbeiten der WertheimerSchüler stellen Beiträge zur Gestaltpsychologie dar, die in der Zeitschrift „Psychologische Forschung" veröffentlicht worden sind, mit einer stark variierenden Seitenzahl (zwischen etwa 5 und 60 Seiten). Es dominiert bei den Abhandlungen die experimentellphänomenologische Methode. Drei dieser Arbeiten sind unten dargestellt: zum einen Metzgers Untersuchung, weil diese unmittelbar auf Wertheimers früheren Frankfurter Arbeiten (1911—1914) a u f b a u t ; zum anderen die beiden Arbeiten von Krolik und Oppenheimer, weil besonders diese Untersuchungen von Wertheimer auch später noch im Unterricht ausführlich behandelt wurden (vgl. S. 37ff). Metzgers Arbeit über phänomenale Identität (1934). — Ausgang der Untersuchung sind zwei in Wertheimers Gestaltlehre (1923) behandelte Konfigurationen der Bewegungswahrnehmung (Abb. 1). Man stelle sich vier Außenpunkte der hier abgebildeten Linienzüge A, B, C und D v o r ; diese Punkte seien im Dunkeln wandernde Lichtpunkte, die zentripetal entlang dieser Bahnen mit einer gemeinsamen raum-zeitlichen Kreuzung führen:
Abb. 1. Metzgers Hauptuntersuchungsmaterial für die Bewegungswahrnehmungsanalyse nach Wertheimers Frankfurter Arbeit ( 1 9 1 1 - 1 9 1 4 ) . - (Im Text wird als Beispiel die linke Konfiguration behandelt.) (Aus Wertheimer, 1923.)
Sarris, Max Wertheimer in Frankfurt I I I
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W a s erlebt ein Proband unmittelbar nach dem jeweiligen Kreuzungsdurchgang der vier bewegten P u n k t e ? — F ü r den statischen Untersuchungsfall (Raumwahrnehmung) ist natürlich A mit C und B mit D das Wahrnehinungserlebnis („Gestaltfaktor des guten Kurvendurchgangs"). Metzger untersuchte dazu die analoge Bewegungswahrnehmung mit solchen und anderen bzw. komplexeren Bewegungsmustern: „Werden nun zwischen A und B einerseits und zwischen C und D andererseits anschauliche Real-Beziehungen bestehen? Und wenn ja, welche? E s könnte sein, daß A und C in ihrem Treffpunkt zu bestehen aufhören und daß unmittelbar danach aus der gleichen Stelle zwei völlig neue P u n k t e B , D entspringen; daß also A, B und C, D beziehungslos aufeinander folgen . . . " (Metzger, 1934, S . 1). — E i n Schema der Vcrsuchsapparatur veranschaulicht die gewählte Versuchsanordnung (s. Teilabb. 2.1.).
der Proband (Vp) sieht; 3 = drehbarer Doppelteller mit Schatten werfenden Stäben. (Modifiz. nach Metzger, 1934.)
Vonseiten des Probanden aus betrachtet, verursacht ein hinter einem lichtdurchlässigen Schirm mit schattenwerfenden Stäben rotierender Doppelteller subjektiv das Folgende (Teilabb. 2 . 2 . ) : „. . .eine helle rechteckige Fläche mit dunklen Streifen darin. Sind nun die Stäbe . . . auf einer Scheibe angebracht . . . und lassen wir die Scheibe mäßig rasch rotieren, so wandern objektiv alle Schatten in der Ebene des Fensters hin lind her. . . . Wird die Bewegung etwas schneller, so sieht man plötzlich etwas ganz anderes, und zwar genau dasselbe, wie wenn die Bespannung des Fensters entfernt und die schattenwerfende Anordnung selbst sichtbar wäre. Man sieht hinter dem Fenster vier dunkle runde Stäbe in fester räumlicher Anordnung, wie die Kanten eines Prismas, die sich gemeinsam um eine senkrechte Achse drehen." (Metzger, 1934, S. 195).
Mittels Variation des (a) Abstands zwischen den schatlenwerfenden Stäben und (b) deren Anzahl können viele verschiedene reale Bewegungskonfigurationen erzeugt werden, denen jeweils bestimmte subjektive Bewegungseindrücke entsprechen. Dazu gibt Metzger ein Beispiel (Abb. 3 ) : „Wenn die drei Glieder im Dreieck angeordnet sind, vereinigen sich während einer halben Umdrehung dreimal j e zwei davon: a mit b, a mit c und b mit c. Die Zahl der möglichen Verläufe ist theoretisch sehr groß." (Metzger, 1934, S. 25). 3*
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Z. Psychol. 196 (1988) 1
l.ala2a3 2.
a2 a3
3. 4. 5. 6. 7. 8.
dj a 2 &3 % a 2 &3 a x c3 c3 c3 o, c3
bl ia b3 c2 c3 ¿1 &2 °3 bL c2 c, t>i b2 b3 h b2 a, bi c2 a2«3 c2 a.
t C3 b, b3 C1 C3 Ai-Phänomenforschung eher schädlich wurde. (4) Neue InterpretalionsmöglichkeiteJi für bereits Bekanntes: Der für die Psychologiegeschichte glückliche Umstand, daß Wertheimer zeit seines akademischen Lebens der große Anreger war xind blieb, hat auch für Max Wertheimers Arbeiten in der Nachfrankfurter Periode seine Bedeutung. Ein gutes Beispiel für das damit Gemeinte bietet Wertheimers (1959) erst posthum erschienene Abhandhing überTransposition und Diskriminationslernen („On Discrimination Experiments"). Diese Anfang der vierziger Jahre verfaßte, später von Lise Wertheimer herausgegebene Arbeit stellt eine Entgegnung auf Spence' (1937) Versuch dar, eines der Schlüsselphänomene der Gestaltpsyehologie, nämlich das der Transposition, mittels der neobchavioristischen Modell- und Theorienbildung vorherzusagen bzw. zu erklären (der Ansatz von Spence war direkt gegen Köhlers gestalttheoretische Deutung von dessen frühen vergleichenden Transpositionsversuchen an Kindern, Hühnern und Affen gerichtet; vgl. Sarris, 1987b, Abb. 5). — (Erst in jüngster Zeit ist die Bedeutung der systematischen Berücksichtigung des gestaltpsychologischen „Kontext su auch im Tierversuch wiederholt nachgewiesen worden; s. die Ubersichten von Balsam, 1985; Zoeke, 1985.) (5) Persönliche Grundüberzeugungen: Bei Wertheimer dominierte bis zum Ende seines Lebens die Grundidee der Gestalttheorie. Nachdem für ihn in der Nach-Frankfurter Periode ein experimentelles Weiterforschen in der Bewegungswalirnehmung unmöglich wurde, widmete er sich dafür umso mehr — ebenfalls erfolgreich — seinen Studien über , , P r o d u k t i v e s Denken" (vgl. unten). (6) Sozial-institutionelle Bindungen: Dem mit den bedeutenden Biographien der Psychologiegeschichte Vertrauten ist bekannt, wie schwierig Max Wertheimers weitere wissenschaftliche Laufbahn nach Verlassen der Frankfurter Universität werden mußte (1933). In seiner neuen Ilcimat begegnete Wertheimer hauptsächlich den Auswirkungen des Beliaviorismus (vgl. dazu auch oben Punkt 5). Es kam für ihn hinzu, daß an der sozialwissenschaftlich ausgerichteten New School die forschungspraktische Konfrontation nahezu ausblieb (Coscr, 1984). — Dieses Manko drückt sich auch in dem folgenden Zitat aus: „Vielen Zuhörern [an der New School] erschien Wertheimers neue (Gestalt-)Lehre als ein wissenschaftlicher Skandal . . . Einige von Wertheimers Seminardemonstrationen und Ideen kamen (ihnen) ^ausländisch' vor, denn diese brachten Themen ins Spiel, die aus der wissenschaftlichen Psychologie verbannt worden waren, z. B. die Unterscheidung von Erscheinung und Realität, den Ausdruckscharakter unbelebter Objekte . . . [usw.] Einige Seminarteilnehmer und Besucher fühlten sich amüsiert
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Sarris, Max Wertheimer in Frankfurt III
oder gut unterhalten, aber andere waren irritiert und verärgert. Immerhin gab es auch einige Studenten und Besucher, die in Wertheimers Einfällen und Demonstrationen revolutionierende Ideen f ü r die Wissenschaft im allgemeinen und die Psychologie im besonderen herausspürten." (Luchins und Luchins, 1974, Vol. V. Preface, p. I).
Mit der Anwendung der sechs Boringschen Kriterien auf Werlheimers Forschungsstagnation während der Nach-Frankfurter Periode wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Wenn ohnehin schon nicht „die" Gestaltpsychologie den Mittelpunkt dieser Abhandlung bildet, sondern hier hauptsächlich Max Wertheimers Arbeiten zur Bewegungswahrnchmungsforschung in Frankfurt interessieren, dann gilt überdies auch, daß hier Wertheimers Lebenswerk keineswegs mit dem Anspruch auf Repräsentalivität oder gar Vollständigkeit behandelt worden ist. Tab. V. Liste der heute wichtigsten Fachzeitschriften mit dem Schwerpunkt W psychologie*, **
ahniehmungs-
— Akustika* — Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance — Journal of the Acoustical Society of America* — Journal of the Optical Society of America* — Perception — Perception and Psycliophysics — Perceptual and Motor Skills — Psychological Research (Psychologische Forschung) — Psychonomic Science — Vision Research* * Ein Stern (*) markiert eine vornehmlich neurophysiologisch orientierte Fachzeitschrift. ** Die Zeitschrift „Psychologische Forschung" wurde von Max Wertheimer u. a. begründet und herausgegeben (vgl. Zeittafel in Sarris, 1 9 8 7 a ) ; sie wurde nach dem 2. Weltkrieg wieder fortgeführt, aber enthält seit einigen Jahren nur noch englischsprachige Beiträge
Wir haben inzwischen eine enorme Ausweitung der gesamten Wahrnehmungsforschung in ihren verschiedensten Teilbereichen zu verzeichnen, und das in einem Ausmaß, wie niemand es sich zu Werlheimers Zeiten hätte vorstellen können (Tab. V; s. ferner Aarons, 1964). Auch wenn heute noch nicht genügend deutlich ist, was alles in der neueren Wahrnehmungsforschung auf Max Wertheimer direkt oder indirekt zurückzuführen ist, so ist doch wenigstens klar: Viele der bereits in Wertheimers Frankfurter Arbeilen behandelten wahrnehmungspsychologischen Probleme, die über das des P/u-Phänomens und verwandter Phänomene z. T. weit hinausgehen, werden in der heutigen apparativ und auch sonst methodologisch fortgeschrittenen Grundlagenforschung weiter bzw. von neuem untersucht. Greifen wir dazu abschließend noch einen Gedanken eines nordamerikanischen Fachmannes auf, der z. Z. in einem der mittlerweile stark verzweigten Einzelbereiche der Wahrnehmungsforschung sehr erfolgreich tätig ist — nämlich die Überlegung eines Experimentalpsychologen, die dieser an das Ende seiner stark sinnes- und neurophysiolo-
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t
Z. Psychol. 196 (1988) 1
gisch orientierten Monographie über sog. „visuelle Maskierung" gesetzt hat (Breitmeyer,
1984):
..Beim Lesen des Gestaltpsycliologen Wertheimer (1912) und seiner umfassenden Studien der stroboskopischen Bewegung . . . wurde ich zu der Vermutung geführt, daß da eine Form von Metakontrast-Maskierung mit im Spiel sein könnte, was sich in nachfolgenden Untersuchungen als Tatsache herausstellte. . . Durch eine historische Annäherung lernte ich auf diese Weise unsere Dankesschuld gegenüber unseren geistigen Vorfahren schützen. Wir lernen Bescheidenheit, aber auch den Optimismus, daß auch wir wie unsere Vorfahren uns des Gewinns erfreuen können, den kreative Forschung und Entdeckungen einbringen." (Breitnieyer, 1984, p. 358).
Es wäre gut, wenn der Leser diese Worle von Bruno G. Breitmeyer ebenso verstehen wollte, wie mit dieser Abhandlung der heutige Versuch einer Einlösung der uns gestellten Aufgabe gemeint ist — als eine Laudatio für Max Wertheimer in Frankfurt. „Wissenschaft ist im Willen zur Wahrheit verwurzelt. Mit dem Willen zur Wahrheit steht und fällt sie. Man setze ihr ¡Niveau auch nur um weniges herab, und die Wissenschaft wird erkranken bis ins Mark. ¡Nicht nur die Wissensehaft, auch der Mensch selbst. Der Wille zur Wahrheit, zur reinen und unverfälschten, gehört zu den wesentlichsten Bedingungen seiner Existenz; läßt er sich inbezug auf deren Niveau auf Kompromisse ein, so gerät er leicht zur tragischen Karikatur seiner selbst." Max Wertlieinier: Oll Trut/i (1934; p. 135).
Zusammenfassung Dieser letzte von insgesamt drei Aufsätzen über Max Wertheimers Frankfurter Arbeiten zur Bewegungswalirnehmung behandelt einige Planungsperspektiven und Ergebnisse von Wertheimers zweiter Frankfurter Scliaffensperiode (1929—1933). Die Arbeiten, die anhand von Untersuchungen der damaligen Frankfurter Schüler dargestellt werden, bauen auf Vorarbeiten der ersten Frankfurter Zeit (1910—1916) auf, d. h. auf Wertheimers Arbeiten zum P/u-Phänomen (1910—1912) sowie auf diejenigen zur ,,Lehre von der Gestalt" (1911—19Ii). Dafür daß diese weiterführenden Untersuchungen nahezu unbekannt geblieben sind, wird das Zusammenwirken der folgenden Entwicklungen verantwortlich gemacht: (1) Das Forscliungsdilemma der sog. experimentellen Phänomenologie, (2) das weitgehende Fehlen von parametrisch-systematisclien Aufbaustudien, (3) die Inkompatibilität von wissenschaftstheoretischen Ansprüchen und naturwissenschaftlich gebundener Datenorientierung, (4) die Unterbrechung der internationalen Wissenschaftskommunikation (etwa 1933—1950) sowie (5) der von den Wertheimer-KoffkaKöhler-Arbeitskreisen nicht mehr fortgeführte bzw. fortführbare experimentelle Ausbau der Gestaltpsychologie.
