Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [45]

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Zeitschrift des

Historischen Uereins für

Schwaben und Meuburg.

192D/Z2. 45. Band.

Augsburg. J. R. Schlosser’sche Buchhandlung [F. Scholl].

Die Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg erscheint jährlich in einem Band. Seit dem Jahr 1918 mußten jedoch unter dem Drucke der Zeitverhältnisse mehrere Jahrgänge in einem Band zusammengefaßt werden, so in dem zuletzt herausgegebenen 44. Band die Jahre 1918/19 und in dem vorliegenden 45. Band die Jahre 1920/22. Die Mitglieder des Vereins erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Auf die Zeitschrift bezügliche Einsendungen wollen an die nachstehende Adresse des Schriftleiters gerichtet werden.

Dr. H. Wiedenmann Stadtarchivdirektor

Augsburg.

Buchdruckerei J. P. H immer, Augsburg.

Inhalts -V erzeichnis Seite Josef Haydn und der Wallersteiner Hof. Von Dr. A. Diemand .................................................................... Der Gunzenlee und die Lechfeldschlacht. Von Lehrer E. Wall ner ....................................................................

41— 65

Aus der Tätigkeit eines Regierungspräsidenten, 1828—31. Von Dr. G. Grupp...................................................

66— 80

Mitteilungen aus der Literatur: Ulrich Schwarz, der Zunftbürgermeister von Augsburg, 1422—78 ...................................................................

81— 83

Peutingerstudien................................................................... Götz von Berlichingen und Heilbronn

..........................

1— 40

83— 86 87

Philipp Uhlhart, ein Augsburger Winkeldiucker und Helfers­ helfer der „Schwärmer“ und „Wiedertäufer“, 1523—29 Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und König und seine Genössen nach den Prozeßakten von 1530

90— 92

Beiträge zur Schulgeschichte des Landkapitels und der Reichsstadt Kaufbeuren bis zum Jahre 1803 . . .

92— 93

Levantinische Handelsfahrten deutscher (Augsburger) Kauf­ leute des 16. Jahrhunderts..........................................

93— 99

Zwei Chroniken des Augsburger Ratsdieners Paul Hektor Mair von 1548 (bzw. 1547) —1565 (bzw. 1864)

99—101

Drei Bände aus der Bücherei des Hieronymus Wolf in der Zwickauer Ratsschulbibliothek ........

101—104

88— 90

Nachr ufe: 105

Carl Chur.............................................................................. Josef Munk . ...................................................................

106—108

Gustav Euringer....................................................................

109—110

Jose! Haydn und der Wallersteiner Hof. Von Dr. A. Diemand, fürstl. Archivrat in Wallerstein.

Zu den Männern, welche frühzeitig zu Haydns Kunst sich hingezogen fühlten und nachmals begeisterte Verehrer derselben wurden, zählte als einer der ersten Fürst Kraft Ernst zu ÖttingenWallerstein, der letzte souveräne Regent der 1806 mediatisierten, im äußersten Norden des jetzigen bayerischen Kreises Schwaben und Neuburg und zum Teil im angrenzenden Württemberg ge­ legenen Öttingen- Öttingischen und Öttingen-Wallersteinischen Lande. Eine 21 Nummern umfassende Korrespondenz aus den Jahren 1781 —1796, die teils im fürstlichen Archiv zu Wallerstein, teils in der fürstlichen Bibliothek in Maihingen bewahrt wird, gibt uns heute noch Zeugnis von dem überaus regen Interesse, das Fürst Kraft Ernst Haydns Kompositionen entgegenbrachte, und von der besonderen Hochachtung, die wiederum Haydn gegenüber dem Fürsten hegte. Unter den 21 Korrespondenzen, die unten zum erstenmal zusammenhängend zur Veröffentlichung gelangen, befinden sich vier Originalbriefe Haydns, wovon drei völlig von seiner Hand geschrieben sind. Die Nummern 1, 2 und 13 wurden bereits 1900 von Adolf Sandberger in einem im 2. Jahrgang der „Alt­ bayrischen Monatsschrift“ S. 41 ff. erschienenen trefflichen Auf­ sätze „Zur Geschichte des Haydnschen Streichquartetts“ im Wortlaut — jedoch nicht ohne einige, zum Teil sinnstörende Fehler — zum Abdruck gebracht. Von den Nummern 14, 16 und 17 finden sich Auszüge in der 1907 erschienenen Monographie von Ludwig Schiedermair „Die Blütezeit der Öttingen Wallerstein’schen Hofkapelle“ (Sammelbände der Internationalen Musik­ gesellschaft IX Heft 1 S. 106 ff.). Die übrigen Nummern ent­ deckte ich vor bald zwei Jahren im fürstlichen Archive zu Wallerstein gelegentlich der Neuordnung der sog. „Alteren Kabinetsregistratur“, welche hauptsächlich Archivalien aus der Regierungszeit des Grafen, seit 1774 Fürsten Kraft Ernst enthält.

2 Kraft Ernst ward am 3. August 1748 in Wallerstein geboren als ältester Sohn des Grafen Philipp Karl zu Öttingen-Waller­ stein.1) Nach sorgfältiger Vorbereitung im Vaterhause oblag er von 1761—66 wissenschaftlichen Studien auf der K. K. Savovischen Ritterakademie in Wien und nahm während dieser 5 Jahre auch fleißig Unterricht in der Musik, namentlich im Klavier- und, wie es scheint, auch im Violinspiel. 1766—68 besuchte Kraft Ernst die Universitäten Straßburg und Göttingen und begab sich dann auf ausgedehnte Reisen, die ihn in den Jahren 1768—72 nach Frankreich, Italien, abermals nach Frankreich und schließlich nach England führten. Von Mai bis Anfang September 1773 weilte er nochmals in der Kaiserstadt Wien. Nach der Rückkehr von Wien trat Kraft Ernst am 10. Sep­ tember 1773 die Regierung an, die ihm bereits am 3. August ds. Js. mit der Erreichung seines 25. Lebensjahres zugefallen war, nachdem sein Vater Philipp Karl schon 1766 gestorben war. Eine außergewöhnliche Bildung zeichnete den jungen Re­ genten aus. Von Natur aus mit glänzenden Verstandesgaben ausgestattet, hatte er die Jahre eifrig genützt und sich ein reiches, vielseitiges Wissen erworben, zu welchem sich eine „an Göthe erinnernde Art der Empfindung und des Geschmacks“ 2)3und * * *welt­ * männische Gewandtheit, eine Frucht seiner mit offenem Auge und empfänglichem Herzen unternommenen Reisen, gesellte. Besondere Vorliebe zeigte Fürst Kraft Ernst für Musik. Schon im Vaterhause, wo die Musik eifrige Pflege fand8), war diese Vorliebe geweckt worden, der mehrjährige musikalische Unterricht in Wien und dann besonders die späteren ausgedehnten Reisen, auf denen er zahlreiche Musikkapellen und hervorragende Künstler *) Die folgenden biographischen Notizen aus Fürst Kraft Ernsts Personal­ akten im fürstl. Archiv zu Wallerstein. 2) G. Grupp, der deutsche Volks- und Stammescharakter im Lichte der Vergangenheit S. 93. 3) Graf Philipp Karl, der Vater Kraft Ernsts, verwendete eine Reihe von Musikern an seinem Hofe, auch wurde ihm eine große Anzahl von Kompo­ sitionen gewidmet. Eine organisierte Kapelle gab es damals jedoch nicht. Siehe Schiedermair a. a. O. S. 85 f. Gelegentlich der Anwesenheit des Kaisers Franz I. und seiner Söhne Josef und Leopold in Wallerstein im Jahre 1764 ließ Philipp Karl bei der Tafel „Waldhörner und Klarinetten“ spielen. Diemand, Anwesenheit des Kaisers Franz I. . . . . zu Wallerstein i. J. 1764 im Unter­ haltungsblatt der Augsburger Postzeitung 1899 Nr. 100.

3

kennen lernte *), hatten dieselbe gefestigt und erweitert und seinen Geschmack in musikalischen Dingen geläutert. Fürst Kraft Ernst ging denn auch sofort nach seinem Re­ gierungsantritte daran, eine eigene Musikkapelle auf künstlerischer Grundlage ins Leben zu rufen. Die Zahl der Musiker, die er aus der Zeit der Regierung seines Vaters und der Vormundschaft seiner Mutter in Wallerstein noch vorfand, wurde alsbald be­ deutend vermehrt. Dabei bemühte sich der junge Fürst, nicht nur tüchtige Fachleute, sondern selbst Künstler von Ruf an seinen Hof zu ziehen, was ihm auch in hohem Grade gelang.*2) So blühte die Wallersteiner Kapelle Dank Kraft Ernsts ebenso liebevoller als verständiger Fürsorge immer mehr auf in einer Weise, daß sie bei den Zeitgenossen sich eines besonderen Rufes erfreute. So bezeichnet der Dichter Schubart, der selbst in Wallerstein weilte, die dortige Kapelle als „sehr glänzend“ 3) und fällt über sie folgendes schmeichelhafte Urteil: „Seitdem dieses uralte gräfliche Haus in den Fürstenstand erhoben wurde, seitdem blüht die Musik daselbst in einem vorzüglichen Grade. Ja, der dort herrschende Ton hat ganz etwas Originelles, ein *) So war z. B. 1770 in Neapel Mozart zu Kraft Ernst geladen. Jahn, „Mozart“ Bd. I, S. 416; Schiedermair a. a. O. S. 87 Anm. 6. Sieben Jahre später, am 26. Oktober 1777, reiste Mozart in Begleitung seiner Mutter von Augsburg nach Hohenaltheim, einem Jagdschlöße des Fürsten Kraft Ernst süd­ lich von Nördlingen. Jahn a. a. O. S. 416/17; Schiedermair a. a. O. S. 83/84. 2) Schiedermair a. a. O. S. 88. 8) „Leben und Gesinnungen“ 1791, Bd. II. S. 92. Schiedermair a. a. O. S. 84. O. Kaul, Ausgewählte Sinfonien von Anton Rosetti in Denkmäler deutscher Tonkunst, 2. Folge Band 1 S. XXVIII, O. Kaul spricht a. a. O. S. XIV die Meinung aus, daß das mit der Regierung des Fürsten Kraft Ernst ein­ setzende Emporblühen des Wallersteiner Musiklebens ausdrücklich als zweite Blütezeit der fürstlich Öttingen-Wallersteinischen Hofkapelle bezeichnet werden müsse, im Gegensatz zu einer e r s t e n Blü t e p er io d e in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Es wird bei letzterer indessen weniger an Wallerstein, als vielmehr an die glänzende Hofhaltung der prachtliebenden letzten zwei Regenten der erloschenen Linie Ottingen-Ottingen, des Grafen, seit 1674 Fürsten Albrecht Ernst I. (f 1683) und des Fürsten Albrecht Emst II. (f 1731), zu denken sein. Albrecht Ernst II. besaß nachweislich eine Hofkapelle mit einem Kapellmeister. Auch Sängerinnen befanden sich an seinem Hofe. In einem Verzeichnis von 1696 werden genannt: Kapellmeister Conradi, Hofmusikus Joh. Hektor Beckh, Hofmusikus Heinr. Hetsch, Violinist Joh. Ulrich Müller, Harfenist Schneider, 5 Trompeter und 1 Pauker. (Archiv Wallerstein, Personalakt Albrecht Ernst II. Nr. 76 Hofstaat.) 1*

4 gewisses Etwas, das aus welschem und deutschem Geschmack, mit Kaprisen durchwürzt, zusammengesetzt ist.“1) Über das musikalische Leben an auswärtigen Höfen und Neuerscheinungen in der Musik ließ sich Kraft Ernst durch eigene Agenten — die allerdings in erster Linie politische Zwecke zu verfolgen hatten :— und sonstige Vertrauenspersonen fortlaufend berichten. So namentlich durch den jahrelang auf Reisen sich befindenden Hauptmann und Komponisten Ignatz von Beecke, dem der Fürst in besonderer Freundschaft zugetan war und welchem er nachmals auch die künstlerische Oberleitung seiner Kapelle übertrug.2)* Kraft Ernst war ein Liebhaber von Novitäten und seine Kapelle war bestrebt, solche in möglichst großer Zahl zu bringen. Nicht wenige seiner Hofmusiker waren kompositorisch tätig, wie die Fülle von Musikalien beweist, die heute noch die Maihinger Bibliothek aus jenen Tagen bewahrt. Neben den Werken der einheimischen Kräfte wurde auch zahlreiche Musik anerkannter auswärtiger Meister, namentlich der Mannheimer und Wiener Schule aufgeführt. Auch norddeutsche Musiker waren in Wallerstein nicht unbekannt/’) Unter den Meistern der Wiener Schule war Josef Haydn des Fürsten Kraft Ernst bevorzugter Liebling. Der Fürst gesteht dies gelegentlich selbst ein in einem Schreiben an seinen Hof­ agenten von Müller in Wien vom 16. Januar 17884), worin er Haydn den „größten Symphonisten“ nennt und unumwunden bekennt, daß er „für seine Musik ganz eingenommen sei“. Die urkundliche Grundlage für den Nachweis der zwischen Haydn und dem Wallersteiner Hofe gehegten Beziehungen bildet die noch erhaltene Korrespondenz. Dieselbe beginnt, wie ein­ leitend bemerkt, mit dem Ende des Jahres 1781. Ohne Zweifel sind aber Fürst Kraft Ernst und Haydn schon viel früher wenigstens indirekt einander näher getreten. Wenn Haydn in seinem Schreiben an den Fürsten vom 3. Dezember 1781 diesen „als hohen Gönner und Kenner der Tonkunst“ rühmt und ihm seine »ganz neuen“ *) „Ästhetik der Tonkunst“ S. 173; Schiedermair a. a. O. S. 84; O. Kaul a. a. O. S. XXVIII. a) Über Ignatz von Beccke handelt ausführlich Schiedermair a. a. O. S. 107 ff. ö) Schiedermair a. a. O. S. 105. 4) Nr. 6 der unten zum Abdruck gelangenden Briefe.

5 Quartette anbietet, so ist dies ein Zeichen, daß der Fürst Haydn längst als Freund und Förderer der Musik bekannt war. Anderer­ seits hatte auch Kraft Ernst frühzeitig Gelegenheit, Haydn’sche Kompositionen kennen zu lernen. Als er im Herbst 1/61 als dreizehnjähriger Knabe zum Studium nach Wien kam, war der Name Haydns dort bereits populär geworden.1) Wir dürfen daher sicherlich annehmen, daß Kraft Ernst während der fünf Jahre, die er in Wien verbrachte, nicht nur häutig von Haydns Namen hörte, sondern auch mit dessen Werken bekannt wurde, zumal da der allmählig heranreifende Jüngling das Wiener Musik­ leben allem Anschein nach mit wachsendem Interesse verfolgte2) und überdies seit 1764, wrie oben berichtet, selbst Unterricht in der Musik nahm. Freilich zu einer persönlichen Bekanntschaft zwischen Kraft Ernst und Haydn ist es in dieser Zeit nicht ge­ kommen, denn Haydn, im Mai 1761 zum Kapellmeister des Fürsten Paul Anton Esterhazy ernannt, hielt sich bis 1766, also die ganzen Jahre, die Kraft Ernst als Zögling der Savoyischen Ritterakademie in Wien weilte, ausschließlich in der ungarischen Freistadt Eisen­ stadt auf.3) Auch Kraft Ernsts zweiter Aufenthalt in Wien, Mai bis September 1773, führte zu keiner persönlichen Bekanntschaft mit Haydn, welch’ letzterer zwar seit 1766 alljährlich auf etwa drei Monate nach Wien kam, jedoch nur während der Winterszeit, wenn sein Herr — Fürst Nikolaus Esterhazy, Bruder und Nach­ folger des 1762 verstorbenen Fürsten Paul Anton — das am süd­ lichen Ende des Neusiedler Sees gelegene Schloß Esterheiz, das er mit ungeheuren Kosten zu einem prachtvollen Sommerpalais umgestaltet und seitdem zu seinem persönlichen Sitz erwählt hatte,4) verließ und in die Kaiserstadt übersiedelte.5) Die erste und zugleich einzige persönliche Begegnung zwischen Fürst Kraft Ernst und Haydn fand, wie wir unten hören wrerden, erst 17 Jahre später, im Dezember 1790, in Wallerstein statt. *) C. F. Pohl, Joseph Haydn I, 141 u. 199. s) So schreibt er am 30. Januar 1765 an seinen Vater: „Tout le monde ne parle que de fetes, d’illuminations, d’operas et de serenades.“ Brief im Pers.-Akt Kraft Ernst Nr. 2. 8) C. F. Pohl a. a. O. I, 200. 4) Pohl a. a. O. II, 4. ft) Karajan, J. Haydn in London S. 9.

6 Dagegen hat der zweite Wiener Aufenthalt den jugendlichen Fürsten sicherlich mit weiteren Werken Haydns bekannt gemacht und seine Vorliebe für des Meisters Kunst nicht wenig gefördert. Auf die mächtige Wirkung, die dieser Aufenthalt und insonderheit Haydns Musik auf Fürst Kraft Ernst ausübte, spielt denn auch zwei Jahre später der Skribent beim fürstlichen Oberamt Ziemetshausen (Bezirksamt Krumbach) Ambrosius Lederer ausdrücklich an, wenn er am 20. März 1775 sechs von seinem Bruder Josef Lederer, Kanonikus am Chorherrenstift Wengen in Ulm, kom­ ponierte Messen dem Fürsten mit folgenden Versen widmet: „Nein, Muse! wag es nicht: zu kühn sind Deine Schritte. Du in ein Fürstenhaus! Zu klein für eine Hütte. Ernst sah und hörte Wien, Europens Helikon, Der Wissenschaften Sitz und aller Künste Thron. Ernst sah und hörte Wien. Genug: Was für ein Singen Kann ferner angenehm in seinem Ohre klingen? Nichts rührt sein kennend Herz nach Haydns Seyten Spiel Und sein Entzücken fleußt aus Gluckens Zauberkiel.“ *)

Des Fürsten Kraft Ernst Vorliebe für Haydn’sche Musik wurde in der Folge besonders gefördert durch den Geiger und Komponisten Anton Rosetti, der 16 Jahre lang, von 1773—1739, der Wallersteiner Hofkapelle angehörte und neben dem Intendanten Ignatz von Beecke*2) zu den begeistertsten Verehrern der Haydn’schen Muse zählte. Eine Tatsache, die es wohl gerechtfertigt erscheinen läßt, wenn wir uns hier etwas ein­ gehender mit Rosetti befassen, wobei sich zugleich die Gelegen­ heit ergibt, die umfassende, 1912 erschienene Monographie aus der Feder Oskar Kauls3) in einigen Punkten zu ergänzen bzw. zu berichtigen. Anton Rosetti, mit seinem Familiennamen Rößler oder Rösler4), war einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste auswärtige Tonkünstler, den Kraft Ernst an seinen Hof berief. *) Original im f. Archiv Wallerstein, Ältere Kab.-Reg. II Abt. A 5d Hof­ musik Nr. 15. 2) Auch Beecke zählte zu den begeisterten Verehrern der Haydn’schen Muse. Am 26. Mai 1780 schreibt er an Fürst Kraft Ernst aus Wien: „. . . Hors la Composition de Haydn, il n’y a rien de bon en Musique dans ce pays-ci, qui puisse nous convenir.“ Schiedermair a. a. O. S. 108 Anm. 9. 3) O. Kaul a. a. O. S. IX—LV. 4) O. Kaul a. a. O. S. IX.

7 Geboren zu Leitmeritz in Böhmen1) und ursprünglich zum geist­ lichen Stande bestimmt, war er im Alter von 7 Jahren ins Seminar nach Prag gekommen, wo er 1769 im 19. Lebensjahr die Tonsur erhielt. Er entsagte jedoch dem geistlichen Stande, um sich ganz der Musik zu widmen.2) Hoffend, in der Fremde sein Glück zu machen, begab er sich dann auf die Wanderschaft und führte in Not und mannigfacher Entbehrung mehrere Jahre lang ein unstätes Leben.3) Zuletzt sah sich Rosetti, wie Fr. Weinberger in seinen biographischen Skizzen über die Mitglieder der Wallersteiner Hofkapelle4) schildert, genötigt „von Kloster zu Kloster zu terminieren, welcher Umstand ihn auch in die Nähe des Klosters Mönchsdeggingen führte, wo ihn Fürst Kraft Ernst von ÖttingenWallerstein bei Gelegenheit einer Jagd in den dortigen Wäldern hilflos und von allen Mitteln entblößt der Verzweiflung nahe unter einem Baume sitzend fand.“ Die etwas romanhafte Erzählung Weinbergers erhält eine gewisse Bestätigung durch die noch erhaltene Wallersteiner Hof­ kassarechnung von 1773, aus welcher hervorgeht, daß Rosetti im November dieses Jahres vor seiner eigentlichen Dienstesauf­ nahme einige Zeit beim Wirt Bergdolt in Hohenaltheim — Hohenaltheim mit einem fürstlichen Jagdschloß ist nur eine Wegstunde von Mönchsdeggingen entfernt — auf Kosten Kraft Ernsts Unter­ kunft hatte.5) Die Begegnung Rosettis mif Kraft Ernst fand somit im November 1773 statt, etwa zwei Monate, nachdem Kraft Ernst von Wien zurückgekehrt war und die Regierung des Landes *) O. Kaul a. a. O. 2) O. Kaul a. a. O. S. XI. 8) O. Kaul a. a. O. S. XIII. 4) Die Mitglieder der fürstl. Ottingen-Wallersteinischen Hofkapelle in biogr. Skizzen, verf. von Fr. Weinberger 1887, Mss. VI I Fol. 3 in der f, Bibliothek in Maihingen. O. Kaul a. a. O. S. XIII f. 6) Hofkassarechnung 1773 im f. Archiv Wallerstein (Ausgaben für die Woche vom 27. Nov. bis 4. Dez.) Pag. 91: „Für dergl. (nämlich dem Wirt Bergdolt zu Hohenaltheim für Zehrung) des Bedienten Rosetti vor seiner Auf­ nahme 1 fl. 12Kr.u Dazu Beilage Nr. 278, Quittung Bergdolts: „Daß bey mir endes benannten der Musicant Roseti verzörth hat bey seiner H ieherokunfft 1 fl. 12 Kr. Hohenaltheim, den 30ten Nov. 1773, Johann Andreas Bergdolt Würth alhier. Mit höfflichstem Dank bezalt,“

8 übernommen hatte.1) Jedenfalls noch im selben November erfolgte seine eigentliche Anstellung2),3 indessen zunächst nicht als Musiker, sondern als Bedienter. Noch während der ganzen 1. Hälfte des folgenden Jahres wird er, wie die noch erhaltenen Beilagen zur Hofkassarechnung von 1774 beweisen, unter den „Bedienten“ bzw. „Domestiquen“ aufgeführt, erst vom Juli 1774 ab erscheint er unter der Rubrik der „Musikanten und Kanzellisten“.:{) *) Siehe oben S. 2. O. Kaul a. a. (). S. XVI setzt den Dienstesantritt Rosettis in die 2. Hälfte des Juli 17/3 (noch ehe Kraft Ernst die Regierung übernommen hatte) und zwar auf Grund eines fälschlich vom 23. Okt., statt richtig vom 23. Dez. 1775 — 23. Xbrh heißt es im Original — datierten Bitt­ gesuches Rosettis, worin dieser von einer 2l/4 jährigen Dienstzeit spricht. Im Juli 1773 befand sich Kraft Ernst in Wien, von wo er erst am 10. Sept. zurückkam. — Vorausgesetzt, daß Rosetti in seinem Bittgesuch vom 23. Dez. 17/5 seine Dienstzeit mit 2l/4 Jahren richtig angibt, kämen wir auf den Sept. 1/73 als Monat seines Eintrittes. Die Angaben über Dienstzeit in derartigen Bitt­ gesuchen pflegen aber häulig nicht ganz genau zu sein und eher zu viel als zu wenig zu behaupten. Jedenfalls kommt in der Hofkassarechnung von 1/73 der Name Rosetti vor November nicht vor. 2) Das Anstellungsdekret, das hierüber genaue Auskunft geben könnte, ist nicht mehr vorhanden. Der ungefähre Zeitpunkt der Anstellung ergibt sich aus dem oben S. 7 Anm. 5 angeführten Eintrag in der Hofkassarechnung von 1773, Ausgaben für die Woche vom 27. Nov. bis 4. Dez.: „(Für Zehrung) des Bedienten Rosetti vor seiner Aufnahme“ im Zusammenhalt mit der vom 30. Nov. datierten Quittung des Wirts Bergdolt. — Daß Rosetti seit Nov. 1773 in Kraft Ernsts Dienste stand, erfahren wir auch aus einem Verzeichnis seiner Schulden, welches besagt: „Folgend benannten bin ich Unterzeichneter a mense Novembr. 1773 bis ad mensem Decembr. 1774 nothgedrungencr Weyse schuldig geworden . . . Antonius Rosetti.“ (Archiv Wallerstein, Pers.-Akt Rosetti.) 3) Auf seine frühere Stellung als Bedienter spielt Rosetti an in dem Bitt­ gesuch an den Fürsten vom 19. Mai 1786 (Archiv Wallerstein, Pers.-Akt Rosetti), worin er bemerkt, daß er „seit seines 13 jährigen Dienstes es nie gewagt habe, um eine Zulage oder um die Erhöhung seiner Besoldung, die seit seiner Ent­ lassung aus der Livree noch immer die nämliche sei, einzukommen“. Ähnlich sagt Rosetti in einer undatierten — ebenfalls aus dem Jahre 1786 stammenden — Vorstellung an den Fürsten, daß seine Besoldung noch immer die nämliche sei, die ihm bei seiner Entlassung aus der Livree auf­ geworfen wurde (Archiv Wallerstein, Kultusakten Wallerstein, Chorregenten­ stelle. Acta betr. die Kirchenmusik in der Pfarrkirche, deren bessere Herstellung und Vorschlag des Rosetti diesfalls). — Als Livreebedienter hatte Rosetti laut Hofkassarechnungen (Beilagen) ein monatliches Kostgeld von 12 fl. und ein jährliches Schuh- und Strumpfgeld von 3 fl. Nach seiner Entlassung aus der Livree und Einreihung unter die Musikanten (Juli 1774) bezog er ein Monat­ geld von 18 fl. (jährlich 216 fl.), dazu jährl. 75 fl. Kleidergeld. Seit 1775 hat

9 Es war offenbar eine bescheidene Stellung, die Rosetti anfänglich am Hofe des Fürsten Kraft Ernst einnahm. Doch sein Talent verschaffte sich bald Geltung und der Fürst wußte die hervorragende Kraft, die er in Rosetti gewonnen, mehr und mehr zu schätzen. Er übertrug in der Folge Rosetti nicht nur eine leitende Rolle in seiner Hofkapelle, sondern schickte ihn auch zur Weiterbildung wiederholt auf größere Reisen. So bereits im Jahre 1775 auf drei Wochen nach Ansbach, wo ebenfalls eine bedeutende Kapelle mit trefflichen Künstlern sich befand.1) Wäre unser Rosetti mit einem Violinisten Antonio Rosetti, der von 1776—81 im „Verzeichnis der Mitglieder der fürstlich Esterhazischen Musikkapelle“ aufgeführt wird, identisch, so hätte er schon im folgenden Jahre 1776 abermals eine ausgedehnte Reise unternommen und wäre nach Esterheiz gekommen, wo Haydn selbst sein Aufnahmedekret für die dortige Kapelle schrieb und ihn auch sonst mit besonderer Auszeichnung behandelte.2) Tatsächlich erteilte Fürst Kraft Ernst nach dem im März 1776 erfolgten Tode seiner ersten Gemahlin Maria Theresia, geb. Prinzessin Thurn und Taxis, verschiedenen Musikern Urlaub zu Konzertreisen, während er selbst auf längere Zeit nach Metz übersiedelte.3) Es wäre also an sich wohl möglich, daß auch unser Rosetti damals beurlaubt wurde und zu längerem-Aufent­ halt nach Esterhaz kam. Allein für den ganzen Zeitraum von 1776—81 läßt sich, wie Oskar Kaul, der Herausgeber ausgewählter Sinfonien unseres Rosetti, überzeugend dartut, jedes Jahr dessen Rosetti außerdem noch jährl. 6 11. Lichtergeld. Seit Juni 1776 erhält er quar­ taliter eine Besoldungszulage von 25 fl. (also 100 11. jährlich, vgl. O. Kaul a. a. O. S. XVII), die für das Quartal Trinitatis aus der f. Hofkasse, sonst aber aus der fürstl. Chatouille bezahlt wurden. Seit 1778 hat er Holz- und Logiergeld von jährlich 30 11., seit 1780 endlich bezieht er noch eine jährliche Zulage von 7511. aus der Hofkasse (zu unterscheiden von der Zulage von 100 fl. aus der f. Cha­ touille). Seine Gesamtbesoldung stieg also nach und nach auf 502 fl., wovon 100 fl. aus der f. Chatouille und 402 fl. aus der Hofkasse bezahlt wurden. Letztere Summe stimmt mit den eigenen Angaben Rosettis in den Bittgesuchen an den Fürsten vom 1. Febr. u. 8. Juni 1789 (Schiedermair a. a. O. S. 95, O. Kaul a. a. O. S. XXVI) genau überein. Die 100 fl. aus der f. Chatouille scheinen übrigens nicht lange gewährt worden zu sein. O. Kaul a. a. O. S. XX. 2) Pohl a. a. O. II, 104 f. 3) O. Kaul a. a. O. S. XVII.

10 Anwesenheit in Wallerstein nach weisen4), so daß die Identität unseres Rosetti mit dem gleichnamigen Mitgliede der Esterhäzischen Kapelle endgültig als erledigt zu erachten ist. Stand demnach unser Rosetti auch niemals in direktem Verkehr mit Josef Haydn, so darf er trotzdem „mit gutem Recht ein Jünger Haydns genannt werden“.*2) Denn in der statt­ lichen Zahl von Werken, die Rosetti während seines 16 jährigen Aufenthaltes in Wallerstein komponierte 3),4 macht sich überwiegend Haydns Einfluß geltend. Was insbesondere Rosettis sinfonisches Schaffen anlangt — an 30 Sinfonien Rosettis stammen nach­ weislich aus seiner Wallersteiner Zeit — so hat derselbe nach dem Urteil O. Kauls, des besten Kenners Rosettischer Muse, zwar nicht „ausschließlich auf Haydns Schultern gestanden“, wie W. H. Riehl Rosettis Verhältnis zu dem großen Sinfoniker dar­ stellt, aber dem Wiener Meister kommt doch der Hauptanteil an der Ausbildung von Rosettis Sinfoniestil zu.4) Haydns Sinfonien kennen zu lernen hatte Rosetti namentlich Gelegenheit in Paris, wohin er Ende Oktober 1781 mit einem Empfehlungsschreiben des Fürsten an einen befreundeten Kunstmäcen sich auf die Reise machte. Er unterrichtete den Fürsten über seine Pariser Eindrücke in mehreren Briefen, von denen noch drei erhalten sind.5) Über Haydn schreibt er unterm 25. Januar 1782: „Im Concert d’ Emulation habe sehr viel schönes gefunden . . . Haydn ist ihr Abgott“ und am 5. März: „Sin­ fonien hört man keine alß von Playdn und — (wenn ich’s sagen darf) von Rosetti! — hin und wieder noch von Ditters.“ A) Die Nachweise zusammengestellt bei O. Kaul a. a. O. S. XVIII, Anm. 2. Diese lassen sich aus den Beilagen der Wallersteiner Hofkassarech­ nungen noch wesentlich ergänzen. Nicht nur laufen die Zahlungen an Rosetti während der Jahre 17/6—81 regelmäßig fort, sondern es sind aus diesem Zeit­ raum auch noch eine Anzahl eigenhändig unterschriebener Quittungen Rosettis vorhanden, so 2 von 1776, 3 von 1777, 5 von 1778, 2 von 1780, 6 von 1781. Nur für das Jahr 1779 fehlen Quittungen. Die Rechnungsbeilagen sind aber vielfach nur sehr unvollständig erhalten. 2) O. Kaul a. a. O. S. XLIX. 8) Aufgezählt bei O. Kaul a. a. O. S. XXIX—XXX. 4) O. Kaul a. a. O. S. XLIX. 6) Originale im f. Archiv Wallerstein, Pers.-Akt Rosetti. Abgedruckt bei Schiedermair a. a. O. S. 120 f., die 2 ersten auch bei O. Kaul a. a. O. S. XXII.

