Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [46]

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Zeitschrift

Historischen Vereins für

Schwaben und Heuburg.

19Z6. ------- 46. Band.--------Erstes Halbjahresheft.

fiugsburg. J. fl. Schlosser’sche Buchhandlung [F. Schott],

Buch- und Kunstdruckerei J. P. Himmer, Augsburg.

Vorwort Da der Historische Verein für Schwaben und Neuburg in den letzten Jahren erst wieder die Mittel für die Herausgabe eines weiteren Bandes seiner Zeitschrift sammeln mußte, trat in ihrem Erscheinen leider eine längere Unterbrechung ein. Die Zeitschrift erscheint in Zukunft als Halbjahresschrift, deren erstes Heft nunmehr den Mitgliedern zugeht. Das zweite Halb­ jahresheft folgt Ende des Jahres. Eine familiengeschichtliche Bei­ lage soll auch für Schwaben, soweit die Mittel reichen, das immer mehr an Bedeutung gewinnende Gebiet der Familiengeschichte entsprechend berücksichtigen. Dem Stadtrat Augsburg, der den Verein im letzten Geschäftsjahre mit einem Zuschüsse von 1500 Mark unterstützte und damit die Drucklegung der Abhand­ lung über Clemens Jäger ermöglichte, deren zweiten Teil das nächste Halbjahresheft bringt, sei an dieser Stelle für sein ver­ ständnisvolles Entgegenkommen herzlicher Dank gesagt. Die Ab­ bildungen zu der Arbeit über den Augsburger Stadtmaler Matthias Kager sind der Zeitschrift aus Zweckmäßigkeitsgründen in der Form der freien Anlage beigefügt. Die Bestrebungen des Vereins wurden in den letzten Jahren, da das Erscheinen der Zeitschrift nicht möglich war, durch eine große Zahl von Vorträgen ge­ fördert, die sich des besten Zuspruches der Mitglieder des Vereins in Augsburg und seiner näheren Umgebung erfreuten und gerne den einzelnen Lokalvereinen vermittelt werden. Eine Uebersicht darüber gibt eine Zusammenstellung am Schlüsse der Zeitschrift. Der Jahresbeitrag beträgt 5 Mark und wird mit der Zusendung des vorliegenden Heftes eingehoben. Auf die Zeitschrift bezüg­ liche Zusendungen wollen an die nachstehende Anschrift des Schriftleiters gemacht werden.

Dr. Hans Wiedenmann Direktor des Stadtarchivs Augsburg.

Inhalts -Verzeichnis Seite

Clemens Jäger, nacheinander Schuster und Ratsherr, Stadt­ archivar und Ratsdiener, Zolleinnehmer und Zolltech­ niker in Augsburg — der Verfasser des Habsburgisch Oesterreichischen Ehrenwerks. Von Prof. Dr. Friedrich Roth, München..............................................................

1— 75

Der Augsburger Stadtmaler Matthias Kager (1575—1634). Von Prof. Dr. Hermann Nasse, München . . .

76—132

Die „Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt“. Von Stadtbibliothekar Dr. Ed. G e b e 1 e, Augsburg

133—140

Das Augsburger Scharlachrennen von 1454. Von Prof. Ludwig Mussgnug, Nord fingen............................... Kaufbeurer Heimatlied. Von rechtsk. Bürgermeister Dr. Gg. Volkhardt, Kaufbeuren...............................................

141 — 143 144

Mitteilungen aus der Literatur: Dr. Friedrich Wagner, Die Römer in Bayern. Besprochen von Stud. Prof. Dr. G. Keßler, Augsburg ....

145—147

Eduard Wallner, Altbaierische Siedelungsgeschichte in den Ortsnamen der Aemter Bruck, Dachau, Freising, Fried­ berg, Landsberg, Moosburg und Pfaffenhofen. Besprochen von Prof. Dr. Friedrich Roth, München .

148

Dr. Robert D o m m, Das Bronzetor des Augsburger Domes. Besprochen von Pfarrer Richard Wiebel, Irsee

149—151

Dr. Erich König, Konrad Peutingers Briefwechsel. Be­ sprochen von Prof. Dr. Friedrich Roth, München

152—155

Dr. Friedrich Roth, Die geistliche Betrügerin Anna Laminit von Augsburg (ca. 1480—1518). Besprochen von Georg I. Meyer, Augsburg ................................

155—158

Dr. Wilhelm Maasen, Hans Jakob Fugger (1516—75). Besprochen von Prof. Dr. Friedrich Roth, München

158—161

Adalbert v. Raumer, Der Ritter von Lang und seine Me­ moiren. Besprochen von Prof. Dr. Friedrich Roth, München.........................................................................

161—164

Seite

Dr. Br. Wojcjkowna, Johann Fischer von Augsburg als Suitenkomponist. Besprochen von Dr. Max Herre, Augsburg..................... ..... . ...............................

164—169

Schott Friedrich, Der Augsburger Kupferstecher und Kunst­ verleger Martin Engelbrecht und seine Nachfolger. Be­ sprochen von Dr. Ed. Gebele, Augsburg . .

169—171

Ulm-Oberschwaben. Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben. Heft 24. Ein Ueberblick über den wesentlichen Inhalt des Heftes nebst kurzer Würdigung von Dr. Hans Wiedenmann, Augsburg.........................................................................

172—194

Uebersicht über die im letzten Jahrfünft im Historischen Verein für Schwaben und Neuburg in Augsburg gehal­ tenen Vort räge..........................................................

195—198

Druckfehlerberichtigungen.................... .....

199

Clemens Jäger, nacheinander Schuster und Ratsherr, Stadt­ archivar und Ratsdiener, Zolleinnehmer und Zolltechniker in Augsburg — der Verfasser des HabsburgischÖsterreichischen Ehrenwerks. Von Prof. D. Dr. Friedrich Roth, München. Jäger, ein in mehr als einer Beziehung merkwürdiger Mann, der einst in Augsburg als Historiker und sonst eine nicht un­ bedeutende Rolle gespielt, ist mit der Zeit allmählich in Ver­ gessenheit geraten, bis sein Andenken in unsern Tagen dank einem Aufsatz Dr. Pius Dirrs wieder erweckt wurde.1) Diesem ist es zwar gelungen, die von dem gelehrten Buchhändler und Literator Franz Anton Veith etwa 125 Jahre früher aufgestellte Liste von Jäger herrührender Werke und Schriften2) um mehrere sehr gewichtige und wertvolle Stücke zu bereichern, aber es war ihm noch nicht bekannt, daß Jäger auch der Verfasser des bisher Hans Jakob Fugger zugeschriebenen „habsburgisch-österreichischen Ehrenwercks“ ist, einer Riesenchronik, die zu den hervor­ ragenden historischen Leistungen des sechzehnten Jahrhunderts zählt und bis in die Gegenwart herein lebendig geblieben ist. Während Jägers übrige Arbeiten sämtlich die Augsburger Lo­ kal- und Geschlechtergeschichte zum Gegenstände haben, behan­ delt das Ehrenwerk hauptsächlich die Genealogie und die Ge­ schichte der österreichischen Regenten und des habsburgischen Hauses sowie — im Zusammenfluß damit — die deutsche Reichs­ und Kaisergeschichte und verschafft dem Autor unter den auf diesem Gebiete sich betätigenden Zeitgenossen einen Ehrenplatz. Da erscheint es denn wohl angezeigt, daß wir uns mit der Per­ sönlichkeit und den literarischen Leistungen Jägers eingehender befassen, als dies bisher geschehen ist, und ihn im besondern als Verfasser des Ehrenwerks, als den wir ihn erweisen werden, soweit es unsern Zwecken dienlich, zu würdigen. *) Clemens Jäger und seine Augsburger Ehrenbücher und Zunftchroniken in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg (im folgenden gekürzt Z.S.N.), XXXVI (1910) S. I ff. 2) Bibliotheca Augustana, III (Augsburg 1787) S, 89 ff„ Ergänzungen in XII (1796) S. 145.

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I. Zur Lebensgeschichte Clemens Jägers. 1. Jäger als Schuster, Zunftmeister und Rathsherr.

Der Vater unseres Clemens Jäger, Hans, stammte aus dem schwäbischen Markte Zusmarshausen, einer Besitzung des Augs­ burger Hochstifts, kam als Schustergeselle nach Augsburg und erwarb, wie der Umstand, daß er nicht im Bürgeraufnahmebuch1) eingetragen ist, vermuten läßt, durch Verheiratung mit einer Augs­ burger Schusterstochter das Bürgerrecht und den Eintritt in die Zunft der Schuhmacher. Es wird dies im Jahre 1498 gewesen sein, in welchem sein Name zum ersten Male in den Steuer­ büchern genannt wird.2) Er wohnte damals, wie auch in den nächsten Jahren, im Hause des Peter Weiblinger, des 1499 ver­ storbenen Zunftmeisters der Schuster3), bei dem er vorher als Geselle gearbeitet haben mag. Vielleicht war die Frau Jägers eine Tochter dieses Weiblinger; ihr Taufname war Barbara. Das genannte Haus stand in der lebhaftesten Geschäfts­ straße Augsburgs, der Weißmalerstraße, jetzt Carolinenstraße, wenn man vom Perlach zum Dom hinaufschreitet, auf der linken Seite, nahe beim Zunfthaus der Zimmerleute4), von dem aus einst der „gewaltige8 Bürgermeister Ulrich Schwarz seinen Ausgang genommen, nur durch ein Zwischenhaus von dem altbe­ kannten alten Weiserhaus und der St. Leonhardskapelle getrennt. Es lag also so recht im Herzen der Stadt, gleich weit entfernt von dem Perlachplatze mit dem Rathaus sowie der Herren­ trinkstube und von dem Fronhof mit dem mächtigen Dom und der bischöflichen Pfalz. Hier und in einem Hause daneben, in dessen Erdgeschoß sich das von Ulrich Schmid und später dessen Sohn betriebene Gasthaus zur Glocke befand, verbrachte der Schuster Hans Jäger, seit er in Augsburg weilte, seine ganze Lebenszeit, so daß er in diesem Revier, das im Steuerbuch unter der Rubrik „Vom Zimmerleuthaus8 steht, eine jedermann bekannte und vertraute Persönlichkeit war. Die Steuerbücher geben uns auch einen Fingerzeig über die Vermögensverhält­ nisse des Mannes und lassen erkennen, daß er nie zu den „Habnit8, J) Dem „älteren Bürgerbuch“ des Augsb. Stadt-Archivs. 2) Im Steuerbuch dieses Jahrs steht neben seinem Namen „Dat heur nit“, was darauf hindeutet, daß er sich in diesem Jahre verheiratet. *) Genannt in der Schusterchronik Clemens Jägers (vgl. Dirr S. 24 f.)t die in cgm. 2648 enthalten ist, unter Nr. 15. 4) Jetzt D 69.

3 die außer dem Wachtgeld1) nichts entrichteten, gehört hat, sondern vom Anfang an einen kleinen Betrag, der später zu V 1125 3/4, ja 1 Gulden aufstieg, entrichtete. Das scheint anzu­ deuten, daß Jäger wenigstens kein armer Mann war und mit seiner Hände Arbeit so viel zu verdienen vermochte, um ohne Not auskommen und noch etwas zurücklegen zu können, also dem in bescheidenem Wohlstand »erbaren“ Kleinbürgerstande angehörte. Hans Jäger wird uns geschildert als »ein frommer, sanfter“, dabei aber auch »beredter“ Mann,2) und diese letztere Eigenschaft wird es hauptsächlich gewesen sein, die das Augenmerk seiner Zunftgenossen auf ihn lenkte und im Jahr 1519 seine Wahl zu einem der Zwölfer des Handwerks herbeiführte. Daß er kein »Einge­ sessener“, sondern ein von außen Zugewanderter war, tat ihm keinen Eintrag, sondern gereichte ihm eigentümlicherweise zur Empfeh­ lung, denn wir sehen, daß die meisten Augsburger Schusterzunft­ meister Neubürger waren, solche also eher vorgezogen als zurück­ gesetzt wurden. Wir können Jäger nun als einen Zwölfer bis 1525^ das Jahr des großen Bauernkrieges, verfolgen ; als dann auf Weih­ nachten dieses Jahres die Schuster, wie es üblich war, zusammen­ traten, um ihre »Zunftobrigkeit“ für das nächste Jahr zu wählen, da trugen bei der Wahl des Zunftmeisters die meisten der in einen Hut geworfenen Zettel seinen Namen.3) Der wackere Mann erreichte damit die von jedem Handwerker, der sich etwas zu­ traute, als höchstes Ziel erstrebte Würde, die, wenn es das Glück wollte, zu hohen Ehren emporführen konnte. Der Zunftmeister kam nämlich als Vertreter seiner Zunft in den kleinen Rat, hatte hier in allen großen und kleinen Angelegenheiten der städtischen Republik — soweit diese nicht in der Hand der Bürgermeister lagen — seine Stimme so gut wie einer der »großen Hansen“ aus den Geschlechtern und gewann dadurch ganz von selbst eine angesehene soziale Stellung, an die er ohne die »Zunftmeister­ staffel“ nie hätte denken dürfen. Die Ratsämter, die man Jäger 9 Siehe hierzu Buff, Augsburg in der Renaissancezeit (Bamberg 1893) S. 126 Anm. 2; Strieder, Zur Genesis des modernen Kapitalismus: Forsch­ ungen zur Entstehung der großen bürgerlichen Kapitalvermögen am Aus­ gange des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, zunächst in Augsburg (Leipzig 1904) S. 1 ff. *) Schusterchronik, 1. c. unter Nr. 18. *) Ratswahlbuch von 1520—1548 unter den »Schätzen des Augsburger Stadt-Archivs “. 1*

4 übertrug, gehörten freilich nur zu den „kleinen8, waren aber der Art, daß sie nur von jemandem, der gutes Vertrauen genoß, versehen werden durften. Er erhielt nämlich das Amt des Perlachstättmeisters sowie eines Strafherrn, der über falsches Maß und Gewicht zu urteilen hatte, und übte zeitweise auch die Funk­ tion des „Perlachturnbeschließers8 aus, der bei dem regelmäßigen Wechsel der „Perlachturner8 die Tür zum „Turn8 auf- und zu­ schloß und darauf Acht haben mußte, daß dabei alles in Ord­ nung und „on Gefar8 zuging.1) Die Schuster waren mit dem neuen Zunftmeister wohl zufrieden, denn sie wählten ihn auch weiterhin als solchen, so oft es „Gesetz und Brauch8 zuließen, nämlich jedes andere Jahr, also 1528, 1530, 1532, und da er in den Jahren 1527, 1529, 1531, 1533, wie es herkömmlich, als so­ genannter Altzunftmeister „Mitregent der Zunft8 war und als solcher ebenfalls dem Rate angehörte, blieb er während der ganzen Zeit von 1526—1533 Ratsherr. In dem letztgenannten Jahr wurde er den Seinen und seiner Zunft durch den Tod ent­ rissen, nachdem er wohl eben erst die Mitte der Fünfziger über­ schritten. Unter den an seiner Bahre Trauernden war auch unser Clemens oder, wie er sich selbst schreibt, Clement Jäger, allem nach der älteste der Söhne, dessen Geburt wir um das Jahr 1500 setzen möchten. Indem wir nun darangehen, nach den ziemlich dürftigen uns zu Gebote stehenden Anhaltspunkten den Lebensweg des letzteren zu zeichnen, müssen wir uns in seine Umwelt, die gleiche wie die des um etwa ein Lustrum älteren Hans Sachs,2) versetzen, an den der dem Berufe des Vaters folgende Clemens Jäger in vielem erinnert. Da der Handwerker in der Regel erst nach dem vierzehnten Lebensjahr in die Lehre trat, während der Unterricht in der Schule, die damals Lateinschule war, schon mit dem sechsten Jahre anfing, war es auch dem für das Handwerk Bestimmten, wenn er selbst Lust dazu hatte und die Eltern die Kosten nicht scheuten, möglich, sich ein gewisses Maß von Schulbildung, so­ gar gelehrter, zu erwerben, bevor er sich seinem Lebensberuf widmete, wie dies bekanntlich auch bei Hans Sachs der Fall gewesen. Wir müssen dies, ohne daß Näheres hierüber beige*) Siehe Stetten, Geschichte der . . . Stadt Augfpurg (Frkft, u. Lpz. 1743) S. 274. 2) Dieser war bekanntlich geboren im Jahre 1494.

5 bracht werden könnte, auch für Jäger annehmen, und wenn er auch von dem, was er so gelernt, nicht allzu viel Positives in die späteren Jahre hinübergerettet zu haben scheint, so waren immer­ hin die allg emeinen Eindrücke, die er in frühester Jugend so in sich aufnahm, so tief und mächtig, daß sie sein geistiges Leben für immer bestimmten und in ihm gewisse Ideale erweckten, die ihn über die Enge seiner äußeren Lebensstellung hoch hinaushoben. Als er das 14. Lebensjahr hinter sich hatte, wurde er „Schuh­ lehrknecht“,*1) höchst wahrscheinlich in der Werkstatt seines Vaters, der, abgesehen von anderem, das nicht ganz unbeträchtliche Lehr­ geld von zehn Gulden wohl selbst wird haben verdienen wollen. Die Lehrzeit dauerte zwei Jahre, so daß Jäger mit sechzehn Jahren fertig war, und nun meinen konnte, seinen weiteren Lebensweg so ziemlich übersehen zu können. Nach Erstellung des „Gesellen­ stückes“ wird er — bei einem Wochenlohn von sechs Kreuzern — noch mehrere Jahre bei seinem Vater oder andern Augsburger Meistern gearbeitet haben, bis er reif zur Wanderschaft wurde. Wir müssen annehmen, daß er diese Wartezeit fleißig zur Förderung seiner Bildung benützt und sich, anders als seine derben Kameraden, die ihre müßigen Stunden mit Zechen, Spielen, „Löffeln“ und fröhlichen, auf der Straße veranstalteten Abendtänzen verbrachten, so oft es anging, in einen ruhigen Win­ kel zurückzog, um hier seinen Wissensdurst durch Lesen von Büchern aller Art, wie sie ihm eben zur Hand kamen, zu stillen. So vergingen mehrere Jahre, bis endlich, um 1520, der Tag an­ brach, an dem er das Wanderbündel schnüren durfte, um hinaus­ zuziehen in die weite Welt, in die ihm die Gedanken schon so /

1) Dies und das Folgende auf Grund der Handwerkerordnung der Schuster in den Augsburger Handwerkerordnungen von 1549, die auf „altem Brauch“ fußen und sich in ziemlich vielen Exemplaren erhalten haben. Das von uns hier gebrauchte ist das der Münchener Staatsbibliothek cgm. 2024. — Daß Jäger wirklich das Schusterhandwerk getrieben und nicht etwa nur ein äußer­ lich dem Zunftverband der Schuster Angegliederter war, was ja auch hätte sein können, geht, abgesehen von anderem, daraus hervor, daß er in dem Ver­ zeichnis der Augsburger Meistersinger, wo jeder unter Angabe des von ihm ausgeübten Handwerks (nicht seiner Zunft) aufgeführt ist, ausdrücklich als „Schuster“ bezeichnet wird (Stiefel, Hans Sachs-Forschungen, Festschrift, Nürnberg, 1894, S. 334); auch sagt Paul Hektor Mair in seiner Abschrift des Jägers chen Consulatbuchs (Augsburger Stadtbibi., Aug. 171) mit einer jedes Mißverständnis völlig ausschließenden Bestimmtheit: „Der Clement Jeger, schuster, ein ratsdiener (s. unten S. 29 ff.), hat das Buch gemacht“.

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oft vorausgeeilt waren. Es ging nach Süden, hinein in die Berge, immer weiter, bis endlich die Klänge fremder Zungen an sein Ohr schlugen. Vielleicht hatte er sich einem der nach Bozen handelnden heimischen „Gebirgsschuster8 angeschlossen, um dann nach Venedig hinabzusteigen, wo jeder richtige Augsburger wenigstens einmal in seinem Leben gewesen sein mußte, wo ins­ besondere die deutschen Schuster eine selbständige Innung bil­ deten und ein eigenes Spital mit eigener Begräbnisstätte hatten.1) Doch das alles sind nur Vermutungen. Wir wissen von seiner ganzen Wanderschaft aus einer in einer seiner Schriften2) hin­ geworfenen Bemerkung nur das, daß er sich im Spätsommer 1524 als Wanderbursche auf dem Heimweg nach Deutschland in UnterSteiermark — in Cilly und Radkersburg — aufhielt und das „Königreich Wossen (Bosnien) und Crobatien“ hinter sich hatte. Wir zweifeln nicht, daß Jäger mit offenen Augen und Sinnen durch die Lande gezogen und auf dieser weiten Wanderschaft seinen geistigen Gesichtskreis in der von ihm gewünschten Weise erweitert, auch in seinem Handwerk noch Manches gelernt, was er zuhause wohl verwerten konnte. Jedenfalls vermochte der noch 1524 oder spätestens 1525 heimgekehrte Geselle viel zu erzählen, und wir möchten nur wünschen, daß er dies auch schriftlich getan hätte. Nun hatte Jäger noch die Meisterprüfung zu machen und dann ein Weib zu nehmen, um sich dauernd im Schatten des alten Perlachturmes niederzulassen und bis ans Ende „beim Leisten zu bleiben8. Die vom Handwerk vorgeschriebene For­ derung war: Er mußte in Gegenwart von Zwölfern der Zunft ein Stück Haut zur Verarbeitung zurichten, dann ein paar Stiefel und fünf paar Schuhe zuschneiden „und volgends selbst aus­ machen8. Wir hören, daß nicht jeder gleich beim ersten Male sein Ziel erreichte, aber einem Mann wie Jäger, der zwischen Stiefeln und Schuhen aufgewachsen war, von väterlicher und mütterlicher Seite Schusterblut in den Adern hatte und in jedem Betracht als „ein verständiger Schuhknecht8 gelten konnte, wird die Sache keine Schwierigkeit gemacht haben, und es besteht kein Zweifel, daß er „summa cum laude8 bestanden. Wahr*) Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig, II, S. 274 ff. a) In seiner Beschreibung der Pöbelaufläufe vom August 1524, Bl. 66 a (Augsburger Stadtbibliothek). Vgl. Dirr, 1. c. S. 24.

7 scheinlich 1526 heiratete er Jungfer Anna, die Tochter eines angesehenen aber uns sonst nicht näher bekannten Zünftlers namens Endres Stumpf, Schwiegervaters des reichen Färbers Andreas Ettinger, dessen Witwe später dem bekannten „ Schul­ meister“ bei St. Anna Matthaeus Schenk die Hand reichte. Nun hatte er seinen „eigenen Rauch“. Im Jahre 1527 ist er zum ersten Male in den Steuerbüchern eingetragen und zwar mit fast demselben Betrag, mit dem sein Vater angefangen hatte, nämlich mit 44 Den., über den er während seiner ganzen Schuster­ zeit nicht viel hinausgekommen. Seine Wohnung hatte er nicht weit von dem väterlichen Heim in einem diesem schräg gegen­ überliegenden Hause, das in den Steuerbüchern in dem Steuer­ bezirk »Vom Ror“ verzeichnet ist. Später siedelte er auf die andere Seite der Straße über, so daß er nun auch, wie sein Vater, in der Häusergruppe „Vom Zimmerleuthaus“ saß. Im ersten Jahre durfte Jäger nach der Zunftsatzung nur mit einem Gesellen arbeiten, denn man hatte gefunden, daß junge, angehende Meister gern die Gepflogenheit hätten, ihre Gesellen arbeiten zu lassen, während sie selbst faulenzten; die ihnen auferlegte Beschränkung sollte bewirken, daß sie „dester bas zu inen selber lugten und selbst dester fester arbeiteten und daheim blieben“.1) Erst vom zweiten Jahre an durfte ein weiterer Geselle eingestellt werden — mehr waren überhaupt nicht erlaubt —, und von da an war man erst ein „richtiger“ Meister. Nun vergehen mehrere Jahre, bis wir wieder etwas von Jäger hören. Er hatte inzwischen harte Zeiten durchlebt, denn schon 1528 begann eine unerhörte Getreideteuerung,2) die sechs *) Zunftbuch der Schuster im Augsburger Stadtarchiv, Bl. 46 b. — Wir müssen uns das Einkommen eines solchen Anfangsmeisters als recht knapp vorstellen. Man hat — allerdings für eine etwa zwei Jahrzehnte zurückliegende Zeit festgestellt: Als Macherlohn für ein paar Schuhe, deren Herstellung etwa anderthalb Tage erforderte, erhielt der Schuster 16 Den., so daß sich der jähr­ liche Verdienst bei 300 Arbeitstagen auf 13—16 Gulden belief. Bei Einstellung eines Gesellen konnte ungefähr das doppelte erzielt werden, doch blieb dann nach Abzug des an den Gesellen abzugebenden Geld- und Naturallohnes sowie anderer Auslagen wenig über 21 fl. (Hartung, Die Augsburger Zuschlag­ steuer vom Jahre 1475 in der Hist. Vierteljahresschrift, I, S. 129). 2) Siehe etwa die Chronik des Benediktiners Clemens Sender (Augs­ burger Chroniken), IV, S. 246 f, 327 f, 332 f und an andern Orten, wo ver­ schiedene Fälle der verzweiflungsvollen Not, in der die ärmeren Schichten der Bürgerschaft lebten, erzählt werden.

8 Jahre lang währte, und bald auch eine besonders für das Schuster­ handwerk empfindliche Lederteuerung.1) Da mußte er unermüd­ lich den Schusterhammer schwingen, um sich und die Seinigen durchzubringen, denn der Gewinn, den die Geschäftsleute wäh­ rend des großen Reichstages von 1530 etwa machten, wurde durch unerträgliche Preissteigerung für alle Lebensmittel, durch Belästigung mit Einquartierung und andere Ungelegenheiten reichlich aufgewogen. Unmutige Äußerungen Jägers, daß seine Zunft ihr zusammengespartes Geld nicht zur Notdurft armer Zunftgenossen rechtzeitig zu Getreideeinkäufen verwendet, son­ dern, um der „Hoffart“ zu frönen, dafür das Zunfthaus hatte malen und bessern lassen,2) geben deutlich zu erkennen, wie schwer er mit der Ungunst der Verhältnisse zu kämpfen hatte. Vielleicht war es gerade die freimütige Art und Weise, wie er solche Dinge zu rügen pflegte, durch die er sich die Achtung seiner Zunftgenossen erwarb und sie veranlaßte, ihn im Jahre 1535, zwei Jahre nach dem Tode des Vaters, zum Zwölfer und Büchsenmeister zu wählen, was er auch 1536, 1537, 1538 und 1539 blieb, bis sie ihn 1540 gar zum Zunftmeister machten.2) Was das bedeutete, wurde schon oben dargetan. Das konnte einem ehrgeizigen, nach höherem strebenden Mann, wie Jäger war, wohl „zu Hirne steigen“. Hatte es doch schon einmal einen Schusterzunftmeister gegeben, der es zum Baumeister gebracht und vielleicht Bürgermeister geworden wäre, wenn er die Kunst des Schreibens verstanden hätte,3) und der jetzt regierende Bürgermeister „von der Gemeind“, Mang Seitz, war ja, als er das Bürgermeisteramt zum ersten Male angetreten,4) auch nur ein sein Handwerk treibender Webermeister gewesen. Da Jäger aber, wie wir sehen werden, nur ganz kurze Zeit »auf dem Pfulgen saß“, kam er in Wirklichkeit über die Stufe eines „ge­ meinen Ratsherrn“ nicht hinaus und hatte infolgedessen auch nur wenig Gelegenheit, seine Persönlichkeit im Rate zur Geltung zu bringen. Daß er dies aber, wo es anging, kräftig tat, erhellt aus einem Fall, den er selbst erzählt. Es begab sich nämlich, daß sich der Rentmeister des Bischofs Jörg Schiegg, vertrauend *) a) *) 4)

Schusterchronik, 1. c., Bl. 41a. Ebenda, Bl. 22 b ff. Ebenda, Bl. 15 b. Jan. 1531.

9 auf die „heimliche Gunst“ des Bürgermeisters Wolfgang Rehlinger, mit der Absicht trug, „ein neues Summerhaus in des Bischofs Garten anstatt eines alten, das zergangen war, in sol­ cher Höhin“ aufzurichten, daß er „über die Statmauer auf das Creutz under die Weber sehen möcht.“ Die Sache kam an den Rat „und was der Handel dermassen verricht, daß wenig Einred darumb geschah. Als aber die Frag an mich kam, da redet ich das mein, als ich Got und einem Rat wol schuldig war, auch darzu und zoch mich auf den Schaumburgischen Vertrag“ [von 1456].1) Der Ratsschreiber las nun den betreffen­ den Artikel daraus vor, „der laut: wo die geistlichen an der­ selben end pauen wollen, so sollte das nicht höher, wohl aber niederer dann die statmauer erpauet werden, und als ein rat solches höret, da ward im (Schiegg) diser plan abgeschlagen, und hat das zimmer, das hierzu schon gemacht war, verkauften muesen. und sahen mich etlich sauer genueg an, aber die von webern lobten mich“2) — also ein vollkommener Erfolg. Aber nun stehen wir an der Stelle, wo wir Halt machen müssen, um uns zu vergegenwärtigen, wie sich Jäger seit seiner Heimkehr von der Wanderschaft mitten in der Schusterei zu dem „Historicus“ entwickelt hat, mit dessen Werken wir uns später beschäftigen müssen. Indem wir uns nun nach den Ström­ ungen umsehen, von denen er sich dabei treiben ließ, haben wir zunächst auf den Humanismus hinzuweisen, der während der ersten Jahrzehnte des XVI. Jahrhunderts mächtig an Boden gewann und in Augsburg eine seiner hervorragendsten Stätten fand. Hier lebte und wirkte Konrad Peutinger, der Verfasser der Sermones conviviales3), der sich als Haupt der Sodalitas litteraria Augustana weithin großen Ansehens erfreute und durch seine Sammlungen sowie seine zwar etwas schwerfälligen aber gediegenen juristischen und historischen Schriften nach verschie­ denen Richtungen die Wissenschaft in verdienstvoller Weise förderte. Treffliche Philologen wie Mader und Pinicianus be*) Der Artikel des 1456 in den Streitigkeiten zwischen der Stadt und dem Bischof Peter von Schaumburg bezüglich dieses Punktes gefällten Schieds­ spruches ist gedruckt in Bd. II der Augsburger Chroniken, S. 215, Anm. 1. 2) Unter den Gutachten Jägers für die Ratsadvokaten im Jäger-Selekt des Augsburger Stadtarchivs. ®) Zuerst 1506 in Straßburg erschienen; die späteren Ausgaben bei Zapf, Augsburgische Bibliothek, I (Augsburg 1795), S. 151.

10 mühten sich mit Erfolg um die Einführung der Jugend in die Sprache des Livius und Cicero; die Zahl derer, die zu ihrer Ausbildung in den Rechtswissenschaften und humanistischen Disciplinen die italienischen Universitäten besuchten,*) die Schauplätze einer unvergleichlich großen Vergangenheit mit eigenen Augen sahen und als Verehrer antiker Kultur heim­ kamen, wurde immer größer. Hatte man sich in Augsburg schon von jeher gern an die römische Zeit der Stadt erinnert, so blickte man jetzt mit Stolz darauf zurück und vertiefte sich eifrig in die wenigen Quellenstelien der Alten, die darüber An­ deutungen machten oder zu machen schienen. Gleichzeitig er­ wachte aber auch ein von patriotischem Selbstgefühl getra­ genes Interesse für die Urzeit des deutschen Volkes und für die Quellen der mittelalterlichen Geschichte, die man nun, eine nach der andern, ans Licht zog, im Drucke veröffent­ lichte und zur Grundlage eigener Arbeiten machte. Auch in diesem Bereiche war es wieder Peutinger, der durch seine Aus­ gaben des Jordanes, des Paulus Diaconus, seine Mitarbeit an dem von Celtes entdeckten Ligurinus und tiefgreifende Forsch­ ungen Musterhaftes schuf*2) und als wissenschaftlicher Berater Kaiser Maximilians Bedeutendes leistete.3) Allmählich erwärmten sich auch die breiteren Schichten der Bevölkerung für diese Dinge mehr und mehr. Man betrachtete die römischen Alter­ tümer, die ausgegraben und gesammelt wurden, jetzt mit ganz anderen Augen als bisher, der Inhalt des in dem bekannten Bruchstück der Gallica Historia4) sich findende Erzählung von der Varusschlacht bei Augsburg wurde Gemeingut, die Stadtpyr, über deren Ursprung und Bedeutung man schon früh gegrübelt hatte, „besserte“ man auf Anregung des in Italien gebildeten 0 Siehe etwa G. C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna 1289—1562, (Berlin 1898); A. Luschin-Ebengreuth, Vorläufige Mitteilungen über die Gesch. deutscher Rechtshörer in Italien (Wien 1893). a) König, Peutingerstudien (Freib. i. Br. 1914) S. 62 f. 3) Siehe hauptsächlich Th. Herberger, „Conrad Peutinger in seinem Verhältnis zum Kaiser Maximilian I.“ im 15. und 16. Jahresbericht des Hist. Ver. für Schw. u. Nbg. (Augsb. 1851) S. 29 ff.; Buff „Rechnungsauszüge, Urkunden und Urkundenregister aus dem Augsburger Stadtarchiv“ im Jahrb. der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. XIII; König, S. 12 ff. 4) Siehe zu dieser Quelle Joachimsen, Sigmund Meisterlin (Bonn 1895) S. 10 f. — Zu den Drucken: Bd. I der Augsburger Chroniken (ed. Frensdorff) S. 270, Anm. 3.

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Bürgermeisters Wolfgang Rehlinger und des in städtischen Diensten stehenden Künstlers Hans Tirol durch Beifügung des auf einem Kapitäl ruhenden Cisakopf es. *) Seit 1531 erfreute sich die Stadt eines von ihr gegründeten Gymnasiums, an dem zeitweise hervorragende, auch des Griechischen kundige „Schul­ meister“ tätig waren,*2) und als der alt gewordene Peutinger von seinem Stadtschreiberamt zurückgetreten, folgte ihm nach einigen Jahren der als begeisterter und begeisternder Verehrer des klassischen Altertums bekannte feurige Georg Frölich,3) der Verdeutscher des Stobäus, der bei geeigneten Gelegenhei­ ten Reden im Stil der antiken Redner hielt und sich später als Verfasser einer Geschichte des schmalkaldischen Krieges einen unsterblichen Namen gemacht.4) Durch deutsche Übersetzungen klassischer Autoren jeder Gattung und durch Weltgeschichten wie die von Franck und Carion (deutsch) war dafür gesorgt, daß auch der nach Bildung strebende Mann aus dem Volke wenigstens eine Ahnung von der geschichtlichen Größe der alten Welt erhielt, und auch Historien des Mittelalters wie die Ursperger Chronik fanden im Gewand der deutschen Sprache ihren Weg ins Volk. An Möglichkeiten, daß sich ein Handwerker in seinen Mußestunden mit Geschichte beschäftigen und, an die vor­ liegenden Muster anknüpfend, sich zum „Historischreiber“ her­ anbilden konnte, fehlte es also nicht, und wenn je einer, so war es Jäger, der sie mit Ernst und unbeirrbarer Beharrlichkeit aus­ nützte. Er war eben einer der Menschen, bei denen gewisse Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen so stark entwickelt sind, daß sie von diesen, ob sie wollen oder nicht, in das ihnen von der Natur bestimmte Geleise gedrängt werden und, in ihm vor­ wärtsschreitend, trotz aller ihnen entgegenstehenden Hindernisse *) Roth, „Das Aufkommen der neuen Augsburger Stadtpyr mit dem Cisa- oder Cybelekopf um 1540“ in Z.S.N., XXXV, S. 123. 2) S. etwa Joachimsen, „Augsburger Schulmeister und Augsburger Schulwesen in vier Jahrhunderten“ ebenda Bd. XXIII, S. 185 ff. 8) Radlkofer, „Leben und Schriften des Georg Frölich, Stadtschreibers zu Augsburg“, ebenda XXVII, S. 46 ff. 4) Lenz, Briefwechsel Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen, III (Leipz. 1891) S. 527 : Excurs; Radlkofer S. 93 ff.; Roth: Sylvester Raid, der Brand-, Proviant- und spätere Rentmeister des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, und Georg Frölich, der Verfasser der „Historia belli Schmalcaldici“ im Archiv für Reformations-Gesch. IX (1912) S. 1 ff.

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ans Ziel kommen. Die in Jäger steckende Leidenschaft war, wie sich mit jedem Jahr deutlicher zu erkennen gab, die Ge­ schichte — ihr Studium und eigene Produktion. Während Andere seinesgleichen, soweit sie überhaupt lesen konnten und mochten, in der Regel nach einem der alten oder neuen Volks- und Schwank­ bücher griffen, verschlang Jäger, wie er auch früher getan haben wird, auch jetzt mit besonderer Lust Übersetzungen alter „Historischreiber“, Dichter und anderer Autoren, nur daß er, wie es scheint, in seine Lektüre inzwischen mehr Ordnung ge­ bracht und bestrebt war, seine Kenntnisse etwas planmäßiger zu bereichern. Seine Lieblingsautoren waren unter den Römern — »den werden oder edlen Römern“, wie sie von Jäger ständig genannt werden, — der „zierfließende“ Livius, Tacitus, Suetonius, Sallust, Valerius Maximus und Cicero, von den Griechen der „durchlauchtige“ Thukydides, Polybius und Plutarch, dessen Geschichtsauffassung und Personencharakteristik ihm ganz besonders zusagte; außerdem war er auch ein warmer Verehrer des Josephus. Die besseren Übersetzer wollten bekanntlich nicht nur^ einfache Übertragungen aus einer Sprache in die andere bieten, sondern waren auch bestrebt, den Inhalt des übersetzten Werkes der deutschen Empfindungs- und Denkart möglichst nahe zu bringen und dem Vorstellungsvermögen auch der Ungelehrten einigermaßen anzupassen. Sie wurden hierin unterstützt durch die diesen Büchern meist beigegebenen Illu­ strationen, die besonders in den von dem Augsburger Drucker Heinrich Steiner verlegten Ausgaben in der Regel von tüchtigen Künstlern hergestellt waren. Da sehen wir Alexander den Großen in der Tracht und Rüstung eines Landsknechtsobersten, Dido im Staatskleid einer Patrizierin, und um dem Leser das Bild eines römischen Feldlagers vertrauter zu machen, stellt der Zeichner Feldschlangen und Pulverfäßchen, an denen sich Büch­ senmeister zu schaffen machen, vor und zwischen die Zelte. An solchen Büchern mußte Jäger seine helle Freude haben. Von den Geschichtswerken des Mittelalters stand ihm die Ursperger Chronik am höchsten, die ihm als eine Art historisches Evangelium galt; von der neuesten Geschichtslitteratur der Humanisten scheint er fast alles einigermaßen Bedeutende ge­ kannt zu haben, ohne daß er natürlich die Fähigkeit besaß, ihren unterschiedlichen Wert zu schätzen; ihnen nachzustreben, war sein sehnlichstes Verlangen.

13 Um die von ihm begehrten Bücher zur Hand zu bringen, suchte Jäger Fühlung mit den verschiedenen einheimischen Be­ sitzern großer Bibliotheken,1) indem er ihnen zugleich seinen un­ gestümen Wissensdrang und seine literarischen Zukunftspläne offenbarte. So kam er an den Patrizier Matthaeus Langenmantel, den wohl bekannten Städtemann und Chronisten,2) heran, an Raimund Fugger, den kunstsinnigen Sammler klassischer Anti­ quitäten,3) und an Konrad Peutinger. Daß er bei den beiden erstgenannten Herren, die als leicht zugänglich bekannt sind, Gehör fand, ist nicht auffällig. Daß er aber auch Peutinger ge­ wann, der außerdienstlich fast nur mit Angehörigen der Geburts-, Geld- und Geistes-Aristokratie zu verkehren pflegte, zeigt, daß er die Kunst, mit vornehmen Herren umzugehen, von Grund aus verstanden hat, aber auch ihnen gegenüber eine geradezu sug­ gestive Kraft besessen haben muß. Vielleicht wurde Peutinger bestochen von dem naiven Ausdruck unbegrenzter Verehrung, mit der sich ihm der arme Schuster nahte, der in ihm „wie billig“ die Verkörperung der vom Humanismus neu gebornen und veredelten Wissenschaft, und nicht minder das Muster eines ausgezeichneten Staatsmannes und „Mitbürgers“ erblickte. In fast allen seinen Schriften kommt er auf ihn zu sprechen, so gleich in der ersten uns erhaltenen, die sicher von ihm herrührt.4) Er rühmt ihn hier als den „vesten, ehrwürdigen, hochgelerten Herrn Conrad Beuttinger, beider rechten doctor, welcher mit sein selbs lob und großem nutz gemainer statt Augfpurg 48 jar geschworner stattcantzier gewesen, ja durch seine getreue und ver­ traute dienst und erfarenhait dahin kommen, daß bei seiner zeit [auf reichstagen] nicht allein alle churfürsten, wann die etwas sonders gehaims und vertrauts haben handlen wollen, ine *) Über sie: Paul von Stetten d. J., Kunst-, Gewerbe-und Handwerks­ geschichte . . . von Augsburg (Augsburg, 1779) S. 59 ff. 2) Siehe über ihn Bd. VII der Augsburger Chroniken (Leipz. 1917) S. 33 Anm. 3. — Er legte schon früh eine große Sammlung chronikalischer Notizen, Zeitungen und dergl. an, ist der Verfasser einer großen Augsburger Chronik und wahrscheinlich auch der Herausgeber der gedruckten Chronica von viel namhafftigen Geschichten etc., die zuerst 1515 erschienen ist. 3) Siehe zur Antiken-Sammlung Raimund Fuggers: Den bekannten Brief des Beatus Rhenanus an Phil. Puchaimer hinter dessen Rerum Germ. Libr. III (Basel 1531) S. 193; Bursians Abhandlung in den Sitzungs-Ber. der B. Akad. d. W., philos.-philol. Classe, 1874, S. 133 ff. 4) Jägers Beschreibung des Augsburger Pöbelaufstandes von 1524, Bl. 48a.

14 zu einem Schreiber berufft haben, sondern auch bei dem hochloblichen kaiser Maximilian hochloblicher gedechtnus in solchem ansehen gewessen und geliebet worden, daß sein mt., so die­ selben hie gewessen, wenig beratschlagte, davon er nicht zuvor wissen gehapt hat, welches alles nicht allein der statt Augfpurg, sondern auch andern ständen des reichs nicht wenig fürtreglich ge­ wesen . über das alles ist diser Peutinger aller historien und antiquiteten so gantz geübt und geflissen gewesen, (welches dann jedem regenten als ein besonder erfarenheit in allen fürfallen­ den hendlen nützlich dienet), daß menigclich ob seiner löblichen erfarenhait ain besonders gefallen getragen und er deshalben hoch beruembt worden, wie dann die gantze schar alter und neuer scribenten noch heutigs tags von im zeugen . ich hab auch mermalen von im selbs gehöret, daß er 6 ertzfürsten des österreich­ ischen gepluets in rechter succession, als des Friderici, Maximiliani, Philippi, Caroli, Ferdinandi und abermalen Philippi erlebet habe, und daß er auch difes österreichischen geschlechts vierer röm. kaiser und könige: Friderici III., Maximiliani I., Caroli V. und Ferdinandi I. rat und diener gewesen sei.“ Peutinger ließ sich also, wie wir auch sonst wissen, herab, sich mit Jäger in freundliche, auf vergangene Zeiten zurückschauende Gespräche einzulassen, und dieser wird die sich ihm so darbietende Gunst wohl auszunützen gewußt haben. Die zweite Zeitströmung, von der Jäger mächtig ergriffen wurde, war die durch Luthers Auftreten hervorgerufene religiöse Bewegung. Er hatte den großen Wittenberger, der bekanntlich im Jahre 1518 wegen seines Verhörs vor Cajetan einige Zeit in Augsburg weilte, vielleicht selbst noch vor seiner Wanderschaft gesehen. Ob Jäger schon „lutherisch“ zurückkam oder erst nach der Heimkehr von der in der Stadt herrschenden „Lutherei“, die, wie er selbst einmal sagte, schon seit 1520 hier feste Wurzel ge­ schlagen, „angesteckt“ worden, wissen wir nicht; sicher ist nur, daß er sich schon in den frühesten seiner Schriften als gut „evan­ gelisch“ zeigt, also auch in dieser Hinsicht ein Verwandter des Hans Sachs war. Er mag sich über die während seiner Abwesenheit in Augsburg vorgegangenen Veränderungen weidlich gewundert haben,1) und sah nun der weiteren Entwicklung der Dinge mit ') Siehe über diese Verhältnisse Roth, Augsburgs Ref.-Gesch., I (Mün­ chen 1901) S. 88 ff.

15 Spannung entgegen. Vieles von dem, was noch vor kurzem fest­ zustehen schien, als könnte es durch keine Macht der Welt erschüt­ tert werden, war schon zusammengebrochen, anderes kam jetzt ins Wanken. Zeitweise, wie in den bangen Monaten des Bauern­ krieges, schien es, als sollte alle weltliche und geistliche Obrig­ keit zunichte werden. Die altererbte Ehrfurcht vor dem heiligen Stuhl verwandelte sich in kürzester Zeit in die ärgste Verach­ tung, in Haß und Zorn, und der Papst, bisher der Stellvertreter Christi auf Erden, galt jetzt als dessen „Feind und Wider­ sacher“. Mit unsäglicher Geringschätzung sah man herab auf die „nachgriffigen“, habgierigen, der Obrigkeit ungehorsamen, un­ züchtigen „Pfaffen“, die man am liebsten totgeschlagen hätte. All die vielen „Stöße“, die man im Lauf der Zeiten aus den verschiedensten Ursachen mit ihnen gehabt, wurden jetzt wieder lebendig und Manche gebärdeten sich, als wäre ihnen plötzlich eine Binde von den Augen genommen, die sie verhindert, „den schrecklichen Betrug, den die Romanisten Jahrhunderte lang mit dem armen Laienvolk getrieben“, zu erkennen. Desto eifriger wollte man sich jetzt dagegen wehren und Sorge tragen, daß diese „Greuel“ nie mehr aufstünden. Den Kern der Neuerer bildeten die Zünftler, während es unter den Vornehmen und Reichen Viele gab, die noch am Alten festzuhalten versuchten. Der „gemeine Mann“ war fast durchweg „lutherisch“ oder — von 1525 an — zwinglisch. Dies gilt auch von den Schustern. Die Schusterzunft war bisher natürlich ebenso „fromm“ gewesen, wie die andern Zünfte und hatte, obwohl sie zu den „armen“ zählte, auch bei solchen Bräuchen, „die etwas kosteten“, mitge­ tan. Jetzt machte man sich über Vieles, das bisher hoch in Ehren gehalten worden war, lustig, und Jäger stimmte in den hämisch­ rüden Ton, der dabei beliebt wurde, eifrig mit ein. So erzählt er, wie die Schuster, anderen Zünften und sonstigen Korpora­ tionen nachfolgend, im Jahre 1506 einen „wohlbeschlagenen Kerzenkasten“ haben machen lassen. „Diesen kästen stellte man in unser thomkirchen, und gab jeder maister ain steur daran, das ander gab ain zunft aus der bix.1) dise Stangen oder kertzen wurden im jar nun acht tag, den getzen — was sag ich — Gott zu lob, gepraucht . da trieb man große genadigkeit damit, als wenn es ain himmelreich um ain denar were.“ Man benützte sie, l) Schusterchronik Bl. 251 a.

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wie er erzählt, hauptsächlich bei den Prozessionen und das gibt ihm Anlaß zu einer mit widerlichem Spott und plumpen Scherzen aufgeputzten Schilderung des gerade in Augsburg mit besonderer Pracht gehaltenen Fronleichnamumganges und verschiedener damit verbundener Gebräuche. In ähnlicher Art mag er sich gleich Andern auch auf dem Zunfthaus ausgelassen haben, wenn man, was ja oft geschah, auf Religionssachen zu sprechen kam. Als Peter Grill die Zunft „regierte“, im Jahre 1529, kam es, nachdem die Zechmeister verschiedener Kirchen mit Abschaf­ fung „unnützer Stiftungen“ vorausgegangen,1) — sicher zur großen Genugtuung Jägers — dahin, daß die Schusterzunft die ihr nun so widerwärtig gewordenen „zunftstangen und kertzen sampt dem kästen aus der thomkirchen gethan, damit nit ain zunft den pfaffen zu ainer abgötterei ursach geb . und machte es der zunftmaister diser gestalt: es ward ain sauerbeck mit einem langen karren bestellt zwischen ailf und zwelf uhren und hielt vor der hindern kirchthüren, da waß der alt zunftmaister Hans Jäger“ — unsers Jäger Vater — „sampt etlichen maistern darzu ver­ ordnet, die namen die Stangen heraus, legten den leeren kästen auf den karren und fuerten in auff das zunfthaus . also nams ain end, als die Stangen 23 jar in der kirchen gestanden waren und der zunft nicht wenig darüber gegangen . es war unser zunft die erst zunft, die es tett.“ Die Wellen, die das Treiben des gerade in Augsburg sich überaus stark ausbreitenden Wiedertäufertums aufwarf, schlugen natürlich auch in die Schusterzunft hinein und erregten hier wie überall ein heftiges Für und Wider. Jäger schreibt hierzu :2) „Anno 1527 . jar entstand ein feckt, die nennt man die gartenbrueder, die man sunst widertäuffel nant; . . . sie kamen über eins rats verbot vilmal zusamen, das ein rat nit leiden wollt, deshalb fieng man ir vil, und ward der pranger nie 1er; man fieng auf einmal 30 personen . wann mans auf den pranger stellet, so hubents eins teils an zu predigen, man fuerts und Strichs zur statt hinaus3) . ire vorsteer behuelt man in Eisen, et9 S. z. B. die Sendersche Chronik —Augsb.Chron.IV — anno 1526 S. 181. 2) Jägers Chron. in cgm. 2024, Bl. 268 b. 3) Vgl» über das Treiben der Täufer in Augsburg während des Jahres 1527 und die vom Rat gegen sie unternommenen Schritte, etwa Sender, S. 186 ff. — Roth, Augsb. Ref.-Gesch., I, S. 228 ff.

17 lieh warent bis in das viert jar gefangen.1) wann einer wollt hie sein oder ledig sein, so mueßt er öffentlich widerruefen, daß er geirrt hett, und sein glauben verschweren, das nit vil thaten . . . damals was ein Schneider, der nam ein groß, bestendig, christenlich end.2) man hatt groß erbermt mit inen, es was schier ein ehr worden under inen, wenn man auff dem pranger stand. sie redten unsern predigern gar übel, sagten, sie weren mietlingprediger, taugten selber nichts, redten auch unordenlich vom sacrament und [stunden in] irsal. item, vil zöchen gen Straßburg, do mueßten sie [den widerruf] wol thun; hetten sie in hie gethon, so weren sie wol hie bliben. zu München ward ain fromer man, hieß Jörg Wagner, verbrennt, das jemmerlich zu hören ist. geschach umb drei artickel wegen, als nemlich, daß wasser im tauff nit sellig mache, daß kein mensch dem andern verzeihen möchte, sonder Gott thue das, und daß kein mensch Gott in das prot künd bringen, er ward mit vilerlei verhaißung, auch vom fürsten selbs, gebetten, abzustehen, das er alles nit thun wollt . es wär vil zu schreiben von seinem erbermlichen, besten­ digen endt.3) und als er nun verbrennt war, wollt der landrichter mehr fahen, aber er ward morgens todt im bett gefun­ den.“ Man sieht hier, daß Jäger inniges Mitleid mit den wegen ihres Glaubens verfolgten Täufern empfand und sich der all­ gemeinen Bewunderung der Standhaftigkeit, mit der sie das von ihnen aufgenommene Kreuz trugen, nicht zu entziehen ver­ mochte, aber er bezeichnet doch ihre Lehre als „Irrsal“ und „unorden­ lich“ und bedauert an einer andern Stelle, daß man sie in Augs­ burg so tief habe „einwurtzen“ lassen. „Täuferisch“ war Jäger also nicht; das verbot ihm schon, abgesehen von anderm, seine stark entwickelte Überzeugung von der bürgerlichen Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit, mit der die Täufer in so schwere Konflikte gerieten. Was die Frage betrifft, ob Jäger lutherisch oder zwinglisch war, so liegen darüber keine unmittelbaren Äußerungen von ihm vor. Da er aber an verschiedenen Stellen seiner Schriften, *) Gemeint sind die Täufer Jakob Dachser, Jakob Groß und Sigmund Salminger. Zu ihrem „Abschwören“ im Jahre 1531 siehe Roth, 1. c. S. 256. 2) Hans Leupold; er wurde hingerichtet am 25. April 1528. Sender S. 200; Roth, 1. c. S. 250 f. 8) Über ihn schrieb zuletzt: Dorn, Der Sang der Wittenberger Nach­ tigall in München (München 1917), S. 76 ff. 2

18 auch in einer solchen aus seinen letzten Lebensjahren, als Be­ gründer der Reformation immer nur Luther, nie Zwingli nennt, ist wohl anzunehmen, daß er Lutheraner war; der Umstand, daß biblische Citate mit den betreffenden Stellen in der luther­ ischen Bibelübersetzung nicht immer wörtlich zusammenstimmen, darf hier nicht irren, da er Citate häufig aus dem Gedächtnis niederschrieb; mit der Züricherbibel decken sie sich ebenso­ wenig wie mit der lutherischen. Im ganzen finden sich indessen in Jägers Chroniken nicht so viele die Reformation betreffende Stücke, als man vermuten möchte; aber das Meiste, was er darüber schreibt, legt Zeugnis ab, daß er in der „Religion“ nicht wie so viele Andere nur ein neuerungssüchtiger Schwätzer und dem „gemeinen Geschrei“ fol­ gender Verächter des Alten gewesen, wie man vielleicht aus seinen oben besprochenen Äußerungen über Prozessionen schlie­ ßen möchte, sondern daß er wie Hans Sachs den Dingen, um die es sich drehte, so ziemlich auf den Grund zu sehen und für die ungeheure Tragweite der aus der „neuen Lehre“ für das ganze innere und äußere Leben sich ergebenden Folgen ein offenes Auge zu haben glaubte. Er betrachtete die Reformation als eine der Christenheit „durch Gottes Gnade“ geschenkte Befreiung von schweren geistigen, seelischen und zum Teil auch leiblichen Fesseln, deren Abstreifung eine neue, glücklichere Zeit erhoffen lasse. Auch gewöhnte er sich, von diesem Standpunkte aus die geschicht­ lichen Geschehnisse und Zustände der Vergangenheit zu über­ schauen, wobei er überall selbstsüchtige, „tyrannische“ Über­ griffe des Papsttums, „unchristliche“ Entartung des geistlichen Fürstentums und andere verwerfliche Einrichtungen des alten Kirchenwesens, unter denen ihm die der Domkapitel eine der anstößigsten war, zu finden glaubte. So sog er schon früh den unauslöschlichen Haß gegen das Papsttum und das ganze „Pfaffen­ wesen“ ein, der in fast allen seinen Schriften zum Ausdruck kommt. Aber gleich hinter den „Pfaffen“ kamen bei Jäger die Juden, die doch schon vor hundert Jahren aus Augsburg vertrieben worden waren1) und mit ihren Händeln die Stadt nur noch von *) Zur Vertreibung der Juden im Jahre 1440 aus Augsburg siehe Frensdorff im II. Bd. der Augsburger Chroniken S. 374 ff. — Grünfeld, Ein Gang durch die Geschichte der Juden in Augsburg (1917) S. 31 ff.; St einthal, Gesch. der Augsburger Juden im Mittelalter (Berlin 1911) S. 48 ff.

19 außen her „verpesten* konnten. „Pfaffen und Juden“ waren ihm die am Mark der Völker zehrenden Schlangen, die erwürgt werden müßten, wenn man „genesen“ wolle; der Türke stand, scheint es, erst in dritter Linie. Einen Sammelplatz evangelisch gesinnter Handwerker Augs­ burgs bildete damals die dortige Meistersingerschule.*) Eine solche ist schon nachweisbar in der Mitte des 15. Jahrhunderts, dann erst wieder im Zeitalter der Reformation, in dem, 1534, die Singer vom Rate die Erlaubnis erbitten, statt der eine Zeit lang üblichen weltlichen Lieder auch geistliche singen zu dürfen, worauf ihnen zunächst für ihre Zusammenkünfte — an den Sonntagen vor der Abendpredigt — die Barfüßerkirche über­ lassen wurde.*2) Der geistig so regsame, nach allen Seiten seine Fühlhörner ausstreckende Jäger schloß sich der Schule an. Schon aus dem Jahre 1532 sind mehrere Lieder von ihm vor­ handen3) und in einer die Singer von 1535 — 1600 aufzählenden Liste steht er an siebenter Stelle,4)5 so daß er wohl zu denen gehört, die die „edle Singkunst“ in Augsburg zu neuem Leben erweckt haben. Eigentlich dichterische Begabung, wie Hans Sachs und — in geringerem Maße manche Andere — besaß er zwar nicht, doch war er immerhin ein leidlich geschickter Reimschmied, dessen „poetische“ Erzeugnisse sich, an den meistersingerischen Durchschnittsleistungen gemessen, wohl sehen lassen können. Das umfangreichste seiner Gedichte vom Jahre 1540 trägt die Aufschrift: Das Herkommen der uralten des heil. Reichs-Stadt Augfpurg sambt dem Anfang des zünftlichen Regiments, auch Auszug ihrer ge­ nannten Geistlichen und Wiederersetzung der ur­ alten bürgerlichen Geschlecht,6) welches Clement Jäger, rathsdiener alhier, gemacht.6) Es ist dies ein *) Neuerlich schrieb über diese R. Pfeiffer, Die Meistersiflgerschule in Augsburg und der Homerübersetzer Johannes Spreng. 2) Goedeke, Grundriß zur Gesch. der d. Dichtung, II2 (Dresden 1886) S. 252. 3) In Cod. germ. Pal. 680 der Universitätsbibi, in Heidelberg, Bl. 74a—79a. 4) Kainz, Ein Verzeichnis der Augsburger Meistersinger des 16. Jahr­ hunderts (München 1893) S. 5. 5) Siehe hierzu etwa Stetten, Gesch. Augsburgs I S. 351 ff. 6) Handschriftlich an der Spitze des Cod. „Schätze“ Nr. 23 des Augsburger Stadtarchivs, Cod. Aug. 52 der Augsburger Stadtbibliothek (beschrieben von Braun, Notitia hist, litt., IV S. 67 ff.), Aug. 53 der Augsb. Stadt-Bibliothek. 2*

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„Spruch0 in sieben Kapiteln, die ursprünglich, jedes für sich, kalligraphisch und illustrativ hübsch ausgestattet, auf eine mit Papier oder Pergament überzogene Tafel geschrieben waren und wohl der Zunftstube der Schuster als Wandschmuck dienten. Die ersten vier „Tafeln“ haben den Ursprung und die ältesten Zeiten der Stadt zum Gegenstand, wobei Jäger der Ansicht derer folgt, die die Urbewohner der Stadt von Suevus, dem Sohn Tuiskons, abstammen lassen. Auf Tafel V kommt der Dichter durch einen kühnen Sprung aus dem Altertum, das für die Augsburger mit dem Untergang des Römerreichs schließt, in das Mittelalter, um nun sofort über die Errichtung des Zunft­ regiments im Jahre 1368 zu berichten, durch welche die Stadt ihren Feinden, namentlich den Geistlichen gegenüber, festeren Boden gewann; Tafel VI enthält die spätmittelalterliche Augsburger Bischofsgeschichte, den Kern des Ganzen, dessentwegen das Gedicht überhaupt geschrieben worden ist. Jäger erzählt hier nämlich von jedem der in der Zeit von 1368 bis 1543 regie­ renden Bischöfe eine „Tat“, die zeigen soll, wie sehr er der Stadt feindlich gesinnt und schädlich gewesen, und geht dann über auf die Geistlichen überhaupt, die, abgesehen von anderm, sich zuletzt auch noch durch ihren dem Evangelium sich ent­ gegenstemmenden Trotz verhaßt gemacht und, als man diesen zu brechen versucht, weggezogen seien. Die letzte Tafel erzählt den nach der Befreiung von den „Pfaffen“ und von den Juden durch den Augsburger Rat im Jahre 1538 zur Wohlfahrt des Gemeinwesens vorgenommenen Geschlechterschub, der in mancher Beziehung einen neuen Markstein in der Geschichte der Stadt bildete. Was Jäger auf diesen „Tafeln“ darbot, war, vielleicht mit Ausnahme des zuletzt „Gemeldeten“, natürlich ganz und gar nach dem Herzen seiner Zunftgenossen, die auf ihren „kunst­ reichen“ Zunftmeister nicht wenig stolz gewesen sein werden.1) Der „Spruch“ zeigt, daß Jäger, als er ihn schrieb, mit der geschichtlichen Vergangenheit seiner Vaterstadt schon wohl ver­ traut gewesen, und wir müssen daraus schließen, daß er nach seiner Heimkehr von der Wanderschaft die ihm für geschicht*) Dieselbe „Tafel“ oder eine ähnliche überreichte Jäger im Frühling 1543 dem Rate. Bau-Rechnung 1543 (14. April), Bl. 82 b: 32 11 müntz Clementen Jäger, ratsdiener, verehrt von wegen der tafel, so er aim e . rat zu eern vom herkomen diser stat, auch der alten geschlecht und zunften darinnen gemacht hat.

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liehe Studien bleibende Zeit hauptsächlich auf die Erforschung der Augsburger Geschichte verwendet hat. Dabei beschäftigte er sich besonders mit der Urzeit Augsburgs bis zum Untergang des Römerreiches, mit dem Verhältnis der einheimischen Bischöfe und des Klerus zur Stadt, mit der Aufrichtung des Zunftregiments im Jahre 1368 und mit der Geschichte sowie der Genealogie der städtischen Edelgeschlechter — lauter Dinge, die auch in dem „Spruch“ berührt sind. Das Material für seine Studien brachte er in der Weise zusammen, daß er „alle und jede“, von denen er erfuhr, daß sie im Besitz alter Chroniken, „Commentarien“, „Register", Urkunden oder sonstiger historischer Aufzeichnungen seien, aufsuchte, von ihnen entlieh, was er nur immer bekommen konnte, und es so schnell als möglich entweder selbst abschrieb oder durch Bekannte und Verwandte, die hierzu wiHig waren, abschreiben ließ. Außerdem übte er sich auch in der „Beschrei­ bung“ zeitgeschichtlicher, in Augsburg sich abspielender Ereig­ nisse auf Grund mündlicher Erkundigungen, die er sich sehr angelegen sein ließ, wie er auch sonst keine Gelegenheit ver­ säumte, „Wissende“, besonders alte Leute, über diesen oder jenen Vorgang, der ihn interessierte, auszufragen, und zwar so eindringlich, daß er manchen damit lästig geworden sein mag. Von Jägerschen „Historien“, die noch in seiner Schuster­ zeit — also, wie wir sehen werden, noch vor 1540 — verfaßt wurden; sind uns folgende bekannt geworden: 1. Die schon oben erwähnte Beschreibung des wegen eines Barfüßermönches, Johann Schilling, zu Augsburg im Jahre 1524 entstandenen Aufruhrs^ 2. eine in der Hauptsache aus Hektor Mülich abgeleitete große Augsburger Chronik vom Jahre 1536, welche die den Zeitraum 1450—1532 umfassende Schusterchronik in sich schließt.1) 3. Eine merkwürdige Augsburger Chronik vom Jahre 1540, die mit einer ausführlichen Darstellung des Zunftaufstandes von 1368 endet,2) 4. eine „Beschreibung“ der alten Augsburger Geschlechterfamilien nebst einer Geschichte der Herrentrinkstube,3) 5. Vorarbeiten zu einer größeren Genealogie der Fugger, die er für seinen Gönner Raimund Fugger fertigte,4) sowie Entwürfe von Stammbäumen J) Cgm. 2028, schon oben citiert. Cgm. 2024. 3) Im Jäger-Selekt des Augsburger Stadt-Archivs. 4) Hinweis darauf in dem Jäger-Selekt des Reichsarchivs München, Reichsstadt Augsburg Nr. 105, Bl. 7b (siehe unten S. 45). 2)

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anderer alter und angesehener Augsburger Familien — eine Tätigkeit, die ihm Gelegenheit bot, nach und nach mit einer größeren Anzahl vornehmer Persönlichkeiten bekannt zu werden. Endlich ist er auch, wenn unsere anderwärts dargelegten Ver­ mutungen richtig sind, der Bearbeiter der seit Ende der zwan­ ziger Jahre erschienenen Ausgaben der „Chronica von vil namhaftigen Geschichten“, als deren ersten Herausgeber (im Jahre 1515) wir Matthaeus Langenmantel ansehen.1) Man sieht, Jäger steckte damals schon so tief in geschicht­ lichen Studien und Arbeiten, daß die Ausübung des Handwerks unbedingt darunter gelitten haben muß, und doch sollte und mußte er wacker schaffen, um leben zu können. Das stürzte ihn in schwere innere Kämpfe zwischen Neigung und Pflicht. Wohl glaubte e» zuweilen einen Ausweg aus dieser Lage zu sehen, aber schon im nächsten Augenblick zweifelte er daran, daß er sich ihm wirklich eröffnen könnte, weil dies, wie er meinte, für ihn ein allzu großes Glück bedeuten würde; und so wartete er, bald hoffend, bald zagend, von Jahr zu Jahr, bis endlich doch die Rettung kam. Um zu erklären, worauf Jäger eigentlich hoffte, müssen wir, — so seltsam dieser Sprung erscheinen mag — einen rückschauen­ den Blick auf das Augsburger Archivwesen werfen. Über dessen Anfängen im Mittelalter waltete bekanntlich kein glücklicher Stern, denn bei den verschiedenen feindlichen Überfällen und Plünderungen, die die Stadt in den letzten Jahrzehnten des XI. Jahrhunderts erlitt, und bei dem großen Rathausbrand von 1290 ging ihr gesamter, bis dahin angesammelter Schatz an Urkunden und anderem Schriftwerk verloren,2) so daß sie, wie man später oft klagte, aller alten Documente beraubt war, durch die sie den 1) Vgl. S. 13 mit Anm. 2. — Alle hier und weiterhin noch genannten Werke und Schriften Jägers werden an anderer Stelle ausführlich unter Beibringung der nötigen Beweise und Belege der von uns gemachten Angaben besprochen werden. 2) Vgl. z. B. Gassers Annales Augustenses (in Mencken, Script. Rer. Germ. I, Col. 1408), wo es unter 1088 heißt: So schrecklich haben die Feinde damals in der Stadt gehaust, „ut etiam ex archivis rei publicae cuncta tarn civitatis privilegiorum dyplomata, quam tabularum publicarum protecola una cum rerum gestarum annalibus instrumentisque quibuscunque et quae vocant registros aerarii secum avexerint.“ Auch er weiß, daß Vieles davon nach der Burg Rotenfels gebracht worden und, nachdem es nach Jahrhunderten vom Rate endlich zurückgefordert worden, bei einem Schloßbrand zu Grunde ge­ gangen sei.