Summary This is the concluding article of a three-part treatize on Max Wertheimer's Frankfurt studies on seen motion. I t deals, first of all, with some of the major plans and accomplishments during Wertheimer's second period in Frankfurt a. M. (1929—1933). The experimental studies, which consist mainly of the investigations carried out and published under his students' names (Ivrolik, Metzger, Oppenheimer) are based on the work done during his first Frankfurt period (1910—1916), i.e. on the original phi phenomenon (1910—1912) and Geslalt law (1911—1914) studies as described elsewhere (Sarris, 1987a, b). In order to account for the fact that Wertheimer's follow-up work of the second Frankfurt period has hardly become known, the following developments since the thirties are held responsible; namely: (1) the basic methodological dilemma of the socalled experimental phenomenology; (2) the lack of further sys-
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Sarris, Max Wertheimer in Frankfurt I I I
t e m a t i c experimentation; (3) the incompatibility of the far-reaching philosophical claims made and the relatively weak data basis obtained by the Gestalt psychologists; (4) t h e break-down of the international communication and exchange (about 1933 to 1950); and (5) the gradual decrease of the experimental output provided by the formerly integrative work of the W e r t h e i m e r - K o f f k a - K o h l e r group.
Pe3H)Me B oToit nocJieflHeft H3 r p e x CTaTeft, nocBHmeHHLix $paHK(JiypTCKHM paöoTaM M a n c a BepTxaftMepa o BOCIlpiIHTHH HBHJKeHHH, paCCMaTpHBaiOTCH HGKOTOptIG HJlaHOBbie nepCneKTHBH H pe.'! YJIbTaTH BToporo nepiioaa b TBopwcTBe BepTxafiMepa (1929—1933). 9th paöopti, H a m e f l u r a e 0Tpa>i;eHne b HCcaenonaHitax TornamnHx y^eHHKOB BepTxaöaiepa bo (})paHKypTCKoro nepHona (1910—1916), to ec,Tb Ha BepTxaßMepcKHx paßoTax o $H-$eHOMeHe (1910—1912), a TaKjfie Ha paooTax, CBH3aHHbix c „YieHHeM o rciirra.ibTe" (1911—1914). B tom, hto bth aancKoii^ymne hccjicaoBaHHH ocTaawci. no-mi hgh3bgcthh, noBHHHo coBHaseHHe cJienyKmnx $aKTopoB: (I) KccnejiOBaTejibcitaH AHjieMMa TaK naaupaeMoit oKcnepMMeiiTejiT.Hoß cfieHOMeHo.iontii, (2) norn-it noJiHoe OTcyTCTBHe napaMeTpmecKwx cHCTeMaTHiecKHx HccJieROBaHHit, (3) HecoBMecTHMOCTb HayHHo-TeopeTimeeKHx npHTH3aHHft h ecTecTBeHHo-Hayimoft opueTaiiint aaHHbix, (4) npepBaBuiKöcH MejK^ynapoHutiit H a y w u i i OCMOH (1933— 1950), aTaKme (5) to, mto paßonaa r p y n n a BopTxaiiMcpa, KeJiepa h Ka$$KH He nponojimajia h n e Morna npoaojiwaTb na.ibHeiimyio piJiaspaSoray nc-MxoJionni reiiiTaJibTa.
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Die A u t o r e n des B u c h e s h a b e n a u s der k l i n i s c h e n B e o b a c h t u n g „ B a s i s s y m p t o m e " als I n d i k a t o r für die besondere S t ö r a n f ä l l i g k e i t p s y c h i s c h e r F u n k t i o n e n bei Schizophrenen g e s a m m e l t u n d k o m m e n von v e r s c h i e d e n e n A n s ä t z e n her zu e i n e m sieh e r g ä n z e n d e n Konzept v o n der B e d e u t u n g dieser b a s a l e n S t ö r u n g e n f ü r das V e r s t ä n d n i s schizophrener E r k r a n k u n g e n . I m psychologischen B e i t r a g v o n L. S ü l l w o l d ü b e r die S e l b s t w a h r n c h m u n g d e f i z i t ä r e r S t ö r u n g e n hei Schizophrenen w i r d die ü b e r a r b e i t e t e F a s s u n g des F r a n k f u r t e r B e s c h w e r d e - F r a g e b o g e n s ( F B F ) m i t s t a t i s t i s c h e n D a t e n zur I t e m - u n d F a k t o r e n a n a l y s e d a r g e s t e l l t . Der F B F ist k e i n d i f f e r c n t i a l d i a g n o s l i s c h e s I n s t r u m e n t f ü r die T r e n n u n g v o n p s y c h o t i s c h e n u n d nichLpsychotischen P a t i e n t e n . V a l i d e A n g a b e n lassen sich n u r f ü r schizophrene P a t i e n t e n e r w a r t e n , da die u r s p r ü n g l i c h v o n i h n e n s t a m m e n d e n S t ö r u n g s b e s c h r e i b u n g e n f ü r a n d e r e P a t i e n t e n g r u p p e n nicht in gleicher W e i s e v e r s l ä n d l i c h sind. Die I t e n i a u s w a h l erfolgte nicht n a c h stat i s t i s c h e n A n a l y s e n sondern n a c h ,.größtmöglichem I n f o r m a t i o n s g e w i n n über die S e l b s t w a h r n c h m u n g der Störung 1 ' (S. 20). I m E r g e b n i s liefert er eine B e s c h r e i b u n g schizophrener B a s i s s y m p t o m e n a c h phänom e n a l e n G e m e i n s a m k e i t e n , w i e V e r l u s t der Kontrolle, S t ö r u n g der W a h r n e h m u n g , der S p r a c h e , d e s Denkens, der Motorik. I m p s y c h i a t r i s c h e n B e i t r a g von G. II über w i r d ein Uberblick über die Geschichte, den Forschungss t a n d u n d die - t e n d e n z e n z u m B a s i s s t ö r u n g s k o n z e p t gegeben u n d das B o n n e r D o k m n e n t a l i o i i s s y s t e m zur E r f a s s u n g von B a s i s s y m p t o m e n ( B S A B S ) k u r z d a r g e s t e l l t . Das B S A B S ist ein F r e m d b e u r t e i l u n g s v e r faliren, das sich auf S e l b s t s c h i l d e r u n g e n der P a t i e n t e n s t ü t z t . Die D o k u m e n t a t i o n der S y m p t o m e erfolgt n a c h freier, teils s t r u k t u r i e r t e r E x p l o r a t i o n u n d u m f a ß t 5 I l a u p t k r i t c r i e n : d y n a m i s c h e Defizienzen als d i r e k t e u n d i n d i r e k t e M i n u s s y m p t o m e , k o g n i t i v e S t ö r u n g e n , Coenästhcsien, z e n t r a l - v e g e t a t i v e S t ö r u n g e n . A n g a b e n zu s t a t i s t i s c h e n G ü l e k r i t c r i e n des V e r f a h r e n s erfolgen n i c h t . Eine Zuordnung des b e u r t e i l t e n P a t i e n t e n zu einer h e r k ö m m l i c h e n Diagnoseklasse ist auch hier nicht i n t e n d i e r t . W a s v e r m a g die E r f a s s u n g schizophrener B a s i s s y m p t o m e für die P r a x i s zu l e i s t e n ? Durch E i n b e z i e h u n g der d e f i z i t ä r e n H i n t e r g r u n d s ! ö r u n g e n i n die klinische Diagnostik werden d i a g n o s e r e l e v a n t e Aufschlüsse ü b e r b e h i n d e r u n g s b e d i n g t e V e r h a l t e n s w e i s e n m ö g l i c h ; a u s unterschiedlichen A u s p r ä g u n g e n dieser Stör u n g e n ergeben sich H i n w e i s e für t h e r a p e u t i s c h e u n d r c h a b i l i t a l i v c A n s ä t z e . Zur Q u a n t i f i z i e r u n g der S t ö r u n g e n sind die I n s t r u m e n t e noch w e i t e r zu e n t w i c k e l n . F ü r die w e i t e r e S c h i z o p h r e n i e f o r s c h u n g m a c h t das B u c h deutlich, d a ß m a n n i c h t bei den „ t y p i s c h e n schizophrenen End- u n d U b e r b a u p h ä n o m e n e n sondern i m Bereich der B a s i s d e f i z i e n z c n u n d B a s i s s t a d i e n a n s e t z e n m u ß " (S. 115). Nach d e m B a s i s s t ö r u n g s k o n z e p t sind die S y m p t o m e I n d i k a t o r e n der eigentlichen, der schizophrenen Erkrankving z u g r u n d e l i e g e n d e n S t ö r u n g e n , die bisher noch n i c h t i d e n t i f i ziert sind. Vielleicht h ä t t e n für sie R i c h t u n g e n gewiesen w e r d e n können, w e n n die v o r w i e g e n d phänomenologische Ebene der S y m p t o m e d u r c h eine eingehendere D a r s t e l l u n g e x p e r i m e n t a l p s y c h o l ö g i s c h e r u n d n e u r o p h y s i o l o g i s c h c r A n s ä t z e e r g ä n z t w o r d e n w ä r e . Der Dialog u n t e r s c h i e d l i c h e r F a c h v e r t r e t e r ü b e r Schizophrenie sollte n i c h t auf die S y m p t o m e b e n e b e s c h r ä n k t w e r d e n . Der v o r l i e g e n d e B e r i c h t t r ä g t wesentlich z u m besseren V e r s t ä n d n i s der K r a n k h e i t S c h i z o p h r e n i e u n d d e r a n i h r E r k r a n k t e n bei. Er w i r d so g l e i c h e r m a ß e n den i n der B e t r e u u n g u n d F o r s c h u n g T ä t i g e n v o n N u t zen sein. Durch bessere A b s t i m m u n g der T e x t e h ä t t e n sich W i e d e r h o l u n g e n u n d Zitate des 1. Teils i m zweiten v e r m e i d e n lassen. F. K u k l a ( B e r l i n )
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VEB J . A. Barth, Leipzig
Aus der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Kind und Computer Möglichkeiten zur Förderung der geistigen Entwicklung und der Vorbereitung auf die Beherrschung neuer Technologien Von H. Sydow 1. Computer und Kind — konträre Standpunkte An den heftigen Kontroversen und extremen Argumenten und Standpunkten in der Literatur erkennt man sehr deutlich, daß das Vordringen oder die Einführung von Computern in die Welt der Kinder und Jugendlichen einen besonderen Stellenwert besitzt. Explizit ausgesprochen oder unverkennbar implizit vorausgesetzt, treffen an der Streitfrage „Sollen Computer in der Schule (und noch früher) eingesetzt werden?" wichtige Problemstellungen aufeinander: Langfristige gesamtstaatliche Bildungsmaßnahmen, Investitionen für Industriezweige, Marktinteressen von Firmengruppen, Sorgen um den Arbeitsplatz, neue, mitunter aber auch bedrohlich empfundene Anforderungen an den Einzelnen — seien es Schüler, Lehrer oder Werktätige in den verschiedensten Berufen. Die besondere Spezifik dieser Probleme zeigt, daß entwicklungspsychologische Forschung in dem Problemfeld „Kind und Computer" ihren Bezugsrahmen nicht allein in allgemein- oder entwicklungspsychologischen Theorien über geistige Leistungen des Kindes und ihre Herausbildung finden kann, sondern sich an übergreifenden gesellschaftlichen Strategien orientieren muß. Nicht zu Unrecht vermutet man hinter Äußerungen wie „Nur insofern ich programmiere, denke ich" oder „Die Computerrevolution gibt erstmals in der Gcscliichtc der Menschheit die Einsicht, daß wir ein Teil dieser Welt sind . . . " (Papert 1985), die ein merkwürdiges ahistorisches Gepräge haben, kommerzielle Interessen. Und konträre Äußerungen, die den Computer aus Bildungseinrichtungen verdammen sollen, sind nur verständlich, wenn man eine gegen diese Interessen gerichtete Haltung unterstellt. Anfängliche Bedenken, die intensive Beschäftigung mit Computern könnte eine „asoziale" Entwicklung bei Kindern verursachen, sind durch Untersuchungsbefunde gegenstandslos geworden, wonach die Arbeit in Zweier- oder Dreiergruppen am Computer die Kommunikation und soziale Interaktion fördere. Freilich werden diese Befunde durch Beobachtungen ergänzt, denen zufolge Kinder und Jugendliche, die keine erwartungsgemäße soziale Interaktion realisieren können, sich bevorzugt allein dem Compuler zuwenden, da er relativ passiv Befehle ausführt und bei entsprechendem Selbstanspruch die erwünschten Erfolgserlebnisse gewährt. Befürworter der Beschäftigung mit Computern im Kindesalter lassen mitunter eine sehr einseitige Auffassung von Bildungszielen erkennen. Aussagen wie „Mathe-power wird zu einem Lebensstil" oder „man lernt (am Computer), daß die mächtigste aller Ideen,