11 In einem Schreiben vom 12. April 1782 kündigt Rosetti dem Fürsten seine Heimkehr für Anfang Mai an. Er befindet sich tatsächlich am 22. Mai 1782 wieder in Wallerstein.1) Inwieweit Rosetti auf zwei weiteren Reisen, von denen wir Kunde haben — er weilte im Frühjahr 1783 zum zweitenmal mehrere Wochen in Ansbach und im Winter desselben Jahres in der Rheingegend 2) — Aufführungen Haydn’scher Werke bei­ wohnte, darüber fehlt uns jede Nachricht. Aber wie dem auch sei, Rosetti hatte in Wallerstein selbst Gelegenheit, stets mit den neuesten Werken Haydn’scher Kunst bekannt zu werden, welche so schnell wie möglich zu beschaffen Fürst Kraft Ernst, wie wir alsbald hören werden, eifrigst bemüht war. War Fürst Kraft Ernst ein begeisterter Verehrer der Haydn’schen Muse, so war für Rosetti „die Pflege Haydn’scher Musik am Wallersteiner Hofe um so wichtiger, als die gründliche Vertrautheit mit den Werken des großen Symphonikers seinem Schaffen die Richtlinie gab“.3) Und da Rosetti in der Waller­ steiner Kapelle vermutlich sehr bald eine leitende Stellung ein­ nahm4) — obwohl seine Ernennung zum eigentlichen Kapellmeister allem Anschein nach erst 1788, ein Jahr vor seinem Abgänge erfolgte5) — so hatte er es auch in der Hand, diese Pflege *) Zwei Quittungen Rosettis d. d. Wallerstein 22. Mai bei den Beilagen zur Hofkassa-Rechnung 1/82. Ebenda zwei weitere von Rosetti eigenhändig unterschriebene Quittungen über 1 fl. 30 kr. Lichtergeld und 18 11. 45 kr. Hof­ besoldung (Zulage) pro Quartali Reminiscere d. d. Wallerstein, 7. März 1782, also ausgestellt zu einer Zeit, da sich Rosetti noch in Paris befand. Der Widerspruch erklärt sich wohl daraus, daß die Quittungen über die auf Re­ miniscere (24. Febr.) fälligen Besoldungsteile bereits vorbereitet und von Rosetti nachträglich nach seiner Heimkunft unterzeichnet wurden. 2) Schiedermair a. a. O. S. 93; O. Kaul a. a. O. S. XXIII f. 8) O. Kaul a. a. O. S. XXIX. 4) O. Kaul a. a. O. S. XX. Daß Rosetti tatsächlich in Wallerstein eine führende Rolle spielte und auch auswärts als Leiter der dortigen Kapelle galt, beweist der Umstand, daß ihm von befreundeten Kollegen der Titel Kapell­ meister beigelegt wurde, lange bevor ihm offiziell dieser Titel verliehen ward. Siehe die folgende Anm. 5) Ein Dekret liegt nicht vor. O. Kaul a. a. O. S. XXIV verlegt Rosettis Ernennung zum Kapellmeister in das Jahr 1785 oder 1786. Von befreundeten Kollegen wird indessen dieser Titel Rosetti bereits 1784 beigelegt (Schreiben des B. Caselmann an Rosetti d. d. Speier, 21. Jan. 1784 im Pers.-Akt Fürst Kraft Ernst Nr. 78 Hofkapelle). In amtlichen Schriftstücken dagegen erscheint Rosetti erst seit 1788 als Kapellmeister. So erstmals in einem Protokoll vom

12 Haydn’scher Kunst gründlich zu betätigen. Unter den Ton­ setzern, auf welche die Wallersteiner Kapelle hauptsächlich ein­ gespielt war, wird denn auch neben Rosetti, Beecke und Jos. Reicha in erster Linie Haydn genannt. 9. April 1/88 (Kultussachen Wallerstein, Chorregentenstelle — Chorregent Johann Steinheber), dann in einem Promemoria (Rapport) der fürstl. Hofkasse vom 16. Juli ds. Js. (Beilagen zur Hofkassarechnung). Ein Schreiben Rosettis an den kgl. Preußischen Kammermusikus Friedrich Benda in Potsdam d. d. Wallerstein, 3. Juli 1788 ist unterzeichnet mit „A. Rosetti maitre de Chapclle“ (Abschr. in Älterer Kab.-Reg. 'II. Abt. A 5 d Hofmusik Nr. 15). Die offizielle Beförderung Rosettis zum Kapellmeister dürfte daher in das Jahr 1788 zu setzen sein. — O. Kaul hält es für wahrscheinlich, daß Rosetti zugleich mit der Ernennung zum Kapellmeister auch das Amt des Chorregenten (in der Wallersteiner Pfarrkirche) übertragen worden sei. Tatsächlich hatte Fürst Kraft Ernst bereits unterm 31. Dez. 1776 Rosetti ein Anwartschaftsdekret auf den Chorregenten­ dienst in Wallerstein für den Fall erteilt, daß der dermalige Chorregent (Johann Steinheber) weiter befördert oder mit Tod abgehen sollte (Dekretsentwurf in Kultussachen Wallerstein, Chorregentenstelle i. allg.). Rosetti setzte auf dieses Dekret große Hoffnungen, die sich freilich nie erfüllen sollten. Zwar pliegte der Fürst seit dem Jahre 1785 zu wiederholtenmalen Verhandlungen mit Rosetti wegen Verbesserung der Kirchenmusik, wobei auch die Frage der Chorregent­ schaft bzw. der Versetzung des Chorregenten Steinheber erörtert wurde. So führt Rosetti in einer vom 4. Mai 1785 datierten „Bemerkung zum Entzwecke, eine gute Kirchenmusik zu errichten“ (Kultussachen Wallerstein, Chorregenten­ stelle. Pfarrkirchenmusik. Acta die Stiftung einer Hofkapelle etc. 1785) ein­ leitend aus, daß „vor allem, um die hiesige Chorregentschaft einem Manne von zureichenderen Kenntnissen als Steinheber besitzt anvertrauen zu können eine Veränderung vorgenommen“ und zu diesem Behufe Steinheber nach Bis­ singen versetzt werden sollte. Und in einem undatierten (aus dem Jahre 1J86 stammenden) Promemoria (ebenda Acta die Kirchenmusik in der Pfarrkirche zu Wallerstein, deren bessere Herstellung und Vorschlag des Rosetti betr.) stellt Rosetti dem Fürsten folgendes vor: „Euer Durchlaucht haben sich schon mehrmal gegen mich geäußert, daß höchstdieselhe entschlossen wären, die hiesige in gänzlichen Verfall geratene Kirchenmusik zu reformieren. Die Voll­ ziehung dieses Entschlusses würde auch ohne allen Zweifel mit jedermanns Beifall und sowohl zur Ehre des Residenz-Ortes als zur Verherrlichung des Gottesdienstes in der Pfarrkirche geschehen. Gern wollte ich nun den Zeitpunkt zur Ausführung dieses Planes in Geduld erwarten, wenn nicht von demselben zugleich ein Teil meines künftigen Glücks abhinge und ich nicht besorgen müßte, daß er noch länger unausgeführt bleiben möchte. Der Chorregent Steinheber, an dessen Stelle Euer Dchlt. mir schon vor einigen Jahren durch eine gnädigst erteilte Exspectanz Hoffnung gemacht haben, lebet noch und ich denke an nichts weniger, als denselben von Brot zu drängen, es wäre denn, daß eine Veränderung ohne Nachteil für denselben mit ihm gemacht werden wollte. Überdies ist noch kein Anfang zum Unterricht für Sänger und Sänge­ rinnen gemacht und die unumgänglich notwendige Umänderung des Chors und

13 So hatte nicht zum wenigsten unter Rosettis maßgebendem Einfluß die Muse Haydns längst eine Heimstätte in Wallerstein gefunden, ehe sich die mit dem Jahre 1/81 einsetzenden unmittel­ baren Beziehungen zwischen dem Meister und dem Wallersteiner der Orgel bisher noch unterblieben. Diese vorläufige Anstalten erfordern, wie ich glaube, immer noch eine ziemliche Zeit, da indessen meine dermalige Situation so beschaffen ist, daß ich außer Stande bin, die Vollziehung dieser Reform und die Erfüllung meiner darauf gegründeten Hoffnung zu erwarten. Denn ich kann in Untertänigkeit versichern: daß ich außer 3286 11., die ich durch meine Arbeiten außer Landes verdient hatte, auch noch 500 fl. von dem Vermögen meines Weibes letztere 2 Jahre zugesetzt habe. Anstatt nun daß ich (wie jeder) wünschte, für meine Kinder etwas für die Zukunft zu ersparen, würde ich in kurzer Zeit mir eine Schuldenlast sammeln und den Rest weib­ lichen Vermögens vollends zusetzen, weil meine Besoldung noch immer die nämliche ist, die mir bei meiner Entlassung aus der Livree ausgeworfen wurde. Euere Dchlt. haben in der Zeit meines 13 jährigen Dienstes verschiedene aufgenommen, zum Teil besser gesetzt und andern Zulagen gegeben. Ich hin­ gegen habe in der Hoffnung, daß die neue Einrichtung mit der Kirchenmusik zustande kommen möchte und daß höchstdieselbe dabei Gelegenheit linden würden, die mir gegebenen gnädigsten Versicherungen realisieren zu können, es niemals gewagt, Euere Dchlt. mit einer Bitte um Zulage zu behelligen. Nun aber, da sich die Sache zu lange verziehet und ich bei meiner dermaligen Besoldung nicht länger subsistieren kann, überlasse ich’s Eurer Dchlt. freien Gnade, mir von dem zurückgefallenen Reichaischen Gehalt — Reicha war 1/85 von Wallerstein geschieden (Schiedermair a. a. O. S. 91) — soviel zur Addition in Gnaden anweisen zu lassen, als höchstdieselben glauben, daß ich verdiene, und als zureichend sein möchte, mich und die Meinigen mit Ordnung und Anstand zu unterhalten. Wenn ich nur das, was ich etwa künftig aus dem Ausland hereinziehen werde, für meine Kinder erübrigen kann, so wird das Ziel meiner Wünsche erreicht sein.“ — Aus einem weiteren Promemoria Rosettis d. d. Wallerstein, 14. Nov. 1787 (Kultusakten Wallerstein, Chorregentenstelle, Chorregent Joh, Steinheber) geht hervor, daß die Verhandlungen wegen Ver­ besserung der Kirchenmusik ihren Fortgang nahmen und der Plan, den Chor­ regenten Steinheber zu versetzen und an seiner Stelle Rosetti mit der Chor­ regentschaft in der Wallersteiner Pfarrkirche zu betrauen, der Verwirklichung nahe war. Steinheber sollte mit dem Schulmeister und Chorregenten Gentner in Marktoflingen tauschen und Gentner als Schulmeister und Rosettis Substitut in Wallerstein angestellt werden. Rosetti selbst machte sich anheischig, „durch Gentner ein besseres, faßlicheres, als unter Schulmeistern bisher gebräuchlich, musikalisches Lehrsystem einzuführen, selbst den Zöglingen nachzusehen, in der Kirche den Choral zu ändern, die vor und unter dem Hochamte vorkom­ menden Antiphonien und Hymnen, welche der Schulmeister bisher ganz allein so erbärmlich daherkreischte, in vierstimmigen Choral zu setzen, auch nach und nach, nach Beschaffenheit der Feste, Mottetten etc., sonderheitlich aber jährlich 2, womöglich 3 neue Messen zu componieren.“ Laut Protokoll vom 9. April 1T88 (ebenda) war der Fürst in der Tat entschlossen, daß „der in

14 Hofe anbahnten. Die Anknüpfung dieser Beziehungen ging, soweit aus der noch erhaltenen Korrespondenz von und über Haydn be­ urteilt werden kann, von Haydn aus, dem die Vorliebe, die am Wallersteiner Hofe seiner Muse entgegengebracht wurde, und die eifrige Pflege, die dort seine Werke fanden, nicht unbekannt geblieben waren. Das Bewußtsein, daß Fürst Kraft Ernst „ein Gönner und Kenner der Tonkunst“ sei, als welchen Haydn den Fürsten rühmt, wobei er sicherlich auch an die Vorliebe des Fürsten für seine eigenen Werke dachte, hat Haydn ermutigt, im Dezember 1781 sich direkt an den Fürsten zu wenden. Im Jahre 1781 hatte Haydn sechs Streichquartette vollendet.1) Diese bot der Meister, ehe sie dem großen Publikum zugänglich gemacht werden sollten, wie anderen vornehmen Gönnern der Tonkunst, so auch dem Fürsten Kraft Ernst für den Preis von 6 Dukaten zur Subskription an und zwar in einem aus Wien, 3. Dez. (1781) datierten, musikgeschichtlich denkwürdigen Brief,2)* * S. * * dessen Bedeutung Adolf Sandberger in dem bereits eingangs erwähnten Aufsatze „Zur Geschichte des Haydn’schen Streich­ quartetts“ hervorgehoben hat.8) Die Quartette waren, wie Haydn Wallerstein angestellte Chorregent Steinheber, um willen derselbe sothanem Dienst vorzustehen nicht länger mehr fähig ist, auf den Schul- und Organisten­ dienst nach Marktoffingen versetzt, dessen Stelle aber dem Kapellmeister H. Rosetti und der Schuldienst zu Wallerstein dem Schulmeister Gentner zu Marktoffingen übertragen, letzterer zugleich als Substitutus des H. Rosetti mit angestellt werden solle.“ Es waren indes noch manche Schwierigkeiten zu beseitigen, insbesondere sollte Ersatz gefunden werden für die Töchter des Chorregenten Steinheber — Franziska und Margaretha (Schiedermair a. a. O. S. 105) — welche bisher als Sängerinnen auf dem Chor angestellt waren und nun zugleich mit dem Vater nach Marktoffingen übersiedeln sollten. Vermutlich scheiterte hauptsächlich hieran der ganze Versetzungsplan. Steinheber verblieb in Wallerstein, wo er erst im Jahre 1807 mit Tod abging. Die schwere Ent­ täuschung, die so Rosetti in dem Augenblicke erleben mußte, da sein sehnlichster Wunsch, das einträgliche Amt des Chorregenten zu erhalten, nach jahrelangem Warten endlich der Erfüllung nahe schien, war wohl mitbestimmende Ursache, daß er seine Blicke nach auswärts richtete und 1789 in die Dienste des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin trat. *) Nr. 39—44 des chronologisch-thematischen Verzeichnisses bei Pohl a. a. O. Bd. II, Beilage. 2) Siehe unten Anlage 1. 8) Altbayer. Monatsschr., 2. Jahrgg. 1900 S. 41 ff.

15 bemerkt, „auf eine ganz neue besondere Art, denn Zeit 10 Jahren habe keine geschrieben“. Der Fürst ließ tatsächlich bereits am 24. Dezember durch den Hofkammerrat St. Georgen Haydns neues Werk bestellen.1) Nachdem ihm bis zum 18. Febr. 1782 „weder eine Antwort noch etwas von den erwarteten Musikalien zugekommen“, reklamierte St. Georgen im Aufträge des Fürsten die „neuen a quadro“ mit der Bitte, Haydn möge dieselben unter der Adresse Ihrer hochfürstl. Durchlaucht senden, ihm selbst aber hiervon Nachricht geben, damit er ungesäumte Bezahlung veranlassen könne.2) Die Absendung der 6 Quartette wurde indes, wie Sandberger vermutet, überhaupt nicht mehr vollzogen, da der Wiener Ver­ leger Artaria, dem Haydn die Quartette gleichzeitig übergeben hatte, dieselben vorzeitig veröffentlichte, so daß Haydn sie an manche auswärtige Subskribenten gar nicht mehr überschicken konnte. In den folgenden Jahren und zwar bis Ende 1789 erscheint hauptsächlich der Hofagent von Müller in Wien als Vermittler zwischen Haydn und dem Fürsten. Am 16. April 1783 macht von Müller die Mitteilung, daß er — offenbar im Aufträge des Fürsten — 4 große neue Haydn’sche Sinfonien habe kopieren lassen,8) die mit dem nächsten Postwagen abgehen und für welche er die Kosten auf das Konto Serenissimi setzen werde.4) Gemäß Weisung des Fürsten vom 16. Febr. 1784 sendet v. Müller die Themata von 3 Sinfonien an Haydn nach Esterhäz mit dem Ersuchen zu melden, ob diese Sinfonien von ihm komponiert seien.5) Schon am 6. März kann darauf Ferdinand v. Müller, des Hofagenten ältester Sohn, „die Themata der 3 neuen Haydnschen Sinfonien“ nachWallerstein übermitteln samt der Bestätigung, daß diese „wirklich von seiner Komposition seien“.6) In unserer Korrespondenz tritt nun eine Pause von über 33/4 Jahren ein, sie beginnt erst wieder mit dem Januar 1788. In der Zwischenzeit haben indessen die Beziehungen zwischen 9 Angabe im folgenden Brief vom 18. Febr. 1782. 2) Siehe Anlage 2. 8) Wohl die 1782 komponierten 4 Sinfonien a 45—48 des Verzeichnisses bei Pohl. 4) Siehe Anlage 3. 5) Schreiben v. Müllers an den Fürsten vom 3. März 1784. Siehe Anlage 4. c) Siehe Anlage 5.

16 Haydn und dem Fürsten Kraft Ernst sicherlich nicht geruht, sie waren, wie wir gleich hören werden, im Gegenteil fester geworden. Wenn keine Nachricht hierüber auf uns gekommen ist, so liegt der Grund eben darin, daß der Briefwechsel zwischen dem Fürsten und Haydn bzw. dem Hofagenten v. Müller zum großen Teil verloren gegangen ist. Am 16. Januar 1788 schreibt Fürst Kraft Ernst an Müller, daß es ihm sehr angenehm wäre, wenn ihm derselbe sobald als möglich das neueste Oratorium von Salieri und einige Oratorien von Josef Haydn, aber von diesem die besten, verschaffen könnte. Zu gleicher Zeit erhält v. Müller einen sehr wichtigen Auftrag. Er solle mit Haydn darüber verhandeln, ob derselbe bereit wäre, für den Fürsten drei n e u e S inf o n i e n zu komponieren — die aber außer ihm (dem Fürsten) niemand besitzen solle — und um welchen Preis und zu welcher Zeit die Sinfonien zu erhalten wären. Denn Jos. Haydn, so begründet der Fürst sein Verlangen, sei bekanntlich der größte Sinfonist, für dessen Musik er ganz eingenommen sei.1) Der Hofagent v. Müller führte den Auftrag des Fürsten unverzüglich aus und hielt auch mit des Fürsten schmeichelhaftem Urteil über Haydns Musik nicht zurück. Bereits am 3. Februar gab Haydn in einem völlig eigenhändig geschriebenen Briefe an Müller Antwort.2) Sie lautete im allgemeinen zusagend. Die Hochschätzung, schreibt Haydn, welche Se. Durchlaucht der Fürst von Üttingen für seine geringen Kompositionen — wie bescheiden Haydn doch von sich selbst dachte! — sei ihm unendlich schätz­ bar, doch bedaure er, die drei verlangten Sinfonien augenblicklich nicht machen zu können, indem er zur Zeit für Se. Majestät den König von Neapel 6 Notturni und für seinen gnädigsten Fürsten (Nikolaus Esterhazy) eine neue Opera zu schreiben habe. Nach Vollendung dieser Werke aber werde er sich aufs äußerste befleißigen, die drei Sinfonien zu verfertigen. Den Preis hiefür zu bestimmen, wollte sich Haydn nicht erdreisten, sondern sich hierin ganz dem Gutdünken des Fürsten unterwerfen. Im übrigen hatte v. Müller nicht versäumt, auch den anderen Auftrag des Fürsten, ihm baldigst einige der neuesten Haydnschen Oratorien zu verschaffen, alsbald an den Meister zu J) Siehe Anlage 6. 2) Siehe Anlage 7.

17 übermitteln. Haydn war denn auch, wie er dem Schreiben vom 3. Februar beifügt, bereit, „das Oratorium, das er erst kürzlich mit 2 neuen Chören verschönert habe“, für 16 Dukaten — wovon er fünf dem Kopisten bezahlen müsse — abzugeben und erwartete entsprechende Weisung. Mit Schreiben vom 6. Febr. sandte der Hofagent v. Müller Haydns Antwortbrief dem Fürsten zu.1) Am 19. Febr. meldet er, daß er das Haydn’sche Oratorium, das ihm heute überschickt worden sei, mit dem morgen abgehenden Postwagen unter der Adresse Sr. Durchlaucht abschicken werde. Die hiefür verlangten 16 Dukaten habe er bezahlt. Zugleich erinnerte v. Müller den Fürsten an die Bestimmung des Preises für die drei bei Haydn bestellten Sinfonien.2) Am 19. April 1788 zeigt der Fürst dem Hofagenten v. Müller den richtigen Empfang des Haydn’schen Oratoriums an mit dem Bemerken, daß er seinem Agenten v. Stubenrauch aufgetragen habe, den ausgelegten Betrag mit 16 Dukaten zu vergüten. Die willfährige Antwort Haydns war dem Fürsten sehr angenehm, nur wünschte er wenigstens beiläufig zu erfahren, was z. B. der Graf Esterhazy oder andere dem Herrn Haydn für zwei oder drei Sinfonien gewöhnlich bezahlten.3) Indessen vergingen trotz „vielfältigen Betreibens“ des Herrn v. Müller4) anderthalb Jahre, bis Haydn die bestellten drei Sin­ fonien endlich vollenden konnte. Im Oktober 1789 waren sie fertig und Haydn sandte sie an v. Müller mit einem eigenhändigen (undatierten) Begleitschreiben,6) worin er um Vergebung bittet wegen der so späten Einsendung. Er habe von einem Tag auf den andern getrachtet, den gütigsten Fürsten von Wallerstein zu befriedigen, allein seine täglichen häufigen Dienste — zumal wenn man Diener eines solchen Herrn (wie des Fürsten Esterhazy) sei, der noch in seinen spätesten Tagen unersättlich in der Musik sei — hätten es jederzeit wider seinen Willen verhindert. Für die Aufführung der drei Sinfonien gibt Haydn zum Schlüsse den Rat, dem fürstl. Herrn Kapellmeister zu melden, daß sie, bevor sie produziert würden, „wegen so vielen Particularitäten genau und mit aller Attention wenigstens einmal möchten probiert werden“. J) Siehe Anlage 8. 2) Siehe Anlage 9. 3) Siehe Anlage 10. 4) Eigene Angabe v. Müllers im folgenden Brief vom 21. Okt. 1789. 6) Siehe Anlage 11 2

18 In dem Briefe kündigt endlich Haydn zugleich an, daß er längstens heute über acht Tage sich erdreisten werde, „ 12 ganz neue Tanz-Menuetts mit 12 Trios begleitet zu diesen herrlichen Festen einzuschicken“. Mit diesen herrlichen Festen ist, wie wir aus dem folgenden Schreiben v. Müllers vom 21. Okt. 1789 erfahren, die bevor­ stehende zweite Vermählung des Fürsten Kraft Ernst mitWilhelmine Friederike, Tochter des Herzogs Ludwig Eugen von Württemberg, gemeint. Daß Haydn um diese wußte und aus diesem Anlaß dem Fürsten eine besondere Aufmerksamkeit zu erweisen gedachte, ist wohl der beste Beweis des herzlichen Verhältnisses, das damals zwischen beiden herrschte. Das Schreiben, mit dem Haydn die drei für den Fürsten bestimmten Sinfonien an v. Müller eingeschickt hatte, sandte letzterer am 21. Okt. 1789 nach Wallerstein. Die Sinfonien selbst gedachte er mit dem nächsten Postwagen abgehen zu lassen und auch die 12 Tanz-Menuetts und 12 Trios beizulegen, falls sie rechtzeitig von Haydn einträfen.1) Am selben 21. Okt. 1789 aber hielt Fürst Kraft Ernst seinen feierlichen Einzug in Wallerstein, nachdem tags zuvor zu Weiltingen (Bez.-Amt Dinkelsbühl), der damaligen Residenz des Herzogs Ludwig Eugen von Württemberg, seine Vermählung mitWilhelmine Friederike stattgefunden hatte.2) Haydns drei neue Sinfonien und die als Hochzeitsgeschenk gedachten Tanz-Menuetts und Trios trafen so zu spät ein, um noch zur Verherrlichung der Vermählungs- und Einzugsfeste beitragen zu können.3) Wann die Uraufführung der drei für Kraft Ernst bestimmten Sinfonien stattfand, läßt sich nicht genau angeben. Vermutlich erfolgte sie noch vor Ende 1789.4) Die Sinfonien fanden beim Fürsten solchen Beifall, daß er, wie wir sehen werden, nochmals drei Sinfonien bei Haydn bestellte. 9 Siehe Anlage 12. 2) Pers.-Akt Kraft Ernst Nr. 22 im Archiv Wallerstein,. 3) Kapellmeister Rosetti, der beste Interpret Haydn’scher Musik am fürstlichen Hofe, weilte damals nicht mehr in Wallerstein. Er hatte bereits in den letzten Tagen des Juli 1789 Wallerstein verlassen, um in die Dienste des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin zu treten. O. Kaul a. a. O. S. XXVII. Schiedermair a. a. O. S. 95 gibt irrtümlich den 20. Juni statt Juli als Tag der Abreise Rosettis an. 4) Die Uraufführung der 3 Sinfonien muß noch vor der Reise erfolgt sein, die Fürst Kraft kurz nach seiner 2. Vermählung nach Wien antrat (siehe unten S. 20), da am 29, Nov. 1789 Haydn bereits von dem Beifall, den die Sinfonien beim Fürsten fanden, unterrichtet ist (siehe Anlage 13).

19 Und doch sprach der Fürst, wie aus dem folgenden Schreiben Haydns zu schließen ist, einen Tadel aus, nicht über die Sinfonien an sich, sondern über die Art ihrer Übermittlung. Er hatte ge­ naue Spartituren erwartet, statt dessen hatte Haydn Kopiaturen eingeschickt, die zudem nicht ganz fehlerlos waren. Haydn sah s>ch infolgedessen veranlaßt, am 29. November 1789 ein aus­ führliches Entschuldigungsschreiben an den Hofagenten v. Müller zu richten.1) Er gesteht darin zu, daß er schuldig gewesen wäre, von den Sinfonien statt der Kopiatur die Spartitur einzusenden. Allein, da er fast den ganzen Sommer hindurch solche heftige Augenschmerzen gehabt habe, daß er leider ganz außerstand gewesen wäre, eine reine Spart zu machen, so wäre er gezwungen gewesen, diese drei unleserlichen Sinfonien (die Urschriften) — die „beste“ (d. h. die noch am besten lesbare) legte Haydn seinem Schreiben als Muster bei — durch einen seiner KompositionsSchüler in seinem (Haydns) Zimmer und nachher durch ver­ schiedene Kopisten abschreiben zu lassen. Aus dieser (der bei­ gelegten) unleserlichen Spart könne ein Kenner auf die übrigen schließen. Es sei daher für diesesmal nicht seine Schuld, denn er sei von Jugend auf gewohnt, die reinsten Spartituren zu schreiben. Sollte demnach an den überschickten Sinfonien die eine oder andere Note versetzt sein, so lasse er den fürstlichen Herrn Konzertmeister höflichst ersuchen, ihm diese schriftlich anzu­ zeigen, wofür er die genaueste Verbesserung einschicken werde. Er bitte also den Fürsten untertänigst um Vergebung. Sollte aber derselbe immediate eine Spart verlangen, so werde er diese — wenn auch mit sehr vieler Mühe, indem er von den Augen­ schmerzen noch nicht ganz befreit sei — Sr. Durchlaucht gehorsamst übermachen.2)3 9 Siehe Anlage 13. 2) Herr Kapellmeister F. Munter in München, der im Sept. 1920 zu Studienzwecken im f. Archiv weilte, hatte die Güte, in der Musikaliensammlung der f. Bibliothek zu Maihingen nach den im Jahre 1789 für den Fürsten Kraft Ernst komponierten drei besonderen Sinfonien zu forschen. Er verglich sämt­ liche in Maihingen befindlichen 109 Sinfonien von Haydn mit dem thematischen Verzeichnis der kritischen Gesamtausgabe von Breitkopf und Härtel und stellte fest, daß zwar 11 Sinfonien in Maihingen vorhanden sind, die in diesem Ver­ zeichnis fehlen, daß diese aber sämtlich einer früheren Periode angehören. Die 3 fraglichen Sinfonien von 1789 waren nicht zu finden, auch nicht die OriginalPartitur, von der im Schreiben Haydns vom 29. Nov. 1789 die Rede ist. Es ist daher möglich, ja wahrscheinlich, daß jene 3 Sinfonien leider verloren sind.

2*

20 Mochte der Tadel des Fürsten dem Meister, wie seine aus­ führliche Entschuldigung zeigt, einige Betrübnis bereiten, so über­ wog diese doch bei weitem die Freude über den Beifall, den seine drei Sinfonien bei dem Fürsten gefunden. Haydn fährt nämlich fort: „Der Beifall von dem allergnädigsten Fürsten über diese 3 Sinfonien ist für mich die größte Aufmunterung und wird es sein bis an die letzten Tage meines Lebens. Ich wünschte mir, das Porträt von höchstdemselben (wenn auch) nur im Schatten­ riß zu haben. Ich bin ein besonderer Liebhaber der großen Geister.“ Im Spätherbst 1789, kurz nach seiner zweiten Vermählung, machte Fürst Kraft Ernst eine Reise nach Wien,1) wohin ihn dringende Geschäfte riefen.2) Nach 16 Jahren sah er die alte Kaiserstadt wieder. Er hatte aber kaum Gelegenheit, sich um das musikalische Leben in der Stadt zu kümmern, zumal er — wohl infolge des am 5. November erfolgten Todes seines Schwagers, des Fürsten Johann von Schwarzenberg, Herzogs zu Krumau, des Gemahls seiner ältesten Schwester Marie Eleonore — seinen Wiener Aufenthalt unterbrechen und nach Krumau eilen mußte, um von dort aus vermutlich der Beisetzung des Fürsten in der Familiengruft zu Wittingen3) beizuwohnen. Nach Wien zurück­ gekehrt sah er sich zu beschleunigter Abreise veranlaßt.4) Er ist jedenfalls am 6. Dezember wieder in Wallerstein.5) Der Fürst fand in Wien nicht einmal Zeit, seinen dortigen Hofagenten v. Müller zu empfangen.6) Um so bemerkenswerter erscheint es, daß er trotz aller Überhäufung mit Geschäften Haydns nicht vergaß. Er übergab in Wien seinem Bruder, dem Doch ist auch nicht ausgeschlossen, daß dieselben unter den 1788 bzw. 1787 datierten (wie Sandberger a. a. O. S. 42 Anm. 1 vermutet) oder sogar unter den Londoner Sinfonien zu suchen sind. J) Pers.-Akt Kraft Ernst Nr. 12 im Archiv Wallerstein. Die Reiseroute war: Wallerstein—Schärding—Wien—Krumau—Wien—Schärding—Wallerstein. 2) Vgl. den Brief des Hofagenten v. Müller an den Fürsten vom 9. Dez. 1789 Anl. 14. 8) Stammtafel des mediatisierten Hauses Schwarzenberg 1901. 4) Siehe den Brief des Fürsten an v. Müller Anlage 17. 5) Die Reiserechnung (Pers.-Akt Kraft Ernst Nr. 12) datiert vom 6. Dez. 1789 und ist in Wallerstein ausgestellt. Die Reise war also um diese Zeit abgeschlossen. 6)Siehe den Brief v. Müllers Anlage 14.