23 Übergriffen der heimischen Bischöfe und Geistlichen gegenüber ihre vermeintlichen Rechte hätte „bewähren“ können. In späterer Zeit ergaben sich dann weitere Verluste durch die eigene Schuld des Rates, indem man die städtischen Bücher und Akten nicht gehörig verwahrte und die einzelnen Bestände dadurch sehr zersplitterte, daß man den Bürgermeistern, Baumeistern, Einnehmern, Steuer­ herrn, Ungeltherrn, den Pflegern des Spitals, der Kirchen und Klöster, dem Stadtschreiber und Andern das, was sie bei ihrer Amtsführung öfter zum Nachschlagen brauchten, überließ, wobei dieses und jenes Stück infolge Unachtsamkeit der Benützer, Überführung in die Privatwohnung, „Verunglückung“ auf Reisen von Gesandten oder sonst irgendwie verschwand. Dann und wann wurde auch ein Schriftstück von einem besonders Ge­ wissenhaften so gut aufgehoben, daß man es nicht mehr oder nur durch Zufall wieder fand, wie dies z. B. bei einer sehr wich­ tigen Urkunde der Fall war, die im Auftrag König Maximilians 1492 beim Rate deponirt wurde und erst unter seinem zweiten Nachfolger Ferdinand I. wieder ans Licht kam.1) Erst als der Humanismus in weiteren Kreisen historischen Sinn weckte und zeigte, daß Urkunden und historische Dokumente aller Art neben ihrer praktischen Bedeutung unter Umständen auch wissenschaft­ lichen Wert besitzen, begann man, dem alten archivalischen Ma­ terial, das man bisher häufig in Rumpelkammern aufgespeichert hatte, größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, wobei in den Reichs­ städten die Stadtschreiber, denen schon in ihrem eigenen In­ teresse an einer geordneten „Registratur“ gelegen sein mußte, die Führung übernahmen. Bekannt ist, was der berühmte Dichter des Narrenschiffes, Sebastian Brant, als Kanzler J) „Fuggersches Ehrenwerck“, I, Cgm. 895, Bl. 124b: Den im Jahre 1492 zwischen König Ladislaus von Ungarn und König Marimilian geschlossenen Vertrag (Ulman , Kaiser Maximilian I. Bd. I, Stuttgart 1884, S. 113) ließ der letztere durch seinen Kanzler Konrad Stürtzel zur Aufbewahrung im Bau­ meistergewölbe dem Augsburger Rate übermitteln. Er wurde am 18. Juni 1492 in eine „Schindellade“ gelegt, die „biß anno 1548 durch grosse vergessenhait 56 jar lang gestanden; da ist dem rom . kunig Ferdinando gemelter brief, als Sein k. mt. in einem reichstag zu Augfpurg gewesen, überantwurt worden, darob sich Sein mt. hoch erfrewet und gesagt: hetten wir disen brief zu der zeit, als herr Janisch Weyda sich wider uns auffgeworfen, gehapt, so wolten wir allen bischoffen, graven, prelaten und landherren des hungerischen reichs disen brief mit iren insiglen haben sehen lassen, darinnen sie erlernet hetten, was sie uns laut irer Verschreibung zu thun schuldig gewesen weren“.

24 Straßburgs für das Archiv dieser Stadt getan,1) und etwas später machte sein Amtsgenosse Dr. Konrad Peutinger einige Anläufe, um auch in Augsburg eine Besserung zu schaffen,2) kam aber infolge seiner vielen und manigfaltigen Geschäfte während seiner ganzen Amtstätigkeit damit zu keinem nennenswerten Ergebnis. Jäger wollte wissen, es sei zu der Zeit der ersten Versuche, die Peutinger in dieser Sache machte, in diesem vorübergehend die Hoffnung erweckt worden, daß sogar von den als verloren betrachteten ältesten Urkunden der Stadt wenigstens Einiges vielleicht noch erhalten wäre und wieder zur Stelle gebracht werden könnte.3) Es hat, schreibt er, „Graff Georg von Werdenberg“ ungefährlich anno 1489 den Dr. Peutinger offtermalen als einen weiterkanten historicum angeredt und gesagt: „O Peutinger, wärst du in meinem schlosse zu Rottenfels, da wurdest du in zwaien truhen, die in einem alten türm oben in einem gewelb stehen, vil alter Augfpurgischer briefe, die mit gar alten augspurgerischen insiglen versiglet sind, sehen . darauf Peutinger gesagt: gnediger herr, ich wollt die mit lust sehen; bitt E. Gn., mir solches zu vergunnen . darauf er eine bewilligung getan und seinem pfleger zu Rottenfels ge­ schrieben, wenn Peutinger dahin kommen werde, in dahin zu weisen und alles, was er begere, besichtigen zu lassen . auf solches hab er vom herrn burgermeister Hanns Langenmantel, ritter, und Ludwig Hoser erlaubnis erlangt und auf dem zuge auch des rats geschaffte zue Innsprugg verrichtet . und als er seine geschaffte zu Innsprugg verrichtet, sei er dem Arlberg nachgeritten, und wie er ain tagraiß von Innsprugg körnen, da sei ime ein Werdenbergischer pott bekomen, den hab er gefragt, wo er hin wolle, der habe ime geantwortet, er wolle der regierung traurige mär bringen, dann das geschloß Rottenfels sei x) Jac. Wencker, Apparatus et instructus archivorum (Argent. 1713) S. 15. 2) Über Bemühungen Peutingers, das Augsburger Archiv in bessere Ord­ nung zu bringen, berichtet P. v. Stetten der Jüngere in dessen Biographie (Lebensbeschreibungen zur Erweckung und Unterhaltung bürgerlicher Tugend, I, Augsburg 1778, S. 227) und ein Ungenannter im Augsburger Intelligenzblatt für das Jahr 1837 Nr. 5. 8) Aufzeichnung Jägers: „Was herr Doctor Conradt Peuttinger in zeit seines lebens gesagt hat“, geschrieben am 19. Nov. 1554 im J äger-Selekt des Augsburger Stadt-Archivs.

25 seinem herrn in den grundt verbrunen . dessen Peutinger hart erschrocken und widerumben sich gewendet und nach Augfpurg durch das Allgey geritten, als hab Gott recht gewollt, daß dise brieff, so ungezweifflet vil gutes in sich gehalten, widerumben an den tag komen solten . und sind diese brieff zue der zeit des bischoffs Sigefridts (f 1096), als die stat Augfpurg zerstört und verbrennt worden, dahin geflechnet worden . solches ist an seinem tisch, als ich Clement Jäger entgegen gewesen, anno 1539 den sontag nach ostern (13. April) geredt worden“.1) Nachdem Peutinger seiner Vaterstadt fast 44 Jahre lang gedient, kam (1534) an seine Stelle Johann Hagk von Dinkels­ bühl, der hiemit in mancher Beziehung eine böse Erbschaft an­ trat und namentlich beim Aufsuchen früherer Ratserkenntnisse, Ratsverordnungen, öffentlicher Bekanntmachungen und der­ gleichen in große Verlegenheit kam. Er merkte von Tag zu Tag mehr, wie sehr seinem Vorgänger die Geschäfte allmählich über den Kopf gewachsen waren. In den Ratsbüchern „war nit die hundertist Erkentnus“ verzeichnet und war „allain das darein komen, das gar unvermeidlich groß angesehen worden,“ ... so daß „lenger als in zwainzig jarn nit mehr als zwai ratsbücher außgeschriben“ worden sind.2) Die einzelnen Aktenstücke lagen, von Schreibern mundiert, auf den verschiedenen Ämtern, waren da und dort in Aktenfaszikel eingeteilt, in denen 9 Diese interessante Erzählung, die, wie es scheint, auch Stetten (1. c. S. 118) und dem Verfasser des Artikels im A. Intelligenzblatt bekannt war, ist eitel Dunst. Wir weisen, um Anderes zu übergehen, nur darauf hin, daß Peutinger erst im Dezember 1490 in den Dienst der Stadt Augsburg getreten ist (König, Peutinger - Studien S. 8) und die Burg Rotenfels (nach B a u m a n n, Gesch. des Allgäu, II, S. 489) schon 1463, zwei Jahre vor Peutingers Geburt, abgebrannt ist. Wie es sich in Wirklichkeit verhielt, zeigt folgende Stelle eines von Peutinger an Hans Welser (1537) geschriebenen Briefes: „Ich hab von weilundt meinem lieben herrn Jörgen Gossembrot (f 1502) gehört, daß der alte grave Haug von Montfort (f 1491) sich oft berühmbt, er hätte zwo truhen in seinem schloß zue Rottenfels mit alten brieven von Augfpurg, daraus etlich geschlecht hätten ir alt herkomen als wol als etlich graven mögen antzaigen, aber dasselb schloß samt den briven ist verbronnen.“ (Freiherr Joh. Michael von Welser, Welsersche Familiengesch. I, Nürnb. 1917, S. 6; König, Konr. Peutingers Briefwechsel S. 485). 2) So urteilt Georg Frölich in einem Gutachten wegen der Reform der Rats- und Kanzleiordnung im Jahre 1543. Frölich - Selekt im Augsburger Stadt-Archiv. — Die zwei Ratsbücher, die hier gemeint sind, sind die von 1520—1529 und von 1529—1542.

26 man sie nicht suchte, und an brauchbaren Registern, die einen Überblick über diese Dinge gestattet hätten, fehlte es, wie es scheint, fast gänzlich. Der alte Peutinger war dieser Unord­ nung, deren Bekämpfung er schließlich aufgegeben, gewohnt gewesen und hatte sich als ein in ihr grau Gewordener, wenn auch manchmal mit Verdruß, immer wieder zurecht gefunden, aber wie sollte sich ein Neuling hier durchwinden? Hagk war ein fleißiger Mann und suchte sich, um wenigstens der dringend­ sten Not zu steuern, dadurch zu helfen, daß er die am öftesten gebrauchten „Berufe“ und Verordnungen in einen Codex zu­ sammenschreiben ließ, dessen Inhalt von Andern fortgesetzt wurde und dem Forscher heute noch gute Dienste leistet.l) Den andern Mängeln ließ sich nicht so leicht beikommen und mehr und mehr brach sich die Überzeugung Bahn, daß endlich etwas Durchgreifendes geschehen müßte. Zum Glück war der oben erwähnte Bürgermeister Wolfgang Rehlinger ein nütz­ lichen Neuerungen zugänglicher Mann und ließ, um einen Schritt vorwärts zu kommen, mit dem als geschickter „Re­ gistrator“ bekannten Württemberger Jakob von Rammingen ver­ handeln und ihn zur Ordnung des Archivs nach Augsburg be­ rufen. Rammingen war aber nicht in der Lage, dem Rufe folgen zu können und mußte sich begnügen, Hagk eine schriftliche Anweisung zu übermitteln, wie er die Ordnung der Registratur am zweckmäßigsten bewerkstelligen könnte.2) Ob Hagk noch dazu gekommen, damit anzufangen, wissen wir nicht, denn er legte bereits im Jahre 1537, wohl weil er mit der vom Rate durch die Vertreibung des katholischen Klerus eingeschlagenen Politik nicht einverstanden war, sein Amt nieder, worauf der frische, rührige, tatkräftige Georg Frölich dieses übernahm.3) Frölich erklärte sofort, daß er angesichts seiner täglich sich meh­ renden, großenteils äußerst wichtigen Amtsgeschäfte nicht in der Lage sei, die freilich unbedingt nötigen Archiv-Ordnungs­ arbeiten selbst in die Hand zu nehmen, und drang darauf, daß *) Haggs Dekretensammlung in den „Schätzen“ des Augsburger StadtArchivs. 2) Wencker S. 9; Jac. von Ramingen, Von der Registratur etc. (Heidelberg 1571) Bl. B 2 r. 3) Siehe über ihn Radlkofer, Leben und Schriften des Georg Frölich, Stadtschreibers zu Augsburg von 1537—1548 in Z. S. N., Bd. XVII (1900) S, 46 ff.

27 man einen eigenen Registrator hierzu aufstelle. Damit fand er aber keinen Anklang, da inzwischen die Ansicht Platz gegriffen hatte, daß das Nötigste vielleicht einmal von einem Rats­ angestellten im Nebenamt gemacht werden könnte. Da zeigte im Januar 1540 ein dem Rat sehr unangenehmer Vorfall — ein Weinschreiber auf dem Siegelhaus verkaufte „alte Umbgeltbücher“ den Krämern „für Maculatur zu Gestättlen“x) —, daß mit dem bisherigen Zustand unverzüglich gebrochen werden müßte, und, als bald darauf der erste der drei Ratsdiener Hans Tirol*2) zum „Bauvogt“ befördert wurde, wodurch der zweite Ratsdiener zum ersten, der dritte zum zweiten vorrückte und die dritte Ratsdienerstelle frei wurde, beschloß der Rat, diese mit einem Manne zu besetzen, der neben den andern Dienst­ geschäften die nun schon seit so langer Zeit beabsichtigte Ord­ nung des Archives durchführe. Da winkte Jäger, der schon seit lange auf diese Entwick­ lung der Dinge gehofft hatte, endlich die Erlösung. Diese Stelle mußte er um jeden Preis erkämpfen, sonst war er der Schusterei für immer verfallen. Wurde ihm das Amt zuteil, dann brauchte er sich bei seinen historischen Arbeiten nicht mehr mit dem verhältnismäßig ärmlichen Material zu begnügen, das er bisher mühsam zusammengebettelt hatte, dann saß er an den reich fließenden Quellen, nach denen er so oft gelechzt hatte. Freilich stieg er dabei „ab equo in asinum“, vom Ratsherrn zum Ratsdiener herab, aber das wollte er um der damit für ihn ver­ bundenen Vorteile willen gern hinnehmen. Auch Andern konnte dieser „Abstieg“ nicht allzu befremdlich erscheinen, da es ja x) Im jener, als auf dem Siglhauß vil alte ungeltbucher von vil jaren her beiainander lagen, verkauffet der siglschreiber dieselben den kramern und gab das gelt des Menharts, ungelters, weib, der auff dem Siglhauß saß . nun hett aber ain kramer auff dem Perlach auch ain buch vergebens kaufft und auß demselben der von Augfpurg einkomen vom ungelt überschlagen, das ward erst darnach im april offenbar. da schicket man allenthalb umb; wo dise bucher verhanden, da mueßt mans ainem rat antworten . also vleissig was man dazumal mit der statt und gemaines nutz geschefft. (Cgm. 5052, Bl. 394a). — Vgl. Gasser, Col. 1815. 2) Der bekannte Künstler. Siehe über ihn die Einleitung zu dem von A. v. Essenwein herausgegebenen Holzschnitt „Die Belehnung König Fer­ dinands I. mit den österreichischen Erbländern durch Karl V. am 5. Sept. 1530u> die Einleitung zu Bd. VI der Augsburger Chroniken S. 5 und die Chronik des Jörg Breu daselbst S. 68 u. 75.

28 doch fast Herkommen war, daß ein Zunftmeister der Schuster — freilich erst nach längerer Funktion als solcher — bei seinem Abgang mit irgendeinem städtischen Amte versehen wurde.1) So setzte er denn alle Hebel an, um mit seiner Bewerbung durch­ zudringen, und seine Aussichten waren nicht schlecht, da er im Rate, dem er bisher ja selbst angehört hatte, sicher manch guten Freund besaß und auch auf die Fürsprache Peutingers und an­ derer seiner vornehmen Gönner hoffen durfte. Freilich mußte er sich fragen, ob er der ihn erwartenden Aufgabe auch ge­ wachsen sei und die sonst zu einem „Registrator“ nötigen Qua­ litäten besitze. Ein solcher sollte ehlicher Geburt sein, mindestens dreißig Jahre alt, „unverleumdet, unbeschreit und tüchtig ad juramentum et testimonium“ ; das alles traf bei ihm zu. Auch drei der andern Eigenschaften, mit denen ein „Registrator“ nach den Forderungen der Zeit2) begabt sein sollte: „fidelis, taciturnus, diligens“ fehlten ihm nicht. Aber wie war es mit der vierten: „eruditus“? Reichte die Erudition, die er sich durch sein Lesen, Studieren und Schreiben erworben, hier aus? Er scheint nicht ernstlich daran gezweifelt und sich im übrigen der Sprichwörter „beholfen“ zu haben: „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand“ und „Das Amt lehrt den Mann“. Es war der 17. Februar 1541, an dem der innerste Rat der Dreizehn, dem bei derartigen Stellenbesetzungen die Nominie­ rung zustand, unter sieben Bewerbern, von denen natürlich jedem mächtige Protektoren zur Seite standen, die Wahl zu treffen hatte. Jägers Name steht in dem Protokoll dieser Dreizehner­ sitzung an der Spitze der Liste und dabei der Vermerk: „Der ists worden“.3) So wurde Jäger, der Schuster, über Nacht Rats­ diener und der erste Stadtarchivar von Augsburg. Frohen Her­ zens nahm er nun Abschied von seinen Zunftgenossen und ver­ ließ auch nach einiger Zeit seine Behausung, um ein neues Lo­ sament in dem auf dem Perlach stehenden „Beckenhaus“ zu *) Es war, wie Jager in seiner Schusterchronik erzählt, schon früher einmal ein Schusterzunftmeiser zum Ratsdiener bestellt worden. Es war das Hans Wittich, der dieses Amt von 1501 —1504 innehatte; von ihm haben sich in den „Schätzen“ des Augsburger Stadtarchivs etliche amtliche Rechnungs­ bücher erhalten. 2) Wencker, S. 14, 8) Dreizehnerprotokolle des Rates 1540—42, Bl. 80 b. (im Augsburger Stadt­ archiv).

29 beziehen, das ihm der Rat als Dienstwohnung zuwies.1) Eine schöne Zukunft schien nun vor ihm zu liegen; war er doch in der glücklichen Lage eines Mannes, dem es vergönnt ist, eine ihm angeborne Liebhaberei als Beruf betreiben zu dürfen; die Geschäfte, die er außerdem zu verrichten hatte, wollte er gern mit in den Kauf nehmen. 2« Clemens Jäger als Stadtarchivar und Ratsdiener«

Die Wendung, die Jägers Geschick nun genommen, zog auch für seine äußeren Lebensumstände günstige Folgen nach sich, denn die Augsburger Ratsdiener „standen sich gut“, da ihnen außer ihren Besoldungen auch noch viele Sporteln, Gefälle, Verehrungen und andere Vorteile zufielen, so daß ein Gesamt­ einkommen entstand, das bei seinen ehemaligen Genossen hellen Neid erwecken mußte. Die Bestallungsurkunde vom Jahre 1541 war nicht aufzufinden, sondern nur eine nach dem Regiments­ wechsel vom 3. August 1548 nötig gewordene Erneuerung dersel­ ben, die er in Form eines Reverses am 30. März 1549 unterschrieb.2) Sie wird im Wesentlichen den gleichen Inhalt gehabt haben wie die erste und besagt: Ich Clement Jeger, Burger zu Augfpurg, bekenne öffentlich für mich und meine Erben und thu kund allermenigclich mit disem Brieff, daß mich die edlen, vesten, fürsichtigen, ersamen und weisen Herren Statpflegere, Burgermaister und Räte der Stat Augfpurg etc. auf mein bitlich An­ suchen zu irem und gemainer Stat Ratsdiener auff- und angenomen, ich mich auch mein Leben lang frei, wolbedechtlich, wilkürlich und geren zu inen verpflicht und in iren Ratsdiener­ dienst begeben habe also und dergestalt, daß ich ir gehorsamer, getreuer, williger Ratsdiener sein, iren und gemainer Stat Frommen und Bestes bei Tag und Nacht werben und furdern, allen und jeden iren Schaden meines besten Vermögens und Verstands warnen und wenden soll. Insonderheit aber soll und 9 Ratsdekr. 1544, 23. Sept.: „Auf der herren burgermaister fürbringen, was sich zwischen Jren fürsichtigkeiten und den erbaren vorgeem der Becken ains gemachs halben, darein Clement Jeger zu ziehen begert, zugetragen, ist erkannt und gedachten becken angetzaigt, daß sie dem Lachenbecken das ge­ mach aufsagen und nach Ordnung seines bestands dem Jeger in dem zins und gelt, wie Lachenbeck dasselb inngehabt, verleihen sollen“ etc. Bl. 45. 2) Diese Urkunde in der Sammlung von „Bestallungen“ des Augsburger Stadtarchivs.

30 will ich meinem Ratsdienerdienst mit Wartung vor der Rat­ stuben, desgleichen meinen Herrn, den Herrn Pflegern, Burger­ maistern, Baumaistern, Einnehmern und den Räten, auch den Steurherren bei der Stat Steur nach laut der zwaien Aid, so ich järlich derhalben in kleinem und großem Rat mit auffgereckten Fingern schwere, auch sonderlich, wo die Herren Pfleger und Burgermaister in gemainer Stat Sachen und Geschefften beisamen sein, auff alle und jede meiner Herren Pfleger und Burgermaister Bevelch, und was durch sie oder ander aus einem ersamen Rat bevolchen und mir angezaigt wurde, des­ gleichen mit Ratansagen, Geltzelen, Einnemen und Ausgeben, in der Stat Potschafften zu werben, Brief und Bevelch auszetragen, die Geschenck zu antworten und in gemain alles und jedes, was bißher zu meinem Ratsdienerdienst gehörig und gebreuchig gewest oder noch dartzu durch einen ersamen Rat zu bringen für gut angesehen wurdt, treulich, redlich, unverdrossen, willig, gehorsamlich und on alle Geverde meins besten Fleiß, Verstands und Vermögens auswarten und mich nichts dann allain Gottes Gewalt daran verhindern lassen.1) — Und umb auch für solche meine Dienst haben mir wol gedachte meine Herrn, ain ersamer Rat, järlich und ains jeden Jars besonder zu rechter, angedingter Besoldung zu raichen versprochen und zu­ gesagt 100 Guldin reinisch in Müntz, zu Quatember eingeteilt, sambt andern zimlichen und geburlichen Accidentalien und Zu­ fellen, so bisher zu ainem erberen Ratsdienerambt ongefährlich gehört und zuvor von Alter her gewesen sein,2) daran ich, meine Eewirtin und Erben gentzlich benuegt und zufriden sein, nichts weiters weder bei meinem Leben noch nach meinem Tod umb meiner Dienst wegen zu gewarten, zu erfordern noch zu begeren Macht haben sollen, es were dann Sach, daß ich meinen Herrn, ainem ersamen Rat, ain Zeit lang erber, frömbklich und redlich gedient und aber ich von Gott, dem allmechtigen, in des Hand aller Menschen Gewalt steet, in meiner Herren Dienst mit Kranckhaiten beladen oder Alters halben das Ratsdiener­ ambt nit mer versehen noch außrichten kündte und möchte, daß alsdann mich meine Herrn, ain ersamer Rat, zu Underhaltung *) Vgl. die von den Obliegenheiten Jägers allerdings etwas verschie­ denen Pflichten des ersten Ratsdieners Paul Hektor Mair in dessen Biographie im VII. Bd. der Augsburger Chroniken S. X ff. 2) Vgl. ebenda S. XV ff.

31 die übrige Zeit meins Lebens mit meiner Besoldung der obernanten 100 Guldin Müntz und ferrer weiter gar nichts begaben und fürsehen sollen . ich soll und will auch, unangesehen meiner Dienst schuldig sein, wie ander Burger hie Recht zu geben und zu nemen, auch gebührliche Steur und Ungelt nach diser Stat Recht und Freihait gleich andern Burgern zu bezalen. Und wiewol ich mich, als oblaut, mein Leben lang zu wolgedachten meinen Herrn mit dem Ratsdienerdienst verpflicht und kainen Urlaub noch Abschid zu nemen Macht habe, so steht doch bemelten meinen Herren jeder Zeit frei bevor, mich ihres Diensts zu verlassen und beurlauben, wann und welcher Zeit es inen geliebt, unangezaigt ainiger solcher Beurlaubung Ursach, und daß ich nicht weniger soll und will schuldig sein, ain ersamen Rat und gemaine Stat auff ir Begern umb alle meine empfangne Besoldung und verlassen Sachen gnugsamlich zu quittiern . Beschließlich soll und will ich auch alle und jede meiner Herren und gemainer Stat Gehaimnus, die ich jetzt waiß oder noch erfaren mag, insonderhait aber, was gemainer Stat Vermögen oder Einkomen und Ausgeben betrifft, mein Leben lang verschwaigen und verborgen halten . Dem allem und jedem treu­ lich nachzukomen hab ich einen leiplichen Aid zu Got, dem allmechtigen, in disen Brieff mit aufgehepten Fingern gethon, alles getreulich und ungeferlich . Des zu Urkund hab ich mein aigen Insigel wissentlich an disen Brieff gehangen, mich auch dartzu mit aigen handen underschriben. So also war Jäger nun „genietet“. Das waren seine Pflichten, seine Rechte, seine Aussichten. Das Ratsdieneramt war eine Ver­ trauensstellung wie kaum eine andere, die es mit sich brachte, daß der Träger derselben in viele Dinge einen tieferen Einblick erhielt, als mancher Inhaber hoher Ratsherrnämter, so daß man es nur einem ganz verlässigen Mann übertragen konnte. Die Kontrolle der Gelder, die durch seine Hand gingen, war eine nach unseren Begriffen ganz ungenügende und verließ sich in weitgehendem Maße auf die Ehrlichkeit des zu Kontrollierenden.1) *) Um so unnachsichtiger verfuhr der Rat gegen solche, die dieses Ver­ trauen mißbrauchten. Das mußte schon der „Ratsknecht“ Erhard Tott erfahren, der Schwiegervater des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, der im Jahre 1449 gehenkt wurde, später der Ratsdiener Veit Mair, der 1571 enthauptet wurde, der Bauschreiber Ambrosius Hagk, der 1567 am Galgen endete, und endlich auch Paul Hektor Mair, den 1579 das gleiche Schicksal traf.

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Das Verhältnis des Ratsdieners zu den einzelnen Ratsherren scheint im allgemeinen angenehm und freundlich gewesen zu sein. Der „Diener“ konnte den „Herren“ manchen Gefallen er­ weisen, zu dem er nicht verpflichtet war, und mancher „Herr“ dem „Diener“ Vorteile zukommen lassen, auf die dieser keinen Anspruch hatte. Im dienstlichen Verkehr nach aussen war von Jäger ein „gemessenes“ Gebaren zu beobachten, wie es einem im Namen des Rats Sprechenden und Handelnden geziemte, fremde Herren hohen Standes, denen er schriftliche und münd­ lich Mitteilungen des Rates zu übermitteln oder, von Trägern begleitet, Geschenke — meist Wein und Fische — zuzustellen hatte, mußte er mit gebührender Reverenz zu begrüßen und mit ihren Titeln anzureden verstehen. Der Hauptsache nach aber war er als Pedell verwendet, wozu er sich seiner langen Beine wegen gut eignete, und als Ausrufer öffentlicher, von den Stadt­ pflegern oder den Bürgermeistern erlassenen Bekanntmachungen. Bei der Verkündigung von wichtigen Dingen und bei festlichen Anlässen erschien er, wie es Brauch war, bald zu Roß, bald zu Fuß, in reicher Heroldstracht — in goldbrokatnem, gefranstem Überrock mit dem Reichs- und Stadtwappen auf der Brust, den reichgezierten Heroldstab in der Hand —, in welchem Aufzug er sich anscheinend sehr wohl gefiel.1) Allem nach, was wir von Jäger wissen, versah er sein Amt mit großer Gewissenhaftigkeit und tat lieber etwas zu viel als zu wenig, weshalb er bei Andern, die dadurch in den Schatten gestellt zu werden fürchteten, nicht recht beliebt war. Jäger stand dienstlich in engsten Beziehungen zu dem ersten Ratsdiener, dem etwa siebzehn Jahre jüngeren Paul Hektor Mair, der, wie er, von einer leidenschaftlichen Liebe für die Geschichte „besessen“ war, im Laufe der Zeit eine bedeutende Bibliothek zu 8ammenbrachte, eine größere Anzahl von Handschriften käuf­ lich erwarb, andere, die er leihweise zu Händen brachte, nebst einer großen Menge, viele Bände füllender Akten für sich ab­ schrieb oder abschreiben ließ und später Chroniken, Memorybücher, Fechtbücher und anderes „zusammentrug“.2) Es ist selbst*) Er ließ sich in mehreren, der von ihm verfaßten Prachtwerke — so auch an der Spitze des VII. Buches in „Fuggers“ Österreichischem Ehren­ werk in Heroldstracht darstellen. 2) Siehe zu Mayrs Handschriftensammlung und Bibliothek die Einleitung zu Bd. VII der Augsb. Chroniken S. XLVII, XLVIII ff.

33 verständlich, daß sich diese beiden Männer, die amtlich so viel mit­ einander zu verkehren hatten, auch in ihren Liebhabereien zusam­ menschlossen und einer den andern an seinen gesammelten Schätzen und gefertigten Arbeiten Anteil nehmen ließ, so daß hierin an­ scheinend eine die Grenzen von Mein und Dein fast verwischende Gütergemeinschaft entstand. Immerhin war dabei Mair im Vor­ teil, da er in diesen Dingen um 1540 erst Anfänger war, wäh­ rend Jäger, wie wir sahen, doch schon Verschiedenes geleistet hatte; auch überlebte er den Genossen und konnte von dessen Büchern und handschriftlichem Nachlaß manches an sich bringen, das er nachmals auszubeuten und gut zu verwenden wußte. Wie die Beiden dabei innerlich zu einander standen, ist uns nicht bekannt; die einzige Andeutung aber, die wir über diesen Punkt haben, legt die Vermutung nahe, daß Mair, der, wie wir wissen, mit „gefarlich® erworbenem Gut auf großem Fuße lebte *) und sich von Haus aus als den „Vornehmeren® fühlte, auf die Jäger als Historiker zuteil werdende Anerkennung eifersüchtig war lind sich über die großen Worte, zu denen sich dieser bei seiner Schriftstellerei zuweilen verstieg, lustig machte.*2) Soviel hier über Jägers Ratsdienerstellung im allgemeinen. Für uns ist eigentlich nur wichtig, wie er sich in ihr mit seinen ihm eine zeitlang nebenamtlich zugewiesenen archivarischen Ordnungsarbeiten, die ja auch ihm die Hauptsache waren, abgefunden hat. Wohl konnte er dabei wahrscheinlich die für Hagk ausgearbeitete Anleitung Rammingens benützen, und auch an Anweisung von Seite des Stadtschreibers wird es nicht gefehlt haben, aber es war doch ein recht kühnes Unternehmen, an das er sich hier heranwagte. Wo und wie sollte er, der Schuster, der bisher kaum dann und wann eine Ur­ kunde oder ein Aktenbündel — bei seinen Familiengeschichts­ forschungen — zu Gesicht bekommen hatte, gelernt haben, mit solchen Dingen umzugehen ? Schon das Entziffern der alten Schriftcharaktere mußte ihm Schwierigkeiten machen, und an ein Verständnis in lateinischer Sprache abgefaßter Produkte war bei Bd. VII der Augsburger Chroniken S. XVIII ff. 2) In einer für Mair gefertigten Abschrift des Consulatbuchs (Aug. 171 der Augsburger Stadtbibi.) Bl. 21 a macht Mair zu einer Stelle des Buches die Glosse: „Du ainfäldigs schaff, wie herstu dich so gern selber reden!“ 3

34 ihm angesichts seiner ganz dünnen Kenntnisse im Lateinischen,1) nicht wohl zu denken, ja schon die Bestimmung des Datums war für ihn oft ein Ding der Unmöglichkeit. Darüber, daß er ohne fremde Hilfe nicht würde auskommen können, war er sich vom Anfang an klar, und er war eifrig darauf bedacht, sich solche zu sichern. Er ließ sich die bei der Datierung am häu­ figsten vorkommenden lateinischen Wörter und Ausdrücke auf einer Art Tabelle in deutscher Uebersetzung zusammenstellen,2) erbat von seinen „lateinischen“ Bekannten in der Kanzlei und verschiedenen seiner Gönner Verdeutschung einzelner Urkunden­ stellen und ganzer Schriftstücke und scheint, wie es seine Art war, auch sonst nichts versäumt zu haben, was ihm bei seiner Arbeit nützlich sein konnte. Im Übrigen hatte sich seine Tätig­ keit nicht auf alle archivalischen Bestände zu erstrecken. Die Inventarisierung der bei den einzelnen Ämtern liegenden Sachen wurde von diesen selbst vorgenommen, so daß er sich nur um die «älteren Produkte zu kümmern brauchte, die man in der Kanzlei und sonst selten benötigte „und zu oberst im Rathaus under den Dächern . . . durcheinander geworfen“ hatte. Er begann mit seiner Arbeit im Juli 1541 und war nach zweijährigem Schaffen, das er wohl während der Winterzeit hatte unterbrechen müssen, fertig. Am 3. August 1543 konnte er den Bürgermeistern die „Inventur“ vorlegen,3) wobei er als ein Mann, der sein Licht nicht unter den Schäffel zu stecken pflegte, nachdrücklich hervor­ hob, wie große Mühe und wie viel Fleiß er darauf gewendet; und wir dürfen ihm das glauben, denn war die „Inventur“ schon an sich mühsam und zeitraubend, so galt dies für ihn, den Un­ kundigen, doppelt. Was er so zustande gebracht, darf natürlich nicht im entferntesten mit dem heutzutage an solche Arbeiten anzulegenden Maßstab gemessen werden. Es weist, wie nach dem oben Angedeuteten gar nicht anders sein konnte, schwere Mängel auf, indem im besondern viele in einem Bündel ver*) Eine andere Glosse Mairs gilt gleich dem einleitenden Satz des Consulatbuches, wo auf Ciceros Paradoxa Bezug genommen wird. Hierzu bemerkt Mair: „Der Clement Jeger, schuster, ain ratsdiener, hat das buch gemacht, gebraucht sie (= sich) vil lattein und kan doch gar kainsu. 2) Im Jäger-Faszikel des Reichsarchivs in München, Fol. 16. 8) „Register gefundener Sachen a° 1543, 30. augusti“ (Einleitung), im Jäger-Seiekt des Augsburger Stadtarchivs. — Vgl. Dirr, CI. Jäger, 1. c. S. 13 ff.

35 einte Stücke, bloß weil die Feststellung des Inhalts zu weitläufig oder zu schwierig war, nur summarisch erwähnt, allerlei Be­ merkungen, die in ein solches Verzeichnis nicht gehören, selbst­ herrlich eingefügt sind und bei sehr vielen Urkunden nur die Jahrzahl, nicht auch — wir wissen warum — der Tag der Ausstel­ lung angegeben wird. Immerhin genügte das Verzeichnis den Absichten des Rates. Man wußte jetzt doch ungefähr, was an alten Urkunden, Dienstbüchern und Akten vorhanden war,1) und konnte, da Jäger das Vorgefundene nicht nur gesäubert und ver­ zeichnet, sondern auch, systematisch abgeteilt, in Truhen und Fächer gelegt hatte, was man suchte, verhältnismäßig leicht zur Hand bringen. So hatte Jäger den Grund zu einem einiger­ maßen geordneten Archiv und einem Repertorium gelegt, wäh­ rend man bisher nur eine wüste, gänzlich unübersichtliche Akten­ rumpelkammer gehabt. Das von ihm Geordnete wurde wohl schon jetzt in dem Raume des Rathauses untergebracht, den man später, seit 1548, als Stadtpflegergewölbe bezeichnete. Wie sehr der Rat mit dem, was Jäger hier geleistet, zu­ frieden war, zeigt die für jene Zeit sehr ansehnliche „Verehrung“ von zwanzig Gulden, die man ihm schon auf Weihnachten 1542, „umb daz er die alten Brieff und Register ersucht und registriert hat,*8 zuteil * * * werden ließ.2) Er hatte also wohl bestanden und seinen Protektoren keine Schande gemacht. Hand in Hand mit der Inventarisierung hatte er aber auch für sich gearbeitet, indem er aus den ihm zur Hand gekommenen Archivalien Auszüge machte und viele Schriftstücke abschrieb. Er wußte nun aus eigener Anschauung, wie das Material aussieht, aus dem der „wahrhafftige Geschichtschreiber“ sein Werk aufbaut, und hielt sich nun für stark genug, die neu erlangten Kenntnisse sofort schaffend zu verwerten. Der Zugang zum Archiv scheint ihm auch weiterhin offen gestanden zu haben und auch bei dem in den nächsten Jahren durchgeführten weiteren Ausbau des städtischen Archivwesens 3) wird er irgendwie beteiligt gewesen sein. *) Dirr, „Studien zur Geschichte der Augsburger Zunftverfassung* etc. in ZSN. XXXIX (1913) S. 162. 2) Baumeisterbuch 1542, S. 79 a: „Samstag post nativitatis Christi (30. De­ zember): Jtem 20 gülden Clementen Jeger, ratsdiener* etc. (Augsb. Stadt-Archiv). 8) Über diesen geben verschiedene Schriftstücke, Nr. 196, 197» 199, in einem Copialband der Augsburger Stadtbibliothek Aug. 123 Aufschluß. 3*

36 In der nächsten Zeit, bis Ende 1544, entfaltete Jäger einen geradezu aufreibenden Fleiß, indem er, trotzdem ihm auch jetzt für seine geschichtlichen Arbeiten nur die Mußestunden zur Verfügung standen, nicht weniger als vier bzw. fünf große historische Werke, zum Teil mächtige Folianten, zustande brachte. Es sind 1. das Bürgermeisterehren- oder Consulatbuch,1) 2. das Zunftehrenbuch gleichen Inhalts, nur mit anderer Vorrede,2) 3. das Vogtbuch,3) 4. die Weberchronik,4)5 5. das Herwartsche Ehrenbuch.6) Die vier ersten Werke bewegen sich auf dem Boden der oben erwähnten stadtgeschichtlichen Studien und spiegeln so recht den tapferen Geist, der damals die Augs­ burger Bürgerschaft beseelte. Die ihren Kern bildenden Zünftler erklommen eben damals unter Führung des Kürschners und Kaufmanns Jakob Herbrot6) den Gipfel ihrer Macht im Innern und ihres politischen Ansehens nach außen. Der Handwerker war vielfach zu Wohlstand, der Kaufmann zu Reichtum ge­ kommen und mit Stolz sah man zurück auf den zur Höhe heraufführenden Weg, den man seit der nun fast 180 Jahre zurückliegenden Aufrichtung des Zunftregiments gegangen war. Man fühlte sich jetzt, nachdem der Bischof und die der Menge verhaßte Geistlichkeit endlich weggezogen,7) mit großem Behagen als alleinigen Herrn im Haus und verglich selbstbewußt das heimische Gemeinwesen gern mit der altrömischen Republik, deren Verfassung jener der Stadt Augsburg „in Vielem so ähn­ lich sei®. Indem Jäger solchen Gedanken Ausdruck gab, kam er zu einer überschwänglichen Verherrlichung des Zunftwesens, der auf diesem beruhenden demokratischen Verfassung oder „des freien Stands®, wie man damals sagte, und des die Welt mit neuer Kraft beglückenden Evangeliums, das nun endgiltig über das „abgöttische® und der Stadt so „verderbliche®, seit alten 1) Dirr, CI. Jäger, 1. c. S. 1 ff. 2) Ebenda S. 2. 3) Ebenda S. 1, 9. 4) Ebenda S. 7 f. 5) S. 15 f. 6) Über ihn Hecker, „Der Augsburger Bürgermeister Jakob Herbrot und der Sturz des zünftischen Regiments in Augsburg“ in ZSN. I (1874) S. 34 ff. 7) Im Januar 1537.

37 Zeiten ihre Existenz gefährdende „Pfaffentum® gesiegt. Das Herwartsche Ehrenbuch aber ist der erste größere Nieder­ schlag seiner ausgedehnten Forschungen auf dem Gebiete der Augsburger Geschlechtergeschichte. Das Bürgermeisterehrenbuch und das Vogtbuch präsentierte Jäger am 2. Januar 1546 als Geschenk dem Rate, der sie durch seine Advokaten Dr. Claudius Pius Peutinger, den Sohn des alten Dr. Konrad, sowie Dr. Lucas Ulstat prüfen ließ, und, als das Urteil lautete, daß die Bücher „nutz und gut“ seien, dem Verfasser die außerordentlich hohe Summe von 230 Gulden als Ersatz seiner Kosten und als „Verehrung“ auszahlen ließ.1) Für das Herwartwerk ist jedenfalls der damalige Familienälteste, der Bürgermeister Georg Herwart, aufgekommen, für die Weber­ chronik die Zunft der Weber und auch das Zunftehrenbuch wird für Jäger keine taube Nuß bedeutet haben. Aber die Hauptsache war: Er durfte sich nun als aner­ kannten Geschichtsschreiber seiner Vaterstadt fühlen und betrat damit in seiner Entwicklung als Historicus die zweite Staffel. Wenn der Rat bei der Bestimmung der Jäger zuzusprechen­ den Summe auch auf den Ersatz der Kosten Rücksicht nahm, so war hierzu guter Grund vorhanden, denn die ihm dargebo­ tenen Werke waren — wie auch die andern von uns genannten — äußerlich überaus prächtig ausgestattet, reich mit Wappen und anderm Bilderschmuck geziert und von einem qualifizierten Kunst­ schreiber geschrieben, so daß die dafür erwachsenen Auslagen allerdings ziemlich beträchtlich gewesen sein müssen. Da drängt sich nun die Frage auf: wie kommt Jäger, der noch vor ein paar Jahren mit dem Schusterhammer hantiert hatte, dazu, so kostspielige Prachtwerke herzustellen, hierzu gute Maler zu ver­ wenden und einen eigenen Schreiber zu halten ? Unsere Antwort *) Ratsbuch 1546, Samstag, 2. Januar, S. lb : „Eodem die hat Clemens Jeger ainem ersamen rate zway bücher, deren ains er das consulat- und das ander das vogtbuch nennet, vereert und überantwort. und dieweil wolgedachter ain ersamer rate die herren doctores, herrn Claudium Pium Peutinger und herrn Lucas Ulstat, deshalben verhört und sie dieselben pücher für nutz und gut achten, so ist erkannt, daß man ime, dem Jeger, den uffgewandten costen entrichten und darzu ain statliche vereerung thun soll44. — Die Ausbezahlung des Geldes ist verzeichnet im Baumeisterbuch 1546, Bl. 66a (Augsb. Stadt­ archiv).

38 ist: Er dankte dies der Freigebigkeit des Hans Jakob Fugger, dem Sohne des oben1) erwähnten Raimund. Hans Jakob Fugger, der zweite große Mann in der Ge­ lehrtenwelt Augsburgs, dessen Gunst sich Jäger inzwischen er­ worben hatte, spielt in dessen Lebensgang eine so hervorragende Rolle, daß wir bei ihm einen Augenblick verweilen müssen. Er war 1516 geboren,2) also etwa ein halbes Menschenalter jünger als Jäger, hatte italienische, spanische, niederländische und andere fremde Hochschulen besucht, sich in den humanistischen Wissen­ schaften, der Jurisprudenz und allen Zweigen damaliger gelehrter Bildung gründliche Kenntnisse erworben und zeigte sich nach Beendigung dieses Studienganges erst recht erfüllt von dem heißen Drang nach weiterer Vervollkommnung seiner Kenntnisse, so daß er schon als zwanzigjähriger Jüngling die Aufmerksam­ keit namhafter Gelehrter auf sich zog. 1538 trat er pro forma in das Geschäft Anton Fuggers ein, 1540 verheiratete er sich, zwei Jahre später wurde er in den kleinen Rat der Stadt ge­ wählt und muß, wenn nicht schon früher, spätestens in dieser Zeit, mit Jäger bekannt geworden sein. Dieser brachte dem auf­ gehenden Gestirn natürlich sofort seine Huldigung dar und wenn er ihn in seinen Lobeserhebungen als Gelehrten auch nicht ganz auf die gleiche Stufe mit Dr. Peutinger stellte, so rühmte er ihn später mit desto größerer Begeisterung als Sammler und Grün­ der einer herrlichen Bibliothek,3) wobei er deren Stand von ca. 1560 im Auge hat. Hier stehen, schreibt er,1) „ nicht nur Werke S. S. 13. 2) Eine Biographie des Mannes in P. v. Stetten d. J., Lebensbeschrei­ bungen zur Erweckung und Erhaltung bürgerlicher Tugend, I, S. 87 ff.; W. Maasen, H. J. Fugger (1516—75), herausgegeben von P. Ruf, 1922. — Stäuber, Das Haus Fugger (1900) S. 64 ff., 114 ff, 163; Meyer, Chron. der Familie Fugger (1902) S. 39 ff.; Über seine Haltung zu den religiösen und politischen Wirren seiner Zeit: Roth, Augsburgs Reform. - Geschichte IV (München 1911) S. 500 ff. und Reg.; über seine Tätigkeit als Hauptleiter der Fuggerschen Firma nach Anton Fuggers Tod: Ehrenberg, Das Zeit­ alter der Fugger I (1896) S. 171 ff.; über Fugger und seine Bedeutung als historischer Schriftsteller: Riezler, Gesch. Baierns, IV (Gotha 1899) S. 427 ; über Fugger als Gelehrter und Sammler einer großartigen Bibliothek: Otto Hartig, Die Gründung der Münchener Hofbibliothek durch Albrecht V. und Hans Jakob Fugger (München 1917) S. 32 ff., S 193 ff. und die S. 194 Anm. 5 angegebene Literatur. *) Hartig, S. 193 ff. 1)

39 theologischen, juristischen und medizinischen Inhalts, Chroniken und Historien, sondern auch solche, die dienlich zur „warhaften Philosophie“ sowie „andern Tugenden, Künsten, guten Sitten“ und allem andern, was dem Menschen an Leib und Seele „nütz­ lich und auf erbaulich“ ist, zum Teil „ganz künstlich gebunden“. Ferner findet sich hier eine Anzahl Bilder von allerlei Consuln, Diktatoren und Haubtleuten der Römer, italienischen und deut­ schen Königen und Kaisern, „nach rechter Kunst und Eigen­ schaft gerissen, gemalet, gegossen“. Desgleichen eine treffenliche Summa von Conterfattungen großer und kleiner Stätt, Schlösser und Festungen, welche in Deutschland, Italia, Frank­ reich, Hispania und gar an dem Indus gelegen sein. Und nicht minder prächtig ist die Sammlung von etlich viel tausend Wap­ pen alter Geschlechter und hoher Potentaten, so durch das gantz Italien, Teutschland, Frankreich durch eigne Meister des Mal­ werks mit iren eigentlichen Farben durch dises Herrn Fuggers Unkosten und Verlegen in hoher Zahl zusammengebracht wor­ den“. Ferner sind Stammtafeln „von allerlei Königen, Fürsten, Grafen und Familien vom Adel, der Kunst und Wahrheit nach“ vorhanden und kostbare Astrolabien, „darinnen der ganze Him­ mels Lauf künstlich und artig gericht . In Summa, daß ichs in einem sage: diese Fuggersche Bibliotheca ist ... ain Lust­ garten“, der alles birgt, was der Mensch zu seinem geistigen, sittlichen und staatlichen Leben bedarf. Möge sie und ihren Stifter der allmächtige Gott allergnädigst bewahren und erhalten I1) Und all diese hier aufgehäuften, von kundiger Hand wohl ge­ ordneten Schätze2) dienten nicht nur dem glücklichen Besitzer zur „Ergötzung“ und Belehrung, sondern waren auch manch Anderem für seine Studien zugänglich. Fugger hielt diese Ver­ günstigung für eine Pflicht, denn er hatte es sich zu einem seiner Ziele gesetzt, alles, was der Wissenschaft nützen könnte, nach Kräften zu fördern. Fugger war jedoch trotz seiner Neigung zu den Wissen­ schaften und seiner Vorliebe für die Bücherwelt nicht etwa ein unpraktischer, dem öffentlichen und Alltagsleben fremd gegen*) Fuggerchronik in Cgm. 2278, BI. 31a. Vgl. Hartig, S. 36 Anm. 1; ebenda S# 44 f. das Urteil Jakob Stradas über Fuggers Bibi. *) Hartig S. 223 ff.

40 überstehender Mensch, sondern hatte im Gegenteil für das Wirk­ liche und Reale ein scharfes Auge und wußte, 8wenn er gleich keinen Tropfen Wein trank®, auch die derberen Freuden, die ihm sein Stand und sein Reichtum boten, wohl zu genießen.1) Wenn er sich später, als er der Leiter der Firma Fugger ge­ worden, als solcher schlecht bewährte, so hat dies seinen Grund nicht in Abneigung vor Geschäftlichem, sondern einfach darin, daß er bei seiner Vielseitigkeit und der dadurch veranlaßten Zersplitterung der Kräfte nicht die Zeit fand, seinen kauf­ männischen Pflichten die Sorgfalt zuzuwenden, die verwickelte und schwer übersichtliche Geschäfte unbedingt verlangen. Die Entwicklung der politischen und der in jener Zeit damit so eng verknüpften religiösen Verhältnisse in nah und fern verfolgte er mit größter Aufmerksamkeit. Er benützte den auf das beste organisierten Nachrichtendienst seiner Firma, um sich über alles, Großes und Kleines, rasch und sicher zu informieren, nützte auch seine überaus reiche Privatcorrespondenz und die vielen Unterredungen, die er mit Personen aller Länder und Stände zu pflegen hatte, zu diesem Zweck aus, ließ eingelaufene Nach­ richten, die ihn besonders interessierten, zum Sammeln ab­ schreiben oder schrieb sie selbst ab, wie er ja zuweilen sogar Unterhaltungen mit gut unterrichteten Persönlichkeiten, unmittelbar nachdem diese von ihm weggegangen, auf nZetteln® nieder­ schrieb.2) So konnte er sich, was den Einblick in das die Zeit­ geschichte bewegende Getriebe betrifft, mit jedem Berufspolitiker messen, und wie er auf Grund gesammelter Nachrichten, Zei­ tungen und Kundschafter^erichte eine treffliche, insbesondere durch Verlässigkeit ausgezeichnete Geschichte des schmalkal*) Als im Jahre 1553 zwischen Hans Jakob Fugger und dem Dichter Mameranus aus ziemlich unbedeutendem Anlaß ein äußerst erregter, giftiger SchriftenWechsel entstand, wurde Fugger von dem Dichter, der sich gern als Tugendbold gerierte, geradezu als der verrufenste Weiberjäger der Stadt hin­ gestellt, ein Vorwurf, den Fugger nicht in überzeugender Weise zurückwies, wie er auch nicht wagte, Mameran deswegen gerichtlich zu belangen. (Akten­ stücke in Cod. 2634 der Wolfenbüttler Bibi. Bl. 99 ff.) S. zur Sache: MaasenRuf, Jakob Fugger, S. 79 f. 2) Solche Schriftstücke haben sich in verschiedenen Sammelbänden des Geheimen Haus- und Staatsarchivs in München und in einigen Cod. der Serie „Kirche und Schule“ des Reichsarchivs daselbst erhalten.

41 dischen Krieges verfassen konnte,1) so hätte er auch noch über viele andere bedeutende Ereignisse seiner Zeit2) erschöpfend schreiben können, ohne anderes Material als das von ihm selbst beschaffte benützen zu müssen. Aber Fugger begnügte sich nicht mit dem politischen „Wissen“, sondern wollte auch als Politiker handeln, jedoch nicht wie jene, denen es dabei hauptsächlich darum zu tun ist, ihre Person in den Vordergrund zu stellen, sondern ganz in der Stille, je stiller, desto lieber. Wenn er in irgend einer politischen Sache, für die er Interesse hatte, seine „Meinung“ zur Geltung bringen konnte, so tat er es und später, als er dem 1548 vom Kaiser in Augsburg eingesetzten „Herren“- oder „Hasenrat“ angehörte, entwickelte er sich allmählich sogar zum dirigierenden Politiker seiner Vaterstadt und scheute, wo es die Sache zu er­ fordern schien, jetzt auch vor einem öffentlichen Hervortreten nicht mehr zurück. Immerhin wissen wir von dem, was Fugger als Politiker getan, nur das Wenigste, denn Vieles, was darüber Aufschluß geben könnte, namentlich „Geheimes“, das ihm schrift­ lich zugebracht wurde, übergab er dem „Vulcanus“, wie er auch seine vertrauten Correspondenten, denen er Wichtiges zusandte, häufig bat, dieses sogleich zu vernichten. In der „Religion“ war Fugger ursprünglich nach außenhin neutral; namentlich machte er als Mäcen keinen Unterschied, ob einer papistisch, lutherisch, zwinglisch oder schwenkfeldisch war; innerlich aber war er, wie bis dahin alle Fugger, dem alten Glauben zugetan und es ist sicher, daß er die völlige Unterdrückung und Vernichtung der Neuerer mit Freuden be­ grüßt und, wenn hiefür Aussicht gewesen wäre, die Hand gern dazu geboten hätte. Er ließ es sich angelegen sein, sich mit der Zeit in seinem katholischen Standpunkt immer mehr zu festigen, die Lehren der alten Kirche streng theologisch zu erfassen und sich, wo Zweifel aufkamen, durch Einholung von Belehrungen katholischer Kirchenmänner Klarheit zu verschaffen.3) *) Siehe über dieses Werk: Viglius van Zwichem, Tagebuch des Schmalkaldischen Donaukriegs, ed. Druffel (1877) S. 20 ff.; Kirch, Die Fugger und der schmalkaldische Krieg (Studien zur Fuggergesch., ed. Jansen, V.( (1915) S. 145; Hartig S. 199; Maasen-Ruf S. 70 f. 2) Siehe z. B. die Fuggerschen Briefe in Papiers d’^tat du C. de Granvelle, VII (1849), VIII (1850), die bei Hartig S. 219 Anm. 7 erwähnt sind. 3) Verschiedenes der Art in der Sammlung „Kirche und Schule“ des Reichsarchivs München, Bd. XX, XXII.

42 Schließlich wurde er zum katholischen Parteimann, der nament­ lich auf den ihn enger Freundschaft würdigenden bayerischen Herzog Albrecht von Bayern in Religionsachen größeren Ein­ fluß geübt hat als man bisher ahnte, und sich z. B. bei dem harten und unberechtigten Vorgehen dieses Fürsten gegen den sein Ländchen evangelisierenden Grafen Joachim von Ortenburg, so entschieden auf die Seite des ersteren stellte, daß er sogar seine eigene Schwester Ursula, des Grafen tapfere Gattin, als sie ihn um Hilfe anflehte, schroff und harthertzig zurückwies und nicht das mindeste Verständnis für deren innere Nöte zeigte.1) Als Jäger an Fugger herantrat, mußte dieser bald erkennen, daß er in ihm einen Lutheraner vom gröbsten Korn vor sich habe, aber das hielt ihn, seinem oben erwähnten Brauch nach, nicht ab, ihm auf Anrufen hilfreich unter die Arme zu greifen und ihm zur Durchführung seiner Pläne die Wege zu ebnen, alles noch dazu in liebenswürdigen Formen, so daß Jäger ihm das Zeugnis ausstellt: Er ist nicht wie viele andere große Herren, „ nicht neidig, nicht stolz, nicht zornig, aufgeblasen, sondern gegen menigclichen fast gerecht, freundlich, sanft und mild.“2) Andere mußten freilich, wie schon angedeutet, erfahren, daß er auch anders sein konnte,3) doch waren dies eben Personen, von denen er Gefahr für die Wohlfahrt und den Frieden des Reiches, des engeren „Vaterlandes“ oder der Kirche befürchtete oder an denen er sich wegen persönlicher Beleidigungen rächen zu müssen glaubte. Jäger machte unter anderem dem neuen Gönner den günstig aufgenommenen Vorschlag, den Fuggerschen Stammbaum, den er schon für Raimund Fugger hergestellt, vervollständigen und in kostbarerem Gewand erneuern und weiter ausführen zu lassen. *) Siehe die Schreiben der Gräfin Ursula von Ortenburg an ihre Brüder Georg und Hans J. Fugger dd. 26. Mai 1564, H. J. Fuggers an Bruder Georg dd. 2. Juni, an die Schwester Ursula dd. 5. Juni und deren Antwort dd. 15. Juni im Reichsarchiv München, Fase. Grafschaft Ortenburg Nr. 37. 2) Hartig, S. 222 Anm. 6 aus einer Hdschr. der Fuggerchronik (Cgm. 2278). 8) Siehe z. B. seine für den kaiserlichen Hof ausgearbeiten Gutachten über die Behandlung derer, die im Fürstenkriege 1552 die Stadt dem Kurfürsten Moritz in die Hände gespielt, bei Roth, Augsburgs Ref,-Gesch„ IV (Augsb. 1911) S. 501 ff.

43 Wir entnehmen das einigen zu diesem Stammbaum gehörenden Versen Jägers, die lauten: Dem edlen herrn Raimundo Fugger, Derselb hat disen stamen werdt Aufkricht und sein sönen vererdt. Damit die spüren sein edels gemiet, Das Gott mit seiner gnad behiet, Welchen jetzt her Hans Jakob Fugger, Wahrer histori zierer und schmucker, Seinem allerliebsten vater und herm Zu guter gedechtnus, lieb und ehrn Erstrecket, geschriben und gezirt Und den bis auf die zeit ausgeführt, Wie er dann hie gesehen wirt.1)

Jäger hat mit diesem ein Buch bildenden „Stammen“, wie es scheint, noch 1545 begonnen und vier Jahre daran gearbeitet.2) Das nicht zur Vollendung gediehene Werk stellt nach Anlage und Ausführung gewissermaßen das Muster dar, nach dem er, wenn auch in weniger kostbarer Aufmachung, die „Stammen“ und Familiengeschichten anderer Geschlechter, wovon noch zu sprechen sein wird, gestaltet hat. Die Maler, die es „illuminiert“, gehören derselben Werkstatt— der des Georg Breu des Jüngern an, aus der die Malereien in den oben erwähnten Jägerschen Folianten hervorgegangen,3) und auch der Schreiber des Fugger­ buches ist mit dem dieser Prachtwerke identisch. So liegt also unsere Annahme, daß Fugger auch für diese schon — zum Teil wenigstens — seine milde Hand aufgetan, sehr nahe. Die nächste Arbeit Jägers ist eine Schrift hochpolitischen Inhalts, mit der es folgende Bewandtnis hat: Als im Juli 1546 der schon lange drohende Religionskrieg ausbrach, stellte sich die Stadt, aus ihrer seit zehn Jahren betriebenen Politik die Kon­ sequenzen ziehend, auf die Seite des schmalkaldischen Bundes und mußte sich, wie dieser unterlag, im Januar 1547 dem Kaiser Karl V. auf Gnade und Ungnade ergeben. Im Juli 1547 zog der Sieger in Augsburg ein, um hier den „geharnischten“ Reichs*) J ä g e r - Faszikel im Reichsarchiv zu München, Reichsstadt Augsburg, Nr. 105 Bl. 76. 2) Siehe zu diesem Ehrenbuch Dirr, CI. Jäger, S. 16 f.; Jansen, Die Anfänge der Fugger (Leipzig, 1907), Beilage I S. 73 ff.; Hartig, 196. *) Röttinger, Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen des Allerh. Kaiser­ hauses, Bd. XXVIII (Wien-Leipzig, 1909/10) S. 77.

44 tag abzuhalten, auf dem er die politischen und religiösen Ver­ hältnisse des Reiches seinen Wünschen und Ansprüchen gemäß regeln wollte. Damals nun wurde, wie auch schon vorher, am kaiserlichen Hof oft und viel darüber gesprochen, wer doch eigentlich die Schuld trage, daß die Stadt Augsburg, die unter Schertlin während des Krieges eine ganz besondere Rührigkeit entfaltet hatte, sich den Rebellen, angeschlossen, und die Ge­ schlechter, die in der Tat zum Teil beim Beginn des Krieges weggezogen, um sich dessen nicht „teilhaftig zu machen®, be­ nützten die Gelegenheit, um ihre Unschuld neuerdings zu ver­ sichern und darauf hinzuweisen, daß es hauptsächlich die von dem Bürgermeister Herbrot geleiteten Zünfte gewesen, die dazu gedrängt hätten und wegen ihres Eifers für das „Evangelium® auch jetzt noch nichts weniger als verlässig seien.*1) Dann be­ gannen sie die gegen die Zünfte erregte Mißstimmung im ge­ heimen planmäßig zu steigern und, als sie merkten, daß ihre Reden verfingen, faßten etliche von ihnen, darunter wohl auch die Fugger, die doch bis 1538 selbst Zünftler gewesen und ihren Reichtum als solche gegründet hatten, den Entschluß, eine Ein­ gabe an den Kaiser einzureichen, in der sie in Form eines Rat­ schlages das dringende Verlangen aussprachen, daß man die re­ bellischen Zünfte aufhebe und das Stadtregiment wieder in die Hände des Patriziats lege, das die Interessen des Kaisers in ganz anderer Weise vertreten werde als dies von den einer richtigen Regierung unfähigen Zünften geschehen sei. Den Kern der Ein­ gabe sollte eine geschichtliche Darstellung bilden, aus der zu sehen wäre, wie großen Schaden die Zunftregierung der Stadt sowie dem Kaiser und Reich zugefügt, und wie viel die an Händen und Füßen gebundenen „Herren® darunter zu leiden gehabt. Aber wo war denn der, welcher eine solche Geschichte in der not­ gedrungenen Eile gewissermaßen aus dem Ärmel schütteln konnte ? Da nahm — so müssen wir annehmen — Hans Jakob Fugger mit Jäger Fühlung — ein Zeichen, daß er ihm unbedingt ver­ traute, seiner dauernden Verschwiegenheit völlig sicher zu sein glaubte und eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten hatte. Doch schien ein großer Stein im Weg zu liegen. War denn dieser Jäger nicht der „Historicus“, welcher erst vor kurzem das die Zünfte *) Vgl. Roth, Augsburgs Ref.-Gesch., IV S. 186 ff.; Hecker, Herbrot, 1. c. S. 73 f.

45 verherrlichende Bürgermeister- und Zunftehrenbuch geschrieben hatte?1) Sollte der Autor solcher Werke sich jetzt dazu hergeben, einen Antrag auf ein die Zünfte zur Todesstrafe verdammendes Urteil zu stellen? Aber Fugger wird seinen Mann wohl gekannt und gewußt haben, daß Jäger dem freundlichen Ersuchen großer Herren und Gönner und schönen, gewichtigen Versprechungen nicht widerstehen werde, und so war es auch. Der schmeichel­ haft Angesprochene übernahm die ihm angetragene Arbeit, er­ ledigte sie zur Zufriedenheit seines Auftraggebers und wurde dank der ihm eigenen Behendigkeit noch eben zur rechten Zeit fertig. Man muß zugestehen, daß dieser Ratschlag,2) der freilich in seinen Grundzügen von Fugger entworfen und nach seiner Fertigstellung überarbeitet worden sein wird, eine geschickte scharf auf das Ziel lossteuernde Anklageschrift ist — aber was soll man sagen, von einem Manne, der seine „zünftlerische“ Ge­ sinnung, die ihm angeblich so heilig war, um äußerer Vorteile willen plötzlich ins Gegenteil verkehrt und, ohne sich um die Folgen seines Handelns zu kümmern, seine Kräfte wie ein rabulistischer Advokat oder ein verlotterter Landsknecht schnöd verkauft? Die Eingabe hatte bekanntlich Erfolg, indem sie zum mindesten den Kaiser in seiner Absicht, mit den Zünften auf­ zuräumen, zu bestärken geeignet war.3) So hat Jäger, der ehe­ malige Schuster, auch an einem wichtigen Akt der damaligen Zeitgeschichte einen gewissen Anteil. Von jetzt an waren er und Fugger eng aneinander gekettet. Niemals durfte bekannt werden, daß sie es gewesen, die den Ratschlag ausgeheckt bzw. geschmiedet. Jäger war von jetzt an der literarische „Diener“ Fuggers, bezog als solcher wahrschein­ lich einen festen Sold und durfte auch sonst der Gnade seines *) Siehe oben S. 38. 2) Gedruckt bei Langenmantel, Historie des Regiments in des Heil. Reichs Stadt Augsburg, ed. Brücker, (Augsh. 1734) S. 68 ff., neuerdings in Bd. VII der Augsburger Chroniken S. 115 ff. — Siehe zur Sache Fürsten­ werth, Die VerfassungsVeränderungen in den Oberdeutschen Reichsstädten zur Zeit Karls V. (Göttinger Diss. 1893) S. 10 ff.; Hecker, Herbrot S. 75 ff. — Unsere Überzeugung, daß die Schrift von Jäger herrührt, werden wir an anderer Stelle begründen. 3) Die Zünfte wurden am 3. August 1548 abgeschafft, zugleich das seit 1368 bestehende Zunftregiment beseitigt und durch ein im wesentlichen patrizisches ersetzt. (Bd. VII der Augsb. Chron. S. 75 ff.)