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die Idee von mächtigen Ideen ist" (Papert, 1985) lassen diesen Eindruck entstehen. Wen wundert es dagegen, daß ein längeres Training in der Programmiersprache LOGO in der Unterstufe nicht den erwarteten Entwicklungsschub bewirkte (Pea, Kurland, Hawkins, 1985). Schon für die Einführung von Computern in den Schulen stellt Neuner (1986) d a g e g e n : „Der Umgang mit dem Computer fordert keineswegs nur Computerwissen, sondern den ganzen Menschen, Wissen und Können, geistige Flexibilität, Phantasie, Schöpfertum und Verantwortung, aber auch, mehr elementar, Lesefertigkeit, e x a k t e Orthographie, präzisen sprachlichen Ausdruck, entwickelte Zahl- und Raumvorstellungen, Reaktionsschnelligkeit, algorithmisches Denken, Kooperation. Die Befähigung zum Umgang mit dem Computer beginnt also vor der eigentlichen Computerbildung; sie ist wesentlich hohe Allgemeinbildung, allseitige Persönlichkeitsentwicklung." Manche dieser Voraussetzungen könnten aber vielleicht auch durch den Einsatz von Computern effektiver oder früher geschaffen werden. So fordert Lomow (1985) in seinem anregungsreichen Entwurf, die neuen Informationstechnologien in breitem Maßstab für die geistige Entwicklung des Menschen zu nutzen. Es geht eben mit Larsen (1985) nicht um die Frage, wie Computer, da sie nun einmal da sind, in der Volksbildung (Education) genutzt werden können, sondern darum, ausgehend von den Zielen in der Volksbildung und den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie und Pädagogik, über den Einsatz neuer technischer Mittel zu entscheiden. Sind diese Entscheidungen leicht zu fällen? Besitzen wir die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen oder fehlen sie teilweise, so daß Fehlentscheidungen nicht auszuschließen sind? Marchev und Marcheva (1985) meinen, daß ungelöste Probleme und die Gefahr von Fehlern den Prozeß der Einführung von Computern nicht verzögern dürfen, denn der größte Fehler wäre ein Zeitverzug bei der Einführung der Computer in die Volksbildung. Dagegen weist Matjuschkin (1986) auf offene Fragen hin. So scheint ihm der Zeitpunkt der Einführung von Computern (des Informatikunterrichts in den Schulen) noch nicht ausreichend gesichert festlegbar zu sein. Soll man mit 15 J a h r e n oder bereits mit 11 J a h r e n beginnen? Muß die Ausbildung notwendiger geistiger Operationen erfolgt sein? Muß erst die Fähigkeit entwickelt sein, Aufgaben gedanklich (begrifflich-logisch und nicht anschaulich-handelnd oder anschaulich-bildhaft im Sinne von Karpow und Talysina 1985) lösen zu können? Kann die vorzeitige Einführung der Informatik die Ausbildung bestimmter geistiger Operationen verzögern? Sollten vor dem systematischen Informatikunterricht und der Einführung in das Programmieren erst Erfahrungen mit elektronischen Spielen (im Sinne der educational Computer games von Marchev und Marcheva bis ins Vorschulalter hinunter) vermittelt werden? Demgegenüber ist Cohen (1985) unbedenklich der Meinung, das Vorschulalter sei der richtige Zeitpunkt für den Beginn, da es eine besonders sensible Phase für die geistige Entwicklung sei. Das Kind erreiche seine Leistungspotenzen im späteren Leben nur, wenn die ncurobiologischen Schaltkreise in der richtigen Zeitspanne trainiert werden, so daß sie dann im m a x i m a l möglichen Lcistungsbereich funktionieren können. Dabei gibt es in dem umrissenen Problemfeld k a u m systematische Untersuchungen, so wie sie z. B. nach Lomow (1985) von Galanter durchgeführt w u r d e n : Man versuchte, Kindern i m Alter von 5, 8 und 11 J a h r e n eine der Programmiersprachen LOGO, B A S I C oder P A S C A L
Sydow, Kind und Computer
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beizubringen. Sie konnten mit 8 Jahren einfachste Programme in LOGO und BASIC erstellen, während im Alter von 11 Jahren schon bemerkenswerte Fertigkeiten in allen drei Sprachen ausgebildet werden konnten. Natürlich kann man mit der aktuell vorhandenen Rechentechnik Kenntnisse vermitteln, dabei Erfahrungen sammeln und diese anwenden. Doch die Rechentechnik entwickelt sich sehr schnell, so daß ein ständiges Nachhinken die Folge sein könnte. So spricht sich Kaptelinin (1986) dafür aus, die geistigen Voraussetzungen für die Einführung von Computern zu untersuchen, dabei die Kenntnisse der Denkpsychologie zu nutzen und zu erweitern und Etappen der Entwicklung dieser Voraussetzungen zu bestimmen. Diese Haltung wird auch damit begründbar, daß die Bedeutung des vielzitierten Begriffes Computer literaey (oder gramotnostj), oder Computeralphabetisierung, für die heutige Zeit und für einen Prognosezeitraum von 20 Jahren nicht so einfach befriedigend fixiert werden kann, so daß sie für ein breites Spektrum von Berufen und die prognostizierte Computergeneration Gültigkeit besäße. Welche Berufsgruppen in 20 Jahren Programmierkenntnisse oder gar -fähigkeiten auf hohem Niveau besitzen müssen und welche anderen Berufsgruppen ihre Aufgaben am Computer im natürlich-sprachlichen Dialog erfüllen werden, läßt sich schwer vorhersagen. Programmieren fördert — Programmieren gefährdet die geistige Entwicklung des Kindes. Zu dieser wie zu den anderen angeschnittenen Kontroversen „haben Essayisten und Journalisten die wichtigsten Fragen schon beantwortet — von beiden extremen Positionen aus" (Liebermann, 1985). Kompetente Vertreter der verschiedenen Wissenschaften, die an dem interdisziplinären Problemfeld forschen, finden jedoch noch offene Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. 2. Potenzen des Computers für die geistige Entwicklung Unter den Effekten, nach denen in Verbindung mit dem Einsatz von Computern gefragt wird, steht bei den meisten Autoren ein geistiger Entwicklungsschub an erster Stelle. Die sogenannte „cognitive effects hypothesis" (De Corte, 1985) nimmt an, daß die Beschäftigung mit dem Computer (speziell das Programmieren) und der Einsatz von Computern im Unterricht die Fähigkeit zum Problemlösen, Wissensstand und Wissensnutzung und allgemein die Denkleistungen langfristig wirksam bei allen Kindern verbessern. Man sollte jedoch die Frage nach den Effekten breiter stellen und sie nicht sogleich auf die geistige Entwicklung und den Wissenserwerb beschränken. Denn andere, nichtkognitive Effekte sind denkbar bzw. teilweise nachgewiesen, die dann mittelbar positiven Einfluß auf die geistige Entwicklung haben können. Computer fördern nach Marchev und Marcheva (1985) die Aktivität, die Willenskraft, die Unabhängigkeit, das Selbstwertgefühl der Kinder. Sie regen die Phantasie und damit die Kreativität an. Sie fördern die eigenständige Kontrolle der Aufmerksamkeit und die Konzentration und damit die Genauigkeit bei der Ausführung von Anforderungen. In einigen Untersuchungen (z. B. Milojkovic, 1983) wurden Verbesserungen in der Einstellung zum Lernen und zur Schule, eine generell erhöhte Leistungsbereitschaft und eine höhere Selbstattribuierung von Fehlern nachgewiesen. Vielfach wird über eine größere 5
Z. P s y c h o l o g i e 195-1
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Kommunikationsbereitschaft nach Gruppenarbeit am Computer berichtet. Im kognitiven Bereich wird global von einer Verbesserung der Analyse- und Syntheseleistungen sowie spezifischer von verbesserten Klassifikations- und Vergleichsprozessen gesprochen (Marchev und Marcheva, 1985). Man kann erstmal ganz allgemein fragen, welches die Ursachen dieser behaupteten bzw. nachgewiesenen Effekte sind oder sein könnten. Sicher werden am Computer vom Kind neuartige Aktivitäten gefordert, die sonst nicht von ihm verlangt werden und damit Entwicklungsanregungen darstellen. Da der Computer eine hohe Präzision verlangt (im Vergleich zur Kommunikation in der natürlichen Sprache), werden häufig Fehler gemacht, die Anlaß zum Nachfragen beim Lehrer oder bei Mitschülern geben. Dies regt zum Verbalisieren der geistigen Handlungen an, zu erhöhter Metakognition und Kommunikation. Ein wichtiger Faktor ist also die ständige Rückmeldung, die der Computer beim interaktiven Arbeiten gewährleistet. Ein besonderer Vorteil besteht darin, daß die Möglichkeit besteht, die Interaktion hochgradig zu individualisieren, also dem aktuellen Wissensund Leistungsstand anzupassen. Nach derartigen Lobpreisungen geziemt es sich zu fragen, ob der Computer das einzige Mittel sei, diese Effekte zu erzielen? Wurden diese Effekte bisher etwa nicht angestrebt oder unbefriedigend erreicht? Ist der Computer notwendig, um diese Effekte im angestrebten Maße zu bewirken? Vielleicht regt die Konfrontation mit dem Phänomen Computer und den behaupteten Effekten nur dazu an, erneut über Ziele der Entwicklung und Erziehung und passende Methoden nachzudenken, die dann auch ohne Computer aber vielleicht eben doch auf neuem Niveau nach „klassischer Art" realisiert werden können? Wie dem auch sei — es gibt inzwischen eine Vielzahl von experimentellen Untersuchungen, in denen versucht wurde, die Effekte zu messen und die verursachenden Faktoren dingfest zu machen. Die nachfolgenden Befunde sollen auf einige wichtige Bestandteile der „cognitive effects hypothesis" hinweisen, vor allen aber den Uniformitätsanspruch „bei allen Kindern" hinterfragen. Bei den Untersuchungen dominiert der Vergleich einer Experimentalgruppe (computergestützter Unterricht) mit einer Kontrollgruppe. In einem Posttest wird eine Leistungsvariable, die mehr oder wenigerstark Transferwirkungen abprüft, gemessen. Dann wird vom Mittelwert der Experimentalgruppe derjenige der Kontrollgruppe subtrahiert und die Differenz durch die (auf verschiedene Arten berechnete) gemeinsame Streuung dividiert, so daß eine Art i-Größe entsteht, die als Effekt der Bedingungsvariation angesehen wird. Effekte zwischen 0,30 und 0,50 werden als gut bis sehr gut angesehen. In einer Metaanalyse (Fricke, Treinies, 1985) über eine Gruppe von 46 Einzeluntersuchungen berichtet Kulik (1983) über die Effekte für verschiedene Formen des computergestützten Unterrichts (Tab. I). Die Arbeit mit Simulationsmodellen erweist sich als besonders effektiv. Tutoring und Managing, zwei Formen der interaktiven Arbeit mit Wissenssystemen, schneiden ebenfalls ganz gut ab. Einfache Übungsprogramme und das Programmieren bilden die Schlußlichter. Offen ist freilich die jeweils gewählte Posttestanforderung, die den Effekt maßgeblich bestimmen dürfte. Diese Ergebnisse sind insgesamt recht gut, aber doch vielseitig zu hinterfragen. Kulik berechnete für eine Gruppe von Untersuchungen den Effekt, wenn verschiedene Lehrer
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S y d o w , Kimd ramd Computer T a b . I. E f f e k t e unterschiedlicher Formen (Inhalte) des computergesliilzlen Unterrichts nach K u l i k (1983). N ist die Anzahl von Einzeluntersuchungen, die im Sinne der Metaanalyse integrativ ausgewertet wurden
Simulation» T u t o ring Managing Drill and Pracitäee Programming
Effekt
N
0/i9 0,36 0,33 0,27 0,20
5 11 11 11 8
in den beiden Gruppen unterrichteten bzw. derselbe Lehrer dies tat. Der Unterschied fällt mit 0,51 zu 0,13 sehr deutlich aus. Lehrer, die im computergestützten Unterricht mit Simulationsmodellen arbeiten, sind auch in der Vergleichsklasse erfolgreicher. Bei der Berücksichtigung des Leistungsniveaus der Schüler erhielt Kulik die Ergebnisse der Tabelle I L Sie lassen sich durch Angaben in der Literatur ergänzen, wonach Kinder mit Lernstörungen (darunter LRS-Kinder) und debile Kinder, aber auch Kinder mit Verhaltensstörungen sowie spezielle Gruppen gestörter Kinder (z. B. Spastiker) besondere Vorteile aus dem Einsatz von Computern ziehen. Tab. II.
Abhängigkeit des E f f e k t s vom Leistungsniveau (Kulik 1983)
leistungsschwache Schüler mittlere Schüler leistungsstarke Schüler
Effekt
N
0,45 0,39 0,13
11 8 4
Als nächstes sei die Beziehung zwischen dem Effekt einerseits und drei anderen Variablen betrachtet: Stichprobenumfang der Experimental- und Kontrollgruppen, Dauer des Experiments, Validität des Meßinstruments. Die Ergebnisse in Tabelle III lassen vermuten daß die üblichen Neuheitswirkungen (Dauer des Experiments) und das Elitegefühl (oder die höhere Intensität) einer kleinen Trainingsgruppe (Stichprobenumfang) die Ursachen der negativen Korrelationen mit der Effektgröße sind. Tab. I I I .