21 Grafen Philipp zu Öttingen-Wallerstein1), bei dem er wohl Quartier genommen hatte, eine goldene Tabatiere, gefüllt mit 50 Dukaten, das Honorar für die von Haydn gelieferten drei Sinfonien.2)* Graf Philipp sollte die Tabatiere mit Inhalt durch den Herrn v. Müller an Haydn übermitteln.H) Müller hatte indes noch am 9. Dezember 1789 keinerlei Kenntnis von dem tür Haydn bestimmten fürstlichen Geschenk, weshalb er beim Fürsten nochmals anfragte, was für ein Douceur derselbe dem Herrn Haydn zu machen gedenke.4) Graf Philipp händigte nachmals die Tabatiere mit den 50 Dukaten dem ältesten Sohne des Hof­ agenten, Ferdinand v. Müller, aus, der darauf, wie er am 9. Fe­ bruar 1790 dem Fürsten berichtet5), den in Esterhaz weilenden Haydn ersuchte, eine Vertrauensperson zu benennen, welche die Tabatiere ihm sicher überbringen könnte. Im März 1790 war Haydn endlich im Besitze des fürstlichen Präsentes. Er schreibt am 14. März an Frau von Gennzinger: „ . . . berichte ich Euer Gnaden, daß ich die vorige Woche von Fürst Ottingen von Wallerstein eine ganz niedliche, 34 Dukaten schwere, goldene Tabatiere zum Geschenk erhalten habe.“ 6) Fürst Kraft Ernst erkundigte sich zu wiederholtenmalen, ob Haydn mit dem erhaltenen Präsent zufrieden gewesen sei.7) Vielleicht nicht zum wenigsten aus dem Grunde, weil er eine zweite Serie von drei Sinfonien von ihm haben wollte. Schon im Dezember 1789, also bald nach der Rückkehr von seiner Wiener Reise, beauftragte er den Hofagenten v. Müller „an Haydn zu schreiben, ob er sich entschließen könne, 3 Sinfonien J) Geb. 1759, f 1826, zuerst Domherr zu Köln, dann kaiserl. Geheimrat, Reichshofrat, Kammergerichtspräsident (1790) und vorletzter Reichskammer­ richter (1797), Reichshofratspräsident (1801), k. k. oberster Justizpräsident (1809), k. k. Staats- und Konferenzminister (1817), k. k. Obersthofmarschall (1819), auch Ritter des goldenen Vließes. Frhr. v. Löffelholz, Öttingana S. 70. 2) Siehe das Schreiben des Ferd. v. Müller vom 9. Febr. 1790 Anlage 16. 9 Siehe Anlage 14 den Entwurf des Fürsten für die an Herrn v. Müller zu richtende Antwort: „Er (Müller) werde nun von Philipp das present für Haiden erhalten haben.“ 4) Siehe Anlage 14. 5) Siehe Anlage 16. G) Nohl, Musikerbriefe S. 117; Karajan, J. Haydn in London S. 70; Sandberger a. a. O. S. 43 Anm. 7) So in dem Entwurf zum Antwortschreiben auf Müllers Brief vom 9. Dez. 1789 (Anlage 14) und in dem Ende 1790 geschriebenen Briefe an Müller (Anlage 17).

22 wieder zu machen und sie mit den Sparten hiehero (nämlich nach Wallerstein) zu bringen.01) Der Auftrag wurde von des Hofagenten ältestem Sohne, Ferdinand v. Müller, tatsächlich aus­ geführt, der dem Fürsten unter’m 9. Februar 1790 mitteilt2), daß er im Namen Sr. Durchlaucht Haydn ersucht habe, noch 3 andere Sinfonien zu komponieren und daß er ihm überdies vorgeschlagen habe, nach Wallerstein zu reisen auf Kosten des Fürsten, der seine persönliche Bekanntschaft zu machen wünsche.3) Er hoffe, über beide Punkte in etwa 8 Tagen Antwort von Haydn zu haben. Das Schreiben des Ferdinand v. Müller trägt auf der Rück­ seite Kraft Ernsts eigenhändige Weisung: „An den Agent Müller Sohn den Älteren, daß mich’s recht freut, wenn Haydn hieher kommt, er möchte ihn ersuchen, den Zeitpunkt zu bestimmen und zu beschleunigen.“ Über den weiteren Verlauf der Verhandlungen, die Haydn zu der Reise nach Wallerstein bewegen sollte, werden wir leider nicht unterrichtet. Wir wissen jedoch aus Haydns eigenem Munde, daß er sich noch im Frühjahr 1790 zu der Reise nicht entschließen konnte. Er habe, so berichtet Haydn in dem oben angeführten Brief an Frau v. Gennzinger vom 14. März 1790, zugleich mit dem vom Fürsten von Wallerstein übersandten Ge­ schenke auch eine Einladung erhalten, „daß er gegenwärtiges Jahr auf Seine Unkosten zu Ihm kommen möchte, indem hochderselbe ein so großes Verlangen trage, ihn persönlich zu kennen.“ Diese Einladung, fügt Haydn bei, sei zwar „eine angenehme Aufmunterung für seinen schwachen Geist, ob er sich aber zu dieser Reise werde resolvieren können, sei eine andere Frage.“ Und doch wurde der Wunsch des Fürsten, Haydn per­ sönlich kennen zu lernen, noch im selben Jahre erfüllt. Haydn weilte im Dezember 1790 in Wallerstein. Zu einem längeren Aufenthalt in der fürstlichen Residenz kam es freilich nicht. Haydn passierte Wallerstein, wie der Fürst in einem undatierten Briefe an den Hofagenten v. Müller4) sich ausdrückt, „nur auf der Flucht“ und zwar auf dem Wege nach England. 0 Entwurf in Anlage 14. 3) Siehe Anlage 16. 8) Pohl a. a. O. II, S. 241 läßt die Einladung irriger Weise nach Ludwigs­ burg erfolgen. 4) Siehe Beilage 17-

23 Am 15. Dezember 1790 war Haydn von Wien aufgebrochen.1)2 Die Reise ging über München, Bonn, Brüssel und Calais nach London. In Bonn traf er am 25. Dezember, dem 1. Weihnachts­ tage, ein.*) Sein Aufenthalt in Wallerstein fällt also in die Zeit zwischen 15. und 25. Dezember 1790.3) Der Fürst veranstaltete zu Ehren seines gefeierten Gastes ein Konzert, in dem eine der neuesten Sinfonien Haydns auf­ geführt wurde. Haydn sprach, wie berichtet wird, bei dieser Gelegenheit seine volle Bewunderung über die Leistungen der fürst­ lichen Kapelle dahin aus: „daß kein ihm bekanntes Orchester seine Sinfonien mit so viel Präzision aufführe als eben diese Kapelle/4) Mit dem Versprechen, bei seiner Rückkehr aus England sich länger aufhalten zu wollen,5) schied Haydn aus der fürst­ lichen Residenz. Im August 1792 war er wieder zu Haus,6) sein Rückweg aus England hatte ihn aber nicht wieder über Wallerstein geführt. Eine zweite Serie von 3 neuen Sinfonien, die Ferdinand v. Müller im Aufträge des Fürsten schon im Februar 1790 bei Haydn bestellt hatte, hatte der Meister nach Wallerstein nicht mitgebracht und der Fürst war anscheinend taktvoll genug, seinen Gast nicht weiter darüber zu befragen. Erst nach der Abreise Haydns zog er bei seinem Wiener Agenten Erkundigung über den Stand der Sache ein.7) Eine Antwort von diesem liegt nicht vor und wir hören auch später nichts mehr von jener zweiten Bestellung, die auch wohl nie zur Ausführung kam. Um so eifersüchtiger hütete Fürst Kraft Ernst die drei für ihn allein komponierten Sinfonien, die er glücklich in Händen *) Pohl a. a. O. II, S. 250; Karajan a. a. O. S. 19. 2) Karajan a. a. O. S. 22. Die Reiseroute von München bis Bonn gibt K. nicht näher an. 3) Darnach läßt sich das ungefähre Datum des Briefes Anlage 17 be­ stimmen. Er ist, da der Fürst in dem Briefe von der „neulichen“ Durchpassierung Haydns durch Wallerstein spricht, zu Ende 1790 oder anfangs 1791 geschrieben. 4) Mettenleiter, Registratur für die Geschichte der Musik in Bayern, Brixen 1868 S. 32 ff. O. Kaul a. a. O. S. XXVIII f. Sowohl Mettenleiter wie Kaul verlegen indessen den Aufenthalt Haydns in Wallerstein irriger Weise auf seine 2. Reise nach London 1794. 5) Schreiben des Fürsten an den Hofagenten v. Müller Anlage 17. 6) Karajan a. a. O. S. 53. 7) Siehe Schreiben an den Hofagenten v. Müller Anlage 17*

24 hatte, als kostbaren, nur ihm gehörenden Schatz. Dabei konnte er sich anscheinend des Argwohns nicht entschlagen, als ob Haydn diese Sinfonien am Ende auch anderen zugänglich machte. Er hegte namentlich den Verdacht, daß Herr v. Kees — Franz Bernhard Ritter v. Kees, geb. 1720, f 1795, ein eifriger Kunst­ freund, der eine reiche Musikaliensammlung besaß *) — sich die Sinfonien verschafft habe. Er äußerte diesen Verdacht auch offen gegenüber dem Agenten v. Müller, worauf ihn dieser dahin belehrte, daß Haydn „3 neue Partien schon vorlängst gemacht und solche im Stich habe herausgeben lassen und diese werden jene sein, welche Herr v. Kees haben werde“. Er sei „allerdings beglaubigt“, fügt v. Müller bei, daß Haydn die für den Fürsten komponierten Stücke verlangtermaßen niemand mitteilen werde.*2) Selbstverständlich blieben diese Stücke nicht lange völliges Geheimnis und der Fürst wurde bald von verschiedenen Seiten um Überlassung seiner Sinfonien angegangen. So schreibt ihm bereits am 16. Dezember 1789 sein Bruder Philipp aus Wien, daß der „alte Braun“3) ihn gebeten habe, ihm Abschriften der im Besitze des Fürsten befindlichen Sinfonien zu vermitteln. Er habe Braun auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die der Ver­ wirklichung seines Verlangens entgegenstünden, aber derselbe habe sich nicht abweisen lassen und sein Wort verbürgt, daß niemand in der Welt die Sinfonien hören werde.4) Offenbar bezieht sich auf diese auch ein Brief des Thurn- und Taxis’schen Kapellmeisters B. v. Schacht an den Wallersteinischen Kammer­ musikus Franz Xaver Link d. d. Regensburg 15. April 1793.5) Er habe schon vor 6 Wochen die Vertröstung bekommen, schreibt v. Schacht, daß Link ihm die übrigen 3 Havdn’schen Sinfonien in 10 Tagen schicken würde, und so habe er sich von einem Tag auf den andern vertröstet. Er bitte deshalb, wenigstens diese 3 Sinfonien doch zu verfertigen, damit er sie bis Anfang Mai in Tischingen (Sommerresidenz des Fürsten Thurn und Taxis) A) Pohl a. a. O. S. 149, 150. 2) Siehe das Schreiben des Hofagenten v. Müller vom 9. Dezember 1789 Anlage 14. 8) Vielleicht der Vater des Johann Karl Braun, Sekretär des Grafen Philipp, der nachmals (1807) als Hof- und Regierungsrat nach Wallerstein kam, f 1826 zu Neuburg als Advokat beim dortigen Appellationsgericht. Pers.-Akten im Archiv Wallerstein. 4) Siehe Anlage 15. ß) Siehe Anlage 19.

25 habe. Es müßte nur sein, fügt v. Schacht bei, daß Ihre Durch­ laucht der Fürst seinen Sinn wiederum geändert hätte, in diesem Fall würde er (auf den Rat des fürstl. Intendanten Major von Beecke) direkt an den Fürsten schreiben. Dieser Beisatz zeigt, daß es sich um Sinfonien handelte, welche der Fürst allein besaß und welche er ausnahmsweise dem ihm nahe verwandten Thurn und Taxis’schen Hofe — die 1. Ge­ mahlin des Fürsten Kraft Ernst war, wie wir oben gehört, eine Prinzessin von Thurn und Taxis — überlassen wollte. Es ergibt sich somit die Tatsache, daß die drei von Haydn i. J. 1789 kom­ ponierten Sinfonien 4 Jahre später immer noch nicht der All­ gemeinheit zugänglich waren. Wie lange dies noch weiter der Fall war, entzieht sich genauer Feststellung. Wenn Haydn seinem eigenen Herrn, dem Fürsten Esterhazy, das Zeugnis gibt, daß er unersättlich in der Musik sei,1) so läßt sich dieses Urteil mit Fug und Recht auch auf den Fürsten Kraft Ernst zu Ottingen-Wallerstein anwenden. Was insbesondere die Musik Haydns anlangt, so war der Fürst darauf bedacht, alles zu sammeln, was irgendwie von Haydn erschien. Er erteilte hiezu seinem Hofagenten v. Müller in Wien sozusagen General­ vollmacht. So gibt er in dem eigenhändigen Entwurf des Ant­ wortschreibens auf v. Müllers Brief vom 9. Dez. 1789 die Weisung, „daß ihm Müller die für Kees gestochenen Sachen2) und alles, was neu von Haydn gestochen und schriftlich erscheint, liefern soll ohne Anfrage. Des weiteren wünschte der Fürst, „eine Liste nebst Preisen von Opera, Oratorio, Cantaten, Arien und Kirchenmusik von Havdn und dann eine Liste mit Preisen von Kirchenmusik an Ämtern, Vespern, Requiem, Magnificat, Tantum ergo, Miserere, Litaneien, Te deum von beiden Haydn, Bonno, Albrechtsberger, Grau, Leopold Hofmann, Kozeluk etc., von letzterem auch Arien, Konzerte“.3) j

9 Vgl. oben S. 17. 2) Auf diese war der Fürst offenbar durch v. Müllers Schreiben vom 9. Dez. 1789 aufmerksam gemacht worden. Siehe oben S. 24. 3) Entwurf Anlage 14. Mit dessen Inhalt stimmt das spätere Schreiben des Fürsten an den Herrn v. Müller vom Ende 1790 oder Anfang 1791 (Anlage 17) zum großen Teil wörtlich überein, so daß man versucht ist, anzunehmen, daß letzteres das Antwortschreiben auf v. Müllers Brief vom 9. Dez. 1789 darstellt, zumal auf diesen Brief ausdrücklich Bezug genommen wird. An den Hof­ agenten v. Müller wäre dann über ein Jahr lang von Fürst Kraft Ernst kein

26 Nach Haydns Rückkehr von London (August 1792) nahm Fürst Kraft Ernst die Beziehungen zu dem Meister alsbald wieder auf. Aus einem Briefe seines Intendanten Major v. Beecke d. d. Wien 15. März 1793x) erfahren wir, daß Haydn nicht ver­ säumt hatte, die neuen Sinfonien, von denen ynter Haydns per­ sönlicher Leitung drei am 14. März 1793 im kleinen Redoutensaal zu Wien aufgeführt wurden, auch dem Fürsten zuzusenden. Auch nach Haydns zweiter Londoner Reise (1794/95) dauerten die Beziehungen fort. So richtet Fürst Kraft Ernst am 27. Juli 1795 an den Reichshofagenten v. Götz in Wien, der dort nach dem Abgänge des Hofagenten v. Müller die Interessen des fürstlichen Hauses zu wahren hatte, das Ersuchen, ihm die herausgekommenen neuen Sinfonien von Haydn zu übermachen.*2) Und im Januar 1796 erhält v. Götz den Auftrag, nicht nur 6 neuerschienene Haydnsche Sinfonien, die in Wien zu haben sein sollten, zu über­ schicken, sondern auch den Meister im Namen des Fürsten zu ersuchen, „ob er ihm einige neue Sinfonien — es ist zum drittenmal, daß Kraft Ernst ein solches Verlangen an Haydn stellt — verfertigen wolle.3) Mit diesem Auftrag schließt die noch erhaltene Korrespondenz ab. Die musikgeschichtliche Würdigung derselben muß den Fach­ leuten überlassen bleiben. Die Kenntnis der Chronologie von Haydns Werken ist bekanntlich noch sehr mangelhaft. Diese Kenntnis in manchen wichtigen Punkten zu fördern, darin dürfte die besondere Bedeutung des mitgeteilten Briefwechsels liegen. Eben diese Bedeutung ließ es auch angezeigt erscheinen, den­ selben in der folgenden Anlage wörtlich zum Abdruck zu bringen. Fürst Kraft Ernst starb am 6. Oktober 1802, 6x/2 Jahre vor Haydn. Mit seinem Tode ging auch die Blütezeit der Waller­ steiner Hofkapelle zu Ende. „Die Kapelle bestand wohl noch einige Zeit fort, aber ohne inneres Leben, und mit den Ereig­ nissen des Jahres 1806 ging sie ihrer allmähligen Auflösung entgegen.“4) Schreiben mehr gerichtet worden. Daraus erklärt es sich wohl, daß in dieser Zeit v. Müllers ältester Sohn Ferdinand (Anlage 16) statt des Vaters mit dem Fürsten korrespondiert. x) Siehe Anlage 18. Nach den von Schiedermair a. a. O. S. 111 Anm. 4 verzeichneten Briefen weilte v. Beecke vom März bis Juni 1793 in Wien. 2) Siehe Anlage 20. 8) Siehe Anlage 21. 4) O. Kaul a. a. O. S. XVI.

Anhang:

Urkunden.

Wien, 3. Dezember [1781.] Josef Haydn an Fürst Kraft Ernst zu Öttingen-Wallerstein. Hochfürstliche Durchlaucht! Gnädigster Fürst und Herr Herr! Als hohen Gönner und Kenner der Ton Kunst, nehme die Freyheit, meine gantz neue ä quadro für 2 Violin, Alto, Violoncello concertante, Euer hochfürstlichen Durchlaucht auf praenumeration k 6. Ducaten correct geschriebener unterthänigst anzuerbieten: sie sind auf eine ganz neue besondre art, denn zeit 10 Jahren habe Keine geschrieben. Auswärtig hohen Herrn H. praenumeranten werden selbe ehender zugeschickt, als sie dahier abgebe. Zu hohen Gnaden mich empfehlendt, unter anhoftendt gnädigster Bewilligung harre in tiefestem respect stätshin Euer Hochfürstlichen Durchlaucht unterthänigst gehorsamster Josephus Haydn mp. Fürst Estorhazischer Capell Meister. Wien d. 3^5 Dezembr. addreße in dem hochfürstlichen Esterhasischen Hauß abzugeben ä Vienne. Orig.-Brief in der fürstl. Bibliothek in Maihingen (früher im f. Archiv zu Wallerstein). Abgedruckt bei A. Sandberger, Zur Gesch. des Haydn’schen Streichquartetts in Altbayerische Monatsschrift, Jahrg. 2 (1900) S. 41. Autograph sind nur die Worte „Josephus Haydn — Capell Meister“. Die fehlende Jahrzahl geht aus dem folgenden Brief (Anlage 2) des f. Hofkammerrats St. Georgen vom 18. Februar 1782 unzweifelhaft hervor.

30 2.

Wallerstein, 18. Februar 1782. Der fürstl. Hofkammerrat St. Georgen ersucht, nachdem ihm auf sein Schreiben vom 24. Dezember (1781) keine Antwort zugekommen, den Herrn Joseph Haydn nochmals, daß er seine neuen ä quadro, soweit diese bis jetzt fertig geworden seien, unter der Adresse S= Durch­ laucht nach Wallerstein schicken, ihm selbst aber Nachricht hievon geben möge, damit er ungesäumte Bezahlung veranlassen könne. Entwurf ebenda (früher im f. Archiv zu Wallerstein). Abgedruckt bei A. Sandberger a. a. O. S. 41/42.

3. Wien, 16. April 1788. Der Hofagent von Müller schreibt nach Wallerstein (Adressat ist nicht genannt), daß er 4 große neue Haydn’sche Sinfonien habe ko­ pieren lassen, welche mit dem nächsten Postwagen abgehen würden. Die Kosten werde er auf das Konto Serenissimi setzen. Orig.-Brief im f. Archiv zu Wallerstein, Aeltere Kab.-Registr. II. Abt, A5i Hofmusik Nr. 15.

4. Wien, 3. März 1784. Der Hofagent von Müller schreibt an Fürst Kraft Ernst zu Ottingen-Wallerstein, daß er zufolge SL- Durchlaucht gnädigem Auftrag vom 16. Febr. sogleich die Themata an Haydn nach Esterhaz geschickt u. ihn um Mitteilung ersucht habe, ob diese Sinfonien von seiner Komposition seien. Sobald er hierüber Antwort erhalte, werde er un­ gesäumte Nachricht geben. Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 10 Kabinet, 2. Agenten Nr. 293.

5. Wien, 6. März 1784. Ferdinand von Müller, ältester Sohn des Hofagenten v. Müller, überschickt dem Fürsten Kraft Ernst zu Öttingen-Wallerstein die Themata der 3 neuen Haydn’schen Sinfonien mit dem Beifügen, daß diese wirklich von Haydns Komposition seien. Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 15.

31 6.

Wallerstein, 16. Januar 1788. Fürst Kraft Ernst zu Öttingen-Wallerstein an den Hofagenten v. Müller in Wien. Hochedelgebohrener, Werther Herr Hofagent! Es wird mir sehr angenehm seyn, wenn mir mein Herr Hofagent das neueste Oratorium von Salieri und einige andere Oratoria von Joseph Hayden, aber von diesen die besten, so bald möglich verschaffen könnte, und da bekanntlich Jos. Hayden der gröste Synfonist ist und ich für seine Musick ganz eingenommen bin, so wünschte ich 3 neue Synfonien von ihm zu erhalten, die aber außer mir Niemand besitzen solle. Mein Herr Hofagent wird dem Jos. Hayden dieses mein Verlangen eröfnen und mir seine Aeußerung, um welchen Preiß und in welcher Zeit ich diese Synfonien erhalten würde, melden, über die Kosten der Oratorien aber eine Note beyschliesen. Ich bin jederzeit des Herrn Hofagenten freundwilliger Wallerstein, den 16. Jan. 1788. Kopie ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. Konzept mit dem Datum 19. Jan. ebenda Nr. 125. 7.

Esterhaz, 3. Februar 1788. Josef Haydn an Herrn von Müller. Hoch- und Wohl gebohrner Sonders HochzuVerElirender Herr v. Müller! Die Hochschätzung, So Seine Durchlaucht Fürst v. Öttingen für meine geringe Compositionen tragen, ist mit unendlich schäzbahr, nur bedaure ich, daß ich gegenwärtig die hohe Gnade nicht gemessen kan, die 3 anverlangte Sinfonien zu machen, indem ich dermahlen für SL Maje­ stät dem König v. Neapel 6 Notturni, und für meinen gnädigsten Fürsten eine neue Opera zu schreiben habe: nach Vollendung aber dieser Wercke werde ich mich Eusserst befleissen, die 3 Sinfonien zu verfertigen, für welche ich keinen Preiß zu bestimen mich erdreiste, sondern bloß der Willkühr des durchlauchtigsten Fürsten unterwerfe: für das Oratorium, so ich erst kürzlich mit zwey neuen Chör verschönerte, unterfange ich mich 16 Ducaten anzuverlangen, wouon ich fünf den Copisten bezahlen

32 muß. Solte ich So glücklich seyn, daß ein oder daß andere soll gnädigst aufgenohmen werden, so erwarte ich den weitern Befehl. Unterdessen bin ich mit aller Submißion Euer Hoch- und Wohlgebohrn ganz gehorsamster Diener Joseph Haydn mpria.

Estoras, den S~ Febr. 788

Völlig von Haydns Hand geschriebener Orig.-Brief, ebenda II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. 8.

Wien, 6. Hornung 1788. Hofagent v. Müller überschickt dem Fürsten Kraft Ernst zu ÖttingenWallerstein den Orig.-Brief Haydns vom 3. Febr, und teilt zugleich mit, er wolle Haydn einstweilen melden, daß er ihm die 16 Dukaten, welche er für das mit 2 neuen Chören verschönerte Oratorium verlange, im Namen des Fürsten bezahlen werde, sobald das Oratorium eingetroffen wäre. Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. 9. Wien, 19. Februar 1788. Hofagent v. Müller schreibt dem Fürsten Kraft Ernst zu ÖttingenWallerstein, daß er das Oratorium, das ihm Herr Haydn heute über­ schickt habe, dem morgen abgehenden Postwagen unter der Adresse Sr. Durchlaucht aufgeben werde. Die hiefür verlangten 16 Dukaten habe er bezahlt; was den Preis für die 3 bestellten Sinfonien anlange, so sei er gnädigsten Befehls gewärtig. Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. 10.

Wallerstein, 19. April 1788. Fürst Kraft Emst zu Öttingen-Walierstein teilt seinem Hofagenten v. Müller mit, daß er das Haydn’sche Oratorium richtig erhalten und dem Agenten v. Stubenrauch aufgetragen habe, ihm den ausgelegten Betrag mit 16 Dukaten zu vergüten. Der Fürst fügt bei, daß ihm die kommunizierte^ willfährige Antwort des Herrn Josef Haydn sehr angenehm sei, nur wünsche er, wenigstens beiläufig zu erfahren, was z. B. der Graf Esterhazy oder andere dem Herrn Haydn für 2 oder 3 Sinfonien gewöhnlich bezahlten. Konzept ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131.

33 u. [Kurz vor 21. Oktober 1789.] Josef Haydn an Herrn v. Müller. Hoch- und Wohl gebohrner Sonders HochzuEhrender Herr v. Müller! Endlich übermache Euer Wohl gebohrn die 3 Sinfonien für Sl Hochfürstl. Durchl. dem gnädigsten Fürsten Oeting v. Wallerstein. Wegen der so späten Einsendung aber bitte ich gehorsamst um Vergebung, da Euer Wohl gebohrn von selbst einsehen werden, wie schwer es fällt (wenn man ein Diener eines Solchen Herrn ist, der noch in Seinen spätesten Jahren unersetlich in der Music ist) nicht Worte halten zu können. Ich trachtete von ein tag auf den andern den gütigsten Fürsten v. Wallerstein zu befriedigen, allein meine tägliche häufige Dienste ver­ hinderten ein solches jederzeit wider meinen Willen: Längstens heute über 8 Tag werd ich mich erdreusten, 12 ganz neue Tanz Menuetts mit 12 Trios begleitet, zu diesen herrlichen Festin einzuschicken. Nun bitte ich gehorsamst dem dortigen fürstl. Herrn Capellmeister zu melden, daß diese 3 Sinfonien (beuor Sie producirt werden) wegen So vielen Particularitäten genau und mit aller Attention wenigstens 1 mahl möchten probirt werden. Unterdessen bin ich mit vorzüglicher Hochachtung Euer Hoch- u. Wohl gebohrn ganz gehorsamster Dl Ohne Datum.

Josephus Haydn.

Völlig von Haydns Hand geschriebener Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. 12.

Wien, 21. Oktober 1789. Hofagent v. Müller übersendet dem Fürsten Kraft Ernst zu öttingenWallerstein Haydns letzten Brief und teilt mit, daß er die bestellten 3 Sinfonien, die ihm der Compositor Herr Josef Haydn auf sein viel­ fältiges Betreiben endlich zugeschickt habe, mit dem nächsten Postwagen Sr. Durchlaucht einschicken und zugleich die 12 Tanz-Menuetts und 12 Trios beilegen werde, falls ihm diese rechtzeitig zukämen. Zur bevor­ stehenden Vermählung des Fürsten fügt v. Müller untertänigsten Glück­ wunsch bei. Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. 3

34 13.

Esterhaz, 29. November 1789. Josef Havdn an Herrn von Müller. Hoch und Wohl gebohrner Sonders HochzuverEhrender Herr v. Müller! Jch hätte vermög meiner Schuldigkeit stat der Copiatur die Spartitur deren Sinfonien einschicken sollen. Allein, da ich fast den ganzen Somer hindurch solche hefftige Augen schmerzen hatte, daß ich leyder ganz ausser stand wäre eine Reine Spart zu machen, so wäre demnach gezwungen diese 8 unleserliche Sinfonien /; wouon beyliegende, als die beste von denen dreyen, zum Muster dient ;/ durch einen meiner Compositions schüller in meinem zimer und nachhero durch verschiedene Copisten /; damit mir dieselbe nicht entfremd werden ;/ abschreiben zulassen. Aus dieser unleserlichen Spart kann ein Kener auf die übrige schliessen, es ist für dissmahl nicht meine schuld, dan ich bin von Jugend auf gewohnt, die reinsten Spartituren zu schreiben. Solte dem­ nach an denen überschickten Sinfonien ein oder andere Notte versezt seyn, so lasse ich den dortigen H. Concert Meister höflichst ersuchen, mir dieselbe alsogleich schrififtlich anzuzaigen, wofür ich die genaueste Verbesserung einschücken werde. Ich lasse demnach den Durchlauch­ tigsten Fürsten dissfalls unterthänigst um Vergebung bitten: solten aber Höchst dieselbe immediate eine Spart verlangen, so werd ich diese /: zwar mit sehr vieler mühe, indem ich von denen Augen schmerzen noch nicht ganz befreyet bin ;/ Durchl. gehorsamst übermachen. Der Beyfall von dem allergnädigsten Fürsten über diese 3 Sinfonien ist für mich die größte aufmunterung, und wird es seyn bis an die letzten Täge meines lebens, ich wünschte mir das Portrait von höchst demselben nur in schatten Riß zu haben, ich bin ein besonderer Lieb­ haber der grossen Geister. Liebster Herr Müller /; die alte bekantschafft erdreist mich dieses ausdrucks :j Sie werden die Gnade für mich haben und mich hierinfals bey dem gnädigsten Fürsten der Wahrheit gemäß entschuldigen. Bin übrigens mit vorzüglichster Hochachtung Meines Hoch und Wohl gebohren Estoras den 291 91^? 1789

ganz gehorsamster Diener

Dero schreiben hab ich erst vorgestern erhalten, weil die Addreß stat auf Estoras auf Eisenstadt war.

Joseph Haydn mp.

Völlig von Haydns Hand geschriebener Orig.-Brief in der f. Bibliothek in Maihingen (früher im f. Archiv zu Wallerstein). Abge­ druckt bei A. Sandberger a. a. O. S. 42 Anm. 1.

35 14.