46 reichen „Herren“ vielfach „genießen“.1) Ob und wieweit die Beiden auch an der nach dem schmalkaldischen Kriege anfangenden und nach dem Fürstenkrieg von 1552 ins Maßlose gesteigerten Hetze gegen den dem Patriziat so verhaßten ehemaligen Bürger­ meister Herbrot2) beteiligt waren, läßt sich nicht feststellen, aber es sähe wenigstens Jäger ganz gleich, wenn er auch hier irgendwie seine Hand im Spiele gehabt hätte. Der „Herr“ und sein „Diener“ blieben immer miteinander in Verbindung; weilte Fugger außerhalb Augsburgs, so zählte Jäger zu den Bericht­ erstattern, die ihn über Stadtneuigkeiten auf dem laufenden hielten.3) Damals (1547) oder sehr bald darnach wurde auch das eingangs erwähnte, unter H. Jakob Fuggers Namen gehende berühmte habsburgisch-österreichische Ehrenwerk begonnen, als dessen wirklichen Verfasser wir Jäger erweisen werden, so daß Fugger im wesentlichen nur das Verdienst des „Fundators“, „Verlegers“ und Jäger aus seinen reichen Sammlungen Stoff darbietenden För­ derersund Beraters bleibt. Indem Jäger die Genehmigung, das Werk hersteilen zu dürfen, erbat, eröffnete er sich die Möglichkeit, einen schon längst gehegten Lieblingsplan zur Ausführung zu bringen. Es waren vielleicht sehr ehrgeizige Gedanken, die dabei im Hintergrund standen und seine manchmal dem Erlahmen nahe Kraft immer wieder aufstachelten. Die große Aufgabe, die er hiemit übernahm, beschäftigte ihn bis an sein Ende, ließ ihm aber immer noch Zeit, daneben viel Anderes „hinter sich zu bringen“. All die genannten Schriften und Werke mußte Jäger, wie wir schon hervorgehoben, in seinen Mußestunden fertigen. Diese aber waren spärlich genug, denn sein Ratsdieneramt war nichts weniger als eine Sinekure und nahm die Arbeitskraft eines Durch*) So bedankt sich Jäger in einem Schreiben an H. Jakob Fugger für die „Geschencke4, die ihm dieser „auf sein schenes u. lieplichs baden vereret hat4. (23. August 1547 in Cod. 500/8 — schw. Kasten — des Geh. Staats­ archivs in München, Bl. 538 b). 2) Siehe hierzu Hecker, Herbrot, 1. c. S. 94 ff.; Roth, Äugsb. Ref.Gesch., IV S. 519 ff.; Bd. VII der Augsburger Chroniken S. 417 ff. 3) Ein Überrest der so entstandenen Correspondenz ist der Anm. 1 zitierte Brief, in dem er seinem Herrn ausführlich über den großen Landsknecht-Rumor der vom Kaiser Bezahlung fordernden Landsknechte vom 22. August 1547 berichtet.

47 schnittsmannes voll in Anspruch. Dazu fällt die zweite Hälfte seiner Amtszeit in eine gewaltig bewegte Epoche der Augsburger Stadtgeschichte, die, wie an alle Regimentspersonen und städt­ ischen Beamten, so auch an die Ratsdiener eine Menge von außergewöhnlichen Anforderungen stellte und sie zeitweise kaum zu Atem kommen ließ. Da war einmal der schon erwähnte Re­ ligionskrieg, der die ganze altgewohnte „bürgerliche Ordnung“ aus den Angeln hob, und der darauffolgende große Reichstag, der den Kaiser, den König, alle Kurfürsten, eine Menge von Fürsten und sonstige Gäste aller Art und aller Zungen und ein gan­ zes Regiment Landsknechte in die Stadt führte, so daß sämtliche Häuser und Häuslein bis zur entlegensten Gärtnerhütte dicht belegt und die einheimischen Inhaber der Wohnungen nicht selten in die Keller und Speicher gedrängt wurden. Und auch nach Schluß des Reichstages, der die Bürgerschaft viele Monate lang in ängstlicher Spannung und Furcht vor gewaltsamem Über­ drang gehalten hatte, fehlte es nicht an Unruhe und bänglichen Stimmungen, denn es zeigte sich, daß der neue, der Stadt vom Kaiser aufgedrungene Rat nur unter großen Schwierigkeiten das Regiment handhaben konnte und mit den vielen neuen „Verord­ nungen“, durch die er sich zu befestigen suchte, den Widerwillen und Unmut des durch die Abschaffung des Zunftrates erbitterten „gemeinen Mannes“ erst recht erregte.1) Jäger, der die „Berufe“ zu verkündigen hatte, wurde dabei vom Pöbel oft mit Spott und Hohn überschüttet und hatte, weil der Rat ein kräftiges Vor­ gehen gegen die Schreier scheute, hiebei von seiner Obrigkeit wenig Schutz zu gewärtigen. Dann kam der neue Reichstag von 1550, der im kleineren Maßstab die leidigen Zustände, die wäh­ rend des ersten in der Stadt geherrscht hatten, wiederholte und in der alle Kreise der evangelischen Bevölkerung aufs tiefste erregenden Verbannung der dem Interim widerstrebenden Prä­ dikanten im August 1551 ein so trauriges Nachspiel hatte,2) Und erst das Jahr 1552, das den Fürstenkrieg brachte! Schon der Umstand, daß er in Augsburg in der kurzen Spanne von fünf Monaten einen zweimaligen Wechsel des Stadtregiments zur Folge hatte, indem im April der „Herrenrat“ vom „Zunftrat“ und dieser im August wieder vom „Herrenrat“ abgelöst wurde, läßt ahnen, *) Roth, Augsburgs Ref.-Gesch., IV S. 649 f. *) Ebenda S. 342 ff.

48 wie tumultuös es damals in der Stadt zugegangen.1) Welch widerstreitende Gefühle müssen Jäger dabei beseelt haben, der von Haus aus Zünftler war, dann aber im geheimen für die „Herren“ gefochten hatte und nun nicht wußte, sollte er das Eingreifen der Fürsten, die in Augsburg das dort niedergetretene Evange­ lium wieder aufrichteten, aber sonst der Stadt so viel Ungemach bereiteten, wie so Viele als göttliche Fügung preisen oder als Strafe Gottes beklagen! Die Jäger während der Reichstage erwachsene Mehrarbeit bestand hauptsächlich in einer Unzahl von Gängen, die er zur Unterbringung der Fremden im Auftrag der „Quartier- oder Furier-Herren“ zu machen hatte, und in der Überbringung der Geschenke an die vielen vom Rat zu „Verehrenden“, von denen mancher, gegen die Regel, vergaß, daß nun auch er seinerseits dem Ratsdiener eine „Verehrung“ schuldig sei. Mehrere recht unangenehme Commissionen hatte er im Jahre 1552 zu verrichten, als der Kaiser nach dem Fürstenkrieg kurze Zeit in Augsburg weilte. So mußte er den von diesem im Vorjahre verbannten, während des Krieges zurückgekehrten Prädikanten, soweit sie vom Kaiser jetzt nicht „begnadigt“ wurden, den Befehl, die Stadt neuerdings und für immer zu verlassen, mitteilen2) und der Frau des hochangesehenen Georg Österreicher, der beim Heranzug des Kaisers sich weggemacht hatte, sagen, daß ihr Mann nicht mehr nach Augsburg hereindürfe und auch sie und ihre Kinder fort müßten.3) Diesen viel Staub aufwirbelnden Fall müssen wir, da sich Jäger später literarisch damit zu befassen hatte, hier in Kürze darlegen. Georg Österreicher war ein begüterter Augsburger Weber und Kaufmann, in Sachsen als solcher wohlbekannt, ein Freund und Gesinnungsgenosse Jakob Herbrots, wegen seines selbstbe­ wußten, „zünftlerischen“ Auftretens wie dieser bei den „Herren“ äußerst unbeliebt und gut „evangelisch“. Er hatte im schmalkal*) Radlkofer, „Der Zug des sächsischen Kurfürsten Moritz und seiner Verbündeten durch Schwaben im Frühjahr 1552“ in Z. S. N., Bd. VII (A. 1890) S. 153 ff.; Roth, 1. c. S. 425 ff. 2) Jäger erzählt dies selbst an einer Stelle seiner Aufzeichnungen über diese Vorgänge. Vgl. zur Sache Roth, 1. c. S. 512, 514. 8) So berichtet Österreicher in seiner dem Reichstage von 1555 einge­ reichten Beschwerdeschrift — Bd. VJI der Augsburger Chroniken — S. 288, 3.

49 dischen Krieg der evangelischen Sache als „Stimmrat“ nützliche Dienste geleistet, war im Jahre 1548 zum Bürgermeister gewählt und am 3. August nebst dem ganzen Rat vom Kaiser abgesetzt worden. Im April 1552 war er einer derjenigen gewesen, die sich am eifrigsten dafür eingesetzt, daß die Stadt Augsburg mit den vor ihren Mauern erschienenen Fürsten eine Kapitulation ver­ einbarte, und hatte nach Abschluß des Passauer Vertrags dem Kurfürsten Moritz eine namhafte Summe dargeliehen, so daß er am kaiserlichen Hofe als „Verräter“ und „Conspirator“ galt. Als Österreicher von der über ihn und einige Andere verhängten Bestrafung Kenntnis erhielt, machte er die größten Anstreng­ ungen, durch Hilfe des Kurfürsten Moritz und dessen Nachfol­ gers August die Zurücknahme dieser von ihm als äußerst un­ gerecht empfundenen Maßregelung durchzusetzen, vermochte aber, da der Kaiser, dessen Gnade er nicht anrufen mochte, gegen ihn „fest“ blieb, nichts auszurichten und ließ sich schließlich in Sachsen nieder, wo ihm Kurfürst August die Stelle eines Amt­ manns in Chemnitz und Zell verlieh. Von hier und von Regens­ burg aus betrieb er, wie wir sehen werden, seine Bemühungen um „Restitution“ weiter.1) Über die sonstigen Vorgänge zu Augsburg in der Zeit von 1547—1552 hat Jäger eine große Anzahl von Aufzeichnungen gemacht,2) in denen er ein paar Mal auch von sich selbst spricht, doch sind es nur sehr flüchtige Skizzen, deren Ausarbeitung ent­ weder unterblieben oder verloren gegangen ist. Von andern kleineren Arbeiten Jägers aus dieser Zeit nennen wir jene, die entstanden, indem er mit Wissen der Stadtpfleger den Ratsadvo­ katen, namentlich Dr. Zimmermann und Dr. Ulstat, zu ihren für die Stadt geführten Prozessen die historischen Unterlagen lieferte. Wir werden anderwärts Gelegenheit haben, Stücken dieser Art aus späterer Zeit näher zu treten. Die in diesen stürmischen Jahren in die Stadt hineingetragene Unruhe schien nicht mehr weichen zu sollen. Es drohten Ge­ fahren von außen her, und die jetzt noch mehr als bisher schon unter der Bürgerschaft zu Tage tretende Unzufriedenheit mit dem Herrenregiment zeitigte manchmal so bedenkliche Zustände, daß Schlimmes zu befürchten war. Unter diesen Aufregungen und 9 Roth, Augsburger Ref.-Gesch., IV S. 432, 434, 528 ff. 2) Im Cod. (schw. Kasten) 158/59 des Geh. Staatsarchivs in München, Bl. 31 ff., 56 ff., 491 ff. 4

50 der großen dienstlichen Arbeitslast, die er neben seiner litera­ rischen Tätigkeit nicht mehr bewältigen konnte, litt Jägers Ge­ sundheit so, daß er im Frühling 1553 daran denken mußte, sich von seinem Ratsdieneramt, das er nun zwölf Jahre bekleidet hatte, zurtickzuziehen. Seine Bestallung sicherte ihm, wie wir wissen,1) für den Fall, daß er in Diensten des Rates „mit Krankheiten beladen“ würde, eine Pension von hundert Gulden zu, aber das war ihm zu wenig und so trachtete er darnach, sich seinen „Un­ terhalt“ zu erhöhen, indem er an den Rat die Bitte stellte, ihm dazu noch die eben frei gewordene städtische Zöllnerstelle vor dem Wertachbruckertor zu verleihen. Dieses Verlangen war ganz ungewöhnlich und konnte nur von jemandem gestellt wer­ den, der wußte, daß er beim Rat einen großen Stein im Brett und einen so mächtigen Fürsprecher wie den 1551 zum „Geheimen“ aufgestiegenen Hans Jakob Fugger hatte. Er erzielte zunächst zwar keinen Erfolg, denn am 27. April erhielt er den Be­ scheid: „Auf Clement Jegers Supplication ist erkannt, daß ime haimgesetzt werden soll, im Fall, do er seinen Dienst weiter aus­ zuwarten nit gedenkt, aintweder den äußeren Zoll vor Werdachbruckerthor oder aber sein verschrieben oder bewilligt Leipding antzunehmen.“2) Jäger gab sich damit nicht zufrieden und er­ langte schon zwei Tage später, am 29. April, die für ihn güns­ tigere Resolution: „Auf Clement Jegers ferner Supplicieren hat ein ersamer Rat erkannt, daß im in Ansehung seiner ainem ersamen Rate getreuer Dienst sein Leben lang über den bewil­ ligten Zoll alle Quatember 10 Guldin sollen mitgetailt und geben werden“,3) so daß er wenigstens vier Zehntel seiner Pension als Zuschuß herausschlug. Damit war Jäger finanziell nicht schlecht „ver­ sehen“, denn das Zöllneramt allein galt schon als eine ausreichende Versorgung. War doch selbst ein Mann wie der Bürgermeister Ulrich Schwarz wohl zufrieden gewesen, daß sein Schwiegersohn Kaspar Fries auf Lebenszeit zu einem Torzöllner bestellt wor­ den.4) Jäger übergab nun sein bisheriges Amt dem zu seinem Nachfolger ernannten Veit Mair, der, nebenbei gesagt, im Jahre S. 30. 2) Ratsdekr. 1553 S. 52 b. 3) Ebenda S. 53 a. 4) Chronik des Ulrich Schwarz bei Panzer, Ulrich Schwarz (Münchener Diss. 1913) S. 93. 1)

51 1568 wegen Veruntreuung städtischer Gelder enthauptet wurde,1) verließ seine enge Wohnung im Beckenhaus, kaufte sich in der Nähe des Wertachbruckertors, vor dem sich die halb ländliche Fischervorstadt ausbreitete, ein kleines eigenes Haus und fing nun, soweit seine beruflichen Verhältnisse in Betracht kamen, noch einmal ein neues Leben an. 3. Clemens Jäger als Zöllner vor dem Wertachbruckertor und als Zolltechniker.

Jäger hat in dem von ihm Ende 1547 verfaßten „Ratschlag“ daraufhingewiesen, daß gar mancher Zunftmeister froh sein mußte, im Alter mit einem „spötlichen, schlechten“ Ämtchen „als dem eines Zöllners under den Toren, Anstechers auf dem Weinmarkt“ und dergleichen versorgt zu werden.2) So war es in der Tat, und sein eigenes Leben bildet ein sprechendes Beispiel hiefür. Vom Zunftmeister und Ratsherrn herabgestiegen zum Ratsdiener, landete nun auch er an einem Zollhäuslein, nur daß er dabei von ganz anderen, höher stehenden Motiven geleitet wurde als die Übri­ gen, denn diese suchten nur „ein Wieslein zum Grasen“, während es ihm bei seiner ,Veränderung“ hauptsächlich darum zu tun war, günstigere Verhältnisse für seine Tätigkeit als „Histori­ schreiber“ zu gewinnen. Die Stelle, an der er jetzt amtierte, stand an der breiten Straße, die sich nicht weit von dieser nach zwei Richtungen — Ulm und Nürnberg zu — gabelt, nur eine kleine Spanne vom Zollhaus des bischöflichen Wertachbruckerzollers3) entfernt, der seinen Zoll nicht an der Brücke, sondern hier einnahm, so daß beide enge Nachbarn waren. Diese allzugroße Nähe der feind­ lichen Amtsbrüder wurde noch unangenehmer, seit man einen zwi­ schen den beiden Stätten aufgerichteten Grenzstein, der jeden der zwei Zöllner innerhalb seines Revieres festgehalten, beseitigt *) Siehe oben S. 31 Anm. 1. 2) Augsburger Chroniken VII S. 135. 3) Siehe zum Augsburger Wertachbrucker-Zoll Jäger: Hienach volgt der bericht, sovil auff begeren der vesten, fürsichtigen und weisen herrn stattpfleger und burgermeister dem Clementen Jäger, statzolner, von dem herkomen des bischofs brugkzolls zu Wertachbrugk bewißt [und er] zusamengetragen hat, übergeben anno 1556. („Schätze nr. 23 des Augsb. Stadt-Archivs“ S. 8—32). — R. Hoff mann, Bd. V der Z. S. N., S. 195; Schumann, Verfassung u. Ver­ waltung des Rates in Augsburg 1276 bis 1368 (Kieler Diss. 1905) S. 115; Chr. Meyer, Das Stadtbuch von Augsburg (Augsb. 1872) S. 32 f. 4*

52 hatte,1) was wohl von bischöflicher Seite — warum wissen wir nicht — veranlaßt worden. Aber Jäger war nicht der Mann, den die daraus sich ergebenden unausbleiblichen Reibereien beson­ ders angefochten hätten, sondern er nahm nur um so mehr darauf Bedacht, sich so rasch als möglich mit allen Zöllnerkniffen ver­ traut zu machen, und zwar in Gemeinschaft mit seiner resoluten Frau, die er bald, wie dies andere Zöllner auch taten, so weit „anlernte“, daß sie ihn im Notfall zu vertreten vermochte. Es handelte sich bei dem Zöllneramt Jägers um die Erhe­ bung und Verwaltung des alten Stadt- und Torzolles2) — eine Art Markt- und Kaufzoll —, der von fremden Käufern und Verkäufern, den „Gästen“, die Güter einführten und in Augs­ burg veräußerten oder Waren von hiesigen Bürgern und von Fremden erwarben, gefordert wurde. Dieser Zoll war ursprüng­ lich bischöflich gewesen, dann aber unter Umständen, die wir nicht kennen, an die Stadt gekommen, worauf man ihn beim Einheben mit dem im Jahre 1294 von König Adolf von Nassau den Augsburgern verliehenen Pflasterzoll verband, der aber zur Zeit Jägers an anderer Stelle eingenommen wurde und ihn nichts anging. Da er den Zoll gepachtet hatte und den Überschuß als Gewinn einstreichen durfte, hatte er natürlich ein scharfes Auge darauf, daß er zu seinem „Recht“ kam und niemand „zu billig1* durchschlüpfte. Seinem historischen Sinn gemäß ließ er es sich aber auch angelegen sein, die Geschichte des Augsburger Zollwesens, dessen älteste Urkunden weit über das Stadtbuch von 1276 hinaus zurückreichen, sorgfältig zu studieren und die Ergebnisse seiner Forschungen aufzuzeichnen, um sie womöglich für die Stadt nutzbar zu machen. So schrieb er im Jahre 1556 einen „Bericht über des Bischofs Bruckzoll zu Wertachbrugk“3) und ging 1558 und 1559, als der Rat mit dem Bischof neuer­ dings in Streitigkeiten wegen des Zolles geraten war, den zur Zurückweisung der gegnerischen Forderungen verordneten Stadt­ advokaten mit Gutachten, Ratschlägen und einschlägigen histo­ rischen Nachweisungen zur Hand.4) Im Übrigen beschäftigte sich Jäger nun hauptsächlich mit J) Aus dem Jäger sehen „Bericht“. 2) Hoffmann, 1. c., S. 196; Schumann, S. 112 ff. 3) Genauer Titel S. 51, Anm. 3. 4) Conzepte im Jäger-Faszikel des Reichs-Archivs in München Fol. 140 ff., 147, 149 ff., 151, 159.

53 dem oben 2) besprochenen habsburgisch-österreichischen „Ehrenwerk‘l, das bis Mitte 1555 schon soweit Gestalt gewonnen hatte, daß er im August des Jahres einstweilen die Vorrede hierzu fertigte und mit der Codificierung des Textes beginnen ließ, ob­ wohl er das Ende der Arbeit noch kaum absehen konnte. Kaum war dieses Vorwort geschrieben, so übertrug ihm sein „Herr“ Hans Jakob Fugger schon eine neue große Arbeit und diese führt uns zu dem „Fall Österreicher“ zurück, von dem oben2) kurz die Rede ist. Fugger war insofern daran beteiligt, als er im Jahre 1552 einer derjenigen gewesen, die für den nach Ab­ schluß des Passauer Vertrages auf Augsburg heranziehenden Kaiser Vorschläge ausarbeiteten, wie die Augsburger „Rebellen“, besonders ihre Führer Jakob Herbrot, Georg Österreicher und die aus der Verbannung zurückgekehrten Prädikanten zu behandeln wären, wobei er für die Erstgenannten so strenge Strafen beantragte,3) daß die vom Kaiser über Österreicher schließlich verhängte Aus­ schließung aus der Stadt dagegen noch außerordentlich mild er­ schien. Kein Zweifel, daß Fugger gegen ihn und Herbrot, ob­ wohl er es sich damals äußerlich nicht merken ließ, außer seiner politischen Gegnerschaft auch noch einen tief sitzenden persön­ lichen Groll hegte, der ihn hier aus der sonst zur Schau getra­ genen Gelassenheit aufpeitschte. Er hat es Österreicher gewiß nicht vergönnt, daß er „so glimpflich“ weggekommen, und war vielleicht Schuld daran, daß der Rat die verschiedenen Versuche desselben, mit ihm zu einem Ausgleich zu gelangen, stets mit größter Schroffheit zurückwies. Da unternahm nun Österreicher im Sommer 1555 einen neuen Anlauf, zum „Recht“ zu kommen, indem er an den damals in Augsburg abgehaltenen Reichstag eine Supplication richtete,4) in der er bat, seine Klagen endlich untersuchen zu lassen; er machte dabei die Stadt Augsburg und deren Rat für sein Unglück verantwortlich und benützte die Gelegenheit, das Augsburger Herrenregiment — das damals be­ stehende und das vor der Aufrichtung der Zünfte am Ruder ge­ wesene — einer scharfen, übelwollenden Kritik zu unterziehen. x)

2) 3) 4) Roth,

S. 1, 46. S. 48. Roth, Augsb. Ref.-Gesch., IV S. 502 ff. Gedruckt in Bd. VII der Augsburger Chroniken S. 285 ff. — Vgl. dazu Augsburger Ref. Gesch., IV S. 533 ff.

54 Hans Jakob Fugger war über diesen „zünftlerischen“ Vorstoß natürlich auf das äußerste aufgebracht, aber auch der ganze Rat und als dieser aufgefordert wurde, sich sofort dem Reichstag gegenüber zu Österreichers Beschwerden schriftlich zu äußern, faßte man den Entschluß, nicht nur auf die eigentlich zur Ver­ handlung stehende Sache einzugehen, sondern auch die von dem „Pasquillanten“ gegen die Regierungsweise der „Herrn“ erhobe­ nen Vorwürfe kräftigst zurückzu weisen, wozu aber wiederum, wie früher bei der Abfassung des „Ratschlages“, ein Geschichts­ kundiger nötig war. Da spannte Fugger neuerdings seinen so geschickten und willigen „Diener“ Jäger ein, um von ihm das Nötige in ein paar Tagen besorgen zu lassen, so daß dieser als Mitverfasser des vom Rate dem Reichstag übermittelten „Gegen­ berichtes“ *) oder mindestens als Helfer, der das darin verwertete historische Material beigebracht und geformt hat, zu betrach­ ten ist. Aber das ist nicht die große Arbeit, von der wir sprachen. Diese folgte erst, als der Rat oder vielleicht Fugger erwog, daß Österreicher künftig noch andere derartige Angriffe versuchen könnte und es deshalb gut wäre, wenn man sich schon jetzt bereit machte, sie abzuwehren und zur Beschämung Österreichers und seiner mit ihm „zusammenlaichenden“ ehemaligen Zunftge­ nossen im Gegenhieb die „Nichtsnutzigkeit“ des Augsburger Zunftregiments schonungslos aufzudecken. Das konnte aber erst recht niemand Anderer als Jäger machen, der auch sofort daran ging, den Plan auszuführen, alles der „Tendenz“ seines „Herren“ und des Rates Dienliche zusammenzuhäufen und so zum dritten Male — diesmal besonders ausgiebig — die Zünfte „zu vernichten“ und die Herren „zu erheben“. Auf diese Weise kam die in neuerer Zeit öfter genannte „Vorbereitung des Rates gegen Georg Öster­ reicher“ 12) zustande, die schon Ende 1555 fertig vorlag und ihm von Seite seines Auftraggebers jedenfalls hohes Lob eingetragen. So wuchs sich Jäger, der frühere Schuster und Zunftmeister, der Verfasser des Zunftehrenbuchs, mehr und mehr „ex professo“ zum „Ritter“ der „Herren“ aus, die sich hinter seinen Schild 1) Gedruckt Bd. VII der A. Chr. S. 294 ff. — Vgl. Roth, Augsb. Ref.Gesch. IV S. 534 ff. 2) Roth, 1. c„ S. 535 ff.; Dirr, Clemens Jäger S. 19 ff. — Ausführlich wird über dieses Stück und was damit Zusammenhänge an anderer Stelle die Rede sein.

55 stellten und ihn in ihrem Namen auf die schon toten Zünfte ein­ hauen ließen. Sollte von dieser Tätigkeit Jägers wirklich nie etwas bei den ehemaligen Zünften ruchbar geworden sein? Wenn ja, dann wäre anzunehmen, daß er bei dem „gemeinen Mann“ eine der verhaßtesten Persönlichkeiten der Stadt geworden wäre — und mit Recht. Neben seinen „Ritterdiensten“ war Jäger für die „Herren“ aber auch noch unausgesetzt tätig als Hersteller ihrer Stamm­ bäume und Verfasser von Familiengeschichten. Zwei seiner zu dieser Gruppe gehörende Werke, das Herwartbuch und das Fuggersche Ehrenbuch, haben wir schon aufgeführt. Im Anschluß daran nennen wir Arbeiten für die Familien Rehlinger, Welser, Langenmantel, Ilsung und Hofmair, die sämtlich zu den „uralten Geschlechtern“ der Stadt gehörten. Die 1538 ernannten neuen Geschlechter wollten natürlich mit dem Nachweis ihres ,,alten Herkommens“ nicht Zurückbleiben, und wir haben allen Grund anzunehmen, daß Jäger auch für nicht wenige von ihnen den Haushistoriker gemacht hat. Zu Gesicht kamen uns von den für diese „Neuen“ gefertigten „Stammenbüchern“ nur zwei: das der Pfister,1) das in mancher Beziehung besonders anziehend ist, und die prächtige Fuggerchronik, eine Ergänzung des Fuggerschen Ehrenbuches,2) die er bis zu seinem Tod auf dem laufenden hielt.3) Von den Familienbüchern aus dem Kreise „der Mehrer der Gesellschaft“ lag uns nur das von dem Großkaufmann Ulrich Link4) „fundierte“ vor, der einer noch nicht lange dem Dunkel entstiegenen Familie angehörte, und das in einer späteren Be­ arbeitung erhaltene „Stammenbuch“ der aus der Weberzunft hervorgegangenen Bimel.6) Selbst gewöhnliche Handwerkerfamilien, -------------• *) Siehe zu diesem Pfisterbuch: J. Strieder, Zur Genesis des modernen Kapitalismus S. 108; Dirr, S. 17 ff. 2) Siehe oben S. 42. Vgl. M. Jansen, Studien zur Fugger-Geschichte I (Leipzig 1907) S. 3. 3) Meyer Chr., Chronik der Familie Fugger vom Jahre 1599 (München 1898) — eine ungenügende Edition. 4) „Das ist das gehaim Eern s / buch Mansstammen vnnd / Namen des gantzen Linckisch s / en Geschlechts, Darinnen / alles, was demselben verwant, / mit Wappen vnd Schrifften / vergriffen ist, aufgericht An * / no 1561 im monat julyu. Illustriert in der Art, wie Jäger alle seine größeren „Stammenbücher“ auszustatten pflegte. 1919 im Besitz des Antiquars Jaques Rosenthal, der dem Schreiber dieser Zeilen gütigst Einsichtnahme des Werkes gestattete. 5) In der Augsburger Stadtbibliothek. Titel bei Zapf, Augsburgische Bibliothek (Augsb. 1795) S. 167.

56 die zu Vermögen und Ansehen gekommen, wußte Jäger für ihre freilich kaum über den Großvater hinaus bekannten „Ahnen“ zu interessieren, wie das für den Weber Mang Seitz angelegte „Stammenbuch“ beweist.1) Daß sich Jäger auch mit der Geschichte der Gossenbrot, Meuting, Rem, Baumgarten, Sulzer und Wild beschäftigte, bezeugen verschiedene Spuren. Sie lassen uns ahnen, wie viel zu Verlust gegangen oder, weit in alle Welt zerstreut und im Privatbesitz vergraben, der Benützung durch die Wissen­ schaft entzogen ist. Eine unschätzbare Förderung erfuhr di$ ge­ samte Familiengeschichtsforschung durch das von Andern be­ gonnene, von Jäger im Jahre 1559 verbessert zusammen gestellte Hochzeitsbuch der Augsburger Herrentrinkstube, von dem eine Menge von Handschriften mit Fortsetzungen existiert.2) Über Jägers spätere chronikalischen Leistungen vermögen wir uns kein sicheres Urteil zu bilden, weil das Meiste, was er in dieser Art schrieb, mit dem von Paul Hektor Mair Überlie­ ferten untrennbar vermischt ist, und die zwei Werke, die als Jägersche Chroniken bezeichnet werden, nicht von ihm selbst herrühren, sondern von Späteren aus Jägerschen Aufzeichnungen gebildete Codices sind, denen Fortsetzungen angegliedert wurden. Beide Chroniken gehen nur deshalb unter Jägers Namen, weil an ihrer Spitze das oben erwähnte Siebentafelgedicht „von dem Herkommen der uralten des heil. Reichsstatt Augfpurg“ steht, „welches Clement Jäger gemacht“. Die kleinere dieser Chroniken3) besteht zum guten Teil aus Zusammenstellungen verschiedenen Inhalts, für die der Name „Chronik“ eigentlich nicht paßt, und wurde von einem uns Unbekannten bis 1648 fortgesetzt. Daß wir hier bis ca. 1560 meist Jägersches Gut vor uns haben, unter­ liegt keinem Zweifel; vieles davon findet sich auch in anderen seiner Werke und bei Mair. Die zweite, größere Chronik, die den Titel trägt: „Chronica, darinnen allerley wunderseltzame vnd vnderschidliche fachen begriffen, so alhir in Augfpurg ergangen“4) etc., bietet ebenfalls bis ca. 1560 zum guten Teil „Jägerisches“ 9 Ebenda. Titel bei Zapf, S. 199. 2) Darunter verschiedene mit einer 1559 von J äg er geschriebenen Vorrede, die das verbesserte Werk als seine Arbeit erkennen läßt. Ungenügend her­ ausgegeben von Warnecke (Berlin 1896). 3) „Schätze“ des Augsb. Stadtarchivs Nr. 23, Cod. Aug. 52 des Augsb. Stadtarchivs. 4) Aug. 53 der Augsb. Stadtbibliothek.

57 Material und wird erst in den bis 1625 bezw. 1636 reichenden Fortsetzungen, die hauptsächlich die evangelische Kirchengeschichte Augsburgs betreffen, von größerem Wert. Auch ein paar von oder für Jäger gefertigte Handschriften mit Auszügen aus Chroniken, die er von Andern entliehen, haben sich erhalten; so eine mit Notizen aus der Chronik des „Krammers auf dem Perlach“*) und eine andere mit Stücken aus des „Steurschreibers klainem Büchl“.*2) Auch die Erhaltung der Chronik des Malers Georg Preu des Ältern verdanken wir ihm.3) Außer diesem Chronikalischen finden sich — und zwar in dem noch vorhandenen Rest seiner hinterlassenen Papiere4)*— allerlei Conzepte zu kleineren historischen Arbeiten, z. B. eine Geschichte des Augsburger Bischofs Heinrich III. und seines schweren Konfliktes mit Kaiser Heinrich IV., die, wie es scheint, ursprünglich in das Vogtbuch kommen sollte und zeigt, was Jäger selbst aus einer recht einfachen und dürftigen Vorlage zu machen verstand; ferner Erzählungen aus jener Zeit der Ge­ schichte Augsburgs, in deren Mittelpunkt Peter von Argon, Ni­ kolaus Klinghamer und der Stadtschreiber Heinrich von Erlbach steht — großen Teils aus Zink geschöpft, aber selbständig ge­ staltet; sie waren wohl zur Einverleibung in die „Vorbereitung des Rates gegen Georg Österreicher“ bestimmt, blieben aber schließlich aus irgendeinem Grunde weg. Eine Anzahl von Anfängen geschichtlicher Aufsätze oder Bruchstücke solcher sind zu geringfügig, um ersehen zu lassen, was daraus hätte werden sollen oder vielleicht geworden ist. Um so beachtenswerter ist dagegen ein größeres Stück, das offenbar den Anfang einer umfangreichen Geschichte der Kirchenrefor­ mation in Deutschland darstellt,6) aber leider schon mit 1522 abbricht. Was sich Jäger an historischem Wissen seit Jahrzehnten errungen, blieb, wie wir gesehen, obwohl ja gerade seine besten Leistungen in der Öffentlichkeit unbekannt waren, nicht unbeachtet. So bekennt Achilles Gasser gern, daß er bei Ab*) Oefeliana 195 in der Staatsbibliothek zu München. 2) Oefeliana 282. 3) Veröffentlicht in Bd. VI der Augsburger Chroniken. 4) ln dem Jäger-Faszikel des Reichsarchivs München: Reichs-Stadt Augsburg Nr. 105. 6) Reichsarchiv München, Serie „Kirche und Schule“, Cod. 19, Bl. 32 ff.

58 fassung seiner Augsburger Annalen von Jäger wertvolle Hilfe erhalten, und selbst fremde Gelehrte, wie der österreichische Hofhistoriograph Wolfgang Lazius, der sich seiner Zeit eines sehr guten Namens als Geschichtschreiber erfreute, suchte von Jägers Kenntnissen Nutzen zu ziehen. Kein Wunder, wenn er bei manchen zum Teil auf ziemlich niederer Stufe von Bildung stehenden Ratsherren allmählich in den Ruf einer wandelnden Chronik von Augsburg, eines in der Stadtgeschichte Allwissenden, eines unfehlbaren Orakels geriet, von dem man ohne weiteres alle möglichen Aufschlüsse, „wie und wann dieses oder jenes ge­ wesen", erholen könnte. Auch traute man ihm große Gewandt­ heit in der Conzipierung von Schriftstücken aller Art zu, so daß selbst Leute, von denen man hätte meinen mögen, sie bräuchten solcher Hilfe nicht, sich von ihm allerhand Briefe, Berichte, Ansprachen und dergleichen aufsetzen ließen. So er­ suchte der reiche Kaufmann und Ratsherr Sixt Eißelinunsem Jäger sogar, ihm die Danksagung für seine Wahl zum Bürger­ meister niederzuschreiben, wie aus folgendem von der Hand Jägers herrührenden „Concept-Zettel" hervorgeht. „Nachdem Herr Matthaeus Schellenberg*2) anno 1561 in ainem Rat an der Apoplexia auf den [24. des] monat junii verschieden und ain e. Rat auf 6. August, nämlich an sanct Sixt Tag, sein ordenliche Wahl und Ernennung der Ämpter des Rats gehalten, da bin ich neben dem Lienharten Christoff Rehlingern3) durch ain ordenliche Wahl des Rats für das erst Dritteil des Jars zu ainem Herrn Burgermaister auf das erst Mahl erwehlet worden, zu weli ehern hochwichtigen Ampt ich mich vil zu gering ge­ achtet, auch dafür aufs höchste gebeten und [es] doch mit großer mein selbs schmertzlicher Bewegnus annemen muessen . der allmechtig, ewig Got welle mir sein göttliche Gnad verleichen, daß ich solchem Ampt zu Lob seines heiligen Namens und zu Nutz gemainer Stat glücklich vorsteen mag durch seinen geliepten Son Jesum Christum, unsern Herrn, amen!"4) — eine „feine, zierliche" Rede, die gewiß Beifall fand. Durch solche A) Siehe zu dem einer hochangesehenen Augsburger Familie angehörenden Eiselin die Augsburger Chron. VII S. 444,3. — Zur Wahl Eiselins zum Bürger­ meister: Stetten, Gesch. von Augsburg I S. 544. 2) Augsb. Chron. VII S. 414,31. 8) Ebenda S. 413,27. 4) Im Jager Faszikel des Reichs-Archivs in München, Bl. 191.

59 Gefälligkeiten, mit denen er freigebig war, wußte Jäger die Zahl seiner Gönner von Jahr zu Jahr zu mehren, so daß seine in ver­ schiedenen Angelegenheiten an den Rat eingelegten „Suppli­ kationen“ stets die nötige Fürsprache fanden. Den Entwurf zu diesen fertigte er, um den „Herren4* Mühe zu ersparen und „der Kürze wegen“, in der Regel selbst, wie dies damals Andere auch taten, an und verfuhr dabei so geschickt, daß nur selten etwas daran geändert wurde. Da er vielen der im Rate sitzen­ den „Herren“ auch als Haushistoricus nahe stand, durfte er sich, was z. B. nicht einmal ein Ratsadvokat hätte wagen dürfen, erlauben, den Rat als seine „lieben Herren4* anzureden, so daß zwischen diesem und ihm ein Vertraulichkeitsverhältnis geherrscht zu haben scheint, wie es unter den städtischen „Dienern“ nur sehr selten einem zuteil wurde. Man kann daraus folgern, daß er auch ein Mann von gewinnenden äußeren Umgangsformen gewesen ist, der mit jedem „nach seinem Stand“ zu verkehren vermochte und in gebildeter Gesellschaft nicht den einseitigen Historiker hervorkehrte, sondern auch für andere „wissenswürdige“ Dinge, auf die das Gespräch kam, Interesse und Verständnis zeigte. So würdigte er, wie verschiedene in seinen Papierenx) sich findende Aufzeichnungen ersehen lassen, die örtliche Lage Augsburgs nicht nur vom Standpunkt des Historikers, sondern auch von dem des Naturwissenschaftlers aus, der einen Blick auf die die Stadt tragenden Gesteinsarten wirft und daraus ver­ schiedene Schlüsse zieht. Als im Jahre 1551 die Stadtmauer und der Graben vom Luginsland bis zum Judenwall verstärkt bezw. vertieft wurde,2) sah er mit Verwunderung zu, wie man dabei mehrere „Eelend, Ainküme und Elefanden“ ausgrub, lauter Riesentiere, die „in der Sündflut ertrancken*4. Er erzählte, wie „von Wunders wegen etwan ain Stück Aingehürn umb 40, 50 und 60 fl verkaufft worden“, während man für die Elephantenzähne nur 5 bis 10 Gulden, je nachdem sie „frisch*4 gewesen, erhielt. „Solche Stück“, schreibt er, „hab ich nicht allain selbs, sonder ain groß Anzal allerlai Menschen gesehen und in Henden gehabt**.8) Der Anblick eines im Jahre 1539 nach Augsburg gebrachten riesigen Adlers, der in der Nähe von Ulm erlegt *) Im Jäger-Faszikel des Reichs-Archivs in München, Bl. 191. 2) Stetten, l. c. S. 474. 3) Jäger-Faszikel im Reichs-Archiv München, Bl. 190.

60 worden war, machte auf ihn solchen Eindruck, daß er sich die Zeit der Erlegung, die Spannweite der Flügel und Anderes, was an der Sache bemerkenswert war, „in memoriam“ genau notierte.1) Er grübelte über die auffallende Tatsache, daß es in Augsburg'keine Ratten geben soll, und zeigt sich dabei als ein über dem Aberglauben stehender Mann. Die Geistlichen wollen, meint er, „diese Gab und Wohltat dem Hl. Ulrich und seinem Gebet zulegen“ und „haben dadurch erreicht, daß das Erdreich von sanct Ulrichs Begrebnus weit und breit für die Ratzen ge­ braucht“ wird;2) in Wirklichkeit aber komme das Fehlen dieses „abscheulichen, onlustigen Tieres“ wohl daher, daß „der Grund und Berg, darauf die Stadt Augsburg gebaut worden, von lau­ terem, hartem, stainigem Kieß und gutem Elb ist“.3) Überhaupt hat Gott auf alles, was die Stadt Augsburg betrifft, ein besonders gnädiges Auge gehabt und hat ihr alles, was sie zu ihrer Wolfart brauchte, mit väterlicher Hand reichlich verliehen: günstigen Boden, „guten Luft“, Gewässer in Fülle. Die Gegend, in der sie liegt, gleicht einem „irdischen Paradies“ und sie selbst kann es an Ansehnlichkeit mit den schönsten Städten im Reich auf­ nehmen. Und da er der Sohn eines für die Reinlichkeit des Perlachplatzes haftbar gewesenen „Stettmeisters“ war, stellt er noch eigens fest: Hierzu trägt viel bei, daß man sie so sauber hält, denn die Stadt besoldet einen eigenen „Pflastermaister“ und ainen „Scheifelmaister“, „welcher jeder bei 200 Personen under inen haben, . . . das ainem e. Rat järlichen über 5000 fl costet.“4) Die Liebe und Anhänglichkeit Jägers zur Vaterstadt, aus der er wahrscheinlich seit seiner Wanderzeit nicht mehr viel hinaus­ gekommen, tritt in allen seinen Schriften in wahrhaft erfrischender Unmittelbarkeit und Natürlichkeit zu Tage. Er ist so verwach­ sen mit der Stadt, daß er sich oft als eine Art Local-Genius ge0 Diese Notizen kamen in die „Chronica, darinn auf das kürtzest begriffen die nahmhafftigsten Geschichten, so sich von der Geburt Christi biß auf diß gegenwertig MDXL1I. jar verlauffen haben“. (Augfpurg durch Philipp Ulhart). 2) Siehe hierzu etwa Friesenegger, Die Sankt Ulrichskirche in Augsburg (Augsb. 1914) S. 59, wo auch erwähnt ist, daß im Jahre 1693 ein geborner Augsburger in Leipzig mit der Dissertation: „Ex historia Augustana de St. Ulrico episcopo, glirium expulsore“, promovierte. 3) Jäger-Faszikel im Reichsarchiv München, Bl. 191. 4) Ebenda, Bl. 192.

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bärdet, dem von der Vorsehung eigens die Aufgabe gestellt ist? über sie zu wachen und noch „weiser und fürsichtiger“ zu sein als die „Weisen und Fürsichtigen“, die als Obrigkeit an der Spitze des Gemeinwesens standen. Mehr als einmal mahnt er „seine Herren“ in bescheidenen Worten, aber doch „ernstlich“, den Nei­ dern und Feinden der Stadt gegenüber doch ja die Augen recht offen zu halten, und als Zöllner hält er es für seine Pflicht, sie aufzufordern, daß man die von dem Bischof und seinem Rent­ meister in Zollsachen versuchten Neuerungen, so weit nur immer möglich, nicht aufkommen lasse; zugleich gelobt er, wenn man ihn in dieser Handlung weiter befrage, „sich gern ganz gehorsamlich finden lassen zu wollen“.*) Man hatte zu Jägers Zeiten in Augsburg einen „Stadtknecht“, dem wegen seines gravitätätischen Auftretens und seiner Übergeschäftigkeit allgemein der Beiname „der Herr Bürgermeister“ zugelegt worden; in ähnlicher Weise wird man sich bei aller Anerkennung der Verdienste, die sich Jäger tatsächlich um die Stadt erworben, auch über ihn lustig gemacht haben. Jägers „Freund“ P. H. Mair, der sich an dessen Art ärgerte, nannte ihn ein „einfältiges Schaff“, das sich gar zu gern selbst reden höre.12) In seiner religiösen Überzeugung blieb Jäger bis zu seinem Ende der, der er in jungen Jahren gewesen, nur daß sich das Über­ maß des evangelischen Eifers, den er früher an den Tag gelegt, mit der Zeit etwas verflüchtigt und der gar zu rauhe Ton, den er während seiner Schusterzeit in der Kritik des „papistischen Pfaffen- und Kirchenwesensu angeschlagen, bedeutend geglättet hatte. Wie Jäger jeden Krieg als ein großes Unglück betrach­ tete, so war ihm auch jede Zwietracht in der Bürgerschaft auf das äußerste zuwider und er sah infolgedessen in dem Augsburger Religionsfrieden im Gegensätze zu Andern, die wegen seiner Mängel daran Anstoß nahmen, einen großen Trost, weil davon das Nachlassen der nun seit mehr als einem Menschenalter in der Stadt wie im ganzen Reich herrschenden, immer neues Ver­ derben erzeugenden Erregung und Spannung zu erwarten sei. Der Frieden erscheint ihm gewissermaßen als eine Kundgebung des göttlichen Willens, der man selbstverständlich und unweigerlich zu gehorchen habe. Es ist jetzt so weit, meint er, daß „jeder in 1) Conzept im Jäger-Faszikel des Reichsarchivs München, Bl. 152. 2) Siehe oben S. 33 Anm. 2.

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seinem Stand aus den Händen Gottes wissen und verstehen mag, was er nunmer mit guter Ruhe glauben und wie er sich gegen Got, seiner Oberkeit und Nechsten halten soll, wie wir denn nach Laut des Reichs-Abschieds bedacht sein sollen, alles das zu be­ fördern, so demselbigen gemäß ist, denn wir gentzlich glauben, wann sich ainer des göttlichen Worts befleiße, daß er nach Laut desselbigen ßefelchs seiner Obrigkeit allen getreulichen Gehor­ sam leisten werde.“1) Mit diesem letzten Gedanken berührt Jäger ein ihm sehr wich­ tiges Thema, denn als fleißiger Leser von „Historien“ wußte er wohl, daß der Gehorsam der Untertanen gegen die Obrigkeit die Haupt­ säule eines geordneten Staatswesens ist, und als Bibelleser kannte er alle die auf dieses Verhältnis sich beziehenden Stellen, die er in seinen Werken immer und immer wieder nachdrucksvoll zur Geltung brachte. Hatte er doch zuerst als Zunftmeister und Rats­ herr die Sorgen und Mühen der für das Wohl der „Unterthanen“ verantwortlichen Obrigkeit zur Genüge kennen gelernt, dann als Ratsdiener — zum Teil unter Bedrohungen — die Erfahrung machen müssen, wie „schwierig“ der „gemeine Mann“ vor allem gegenüber dem „Herrenrat“ war und wie häufig Unverstand und Böswilligkeit miteinander wetteiferten, um diesem das Leben sauer zu machen und den so notwendigen Frieden zu stören. So war Jäger, wohl schon von Haus aus ein „guter Bürger“, allgemach zu einem Vorkämpfer einer durch und durch loyalen Gesinnung geworden, die jetzt im besonderen in dem „kaiserlichen Herrenratu die gottgewollte Obrigkeit der Stadt erblickte. Jägers äußere Lebensverhältnisse waren, soweit er ihre Ge­ staltung in der Hand hatte, in gutem Stand. Er war trotz der idealen Ader, die in seinem ganzen Streben nach Höherem und in vielen Stellen seiner Werke sichtbar ist, im Grund seines We­ sens doch eine vorwiegend praktisch angelegte, nüchtern berech­ nende Persönlichkeit, was schon der Umstand zeigt, daß er immer bei der Partei zu sein trachtete, die eben das Heft in Händen hatte und daß er bei seinem zweimaligen „sozialen Herabsteigen“ auf jeder der Stufen, die er nun betrat, sein Einkommen ver­ mehrt hat. Es muß, da sich zu seinen Zöllnereinnahmen und seiner Pension zahlreiche „Verehrungen“ des Rates, H. J. Fuggers und anderer seiner vornehmen „Kunden“ gesellten, ziemlich statt*) Vorbereitung des Rates gegen Georg Österreicher, Bl. 18.

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lieh gewesen sein und es ist etwas befremdlich, daß seine Steuer den bescheidenen Betrag von anderthalb Gulden und sechs Denar Wachtgeld nicht überstieg. In allem hielt er strengste Ordnung. Er war gleich seinem „Herrn“, dem Fugger, kein Trinker, wie seine Verteidigung des Weinungelts zeigt, „das kein zum Leben nötiges Bedürfnis belaste“,1) und die Glossen, mit denen er in der Weberchronik die Erwähnung der vom Rate erlassenen Verbote des Spielens begleitet, lassen ersehen, daß er auch von diesem in seiner Zeit stark im Schwang gehenden „Laster4* frei gewesen. Allem nach war Jäger wie das Muster eines getreuen Bürgers, auch das eines getreuen Hausvaters, der sich das Wohl seiner Familie ernstlich angelegen sein ließ. In seiner Frau hatte er, wie schon erwähnt, eine tüchtige Gehilfin. „Wir haben uns44, äußert sich ein Jäger nahe stehender Ratsherr in einem Bericht an den Rat oder an die Geheimen2) über sie, „auf dem Land erkundiget und befunden, daß des Jegers Eewirtin ain gutes Lob hab, und rieht [als Zöllnerin] mit iren guten Worten mer aus, denn so man zuvor vil Zanck und Un­ einigkeit gehebt hat . So hält sie sich gegen des Bischofs Zolner, wan der ein Neuerung machen will, vast streng und will solches mit nichten gestatten,“ — ganz wie sie es von ihrem Mann ge­ lernt. Sie war auch nicht ganz „unhäbig“, denn sie hatte laut „Heuratbrief44 Anwartschaft auf ein Elterngut, das sie aber nach dem Tod der Erblasser aus Gründen, die nicht angegeben werden, nicht zu Händen bringen konnte. Jäger setzte sich des­ halb in einem an seinen „Schwager“, wohl den Bruder seiner Frau, gerichteten Schreiben3) auseinander, in dem es heißt: „Da es ein Ansehen hat, als ob ich solches erst mit Recht müßte zuwegen bringen und also große Feindschafft uff mich laden, bin ich gedacht (in Ansehen, daß es anderst nit sein mag, und daß man allerlei Räncke sucht, daß mir das Geld nit zugestellt werde), mich der Gerechtigkeit, (daß ich nemlich meiner Frawen Gut uff gebürliche Versicherung in meinem Gewalt habe), dißmal zu ver­ zeihen, doch usserhalb des Erbfalles und der jerlichen Nutzung, welche Ir als Pfleger mir werdt wol wissen jeder Zeit zuzustellen. *) Jägers Chron. von 1540 S. 17. — Das Getränkungelt heißt es hier, sei „nicht übel bedacht, dann das trincken des wein, met und bier fend nit [not zum] leben, sondern nur erquickung des menschen“. 2) Conzept Jägers im Jäger-Faszikel des Reichsarchivs München.. 3) Ebenda, Bl. 152.

64 Möget deshalben mit dem Hauptgat handeln, wie Irs gegen Gott, der Oberkait und meiner Frawen sampt dem Kind zu verant­ worten wissen. Bin guter Hoffnung, Ir werdend darob kein Miß­ fallen haben, dieweil es zu merern Frid dienet in vil Weg, son­ derlichen zwischen mir und Endres Ettinger, mit welchem ich vil zeschaffen zu haben gar wenig Lust hab und doch, so ich obgemelte Handlung unterließ, jeder Zeit zeschaffen haben müßte“, — ein sprechendes Zeugnis für den verständigen, friedlichen Sinn Jägers, der nur versagte, wenn es etwa gegen Geistliche ging. Das Kind, dessen in dem Brief Erwähnung geschieht, ist seine Tochter Sara, verheiratet an den Buchbinder und Buchführer Friedrich Dum oder Thum, der sich im Februar 1551, während der Kaiser noch in der Stadt weilte, hatte verleiten lassen, verbotene Büchlein und Bilder — unter andern „den gewesten Kurfürsten von Sach­ sen im Küris und mit einem Schlachtschwert, zu seinen Füßen der Papst, Kardinäle und Geistliche“ — zu verkaufen und dabei ergriffen worden war. Bei der strengen Handhabung der Censurordnung, die damals in Übung war, suchte Thum, als er von dem Gericht verhört wurde, die Sache natürlich als möglichst harmlos hinzustellen, indem er betonte, er habe die Schriften nicht gelesen, „könne überhaupt nit sonders lesen, habs auch nit öffentlich feil gehabt“ und den Käufern ausdrücklich gesagt, sie sollten es mit dem Büchlein so halten, „daß nit Schaden daraus entsteh.“ *) Da er eine empfindliche Strafe zu gewärtigen hatte, machte er sich heimlich aus der Stadt weg *2) und Jäger *) Urgicht in der Urgichtensammlung dieses Jahres (Augsb. Stadtarchiv). 2) Zum Glück wurde der Familie Thums wenigstens das Ärgste erspart. Wir lesen in den Ratsdekreten 1551 : Fridrich Thum, buchfürer, soll lenger in fronvest bleiben, biß der von Arraß (Anton Granvella) etwas linder wird (24. Februar Bl. 22 a); — Fridrich Thumen halb achtet ain e. rat in erwegung des großen fürbits und daß an andern orten ab disem verbot nit so heftig gehalten werde, für ain genügsame straff, daß ime das handtwerck und dise stat verboten werde, doch soll sollchs durch herrn burgermaister Hans Jacob Fugger und herrn Christoffen Peutinger an den von Arras gebracht und ferners beschaidts erwartet werden (Bl. 26 a). — Fridrich Thumen soll anzaigt werden, wer ine habe haissen hinausgeen, der soll ine wider haissen herein gehen (22. Dez., Bl. 50 b). — 1552: Fridrich Thumen freundschafft soll antzaigt werden, er mög sich in die Eisen stellen, alsdann wiß sich ain ers. rate der gebür wol zu halten (12. März, BI. 30 b). Dieweil sich Fridrich Thum selbs in Fronvest gestelt, so ist erkannt, daß ime das buchfüren soll ernidergelegt und er vier wochen auf ain thurn gelegt werden (15. März, Bl. 31a). Aus diesem Gang

65 mußte nun die Sorge für die in Augsburg zurückgebliebene Frau und deren Töchterchen, auch Sara genannt, übernehmen.1) Auch mit einem seiner Söhne — der Name wird nicht genannt2) — erlebte er den Verdruß, daß dieser vom Rate wegen eines nicht näher bezeichneten Vergehens auf einen „Tum“ gesetzt wurde, von dem er aber schon nach kurzem „wieder herabgehen“ durfte.3) Zu seiner Familie gehörte auch noch eine Pflegetochter, namens Barbara, die er, nachdem sie den Kinderschuhen ent­ wachsen war, einer den Geschlechtern angehörenden Frau Hofmair, wohl der Gattin Franz Hofmairs, des letzten dieser „uralten Familie“, oder dessen Mutter zur weiteren häuslichen Erziehung ins Haus ge­ geben hatte. Ein wegen dieses Mädchens im Jahre 1559 von Jäger an dieHofmairin geschriebener Brief4) zeigt ihn uns als gewissenhaften Vormund, der Liebe und Strenge richtig zu vereinigen wußte. Die Frau hatte Jäger benachrichtigt, daß „die Bärbel nun schier gewachsen und mansmässig“ sei, worauf es dieser für angezeigt hielt, „Jhrer Ehrenvest“ als des Mädchens „Zuchtmeisterin“ das Silbergeschmeid, das sie von ihrer Mutter geerbt, zuzusenden, „nemlich ain Taschen mit silbernen Knepfen, ain silberins bezo­ genes Gürtelin, ain alte Schaidt, mit Silber beschlagen, und ain gewundenes berlins Halsband“. Wenn aber die Bärbel „solches Geschmeidt ihres Gefallens, auch on Rat“ ihrer Herrin „onzimlich tragen, auch iren Pracht und Hochmut domit treiben wolt,“ so möge man „solches nicht geschehen lassen“, sondern die Sachen der Dinge ist deutlich zu sehen, daß Jägers Gönner im Rate auch für seinen Schwiegersohn das Beste getan; und später werden noch weitere Milderungen der Strafe erfolgt sein. J) Pflegschaftsbuch 1551—66 (Stadtarchiv Augsburg), 1552: Adj. 9. jenner haben wir auff bevelch aines erbarn rats auff anrieffen Clement Jegers, ratsdieners, der vor uns auf dato erschinen, Sara, Friderichen Thumen ehewirtin, des Jegers ehliche dochter, und encklin 2 pfleger fürgestellt, nemlich Endres Ettinger, den ältern, färber, und jörgen Hohenauer, trechsel etc. (S. 37). — Ebenda, 1555: Der eben verstorbene Ettinger wird ersetzt als Pfleger „über Sara“, Jägers Tochter, „so er bei Anna Stimpfin ehlich erzeuget, mer über obgedachter Sara ainige dochter, auch Sara genannt, so sie bei Fridrich Thumen, so noch im leben, ehlich erzeuget“ (26. Januar, S. 149). 2) Uns sind zwei Söhne Jägers bekannt: Clemens und Gilg, doch wissen wir außer ihren Namen fast nichts von ihnen. 3) Ratsbuch 1559, 11. März: „Clement Jegers sone soll auf ain urphed wider ab dem thurn gelassen werden“, (Bl. 19) 4) Original, 7. Mai 1559, in den „Oefeliana“ der Staatsbibi, in München Nr. 282. 5

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„in Bewamus“ behalten und sie ihr nur herausgeben, „wenn es sich in Eren gebürt*4. Im übrigen bittet Jäger die Hofmairin auch im Namen seiner Frau, sich „um Gottes Lohnes willen“ das Kind ja recht empfohlen sein zu lassen, wobei er aber durchaus an keine Verzärtelung denkt; denn, schreibt er, „wo die Bärbel Euch in allem, was erlich und redlich, nicht volgen wollt, so nemet die Faust und Brügel zu Gehilfen, des Jr zu thon guet Macht haben sollen“. Und da die Hofmairin auch Anspielungen wegen einer etwaigen Verheiratung des Mädchens gemacht, ge­ stattet ihr Jäger „ainen erlichen Heurat zu befördern, doch daß solches ihm, Jäger, und seiner Frau vorher angezeigt werde. Zugleich legt er die Vermögens Verhältnisse Bärbels dar, mit denen es freilich etwas „baufällig“ bestellt war, denn ihr mütter­ liches „hinter einem Rat liegendes Erbe belaufe sich wegen schlechter Haushaltung des noch lebenden Vaters und anderer Umstände nur auf 20 Gulden, und ob sie vom Vater noch etwas bekomme, sei sehr zweifelhaft. Über die Jäger von der Hofmairin mit­ geteilte Absicht des Mädchens, zu Besuch nach Augsburg zu kommen, ist dieser „entsetzt“. Sie solle das ja unterlassen, denn es „zimpt solchen schier gewachsenen, eerlichen Junckfrawen gar nicht, daß sie über Land als ain Landfarerin reisen soll“; auch könnte es sich wohl zutragen, „wenn sie herkäm, daß sie der Vater [aus Scheu] vor irer Stiefmutter nicht beherbergen werd, wie denn andern ihren Geschwisterten auch geschehen“. Zu welchem „End“ die Sache geriet, ist nicht zu erfahren, auch für unsere Zwecke gegenstandslos. Eine Bestätigung seiner Geneigtheit, Witwen und Waisen zur Seite zu stehen, ist der Umstand, daß er von ver­ schiedenen Seiten an ihn ergangenen Aufforderungen, sich für solche als „Pfleger gebrauchen zu lassen“, trotz der damit ver­ bundenen Mühen und Verdrießlichkeiten gern Folge leistete.1) Er hielt dies wohl ebensosehr für Christen- wie für Bürgerpflicht. Jägers Gesundheit scheint schon vor seinem Rücktritt vom Ratsdieneramt erschüttert gewesen zu sein und schließlich muß die Krankheit, die ihn langsam verzehrte, Formen angenommen haben, die das Ende in bestimmt absehbarer Zeit erwarten ließen. Der starke Wille aber, der Jäger beseelte, hielt ihn soweit aufrecht, daß er mit Hilfe seiner Frau das Zöllneramt bis zuletzt versah *) Die Pflegschaftsbücher des Augsb. Stadtarchivs enthalten mehrere diesbezügliche Einträge.

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und daneben auch seine historischen Arbeiten ununterbrochen fortsetzte, ohne daß an ihnen eine Abnahme der Frische, durch die sie sich bis dahin auszeichneten, wahrnehmbar wäre. Allem Anschein nach war er Mannes genug, sich mit den Verheißungen der heiligen Schrift und philosophischen Vernunftgründen, wie er sie hauptsächlich bei Cicero fand, so zu stärken, daß er dem Tod ohne Furcht und Grauen entgegensah. Er hatte nur noch den Wunsch, die künftige Existenz der Seinigen, für die der Ratsdienerbestallungsbrief keinerlei „Unterhalt“ vorsah, vor seinem Ableben zu sichern, indem er an den Rat die Bitte richtete, man möge, wenn seine Zeit abgelaufen, seiner Frau und seinem Sohn das Zöllneramt dauernd belassen,1) ein freilich weitgehendes Verlangen. Er setzte, um durchzudringen, alle seine Gönner in Bewegung und gab dem ihm befreundeten Referenten für Supplicationen, dessen Namen wir nicht kennen, nach seiner Gepflogenheit das Conzept der Anträge, die er in dieser Sache beim Rate stellen sollte, in die Hand. Unter anderm wäre anzuführen:2) „Dieweil diser Zoll des Bischoffs Zoll so nahend gelegen, welcher Zoll bei vierzig Jaren bei ainem Geschlecht gebliben 3) und also durch seine Gestaigerung unsre Burger hart beschweret, auch das alt Herkommen in des Bischoffs Brücken­ zoll grob verendert worden ist, mag es nicht wider den Rat sein, wa diser Zoll, welchen der Jeger besitzt, auch ein Zeit bei seinem Geschlecht beieiben sollt“, zumal die Jegerin, die zunächst zum Zuge käme, sich wohl zu dem Amt eignete . Außer­ dem ließ Jäger durch seinen Fürsprecher den Rat ersuchen, sich gewisser Bücher zu erinnern, die er ihm bereits früher zum Ankauf angeboten. Es sind dies, wie wir aus anderer Quelle4) *) In späterer Zeit kam eine solche Übertragung eines Amtes an die Witwe des Amtsträgers ziemlich häufig vor, wenn man die Garantie zu haben glaubte, daß das Amt dabei nicht leide. 2) Von Jägers Hand: „Anweisung und Bericht meines Begehrens“ im J äger-Faszikel des Reichsarchivs zu München, Bl. 153. 3) Jäger hatte den Rat schon in seiner Schrift über den bischöflichen Wertachbrückenzoll (siehe oben S. . . ) darauf aufmerksam gemacht, daß die der Stadt so schädliche Routine der bischöflichen Zöllner zum guten Teil in der Übung des Bischofs seinen Grund gehabt und noch habe, den Zoll mög­ lichst lang im Besitz einer Familie zu belassen, in der sich dadurch die Ge­ schicklichkeit im Amte zur höchsten Vollendung ausbilde; diesem Beispiele möge der Rat — in seinem Interesse — folgen. 4) Aus der in der vorhergehenden Anmerkung citierten Schrift. 5*

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wissen, Bücher und Schriften, die im Jahre 1537, als das Dom­ kapitel die Stadt verließ, von dem Dechant Friedrich von Zülnhart und dem Kellner Konrad Adelmann zurückgelassen worden warenx) und von dem Referenten, natürlich nach Instruktion Jägers, als für die Stadt außerordentlich wertvoll bezeichnet werden. „Wenn ich die Nutzung aines e. Rats er weg“, meint er, „welche aus den Büchern jetzt und mit der Zeit volgen mag, (denn was die in sich halten, mit nichten zu melden), ist [der Ankauf] von ainem e. Rat wol zu bewilligen, denn es solt ain e. Rat ain hohe Suma Gelds nicht nemen, daß solche Bücher unsem Widersachern sollen zukomen sein“ welche er (Jäger) „für sich selbs ... umb sein aigen Geld erkaufft hat“. Auch wäre gut, wenn außerdem noch Jägers „Großes Geheimbuch“, das wir unter seinen uns bekannten Werken nicht identifizieren oder nachweisen können, in die Hände des Rates käme, nachdem dieses, wie der Referent sagt, „ainem e. Rat gar nicht zu geraten, sondern bei demselben mit gutem Nutz bleiben solt“. Da man „alle getreuen Diener lieben und, andern zu gutem Exempel, belohnen soll“, so werde hiermit der Antrag gestellt, den Bitten Jägers zu willfahren. Was der Rat wegen der Bücher beschloß, ist nicht sicher zu sagen.*2) Bezüglich des andern Ersuchens hielt der Rat an dem in solchen Dingen üblichen Brauch fest, sich für alle Fälle „freie Hand“ vorzubehalten, und dekretierte am 24. April 1561 nur: „Da sich der Todesfall an Jäger begeben [wurd], daß sich ain e. Rat gegen seinem Weib und Kindern der Gebür nach halten wurde“3) . Mündlich mag ihm noch eine bessere „Vertröstung“ zuteil geworden sein. Von der kurzen Zeit, die ihm noch beschieden war, ließ er keine Stunde ungenützt verstreichen. Als ein in geschäftlichen Dingen genauer Mann brachte er sein Zeitliches in dieser letzten Frist noch in gute Ordnung; so vor allem seine Bücher, Hand­ schriften, Notizen- und Excerptenhefte, von denen er die histo*) Auch die Dombibliothek war damals in Augsburg zurückgeblieben. 2) Wahrscheinlich hat er sie angekauft; in der Bau-Rechnung 1561, Bl. 122a besagt nämlich ein Posten, daß Jäger am 3. Mai 1561, also zur Zeit, in der diese Verhandlungen gepflogen wurden, eine „Verehrung“ von 120 fl erhalten habe. Dieser Betrag könnte der Preis für die in Rede stehenden Bücher gewesen sein. 3) Ratsdekr. 1561 S. 31b-

69 rischen Inhalts mit der Aufschrift „History“ zu einer besonderen Abteilung zusammenlegte.1) Aber mitten in seinen Todesgedanken hatte er doch auch noch ein scharfes Auge auf seine Zöllner­ geschäfte und wies einen nach seiner Meinung unberechtigten „Neuerungsversuch“ des Propstes vom Hl. Kreuz mit der alten „Tapferkeit“ zurück.2) Noch am 12. Oktober wurde ihm ein daraufhin vom Propste bei dem Rate eingelegter Gegenbericht zur Rückäußerung übermittelt3) und wir werden annehmen dürfen, daß diese auch zustande kam — vielleicht das letzte größere amtliche Schriftstück, das aus seiner Hand ging. Seinen Namens­ tag, der auf den 23. November fiel, erlebte er nicht mehr; ein paar Tage vorher, wahrscheinlich am Tag Elisabethae (19. No­ vember), hatte er die Augen für immer geschlossen. Da Jäger stets allerlei städtische Archivalien in Händen ge­ habt, ordnete der Rat am 20. November an, des Verstorbenen ?,Pücher und Schriften“ in Anwesenheit „der Jegerin zu ersehen“.4)5 Daß es die beiden Baumeister waren, die zu dieser Besichtigung bestimmt wurden, zeugt von der Wichtigkeit, die man ihr bei­ legte. Was der Stadt gehörte, wurde „an die gebührenden Orte“ zurückgebracht und verschiedene Jägersche Manuskripte, die sich jetzt in der Bibliothek und im Archiv zu Augsburg befinden, vom Rate käuflich erworben. Außer dem Rate war auch Hans Jakob Fugger persönlich oder durch eine Vertretung an der Sichtung dieses Jägerschen Nachlasses beteiligt; er nahm das von Jäger aus seinen Sammlungen Entliehene an sich, ebenso die von diesem für ihn ausgearbeiteten, nicht mehr fertig ge­ wordenen Werke — „das österreichische Ehrenwerk“ sowie die Fuggerchronik — und, wohl gegen Abfindung der Witwe, auch noch manches Andere. Das alles, oder wenigstens der größte Teil davon kam, als Fuggers Bibliothek später an Herzog Albrecht V. von Bayern überging,6) in dessen Besitz. Die gehefteten oder in 9 Mit roter Tinte geschrieben. Dieser Vermerk fehlt nur wenigen der kleinen Handschriften J ägers, meist nur solchen, die er schon früher aus den Händen gegeben. , 2) Conzept von Jägers Hand (undatiert) im Jäger-Faszikel des Reichs­ archivs zu München. 3) Ratsdekr. 1561: „Des brobstes zum Hl. Creutz bericht soll Clementen Jeger fürgehalten werden.“ (11. Okt. Bl. 75 b). 4) Ratsdekr. 1561, 20. Nov., Bl. 86 b. 5) Siehe hierzu Hartig, die Gründung der Münchener Hofbibliothek, S. 31 ff.