Korrelation des E f f e k t e s mit drei Variablen des Versuchsplans (Kulik 1983)
Korrelation des E f f e k t s mit Dauer Stichprobenumfang Validität
-0,34 -0,20 -0,35
Interessant ist schließlich die Abhängigkeit des Effekts vom Alter der Schüler, also von der Klassenstufe. Kulik (1984) gibt dazu die Werte der Tabelle IV an. Die Effektivität des Computers ist also nicht für alle Kinder gleich groß. Spezielle Proban5*
68 Tab. IV.
Z. Psychol. 196 (1988) 1 Abhängigkeit des Effekts v o n der Klassenstufe (Kulik 1983) Effekt
Elementarschule Sekundärschule College
0,4 0,3 0,1
dengruppen (z. B. geschädigte Kinder) scheinen eher vom Computcreinsatz zu profitieren. Das mag vor allem daran liegen, daß für diese Kinder ganz spezielle Bedingungen geschaffen wurden, wie zum Beispiel ein spezielles Kind-Computer-lnterface, das die normale Tastatur durch begrifflich-bildhaft kodierte Felder von Sensortasten ersetzt, dadurch die Kompatibilität der Denk- und Yorstellungsprozesse zum Geschehen auf dem Bildschirm verbessert und die Feinmotorik entlastet (für Spastiker eine unabdingbare Voraussetzung). Anzuzweifeln ist die Konsequenz, die man aus den Tabellen 2 und 4 ziehen könnte. Ein Vergleich zwischen Elementarschule und College ist schon wegen der sehr unterschiedlichen Anforderungen problematisch. Eine Abnahme des Effekts mit dem Alter generell zu behaupten, ist wohl eine zu starke Verallgemeinerung bisheriger Befunde. Auch der geringere Effekt bei leistungsstarken Schülern als allgemeine Aussage verwundert. Wenn wirklich die Potenz der Individualisierung ausgenutzt wird, sollte diese Abhängigkeit des Effekts vom Leistungsstand verschwinden. Das Programmieren selbst hat keine besonderen Leistungszuwächse erbracht. Im Vergleich dazu war die Arbeit am Computer mit Simulationsmodellen für Gesetzmäßigkeiten besonders wirksam. Sie ermöglicht die Interaktion mit dem Modell in symbolisch vermittelter Tätigkeit, erlaubt die Beobachtung von Resultaten der Einwirkung auf Situationen und Prozesse, fordert zur Hypothesenbildung auf und erlaubt es, diese unmittelbar zu prüfen. Die Effekte des Einsatzes von Computern hängen also von vielen Faktoren ab, die einfache Antworten verbieten. Diese Faktoren lassen sich klassifizieren. Eine erste Gruppe bezieht sich auf das Kind, den Schüler. Von seinen Fähigkeiten, dem Vorwissen, der Motivation, seinen Lernstrategien und der Art der Ausnutzung angebotener Information hängt das Posttestergebnis ab. Ein breites Spektrum von Faktoren bieten zweitens Form und Inhalt des Computereinsatzes. Der Modus des Computereinsatzes verändert sich zur Zeit sehr stark durch neue technische Möglichkeiten und immer neue Ideen kreativer Lehrer und Programmierer. Ferner sind die Effekte selbst noch aufzuschlüsseln: Wird vorhandenes Wissen reaktiviert, neues Wissen vermittelt, die Regulation der geistigen Tätigkeit und damit die Metakognition verbessert, das Selbstvertrauen, die Leistungsmotivation, die Konzentration verändert? Die verfügbaren Fakten zeigen, daß in Erkundungsuntersuchungen die wesentlichen Variablen identifiziert wurden und begonnen wurde, durch kontrollierte Experimente ihre Wirkung aufzudecken. Ein theoretisch wie praktisch befriedigender Nachweis der spezifischen Wirkung der Potenzen des Computereinsatzes kann dabei wohl nur in interdisziplinär geplanten und realisierten Langzeitexperimenten erfolgen.
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3. Voraussetzungen im geistigen Leistungsbereich des Kindes für das Heranführen an Computer Bei Umfragen unler Vertretern verschiedener Fachrichtungen wird auf die Frage nach der Zielstellung des Einsatzes von Computern in der Volksbildung (bzw. Education) zuerst die Vorbereitung auf neue Technologien genannt. An zweiter Stelle folgt die Persönlichkeitseiitwicklung und danach die Förderung des wissenschaftlichen Denkens (Owais, 1985). Daß die Vergabe des ersten Rangplatzes begründet ist, daran wird kaum gezweifelt. Denn „die Einführung von Computern in allen Lebensbereichen ist objektiv, determiniert und irreversibel" (Marchev und Marcheva, 1985), weswegen die Kinder „so früh wie möglich auf das Leben in einer Computerwelt vorbereitet werden müssen". Unterschiedliche Zielvorgaben können bei der Vorbereitung auf den Einsatz neuer Informationstechnologien verfolgt werden. Abgestuft kann die zu vermittelnde Computeralphabelisierung (computer gramotnostj oder literaey) wie folgt definiert werden (Liebermann, 1985): — Kenntnisse über die Funktion von Computern in der Gesellschaft und die Motivation, Computer angepaßt einzusetzen. — Fähigkeit zur Nutzung fertiger Programme. — Programmieren. Eine andere Abstufung könnte so aussehen: — Spezifische Art über Probleme nachzudenken. — Algorithmisches Denken. — Programmieren. Kaptelinin (1986) schlägt die folgende Einteilung vor: — Benutzung neuer Geräte im täglichen Leben. — Spezielle Computerkenntnisse, einschließlich Programmieren. — Fähigkeit zum Einsatz des Computers als Denkmittel. Beim Nachdenken über die geistigen Voraussetzungen zum Erreichen dieser Zielvorgaben liegt es nahe, als die Zielvorgabe das Programmieren auszuwählen. Und als nächstes wäre als Voraussetzung dazu, entsprechend der obigen Abstufung, das algorithmische Denken festgelegt. Ist diese Überlegung zwingend? Kann man sich auf die Entwicklung des algorithmischen Denkens konzentrieren und damit sicher sein, die wichtigste Voraussetzung fixiert zu haben? Dazu sind zwei Gedanken wichtig. Papert, (1985) stellt das algorithmische Denken (in seiner Schildkrötengeometrie bzw. mit der Programmiersprache LOGO) dem logischen oder axiomatischen Denkstil Euklids und dem algebraischen oder analytischen Denkstil Descartes' gegenüber, weist dem algorithmischen Denkstil Priorität in seiner Theorie der geistigen Entwicklung zu. Dies ist von der Seite des Denkgegenstandes her gesehen, vom Denkinhalt her, nicht überzeugend. Wäre unser Wissen ausschließlich algorithmisch formuliert, dann könnte man diese Priorität einsehen. Viele mathematische Sachverhalte z. B . lassen sich jedoch nur sehr umständlich oder approximativ algorithmisch darstellen. Gerade die besondere Vorrangstellung seines algorithmischen Denkens produziert 1 für Papert Kritik: Wird nicht durch die Betonung dieser Ausdrucksform für Denkinhalte das Verständnis für viele Sachverhalte
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erschwert? Als einfache Beispiele können die Definition des Kreises oder Überlegungen der Infinitesimalrechnung dienen. Der Gegenstand unseres Denkens l ä ß t überdies noch Freiheilsgrade für die Form unserer Denkprozesse über den Gegenstand zu, der Gegenstand determiniert nicht zwingend die Form. Ein einfaches Beispiel kennen wir aus der Experimentalpsychologie: das Nachdenken über transitive Relationen kann in Form eines räumlichen Vorstellungsmodells oder in der From der Ausführung einer Schrittfolge von Inferenzen ablaufen. Oder ein anderes Beispiel: es gibt mathematische Sachverhalte, wie z. B. die Gitlerpunktsätze der Zahlentheorie, die geometrisch oder algebraisch bewiesen werden können. So sollte man nicht das algorithmische Denken, die Zerlegung aller Prozesse in kleine Schritte (angepaßt an die Kommunikationsmittel) verabsolutieren. Neben dem algorithmischen, mehr analysierenden, diskursiven, divergenten, mechanistischen Denken sollte das bildhafte Denken beachtet werden, das mehr synthetische, intuitive, konvergente oder ganzheitliche Denken. W ü r d e man für den Augenblick vereinbaren, daß es diese zwei Hauptformen von Denkprozessen gibt, algorithmische und bildhafte, so könnte man, interessiert an der Schaffung der Voraussetzungen für das Programmieren, behaupten, es ginge „nur noch" d a r u m , Stadien dieser Formen von Denkprozessen als Entwicklungssequenzen zu identifizieren. Man müßte dann die Altersstufen festlegen, in denen diese Stadien erreicht werden, oder erreichbar sind, eine Zuordnung zwischen diesenStadien und Stufen der Ausbildung i m Programmieren begründen und danach fragen, wie diese Stadien als Voraussetzung der angestrebten Zielvorgabc möglichst früh erreicht werden können. Sofort wird deutlich, daß hier ein mechanistischer Denkfehler verborgen ist. Denn die Einführung von Computern in der Schule ist ein formierendes Experiment im Sinne der sowjetischen EnLwicklungspsychologie, es schafft neue psychische Qualitäten (Lomow, 1985). Dabei erfolgt eine q u a l i t a t i v e Neugestaltung grundlegender Formen der A k t i v i t ä t des Menschen. Es entstehen neue Forderungen an die psychischen Besonderheiten des Menschen (Kaptelinin, 1986). Das bedeutet auch, daß vorhandene Stufen algorithmischen Denkens durch die Beschäftigung mit dem Computer, im Verlauf eines Programmierkursus, zumindest in spezifischer, wenn nicht qualitativer Weise weiterentwickelt werden. Die in der Literatur vorzufindende Kontroverse zwischen den S t a n d p u n k t e n — Entwicklung des algorithmischen Denkens durch das Programmieren. — erst Entwicklung des algorithmischen Denkens als notwendige Voraussetzung für das Programmieren ist also dahingehend aufzulösen, daß, gefragt wird, welche Bestandteile des algorithmischen Denkens computerfrei vermittelt und dann direkt a m Computer, beim Programmieren, wirksam werden können und welche anderen Bestandteile besser unter Einsatz des Computers, beim Programmieren, ausgebildet werden sollten (dabei bleibe vorerst die Möglichkeit, bestimmte Voraussetzungen besonders effektiv unter Einsatz des Computers aber olftie Vorkenntnisse über das Programmieren, entwickeln zu können, ohne besondere Beachtung). Außerdem ist zu fragen, welche anderen Formen von Denkprozessen (neben dem algorithmischen Denken) noch als Voraussetzungen entwickelt werden sollten.
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Aus denkpsychologischer Sicht lassen sich drei Gruppen von Voraussetzungen nennen, die für das algorithmische Denken wichtig sind: Zur ersten Gruppe gehören elementare mathematische Voraussetzungen für die Lösung numerischer Aufgaben, weiterhin elementare Kenntnisse der Logik — einfache logische Funktionen und Verständnis für bedingte Anweisungen. Schließlich analoges Schließen und Inferenzen, demonstriert an einem breiten S p e k t r u m von Anwendungsbeispielen. Die zweite Gruppe umfaßt Fähigkeiten des Problemlösens. So diejenige zu fragen, was bei einem Problem gefordert ist und unter welchen Bedingungen die Forderung erfüllt werden soll. Das Zerlegen von Problemen in Teilprobleme und die Bildung von Teilzielen, von Teilzielhierarchien; das Formulieren und Prüfen von Hypothesen; die Planung von Handlungsfolgen, ihre Bewertung; die Integration und Verallgemeinerung von Teillösungen. Bei der dritten Gruppe sind es Fähigkeiten zur Regulation von Problemlösungsprozessen. Das Abtrennen der planenden von der ausführenden Aktivität. Die Auswahl des aktuell wichtigsten Teilzieles. Die Suche nach bereits vorhandenen Teillösungen. Der Wechsel zwischen Teilproblemen. Entscheidungen über das Beibehalten oder die Veränderung des verfolgten Planes. Bei der dritten Gruppe, mitunter in der Literatur auch als Selbstreflexion oder metakognitive Aktivität bezeichnet, handelt es sich u m Fähigkeiten, die bisher kaum der Messung zugänglich gemacht wurden und über deren Modifizierbarkeit (im K o n t e x t denkpsychologischer Fragestellungen) wenig gesagt werden kann. Die zweite Gruppe umfaßt eigentlich Fähigkeiten, die in verschiedenen Abschnitten eines ProblemlösungsprozesSes wichtig sind und in ihrer Gesamtheit bereits von Duncker (1935,) systematisch analysiert wurden. Diese beiden Gruppen zeigen eine gewisse Ähnlichkeit zu zwei der drei Komponenten der Intelligenz in der Theorie von Sternberg (1985) — Melakomponente (Planen und Bewerten) — VerhaltenskomponenLe (tatsächliche Ausführung von Aufgaben) — Komponente des Wissenserwerbes (Suche und Integration neuer Information), wobei allerdings die Abgrenzung hier verändert und die erste Komponente erweitert wurde. Die dritte Komponente von Sternberg ist a d ä q u a t in der zweiten bzw. dritten Gruppe von Fähigkeiten enthalten. Zwei Bemerkungen sind an dieser Stelle angebracht. Auf die Frage nach Voravissetzungen wurden Fähigkeiten aufgezählt, bei denen nicht an unabhängig meß- und förderbare Dimensionen gedacht werden sollte. Zweitens ist die Nachbarschaft zu den Zielstellungen des problemorientierten, problemhaften Unterrichts nicht unbeabsichtigt und man kann die F r a g e aufwerfen, ob die Fähigkeiten der zweiten und dritten Gruppe nicht generell (nicht nur für das Programmieren) wünschenswert sind. Kehren wir zur angedeuteten Abgrenzung von zwei Arten von Bestandteilen des algorithmischen Denkens zurück. Diese Abgrenzung und die betrachteten drei Gruppen von Voraussetzungen sind charakteristisch für allgemeinpsychologisches Vorgehen: Anforderungen werden analysiert, Teilanforderungen oder Teilkenntnisse werden in Stufen angeordnet und damit wird eine globale Hypothese über den Prozeß etabliert, in dem ein