Wien, 9, Dezember 1789. Hofagent von Müller an Fürst Kraft Ernst zu Öttingen Wallerstein. Durchläuehtigster Reichs Fürst, Gnädiger Herr! Da Euer Durchlaucht die dringende Geschäfte, mit welchen Hüchstdieselbe Sich wehrend Hochdero allhiesiger Anweßenheit abgegeben, verhindert und vergessen gemacht haben, mich zfi Jhnen ruffen zu lassen, wie Sie Sich es vorgenommen haben, so muß ich Euer Durch läucht mit gegenwärtigen belästigen, und mich anfragen, was für eine Douceur Euer Durchläucht dem FI. Haiden zu machen gedencken. Er hat 3 neue Parthyen schon vorlängst gemacht und solche in Stich herausgeben lassen, und diese werden jene seyn, welche FI. v. Kees haben wird, weil ich allerdings beglaubt bin, daß er die für Hochdero Person componirte Stücke verlangtermaßen niemand andern mittheilen wird. Weiters haben mir Euer Durchläucht aufgetragen, Jhrer Flof Capelle Kirchen musicalien, wie auch einige Stücke v. Mozart und Koczolo(ch) zu verschaffen, von ersterer Gattung sind die vornehmere Meister Reutter, Grau von Berlin, Bonno, Heiden bede, Leopold Hof­ mann, Albrechtsberger, worüber ich mir dero weitere Befehle ausbitte. Euer Durchläucht Wienn den 91 Dec: 1789. unterth(äni)gster Adresse : A Son Alteße Serenißime Monseigneur le Prince regnant d’Ötting Ötting et Wallerstein

Müller.

ä Wallerstein. Orig.-Brief im f. Archiv zu Wallerstein, Personal-Akt Fürst Kraft Ernst Nr. 117, Korrespondenz mit dem Hofagenten Johann Freiherr von Müller und dessen Söhnen. Teilweiser Auszug bei L. Schiedermair, die Blütezeit der Öttingen WallerstehTschen Hofkapelle in Sammel­ bände der Internationalen Musikgesellschaft, IX, Heft 1 S. 106 u. 107. Auf die Adreß-Seite des Briefes setzte Fürst Kraft Ernst eigenhändig den Inhalt des an Herrn von Müller zu richtenden Antwortschreibens fest: „Er (Müller) werde nun von Philipp (Bruder des Fürsten) das present für Haiden erhalten haben: er mir schreiben, ob Haiden mit’m present zufrieden: er an Haiden schreiben, ob er sich entschließen kann, 3 Simphonien wieder zu machen und sie mit den Sparten hiehero (nämlich nach Wallerstein) zu bringen: mir seine Antwort schreiben: 3*

36 dem Müller für seine exactitude danken: ob er mir die gestochenen Sachen für Keeß und alles, was neu v. Haiden gestochen und schriftl. erscheint, liefern ohne Anfrage: eine Liste nebst den Preißen v. opera, oratorio, Cantaten, Arien und Kirchenmusik v. Haiden u. dann eine Liste mit Preißen v. Kirchenmusik an Aemtern, Vespern, Requiem, magnificat, tantum ergo, miserere, Litaneien, Te deum v. beeden Haiden, Bonno, Albrechtberger, Graun, Leopold Hoffmann, Kozeluck etc. NB: auch Arien, Concerte etc. v. Letzterem................“ 15.

Wien, 16. Dezember 1789. Graf Philipp zu Öttingen-Wallerstein an seinen Bruder Fürst Kraft Ernst. Vienne le 16 Decembre 1789. — — — — A propos j’allais presque oublie de Vous dire que le vieux Braun m’a supplie de Vous dire, si Vous ne vouliez pas lui temoigner la grace de faire copier Vos 3 symphonies de Hayden, qu'il payerait volontiers les frais de la copiature; j’ai dit que je prevoyais les difficultes de cette negotiation, et que je repondais de la reußite de chaque autre demande plustot que de celle ci; mais il a cependant insiste ä ce que je Vous ecrire la deßus, et engage sa parole que personne au monde les aura. Faites lui dire Votre reponse par son fils.-----------Votre Ami Lips. Orig.-Brief ebenda, Pers.-Akt Fürst Kraft Ernst Nr. 85. 16.

Wien, 9. Februar 1790. Ferdinand v. Müller (ältester Sohn des Hofagenten v. Müller) an Fürst Kraft Ernst zu Öttingen-Wallerstein. Monseigneur! Monsieur le Comte Frere de Votre Alteße (Graf Philipp zu Öttingen Wallerstein), Conseiller aulique de l’Empire, m’aiant Charge du present ä donner ä Monsieur de Haiden, et aiant appris, que celuici se trouvoit ä Esterhaz, je Lui ai ecrit, pourqu’il m’assigne une personne, ä qui je pouvouis confier la Tabattiere d’or avec les 50 Ducats, affin qu’ils lui parviennent seusement. Je Tai en meme tems recherche au Nom de Votre Alteße de composer encore trois autres Symphonies, dont Vous souhaiteriez recevoir meme la Sparte, et Lui ai propose de faire un tour ä Wallerstein aux fraix de Votre Alteße, qui souhaiteroit faire Sa connaißance personelle. J’attends sur Tun et sur Pautre reponse dans

37 une huitaine de jours, et des que l’aurai, je ne manquerai pas d’en faire part tout de suit ä Votre Alteße. Au reste encourage par Monsieur le Comte sur-dit Votre Frere, je prends la liberte, Monseigneur, de Vous prier reiterement ä vouloir gracieusement m’accorder l’adjonction a la place de l’Agence de mon Pere. Je serois charme, si j’avais la permißion d’ecrire ä Votre Alteße chaque semaine un petit Bulletin fran^ais de Nouvelles intereßantes, qui arrivent ici, et de lui donner Notice des nouvelles bonnes pieces, qui paroißent en Musique, dont je suis grand amateur. Disposez de moi, Monseigneur, et de mes petits Services en toute rencontre, et en me raccommandant dans Vos bonnes graces, faites moi la grace de croire, que je me ferai en tout tems une vraie gloire d’etre avec le plus profond respect Monseigneur de Votre Alteße Vienne le 9. Fevrier 1790. le plus humble et le plus obeißant serviteur Ferdinand de Müller mppia. le fils aine. Orig.-Brief ebenda, Personal-Akt Fürst Kraft Ernst Nr. 117. Auszug bei L. Schiedermaier a. a. O. S. 106. Auf der Rückseite des Briefes Kraft Ernsts eigenhändige Weisung: „An den Agent Müller Sohn des aelteren daß mich’s recht freut, wenn Haiden hielier kommt, ei möchte ihn nur ersuchen, den Zeitpunkt zu bestimmen und zu be­ schleunigen: was die Agentie betrift, will ich mit Philipp sprechen.“ 17.

[Wallerstein, Ende 1790 oder Anfang 1791.] Fürst Kraft Ernst zu öttingen-Wallerstein an den Hofagenten v. Müller. P. P. Mein lieber Herr Hof Agent! Ich bedaure recht sehr, daß ich Sie wegen vieler Geschäfte und beschleunigter Abreise in Wien nicht mehr sprechen konnte. Daß Ihr älterer Sohn Ferdinand von meinem Bruder das Präsent für Haidn empfangen, , hat mir derselbe gemeldet. Doch wäre ich begierig zu wissen, ob Haidn damit zufrieden gewesen und ob er sich entschloßen hat, mir wieder etliche neue Symphonien samt den Sparten zu überschicken. Er ist neulich hier, jedoch nur auf der Flucht durchpaßiert, will aber bei seiner Rükkehr von England sich länger aufhalten. Ueberhaupt bitte ich Sie, mein lieber Herr Hof Agent, mit Ihrer gewöhnlichen Pünctlichkeit mir alles was von Haide neu im Stich und schriftl. herauskommt zu schicken, besonders auch diejenigen Parthien,

38 die H. von Kees besitzt. Sodann wünschte ich mir ein" Verzeichniß nebst einer Preiß Note erstens von allen Haidnschen Opern, Oratorien, Cantaten, Arien und Kirchen Musiken, und dann eine dergleichen von den Kirchen Musiken an Aemtern, Vespern, Requiem, Magnificat, Tantum ergo, Miserere, Litaneyen, Te Deum, von beeden Haiden, Mozart, Kozeluck, Bonno, Albrechtsberger, Reutter, Graun, Leopold Hofmann und andere, wie auch von letztem einige Arien und Concerte. Wegen des Exspectanzdekretes für einen Ihrer Söhne, mein lieber Herr Hofagent, müßen Sie mir noch vorher eine kleine Auskunft geben, weil Sie in Ihrem Schreiben vom 9. xbr. 1789 Jhren Sohn Josef dazu vorschlagen, nachher aber, und zwar unter’m 9. Febr. 1790 sich auch Jhr ältester Sohn Ferdinand darum gemeldet. Geben Sie mir bald eine x\ntwort.

Jch bin etc.

W a 11 e r s t e i n (Datum fehlt). Entwurf ebenda, Personal-Akt Fürst Kraft Ernst Nr. 117. Auszug bei L. Schiedermair a. a. O. S. 106. Der Brief wurde Ende 1790 oder Anfang 1791 geschrieben. Siehe oben S. 23 Anm. 3. 18.

Wien, 15. März 1793. Major von Beecke an Fürst Kraft Ernst zu Öttingen-Wallerstein. De Vienne le 15. Mars 1792 (richtig 1793). Monseigneur! — — — — — — J’ai entendu une Repetition d’un oratoire de Handel: Alexanders-Fest oder die gewalt der Music; eine Ode zum lob der heiligen Caecilia. On ne peut rien entendre de plus beau et plus grand. Havden a ajoute un Coeur, qui surpaße tout ce que j’ai entendu de ce grand Home. Hayden und Händel stehen da neben einander, einer so groß alß der andere. Doch haben mich die Würckungen der Harmonie und daß große Meisterhafte an gemälden in dem Chor des Hayden mehr hingerißen. Je joindrai les paroles de ce Choeur, pour que Votre Alteße puiße s’en faire une Jdee. Nous devons TExecution de l’oratoire de Handel et de ce choeur de Hayden a Ms. le Baron de Suieten, qui a trouve une souscription de 12 amateurs, qui font executer cette belle Musique a leurs frais dans une Sale de la Maison du Prince de Dietrichstein. Hier il y avait le Concert au benefice de Hayden dans la petite Sale de la Redoute. On a distribue 400 billets a 1 Ducat. L’aßemblee ctoit außi belle et choißie que la Musique. Hayden a fait 3 de ces nouvelles Synfonies, qu’ il a envoye a Votre Alteße. Mafolli et Mad: Tomeoni ont chante.

39 II y a tous les Mardi Concert cliez le Prince Lo(b)kowiz; j’ai deja aßiste a deux Concerts, j’ai du meme jouer du Clavecin, ce qui ne m’ est pas arrive depuis long tems. On a fait deux de mes Synfonies, qui ont eu beaucoup d’approbation, celle de Hayden, qui etoit present au dernier Concert m’a surtout Hatte. J’ai l’honneur d’ etre avec le plus profond Respect Monseigneur de Votre Alteße S™0; le treshumble et tres obeißant Serviteur Beecke Major. Orig.-Biief ebenda, Älteie Kabinets-Registr. II. Abt. A 5 d Hof­ musik Nr. 17. Was das Datum des Briefes, 15. März 1792, anlangt, so muß bezüglich der Jahreszahl ein Schreibfehler vorliegen. Denn 1. weilte im März 1792 Haydn noch in London, 2. wurde v. Beeckc erst im Juni 1792 der Titel eines Majors verliehen (Schiedermair a. a. O. S. 110) und 3. hielt sich v. Beeckc nachweisbar vom März bis Juni 1793 (siehe oben S. 2G Anm. 1), nicht aber 1792 in Wien auf. Der Brief ist daher mit Sicherheit nicht von 1792, sondern von 1793 zu datieren. 19.

Regens b u r g, 1 5. April 179 3. B: v. Schacht an den fürstlich Wallersteinschen Kammermusiker Franz Xaver Linck. Mein Herr! So eben bekäme ich Brief auß Wien von dem Herrn Majoi v. Beecke, der unter andernn mich auch befrug, ob ich die 3 übrige Havdnischen Sinfonien schon von ihnen erhalten habe, widrigenfall ich nur directe an S. D. von Wallerstein schreiben soll. Da ich vor G Wochen von ihnen die Vertröstung bekam, daß sie mir diese 3 Sin­ fonien in 10 Tagen scliiken würden, so vertröstete ich mich von einem Tag zu dem andern, aber vergebens. Nunmehro sind aber wegen unser baldiger Abreiß nach Tischingen die Concert vorbey, hiemit muß ich dieselben ansuchen, daß sie doch wenigsten diese 3 Sinfonien verfertigen, damit ich sie mit Anfang des Mai in Tischingen habe. Eß müste nur sein, daß Ihre D. ihr Fürst wiederum Sinn geändert hätte, jn dießem Fall würde ich an Höchstdieselben zu schreiben mich unterfangen. Ich verbleib mit vieler Schätzung Dero Reg(ensburg) den 15^ April 1793 bereitwilliger Diener B: von Schacht

40



Adresse: An den Herrn Herrn Frantz Xaveri Linck Kammer Musicus S. D. von Wallerstem in par Nördlingen franco.

WaUerstein

Orig.-Brief ebenda, II. Abt. A 5d Hofmusik Nr. 131. 20.

Wallerstein, 27. Juli 1795. Fürst Kraft Ernst zu öttingen-Wallerstem ersucht den Reichs­ hofratsagenten von Götz in Wien, ihm die herausgekommenen neuen Sinfonien von Haydn zu übermachen. Entwurf ebenda, II. Abt. A 10 Kabinet, 2. Agenten Nr. 33. 2t.

Wallerstein, Januar 1796 (Tag fehlt). Fürst Kraft Ernst zu Öttingen-Wallerstein an den Reichshofrats-Agenten von Götz in Wien. P. P. Es sollen, wie ich vernehme, 6 neue Synfonien vom Hayden herausgekommen und in Wienn zu haben seyn. Mein etc. wird mir nicht nur diese auf meine Kosten überschicken und mir dabey den Betrag der letztem berichten, sondern auch den Hayden, wenn er sich dermal in Wienn befindet, in meinem Namen ersuchen, ob er mir einige neue Synfonien verfertigen und über­ schicken wolle. Ich erwarte Meines etc. Bericht über seine Antwort und bin mit wahrer Konsideration jederzeit Meines etc. Wallerstein, den Jan. 1796. Konzept ebenda, II. Abt. A od Hofmusik Nr. 108.

Der Gunzenlee und die Lechfeldschlacht. Von Lehrer Eduard Wallner in Augsburg.

Mit der jungen Auensiedelung Siebenbrunn übernahm Augsburg am 1. Juli 1910 in den äußersten südöstlichen Aus­ zattelungen seines erweiterten Weichbilds, jetzt im Flutbereich des Lechs gelegen, das Gebiet des Gunzenlees, eines altger­ manischen Dinghügels, hochberühmt einst und viel besungen wie kein anderer Rechtsstuhl im Reich. Contio legis nannten ihn die oberdeutschen Klosterchronisten, Ort der Gesetzesversamm­ lung, und so stellt er sich ebenbürtig neben das fränkische malloberg (Mahlberg), das nordische lögberg (Gesetzesfelsen), den völkischen Mittelpunkt Altislands. Hätte die Tücke des räuberischen Bergstroms ihn verschont, er bildete das ehrwürdigste Kleinod deutscher Vorzeit unserer an Schätzen der Vergangenheit so reichen Stadt. Ihr erster großer Freiheitsbrief trägt seinen Namen.1) Herzoge feiern hier ihre ritterlich-höfischen Maienfeste, Könige ihre Hochzeiten in verschwenderischer Pracht. Friedrich Rotbarts gewaltiges Reichsheer rüstet sich hier zur Romfahrt2), wie sich ehedem nach dem Sänger des Biterolfliedes König Etzels Völker ohne Zahl zum Zug hier sammelten an den Rhein. Von Dietrich dem Berner3) bis Konradin kennt deutsche Sage und Geschichte kaum einen volkstümlichen Heldenkönig, dessen Name sich nicht mit dem des Gunzenlees verschlingt. Die kaiser­ liche Majestät selbst besitzt an dieser Statt seit den Tagen Ottos und Karls, der „göttlichen Fürsten“4), einen ewigen Richterstuhl5), 1) Vom '9. Mai 1251. M. B. XXXIII, 1, 80 und Chr. Meyer, Urkunden­ buch der Stadt Augsburg I, 11. 2) Ottonis Fris. op. gesta Friderici imp. lib. II c. 11: In campania Lici fluminis termino Baioariae contra civitatem Augustensem. Anf. Okt. 1154. M. G. h. script. XX, 395. 8) O. Jänicke, Biterolf und Dietleib. Berlin 1866. An den beiden Gunzenlee-Stellen des mhd. Gedichtes 5638 und 12839. 4) Divi nostri principes Karolus et Otto. Otto Fris. 1. c. lib. II c. 21, XX, 405. 5) Jure perpetuo thronum iudicialem. Ex Chronico Eberspergensi posteriore Script. XXV, 869.

42 um in aller Würdex) mit goldenem Stab *2) Recht zu sprechen und die Reichsgeschäfte zu ordnen. Zu höchstem Ruhm aber, vergeblich bestritten, erheben die Chroniken von Pöhlde und Ebersberg den Ort durch seine Verbindung mit der Siegesschlacht auf dem Lechfelde. Der älteste und zugleich bedeutsamste Beleg, bekannt aus den nach 1164 geschriebenen Annales Palidenses3), lautet: clivus qui dicitur Guncenle. Sonst begegnet Gunzenle, Guntzenlen. Da­ neben tritt schon am Ende des 12. Jahrhunderts die vom benach­ barten Strom beeinflußte Form Gunzinlech auf. Die Epen haben übereinstimmend Gunzenle. Die dem schwäbischen Mundart­ gebiet angehörenden Klöster Polling, Wessobrunn, Ottobeuren und Weißenau bieten die etwas abweichenden Gestalten Cuncille, Gunzile, Gunzele. Die schwäbische Zunge hat ihnen das n der schwachen Biegung geraubt (Dr. Miedel-Memmingen und Kauftmann, Schwäb. Mundart S. 135). Nach all dem ist ursprüng­ liches Gunzinle herzustellen. Das Grundwort ist das mhd. männ­ liche Sachwort le = Hügel, nhd. (h)lev, Wesfall (h)lewes, lautlich und begrifflich gleich mit dem lat. clivus und mit dem nhd. lehnen zu­ sammengehörig. In der Gegend wird le in Bacherlech bei Mering (1492: Wachenlech. Bayer. Allgem. Reichsarchiv München, Kloster Fürstenfeld Urk. 120) für Moränenhügel gebraucht. Die folgenden Zeugnisse dagegen setzen den Gunzenbühel, einen künstlichen Erdaufwurf, in unverkennbare Beziehung zum Gunzenlee. Vielleicht war dieser der König jener bedeutenden Grab­ hügelgruppe bei den drei Kreuzen, von der Franz Weber in unserer Zeitschrift (XXII, 7 und 12) berichtet. Einen völlig gleichartigen Fall bietet ein schwäbischer Ding­ hügel in der Flußebene des linken Neckarufers, etwa halbwegs zwischen Kiebingen und Wurmlingen oder Rottenburg und Hirschau, der von Pfeiffer (S. 88) und Uhland (Schriften VIII, 600 ff.) besprochene Birhtinle, d. i. le eines Birhto, Birhtilo4), A) Swenn er (der Kaiser) uff dem Gunzenle enbrutstoul in aller wirde säzze. üng. Titurel nach Uhlands Schriften z. Geschichte der Dichtung u. Sage VIII, 602. 2) Sceptro aureo. Liudprandi Liber de rebus gestis Ottonis Magni imperatoris. Script. III, 348. 8) Script. XVI, 60; die Quellen für die weiteren Namenformen finden sich in den S. 43 Anm. 3 genannten Aufsätzen. 4) Koseform von Berchtold. Ed. Heyck, Geschichte der Herzoge von Zähringen. Freiburg 1891 S. 4.

43 „auf dem im 13. Jahrhundert nicht nur Gerichtsverhandlungen, sondern auch Hochzeitsfeierlichkeiten stattgefunden haben“. Pfarrer Haag in Kiebingen schildert die Stätte so: „Auf einer Wiese, nach der Flurkarte Burglehen, im Volksmunde Burgenlai genannt, ragt eine ganz kleine Erhöhung etwa 1 Meter über die sonst vollkommen ebene Umgebung. Der Durchmesser beträgt 10—12, der Umfang 30—40 Meter. Es handelt sich wohl zweifel­ los um einen alten Grabhügel. Unmittelbar neben ihm steht ein ungefähr 1 Meter hoher, behauener, viereckiger Grenzstein.“ — Nicht wesentlich anders wird der Gunzenlee ausgesehen haben. Unbewohnte Flurteile benennt das 12. Jahrhundert nur selten nach ihren Besitzern; darum ist die Eigenschaft des Lees als Grenzzeichen, die sonst nur die späten Friedberger Salbücher bezeugen und die ihm nicht von vornherein angehaftet haben muß, möglicherweise auch aus der Zusammensetzung mit einem besitzanzeigenden Genetiv des Personennamens Gunzo zu er­ schließen. Diese Kurzform ist auf irgend einen mit dem ahd. gund „Kampf“ gebildeten Vollnamen wie Gundberht, Gundram, Gunthari (wegen des t vgl. Schatz in Zeitschrift für d. Altertum XXXXIII, 25) zurückzuführen. Belegt ist: Gundakar qui et Gunzo (A. Socin, Mhd. Namenbuch S. 184). Es mangeln die Unterlagen, die Koseform an eine bestimmte geschichtliche Per­ sönlichkeit zu knüpfen. Der ganze Flurname bedeutet also „(Ding-, Grenz- oder Grab-) Hügel eines Gunzo“. Wenn Franz PfeifferJ) schon 1856 das Wesen des Gunzenlees nachgewiesen hat, so blieb hingegen die genaue Bestimmung seiner Lage unmöglich. Die literarischen Belege, von Anton Steichele2) beinahe vollständig zusammengestellt, sind zur Lösung dieser Frage zu wenig beredt; sie können jedoch ergänzt werden durch archivalische Funde3), welche die vermittelnden Glieder zwischen einst und jetzt ans Licht bringen und damit die Zeichnung eines Flurplanes erlauben, der die lange und oft gesuchte Örtlichkeit endlich feststellt. Die Belegstellen über das Gelände um den Gunzenlee folgen nachstehend: 0 Germania, Vierteljahrsschrift für die Alterthumskunde. Stuttgart 1856 I, 81 —100 und V, 92 Anmerkung. 7) Das Bisthum Augsburg 1864. II, 491—499. 8) Meine Mitteilungen in der Altbayer. Monatsschrift. München UI, 46; IV, 3—25 und bei G. Euringer, Auf nahen Pfaden, S. 75—82.

44

Quellennachweise.*) i

Nr.

Quelle

Zeit

Belege

i

Reichs-Archiv München, Fried­ berg Literalien 9/1. — Salbuch des Ldg. Frd.

1420

zum ersten hat man erfaren an den eltisten, daß meins herren lanndtgericht und der wildtpan gee von dem zolhaus hinauf warz bis an den Günzenlech und daselbs stosset das halsgericht von Moringen heran, die zway halsgericht, die schaidet der Günzenlech.

2

R. A. M. Frd. L. 9/2. — Salbuch des Ldg. Frd.

1469

. . . vom zolhaus am Lech hinauf wartz zwischn des Lechs und Landsperger stras9 bis an den Gunzenlech, daselbs ist ge­ standen ain stainen kreuz gen dem Hagenbach über, das hat der Lech mit sambt dem Gunzenlech hingebrochen und nieder gewarffen: und an dem ende hebt sich Moringer gericht an und her dishalb Lands­ perger strass get das landgericht und der wildpan von dem zolhaus bis zue der Ottenmüll. . .

1469

. . . mein herr hat von Fridberg auss zue belaiten bis über die lechprugken zue dem stainen kreutz gen Augspurg hinein gelegen und was pis zue dem bemelten stainen kreuz verwarcht wirt, hat man gen Fridberg ze straffen: vom stainen kreutz get das glait hin auf bis an Guntzenlech neben Kus­ singen. dasselb darf Kussing ist ain darfgericht, gehört die aygenschaf dem Cardinal (Kardinal Peter I. von Schauenberg, Bischof von Augsburg, 1423—69. Götz. Handbuch II, 960) zue und ligt inn dem lantgericht Fridberg.

R. A. M. Mering 1573 L. 1, — Grenzi beschreibung des | Ldg. Mering j

. . . von Ottenmüller tradt hinab der stras nach bis zu den dreyen Creuzen, von denselben geradt hinüber an Lech.

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3

desgleichen

1

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i

i 4

*) Das im Originaltexte vorkoramende v und w wurde, soweit es als u zu sprechen ist, in den nachstehenden Belegstellen als solches geschrieben. Die Eigennamen erscheinen in großen Buchstaben. Sonst ist der Originaltext unverändert wiedergegeben.

45 Nr. |

Quelle

Zeit

5

desgleichen. Aus einem Zeugen­ verhör über Grenz­ streitigkeiten zwischen den Ldg. Frd. und Mering.

um 1476

. . . von erst sagt Conrad Würsing, burger von Augspurg, daß im auf vierzig jar wissen sey, daß die von Fridperg iren besuech ge­ habt haben hinauf bis an den Gunzen­ büchel. item Lienhart, Zöllner an der innern prugkh von Augspurg, sagt, daß im khünnd unnd wissen sey ob fünfzig jaren, . . . daß das khreiz vor alten zeithen gestannden gegen dem Gunzen püchel über unnd daselbst hab es gehaissen an dem Gunzen­ lech unnd das hab der Lech hingerissen. Matheiß Lanng von Augspurg sagt . . ., daß er zu den Zeiten bey Conrad von Frey­ berg zu Fridperg thorwärtl gewesen sey, da die von Moringen das neu creiz gesezt haben. Gülg Richsner von Othmaringen . . . sagt . . , , daß Hanns Teufl, zu Moringen ambtmann, . . . alle maal herab von Mo­ ringen unz an den Gunzen püchel ge­ ritten ist und daselbst der herrn von München glait eingenommen hat.

1573 Juni 1.

. (Es möchte als Grenze zwischen den Landgerichten Friedberg und Mering) das annder mitl auf dem Gunzenpühel, dar­ auf dreu creiz steen, und von dannen zwerch hinyber an Gunzenlech fürgezaigt werden.

W. Hundt, Stammenbuch Ingolstadt 1586. II, 400.

1586

. . . oberhalb Augspurger lechpruckhen und der au hinauff Bayrn halb, wie sich Fridperger und Meringer gericht schaiden, bey der steinin säul ist ein ort oder fleck nahend am Lech, heist man noch heutigs tags Guntzenlech und Guntzenpühel.

M. B. XXIII, 212. Urkunde des Klosters St. Ulrich und Afra in Augsburg.

1367 Juni 10.

Hainrich der Cramer, burger ze Auspurg, verkauft daz wismat ... ahtzehen tagw e r ck (= Nr. 2 des Kärtchens), die gelegen sint uf demlechvelt hie disshalben dezGuntzen­ lech s und stozzent ain halben an dez spitals wismat und anderhalben an die R o r a c h, Cunraden dem Püttinger dem goltsmit burger ze Auspurg. . .

' I1 j

6 j

desgleichen. Aus einem Bericht der Hofkammer in München.

7 |

8

i

Belege

46

Nr.

Quelle

Zeit

9

Stadt-Archiv Augsburg1) Hospitalarchiv (Heiliggeist) Tit. I tom. 74. — Beschreibung der Mähder auf dem bayer. Lechfeld bei St. Afra.

1531 Sept. 29.

(Damals besaß das Spital auf dem Lech­ feld 77 Tagwerk in 9 Stücken, darunter) . . . zum dritten 7 tagwerkh (= Nr. 3 d. K.), die ligen am Guntzen bühel (= Nr. 1 d.K.) und stoßt oben an Tarant (= Nr. 2 d. K.); der bischof zu Augspurg hat gemeltenn Ta­ rant zu verleyhen. . .

10

desgleichen.

1604 Mai 22.

... 7 tagw. im Gynntzerbihel genannt, die ligenn an zwayenn stuckhenn: der (nördliche) underthail (= Nr. 3 d. K.) stoßt gegen aufg. u. niderg. auf die Straß, mittag auf den Tarant, den Jesuitern zu Kissingen2) geherig; der (südliche) oberthail dises madts (= Nr. 4 d. K.) stoßt gegen aufg. an die straß, mittnacht abermahl auf den Tarant. . .

desgleichen.

1620

. . . 6®/4tagwerckh am Gynntzbichel ge­ nant stoßt gegen aufg. an die straß, müttnacht an den Tarrach, ist ain zimblich madt. mer 2 t.madt bey den drey Creitzlen, stoßen gegen aufg. an die straß, niderg. an Rettenberger möder, müttag a n d e n Ta rr a c h, ist ain sprerer boden. . .

lI 1i

ii

i !

....................................................

1

Belege

12

desgleichen.

1674

. . . 4 t. bey den Creutzlin, auffg. die straß . . mittag ahn die Tarach. 68/4 t. imGünttersbühl, auffg. die straß, . . . mittnacht ahn die Tarach. . .

13

desgleichen.

1721 April 5.

... 6 t. gegen aufg. Münchner straß, niderg. Landsperger straß . . .

*) Für die außerordentlich liebenswürdige Bereitstellung des sehr um­ fänglichen Aktenbestandes danke ich den Herren Archivdirektor Dr. Hans Wiedenmann und Archivoberinspektor Karl Hirschmann auch an dieser Stelle. 2) Die zum Landgericht Friedberg gehörige Hofmark Kissing ging mit der Tarantwiese am 11. Juli 1602 aus dem Besitz des Bischofs von Augsburg in den des dortigen Jesuiten-(St. Salvator-)Kollegiums über.

47

Nr.

Quelle

Zeit

14

desgleichen. Vgl. St. A. A. Kath. Wesens-^ archiv L 263.

1729 Okt.

.

15

17.

desgleichen.

1748 Mai 31.

... 7 t. oberhalb der 3 f cappell stoßet gegen aufg. an die straß . . . mitter­ nacht auf die Dar ich. . .

desgleichen.

1752 Juni

. . . das erste stuckh (= Nr. 3 d. K.) ohnweit der drey Creuz inn haltend 4 T. nuzet Johan Eckhardt von Kissing. — Der süd­ östliche Grenzpfahl stand . . . am eckh bey den 3 Creuz. — das zweite stuckh (= Nr. 4) nuzet Simon Merckhel von Kissing. — Der nordöstliche Grenzpfahl stand östl. gegen die Augsbg. Straße, nördl. gegen Johannes Greiff von Kissing, dem ein Teil der früheren Tarantmahd verliehen war. Tarant und Hospitalwiese erstreckten sich also gegen­ über dem heutigen Stand ein bißchen weiter östlich bis zur alten Augsburger Straße.

i

20.

i

i 17

...7t. stoßengegen aufg. auf die Augspurger Straß ..., mitternacht neben Ge­ orgen Gründlers wittib von Kissing sog. Darrich wisen (eine andere Ausfertigung vom gleichen Tage hat: Wexl- oder Dar riwisen). von dannen weithers rechter handt hinumb gegen die 3 Creuz und etwas underhalb derselben 4 t. gegen aufg. auf die Augspurger straß gleich neben oder underhalb der 3 Creuz . . , mittag neben Johann Paumiller pöckhen von Kis­ sing sog. Darrich wisen. (Die andere Ausfertigung hat: Därri wisen in hofmarch Kissing). mehr 7 t. hinab gegen mitternacht am hochgericht Fridtberg. jurisdiction (an der Augsburger Straße).