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Faszikelchen zusammengelegten Stücke wurden der herzoglichen Bibliothek — der heutigen Staatsbibliothek in München — ein­ verleibt, wo sie noch sind, die vielen losen Blätter und Zettel, die Jäger hinterließ, fanden nebst andern von Fugger gesam­ melten oder von diesem herrührenden Papieren in mehreren nun teils im Reichsarchiv, teils im geheimen Staatsarchiv zu München liegenden Sammelbänden Aufnahme.1) In ersterem ist auch ein ganzer Faszikel, meist von Jägers Hand stammender Stücke, die nicht auf diese Weise untergebracht worden, aufbewahrt,2) ebenso eine Kopie der ,,Vorbereitung des Rates gegen Georg Öster­ reicher“.3) Einiges wenige, wie die Abschrift der von dem Maler Georg Preu dem Älteren verfaßten Augsburger Chronik, verirrte sich in die Sammlungen Felix Oefeles und gelangte erst aus dessen Hinterlassenschaft vor etwa zwanzig Jahren nach dem Tode seines Enkels in die Münchener Staatsbibliothek,4) während ein neben vielem Andern die Jägersche „Verteidigung“ des Rehlingerschen Geschlechtes enthaltender „Oefele-Codex“ in der Handschriftensammlung der Pfarrei Rottenbuch steht;5) daß auch Jägers Amtsgenosse Paul Hektor Mair sich verschiedenes an­ eignete 6) und einiges verschollen ist, wurde oben schon erwähnt. Das Bürgermeisterehren- und das Vogtbuch sind jetzt im NationalMuseum zu München, das Zunftehrenbuch in der Stadtbibliothek Augsburg, das Herwartbuch im Stadtarchiv Augsburg, der Ent­ wurf des Fuggerbuchs im Germanischen Museum zu Nürnberg und die Ausführung des Entwurfs im Fugger-Museum zu Augsburg. Das Jäger im April gegebene Versprechen des Rates, sich gegen seine Familie seiner Zeit „nach Gebühr“ verhalten zu wollen, wurde, wenn auch nicht ganz so, wie es die Witwe er*) So findet sich, wie schon bemerkt, Jägers Reformationsgeschichtsfrag­ ment in der Serie „Kirche und Schule“ des Reichsarchivs, Bd. 19; von den Beständen im Haus- und Staatsarchiv, die Jägeriana enthalten, heben wir her­ vor: (Kasten schwarz) 158/9, 500/2, 500/8. 2) Der von uns im obigen öfter erwähnte J äge r - Faszikel, Reichsstadt Augsburg, Nr. 105. 3) Literalien der Reichsstadt Augsburg X, A 97. 4) Siehe Leidinger, Schicksale der Bibliothek A. F. von Oefeles in den Forschungen zur Geschichte Bayerns, Jahrgang 1905, S. 230. — Die Hand­ schrift hat nun die Signatur Cod. Oef. 214. 5) Handschrift Nr. 60. 6) S. 33.

71 wartet zu haben scheint, eingelöst. Am 29. November 1561 wurde nämlich erkannt: „Der Jegerin, Wittib“, soll angezeigt werden, „ain ersamer Rat wolle sie bis auf desselbigen Wolgefallen und Widerruffen bei dem Zoll lassen“;1) aus dem noch folgenden Beisatz der „Fürsichtigen“, es sei ihr „ain merer Vertröstung nit beschehen“, ist wohl zu schließen, daß sie um lebenslängliche Verleihung des Dienstes nachgesucht hatte. Indeß war die Formulierung der ihr bewilligten Dienstüberweisung die übliche, mit der sie sich be­ gnügen mußte; de facto geschah ihr damit nicht wehe; denn eine Abberufung von dem Dienste erfolgte nicht, bis sie selbst wegen Geistes- und Körperschwäche diesen niederlegte. Sie überlebte ihren Mann um mehr als zwanzig Jahre.2) Jägers Grabstätte hat sich nicht erhalten, auch nicht das zu ihr gehörende Epitaph, wie uns ein solches von so vielen Augs­ burgern früherer Jahrhunderte überliefert ist.3) Doch hat er sich in den besten seiner Werke, besonders in dem österreichischen Ehrenwerk, selbst ein Denkmal gesetzt, das durch die Zeit nicht zerstört werden konnte und nur der Enthüllung harrte. Und nun noch ein Nachwort, das das zu seiner Beurteilung Dienliche kurz zusammenfaßt. Jägers Werke sind, wie wir sahen, in den Rahmen der humanistischen Geschichtschreibung einzugliedern, deren Geist er wenigstens insofern erfaßt hat, als er einsah, daß ein „rich­ tiges“, nach „echter historischer Art“ aufgebautes Geschichts­ werk auf primären, „bewährten“ Quellen beruhen müsse. Aber indem er sich anschickt, den ihm vorschwebenden Vorbil­ dern hierin nachzufolgen, fehlt es ihm anscheinend an der Erkenntnis, wie unvollkommen er hierzu ausgerüstet, und so bietet er, wie es nicht anders sein kann, oft das Bild eines Schwimmers, der sich, ohne vorher die Kunst des Schwimmens erlernt zu haben, auf gut Glück in den Strom stürzt und sich mit ungeschulter Kraft ans Ziel durchkämpft. Als „echte“ Quellen erkennt er, wohl von Peutinger belehrt, vor allem urkundliches Material, das er überall, soweit es ihm erreichbar, als Aus­ gangsbasis, Erläuterung oder Beleg seiner Texte ausgiebig 9 Ratsdekrete 1561, Bl. 89 b. 2) In den Steuerbüchern läßt sie sich verfolgen bis 1581. 3) In Prasch, Epitaphia Augustana, 3 Bde. (Salzburg 1724, 1726).

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heranzieht. Das ist natürlich sehr anerkennenswert; tadelnswert aber ist es, daß sich Jäger da, wo es ihm an sicheren Quellen fehlt, in der sorglosesten Weise auf luftige Combinationen ein­ läßt und zwar so, daß der Leser zu dem Glauben verleitet wird, er habe auch hier wohl fundierte Tatsachen vor sich. So hat Gasser, der der Meinung war, es sei alles, was Jäger ihm zur Verwertung für seine Augsburger Annalen übergeben, — und das war nicht wenig — das Ergebnis solider Forschung, darauf­ hin manch Falsches oder nur Halbrichtiges in sein Werk auf­ genommen und, da Paul von Stetten eine große Anzahl solcher Stücke seiner Geschichte Augsburgs einverleibt hat und er seiner­ seits wieder von vielen Spätem, die sich mit Augsburger Ge­ schichte zu befassen hatten, ausgeschrieben wurde, haben sich diese Irrtümer außerordentlich weit verbreitet und schon viel Schaden angerichtet, so daß die großen Verdienste, die sich Jäger unleugbar um die Geschichte seiner Vaterstadt erworben, dadurch eine gewisse Schmälerung erleiden* Als Forscher ist also Jäger durchaus nicht immer verlässig, sondern nur allzuoft das Gegenteil davon. Aber auch in der Darstellung, die doch seine starke Seite war, ist er ungleichmäßig. Neben Stellen voll Kraft und Wucht, die ein Aventin geschrieben haben könnte, stehen andere — schwach und matt, noch dazu entstellt durch schlecht und fehlerhaft gebaute Sätze —, die geradezu als stümperhaft be­ zeichnet werden müssen. Diese haben ihren Grund teils in Un­ geschicklichkeiten, die sich aus Jägers autodidaktischer Bildung ergaben, teils in seiner aus ungestümem Arbeitsdrang entspringen­ den Viel- und Schnellschreiberei, die die Schuld trägt, daß keines seiner Werke ohne bearbeitende Eingriffe in den Druck gegeben werden könnte, ausgenommen das österreichische Ehrenwerk, das von den ärgsten durch Flüchtigkeit entstandenen Fehlern vor der Reinschrift durch andre Hand gesäubert worden ist. Doch es ist wohl ungerecht, einen Mann von so eigenartiger Entwicklung und so origineller Individualität, wie Jäger war, ins einzelne gehend mit dem gewöhnlichen Maßstab messen zu wollen. Wirft man einen Blick auf sein Lebenswerk im ganzen und vergleicht es mit dem, was seine Vorgänger, die Zeitgenossen und nächsten Nachfolger hervor gebracht, so wird man zugestehen müssen, daß mindestens sein österreichisches Ehrenwerk eine außerordentliche Leistung darstellt, daß er auf mehreren Gebieten

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der Geschichtschreibung neue, bis dahin in seiner Vaterstadt un­ begangene Wege eingeschlagen und so „als ein Mann für sich14 erscheint, der schon dadurch über den Kreis des Mittelmäßigen hinausgehoben wird. Paul von Stetten, der Jüngere, sagt von ihm, nachdem er einige der Werke Jägers genannt: „Er war ein besonders fleißiger und geschickter Mann, und obwohlen er kein Gelehrter gewesen, so findet sich doch in seinen Schriften sehr viele Belesenheit, nicht nur in Geschichtschreibern, sondern auch Nachforschungen von • . . Dokumenten; nur mangelt es an Beurteilung und Verdauung44. Hätte Stetten gewußt, daß Jäger bis zum Beginn des letzten Drittels seines Lebens das Schuster­ handwerk ausgeübt und der Verfasser der von ihm so hoch­ gepriesenen „Vorbereitung des Rates44 und des Ehrenwerks ge­ wesen, so würde sein Urteil, das an sich gewiß richtig ist, wohl noch günstiger ausgefallen sein. Das Widerspruchsvolle, das in mancher Beziehung den Werken Jägers anhaftet, tritt auch in seinem Charakterbild alsMenschzu Tage. Zu den sympathischen Zügen seines W esens, die man auf den ersten Blick bemerkt, gesellen sich andere, die verraten, daß er der lautere Biedermann, als der er so gern er­ scheinen möchte, zum mindesten nicht in allen seinen Lebens­ verhältnissen gewesen. Wo er aus dem engsten Kreis seines Privat- und Dienstlebens hinaustritt, weiß man sehr häufig nicht recht, wie man mit ihm daran ist; ob das, was er schreibt, seine „wahre Meinung44 oder der Ausdruck schriftstellerischer Imagi­ nation und Einfühlung ist, ob man den Niederschlag natürlicher Empfindung oder den Phrasenschwall eines Poseurs vor sich hat; manchmal mag er sich selbst nicht ganz darüber im klaren ge­ wesen sein. Er setzt sichtlich seinen Stolz darein, wie ein ge­ wandter Schauspieler alle Rollen, die er an sich genommen, mit gleicher Überzeugungskraft durchzuführen, wenn auch der je­ weils dabei einzunehmende Standpunkt in der Auffassung der Dinge noch so verschieden war. Bald tritt er auf als wackerer Zünftler, der nichts Höheres kennt als ein richtiges Zunftregiment und die daraus sich ergebende demokratische Republik — den „freien Stand44 wie er sich ausdrückt, — bald als Repräsentant der vornehmsten Geschlechter, der das Zunftwesen und die da­ mit verbundene Regierungsform grundsätzlich als Unfug und Wurzel alles bürgerlichen und staatlichen Verderbens betrachtet.

74 Heute „agiert“1) er den einem der „uralten Geschlechter“ der Stadt entsprossenen Bürgermeister Georg Herwart, der die Anlage seines „Stammenbuches“ hauptsächlich mit dem Alter und be­ rühmten Namen seines Hauses rechtfertigt, ein ander Mal den einer eben erst aus dem Dunkel aufgetauchten Familie angehö­ renden Kaufmann Ulrich Link, den er wortreich dartun läßt, daß auch einem Mann seinesgleichen das Recht auf ein solches Ehren­ werk zusteht, das „für die Vorfahren und Nachkommen nützlich und in viel Weg zu allem Guten bequemlich und löblich ist.“ Er fließt über von Dankbarkeit gegen die „Herrn41, die ihm ihrem ganzen Wesen nach so fernstehenden „großen Hänfen“ und geht für sie, wenn es im geheimen geschehen kann, als pflichtschuldiger Client durchs Feuer, zeigt sich aber äußerst undankbar gegen die Zünftler, die ihm besonderes Vertrauen entgegengebracht, ihm durch Aufnahme in den städtischen Dienst die Bahn zur erfolgreichen Pflege seiner literarischen Bestrebungen geebnet, auch andere Wohltaten erwiesen hatten und zum Lohn hiefür von ihm schließlich mehr als einmal auf das schnödeste verraten worden sind. Der „Historischreiber4*, der sich in Mo­ menten schöpferischer Begeisterung als einen einzig von innerm Drang Getriebenen, von obenher Inspirierten gibt und Klio als höchste Gottheit anbetet, zeigt sich in der nächsten Stunde als einen emsig auf seinen Vorteil bedachten, klugen Geschäftsmann, der seine Ware sorgfältig dem Geschmack des jeweiligen Be­ stellers anpaßt und möglichst gut losschlägt; so macht er, der, wie es damals allgemein im Schwang war, die Geschichte nicht zum wenigsten wegen ihres sich jedem Alter, jedem Stand, jeder Lebenslage darbietenden praktischen Wertes so hoch schätzt oder zu schätzen vorgibt, sie auch für sich, und zwar in einer seinem Erwerbesinn besonders zusagenden Weise, „nützlich**. Er versteht sich, wo es die Umstände erfordern, ohne weiteres dazu, seine besten Erzeugnisse in Anonymität zu hüllen, sie in geheimen Verschluß verschwinden zu lassen oder andere als Autoren vorzuschieben, und doch schlug in ihm ein „ehrflammen­ des“ Herz, voll Verlangen nach Anerkennung und Nachruhm und geschwellt von einem hochentwickelten Selbstbewußtsein, das sich mit dem Gelingen seiner ersten Unternehmungen in der Folge *) In den Vorreden zu den „Stammenbüchem“, die er deren „Fundatoren“ in den Mund legt.

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zu einer fast naiven Vermessenheit und keine Schwierigkeiten oder Bedenklichkeiten mehr kennenden Kühnheit steigerte. So bekam er auch den Mut, sich in den Dienst politischer Machen­ schaften zu stellen, freilich nur, wie wir sahen, im Auftrag seines „Herren“ Hans Jakob Fugger, dessen Weisungen er ohne wei­ teres nachkam, wie er einst als Schuster die Stiefel und Schuhe einfach nach den Wünschen der Kunden gefertigt hatte. Diesen Schattenseiten des Jägerschen Charakters stehen aber manch schätzenswerte Vorzüge gegenüber, die wir nicht über­ sehen wollen: vor allem ein unermüdlicher Bildungstrieb, ein staunenswerter Fleiß, eine unbeugsame Willenskraft, wohlgemeinte Frömmigkeit, ein untadeliges, „ehrbares“ Wesen im Alltagleben, schöne bürgerliche und häusliche Tugenden, ein patriotisches, das weitere und das engere Vaterland mit gleicher Liebe umfassen­ des Herz, Gewissenhaftigkeit in den ihm übertragenen Ämtern und ein fester, sich vor dem Tod nicht fürchtender Sinn. Es ist wohl möglich, daß durch einen Zufallsfund einmal neues Material zu Tage gefördert werden wird, das uns gestattet, den Lebensgang Jägers, den wir bisher nur durch einen dichten Schleier hindurch sehen konnten, schärfer zu erfassen; dann wird sich vielleicht dies und jenes, das uns jetzt schwer begreiflich er­ scheint, aufklären und mancher uns in seinem Bilde abstoßender Zug verschwinden oder gemildert werden.

(Der zweite und dritte Teil der Arbeit folgen in dem zweiten Halbjahresheft der Zeitschrift.)

Der Augsburger Stadtmaler Matthias Kager (1575—1634). Von Prof. Dr. Hermann Nasse, München.

I. Leben. Joh. Mathias K a g e r, Maler, Architekt und Innendekorateur, ist 1575 in München geboren. Er war der Sohn des Kistlers Anton Kager. Seine Lehrer wurden J. Jelle und Jörg Karl, dann Fr. Sustris. Als Hofmaler Wilhelms V. machte er um 1595/96 eine Reise nach Rom und Venedig. 1598/99 wurde er in München Hofmaler Maximilians I. Da er sich gegen den all­ mächtigen Candid nicht durchsetzte, ging er 1603 nach Augs­ burg, wo er 1604 Bürger und 1605 Stadtmaler wurde. Unter seinen Lehrknaben befanden sich die Gebrüder Johann und Johann Ulrich Loth. Kager malte 1605/07 die Fresken an der Fassade des Weber­ hauses und 1610/12 die des hl. Kreuz- und Frauenturms. 1619 begann er die innere Ausschmückung des Rathauses, die er 1623 beendete. Von ihm sind die Deckengemälde nach Entwürfen Candids und viele Tafelbilder daselbst (s. a.). Er machte häufige Reisen: 1611 nach München, 1612 eine nach Eichstätt, 1617 nach Nürnberg, 1625 wieder nach Eichstätt und um 1629 nach Zwie­ falten. Hier leitete er alle Erneuerungsarbeiten und fertigte er wichtige Altarbilder. Mit Ph. Hainhofer eng befreundet, blieb er mit vielen Fürsten und Klöstern in ständiger Berührung. In Augsburg genoß er hohe bürgerliche Ehren, wurde er 1620 Stadtrichter, 1627 Ratsherr und 1631/32 Bürgermeister. Das leider zerstörte Fassadenfresco am Gefängnis von 1631 ist wohl seine letzte Arbeit (1631). Er starb 1634 in Augsburg und wurde in der kathol. hl. Kreuz­ kirche begraben. (Da im Repertorium für K. W. ein ausführlicher Bericht über Kagers Leben mit vielen archivalischen Urkunden erscheint, darf ich darauf bezüglich aller Einzelheiten verweisen.)

77 II. Kager als Taielmaler. Es sei hier eine allgemeine Bemerkung erlaubt. Wegen der Gleichartigkeit gerade der Bilder der mittleren Zeit habe ich auf eine Aufzählung sämtlicher Kager zugeschriebenen Gemälde verzichtet. Die hier nicht analysierten Gemälde sind, soweit sie mir bekannt sind, im chronologischen Verzeichnis aufgeführt. Vollständigkeit dieser Liste ist aber nicht Ziel der Arbeit, auch bei den bekannten Reiseerschwerungen ein Ding der Unmög­ lichkeit. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß aus Privatbesitz und aus dem Besitz von Klöstern und namentlich kleineren Landkirchen immer wieder Bilder Kagers auftauchen werden. Ähnlich steht es hinsichtlich der Zeichnungen, da nicht alle öffentlichen Sammlungen des Kontinents von mir eingesehen wer­ den konnten. Doch glaube ich alle wichtigsten zu kennen. Von 1609 ist das erste datierte Gemälde; über die Anfänge schweigen Daten und Quellen. Die drei nachgenannten Bilder, in denen sich italienische und niederländische Einflüsse kreuzen, werden noch in München entstanden sein. Die Predigt Johannes im Germanischen Museum zu Nürnberg, Nr. 371 (Abb. 1), ist in dünnen, etwas stumpfen und flauen, nuancierten Farben gehalten, grün und blau, grellgelb, ockerrot; der Baumschlag erinnert an den frühen Elsheimer, auch an P. Brill.1) Der junge Ritter vorne in rot und grün, im braunen Mantel, gelblichen Stutzen, weißrotem Federhut läßt an A. Bloemaert denken. Der Hintergrund ist braun-blaugrün. Ein gelblich-bräunlicher, grünlich-grauer Firnis liegt über den Lokal­ farben. Dieser trübe Firnis liegt auch über dem hoch hängenden schlecht erhaltenen, aber guten Gemälde der Kreuzauffindung in der Münchener Frauenkirche, früher dort in der Andreas­ kapelle.2) Macarius, der demütig gläubig vorne den kranken Alten stützt, ist dem bekannten Hieronymus des Caravaggio *) Handschriftl. Inventar der Gemäldesammlung des bayer. Staates; 0,46 hoch, 0,83 breit, früher Nr. 5746 der Galerie Zweibrücken, Nürnberger Katalog Nr. 353, Holz. Elsheimer war nach Pelzer von 1598—1600 in München. 2) Bianconi schätzt es „sopra il tuttou, also außerordentlich. Ritters­ hausen, Die namhaftesten Denkmäler in der Residenzstadt München 1788, sah es links vom Hochaltar. Bayer. Kunstdenkmäler. Höhe 3,05 m, Breite 2,10» Lw. (s. auch Lipowski und Mayer).

78 abgesehen; venetianisch ist das goldblonde Colorit des Brokat­ gewandes der edel gebildeten Kaiserin Helena neben Konstantin. Architekturen des Hintergrundes haben entfernte Ähnlichkeit mit Augsburger Bauten. Die Braut des Allucius, die auf dem Landauer Bild der „Enthaltsamkeit des Scipio“—Landau, Pfalz ehern. Offizierskasino (Abb. Schlecht-Kalender 1922 S. 18)— dem Darius zurückgegeben wird,1) während rechts Männer und Frauen Geschenke herbeibringen und anbieten, sieht der Helena wie einer Schwester ähnlich. Auch die Farben sind sich ähnlich. Ich kenne das Bild nur aus Beschreibung und Photographien. Diese drei Bilder müssen zwischen 1598 und 1609 gemalt worden sein. Die Pause von 1609 hängt mit dem Verbot an Kager, in Öl zu malen, zusammen. Dafür entstehen viele Arbeiten in Miniatur und Fresko. Die 1609 datierte Geburt Christi2) und die 1610 datierte Anbetung der Könige in Augsburg (katholisches Pfarrha»8 von St. Ulrich und Afra) bringt nun eine gewisse Stilwand­ lung und Klärung der widerstreitenden Einflüsse. Kager führt die Renaissancemalerei, wie sie ihm in der Heimat durch Christoph Schwarz und Friedrich Sustris überkommen war, weiter fort. Das deutsche Stilelement überwiegt. Auch die Stimmung, die Erfindung ist deutsch. Ein alter König küßt im zweiten Bilde das Füßchen des Jesuskindes, der nächste hebt knieend den Deckel von einem goldgefüllten Pokal. Der Mohr läßt sich von seinem Knappen das Füllhorn reichen. Eine Strohdecke schließt die höhlenartige Hütte ab. Maria hat ein reines kindliches Mädchengesicht, etwas geziert und leer im Ausdruck. Die Verkürzungen sind noch ungeschickt. Sehr bezeichnend sind die gespreizten Finger und die peinlich ausführliche Detailmalerei. In den Farben findet sich ein irisierendes Rot im Kleid der Maria. Der alte König ist silbergrau-rot, im übrigen viel braungold-rot, bräunlich-rot. Italien­ ische Form paart sich mit etwas derber deutscher Breite und manieristischem Ausdruck. Sustris und auch Candid sind nicht ohne Einfluß im Aufbau und in der Zeichnung. Einige Ab*) Handschriftl. Inventar, Lw. 1,42 :2,69. Aus der Residenz München. In manchen Zügen bemerkt man Ähnlichkeit mit neuerdings im Anschluß an das gesicherte Wiener Bild dem Friedrich von Valckenborch zugeschriebenen Bildern. 2) Lw.; bez. M. Kager, F. 1609. Abgeblätterte Stellen, wenig übermalt. Ursprünglich hinter dem Hochaltar der Kirche auf dem Kredenztisch.

79 weichungen bringen die gleichen Themen im Treppenhause des Ordinariatsgebäudes in Augsburg, die um 1610 entstanden. Mit einer ganz ähnlichen Bewegung wie dort hebt Maria *) in dem Gemälde der Geburt Christi das Schleiertuch des Kindes. Das gleiche stillebenartige Detail. Hier noch eine Katze, die einen Löffel abschleckt, dann Körbe, Tücher, Geräte, der Esel etc. Auch sehen wir hier wie dort eine mit Kulissen gebaute, zu­ sammengepackte Landschaft ohne Tiefe. Es findet sich dieselbe graue, hier noch mattere und kühlere Färbung. Vorne lehnt ein überlanger Hirt, wie bei Tintoretto, auf einem langen Stab; im Hintergrund beschäftigen sich Engel mit den Tieren und dem Reisekorb. Hinter Josef erscheint eine Magd, wie sie ähnlich derb bei Sustris vorzukommen pflegt. In den Lüften singen kleine Engelputten das Gloria. Für den Manieristen ist die übertriebene Gestikulation, das Emporsetzen der Vorgänge auf eine erhöhte Bühnen-Holzestrade durchaus bezeichnend. Ein bekanntes Hilfs­ mittel schon der frühen manieristischen Italiener. In der nicht datierten Anbetung der Könige *2) finden wir ein lebhaftes Rot im Mantel des hl. Königs, ferner Gelb mit viel Gold in dem des zweiten, Hellrot und Blau in der Kleidung der Maria. Auch das sehr verdorbene „Jüngste Gericht“ ebenda, sicher identisch mit einem oft genannten, ursprünglich im Dom aufge­ stellten Gemälde, stammt aus diesem Jahre.3) Es ist der Erhaltung wegen kaum eine Beschreibung möglich. Die Hölle mit nackten Leibern und züngelnden Flammen interessiert mehr als die Selig­ keiten. Die Mimik scheint besonders in den Augen übertrieben. Wie gute, nur wenig abweichende Repliken nehmen sich die „Geburt Christi“ und die „Anbetung der Könige“ in der Kloster­ kirche zu Obermarchthal aus, die 1614 entstanden sein müssen. Komposition und Farbengebung sind ganz übereinstimmend. Aber es sind Originale und keine Kopien. Eine Beschreibung erübrigt sich.4) Schon hier sei aber die „Hirtenanbetung“ des Klerikal*) Rechts oben: M. Kager f. 1610. 2) Auf dem Postament findet sich die Bezeichnung: M. Kager f. 3) Hainhofer 1. c. berichtet von diesem Jahr: „Kager habe noch zwei Altäre zu absolvieren, da er nicht mehr an den Türmen arbeite. Hirsching meint vom „Jüngsten Gericht“, es sei einst in der Dominikaner-Klosterkirche hinter dem Hochaltar gewesen, aber wegen einiger unziemlicher Vorstellungen weggenommen worden. 4) Zwischen 1614 und 1617 soll dort, wie mir der Pfarrer schreibt, die Annakapelle, in der diese Bilder hängen, wieder neu hergestellt worden sein.

80 seminars zu Freising genannt. (S. Abb. 2). Ein guter Lichteffekt in diesem weit reiferen und bedeutenden Gemälde erhöht die Eindringlichkeit der Wirkung. Ausgezeichnet ist die Charakteri­ sierung der erregten, treuherzig-biederen Hirten.1) Ein gutes, 1616 datiertes, leider nun ziemlich vergilbtes Gemälde der „Krönung der Maria“ befindet sich in der kath. hl. Kreuzkirche zu Augsburg. Es ist eine Darbringung der Jung­ frau im Tempel (Tempelgang) und Bekrönung zugleich. Die Eltern Mariae schreiten Stufen zum Tempel hinauf (rechts), mehrere Frauen (links) bringen, zum Teil in Körben, Gaben. Der Hohepriester, hinter ihm zwei Begleiter, neigt auf der obersten Stufe sich zur hl. Maria hinab. Darüber, im Himmel erscheint die Dreieinigkeit. Vielleicht ist auch die sehr zierliche Schnitzarbeit des Altarrahmens mit den anmutigen Engelsköpfen und dem geschwungenen Ornament von Kager selbst entworfen. Die Farben sind namentlich in Gelb, Weiß und Rot sehr lebhaft, wenn auch etwas verblaßt.2) Ungefähr in diesen Zeitraum dürfte auch das rechts vom Hochaltar in der Moritzkirche zu Augsburg befindliche Altarbild des hl. Moritz in der Glorie, vor ihm adorierend die hl. Sebastian und Franziskus, fallen. Das Bild wird schon von Stetten erwähnt. Es ist eine gute Arbeit, die aber nichts Neues über unseren Meister aussagt. Der leider stark restaurierte „Gute Hirte“ in St. Peter zu Augsburg dürfte um 1614 gemalt sein.3) Satte, tiefe, aber erneute Farben zeigen Christus in grünem, innen dunkelrotem Mantel, mit dem Lamm über der Schulter, der Herde zu Füßen. Rechts im Hintergrund die kleinen Figuren der vor dem Wolf fliehenden Lämmer. Dar­ über eine für Kager charakteristische Engelsglorie mit der leb­ haften Armbewegung der Cherubine, die in hellste gelbweiße und rosarote Gewänder gekleidet sind. Gerade die kleinen Engels*) Wegen der Beschreibung verweise ich auf die Publikation von mir im Schlecht-Kalender 1922, dort auch die Abbildung. 2) Siehe Feucht mayr, Schlecht’s Kalender 1924. Hier auch die Angabe, daß die in der Sakristei in der hl. Kreuzkirche befindlichen Statuetten männ­ licher und weiblicher Heiliger von Murmann, Menneler und einem Unbekannten ursprünglich zum Kager-Altar, Mariä Tempelgang (es ist aber eine Krönung und Tempelgang), gehörten. 3) Frhr. v. Seida, historisch-statistische Beschreibung aller Kirchen, etc. in Augsburg, S. 125, Augsburg u. Leipzig, ca. 1813. Meidinger, histor. Beschreib, der kurfürstl. bay. Haupt- u. Residenz­ stadt Niederbayerns Landshut 1787.

81 köpfe in den gelblichen, das Bild flach abschließenden Aureolen liebt Kager sehr. Sie kommen oft vor. Schon bei Sustris finden sei sich. Das große Hochaltarbild der „Maria in der Glorie“ zu St. Moritz in Augsburg ist so, wie es jetzt vor uns steht, ob­ wohl ursprünglich für Kager beglaubigt, eine Arbeit von Berg­ müller, der das Bild vollständig veränderte. Es ist nicht das von Stetten erwähnte Bild, der den oben genannten hl. Moritz in der Glorie meint. Ein prachtvolles Marienbild: „Maria erscheint den auf Erden versammelten Heiligen“ (s. Abb. im SchlechtKalender) befindet sich im Treppenhaus der Bischöflichen Resi­ denz zu Eichstätt.1) Die gelblichen Aureolen, die schwebenden vier musizierenden Engel erinnern wieder, auch im Typus, an Sustris. Maria selbst, blau und rot, läßt hier an Rottenhammer denken. Die Heiligen sind die vornehmsten Gestalten des Jesuiten­ ordens, die bekanntesten weiblichen Heiligen und die Vorkämpfer der Ecclesia militans. In der Körperbildung ist der romantischantikische Einschlag (von Rom her) bemerkenswert. Johannes der Täufer ist in Figur und Pose nahezu ein Jupiter. Ganz ähnliche Bewegung und Mimik, ähnliche Heilige und eine gleiche Komposition, die das Bild in mehrere Stockwerke horizontal gliedert, ebenso ausdrucksvolle, erregte, lebhaft emp­ findende Männerköpfe finden sich auf dem allegorischen Bilde „Christus in der Herrlichkeit“ der Jesuitenkirche zu Dillingen. Zu oberst auf Wolken der Kreis der Apostel, darunter Märtyrer und heilige Frauen, denen Engel die Palme reichen. Links zwei heilige Bischöfe, ganz unten König David, rechts Longinus und der bekehrte römische Hauptmann, hinter ihnen Kager und Elias Holl. Die Posen sind etwas affektiert, aber die Inbrunst der Anbetung, der Ernst in der Meditation und Disputation zeichnen das mit seinen lichten Farben, wie sie für Kager eigentümlich sind, sehr angenehm wirkende Bild aus. Im allgemeinen hat sich Kager auf männliche Charakterköpfe besser verstanden als auf anmutige Frauen. Der Typus der Frauen ist immer sehr verwandt: längliches Birnenoval, an Schafe erinnernde breite Nasen, schema­ tischer Augenaufschlag. Unser Bild mag 1616/17 entstanden sein. Für 1619 datiert und vollbezeichnet ist das der „Lactatio Mariä“ in der herrlichen Klosterkirche zu Aldersbach bei Passau, *) Bezeichnet und datiert 1616.

82 einer einstigen Zisterzienserabtei. Maria (s. d. Abb. bei Schlecht) spendet dem hl. Bernhard die göttliche Milch.1) Heilige aller Zei­ ten und Tage verehren sie. Man beachte den guten Charakter­ kopf des hl. Benedikt rechts unten in der Nische, die Plastik, die gute, lichte, strahlende Färbung. Nur die schlechten Extre­ mitäten, die gequollenen Hände stören, ebenso die etwas branstigrötlichen Backenflächen. Weißgrau-rosa Töne herrschen vor. Gelb fehlt. Der Aufbau, wieder in drei Horizontalen, erinnert an Guido Reni; in manchen Köpfen sehe ich Anklänge an Rubens.2) Im Jahre 1619 wird auch das Altarblatt der Pfarrkirche zu Buchloe entstanden sein, die „Rosenkranzspende an Dominicus“.3) Fünf Engel, Cherubim und geflügelte Puttenengel tragen und stützen die sterbende Maria, in deren Schoße das Kind steht. Auf Erden wird ein Türkenheer von zwei Schimmelreitern, Petrus und Paulus, denen Engel assistieren, bedroht. Maria aber als Hauptfigur spendet dem seine Arme weit ausbreitenden hi. Dominikus den Rosenkranz mit der Linken. Die Bewegung ist überall unge­ schickt, aber der Ausdruck ist gut, in allen Einzelheiten findet sich nahe Verwandtschaft mit Aldersbach. Auch hier, im Colorit allerdings nur, Anklänge an Rubens, in der Madonna und den Engeln an Rottenhammer. Maria: blau, rosarot, gelbes Brusttuch, in gelber Aureole. Viel branstiges Rot auf den Gesichtern der Engel, ihre Gewänder grüniichweiß, blaugelblich. Diesem Buchloer Gemälde steht ein guter hl. Benedikt im Augsburger Kloster St. Stephan nahe, ein Bild, das 1622 gemalt wurde. Christus zwischen hl. Benedikt und hl. Scholastika mit dem Buche und der Taube auf Wolken. Je zwei Engel links und rechts. Auf Erden adorieren Papst Gregor und Leo, Heinrich II. 9 Kalender 1922 S. 19, ferner auch Kalender 1624 S. 12, 13. 2) Der Führer von G. Abröll sagt, daß Abt Michael Kirchberger 1617 bis 1619 den Hochaltar baute und das Bild von Kager herstellen ließ. Kager’s Bruder, ein Kunstschreiner, habe den Hochaltar gezimmert. 1911 ist das Bild restauriert worden. Guby, Passauer Bildhauer des 18. Jahrhunderts I, S. 53, weist nach, daß die Plastiken von J. M. Götz stammen. 3) Besitz d Staates. Handschriftl. Inventar, Lw. 2,43: 1,46 aus dem Katha­ rinenkloster zu Augsburg; auf einem großen Stein am Boden dürfte eine Reinigung das Monogramm herausholen. Vgl. ein Tintoretto zugeschriebenes Gemälde i. Rudolfswert; „Vision des Hl. Nikolaus“, Abb. i. d. Mitt. d. K.K. Zentral-Kommission f. Denkmalpflege 13, I. 1914.

83 und Kunigunde und viele Kardinäle. Im Hintergrund sieht man den hl. Simpertus mit Wolf und Kind. Das Gemälde ist leider sehr nachgedunkelt, zeigt aber viele grüne und gelbschillernde Lokalfarben.1) Auch ein allerdings sehr mäßiger hl. Michael dort gehört in Kagers Werkstatt. Kager, nicht Rottenhammer, ist auch der Maler der vier nicht bedeutenden Bilder mit Episoden aus dem Leben Johannes des Täufers. 1622 malte Kager die Deckenbilder des goldenen Saales des Rathauses zu Augsburg nach den Originalaquarellen Peter Candids (Graph. Sammlung München). Mittelbild: „Triumph der Weisheit“. Gelehrte ziehen ihren Wagen. Tugenden geleiten ihn, Krieger folgen. In den beiden Rundbildern: Stadtgründung und -befestigung. In den vier Medaillons: Gelehrsamkeit, Glaube, Fleiß, Arbeit, Medizin, Treu und Glauben, Gut und Böse, Weinbau und Bienenzucht. Ein Mann präsentiert im Rundbild, das den Fes­ tungsbau schildert, ein Schild mit Kagers Bildnis.2) Entgegen Ree finde ich die Ausführung nicht „handwerksmäßig“. Die Bilder erfüllen glänzend ihre Bestimmung, mittels lebhafter Farbe aus großer Höhe zu wirken und mit der übrigen Decke in harmo­ nischem Zusammenhang zu stehen. Kager verdreht die Körper etwas übermäßig, weil er reichen Ausdruck, starkes Leben will, mehr als es Candid mit seinem auf Ruhe und Gefälligkeit zielen­ den Eklektizismus möglich ist. Kager geht in solch scharfer Charakterisierung und Pointierung eben als Deutscher über den Eklektiker Candid hinaus. Nach Schlecht3) ließen die Jesuiten 1620 das Bild zum Hoch­ altar und zu zwei Seitenaltären ihrer Kirche, der Schutzengel­ kirche in Eichstätt, von Kager malen. Wahrscheinlich sind diese Gemälde 1630 verbrannt. Das jetzige Hochaltarbild4) ist von Holzer, Bez. M. Kager A. D. 1622. Es stand nach Friesenegger einst gegen­ über der Bartholomäuskapelle v. St. Ulrich u. Afra. Seit 1880 in St. Stephan. Vielleicht war der hl. Benedikt einst in der Simpertuskapelle, die Kager für Abt Merkt ausmalte. 2) Ree und R a d e r u s , der die ganze Arbeit ausführlich würdigt. s) Beiträge zur Kunstgeschichte der Stadt Eichstätt 1894 und Bd. 8 des Historischen Sammelblattes des Hist. Vereins Eichstätt S. 55 und DiöcesenArchiv S. 16. 4) Der Hochaltar wurde 1620 geweiht, die Seitenaltäre des hl. Ignatius und Franz Xaver 1622. — Suttner, Geschichte des bischöfl. Seminars zu Eichstätt E. 1859, berichtet, daß bei einem großen Kirchenbrand das Gewölbe eingestürzt sei. 6*

84 die der Seitenaltäre sind von Friedrich Geiger. Sicher von Kager ist die „ Kreuzabnahme“ in der Sakristei der Kapuziner­ kirche dort, die um 1625/26 gemalt wurde. Die nach links geschobene Komposition mit drei sehr steifen Kreuzen, von denen zwei schräg seitlich stehen, und mit drei Leitern, weist RubensMotive auf: wie der Mann, der das Bahrtuch mit den Zähnen hält, der den Nagel herauszieht, etc. Das Kolorit mit dem gelblich schimmernden Akt Christi, dem Violett in den Gewändern, der dunkelgrünen Landschaft und die vielen Glanzlichter erinnern an Bassano-Tintoretto, z. B. dessen Kreuzigung in St. Cassiano zu Venedig. Um 1625 entstanden auch die Gemälde der Fürstenstuben des Rathauses in Augsburg. Zunächst wieder ein „Jüngstes Gericht“ (früher in der Ratsstube). Es ist flächig hingestrichen, mit grotesken, drastischen Szenen. Das Kolorit erinnert an Veronese, ist noch kühler und grauer. Lebhafter, bunter sind die Farben in „Jesabels“ Tod. Im südöstlichen Fürstenzimmer hängt das Bild „Alexander mit den Töchtern des Darius“. Sie knien mit gebun­ denen Händen vor dem Zelt. Kinder neben ihnen, das kleinste in Alexanders Armen. Die Modellierung ist schwach.1) In „Virginia und Tarquinius“ liegt Virginia mit tiefer Brust­ wunde sterbend am Boden. Tarquinius eilt mit der blutenden Waffe fort. Wieder sind die Gesten lebhaft, ist der Ausdruck übertrieben, z. B. in Virginias brechenden Augen. Ihre violetten Lippen! Überall Anklänge an Rubens. Mit der Kreuzigung von Eichstätt gehen zwei Arbeiten der nordöstlichen Fürstenstube gut zusammen: „Belsazar“ (Abb. 4) und „Esther vor Ahasver“. Sie sind dunkler und tiefer glühend in der Farbe, tiefbraunrot z. B., und lassen im Aufbau an die Bassani denken. Wahrscheinlich sind diese beiden Bilder schon während des Baues des Rathauses gemalt worden. Die anderen 1625—1629. Im letzten Jahrzehnt spürt man nun immer greifbarer den unmittelbaren Einfluß von Rubens und auch von van Dyck.2) Kager hat Rubens in Dillingen, Neu*) S. Hirsching 1. c., ferner die Curia Augustana, ferner Stich des G. Penz nach Salomon Kleiners „Augsburger Rathaus“ mit den deutlich erkenn­ baren Gemälden. 2)S. Haberditzel im Wiener Jahrbuch Bd. 27. Ich finde das Senti­ ment des v. Veen, dessen Härten und dessen Manier in der Zeichnungsweise Kagers.

85 bürg und Freising studieren können. Ein Akt wie Rubens, dessen Kraft und triumphierende Farbe liegt vor in dem ausgezeich­ neten Gemälde der „Marter des hl. Andreas“ zu Landshut, im Eingangsraum des Studienseminars. Mit groben Tauen wird Andreas an den Stamm gebunden. Das oben zu lange Tau verkürzt ein Scherge. Der Heilige ballt im Grimm die Faust. Die Massen sind gut geschlossen. Aus dem hellen Kolorit mit der bekannten Engelsglorie leuchtet besonders die gelbe Jacke und die grüne Hose des nach Werkzeugen im Korb suchenden Knechtes.1) Ein gewisses Sentiment, das an van Dyck erinnert, aber in Zeichnung und Kolorit an die Kraft des Rubens, findet sich in der „Beweinung“ des Jahres 1629 der Frauenkirche zu Ingol­ stadt.2) Um den toten Herrn trauern Johannes und Maria. Am geöffneten Himmel ein Engelreigen mit den Marterwerkzeugen. Im Hintergrund Joseph und Nikodemus. Typisch wieder das gelbliche Kolorit des Himmels mit der Aureole um Gott Vater. Kennt man nun diese zum Teil völlig gesicherten Bilder, so überzeugt wegen der stilistischen Übereinstimmung die Zu­ schreibung des Bildes „Abigail bringt David Geschenke“ in den Kunsthistorischen Sammlungen zu Wien, Nr. 1633 des Kataloges von 1906 (s. Abb. 5).3) Nicht nur von Rubens, auch von Martin de Voss4) weist dies Gemälde charakteristische Züge und Merk­ male auf. Auch finden sich hier genau wie bei M. de Voss Portraits in den beiden großen Männerfiguren links im Vordergründe. Es sind Kager und der unbekannte Stifter. Kolorit und Färbung sind auch hier genau wie in den vorher genannten Bildern ge9 Früher Hochaltar St. Martin. Unten in der Mitte vom Rahmen halb verdeckt bezeichnet: Mathias Kager. Lw. Firniss abgerieben. Nach Halm, „Ma­ terialien“ um 1624, s. Woltmann III b. S. 883. Von Rubens kam 1612 das apo­ kalyptische Weib nach Freising, 1620 das Jüngste Gericht und 1621 der Engel­ sturz nach Neuburg usw.; vgl. auch den Tod des hl. Andreas im Gang des Karmeliterklosters zu Straubing von einem unbekannten Meister. 2) In den Kunstdenkmälern als „Grablegung“. Links vom Chor neben der Sakristei bez. und datiert 1629 rechts auf dem Stein. Die Engel gelb, rotblau, gelbblau, violett; Gottvater blaugrün; Johannes olivgrün, roter Mantel; Maria blaurot; Magdalena rot mit blau, brokatgelb. 3) Eichenholz. 4) Vgl. Mart, de Voss, Gesetzgebung Mosis im Haag, von 1575. Früher fälschlich Pourbus.

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halten. Das Bild ist erst seit Mechels Katalog nachweisbar.1) Aber schon seit 1621 wird in den Inventaren eine „Schlacht von König David“ genannt, die ein „Martin Gogar“ gemalt habe. Sollte das nicht ein verstümmelter Mathias Kager sein? Ein großes Altarbild, Allerheiligenbild mit der Dreifaltig­ keit in Wolken, befindet sich in Dürrenwaldstetten im Oberamt Riedlingen. Ich kenne es nicht. Es ist nach Auskunft des Herrn Direktors Dr. M. Fischer in Stuttgart voll signiert und 1623 oder 1630 datiert. In der Farbe soll es hell und licht sein, mit vielen rosa Wolken, und in den Fleischtönen an Rubens erinnern.2) Nach frdl. Mitteilung des Herrn Generaldirektors Professor Dr. Halm befindet sich ein mir nicht mehr bekannt gewordenes Gemälde Kagers in Rankweil bei Feldkirch. Es ist eine Marien­ darstellung. b) Verschollene Bilder. Für das Katharinenkloster, ehemaliges Frauenkloster in Augsburg, ließ die Priorin Barbara Welser 1613 für den Katha­ rinenaltar eine hl. Katharina um 400 Gulden malen, auch hatte sie Kager die Leitung des Erweiterungsbaues der Sakristei und die Anfertigung des Altars auf dem Chore anvertraut.3) *) Chr. v. M ec hei Verzeichnis, Wien 1783. — Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlung Teil I Nr. 1633. — Pinchard, Archiv des Arts 11. — En gerth Katalog 1886 Bd. 3 1590. — »Om Keyser Rudolf II Kunstkammeren“, Prag 1621, unter Nr. 781. — Apendix zum Inventar der K. K. Hofbibliothek: Ende des 17. Jh. Gemälde im kaiserl. Schloß z. Prag, wo das Bild bis 1720 war. — v. Perger in Berichten und Mitteilungen des Alter« tumsvereins Wien, 1863 Bd VI. — Auf Holz. 1809 kam es nach Paris, 1815 zurück. 2) Die Angabe Wilms „gotische Holzplastik“, daß Kager 1622 eine Kreuz­ abnahme in Stuttgart gefaßt habe, vermag ich nicht nachzuprüfen, doch besteht große Wahrscheinlichkeit, daß Kager nach übereinstimmenden Berichten Sulgers und Schurrs, die Baum anführt (vgl. Baum im Kat. der Altertums-Sammlung Stuttgart), verschiedene, ehemals in Zwiefalten, jetzt in Stuttgart befindliche Plastiken gefaßt habe. Baum stützt sich hierbei vor allem mit Recht auf Sulger, der aussagt, daß 1623 unter Abt Michael sieben Altäre der Nordseite aus Linden­ holz von Abt Sebastian errichtet und von Kager gefaßt („variegatae“) wurden. Die Schreinbildwerke dieser Altäre von Sürlin und Langeisen und eine hl. Magdalena von Mauch sind nach Baum alle von Kager gefaßt. *) Vgl. Baum, Ulmer Plastik S. 50, 65, 156. Inv. 199: D. Mauch hl. Mag­ dalena aus Hagingen, ursprünglich in Zwiefalten 177/181. Sürlin und Langeisen, Schreinbildwerke der Zwiefaltener Altäre, 1509 bis 1511, Gefangennahme Christi, Kreuzigung. 3) Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg Bd. 10 1883 S. 328. — Hörmann, Erinnerung an das ehern. Frauenkloster St. Katha­ rina. Die Kirche wurde 1738 abgebrochen.

87 Nach Sulger hat Kager in Zwiefalten sieben Altäre errichtet; er nennt besonders den Königsaltar und den der „auxiliatorum*. Nach Schurr1) war auch das Bild des Hochaltars, „Himmelfahrt Mariae“, eine freie Kopie des Bildes in Aracoeli zu Rom, von Kager. Ingleichen auch die Marter des Abtes Ernst, dem die Haut abgezogen und die Eingeweide herausgewunden wurden, und eines auf dem „Allerheiligen-Altar“. Das sei um 1623 gewesen. Außer Kager, dem „director totius operis“, hätten noch Kaspar Strauß und Johannes Jüngling dort gemalt. Nach Heß 2) befand sich in der abgelegenen Pfarrkirche von Altdorf bei Weingarten ein den hl. Franz Seraphicus darstellendes Hochaltarbild. Nur ein Brief des Prof. Stengel von St. Ulrich und Afra an Pater Johannes in Weingarten vom 20. April 1610 gibt Kunde von dem Bilde. Stengel rühmt Rottenhammer und Kager als „celeberrimi pictores“. Lipowski nennt eine „Auferweckung des Lazarus“ in der unteren Stadtpfarrkirche von St. Moritz zu Ingolstadt. Sie ist nicht mehr dort.3) Hoff mann erwähnt für das Klerikalseminar FreisingunterNo.329 einen „Jüngling von Nain“ (Öl auf Leinwand) aus der Frauen­ kirche in München.4)5 Das Bild ist dort nicht zu finden. Wiedenmann sagt,6) daß auf dem Prinzipalchor und Konvent­ altar der östlichen Giebelwand des rechtsseitigen Kirchenschiffes der Dominikanerkirche ein „Jüngstes Gericht* von Kager ge­ wesen sei. Kager habe auch zu dem neuen Orgelgehäuse dort gleich den Orgelflügeln der St. Ulrichorgel in Gestalt eines Flügelaltars 1614/15 die malerische Ausstattung besorgen sollen. Er hatte aber den Auftrag wohl nicht übernommen, sondern nur die Visierungen geliefert und Freyberger mit der Ausführung betraut. Der Stil, vor allem die Färbung, weisen m. E. auf Freyberger. c) Zweifelhafte Gemälde«

Eine gut beglaubigte „Darbringung im Tempel“ im Besitze des Fürsten Fugger zu Kirchheim kenne ich nicht aus eigener Anschauung und nenne sie deshalb mit Vorbehalt. *) Bernardus Schurr, Das alte und neue Münster in Zwiefalten 1909. Für das Marienbild erhielt Kager 600 fl., für den hl. Ernst 100 fl. und für zwei weitere Bilder 100 fl.; danach wären nur vier Bilder von Kager. Das vierte ist das von Sulger für den anderen Altar erwähnte Apostelbild. 2) Hess Prodromus, 1781. 3) Dem Herrn Stadtpfarrer von St. Moritz ist ein solches Bild nicht bekannt. 4) Die Kunstaltertümer des Klerikalseminars Freising, München 1907. 5) Die Dominikanerkirche in Augsburg. 1917.

88 Die beiden Flügel der Ulrichsorgel zu Augsburg mit der Himmel­ fahrt Christi und Mariens auf der Vorderseite, einer Maria mit Kind und Engel und dem hl. Jakobus auf der Rückseite möchte ich für Kager in Anspruch nehmen. Zwar scheinen die Figuren zier­ licher als sonst, die Zeichnung der Pupillen und Hände abweichend, aber die charakteristischen Männerportraits im Vordergrund und das Kolorit der Bilder ist durchaus Kager. Nach einer von Friesenegger zitierten Urkunde x) scheint mir Kager, als 1608 die Translation der 1580 von Jakob Fugger über seiner Grabstätte aufgestellten Orgel auf die Musikempore vorgenommen wurde, wie in so vielen Fällen den Riß zu der Anlage geliefert zu haben. Allerdings könnte sich die zitierte Stelle nur auf den Unterbau beziehen, also Kagers Bruder, der Schreiner, die Arbeit gemacht haben, aber m. E. bezieht sich der Text auf das ganze Orgel­ gehäuse. Kager hat nicht nur die Oberleitung aller Arbeiten gehabt, sondern auch, zieht man die gleichzeitigen Gemälde als Parallelen heran, die Malerarbeiten selbst ausgeführt. Vielleicht lagen Zeichnungen Greuthers vor, die die geringen, befremdenden Abweichungen erklären könnten. Der Bruder hat auch hier nur die Schreinerarbeiten besorgt. Ein falsch mit „M. K.“ bezeichneter „Tod der Maria“ und eine schlecht erhaltene, im 18. Jahrhundert vollkommen übermalte fBegegnung des hl. Benedikt und 2 Begleiter mit dem türkischen Prinzen“ in der Schneckenkapelle zu St. Ulrich und Afra sind viel­ leicht auch von Kager. Mit größerer Bestimmtheit möchte ich ihm die „Auferweckung des Lazarus“2) und die „Speisung der 10000“3) in der protestantischen St. Annakirche zu Augsburg zuweisen. Die neben Christus in gelblichem Gewände kniende Schwester des Lazarus entspricht in Zeichnung und Kolorit völlig der Helena aus der Münchner „Kreuzauffindung“. Der Abt im Knebelbart, das Changeant der hellen, etwas matten Farben, die Architektur, der graugrüne Hintergrund findet sich ebenso auf dem Münchener Bilde. Die „Speisung der 10000“ läßt, wie Peltzer betont, venezia*) Friesenegger, Die St. Ulrichsorgel Augsburg, 1903, S. 46/47, (ebenso die neueste Auflage) gibt sie mit Zottmann E. Greuther dem Älteren. In der zweiten Auflage seines Buches 1914 S. 25 dem Kager mit einem Fragezeichen. Vgl. eine Farbenskizze Tintorettos zu einer Himmelfahrt Mariä, abgebildet in Frimmels Studien und Skizzen, Liefg. VII, Taf. 55. *) Lw.

3) Epitaph auf Holz.

S. Peltzer, Rottenhammer.

89 nische Einflüsse vermuten. E.Heinz oder M.Gundelach kommen nicht in Frage. Nur bei Kager findet sich eine ähnliche Übernahme von Motiven Tintorettos. Das „Gastmahl Belsazars“ im Eichstätter Rathaus entspricht dem gleichen Augsburger Bild. In unruhig flackernden, rohen Farben ist es eine sehr freie Kopie nach Tin­ torettos „Abendmahl“ in St. Giorgio Maggiore. Es wird entstanden sein, als Kager 16)2 nach Eichstätt kam.1) Mehr im Geschmack des Rubens, aber schwächlich im Kolorit, ist das „Urteil Salomons“ ebendort. Parallelen sind die späteren Augsburger Rathaus­ bilder; vgl. die Ornamente des Zeltes. „Cäsar und Kieopatra“ in Schleißheim2) ist in der Literatur gut beglaubigt, entspricht dem Dariusbild in Augsburg und dürfte ein Jugendwerk Kagers sein. Ein im Katalog Kager zu­ gewiesenes, „S. K.“ bezeichnetes Bild in Dessau hat mit Kager nichts zu tun. Sollte es „Karel Slabbaert“ sein? Eine „Beweinung Christi“ durch Maria und vier Engelputten im Seminar zu Eichstätt steht in ihrem, van Dyck nahen Sentiment und Affekte dem Ingolstädter Bilde gleich. Doch läßt der stark abgeriebene Zustand des Bildes keinen bestimmten Schluß mehr zu. Auf der Darmstädter Ausstellung von 1917 3) war ein „Jüngstes Gericht“ von einem unbekannten Meister zu sehen, vielleicht von Kager. Im Versteigerungskatalog Heberle 1907 ist das Bildnis einer älteren Frau abgebildet, das nach dem Katalog „M. Kager 1601* bezeichnet ist. Es wäre das ein auffallend frühes Datum aus der letzten Münchener Zeit. ln der Augsburger Barfüßerkirche befindet sich ein in­ teressantes Gemälde: „Errichtung der ehernen Schlange“, ln der Färbung kommt es Kager sehr nahe. Hartigs Vermutung, Kager habe das Antependium in der Schneckenkapelle von St. Ulrich und Afra4) gemalt, ist wohl zutreffend. Das Bildnis des Holl und Frau im Maximiliansmuseum zu Augsburg ist m. E. sicher von Hainhofer, VI, S. 206. 2) Katalog von 1775 Nr. 990 Lw. Parthey, Deutscher Bildersaal, Berlin 1961. Vgl. Augsburg: Antonius und Kieopatra „Carpioni“. 8) Abb. Biermann, Barock und Rokoko Nr. 128. Besitzer Herzog von Sachsen-Altenburg. 4) Das Benediktiner-Reichsstift St. Ulrich und Afra in Augsburg 1923. (S. a. Augsburgs Kunst, Augsburg 1922). 1)

90 Kager. Zweifellos wird sich die Liste der Kager mit Sicherheit oder mit Vorbehalt zuschreibbaren Gemälde jederzeit noch er­ weitern lassen. Beachten muß man, daß einige Maler, wie z. B. Freyberger und Schmittner, Kager sehr ähnlich sind. Schmittner, G. M., starb 1705, arbeitete öfter mit Schönfeld zusammen und war auch in Italien. Seine ehemals im Dom zu Augsburg, jetzt in der Bonifaziuskirche befindliche „Verklärung Christi“ läßt ihn besonders in den hellen, lichten Farben als einen Schüler Kagers erscheinen. Arbeiten von ihm sind nach Nagler auch in Freising und Straubing. Übrigens sind nicht alle „M. K.“ und ähnlich bezeichneten Bilder von unserem Meister. Es gab auch einen gleichzeitigen unbedeutenden M. Krapf, der so signierte. d) Chronologisches Verzeichnis der Gemälde*

Entstanden in: München um 1600

Predigt Johannis, Nürnberg, German­ isches Museum. (vor 1603) Kreuzauffindung, Frauenkirche,München. Enthaltsamkeit des Scipio, Landau, ehern. Offizierskasino. Augsburg 1609 Christi Geburt, Augsb. kath. Pfarrhaus St. Ulrich und Afra. 1610 Anbetung der Könige, Augsb. kath. Pfarr­ D haus von St. Ulrich u. Afra (einst über dem linken Kredenztisch der Kirche). 1610 Anbetung der Hirten, Treppenhaus des » Ordinariatsgebäudes zu Augsburg. Anbetung der Könige, ebenda. um 1610 Jüngstes Gericht, ebenda. n zw. 1610 u. 1614 Guter Hirte, Augsburg, St. Peter. . um 1614 Anbetung der Könige, Obermarchtal, Klosterkirche. Christi Geburt, ebenda. 1614 1616 Maria erscheint den Heiligen, Eichstätt, Bischöfl. Residenz. Christus mit Heiligen, Dillingen, Jesuiten„ 1616/17 kirche. 1616 Krönung Marias, Augsb. hl. Kreuzkirche. wohl 1616 St. Moritz i. d. Glorie, Augsb. Moritzkirche. n

,

91

Augsburg 1619 „ um 1619 • „

, 1621 1622



„ 1622 * 1622



1622



„ 1625



, 1625 * 1625 1625 1625 1625 1626 1626 1627

,

1629

Fraglich wann: wohl gegen 1630 ?

Verschollen:

Mariae Lactatio, Aldersbach, Kirche. Maria erscheint dem hl. Dominikus, Kirche zu Buchloe (von Rosenkranzspende). David und Abigail, Wien, Hofmuseum. Hl. Benedikt, Augsburg, St. Stephan (ur­ sprünglich für St.Ulrich u. Afra daselbst). Hl. Michael, ebenda. Vier Gemälde aus der Geschichte Johannis des Täufers, ebenda. Die Deckengemälde des Goldenen Saales in Augsburg. Jüngstes Gericht, Augsburg, Rathaus, Fürstenzimmer. Jesabels Tod, ebenda. Alexander mit den Töchtern des Darius, ebenda. Virginia und Tarquinius, ebenda. Belsazar, ebenda. Esther und Ahasver, ebenda. Kreuzabnahme, Eichstätt, Kapuziner­ kloster. Christi Geburt, Freising, Klerikalseminar. Marter des St. Andreas, Landshut (n. Meidinger einst in St. Martin, Epistelseite). Beweinung Christi, Ingolstadt, Frauen­ kirche. Allerheiligenbild, Dürrenwaldstetten. Madonna, Rankweil bei Feldkirch. Hl. Katharina f. d. Augsburger Katharinen­ kloster. Hl. Franz Seraphius für Altdorf. Eine Himmelfahrt Marias. Marter des hl. Ernst und zwei weitere Bilder für Zwiefalten. Jüngstes Gericht für die Dominikaner­ kirche in Augsburg. Verkündigung für St. Ulrich und Afra, (bei Halm: .rückwärts vom Hochaltar“).

92 Verschollen:

Auferweckung des Lazarus, St. Moritz, Ingolstadt. Jüngling zuN ain,F reising,Klerikalseminar.

Von mir Kager zugeschrieben: Speisung der Zehntausend, Augsburg, Annakirche. Auferweckung des Lazarus, Augsburg, Annakirche. Tod Mariae, Augsburg, Schneckenkapelle St. Ulrich und Afra. Hl. Benedikt, ebenda. Orgelflügelbilder in St. Ulrich und Afra zu Augsburg, cf. S. 88. Cäsar und Kleopatra, Schleißheim, Depot. Urteil Salomo.» } Eichstätt Rathaus. (jastmahl Belsazars ) Bildnis des Elias Holl und seiner Frau, Augsburg, Maximilians­ museum.

III. Kager als Fassadenmaler. Archivalische Quellen und einschlägige Literatur bezeugen seine umfassende Tätigkeit. Erhalten ist außer der Innenaus­ stattung des Augsburger Rathauses und Bruchstücken von jener des Weberhauses in der Augsburger Dominikanerkirche nichts. Er malte in Fresko: die Außenseite des Weberhauses1) 1605—1607, am hl. Kreuzturm 1610—1612, am Frauenturm 1610—1612, (der vierte Stadtturm, der Barfüßerturm, war von Freyberger ausgemalt),2) die Fassade des Rathausgefängnisses 1631.3) (Die Angabe Sandrarts, er habe auch das Äußere — externa templi facies — der Dominikanerkirche in Augsburg bemalt, be­ stätigt sich nicht.) a) Das Weberhaus.

Teile der alten Zunftstube des 15. Jahrhunderts im National­ museum in München, gotischer Neubau 1517, die Innenräume 1518 9 Vgl. die Kopien von A. Brandes in Augsburg von 1904, Maximilians­ museum, Maßstab 1:10. Fragmente des älteren Teiles in der Dominikanerkirche. 2) Abb. Bayerland 1907 S. 167, 169, 175, Stiche hier von Grimm Bl. 22, 25, 77 und K. Remshart. Kopien der Turmfresken von A. Brandes im Maxi­ miliansmuseum. 8) Vgl. Originalentwurf in der Münchener Graphischen Sammlung und Stich von Collignon (s. u.).

93 von Jörg Breu d. Ä. und anderen. Trotz heftiger Kämpfe um die Erhaltung 1914 abgebrochen und 1915 in getreuer Kopie neu aufgeführt, sämtliche freistehenden Fassaden in treuen Kopien von A. Brandes ausgemalt. Böcks Beschreibung von 1718 gute Quelle.1) Böck betont, daß schon zu seiner Zeit die Westfassade dieser kaufmännischen Zentrale für das Textilgewerbe, die Seite nach dem Heumarkt zu, so verwaschen war, daß die Bilder der ver­ schiedenen Handwerke, Handel in der Levante und in einem Augsburger Kaufmannshaus, die vier Weltteile mit Feuerland unter dem Fenster und die Häuslichkeit mit Schildkröte und zwei Genien mit Fackeln über der Türe schwer abzulesen waren. Die Südfassade (nach der Kornschranne zu) zeigte noch 1913 leidlich erhalten die rein architektonische Gliederung, mit sechs Rundfenstern über zwei Türen des unteren Stocks rechts, dann die, mittels der bis zum Dachstuhl durchlaufenden Pilaster, ganz ähnliche der beiden oberen Stockwerke; dazu Grisaillen, weiß auf blau, mit sich neckenden Putten über den Fensterbrüstungen, über die hinweg gleich Goblins die gerahmten Bilder des Tuch­ handels im Orient und Venedig gemalt sind. In vier Nischen die Monarchien, unter den Fenstern die Lebensalter, über ihnen wieder Bilder mit Episoden aus dem Leben der „Lukretia“, wie sie unter den Mägden spinnt und ihr Gatte sie, vom Feldlager auf­ brechend, mitternachts bei der Arbeit findet, endlich eine Preisver­ teilung für Gobelinwirkerei an spanische Frauen. Säulenhallen, Aus­ blicke in Straßenzüge suchen Raumillusion zu bringen. Roma, Tiber, Wölfin krönen die Mittelfenster; darunter zwei Sonnen­ uhren. Rechts unterbrechen zwei blinde Fenster mit dem heraus­ schauenden Ehepaar Holl die Reihe. Das untere Geschoß bildet den massiven geschlossenen Block des Ganzen. Die Ostfassade (nach dem Brotmarkt) bringt im Erdgeschoß wieder gemalte Architektur mit der Gestalt der Justitia über dem einzigen Türgiebel. In Nischen rechts und links der hl. Ulrich und die hl. Afra. Noch massigere Eckpilaster mit vorgestellten gekuppelten Säulen, von denen zwei bis zum vierten Stock 9 Vgl* zahlreiche Artikel P. D i r r s u. a. in der München-Augsburger Abendzeitung, vor allem ab Nr. 16, 1913 und Lill, „Dekorative Malereien von August Brandes“ in „Kunst und Handwerk“ 1919, Heft 2 und „historische Erklärung der Gemälde außerhalb des Weberhauses“ v. Th. Böck, Augsburg, 1718.