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System von Kenntnissen und von Fähigkeiten zur Bewältigung der ursprünglichen Anforderungen entsteht oder ausgebildet werden kann. Das ist im Prinzip auch die Vorgehensweise von Papert (1985) in seinen Ausführungen zur geistigen Entwicklung des Kindes und mit Recht wirft ihm Brusenzowa (1986) vor, er mißachte dabei qualitative Besonderheiten der geistigen Prozesse bei Kindern verschiedener Altersstufen. Was sind das für Besonderheiten und warum sind sie bei unseren Überlegungen zu berücksichtigen? Diese Besonderheiten sind wesentliche theoretische Prinzipien der sowjetischen Entwicklungspsychologie, entwickelt durch Wygotski (1964) und Galperin (1967) und für unseren Zweck in der Formulierung von Karpow und Talysina (1985) besonders geeignet. Danach sind die Stadien der geistigen Entwicklung durch drei Ebenen oder Niveaustufen gekennzeichnet, auf denen der jeweilige Plan der Denktätigkeit repräsentiert ist: — Ebene des anschaulich-handelnden Denkens, — Ebene des anschaulich-bildhaften Denkens, — Ebene des begrifflich-logischen Denkens. Auf der ersten Niveaustufe kann ein Kind bestimmte Anforderungen nur manipulativhandelnd bewältigen. Auf der nächsten Stufe muß ebenfalls noch die Situation mit Objekten und Instrumenten präsent sein, das Kind kann aber anschaulich in seiner Vorstellung einen Plan zur Lösung entwerfen und verbalisieren. Schließlich kann auf der dritten Stufe die Aufgabenstellung ausschließlich durch verbale Beschreibung vorgegeben werden und das Kind löst die Aufgabe rein gedanklich. Deutliche Ähnlichkeiten weist diese Konzeption zu zwei anderen auf (vgl. Oerter, Montada, 1982). Bei Piaget finden wir das sensomotorische Stadium, das Stadium des preoperationalen anschaulichen Denkens, das Stadium der konkreten Operationen und das der formalen Operationen. Und bei Bruner (im Kontext der Entwicklung des begrifflichen Denkens) die aktionale, die ikonische (oder imaginative, anschauliche) und die symbolischsprachliche Repräsentation des Wissens über die Umwelt und das Handeln in ihr. Bei der Tätigkeit des Programmierens (z. B. in BASIC) wird die Ebene des begrifflichlogischen Denkens gefordert. Die erwähnte Frage Matjuschkins (1986), ob nicht erst das Alter abgewartet werden müsse, in dem das Kind Aufgaben rein gedanklich lösen könne, ist in diesem Zusammenhang zu verstehen. Karpow und Talysina betonen jedoch, daß diese Niveaustufen nicht für alle geistigen Prozesse oder Anforderungen mit denselben Altersabschnitten fest verknüpft sind. Manche Aufgaben können in einer Altersstufe schon auf der dritten Ebene, andere erst auf der ersten Ebene bewältigt werden. Und es ist denkbar, daß manche Anforderungen (wie z. B. sehr spezifische feinmotorische) vom Menschen immer nur auf der ersten Ebene realisiert werden, während andere (z. B. Schlußprozesse mit sehr abstrakten Begriffen) nicht am Beispiel praktischen Handelns erworben werden. Das besondere Interesse, das das Buch von Papert (1985) fand, ist sicher auch damit zu erklären, daß mit der Programmiersprache LOGO Kinder aufgefordert werden, Bilder auf dem Bildschirm zu zeichnen. Elementare Befehle, insbesondere wenn sie über ein kindgemäßes Interface in den Rechner eingegeben werden können, erzeugen unmittelbar beobachtbare Ereignisse auf dem Bildschirm. Die ablaufenden Tätigkeiten werden zwar nicht an realen Objekten realisiert, sondern an symbolischen und die einzelnen Operationen sind symbolisch vermittelt, dennoch aber könnte man sie zum Teil auf der ersten
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Ebene lokalisieren. Wichtige Bestandteile algorithmischen Denkens sollten bereits auf den beiden unteren Ebenen vermittelt werden, bevor sie durch den Kontakt mit einer Programmiersprache (wie z. B . B A S I C ) auf eine qualitativ neue Niveaustufe gehoben werden. Dabei muß eine Programmiersprache wie LOGO (oder die kindgemäße Sprache R O B I C , die in Nowosibirsk entwickelt wurde) nicht als notwendiges Durchgangsstadium angesehen werden. Für die drei beschriebenen Gruppen von Voraussetzungen heißt das, daß sie bereits beginnend im Vorschulalter auf den Ebenen des anschaulich-handelnden und anschaulichbildhaften Denkens entwickelt werden sollten. Sie werden freilich nicht automatisch durch einen Programmierkurs auf die dritte Niveaustufe gehoben. Das zeigen Ergebnisse von Trainingsexperimenten mit Programmiersprachen, die zu dem Zweck durchgeführt wurden, die Tragfähigkeit der „cognitive effeets hypothesis" zu prüfen. Die eher negativen Resultate werden im nächsten Abschnitt zu der Frage führen, welche Unterschiede zwischen „natürlichen" Problemlösungsprozessen und denjenigen beim Programmieren existieren und welche Barrieren es beim Übergang zur dritten Niveaustufe zu überwinden gilt. In Verbindung damit wird die Frage nach den geistigen Voraussetzungen erneut gestellt, da die formulierten drei Gruppen von Voraussetzungen nur die aus allgemeinpsychologischer Sicht wichtigen Fähigkeiten und Vorkenntnisse für die problemlösende Komponente beim Programmieren erfassen. Die Spezifik des Programmierens gegenüber dem Problemlösen verknüpft mit den entwicklungspsychologischen Überlegungen zu den qualitativen Veränderungen in der Denktätigkeit werden zu einer spezifischeren Neuformulierung der Voraussetzungen führen.
4. Förderung der Intelligenzentwicklung durch den Einsatz von Computern Läßt sich die Intelligenzentwicklung überhaupt durch Förderung oder Training beeinflussen? Sind erzielte Effekte stabil, oder haben sie keinen Einfluß auf die später erreichbare Intelligenz? Die Ergebnisse der Zwillingsforschung können zu verschiedenen Standpunkten bezüglich dieser Frage verleiten. Nach Wilson (1983) zeigen eineiige Zwillinge bereits mit 3 Jahren eine Korrelation von 0,88 in ihrer geistigen Entwicklung und die Korrelation bleibt auch bis ins Alter von 15 Jahren über 0,80. Läßt die genetische Determination der Intelligenz eine Förderung der Intelligenzentwicklung nicht aussichtslos erscheinen? Viele Studien erbrachten Korrelationen vergleichbarer Größenordnung. Als jedoch Bloom (1973) eine solche Studie genauer analysierte, die eine Korrelation von 0,76 ergab, fand er für 11 der 19 Paare, in denen beide Paarlingc unter vergleichbaren Entwicklungsbedingungen aufwuchsen, eine Korrelation von 0,91. Die restlichen acht Paare hatten eine deutlich unterschiedliche Schulbildung erhalten. Hier betrug die Korrelation nur noch 0,24. Das würde die bereits erwähnte Auffassung von Cohen (1985) stützen. Auch Lomow (1985) empfiehlt die Nutzung von Computern, um bereits im Vorschulalter Gedächtnis, Wahrnehmung und Denken zu verbessern. Papert (1985) lehnt die Stadientheorie Piaget's, die eine altersabhängige Beschränkung der Intelligenzentwicklung betont, ab. Formale
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Operationen würden sich beim Kind erst so spät entwickeln, weil die soziale Umwelt dem Kind keine formalen Begriffe und Schemata anbietet. W a s kann mit dem Einsatz von Computern erreicht werden? Sicher doch das, was Perkins (1985) einen Effekt erster Ordnung nennt — die Ausbildung spezieller Fertigkeiten. Werden aber auch die Denkprozesse q u a l i t a t i v verbessert, kann ein Effekt zweiter Ordnung erzielt werden? Ein Zweifel könnte von Entwicklungspsychologen ausgesprochen werden, die die soziale Interaktion als notwendiges Medium der geistigen Entwicklung ansehen. Können geistige Handlungen erst dann entstehen, wenn sie vorher als Operationen in der sozialen Interaktion etabliert werden? In einer Reihe von Experimenten haben Doise und Mitarbeiter (Doise, Mugny, 1984) den besonderen Einfluß der sozialen Interaktion (des sozio-kogniliven Konflikts) auf die geslige Entwicklung nachgewiesen. Dies betraf jedoch nur das Alter, in dem der Übergang zu konkreten Operationen im Sinne Piaget's erfolgt. S p ä t e r w a r diese Wirkung weit geringer. So sollte also weder die Repräsentation in sozialen Relationen noch die in der sprachlichen Ebene als notwendiges Durchgangsstadium für die Entwicklung geistiger Handlungen angesehen werden. Geht man also davon aus, daß durch den Einsatz von Computern die Intelligenzentwicklung langdauernd positiv beeinflußt werden kann, dann ist als nächstes nach den Kriterien für den Nachweis dieses Einflusses zu fragen. W a s will man in welcher Altersstufe mit welcher Prädiktionsgüte für das Intelligenzniveau im Erwachsenenalter bewirken? Wilson (1983) berechnete für seine Zwillinge die Korrelation zwischen der geistigen Entwicklung m i t 15 J a h r e n und zu früheren Alterszeitpunkten. Erst ab 8 J a h r e liegt diese Korrelation über 0,70. Es gibt keine Studie zum Einsatz von Computern, in der eine S t a b i l i t ä t s p r ü f u n g über solch einen Zeitraum durchgeführt wurde. Dazu sind die Computer noch nicht lange genug im Einsatz. So sei denn das S t a b i l i t ä t s k r i t e r i u m nicht weiter berücksichtigt. Bereits eingesetzte Kriterien sind Test verfahren, mit denen die Intelligenz, die Fähigkeit zum Problemlösen und die metakognitive A k t i v i t ä t gemessen wurden. Neue Kriterien wären unter praktischem und theoretischem Aspekt wünschenswert. Der praktische Aspekt bezieht sich auf die Intelligenzleistung, die wir von unseren Kindern in 10 J a h r e n und später erwarten, wenn Computer in vielen Lebensbereichen eingeführt sein werden. Maßgebend ist dann nicht die Intelligenz, die heute mit Tests gemessen wird, sondern die Leistung, die in Interaktionen mit dem Computer erbracht werden kann. Ein Test zur Messung der interaktiven Problemlösefähigkeit a m Computer wäre ein gutes Kriterium. Unter theoretischem Aspekt sollte die Effektprüfung bezogen auf ein detailliertes Stadienmodell der geistigen Entwicklung durchgeführt werden. Diese Vorgehensweise würde dann auch die Möglichkeit bieten, Hypothesen über die Effektivität von Interventionsmaßnahmen auf verschiedene Entwicklungsabschnitte zu beziehen. Damit sind jedoch Wünsche an die Forschung in der Diagnostik und Entwicklungspsychologie angemeldet, die heute nicht erfüllt werden können. Die W i r k u n g von Interventionsmaßnahmen (Förderung, Training, Befähigung) soll an drei ausgewählten Studien dargestellt werden. Trainingsinhalt, Dauer, Art der Kontrollgruppen und Effekte sind dabei die interessierenden Gesichtspunkte.
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Milojkovic (1983) führte mit Kindern im Alter von 10 J a h r e n über eine Dauer von 10 Wochen in wöchentlich dreimal 45 Minuten ein Training durch. Zwei Gruppen erhielten Unterweisungen in B A S I C bzw. LOGO. Eine dritte Gruppe h a t t e Gelegenheit zu Computerspielen. Die vierte Gruppe erhielt einen Lernkurs über Problemlösetechniken. Die vierGruppen wurden mit einem Prätest, der die Fähigkeit zum Problemlösen messen sollte, parallelisiert. Im Posltest zum Problemlösen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die drei Computergruppen zeigten nach den 10 Wochen eine bessere Einstellung zur Schule als die vierte Gruppe. Sie wiesen auch eine stärkere S e l b s l a t t r i b u i e r u n g von Mißerfolgen auf. Pea u. a. (1985) gaben Kindern der 3./4. bzw. 5.,6. Klasse über einen Zeitraum von zwei J a h r e n Gelegenheit, LOGO im Sinne Paperts, also selbständig explorativ mit unsystematischen Anregungen durch die Versuchsleiter, zu erlernen und zu benutzen. Der Vergleich mit Kontrollgruppen sollte prüfen, ob die Planungsfähigkeit verbessert wurde. In der Kriteriumsaufgabe waren Aufgaben zu planen, die in der kürzesten Weglänge ausgeführt werden sollten. Die Experimentalgruppen waren in keiner Planungsvariable (Effektivität der Pläne, Entscheidungen auf verschiedenen Planungsebenen, Anteile ausführender und planender Aktivitäten, Flexibilität von Entscheidungen, Konservieren von fertigen Programm teilen, Entscheidungszeiten a m Anfang und a m Ende der Prüfanforderung) den KonLrollgruppen überlegen. Clements und Gull« (1984) führten mit 18 Kindern (mittleres Alter 6 ; 11) der 1. Klasse ihre Untersuchung durch. Über 12 Wochen wurden Übungen zweimal wöchentlich zu je 40 Minuten durchgeführt. Die Experimentalgruppe (N = 9) lernte die Programmiersprache LOGO bis zu Prozeduren höherer Ordnung. Die Kontrollgruppe (N = 9) arbeitete CAIProgramme mit Aufgaben zum Lesen und Rechnen a m Computer durch. Eine Kontrollgruppe ohne Beschäftigung mit dem Computer existierte nicht. Verschiedene Verfahren zur Messung der Effekte wurden eingesetzt: Kreativitätstest nach Torrance, Test zur Erfassung kognitiver Stile MFFT, Markmans Verfahren zur Erfassung der Metakognition, Anforderungen der Seriation und Klassifikation im Sinne Piagel's. Die LOGOG r u p p e h a t t e sich (prä-post-Vergleich) im divergenten Denken (Ergebnisse des TorranceTests weisen nach Ansicht der Autoren dies aus) verbessert, die Kontrollgruppe nicht. Im M F F T zeigte sich mehr Reflexivität bei der LOGO-Gruppe. Es ist erklärlich, daß sich hier keine Veränderungen (prä-post) bei der Kontrollgruppe ergaben, da die CAIProgramme schnelle Antworten forderten. Im post-post-Yergleich erkannte die LOGOGruppe häufiger Fehler in vorgegebenen Spielregeln (fehlende Informationen, Markman). Bezüglich der Piaget-Aufgaben zeigte sich keine Entwicklung hin zu formalen Operationen. 18 Monate nach dem LOGO-Kurs (Clements, 1986) wurde eine Nachuntersuchung durchgeführt, um überdauernde Leislungsunterschiede zwischen den zwei Gruppen festzustellen. 9 Kinder der LOGO-Gruppe und 7 Kontrollkinder nahmen daran teil. Es wurden Rechenaufgaben des California Achievement Tests CAT und die Untertests Folgenfortsetzen, Analogien, Gedächtnis, verbale Schlußprozesse des Tests kognitiver Fähigkeiten TCS eingesetzt. Wegen der geringen Probandenzahl wurden keine Mittelwertvergleiche durchgeführt, sondern die Effekte im Sinne der M e t a a n a l y s e berechnet. Diese lagen oft
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bei 0,45 für die Aufgabengruppen des CAT. Sehr deutliche Unterschiede ergaben sich bei den Analogien des TCS (0,88) und im Fortsetzen von Folgen (0,48). Ein moderater Effekt von 0,20 für verbale Schlußprozesse und das unerwartete Ergebnis von —0,34 für die Gedächtnisaufgabe runden das Bild ab. Leider war mit diesen Tests kein Prätest (keine Parallelisierung) vor der Intervention durchgeführt worden, so daß die Ergebnisse nicht überbewertet werden sollten. Sehr interessant sind die Ergebnisse, die weitere 5 Monate später mit Interviewmethoden gewonnen wurden. Die Kinder hatten Aufgaben der Geometrie zu lösen. Die LOGO-Gruppe zeigte mehr Selbstreflexion (monitoring), diese Kinder stellten mehr Fragen, wenn sie etwas nicht verstanden hat ten und zeigten häufiger eine Selbstkorrektur bei Fehlern. Manche Aufgaben wurden besser, manche jedoch schlechter bearbeitet. E s zeigten sich deutlich Diskrepanzen zwischen den LOGO-Schemata und den Wissensstrukturen, die im Mathematikunterricht vermittelt werden. Angesichts der festgestellten Effekte ist besonders bedauerlich, — dies sei erneut hervorgehoben —, daß keine Kontrollgruppe ohne Rechner in den Versuchsplan aufgenommen wurde. Die Untersuchungen verfolgten natürlich in erster Linie das Ziel, überhaupt Effekte, Trainingswirkungen nachzuweisen. E s handelte sich doch immerhin um Pilotstudien. Die angegebenen Effekte, und zwar alle, sollten mit kritischem Interesse zur Kenntnis genommen werden. Das Programmiertraining selbst scheint die Ansprüche der „cognitive effects hypothesis" nicht zu erfüllen. Vorteile für die geistige Entwicklung verspricht die Sprache LOGO, wenn sie zielgerichtet vermittelt und nicht von den Kindern nach der spontanen Methode im Sinne Paperts selbst erfunden wird. Daß keine Transferleistungen zum Problemlösen in den ersten beiden Untersuchungen auftraten, sollte nicht den Programmiersprachen zur L a s t gelegt werden, sondern den Unterrichtsmethoden. Kann man nicht versuchen, LOGO oder B A S I C an solchen Beispielen zu lehren, daß gleichzeitig gewisse abgestufte Transferleistungen im Problemlösen erreicht werden?