______ _____

1 16

Belege

i j

St. A. A. K. W. C 26?3 und Jesuiten 3/1. — Grenzbeschreibung von Kissing.

um 1450

. . . die grenze geht zu Othenmüll durch den hoff hinuß unnd durch den hört weg biß uff Möringer staig. von Möringer staig biß uff die hochstraß. uff der hochstraß hinab piß inn den Hagennbac h.

48 | Nr.

Quelle

Zeit

18

St. A. A. K. W. L. 182. — Akt über Grenz­ streitigkeiten.

1602 Sept. 25.

19

desgleichen.

Belege

. . . besonders gezeugen wür nachbenante als Hanns Wimmer, ein achzigjäriger baur, Ulrich Lorenz, Leonhart Weiß und Jerg Merkhl, ieder zwev- oder vierundsibenzig j jahr alt, daß die hochstraß, deren in der verlesenen gränitzbeschreibung (in Nr. 17) meldung beschicht, aniezt im Lech lige.

1725 Aug. 20. i ! I

Michael Kayser soc. Jesu gibt an: auf der Lechseithen der hofmark Kissing lasset sich nit wohl einige marckhung vornemmen, weill nit recht bekannt, wie weith über den Lech sich die hochstraß erstreckhet, welche vor diesem auf selber seithen gränizschaidung war. . .

20

St. A. A. Jesuiten 3/1. — i Salbuch Kissing, „vidimierte Ab­ schrift“ von 1602.

1498

i

i 21 I I 1 ;

St. A. A.

1607 1

Jesuiten3/19 u. K. W. G 7t — Grenzen von Kissing.

j Sept. 1 24. ! 1 j j ' !

1 22

23

St. A. L. 342. von L ........ .

A. K. W. — Grenzen Kissing. . .. ...... ...... .

St. A. A. K. W. E. 405;

*) Nach gebessert.

1659 4 1665

die

... darzue (zur großen Tratt „Weide“ der Hofmark Kissing) gehören achzehen tagwerckh, so genant sein Tärandt madt, | ligt darauf der Günzert pühel1), unden I und oben des hailigen Gaists und stoßent gegen Lech uf die leuthen. Kissinger gezirckh . . . fachet sich an ein wenig underhalbderdreyenCreizen, so pater Joann Völckhel diß 1607 jär alß ein landtmarch auf hoffmarchischen grundt steende den Möringern mit 29 fl. erneuern helffen . . . das wißmadt Dari, so dem collegio stifftbar, erstreckht sich von der lanndtstraß gegen der rechten, (vom Hoch­ zoll her gesehen) biß an den Lech. . . . . . die grenze gehtbey den dreyCreuzer als dem andern haubtmarch hinyber geger dem Lechfluß. . . ...die drey Creuz ein unmitlbar unf richtiges gräniz march gegen Fridtberg.

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49

Nr.

Quelle

Zeit

24

St. A. A. K. W. E 364.

1690

. . . 4 t. Lechfeld wisen zwischen denen zwey Strassen, aufg. Augspurger, niderg. Oberländer strass, mittag Dionisi Hagg, mitternacht auf ein spitalwis (= Nr. 4 d. K.) von Augspurg.

25

St. A. A. K. W. L 168

1731

Ein acker auf dem Lechfeld bey anfang oder zusambfüegung der A.ugspurger und Oberländer strass heroberhalb des Fridtberg. gränizmarchstein liegt gegen mittag neben einer Augspurg spital-wis (» Nr. 3 d. K.) und stößt gegen mittemacht neben den verfahrnen plaz, wo eben gemelte Strassen zusambgehen.

26

St. A. A. K. W. C 3826.

1784

. . . auf der Darriwiesen seind die 3 Kreuz in einer gemaurten feldkapelln ausgestellt.

27

St. A. A. K.

1804 Aug. 10.

Auf churf. speci^ befehl hat das ldg. Friedberg sammenthliche kapellen, welche nicht consecriert sind, abgehen lassen miessen und dises geschähe auch gestert der kapell auf dem Lechfeld bey denen 3 Kreuz genant. — Da die Kapelle in unbekanntem Jahr vom Kollegium erbaut ist, wird ange­ fragt, ob die Steine vom Ldg. Friedberg an­ gefordert werden sollen.

W. G 8|4.

Hofmarksrichter M. Schwarz, Kissing, an P. Pro­ kurator v. Schulu. Kirchenfond d. Koll. zu St. Sal­ vator Augsburg. 28 Rentamt Friedberg, Grund-, Sal- und Lagerbuch.

1837

Belege

Plan-Nr. der Steuer­ gemeinde Friedberg 2940 2946—2955 2935 2957

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1 2 3 4

Flurname

Dreikreuzrangen Tari-, Tarywiesen Neben den drei Kreuz Ober den drei Kreuz

4

50 Von Augsburg nach Osten reisend betrat man um 1500 bei einem Sühnekreuz (Beleg-Nr. 3), dessen Veranlassung Clemens Senders Chronik (Chron. d. d. Städte XXIII, 37) erzählt, noch auf dem linken Lechufer bayerischen Boden. Hier stieß die Nordspitze der zu Bayern gehörigen Meringer-Au heran (R. A. M. Frd. L. 9/2). Die St. Ulrichs-Lechbrücke hatte Bischof Heinrich I. (f 982) erbaut. Super Licum fluvium ad Sanctam Afram pontem composuit, erzählt Kapitel 28 der Vita s. Oudalrici (Script. IV, 417), wo „ad Sanctam Afram“ im Gegensatz steht zu „matricem aecclesiam“, der Domkirche. Gemeint ist nicht, wie A. Schröder (die Ungarnschlacht von 955 im Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts Augsburg I, 475 Anm. 5) lehrt, das 1169 als ecclesia in Lechveit (M. B. XXII, 178 ff.) erscheinende Afrakirchlein auf dem Lechfelde, sondern die ebenso nahe, unter der gleichen Bezeichnung „ad Sanctam Afram“ auch im Kap. 4 $er Vita (Script. IV, 391) vorkommende Afrakirche in Augs­ burg, wie denn das nachmalige Reichsstift St. Ulrich und Afra die Brücke fortan unterhielt und hiefür den Zoll bezog. Am jenseitigen Ufer stand das bayerische Zollhaus des „fürstlichen Großzollners am hohen Zoll zu Friedberg“ (Urk. d. hist. Ver. v. Oberbayern Fasz. 168 Nr. 4431 z. J. 1540). Hier schieden sich die Straßen. Die „recht lantstraz auf dem Lechveld pey der Lechpruk“ (R. A. M. Frd. Urk. 2 z. J. 1429), eine befreite Land­ straße, ging über Friedberg und Dachau nach München, war für Wein-, Mehl- und Getreidefuhren vorgeschrieben und hieß deshalb auch Weinstraße. Eine andere erhobene Kunst- oder Hochstraße (Nr. 17—191) lief südlich, um sich sehr bald aufs neue zu gabeln. Der eine Ast, nach seinen Endzielen bald Münchener (Nr. 13) bald Augsburger (Nr. 15, 24—25) Straße genannt, auf Katasterblatt N. W. X. 20 eingetragen, auf unserm Kärtchen als „Alte Augsburger Straße“ bezeichnet, in der Flur jedoch überpflügt, führte zunächst nach Kissing, wo er als vor dem Bahnbau benützter nächster Fußweg nach Augsburg noch in der Erinnerung fortlebt. Er spaltete sich dann, um als „die *) Die jetzige Staatsstraße nach Bruck entstammt erst dem Anfang des 19. Jahrh. (St. A. A. K. W. C 3834). Vorher war der Weg von Mering zur „churfl. Grenzmauth am Hochzolle unerhoben und führte in breiten ausge­ fahrenen Ebenen über das Lechfeld.44 (Adr. von Riedl, Reise-Atlas von Bajern. München 1796. 3. und 6. Lief. S. 2.)

51 erst saltzstraß“ über Tegernbach, Mittelstetten, Mammendorf, Bruck, Paßberg bei Puchheim, als „die annder saltzstras“ über Baindelkirch, Vogach, Günzelhofen, Unterschweinbach, Auf­ kirchen, Esting, Gröbenzell München zu erreichen (R. A. M., Dach. Lit. 4. 203). Der andere Ast, die Landsberger Straße des zweiten Friedberger Salbuchs, bildete am Lech hinziehend anfangs die nordsüdliche Grenze zwischen dem Landgericht Mering und der zu Friedberg gehörenden Hofmark Kissing (Nr. 2). Die Grenzscheide folgte darauf dem links abzweigenden „Möringer Staig“ und dem wiederum links zur Ottomühle füh­ renden „Hörtweg“ (Nr. 17). Die Straße selbst strebte über Prittriching (Böhmer, Regesta imperii 1198—1254 p. 175) dem Oberland zu. Als die Hochwasser den Straßenzug bei Kissing vernichtet hatten (Nr. 18 f.), fuhren die Wagen der Oberländer, womit die Bauernschaft oberhalb Mering gemeint ist, in der Bahnflucht des alten Wegs unmittelbar über die Heide zur Brücke bei Hochzoll und die sich bildenden Gleisspuren und Fahrtrinnen erhielten den Namen Oberländer-Straße. Das Feld in dem Zwickel der Straßengabelung hieß „zwischen den zwei Straßen“ (Nr. 24) und hier, im Osten an die München-Augsburger Straße, im Westen gegen die Lands­ berger—Oberländer-Straße stoßend, liegen die für die geogra­ phische Bestimmung des Gunzenlees wichtigen Flurteile. Nach Nr. 1, 2 und 3 lag er an der hier west-östlich verlaufenden Gerichtsgrenze Mering-Friedberg am Lech, nach Nr. 4, 22 und 23 stößt später dieselbe Grenze bei dem Hügel zu den drei Kreuzen an den Fluß. Also muß der Gunzenlee bei voraus­ gesetzter Stetigkeit der Grenze lechwärts bei den erwähnten drei Kreuzen gelegen sein. — Ähnlich läßt sich der Hagenbach, der einerseits beim G. bezeugt ist (Nr. 2), anderseits als alte Grenzmarke gilt (Nr. 17), zu einem Beweis verwenden. — Der G. und der nach ihm benannte Gunzenbühel lagen nach Nr. 7 nahe beieinander an einem „Ort oder Fleck“. Das beglaubigen überdies noch die unter sich unabhängigen Nr. 5 und 6. Der Gunzenbühel ist aber gleich dem nachmaligen Hügel zu den drei Kreuzen, wie aus einer großen Zahl von Belegen, besonders Nr. 6, hervorgeht; er bestätigt so wiederum obigen Schluß. Nach Nr. 8 wird beim G. im Jahre 1367 eine Lechfeld­ wiese von 18 Tagwerken verkauft, die einerseits an die Rorach —

4*

52 — an ihre Stelle ist inzwischen der Leeh getreten —, anderseits „an dez spitals wismat“ stößt. Diese Spitalmahd findet sich nun tatsächlich in unmittelbarster Nähe des Gunzen- oder Dreikreuz­ hügels (Nr. 9—16). Mehr noch, es ist unzweifelhaft, daß der Gunzenbühel auf jenen 1367 verkauften 18 Tagwerken lag (vgl. Nr. 8 mit Nr. 20), die in den Spitalurkunden der altertümliche Name Tarant bezeichnet, für den bis jetzt eine genügende Erklä­ rung noch nicht nachgewiesen werden konnte, und die Nr. 9—26 zeigen die Formen der allmählichen Verwitterung bis zu dem heutigen Flurnamen „Tariwiese“ (Nr. 28), d. i. Nr. 2 des Kärtchens. Neben ihr dehnte sich die Wiese des Heiliggeistspitals in zwei Stücken (Nr. 10). Der nördliche oder untere Teil = Nr. 3 des Kärtchens nennt sich 1729 „neben oder underhalb der 3 Creuza (Nr. 14, vgl. Nr. 9, 10, 12, 15, 16, 20, 24, 25), heute „Neben den drei Kreuzen“ (Nr. 28). Der südliche oder obere Teil = Nr. 4 des Kärtchens heißt 1748 „oberhalb der 3 Kreuz Capell“ (Nr. 15, vgl. Nr.10—12, 14 — 16, 20), heute „Ober den 3 Kreuzen“ (Nr. 28). Diese drei Flurteile ordnen sich ebenmäßig um den ersten, d. i. PI.-Nr. 2940 oder Nr. 1 des Kärtchens. Da von ihm aus die Grenze zwerch, d. h. hier west-östlich im Gegensatz zu der bis zu diesem Eckpunkt süd-nördlich ziehenden Grenz­ linie, „hinyber an Gunzenlech“ (Nr. 6) oder nach einer andern gleichzeitigen Fassung „geradt hinüber an Lech“ (Nr. 4) verlief, so ist die geographische Breite des Dreikreuzhügels, 48 0 19' 47", auch für den Gunzenlee anzunehmen. Nach Nr. 2 lag der Gunzenlee zwischen dem Fluß und der untergegangenen Landsberger Straße. Er muß also notwendig auch dem Lech zum Opfer gefallen sein. Die Tatsache wird übrigens ausdrücklich durch Nr. 2 und 5 verbürgt. Damit ist das Lechbett als geographische Länge für den zerstörten Hügel gewonnen. Dieses war aber verschiedenen zeitlichen Verände­ rungen unterworfen, ja, hin und wieder wurde schon die Ver­ mutung laut, der fragliche Punkt müßte heute vielleicht sogar links vom Lech angesetzt werden, so daß mithin Pfeiffer mit seinen dahinzielenden, von Steichele widerlegten Schlüssen möglicherweise auf eine von ihm selber ungeahnte Art zum Rechte käme. Bei all seiner Neigung, sein Bett nach Osten zu schieben und dafür im Westen Land anzuschwemmen — die bayerische Meringer Au war ein Erzeugnis dieses Vorgangs

53 (Steichele II, 498 f.) —, so ungebärdig und zügellos hat sich der Lech doch nicht benommen. Wenn wir auch über keine genauen Messungen für diesen Ab- und Aufbau des Landes verfügen, so bietet gerade die vorgenannte, gegenüber der besprochenen rechtslechischen Flur sich dehnende Auenniederlassung für eine ungefähre Schätzung einen guten- Anhaltspunkt. An die Ent­ stehungszeit des aus verschiedenen Behausungen von Jagd-, Brunnen- und Viehhütern langsam anwachsenden Vororts Sieben­ brunn gemahnt noch der Name des Ochsenbachs. Etwa 200 m östlich von seiner Quelle stand der Ochsenpförrer der Augs­ burger Metzger (später Kastnerei) und rings um ihn breitete sich ein großer Ochsenweideplatz. Auf den Karten des 18. Jahr­ hunderts1) schwankt der Abstand zwischen dem östlichen Rand der Weide und dem westlichen Lechufer zwischen 400 und 570 Metern. Ihre erste Erwähnung geschieht in einem St. Ulrikanischen Salbuch (R. A. M. St. Ulrich L. 276) in den Jahren 1447 : Ochsenloch, 1448: „der Ochsenloch gehört gen Moringen und die fürsten von Bayern haben ire ochssen darinn gehabt, die sy in ir kuchin und an irem hof gepraucht haben1449: „von der allten wourn das yetzo der ablas ist pis zum pferrich“. Die An­ lage dieser Viehschwaige fällt somit wohl schon in die Zeit, da der Gunzenlee noch bestand; seitdem kann also der Lech sein Fluß­ bett nur höchstens 400 Meter nach Osten verlegt haben. Die Schwaige grenzte jedenfalls nicht unmittelbar an den gefähr­ lichen und unberechenbaren Gebirgsfluß, sondern ließ einige hundert Meter sichernden Zwischenraum frei, um die sich diese 400 Meter vermindern. Die Annahme einer dortigen Rinnsalund Uferverlegung innerhalb der letzten 500 Jahre um 300 Meter hat wohl das Höchstmaß des Zulässigen schon überschritten. Auch das Auenland am Kohnegang, 1498 Konopründlin2), dem linken Lechufer 1709 in einer Entfernung von noch nicht 300 J) Johann Resch und Georg Schlecht, „Grundriß über das Hochstiftl. Augsburgische Fischlehen 1709“, veröffentlicht bei Hans Wiedenmann, Die Fischereirechte des Augsburger Fischerhandwerks, Zeitschr. d. histor. Ver. f. Schw. XXXXI, 126. — Johann Thomas Krauß, Ingenieur, Grundriß der Möhringer Au 1740, im Besitze des Herrn Gustav Euringer in Augsburg. — Charles Müller, Plan über die Meringerau 1784 nach Vorlagen von 1729 und 1755 im Besitze des Herrn Trinkl in Friedberg. — Den genannten Herrn sei auch an dieser Stelle für die zeitweilige Überlassung der Kartonwerke ergebenst gedankt, 2) St. A. A. Fischerakten.

54 Metern gleichlaufend, lag mithin schon im 15. Jahrhundert außer­ halb des Flußbereichs und legt an seinem Teil Zeugschaft dafür ab, daß die zahlreichen Uferschutzbauten und Verpfählungen, von denen mannigfach berichtet wird1), im großen und ganzen ihren Zweck erreichten. Anderseits hat der Lech den Lauf der heute bei Mering mündenden Rorach um mehr als 6 Kilometer verkürzt (Nr. 8) und nicht nur den Gunzenlee und die Lands­ berger Straße östlich von ihm sondern auch nach Ausweis der Salbücher des Hospitalarchivs und des Jesuiten-Kollegiums der einen Gemeinde Kissing viele hundert Tagwerke Wiesengrund weggenommen. Diese Umstände gegenseitig abgewogen, dürfte der Spielraum innerhalb eines Ovals von 200 Metern Länge und 100 Metern Breite, dessen Achsen unter 48 0 19' 47" n. Br. und 100 56' 53" ö. L. fallen, 600 bis 800 Meter westlich des alten Dreikreuzhügels, d. i. 100 bis 300 Meter westlich des Lechost­ ufers eingetragen, genügen, die* Lage der ehrwürdigen Dingstätte zu umschließen. Alle die so verschiedenen Orts erwähnten Lagebezeichnungen vereinigen sich hier zu einem einheitlichen Bild (vgl. die Karte). Auf dem Lechfeld am Lech jenseits Augsburg kennt den Gunzen­ lee um 1167 der ungenannte Mönch des Weifenstifts Weingarten, dessen Angaben von den übrigen Quellen bestätigt und näher erläutert werden. Sie finden den Lee nahe dem ehemaligen Lauf der Rorach (Nr. 8) und dem Lech (Nr. 2, 5, 7) zwischen ihm und der später weggespülten (Nr. 18, 19) Landsberger Straße (Nr. 2), also auf bayerischer Seite oberhalb der Lechbrücke bei Hochzoll (Nr. 1, 2) und der Friedberger Au (Nr. 7), gegenüber dem Hagenbach (Nr. 2), neben Kissing (Nr. 3), auf der Gerichtsgrenze zwischen Friedberg und Mering (Nr. 1—7)5 deren Behütung nach der Zerstörung des G. durch den Lech (Nr. 2—5) auf die ostwärts gerade hinüberliegende (Nr. 4—6) Grenzmarke des Gunzen- oder Dreikreuzhügels (Nr. 4—7, 21—23) überging, der wie 1367 der Gunzenlee (Nr. 8) in der Nachbarschaft der Augsburger Heiliggeistspitalwiesen (Nr. 9—16) bei St. Afra (Nr. 9) und der 18 Tagwerke (Nr. 8—20) der Tarantwiese (Nr. 9—16, 20, 21, 26) lag. *) F. J. Kollmann, Die Wasserwerke von Augsburg. 1850 S. 128 ff. — A. Werner, Die Wasserkräfte der Stadt Augsburg. 1905 S. 131 ff. Urkunden. — Auf Trinkls Karte ist die Verpfählung bei den drei Kreuzen ersichtlich.

55 Der Zeitpunkt des Untergangs der Dingstatt liegt nach 1420 (Nr. 1) und vor 1436, in welchem Jahre der Meringer Amtmann Hans Teufl bezeugt ist (Oberbayer. Archiv XXIII, 24), der nach Nr. 5 nicht mehr an den Gunzenlee, sondern nur an den unmittelbar benachbarten Gunzenbühel reiten konnte. Der dort genannte Conrad von Freyberg, zu dessen Zeiten nach Ver­ nichtung des alten Kreuzes ein neues gesetzt wurde, war 1439—45 Pfleger in Friedberg (O.A. XXVI, 59). Die Erinnerung an den Platz, die Ende des 16. Jahrhunderts im Volke noch nicht er­ loschen war (Nr. 7), bewahrte der das Erbe als Grenzhüter an­ tretende Gunzenbühel, bei dessen Namenschöpfung der Gunzenlee Pate gestanden, um 1476 zum erstenmal erwähnt (Nr. 5), 1498 der „Günzert Pühel auf der Tärandt Madt“ (Nr. 20) genannt, wozu 1784 die 3 Kreuz auf der Dariwiesen (Nr. 26) zu ver­ gleichen sind. Die drei Kreuze auf dem „Gunzen Pühel“ begegnen seit 1573 (Nr. 4, 6). Letztmals erscheint 1674 die alte Be­ zeichnung als „Günttersbühl“ bereits recht verdorben (Nr, 12). Nachdem die Kreuzbilder schon um 1570 um 29 fl. erneuert worden, stellten die Jesuiten als Inhaber der Hofmark Kissing mit den gleichen Kosten „die übel zerfallnen creuz“ im Sommer 1607 wieder her, damit „unser ius und recht erhalten, die termini und gränzen bekhantlicher, die irrthumber ins khunfftig vermitten, die andacht und christliche eyffer gemehret, ihr frl. durchl. unsers genedigsten landsfürsten und herrn genedigster will vollzogen würde “ (St. A. A. K. W. L. 168 u. Nr. 21). Im Auftrag der Sozietät besorgte später die Friedberger Bildhauerfamilie Eberl die In­ standsetzung, zuletzt 1762 (A. a. O. C. 38 £6). Seit 1748 wird der Bestand einer gemauerten Feldkapelle auf dem Hügel ge­ meldet (Nr. 15, 26), die im allgemeinen Kirchensturm am 9. Au­ gust 1804 dem Abbruch verfiel (Nr. 27). Auf seinen der Römer­ straße Augsburg-Salzburg geltenden Streifen sah Carl Weishaupt 1839 oder 1840 den Hügel und beschreibt ihn (O. A. III, 11) also: „Ungefähr eine starke Stunde außerhalb Augsburg, bei­ läufig dem Schlosse Mergenthau gegenüber, ist auf ungefähr 300 Schritt rechts der heutigen Chaussee ein künstlich aufge­ worfener vereinzelter Hügel sichtbar, ehemals zu den „drei Kreuzen“ genannt, weil seit langen Zeiten her eine Kapelle nebst drei hölzernen hohen Kreuzen auf ihm gestanden haben sollen. Dieser viereckige Hügel ist ungefähr 12' (3V2 m) hoch,

56 hat oben bis 40 Schritt Umfang und zeigt eine leichte Graben­ spur. Es ist sohin zu vermuthen, daß derselbe in ältesten Zeiten ein isolirter befestigter Wachtposten-Punkt gewesen, der später erst mit einer Kapelle besetzt worden seyn dürfte; dermal zieht die Eisenbahn ganz nahe an ihm vorbei.“ Bald darauf wurde er eingeebnet. Nr. 1 des Kärtchens Pl.-Nr. 2940 zeigt sein Bild in Gestalt eines halben Sechsecks, weil der erste Zeichner des Katasterblattes N. W. X. 20 den Hügelaufriß seiner Vorlage als Grundriß angesehen hat. Ein Grundbuch des Rentamts Friedberg vom Jahre 1837 trägt dafür den Flurnamen »Drei­ kreuzrangen“ vor (vgl. Schmeller 1877 H, 119). Seitdem ist er von Abschreibern in Kreuzanger verdorben worden. Hier fanden G. Euringer (Auf nahen Pfaden S. 67) und B. Eberl 1910 „einen sehr bedeutenden Rest des Hügels mit deutlicher, nur gegen Osten unterbrochener Grabenspur.“ Die Bodenscheibe ist noch heute etwa 240 Meter südlich des Bahnwärterhäuschens Meringerstraße 93 und 25 Doppelschritte westlich des dortigen Fichtenschutzes erkennbar. Auf einer flachen, dem Lech gleich­ laufenden Geländewelle erhebt sich 40 cm über die seichte Grabensohle ein 30 Schritte im Durchmesser zählender Hügel­ stumpf, ein letztes Erinnerungsmal aus großer Zeit. Während man bisher den Gunzenlee an den südlichen Gemeindegrenzen Mering-Kissing suchte, wird er nun fünf Kilo­ meter nördlicher in das heutige Stadtgebiet gerückt. So entfällt seine Entlegenheit als Grund, ihn aus den Örtlichkeiten der Lech­ feldschlacht auszuschließen. Als Zeugnisse, die ihn mit ihr in Beziehung setzen, ist man gewohnt folgende angeführt zu sehenJ): Einmal die Volksüberlieferung. Allein die Angaben Schöppners, Voggenreiters und Zintgrafs lassen sich nicht mehr nach­ prüfen. Das Wenige, das jetzt in den umliegenden Dörfern vom Gunzenlee erzählt wird, entstammt der Schule, besonders L. Solereders Vaterl. Lesebuch S. 142. Dann Vers 5742—5 des Biterolf, der im dritten oder vierten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts in Niederösterreich oder der Steiermark (B. Symons, Kudrun, Halle 1914 S. C) entstanden ist: Die Hiunen sach man muoten, wie si überz Lech solden körnen, herberge hete in do genomen der marschalc bi dem Gunzenle l) Altbayer. Monatsschr. IV, 14 t.

$7 (O. Jänicke, Biterolf und Dietleib S. 85). Es fällt auf, daß die Ungarn beim Gunzenlee über den Lech gehenJ) und sich hier lagern. Aber es geschieht nicht aus Angriffsabsichten auf Augs­ burg, sondern um ein Heer gegen Worms zu sammeln und die Kunde von Heeressammlungen an diesem Platze — Markgraf Ottokar von Steiermark ist Pfingsten 1175 am Gunzenlee be­ zeugt — war gewiß im deutschen Osten lebendig. Zum dritten das Chronicon Eberspergense posterius um 1250 (script. XXV, 869): „Locus certaminis usque in hodiernum diem super fluvium Licum, id est Lech, Latino eloquio nominatur Conciolegis, vulgares vero vocant Guntzenlen“. Endlich die Annales Palidenses um 1164 (script. XVI, 60): „Inito ergo certamine ad clivum, qui dicitur Guncenle“. Die beiden voneinander unabhängigen Geschichtswerke, die übereinstimmend den Gunzenlee als Schlachtort nennen, fußen letzten Endes auf der in Nord und Süd verbreiteten Volkssage. Besonders die Nachrichten der Annalen und aus ihnen gerade „die Erzählung von Bischof Ulrich und die Ergebung Augsburgs an die Ungarn“ hat Ernst Bernheim2) auf eine sagenhafte, vor 1150 entstandene, sächsische Kaiserchronik zurückgeführt, deren „ganze Wissenschaft aus volkstümlicher oder legendärer Sage stammt“, die ihrerseits in die bis auf Ekkehards IV. Casus s. Galli cap. 51 und 60 zurückzu verfolgenden Ulrichslegenden ein­ mündet. Der in den Pöhlder Annalen bewahrte Schlachtenbericht der untergegangenen Kaiserchronik8) steht den Ereignissen um etwa 120 Jahre näher als die verwandte Kunde aus Ebersberg und die Volkserinnerung zeigt sich darin noch überraschend treu. So entspricht die Pöhlder Meldung vom Schlachtentod eines Bruders und zweier Vettern St. Ulrichs, ohne herübergenommen zu sein, den in Gerhards Vita cap. 12 und 13 mitgeteilten Ge­ fallenennamen. Die Vertrautheit mit der Hügeleigenschaft des *) Die Lechfurt „bei dem Hügel zu den drei Kreuzen“ benützten noch am 24. August 1796 französische Abteilungen unter Moreau (M. Graf, Hofmark Kissing S. 130). *) Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 20/1895 S. 75 ff. ®) Er beweist auch das Irrige der Meinung, nur wegen seines späteren Ruhmes habe man dem G. einen Platz in der Ungarnschlacht zugewiesen; denn die Verbindung mit der Schlacht war vollzogen, als die höfischritterliche Glanz­ zeit der Stätte erst anbrach.

58 Gunzenlees, nur diesen Annalen eigentümlich, geht auf wirkliche Erfahrung zurück und ist nicht aus dem Namen erschlossen; denn wir dürfen dem niederdeutschen Mönche im Harze nicht mehr Wortbildungskenntnis des Oberdeutschen Zutrauen als seinen schwäbischen Zeitgenossen in Weingarten usw., die sich den Namen als Conciolegis, Conciolegum zurechtlegten. Während der Ebersberger Chronist den Gunzenlee als allgemeinen Schau­ platz der Schlacht angibt, schreibt der Pöhlder Mönch genauer „inito certamine ad Guncenle“. Trotzdem werden wir auch dieses Zeugnis „nur gelten lassen, wenn es durch zuverlässigere Quellen gedeckt wird“, durch Widukind und Gerhard. Der letztere, ein zeitgenössischer Augsburger Priester, er­ zählt im 3. Kapitel seines Ulrichlebens1): „Als Ulrich in einer Nacht zu Bett lag, sah er die hl. Afra vor sich stehen. Sie führte ihn auf das Lechfeld in eine Versammlung von Heiligen, synodale conloquium, die unzählige wichtige Beschlüsse faßte . . . Petrus, das Haupt der ganzen Gemeinschaft, zeigte dem Bischof zwei Schwerter und sprach zu ihm: Sage dem König Heinrich . . . Nach beendeter Kirchenversammlung zeigte ihm Afra den Platz des Lagers, loca castrorum, wo später Otto eine königliche Sprache mit den Einwohnern verschiedener Provinzen hielt und wobei König Berengar von der Lombardei und sein Sohn Adalbert sich seiner Herrschaft unterwarfen (Anfang August 952). Sie verkündete ihm den bevorstehenden Einfall der Ungarn (venturam supergressionem Ungrorum; K. v. Wallmenich, Die Ungarn­ schlacht auf dem Lechfeld, München 1907 S. 25 übersetzt „den zukünftigen Lechübergang der U.“), zeigte ihm das Schlachtfeld, die loca belli, und verhieß den Christen nach hartem Streit den Sieg. Nach diesem Gesichte führte sie ihn zurück und verließ ihn im Bette liegend“. Der Traumbericht, vor König Heinrichs Tod 936 erschaut, ungefähr 973 (vgl. K. Hadank in Delbrück-Festschrift Berlin 1908 S. 114) niedergeschrieben, ist in unserer Frage von ent­ scheidender Bedeutung und birgt den Schlüssel, auch andere Schwierigkeiten zu lösen. Vor allem, es handelt sich um eine Wanderung, die die Orte in ihrer geographischen Aufeinanderfolge besucht. *) Gerhardi vita s. Oudalrici cap. 3. Script. IV, 388 sq. Deutsch von Georg Grandaur, DGddV. 10. Jahrh. Bd. 12 S. 22. Hier im Auszug.