94 reichen. Rahmen, flachere Pilaster gliedern. Vier Reliefs mit Put­ ten, die mit Flachs und Wolle arbeiten, zieren die Fenstersäulen. Zwei Historienbilder zwischen den Fensterstöcken schildern die Rückkehr Kaiser Ottos und Bischof Ulrichs von der Ungarn­ schlacht (links) und die Belehnung der Weber mit dem Wap­ penschild (rechts). Darüber in einem schmalen Längsfelde Ottos Sieg auf dem Lechfeld und weiter oben Schöpfung und Vertrei­ bung aus dem Paradies, im Spitzgiebel der Doppeladler als Stadtwappen, daneben Krieg und Frieden. Überall folgt der Maler den architektonischen Gesetzen. Die Bilddarstellungen fügen sich der Rahmung. Struktiv aktive und passive Schildereien werden getrennt. Ist das unmöglich, so trennen Rahmen. Auf solche Weise weicht Kager von der bisherigen anorganischen Methode ab. Denn nicht mehr, eben­ sowenig wie bei Holl, „wird die Fassade von Steinmetzkunst überwuchert“ (Waezoldt), nicht mehr geht alle Malerei ohne Rück­ sicht über die einzelnen Architekturteile hinweg. Die prächtigen Kinderputten hier sind die gleichen wie die des Goldenen Saales.1) Nach der genannten alten Beschreibung sah man weiter am hl. Kreuzturm: nach außen: rechts Gefangennahme Christi. links Gebet am Ölberg, über beiden den Adler. stadteinwärts Hauptbild Kreuzschleppung. darüber Aufruf zum Kreuzzug, ferner Schlacht bei Damaskus und Bischof Peter, wie er 1200 aus­ ziehende Augsburger segnet. innen gegen die Plalz: Kaiser Friedrich führt Augsburger gegen die Sarazenen. 9 Lübke meint, das Ganze sei im Sinne orientalischer Dekorationen als Marmorprachtbau gedacht. W. H. Riehl, (Augsburger Studien), der die Bilder im Rathaus unerquicklich findet, nennt diese hier schlicht, frisch und unbe­ fangen. So edel stilisierte Kompositionen gäbe es nicht in Deutschland. Dirr glaubte, daß sich auf der Längsseite der Fassade Einzelheiten befänden, deren stimmungsvolle, lebensvolle Auffassung von der etwas trockenen und steifen Manier Kagers abweicht. Deshalb glaubt er an die Mitarbeit Rottenhammers. Der inzwischen von Wiedenmann aufgefundene Originalvertrag über das Weber­ haus betont aber (s. o.), daß Kager alles ausgeführt habe usw.

95 außen gegen die Vorstadt: Abschied der Augsburger von Weib und Kind, Herzog Friedrich von Schwaben steigt zu Pferd. Einnahme einer Stadt. Christus spricht am Kreuz zu Maria.1) Es heißt, der ganze Turm sei ringsum „gleich einem Kranz“ bemalt gewesen. Putten mit Attributen der Gelehrsamkeit, der Kriegsmacht, des Handels, der Schönen Künste hätten ihn in vier Teile abgeteilt. Am 1885 abgebrochenen Frauenturm befanden sich stadteinwärts Kreuztragung. Erbärmdebild. über beiden fliegender Adler. nach dem Dom zu: Die Kurfürsten wählen Kaiser Karl V. Traum Josefs und Flucht nach Ägypten. Daneben Grisaillen mit Bethlehemitischem Kindermord und Tod Herodis. Oben zu Seiten der Uhr zwei Putten: die ver­ gangene und die gegenwärtige Zeit, Weiter auf allen je ein Putto mit Attributen und die vier Tageszeiten. vier Turmseiten An der Außenseite nach dem Lande Kruzifix mit Adam und Eva. nach der Vorstadt Die Belagerung und Einnahme von Salz­ burg unter Matthäus Lang; wie er Schloß Wellenburg kauft. daneben Längs Weihe zum Kardinal; er erhält das gegen die Pfalz Bistum Salzburg und reitet dort ein.2) *) „Endlich weil auch auf jedem Tor, ein Kruzifix war gemalt zuvor, solchem alten löblichem Brauch ist Herr Kager nachkommen auch.“ An der Seite habe gestanden M. Kager, Maler dieses Turms wie auch des vorher­ gehenden. 2) Vgl. poetische Beschreibung von Heupold und Fab er. Nach Buff, Zeitschr. d. Hist. Ver. f. Schw. u. Nbg. 1885/86, sollte Kager beide Türme für 1600 fl. malen; später erhielt er noch 200 fl., also eine stattliche Summe, für die allerdings umfangreiche Arbeit. Holl spricht in seiner Selbstbiographie (Ed. Mayer 1873, siehe auch Zeitschr. für Schwaben und Neuburg) davon, daß er alle drei Türme habe erneuern und bessern lassen und fährt also fort: „Hernach hat man diese zwei Türme an allen vier Seiten zierlich gemalt, der Maler hieß Mathias Kager, so zwei gemalt, den Barfüßerturm hat Hans Freyberger gemalt, hat jeder 800 Gulden zu malen gekost.“ 1616: „Die Sonnenuhren am Perlachturm habe ich an allen vier Seiten gezeichnet und ausgeteilt, der Herr Kager hat sie gemalt.“

96 Endlich hatte Kager am Perlachturm noch die vier Sonnen­ uhren nach Plänen Elias Holls gemalt. Außer den elf Decken­ bildern auf Leinwand, die Kager 1620 für 800 fl. gemalt hat (siehe oben), ist auf ihn aus Gründen stilistischer Übereinstim­ mung und in Berücksichtigung der stattlichen, von Buff schon mitgeteilten Zahlungen, die gesamte Innenausstattung des Rat­ hauses zurückzuführen. Gemalt hat er sämtliche Fresken, Ent­ würfe aber zu allen Kistler- und auch wohl Hafnerarbeiten geliefert.1) Die Grisaillen der Sockelflächen haben etwas gelitten. Alles ist in der Dekoration großzügiger als am Weberhaus. Grisaillenlisenen bis zum ersten umlaufenden Gesims und Füllungen mit figürlichen Grotesken gliedern die Langseiten. In der Mitte das reich geschnitzte Hauptportal, rechts und links Seitenportale. Uber dem Gesims die acht römischen und acht christlichen Kaiser in Nischen zwischen den Fenstern. Auf den Brüstungen je sechs kleine Ovale mit Historietten. Rot und blau in Goldrahmen. Sie schil­ dern das Leben berühmter Männer und Frauen: Omphale, Niobe, Tomiris, Lukretia, Semiramis, Jael und Sisara, Susanna, Esther, Judith, Joseph mit seinen Brüdern, die*Makabäer und Tobias. In den runden und spitzen gebrochenen Giebeln über den Fen­ stern Putten, die sich mit hängenden Kranzgewinden zu schaffen machen. Von einem zweiten verkröpften Gesims mit Dreischlitzen aus stützen je zwei Konsolen die Felder. Füllungen liegen zwischen ihnen. Eine zweite Fensterreihe ist bis in die Decke stoßend hineingebrochen. Auf den Schmalseiten beginnt, über hoch ansteigenden Fenstern vor den strebenartig vertieften und einbezogen niedrigeren Pfeilern, der Puttenfries und ein Sims ohne Konsole. Darüber je sechs kleine Fenster bis an die Decke. Wie jene Kaiserbilder die Nischen und die Portale die Grisaillen *) Der Auftrag an Candid wurde 1619 erteilt, nach dem Vorbild des Kaisersaals der Münchener Residenz. Goldene Säle gab es auch im Hause des Hans Fugger in Augsburg und des F. Fugger in Kirchheim. Nach Buff, Zeitschr. des Hist. Vereins f. Schwaben und Neuburg 1885/87 S. 211 fertigte Adam Vogt die Öfen in den östlichen Fürstenzimmem nach eigenen, die tö­ nernen in der Schreibstube aber nach Kagers Entwürfen. Von Melchior Loth stammen die zwei Öfen der westlichen Zimmer nach Kagers Entwurf. Das Ge­ mälde über dem nördlichen Mittelportal, Augsburg mit seinen Flüssen, malte Rottenhammer.

97 so überschneiden Inschriften - Kartuschen die Nischen. Die Bemalung folgt den architektonischen Gliederungen. Alle in* einander verschlungenen Ornamente sind verschieden. An der Nordseite lesen wir „M. K. f. 1621“ und „T. W.“ Die Mas* ken der Konsolen entsprechen denen der anstoßenden Fürsten­ zimmer. Die Decke ist streng symmetrisch eingeteilt (siehe oben.) Naturalistische Fische, Eulen, Katzen, Rettiche, Rüben! Leb­ hafte, aber doch stumpfe Farben sind in den Einzelheiten charak­ teristisch. Ein Originalbrief an Peter Raderus (Röder), unter­ zeichnet „Khagers“, enthält einen Bleistiftentwurf zu dem Haupt­ portal.1) Er scheint zwei gekuppelte Pilaster und einen kleeblatt­ artigen Türsturz vorzusehen. Drei kurz erklärende Notizen sind beigefügt. Die kleinen Holzbüsten über den Türöffnungen der Portale schnitzte Christof Angermeier, die großen vergoldeten Figuren Kaspar Menneler, die Decken und vier kleinen Türen Wolf­ gang Ebner, die Haupttüre Lorenz Bayer.2) Schon die Tat­ sache, daß Holl, der über seine eigenen Arbeiten genau be­ richtet, über die Innenausstattung schweigt, stützt die Ver­ mutung auf Kager. Allerdings sind in der Sammelmappe, die Holls öffentliche Gebäude in Visierungen enthält, siebzehn für den Rathausbau. Kager lieferte schon für die Torbauten seiner­ seits zahlreiche Visierungen. Eine Beschreibung der übrigen Rat­ hausräume erübrigt sich. Sie finden sich bei Ree, Buff und Baum. Es sei nur daran erinnert, daß über der Erdgeschoßhalle und ihren Kreuzgewölben ein Vorsaal, der mittlere Saal, sich befindet, der zu den jetzigen Sitzungsräumen führt. An ihn stießen Ratsstube, Gerichtsstube und eine zweiteilige Bau- und Steuer*) Cod. bav. 6115, cod. lat. 1611 der Münchener Staatsbibliothek; siehe auch Buff S. 250 ff. 1. c. Kager schickt den Entwurf „Weil ihm die edlen Bauherrn befohlen, er solle 4 bild auf zwei Portale legen.“ Dieser Kodex enthält auch die Korrespondenz Raderus’ mit Welser wegen der „bayerischen Heiligen“ und mit Candid wegen der Salomonzeichnung (S. 31 u. S. 123.). Schon Stetten, Er­ läuterungen usw., sagt, daß von Kager allein die Ausführung der Malerei auf nassem Wurf und der Deckenstücke stammt: „der goldene Saal ist ganz von seiner Erfindung und Ausführung“, s. Buff S. 251 1. c. Dort auch das Montag­ sitzungsprotokoll vom 20. Juli 1620. Ferner Buff S. 268. Die Stadtrechnungen beweisen, daß auf Kager auch die Dekoration der übrigen Räume zurückgeht. Vgl. auch S. 275, wo von den östlichen Fürstenzimmem, S. 276, wo von ver­ schiedenen Entwürfen Kagers die Rede ist, und Sw 288, wo die von Kager 1617—1670 verdienten Summen zusammengezählt werden. 2) Buff, S. 230 ff. /

98 stube. Für Berlepschs Behauptung,1) daß der Entwurf der West­ fassade in einem alten Stich von Kager entworfen sei, habe ich keinen Beweis. Von dem Salomon-Fresko „über den Altanen über dem alten Gefängnis“ gibt Kagers Zeichnung und Colignons Stich genü­ gend Auskunft. Es war vor der Hauptmauer („schießer“) des Gefängnisses, das man durch sechs hohe Fenster habe sehen können, angebracht. Es wird auch „König Salomon in seiner Weisheit“2) genannt. In der für das Fresko ausgeschriebenen Konkurrenz erhielt Candid scheinbar nichts, Rottenhammer Geld und Kager den Auftrag. Es will etwas heißen, wenn er hier sogar einen Candid schlagen konnte, aber nicht mehr unbegreiflich er­ scheinen, wenn wir seine Bedeutung als Zeichner kennen gelernt haben, denn das Zeichnen war seine Stärke. Seine erwiesene Ausbildung in Rom wird ihm das Studium der Technik der damaligen ital.-römischen Freskomalerei ermöglicht haben. Viel­ leicht hat er noch die Fassadenmalerei, z. B. Perino del Vagas am Bankhaus der Fugger, studiert, die inzwischen untergegangen ist.2)

IV« Der Miniaturmaler. Von Kagers großer Kunst als Maler von Miniaturen ist in Ph. Hainhofers Briefen und Reiseberichten viel die Rede. Unter anderem heißt es: „In der Miniatur aber excelliert er.“ 3) Er hat für ein Stammbuch des Herzogs Philipps II. von Pommern und *) Berlepsch, Das Augsburger Rathaus und seine Ostfassade. — Mit Kagers goldenem Saal vergleiche man den Nürnberger Rathaussaal des jün­ geren Wolf. Ganz ähnliche Portale mit über ihnen gelagerten Figuren der Justitia und der Prudentia und der vier Weltreiche. (Der plastische Schmuck stammt dort von Chr. Jamnitzer, die Weltreiche sind von Leonhard Kern, die Kamine von Abraham Groß, die Gemälde aus der römischen Geschichte von Juvenel), s. auch Entwürfe der Fassadenmalerei des Wasserburger Rathauses von 1634, Vaterlandsfreund 1864 2) Reichel, curia augustana, 1657—64 u. Bibi. d. sch. Wissenschaften u. Künste Bd. II Leipzig 1767. Stetten Erläuterung usw. 3) Vgl. Hainhofer VI S. 154, 12, 178, namentlich S. 154: „des Kager arbeit wird noch viel anderst werden, hat ganz ein ander Manier sowohl als die Bernhart und Fröschlin und ist doch alles Miniatur.“ Bernhart war nach Th. B. Künstlerlexikon in München als Miniaturmaler tätig. Im Stammbuch des Herzogs eine Kopie des engl. Grusses von Rotten­ hammer und Jesus unter den Schriftgelehrten. Daniel Fröschl war nach der gleichen Quelle geboren in Augsburg, Miniaturmaler bei Rudolf II. in Prag, seit 1607 aber Antiquar dort. Miniaturen u. a. in der Albertina.

99 für jenes fast noch berühmtere des Hainhofer eine ganze Reihe von Miniaturen, Historienbildern meist religiösen Inhalts und Portraits gemalt. Beide Stammbücher scheinen zugrunde gegangen zu sein. Denn daß, wie manche meinten, jene in der Braun­ schweigischen Bibliothek zu Wolfenbüttel aufbewahrte „Relation“ Hainhofers über eine Reise nach München im Jahre 1631, mit allerlei Miniaturen und Zeichnungen, Hainhofers Stammbuch sei, muß ganz entschieden bezweifelt werden. Es fragt sich über­ haupt, ob diese Reise nicht eine irreführende, irrtümliche Datie­ rung erhalten hat, denn die mir bekannt gewordene Relatio Hainhofers über eine Reise nach Eichstätt und München ist 1611 datiert (s. a. u.). Hainhofers berühmtes Stammbuch war in der Hauptsache 1610/1612 bereits fertig. Außer Kager hatten noch verschiedene andere Künstler wie H. v. Aachen und Hans Karg dafür gearbeitet. Auch ein „Familienbuch“ Hainhofers befindet sich, wie mir gesagt wurde, in Augsburg, wohl jetzt in Privatbesitz. Die Stammbücher für den Herzog und für Hainhofer müssen ganz ähnlich gewesen sein. Stets ist während der obengenannten Zeit von beiden die Rede.1) Jeder Fürst sollte ein doppeltes Pergamentblatt mit dem Wappen oder Bildnis auf der einen Seite und einer kleinen Historie aus der alten oder aus der bib­ lischen Geschichte auf der anderen Seite stiften. Hainhofer er­ hielt fast nur geistliche Historien.2) Nach einem Eintrag um 1611 sollte der Deckel seines Stammbuches mit braunem Samt über­ zogen und mit silbernen Kartuschen verziert werden.3) Beides führte Kager nach zwei eigens hiefür verfertigten Visierungen aus. Auch wird ein Bild, sicherlich eine Miniatur, von Marcus Fugger erwähnt.3) 1611/12 verhandelt der Herzog von Pommern mit Hainhofer über ein geeignetes Bild für dessen Stammbuch. x) Hainhofer, VI 5/15. 9. 1610 heißt es: K. habe das fürstl. Pomm. Wappen und einen Philipp auf schwarzem Grunde gemalt. 26. 9. 16. 2 spricht H. auf seiner zweiten Reise nach München vom Stammbuch des Herzogs und fragt, ob K. das Stück für das Stammbuch noch nicht gefertigt habe. Un­ zählige Male ist von Kager als Miniaturmaler die Rede. 2) Brief H.’s vom 9. Juni 1610 VI S. 1. Auch Quellenschriften X, S. 272. 3) H. VI S. 185 „auf dem Deckel in Silber zu treiben“. Quellenschriften X. S. 281, 287. Nach Doering (Quellenschriften Bd. X) besaß Hainhofer 5 Stamm­ bücher: 1. kleine Ausgabe 1625 Augsburg, 2. große Ausgabe 1626 Augsburg (von Modern irrtüml. für das in Wolfenbüttel gehalten), 3. das kleine Reise­ stammbuch in Wolfenbüttel, 4. das sogen. Wolfenbüttler, 5. das große Stammbuch.

7*

100 Hainhofer empfiehlt Kager, der allerdings langsamer arbeite, König arbeite rascher. Oder ein andermal (VI S. 14) heißt es, Rottenhammer könne mit der Miniatur nicht umgehen, wohl aber Kager, der freilich auch langsam und teuer sei. Kager machte nun eine Zeichnung zu einem reich verzierten Wappen, das mit den Figuren des Löwen und Bären tötenden Daniel und dem Spruch „Ego tuli te de grege“ wie mit den Symbolen der Pietas und Justitia geziert war. Außerdem befanden sich auf vier Schil­ dern ein Greif mit Buch und Schwert, einer Harfe und einer Uhr; das vierte Schild blieb leer. Die Schilder waren von Metall­ farbe, die Gegenstände naturalistisch gehalten. Auch Kurfürst Maximilian will 1611 Kager für Hainhofers Stammbuch arbeiten lassen. Hainhofer wünscht eine Darstellung aus der bayerischen Geschichte. 1610 schreibt Hainhofer an den Herzog von Pommern, er habe wenig Emblemata und Impresa in seinem Stammbuch, fast nur Historien, etliche zu 100—200 fl. Sein Stammbuch sei besonders wertvoll — an 2000 fl. — wegen etlicher fürstlicher Portraits; er bitte um weitere. Einmal ist davon die Rede, daß Kager in großer Eile dem Herzog Wil­ helm — v. Bayern—„etliche Miniaturen in ein Brevier für die Kö­ nigin von Polen malen müsse“. Des „Gesichtes“, also seiner Augen wegen komme aber der Kager wenig dazu, er wolle viel lieber Altäre in Ölfarbe machen. 1613 wird von ihm gesagt, „er feiere nicht, habe erschrecklich viel zu tun, arbeite aber lieber in Öl­ farbe als in Miniatur, ja er wolle nichts mehr in Miniatur machen, außer für 500 fl.“1) Die Miniatur für das der polnischen Köni­ gin von Herzog Wilhelm zu verehrende Brevier wurde 1611 fertig. Es war eine schöne „Geburt Christi“ auf einem „Oktav*) VI, 189 heißt es für 1611, daß Kager wegen der Arbeit an dem Augs­ burger Stadtturm wenig an Miniatur sende, in denen er Meister sei. VI, 226, 229, 218 heißt es, außer Kager, Fröschl und König seien wenig Miniaturmaler vorhanden. Kager habe das Prae vor den anderen; mit Wappen sei Kager artiger als der „Rottenhaimer“. 1610 wird gesagt, Kager habe zwei Altäre zu absol­ vieren, dann wolle er wieder mit Lust etwas Schönes in Miniatur machen, „darin er wohl ein Meister ist, sich aber auch wohl zahlen läßt“. VI. 123 wird Kager als Miniaturmaler neben Bernhart und Freyberger genannt, unter denen er „der primus“ sei. Vgl. ferner VI S. 185, 204, 245. S. 222 über das Breviarium für die Königin von Polen. Als Herzog Wilhelm etwas für Hainhofers Stammbuch malen lassen will, sagt er: „Wisset Ihr einen besseren Miniatur­ maler als der Kager ist, so gebet ihn an“. Vgl. hierüber Mörner, der schon viel Einzelheiten über das Stammbuch bringt.

101 Blättlein“ in einem silbernen „Altärlein“ in „Miniatur gemacht“ für 100 fl. Im März 1611 sieht Wilhelm V. in Augsburg auch die Visierung Kagers für den Herzog von Pommern „wie Christus auf die Kindlein die Hand legt und sie segnet“. Für diese Miniatur verlangte Kager 300 fl. Das Stammbuch für den Herzog von Pommern war 1617 fertig, da dieser es in diesem Jahr Hainhofer zeigte.1) Hainhofer war bei ihm am 24. August mit drei Wagen und elf Begleitern eingetroffen und hatte ihm Porträts von Fürst­ lichkeiten mitgebracht. Im Stammbuch gab es „Handschriften und Wappen der Kaiser-Symbole und biblische Figuren®. Schon 1615 hatte Hainhofer eine kurze Beschreibung des Stammhuchs mit Inhaltsangabe drucken lassen. Erwähnt wird eine „Darbringung im Tempel® von einem unbekannten Maler und eine „Taufe Christi® und ein Portrait Maximilians von Kager. Genannt werden ferner die Maler Brill, Mozart, Freyberger, König,1) J. Bruegel, Tobias Bernhard, Ph. Bosch, Joh. Pantzer, Hans Bol etc. Ein nicht näher benannter Kilian steuerte Feder­ zeichnungen bei. Kager wird bezeichnet als der Augsburger Bürgermeister, Maler, Kupferstecher und Baumeister. 1612 hatte der Herzog mit der Buchausstattung begonnen. Auch hier sollten es stets zwei Blatt aus Pergament sein: links ein Wappen J) mit Sinn­ spruch und Schrift, rechts die historische oder religiöse Dar­ stellung. Der Herzog schlägt z. B. Historien anderer Fürstlich­ keiten, einmal auch etwas „Jägerisches® vor. Ölgemälde sollten eine Ausnahme sein. Das meiste war in Wasserfarben gemalt. Von dem umfangreichen Inhaltsverzeichnis (designatio) von 1615 erschien 1617 ein neues in deutscher Sprache mit 113 Nummern. Die Künstlernamen bleiben die gleichen. An erhaltenen, Kager mit Sicherheit zuzuschreibenden Einzel­ miniaturen habe ich die schönen, im Besitze des Fürsten Fugger befindlichen, nachweisen können.2) Im Miniaturenkabinet des Münchener Residenzmuseums befinden sich die von Buchheit und Oldenbourg publizierten Stücke.3) *) Joh. Koenig lebte nach Nagler um 1600 in Augsburg. Er malte u. a. ein „Jüngstes Gericht“ für die Gerichtsstube in Augsburg. Mozart malte Land­ schaften in der Art Brueghels. Vgl. H. VI 229. Auch mit „Wappenzier“ sei Kager „artiger, als der Rottenhaimer“. 2) Monatshefte f. K. W. XIV 1921 S. 232 ff. 3) Buchheit und Oldenbourg, Miniaturenkabinett S. 6, 14, 27. Bei Bier mann, Deutsches Barock und Rokoko, Leipzig 1914, nur in Anmerkung.

102 Das erste (Abb. bei Buchheit) symbolisiert in der auf ein Buch deutenden Frauenfigur die katholische Kirche mit Ketzerei und Zwietracht zu ihren Füßen. Im Buche steht „interrogatur de 8emitis antiquis“ und auf dem am Boden liegenden Ungeheuer „Ambulavimus vias difficiles“. Die Arbeit ist bezeichnet „Mathias Kager F. A. MDCX“. Die zweite Miniatur (Abb. bei Buchheit) schildert, wie dem leidenden Hiob ein toter Sohn gebracht wird, während im Hintergrund seine Herden zerstreut werden. Die dritte (Abb. bei Buchheit) veranschaulicht den Sturm auf dem See Genezareth, „Christus ist dennoch im Schiff, ob er gleich schläft.* Auch diese beiden nicht bezeichneten Blätter sind wegen der völligen stilistischen Übereinstimmung mit dem erstgenannten mit Sicherheit Kager zuzuschreiben. In allen drei Bildern sind die Farben von großer Helligkeit, licht und zart. Viel Weiss spielt hinein, aber auch ein lebhaftes Blau und Rot, letzteres meistens ins Gelbliche oder Grünliche übergehend. Das kräftige ungebrochene Blau kehrt bei dem Apostel vorne im Bart in gleicher Weise wieder wie auf dem Manne, der den toten Sohn trägt, und dem Tuche der weiblichen allegorischen Figur. Obwohl das gute, in hellen Wasserfarben gehaltene (viel Blau und Gelb) Blatt der Taufe Christi in der Graphischen Sammlung in München unter den Handzeichnungen eingeordnet ist, sei es an dieser Stelle doch noch angeführt, weil ich es seiner Technik nach als Miniatur ansprechen möchte. Bisweilen im Handel auftauchende Bildnis-Miniaturen, meist Angehöriger des österr. Kaiserhauses, Rudolfs II., Ferdinands, Leonorens etc., bez. J. K. oder H. K., sind wahrscheinlich von Johann Kager in Innsbruck gemalt.

V, Kager als Architekt. Mehrfach wird Kager in der Literatur als Baumeister er­ wähnt. In den Augsburger Stadtrechnungen von 1621 erscheint er mit großen Beträgen. Seine architektonische Begabung ist sicher nachzuweisen. Gebaut hat er zwar nicht, aber Pläne und Entwürfe, sog. Baurisse, für Kirchen- und nach Profanbauten entworfen und häufig auch die Leitung bei der Ausschmückung von Innenräumen übernommen. Wie Hainhofer berichtet, wünschte sich der Herzog von

103 Pommern außer einem Stammbuch noch eine Portraitgalerie *) und für seine Sammlungen eine Kunstkammer und Bibliothek. Für all diese Baupläne verlangte er von Hainhofer*2) Risse nach dem neuen, von Maximilian in München begonnenen Residenzbau. Hainhofer schreibt ihm am 4. Juni 1611, daß er, da Candid so sehr beschäftigt sei, „Wehrlin tot und andere in der Perspektive nicht geübt®, Kager von Augsburg kommen lassen wolle, »der dabei gewesen sei, wie man es aufgebaut und am besten im Kopfe habe®. Eine wichtige Notiz, die uns zeigt, daß Kager dem Residenzbau zum mindesten als Handlanger aufmerksam gefolgt ist. Im Aufträge des bayerischen Herzogs wird nun Kager von Hainhofer mit vier Rissen betraut und zwar soll er zeichnen: 1. Die Decke des kleinen Saales in der neuen Feste, gemalt von Wehrlin, 2. den Fischweiher (den schönen Weyer), 3. das Muschelgärtlein oder die Grotte, 4. das Antiquario. Kager verlangt für eine dreiwöchentliche Arbeit mit einem Jungen 100 Dukaten, bekommt aber nur 100 Pfund.3) Hainhofer schreibt dem Herzog, daß Kager in München in starker Arbeit stehe und er, weil ihn der alte Herzog Wilhelm selbst empfohlen habe, „das Werk (die vier Risse) wohl vöster treiben (würde) als es zu Stuttgart getrieben wurde“.4) Hieraus hat man irr­ tümlich entnehmen wollen, Kager sei schon bei dem Bau des Stuttgarter Lusthauses beteiligt gewesen. Das ist jedoch unhaltbar. Hainhofer selbst berichtet anläßlich der herzoglichen Taufe aus­ führlich über diesen leider nicht mehr erhaltenen Bau, ohne den Maler zu erwähnen. WendelDietterlein war der Maler der Decken­ bilder (Schöpfung, Sündenfall, Jüngstes Gericht), Beer (1518—93) der Erbauer unter Herzog Ludwig. H. Schickhart fertigte die Visierungen. 1750 wurde der Bau in ein Opernhaus umgewandelt. Vielleicht hat Kager Risse des fertigen Baues für den Herzog *) s. Mörner u. Müller in Baltische Studien Bd. 28. 2) Hainhofer hatte für die geplante Porträtgalerie des Pomm. Herzogs die Porträts des Herzogs Wilhelm, Maximilians u. dessen Gemahlin, des Kurfürsten v. Köln u. des Erzbischofs v. Salzburg mitgebracht. 3) Siehe Hainhofer S. 139, 166, 147, 1. c. Schon S. 144 heißt es, daß bei Kager die Disignation etlicher Gebäude für E. H. in Arbeit sei. 4) Fester, energischer, nicht etwa wie schon gelesen wurde, wüster.

104 von Pommern gefertigt.1) Der genannte Wehrlin ist Hans Werle (Wörl oder Werlin), der außer religiösen Bildern und Portraits die Decke des Schwarzen Saales ausmalte. Er war nach Nagler2) 1594 bei Hebenstreit in der Lehre, arbeitete unter Wilhelm V. und Maximilian I. als fürstlicher Kammermaler und Architekt, ist nach Zottmann schon 1606, nicht 1608 gestorben und nicht identisch mit dem späteren Portraitmaler, der 1607 den Hiero­ nymus Schöpfer als Lehrjungen annimmt. Sein Hauptwerk ist das Altarblatt „Maria als Himmelskönigin“ der 1601 erbauten Hof­ kapelle, für das er am 20. April 1600 schon 300 fl. erhält. Er ist nicht zu verwechseln mit Joh. David Wörl oder Werle, der 1620 fürstl. Kammermaler und Architekt wird und schon 1622 stirbt.3) Wenn Hainhofer von der neuen Feste spricht, meint er immer die 1600—1610 erbaute Maximiliansfeste im Gegensatz zur alten Neufeste im Ostbau des 16. Jahrhunderts, die er ein „melancholisch Wesen“ nenntim Vergleich mit Maximilians Neubau. Da nun Kaisersaal und Vierschimmelsaal 1611 kaum begonnen, keinesfalls aber vollendet waren und die Steinzimmer erst 1611 —13 im Bau waren, so ist es zweifellos der schwarze Saal. Hainhofer beschreibt ihn wie folgt: „Man kommt in der neuen Feste im einen schönen großen Saal mit trefflich gemaltem perspektischem Gedüll oder Deckin, welche flach, aber im Ansehen, ich weiß nicht wie, vertieft und erhöht scheinen, seien auf der Seiten anherr kaiserlich Imperatoren gemalt und hieße der Meister Wehrlin, zu seiner Zeit ein guter und fleißiger Miniatur- und Ölfarbenmaler.“ Allerdings beschreibt Hainhofer auch noch an­ dere Säle, aber der alten neuen Feste, in der sich z. B. ein schön gepflasterter Saal „mit einer gar künstlich schönen, höl­ zernen, vergoldeten Decke und mit gemalten bayerischen Histo­ rien und darnach auf ihn folgend ein kleiner Ort mit hölzernem *) Siehe A. Öchsenhäuser, ferner Hainhofer. Abb. bei Dohme Denk­ mäler, Bd. 12 S. 39. Pf aff, Geschichte der Stadt Stuttgart. U. Bäum er, Das ehemalige Lusthaus in Stuttgart 1869. Siehe auch Ebe, Spätrenaissance. 2) Siehe Halm, Materialien. Häutle sagt, er sei 1597 mit 50 fl. bei Hof angestellt worden. 3) Über Joh. David Wörle siehe Braune in den M.N.N. v. 1.8. 08 und Halm Materialien, Bayersdorfer in der Altbayer. Monatsschrift 1908 u. RfKW Bd. 10 1887 S. 388. Über unsem Hans Werle s. auch Westenrieder, Bei­ träge usw., wo 1589, 1594, 96, 99, 1600, 1601 ansehnliche Zahlungen an Wörndl, Wemle erwähnt werden, die archivalisch belegt sind.

105 vergoldetem Gedüll“ befand. Man könne durch heimliche Löcher in die Säle hinunterschauen. Auch nennt er einen Gang, der zu einem Lusthaus mit perspektivisch gemaltem Saal führe. Aber (unter und) in allen diesen Sälen der alten Neufeste, auch jenem kleinen, der nach 1600 wiederholt genannt wird, ist nirgends eine Arbeit unseres Werle nachweisbar. Da der östliche Trakt 1750 verbrannte, stehen wir hier auf einem besonders unsicheren Boden. Es kann nur der schwarze Saal der Residenz, der von Wilhelm V. erbaut und von Maximilian 1622 umgebaut wurde, gemeint sein.1) Werle hat auch die Zeichnung zur Decke ge­ macht. Die Schwarz zugeschriebene der Münchener Graphischen Sammlung ist eine Nachzeichnung. Auch die anderen rühren nicht von Schwarz her, aber auch nicht von Kager. Das Antiquarium, das nach Hainhofer tiefer gelegt wurde, damit es höher und herrlicher aussähe, wurde in der Hauptsache 1588—1600 umgebaut; seine Innenausstattung war um 1600 fertiggestellt.2) Es war also 1611 eine große Sehenswürdigkeit und für den Pommerschen Herzog von starkem Interesse. Auf Sustris geht der Ausschmückungsentwurf zurück. Unter den vier Schülern Candids, die nach dessen Entwürfen die 16 Allegorien der Deckenbilder ausführten, war Kager wahrscheinlich jener Meister II bei Bassermann-Jordan. Dem widerspricht nicht, daß gerade die von Bassermann-Jordan diesem Meister II zugeschrie­ benen Bilder am stärksten Candidschen Einschlag zeigen. Der Fall läge also hier wie bei den Deckenbildern des Goldenen Saales in Augsburg. Sicher läßt sich jedoch hier nichts beweisen, da alles restauriert ist und Candids Stil zu übermächtig mitspricht. Parallel zum Antiquarium wurde der sogen. Hirschgang erbaut. Noch östlicher schlossen sich Ballhaus und Küchenhaus an, die die Verbindung mit der „Rundstube“ im alten Teil der Neufeste herstellten. Unter dem Muschelgärtlein (schönes Gärtlin, schönes Gärtel, Grotte) ist der ganze Grottenhof in seiner damaligen Gestalt zu verstehen, also mit zwei offenen Grottenhallen, von denen später die westliche, die sogen. Gartenhalle, mit Deckengewölben q S. Häutle, Bd. 27 u. 28. d. Bay. Bibliothek S. 272) s. Bassermann-Jordan: Grotesken-Putten schon in den 90er Jahren, die 16 Allegorien im Scheitel des Gewölbes erst zwischen 1597 und 1600.

106 Sustris’ (Kagers?) zugemauert wurde.1) Die östliche wurde als „Sälin“ dem Antiquarium vorgebaut und unter Sustris’ Leitung 1586—89 mit den Gehilfen Ponzano, Candid und Viviani aus­ gemalt, der Muschelbrunnen selbst erst 1600. Hainhofer be­ schreibt die Grotte mit dem Merkur und dem Mann und dem Weib, die Wasser in die Tröge spritzen, sehr genau. Leider ist schon 1630 alles übermalt worden. Vom Grottenhof geht es in zwei Gärten, den heutigen Brunnenhof und den früheren Hofgarten, neuen Garten auf dem Jägerbühl, den jetzigen Königsbauhof. Hainhofer sagt,2) daß hier, in dem südlichen Garten, ein schöner großer Fischweiher, mit Blei gefüttert, zu sehen war, „stehend anfangs vom Garten an auf Felsen ein groß metallisch Mann und ein Weib. Sie halten miteinander einen großen Delphin um den Leib, der zum Maul haufenweise Wasser speyet“. Hinter dem großen Berg sei der „Weyer“ mit einer halbrunden Mauer mit antiken Büsten und Bildern umgeben gewesen.3) Als Hainhofer die Risse — es sind im ganzen fünf — nämlich dissigno und pianto (Plan) vom Antiquarium (2), Belvedere, Grotte, Weiher und Decke schickt, bemerkt er, daß sie den Herzog 100 Taler kosten, der ja den Kager, der sich auf Perspektive und Architektur verstehe, in der Jugend als Diener gehabt und extra habe kommen lassen. Was aber ist mit dem Belvedere gemeint? Inzwischen ist die von mir in Wolfenbüttel vermutete Relatio Hainhofers in München leihweise ausgestellt worden. Es fin­ den sich in ihr tatsächlich die von Hainhofer erwähnten Risse und Zeichnungen von Kager. Auf fol. 127 des Bandes, der im zweiten Teil den Bericht Hainhofers aus dem Jahre 1611 über seine Reise von Eichstätt nach München enthält, finden wir: x) Will ich und Trautmann: „von Wilhelm V. erbaut, ein Gärtchen mit kühler Muschelhall, Säulenhalle und Terrasse“. Maximilian erweiterte den südlichen Teil und legt eine Altane an, von der aus man den Grottenhof und alten Residenzgarten sah. Siehe auch Frankl, Stizungsbericht der Kunsthist. Gesellschaft in München v. 22. Juli 1916. 2) Seidel zitiert hier den Text bei Hainhofer. s) Nach Zimmermann, R.f. K. W. 10 S. 381 war dieser Weiher sogar mit Gondeln zu Lustfahrten versehen. Hainhofer erzählt, daß Lachse, Salme und Forellen im Weiher schwammen und daß neben ihm das Rondell mit dem Pegasus lag. Nach Häutle sind wohl am Wittelsbacher Brunnen und an anderen Plätzen der Residenz noch Figuren aus diesem ältesten Hofgarten.

107 a) b) c) d) e) f)

die aquarellierte , perspektivische Decke, einen großen Übersichtsplan in Federzeichnung, die lavierte Federzeichnung der einen Seite der Grottenhalle, die Fensterseite des Antiquariums, die der Eingangsseite des Antiquariums und die aquarellierte sehr farbige Zeichnung des „Fischweihers*, mit der Bavaria links und dem Triton rechts.

Auch für Kirchenbauten hat Kager Grundrisse entworfen, so zu der von Joh. Alberthaler unter Beihilfe seines Bruders Albert 1611 und 1617 in Dillingen erbauten Jesuitenkirche (Maria Himmelfahrtskirche). Sie ist ähnlich wie die Michaelskirche in München mit einer doppelgeschoßigen Orgelempore versehen.1) Nach Braun finden sich aber folgende Abweichungen: „Eine einzige Pilasterordnung, keine Attika zwischen dem Gebälk und dem Gewölbeansatz, entschieden ausgebildete Stichkappen, keine Emporen in den Nischen des Langhauses, aber Oratorien in Form von Emporen im Chor, ein Vorjoch.* Nach Braun gehen nun gerade diese „Neuerungen“ auf Kager zurück, die überall, insbesondere in Süddeutschland fruchtbar wurden. Weiter schuf Kager die Pläne für die neue Kollegiatskirche (Grundsteinlegung 1619) in Innsbruck, als Alberthaler, der aus­ führende Architekt, schon dort tätig war. Doch werden Kagers Risse sich wohl nur auf die Innendekoration bezogen haben, die, so schlicht auch die Fassade ist, einfach glänzend ausfiel. Dabei ist alles im Innern gerade, klar und übersichtlich dis­ poniert. Die Innsbrucker Kirche ist aber nach fast völligem Einsturz 1626 nach anderen Plänen wieder neu aufgebaut worden. Kager hatte auch für das Portal und die Altäre der Kollegiats­ kirche (Dreifaltigkeitskirche) 1622 den Entwurf geliefert, den ebenfalls Alberthaler ausführte.2) Wie Braun schon3) mitgeteilt hat, befindet sich auf dem im Hauptstaatsarchiv zu München auf­ bewahrten Grundriß des ersten Baues eine Inschrift, nach der 9 Siehe Braun, Die deutschen Kirchenbauten der Jesuiten. Lochner v. Hüttenbach: „1608 liegen die Pläne dem Domkapitel vor“. Leider ist die Innenausstattung der Dillinger Kirche nicht mehr die ursprüngliche. 2) Karl Lechner, Geschichte des Gymnasiums in Innsbruck im 58. Pro­ gramm des Staatsgymnasiums zu Innsbruck S. 14 ff. 3) S.

164.

108 der Bauleiter Scheiner von Herrn Kager „den Aufzug auf diesem Grund begehrt“. Auch dieser Grundriß zeigt das Schema der Dillinger Kirche; nur die Apsis und der Turm hinter ihr sind verschieden. All dies teilt Braun mit. Ich kann seinen Schluß­ folgerungen, daß Kager auch der geistige Urheber des Dillinger Baues sei, nur beipflichten. Übrigens verzeichnen nach den Regesten des Wiener Jahrbuchs die „rationes® noch 1629 : „dem Khager für ein leicht Visier nach Augsburg 111,48 Kronen“. Kager hat mithin nach dem Einsturz noch einmal einen Plan weggeschickt. Fontana erhielt die Ausführung. Braun und Lill*) schreiben mit überzeugender Begründung Kager auch den Entwurf zum Dominikanerkloster in Kirchheim bei Mindelheim in Schwaben zu, das 1618 im Auftrag Marx Fuggers erbaut wurde. Erhalten ist nichts. Kager, der auch für Elias Holl Fassadenentwürfe besorgte, wird vielleicht auch für die Schutzengelkirche in Eichstätt einen Entwurf gemacht haben, wie er ja auch die Gemälde für den Hochaltar usw. schuf.*2) Schließlich war Kager auch Leiter der gesamten Innen­ dekoration der Benediktinerkirche in Zwiefalten. Wir sind hier auf flüchtige Angaben bei Sulger angewiesen. Abt Michael ließ nach ihm die durch Soldaten u. a. beschädigte Kirche 1623 neu ausschmücken. Die Arbeit dauerte sechs Jahre. Kager „architectus in reparatione Basilicae nostrae® schuf ein neues Chorgemälde, fertigte die Mauermalereien und bewirkte die „efformatio et inauratio® der zwölf Apostelstatuen u. s. w. Als „director totius operus® malte er auch einige oben bereits genannte Altarblätter.

VI. Der Kunstschrank. Als Maler und künstlerischer Leiter betätigte sich Kager am Entwurf und an der Ausführung des jetzt im Berliner Schloß­ museum befindlichen sog. Pommerschen Kunstschrankes,3) der 9 Lill, Hans Fugger und die Kunst, S. 82 Anm. 5 und im Fuggerarchiv vom 5. V. 10. Rechnung über das Kloster Kirchheim „Zehrung und Verehrung“. Man vergleiche auch mit der Decke des goldenen Saales die von Wendel Dietrich geschaffene Decke des goldenen Saals im Fuggerschloss zu Kirchheim vom Jahre 1585. 2) Sulger, Annalen von 1698; Schurr, Führer. 3) Siehe Ku g 1 e r, Beschreibung etc. des Pomm. Kunstschrankes, Berlin 1838. — Mörner i. d. Zschr. f. Preuß. Geschichte 1865.

109 im Auftrag des Herzogs Philipp II. von Pommern (f 1618) unter Hainhofers Oberaufsicht angefertigt wurde, 1616 vollendet war und 1617 von Hainhofer persönlich dem Herzog überreicht wurde. Da über ihn schon längst ausreichende und vollständige Veröffentlichungen *) erschienen sind, darf ich mich kurz fassen. Zu unterscheiden ist, wie in ähnlichen Schränken z. B. Angermeyers, Untersatz und Schreibtisch. Am Untersatz fangen Greifen die Fußglieder auf. Auf der Vorderseitenfläche sind die freien Künste, die Musik, Tag und Nacht und die vier Elemente von David Altenstetter dargestellt, alles in getriebener Silberarbeit. Über diesen Reliefs in gleicher Technik der Parnass. Die Schubladen bergen Werkzeuge, Utensilien, Kartenspiele etc. Öffnet man den Schrein, so erblickt man vier von Mozart*2) gemalte Landschaften, darstellend die vier Elemente. Das Mittelbild, ebenfalls von Mozart, schildert, wie Hainhofer dem Herzog und dessen Ge­ mahlin Sophie in Gegenwart zahlreicher, namentlich aufgeführter Personen, unter ihnen Kager und Mozart ganz vorne mit einem Hund, den Schrein überreicht. Kager hatte Visierungen zu ihm und dem darin befindlichen Brettspiel und Schreibzeug „voll seltsamer Inventionen“ gemacht. Aber auch die mit Öl auf Edel­ steine gemalten figürlichen Allegorien wie Fleiß, Glück, Eifer­ sucht u a. auf den Schubladen des Untersatzes können nur von Kager herrühren, ingleichen die Malereien auf den Steinen des Schreibpultes im Mittelstück und das dritte unbezeichnete Karten­ spiel. Es ist der Stil seiner Zeichnungen und seiner Ornamentik. Der Kistler Ulrich Baumgarten hat die Holzarbeiten, Wall­ baum die übrigen Reliefs und Göttich die Gravierungen gefer­ tigt. Aber mit Ausnahme des Parnass geht alles auf Kagers Entwurf zurück. Die ornamentalen Elemente sind die gleichen wie im Goldenen Saal zu Augsburg. Mit dem Schrank wurde ein „Meierhof“ überreicht, d. h. das Modell zu einem solchen. Auch hier hatte Kager dem Ver­ fertiger Schwegler geholfen.3) Ja, er hatte das Modell in sein *) Adolf Brüning, Der Pomm. Kunstschrank etc. Jhrb. d. Preuß. Kunstsamml. 1885, S. 87. 2) Anton Mozart lebte 1573—1624 und malte Landschaften in der Art des älteren Jan Brueghel. 3) Siehe die Abb. bei Trautmann im Sitzungsbericht des Münchener Alter­ tumsvereins 1866/67 Heft 3 nach einer erhaltenen Zeichnung. Es ist ein Schloß

110 Haus schaffen lassen und dann selbst mit Farben dekoriert. Das Gegenstück zum Pommerschen Kunstschrank ist der Schrank zu Upsala, der 1632 dem Schwedenkönig Gustav Adolf bei seinem Einzug in Augsburg von dem Rate überreicht wurde. Er kostete der Stadt 6000 fl.1) Auch hier hatte Hainhofer die beratenden Anweisungen gegeben und Kager, wie schon Boettiger2) meint, den Künstlern zur Seite gestanden. Be­ trachtet man die bei Boettiger abgebildeten Reliefs aus Elfen­ bein, Silber und Buchs, so ergibt ein Vergleich mit Kagers or­ namentalen Zeichnungen u. a. die Richtigkeit von Boettigers Vermutung. Doch wird sich Kager auch hier auf die Lieferung von Visierungen, Rissen und Vorlagen beschränkt und zur Aus­ führung die oben genannten Künstler, vor allen Dingen Göttich, berufen haben.

VII. Der Stecher« Eigenhändige Stiche und Radierungen vermögen wir kaum ein Dutzend nachzuweisen. Aber die Zahl der Kupferstiche, die von anderen Stechern nach seinen Zeichnungen ausgeführt wurden, ist eine ganz stattliche. Natürlich läßt sich aus Stichen die per­ sönliche Handschrift nur unter Einschränkungen feststellen, da schwer nachzuweisen wäre, wieviel der Stichel oder die Nadel des reproduzierenden Künstlers hinzugetan haben. Aber das Gesamtwerk zeigt eine stetige Entwicklung auf. Kagers Technik ist gut und sicher, die Strichführung aller­ dings nicht sonderlich energisch, jedoch die Haltung der Blätter bei Flüchtigkeiten in Einzelheiten eine helle und klare. Er fügt sich in den Kreis der um die Jahrhundertwende tätigen nieder­ ländischen Stecher, etwa der Wierix, zwanglos ein, wahrt dabei aber doch eine gewisse selbständige Note. Kager liebt Ab­ wechslung zwischen Stich und Radierung und eine gefällige Zierlichkeit. Kleinmeister ist er nicht, auch nicht Feinstecher wie sein engerer Landsmann Alexander Mair; auch hat er nichts von dem Virtuosentum, das im 17. Jahrhundert aufkommt. Wir mit Turm, Stadel und lebendem Inventar. Die Fassade des Schlosses war be­ malt, die Fenster mit Ornamenten eingefaßt; Nischen mit Figuren wechselten mit den Fenstern ab. Hainhofer VI S. 122. *) 1644 in die Bibliothek der Akademie zu Upsala gekommen. R.f.K. W. Bd. 33 S. 564. 2) Boettiger, Ph. Hainhofer und der Kunstschrank Gustav Adolfs.

111

finden unter seinen eigenhändigen Arbeiten nur religiöse Themen, keine Portraits, kein Genre. Reproduziert hat er selbst nicht; von Massenbetrieb und Routine ist noch keine Rede. Dominicus Custos führt die von ihm gewissermaßen verdeutschte nieder­ ländische Manier zum Höhepunkt. Vergleicht man, so gewinnt Kager an Selbständigkeit. Die Sadeler — nur Egidius sticht nicht nach ihm — und Lucas Kilian übertragen seine deutschen Zeichnungsvorlagen ins typisch Niederländische. Kagers Stiche gehen ganz zusammen mit Tafelbildern gleichen oder ähnlichen Inhalts. Wir spüren auch hier sein Bemühen um Ausdruck und Charakteristik, um ein gewissenhaftes Notieren von Einzelheiten und naturgetreue Wiedergabe. Die Hände und Füße sind auch hier recht nachlässig und viele Figuren, besonders die Frauen haben ein etwas geziertes Wesen. Da finden wir z. B. auf der „Anbetung der Hirten“ die lbOl, nicht 1610 datiert ist, jene lebhafte Gebärdensprache bei dem Hirten mit dem Kerzenlicht, jenes breit den Vordergrund behauptende Lamm — es ist dies übrigens vielleicht das beste Blatt — und erkennt man schon im Jahre 1605 in der hübschen hl. Familie (s. Abb. 6) jene Annäherung an Rubens, hier mehr an van Veen, die in Gemälden bemerkbar wird. Da stellen wir ferner in dem (s. Abb. 7) wohl spätesten Blatt der Taufe Johannis ausgesprochene Anklänge an Rubens und eine Behandlung der Figuren, eine Lebhaftigkeit und ein klein wenig Pose fest, die an das Gemälde der Abigail erinnern. Die hl. Frauen, von denen Nagler vier, andere aber 12 Bl. erwähnen, erscheinen jede in Assistenz eines Engels. Von den nach Kagers Zeichnungen gestochenen „Vorstel­ lungen“ ist wohl die R. Sadelers die seltenste und früheste. Sie zeigt Christus rechts am Brunnen sitzend im Gespräche mit der Samariterin. Für alle Einzelheiten sei auf das Verzeichnis ver­ wiesen. Da jedoch in allen Arbeiten Kagers die Ornamentik eine große Rolle spielt, müssen wir ihr noch ein Wort widmen. Es ist wohl richtig, daß ihm in der Geschichte der Ornamentik in gewissem Sinne ein „Ehrenplatz gebührt“. Wir finden weiche, teigartige Formen in dem bis dahin so starren Rollwerk mit seinen gewundenen und geschweiften Linien. Manches entspricht dabei Kagers lebhaftem Temperament. Überall begegnet man der barocken Muschel. Gerne verwendet er Fledermausfiguren, Masken, die halb Delphin, halb Löwenkopf, aus dem Maul einer

112 Groteske, eines Fabelwesens entspringen. Eigentümlich sind ihm auch die stark herausgedrehten Voluten, knochenartige, in Spindeln endende Stäbe, die sich übrigens, wie auch die müde gelaufene Ranke, die nur spärlichen, verkümmerten, meist nur einseitig anklebenden und schlaff umgebogenen Blattschmuck aufweist, als allgemeine Stilmerkmale festlegen lassen. Überall verbin­ det Kager seine Grotesken, Draperien, Festons, Ranken und sogar das Muschelwerk mit einem merkwürdig phantastischen Knorpelwerk. Realistische figürliche Darstellungen, am liebsten Bewegungsbilder aus dem Tierleben, werden hinzugefügt. Und während er sich hier ganz seiner schöpferischen Phantasie über­ läßt und das geometrische wie vegetabile Ornament mit unend­ lichen Einfällen seiner übermütig sprudelnden Laune belebt, sorgt er gleichzeitig dafür, daß das Ganze in keinem Fall die zu schmückende Fläche überwuchert, nicht den Eindruck von Willkür und Chaos macht, sondern sich fast ängstlich symmetrisch, wie in der stets gleichen Aufeinanderfolge von Kartusche, Feston, Blumengerank und Groteske, dem Grunde der Architektur an­ paßt. So sind auch die einzelnen Füllungen, Leisten, Schilder und Kartuschen an der Decke des goldenen Saales angeordnet und so steigt das Ornament in Grisaillenform an Wänden und Fassaden in klar proportionierten Gebilden hinauf und hinab und so umrahmt es Bilder und Stiche. Diese Begabung für das Ornamentale, diese meisternde Kraft, mit der auch das scheinbar regellos Wuchernde wieder zusammengefaßt wird, offenbart sich gerade in den wenigen Ornamentfriesen, die er mit ganz entzückender Leichtigkeit, mit schwebender Grazie für Raphael Custos ent­ warf.1) Hier wird die klassische Ranke in dünne, weitgehende Linien aufgelöst und mit anmutigen Schilderungen aus Sage, Mythologie und Fabel graziös verbunden. Tier- oder Fabelwesen gehen fortlaufend in Pflanzenformen über oder verschachteln sich miteinander. Nur Poccetti gibt Ähnliches in Italien. Schließlich war Kager als Stecher noch für den Buch­ schmuck eifrig tätig und mit Vorlagen für die Stecher überall zur Hand. Wolfgang Kilian stach nach ihm einige der Kupfer in dem Werke: Basilicae S. Uldalrici et Afrae Augusta Vind. Historia. . . Auctore Bernardo Hertfelder Augsburg 1627 und zwar *) Siehe Abb. Nr. 58 im Klass. Formenschatz.

113 das Titelblatt, 2 Bl. mit Chor, Querschiff m.Tumba und Turm v. Hauptschiff aus, 5 „ Grab des hl. Simpertus und eine Pieta als Altarbild, 6 „ mit dem Grab der hl. Digna und Altarbild mit Kruzifix, die Kartusche mit dem Maßstab und drei Cherubs. (Alle übrigen Blätter nach Zeichnungen Daniel Manassers und Wolfgang Kilians). R. Sadeler d. J., Chr. Leidenhoffer und W. Sandizeller stachen nach seinen Zeichnungen in den drei Büchern der „Bavaria sancta“ von M. Raderus (München 1615) sämtliche Bilder, die himmlische Erscheinungen (1624, 1627), Heilige, Wunderwerke, Martyrien u. a. vorstellten. Besonders gut sind Einzelgestalten von Heiligen im zweiten Band. Hier findet sich z. B. die Darstellung eines Ritualmordes. Sehr hübsch ist im dritten Bande das Portrait der vor dem Altar knieenden Margarethe v. Lothringen und des von Engeln umgebenen hl. Bernhard.1) R. Sadeler d. J. stach weiter nach Kager 17 Blätter in der „Bavaria pia“ des Matthäus Raderus, die 1628 in Ingolstadt erschien. Auch lieferte Kager zahlreiche Entwürfe für das Werk: Principuum Christianorum Stemmata von Ant. Albizzo, Augsburg 1612. In dem darin dem Titelblatt vorausgehenden Blatt findet sich eine dreifache Kartusche mit Kagerschem Groteskenwerk, die allegorische Engelsgestalten der fortitudo, justitia, prudentia und temperantia umschließt. Das eigentliche Titelblatt bringt die weiblichen Allegorien der Kraft, des Friedens und der Gerech*) Stieve, Wittelsbach. Briefe. Schon 1603 berichtete Maximilian an Koadjutor Ferdinand nach Köln, die Zeichnungen seien fertig, ob nicht Ferdinand einen Stecher, den es in Köln geben soll, besorgen könne. — Zottmann bringt mit Recht die von El. Greuther d. Ä. gemalte Taufe des hl. Augustin durch Ambrosius in Zusammenhang mit Kagers Taufe des hl. Rupert, die hier gestochen ist. Nur war Greuther Schüler von Chr. Schwarz. Seine Bilder in Schleißheim schließen sich noch an die ital. Renaissance an. Nach Ree, Candid S. 44, erhielt der alte Sadeler 1624 einen Betrag von 400 fl. und der junge 1627 einen solchen von 100 fl. Kager hatte schon 1620 für 65 Visierungen 234 fl. erhalten. Nach den Stichen der hl. Kunigunde und hl. Elisabeth von Andechs aus diesem Band malte Stephan Keßler (1622—1705) zwei jetzt im Ferdinandeum zu Innsbruck befindliche Gemälde. 8

114 tigkeit, die Tyrannei und Betrug gebändigt haben. Putten halten die Inschrifttafel. Die erste Vignette zeigt gebundene Gefangene, in der Mitte Trophäen und Friedensengel. Dann folgen ein Portrait des Albizzi und Stammbäume im Wechsel mit Vignetten. Stets bringen die Vignetten reizvolle weibliche allegorische Figuren. Im Verlage von Lucas und Wolfgang Kilian erschien 1608 das große Werk: Fuggerorum et Fuggerarum quae in familia natae quae in familiam transierunt etc. Imagines. Domin. Custodis Art. totius operis delineator et sculptor. Augsburg 1608. Bl. 36 (Albertus Fugger) trägt den Vermerk: M. Kager inv. An vielen anderen findet man J.C.A, d. J. invent Cagerus. . In den Umrahmungen der 122 Portraits Kagers sind Putten, Tiere, Grotesken u. a. ornamental erweitert, wie ein Vergleich mit denen des goldenen Saales ergibt. Von Bl. 57 an erscheint wieder der Vermerk: Mathias K. inv., woraus zu folgern ist, daß die Portraits selbst von Kilian nach Zeichnungen von Custos gestochen sind, daß aber die Umrahmungen auf Zeichnungen von Kager zurückgehen. Auch ist stets beim Portrait vermerkt: W. L. Kilian sc., bei den Umrahmungen aber: Mathias Kager inv. oder nur: J. C. A. Kager verwendet für diese Umrahmungen im ganzen fünf Schemata: Beim ersten symmetrischer roll werkartiger Aufbau, darunter je zwei Sphinxen und zwei Genien mit Bocksfüßen, zwei Putten mit Papageien, vier geflügelte musizierende Genien mit dem jeweiligen Wappen und Umrahmungen für weibliche Portraits. Beim zweiten unten ein Putto, umgeben von Trophäen, auf den Konsolen Glück und Reichtum, als Bekrönung liegende Putten mit Flügeln und Wappen (die Putten halten mit diesen verbundene Festons) und Umrahmung für männliche Portraits. Beim dritten ein schlafender Amor mit Totenschädel, unten der Glaube und Ruhm mit dem Wappenschild oben Um* rahmung für weibliche Portraits.

115 Beim vierten Allegorien der Gerechtigkeit und Weisheit, Festons mit Troddeln und Delphinen, zwei Putten, die einen Vorhang über den Porträtierten halten, für weibliche Portraits. Beim fünften ein geflügelter Dämon, mittels Festons die Konsole tragend, rechts und links Pallas und Merkur, ein Del­ phin, eine ausspuckende Fratze, die Trophäen hält, für männ­ liche Portraits.

VHL a) Verzeichnis der Kupferstiche und Radierungen. Eigenhändig: 1. hl. Hieronymus (M. Kager Inv., Greuther u. S. T. Michels­ pacher exc). Stich um 1603. 2. hl. Familie 1605 (M. Kager inv. et fecit, nach O. van Veen). 3—6. vier hl. Frauen: Dorothea Caecilia in Greuthers Verlag M. K. 1603. Catharina Ursula 7. Joachim und Anna 1 ebenso, Nr. 7 Stich 8. Taufe Christi durch Johannes J wohl 1603. 9. Christi Geburt (Anbetung der Hirten) 1601, nicht 1610 (M. Kager inv. et sc.). 10. Reicher Mann und armer Lazarus, nach 1603. 11. Vier Evangelisten in Halbfiguren (nach Nagler und Brulliot um 1600, m. E. später, nach 1603). Nachzeichnungen Kagers: Christus und die Samariterin 1614. J. M. F. Sacerer (Sackerer) J M K Inventor, S. T. Michels­ pacher exc. Stich. (Nagler und Brulliot erwähnen „Tod Abels“, gest. von Sackerer, exc. Greuther). Wolfgang Kilian: 1. Die hl. Sulpicius, Benignus und Aemilianus mit ihren Martern. 2. Elisabeth v. Lothringen, erste Gemahlin Maximilians, 1619, Brustbild mit allegorischen Figuren. 3. Herzog Maximilian von Bayern, einhersprengend, am Boden Drache der Zwietracht und Flußgott, Gefangener, Tro­ phäen, in den Lüften Putto mit bayer. Wappen, im Hinter­ grund Schlacht, links Burg und Felsen (das typische Manie­ risten-Reiterbild !), 1619. 8*

116 4. Universa Theologia Scholastica, 1626. 5. Der hl. Jakob kämpft gegen Mauren (in den Wolken). 6. Joh. Christof, Bischof v. Eichstätt, 1613. Medaillon in reicher ornamentaler Umrahmung, Kartusche, Widderköpfe, Bischofswappen, allegorisches Beiwerk. 7. Zwölf Monate, 1617 (Ovale). Titelblatt, blasende Putten und Sinnbild der Zeit, stets typische Vorgänge u. a. 8. Pfalzgraf Maximilian, 1623. Porträt 1. im Medaillon der Überfluß, r. die Baukunst, durch geöffnete Kartusche Blick auf Schloß, weibliche Figuren um sie, Heilkunst und Glaube, Kraft und Sieg, ein Engel posaunenblasend. 9. Geschichte des Klosters St. Ulrich und Afra, 8 Blatt. Basilicae St. Ulrici et Afrae August. V. Historia (s. a. Hämmerle, die Augsburger Künstlerfamilie Kilian, Augs, bürg 1922). 10. Der hl. Apronianus, 1627, W. Kilian sc., Hintergr. Martyrium. Lucas Kilian: 1. Christus in Wolken, von drei Engeln umgeben, erscheint dem hl. Jakobus Ledesmae, 1611, Jakob Fugger gewidmet. M. Kager Monac. Bav. Invent. 2. Graf v. Herbersdorf, 1625, Hüftbild in Oval. Kag. del. (nicht „pinxit“, wie Katalog Sternberg-Mander­ scheid). 3. Die Apostel, 1623 (15 Bl. Christus, Maria, Joh. u. Apostel). 4. Portrait Kagers, 1626 (Hämmerle irrtümlich^ 1616; nicht Rottenhammer, der 1625 starb). 5. Reichels Genius des Krieges. 6. Sanctuarium Christianorum, 1623 (id est imagines Christi et Apostolorum), Titelblatt u. 16 Blatt. Lucias Kilian sc., Mathias Kager Inventor. (Andreas wie Moses Michelangelos, Bartolomäus wie ein Herkules.) Fr. Collignon, 1631: König Salomon empfängt die Königin von Saba, mit dem Wappen der Imhof und Rehlinger, denen das Blatt ge­ widmet ist. Invenit Mathaeus Kager. Vgl. Zeichnung der Graph. Samml. München. (Nach Nagler sehr selten.)

117 Raphael Sadeler d. J.: 1. Kunigundens Feuerprobe. K. geht mit nackten Füßen über glühende Schwert­ scheiden, von zwei Dienerinnen begleitet, zierlich gelegtes Gewand. M. Kager figuravit. 2. hl. Elisabeth von Andechs, ebenso. 3. Christus erscheint dem hl. Franziscus, desgl. (Zweiter Zustand: P. Remigius de Bozzulo inv.). (Weigel: hl. Franz und zwei Mönche!). 4. Mariae Himmelfahrt, Mathias Kager inv. 5. Christi Geburt, Raph. Sadeler sc. 6. Maria erscheint dem hl. Michael, auf dessen Rüstung bayer. Wappen, im Hintergründe München mit Frauenkirche und St. Peter, drei Engel mit Karte Bayerns. 7. a) Bavaria sancta, Bd. III 1615. b) Bavaria pia, 1628 (zusammen mit R. Sadeler d. Ä., der hierzu 1614 von Venedig gerufen wurde). Christof Greuter: 1. Pieta, unbezeichnet, aber wohl nach Kager. 2. Monasteriologia, 1638 (nach Kagers Tod). Raphael Custos, m. E. nach Kager: Principum Christianorum Stemmata, 1608. Die Rundbilder der Jahreszeiten. Die Arabesken (nach Jessen 9. Blatt, nach Nagler 13 Blatt) um 1620. Titelblatt der Passiones D. N. J. Chr. historia, 1622 R. F. F. Carlo Stengelro Ord. S. Ben. M. K. inv. R.C. f. Titelblatt mit den drei Gefangenen, dem Narses und Belisar und Engel, die Büste krönend, M. K. inv. R.C. sculps. Ferner Titelblatt zu zween Kriegsdiskurs .. . I. Julii Caesaris VIII Bücher........... II. Herrn Franciscii Mariae Hertzogen zu Urbino von allerhant Kriegsvorteilen. und IV Bücher von der Kriegskunst zu Wasser und zu Land. Frankfurt 1620. Unbekannter Stecher. Verleger R. Custos. Ferner die Umrahmungen zu Fuggerorum et Fuggerarum .... imagines Augsburg 1608 im Verlag Lucas u. Wolfgang Kilian, D. Custos Stecher.

118 M. E. sind nach früheren Zeichnungen Kagers in Imagines Sanctorum Augustanorum Vindelicorum, Aereis tabellis expressae, Fridericus Sustris et Thom. Maurer delineaverunt, 1620, Aug. Vindelic. einige Blätter wie Bl. 4 Narcissus Bl. 5 Afra Bl. 8 25 Märtyrer BL 17 Heinrich und Kunigunde (vielleicht noch Bl. 19 Leo). Mit Kager nichts zu tun hat: Het Nieuwe Testament ons Selickmaeckers Jesu Christi etc., Antwerpen 1646. Einige der Holzschnitte tragen aber das Zeichen: J. K. Jnv., z. B.: S. 165 Christus vor dem Volk, „ 166 Kreuzigung und Kreuztragung. Der Schächer auf dem letzten Blatt erinnert an den hl. Andreas in Landshut, die flüchtige Zeichnung der Extremitäten und die übertriebene Mimik an Kager.

VIII. b) Chronologisches Verzeichnis der Kupferstiche und Radierungen. I. Eigenhändige: 1. Vier Evangelisten in Halbfiguren, 1600 (?). 2. Anbetung der Hirten, 1601, 1610. 3. Der reiche Mann und der arme Lazarus, nach 1603. 4. Joachim und Anna um 1603, Stich. 5. Dorothea 6. Caecilia 7. Catharina 1603. 8. Ursula 9. Der hl. Hieronymus um 1604, Stich. 10. Die hl. Emilia nach O. van Veen, 1605. 11. Die Taufe Christi durch Johannes, 1620—30. II. Nach Zeichnungen: FuggerorumetFuggerarum ... Imagines Augsburg, 1608 D.Custos, sc. L. u. W. Kilian exc.