5. Spezifische Unterschiede zwischen Programmieren und Problemlösen — Barrieren für das Programmieren? In Verbindung mit der „cognitive effects hypothesis" (oder als Konkretisierung dieser Hypothese) wird oft in der Literatur behauptet, daß das Programmieren das prozedurale Denken fördere und damit auch generell die Intelligenzentwicklung vorantreibe. Andere Autoren fordern, das prozedurale Denken müsse erst entwickelt werden, damit dann das Programmieren schnell erlernt werden könne. Wieder andere nieinen, das menschliche Denken sei prozedural, weswegen prozedurale Programmiersprachen besonders leicht zu erlernen wären. Zwei Bemerkungen dazu: Erstens ist bei manchen Autoren eine Begriffsinflation festzustellen, denn sie sprechen plötzlich von prozeduralem Gedächtnis, prozeduraler Semantik, prozeduralem Wissen usw., ohne daß erkennbar wird, welchen Vorteil die Einführung dieser neuen Vokabeln ins Wissenschaftsgetriebe besitzt. Wir verfügen über die Begriffe Strategie, Algorithmus, Entscheidungsregel, Schema, Plan, Prozedur — zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Autoren favorisiert. Zweitens und wichtiger: Mit dem Begriff Prozeduren werden Strukturen der kognitiven Organisation beim
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Programmieren und beim Problemlösen bezeichnet und es wird explizit behauptet oder implizit angenommen, daß da irgendeine Strukturähnlichkeit, Isomorphie zwischen beiden existiere, so daß es ganz natürlich sei, beide mit dem Begriff „Prozeduren" zu belegen. Wenn dies so wäre, dürfte der Ubergang von Prozeduren des Problemlösens zu den Prozeduren beim Programmieren keine Schwierigkeiten bereiten und das Programmieren müßte sich automatisch in einer Verbesserung von Problemlösefähigkeiten auswirken. Das scheint nicht gültig zu sein. Es ist also sinnvoll, nach Unterschieden zwischen den Prozeduren beider Arten zu fragen. Dazu soll zuerst zwischen Prozeduren und Vorgehensweisen bei der Erarbeitung (Problemlösen, Programmieren) dieser „fertigen" Prozeduren unterschieden werden. Sowohl bei den Prozeduren als auch den Vorgehensweisen (die natürlich in ganz anderem Sinne auch als Prozeduren bezeichnet werden könnten) lassen sich Unterschiede finden. Prozeduren als Programme oder Unterprogramme sind als Folgen von Anweisungen und Befehlen eindeutig definiert, können abgelegt und genau in dieser F o r m verfügbar gehalten werden. Die zu verarbeitenden Daten und Operationen sind vereinbart unter Angabe all der Bedingungen, unter denen die Operationen anwendbar sind. Im Bedarfsfall kann eine Prozedur aufgerufen und auf eine Aufgabe angewendet werden. Zu diesem Zweck passen wir die Aufgabe mit ihren Bedingungen eher an die Prozedur an als umgekehrt die Prozedur an die Aufgabe (es sei denn durch Auswahl zwischen verschiedenen Prozeduren). Die Prozedur wird dann vom Computer selbständig und im wesentlichen ohne Eingriffe durch den Menschen ausgeführt. Was ist das Gegenstück im psychischen Bereich? E s wären die Organisationsstrukturen des jeweils relevanten Wissens, die uns in die L a g e versetzen, bestimmte Tätigkeiten mehr oder weniger optimal auszuführen. Nennen wir diese für den Augenblick auch Prozeduren. Welche Besonderheiten haben sie? Wie können wir sie in der Tätigkeit oder sprachlich explizieren? Sie sind hierarchisch in mehreren Ebenen organisiert, den Bedingungen unserer Informationverarbeitung und den Besonderheiten der Ausführung von Tätigkeiten angepaßt. Abrufbar sind aus unserem Gedächtnis nicht Folgen von Befehlen und Anweisungen, sondern erstens Angaben zur Tätigkeit als ganzes und den mit ihr verbundenen Zielen. Des weiteren sind Teilprozeduren abrufbar, die multifunktional einsetzbar, adaptiv an Bedingungen anpaßbar und vor allem kommunizierbar sind. Wir sind gewohnt, sie nur soweit zu explizieren, wie es unsere Tätigkeit, vor allem die interaktive Tätigkeit erfordert und das bedeutet, daß Angaben, über die gemeinsames Wissen mit dem Partner vorausgeset zt werden kann, nur im Bedarfsfall expliziert werden. Wenn dieser Fall eintritt, werden Teilprozeduren niedrigerer Hierarchiestufe zu explizieren versucht. Wegen der notwendigen Adaptivität und auf Grund von Beschränkungen der Gedächtnisleistung sind die Teilprozeduren niedrigerer Hierarchiestufe zunehmend weniger spezifiziert. Das heißt, daß Operationen und Bedingungen und die Abfolgen, in denen sie erforderlichenfalls eingesetzt werden, nicht detailliert abrufbar sind. Wir erzeugen sie im K o n t e x t der Tätigkeit. Sie sind nicht fix und fertig abgelegt, sondern werden durch Generierungsstrukturen an die jeweiligen Tätigkeitsbedingungen angepaßt erzeugt. Viele elementare Prozeduren können wir nicht explizieren, insbesondere solche, deren E x plikation viel zu aufwendig und auch schwer zu verstehen wäre. Um ein extremes Bei-
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spiel zu nennen: Wie man eine Feile hält und benutzt, wirdeher vorgeführt und eine falsche Handhabung praktisch korrigiert, als daß eine sprachliche Beschreibung zur Wissensvermittlung eingesetzt werden würde. Sic müßte eben auch erst generiert werden, da sie nicht fertig vorliegt. Hiermit sind deutliche Unterschiede zwischen Prozeduren und Prozeduren aufgezeigt. Um sogleich Mißverständnissen vorzubeugen, sind drei Bemerkungen angepaßt: Erstens wurde keine genaue Definition beider Arten von Prozeduren angestrebt, sondern das Augenmerk auf wesentliche Unterschiede zu lenken versucht. Sie seien noch einmal übersichtlich zusammengestellt (Tab. V). Tab. V.
Unterschiede zwischen beiden A r t e n v o n Prozeduren
Prozeduren als Programme
Prozeduren als psychische Organisationsstrukturen des relevanten Wissens
Als komplette Folge v o n Anweisungen und Befehlen abrufbar, in einer bestimmten Sprachebene voll spezifiziert. Aufgabenbedingungen werden an die Prozedur angepaßt. Substrukturen durch jeweilige Programmiersprache und Konventionen der Verständnissicherung der Programmierer untereinander bestimmt. Computer f ü h r t selbständig aus.
Hierarchisch in mehreren Ebenen organisiert, wobei die unteren Ebenen weniger spezifiziert sind, dadurch eigentlich generiert werden müssen und daher anpassungsfähig werden. Substrukturen hinsichtlich ihrer Segmentierung an Gedächtnisgrenzcn und Kommunilcationsbcdingungen angepaßt und vielfach multifunktional einsetzbar. Ausführung o f t interaktiv, gemeinsames Wissen mit dem Handlungspartner voraussetzend.