59 Ulrich tritt in Beziehung zu den Vorgängen, wie sie bei einer bloßen Umschau „von der Mitte des Lechfelds aus® unmöglich gewesen wäre: Er wird auf der Synode angesprochen, Petrus zeigt ihm zwei Schwerter, Afra befindet sich in der un­ verkennbaren Rolle einer erklärenden Führerin. Lediglich einer Rundsicht wegen hätte sie ihre hoch- und freigelegene Kirche nicht zu verlassen brauchen. — Im Laufe der Erzählung wird von vier verschiedenen Vorgängen, einem Heiligengericht, einem Reichstag, dem Ungarneinfall, dem Kampf und Sieg der Christen, aber, abgesehen von dem Anfangs- und End­ punkte des Umgangs, nur von drei verschiedenen Orten ge­ sprochen, dem synodale conloquium, den loca castrorum (von 952) und den loca belli (von 955). Zwischen dem Reichstag und der supergressio Ungrorum wird kein Stättewechsel erwähnt, so daß sich also diese beiden Geschehnisse in Gerhards Vor­ stellung' anscheinend von einem Standort aus besprechen und ihre Örtlichkeiten zeigen ließen; denn nur von solchen geschicht­ lichen Tatsachen ist die Rede, die an den beschrittenen Grund und Boden gebunden sind. Die gemeinsame Bühne des Lech­ feldes eignet allen drei Schauplätzen; es gab damals für sie keine besonderen unterscheidenden Ortsbezeichnungen. St. Ulrichs Traumgesicht haben bisher v. Wallmenich (a. a. O. S. 24 ff.) und Alfred Schröder (a. a. O. S. 466 ff.) ausführ­ licher behandelt. Sie lassen die beiden Heiligen von einem Punkte des Lechfeldes aus Umschau halten, den sie nach ihren verschiedenen Auffassungen von der Schlacht verschieden an­ setzen, v. Wallmenich südöstlich auf dem bayerischen, Schröder südwestlich von Augsburg auf dem schwäbischen Lechfeld. Beide verkennen das Gepräge der Verzückung als einer Wanderung im Traume. Doch hat Schröder die loca belli, das Schlachtfeld, auf der linksseitigen Lechebene mit so überzeugender Beweiskraft festgelegt, daß hoffentlich der alten Auffassung nunmehr endgiltig zur allgemeinen Anerkennung verholten ist.1) Die beiden ersterwähnten Stellungen dagegen werden mit v. Wallmenich auf der rechtslechischen Flußebene zu suchen sein. J) Ein bisher unbeachtetes, zwar nur mittelbares, doch frühestes Zeugnis für das Lechfeld als Kampfschauplatz bietet Liudprandi Antapodosis lib. II, 3 (Script. III, 288). Drei Jahre nach der Schlacht schreibt der an Ottos des Großen Hof weilende Iangobardische Flüchtling Liudprand, nachdem]er Augsburg

60 Zur Bestimmung ungenügend gekennzeichneter Örtlichkeiten verwendet man gewöhnlich außer der mehr oder minder brauch­ baren Ortsbenennung den vor- und den nachgenannten Platz, den kirchlichen Schutzheiligen, die Grundherrschaft. Zur Fest­ stellung der Stätte der gedachten Heiligenversammlung leiten die Bezeichnung Lechfeld und die Heiligen, die dort mitein­ ander geweilt, Ulrich und Afra. Nun bedeutet „Lechfeld“ nicht nur eine Gegend sondern auch einen seit dem 12. Jahr­ hundert nachweisbaren benachbarten Ort. Daß er’s nicht früher ist, daran wird der beklagenswerte Untergang des alten Augs­ burger Urkundenschatzes die Schuld tragen. Der Ort darf nicht verwechselt werden mit den jungen Siedelungen gleichen Namens im oberen schwäbischen Lechfeld; er wird in Salbüchern und Urkunden des Klosters St. Ulrich und Afra in Augsburg, das diesen Boden frommer Erinnerung erworben hatte, in folgenden Jahren und Formen erwähnt: im 12. Jahrhundert Lechvelden, ecclesia in Lechveit, Lechvelderdorf, 1350 sant Afren Capell ze Lechfelder Kirchen (M. B. XXII, 47, 87, 144, 179, 189, 314), 1393 Lechvelder Kirch (R. A. M. St. Ulrich L. 7)- Später zog das Kloster die Höfe nach Kissing; das verbleibende Kirchlein1) hieß 1443 „bey sant Affren“ (R. A. M. St. Ulrich L. 46. 210.— St. A. A. K. W. A. C 374?). An diesem nach dem Lechfeld benannten Orte nächst Hochzoll reichen sich also im 12. Jahr­ hundert St. Afra (als Kirchherrin) und St. Ulrich (als Grund­ herr) geschwisterlich die Hände wie einst. Die Beweispunkte sind noch nicht erschöpft. Der vor der Heiligenversammlung ge­ nannte Ort, d. i. der Ausgangspunkt der seherischen Wanderung, ist Augsburg; er läßt sich noch genauer bestimmen. Ohne Zweifel geht Afra von ihrer Behausung aus. Sie ist aber nach mittel­ alterlichem Volksempfinden an ihrer Grabesstätte daheim, in der Kirche, wo ihre Gebeine ruhen, wo sie die Bitten der Gläubigen entgegennimmt und durch ihre Fürbitte Gebetserhörung erwirkt, erwähnt hat: Sequenti igitur die secus Lemanni (i. e. Lici) fluminis campos. Martio, operi capacitate sui aptos, utraeque acies convenere. Es ist die Rede von einer fabelhaften Ungarnschlacht. Doch kann der Geschichtsschreiber zu dieser so recht eigentlich für seine Zeit zutreffenden Kennzeichnung des Lech­ feldes nur aus dem Grunde gelangt sein, weil er, was ja im Hoflager des Siegers natürlich, oft und viel von der Schlacht bei Augsburg erzählen gehört hat. *) In den Jahren 1701—1712 wurden Kirche und Mesnerhaus zu St. Afra neu erbaut. R. A. M. St. Ulrich L. 242.

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wo sie so ganz die Hausherrin ist, daß das Gebäude oftmals ohne weiteren Zusatz nur ad sanctam Afram heißt. Es ist sogar möglich, daß auch der Bischof in jener Nacht bei S. Afra geruht hat, wie das nach Kapitel 4 seiner Vita zuweilen geschah und wie er nach Kapitel 27 auch sein Grab sich dort erwählt hat. Nur eine Wegstunde auf der nächsten Linie beträgt die Entfernung der Afrakirche von der gleichnamigen Kapelle auf dem Lech­ felde, die nach uralter Annahme „an der Stelle steht, auf welcher die Heilige den Martertod in den Flammen litt“.1) Es gibt nun wohl keinen dem frommen Glauben naheliegenderen Gedanken, als daß St. Afra mit ihrem Begleiter von der Grabesstatt zu der Stätte ihres Sieges schreitet. Und hinwiederum hält die unter Petri Vorsitz versammelte Heiligengemeinde gewiß nicht an einem unheiligen und zufälligen Fleck des Lechfeldes Gericht — das wäre schon für ein weltliches Ding unerhört — sie hat sich dazu augenscheinlich eine Stelle erkoren, die durch das Blut eines der Ihren geweiht war: St. Afra auf dem bayerischen Lechfelde. Der Ansatz entspricht der altüberkommenen Anschauung, die sich im Kloster des hl. Ulrich noch am Ende des Mittelalters nachweisen läßt. Damals, in der zweiten Hälfte des 15. Jahr­ hunderts nach sachverständigem Urteil, entstanden die altdeutschen Gemälde in der Schneckenkapelle der Ulrichskirche.2) Eines davon nimmt sich den besprochenen Traum zum Vorwurf. Dem schlafenden Bischof erscheint St. Afra, um ihn zu ihrem Rund­ gang einzuladen. Ein Blick durchs Fenster zeigt die zahlreich versammelten heiligen Bischöfe und Äbte auf einer Ebene, die durch die St. Afrakapelle im Hintergründe gekennzeichnet ist Nach diesen Ergebnissen fällt uns die Bestimmung des nachfolgenden Orts, der loca castrorum, wie eine reife Frucht in den Schoß. Nach dem Laufe der Erzählung erhob sich das Lager, das man bisher nur im allgemeinen „südlich von der Stadt auf dem weiten Lechfelde“ wußte,3) zwischen der eben als Ort des Heiligenkonzils erschlossenen Todesstätte St. Afras auf dem rechten, bayerischen und dem von Schröder als Schlachten­ bühne nachgewiesenen linken, schwäbischen Lechfelde, mithin *) Steichele a. a. O. IV, 124. 2) Eine gute Wiedergabe in J. M. Frieseneggers vorzüglich ausgestattetem Schriftchen : Die St. Ulrichs-Kirche in Augsburg 1914 S. 32. 8) Ernst Dümmler, Kaiser Otto der Große. Leipzig 1876. S. 205.

62 nahe dem Lech. Ohne Frage ist eine Mehrzahl solcher Ding­ stätten auf der erwähnten Ebene ganz unwahrscheinlich. Die einzige aber, die die deutsche Geschichte auf dem Lechfelde mit Namen kennt, — und sie ist eine der berühmtesten Deutsch­ lands, — liegt ebenfalls bei St. Afra, in kaum halbstündiger Entfernung, ebenfalls zwischen ihr und dem linken Lechfelde und so nahe am Fluß, daß die Stelle von ihm weggerissen worden ist. Und die Ähnlichkeiten der Vorgänge und Umstände, der König als Richter, die Menge des Heeres, die Vergabung von Lehen, sind in so hohem Grade mit späteren Begebenheiten an diesem Platze übereinstimmend, wiederholen sich dort so oft, daß der gezogene Schluß zwingend ist. Selbst der Tag der Zusammenkunft, der 7. August,1) ist ein nachdrücklicherZeuge; das 9. Jahrhundert hatte das Fest der Augsburger Bistums­ patronin vom 5. auf den 7. August verlegt.2) Der Reichstag hatte sich also bewußt örtlich wie zeitlich unter Schutz und Schirm St. Afras gestellt. Ohne eines Stellungswechsels zu gedenken leitet die Weis­ sagung auf die Ungarn und ihre supergressio über, gewöhnlich, aber ungenau mit „Ungarneinfall“ übersetzt; denn supergredi heißt eigentlich nicht „einfallen“, sondern „überschreiten“, be­ sonders einer Schwelle oder Grenze, und ein Einfall paßt zudem in seiner Allgemeinheit nicht in den Rahmen der Traumerzählung, die nur von Geschehnissen auf heimatlicher Erde südlich von Augsburg handelt. Wozu auch sollte Afra sich mit Ulrich hinausbemühen, um ihm draußen zu sagen, die Ungarn würden irgendwo ins Reich einfallen, was sie ihm bequemer daheim berichten konnte ! Nein, die supergressio muß sicherlich mit dem augenblicklichen Standpunkt der beiden Heiligen etwas zu tun haben. Von der Afrakapelle herübergewandert stehen sie auf dem Hügel unmittelbar am Lech, der alten Grenzscheide Bayerns und Schwabens, Afra zeigt das Heerlager von 952 und dann bespricht sie die venturam supergressionem Ungrorum. Da ist es übertriebene Gewissenhaftigkeit, an etwas anderes als an das Nächstliegende, an die zukünftige Überschreitung der schwäbischen Grenze, an den Lechübergang der Ungarn zu denken, wie v. Wallmenich S. 25 zuerst gesehen hat. Den Lech nochmal zu J) E. v. Ottenthal, Regesta imperii II, 101. *) A. Bigelmair im Arch. f. d. Gesch. d. Hochstifts Augsburg I, 151.

63 nennen mag der ortskundige Gerhard, der eben die Flußebene des Lechs ausdrücklich erwähnt und Wortwiederholungen nach Möglichkeit vermeidet, wegen der Selbstverständlichkeit der Be­ deutung beizufügen unterlassen haben. Jene supergressio der Vita gehört schon einem Satzgefüge an, das nicht die Verwüstung Schwabens oder den Angriff auf Augsburg, sondern allein die Lechfeldschlacht in drei markigen Worten schildert: Lechüber­ gang, harte Kampfarbeit, endlicher Sieg. In diesem Zusammen­ hang wachsen die übereinstimmenden Nachrichten aus Pöhlde und Ebersberg an Gewicht und gewinnen den Wert einer ent­ scheidenden Bestätigung des Schlachtbeginns beim Gunzenlee. Vom linkslechischen Schlachtfeld (loca belli) kehren die beiden Heiligengestalten nach Augsburg heim. Der in sich voll­ ständig geschlossene Rundgang, Afrakirche in Augsburg, Afra­ kapelle auf dem Lechfeld, Gunzenlee, schwäbisches Lechfeld, Augsburg, ist auch insofern einwandfrei, als er in altherkömm­ licher, noch heute bei kirchlichen Umgängen streng beobachteter Weise den Brauch des Rechtsgehens einhält, sodaß die Glück und Segen spendende Rechte der Innenseite der Runde zu­ gekehrt bleibt. Ein Kreuz für den Darsteller deutscher Geschichte im 10. Jahrhundert bildete bisher der Satz, mit dem Widukind seinen eigentlichen Schlachtenbericht einleitet: „Nam Ungarii nichil cunctantes Lech fluviuin transierunt“, die Ungarn gingen ohne Zaudern über den Lechfluß. Man hat die Angabe ent­ weder gestrichen oder den gewaltsamsten Pressungen unter­ worfen. Das Schrifttum hierüber verzeichnet Schröder (S. 462 und 489 f.), der selbst den Satz also auslegt: „Eine Abteilung der Ungarn überschritt, sowie die Spitze des deutschen Heeres aus dem Waldland in die Wertachebene herabkam und dadurch sichtbar wurde, die Wert ach“ und rückt so den nirgends ge­ nannten Nebenfluß in den Mittelpunkt der Schlachthandlung. Diese Auffassung ist damit hinfällig geworden. Gerhard bestätigt Widukinds Nachricht. Wirklich durch den Lechfluß geschieden standen sich vor der Schlacht die Deutschen links, die Ungarn rechts. gegenüber. Folglich ist auch das Ungarnlager während der kurzen Berennung der Stadt auf der rechten Flußseite zu suchen und zwar in der Nähe der Reichstagsstätte von 952

64 südlich von Augsburg1) auf den trockenen („spreren“, Nr. 11), wasserumflossenen, baumlosen Weideplätzen um den Gunzenlee. Den allenfalls heimwärts führenden bequemen Römerweg nach Salzburg im Rücken, die Stirn vor Überraschung gesichert durch die Grenzschranke des Lechs wird den umsichtigen Feinden die Furt gerade auf bayerischer Seite durch die Warte des Mahl­ hügels behütet. Von der jetzigen Ulrichs-, der damaligen Afra­ kirche, deren sofortige Einäscherung berichtet wird, ist dieser durch Jahrhunderte geschätzte Lagerplatz ungefähr 4800 Meter entfernt. Von ihm aus überschreiten die Ungarn nach Gerhards Zeugnis den Grenzfluß und eröffnen damit den Kampf. Diesem Vorgang widerspricht keiner der sonst verbürgten Umstände, weder der ungarische Abzug bei der Nachricht vom deutschen Anmarsch noch die Eroberung des Lagers am Tage der Schlacht und Schröder selbst (S. 465, 483 und 485) hat die scheinbar entgegenstehenden Schwierigkeiten beiseite geräumt. Die örtlichen Ereignisse scheinen sich in gedrängter Folge also abgespielt zu haben. Die Ungarn kommen die Donau herauf durch Bayern anfangs August an den Lech. Am 8. August erster Angriff auf Augsburg, ein gefallener Führer wird unter Wehklagen vom östlichen Tor ins ungarische Lager gebracht. Am 9. Anstalten zum zweiten Sturm. Berthold von der Reisensburg meldet dem König der Ungarn den Anmarsch der Deutschen. Abbruch der Belagerung, um den Gegner im Lager zu erwarten. In der Nacht zum 10. stößt Graf Dietpald, Ulrichs Bruder, von der aus unmittelbarer Gefahr befreiten Stadt zum Heere Ottos. Am 10. rückt dieser in der Richtung gegen das feindliche Lager vor. „Die Ungarn überschreiten ohne Zaudern den Fluß“ (Widukind; dem Satz entspricht die supergressio Ungrorum bei Ger­ hard, dann dessen Angabe in occursum gloriosi regis ire coepit und weiterhin die Stelle inito certamine ad Guncenle des Pöhlder Chronisten), verlustreicher Kampf, Sieg, Flucht der Ungarn an Augsburg vorüber zum Lech, Eroberung ihres Lagers. 11. Au­ gust Verfolgung des Feindes durch Bayern, Ulrich besucht das Schlachtfeld. Die Geschichte des später unter dem Namen Gunzenlee bekannten Dinghügels läßt sich jetzt über die Ungarnschlacht *) Auch H. Breßlau (Hist. Zeitschr. 97, 140) u. H. Delbrück (Gesch. d Kriegskunst III, 121) finden das Lager „nirgends anders als südlich v. Augsburg“

65 zurück verfolgen. Hier fand im August 952 wie dargetan ein glanzvoller Reichstag statt, der von den Fürsten der Franken, Sachsen, Bayern, Alamannen und Langobarden besucht und selbst von griechischen Gesandten aus Byzanz beschickt war,J) wo König Otto seinem Bruder, dem Herzog Heinrich von Bayern, die Mark Verona und das Patriarchat von** Aquileja anvertraute, *) wo er, nachdem sie vor dem gesamten Heere den Eid der Treue geschworen, an Berengar und Adalbert das Königreich Italien zu Lehen vergab.3) Ein ähnlicher Vorgang verknüpfte den teuren Boden 165 Jahre früher mit dem klangvollsten Namen, mit Karl dem Großen. Als sich 787 seine unheilkündenden Heeressäulen gegen Bayern und seinen widerspenstigen Herzog in Bewegung setzten, da entfiel Tassilo der Mut. Am 3. Oktober stellte er sich dem König „in loco, ubi Lechfeld vocatur super civitatem Augustam*,4) auf dem Lechfeld oberhalb der Stadt Augsburg. Dort ist aber nur eine Dingstatt bekannt und die Begebenheiten entsprachen denen, welche sich auch in späteren Tagen an diesem Ort voll­ zogen: Der Herzog unterwarf sich, gelobte mit seinen Bayern Treue und erhielt darauf das Herzogtum wieder zu Lehen. — So war der Gunzenlee am einsamen Lechgestade eine Stätte deutschen Rechts, wo Milde und Strenge je nach der Zeiten Lauf zu Gericht gesessen, ein Königsstuhl, der zurückreicht vielleicht bis hin an die Tage der deutschen Landnahme. J) Liudprandi Relatio de legatione Constantinopolitana, Continuator Reginonis. Script. I, 621. 8) Widukindi, Res gestae Sax. Script. III, 453. A) Annales Laurissenses malores. Script. I, 172.

Script. III, 348

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Aus der Tätigkeit eines Regierungspräsidenten

1828-1831. Von Dr. G. Grupp. Mit dem Oberdonaukreis, der nachmaligen Provinz Schwaben war FürstLudwigvon Öttingen-Wallerstein als Kreis­ kommandant der Landwehr seit 1813 in enge Fühlung getreten1) und hatte das volle Vertrauen des Königs Ludwig erworben, der ihm, nachdem die Landwehr ihre Aufgabe erfüllt hatte, das Ge­ neralkommissariat des Kreises übertrug. Der Fürst übernahm das Amt am 16. April 1828 anStelle des Grafen Drechsel und, behielt die Präsidentschaft bei bis Ende des Jahres 1831, kräftig unterstützt von dem verdienten Regierungsdirektor Rais er, mit dessen Anschauungen er übereinstimmte. In den Verordnungen und Anregungen, die das Intelligenzblatt des Kreises unter dem Namen des Fürsten veröffentlichte,2) vermischte sich Raiserischer und Öttingischer Gedankenstoff 3) und man ist oft im Zweifel, von wem die Ideen stammen. Ohne Zweifel wußte der Fürst das Wissen, die reiche Erfahrung Raisers genau so zu verwerten wie früher die seiner Rechtskonsulenten und Rechtsagenten. Sein Eigengut aber blieb sein hoher Idealismus, eine begeisterte Auffassung seines Berufes und ein Schwung der Gedanken und Pläne, die ihn weit über die Wirklichkeit hinaustrugen. Er wollte im besten Sinne des Wortes der Vater des Kreises, Bildner seiner Bewohner, Wohltäter des niederen Volkes, Helfer und Ratgeber l) ^6^ unsere Zeitschrift 1916, S. 83 ff. *) Citiert als Ibl. 8) Unvermischt begegnen uns diese in dem Verwaltungsbericht 1830-33, einem dicken Bande, der allerdings viele Mitteilungen von Fachreferenten ent­ hält, im ganzen aber von Raiser zusammengestellt ist. (Neuburger Archiv Abt.C)** Auf der anderen Seite treten die Gedanken des Fürsten unverhüllt und unver­ mischt zu Tage in den vielen Reichsratsreden 1831. Im gedruckten Protokoll fehlen die Namen der Redner, in dem Wallersteiner Exemplar sind sie aber mit Bleistift beigeschrieben. Da der Fürst hier seine Augsburger Erfahrungen verwertet, mußten wir Öfters Bezug darauf nehmen.

67 in allen Anliegen sein. Besonderes Gewicht legte er auf genaue Statistiken, obwohl sie nicht immer zu seinen Gunsten ausfielen. Die Bevölkerungszahl 510000 (117 000 Familien) mit den später dazu gekommenen Teilen 520000, im Jahre 1915: 790000 hob sich nur sehr langsam. Wohl konnte eine größere Geburten­ ziffer und eine befriedigende Einwanderung festgestellt werden, aber die auf die Schutzpoekenimpfung gesetzten hohen Hoffnungen eines raschen Wachstums erfüllten sich wenigstens in Schwaben keineswegs.1) Die Kindersterblichkeit blieb die alte und die Auswanderung wirkte sehr nachteilig. Dazu kamen die Nach­ wirkungen der langen Kriegszeit, die sich besonders in dem zahl­ reichen Gesindel zeigten. Wir hören von Brandstiftern, die sich gegenseitig du$ch Zeichensprachen an Kapellen, Bildstöcken und Gefängnissen verständigten, von einer erschreckenden Schar von Hausierern, Kesselflickern, Feilern, Schleifern, Korb-, WannenSiebmachern, Markthändlern und Handwerksburschen, zu denen sich beurlaubte Soldaten gesellten. Die Menge der ausgewiesenen Handwerksburschen stieg bis zum Ende 1831 fast aufs doppelte und die Zahl der Gemeindearmen nahm immer mehr zu im Zu­ sammenhang mit der Verbreitung einer leichtfertigen Gesinnung und leichter Sitten, die sich namentlich auch bei den Dienstboten bemerklich machten. Ein übles Beispiel gaben die beurlaubten Soldaten. Genußsucht, Putzsucht und uneheliche Geburten standen in einem Wechselverhältnis. Um diesen Ubelständen abzuhelfen, erwog der Präsident mit seinem Direktor verschiedene Maßregeln, vor allem die Einführung von Arbeitshäusern und die Anlegung von Armenkolonien.2) Er begab sich 1830 persönlich nach Kaisl) Sie war schon 1807 eingeführt worden. Noch im Jahre 1834 sprach ein Abgeordneter die Hoffnung aus, daß sich die Bevölkerung in kurzer Zeit verdoppele, weshalb ein Kulturgesetz notwendig sei (Vhdl. d. Abg. 1834 III, 6). *) Andere Maßregeln waren Einschränkung der Beurlaubungen (Verwaltungsb. Anträge zu § 11) und gleichmäßige Regelung der Vagantenpolizei, worin Herrschafts- und Stadtgerichte noch Vorrechte besaßen (Verhandlungen der K. d. Reichräte 1831 VI, 315). Sehr übel sahen die Gefängnisse aus. Im Oberdonaukreis, erzählt der Fürst, „existierten nicht drei landgerichtliche Fron­ festen, in welchen eine Complicität von nur 4 Personen ohne wechselseitige Mitteilungsgefahr untersucht werden könnte; dort existierten auch viele Ge­ richte, bei welchen jeder Verhaftete durch Hilfe der darin Wohnenden und der Akustik mit sämtlichen Mitverhafteten bequeme Gespräche zu führen vermöge“ )ebda 230), ferner X, 229. 5*

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heim, um die Arbeitsstätten zu untersuchen, sorgte für die An­ stellung eines Hausgeistlichen und eines Lehrers und ließ 500 Gulden für die Besserungsanstalten in das Kreisbudget aufnehmen. Über die vorhandenen „öden Gründe®, die sich zur Besiedelung eigneten, mußten die Landgerichte eingehende Berichte erstatten. Im In­ teresse der „Population® begrüßte man die zweifelhaften Gemeinheitsteilungen, die Aufteilung der Gemeindegründe, ja sogar Güterzertrümmerungen, die Abrundungen ermöglichten; aber die Kehrseite dieser Maßregeln machte sich alsbald bemerklich. Gerade die Leute, die am lautesten nach der Gemeinheitsteilung geschrien hatten, verschleuderten das Gewonnene rasch wieder. DieVermöglicheren kamen bei der Verteilung ohnehin besser weg und den größten Nutzen hatten die Güterhändler, weshalb 1834 eben unter dem Ministerium Ö.-Wallerstein ein Riegel vorgeschoben wurde. Die Grundherrschaften selbst, hören wir, widersetzten sich der Güterzertrümmerung weniger als wir erwarteten, seitdem sie gut entschädigt wurden**), waren aber unzufrieden mit der Fi­ xierung der Naturalabgaben, Zehnten und Fronen.2) Eher als die Schäden des Großgrundbesitzes erkannte der Fürst als Adeliger, der er trotz seiner bürgerfreundlichen Ge­ sinnung war, den Nachteil der übermäßigen Parzellierung. Es komme vor, heißt es 1831, daß mancher Besitzer 30 Tagwerke an fünfzig verschiedenen Plätzen besitze. Aus einer Statistik, die er später vorlegt, geht nach seiner Berechnung hervor, daß eine Familie durchschnittlich nur 150 fl. Einkommen beziehe, in arrondierten Gegenden 300 fl. Die Vereinödung, heißt es schon jetzt, steigere den Bodenertrag auf das Doppelte und die Last der Dienstboten und die Abnützung des Viehes werde stark ver­ ringert. In diesen Gegenden herrsche viel mehr Zufriedenheit und Bildung. Erblicke man bei Schulvisitationen intelligente, rein­ liche, liebenswürdige, unverdorbene Kinder, so pflege man aus­ zurufen: „Sicher ist dies ein Rodekind® und selten bleibe die Ver­ mutung unbestätigt. Der frühere Zustand sei erträglich gewesen, *) Kaisers Bericht § 111. *) Die Frondienste wurden sehr niedrig eingeschätzt, zu einem Drittel des ortsüblichen Taglohnes. Volle drei Fünftel des Bodens standen in grund­ herrlichem Verbände, Die Zehntenfixierungen haben sich nach Raiser nicht immer bewährt, denn der Boden werde jetzt übermäßig ausgenützt und nicht genügend in der Brache geschont (§ 116).

69 so lange andere Länder im Feldbau zurückgeblieben, die Donau offen und Odessa nock kein Freihafen war, jetzt aber habe sich der Zustand in Oesterreich, Württemberg und Sachsen wesent­ lich gehoben.1) Als nachahmungswertes Beispiel eines weit­ blickenden Ökonomen stellte der Fürst den Kattunfabrikanten Schöppler zu Straßberg hin, weil er die Stallfütterung einführte, Kompostdünger verbreitete, die Brache aufhob, die Felder in einer angemessenen Rotation bebaute, Sümpfe austrocknete, ver­ krüppelte Wälder in Fluren und Gartenanlagen umwandelte, öde Wiesen doppelmähdig machte und sie mit Obstbäumen bepflanzte.2) In die Zeit des Fürsten fällt die gewaltige Arbeit der Bo­ nitierung von Grund und Boden und die Anlage eines Grund­ steuerkatasters. An beiden Arbeiten, die bis auf unsere Zeit Gültigkeit behielten, hat der Fürst nur mittelbaren Anteil ge­ nommen durch Ankündigung, Empfehlung und Schutz.3) Auch sonst sah er sich meist darauf beschränkt, für die Landwirtschaf Anregungen und Anweisungen zu geben, so für den Straßenund Obstbau und durch die Forderung einer „agrikolen Sta­ tistik“. Infolge ungenügenden Obstbaues mußten, heißt es in einem Berichte, jährlich gegen 16000 Pfund Obst eingeführt werden. Zahlreiche Straßen, öffentliche Plätze seien unbepflanzt und die Felder entbehren selbst da, wo heißer Boden Schatten erheische, des Schutzes nutzbringender Bäume.4) Nun sei es hauptsächlich Aufgabe der Schullehrer Fortschritte anzuregen. Eine kleine Zahl hätte den Unterricht schon dazu benützt, die meisten aber zeigen eine große Gleichgültigkeit, ja sogar Ab­ neigung. Der kgl. Befehl zur Anlegung von Schulgärten solle beachtet und die Schuljugend vom Lehrer zu ihrer Pflege an­ geleitet werden. In allen Gemeinden sollten sich Kulturaus­ schüsse bilden, die Polizeibehörden sollten die Bepflanzung der Straßen in die Hand nehmen und die Erhaltung der bestehenden Pflanzungen überwachen, wofür ausführliche Anweisung erteilt J) Ibl. 1831, S. 471. 2) Und ein Schulbenefiziatenhaus baute. Ibl. 1830, S. 1071. 8) Ibl. 1829, S. 651; 1831, S. 563; Reg. Bl. 1830, S. 227. 4) Ibl. 1830, S. 806. Der Straßenbau, erklärte der Fürst im Reichsrat, stehe in evidentem Mißverhältnisse zu dem Unterhaltsfond. Es sei keine Hochstraße fundiert, die Leisten seien blos mit einer dünnen Kiesrinde bedeckt, die jährliche Materialbeifuhr reiche nicht hin, die Rinde zu ergänzen, ja an manchen Orten nicht, um die Leisten mit Steinchen auszufüllen (X, 190).

70 wird. Die Landgerichte mußten Berichte einsenden über das, was in dieser Hinsicht von Gemeinden, Schulen und Behörden geschah und die ausführlichen Berichte wurden dann veröffent­ licht.1)2 Mehr Befriedigung als der Obstbau, heißt es einmal, gewähre der Gemüsebau, weniger aber die Pflege von Handels­ gewächsen.3) Nicht besser als mit der intensiven, stand es mit der ex­ tensiven Wirtschaft. Das Forstwesen lag in Privatwaldungen, ganz besonders aber in den Gemeinde- und Stiftungswaldungen im Argen. Die hohen Holzpreise, hören wir, reizten zu über­ mäßigen Angriffen, zur Ueberhauung. Die Holzpreise verdankten aber ihre Höhe dem schwunghaften Handel Donauauf- und -ab­ wärts. Diesem Uebelstande sollte nun eine planmäßige Bewirt­ schaftung unter Staatsaufsicht entgegenwirken.3) Wie die ge­ meinen Wälder wurden auch die gemeinen Weiden ausgenützt und ohne rechten Plan unrationell betrieben.4) Mehr Befriedigung gewährten die Sennereien des Allgäus mit der blühenden Käseproduktion. Auf einer Rundreise, die der Regierungsprä­ sident im August 1830 unternahm, bemerkte er viele Mängel im Viktualienwesen. Das Brot sei vielfach nicht ausgebacken, das Bier nicht rein, das Fleisch nicht frisch gewesen, berichtet er; deshalb sollten die Polizeibehörden die Mühlen, Bäckereien und Metzger besser beaufsichtigen. Um den Preis niederzuhalten, sollen sie Freibänke gestatten. Entgegen den eine zeitlang bestehen­ den Grundsätzen wurden Taxen und Tarife neu eingeführt. Auf der anderen Seite zwang die Wahrnehmung, daß manche Bräuer und Wirte das Bier unter dem Satze „verleitgeben“ 5) zu einer Rüge. Sie sollen es nur tun dürfen, wenn der bedeutende Um­ fang des Geschäftes eine billige Herstellung des Gerstensaftes gewährleiste. Viel schlimmer als die Landwirtschaft war das Gewerbe, übler als die Dörfer waren die Städte daran. Die Städte, hören wir, verarmten zuseh^ids, verlören ihren Absatz. Den Reichtum *) Ibl. 1830, S. 806, 1231. 2) Die Verdienste des Frhr. v. Lotzbeck für den Tabakbau werden rühmend erwähnt 1830, S. 824. Das Arbeitshaus in Kaisheim befaßte sich sogar mit der Seidenzucht und mit der Pflege des Maulbeerbaumes. 8) Ibl. 1830, S. 845. 4) Raiser wünscht Gemeindeschäfereien (§ 106 seines Berichtes). 5) Lit = Getränk, Litgeber a Wirt.