119 Principum Christianorum Stemmata, 1608, Raph. Custos. Christus erscheint dem hl. Jakob von Ledesma, 1611, L. Kilian. Joh. Christof, Bischof v. Eichstätt, 1613, Wolfgang Kilian. Christus und die Samariterin, 1614, I. M. F. Sacerer, Stich. Bavaria sancta Bd. III, 1615, R. Sadeler d. J. zus. mit R. Sadeler d. A., der hierzu 1614 von Venedig berufen wurde. Die zwölf Monate, 1617, Wolfgang Kilian. Herzog Maximilian v. Bayern, 1619, Wolfgang Kilian. Elisabeth v. Lothringen, 1619, Wolfgang Kilian, ein Fries (Arabesken) um 1620, R. Custos; Titelblatt zu zween Kriegsdiskurse usw. 1620, R. Custos; Titelblatt z. Passionis D. N. Historia, 1622, v. R. Custos. Pfalzgraf Maximilian, 1623, W. Kilian. Die Apostel (Sanctuar. Christi), 1623, Lucas Kilian. Graf v. Herbersdorf, 1625, Lucas Kilian. Universa Theologia scholastica, 1626, Wolfg. Kilian. Portrait Kagers, 1626, L. Kilian (nicht Rottenhammer, starb 1625!) Basilicae S. S. Udalrici et Afrae Augusta V. Historia, W. Kilian, 1627, 8. Blatt. Bavaria Pia, 1628, R. Sadeler Inv. Salomon und die Königin v. Saba, 1631, von F. Collignon. Monasteriologia, 1638, nach C. Greuter. Unbest immt wann? Die hl. Sulpicius, Benignus etc., W. Kilian, etwa 1615? Der hl. Jacob kämpft gegen die Mauren, um 1611. Kunigundens Feuerprobe, R. Sadeler d. J., um 1615. Elisabeth v. Andechs, R. Sadeler d. J., um 1615. Christus erscheint dem hl. Franz, R. Sadeler d. J., um 1611? Mariae Himmelfahrt, R. Sadeler d. J., um 1618. Christi Geburt, R. Sadeler d. J., um 1610. Maria erscheint den Erzengeln, R. Sadeler d. J., um 1616/17. Kriegsgenius Reichels v. L. Kilian ?. III. Wahrscheinlich nach Zeichnungen Kagers: Pieta v. Chr. Greuter. Die vier Jahreszeiten, Rundbilder von R. Custos. Kurfürst Maximilian als Brustbild von W. Kilian. Nicht nach Kager oder von ihm: Het Nieuwe Testament etc., geschnitten von Chr. v. Sichern, Antwerpen 1646, wahrschein­ lich nur drei Blatt.

120 Fast alle vorbezeichneten Stiche befinden sich in der Mün­ chener Graphischen Sammlung und in der Maillinger-Sammlung, sehr gute Exemplare in der Albertina und in der Bibliothek zu Wien und einige wenige Ornamentstiche u. a. im Berliner Kunst­ gewerbemuseum.

IX. a) Kagers wichtigste Handzeichnungen* Kagers große graphische Begabung erhellt in erster Linie aus den zahlreichen, von seiner Hand stammenden Zeichnungen. Eine erschöpfende Katalogisierung ist ein Ding der Unmöglich­ keit. Immer wieder werden aus Sammler- und Händlerbesitz bis­ her unbekannte Handzeichnungen auftauchen. Aber auch den Bestand der Museen überall durchzusehen, ist für mich aus Mangel an Zeit und Gelegenheit einstweilen ausgeschlossen. Ich muß mich darauf beschränken, eine Zusammenstellung der wichtigsten, mir bekannten Handzeichnungen zu versuchen. . Die Handschrift des Künstlers ist in allen Fällen großzügig zu’ nennen. Die Erfindung * ist nicht unbedeutend. In den An­ fängen bemerken wir italienische Einflüsse, ja bisweilen direkte Abhängigkeit von fremden Vorbildern. Gleich vielen Manieristen finden wir übertriebenen Affekt und sehr lebhafte Mimik. Bald aber klärt sich der Stil, gewinnt die Erzählung an Dramatik und die Composition an Sicherheit. Eng zusammen mit der frühen, von mir schon veröffentlichten Federzeichnung des Tempelgangs der hl. Maria in Berlin gehört eine Geburt Marias, vielleicht von 1594, in Braunschweig. Ihr folgen die Berliner Zeichnungen „Concordia® und „Discordia®, die ich an anderer Stelle im Zu­ sammenhang mit vielen Blättern in München etc. einer ausführ­ lichen Besprechung unterzogen habe.1) Von diesen Blättern aus­ gehend, gebe ich nachstehend ein Verzeichnis nach dem Aufbe­ wahrungsort.

b) Verzeichnis der mir bis jetzt bekannt gewordenen Handzeichnungen. München, Graphische Sammlung: 7669. Vorzeichnung zum Stiche Collignons, Salomon und die Königin von Saba, lavierte rötliche Federzeichnung, weiß l) Vgl. Monatshefte f. K. W., dort die Abbild. 1922 Bd. 15. Man be­ achte, daß auch Krümper H. K. fecit zeichnet, Kagers Stil ist aber eleganter!

121

7605.

9634.

5720. u. 6723.

8395.

erhöht, sichere Architektur, schlechte flüchtige Extremi­ täten und Tiere statt der Wappen, 1. u. r. ein Fenster in zwei Blätter geteilt, 104x35,6 cm, 50x35,6 cm, auf der Rückseite des zweiten Blattes Vermerk : „in Augsburg gekauft“, (siehe Abb. M. f. K. W.). Madonna mit Peter und Paul, grau lavierte Federzeichnung, 278x368 cm, links vorne erhöht, auf Stufenbau sitzend Maria, lebhaft bewegtes Kind, von links Petrus heran­ eilend, rechts der besonders gute Paulus frontal, den Kopf zurückwendend. Für ein Titelblatt. Vorzeichnung für den Kriegsdiskurs. Zwei weibliche geflügelte Genien mit Buch und Schwert, Weisheit und Stärke mit der Büste Justinians in aufge­ bogener Muschel. Mitte unten in Kellerluke drei exotische Gefangene, links und rechts zwei stehende Feldherrn, Narses und Beiisar, grau lavierte Federzeichnung, be­ zeichnet, links unten: K. F. 174x267 (a. Abb. M. f. K. W.). Zwei Putten: Der erste mit Inschrift „Von Anfang bis ans Ende“, mit Ring und Köcher, von hinten gesehen (Rückseite „In meinem oberen Saal in Garthen zur Dillen gehörig, von F. Kager die Visierung gemalt“). Der zweite mit Inschrift „Semper idem“, stehend, nackt, geflügelt, mit Köcher, Bemerkungen auf der Rückseite, grau und gelb lavierte Rötelquadrierung, sicher, aber trocken und unbedeutend. hl. Katharina in einer Nische. Lavierte Federzeichnung, u. Blei. Die Madonna erscheint den hl. Frauen. Christus vor der Säule. Zwei stehende Engel lösen Christus die Stricke, zwei kleine an der Säule, links und rechts je ein stehender Putto mit Geißel und Rute, Christus er­ mattet, mit weichem Ausdruck, grau lavierte Federzeich­ nung, 173x288 cm. hl. Barbara mit Kelch und Palme, nach links, Hinter­ grund Turm, links Stadt mit got. Kathedrale, grau la­ vierte Federzeichnung, 167x250 cm. Inv. 175. hl. Ursula mit Palme und Pfeil, nach rechts stehend, ohne Hintergrund, grau lav. Rückseite in alter Schrift:

122

„1614 a. 24. September von H. Mathias (Rest unleserlich)“, 104x203 cm. hl. Elisabeth von Andechs, nach rechts, (zum Stich Raph. Sadelers), grau-gelb und grau lavierte Feder­ zeichnung, Todesgenius fliegend, mit Stundenglas, bez. M. K. 1620, Tusche und Sepia, 191x246 cm. Aus der Sammlung des Nationalmuseums stammend: Perseus, das abgeschlagene Medusenhaupt in der Hand, in der Rechten das Schwert, links der springende geflügelte Pegasus, am Boden schräg die kopflose, bekleidete weib­ liche Figur, bez. MK, grau lavierte Federzeichnung, 170x25 cm. hl. Martin, dem am Wege knieenden Bettler Mantel reichend, mit zwei Begleitern in polnischer Tracht, auf Schimmel aus einer Stadt reitend, im Hintergrund das WertachbruckerTor von Augsburg, weiß gehöhte aquarellierte braune Federzeichnung, 190x266 cm. Ruhe auf der Flucht. Madonna von zwei großen Engeln mit Früchten bedient, hl. Joseph kommt langsam heran, 185x264 cm. Zwei kleine, grau lavierte Federzeichnungen, Rundbild­ chen, eine Katharina und Madonna. Monatsdarstellung (August) in Oval, gestochen vonW.Kilian. In der Halm-Maffei-Sammlung: 29857. Fassadenentwurf (Weberhaus), stehende nackte, weibliche Figur mit Pinsel und Palette; ein Putto, der ihr eine runde Scheibe hält, auf der sie malt. Unten Flußgott und Stadt­ göttin (Lech und Augsburg). Die vier Evangelisten, Petrus und Paulus, braun lavierte Federzeichnung. 29921. Taufe Christi. ? 29961. Kunigunde, ihre Unschuld beweisend, von zwei Frauen begleitet. Vorzeichnung zu R. Sadelers Stich in „Bavaria Pia“, im Gegensinn, bez. M. Kager Inv., braun lavierte, weiß erhöhte Federzeichnung, 186x250 cm. 31881. Kaufleute mit Tuchballen (Vorzeichnung zum Weber­ haus), links Männer mit Ballen, rechts ein Edelmann mit Kaufherrn, grau lavierte, eng quadrierte Federzeichnung, 186x228 cm.

123 31880. Die sterbende Afra (Vorzeichnung zum Weberhaus). Von links tritt ein Engel heran, ihr den Schweiß abzu­ wischen, mit nach unten gewendeter Fackel, rechts zwei Engel, eine Fackel auslöschend, bez. M.K. Augsburg 1609, reich aquarellierte Federzeichnung, bez. Sepulcrum Set. Afrae 666??, 300x144 cm. 31848. Putto mit Sanduhr und Blumenstrauß (Vorzeichnung zum Weberhaus), auf Totenschädel stehend, vorne ein Leuchter, rechts und links Gefäß mit Rauch, braun lavierte Feder­ zeichnung, bez. links unten MK 1628, 148x179 cm. 32189. Kaufleute, Neger, Polen (Vorzeichnung zum Weberhaus), vorne ein vornehmer Bürger, 310x255 cm. München, Jacques Rosenthal. Afrika, Asien, Amerika. Drei braune Federzeichnungen in sechseckigen Kartuschen. München, Sammlung Fr. Wolter. Saturn mit Hippe und Stun­ denglas, Tuschzeichnung. Abb. Festschrift des Münchener Altertumvereins V 1915 No. 13 Tafel 4. Weimar, Goethehaus. Madonna erscheint dem hl. Lucas, schwarz lavierte Federzeichnung (vgl. Schuchardt Chr., Goethes Kunstsammlungen 1848 Bl. 1). Museum: Urteil des Paris, braun lavierte Federzeichnung, Oval 348. hl. Familie, bez. Mathias Kager inv. 1620. Christus am Kreuz, Maria, Johannes, anbetende Heiligen­ scharen, 300x430 cm. (mir bekannt nur die hl. Familie; Zuschreibung der an­ deren von Dr. Muchall; inzwischen eingetroffene Photo­ graphie ergab, daß das „Urteil des Paris“ nicht von Kager ist.). Braunschweig, Opferscene, grau lavierte Federzeichnung, 95x130 cm. Heilige auf Wolken, Rückseite datiert 1615 (nach frdl. Mitteilung Dr. Muchalls). Geburt Mariae, datiert 1594 (eigene Zuschreibung). Darmstadt, Hochzeit des Poseidon mit der Amphitrite, lavierte Federzeichnung, 207x308 cm, links ein Flußgott, rechts ein Triton, in der Mitte Putten auf Delphinen, oben rechts auf Felsen bez. M. K. J.

124 Kruzifix: links Maria knieend, hinter ihr Johannes klagend stehend, rechts Magdalena knieend, den Kreuzesstamm umfassend, lavierte Federzeichnung, 175x264 cm, s. Abb. 8. Innsbruck, Ferdinandeum. Sisara. Ferner Madonna und hl. Franz Xaver, grau lavierte Federzeichnungen. Münchener Privatbesitz: „Hans Krümpers Nachlaß“. Nr. 43. Wandgliederung mit Muschelnischen, bez. 1623 Mathias Kager, Federtuschzeichnung. Nr. 44. Entwurf für einen Altar (Blei-Feder), s. Feulner i. M. Jahrbuch 22. S tu ttgart, 13Blatt. Leben Josefs. (Die Numerierung ist später). 1. Josef erzählt den Brüdern seinen Traum, leicht koloriert in violett, blau-gelb, Josef im Bett, an der Wand Traum der Garben, Sterne, Mond, er selbst in der Halle erzählend, 261x388 cm. 2. Josef wird in den Brunnen geworfen, viel blasses Rot, Gelb, Gelblich, Josef im Hemd, rechts zwei mit buntem Rock, Benjamin nach oben weisend, 261x383 cm. 3. Josef wird an die Midianiter verkauft, Josef auf Kamel, Midianiter im Turban knieend und Geld auf Teppich schüttend, vor Kamel brauner Diener mit Affe, viel Grün, 260x391 cm. 4. Die Brüder bringen Jakob den bunten Rock, Jakob entsetzt mit gehobenem Arm unter Portal, Juda und zwei Brüder mit dem Rock, der eine die Hand heuchlerisch gegen die Augen führend, Benjamin erregt, 274x389 cm. 5. Josef und Potiphars Weib, Potiphar Brust und Bein ent­ blößt, auf dem Bett sitzend, Josef über Schulter nach Mantel greifend und vom Bett wegeilend, Tisch mit Früchten und Flaschen, rot, grau, gelb, 273x334 cm. 6. Josef deutet Bäcker und Mundschenk die Träume, links auf Stroh der Bäcker, rechts der Mundschenk sitzend, Josef vor ihnen, alle Ketten an den Beinen, in Oval und Kreis die Träume, Wachen in geöffnete Kerkertüre tretend, Josef rot und gelb, Mundschenk grau, 283x384 cm. 7. Pharao läßt Weise und Wahrsager vor seinen Thron führen, Pharao in Turban und Scepter auf dem Thron, daneben Josef mit Stab, fünf Alte herantretend, zwei auf Josef wei­ send, Hintergrund Wachen, 265x385 cm.

125 8. Josef deutet Pharao die Träume, Pharao im Bett liegend und auf die Traumbilder deutend, Josef nahe ans Bett tretend und mit Fingern zählend und erklärend, nur grau und braun laviert. 9. Pharao läßt Josef im Triumph-Wagen fahren und vor ihm ausrufen „Dies ist des Landes Vater“, ein Triumphzug in Friesform, zwei heraneilend, Josef weißes Hemd und Kette, Zug um die Brücke kommend, im Hintergrund Pharao, gotische Architektur, sehr weiche Farben, s. Abb. i. M. f. K. W. 10. Seine Brüder bringen Geschenke und werden bewirtet, es sind elf, die essen. Speisenträger u. s. w., links Josef allein unter Baldachin, Benjamin gegenüber, Renaissancebogenhalle, in der Mitte die Brüder vor Josef knieend, Fries mit Knorpel­ werk, viele Farben. 11. Die Brüder erkennen Josef, zu vier und zu drei platt am Boden, rechts im Tor die Kamele, viel Blau, 270x385 cm. 12. Josef fällt Benjamin um den Hals, dieser in Ketten vorne, hinter ihm die älteren Brüder, Wachen auf Treppe, reich, farbig, 265x391 cm. 13. Josef mit seinen Söhnen Ephraim und Manasse, die elf Brüder am Sterbebett Jakobs, Jakob auf Bett nach rechts, Josef stützt ihn, auf langer Lade fünf Gefäße, Dienerinnen, grau-braun laviert, 270x429 cm. Maihingen, Fürstl. Oett.-Wallerstein’sche Bibliothek. Vision des hl. Hieronymus, Feder, Hieronymus links vor Höhle nach oben blickend zu drei Posaunenengeln in den Wol­ ken, Hintergrund Auferstehung der Toten, zum Kupfer­ stich von 1604, s. Abb. 9. Wien, Albertina. Allegorie auf die Künste und Wissenschaften (s. Abb. M. f. K.W.) Kopenhagen, Kupferstichkabinett. Nr. 144 Apollo und Diana, Rötel, laviert, links unten mit Tinte in guter Handschrift: München 11. Jannuary 1602 Mathias Kager (nach frdl. Mitteilung Dir. Prof. Dr. Habich’s). Augsburg, Kommerzienrat J. Schweiker aus Sammlung Frank. Pfingsten, leicht aquarellierte, farbige Federzeichnung. Oberamtmann Kofer, Brandversicherungsinspektion, Skizzenbuch von 1615, pag. 1—68 (hier fehlen die Blätter 18,

126 19, 22, 40, 67, 69—75, Bl. 68 ohne Bild, Blatt 1 nicht Kager; oben: 12. März 1794, letztes Blatt oben: 1794, nicht Kager, später eingeheftet, Blatt 2 ,M. Kager fec. Augusta“ oben, „d. 2. Juli 1613“ unten). Von einer späteren Hand sind alle ursprünglichen Jahres­ zahlen durch Überschreiben in 1794 verwandelt; überall aber ist Kager 1615 deutlich erkennbar. Die Schrift in klarer kräf­ tiger Tinte mit Feder ist unbezweifeihaft die Kagers. Alle Blät4 ter sind datiert und enthalten teilweise ausführlich lavierte Feder­ zeichnungen figürlicher Art, teilweise nur Federzeichnungen. Einzelfiguren von Göttern, Gruppen, religiösen Darstellungen, Allegorien, usw. Blatt 2 Amphitrite „ 3 Poseidon „ 4 Minerva „ 5 Nike , „ 6 Venus „ 7 Torso (weiblicher) „ 8 zwei Wappen haltende Engel „ 9 Büste mit Harnisch ohne Kopf „ 10 Löwen wagen des Mars „ 11* Amor » 12 Danae * 13 Madonna b 14 Decius Mus b 15 drei Pferdeköpfe b 16 Männerköpfe 3 17 zwei Pferdeköpfe 3 20 weibliche Allegorie (Muse ?) 3 21 Luna und Endymion 3 23 Diana und Endymion (Adonis?) 3 24 Maria, Josef, Elisabeth, Jesus und Johannes 3 25 Venus und Amor „ 26 ein Berittener 3 27 Schlafender 3 28 ebenso (männliche Eckfiguren) 3 29 und 30 weibliche Eckfiguren zu Portalen oder Kaminen 3 31 links schlafender Jünger am Ölberg und rechts Wachen, Vorführung zu einer Gefangennahme

127 Blatt 32 Emmaus 33 Beweinung n 34 Abnahme vom Kreuz 9 Grabtragung 35 9 Beweinung 36 9 37 Grablegung n 38 Beweinung 9 39 Grablegung 9 » 41 Evangelist Mathäus » 42 ein Bischof, Moses und Bildhauer 43 Lazarus (?) links, Wächter rechts 9 44 Verkündigung n 45 Hiob 9 » 46 Johannes der Täufer und eine Figur 47 Adam und Eva 9 48 Bathseba 9 49 Prokris oben, Venus unten 9 50 Badende Venus 9 51 Nackte Göttin und Andromeda (?) 9 52 Andromeda 9 53 Fortuna (zweimal) 9 54 Ruhm 9 55 Flußfigur mit Krone 9 56 Antiope 9 57 Schlafende Venus 9 58 Siegesgöttin (?) 9 59 Engelstudien und knieende Heilige 9 60 Christus und Petrus 9 61 Apollo und Merkur 9 62 Figur zu einer Grabtragung 9 63 Figur zu einer Beweinung 9 64 Flußgott 9 65 Bein- und Figurenstudien 9 66 Frauenstudien und Putto 9 68 leer 9 Eine ausführliche Besprechung wird für eine besondere Publikation Vorbehalten.1) *) Ich verdanke Herrn Custos Ohlenroth die Bekanntschaft mit diesem Skizzenbuch.

128 Nur aus der Literatur bekannte Handzeichnungen: Katalog, Handzeichnungen, Boerner Leipzig 1899 Nr. 555: Hans Friedrich Schorer? Der Sturz der Verdammten, in Wolken die Trinität. Nach einem Gemälde des M. Kager, dat. 1620, Feder, Sepia laviert. Ährenlese auf dem Felde der Kunst: nach Raphael. Gott in Wolken gibt Adam die Frau zum Weib, bez. und dat. 1598, Feder-Tusche, 4,1x10,8 cm. Halm, Materialien, Marter einer Heiligen, die in ein Feuer ge­ worfen wird, blau getuschte Federzeichnung.1) Versteigerung Peltzer, Gutekunst Stuttgart, 14 figürliche Dar­ stellungen. Versteigerung Helbing, 15. April 01, Religiöse Darstellung, Tusche; Entwurf zu einem Altarbild, lavierte Federzeichnung; religiöse Darstellung, Feder, Sepia laviert; stehende Heilige, Feder-Blei; Engel, eine Säule tragend, ausgeführte Federz.-Tusche. , Sammlung Habich, Kassel 1899. Erschaffung der Eva nach Raphael, schön ausgeführte Tuschzeichnung (vgl. oben). Versteigerung Gutekunst, 851883, Gott Vater Adam die Eva zuführend, bez. und 1598 dat. (siehe oben); Figuren aus der Messe von Bolsena, bez. und 1598 dat. (diese beiden auch in der „Ährenlese“); Pestkranke, von Männern in ein Gewölbe getragen, bez. M.K. 1632, Tusche. Fleischer, Fürst K. E. v. Liechtenstein, 1910 pag. 53, er­ wähnt als an diesen 1677 verkauft „Ein klein Stücklein Miniatur von Kager, Historia Josefi und eine Portraitzeichnung von 1614*. Katalog Fr. Rosey, 1864, eine Handzeichnung. Versteigerung Hefener-Alteneck 1904 Nr. 527, vier musizierende Frauen, aquarellierte Federzeichnung. X. Charakteristik. Wer das gesamte künstlerische Schaffen Kagers mit Ein­ schluß derjenigen Gebiete, deren Denkmale uns leider nicht mehr erhalten sind, überblickt, der erkennt in ihm eine kraftvolle, vielseitige und vertiefte Persönlichkeit, die sich in Augsburg zu *) Halm, Materialien, bemerkt übrigens in diesem Zusammenhang, daß der hl. Andreas in Landshut 1627, die Kreuzabnahme in Eichstätt 1625 gemalt sei.

129 gleicher Höhe emporgearbeitet hat wie sein berühmter Kollege Candid am Münchener Hof. Wie dieser in München, wie Elias Holl in Augsburg, wie schon früher Sustris in München an der Spitze des gesamten Kunstbetriebes stand, so gelang es auch Kager als dem „Stadtmaler von Augsburg“, sich den dortigen Künstlern sehr bald überzuordnen und die Führung zu über­ nehmen. Ja Rottenhammer, der schon für das geplante Lust­ haus in Stuttgart neben Kager Visierungen gemacht hatte, der dann in Augsburg, wie Peltzer betont, sein schärfster Konkur­ rent wurde, und Candid beteiligen sich sogar neben Kager an Augsburger Konkurrenzen. Kager und nicht etwa Rottenhammer, der in Augsburg seit dem 16. Oktober 1606 für Private wie Hans Hopfer in der Grottenau arbeitet, wird von der Stadt, die sein Bauherr ist, mit großen Aufträgen, vor allem Freskomale­ reien beehrt. Auftraggeber und Bauherr sind ihm ferner die Äbte der Klöster in der Provinz, in deren Kreise er sich eines großen Rufes erfreut. Während Sustris und Candid nur für den Hof arbeiten, arbeitet er für den Bürger und für die Geistlich­ keit. Das bürgerliche Element ist ein Grundzug seines Wesens. Wie Sustris und natürlich auch Candid, der wie ein zweiter Vasari die Traditionen Rafaels und der Venetianer eklektisch weiterführt, kommt er von Italien her. Wie Rottenhammer, der wahrscheinlich in den 90 er Jahren in Rom und seit 1596 in Venedig war,1) führten auch Kager die Wege dorthin. Aber er ist kaum noch Eklektiker. Er opfert sehr bald die Form dem Realismus. Unter Tintorettos Einfluß stellt er Venedig bald über Rom, ohne Tintoretto farbig je ganz nahe zu kommen, nur in Zeichnung und Komposition. Ähnlich erging es auch E. Greuther d. Ä., der wohl gleichzeitig mit ihm in Venedig weilte und durch die vermittelnde Tätigkeit der Sadeler zum mindesten in indirekte Beziehung zu ihm trat, wie z. B. in den Stichen der Sadeler die Taufe von 1623 an Greuthers Taufe des hl. Rupert erinnert.2) Kager weist aber über Spätrenaissance und Manierismus hinüber in das deutsche Barock. Anordnung der Vorgänge auf einer erhöhten Bühne, Heraussehen aus dem Bilde, übertriebene Affekte und Proportionen, gebrochene Farben finden sich bei ihm schon in den Anfängen. Aber über diese Manieristenkrank*) Siehe Peltzer. 2) Siehe Zottmann, „Die Greuther“. 9

130 heit hinaus bringt Kager in der erstrebten Massen- und Tiefen­ wirkung, ihrer geschickten Verteilung, in dem Auflösen der Fläche und in dem Streben nach kräftiger Akzentuierung den BarockGedanken. Scheint auch er wie Rottenhammer wenig von dem durch Caravaggio entfesselten Kampf um die neuen Farben und Lichtprobleme *) berührt zu werden, so wird dafür der Einfluß von Rubens sehr bald so mächtig, daß nun erst mit der Er­ kenntnis von Rubens die vorher nur unsicher entwickelten Pro­ bleme zu vollen Barock-Problemen werden, so daß er erst jetzt Bewegung, Tiefen-, Massen- und Kontrastwirkung, die Haupt­ kriterien dieses Stils, zu erzielen weiß. Echt deutsch ist dabei das fast naive, gemütliche Erzählen, die Art, wie er mit allerlei, fast kindlichen, Requisiten die gegebene Situation gern zu ver­ deutlichen sucht, und sein Bemühen um Ausdruck in Charakter­ schilderung und Wiedergabe von Empfindungen. Im Gegen­ satz zu Rottenhammer kann man ihm dabei ein gewisses Pa­ thos, eine gewisse dramatische Veranlagung nicht absprechen, während ihn von Candid und den italienischen Niederländern die leichte Übertreibung in Geste und Bewegung trennt. Ele­ gant und gelassen ist sein Vortrag nie, eher pedantisch und rauh. Auf Kupfer scheint er nicht gemalt zu haben, wohin­ gegen man Rottenhammer den Vater dieser Technik nennen darf. Ähnlich lagen damals die Dinge in Dresden, wo Giovanni M. Nosseni über die deutsche Schule siegte und eine Stelle wie Candid in München behauptete, z. B. als Leiter der Fürstengruft im Dom zu Freiberg, 1586—1595, wo neben Deutschen und Italienern als Steinmetzen auch ein Meister „Matthes aus Augs­ burg“ auftritt, der aber nicht mit Kager identisch sein kann (vgl. Mackowski). Das Nackte, der Akt fehlt in Kagers Werk. Die Darstellung holder Weiblichkeit liegt ihm nicht. Es gibt wenig Portraits, fast gar keine Scenen aus dem täglichen Leben, keine reinen Landschaften, eigentlich nur Geschichte und Religiöses. In seinen Glorien, Engeln, etwa bei einer Krönung oder einer Er­ scheinung Mariens, sind andrerseits wieder solche Ähnlichkeiten mit Rottenhammer, daß man annehmen darf, er sei wie Frey­ berger und König in dessen venezianischem Atelier gewesen. Allerdings ist die Erscheinung der Himmelskönigin selbst oft nur x) Siehe Peltzer.

131 ein matter Abglanz Rottenhammers. In vielen Arbeiten Kagers paart sich deutsche Gründlichkeit und Gelehrsamkeit mit einem Hang zum Grübeln. Man denke an die Allegorien. Er ver­ schmäht es ja auch durchaus nicht, sich bei Gelehrten und Hu­ manisten, bei Geistlichen Rat zu holen. So sicher, ja überragend seine Zeichnung ist, so glänzend er gerade Architekturen unter Klarlegung ihrer Funktionen zeichnerisch aufbaut, so sicher stets sein Kompositionstalent geht, so wenig vermag in vielem das Kolorit zu befriedigen. Hier steht er anderen, auch Rotten­ hammer nach. Dafür kommt ihm eine ganz hervorragende dekorative Begabung zustatten. Oft ist das Kolorit seiner Altar­ bilder so bescheiden und so primitiv, um es umso besser den Färb- und Lichtwirkungen der Kirchenräume anpassen zu können. So versteht er es in seiner Vorliebe für Schillerfarben, für ge­ brochene Farben zurückhaltend zu werden und trotz starker Betonung der Lokalfarben den Bildern bei aller Buntheit eine größere Ruhe zu verleihen oder aber sie außerordentlich auf­ zuhellen. Hier knüpft er auch noch oft an Christoph Schwarz, den Hofmaler Wilhelms V., unmittelbar an. Dabei fehlt ihm aber jenes Virtuosentum, das wir bei H. von Aachen, bei Spranger und Heinz bemerken, obwohl er sich ja mit Vorliebe auf der eigentlichen Domäne der Virtuosen tummelt, der der Geschichtsmalerei. Ein Genie war er nicht, aber eine fleißige, vielseitige Be­ gabung, die sich am großartigsten in ihren Zeichnungen offen­ bart, wo wir einer Schärfe, auch einer Wucht der Darstellung begegnen, die wir an Gemälden des öfteren vermissen. Hier war er allerdings auch von den Wünschen seiner Auftraggeber in weitgehendem Maße abhängig. Eine eigentliche Schule hat er nicht begründet. Joh. Ul. Loth, der bei Saraceni, zu dem ihn 1610 der Kürfürst schickte, studierte, dessen Bilder in Freising, Weilheim, München, Tölz und Wien ebenso stark den Einfluß Caravaggios zeigen, war sein einziger Schüler.1) Ein Einfluß ist kaum zu spüren; eher wären in gewissen, noch manieristisch übertreibenden Zügen des Karl Loth, dessen starke Farben (viel Braunrot) sich aus dem betonten Helldunkel herausheben und dessen Draperien in reicher Bewegung echt barock sind, Ähnlichkeiten festzustellen. *) s. Voß in der Zeitschr. f. bild. Kunst Bd. 23 S. 69, 70. Monographie von mir in Vorbereitung. 9*

132 So würde Kagers Einwirkung auf die Kunstgeschichte der Zukunft zu gering sein, wäre seine Ornamentik in Fresko und im Stich nicht so bedeutend. Hier ist er bahnbrechend, hier überrascht der Reichtum und die spielende Leichtigkeit in der Erfindung rein ornamentaler Motive, die Grazie, die tektonische Sicherheit und der architektonische Geschmack, der seine Male­ reien an Wand und Pfeiler streng den architektonischen Gesetzen der architektonischen Grundlage anzupassen weiß. Niemals ver­ nichtet er die Struktur, sondern betont und hebt sie, stets scheint er die Fläche zu vertiefen und zu erweitern, so daß es nicht zu kühn erscheinen dürfte, in ihm einen Vorläufer der RokokoDekorateure zu sehen. Nicht nur führt er die abgeleierten For­ men des Rollwerks zu neuer, kräftiger und doch graziler Ent­ wicklung und wird alles Lebendige und Anmutige reicher und gefälliger, sondern ähnlich wie die Meister der Regence vermeidet er zwar nicht die gerade Linie, aber löst oder bricht sie, um sie in reinen Arabesken aufzulösen. Er besitzt in der Tat die leichte Grazie des 18. Jahrhunderts, die von den Bosch und Brueghel und von den abenteuerlichen und doch stets gefälligen Grotesken Italiens ihre Quellen herleitet, wo noch am Ende des Jahrhunderts ein Poccetti den Meister der Phantastik Callot instruieren durfte. Auch Kager scheint dieser Welt nicht völlig fern zu stehen; seine Ornamentik berührt sich mit der des Poccetti, denn bei ihm finden sich die gleichen muschel- und fledermausartigen Bildungen, auf die schon Bottischer als Kager eigentümlich hinweist. Ist nun aber seine Bedeutung als Tafelmaler eine geringere, so wird man bedenken müssen, daß gerade in den letzten ent­ scheidenden Jahren seines Lebens jene Kriegs- und Religions­ wirren eintraten, die einen tiefen Riß nicht nur in seinem, son­ dern im süddeutschen Kunstschaffen überhaupt bedeuteten. Dabei soll ohne weiteres zugegeben werden, daß Kagers Bedeutung und Einfluß über den engeren Kreis seiner Heimat und ihrer Nachbarländer nicht hinausreicht. Allen Herren, die mich bei dieser Arbeit so freundlich unterstützten, besonders den Vorständen der Archive, dann Herrn Prälat Friesenegger und den Geistlichen der genannten Kirchen, vor allem auch Herrn Dr. Peltzer, sei an dieser Stelle mein wärmster Dank ausgesprochen.

Die „Copia der Newen Zeytung auss PresillgLandt“.1 Notizen zu einem Fund in der Augsburger Stadtbibliothek. Von Stadtbibliothekar Dr. E. Geb eie, Augsburg. Unter den zahlreichen Flugschriften des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts haben von jeher die sogenannten Entdecker­ zeitungen hervorragendes Interesse geweckt. Sie bildeten nicht nur für die zeitgenössische Forschung ein bedeutendes Moment, nein auch für die Geschichte der Erdkunde in modernem Sinne sind sie ein außerordentlich wichtiges Zwischenglied, ganz ab­ gesehen von dem großen Reiz, den sie natürlich auf den Biblio­ graphen ausüben. In den ersten fünfzehn Jahren nach der Entdeckung Ame­ rikas flössen die Nachrichten von den Taten jenseits des atlant­ ischen Ozeans sehr spärlich. Nur zwei Briefe des Kolumbus und mehrere von Vespucci sind durch den Druck verbreitet, allerdings in einer Zahl von verschiedenen Ausgaben, die beweisen, wie begierig die Nachrichten von der zeitgenössischen Welt aufge­ nommen wurden. Von diesen Zeitungen hat schon bei ihrem Erscheinen und von da bis in die neueste Zeit neben der ältesten Zeitung über die Entdeckung Amerikas, dem Kolumbusbrief von 1493, die „Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landta lebhaftestes Interesse in allen Forscherkreisen erweckt. Wenn wir trotz der bereits vorliegenden außerordentlich umfangreichen Literatur2) es unternehmen, das Flugblatt in dieser Zeitschrift J) Bezeichnung des 16. Jahrh. für Brasilien. 2) Ausser der im Text zitierten nenne ich hier: Abreu, Capistrano de: O Brasil no seculo XVI. Rio de Janeiro 1880. Bockwitz, H.: Die Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt in: Zeit­ schrift des deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum. Leipzig 1920. Jg 3. S. 27 ff. Falkenstein, M.: Beschreibung der Dresdener Bibliothek. Dresden 1839. S. 154. Festschrift, Hamburger, zur Erinnerung an die Entdeckung Amerikas. 2 Bde. Hamburg 1892.

134 einer ausführlicheren Besprechung zu unterziehen, so hat das zwei Gründe: Zum ersten ist es mir durch einen Zufall geglückt, zu den bis jetzt auf der ganzen Welt bekannten 10 Exemplaren1) Haebler, K.: Die Neuwe Zeitung auss Presillg-Landt in: Zeitschrift der Ge­ sellschaft für Erdkunde in Berlin. Berlin 1895. Bd. 30. S. 332 ff. Harrisse, H.: Bibliotheca Americana vetustissima. New York 1866. Nr. 99 u. 100. „ Bibliotheca Americana vetustissima. Additions. Paris 1872. p. III u. 26 ff. Anm. Hellwald, F. v.: in: Das Ausland. Stuttgart 1874. S. 302. Humboldt, A. v.: Kritische Untersuchungen über die Entwicklung der geo­ graphischen Kenntnisse von der neuen Welt. Berlin 1852. Bd. III. S. 177 bis 192. Magazin, Historisch-diplomatisches. Nürnberg 1781. Bd. II. Stück I. S. 97. Rösler, Rob., Das älteste Vorkommen des Namens Brasilien. In: Das Aus­ land. Stuttgart 1873. S. 640. Rüge, S.: Die Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt in: 4. und 5. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden. Dresden 1868. S. 13 ff. Schottenloher, K.: Flugblatt und Zeitung. Berlin 1922. S. 158. Bibliothek für Kunst- und Antiquitäten-Sammler. Bd. 21. Schüller, R.: A nova gazeta da terra do Brazil. Rio de Janeiro 1914. Strauß, A.: Monumenta typographica. Eichstätt 1787. p. 99. Ternaux-Compans, S.: in: Archives des voyages. Paris 1840. Vol. II. p. 306 ff. Varnhagen, F. A. de: Historia geral do Brazil. Madrid 1854—57. „ Nouvelles Recherches sur les derniers Voyages de navigateur Florentin, Wien 1869. Weller, E.: Repertorium typographicum. Nördlingen 1864. Nr. 313—315. „ Die ersten deutschen Zeitungen. Tübingen 1872. S. 5 ff. und S. 87 Nr. 1 ff. = Bibliothek des Literar. Vereins Stuttgart. Bd. 111. Wies er, F.: Magalhäes-Straße und Aus'cral-Continent auf den Globen des Johann Schöner. Innsbruck 1881. Zapf, G. W.: Augsburgs Buchdruckergeschichte. Augsburg 1787. Bd. II S. 202. Nr. 314, 315.

Faksimile-Ausgaben veranstalteten: Rosenthal, L. (München 1897). Schüller,R.: A nova gazeta da Terra do Brazil. Rio de Janeiro 1914. Bockwitz, H.: In: Zeitschrift des Vereins für Buchwesen und Schrifttum. Leipzig 1920. 3. Jg. S. 28 ff. Textabdrücke finden wir bei: Rüge, S.: Im 4. und 5. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden. Dresden 1868. S. 16 ff. Weller, E.: Die ersten Zeitungen. Tübingen 1872. S. 5ff. = Bibi, des Literar. Vereins Stuttgart. Bd. 111. Wieser, F.: Magalhäes-Straße und Austral-Continent. Innsbruck 1881. S. 99 ff. *) Im ganzen lassen sich drei Ausgaben nachweisen: 1. Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt» o. O. u. J. Mit Bild­ holzschnitt. Es ist dies unsere Ausgabe, die wir hier besprechen. Weller,

135 ein weiteres in der Augsb urg er Staats-, Kreis- undStadtBibliothek bei der Durchsicht unserer reichhaltigen Flug­ schriftensammlung aufzufinden,*1) so daß die Stadt A u g s b u r g sich rühmen kann, durch ein namentlich von Amerika sehr be­ neidetes Stück bereichert zu sein. Dann weist der Druck, wie wir im folgenden zeigen wollen, in vielen Beziehungen auf unser altes Augsburg hin. Die außerordentliche Kostbarkeit und Seltenheit2) dieser kleinen Schrift dokumentiert schon der hohe Preis, der vor Jahren (1897) dem bekannten Münchener Antiquar L. Rosenthal für ein zufällig aufgefundenes Exemplar von Amerika bezahlt wurde? nämlich 14400 Mark.3) Im folgenden wollen wir unsere Flugschrift kurz beschreiben. Auf der ersten Seite sehen wir unter dem Titel einen Hafen mit Schiffen, unter denen uns unser Entdeckerschiff, mit gebläh­ tem Segel dahineilend, auffällt. Die Titelrückseite ist leer. Dann folgen vier Seiten mit dem Text. Das letzte Blatt ist leer. Drucker und Zeitangabe fehlen. Repertorium typographicum 315. Harrisse 99. Diese Ausgabe existiert in 6 Exemplaren, nämlich: 1. Leipzig, Universitäts-Bibliothek. 2. Dresden, Sächs. Landesbibliothek. 3. München, Bayer. Staatsbibliothek. 4. New York, Public Library. 5. Providence, Library of John Carter Brown. 6. Rio de Janeiro, Bibliotheca National. Ein siebtes Exemplar, einst im Besitze von Sig. Ternaux-Compans in Paris, ist verschollen. In dieser Zahl bildet unser Exemplar eine wertvolle Bereicherung, zudem es durch einen Bildholzschnitt sich auszeichnet. Diese Ausgabe ist ein Nürnberger Druck und stammt entweder aus der Presse von Joh. Weissenberger oder von Hieronymus Holzel (Mitteilung des Herrn Oberbibliothekrats Dr. K. Schlottenloher-München). Sie ist wohl ein Nachdruck der zwei Augsburger Ausgaben. 2. Copia der Newen eytung (1) auss Presillg Landt. Getruckt zu Augspurg durch Erhärt öglin, o. J. Weller 313. Vorhanden in 3 Exemplaren: 1. München, Bayer. Staatsbibliothek. 2. Nürnberg, Germ. Nationalmuseum. 3. Regensburg. Ohne den Bilderholzschnitt mit dem portugiesischen Wappen. 3. Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt. Getruckt zu Augspurg durch Erhärt oglin, o. J, Harrisse 100. Vorhanden: New York, Public Library. Mit dem portugiesischen Wappen. 1) Weller, der um 1860 die ganzen Flugschriften der Stadtbibliothek durchsah, kannte das Exemplar nicht. Auch früheren Bibliographen ist das Augsburger Exemplar unbekannt. 2) Harrisse nennt die Copia „extremely curious and interesting“. 3) Rosenthal, L.: Katalog 104. Newe Zeytungen, Relationen und brief­ liche Mitteilungen des 15. bis 18. Jahrhunderts. München 1897.

136 Die Flugschrift führt uns nach Brasilien, das ja bereits 1500 entdeckt wurde. Was das Ziel der berichteten Reise betrifft, so erscheint zweifellos, daß es sich um eine Fahrt handelt, welche um Südamerika herum nach Indien führen soll, also um eine südwestliche Durchfahrt mit Indien als Endpunkt. Die Expedition ging von Portugal aus. Es ist nun sehr schwer, aus der Ent­ deckungsgeschichte eine Fahrt nachzuweisen, welche der in der „Copiaa geschilderten vollkommen entspräche. Die Beantwortung dieser Frage wird durch die beispiellose Verworrenheit und Un­ klarheit, in der unser Bericht abgefaßt ist, nicht gerade erleich­ tert. Zudem ist die Zeitung, wie schon erwähnt, undatiert. Sie gibt zwar gleich in der ersten Zeile den Tag der Rückkehr an, vergißt aber das Jahr zu nennen. Der Name des Expeditions­ führers wird uns auch nicht mitgeteilt, wir erfahren lediglich, daß es sich um eine portugiesische Entdeckungsfahrt handelt, die von mehreren Kaufleuten, darunter Nono und Christoffel de Haro, ausgeführt wurde. Für unsere Expedition kommen verschiedene Entdeckungsfahrten in Frage: davon die eine, die des de Solis und Vincente Yanes, welche 1508 bis zur Mündung des La Plata vordrangen.1) Der eine Reisende, welcher, wie die Zeitung berichtet, am 12. Ok­ tober zurückkehrte, müßte dann Solis sein, der tatsächlich Mitte Oktober heimkam.2) Allein dieser Vermutung ist bereits D’Avezac 3) entgegengetreten mit dem Hinsweis, daß es sich bei un­ serer Schilderung um eine portugiesische Fahrt handelt, während das angeführte Unternehmen ein spanisches war. Zufolge dieses Gegengrundes hat Varnhagen 4) eine zweite Hypo­ these aufgestellt. Er ist nun der Meinung, die Copia erzähle von der Expedition der Portugiesen Vasco Gailego de Corvalho und Joäo de Lisboa nach dem La Plata im Jahre 1506. Später ist Varnhagen wieder von dieser Ansicht abgegangen5) und nimmt nun an, es handle sich um die Expedition von Goncalo Coelho *) so F. A. de Varnhagen, Historia geral do Brazil. 1854. I. pp. 434 ff. 2) Navarete, Collecion de los viajes y descubrimientes. Madrid 1826. III. p. 47. 3) in: Bulletin de la Societe de Geographie, Ser. IV. T. 14. p. 169. 4) in: Bulletin de la Societe de Geographie. 1858. p. 233. 5) Nouvelles recherches p. 11. u. 50 und in: Ainda Amerigo Vespucci. Vienna 1874 p. 37.

137 im Jahre 1503. Wieser *) hält auch diese Hypothese für unhalt­ bar. Jedenfalls steht fest, daß die Reise in die ersten Jahre des 16. Jahrhunderts zu setzen ist, zu welcher Zeit man sich in Por­ tugal mit dem Gedanken trug, einen südwestlichen Seeweg nach Ostasien aufzufinden. Ein weiteres Rätsel gibt uns die Bestimmung der Entsteh­ ungszeit des Druckes auf. Sie ist für alle drei Ausgaben gleich schwierig. Pedro Alvarez Cabral hat im Jahre 1500 Brasilien ent­ deckt. Johann Schöner hat, wie bereits Wieser*2) nachgewiesen, die Flugschrift im Jahre 1515 benützt.3) So haben wir die zwei termini fixiert. Als erster hat sich schon A. von Humboldt mit der Datie­ rung der Copia beschäftigt. Er verlegt die von der Zeitung ge­ schilderte Expedition zwischen die Jahre 1525 und 1540. Seine Annahme ist jedoch aus dem oben angeführten Grunde unhalt­ bar. Harrisse4) setzt unsere Zeitung in das Jahr 1520 und macht dafür nur rein äußerliche Gründe geltend. Ein weiterer Ge­ lehrter, der bereits eingeführte F. A. de Varnhagen, glaubt in un­ serem Reisebericht, wie bereits schon mitgeteilt, die Expedition des Goncalo Coelho (1503 und folgende Jahre) zu sehen und reiht die Flugschrift gefühlsmäßig in das Jahr 1507.5) Der schon erwähnte Bibliograph Weller sieht als Entstehungszeit das Jahr 1505 an.6) Allerdings geht er von der falschen Annahme aus, das Flugblatt sei ein Reisebericht des Alberico Vespucci. Diese Hypothese widerlegt schon rein äußerlich die Tatsache, daß wir von dem gelehrten Astronomen und Mathematiker einen ganz geschmackvollen Stil gewöhnt sind, den wir in unserer Zeitung durchaus vermissen. Ebenso unsicher in der Zeitfestsetzung sind die anderen Forscher, wie R. Rößler, F. v. Hellwald, S. Rüge und zahlreiche andere, hauptsächlich ausländische Gelehrte. Keiner hat positiv zur Lösung dieser Frage beigetragen. Erst dem Innsbrucker Professor F. Wieser ist eine annähernde Da­ tierung gelungen. *) a. a. O. S. 38. 2) a. a. O. 3) Indem er die Ergebnisse der Reiseschilderung unserer Flugschrift auf seinem Globus vom Jahre 1515 vermerkt hat. 4) a. a. O. p. 174. 5) Nouvelles Recherches p. 10 und 49 f. 6) Repertorium Nr. 313—315. — Die ersten deutschen Zeitungen S. 87 und Serapeum 1859 S. 219.

138 Vor Ende 1507 kann die Flugschrift nicht gedruckt sein; denn zeitgenössische Reiseschriftsteller, wie Jobst Ruchamer,1) die alle erreichbaren Nachrichten gesammelt haben, kennen sie noch nicht. Ferner spricht für diese Annahme ein gewichtiges bibliographisches Moment. Das Dresdener Exemplar ist in einem Sammelband mit ähnlichen Flugschriften aus dem Jahre 1508 zusammengebunden. Des weiteren bildet auch das Vorkommen des Namens Brasilien, dessen erstmaliges Auftreten allerdings Varnhagen2) fälschlich ins Jahr 1511 setzt, kein Hindernis für eine etwaige Datierung um 1508. Denn der Name Brasilien begegnet uns schon im Jahre 1504.3) Einen weiteren Anhalt für die Festlegung des Erscheinungs­ jahres gibt uns die Entdeckungsgeschichte Südamerikas. Schon in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts trugen sich die Por­ tugiesen mit dem Gedanken, in westlicher Richtung einen See­ weg nach ihren asiatischen Besitzungen zu suchen, nach Malakka, wie auch unsere Zeitung meldet. Wie bekannt, hatte man in damaliger Zeit über die östliche Ausdehnung Asiens ganz phan­ tastische Ansichten. Ist ja auch Columbus in dem Glauben ge­ storben, er habe die Ostküste Asiens (Westindien) entdeckt. So hielten auch die Teilnehmer unserer Expedition die südameri­ kanische Küste für eine Halbinsel Asiens. Selbstverständlich konnten aber die Portugiesen nur dann Malakka in so geringer Entfernung von Europa vermuten, wenn sie wirklich bis dahin vorgedrungen waren. Die Entdeckung Malakkas fällt aber in das Jahr 1508. Also wäre der Druck unserer Copia in das Jahr 1508 oder Anfang 1509 zu setzen. Daran ändern auch Haeblers4) Vermutungen, die von Schüller5) übrigens wieder sehr bezweifelt werden, nichts. Die Copia derNewen Zeytung ist ursprünglich in italienischer Sprache abgefaßt gewesen. Das beweisen die zahlreichen ita­ lienischen Worte, mit denen sie durchsetzt ist, und die in der x) In seinem Werk: Newe unbekanthe landte. 1508. Eine freie Über­ setzung des italienischen Sammelwerkes: Paesi novamente retrovati et Mondo novo. 1507. *) Historia geral do Brazil I p. 22 und 427. 3) Siehe bei G r e i f f im 26. Jahresbericht des historischen Kreisvereins von Schwaben und Neuburg. 1861, S. 160 ff. 4) a. a. O. 5) a. a. O.

139 Regel durch den unmittelbar beigesetzten deutschen Ausdruck erläutert werden.1) Der italienische Original-Brief ist in einem portugiesischen Hafenort, wohl in Lissabon selbst, entstanden.2) Die immer wiederkehrende, nachdrückliche Betonung der Wichtig­ keit des vermeintlich neu entdeckten Handelsweges, der neuen Handelsansichten, der bisher unbekannten Handelsartikel usw. lassen uns als Verfasser einen Kaufmann annehmen. Sehr wahr­ scheinlich ist es also der Bericht eines italienischen Agenten in Lissabon, welchen derselbe bald nach Ankunft der Expedition an sein Handlungshaus nach Italien, wohl nach Florenz, sandte. Die deutsche Übersetzung, wie sie uns vorliegt, verrät eine etwas unglückliche Hand. Sie stammt wohl von einem deutschen Kaufmann; vielleicht ist der Bericht aber auch im Original nach Deutschland gekommen und erst dort, möglich gleich durch den Buchdrucker, übersetzt worden. Die Sprache ist bayerisch mit schwäbischen Anklängen. Zum Schlüsse finden wir noch Beziehungen zu unserer engeren Heimat Augsburg und der berühmten Kaufmanns­ familie der Welser. Diese hatten schon damals rege Verbindung mit Italien.3) An allen bedeutenden Handelsplätzen saßen ihre Faktoren. Zugleich hatte kein Kaufhaus in Deutschland solches Interesse an den Entdeckungsfahrten der Portugiesen. Die Welser hatten schon 1505 auf eigene Kosten in Verbindung mit mehreren Augsburger Kaufherren eine Flotte nach Indien gesandt.4)5 Unsere Bibliothek bewahrt im Nachlasse des Humanisten Konrad Peutinger, der ja eine Welser zur Frau hatte, eine Sammlung einzig­ artiger Reiseberichte über die Entdeckungsfahrten der Portu­ giesen auf,6) die durch Vermittlung der Welser in des Sammlers Besitz kamen. Diese Tatsache muss uns in dem Glauben be­ stärken, daß die Zeytung auss Presillg landt durch Vermittlung der Welser nach Deutschland gekommen ist. Dabei ist noch an­ zufügen, daß zwei Ausgaben, darunter wahrscheinlich die Erst­ ausgabe, bei Erhard Öglin in Augsburg gedruckt wurden. 9 So: gearmirt oder gerüst, Capo das ist ein spitz, Costa oder seyten, leze das ist gesetz; calfo für Golf, gran oder körn usw. 2) Item wisst, das ... ein Schiff auss Presillg landt hy e an ist komen. 3) J. M. y. Welser: Die Welser. Nürnberg 1917 und H. A. Schumacher; Die Unternehmungen der Welser in: Hamburger Festschrift zur Erinnerung an die Entdeckung Amerikas. Bd. II. Hamburg 1892. 4) Vgl. dazu Greiff a. a. O. S. 84 ff. 5) Veröffentlicht von B. Greiff: a. a. O. S. 111 ff.

140 Wie wir bei Greiff und dann noch bei Herberger l) erfahren, verfolgte Peutinger die neuen überseeischen Entdeckungen mit mächtigem Interesse. Mit dem Buchdrucker Öglin verbanden ihn überdies enge persönliche und freundschaftliche Beziehungen.2) So ist es nicht von der Hand zu weisen, daß auch die Copia auf Peutingers Veranlassung, zu Augsburg im Druck erschien. In seinen Sermones convivales3) weist er uns ja den Weg, indem er erzählt: „De Lusitanis nautis, qui in Indiam navigant. Non unus“, fährt er fort, „sed varius nobis erat sermo . . . speramusquae prope diem, auspicio invicti Caesaris nostri et adsensu Lusitani regis, nostris Augustenses navibus propriis atque mercibus Indiam petituros.“ Ein reizvolles Bild bietet sich uns da. Die gelehrten Huma­ nisten unterhielten sich in unserem alten Augsburg bei Symposien in platonischem Sinne und verfolgten dabei mit lebhaftem Inte­ resse die Entdeckungsfahrten in die neue Welt. Begierig erwarteten sie die Berichte der heimgekehrten Seefahrer und sorgten, daß sie durch die Presse der großen Masse bekannt wurden. Diese kurzen Zeilen haben uns bewiesen, daß die Entdeckung eines weiteren Exemplars der Copia der Newen Zeytung nicht bloß hinsichtlich der großen wissenschaftlichen Streitfragen, die sich an unsere Flugschrift knüpfen und der engen Beziehungen, die sie mit unserem Augsburg verbinden, sondern auch wegen der außerordentlichen Kostbarkeit und Seltenheit dieser kleinen Schrift eine wertvolle Bereicherung unserer Stadtbiblio­ thek und damit der ganzen wissenschaftlichen Welt bedeutet, auf welche Augsburg nur stolz sein kann. *) 1861 S. 2) 3)

K. Peutinger in seinen Beziehungen zu Kaiser Maximilian 1. Augsburg 8. f. Herberger a. a. O. S. 13 u. 26. Argentorati 1506 Bl. bij.

Das Augsburger Scharlachrennen von 1454. Von Prof. Ludwig Mußgnug, Nördlingen. Bei den Vorarbeiten zu einer Darstellung des „Nördlinger Scharlachrennens“ die im 9. Jahrbuch des „Historischen Vereins für Nördlingen und Umgebung“ erschienen ist, kam mir ein Pergamentbrief des Jahres 1454 in die Hände, in welchem die Stadt Augsburg zu ihrem Scharlachrennen einlädt. Auf meine Anfrage erhielt ich durch das freundliche Entgegenkommen des städt. Archivs zu Augsburg die überraschende Auskunft, daß über alte Augsburger Rennen bisher nur die folgenden drei Stellen bekannt seien. 1. Im 13. Band der Ratsdekrete (1501—1520) steht auf Seite 61: „Eodem die (7. Nov. 1506) hat ain rat angesöhen vnd erkennet, das auff kunfftigen Sumer gehalten werden solten ain Armbrost i ain buchsen Schiessen ain lafen ain rennen mit lauffenden pferden.“ 2. Im 14. Band (1520—1529) auf Seite 64: „Eodem die (23. Juli 1524) ist durch einen Erbern Rat angesehen vnd bewilliget, das auff Michaelis nechstkünftig ain Scharlach gegeben vnnd darumb gerenndt werden soll“; daneben auf dem Rande das Wort „Scharlach“. 3. Im 15. Band (1529—1542) auf Seite 149: „Item vff 5. tag Octobris anno etc. 38 ist bei ainem erbern Rath erkennt vnd angesehen, dweill auff nechftkomenden 7. tag ditz Monats ain geRenn gehalten (wird), das demnach auf bemelten tag die klainen thörlen, bis das gerenn für ist, zuthan beieiben vnnd das auch von vnd aus ainer yeden Zunft vier Mann vnder die vier Hauptthor geruft verordnet werden, die vnnder den Thoren, biß das gerenn wol für vnd das volckh in die Stat körnen ist, beieiben vnd verharren sollen.“ —

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142 In Anbetracht der Dürftigkeit dieser Angaben ist es wohl der Mühe wert, das Einladungsschreiben hier zu veröffentlichen. Denn es bringt den Beweis, daß auch in Augsburg solche Rennen schon mehr als 50 Jahre vor der ersten bisher bekannt gewor­ denen Erwähnung gehalten worden sind; und es enthält auch eine zwar bescheidene, aber nicht unwichtige Reihe von Einzel­ heiten über das Doppel-Rennen selbst. Diese sind den entsprechen­ den von Nördlingen fast völlig gleich, so daß wir annehmen dürfen, daß die beiden Feste auch noch manches andere, was sich in den Nördlinger Akten erhalten hat, miteinander gemein­ sam hatten.

Vom Augsburger „Scharlachrennen“. 1454. Auf der Außenseite befinden sich folgende Aufschriften: „Den Ersamen und wysen Burgermaister und Räte der Statt zuo Nördlingen unnsern besonnderen guoten frunden.“ (Von anderer Hand:) „Scharlachs Rennen zu Augfpurg Anno Domini Millesimo Quadringentesimo Quin(!)gesimo quarto.“ (Darunter von einer dritten Hand:) „Davon sagt dise missif.“ (Darüber von einer vierten Hand:) „Augfpurg verkündet uns Rennen und lauffen zu lauflen In Ir Iarmeffe. 1454.“ Endlich, in Spiegelschrift (!) am Rande, wieder von der (zweiten Hand:) „Scharlachs Rennen.“ Auf der Innenseite: „Den Ersamen vnd wysen Burgermaifter vnd Räte der Statt zuo Nördlingen, vnnsem besondem guoten frunden, Embieten wir, die Rautgeben der Statt zuo Augfpurg, vnnser fruntlich willig dienft zuouor; lieben frund, wir laußen ewer wyßhait wifien, das wir vff vnnfer nähftkommend Iarmeße, die wir nach altem herkommen allerjarlich vmb Sant Michelstag in vnnfer Statt pflegen ze haben, vßgeben wollen ainen Scharlach, ain Armbroft, ain Schwert undainSaw darumb ze Ren­ nen, inmaß als wir zuo dem nächftuergangen Rennen by vnns ouch getan haben; vnd das Rennen fol gefchehen vff den nahften Mentag nach Sant Michelstag zenächft. Alfo wölich pfaritt laußen louffen, der oder diefelben follen von yedem louftenden pfaritt ainen Reinifchen guldin geben vnd das vor-

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derft nächft pfaritt, das über das zil kommet, hant den Schar­ lach gewonnen. Das ander nähft pfaritt darnach das armbroft, das dritt pfaritt ain fchwert und das letft pfaritt die faw. Ouch wollen wir alsdenne vßgeben zwarz Barchattuoch darumb ze louffen. Das ain Barchanttuch guoten gefellen, näm­ lich dem, der zuo dem erften über das zil kommet, das ander Barchanttuch frowen und töchtern, welche zuo dem erften yber das zil kommet. Vnd zuo solichem Rennen und louffen die nähften acht tag dauor vnd denfelben Mentag, als man Rennet und louffet, und die nähften acht tag darnach follen alle die, die von Rennens und louffens wegen und mit in zuo vnns in vnnfer Statt kommen, vnd ouch die, fo Rennen laußen und louffen werden, vnnfrer vnd unfer Statt fryes, fichers glait haben zu uns by vnns vnd wider von vns vnz an ir gewar für vns vnd alle die vnnfere getrüwlich und onn alles geuerde. Doch vßgenommen aller und yeglicher vnnfer puntgenoßen und vnnfer Statt offene und entfagt veinde und ouch die, fo in des hailgen Reichs auchte vnd vnns für offene ächter verkündt find, wollten wir ye nicht laußen. Wir wolten das uwer Erfamkait in funderm guoten ver­ künden, mit vleis bittent das im beften von vnns zu vermerken vnd üwern bürgern vnd den üwern füro zu uerkönden zuo vns ze kommen, wann wir die zemal gern by vnns fehen wollen. Das ftet vnns vmb üwer Erfame wyßhait früntlich zuo befchulden. Geben vff Sant Bartholomeus aubent Anno etc. Liiij0.

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Kaufbeurer Heimatlied. Von rechtsk. Bürgermeister Dr. Georg Volkhardt, Kaufbeuren.

Buron am Wertachstrand, Perle im Schwabenland, Dir gilt mein Gruß Du meiner Väter Ort, Du meiner Jugend Hort, Dir ich mein Herz verschrieb, Dich hab ich lieb. Rotgelb die Fahne weht, Trutzig der Fünfknopf steht, Sturmzeiterprobt. Tänzelholz, Wunderkreis Raunen mir liebeleis, Flüstern auf Du und Du „Heimat“ mir zu. Blumiger Wiesen Pracht, Ragender Gipfel Wacht Rahmen dein Bild. Ihn, der dies alles schuf, Rühmet Sankt Martins Ruf. Buron, Du Herzensbraut, Wie bist Du traut! Wie Deiner Mauern Kranz Standhält dem Zeitentanz, Bleib ich Dir treu Du trugst die Wiege mein, Bette auch mein Gebein! Gott schütz Dich für und für! Heil, Buron, Dir!

Mitteilungen aus der Literatur.

Dr. Friedrich Wagner, Die Römer in Bayern. Verlag Knorr und Hirth, München 1924. Seit Peutinger und Aventin ist das Interesse an der Ge­ schichte Bayerns zur Römerzeit nie mehr abgerissen. Dieses Interesse blieb jedoch, abgesehen von der Bekanntschaft mit den literarischen Quellen, lange Zeit auf das beschränkt, was hier und dort durch den Zufall an monumentalen Überresten zutage gefördert wurde oder schon vorhanden war. Von einer systematischen Spatenarbeit oder einer wissenschaftlichen Ver­ arbeitung des Materials zu einem Gesamtbild vom römischen Bayern war lange Zeit keine Rede. Waren doch bis vor verhält­ nismäßig kurzer Zeit an römischen Siedlungen in Bayern nur Augsburg, Kempten und Regensburg bekannt. Der Gedanke, daß die Römerherrschaft in Bayern mit ihrer fast halbtausend­ jährigen Dauer das Bild einer vielgestaltigen Entwicklung bieten müsse, blieb fremd. Das vorhandene Material war inter­ essante Einzelheit, die nicht selten zu phantastischen Schluß­ folgerungen Anlaß gab. Das ist seit einigen Jahrzehnten anders. Wissenschaftliche Kritik, besonders seit Mommsen, und umfang­ reiche Ausgrabungen haben nicht nur das Beweisbare vom bloßen Phantasiegebilde getrennt, sondern auch den Umfang unserer Kenntnis durch eine Fülle von Material erweitert. Da dieses in einer großen Zahl von Einzelveröffentlichungen, die zudem nicht immer leicht zugänglich sind, niedergelegt ist, war für einen, der nicht selbst mitten in der Forschung stand, der augen­ blickliche Stand der Arbeiten nur schwer zu überblicken. Dem Bedürfnis nach einer Zusammenfassung in knapper Form kommt das Buch Wagners entgegen. Es eröffnet die Sammlung Bayerischer Heimatbücher, heraus­ gegeben von Alex. Heilmeyer, ist also für einen weiteren Kreis von Freunden der Heimatgeschichte bestimmt. Von diesem Standpunkt aus soll es in erster Linie gewertet werden. 10

146 Ein Hauptvorzug des Buches liegt darin, daß der Verfasser keinen Zweifel läßt zwischen dem Beweisbaren einerseits und dem Hypothetischen oder gar dem bloßen Phantasiegebilde an­ drerseits. Ich verweise auf die Stellungnahme zu der Lokali­ sierung des vielerörterten Damasia, auf die Frage des römischen Straßennetzes in Augsburg, das, wie jüngste Beobachtungen zu zeigen scheinen, nicht durchweg, wie bisher gern angenommen wurde, mit den heutigen Hauptzügen übereinstimmt, auf die vor­ sichtige Art der Identifizierung keltisch-römischer Ortsbezeich­ nungen mit modernen, auf die ausgezeichnete Karte des rö­ mischen Straßennetzes, die den augenblicklichen Stand der For­ schung wiedergibt und die Vermutung vom Feststehenden scharf scheidet. Vielleicht ist auch die Annahme eines frühkaiserlichen Legionslagers in Oberhausen trotz der zahlreichen Funde in der Kiesgrube nur als Hypothese anzusehen. Vermutungen, die natürlich bei dem trotz seiner Fülle nie lückenlosen und nicht immer eindeutigen Material nicht entbehrt werden können, gibt der Verfasser, besonders bei der Schilderung des wechselvollen Schicksals der römischen Besatzungslinie, nur da Raum, wo für sie historisch zwingende Gründe vorhanden sind und sie die Unterlage für die weitere Forschung bilden können. Der wissen­ schaftliche Charakter des Buches ist auch dadurch gewahrt, daß von dem Hinweis auf die Quellen reichlich Gebrauch ge­ macht ist, wodurch dem Fernstehenden die eingehendere Be­ schäftigung mit einzelnen Fragen erleichtert wird. Das Werk will keine Materialsammlung sein. Sein Zweck ist geschichtliche Zusammenhänge aufzuzeigen. Dieser Zweck ist durchaus erreicht. Die jeweilige Kastellinie, die der Verfasser in dem grundlegenden geschichtlichen Überblick aufzeigt, ver­ mittelt dem Leser die Vorstellung vom wechselvollen Auf und Nieder der militärischen Herrschaft der Römer in der Provinz Rätien, angefangen von der Eroberung durch Drusus und Tiberius bis zur endgültigen Besitzergreifung durch Alamannen und Bajuwaren, ja noch eine weitere Vorstellung, daß nämlich das Schicksal Rätiens nichts anderes ist als das Spiegelbild der je­ weiligen politischen und militärischen Lage des Gesamtreiches. In der Darlegung dieser Zusammenhänge liegt ein besonderer Reiz des Buches, der auch bei den übrigen Abschnitten vor­ handen ist. So schildert das Kapitel über das Heer nicht nur

147 Rätiens Truppenbestand, seine Verteilung, Bewaffnung und Ka­ sernierung im Lager, Kastell und burgus, auch hier bildet die allgemeine Geschichte der römischen Heeresverfassung in der Kaiserzeit den Hintergrund zu den Verhältnissen in der Provinz* Die Abschnitte über Siedlungswesen, Kunst und Religion erweitern die Militärgeschichte Rätiens zu dem Versuch — denn nur um einen solchen kann es sich handeln — einer Kultur­ geschichte des römischen Bayern. Denn um geschichtliche Ent­ wicklung handelt es sich auch hier, nicht um einen einmaligen, überall gleichen und gleichbleibenden Zustand. Diese Kultur spricht zu uns, angefangen vom Ziegelstein der römischen Legion bis zur städtebaulichen Anlage Kemptens, die uns eine Vor­ stellung davon gibt, welch reiche Reste der Boden des Vorortes Augsburg bergen mag. Vielleicht hätte mit Rücksicht auf den weiteren Leserkreis schärfer auf den großen Unterschied zwischen Regensburg und Augsburg hingewiesen werden können, welch letzteres niemals eine Besatzung hatte; denn vielfach ist immer noch mit der Vorstellung vom römischen Augsburg der Begriff der Garnisonsstadt verbunden. So lückenhaft und spärlich die Zeugnisse für das religiöse Leben in Rätien sind, der Verfasser gibt auch hier nicht nur Materialsammlung, sondern versteht es längst Entschwundenes zum Leben zu erwecken, so wenn er vom Wallfahrtsort Faimingen spricht oder die menschliche Sprache der Grabdenkmäler laut werden läßt. Auch hier ist die Darstellung in den großen Rahmen der römischen Religionsgeschichte in der Kaiserzeit eingespannt. Wir sehen, wie römische Toleranz, Religionsmischung und abstrakte Staatsreligion auch in Rätien vorhanden sind, wie auch die größte geistige Umwälzung der Kaiserzeit, die Sehn­ sucht nach neuem religiösen Leben, von der das Christentum den wichtigsten Ausschnitt bildet, ihre Wellen bis in die ent­ legene Provinz geworfen hat. Das Buch, das reichliches Bildermaterial enthält und sich zudem durch seinen billigen Preis auszeichnet, ist jedem Freund der Heimatgeschichte zu empfehlen, der auf Grund neuester Forschung ein Bild vom römischen Bayern gewinnen will. Stud. Prof. Dr. G. Keßler, Augsburg.