Zweitens wird nicht daran gezweifelt, daß die beschriebenen Organisationsstrukturen relevanten Wissens auch durch Programme simuliert werden können. Und drittens ist es denkbar, daß die prognostizierte Bechnergeneration mit einer Software arbeiten wird, die einige der charakterisierten Eigenschaften besitzen wird. Die angeführten Unterschiede verbieten eigentlich, beide Arten von Strukturen mit demselben Begriff „Prozedur" zu belegen. Außerdem besitzen die psychischen Strukturen eine besondere Art der Hierarchisierung, die auch nicht durch andere Begriffe wie Strategie oder Plan usw. erfaßt wird. Überdies bedeuten diese Begriffe immer etwas Festes, das man kopieren kann und nicht etwas, das im Bedarfsfall in Teilen erst generiert werden muß. Wer Gefallen daran hätte, könnte künftig diese spezifischen, Organisationsstrukturen relevanten Wissens als OBWI's bezeichnen. Larsen (1986) meint, die wesentliche Barriere zwischen unserem Wissen und den Programmen damit charakterisieren zu können, daß wir nur über implizites prozedurales Wissen verfügen. Wir verfügten zwar über eine naive prozedurale Semantik (Sheil, 1981), „a procedural framework which is widely used to formulate, follow, and reason about procedures", aber wir könnten dieses implizite Wissen nicht explizieren, da unsere natürliche Sprache dafür nicht geeignet ist. Dennoch sei diese naive prozedurale Semantik eine wichtige Voraussetzung für den Einstieg in das Programmieren, denn sie befähigt uns, Prozeduren zu beschreiben (definieren), eigenaktiv auszuführen (also zu ver-
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stehen) und über sie nachzudenken (Prozeduren gedanklich auszuführen, erwartete Resultate mit gedanklich erzeugten zu vergleichen, zu bewerten, zu korrigieren). Unser implizites Wissen über Prozeduren werde durch die Programmiersprache zu expliziertem prozeduralem Wissen, das jederzeit verfügbar sei. Man kann Larsen so interpretieren, daß auch er die Kommunikationsbarriere als bedeutsames Hemmnis für den Erwerb von Programmierfähigkeiten ansieht. Verbinden wir die Überlegungen zu Unterschieden auf der Ebene der Prozeduren mit den Ausführungen zu den drei von Karpow und Talysina (1985) formulierten Niveaustufen der geistigen Entwicklung (unter besonderer Beachtung der für das Programmieren notwendigen dritten Niveaustufe), so ergeben sich drei Voraussetzungen für das Heranführen von Kindern an Computer: — die erforderlichen geistigen Operationen müssen unabhängig vom Kontext (von der perzeptiven Verfügbarkeit) konkreter Objekte und Instrumente verfügbar, also mit hohem Allgemeinheitsgrad ausgebildet sein, — der Planungshorizont muß weit genug sein, damit Folgen geistiger Operationen gedanklich gebildet und hinsichtlich ihrer Resultate bewertet werden können, — die Kommunikationsbarriere muß überwunden werden. Die Kinder müssen befähigt werden, das Wissen, das in der interaktiven Tätigkeit vorausgesetzt wird, mit zu explizieren, da es dem Computer mitgeteilt werden und im Programm enthalten sein muß. Diese Voraussetzungen können computerfrei, aber auch durch geeigneten Einsatz von Computern entwickelt werden. Computer können den Ubergang zur symbolischen Repräsentationsform (im Sinne Bruners) befördern. Sie bieten die Möglichkeit, einfache strategische Anforderungen zu] realisieren, mit denen Planungsfähigkeiten entwickelt werden können. Die Rückmeldung über die Resultate gedanklich geplanter Operationsfolgen kann abgestuft gegeben werden, so daß diese spezielle Gedächtnisleistung geschult wird. Und schließlich lernt das Kind durch zahlreiche Eingabefehler am Computer die Spezifik der Kommunikation mit dem Computer kennen. Dies kann auch als Förderung der Intelligenzentwicklung gerade bezogen auf die Kriterien angesehen werden, die für den Nachweis von Trainingseffekten als wünschenswert angesehen wurden. Soviel zu den fertigen „Prozeduren". Wie sieht es mit den Vorgehensweisen aus, durch die diese „Prozeduren" entstehen. Sind die natürlichen Problemlösungsprozesse mit den Prozessen vergleichbar, die bei der Erarbeitung eines Programms ablaufen? Die letzteren werden naturgemäß in der Literatur allgemeiner beschrieben, als die Resultate dieser Prozesse. Man merkt ihnen die Nachbarschaft zu heuristischen Problemlösetechniken an, die von Duncker (1935) formuliert wurden. Anstelle des Begriffs „heuristische Techniken" treten andere, wie z. B. der Begriff des Designschemas bei Jeff, Rikes u. a., (1981): eine Wissensstruktur höherer Ordnung, auf deren Hintergrund ein neues Problem abgebildet wird und die die Lösung ermöglicht. Unter den vier Komponenten eines Designschemas ist vor allem die Zerlegungskomponente hervorzuheben, die schrittweise von oben nach "unten vorgehend, Teilaufgaben aus dem Problem herauslöst, die weitgehend unabhängig bearbeitet werden können. Die Zerlegung soll stets mit einem Blick auf bereits vorhandene Lösungen (Teilprogramme) erfolgen, die im Sinne der Analogiemethoden genutzt werden können. Das entspricht dem -Gedanken der Teilzielbildung bei Duncker. Kaptelinin (1986) betont dabei die explizite Formulierung des Ziels
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und die genaue Analyse der Ausgangsbedingungen und Mittel (Analyse des Gegebenen und des Geforderten, Ziel-Mittel-Analyse bei Duncker). Im weiteren treten dann bei der Betrachtung des Programmierens E t a p p e n in den Vordergrund, die spezifisch für das Programmieren und nicht f ü r das Problemlösen generell sind (Kontrollstrukturen für die Beziehungen zwischen Programmodulen, Kompositionsmethoden, mit denen Teilprogramme verknüpft werden (Soloway, 1985), Optimalitätsbetrachtungen). Kaptelinin betont, daß Kinder sehr schnell die S y n t a x einer Programmiersprache erlernen, sehr schwer jedoch die Problemlösungskomponenten des Programmierens erwerben. So kritisiert auch Soloway, daß Programmierlehrgänge zwar die S y n t a x lehren und an einzelnen Beispielen die Zerlegung in Teilaufgaben demonstrieren, aber nicht die Zerlegungsstrategie (und auch nicht die Analyse der Problemstellung im Sinne Kaptelinins) vermitteln. Die Fähigkeit zum Problemlösen kann so natürlich nicht verbessert werden. Soloway (1985) schlägt als Alternative Methoden zum Problemlösetrainig ohne Computer vor. Larsen (1986) sieht eine andere Möglichkeit. Sic läßt sich von den positiven Wirkungen der Aufforderung zum Yerbalisieren auf den Denkprozeß her erklären. Da fragen sich Probanden, was eigentlich das Ziel sei, unter welchen Bedingungen es erreicht werden soll, was das ernsthafteste Hindernis ist, welches Teilziel zuerst erreicht werden muß, ob bereits eine Zielnäherung geglückt ist. welche neuen Hemmnisse aufgetreten sind. Larsen meint, die Programmiersprachen wären schon ein gutes Mittel, unsere impliziten Prozeduren explizit werden zu lassen, aber noch besser wäre eine „informal general-purpose procedural language", eine Dialogsprache, die all die Fragen an den Problemloser (Programmierer) stellt, die soeben umrissen wurden. E s gibt bereits Möglichkeiten (Hvorecky, 1985), in einem ähnlichen Dialog a m Computer das Programmieren zu erlernen. Wenn dabei nicht nur die S y n t a x im Vordergrund stünde, sondern eine Rahmenstruktur für das Problemlösen vermittelt werden würde, sollten positive Transferwirkungen der erwünschten Art nicht ausbleiben. Die Computer werden das Leben unserer Kinder in starkem Maße mitbestimmen. So wird die Einführung in die Informatik in der Schule zu einem notwendigen Bestandteil der Vorbereitung auf die künftigen Aufgaben. Durch die Diskussion entwicklungspsychologischer Aspekte des Problems „ K i n d und Computer" sollten Gesichtspunkte dargelegt werden, deren Beachtung das Heranführen der Kinder an Computer erleichtern könnte.
Zusammenfassung Nach einer Übersicht über konträre S t a n d p u n k t e zu der Frage, ob und wann m a n Kinder an den Computer heranführen sollte, werden Potenzen des Computereinsatzes im Kindesalter diskutiert. Anschließend wird nach den geistigen Voraussetzungen gefragt, die vor dem Einführen in das Programmieren entwickelt werden sollten, oder vielleicht durch die Ü b u n g im Programmieren entstehen. Untersuchungsbefunde zum Intelligenztraining durch das Programmieren werden im vierten Abschnitt dargestellt. Ihre Diskussion führt zur Analyse von Unterschieden zwischen dem Problemlösen und dem Programmieren und abschließend erneut zu der Frage, wie geistige Voraussetzungen entwickelt werden können, die die Spezifik des Programmierens und altersabhängige qualitative Veränderungen in der geistigen Tätigkeit des Kindes berücksichtigen.
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S y d o w , K i n d und Computer
Summary A f t e r a survey of contrary views on the question how and when to familiarize children with the computer, possibilities of using the computer at an early age are discussed. A f t e r that the mental requirements are reviewed that during
should be
developed
before introducing
programming or that m a y arise b y exercise
programming. Findings on intelligence training b y
programming are presentedin the fourth
chapter. Their discussion leads to an analysis of differences between problem-solving and programming and finally again to the question how to develop the mental requirements that take into account the peculiarity of programming and the agedependent, qualitative changes in the mental a c t i v i t y of the child.
Pe3H»Me Ilocjie o03opa npoTHBononoHtHbix MHeHHtt o t o m , Kor^a h HyjKHo jih n p H y w r b bereit k KoiwlbioTopy,
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V E B J . A. Barth, Leipzig
Aus dem Institut für Psychologie der Technischen Universität Berlin
Analyse mehrdimensionaler Kontingenztafeln nach dem allgemeinen linearen Modell Yon J . Bortz und Elisabeth Muchowski 1. Vorbemerkungen Für die Auswertung univariater oder multivariater varianzanalytischer Versuchspläne wird zunehmend häufiger die multiple bzw. die kanonische Korrelationsstatistik eingesetzt (vgl. z. B. Bortz, 1985; Cohen, 1968; Gaensslen und Schubö, 1973; Moosbrugger, 1978 oder Rochel, 1983 zum Stichwort Allgemeines Lineares Modell oder kurz: ALM). Parallel hierzu entwickelten sich für die Analyse mehrdimensionaler Kontingenztafeln eine Reihe eigenständiger, über die Pearson'sche ^ 2 -Statistik hinausgehende Techniken wie z. B. die Konfigurationsfrequenzanalyse (KFA, Krauth und Lienert, 1973; oder Krauth 1985), die Multivariate Nominal Scale Analysis (MNA, Andrews und Messenger, 1973), der GSK-Ansatz von Grizzle und Mitarb. (1969) oder die log-linearen Modelle (z. B. Bishop und Mitarb. 1978). Andere Verfahren, die — wie z. B. die Assoziationsstrukturanalyse (ASA) bzw. die Interaktionsstrukturanalyse (ISA) (Krauth und Lienert, 1973; Lienert, 1978) — auf dem von Lancaster (1951) eingeführten Rationale der additiven ^-Zerlegung basieren, sind weniger geeignet, denn diese ^-Zerlegung ist nach Bishop und Mitarb. (1978) nur unter sehr restriktiven Bedingungen richtig (vgl. hierzu auch Goodman, 1978, S. 134f.; Kastenbaum, 1970, S. 426 oder Plackett, 1962, S. 316ff.). Wir werden hierauf in Abschnitt 3 (orthogonale und nicht-orthogonale Kontingenztafeln) zurückkommen. Die Frage, ob die Auswertungsprinzipien des ALM direkt auf Kontingenztafeln übertragbar sind, wurde bislang noch nicht schlüssig beantwortet. Diese Frage wird relevant, wenn bei einer Kontingenztafel zwischen abhängigen und unabhängigen Merkmalen unterschieden werden kann. In diesem Falle sind Kontingenztafeln als varianzanalytische Versuchspläne mit einer oder mehreren dichotomen abhängigen Variablen darstellbar und damit — zumindest formal — nach den Prinzipien des ALM auswertbar. Daß die Frage der Übertragbarkeit zumindest bei großen Stichproben und rx2-Kontingenztafeln zu bejahen ist, belegt eine Arbeit von d'Agostino (1972). Der Autor zeigt, daß der F-Test der einfaktoriellen Varianzanalyse über eine dichotome abhängige Variable mit einer r-fach gestuften'unabhängigen Variablen und der ^ 2 -Test für rx2-Kontingenztafeln asymptotisch äquivalent sind. Wichtige Hinweise für die Übertragbarkeit des ALM auf Kontingenztafeln liefert ferner die von Cohen (1982) vorgeschlagene „set-correlation". Im Mittelpunkt der „set-correlation" steht die kanonische Korrelationsanalyse zweier Variablensätze X und Y, wobei aus den sets X und/oder Y andere Variablensätze V und/oder W herauspartialisiert sein können. Nach Cohen (1982) können die Variablensätze auch aus beliebigen, im ALM üblichen Codiervariablen (Dummycodierung, Effektcodierung, Kontrastcodierung oder 6"
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Z. Psychol. 196 (1988) 1
T r e n d c o d i e r u n g , vgl. hierzu z. B. Cohen u n d Cohen, 1975) b e s t e h e n . Diese Möglichkeit wird v o n B e d e u t u n g , w e n n wir u n s in A b s c h n i t t 3 der Analyse m e h r d i m e n s i o n a l e r n i c h t orthogonaler Kontingenztafeln zuwenden. E i n e n t s c h e i d e n d e r G r u n d f ü r die Z u r ü c k h a l t u n g , die flexiblen A u s w e r t u n g s m ö g l i c h k e i t e n des ALM auf K o n t i n g e n z t a f e l n zu ü b e r t r a g e n , d ü r f t e d a r i n zu sehen sein, d a ß eine z e n t r a l e V o r a u s s e t z u n g des ALM — n o r m a l v e r t e i l t e u n d v a r i a n z h o m o g e n e R e s i d u e n — bei n o m i n a l e n bzw. d i c h o t o m codierten K r i t e r i u m s v a r i a b l e n deutlich v e r l e t z t ist. Hierauf wird z. B. bei U r b a n (1982, K a p . 4.8.), Rochel (1983, K a p . 3) oder K ü c h l e r (1980) explizit hingewiesen. E s soll deshalb z u n ä c h s t u n t e r s u c h t w e r d e n , wie einige der im R a h m e n des ALM eingesetzten u n i v a r i a t e n u n d m u l t i v a r i a t e n P r ü f k r i t e r i e n auf diese Vora u s s e t z u n g s v e r l e t z u n g reagieren.