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des Adels und der Stifte hätten politische Umwälzungen zerstört und, was übrig blieb, namentlich auch die mittleren Vermögen, zehrte der Genuß und der Luxus auf. Während die Bevölkerung der Städte abnahm, wiesen die Dörfer starke Einwohnerzahlen auf, viel stärkere als heute,1) litten aber auch unter den Folgen der Gewerbefreiheit. In den Dörfern, führte der Fürst im Reichs­ rat aus, ließen sich Handwerker in gesteigertem Maße nieder und erhielten leicht eine Konzession, lebten aber dann meistens von kleinen Gütchen, Sölden. Wenn z. B. drei Schneider in einer Gemeinde sich ernähren könnten, hielten sich dort neun auf und nun käme wohl ein zehnter mit einer neueren Mode, finde viele Zuläufer und richte die andern zu gründe. Die verarmten fielen dann der Gemeinde anheim, weshalb der Fürst im Reichs­ rat vorschlug, die Ansässigkeit von der Konzession zu trennen und die Gemeinden bei der Konzessionserteilung mitsprechen zu lassen.2) Eine übermäßige Volksvermehrung sei so wenig ein Glück als das damit in Wechselwirkung stehende Antreiben des Ge­ werbes. In Frankreich und England, sagte er, sehe man einen schauerlichen Kampf der Menschen ohne Vermögen mit dem Wohlstand der Mittelklassen entbrennen; die Wohlhabenden zitterten fortwährend in Angst, ob sie nicht ausgeplündert würden und einen Tages ohne Vermögen daständen.3) In erster Linie sollte die Landeskultur gehoben, die Landbevölkerung vermehrt und der Industrie die notwendigen Rohstoffe gesichert werden; denn daran fehlte es eben noch. Das Land lieferte dem Gewerbe nicht die nötigen Rohstoffe. Leder, Wolle, Handelsgewächse und vieles andere mußte ohnehin eingeführt werden, namentlich Baum­ wolle und Seide. Die Ein- und Ausfuhr erschwerten die vielfachen Zollschranken und der Zwischenhandel, woran sich viele jüdische und sonstige „Markthändler“ bereicherten. Die *) Augsburg, mit heute 159 125 Einwohnern, zählte damals nur 30000 und nahm noch ab, obwohl sich das Gewerbe und der Handel etwas hob. Dagegen zählte z. B. ein Dorf wie Maihingen, mit heute 518 Seelen, damals 695, wozu noch 6 Soldaten kamen. (Die meisten Bewohner gehörten zum Landgericht Wallerstein, nur 26 waren „bayerisch“.) Marktoffingen, mit heute 620 Seelen, zählte 768; Wallerstein, heute 1250, zählte 2027; Christgarten heute46, damals 122 Seelen (Neub. Archiv). 2) Verhandlungen VII 193, 213. 8) Verhandlungen XII 55.

n Märkte selbst stifteten mehr Schaden als Nutzen, wie Raisers Referenten ausführten, die eine Zolleinigung nach Art der preusischen empfahlen. Die Gewerbefreiheit erfuhr eine verschiedene Beurteilung. Der Fürst selbst spricht von einer allgemeinen Land­ plage und sagt, alle, auch die Liberalsten stimmen in ihrem Tadel überein. Eine Teufelsbrücke nannte sie ein Abgeordneter 1834. Der an Stelle der Zünfte geschaffene Gewerbeverein erfüllte die auf ihn gesetzten Erwartungen keineswegs — die Prüfungen, heißt es, wurden nur oberflächlich betrieben und ebensowenig befriedigte der Kreditverein. Die 1828 ins Leben gerufene Kreishilfskasse wurde wohl viel in Anspruch genommen, erhielt aber wenig Einlagen, so daß der Fürst sich außer Stand erklärte, alle Gesuche zu berücksichtigen, so lange nicht die wohltätige Anstalt durch die Entschlüsse edler Menschenfreunde jene Er­ weiterung erführe, wozu die Stiftungsurkunde so wohlwollend aufforderte.1) Schon länger als der Gewerbeverein bestand ein polytech­ nischer Verein (seit 1816), der aber nur wenig Leben entwickelte. Der Fürst bemühte sich wohl um seine Wiederbelebung und lud ,die industriellen und comerziellen Klassen“ ein, sich dem Verein mit der gleichen Gunst zu nähern, womit die Notabiiitäten des Grundbesitzes dem landwirtschaftlichen Vereine sich anschlossen,2) veranlaßte eine Ausstellung 1829, Preisausschreiben für Verbes­ serung der Leinwand-, Seiden-, Papierproduktion und Belobungen einzelner Unternehmer, z. B. der Ziegelbrenner, Weber, Spinner3) und wandte den Gewerbeschulen seine Aufmerksamkeit zu, er­ reichte aber nicht allzu viel. Von der Hebung der Bildung erwartete der Präsident und seine Ratgeber einen sicheren Aufschwung der Volkswirt­ schaft. Er hielt diese Hoffnung aufrecht warnenden Stimmen zum Trotze, die auf die Gefahren und Schäden zunehmender Bildung aufmerksam machten. Nicht die erhöhte Intelligenz, 9 Ibl. 1830, S. 1399. Vgl. die Verhandlungen der Abgeordneten 1834 über die Gründung einer Landeshypothekenbank IX, 181. Bezeichnend ist das Ueberwiegen ausländischer Versicherungsgesellschaften (Londoner, Pariser). VhdI. d. Reichsräte 1834 I, 47. 2) Ibl. 1829, S. 395. 3) Fabriken bestanden nur wenige: eine Tuch- und Kattunfabrik zu Mem­ mingen, Kaufbeuren und Göggingen, eine Lederfabrik zu Seltmans, eine Zwirn­ fabrik zu Weißenhorn u. a.

73 erklärte er im Reichsrat, habe viele Gauner und Spitzbuben er­ zeugt und die Prozeßsucht gesteigert, sondern lange Notjahre und der fortwährende Gesetzeswechsel.1) Nach seiner Meinung blieb auf dem Gebiete des Schulwesens noch viel zu wünschen übrig. Wenn er auf seinen Visitationen günstige Urteile aus­ sprach, so hatte er viel mehr die Absicht, aufzumuntern als zu beruhigen. Bei verschiedenen Anlässen rühmte er den Eifer und das Verständnis der noch in die Aufklärungszeit hineinreichenden Geistlichkeit beider Konfessionen, er ließ dem verdienten Jugend­ schriftsteller Christoph Schmid die verdiente Anerkennung zu teil werden und lobte das Entgegenkommen mancher Gutsherren, die, wie er einmal ausführte, einen Stolz auf die Verbesserung der Schulen setzten. Die Gemeinden, besonders die städtischen, fühlten wohl, heißt es, daß die Veredelung des Geistes und die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten die Voraussetzung zum höheren Aufblühen der Gewerbe, zur Wiederbelebung des städ­ tischen Wohlstandes und zur Belebung der Freiheit bilde, deren sich die bayerische Nation erfreue. Ein verspätetes Echo dieser Visitationen hallt aus einer Erinnerung vom Jahre 1839 entgegen, wo der Fürst anknüpfend an seine Lieblingsidee von der Vereinödung bemerkt: „Erblickt der höhere Beamte bei Schulvisitationen vorzugsweise intelligente, reinliche, liebens­ würdige, unverdorbene Kinder“, so pflegt er auszurufen: Sicher ist dieses ein Einödkind.3) Nur noch 4 Pfarreien entbehrten der Schulen, während sonst 28 solche Orte gezählt wurden, die meist in Altbayern lagen. Aber nicht weniger als 170 Volksbildungs­ anstalten mußten sich auf Mieten in Privathäusern und Lehrer­ privatwohnungen einlassen und die Neubauten blieben hinter dem Bedürfnisse zurück. Die Lehrergehalte standen bekanntlich sehr nieder und ihre Erhöhung stieß auf unüberwindliche Schwierig­ keiten. Erklärte doch die Kreisschuldotationskasse sich außer Stande auch nur die außerordentlichen Unterstützungen in Fällen besonderer Not zu leisten und für Witwen und gebrechliche Lehrer hinreichend zu sorgen.3) Daher war die Beihilfe der sonst auf den Austerbeetat gesetzten Klöster recht willkommen, zumal der Frauenklöster, die sich der Erziehung der Mädchen *) Verhandlungen 1831, VI, 212. *) Abel und Wallerstein, S. 111 ; vgl.Verhdl. der Reichsräte 1831, IV, 366. *) Ibl. 1830, S. 856 u. 1210.

74 in weiblichen Arbeiten widmeten. Ihre Tätigkeit erfüllte den Fürsten mit Freuden, noch mehr aber die Zunahme der Zeich­ nungsschulen, wo 4000 Lehrlinge und Gesellen sich Fertigkeiten aneigneten.1) War er doch einer der ersten, der die Wichtig­ keit des Zeichnungsunterrichtes für das Kunstgewerbe erkannte und sich Verdienste erwarb, die Hefner-Alteneck nicht genug zu rühmen wußte.2) Die Schule stellte der Fürst auch in den Dienst seiner Lieblingsidee, der Erhaltung alter Denkmäler und Volkssitten und suchte dafür nicht nur die Lehrer, sondern auch die Geist­ lichen zu gewinnen. Ein Aufruf, ein Erlaß jagte den andern. Trotz aller Mahnungen dauerte eben die Vernachlässigung und Verschleuderung fort.3) Die Aufklärungszeit hatte gar keinen Sinn gehabt für alte Bilder und Statuen und die katholische Geistlichkeit holte reichlich ein, was die protestantische zur Zeit des Bildersturms gesündigt hatte. Immerhin erhielten sich auf protestantischen Kirchenböden und in Winkeln noch viele Kunstgegenstände, die nun um einen Spottpreis verkauft oder verschenkt wurden. Gerade der Fürst hatte mit seiner Begeis­ terung für alte Denkmäler die Anregung gegeben, sodaß diesem „Gerümpel“ die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde und Kunsthändler sich zuwandte. Er verlangte nun eine genaue Verzeichnung und Beschreibung der Denkmäler und forderte die Polizeibehörden, Bezirksingenieure und Baukondukteure zur Mithilfe auf.4) Alle Archive und Registraturen sollten geordnet und Ausgrabungen sachverständig vorgenommen werden. Die Pfarrer sollten die Geschichte ihrer Gemeinden erforschen und Berichte einsenden. Ein paar Jahre wurden auch Auszüge aus den Berichten abgedruckt, bis Raiser in seinen Denkwürdigkeiten *) Ibl. 1830, S. 1207. *) Nördlinger Jahrb. 1917, S. 83. 8) Als fachkundigen Gemälderestaurateur empfahl er Günther, angestellt an der Galerie zu Augsburg, und Aichner. Mit jenem hatte er schon früher bei Anlegung seiner eigenen Galerie Beziehungen. Nördl. Jahrbuch 1917 S. 96. Über Aichner (Eigner) ebenda S. 108. 4) Vergl. den Artikel „Bilderschicksale“ von Prof. Mußgnug, Nördl. Anz. Bl. vom 13. u. 14. Dez. 20. Aus pers. Erinnerung sagte mir Staatsrat Böhm, der Sohn des dort genannten Gerichtsarztes, der solche Kirchenbilder rettete, das Hauptverdienst an dieser „Rettung“ gebühre dem Fürsten Ludwig.

75 1829 eine Art Sammelbecken schuf.1) Eine Sammelstelle für Altertümer namentlich der Urzeit sollte das Augsburger Anti­ quarium sein, für das der Fürst warm eintrat: Es sei zwar Eigentum der Stadt Augsburg, nehme aber dankbar jeden Beitrag aus dem Kreise an, heißt es in einem der ersten Aus­ schreiben. Dieser Aufruf tat auch seine Wirkung; denn in der Folge konnte eine Reihe von Beiträgen verzeichnet werden. Ziemlich gleichzeitig erließ der Fürst einen erfolgreichen Aufruf zur Gründung eines Denkmals an Stelle des Stamm­ schlosses der Wittelsbacher, wozu am 25. Aug. 1832 der Grund­ stein gelegt wurde.8) Damals war Fürst Ludwig schon Minister des Innern. Drei Jahre zuvor hatte er die große Freude und Genugtuung dem Könige am 29. August 1829 das Augsburger Volksfest vorzuführen. Auf dieses Volksfest hatte er eine große Hoffnung gesetzt und sich mit dem Gedanken geschmeichelt das Münchner Oktoberfest zu überbieten. Denn es sei reicher an klassischen Erinnerungen der Vorzeit gewesen, heißt es in dem von ihm veranlaßten Berichte der Allgemeinen Zeitung. Den Hauptanziehungspunkt bildeten kriegerische und gymnastische Übungen, Wettrennen, Wettläufe, Stangenlaufen, Sackrennen, Ringelstechen im Karussel, Kerzenschnappen, Scheiben-, Hirschund Vogelschießen. Derartige Volksbelustigungen, meinte der Fürst, wären zu schonen und zu pflegen, besonders aber solche Spiele, in denen sich der Volkscharakter ausprägte und histo­ * * aber rohe Spässe wie rische Erinnerungen verdichteten3),* *nicht Hühnerschlagen, Entenhauen, Gänsezwicken und Gänseköpfen. Reicher war der Kreis an andern historischen Denkmälern, auf die der Fürst den König aufmarksam machte, als er ihn am 28. August von Donauwörth aus nach Augsburg geleitete. Be­ sonders hatte er sich bemüht, daß sein eigenes Fürstentum dem 9 Doch wurden auch gelegentlich noch später Funde bekannt gegeben, so 1831 die Entdeckung eines Schädels der „mongolischen Menschenrasse, ver­ mutlich eines Hunnenführers“, eine Vermutung, die uns heute zur Heiterkeit stimmt. 2) Vgl. Allg. Ztg. 1829 I, Beil. 111, 177; 1832 III, 1373. 8) Genannt wird das Erntefest, der Huttanz, die Sichel- und Flegelhenke, das Fischstechen. Beim Huttanz drehten sich wechselnde Paare um einen auf­ gehängten Hut, der dem Paare zufiel, das seine Runde machte, wenn ein auf­ gestelltes Luntengewehr einen Schuß abgab. lbl. 1830, S. 1070.

76 Herscher einen glänzenden Empfang bereitete. Ein Triumph­ bogen an der Wallersteinischen Grenzmark bestand fast ganz aus geschichtlichen Rüstungen, Waffen und Fahnen, die wie es wörtlich heißt, von derÖttingischen Lehenskurie für das Haus Wittels­ bach und für die Wittelsbachischen Kaiser ins Feld geführt wurden.x) Es sollen sich so viele Menschen hinzugedrängt haben, daß die Dorf­ schulzen nur durch strenge Gebote einige wenige zum Zurück­ bleiben und zur „Wahrung“ der Dorfschaften durch das Los hätte bestimmen müssen. Auf der Weiterfahrt ritten über 200 Land­ leute zu Pferd mit weißblauen Fahnen abwechselnd vor oder hinter dem königl. Zuge. Den Einzug in Augsburg verkündigten Kanonenschüsse und Glockengeläute.2) Die Linientrupppen und die Landwehr bildeten Spalier und im Zuge liefen zwölf Jüng­ linge und zwölf Jungfrauen aus der Bürgerschaft in der alten Nationaltracht. Jene trugen Fahnen mit patriotischen Inschriften, diese Denkmünzen auf silbernen Tellern. Nach der Begrüßung durch den Magistrat und die Geistlichkeit, die Militär- und Zivil­ behörden sprach der König „über die Stimmung der Stadt und des Kreises, über die überströmenden Beweise der Begeisterung tief bewegte Worte, die in keiner treuen Brust je vergehen werden“. Am folgenden Tage Sonntags begannen dann die Festlichkeiten. Die Stahlarmbrustschützen mußten nach 70jähr. Pause wieder ausrücken und alte Zeiten erneuern, ebenso die Handwerker mit ihren Zunftzeichen, an der Spitze die Weber und am Schlüsse die Schäffler „mit ihrem von den alten Bacchusund Weinlesefesten im tiefen Mittelalter stammenden Tanze“. Die Fleischhauer führten einen verzierten Ochsen mit sich, der nachmittags auf dem Festplatze geschlachtet wurde. Die Stadt­ brunnen spendeten Wein und Geldstücke wurden unter das Volk geworfen. Auf dem Festplatze selbst hielten Vertreter der 49 Bezirke des Kreises Ansprachen und trug ein Jüngling und eine Jungfrau Gedichte vor. Dann verteilte der König Preise für besondere Verdienste in der Viehzucht, im Flachs-, Hanf-, Tabakund Hopfenbau, in der Obst- und Bienenzucht, besuchte die *) Mit der Geschichte stimmen die Angaben in der Allg. Ztng. S. 957 schlecht überein. Jedenfalls sind die Fahnen verschwunden und den vorhandenen fehlt eine geschichtliche Beziehung. 3) Eine farbige Zeichnung der Maihinger Sammlung von Hofbauer ver­ gegenwärtigt den Einzug des Königs vom 28. August.

Ausstellung im Rathaus, wo Kattunwaren und künstliche Blumen seine Aufmerksamkeit erregten und nahm dann Abschied. In seiner Schlußrede erinnerte der Fürst an die nämliche Zeit vor 16 Jahren, wo der König das Morgenrot der Befreiung vom fremden Joche über Augsburg heraufdämmern sah. Ein schrift­ licher Befehl des Königs drückte seine Zufriedenheit aus und schloß mit dem Satze, S.M.halte sehr viel auf diebraven Augsburger. Diesen Befehl teilte der Fürst am 17« Oktober 1830 mit bei Gelegen­ heit einer Musterung, die er als Kreiskommandant der Landwehr abhielt.1) Auch hier erinnerte er wieder an eine glorreiche Zeit, an den 15. Dezember 1813 und an die vielen freiwilligen Meldungen zur Landwehr. Durch die Bürgerbewaffnung, erklärte er, und durch freisinnige Einrichtungen sei unser schönes Vater­ land zum klassischen Boden gesetzlicher Freiheit und dankbarer Treue herangewachsen. Die Bürgergarde bilde eine unerschütter­ liche Schutzwehr des Thrones, der Verfassung und der so hervor­ tretenden politischen Würde. Im Sinne dieser Worte begrüßte der Fürst am 7- Dezem­ ber 1829 den ersten Landrat.2) Diese Einrichtuung sagt er, „bis dahin nur dem Bruderkreise am Rhein Vorbehalten, ver­ breitet sich nun segenverheißend über alle Teile der Monarchie“. „Der vielgeliebte König, der Freimut liebt und Pflichtgefühl ehrt, blickt wohlgefällig auf eine Versammlung, deren Bieder­ sinn ihm beides verbürgt“. „Bringen Sie jeden frommenden Wunsch, jedes Wort Ihrer Überzeugung direkt zu der Kennt­ nis des besten der Könige“.3) Allg. Ztng. Nr. 292. *) Nachdem die 23 Mitglieder den Eid geleistet hatten, ln Begleitung des Fürsten befanden sich die Regierungsräte Beisler, Voltz, Braunmühl, Heres, Flacho, Beyschlag. *) Die Rede erwiderte K. A. Fugger von Nordendorf. An den Sitzungen selbst nahm weder der Präsident noch der Regierungskommissär teil, sie ver­ liefen gleichsam geheim, genau so wie z. B. die ältesten Ständeversammlungen in Württemberg. Die Kommissäre durften nur erscheinen, wenn der Landrat sie verlangte. Der Präsident erschien nur noch zum Schlüsse, 20. Dez., nach­ mittags 4 Uhr. Die Beratungen handelten über die Hagelversicherung, Vicinalund Kreisstraßen, Brücken, Kreisumlagen, Kreishilfskassen, Pflegekosten für heimatlose Personen, Errichtung einer Armen- und Irrenanstalt. Das Protokoll ist gedruckt Augsburg 1830 bei Reitmayr (Rösl). Die Erfahrungen, die Fürst Ludwig sich in diesen Tagen sammelte, gaben die Grundlagen zu mehreren Reden im Reichsrat (Verhandlungen III, 62; VIII, 197)» wobei er nicht versäumte, manche Mängel zu rügen und eine Teilnahme der Regierung zu verlangen. l)

78 Den Biedersinn und die Untertanentreue der bayerischen Schwaben rühmt auch Raiser in seinem Verwaltungsbericht 1833. Die Umtriebe der Freiheitsmänner, dieser Schwindelköpfe, sagt er, finden keinen Boden. Der Charakter der Leute sei offen und ehrlich, wenn auch etwas schwerfällig. Die politische Bil­ dung mache zwar Fortschritte, schlage aber keine falsche Bahnen ein und es bestehen keine verbotenen Verbindungen, die vorhan­ denen Gesellschaften (Theater-, Schützen-, Lesevereine, Kasinos) halten sich politischen Bestrebungen ferne. Um so auffallender ist es, daß der Fürst am 29. Juni 31 an den Staatsrat Stürmer schrieb, die aufrührerische Stimmung hätte seit einigen Wochen, Riesenschritte gemacht; die Tribüne von Wirth, die damals zu erscheinen anfing, wiegle die Geister auf. Die Augsburger Lokal­ blätter stehen mit ihr in Verbindung. Die für die Preßfreiheit erfolgreiche Julirevolution hatte die Geister in Aufruhr versetzt, so , daß sich Minister Schenk veranlaßt sah, die Zensur auf innerpolitische Preßäußerungen auszudehnen. In seiner Ver­ teidigungsrede bemerkte Schenk, im unteren Donau- und Rezatkreis sei diese Einschränkung zum Vollzug gelangt, nicht aber, wie er durchblicken ließ, im dazwischenliegenden Kreise, sodaß hier sich die aufrührerische Presse einer ungestörten Freiheit erfreute und über eine auffallende große Zahl von Organen, da­ runter viele Skandalblätter, verfügte.1) Der Fürst pries im Reichs­ rat am 23. September die Segnungen der Freiheit und erklärte ihr Mißbrauch lasse sich durch andere Mittel unschädlich machen. Dazu rechnet er unter anderm den landwirtschaftlichen Verein, worüber er in dem genannten Brief an Stürmer schrieb, er sei das beste Abwehrmittel gegen die üble Stimmung. Die 120 Wahl­ männer des Vereins wären berufen, im ganzen Kreise eine er­ freuliche Stimmung zu verbreiten, er bürge mit seiner Ehre da­ für, daß nichts zweckmäßigeres geschehen könnte. Seine bürgerfreundlichen, geradezu demokratischen An­ schauungen verleugnete der Fürst vor einer so erlauchten, feu­ dalen Gesellschaft, wie es der Reichsrat war, keineswegs und 9 Augsburger Tagblatt von Valentin Oesterreicher, die Zeit von Kurz und Volkhardt, Ahasverus oder der ewige Jude und sein Nachfolger der Pul­ vermann, die nur ein kurzes Dasein fristeten. Auch die Augsburger Postzeitung, hören wir, war nicht frei von Schwindel, ja sogar die Sion von Lechner und Schmid trieb „ärgerliche Polemik“. (Raisers Bericht § 157).

79 trat mit entschiedenen Freimut gegen die bureaukratische, juris­ tische Bevormundung der Selbstverwaltung auf, eine Be­ vormundung wie sie die Gesetze der früheren Regierung trotz aller Anläufe zur Besserung immer noch vorsahen. Er erklärte als Referent eines Ausschusses, also sogar in offizieller Eigen­ schaft im Mai 1831,1) man solle es jeder einzelnen Gemeinde über­ lassen, ob sie Rechtsräte 'anstellen oder in Rechtsfragen lieber öffentliche Anwälte zu Rate ziehen wolle. Selbst die unbedeu­ tendste Stadt müßte einen Rechtsrat unterhalten, auch wenn sie keinen einzigen Prozeß führte, dagegen leiden die Landgerichte an einem ständigen Mangel an Juristen und an einer Ueberlastung, woran die durch die vielen Gesetze und Verordnungen geweckte Prozeßsucht die Hauptschuld trügen.2)* *Die Gemeinden selbst, wünscht der Minister 1834, sollten durch das ihnen neuerdings über­ tragene Vermittlungsamt (Friedensgericht) der Prozeßsucht ent­ gegenwirken. Er habe, erkärte er, als Generalkommissar im Algäu, wo schon früher eine freiere Gemeindeverfassung bestand, Orte gefunden, wo kein einziger Prozeß an die Gerichte kam, weil das Friedensgericht alle Prozesse erledigte.8) Endlich beklagte er die finanzielle Unselbständigkeit der Landgemeinden, deren Rechnungen 2—3 Instanzen durchlaufen, obwohl er anerkannte, daß ohne diese Kontrolle Ungerechtig­ keiten und Benachteiligung der kleinen Leute vorkämen. Die Tätigkeit der Gemeindevorsteher und des Gemeindeausschusses bestehe in einem beständigen Wandern zum Amtssitze; zu den Distriktsversammlungen seien aber kaum die nötigen Leute zu­ sammenzubringen und müßten die wichtigsten, ein plötzliches Handeln erforderlichen Bauten (besonders Wasserbauten) liegen bleiben, sodaß die Kosten oft ins Ungemessene anschwellen. Dadurch entstehen gewaltige Lasten für das Ärar, die Stiftungen und Kommunen. Die Ortsumlagen, vor 1816 kaum bekannt, seien ungeheuer gewachsen, ebenso auch die Kultusbaulasten, über deren Verteilung auf die Pflichtigen große Unklarheit herrsche. Früher habe weniger der Buchstabe als vielmehr die Billigkeit den Ausschlag gegeben, der Kultus sei so mit dem öffentlichen l) Vhdl. d. R. r. (17. Mai 1831) I, 193 ff. am 1. u. 17. Juni (451, 493). *) Ebda IV, 367; VI, 212. ■) Vhdl. IV, 121.

Weitere Anträge s. I, 205, 211;

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und privaten Leben verwoben gewesen, daß Rechtsbestimmungen keine Gefahr und keine Schwierigkeit boten. Der Verwaltungs­ behörde sei die Entscheidung entzogen. Bevor aber die Gerichte ein Urteil fällten, dauere es jahrelang, alles bleibe liegen und es vermehrten sich die Bauschäden. Wie wir an diesen Aeußerungen sehen, die sich leicht ver­ mehren ließen, scheute sich der Fürst nicht, freimütig Kritik zu üben, sogar an Lieblingsideen des Königs, z. B. an seinen Bauten, und wenn ihn dieser am Schlüsse des Jahres doch zu seinem Minister ernannte, so war es keineswegs Schmeichelei und Gunst­ buhlerei, die ihm den Weg ebneten, sondern ohne Zweifel seine Begabung, Beredsamkeit und reiche praktische Erfahrung, die er eben als Regierungspräsident sich gesammelt hatte. Als Minister mußte er freilich die Erfahrung machen, daß sich Uebelstände nicht so leicht beseitigen ließen, daß Kritik leichter war als Besser­ machen. Wohl versuchte er viele seiner Ideen durchzuführen, namentlich auf dem Gebiete des Unterrichts, der Industrie und in der Gemeindeverwaltung, aber die Verhältnisse ließen sich nicht so rasch meistern und schon nach 6 Jahren mußte er sein Amt in andere Hände übergeben. Es war keineswegs Unfähig­ keit, die ihn stürzte, sondern vor allem seine liberale Gesinnung und vielleicht auch die Eifersucht des Königs auf seine Popu­ larität, wie ein gewisser Neumann behauptete.1) *) Die Gegenwart, encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitge­ schichte. Leipzig, Brockhaus 1848 I, 184.