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Eduard Wallner, Altbairische Siedelungsgeschichte in den Ortsnamen der Ämter Bruck, Dachau, Freising, Friedberg, Landsberg, Moosburg und Pfaffenhofen, X und 135 Seiten mit einer Karte von Fritz Silberhorn (Verlag von R. Oldenbourg, München und Berlin, 1924). Unter den in neuester Zeit erschienenen wertvollen Arbeiten über Siedelungsgeschichte und Ortsnamendeutung, von denen A. Schröders „Ortsnamen im Amtsbezirk Dillingen“ und R. Dertsch’s „Die deutsche Besiedlung des östlichen bayerischen Mittelschwabens“ auch hier hervorgehoben seien, steht die vor­ liegende von Wallner, der sich schon früher durch seine erfolg­ reichen Forschungen über den Gunzenlee vorteilhaft bekannt gemacht, in vorderster Reihe. Sie zerfällt in drei Teile, über­ schrieben das Land (Aufbau, Wasser, Moor, Wald, Pflanzenwelt, Tierleben, Vordeutscher Nachlaß), das Volk (Landnahme, fremde Volksteile, Gliederung, Recht, Heldensage, Glaube und Kirche), und das Dorf (Siedelung, Äcker und Mark, das nach dem Grund­ herrn benannte Altdorf, die Reutung, das Neudorf, die Burg, der Einzelhof, die jüngsten Neusiedelungen) und stellt die ein­ zelnen Ortschaften, an Zahl 1504, an der ihnen zukommenden Stelle ein. Anhänge: Eine Übersichtstafel, die die Ersterwäh­ nungen der häufigsten Ortsnamenformeln zusammenstellt, eine zweite, die die Zeitfolge der wichtigsten Ortsnamengruppen (ingen, hausen, dorf, hofen, heim, ried, kreut) bestimmt, und das Ortsnamenverzeichnis. Die Karte Silberhorns bringt zur Anschauung, wie die deutschen Urniederlassungen Südbaierns, meist „trockenen, waldfreien Talebenen und leicht zugänglichen Flußrainen“ folgend, gelagert sind. Das umfangreiche archivalische Material und die große Menge von Druckwerken, die Wallner bei seinen Forschungen herangezogen, sind aus der an der Spitze des Buches stehenden Übersicht der hiefür ge­ wählten „Abkürzungen“ zu ersehen. Welch ein kostbarer Schatz würde sich aufhäufen, wenn mit der Zeit alle bayerischen Ämter eine ähnliche Bearbeitung wie die hier behandelten und die oben genannten erfuhren! Dr. Fr. Roth.

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Dr. Robert Domm, Das Bronzetor des Augsburger Domes. Dr. Benno Filser-Verlag G. m. b. H., Augsburg, 1925. Am Freitag, den 14. Dezember 1923, erstattete Herr Dr. Domm, bischöflicher Sekretär und Domvikar in Augsburg, den Mitgliedern und Gästen des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg ein ausführliches Referat über seine Dissertations­ schrift. Ein Bericht der Augsburger Postzeitung vom 20. Dezbr. gleichen Jahres weckte auch in weiteren Kreisen gespannte Er­ wartung auf das durch der Zeitlage Ungunst verzögerte Er­ scheinen des nun in vornehmer Ausstattung vorliegenden Buches. Die Augsburger Domtüre war von jeher, wie Dr. J. Sighart (Ge­ schichte der bildenden Künste im Königreiche Bayern, 1863, S. 188) vom Schottenportal in Regensburg sagt, „ein Kreuz der Kunstforscher“. Gingen schon die Meinungen über stilistische und zeitliche Einordnung weit auseinander, so schien es nach vielen vergeblichen Versuchen aussichtslos, den in die Darstel­ lungen gehüllten Inhalt ergründen zu wollen. Dehio — wer ver­ beugt sich nicht vor diesem Namen — spricht im ersten Text­ band seiner „Geschichte der deutschen Kunst“ recht spöttisch über die Bemühungen der „Archäologen“ (S. 170) und „gelehrten Exegeten“ (S. 177)> die den Sinn der mittelalterlichen Bildwerke suchen, anstatt sich mit der Formbetrachtung zu begnügen. Solche Einschränkung aber müßte verkennen, daß es für jene vom Geiste der Kirche durchdrungene, dem Übersinnlichen zu­ gewendete Periode des früheren Mittelalters keine „Kunst für sich selbst“ geben kann, daß sie Dienerin der Religion, Vermitt­ lerin von Lehren, Trägerin von Geheimnissen war. Nun gibt uns aber das Schrifttum der gleichen Zeit keine Aufschlüsse über den Inhalt der bildlichen Urkunden an Türen und Torbauten, die damals von dem durch die Predigt unterrichteten Volke abge­ lesen werden konnten. Heute diesen zu Bilderrätseln gewordenen Denkmälern den alten Sinn abzuringen, ist eine schwierige Auf­ gabe, die nur über die Erfahrungen der Mißerfolge zum Ziele führen kann. Wer sich, wie Dr. Domm, mit unbeirrtem Forscher­ fleiß und strenger Bedachtsamkeit an diese Aufgabe macht, ver­ dient Achtung und Dank; denn es handelt sich nicht so fast um die Entzifferung eines vielbestaunten Einzelfalles, den die Bronze­ türe des Augsburger Domes darstellt, als vielmehr um das Ein-

150 dringen in das Denken und Streben jener Zeit, um das Verständ­ nis des Sinnes, der Absicht und des Zweckes der frühen Kunst. Der erste Teil des Buches befaßt sich mit Beschreibung und Deutung der Türe. Sie besteht aus zwei in den Maßen ungleichen Flügeln, die durch breite Kupferbänder in 14 und 21 Felder ein­ geteilt sind. Platten, Bänder und die Zierstücke auf letzteren sind mit Nägeln auf Eichenholzunterlage befestigt. Die Reliefs sind nicht gegossen, wie bisher angenommen, sondern getrieben. Unter den 33 bildlichen Darstellungen befinden sich sieben Wieder­ holungen, die keine späteren Ergänzungen, sondern den übrigen Bildern gleich an Alter und in Technik und Stil sind. Die Du­ bletten erklären sich einfach daraus, daß diese Türe aus den Überresten von zwei gleichartigen, zu beiden Seiten einer ehe­ maligen Ostapsis angebrachten Toren zusammengesetzt ist. 1593 wurde, was an Platten noch brauchbar war, zur neuen Türe zu­ sammengestellt, wobei der damals in Vergessenheit geratene Bildinhalt die Reihenfolge der Tafeln nicht mehr bestimmen konnte. Nach einer vorbereitenden Bemerkung über die Allegorie, ein „Wesensmerkmal der mittelalterlichen Weltanschauung“, be­ spricht der Verfasser eingehend die Bilder der Reihe nach, in­ dem er zuerst den „Literalsinn jeder Platte feststellt und dann die allegorische Bedeutung zu erhalten sucht“. Bei dieser Methode besteht allerdings die Gefahr, daß sich der Erklärer von der a priori erdachten Gesamtidee leiten läßt. Scharfsinn und Phan­ tasie erkennen leicht Andeutungen, die dem unbefangenen Be­ schauer verborgen bleiben. So entsteht dann eine neue „Allegorie“, von welcher die alte Zeit keine Ahnung hatte. Dr. Domm geht vorsichtig und ernsthaft vor, seine Einzelbesprechung der Tafeln wirkt überzeugend, die Zusammenfassung des Leitgedankens un­ gezwungen, umsomehr, da das Thema: „Fliehe die Sünde, Dein Heil ist Christus und seine Kirche“ Raum läßt für weitere, jetzt leider verlorengegangene Bilder und dieser Gedanke als „Tür­ predigt“ dem Mittelalter, gerade der Frühzeit geläufig war. Der gelehrte Verfasser vermeidet es, die acht Propheten- und Heiligen­ figuren, die nicht näher zu bestimmen sind, in die Erklärung einzubeziehen. Im zweiten Teile des Buches finden wir aufschlußreiche Ab­ handlungen über die geschichtliche Entwicklung der Metalltüren-

151 technik und des ikonographischen Programms der Metall- und Holztüren im christlichen Abendlande. Durch die hier notwen­ dige Betrachtung und Vergleichung der Augsburger Türe wird ihr Charakter klargestellt und die Datierung ermöglicht. Dieses Werk gehört dem altchristlichen Stilkreise, genauer der karo­ lingischen Kunst an, zeigt nicht die Befangenheit einer begin­ nenden, sondern die Erschlaffung einer sterbenden Kunst, die noch Eleganz und Gewandtheit verrät; es ist „das Schlußglied einer langen, internationalen Kunstentwicklung und als solches von höchster Bedeutung“. Seine Entstehung fällt mit dem Dom­ bau um das Jahr 1000 zusammen. Auch das inhaltliche Pro­ gramm läßt keine spätere Datierung wahrscheinlich gelten. Als Entstehungsort weiß der Verfasser Augsburg gut zu begründen; den unbekannten Meister dürften wir in einer Goldschmiede­ werkstätte suchen; ihm lieferte die Miniaturmalerei die Vorlagen, von denen er wiederholt die gleichen benützte mit geringen Ab­ änderungen und Zutaten, so daß es den Anschein hat, als seien solche verwandte Bilder nicht freihändig getrieben, sondern auf gleiche Form geschlagen und von oben verschieden ausgearbeitet, nur in den Ergänzungen, die aus dem Umriß fallen, wirkliche Treibtechnik. Ausführliche Anmerkungen mit dem Nachweis des reichen Quellenmaterials und ergänzenden Hinweisen und Erklärungen, sowie übersichtliche Tabellen sind von größtem Werte für den auf ähnlichem Gebiete Schaffenden. Vorzüglich gelungen sind die Abbildungen des Gesamtportals sowohl als der 35 Einzel­ platten. Ein Buch von bleibender Bedeutung, das dem Verfasser wie dem Verleger Ehre bereitet. Richard Wiebel.

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Dr. Erich König, Konrad Peutingers Briefwechsel. C. H. Beck, München, XV und 525 Seiten. Lange hat es gewährt, bis die Gestalt Konrad Peutingers für den Historiker festere Formen gewonnen. Nur allmählich rundete sich sein Charakterbild, und erst durch erfolgreiche Forschungen der letzten Jahrzehnte wurde erreicht, daß wir es in sicheren Umrissen, an denen sich künftig wohl nicht mehr viel ändern wird, vor uns sehen. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß es etwa schon jetzt an der Zeit wäre, an eine ab­ schließende Biographie Peutingers, die bei der Bedeutung dieses Mannes einen guten Teil der Augsburger Stadtgeschichte im ersten Drittel des XVI. Jahrhunderts in sich schließen würde, heranzutreten, denn einer solchen müßte noch eine ganze Reihe von einschlägigen Spezialarbeiten vorausgehen. Da ist es nun freudig zu begrüßen, daß vor kurzem eine der wichtigsten, die der Erledigung harrten, Konrad Peutingers Briefwechsel, heraus­ gegeben von Erich König, dem Verfasser der trefflichen PeutingerStudien, nach Überwindung verschiedener Schwierigkeiten zur Veröffentlichung gekommen. Das Werk bildet den I. Band der der Commission zur Er­ forschung der Geschichte der Reformation und der Gegenrefor­ mation von der Hist. Commission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften überlassenen, der Leitung Herman Grauerts (f) unterstellten Sammlung von Humanistenbriefen. Dem entsprechend konnte der Herausgeber nicht den gesamten Briefwechsel Peu­ tingers umfassen, sondern mußte sich bestimmte Schranken setzen. Wegbleiben mußten all die vielen Schreiben, die Peutinger in seiner Stellung als Stadtschreiber im Aufträge des Rates ange­ fertigt und auch diejenigen, die von ihm zwar im eigenen Namen verfaßt worden sind, aber doch einen mehr oder weniger amt­ lichen oder geschäftlichen Charakter tragen und für die Bio­ graphie Peutingers belanglos sind. Dagegen wurden natürlich aufgenommen alle von Peutinger geschriebenen und an ihn ge­ richteten Briefe, die als humanistische in Anspruch genommen werden können — etwas mehr als die Hälfte der ganzen Samm­ lung —, dann sämtliche Schreiben, die sich überhaupt auf Wis­ senschaft und Kunst beziehen, darunter die meisten Stücke der umfassenden Korrespondenz Peutingers mit Maximilian I. Von

153 den zahlreichen Ratschlägen politischen und juristischen Inhalts, die Peutinger auf Ansuchen für verschiedene Obrigkeiten und Privatpersonen ausarbeitete, konnten nur solche Aufnahme finden, die an sich größere historische Bedeutung haben oder Peutingers Stellung zu wichtigen Zeitfragen, namentlich der Reformation, kennzeichnen oder wenigstens durchschimmern lassen. Ebenso konnten die Berichte, die Peutinger als Gesandten zu Reichs­ tagen und anderen Tagungen offiziell nachhause schrieb, nur insoweit berücksichtigt werden, als sie irgendwie für seine Per­ sönlichkeit charakteristisch sind. Jene Stücke seiner Korrespon­ denz endlich, die Einblick in die engen zwischen ihm und der Augsburger Handelswelt bestehenden Beziehungen gewähren, wurden wegen ihres handelsgeschichtlichen und biographischen Wertes alle abgedruckt. Vieles, wie man sieht, war auszuschalten, aber welch über­ raschender Reichtum bleibt selbst nach so ausgiebiger Sichtung noch zurück! Die Zahl der mitgeteilten Stücke beträgt 303, von denen rund zwei Fünftel hier zum ersten Male im Druck erscheinen. Drei Fünftel waren bisher schon bekannt, aber zum Teil weithin zerstreut, so daß es große Mühe machte, sie zu sammeln; doch gab sich der Herausgeber nicht damit zufrieden, das Gesammelte einfach, wie er es gefunden, zu reproduzieren, sondern ging, soweit dies möglich war, auf die handschriftlichen Vorlagen zurück, um Lücken der alten Drucke auszufüllen und auch sonst Textverbesserungen vorzunehmen. Mit wie viel Schwie­ rigkeiten und Umständlichkeiten die Sammlung der noch unge­ druckten Stücke verbunden war, läßt sich aus dem von König über die handschriftliche Überlieferung des Peutingerschen Brief­ wechsels in der Einleitung Gesagten entnehmen. Die ganze Dar­ bietung der Briefe steht auf der Höhe der heutigen Editions­ technik und entspricht den weitestgehenden Anforderungen. Ins­ besondere ist die Erläuterung der einzelnen Stücke mit einer wahrhaft bewunderungswürdigen Sorgfalt durchgeführt, die ihr selbständigen Wert verleiht; das hier aufgehäufte Material bietet dem künftigen Peutingerbiographen eine Quelle, wie er sie sonst nirgend findet. Der Briefwechsel bestätigt, was man schon vorher wußte, daß Peutinger nicht nur eine echte Gelehrtennatur, sondern auch ein geborner sehr geschickter Geschäftsmann im guten und im

154 weniger guten Sinne des Wortes gewesen ist — ein wenigstens zu seiner Zeit seltener Fall. Es floß Kaufmannsblut in seinen Adern, das ihn antrieb, da er selbst kein Kaufmann war, sich wenigstens als rechtskundiger Anwalt und Verfechter der heimat­ lichen Handelsinteressen, rücksichtslos, wie dies auf die Allge­ meinheit wirkte, eifrig ins Zeug zu legen, freilich nur gegen guten Entgelt. Die Hochschätzung des Handels als eines Lebens­ nerves der Stadt Augsburg bestimmte bekanntlich auch seine politische und religiöse Haltung und machte ihn, obwohl er offensichtlich die Notwendigkeit einer Kirchenreformation wohl erkannte, schließlich zu einem Gegner derselben, weil er sah, daß sie zum Konflikt mit dem Kaiser führen und den Frieden, den der Kaufmann zum Gedeihen seiner Geschäfte unbedingt nötig hat, überall stören würde. Er war eben von Haus aus ein kühl berechnender Mann, der selbst im Verkehr mit seinen Freun­ den — nur wenige ausgenommen — eine gewisse, Abstand ge­ bietende Zurückhaltung beobachtete, die er nur selten ablegte. Am sympathischsten erscheint er in den wenigen Briefen, die sein Familienleben beleuchten und ihn uns zeigen als sorgsamen Hausvater, der in engster geistiger Gemeinschaft mit seiner hoch­ gebildeten Gattin Magdalena Welser, einer Tochter des in der Augsburger Handelswelt rühmlich bekannten Anton Welser, in seinem mit kostbaren Sammlungen aller Art angefüllten Hause seinen geliebten Studien, dem Umgang mit erlesenen Freunden und der Erziehung seiner wohlgeratenen Kinder, die er am liebsten alle zu Wunderkinder ausgebildet hätte, lebte. Angehängt sind dem auch in der äußeren Ausstattung ge­ diegenen Werk ein Register der von Peutinger geschriebenen, ein Verzeichnis der an Peutinger gerichteten Briefe, ein Per­ sonenregister zu dem Text und den Erläuterungen der Briefe, eine Zusammenstellung der in ihnen vorkommenden Zitate aus griechischen und römischen Klassikern und eine Übersicht der in den Anmerkungen gebrachten Abkürzungen und Sigel. Als Schriftprobe ist eingefügt das Facsimile eines am Sonntag nach Allerheiligen 1513 von Peutinger an den Augsburger Rat ge­ schriebenen Briefes, der in der Sammlung als Nr. 136 abgedruckt ist. An der Spitze des Buches begrüßt uns seine Bildnismedaille von der Hand des geschickten Hans Schwarz, eines Enkels des 1478 durch den Strang hingerichteten Augsburger Bürgermeisters

155 Ulrich Schwarz, die uns den Zweiundfünfzigjährigen auf der Höhe seiner Tatkraft zeigt. Bekannter als dieses Bildnis ist Peutingers Greisen-Porträt in halber Figur von Christoph Am­ berger, das ihn, auf einem Stuhle oder einer Bank sitzend, den Stock in der Hand, darstellt, wie er behaglich und selbstbewußt als Ruhender auf sein langes, ehrenvolles und arbeitsreiches Leben zurückschaut. Dr. Fr. Roth.

Dr. Friedrich Roth, Die geistliche Betrügerin Anna Laminit von Augsburg (ca. 1480—1518). Ein Augsburger Kulturbild vom Vorabend der Reformation.1) Der majestätischen Stadt Augsburg an der Wende des Mittelalters zur Neuzeit mit ihren malerischen Befestigungstürmen, Kirchen und Profanbauten, welche hier eine anderwärts ausge­ lebte Gotik noch hervorbrachte, mit ihrer reichen Tätigkeit in Handel, Handwerk, Kunst und Wissenschaft verlieh den höchsten Glanz die oftmalige lange Anwesenheit Kaiser Maximilians I. mit ihren Begleiterscheinungen, die allerdings auch „böse Sitten“ im Gefolge hatten. Tiefer hineingreifend in die „Augsburger Pracht“ im nachteiligen Sinne waren ansteckende Krankheiten, Teue­ rungen, Kriege, Aufruhr, Prophezeiungen, Wunderzeichen, durch welche „die diesem Zeitalter eigentümliche religiöse Sensibilität zutage“ gefördert wurde und sich in Neueinrichtungen kirchlicher und wohltätiger Art praktisch machte. Dieses Milieu gab Schwind­ lern, die mit dem seelischen und finanziellen Fundus ihrer Mit­ menschen ihr Spiel trieben, Raum und zu diesen gehörte Anna La mini t. Die Geschichte der Laminit wird in ihren ersten 23 Jahren (etwa 1480—1503) von Roth als „Anfänge“ bezeichnet. Sie be­ ginnt mit der im gleichen Haus am Heilig Kreuztor wie Anna wohnenden Barbara Laminit, vermutlich ihrer Mutter, setzt sich fort mit der Ausschaffung der Tochter im Alter von 15—16 Jahren wegen Kuppelei und anderer unbekannter Missetaten. Schon zwei Jahre später ist das Mädchen wieder in der Stadt und zwar merk*) Zeitschrift für Kirchengeschichte, XLIII. Band, Neue Folge VI. Zweites Heft.

156 würdigerweise im Hirnschen Seelhaus; für die Möglichkeit dieses Aufenthalts nach ihrem Vorleben bringt Roth alle denkbaren Gründe bei. Bald zog sie in das Haus der Mutter. Inzwischen hatte sie angefangen eine kuriose Außenseite zu zeigen; sie tat furchtbar fromm, man sah sie nicht essen und trinken und der allwöchentliche Genuß der Hostie war nach ihrer Behauptung ihr einziger Genuß. Gesteigerte Möglichkeiten zu Ansehen zu gelangen, gab der findigen Laminit das Fallen von kreuzähn­ lichen Flocken vom Himmel, wie in verschiedenen Teilen Europas, so auch in Augsburg (1501—1502) und das Interesse des Königs und der Königin für dieses Wunder. Die Laminit benützte das Naturereignis zu einer Warnung der Christenheit zur Umkehr, gerichtet an die Königin. Die Folge davon war geradezu sen­ sationell: Tausende, darunter die lebensfrohe Königin mit ihren Frauen, unternahmen eine Bußprozession, der König forderte mit Erfolg zum Türkenkrieg auf. Diese, wie Roth richtig charak­ terisiert, ihre persönlichen Werke stellen das einfache Weib in das Räderwerk des großen Weltgetriebes und begründen die die Blütezeit seines selbstsüchtigen Treibens. Dieses Treiben bestand darin, auf jede damals mögliche Art Ehren, Geld und Geschenke einzuheimsen. Daß die erleuchteten Geister schon ahnten, bei der „Heiligen“ müsse etwas nicht in Ordnung sein, bezeugen die Bemerkungen des Cardinais Carvajal, Luthers und Johann Ecks, die, wie alle Welt, sie besucht haben. Eine ruchlose Mentalität offenbart der Schwindel mit einem an­ geblich blutschwitzenden Kruzifix, das sie den Leuten in ihrer Wohnung vorzeigte. Diese Mentalität wohnte in einem häßlichen Leib, der sich gerne großen Herren hingab. Das Anlangen auf dem Höhepunkt des unverdienten An­ sehens bedeutet für Anna Laminit den gradweisen Sturz in die Tiefe: Entdeckungen seitens der Gespielinnen, Forderungen, die Heilige zu „probieren“, Wegnahme des „blutschwitzenden“ Kruzi­ fixes durch den Bischof, Entlarvung durch die Schwester des Kaisers: die skeptische Herzogin ließ die Berühmte zu sich nach München kommen, welcher Einladung diese nach einiger Um­ ständlichkeit mit einer Magd Folge leistete; in dem ihr zuge­ wiesenen Gemach wurde sie durch Löcher in der Wand von der Herzogin und Nonnen beobachtet und des vordem geleugneten Essens überführt. Später suchte sie zwar den Sachverhalt anders

157 hinzustellen, wurde aber auf Veranlassung des Kaisers am 20. Fe­ bruar 1514 aus der Stadt und aus dem Bannkreis des Monarchen ausgewiesen. Sie wandte sich nach Kempten, um in ein Kloster einzutreten, und setzte dort ihre verlogene Lebensweise fort. Als sie hier beim Erbrechen genossener Fische ertappt und beur­ laubt wurde, heiratete sie einen Bogenschnitzer aus der Schweiz in Freiburg. Dort anscheinend Kurpfuscherin, brach sie sich durch Kindsunterschiebung das Genick: sie wurde aus Gnaden ertränkt. Friedrich Roth ist der Verfasser von „Augsburgs Refor­ mationsgeschichte“, vier Bände, München, Th. Ackermann 1901/11. Für das „Laminitlein“ war ihm nicht wie dort die religiös-kul­ turelle Alternative gestellt, hier hat die Geschichte von links bis rechts das Verdammungsurteil dem Spruche der so fehlbaren Formaljustiz auf dem Fuße folgen lassen. Man muß bei diesem Kulturbild eher an die gewiß der religiösen Triebkraft baren genialen Betrugsserien unserer Nachkriegszeit denken; freilich, was hier in einem ausgepowerten Lande aus einer körperlich und seelisch erschöpften Menschheit heraus wie ein Sieg des durch die frühere Ordnung gebändigten schlechteren Ichs sich auftat, das spielte sich dort in einem Rahmen ab, der in allem einen Gegensatz zu dem unseligen bildete. Dieser Rahmen ist von Roth mit markanten Strichen, welche den strengen Wissen­ schaftler und keinerlei Phantasiezutaten bedürftigen Kenner mittel­ alterlichen Wesens projizieren, gezeichnet. Der zweite Abschnitt des Werkchens bringt Quellen und Literaturnachweise aus Augsburg und dem übrigen Schwaben, Bayern, Franken, Sachsen, der Schweiz, Italien und den Nieder­ landen, von dem Manifest des König Maximilians 1503 bis zu meinem populären Aufsatz 1922. Mit dem Verfasser würden auch wir es begrüßen, wenn im Archiv des Kantons Freiburg die Urgicht sich fände und durch sie sich noch mehr Licht über diese Geschehnisse verbreitete. Wenn nicht die Unsicherheit des Aufenthalts des Malers Hans Baidung Grien in Augsburg zu jener Zeit bestände, so würde ich in der Beischrift zu vier seiner Silberstiftzeichnungen, welche diese als „Contrafractur desjenig Maidlis, das in zeh Jahr nichts gessen“ und welche Roth selbst als später bezeichnet, nicht wie er ein Hindernis für die Zurückführung der Bilder auf das La-

158 minitlein sehen. Nicht möchte ich das Mädchen als hysterisch und religiösphantastisch anerkennen, noch an eine ernstliche Ab­ sicht, sich als Hungerkünstlerin auszubilden, glauben; dazu ist ihre Handlungsweise zu vernünftig und realistisch. Ich glaube nicht zu weit von der Wahrheit mich zu entfernen, wenn ich befürchte, daß ihr Umzug in das Haus der Mutter nicht freiwillig war. Im Interesse der rechten Beurteilung der damaligen Volksseele, die von der heutigen nicht so sehr verschieden war, möchte ich ein großes Gewicht auf die Bemerkung der Preu’schen Chronik legen, wo es heißt, daß die Vornehmen und Mächtigen an die Laminit glaubten, dagegen die Armen nicht viel auf sie gegeben haben. Der geschlechtliche Umgang der großen Herren mit der häß­ lichen Laminit wird in der Lust am Abstrußen und gewissen Fertigkeiten des Weibes auf diesem Gebiete bestanden haben. Für die Entlarvungsgeschichte liefern die Chronisten zufrieden­ stellenden Stoff. Schätzenswert sind am Ende des Werkchens die Berichte der Langenmantelchronik und des Fuggerschen Ehrenwerkes über die Laminit. Georg I. Mayer.

Historische Forschungen und Quellen, herausgegeben von D. Dr. Joseph Schlecht: Hans Jakob Fugger (1516—75), ein Beitrag zur Geschichte des XVI. Jahrhunderts, von Dr. Wilhelm Maasen, nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Dr. Paul Ruf, 1922 (München und Freising), XII und 132 Seiten. Nachdem bereits im Jahre 1917 Otto Hartig in seinem bekannten Werk „Gründung der Münchener Hofbibliothek durch Albrecht V. und Johann Jakob Fugger* die Persönlichkeit des Letzteren, die bis dahin trotz des ihm von König Ludwig I. in Augsburg errichteten Denkmals verhältnismäßig nur wenig be­ kannt war, als einen auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stehen­ den Mann, als Geschichtschreiber, als Mäcen der Gelehrten, als Förderer der Kunst und Wissenschaft, als hervorragenden Biblio­ philen, dessen in die Bibliothek des Herzogs von Bayern über­ gegangene Büchersammlung diese erst zu einer Bibliothek hohen

159 Ranges erhoben, mit erschöpfender Ausführlichkeit ans Licht gestellt, erschien ein Lustrum später die in der Überschrift ge­ nannte Biographie Fuggers, die zum ersten Male dessen Gesamt­ wirksamkeit vor Augen führt, und ihn als den vielleicht bedeu­ tendsten Sprossen seines an bedeutenden Persönlichkeiten wahr­ lich nicht armen Geschlechtes kennzeichnet. Den Grundstock des Buches bildet eine in der Hauptsache im Jahre 1913 fertig­ gestellte Doktordissertation Wilhelm Maasens, der 1916 im Welt­ krieg auf dem Felde der Ehre den Tod gefunden, so daß seinem hinterlassenen Scriptum, das er selbst nur als „ungefähres Bild Fuggers“ betrachtete, der letzten Feilung und Abrundung ent­ behren mußte. Da nahm sich sein Freund Dr. Ruf dessen liebe­ voll an, indem er es einer sorgfältigen Revision unterzog, Ergeb­ nisse der seit Maasens Hinscheiden angefallenen einschlägigen Literatur nachtrug und mehrere handschriftliche Quellen, die Maasen nicht gekannt, zu Ergänzungen heranzog. So entstand das vorliegende Buch, das der ihm gestellten Aufgabe allseitig gerecht wird, eine Fülle des Neuen bringt und den zum Teil spröden Stoff auch in formaler Beziehung anziehend darbietet. Das erste Kapitel hat die Jugend — und Lehrjahre Hans Jakobs bis zum Eintritt in die Fuggersche Handelsgesellschaft zum Gegenstand. Wir erfahren hier, wie er sich auf verschiedenen aus­ ländischen Universitäten gründliche wissenschaftliche Kenntnisse in verschiedenen Disciplinen aneignete, mehrere lebende Sprachen erlernte, sich auf großen Reisen weltmännische Erfahrung erwarb, am Hofe König Ferdinands sich zum Kavalier ausbildete, sich im Jahre 1540, im Alter von 24 Jahren, mit der Gräfin Ursula von Harrach vermählte und sich dann in Augsburg niederließ. Das zweite Kapitel zeigt uns Hans Jakob im Dienste seiner Vater­ stadt als Ratsherrn zur Zeit der Zunftherrschaft und (seit 1548) des Herrenregiments, wobei er aufstieg zum Einnehmer, Bürger­ meister und Septemoirn und sich, seiner Neigung zur politischen Betätigung folgend, zum Spiritus Rector der innern und äußern Politik der Augsburger Republik entwickelte. Das dritte Kapitel schildert uns Hans Jakob Fugger als Nachfolger seines 1560 ver­ storbenen Oheims Anton Fugger in der Leitung der Fuggerschen Handelsfirma, in welcher Eigenschaft er bekanntlich teils infolge der für seine Firma ungünstigen Zeitverhältnisse, teils infolge seines Mangels an kaufmännischer Umsicht und Energie

160 im Jahre 1563 kläglich Bankrott machte, aus der „Handlung* ausschied, dauernd unter den auf ihm lastenden Schulden schwer zu schaffen hatte und nachträglich noch in häßliche Konflikte mit seinen Vettern geriet. Er trat, nachdem er Augsburg hatte verlassen müssen (Kapitel IV), in die Dienste des schon seit langem mit ihm auf das engste befreundeten Herzogs Albrecht V. von Bayern, erscheint seit 1570 als Hof- und Kammerherr und seit 1573 als Hofkammerpräsindent, d. h. Finanzminister — der erste in Bayern — und hatte öfter Gelegenheit, seinem Herrn und Freund auch in wichtigen Privatangelegenheiten große Dienste zu leisten, wie er am Hofe überhaupt eine fast einzig dastehende Vertrauensstellung einnahm. Bezüglich seiner Gesinnung in Re­ ligionssachen ist nicht recht ins Reine zu kommen; neben Zeug­ nissen einer den Protestanten gegenüber sehr milden Stellung­ nahme stehen andere, denen zufolge er fast als Scharfmacher des seit der „Adelsverschwörung“ ohnehin schon mit aller Schärfe gegen die „Neuerer“ vorgehenden Herzogs erscheint, doch ist soviel sicher, daß er von der im Jahre 1562 beginnenden Fort­ setzung des Tridentiner Konzils, von dem eine Störung des Religionsfriedens von 1555 zu befürchten war, recht wenig er­ baut gewesen und später auch die sofortige Durchführung der Konzilsbeschlüsse aus Opportunitätsgründen nicht zu billigen vermochte. Eben so schwer ist es zu entscheiden, ob und inwie­ weit er als Freund der Jesuiten gelten kann, die ihm in Vielem zu scharf waren, doch ist immerhin beachtenswert, daß die Jesu­ iten seine Freunde waren, wie aus den warmen Lobsprüchen, diej. Agricolain seiner Historio Societatis Jesu ihm spendete, hervor­ geht. Gestorben ist der gesundheitlich nie recht feste Mann, noch nicht 59 Jahre alt, am 14. Juli 1575. Seine bei St. Peter in München gehaltene „Besingnus“ war „fürstenmäßig“, beigesetzt wurde er in der Dominikanerkirche zu Augsburg. Das V. Kapitel würdigt Hans Jakob als Geschichtsschreiber, zunächst als Verfasser des „Habsburgisch - Österreichischen Ehrenwerks“, das ihm bis in unsere Zeit herauf unter den „Historischreibern“ des XVI. Jahr­ hunderts einen hochgeachteten Namen gemacht. Aber dieser Ruhm scheint jetzt erbleichen zu sollen, denn schon Hartig ist auf Grund verschiedener Wahrnehmungen zu der Vermutung gekommen, daß Fugger „bei der Herbeischaffung und Verarbei­ tung des gesamten Stoffes die weitgehendste Unterstützung des

161 Augsburger Ratsdieners Clemens Jäger genoß“ und Maasen-Ruf sprechen geradezu aus, daß „Fugger nur der Fundator gewesen, der das Werk anregte, vielleicht auch den Plan entwarf und sonst nur das Geld für Verfasser, Kopisten und Maler hergab“, und denken sich ebenfalls CI. Jäger als Verfasser oder wenig­ stens Zusammensteller des Werkes. Der Schreiber dieser Zeilen endlich hat in diesem Heft der Zeitschrift den Versuch gemacht, dies durch ein umfängliches Indicienmaterial in aller Form nach­ zuweisen. Derselbe Clemens Jäger hat auch, wie von anderer Seite schon dargetan, auch das bis vor kurzem unserm Hans Jakob zugeschriebene Geheime Ehrenbuch des Fuggerschen Ge­ schlechtes zusammengestellt, so daß von ihm selbst nichts übrig bleibt als seine „Geschichte des schmalkaldischen Krieges“, die von Maasen - Ruf ausführlich gewürdigt und mit Recht als treffliche Leistung gerühmt wird. Das VI. Kapitel führt uns Fugger vor als „Freund der Gelehrten und Förderer der Wissenschaften“ und stellt nach dem Vorgänge Hartigs die ihm dedicierten Schriften und Werke mit Fußnoten bio- und bibliographischen Inhalts zusammen, die seine Verdienste als Mäcen in glänzendes Licht stellen. — Von den Beilagen sind besonders wertvoll die einem vatikanischen Codex entnommenen Briefe Fuggers an den berühmten, in Rom leben­ den Augustiner-Eremiten Onuphrius Panvinius (aus den Jahren 1562—1567), die zum Teil vollständig, zum Teil dem Inhalt nach mitgeteilt sind. Beigegeben ist als Titelbild die Reproduk­ tion des in der Ambraser Sammlung aufbewahrten Fuggerpor­ träts und ein Brustbild Wilhelm Maasens. Dr. Fr. Roth.

Adalbert von Raumer, Der Ritter von Lang und seine Memoiren (Druck und Verlag von Oldenbourg, München und Berlin 1923), aus dem Nachlaß herausgegeben von Karl Alexander von Müller und Kurt von Raumer, XXXI und 250 Seiten. Die nach dem Tode Karl Heinrich Längs (1835) zum erstenmal im Jahre 1742 veröffentlichten Memoiren erregten sofort nach ihrem Erscheinen ungewöhnliches Aufsehen und er­ fuhren teils zustimmende, teils, und zwar überwiegend, scharf 11

162 abweisende Beurteilungen, die eine Art Sanctionierung fanden als Karl Th. von Heigel sie im Jahre 1881 vom historischen und moralischen Standpunkt aus als ein tiefstehendes Machwerk kenn­ zeichnete, so daß man sich gewöhnte, von den „berüchtigten“ Memoiren Längs zu sprechen. Dann machte sich aber allmählich da und dort eine mildere Auffassung seiner Persönlichkeit und schriftstellerischen Tätigkeit geltend, die sich sogar vereinzelt zu begeisterter Anerkennung auswuchs, und da war es Heigel, der seinen Schüler Adalbert von Raumer anregte, die Memoiren neuerdings einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen, um zu einem abschließenden Urteil zu gelangen und ihren historischen Wert endgültig festzustellen. Mit Feuereifer machte sich Raumer an diese Arbeit und war im Sommer 1914 zu einem gewissen Abschluß gekommen, als ihn der Ausbruch des Krieges ins Feld rief, wo er schon am 4. September vor Lüneville einen schönen, ehrenvollen Soldatentod fand. Sein hinterlassenes Manuscript, den Hinterbliebenen ein teures Vermächtnis, war soweit gediehen, daß es dem Drucke übergeben werden konnte, aber fast zehn Jahre gingen unter der Ungunst der Zeitverhältnisse hin, bis Alexander von Müller und Kurt Raumer, die dem Verblichenen besonders nahe gestanden, in die Lage kamen, zur Publizierung zu schreiten. Adalbert von Raumer hatte erkannt, daß seine Aufgabe nur zu lösen sei, wenn es ihm gelinge, die Memoiren aus dem Wesen Längs heraus zu verstehen und auf Grund neuer Quellen, die außerhalb der Memoiren liegen, ein genaues Bild von dem Wer­ den und der Charakterbildung des merkwürdigen Mannes zu gewinnen. Diesem Zweck dient der erste „Der Ritter von Lang* überschriebene Teil des Werkes, der seine Heimat und Kindheit, seine „Lehrjahre* und seine „Wanderjahre* zum Gegenstände hat, bis zum Jahre 1795 heraufreicht und mit einer zusammenfassen­ den Charakteristik des innerlich nun „fertigen* Mannes schließt. Im zweiten Teil werden die Memoiren selbst untersucht. Nachdem Raumer sich zuerst über die Geschichte ihrer Ent­ stehung verbreitet, entwirft er eine geistvolle Charakteristik ihrer Eigenart und weist zum tieferen Verständnis darauf hin, daß „das eigentlich treibende Moment bei ihrer Abfassung der Kon­ trast zwischen Ideal und Wirklichkeit gewesen*, also eine „Grund­ stimmung, die sowohl zum Humor als zur Satire ausschlagen

163 konnte“. Lang wollte sein Leben heiter, doch wahrheitsgetreu beschreiben, „aber was er anfaßt, wird zur Satire“. Wie ver­ fährt er nun dabei? „Verschweigt, steigert, kombiniert er bloß, oder erfindet er aus freier Phantasie Dinge ohne irgendwelchen historischen Untergrund ? Verschiebt und gestaltet er bloß kleine Nebenzüge oder fälscht er historische Tatsachen? Und endlich ist seine Satire wie jede echte Satire geboren aus der Sehnsucht nach einem unerfüllten Ideal oder ist sie von kleinen, persön­ lichen Motiven diktiert?“ Die Antwort, das Haupt-Ergebnis der ganzen Untersuchung, lautet: 1. „In allen tatsächlichen Angaben ist Lang ungemein sorg­ fältig und sowohl im ersten als auch im zweiten Teil der Memoiren in hohem Grade zuverlässig. 2. Überall, wo ihm die feste Stütze unverrückbarer Tatsachen fehlt, bei der Zeichnung der Charaktere, Angabe der Motive, eigenen Raisonnements etc. ist die Sicherheit seines Urteils durch seine rasche Phantasie und überscharfe Kritik gefährdet und vom Beginn des zweiten Teiles an in steigendem Maß durch Spottlust, Mißtrauen und Verbitterung getrübt. 3. Satirisch ist die Darstellung und die Gestaltung des historischen Materials. Seine Satire arbeitet mit Dramatisierung und Zusammenziehung, mit Häufung, Steigerung, Pointierung, nicht aber mit Fälschungen und freien Erfindungen. 4. Bewußte Lügen sind ihm nirgend nachzuweisen. 5. Das Ge­ samtbild des ersten Teiles ist humoristisch-satirisch gefärbt, aber im großen und ganzen zutreffend. Auch das Gesamtbild des zweiten Teiles ist als Bild der tatsächlich vorhandenen inner­ politischen Zustände Bayerns im wesentlichen richtig, als Bild des gesamten kulturellen Lebens ist es falsch. Schon bei der Schilderung der innerpolitischen Verhältnisse fehlt ihm der Blick für das historisch Bedingte dieses Zustandes und für die Kräfte persönlicher, geistiger und politischer Art, die aus dem Be­ stehenden hinausstreben; für das reiche Leben, das auf allen Gebieten in der Romantik erblühte, fehlte ihm jegliches Ver­ ständnis. 6. Die Motive seiner Satire sind von Anfang an ethisch-ästhetische und persönliche nebeneinander. Im letzten Grund ist auch seine Satire aus einem unlösbaren Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit entsprungen, aber dieses Ideal ist selber von der Satire zerfressen, es fehlt ihm an Klarheit ll*

164 und Kraft, und so erscheint im zweiten Teil als das bestimmende Moment im einzelnen fast durchaus die persönliche Verbitterung und Gehässigkeit.“ Um die Richtigkeit dieser Thesen nachzuweisen, werden dann zwei Abschnitte des ersten Teiles und einer des zweiten Teiles der Memoiren an der Hand eines umfangreichen, zum Teil ad hoc beigeschafften Quellenmaterials in allen Einzelheiten überprüft. Das Facit der Untersuchung ist, daß die Ansicht jener, die Erzählungen und Sittenbilder Längs seien überwiegend als Klatsch und Karikatur zu bewerten und ihrem historischen Wert nach sehr gering einzuschätzen, nicht mehr aufrechtzu­ erhalten ist, zweifellos die Angaben Längs über Tatsächliches in allem wesentlichen zuverlässig und, wenn auch meist satirisch gefärbt, nie erfunden oder gefälscht sind. Ein von den Heraus­ gebern herrührender Anhang enthält ein Verzeichnis der Briefe von und an Karl Heinrich Lang, eine Auswahl aus den Briefen von und an Lang, Briefe über Lang und einen chronologischen Überblick über Längs Leben. Den Herausgebern verdankt man auch das an die Spitze des Buches gestellte Lebensbild Adal­ bert von Räumers, das in seiner geistreichen Fassung und warm­ herzigen Art ein kleines Kunstwerk für sich ist. Dr. Fr. Roth.

Dr. Br. Wöjciköwna, Johann Fischer von Augsburg als SuitenkomponisL Zeitschr. f. Musikwissenschaft, Jhrg. V, Heft 3. Breitkopf u. Härtel, Leipzig. Dr. Br. Wojcikowna hat in der Zeitschrift für Musik­ wissenschaft die Ergebnisse ihrer Forschung über den Augs­ burger Komponisten Johann Fischer veröffentlicht. Johann Fischer, der mit Georg Muffat und Johann Sigismund Kusser persönlicher Schüler des französischen Opernkomponisten Lully war, gehört als Suitenkomponist jener Strömung an, die abseits von der Frobergerschen Suite französischen Einflüssen weitesten Raum gewährte. Aus der Oper und dem Ballette Lullys drangen die Tänze, Entrees und Ballettmusiken frühzeitig nach Deutsch­ land, fanden begeisterte Aufnahme und wurden von vielen deut­ schen Komponisten nachgebildet und durchgebildet, erweitert und vertieft. In dieser Bewegung stehen Muffat, Kusser und

165 Fischer mit in vorderster Reihe, die nach Wojcikowna Künstler einer Durchgangsepoche in der Ausbildung der Orchestersuite sind und deren Schaffen „ein unaufhaltsames Ringen nach selbst­ ständiger Technik und besonderem Stil kennzeichnet“ (Sonder­ druck S. 5). Aber gerade darum nehmen sie in ausgesprochenem Maße das Interesse der geschichtlichen Forschung in Anspruch und als Lullys Schüler kann an ihnen der wachsende Einfluß des französischen Tanzes auf die deutsche Suitenkomposition am ehesten aufgezeigt werden. Gleichzeitig dient die Untersuchung der Verfasserin über Johann Fischer einer zukünftigen Augs­ burger Musikgeschichte als wichtiger Baustein zum Gesamtwerke. Auf Grund der vorhandenen Urkunden ergeben sich aus Fischers Leben folgende Daten. Johann Fischer wurde am 25. September 1646 in Augsburg geboren und bei den Barfüßern getauft. Er war das achte Kind des Stadtpfeifers Jonas Fischer und seiner Frau Maria. Sein Vater starb 1656. Vermutlich ging Johann Fischer vor oder spätestens 1665 nach Stuttgart und war Schüler bei Samuel Capricornus (geb. ca. 1629, gest. 12. Nov.1665), der dort von 1657 bis zu seinem Tode eine Kapellmeisterstelle bekleidete. Von hier begab er sich zu Lully nach Paris zu einem fünfjährigen (?) Studienaufenthalt. Nach Gerber ist er bei Lully „Notist“ gewesen. Seine Rückkehr nach Stuttgart erfolgte vor 1673 oder spätestens 1673, denn in diesem Jahre wird erwähnt, daß er dort die „Violon“ gestrichen habe. Sie fand aber nicht 1670 statt, da der Stuttgarter Herzog sich 1670 noch beklagen durfte, daß die in der Hofmusik „dißmals befindlichen Instrumentisten nicht einen Courant nach französischer Manier perfect auf­ führen könden.“ Vielleicht geben Pariser Akten, die der Ver­ fasserin während des Krieges unzugänglich waren, genaueren Aufschluß über Fischers Aufenthalt in der französischen Haupt­ stadt. 1674 war Johann Fischer „musicant“ in Augsburg*, wo er die Bewilligung „sich bei den Hochzeiten gebrauchen zu lassen“ erhielt. Er wandte sich unterm 7* Juli 1675 an den hohen Rat „umb gnädige Ertheilung des Beyfitzes“. Das Gesuch wurde im Sinne des Bittstellers beschieden. 1681 soll Fischer als Musiker in der Barfüßerkirche beschäftigt worden sein. Unterm 27. April 1683 sucht er um Aufnahme als Komponist und Violinist in die Hof­ kapelle zu Ansbach nach. Am 20. August des gleichen Jahres findet sich sein Name in der Mitgliederliste als einer der sechs Hofmusiker

166 eingezeichnet. Paul Kellner, der vom Stuttgarter Hofe 1674 nach Ansbach ging, stellte Fischer für seine kompositorische Bega­ bung zu dieser Bewerbung ein ehrenvolles Zeugnis aus, und der Tanzmeister Saucy lobte die „französische Manier“ seines Violinspiels. Möglicherweise hat Fischer als „Director musicae“ (Brief des Fürsten Anton Ulrich von Braunschweig) nach des Kapell­ meisters Johann Georg Connradis Zurücktritt (1686) und bis spätestens 1690 bez. 1691 der Kapelle vorgestanden, obwohl das Titelblatt der 1686 gedruckten „Himmlischen Seelenlust“ ihn als „Onoltzbachschen Hofmusikus“ bezeichnet. Von Ans­ bach wandert Fischer an den kurfürstlichen Hof zu Mitau, wo er die Hofkapelle des Kurfürsten Friedrich Casimir (Regierungs­ zeit 1682—1698) dirigiert. Doch verließ er Mitau vor 1698, da er sich 1697 „gewesener fürstlich kurländischer Capellmeister“ nennt (Titelblatt zum „klagenden Schwedenreich“, Riga 1697). Sein Aufenthalt in Mitau fällt also in die Zeit von 1690 bez. 1691 bis 1696 bez. 1697. Aus der Vorrede zudem 1700 in Dres­ den erschienenen „Musicalisch Divertissement“ ergibt sich ein kurzer Aufenthalt in Augsburg und eine zweite Reise nach Kur­ land. 1701 —1704 ist Fischer Hofkapellmeister in Schwerin, wo­ hin er mit 200 Talern Jahresgehalt an die neu organisierte Kapelle berufen worden war. Nach dieser Zeit ist er in Rostock nachweisbar. Hier übergibt er dem Organisten Christoph Raupach ein Empfehlungsschreiben nach Stralsund, ein Beweis für das Ansehen, das Fischer damals als Komponist genoß. Die letzten Jahre seines Lebens werden von Reisen ausgefüllt (Kopen­ hagen, Stralsund, Stettin, auch England?). Schließlich gewährte ihm der Hof zu Schwedt freundliche Aufnahme, wo er nach Mattheson 1721 gestorben sein soll. Über das Todesjahr fehlt zur Zeit noch der urkundliche Nachweis (S. 6—10). Von Fischers Suitenwerken liegen nach Wojcikowna sechs Handschriften (Upsala, Schwerin, Berlin) vor und zwei Drucke: Musicalisch Divertissement 1699/1700 (Wolfenbüttel) und Tafel Music 1702 (Schwerin). Die Verfasserin unterscheidet zwei Schaf­ fensperioden: 1682 —1690 und 1696—1701, ohne in dieser ge­ kürzten Veröffentlichung auf die Gründe der Periodisierung ein­ zugehen (S. 10 f.) H. J. Moser, Geschichte der deutschen Musik, Bd. II, 1 S. 113 erwähnt eine Suite, welche die Herstellung des Lüneburger Salzes veranschaulichen soll. Wojcikowna kommt

167 darauf nicht zu sprechen. Zwei Drittel der Fischerschen Suiten bestehen aus Tänzen, der Rest setzt sich aus Kompositionen zu­ sammen, die gelegentlich einen bestimmten Tanzcharakter zeigen (Entree, Air, Ballett) und solchen, die vom Zweckstanze abseits stehen. Im ungeraden Takt finden sich Menuett, Rondeau, Gigue, Chaconne, Passepied und Sarabande, im geraden Takt Marsch, Allemande, Anglaise, Bourree, Gavotte und Rigaudon. Die ältesten unter diesen Tänzen sind Sarabande, Gigue und Allemande. Für die von Lully beeinflußte deutsche Suite ist charakteristisch, daß die Sarabande gegen Ende des 17. Jahrhunderts verschwindet. Rosenmüller, Pezel, Kradenthaller, Scheifelhut führen sie noch in ihren Suiten, Aufschnaiter (1695) hat sie nicht mehr, Johann Fischer, wie auch Muffat und Kusser, verwenden sie nur noch ausnahmsweise. An die Stelle der Sarabande, die als Tanz ver­ altet war, tritt das Menuett. Unter dem Einflüsse Lullys wandten sich die deutschen Komponisten der lebendigen Tanzmusik zu, daher begegnen wir Formen wie Gavotte, Bourree, Rigaudon, Marche usw. Dagegen ist die Gigue für Fischers Suiten, obgleich als Tanz auch bereits veraltet, geradezu charakteristisch. Hin­ gegen räumt die gleicherweise aus der Mode geratene Allemande zu Ausgang des 17* Jahrhunderts den lebendigen Tänzen den Platz, ähnlich wie die Sarabande, und Johann Fischer, der in allen Dingen als fortschrittlicher Komponist zu gelten hat, ver­ wendet sie ebenfalls äußerst selten. Die bei Fischer auftreten­ den Tanzformen werden von der Verfasserin eingehend be­ sprochen, dabei wird überall, besonders aber beim Marsch und in der Ouvertüre, der Einfluß Lullys und der französischen Tanz­ musik deutlich spürbar. Lully kennt die zwei- und dreiteilige Ouvertüre nach dem Schema langsam-schnell und langsam-schnell­ langsam. Der von Lully zur Klassizität ausgebildete Typ ist der zweiteilige. Der erste Teil steht im ernsten Grave oder Lento, hat geraden Takt und weist straff punktierten Rhythmus auf. Der zweite ist lebhafter (3/4, 6/4, 6/8 oder alla breve-Takt), oft mit Tanzrhythmen untermischt, polyphon, während der erste Homo­ phonie bevorzugt und überwiegend fugiert. Botstiber, Geschichte der Ouvertüre, S. 41, vertritt die Ansicht, daß dieses Fugato aus der Orgel- und Klaviermusik von Louis Couperin in die Ouvertüre Lullys gedrungen sei. Dagegen ist festzustellen, daß bereits die Ouvertüre zu San Alessio von Stefano Landi ein Fugato auf-

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weist, daß ferner Landi dem Beispiele von Domenico Mazzochi folgt Nach Sandberger haben vermutlich italienische Komödianten dies Fugato nach Paris gebracht. Wojcikowna begnügt sich mit der Erwähnung, daß die Einführung des Fugato „Lullys persön­ liches Verdienst zu sein scheint“ (S. 22). Fischer kennt die zweiund dreiteilige Ouvertüre und schließt sich im formalen Autbau an Lully an, ohne Abweichung im ersten Teile, aber unter manigfachen Freiheiten im zweiten Teile, den er wie Lully ebenfalls fugiert. In der Anordnung der Einzeltänze zur cyklischen Form glaubt Wojcikowna ein künstlerisches Prinzip zu erkennen, nämlich das der Steigerung, die auf durchgeführter Kontrastwirkung beruht. Schließlich untersucht die Verfasserin noch die Kompositions­ technik, wobei sich für Fischer eine gegenüber zeitgenössischen Komponisten außerordentliche Differenzierung der Mittel ergibt. Bemerkenswert ist ferner, daß bis auf zwei Ausnahmen die vor­ liegenden Suiten ohne basso continuo gesetzt sind. Nef, Zur Geschichte der Instrumentalmusik, Beihefte der Int. Mus.-Ges., S. 37 und 45 führt nur Aufschnaiters Suiten als solche an, die des basso continuo entbehren; die von Fischer hat er übersehen. Auch Sandberger, Ges. Aufs. Band I, S. 245 erwähnt Fischer nicht, sondern nennt als einen der Ältesten, der das Streichquartett von den Fesseln des Continuo löste, Tartini, der aber erst 1692 ge­ boren wurde. Basso continuo haben bei Fischer nur die Solo­ suiten für Flöte oder Violine, darunter das Eins-Drey, wo ein Geiger zwei verschieden gestimmte Violinen und eine Bratsche nacheinander mit schnellem Auswechseln zu spielen hat. Dabei notiert Fischer die Bratsche bereits, wie heute allgemein üblich, im Altschlüssel. Die Werke ohne Continuo zeigen schon eine weitgehende Selbständigkeit der Stimmen und bevorzugen reiz­ volle Imitationen, an denen sich auch der Baß beteiligt. Außer den hier angeführten Suiten sind von Fischer noch folgende Werke bekannt: Musikalische Maienlust, 50 französische Airs für 2 Violinen und Generalbaß 1681; die himmlische Seelen­ lust, deutsche Arien und Madrigale für eine Singstimme und In­ strumente 1686, Musikalische Fürstenlust 1706 und 1708, das klagende Schwedenreich 1697 und die Feld- und Heldenmusik (auf die Schlacht bei Höchstädt 1704). Moser, Gesch. d. dtsch. Mus,, Bd. II, 1 S. 172 nennt noch die Tragikomödie „Joseph“ 1685 für Nürnberg.

169 So stark formal, aber auch melodisch und rhythmisch Fischei von Lully beeinflußt ist, so bewahrt er doch auf der anderen Seite auch seine Selbständigkeit, die sich in der gegenüber Lully strengeren Periodisierung der Tän^e ausspricht, ferner in der überlegeneren Harmonik, in der natürlich und leicht fließenden Melodielinie und in der reicher differenzierten Rhythmik. Alles in allem erweist sich Fischer in der kleineren Form als ein Meister, der für die Entwicklung der deutschen Suite hervorragende Be­ deutung erlangte. Welche Wichtigkeit der Suite für die Aus­ bildung der modernen Sonatenform zukommt, haben bereits Riemann und nach ihm viele Musikhistoriker nachdrücklichst betont und erwiesen. So dürfen wir auch in dem Augsburger Johann Fischer einen jener unzähligen Meister erkennen, die an ihrem Teile zu den Grundlagen der modernen Musikformen beigetragen haben. Dr. Max Herre.

Schott Friedrich. Der Augsburger Kupferstecher und Kunstverleger Martin Engelbrecht und seine Nach­ folger. Ein Beitrag zur Geschichte des Augsburger Kunstund Buchhandels von 1719 bis 1896. Mit 4 Abbildungen. Augsburg 1924. J. A. Schlossersche Buch- und Kunsthand­ lung (F. Schott), gr. 8°. 167 S. Neben Nürnberg war im 18. Jahrhundert Augsburg-Vor­ ort des Kunstblatthandels in Deutschland, ja in ganz Mitteleuropa. Hier in der alten Reichsstadt war die Hauptpflegestätte des Handels mit kunst- und zeitgeschichtlichen Blättern aller Art. Tages- und sonstige geschichtliche Ereignisse betreffende Flug­ blätter, Porträts usw. wurden hier in Menge auf Spekulation hergestellt. Noch heutzutage dokumentiert die Graphische Samm­ lung in der Stadtbibliothek die große Bedeutung, die einst die Graphik in Augsburg einnahm. Es ist bezeichnend, daß über die Kupferstecher Augsburgs im 18. Jahrhundert nur ganz wenige und zum Teil unzureichende Arbeiten erschienen sind. F. Schott hat sich der verdienst- und zugleich reizvollen Auf­ gabe unterzogen in dies Dunkel Licht zu bringen. Überraschende Aufschlüsse ergeben sich aus seinem Werke, Aufschlüsse, die zu weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete auffordem.

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Die ersten zwei Kapitel geben uns ein historisch-treues, quellenmäßig belegtes Bild von der Geschichte der Firma. Martin Engelbrecht tritt uns von 1711 an als Teilhaber seines Bruders Christian entgegen. 1719 begegnet er uns als selbständiger Kunst­ verleger, der sich bald am Kappeneck (G 90) ein eigenes Heim schafft. Das Geschäft vergrößert sich rasch, zumal ihm 1735 der Verlag seines Bruders durch Erbschaft zufällt. Bei seinem Tode (1756) hinterließ er ein ansehnliches Erbe. Seine Schwiegersöhne Ph. A. Kilian, Christ. Friedr. Hörmann und Chr. Wilhelm be­ trieben vermutlich den Verlag gemeinsam weiter, bis 1758 Christian Wilhelm als Alleininhaber erscheint. 1787 kam die Firma an dessen Sohn Paul Martin und 1820 an dessen Sohn Christian, der 1826 wegen finanzieller Schwierigkeiten freiwillig aus dem Leben schied. Im zweiten Kapitel wird uns erzählt, wie Buchhandlung und Verlag, die inzwischen mehrfach die Geschäftsräume wechseln, aus den Händen der alten Verlegerfamilie an J. A. Schlosser übergeht. In wechselvollen Bildern zieht ein reizvoller und merk­ würdiger Ausschnitt aus dem Buchhändlerleben des 19. Jahr­ hunderts an uns vorbei. Den wertvollsten Teil bietet das dritte Kapitel im OeuvreKatalog, wo das Kunstschaffen M. Engelbrechts vorgeführt wird. Eine Unmenge persönlicher Arbeit blickt dem Kundigen aus diesen Zeilen entgegen und hat zu einem glücklichen Ergeb­ nis geführt. Über dreißig öffentliche und private Sammlungen hat der Verfasser ausgebeutet. Die stattliche Zahl von über 5000 Blättern gibt uns einen interessanten Einblick in die Tätigkeit eines graphischen Verlages des 18. Jahrhunderts. Nicht nur die eigenen künstlerischen Erzeugnisse Martin Engelbrechts, sondern auch die Werkstattarbeiten und die bei ihm verlegten Kunst­ blätter erscheinen hier in großer Vollständigkeit und sind in 12 Abteilungen systematisch geordnet. Unter Angabe der Fundorte sind sie in vorbildlicher Weise beschrieben. Darauf folgt der Buch­ verlag, der natürlich nach der ganzen Einstellung der Firma nur einen kleinen Raum einnimmt. Leider wird die Benutzung des aufschlußreichen Buches erschwert durch das Fehlen eines aus­ führlichen Registers. Auch vermissen wir das Einfügen der Dar­ stellung in den großen kunsthistorischen Rahmen der damaligen Zeit. Diese geringen Fehler sollen jedoch die Bedeutung des

171 Werkes nicht herabsetzen. Eine sprachlich formvollendete Dar­ stellungsweise und eine auch im äußeren geschmackvolle Ausstat­ tung runden das ansprechende Werk noch vollends ab. So bildet die überaus fleißige Arbeit von der Hand eines Nichtfachmannes ein entzückendes Bild und einen wertvollen Beitrag zur Augsburger Kunstgeschichte. Führende Kunstzeit­ schriften — so der Cicerone 1924, Nr. 19 u. a. — haben mit Worten der Anerkennung auch nicht gespart. Dr. Gebele.

Ulm - Oberschwaben. Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben.

Heft 24. Ein Überblick über den wesentlichen Inhalt des Heftes nebst kurzer Würdigung

von Dr. Hans Wiedenmann-Augsburg.