2. Inierenzstatistische Äquivalenzen I m folgenden wird z u n ä c h s t f ü r 2-dimensionale K o n l i n g e n z l a f e l n ü b e r p r ü f t , u n t e r welchen B e d i n g u n g e n der ^ 2 - T e s t auf U n a b h ä n g i g k e i t zweier d i c h o t o m e r M e r k m a l e u n d der v a r i a n z a n a l y t i s c h e E - T e s t auf H o m o g e n i t ä t der M e r k m a l s a n t e i l e in einer (oder m e h r e ren) d i c h o t o m e n a b h ä n g i g e n Variablen zu ä q u i v a l e n t e n E n t s c h e i d u n g e n f ü h r e n . Diese Ü b e r p r ü f u n g erfolgt z u n ä c h s t f ü r a) Vierfeldertafeln, b) r x 2 - T a f e l n u n d c) r x c - T a f e l n . A b s c h n i t t 3 b e f a ß t sich mit den hier v o r r a n g i g interessierenden 3- u n d m e h r d i m e n s i o n a l e n K o n t i n g e n z tafeln. Bei der Ä q u i v a l e n z p r ü f u n g sind zwei A s p e k t e zu b e a c h t e n : Z u m einen ist zu f r a g e n , u n t e r welchen B e d i n g u n g e n u n d F - T e s t zu p r a k t i s c h i d e n t i s c h e n E n t s c h e i d u n g e n f ü h r e n , u n d z u m a n d e r e n m u ß g e p r ü f t w e r d e n , ob mit diesen B e d i n g u n g e n a u c h die Val i d i t ä t der Tests sichergestellt ist. ^ 2 - T e s t u n d F - T e s t sollen d a n n als ä q u i v a l e n t (und dam i t als a u s t a u s c h b a r ) gelten, w e n n b e i d e Tests f ü r a = 5 % u n d a = l % gleicher W e i s e ü b e r A n n a h m e bzw. A b l e h n u n g v o n H 0 e n t s c h e i d e n , u n d w e n n z u d e m der N a c h w e i s der V a l i d i t ä t z u m i n d e s t f ü r einen der b e i d e n Tests e r b r a c h t w e r d e n k a n n . In diesem Falle sind wegen der Gleichheit der E n t s c h e i d u n g e n b e i d e Tests valide. a) 4 - F e l d e r - T a f e l n K s h i r s a g a r (1972, K a p . 9.6) zeigt, d a ß die P e a r s o n ' s c h e ^ - S t a t i s t i k einer r x c - K o n t i n g e n z t a f e l aus den k a n o n i s c h e n K o r r e l a t i o n e n CR; zwischen d e n p = r —1 C o d i e r v a r i a b l e n f ü r die K a t e g o r i e n des u n a b h ä n g i g e n Merkmals u n d den q = c —1 Codiervariablen f ü r die K a t e g o r i e n des a b h ä n g i g e n M e r k m a l s in folgender Weise herzuleiten i s t : (1)
X~=I1
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CR;
¡=1 mit n = Stichprobenumpfang s = m i n (p,q)
F ü r p = q = l i s t ^ j C R ? in Gleichung (1) d u r c h das Q u a d r a t des l und q = l erhält man nach Gleichung (1) Cramer's V ( V = R = y % 2 / n ; vgl. auch hierzu Küchler, 1980). R ist hierbei die multiple Korrelation zwischen den p = r—1 Codiervariablen für die Kategorien des unabhängigen Merkmals und einem dichotomen abhängigen Merkmal. Die Uberprüfung der Nullhypothese der stochastischen Unabhängigkeit der beiden Merkmale kann wahlweise über den %2-Test mit d f = r — 1 oder über den F-Test der multiplen Korrelation R..(B-P-1) w
(l-R')-p mit df z = p und df N = n — p— 1
erfolgen, wenn n genügend groß ist. Die Größe des für identische Entscheidungen erforderlichen Stichprobenumfanges ist wiederum Tabelle I zu entnehmen (Die tabellierten P(F)-Werte für d f x 2 > l in Tab. I erhält man in gleicher Weise wie für df%2 = 1. Für den für ein Signifikanzniveau kritischen y'2Wert wird nach Gleichung (1) der korrespondierende R 2 -Wert und für diesen nach Glei-
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chung (3) der entsprechende F-Wert bzw. P(F)-Wert bestimmt). Sie ist abhängig von df^j. Durchgängig zeigt sich, daß F- und £ 2 -Test nahezu identisch entscheiden, wenn die durchschnittlich erwartete Häufigkeit f e = n/(r • 2 ) ^ 5 bzw. n ^ 5 • r • 2 ist. Damit ist die Frage nach der Validität der Tests im Prinzip ebenfalls beantwortet. Wenn n S o • r • 2 ist, und zudem höchstens 20 % d e r f e «=5 sind, entscheiden beide Tests identisch und valide. Dieses Ergebnis läßt sich mit Hilfe einer Monte-Carlo-Studie von Lunney (1970) präzisieren. Der Autor überprüft, unter welchen Bedingungen der varianzanalytische F-Test zu richtigen statistischen Entscheidungen führt, wenn die abhängige Variable dichotom skaliert ist. Da ein 1-faktorieller Versuchsplan mit einer r-fach gestuften unabhängigen Variablen und einer dichotomen abhängigen Variablen einer rx2-Kontingenztafel entspricht, sind die Ergebnisse dieser Studie auch einschlägig für die Voraussetzungen eines rx2X2- Tests. Die Robustheit des F-Tests wird hier erneut belegt. Nenneswerte Verzerrungen des FTests treten nur bei kleinen Stichproben und sehr heterogenen Anteilswerten für das dichotome Merkmal auf. Der F-Test führt zu korrekten Entscheidungen, wenn die Fehlervarianz mindestens 20 Freiheitsgrade aufweist und der Anteil für die seltenere Merkmalsalternative durchgängig über 0,20 liegt. Bei mehr als 40 Fehlerfreiheitsgraden bleibt der F-Test auch dann praktisch unverzerrt, wenn für die seltenere Merkmalsalternative Anteile unter 0,20 auftreten. In allen übrigen Fällen führt der F-Test gegenüber dem nominalen a-Niveau zu konservativen Entscheidungen. Dieser Befund wird für 1-faktorielle Varianzanalysen mit r s 5 Stufen und für eine Reihe weiterer mehrfaktorieller und hierarchischer Pläne bestätigt. Wenn wir die Ergebnisse der 1-faktoriellen Varianzanalysen mit r s 5 Stufen auf die y}Analyse von rx2-Tafeln übertragen, resultiert für eine Mindestanzahl von 40 Fehlerfreiheitsgraden wegen d f F e h l e r = n — r ein Mindeststich probenumfang von n = 40 + r. In Ergänzung zu Tabelle I ist deshalb zu prüfen, ob der rx2-^ 2 -Test (r ^ 5 ) auch bei diesem Stichprobenumfang genauso entscheidet wie der F-Test. Hierbei genügt es, den Fall r = 5 zu untersuchen (mit n = 45 und f e = 45/10 — 4,5), da für r < 5 günstigere Erwartungswerte f e resultieren als für r = 5. Der F-Test der 1-faktoriellen Varianzanalyse mit df z = 4 und df N = 40 wird auf dem a = = 5 %-Niveau signifikant, wenn in Gleichung (3) R 2 = 0,207 und damit F = 2,61 (P(F 2,61) = = 0,95). Das entsprechende 5X2—%2 lautet für n = 45 und R 2 =0,207 nach Gleichung (1) ¿ 2 = 4 5 • 0,207 = 9,314, für das man mit df = 4 P f a 2 ^ 9 , 3 1 4 ) = 0,945 errechnet. Bereits bei diesem Stichprobenumfang zeigt sich eine erstaunlich hohe Übereinstimmung mit einer geringfügig konservativen Tendenz des x2~Tests gegenüber dem F-Test. Dies gilt auch für a = 1 o/o (P(F^i 3,83) = 0,99 und Pfo 2 ==12,462)-0,986). Der Studie von Lunney (1970) kann also entnommen werden, daß der F-Test und der rx2-^ 2 -Test zu korrekten Entscheidungen führen, wenn r s 5 und n ^ 4 5 . In diesem Falle sind Anteilswerte der selteneren Alternative unter 0,20 und damit auch heterogene Erwartungswerte für die rx2-Kontingenztafel zulässig. Die Äquivalenzen für r > 5 sind Tabelle I zu entnehmen. Durchgängig zeigt sich, daß für oc = 5 % und a = l % der F-Test und der ^ 2 -Test praktisch äquivalent entscheiden, wenn die Voraussetzungen des y}-Tests erfüllt sind.
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c) rxc-Tafeln Einerxc-Kontingenztafel ist als eine 1-faktorielle, multivariate Varianzanalyse mit einer r-stufigen unabhängigen Variablen und q= c —1 Codiervariablen als abhängige Variablen darstellbar. Im ALM werden auch die r Stufen des unabhängigen Merkmals in p = r— 1 Codiervariablen transformiert. Die varianzanalytischen Nullhypothese (Gleichheit der Mittelwertsvektoren) kann über das y} der rxc-Tafel bzw. über die kanonischen Korrelationen zwischen den p unabhängigen Codiervariablen und den q abhängigen Codiervariablen nach Gleichung (1) getestet werden. Cohen (1982) empfiehlt für die Uberprüfung der kanonischen Korrelationen zwischen beliebigen Variablensätzen X und Y die von Rao (1952) vorgeschlagene F-Approxiniation von W'ilk's A. Ubertragen auf rxc-Tafeln erhält man —1) • (m • t —p • q/2+1)' p• q s mit A = [ J (1 —CR?) i = l
s = min (p, q) p= r— 1 q= c— 1 m = n —3/2 — (p + q)/2 l / p 2 - q2 —4 , t = 1/ (für p2 • q 2 =4 setzt man t = l ) " p 2 +q 2 —5 und df z = p • q, dfN = m • t—p • q/2+1. Auch hier stellt sich die Frage, ob dieser F-Test zu den gleichen statistischen Entscheidungen führt wie der ^ 2 -Test auf Unabhängigkeit der in einer rxc-Tafel untersuchten Merkmale. Diese Frage wurde von Stelzig (1986) mit Hilfe einer Computersimulation beantwortet, in der für unterschiedliche rxc-Tafeln mit f e = 5 die korrespondierenden FWerte (bzw. (P(F)-Werte) nach Gleichung (4) errechnet wurden. Die Studie verdeutlicht, daß bei gegebenem n,r und c verschiedene Häufigkeitsanordnungen existieren können, die zu identischem aber zu unterschiedlichen CR¡-Werten führen. Zwar bleibt die Summe der CR¡-Werte bei einem gegebenen gemäß Gleichung (1) konstant; wegen der Produktbildung bei der Berechnung von A gemäß Gleichung (4) resultieren jedoch unterschiedliche yl-Werte und damit für identische %2-Werte unterschiedliche F-Werte. Der F-Test ist bei konzentrierter Struktur (der Zusammenhang konzentriert sich auf eine kanonische Korrelation, die übrigen s —1 kanonischen Korrelationen sind 0, vgl. Olson, 1976) gegenüber dem ^ 2 -Test geringfügig progressiv und bei diffusen Strukturen (alle kanonischen Korrelationen sind etwa gleich groß) geringfügig konservativ. Diese Uneindeutigkeit wird vermieden, wenn man statt Rao's F die Prüfstatistik Pillai's V verwendet (Pillai, 1955). (5)
V= ¿ i= l
CR?
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Damit ergibt sich nach Gleichung (1) (vgl. Kshirsagar, 1 9 7 2 ) : (6)
*2 = n-V mit df = p • q
Trivialerweise ist die ^ - A p p r o x i m a t i o n von Pillai's V immer dann valide, wenn die Voraussetzungen für den r x c - / 2 - T e s t erfüllt sind (vgl. auch Isaac und Milligan, 1983). Wie auch das rxc-^ 2 ist diese Prüfgröße invariant gegenüber der Art der Nonzentralitätsslruktur. Weitere Vorteile von Pillai's V gegenüber Rao's F werden in einer Studie von Olson (1976) deutlich, die verschiedene multivariate Prüfkriterien vergleicht. Sind die Voraussetzungen der multiviariaten Prüfkriterien (mullivariat normalverteilte Residuen und homogene Varianz-Kovarianzmatrix) verletzt, reagiert Pillai's V am robustesten. Die Teststärke der verglichenen Prüfkriterien hängt von der Art der Nonzentralitälsstruktur (diffus oder konzentriert) ab. Auch diese Abhängigkeit ist bei der Anwendung von Pillai's V auf Kontingenztafeln nicht gegeben, da — wie bereits erwähnt — die Summe der quadrierten kanonischen Korrelationen bei einem gegebenen^ 2 für unterschiedliche Nonzentralitätsstrukturen konstant bleibt. Neben der ^ - A p p r o x i m a t i o n für V in Gleichung (6) hat Pillai (1960, S. J 9 ) folgende F Approximation vorgeschlagen: (7) V '
F—
( d f - q + s) • V e 4 b • (s-V)
mi t df e = n — r q= c— 1 p = r— 1 s = min (p, q) b = m a x (p, q) Die in Gleichung (7) definierte Prüfgröße ist approximativ F-verteilt mit df z = p • q und df N = s • (df e — q + s). (Zur Interpretation dieses F - T e s t s unter dem Blickwinkel der „praktischen Signifikanz" vgl. Bredenkamp und Frdfeider, 1985). Nach Olson
(1976) reagiert dieser F - T e s t auf Voraussetzungsverletzungen robust mit
einer geringen Tendenz zu konservativen Entscheidungen. Wie anhand einer Monte-CarloStudie gezeigt wurde (vgl. Muchowski, 1988), ist der F - T e s t nach Gleichung (7) valide, wenn die Voraussetzungen des rxc-^ 2 *-Tests erfüllt sind.
3. Orthogonale und nicht-orthogonale Kontingenztafeln Der vorige Abschnitt behandelte 2-dimensionale rxc-Kontingenztafeln, wobei als abhängige Variable das c-fach gestufte Merkmal definiert wurde. Die ^ - A n a l y s e ist mit einer 1-faktoriellcn ANOVA (c —2) bzw. einer 1-faktoriellen MANOVA ( c > 2 ) asymptotisch äquivalent, wobei man davon ausgehen kann, daß der rxc-^ 2 -Test und der F - T e s t nach Gleichung (7) bereits dann praktisch identisch entscheiden, wenn f e = 5 ist. B e i mehrfaktoriellen Varianzanalysen wird zwischen orthogonalen (gleichgroße Stich-
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proben pro Faktorstufenkombination) und nicht-orthogonalen Yersuchsplänen (ungleich große Stichproben) unterschieden. E s wird vorgeschlagen, in analoger Weise auch bei mehrdimensionalen Kontingenztafeln mit zwei oder mehr unabhängigen Merkmalen zwischen orthogonalen und nicht-orthogonalen Tafeln zu unterscheiden. Tabelle 2 a zeigt ein Beispiel für eine orthogonale Kontingenztafel. Tab. IIa.
( 2 x 3 ) X (Werte in Tab. III) 2-Tafel (orthogonal) a
l
a
2
bt
b2
b3
bl
b2
b3
X K C . ^ X B U N D X A B C ^ X A X B - F ü r orthogonale Kontingenztafeln gilt £ ä b = 0> s o daß sich mit %gCS = Xtot die £ 2 -Zerlegung in der oben genannten Weise vereinfacht. Bei einer,nicht-orthogonalen Kontingenztafel befinden sich — wie Tabelle I I I zeigt — unter den Stufenkombinalionen der unabhängigen Merkmale unterschiedlich viele Untersuchungseinheiten. Tabelle I I I wird in gleicher Weise codiert wie Tabelle I I a . Die Codiervariablen der einzelnen E f f e k t e (x t für A, x 2 und x 3 für B , x 4 und x 5 für A X B ) sind in diesem Falle korreliert. Man ermittelt R ? , . , v v v v = 0 , 7 3 3 bzw. für die 6 X 2 — Tafel ¿ o t = 10 - 0 , 7 3 3 = 7,33. Tab. I I I
( 2 x 3 ) x 2 - T a f e l (nicht-orthogonal) a
i
f»2
bi
b2
1>3
H
b2
b3