A) Pro£ Goessler Peter, Stuttgart, Aus der ältesten Geschichte des Ulmer Bodens. Der württembergische Landeskonservator gibt in einer Ab­ handlung von 22 Druckseiten aus dem reichen Schatze seines Wissens einen höchst wertvollen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung zur Frühgeschichte der Stadt Ulm. Man­ nigfache Irrtümer, zum Teil einem zu stark gesteigerten Lokal­ patriotismus entsprungen, »dem Ulm von frühester Zeit an der Nabel der Welt ist8, erfahren die notwendige Korrektur und Forschungsergebnisse von bleibendem Werte werden in schärferer Beleuchtung in den Vordergrund gerückt. Der Verdienste,, die sich in den letzten Jahren in Behandlung ältest- und frühgeschicht­ licher Fragen der Ulmer Stadtgeschichte die Herren Kölle und Ernst erwarben, wird dabei in Worten der Anerkennung gedacht. Schade ist es nur, daß die in der ersten Anmerkung benannte, vom Verfasser für den demnächst erscheinenden Ulmer Stadt­ museumskatalog in Aussicht gestellte archäologische Karte mit Angabe der Fundstellen und des altgeschichtlichen Wegenetzes dem vorliegenden Aufsatze nicht beigegeben und so den Lesern, die mit der Örtlichkeit nicht näher vertraut sind, manches zu verstehen etwas erschwert ist, das die bildliche Anschauung spielend vermittelt hätte. Der Verfasser kommt bei seinen Unter­ suchungen, auf die an dieser Stelle im einzelnen nicht näher eingegangen werden soll, zu nachstehenden wichtigen Ergebnissen: Prof. Goeßler, der den Namen Ulm schon in keltischer Zeit als gegeben annimmt, wurde bei seinen Studien zu der der Römerzeit unmittelbar folgenden alamannischen Kultur des 4. und 5. Jahrhunderts von selbst nach Ulm geführt, wo man die

173 alamannische Kultur in ihrer ganzen Entwicklung mehrere Jahr­ hunderte vor sich hat. In Ablehnung der landläufigen Anschau­ ung, daß der über Donau und Blau sich erhebende Hügelrücken von jeher dem Platze eine „weitreichende Macht und Bedeutung gegeben“ habe, gelangt er unter dem Hinweis darauf, daß Ulm als Siedelungsplatz von Norden her entdeckt wurde, zu der Feststellung, daß der Ulmer Boden bereits im zweiten Jahrtausend v. Chr. von Herdenbesitzern, die die zunehmende Vertrocknung der Albhochflächen in die Talwiesen der Flußtäler trieb, besie­ delt, aber auch von den Händlern der Broncezeit betreten wurde und daß damals schon ein Verkehr über die Donau statt­ fand, für den als wichtigster Fernweg der ältesten Zeit der Be­ siedelung Ulms das sog. Hochsträß, die Donau-Nordstraße, an­ genommen wird, deren Verlauf der Verfasser gleichfalls nach­ gewiesen hat. Diese Zeit einer lebendigeren Besiedelung des Ulmer Bodens, die in die ältere und mittlere Periode der Bronce­ zeit datiert wird, umfaßt nach G. etwa die Jahre 1800—1200 v. Chr. Für die auf die Bronzezeit folgende erste Eisenzeit, die sog. Hallstattzeit, die das aus den Ostalpen kommende Eisen als neues Metall zur Bronce hinzubrachte, die aber für Ulm zu­ folge eines nach dem Jahre 1000 erfolgten Klimasturzes in der Form des plötzlichen Eintretens eines Feuchtklimas ein Siedelungsvacuum darstellt, wird unter Hinweis auf die Hallstatt-Grab­ hügel bei Söflingen und Böfingen eine energisch gegen das Ulmer Becken vorschreitende Besiedlung vermerkt, die jedoch vor seinen Toren Halt machte. Über die anschließende keltische Zeit, die nur dürftige Spuren überliefert und in den in der Umgebung von Ulm mehrfach festgestellten keltischen Vierecksschanzen bereits in Nachahmung römischer Befestigungsweise angelegte spätkeltische Schanz werke im Geviert von etwa 100 m mit Wall, Graben und einem Tore auf weist, hinweg wird dann des näheren die Frage des römischen Ulm erörtert. Dabei wird der in der neuen Oberamtsbeschreibung vertretene Standpunkt, daß Ulm mit den großen, aus Legionslagern entstandenen Städten am Rhein und an der Donau wie Straßburg, Mainz, Köln, Regensburg und Wien gleichzustellen wäre, mit Entschiedenheit abgelehnt und unter Würdigung der archäologischen Funde der Satz formuliert, daß in der immer klarer herausgearbeiteten Geschichte der röm­ ischen Besetzung unseres Landes für Ulm kein Platz ist, daß sich

174 also hier kein Kastell, vor allem nicht auf dem Weinhofe, be­ fand, womit sich auch die Frage einer einst auf diesem gestan­ denen Villa erledigt. Umsomehr aber gewinnt der Boden AltUlms für die alamannische Zeit an Bedeutung, die durch die Lage des Platzes an dem nach der endgültigen Überrennung des Limes Raeticus um 260 n. Chr. durch die Alamannen für die neue Grenze überaus wichtigen Iller-Donaugrenzeck bedingt ist Im Anschlüsse an die Festlegung dieser neuen Grenze, die vermutlich unter Diokletian geschah, in ihrem Verlaufe im Ried aber noch näherer Aufklärung bedarf, vollzog sich die Land­ nahme der Alamannen, die durch Brandgräberfunde, die in die Zeit um 300 n. Chr. zurückreichen, bestätigt wird. Doch ward ein Jahrhundert später auch dieser Grenzwall von den Alamannen durchbrochen, wobei wohl „der Donauübergang beim Spitalhof wieder neue Bedeutung gewann“. Die zugehörige Siedelung ver­ legt G. nicht auf den Boden der Altstadt, sondern an die son­ nigen Abhänge des Michelsberges. Als dann späterhin die Iller­ grenze an Bedeutung verlor und infolgedessen die Siedelungen in die Ulmer Bucht herab verlegt werden konnten, erhielt der Ulmer Hügelrücken „als Schwelle zwischen Alb und Oberschwaben wieder Bedeutung wie in der Broncezeit“. Das für das 13. Jahr­ hundert urkundenmäßig belegte Westerlingen, das Gebiet süd­ lich der steinernen Brücke, das Gelände der heutigen Glöckler­ straße, die den alten Hochstäßweg abschließt, hält der Verfasser mit Ernst im Gegensatz zu Kölle, der an eine fränkische Siede­ lung denkt, für eine alamannische Sippenniederlassung. Eine solche wird auch für das 5. Jahrhundert in der Nähe der unter­ sten Blau, für das benachbarte Söflingen, den Kuhberg und für Pfäfflingen angenommen. Letztere insbesondere wird als alaman­ nische Siedelung christlicher Zeit gedeutet, eine Frage, über die vielleicht noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Die alte „Pfarrkirche unserer Frowen über Veit“, deren Name auf Augsburger Einfluß hinweist, wird für eine Feld- oder Markungs­ kirche erklärt, die überhaupt in keinem Urdorfe lag, wie Kölle festsfeilte, sondern in ihrer isolierten Lage wie die Pfullinger Martinskirche die älteste Spur des Christentums in einer mög­ licherweise in das Jahr 600 n. Chr. zurückreichenden Missions­ kirche darstellt. Die von den Merovingern erstrebte und nach ihnen von den Karolingern durchgeführte Vernichtung des selbst-

175 ständigen alamannischen Volksherzogtums bedeutende auch das Ende der selbständigen Alamannensiedelung und brachte die den Bedürfnissen der Verkehrs- und Schutzlage entsprechende Anlage einer Karolingerpfalz auf dem heutigen Weinmarkt als Wohn- und Gerichtsstätte, zu deren Füßen der Stadelhof als Wirtschaftshof lag. Dieser burgartige Königshof mit Kirche, auf den der uralte Name Ulm übertragen wurde, bildete die Keim­ zelle zur Weiterentwicklung des Platzes zunächst zur eigentlichen Burgstadt, im 12. Jahrhundert zur Marktstadt und im 14. Jahr­ hundert zur aufblühenden Reichs- und Welthandelsstadt Ulm. Der Verfasser schließt seine bedeutsamen Ausführungen mit dem treffenden Hinweis darauf, daß man in diesen schwierigen Fragen nicht weiter komme mit „immer neuen, von hoher Warte bestimmter Theorien geschriebenen Stadtgeschichten8, sondern nur mit „ Kärnerarbeit solidester auf Bodenfunden, topograph­ ischen Studien und Urkunden sich aufbauenden Forschung8.

B) Traub Ludwig, Stuttgart, Zur Entstehungsgeschichte des Ortsnamens Ulm. Wortbildungen wie Ulmbach oder Ulmen, die ohne weiteres den Zusammenhang mit der Ulme an die Hand geben, scheiden, da dieses Wort erst im Mittelhochdeutschen als Lehnwort aus dem lateinischen ulmus erscheint, für die Definition des Namens Ulm von vornherein aus. Dieser kommt urkundlich zuerst im Jahre 854 als Hulma und 856 als Ulma vor, hat also mit dem einer späteren Sprachperiode zugehörenden Wort Ulme nichts zu tun, ebenso wenig mit dem nordgermanischen „holm8 oder der Alm. Unter Verweis auf die thrakische Flußbezeichnung Almös, die Flußnamen Ilm bei Ingolstadt, Ilme in Hannover und Alme bei Paderborn zerlegt der Verfasser das Wort in zwei Bestandteile, die indogerm. Wurzel ^ oder Li, die fließen, gießen bedeutet, und das indogerm. Suffix M, das zur Substanti­ vierung von Verbalstämmen dient und beispielsweise in Formen wie dem altindischen so-ma, dem griechischen dra-ma, dem la­ teinischen flu-men, dem thrakischen stry-mon oder dem deutschen stro-m in Erscheinung tritt. Sonach bedeutet Ulm wie die Fluß­ namen Almös, Almus, Alme, Ilm, Ilme, Lim, Limea oder Limia nichts anderes als Fluß oder Strom. Daran anschließend erfährt

176 die Ableitung des Ortsnamens Ulm aus dem Keltischen die nachstehende nähere Begründung: a) Das Altkeltische kannte auch ein Wort limos oder rich­ tiger limon-Flut. Die Mehrzahlform dieses Wortes limon wäre dann lima oder limia, Namensformen, wie sie in Italien und Spanien Vorkommen, die dann den Lautgesetzen folgend durch Metathesis sich in germanischem Munde aus Lima in Ulma ver­ änderten. Die Alamannen haben also den keltischen Namen bereits vorgefunden, der germanischen Sprechweise angepaßt und nach dem Flusse auch das an ihm liegende Gemeinwesen benannt. b) Das in der Nähe von Ulm liegende Weinstetten wird auf ein römisches Viana zurückgeführt, das von der Sprachwurzel vi-drehen abgeleitet soviel wie gewundener Flußlauf be­ deuten soll, eine Bezeichnung, die sich auch als Mitbennenung der keltischen Siedelung Vindobona-Wien findet, in Frankreich in Vienne wiederkehrt und in Portugal als Vianna do Castello, das an dem schon erwähnten Flusse Lima oder Limia liegt, er­ halten ist. So kommen also auch in der Ulmer Gegend der keltische Flußname Lima oder Ulma und das keltische Viana neben einander vor, auf den gemeinschaftlichen Ursprung weisend. Mit der Bemerkung, daß M. Buck, ein um die Erforschung der Geschichte Oberschwabens viel verdienter Historiker, bei seinen Versuchen, den Namen Ulm zu erklären, auch von der Lage Ulms an einem Flusse ausgegangen sei, ihm diese Arbeit aber erst nach Fertigstellung seines Aufsatzes zu Gesicht ge­ kommen sei, schließt der Autor seine interessanten Ausführungen, die seiner Ansicht nach immerhin einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit beanspruchen dürften. Mögen seine beach­ tenswerten Anregungen dazu dienen, der keltischen Siedelungs­ geschichte unserer Heimat weitere Bereicherungen zu brin gen.

O) Dr. Kölle A., Ulm, Die ältere Baugeschichte Ulms. Ueber das Entstehen und Werden des Ulmer Stadtbildes bestand bisher nicht die wünschenswerte Klarheit. Von der richtigen Erkenntnis ausgehend, daß die Geschichte einer Stadt erst dann voll gewürdigt werden kann, wenn ihre Siedelungs-

177 und Baugeschichte in annähernd deutlichen Umrissen heraus­ gearbeitet ist, nimmt der Verfasser seine schwierigen Unter­ suchungen auf. Auf dem Hügelrücken, der heute die Stadt Ulm trägt, tritt als die von Natur am stärksten betonte Oertlichkeit der über Blau und Donau aufsteigende Weinhofhügel heraus. Auf ihm breitet sich noch heute der Weinhof, ein großer, freier Platz, ehedem auch nur kurz Hof genannt. Die Siedelung, die dieser Hof einschloß, muß nach Ansicht Dr. Kölles der Königshof, beziehungsweise die Pfalz gewesen sein, die sich nach Osten bis zur Postgasse, Kronen- und Sattlergasse hinzog und im Norden noch den Strölinhof umfing. Dabei nimmt man die Lage des Königshauses in unmittelbarer Nähe der Pfalzkapelle an, der heutigen Stadtbibliothek, der schönsten Stelle des Hofes über der Blaumündung. Später stand die Pfalz vermutlich am nördlichen Ende des Hofes im Strölinhof, soweit man bis jetzt sehen kann. Dieser Hof machte nach der Ueberlieferung Fabris, eines Chronisten aus der Zeit des Humanismus, einst den Ein­ druck einer Stadtburg und war möglicherweise eine als Pfalz benützte staufische Burg. Die Frage, ob die Siedelung auf dem Weinhof in der älteren Zeit befestigt war, wird unter Hinweis darauf, daß für das Jahr 955, da Ulm als Sammelplatz eines Heeres gegen die Ungarn diente, eine curia, ein Hof genannt wird und das für das Jahr 1027 erwähnte oppidum Ulm wohl nur die Ortschaft Ulm im ganzen bezeichnen will, verneint. Von der Zeit an aber, da die Staufer das Herzogtum Schwaben erhielten, also dem Jahre 1097 an wird eine Befestigung der Pfalz und ihre Umwandlung in eine Großburg angenommen, die bereits 1134 von Herzog Heinrich von Bayern eingenommen und zer­ stört wurde. Die dabei erwähnten mehreren Kastelle mögen vielleicht befestigte Innenwerke der ganzen Pfalzhofburg gewesen sein. Unter ihr lag der dazu gehörige Wirtschaftshof, der Stadel­ hof, zu dem noch der über der Donau gelegene Schwaighof hinzukam. Kölle nimmt an, daß die Weinhofsiedelung, deren Alter und Bestimmung die Kruogtal- und Heiligkreuz-Hubertussage andeuten, einem unter Pippin oder Karlmann angelegten fränkischen Königshof ihre Entstehung verdankt, der erst später zur Pfalz wird, mit der zeitlich auch der Stadel- und Schwaig­ hof zusammenzunehmen sein werden. 12

178 Nun erhebt sich die wichtige Frage, wie hat sich von da aus die Stadt weiter entwickelt? Während Mauch den Königshof und die Pfalz in Uebereinstimmung mit der vorhumanistichen Auffassung als Ausgangs­ punkt für die Entstehung und Fortbildung der Stadt annimmt9 halten andere dafür, daß neben dem Weinhof der Grüne Hof, der Pfleghof des Klosters Reichenau, einen zweiten stadtbildenden Faktor darstellte. Kölle schließt sich in diesem Widerstreit der Meinungen der Ansicht des bekannten Ulmer Historikers Nübling an, die dahin geht, daß sich Ulm aus drei Teilen herausgebildet habe, dem Weinhof des deutschen Königs, dem Grünen Hofe des Abtes von Reichenau und einer dazwischen liegenden, von beiden beeinflußten Marktgemeinde. Der Grüne Hof, des von Owe Hof, der Herren auf der Reichenau Hof, später auch St. Niklashof genannt, umschloß eine Nikolauskapelle, verschiedene Wohngebäude, Steinhaus, Sommerhaus, Torhaus und einige Städel. Die Zeit seiner Entstehung ist ungewiß; die der Kapelle wird vielleicht in die Zeit von etwa 1150—1250 zu legen sein. Ueber das alte, 1027 erwähnte oppidum Ulm berichtet der schon genannte Humanist und Predigerbruder Fabri, daß es wie die alten Städte im Ring, außerhalb dessen sich „alles Geräuschvolle“, also das geschäftliche Leben, ab wickelte, gebaut und von starken Mauern umgeben war, daß es zwei Tore hatte? klein und still und von Edlen bewohnt, aber groß war durch seine Vorstädte, die erfüllt waren von Lärm der Handwerke und des Verkehrs. Der so beschriebene Stadtkern stimmt mit der von der neueren Wissenschaft aufgestellten Grundform einer Burgstadt, der Vorläuferin der Marktstadt, genau überein, die auch den Markt und die Häuser der Handwerker und Kaufleute in sich schließt. Im Jahre 1134 ging diese alte Burgstadt zu­ grunde und an ihre Stelle trat die Marktstadt der eben bezeichneten Art, die dank der Förderung durch Konrad III., den ersten Stauferkönig, einen gegenüber der bisherigen Burgstadt wesent­ lich vergrößerten Umfang erhielt. Fabri gibt ihr aber fälschlich die Ausmaße, die sie erst durch die große Stadterweiterung des 14. Jahrhunderts erhielt. Die so etwa gegen das Jahr 1140 voll­ zogene Neuanlage der Stadt hatte einen Zustrom von Fremden aus anderen Städten und vom flachen Lande herbeigeführt, der dem neuen Gemeinwesen auch frisches Blut und neue An-

179 regungen brachte. Wir verdanken der wissenschaftlichen Art Fabris sogar eine nähere Beschreibung ihres Umfanges, den der Ver­ fasser auf Seite 45 seiner Abhandlung in dankenswerter Weise durch eine Skizze erläutert, auf die hiemit der Einfachheit halber verwiesen sei. Ihre Befestigung bestand in Wall und Graben mit Holzplanken und Geflecht und wurde von ihren Innwohnern der allgemeinen Uebung entsprechend in unentgeltlicher Gesamt­ dienstleistung hergestellt. Aus Mauern, die bezahlte Werkleute besorgten, waren lediglich einzelne Teile dieser Wehranlage gebaut, so vor allem an der West- und Südseite des Weinhofs, wo es sich vermutlich um Wiederinstandsetzung der alten Burg­ wehr handelte. Auf der Donauseite verlief die Stadtgrenze der Buckelquadermauer am Weinhof entlang etwa bis zum späteren Metzger- und Diebsturm. Die Frage nach der ursprünglichen Gestalt des Marktplatzes wird dahin beantwortet, daß dieser zu­ erst sehr klein war und ein schmales, längliches Rechteck bildete, das beim heutigen Museum an der alten Durchgangsstraße lag und sich bis zur Kronen-Schelergasse erstreckte, und erst Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert mit dem Anwachsen des Ulmer Handels vergrößert wurde. Vorher hatte man sich mit Sondermärkten beholfen. Sieht man von späteren Aenderungen ab, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die alte Marktstadt nach einer bestimmten Regel angelegt wurde. Man nahm die uralte Ost-Weststraße zur Längsachse, um die man ein System von Senk- und Wagrechten in einem rechteckigen Gesamthäuser­ block gruppierte, der nur eine Vervielfältigung des rechteckigen Hausgrundrisses darstellte. Der Markt war dabei so gelegt, daß er vom alten Pfalzhof rasch und leicht zu erreichen war. Daraus erhellt, daß die Burg für die Anlage der alten Marktstadt den Ausgangspunkt bildete. Eine Annahme gleicher Art auch für den Reichenauer Hof, der dafür zu klein und unbedeutend war, wird abgelehnt. Außer der genannten Ost-Westlinie aber lief durch die Stadt noch ein von Norden kommender Verkehrsweg in der von der Frauensteige führenden Frauenstraße, die nicht direkt auf die Stadt zugeht, sondern in einem nach Süden aus­ holenden Bogen den Markt zum Ziele nimmt, der ja der Mittel­ punkt der neuen Stadt ist und Kaufleute, Handwerker und Bauern zu regem Warenaustausche zusammenbringt. Da aber dieser Altstadtkern keinen Zugang zur Donau aufweist, so zieht 12*

180 der Autor daraus den wichtigen Schluß, daß die Donau in der Mitte des 12. Jahrhunderts als Verkehrsweg nur eine geringe Bedeutung hatte. Entsprechend der Straßenanlage schützten die Stadt drei Tore, ein Westtor, Löwen-, auch Brüder- oder Frauen­ tor genannt, ein Ost- und Nordtor, deren eines die Bezeichnung des Stockertores trug. Die neue Stadt erhielt auch eine eigene Marktkapelle, die Bischof Bertold von Konstanz um 1180 dem St. Jakobus weihte. Die Einfriedigung der Stadt mit „hölzernen Mauern“ währte aber nicht lange; denn Friedrich II. (1212—1250) ließ schon in den ersten Jahren seiner Regierung in weiser Voraussicht eine Neubefestigung der Stadt in die Wege leiten, die bereits ein Jahrzehnt später der Ulmer Bürgerschaft eine erfolgreiche Ab­ wehr der Angriffe des Thüringer Landgrafen Heinrich Raspe ermöglichte. In dieser Zeit scheint auch die erstmals 1349 als Herdbruck erwähnte Brücke an der heutigen Kommandantur erbaut worden zu sein, die schon 1309 als Floßländeplatz genannt wird. Der neue Mauerbau, der aus Backsteinen erstellt wurde, hatte jedoch keine Erweiterung der von Fabri beschriebenen Altstadt zur Folge. Später kam noch die Anlage von Türmen hinzu wie des früher auch als Hoher- oder Predigerturm bezeichneten Diebsturmes, der dem zu Beginn des 14. Jahrhunderts erbauten Metzgerturme glich. Letzterer war jedoch ursprünglich ein Tor, das allerdings nur vorübergehend als solches bestand. Das 13. Jahrhundert brachte dann in bemerkenswertem Maße den Zuzug geistlicher Orden und die Gründung von Pfleghöfen auswärtiger Klöster, so der Deutschherrn, Elisabethschwestern, Dominikaner, Barfüßer und der Schwestern von Beuren und der Pfleghöfe des Cisterzienserklosters von Salmannsweil wie der Klöster zu Bebenhausen und Kaisersheim. Das einst kleine und unbekannte Ulm, wie es genannt wird, vollzog auf dem Wege der Ausbildung der städtischen Selbst­ verwaltung mit der Pflege seines Hospitales eine erste Willens­ kundgebung des eben erwachenden bürgerlichen Eigenlebens, das mit der Einführung der Zunftverfassung und der Erhebung der Stadt zur Reichsstadt im Jahre 1346 die Plattform gewann, von der aus sie ihren großen, im Laufe des 14. Jahrhunderts einsetzenden ruhmreichen Aufstieg der Folgezeit nahm. Unter den fünf Großtaten, die Ulm dann in kurzer Zeit vollbrachte,

181 nennt Fabri zuerst seine Befestigung mit Mauern und Gräben, mit der eine große Stadterweiterung, die er aber nicht aufführt naturnotwendig verbunden war. Wahrscheinlich gab der Über­ fall der Bayern im Jahre 1316 den unmittelbaren Anstoß dazu. Sie wurde unter dem Drucke der Not mit großer Eile durch­ geführt und Geschlechter und Bürger, Männer und Frauen be­ teiligten sich an dem Werke. Des näheren kann an dieser Stelle darauf nicht eingegangen werden. Es sei aber doch darauf auf­ merksam gemacht, daß zunächst die heutige Altstadt in altüber­ kommener Art mit einer Befestigung umgeben wurde, die in einer durch Tore und Türme verstärkten einfachen Mauer und davor liegendem nassen Graben bestand und die ältere Mauer an der Donauseite übernahm und in der Seite 55 vermerkten Richtung verlief. Gegen das Jahr 1336 zu scheint sich die neue Befestigung in verteidigungsfähigem Zustande befunden zu haben. Von den drei Toren der Landseite wurde mindestens das Stockertor abgebrochen — das westliche Barfüßertor ereilte das gleiche Schicksal erst 1538 — und das Glöcklertor 1344, das Frauentor 1357 und noch später der Laß oder Einlaß an der Mauer in der Fischergasse gebaut. Schon bald nach Fertigstellung der ersten Mauerlinie 'scheint hinter dieser in einem Abstand von 5—61/2 m eine noch höhere und stärkere Mauer gezogen worden zu sein, so daß zwischen der inneren oder Hauptmauer ein für Verteidigungszwecke wertvoller Zwinger gewonnen wurde. In diesem zweiten Bauabschnitt entstand vielleicht das Neue Tor oder Judentor, das schließlich auch in den dritten Bauabschnitt, der die Zeit von 1346—1391 umfaßt, datiert werden könnte. Bei der Überbauung des neuen Stadtgebietes bildete wiederum der Markt, auf den die Toreingänge den Fremden unmittelbar hinleiteten, den Brennpunkt der ganzen Anlage, deren Straßen­ netz sich an die alten zum Markte führenden Straßen anschloß, zugleich aber auch den Notwendigkeiten kriegerischer Gescheh­ nisse insoferne Rechnung trug als die Stadttore durch Gassen, die möglichst rasch auf sie zugingen, leicht erreicht werden konnten und auch am ganzen Mauerring entlang Gassen ange­ legt wurden. So kam man zu einer anderen Art der rechteckigen Straßen- und Häuseranlage als bei der Stadtgründung, zu einem System, bei dem sich Lang- und Quergassen mehrfach über­ schneiden. Die Überbauung des neuen Stadtgebietes zog sich

182 bis etwa 1400 hin und geschah seitens der Grundeigentümer in den damals üblichen Rechtsformen der einfachen Zinsleihe oder des rechten Lehens, wobei zu dem Zins, der an den Grund­ eigentümer als Erst- oder Erzzins zu bezahlen war, noch ein nach den Baukosten bemessener After- oder Nachzins an den Bauherrn zu geben war. Originell mag die von Fabri beschriebene Lange Gasse, die einst die Bezeichnung „am alten Graben“ trug und von ihm mit der heutigen Hafengasse gleichgestellt wird, ausgesehen haben, als nach 1335 noch einige Jahrzehnte lang der hier zu beiden Seiten mit Häusern bebaute Graben, der Erinnerungen an das Augsburger Thäle weckt, mit hölzernen Stegen überbrückt war, die den Verkehr der redeseligen Ulmerinnen vermittelten. Eine Übersicht über die damals neu entstandenen Straße bringt der Verfasser auf Seite 61 seiner Abhandlung. Für den Leser ist daraus von besonderem Interesse, daß in dieser Zeit auch die Blauinsel besiedelt und vor der An­ schlußmauer an der Donau eine kleine Fischervorstadt, wie sie ja auch Augsburg hatte, neu angelegt wurde. Mit der Grund­ steinlegung zum Ulmer Münster im Jahre 1377 schloß sich dann baulich die Stadt immer mehr zu einer geschlossenen Einheit zusammen. In dem Steuerbuch des Jahres 1427 erscheint bereits das heutige Straßennetz der Stadt in aller Vollständigkeit. In der Zeit der Stadterweiterung veranlaßte der Rat auch den Bau mehrerer öffentlicher Gebäude wie des Kornhauses, der Metzig, des Gewandhauses, des Salzstadels und eines Bad- und Bräu­ hauses. Das Gewandhaus ist nach Ansicht Dr. Kölles gleich­ bedeutend mit dem bald darauf erwähnten Kaufhaus, das ver­ mutlich an der Stelle des Nordbaues des heutigen Rathauses stand. Um das Jahr 1370 trat hierzu noch das neue Kaufhaus, der Haupt- oder Ostbau des heutigen Rathauses, das in seinen beiden großen Hallen im unteren und oberen Stockwerk in der älteren Zeit ganz für die Zwecke des Handels- und Marktver­ kehrs in Anspruch genommen war und erst später als Rathaus Verwendung fand. Bis dahin hatte der Rat wie das Stadtgericht im Freien, auf dem Markte oder in geeigneten größeren Räumen getagt. Für das Gericht werden als Sitzungsorte benannt 1357 das Gewandhaus, der Markt vor einem Bürgerhaus, Heinrichs des Besserers Stube, die Herdbruck, die Stube bei den Pre­ digern, dazwischen wieder das Kaufhaus, in dem es später sein

183 Gerichtshaus erhält, und zuletzt die größere Ratsstube des zum Rat­ hause umgetauften Kaufhauses, in dem der Rat schließlich zwei Ratsstuben zu Zweken seiner Tagungen einrichtete. Der Stadt­ verwaltung machten es die Zünfte in prunkvollen Zunfthäusern und Zunftstuben, unter denen das Kürschnerszunfthaus bis jetzt als das älteste gilt, und die Geschlechter in ihrer Geschlechterstube nach, die zuerst auf dem Grünen Hofe stand. Weitere Pfleghöfe auswärtiger Klöster, Seelhäuser und vornehme Bürgerhäuser vervoll­ ständigen das eindrucksvolle reiche Bild dieser Zeit. Überblickt man die ganze Entwicklung der Stadt noch ein­ mal in knapper Zusammenfassung des wesentlichen, so erkennt man für den Anfang neben einander die Siedelung auf dem Weinhof, die dem König untersteht, und die Siedelung des Klosters Reichenau in Pfefflingen. Die Macht des Königtums erweist sich in der Weiterentwicklung dieser und der Stadt als die stärkere und einflußreichere Macht und die alte Volkssage und die vorhumanistische Anschauung behalten recht, wenn sie zum Ausdruck bringen, daß der Weinhof und seine Siedelung bis in die Zeiten der Stadt hinein den Mittelpunkt der Ulmer Geschichte darstellt und für das sich dann später entwickelnde selbständige bürgerliche Gemeinwesen den wichtigsten Ausgangs­ punkt bildet, daß Ulm eine junge, aus deutscher Wurzel entsprungene Stadt ist. Die neuheraufkommende bürgerliche Macht gewinnt über die des Königs und des Abtes von Reichenau die Oberhand und löst in dem großen Stadterweiterungswerke die ihm gestellte Aufgabe der Zusammenfassung aller bürgerlichen Kräfte zu einer geschlossenen Einheit in vorbildlicher Weise. Das malerische Ulmer Kauf- und Rathaus und das in erhabener Größe empor­ strebende Münster sind die Wahrzeichen der ungebrochenen Lebenskraft des jugendfrischen neuen städtischen Gemeinwesens. Der Bau der neuen Metzig, des Büchsenstadels, Kornhauses, Zeughauses, Steuerhauses, Marstalles und die Anlage der Brun­ nenwerke schließen sich im Laufe des 15. Jahrhunderts an und nach der Reformation folgen das Kornhaus, der Neue Bau, das Schwörhaus und die Dreifaltigkeitskirche. Die Befestigungsanlagen erfahren im Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts weitere er­ hebliche Verstärkungen und gelangen in der Neubefestigung des 17. Jahrhunderts zu einem einheitlichen, großzügigen Abschluß. Die Stadt selbst aber, die nach dem ungünstigen Ausgang des

184 Städtekrieges in der Mitte des 14. Jahrhunderts gleich anderen Städten ihre politische Macht verloren hatte, behauptete, wie es ihre stolzen öffentlichen Repräsentationsgebäude, allen voran das un­ vergleichliche Münster und die imposanten Wohn- und Geschäfts­ häuser ihrer Geschlechter und Großkaufleute noch heute bezeugen, ihre machtvolle Stellung in Handel und Gewerbe bis in die Zeit des beginnenden 30 jährigen Krieges hinein, da sie etwa 12 bis 14000 Einwohner zählte. Soweit die sorgfältige, auf solider wissenschaftlicher Grund­ lage aufgebaute Abhandlung Dr. Kölles, die eine sehr verdienst­ volle Bereicherung der neueren Literatur zur älteren Baugeschichte der Stadt Ulm darstellt.

D) Dr. Wagner, Ulm, Zur Baugeschichte des Neuen Baus in Ulm* Gelegentlich der Wiederinstandsetzungsarbeiten am Neuen Bau, dem altehrwürdigen Gebäude, das im Februar 1924 ein Raub der Flammen wurde, unternahm Baurat Dr. Wagner auf dem ganzen Baugelände Grabungen, die ein seinem Auf­ sätze beigegebener Plan deutlich veranschaulicht und die zu dem wichtigen Ergebnis führten, daß trotz eifrigsten und sorg­ fältigsten Suchens keinerlei Spuren eines ehedem an Stelle des Neuen Baues gestandenen romanischen oder noch früheren Gebäudes aufgefunden werden konnten, daß die freigelegten Bodenfunde in Mauerwerk und Backsteinformat vielmehr dem 13. und beginnenden 14. Jahrhundert zuzuweisen sind und ent­ gegen den bisherigen Annahmen festzustellen ist, daß weder die alte königliche Pfalz der Karolingerzeit noch gar dereinst ein römisches Kastell auf dem Gelände des heutigen Neuen Baues gestanden haben kann. Die Grabungen führten weiterhin zu der wichtigen Feststellung, daß weder die zu Beginn des 12. Jahr­ hunderts von den Hohenstaufen angelegte sehr hohe und starke Stadtmauer noch die nach der Zerstörung der Stadt von Konrad III. nach 1140 wieder aufgebaute zweite Stadtmauer, noch auch die 6 m davor nach 1340 erstellte weitere Stadtmauer durch das Gelände des Neuen Baues liefen. Dieser selbst stammt aus der Zeit des Kampfes der Renaissance mit der Gotik zu Ende des 16. Jahrhunderts. Er scheint nach den ermittelten Meister-

185 Zeichen in den Jahren 1585—1593 fertiggestellt worden zu sein. Bau­ meister war Claus Bauhofer unter Mitarbeit der Meister Matth. Gaiser, Hans Adam und insbesondere des Steinmetzmeisters Peter Schmid und seiner Gesellen. Von Peter Schmid stammte insbesondere der berühmte Wandziehbrunnen, der 1593 im Hofe des Neuen Baues erstand und in einer in der Ulmer Stadtbibliothek aufbewahrten eigenhändigen Zeichnung Peter Schmids im ersten Entwurf er­ halten ist, den eine zweite Beilage bildlich wiedergibt. E) Greiner Hans, Prof, in Ulm, Aus der 600 jährigen Vergangenheit der Sammlung in Ulm, ein Beitrag zur Kirchen- und Kulturgeschichte der Stadt. Die bisher noch wenig aufgehellte Geschichte der kirch­ lichen Niederlassungen in Ulm erfährt durch die Arbeit Prof. Greiners über die sog. Sammlung, eine mit der Entwicklung des Franziskanerordens eng zusammenhängende Niederlassung der Sammlungsschwestern in Ulm, zunächst einmal nach dieser Rich­ tung hin eine nähere Klarlegung. Der zu Beginn des 13. Jahr­ hunderts ins Leben getretene, die Gebote der Armut und Näch­ stenliebe vor allem betonende Franziskanerorden, griff als neuer bedeutsamer Faktor in die Entwicklung der bis zum 13. Jahrhundert vom Leben der Klöster nur wenig beeinflußten Städte in nachhaltiger Weise ein. Die reformierende Neugestaltung seines Ordenslebens, die eine sehr rasche Verbreitung fand, brachte 1225 in Schwaben erste Niederlassungen in Lindau und Gmünd und von Gmünd ausgehend 1229 die Gründung des Ulmer Kon­ ventes. Die Klöster in Hall, Eßlingen und Reutlingen folgten. Be­ reits acht Jahre nach Gründung des Franziskanerklosters war in Ulm auch eine Niederlassung seines weiblichen Zweiges, der sog. Klarissinnen, der Frauen vom Orden der hl. Klara, ins Leben getreten, die schon bald ihr kleines Kloster auf dem Gries nach Söflingen verlegten. Eine Geschichte des Klarissinnenklosters steht noch aus. Neben beiden Zweigen bildete sich noch ein weiterer in einem Drittorden, den sog. Tertiariern, aus, die nach der dritten, in ihren Grundzügen von St. Franciscus selbst stammenden Regel wie auch in anderen Orden außerhalb eines Klosters in kloster­ ähnlicher Gemeinschaft lebten und so deren Vorteile hatten, ohne in den Orden eintreten zu müssen. Männer- und Frauenvereini-

186 gungen dieser Art bestehen in Deutschland seit dieser Zeit. Die Frauenvereinigungen bildeten die Mehrzahl und fanden sich fast in jeder deutschen Stadt und auf dem Lande. Eine Hauptgruppe darunter waren die nach dem Lütticher Priester le Begue be­ nannten Beginen, Gemeinschaften von Frauen, Mädchen und Witwen, die Arme und Kranke unterstützten, arme Mädchen unterrichteten und eine große Zahl von Mitgliedern hatten. Die Beginen — die Männergemeinschaften nannte man Begarden — führten auch die Bezeichnung der Seelschwestem, Seelfrauen oder Reuerinnen. Ihre Häuser hießen die Seelhäuser. Tertiarerinnen waren auch die Sammlungsschwestem in Ulm. Der Chronist Fabri berichtet, daß die Schwestern der dritten Regel des St, Franciscus um 1230*) mit den beiden anderen Zweigen des Ordens von Beuren nach Ulm gekommen waren und vom Rate an der Mauer des Franziskanermännerklosters am Graben der alten Königsstadt, der späteren Hafengasse, Bauplatz und Garten erhalten hatten. Der Name Beuren kann auf das nahe gelegene Blaubeuren oder auf Kaufbeuren gedeutet werden. Blaubeuren oder vielmehr das bei ihm gelegene Weiler, wo zur Zeit des St. Franciscus die Einsiedlerin Adelheid lebte, wird aber nicht als der Ort ihrer Herkunft angenommen, sondern Kauf­ beuren, wo die Schwestern im Maierhof auf der Stätte des ehe­ maligen Herrenbauhofes der Edlen von Peuren eine Niederlas­ sung hatten. Das Wort Sammlung wird als Konvent vor allem einer Frauenvereinigung gedeutet, deren meist lebenslänglich amtierende Oberin in Ulm Meisterin und deren Mitglieder Frauen, Schwestern oder Konventschwestern genannt wurden. Die neue Siedelung in Ulm scheint schon bald einen raschen Aufschwung genommen zu haben; denn Papst Martin IV. be­ stätigte bereits mit Urkunde vom 28. März 1284 der Sammlung, die ihr gehörigen terras, domos, grangias, reditus, personasetlocum in Schutz zu nehmen. Im Jahre 1313 gaben sich die Sammlungs­ schwestem unter ihrer Meisterin Agnes von Halle zur Besserung ihrer geistlichen und weltlichen Verhältnisse erstmals eine Ordnung, der in den Jahren 1344, 1415 und 1471 weitere folgten. In der Ord­ nung von 1313 war unter anderem bestimmt, daß eine Schwester, die sich mit einem Manne versündigt, sich eines Diebstahls *) Diese Jahreszahl steht im Widerspruch mit der vom Verfasser weiter oben gemachten Angabe, daß die Klarissinnen 8 Jahre nach den Franziskanern in Ulm ankamen.

187 schuldig macht oder ihrer Meisterin und den Franziskanern in Ulm ungehorsam ist, ausgestoßen wird und ihre Pfründe und alles Eingebrachte verliert. Eine wesentliche Bestimmung der Ordnung von 1344 war, daß die Zahl der Schwestern nach dem Willen der Bürger Ulms nicht mehr als 12 betragen und solche unter 15 Jahren im Konvente nicht stimmberechtigt sein sollten. Die Ordnung von 1415 sieht bei schweren Verfehlungen der Schwestern nicht Ausstoßung, sondern Buße und Kerker vor. Von großem Interesse sind die in dem Saalbuch von 1471 auf­ gezeichneten Gewohnheiten der Sammlungsfrauen bei Aufnahme und Begräbnis ihrer Mitglieder in kulturgeschichtlicher Hinsicht. So wird, um nur einzelnes zu streifen, berichtet, daß der neue Ankömmling ein Eintrittsgeld, Pfründegeld genannt, in Höhe von 80 Pf. Heller und 3 Pf. Heller Ewiggeld, das nach seinem Tode an den Konvent fällt, zu entrichten und Bettstatt nebst dazu gehörender Lade, Truhe und Paternoster mitzubringen hat, daß das Kind von Meisterin und Konventsfrauen unter Vor­ tragung einer Wandelkerze, an der ein goldener Ring hängt, in den Chor der Barfüßerkirche geführt wird und daran an­ schließend das Hochzeitsmahl stattfindet, zu dem die Verwand­ ten und der Lesemeister wie Guardian des Barfüßerklosters ge­ laden sind, und mit gleicher Feierlichkeit auch das Leichen­ begängnis einer Schwester begangen wird. An Geschenken vergaben die Sammlungsschwestern zu Weihnachten an den Bürgermeister, Sammmlungspfleger, Stadtschreiber und Amtmann je einen Lebzelten aus einem Maß Honig, ehrten sie die Lese­ meister und Guardian mit hausgebackenen Kräpflein und er­ freuten sie den Pfleger und die Handwerksleute zu Martini mit Fisch und Wein. Aus den angezogenen Ordnungen ergibt sich, daß die Schwestern des Mittelalters seit ihrer Übersiedelung nach Ulm den Franziskanern und ihrem Pfleger unterstellt waren, die ihrerseits wieder unter dem Rate der Stadt Ulm standen, der ihren Pfleger bestellte. So waren die Sammlungsfrauen in ein Schutzerhältnis zur Stadt gekommen. Sie steuerten und nahmen vor dem geschworenen Richter Recht wie andere Ulmer Bürger. Unvermögenden war der Zutritt zu der Pfründe allmählich nicht mehr oder nur selten möglich, da der einstige Charakter eines Bettelordens immer mehr in Vergessenheit geriet und zufolge der Beschränkung der Mitglieder auf die Zahl 12 mit der Zeit

188 nur mehr Vornehme, die das Pründegeld bezahlen konnten, auf­ genommen wurden. Die Sammlung wurde dadurch im Laufe der Jahrhunderte zu einer Versorgungsanstalt von Töchtern der reichen Stände, die schon mit 10 Lebensjahren die Mitgliedschaft er­ werben konnten. Die Pfleger des Barfüßerklosters wurden mit der Zeit immer mehr ausgeschaltet, so daß zuletzt der Rat die 1 —2 Sammlungspfleger stellte und damit die eigentliche Regierung über die Sammlung führte. Den Schwestern verblieb dabei das Recht der freien Wahl ihrer Meisterin. Ihre Tätigkeit bestand in älterer Zeit in freiwilliger Krankenpflege, weiblichen Hand­ arbeiten, der in Ulm so blühenden Hostienbäckerei und mit der Zunahme ihres Besitzes in der Mitarbeit in der Landwirtschaft. Im Jahre 1377, da der Grundstein zum Münster gelegt wurde, das sich auf dem höchsten Punkte der Stadt erheben sollte, ver­ ließen die Schwestern ihr bisheriges Heim neben den Franzis­ kanern, übersiedelten auf etwa ein Jahrzehnt zu den Beginen in die Eich, um dann in ihr neues Heim in der Weberstraße zu be­ ziehen, das sie nicht mehr veränderten und das seitdem den Namen Sammlung trägt. Sein früheres Aussehen veranschaulichen ein Ulm er Stadtplan aus der Zeit um 1600 und eine Gebäudeansicht aus dem 18. Jahrhundert, wovon Abbildungen beigegeben sind. Die Zeit von 1350—1450 bedeutete für die Ulmer Zweige des Ordens des hl. Franziscus eine Periode des Niederganges. Reich­ tum und Wohlleben waren die Ursache einer Lebensart, über die die Klagen nicht mehr aufhörten. Zucht und Ordnung wichen allenthalben, Noch schlimmer als mit den Barfüßermönchen stand es mit den Klarissinnen in Ulm Söflingen. Schon seit etwa 1350 hatte sich dagegen eine starke Bewegung erhoben. Die Obser­ vanten, eine mächtige Partei, forderte auf, zu den alten Idealen des Ordens, zu Armut und einfacher Lebensführung zurückzu­ kehren. Das Predigte auch der berühmte Joh. Capristanus, der 1452 oder 1454 auf dem Münsterplatze zur Buße mahnte, aber vom Rate, wie man sagt, dafür, daß er die Spitzen an den Schuhen und die langen Schwänze an den Röcken der Frauen rügte, in den Turm geworfen wurde. Aber er brachte auch keine Änderung der Dinge, die nach seinem Weggang noch ärger wurden. Bei den Reform versuchen, die nur langsam Wandel schufen, zeigten sich die Frauen viel widerspenstiger als die Mönche, über die ein Karthäusermönch sagte: „Verknüpfet einen

189 Sack Flöhe, so wohl ihr möget; dennoch entschlüpfen sie euch.“ Bischof Hugo von Landensberg von Konstanz ging mit Nach­ druck gegen diese Mißstände vor und setzte 1465 eine Visi­ tation des Ulm er Dominikanerklosters durch wie schon 1434 das Basler Konzil den Befehl erteilt hatte, das Klarisinnenkloster zu reformieren. Aber wie dieser, so scheiterte, auch ein zweiter Ver­ such an dem Widerstande der Frauen. Auch die Äbte von Elchingen und Wiblingen erhielten Aufträge zur Vornahme von Reformen, die auch vergebens waren, bis zuletzt auf Veranlas­ sung des Kaisers im Jahre 1484 eine Päpstliche Bulle erschien, vermöge deren die Äbte von Hirsau und Wiblingen die Reform im Franziskanerkloster durchsetzten, die widerspenstigen Mönche ausstießen, so daß das Kloster 1487 leer war, und auch die ge­ waltsame Reform der widerstrebenden Söflinger Klarisinnen Vor­ nahmen. Wenn auch in der Sammlung nicht alles in Ordnung war, so scheint doch bei ihr zu einer strengen Reform keine Veranlassung bestanden zu haben. Mit dem Übergang der Auf­ sichtsrechte vom Ordensprovinzial an den Bischof Otto von Kon­ stanz im Jahre 1487, die sich in feierlicher Sitzung vollzog und ein Jahr darauf durch päpstliche Bulle bestätigt wurde, verlor der Franziskanerorden allen weiteren Einfluß auf die Sammlung. Die Sammlungsfrauen fügten sich nur widerwillig der neuen Ordnung und schon 1489 setzte der Rat auf Unzucht neue Strafen. So mußte eine Konventsfrau, die sich in anderen Um­ ständen befand, so lange in der Sammlung bleiben bis das Kind geboren war, sich darauf außer Hauses verfügen, nach einer hernach erfolgenden Wiederaufnahme, deren Zeitpunkt von der Oberin abhing, ein halbes Jahr im Kerker liegen, sich alsdann drei Jahre zu unterst an den Tisch und ein Jahr lang dreimal in der Woche vor den Tisch auf die Erde setzen und durfte sie nur in Begleitung ausgehen. Welcher Unterton aber immer noch vorherrschte, zeigte sich bei Gelegenheit eines Wahlstreites in den Jahren 1497—1501. Als im August 1497 der Ulmer Pfarrherr Dr. Neithart gegen fünf Sammlungsschwestern den Bann aussprach, weil sie gegen seine Visitation Widerspruch erhoben und sich an den Bischof wenden wollten, unterliefen Ausdrücke seitens der Sammlungsschwestern wie: „Wir lassen uns keinen Butzen mehr vormachen. Es wird bald einer großer Butzen kommen und diese kleinen Butzen alle vertreiben.“

190 Über Besitz und Einkommen der Sammlung orientiert ein weiterer Abschnitt. Der Landbesitz in Ulm wurde in Eigenbau verwaltet, die Güter auf dem flachen Lande wie in Ersingen und Asselfingen waren meist gegen Zinse und Gülten an Beständer vergeben. Der Hauptnachdruck des ganzen landwirtschaftlichen Betriebes ruhte auf dem Getreidebau. Der Besitz der Sammlung war im Laufe der Zeit durch Stiftungen von Ulmer Familien, Almosen u. a. ein so ansehnlicher geworden, daß das Ulmer Drittordensinstitut zuletzt alle übrigen, die es im allgemeinen selten zu größerem Wohlstand brachten, an Vermögen überragte und sich zu einer förmlichen Grundherrschaft entwickelte. Diese umschloß allein in Asselfingen 14 Höfe und etwa 30 Sölden und einen Waldbesitz von etwa 60 Jauchert und in der Form des Streubesitzes in den Dörfern Emershofen, Öllingen, Einsingen, Donaurieden, Pfuhl, Scharenstetten, Jungingen, Wettingen, An­ hofen, Silheim, Göttingen und Elchingen zusammen 9 Höfe, 4 Sölden, 5 Lehen, 2 Hölzer und vor allem den umfangreichen Elchinger Forst. Eine Zusammenstellung der Meisterinnen und Konventsfrauen für die vorreformatorische Zeit bringt in einem folgenden Anhang viele Namen der bekannten alten Ulmer Geschlechter. Die Zeit der Reformation scheint auch in der Sammlung zwei Parteien gesehen zu haben. In einer Kommissionssitzung des Jahres 1536 wurde zum Ausdruck gebracht, daß der Rat von den Schwestern nicht die Befolgung der Regel des St. Franziscus verlange, aber wünsche, daß sie bei der Regel Christi blieben, daß sie ein reines Leben führten, den großen Schleier ablegen und ihr Haar nicht mehr beschneiden sollten, und er bereit sei, wenn sich eine Schwester verehelichen wolle, dazu behilflich zu sein. So war an Stelle der geistlichen Oberaufsicht die des Rates getreten und die Sammlung zu einem protestantischen Kloster geworden, das es in dieser seltenen Eigenart bis zum Ende der reichstädtischen Zeit blieb. Ergänzend folgt dann noch ein Überblick über die neue Ordnung des Rates vom Jahre 1584. Nach ihr wurde vor allem die Stellung der Meisterin befestigt, die die Schwestern als Frauen behandeln soll und nach altem Herkommen nur aus dem Patri­ ziat genommen werden darf; war den Schwestern das Ausgehen ohne Begleitung untersagt, waren Spiele und Tänze verboten wie

191 überhaupt in allem darauf Bedacht genommen, daß die Sammlung grundsätzlich ein gutes Beispiel gab. Gegen 1700 zu verlor das Amt der Meisterin an Bedeutung; sie hieß von dieser Zeit an Oberin, Vorsteherin oder bloß Konventsfrau. Die Beschlüsse in landwirtschaftlichen Fragen, die von jeher vom Pfleger behandelt wurden, mußten von jetzt an protokolliert werden. Die Aufnahme­ gebühr betrug 100 Gulden, die der Sammlung für immer ver­ blieben. Außerdem hatte die Neuaufzunehmende bei ihrem Ein­ tritt eine Aussteuer mitzubringen, wozu noch eine jährliche Rente von 10 Gulden treten sollte, Vorschriften, die bis zum Ende der reichstädtischen Zeit in Geltung waren. Überblickt man die im Laufe des 16., 17. und 18. Jahrhun­ derts erlassenen Vorschriften zur Regelung des klösterlichen Lebens, so zeigen sie, daß es auf dem Wege war zu verwelt­ lichen, wenngleich es im großen und ganzen in seinen äußeren Formen in Würde und Ansehen verlief. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts lebte in der Sammlung die als Klaviervirtuosin, Orgelspielerin und Dichterin bekannte Schwester Barbara Klunz. In den Zeiten des 30 jährigen Krieges hatte die Sammlung schwer zu leiden, so daß sie 1639 dem Ruin nahe war und die Schwestern bei einem Schuldenstande von 5000 Gulden vorschlugen, das Stift aufzuheben. Der Rat war jedoch dagegen, weil er die Güter nicht um einen Schleuderpreis weggeben wollte, und forderte auf, die öde stehenden Höfe und Sölden wieder zu verleihen, den Landbau ernstlich in Angriff zu nehmen, an Stelle des frü­ heren üppigeren Lebens zu einer einfacheren Lebensweise zurück­ zukehren und den in Abgang gekommenen Gottesdienst wieder zu beleben. Als gleichwohl die Frauen die Haushaltung auflösen und jede Konventualin mit einem Deputat von 200 Gulden auf Lebenszeit abfinden wollten, bestand der Rat darauf, daß die Sammlung bestehen bleibe, indem er zugleich helfend eingriff. Wie recht er hatte, zeigte die Jahresrechnung der Sammlung im Jahre 1704/05, die einen Überschuß von 701 Gulden 50 Kreuzer aufwies. Die Aktivkapitalien wurden im Jahre 1809 beim Übergang an Bayern auf 65654 Gulden, die Realitäten auf 20900 Gulden und die grundherrlichen und lehensrechtlichen Besitzrechte auf 153301 Gulden veranschlagt, wozu noch die vielen Reichnisse der Unter­ tanen kamen, die auf Seite 107 näher benannt sind. Ein Verzeichnis der Meisterinnen und Konventsfrauen für die Zeit nach der Refor-

192 mation bringt die interessante Tatsache, daß im Jahre 1665 die Mei­ sterin Eleonore Ehinger den ganzen Konvent darstellte und die lu­ stige Sauerzäpfin, die bald nachher wieder austrat, als Schwester aufgenommen wurde, weil sonst niemand eintreten wollte. Nach dem Übergang der Stadt Ulm an Bayern unterstand die Sammlung der Aufsicht des bayerischen Verwaltungsrates in Ulm, übte aber als eigenes Patrimonialgericht die Gerichts­ barkeit über die bisherigen Hintersaßen auch noch weiterhin aus. Mit der Begründung, daß nach der damals herrschenden Ansicht die Sammlung nur der Versorgung von Töchtern der reichen Ulmer Familien diene, wurde das Stift bei der am 1. Oktober 1807 er­ folgten Zentralisation der Stiftungen in diese nicht einbezogen. Die bayerische Staatsregierung verfügte darauf basierend unterm 1. April 1809 in Unkenntnis der geschichtlichen Grundlagen die Vereinigung des Vermögens der Sammlung mit dem der allge­ meinen Staatsanstalt des Damenstifts St. Anna in München. 1810 ging Ulm an Württemberg über. Da man den Fond der Samm­ lung aber nicht ganz nach München ziehen konnte, so mußte das Spital in Ulm die Gefälle und Güter um 200000 Gulden 4 °/o iger Staatsobligationen kaufen, so daß ihm nach Überlassung in Abzug zu bringender Aktivkapitalien der Sammlung in Höhe von 51161 Gulden deren Grundgefälle auf nur 148839 Gulden zu stehen kamen. Damit wurde das Spital Eigentümer der einst dem Sammlungsstift gehörenden Güter und Gefälle. Die noch zu berücksichtigenden sechs Fräulein erhielten ihre Präbende von München. Da die württembergische Regierung bei Organisation des Gemeinde- und Stiftungsvermögens der Stadt Ulm im Jahre 1811 die Reklamation der 210000 Gulden Kapitalien unterließ, kam nach längeren Streitigkeiten endlich im Jahre 1823 ein hernach auch vom König genehmigter Vergleich zustande, nach dem an die Stadt Ulm die 210000 Gulden zu leisten waren. Der Vermögensrest der Sammlung und deren Gebäude gingen an die Kirchenstiftung der Stadt über. Das Stiftungshaus dient heute als Amtswohnung des Prälaten und der evangelischen Geistlichkeit. Professor Greiner hat mit seiner Abhandlung über die Ulmer Sammlung, die einst einen wichtigen Kulturfaktor im Leben der Stadt darstellte, einen sehr lesenswerten, wertvollen Beitrag zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ulms geliefert. Es wäre im Anschlüsse an diese Arbeit sehr erfreulich, wenn er sich ent-

193 schließen könnte, ihr eine zweite, die die Entwicklung der grund­ herrlichen Verhältnisse der Sammlung zum Gegenstand hätte, folgen zu lassen oder Anregung dazu zu geben.

F) Zeller Joset, Pfarrer in Hausen o. U., I. Die Übertragung der Reliquien des hL Zeno von Verona nach Ulm. Die Übertragung der Reliquien des St. Zeno, des als alt­ christlichen Predigers gefeierten Bischofs der Stadt Verona (362—372), geschah im Jahre 1052 durch Bischof Walter von Verona, der wahrscheinlich dem schwäbischen Hochadel, viel­ leicht den zur Ulmer Königs-Pfalz in näheren Beziehungen stehenden schwäbischen Pfalzgrafen entstammte. Bestärkend für diese Annahme wirkt der Umstand, daß Bischof Walter, der gleichfalls als Prediger großes Ansehen genoß und mit der Zu­ teilung reichlicher Liebesgaben an das Kloster Benediktbeuren in der Zeit einer starken Hungersnot auch jenseits der Alpen seiner deutschen Abstammung Ehre machte, die Reliquien nicht in die uralte Ulmer Marienpfarrkirche, sondern in die Pfalzkapelle zum hl. Kreuz auf dem Weinhof verbrachte, beziehungsweise eine mit dieser in Zusammenhang stehende Ulrichskapelle, die für den Anfang des 13. Jahrhunderts urkundlich bezeugt ist. Das Haupt des Heiligen soll schon wenige Jahrzehnte später nach Radolfzell verbracht worden sein, das sich dann zu einer Haupt­ stätte des Zenokultes entwickelte. So erklärt es sich, daß der Bischof von Verona in Schwaben außer in Ulm und Radolfzell vor allem in Augsburg, Konstanz und Benediktbeuren Verehrung genoß, die in Ulm allerdings nur vorübergehend angehalten zu haben scheint. Zu einer nicht näher bekannten Zeit wanderten die in Ulm verbliebenen Reliquien in die an der Stadtgrenze gelegene Kirche des Deutschen Hauses, die eine Schöpfung Heinrichs von Zipplingen ist, des berühmtesten der Ulmer Kom­ ture (f 1346), der bei Kaiser Ludwig dem Bayern in hoher Gunst stand. Pfarrer Zeller bezeichnet das Fest der Überbringung der Heiltümer nach Ulm im Jahre 1052 als einen großen Tag in der Geschichte der Stadt, als ein nicht nur für Ulm, sondern für ganz Schwaben bedeutsames Ereignis, das sich fast ebenbürtig an die zahlreichen Besuche der Kaiser und Könige reihe, die die Stadt namentlich im 11. Jahrhundert sah. 13

194 EL Eine bis jetzt unbekannte Ulrichskapelle in Ulm. Gelegentlich der Materialsammlung zu einer Arbeit über die Entstehung der Landkapitel im Bistum Konstanz wurde der Verfasser von Prof. Dr. Schröder-Dillingen auf eine Urkunde vom 11. April 1215 aufmerksam gemacht, in der König Friedrich II. dem Zisterzienserkloster Kaiserheim die Güter und Besitzungen in Holzen, Ostheim, Wolperstetten, Appetshofen, Schrattenhofen und Sunderheim bestätigt, die Heinrich von Schlaitdorf und seine Gattin Adelheid, eine geborene Freiin von Gundelfingen, unter Vermittlung Sibotos von Albeck durch den König dem Kloster in Ulm schenkungsweise übertrugen. Schon bald nachher aber entstand wegen des Patrimoniums ein Rechtsstreit, aus dem das Kloster siegreich hervorging, da sich die Schenker keinerlei Rechte Vorbehalten hatten. Die darüber ausgefertigte Urkunde ist un­ datiert, aber mit aller Wahrscheinlichkeit dem Jahre 1216 zuzu­ weisen und um deswillen für Ulm von besonderem Interesse als darin gesagt wird, daß die oben benannte Gutsübergabe in ihrem ersten Teil in Ulm bei der St. Ulrichskapelle in Gegenwart von, 200 Zeugen stattfand, und eine Ulrichskapelle in Ulm bisher nicht bekannt war. Sie hat als selbständiges Bauwerk nie bestanden, sondern war eine der alten Pfalzkapelle zu Heiligkreuz zuge­ hörende Kapelle, in der die Gebeine des St. Zeno ruhten. So erscheint es ganz selbstverständlich, daß bei den engen Bezieh­ ungen, die die Grafen von Dillingen zu Ulm hatten, auch hier der berühmte Augsburger Bischof, bekanntlich ein Sprosse des Dillinger Grafengeschlechtes, eine ihm geweihte Kapelle besaß. Durch das Zeugenverzeichnis sind auch zwei der Alt-Ulmer Geschlechter, die Familien Diepold und Böhm, die bisher noch nicht nachgewiesen waren, als die ältesten Ulmer Bürgerfamilien neu festgestellt worden. Mit einer Wiedergabe der Urkunde von etwa 1216, die im Hauptstaatsarchiv in München verwahrt wird, schließt der Aufsatz ab. G) Überblickt man das ganze Heft, das der Verein für Kunst und Altertum in Ulm als Festgabe zur Einweihung seines neu aufgestellten Stadtmuseums herausgebracht hat, und die reiche Zahl bedeutungsvoller, im einzelnen bereits gewürdigter Abhand­ lungen, die es zur Ulmer Stadtgeschichte enthält, so kann man dem Verein für diese schöne Tat nur alle Anerkennung aus­ sprechen. __________________

195

Uebersicht über die im letzten Jahrfünft im Historischen Verein für Schwaben und Neuburg in Augsburg gehaltenen Vorträge. Datum Referent Tag

Monat

Thema

Jahr

28. Novemb. 1919 Dr. Pius Dirr Heimatgeschichte u. Gegenwart Stadtarchivdirektor in München 12. Dezemb. 1919 Dr. Ernst Frickhinger Ausgrabungen im Ries Apothekenbesitzer in Nördlingen 23.

5.

Januar

1920 Dr. Georg Lill Die heutigen Schlösser der Far milie Fugger in Schwaben Kustos am Nationalmuseum in München

März

1920 Dr. Philipp Maria Halm Adolf D a u c h e r und die Fugger­ Direktor des Nationalmuseums kapelle bei St. Anna in Augs­ in München burg

26. Novemb. 1920 Eduard Wallner Hauptlehrer in Augsburg

Der Gunzenlee und die Lechfeld­ schlacht

17. Dezemb. 1920 Dr. Max Hauttmann Dürer und der Augsburger An­ Konservator am B. National­ tikenbesitz museum in München und Pri­ vatdozent 28.

Januar

1921 Dr. Anton Diemand Joseph Haydn und seine Bezie­ fürstl. Archivrat in Wallerstein hungen zum Wallersteinschen Hofe

18. Februar 1921 Dr. Philipp Maria Halm Michel Pacher und der Altar Direktor des Nationalmuseums in in St. Wolfgang am Wolf­ München gangsee 4. März

1921 Dr. Ernst Frickhinger Der Mensch der Eiszeit Apothekenbesitzer in Nördlingen

18.

März

1921 Dr. Ernst von BassermannDer Augsburger Domschatz Jordan, Professor in München

29.

April

1921 Leopold Riedmüller Das Ostensorium b. Hl. Kreuz in Augsburg Kustos und bischöfl. Archivar in Augsburg

1% Datum Referent Tag

Monat

Thema

Jahr

Die Kunstgeschichte des Zister­ 21. Oktober 1921 Dr. Michael Hartig Msgre., erzbischöfl. Archivar in zienserklosters Kaisheim München Die Stiftung und die ersten fünf 18. Novemb. 1921 Dr. Karl Köberlin Jahre des St. Annagymnasiums Oberstudienrat a. D. in Augsburg Augsburger Frühkapitalismus im 16. Dezemb. 1921 Dr. Jakob Strieder Universitätsprofessor in München Zeitalter der Fugger 20.

Januar

1922 Gustav Euringer Das Haus Hohenstaufen. König Philipp und seine Gemahlin Bankdirektor a. D. in Augsburg Irene

17. Februar 1922 Dr. Alfred Schröder Lyzealprofessor in Dillingen 21.

20.

April

Die Karte des Herrschaftsgebietes in Schwaben zu Anfang des 19. Jahrhunderts

1922 Dr. Max Hauttmann Goldschmiedekunst Konservator am Nationalmuseum in München

Oktober 1922 Dr. Michael Hartig Die Kunst des Wettenhausen Msgre. Päpstl. Prälat, erzbisch. Archivar in München

Reichsstiftes

24. Novemb. 1922 Dr. Hans Wiedenmann Der Bildhauer Georg Petel und Stadtarchivdirektor in Augsburg seine Beziehungen zu Augsburg Bayerns Kunst im Wandel der 15. Dezemb. 1922 Dr. Philipp Maria Halm Generaldirektor des bayerischen Jahrhunderte Nationalmuseums 19.

Januar

1923 Adolf Müller Pfarrer in Buchloe

Flachs und Kunkel am deutschen Herd

Hausbau, Befestigungswesen und 23. Februar 1923 Dr. Ernst Frickhinger Apothekensesitzer in Nördlingen Begräbnissitten in der Vorzeit 16.

März

1923 Dr. Georg Lill Das deutsche Kunstgewerbe vom Hauptkonservator am National­ Ausgang des 18. Jahrhunderts museum in München bis gegen 1800

Die Bronzetüre des Augsburger 14. Dezemb. 1923 Dr. Robert Domm Domvikar und bischöfl. Sekretär Domes 8. Februar 1924 Ferdinand Schildhauer Oberregierungsbaurat a. D. 14.

März

Die Baugeschichte Kempten

des Stiftes

1924 Dr. Michael Hartig Barock und Rokoko in Augsburg Msgre. Päpstl. Prälat, erzbisch. Archivar in München

197 Datum Referent Tag

Monat

1924 Dr. Ernst Frickhinger Apothekenbesitzer in Nördlingen 1924 Ludwig Mußgnug Mai 30. Professor und Stadtarchivar in Nördlingen 24. Oktober 1924 Dr. Michael Hartig Msgre. Päpstl. Prälat, erzbischöfl. Archivar in München 19. Dezemb. 1924 Friedr. von Stromer-Reichen­ bach, Schriftsteller 9.

Mai

Thema

Jahr Die neuesten Ausgrabungen im Ries Das Nördlinger Scharlachrennen

Der Barockbaumeister Dominikus Zimmermann Historionomie. Die Grundlagen der Berechnung d. politischen Zukunft aus der Geschichte

6. Februar 1925 Dr. Karl Köberlin Die Blütezeit des St. AnnagymOberstudienrat a. D. in Augsburg nasiums unter Rektor H ö s c h e 1 (1593—1617) 1925 Dr. Hans Stöcklein März 20. Augsburger Harnischätzer Hauptkonservator am Armee­ museum in München 23. Oktober 1925 Dr. Hermann Nasse Das Abendmahl in der bildenden Professor an der Akademie der Kunst bildenden Künste in München 27. Novemb. 1925 Leopold Riedmttller Kirche und Kloster Hl. Kreuz Geistl. Rat in Kaufbeuren in Augsburg 11. Dezemb. 1925 Dr. Georg Hager Aus der Gedanken- und Gefühls­ Generalkonservator der Kunst­ welt der Kirchen und des Rat­ denkmäler u. Altertümer Bayerns hauses in Augsburg 15. Januar 1926 Eduard Wallner Die heidnisch-christl. Glaubens­ Oberlehrer in Augsburg wende in unserer Heimat 29. Januar 1926 Adolf Müller Trieb, Tratt und Hirtenstab Pfarrer in Buchloe 12. Februar 1926 Dr. Karl Köberlin Hieronymus Wolf, Rektor des Oberstudienrat a. D. in Augsburg St. Annagymnasiums von 1557—1580 26. Februar 1926 Richard Wiesel Das Geheimnis des Schottenpor­ Pfarrer in Irsee tals in Regensburg 5. März 1926 Ludwig Ohlenroth Neue Feststellungen zum römi­ Kustos des Max.-Museums in schen Augsburg Augsburg

198

Für das Jahr 1926 sind weiter an Vorträgen vorgesehen: Datum Referent

Tag Monat 26.

März

April

Stukkatur der Barockzeit 1926 Dr. Robert Do mm Domvikar und bischöfl. Sekretär in Augsburg n

»

»

Herbst

n

am

Landbauamt

Baugeschichtliche Ergebnisse der Augsburger Domrestauration

Der Augsburger Maler Johann Dr. Paul Geyer Geyer (1807—1875) Geheimer Oberstudienrat, Ober­ studiendirektor a. D. Dr. Hans Wiedenmann Stadtarchivdirektor in Augsburg

Ein Augsburger Hexenprozeß aus dem Jahre 1625

Joseph Maria Friesenegger Der Augsburger Maler Rottenhammer Päpstl. Hausprälat, Domdekan in Augsburg

»

n

Otto Klug Bauamtmann Augsburg

Dr. Adolf Feulner Schwäbische Barockarchitektur Hauptkonservator am Residenz­ museum in München

TI

n

Thema

Jahr

n

Hans

Dr. Hermann Nasse Der Augsburger Maler Ulrich Professor für Kunstgeschichte an Loth der Akademie der bildenden Künste in München Dr. Emst Frickhinger Bürgermeister und Apotheken­ besitzer in Nördlingen

Neuere Ausgrabungen im Ries

Zu vorstehenden Vorträgen kommt für das laufende Jahr noch eine Reihe von Vorträgen hinzu, die in den nächsten Monaten festgelegt werden.

199

Druckfehlerberichtigung. Seite 78, Zeile 16/7: Sind nach den Worten „katholisches Pfarr­ amt von St Ulrich und Afra“ die Worte einzufugen: „S. Abb. 2 u. 3“. Die Bilder sind nunmehr in der kath. St Ulrichskirche aufgestellt. Seite 80, Zeile 1:

Sind die Worte „S. Abb. 2“ zu streichen.

Zu Seite 77.

Abb. 1.

Predigt Johannes. Germanisches Museum, Nürnberg.

Zu Seite 78, Zeile 16/17.

Abb. 2.

Geburt Christi. Kath. St. Ulrichskirche, Augsburg.

Zu Seite 78 Zeile 16/17.

Abb. 3.

Anbetung der Könige Kathol. St. Ulrichskirche, Augsburg.

Zu Seite 84.

Abb. 4.

Balsazers Gastmahl. Rathaus Augsburg.

Zu Seite 85.

Abb. 5.

David und Abigail. Kunsthistorisches Museum. Wien.

Zu Seite 111.

Abb. 6.

Heilige Familie.

Radierung Kagers nach Otto v. Deen.

Zu Seite 111.

Abb. 7.

Taufe Christi durch Johannes d. T. Radierung Kagers.

4ir*

Zu Seite 124,

Abb. 8,

Krucifix. Lavierte Federzeichnung, Darmstadt,

Zu Seite 125,

Abb. 9.

111. 1 lieronymus. F ederzeichnung. Fürstl. Oett.-Wallersteinsche Sammlung, Maihingen,