Georg Panzer, Ulrich Schwarz, der Zunftbürgermeister von Augsburg, 1422—1478. Inaugural-Dissertation zur Er­ langung der Doktorwürde der Phil. Fac. der K. LudwigMaximilians-Universität zu München, Bamberg (1914). 124 S. Die Geschichte des Augsburger Bürgermeisters Ulrich Schwarz, der im Jahre 1478 gehenkt worden, fand im Laufe der Zeit viele Darstellungen und es ergab sich dabei das einstimmige Urteil, daß er eine verabscheuungswürdige Tyrannennatur und ein mit einer Reihe der schwersten Verbrechen belasteter Mann gewesen, dem durch seinen schmachvollen Tod nur der gerechte Lohn zu Teil geworden. Da ist es nun ein Verdienst Panzers, daß er sich mit hingebendem Fleiß und Umsicht daran gemacht, das gesamte, den „Schwarz’schen Handel“ betreffende QuellenMaterial, soweit es ihm zugänglich gewesen, neuerdings kritisch zu durchforschen, um so zu einer selbständigen Auffassung der hier in Betracht kommenden Vorgänge und der in ihrer Mitte stehenden Persönlichkeit Schwarz’s zu gelangen. Das auf diesem Wege gewonnene Ergebnis ist, daß es die persönliche Tüchtigkeit des Mannes gewesen, durch die er in einer für seine Vaterstadt schwierigen und gefahrvollen Epoche emporgekommen, daß er dabei selbstverständlich auf die radikaleren Elemente in den Zünften angewiesen gewesen, daß er in seinem Bestreben diese durch Erweiterung der den Zünften zustehenden politischen Rechte immer enger an sich zu fesseln, in einen von Jahr zu Jahr sich er­ bitterter gestaltenden Gegensatz zu den in der Herrenstube zu­ sammengeschlossenen Reichen und Vornehmen der Stadt geraten, der sich schließlich zu einem Kampf auf Leben und Tod zuspitzte, mit der durch Schwarz herbeigeführten Hinrichtung der beiden Vittel den Höhepunkt erreichte und als Gegenschlag seiner Feinde, von denen sich keiner mehr des Lebens sicher fühlte, den Sturz und die Verurteilung Schwarz’s zum Tode durch den Henker zur Folge hatte. Es wird dann gezeigt, wie die siegreiche Partei alles aufbot, um ihrem Vorgehen den Schein der Gesetzlichkeit zu geben, wie sie dem nun zu Boden Gestreckten Bekennt­ nisse zu entreißen vermochte, die ihn als Dieb und gemeinen Verbrecher hinstellten, wie sie die ihres Führers beraubten Gegner 6

82 mit unnachsichtiger Strenge für immer unschädlich zu machen trachtete und sich das Verdienst zuschrieb, das Vaterland vor verderblicher Tyrannei befreit zu haben. Die verschiedenen Schauergeschichten — Mordtaten, Ehebruch, im Amt verübte Erpressungen und Anderes —, die die Tradition Schwarz auf­ bürdet, werden von Panzer im wesentlichen auf unhaltbare Auf­ stellungen zurückgeführt, die der Augsburger Ratsdiener Clemens Jäger in seiner 1555 verfaßten Tendenzschrift „Vorbereitung des Rates gegen Georg Österreicher“ vorgebracht. Da wir an einem andern Ort auf dieses Libell Jägers und die darin von ihm gegen Schwarz erhobenen Vorwürfe zu sprechen kommen, können wir unterlassen, diese Dinge hier weiter zu verfolgen. Panzer wird in seiner Auffassung der Geschichte Schwarzes in der Hauptform wohl das Richtige getroffen haben, doch sind wir der Meinung, daß er in seinem Bestreben, ihn von ungerechten Anschul­ digungen zu reinigen, zu weit gegangen, die Linie des streng objek­ tiven Forschers etwas überschritten hat und stellenweise zu einem Parteimann geworden ist, der mit wahrem Feuereifer als Advokat seines Klienten auftritt und kein diesem nützliches Argument, auch wenn es nicht ganz stichhaltig ist, außer Acht läßt. Denn das bleibt unter allen Umständen bestehen, daß Schwarz bei der Verfolgung seiner Ziele in der Wahl seiner Mittel nicht eben ängstlich war, wo er Widerstand fand, schroff durchgriff und von seinen Gegnern wohl als Tyrann gefürchtet werden konnte. Daß auch noch andere Kreise als die obersten Schichten der Be­ völkerung seine Herrschaft schließlich als unerträglichen Druck empfanden, zeigt die Art und Weise, wie Wilhelm Witwer von seinem Ausgang berichtete. — Nun noch einige Einzelheiten. Die von Panzer S. 92 ff. mitgeteilte Chronik des Schwarz hat sich nicht in der Abschrift Jägers, sondern in der eines seiner Schreiber erhalten, der uns auch sonst öfter begegnet und die sehr flüchtige Schrift Jägers, die er nur schwer, stellenweise gar nicht entziffern konnte, infolgedessen als eine mit einer Unmasse von Fehlern und Mängeln entstellte Abschrift lieferte. Was Panzer getan hat, um den Text zu verbessern, war nicht aus­ reichend; nach einer von uns angestellten Probe hätte er bis auf ein paar Stellen richtig gestellt werden können. Bei der Darstellung der Verfassungsgeschichte Augsburgs wäre, soweit die Zunftverfassung in Betracht kommt, von dem, was Frensdorff

83 in Band I der Augsburger Chroniken S. 129—149 zusammen­ gestellt, auszugehen gewesen; (die weiter und tiefer greifenden Studien zur Geschichte der Augsburger ZunftVerfassung von Dirr in Bd. XXXIX dieser Zeitschrift [1913] lagen Panzer bei Aus­ arbeitung seiner Schrift noch nicht vor). Der von ihm in der Zusammenstellung der benützten Handschriften aufgeführte Cgm. 2648 ist eine von Jäger im Jahre 1536 abgeschlossene Augsburger Chronik, die älteste von diesem herrührende Arbeit, in der er über Ulrich Schwarz berichtet. Die von Panzer schmerzlich ver­ mißten Ratsbücher aus Schwarz’s Amtszeit, deren Originale sich in Wien befinden, liegen nun abschriftlich im Augsburger Stadtarchiv auf. Sie bieten für die Geschichte Schwarz’s zwar nicht so viel, als man erwarten möchte, aber doch manches, das mit Nutzen zu verwenden gewesen wäre. So enthält das Rats­ buch 1476 das neue Rats Wahlgesetz (jetzt gedruckt in Dirr’s „Studien“ S. 217), über dessen Bestimmungen Panzer im Zweifel ist. Die Polizeiverordnung von 1466 mit nachträglichen Er­ gänzungen ist in mehreren Münchener und Augsburger Hand­ schriften enthalten und gibt manche lehrreiche Aufschlüsse über die damals in Augsburg herrschenden Zustände. Allgemeines Interesse kann die von Panzer S. 13 und S. 78 ff. gebotene Zu­ sammenstellung aller ihm bekannt gewordenen historischen und belletristischen Bearbeitungen der „Schwarz-Geschichte“ in An­ spruch nehmen, ebenso die Übersicht über die verschiedenen Nachkommen Schwarz’s, die durch künstlerische Neigung, Ver­ anlagung und Betätigung hervorragen; die von dem Verfasser aufgeworfene und geschickt in bejahendem Sinne erörterte Frage, ob auch der bayrische Hofmaler Christoph Schwarz ihnen zu­ zuzählen sei, bleibt offen. Friedrich Roth.

Dr. Erich König, a. o. Professor an der Universität München, Peutingerstudien (Freib. i. Br. 1914) in Studien und Dar­ stellungen aus dem Gebiete der Geschichte, im Aufträge der Görres-Gesellschaft und in Verbindung mit der Redaktion des Historischen Jahrbuches herausgegeben von Dr. Herrn. Grauert, Bd. IX, 1. u.*2. Heft, 178. S. Die Peutinger-Forschung hat in neuerer und neuester Zeit erfreuliche Fortschritte gemacht. Es sei hier nur erinnert an 6*

84 P. Joachimsens Peutingeriana (in der Erstgabe für K. Theodor v. Heigel, 1903), an das von dem gleichen Autor in seinem Werk, „Geschichtsverfassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus, P (1910) und von Wilhelm Hans in seiner Schrift „Gutachten und Streitschriften über das jus reformandi des Rates in Augsburg 1534—37a (Augsb. 1901) über Peutinger Beigebrachte und an Friedrich Vollmers akad. Festvortrag vom 15. Nov. 1913, in dem Peutinger als Epigraphiker gewürdigt wird. Dazu gesellen sich nun Königs Peutingerstudien. Der Verfasser stellt, überall auf die Quellen zurückgehend, zu­ nächst das, was sich über die Kinder-, Jugend und Studienjahre Peutingers (geb. 1465) bis zur Beendigung seines Aufenthalts in Italien (1488) ermitteln ließ, zusammen und weist dann auf Peu­ tingers in das genannte Jahr fallende Reise in die Niederlande hin, wo er zuerst mit dem sechs Jahre älteren König Maximilian persönlich zusammentraf. In den Dienst der Stadt Augsburg trat Peutinger im September 1490; 1494 oder 1497 wurde er, nach­ dem er 1491 in Padua zum Dr. in jure civili promoviert worden, Stadtschreiber, welches Amt er bis Februar 1534 versah; am 28. Dez. 1547 schied er aus dem Zeitlichen. Ausführlich werden weiterhin die bekannten engen Beziehungen des Stadtschreibers zu dem so häufig in Augsburg weilenden Kaiser Maximilian und im Anschluß daran die politischen Anschauungen Peutingers be­ sprochen, die ihn als einen national gesinnten Deutschen und eifrigen Anhänger der mittelalterlichen Kaiseridee erkennen lassen. Der nächste Abschnitt behandelt Peutinger als Humanisten. Es wird gezeigt, daß sich Peutinger sowohl bei den Zeitgenossen wie der Nachwelt als humanistischer Gelehrter des höchsten An­ sehens erfreute, und unter flüchtiger Berührung der wenigen ge­ druckten Schriften Peutingers im Rahmen einer Geschichte der Erschließung seines schriftlichen Nachlasses auf Grund der hier sich findenden historischen Werke Peutingers untersucht, inwieweit das ihm so allgemein gespendete Lob berechtigt ist. Da kommt nun König zu dem Efgebnis: „Der Augsburger Stadt­ schreiber gehört weder als Forscher noch als Schriftsteller zu den großen Männern des deutschen Humanismus. Wenn er An­ spruch darauf hat, daß sein Name in der Geschichte der Wissen­ schaft, der Altertumskunde insbesondere und der Geschichte weiterlebt, so gründet sich dieser Anspruch einzig auf seine

85 wissenschaftlichen Sammlungen und die daraus hervorgegangenen Editionen und auf die Anregungen, die er durch beides andern gegeben hat.“ Aber das ist auch schon viel: „Seine Sammlungen und Editionen stehen am Anfänge der Entwicklungsreihe, die zu den Monumenta Germaniae historica, zum Corpus inscriptionum Latinarum und zu den Regesta imperii heraufführt“. In einem die Stellung Peutingers zu den kirchlichen Fragen seiner Zeit behandelnden Abschnitt werden unter anderm zwei Gutachten Peutingers zur Königswahl von 1519 besprochen, in denen er mit Entschiedenheit für die Selbständigkeit der deutschen Krone eintritt und sich grundsätzlich gegen die Abhängigkeit des Kaiser­ tums vom Papsttum erklärt, wie er überhaupt in die auf Seite der nationalen Kreise gegen Rom und die Romanisten herr­ schende Opposition kräftig einstimmt. Auch ist unverkennbar daß er in den von Luther entfachten religiösen Kämpfen in vielen Dingen innerlich den „Neuerern“ Recht geben mußte und die von Seite der Gegner versuchte Unterdrückung derselben nicht immer billigen konnte; ja manchmal ging er sogar soweit, dieser Gesinnung auch deutlich genug Ausdruck zu geben. Aber es war keine religiöse Natur im höheren Sinne des Wortes, der es unabweisbares Bedürfnis ist, die Wahrheit zu suchen und mit ihr zu stehen und zu fallen, sondern vor allem Humanist, der Ruhe wollte, damit die Studien nicht gestört würden, und ein staatsmännisch denkender Practicus, der vor allem mit politischen Faktoren rechnete und der Ansicht war, daß im Notfall auch die Religion sich diesen unterordnen müsse. So gelangte er schließlich, als er zu erkennen glaubte, daß die aus dem „Re­ ligionshandel“ sich entwickelnden Verhältnisse seiner Vaterstadt — ihrem Reichtum und ihrem Handel — schädlich und gefähr­ lich werden könnten, doch dazu, gegen das „Evangelium“ Partei zu nehmen, seine Herren von den scharfen Maßnahmen, die sie gegen den Klerus durchzuführen im Begriffe waren, ernstlich abzumahnen und sie auf eine friedliche Lösung der Konflikte zu verweisen. Der Handel der Stadt durfte unter keinen Um* ständen geschädigt werden. Peutinger stand durch seine Familien­ verbindungen — er selbst war bekanntlich mit einer Weiserin verheiratet — den Kreisen der bedeutenderen Augsburger Kauf­ leute persönlich und teilweise wohl auch geschäftlich so nahe, daß er sich geradezu berufen fühlte, natürlich gegen gute Be-

86 Zahlung, ihren juristischen Patron zu machen und für sie, nament­ lich zum Schutz ihres Monopolhandels eine Anzahl von Gutachten, Denkschriften, Ratschlägen und Eingaben auszuarbeiten, wie er auch dem Dr. Johann Eck bei dessen Verteidigung des Kaufmannzinses kräftige Hilfe zu teil werden ließ. Ein Mann dieser Art war so wenig wie die Kaufleute selbst, eine ganz kleine Zahl ausgenommen, dazu geschaffen, seiner religiösen Überzeugung Opfer zu bringen. Peutinger hatte noch die traurige Genugtuung zu sehen, wie schwer sich die Nichtbeachtung der Ratschläge, die er bei seinem Ausscheiden aus dem Stadtschreiberamt dem Rate ge­ geben, rächte. Er erlebte noch, daß seine Vaterstadt in den verderblichen Religionskrieg hineingerissen wurde und eben in dem Augenblick, in dem der Tod die Hand nach ihm aus­ streckte, nach dem Abzug der evangelischen Bundesfürsten aus dem Oberlande, an dem Erfolg ferneren Widerstandes verzweifelnd, völlig zusammenbrach. Einige Wochen später mußte sein der Stadt als Advokat dienender Sohn Dr. Claudius Pius eine vom Rat nach Ulm abgeordnete Deputation begleiten und mit ihr den vom Kaiser verlangten Fußfall machen. Der letzte Abschnitt der Peutingerstudien gilt Peutinger, dem Bücher- und Handschriftensammler. König stellt hier mit Hilfe noch vorhandener Kataloge die Gruppenbestände der be­ rühmten Peutingerschen Bibliothek fest, berichtet über deren spätere Schicksale, gibt für die noch vorhandenen Handschriften die heutigen Standorte an und verzeichnet endlich noch einige Drucke aus Peutingers Besitz, die sich jetzt in der Münchener Stadtbibliothek befinden. Den Schluß des Ganzen bildet ein wertvoller „Quellenanhang“. Durch seine keine Mühe scheuende Gründlichkeit und muster­ hafte Objektivität ist es dem Verfasser gelungen, Vieles in Peu­ tingers Leben, das man bisher gar nicht oder nur oberflächlich kannte, in helle Beleuchtung zu setzen und so unsere Kenntnis der Persönlichkeit dieses Mannes, namentlich des Humanisten und Po­ litikers (Handelspolitikers) wesentlich zu erweitern und zu vertiefen. Es wäre zu wünschen, daß sich bald ein Berufener fände, der von der gleichen wissenschaftlichen Höhe aus ein erschöpfen­ des Bild Peutingers in dessen Eigenschaft als Stadtschreiber zu schaffen vermöchte. Friedrich Roth.

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Dr. Moritz von Rauch, Götz von Berlichingen und Heil­ bronn, Sonderabdruck aus der Zeitschrift „Historischer Verein Heilbronn“ XIII (1921), 40 S. Der Verfasser hat hier sämtliche Berührungen und Be­ ziehungen, die zwischen der Stadt und dem Ritter bestanden, zusammengestellt. Sie wurden erst bedeutsamer nach dem Jahre 1519, in dem Götz während des Württemberger Krieges als Diener H. Ulrichs gefangen und vom schwäbischen Bunde den Heilbronnern zur Bewahrung übergeben wurde, — eine für diese mit mancherlei Unannehmlichkeiten verbundene Sache. In diese Zeit fällt die von Götz in seinem Tagebuch so dramatisch geschilderte Szene, in der er sich zur Abwehr der Abführung in strengere Gefangenschaft gegen mehrere zu seiner Ergreifung be­ stimmte Weinschröter mit wildester Tapferkeit verteidigte. Indeß mußte er sich doch fügen und 3l/2 Jahre als Häftling in Heilbronn aushalten. Aus späterer Zeit seien seine Bemühungen erwähnt, ein Religionsgespräch zwischen dem „evangelischen“ Pfarrer seines Dorfes Neckarzimmem Jörg Amerbacher und dem Heilbronner Franziskanermönch Hans Jörg von Wildenfels herbeizuführen, zu dem der Rat von Heilbronn „dem christlichen Glauben zugut und Förderung des göttlichen Wortes“ seinen Prädikanten Dr. Joh. Lachmann schicken sollte. Der Plan zerschlug sich aber, da der Mönch absprang. Neue Berührungen zwischen Götz und der Stadt ergaben sich während des Bauernkrieges, als der Ritter an der Spitze des Odenwälder und Neckartaler Bauernhaufens stand. Nach seinem Tode geriet er in Heilbronn allmählich in Vergessenheit, bis sein Andenken durch den ersten Druck seines Tagebuches (Nürnberg 1731) wieder geweckt wurde. Man in­ teressierte sich hier jetzt wieder für die verschiedenen Stätten, die mit Götz in Zusammenhang stehen und es bildeten sich allerlei Legenden, auf die der Verfasser näher eingeht. Das Interesse steigerte sich natürlich noch, seit Goethes Drama, das Götz un­ sterblich macht, überall die Herzen erregte und anreizte, daß man, wie es — soweit Heilbronn in Betracht kommt — auch in dieser Studie wieder geschieht, die dichterische Darstellung mit den historisch beglaubigten Vorgängen verglich. Friedrich Roth.

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Dr. Karl Schottenloher: Philipp Uhlhart, ein Augsburger Winkeldrucker und Helfershelfer der „Schwärmer“ und „Wiedertäufer“ (1523—1529), München und Freising, 1921, Heft 4 der „Historischen Forschungen und Quellen“, herausgegeben von Dr. Jos. Schlecht, 160 S. Es ist bekannt, eine wie große Zahl von religiösen Schriften und Büchlein, die im dritten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts erschienen sind, weder den Verfasser noch den Druckort und den Drucker nennt, mit wie großen Schwierigkeiten in vielen Fällen die Lösung der sich hiermit darbietenden Rätsel ver­ bunden ist und wie oft man dabei schon irre gegangen. Schotten­ loher gewann bei der Zusammenstellung solcher Schriften die Überzeugung, daß eine große Anzahl von ihnen aus ein und derselben Druckerei hervorgegangen und machte bei der Ver­ folgung der von ihm gefundenen Spuren durch sorgfältige Typen­ vergleichung die Entdeckung, daß diese nach Augsburg führten und die gesuchte Geheimdruckerei keine andere als die bekannte Offizin des Philipp Ulhart sei. Der erste Teil des Buches hat Ulharts Geschäftsanfang und seinen Druckereivorrat — seine Typen, Initialen und Titelein­ fassungen — in der Zeit von 1523—1529, das zweite Ulharts Verhältnis zu der Reformation und ihren Spaltungen zum Gegen­ stand, das dritte bietet ein nicht weniger als 191 Nummern um­ fassendes Verzeichnis Ulhart’scher Drucke. Ulhart begann (1523) sein Geschäft als Drucker und Nach­ drucker lutherischer und anderer „evangelischer“ Schriften, trat aber, als der Abendmahlsstreit ausbrach, in aller Stille entschieden auf die Seite von Luthers Gegnern und gab dadurch Anlaß, daß der Kampf gerade in Augsburg mit besonderer Heftigkeit geführt wurde und der Zwinglianismus hier so tief einwurzelte, daß er erst nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) allmählich völlig er­ losch. Mit großer Sachkunde wird zunächst das Verhältnis Ulharts zu Karlstadt, zu Zwingli, zu Michael Keller, dann zu Haug Mar­ schalk, genannt Zoller, endlich zu dem unglücklichen Eitelhans Langenmantel erörtert, wobei der Verfasser fast überall über das bisher Bekannte hinauskommt, Zweifelhaftes entscheidet, dunkel Gebliebenes aufhellt und insbesondere zu der schriftstellerischen Wirksamkeit Zollers und Langenmantels manches ganz Neue beibringt. Weiter wird gezeigt, wie Ulhart, nachdem er sich

89 zum Patron der „Nachtmahlschwärmer“ gemacht, in der Richtung der radikalen Stürmer und Dränger noch einen Schritt weiter ging und seine Presse auch noch den „Brüdern“ und „Wieder­ täufern“ zur Verfügung stellte. Es werden nun — den Blick immer auf die Offizin Ulharts gerichtet — Schriften des Johann Landsberger, des Hans Hut, des Jörg Haug, der im Jahre 1525 von den Bauern in Biber als Pfarrer aufgestellt worden war, des Anonymus Johann von Preßa, des Jakob Dachser, des Sigmund Salminger und des Hans Denk aufgeführt und ihrem Inhalt nach untersucht, wobei ein guter Teil der oberdeutschen Täufer­ geschichte aufgerollt und in äußerst anregenden und lehrreichen Ausführungen wieder- eine Menge von Berichtigungen und Er­ gänzungen der bisherigen Forschungsergebnisse zu Tage ge­ fördert wird. Die furchtbare Verfolgung der „Taufgesinnten“ in den Jahren 1527 und 1528 kostete vielen der hervorragendsten Führer das Leben und brachte die übrigen wenigstens für den Augen­ blick zum Schweigen und damit verlor natürlich auch die Druckerei Ulharts, die dazu beigetragen hatte, Augsburg zum „Tauben­ kobel“ der Täufer zu machen, ihre bisherige Bedeutung als Ketzerpresse. Im Herzen aber blieb Ulhart, wie der Druck seiner Täuferschriften aus den Jahren 1531 oder 1532 und verschiedener später von ihm verlegter schwenkfeldischer und mystischer Er­ zeugnisse erkennen läßt, den „Schwärmern“ und „Täufern“ auch fernerhin treu. Es ist also Ulhart, was völlig unbekannt war, eine für die Gestaltung der in Augsburg sich geltend machenden reformatorischen Strömungen höchst bedeutsame Persönlichkeit gewesen, die ihre einflußreiche Wirksamkeit so raffiniert zu ver­ bergen wußte, daß sie nicht nur der Inquisition des den Täufern scharf zu Leibe gehenden Stadtschreibers Dr. Peutinger und des Rates, sondern auch der wissenschaftlichen Täuferforschung der Folgezeit verborgen blieb, bis sie endlich in der vorliegen­ den Schrift enthüllt wurde. Das Verzeichnis der Ulhart’schen Drucke ist nach Jahren und dann noch in alphabetischer Titelübersicht geordnet und gibt ein anschauliches Bild von der Intensität und dem Umfang der Ulhart’schen Tätigkeit. Ein Anhang beschäftigt sich mit der Druckerei des so vielseitigen Dr. Sigmund Grimm, weil aus dessen Besitz Verschiedenes in den Druckvorrat Ulharts über-

90 gegangen. Dabei wird noch ein von Grimm veröffentlichtes, nach S. 150 eingeheftetes Bildnis Martin Luthers vom Jahre 1520, das man früher Lukas Kranach zugeschrieben, besprochen. Schottenloher hat, wie man sieht, seine schwierige Aufgabe, der auf andern Wegen nicht beizukommen war, durch die von ihm angewandte Methode der Typenvergleichung auf das glück­ lichste gelöst und darüber hinaus durch eindringende Analyse anonymer Schriften außer dem Namen des Druckers in einigen Fällen auch noch den des Autors festzustellen vermocht. Welchen Dienst er damit der reformationsgeschichtlichen Forschung leistete, liegt auf der Hand, und es wäre nur zu wünschen, daß auch noch andere Gruppen von Schriften, bei denen die Verhältnisse ähnlich liegen wie bei den hier untersuchten, der gleichen Be­ handlung unterzogen würden. Friedrich Roth.

G. Bossert, Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und König, und seine Genossen nach den Prozess­ akten von 1530 im Archiv für Reformationsgeschichte ed. W. Friedensburg, Heft 38—43 (auch als Sonderdruck erschienen). In der Geschichte des Sektenwesens im Zeitalter der Re­ formation spielte der von den Wiedertäufern ausgehende, später aber ihnen absagende Augsburger Weber Augustin Bader, in dem eine wunderbare Mischyng „von Spiritualismus, Kommu­ nismus und stark materiellem Chiliasmus“ verkörpert war, eine hervorragende, merkwürdige Rolle. Natürlich war über ihn auch bisher schon vieles bekannt, aber es war, wie man wohl merken konnte, sporadisch, lückenhaft und zum Teil verworren, sodaß man unmöglich ein klares Bild von seinem Charakter, seiner Entwicklung und seinen Plänen gewinnen konnte. Bossert er­ kannte, daß nur von den im Stuttgarter Staatsarchiv liegenden über Bader erwachsenen Prozeßakten auf all die sich aufdrängen­ den Fragen Antwort zu erwarten sei, und schuf als Meister der Forschung durch gründliche Ausbeutung dieses Materials das vorliegende Buch, das das, was man über Bader schon wrußte, in richtigen Zusammenhang und richtige Beleuchtung setzt und das bisher Vermißte in reicher Fülle zu Tage fördert. Der Ver­ fasser beginnt mit der täufersehen Tätigkeit Baders in Augsburg

91 und Kaufbeuren und geht dann über zur Schilderung seines bisher fast ganz im Dunkel liegenden Wanderlebens, das ihn auch zu den Brüdern in Mähren führte. Von dort nach Augs­ burg zurückgekehrt, fand er Aufnahme bei dem Kürschner Ulrich Obermayer, bei dem er, das Weberhandwerk aufgebend, die vornehmere Kürschnerei erlernte. Er hatte inzwischen mit den Täufern bereits gebrochen und vertiefte sich nun hier in die Gedankengänge, in deren Verfolgung er sich zum Propheten und einem Vorläufer des berüchtigten Schneiders Johann von Leyden auswuchs. Bald setzte er seine Wanderung fort, hielt, für seine Ideen Propaganda machend, außer vielen kleineren Conventikeln große Versammlungen in Schönberg bei Geroldseck und zu Teufen im Kanton Appenzell ab und gelangte nach verschie­ denen Zickzackzügen endlich (Sommer 1529) zu einer bei dem Dorf Westerstetten (in der Nähe Ulms) einsam gelegenen Mühle, wo man ihm, seiner Frau und einem ihn begleitenden Ehepaar Unterkunft gewährte. Baders Hirngespinste hatten unterdessen mehr und mehr feste Gestalt gewonnen. Eine große Veränderung aller Weltverhältnisse, lehrte er, stehe unmittelbar bevor. Der Türke werde, seinen Vorstoß von 1529 wiederholend, im Jahre 1530 wieder kommen, das Reich der Habsburger zerstören und die ganze Welt erobern, aber nach dritthalb Jahren breche seine Herrschaft zusammen und mache dem tausendjährigen Reich Gottes Platz unter dem Königtum seines (Baders) erst wenige Wochen alten Söhnchens, für das er die Regentschaft führen werde. Schon sandte er Boten aus, um diesen Umschwung der Dinge zu verkünden, auf Ostern 1530 sollte er in vollem könig­ lichen Ornat aus der Verborgenheit hervortreten, die Insignien seiner Würde — Scepter, Krone, Schwert und Dolch — lagen schon bereit. Wie im einzelnen diese Änderungen, bei denen auch an eine Mithilfe der Juden gedacht wurde, vor sich gehen und seine großen Pläne ins Werk gesetzt werden sollten, wußte er selbst noch nicht, sondern wollte sich im Hinblick auf alttestamentliche Vorgänge von Fall zu Fall auf göttliche Ein­ gebungen und göttliches Eingreifen verlassen. Es ist bekannt, wie die schillernde Seifenblase Mitte Januar 1530 platzte, als Bader auf Befehl der Stuttgarter Regenten verhaftet, in den Kerker geworfen, verurteilt und grausam hingerichtet wurde, wobei auch seine nächsten Genossen und Jünger mit ins Ver-

92 derben gerieten. Das alles können wir nun an der Hand Bosserts in allen Einzelheiten verfolgen; ebenso die Nachwirkungen, die der ungeheures Aufsehen erregende Prozeß hervorrief. Eine interessante Persönlichkeit war Baders kluge und entschlossene Frau Sabine, die glücklich davonkam, später in Augsburg lebte und vorübergehend die Aussicht hatte, keinen Geringeren als den verwitweten Wolfgang Capito von Straßburg, Bucers Freund, als zweiten Mann einzufangen. In einer Beilage sind die Prozeß­ akten, zusammen mit andern auf Bader, seine Frau und seine Anhänger sich beziehenden archivalischen Produkten, im ganzen 48 Stücke, zusammengestellt. Ein Excurs, der auf Augsburger Archivalien aufgebaut ist, hat die Familienverhältnisse Baders und Sabinas zum Gegenstand. Friedrich Roth.

Beiträge zur Schulgeschichte des Landkapitels und der Reichsstadt Kaufbeuren bis zum Jahre 1803, aus Quellen gesammelt und bearbeitet von Joseph Sieber, Pfarrer in Dösingen und Dekan des Kapitels Kaufbeuren, herausgegeben mit Unterstützung der Bayerngruppe der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte und des Stadt­ rates Kaufbeuren, [1921], 174 S. I. Teil: das Landkapitel. Im ersten Abschnitt dieses Teiles werden alle aufgefundenen Nachrichten über die Geschichte der einzelnen Schulen, die über ihr „Entstehen und Vergehen“ usw. Kunde geben, zusammengestellt, in einem eigenen Paragraphen die über die Lateinschule in Irsee. Der zweite Abschnitt handelt von dem Besetzungsrechte und den Besetzungsstreitigkeiten bezüg­ lich dieser Schulen, wobei es sich um Ansprüche des Fürstabts zu Kempten, des Hochstifts Augsburg, des Kollegiatstifts St. Moritz in Augsburg, verschiedener Pfarrer, Gerichtsherren und Gemeinden handelt. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit Schulaufsicht und Schulpflege, der vierte mit den Schullehrern (Vorbildung, Anstellung, Einkommen, Altersversorgung), der fünfte mit den Schulordnungen (von denen das Wichtigste zum Abdruck kommt), der sechste mit dem Schulbetrieb (Schulpflicht und Schulbesuch, Schultag und Schuljahr, Prüfungen, Lehrmethode, Schulbücher), der siebente mit den Schulhäusern. Beigegeben ist die „Reihen-

93 folge der Mesner und Lehrer in den Ortschaften des Kapitels Kaufbeuren bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts8 (mit dem 16. Jhdt. anfangend). II. Teil: die ehemalige Reichsstadt Kaufbeuren. Dieser Teil, der manches auch für weitere Kreise Interessantes enthält, ist in ähnlicher Weise aufgebaut wie der erste. Wir heben daraus hervor die Abschnitte: die Kaufbeurer Schulen unter dem Ein­ fluß der Reformation und unter dem Einfluß der kaiserlichen Commissionen (von 1588, 1602, 1628), die Kaufbeurer Schulen im 17. und 18. Jahrh. (samt den Winkel-, Hecken-, Neben- oder Privatschulen), die Schulherren; von den Beilagen die „Reihen­ folge der Kaufbeurer Lehrer8, (beginnend im 14. Jhdt. bis ca. 1800). Der fleißige Verfasser, der für seine Arbeit viel archivalisches Material herangezogen, hat den massenhaften, zähen Stoff, wie man sieht, sehr übersichtlich gegliedert und, soweit dies die natur­ gemäß lückenhaften Quellen ermöglichten, ein recht anschauliches Bild der von ihm zu schildernden Verhältnisse geschaffen, das einen dankenswerten Beitrag zur allgemeinen Kulturgeschichte Kaufbeurens und des ganzen Schwabenlandes darstellt. Dank und Anerkennung gebührt aber auch denen, die durch tatkräftiges Entgegenkommen und durch Opferwilligkeit beitrugen, daß das Buch in diesen für die Wissenschaft so schwierigen Zeitläufen publiziert werden konnte. Friedrich Roth.

Dr. J. Strieder, Levantinische Handelsfahrten deutscher Kaufleute des 16. Jahrhunderts. Herausgegeben vom Institut für Meereskunde an der Universität Berlin. Berlin 1919, 13. Jahrgang, 5. Heft, S. 1—34. Prof. Strieder gliedert seinen Aufsatz in drei Hauptabschnitte. In dem ersten macht er darauf aufmerksam, daß die norddeutsche Handelswelt, die hansische Hälfte, bis tief in die Neuzeit hinein keine nennenswerten Versuche machte, um die Pyrenäische Halb­ insel herum in die Levante zu fahren. Die hiermit in Wider­ spruch stehende Stelle bei Rudolf von Ems, einem Dichter des 13. Jahrhunderts, wornach ein Kölner Kaufmann sogar nach Ninive und Damaskus vordrang, wird im Zusammenhang damit ins Reich der Phantasie verwiesen. Öb mit Recht, sei dahin-

94 gestellt. Für den süddeutschen Kaufmann des Mittelalters wie des 16. Jahrhunderts steht der Verfasser mit der herrschenden Meinung auf dem Standpunkt, daß er sich im allgemeinen damit begnügte, die Waren der Levante aus zweiter Hand, namentlich von den Venetianern, Genuesen, Südfranzosen und Spaniern, die die Zwischenhändler machten, in Empfang zu nehmen. Nur die Stadt Regensburg machte, wie weiter gezeigt wird, von dieser Regel schon frühzeitig eine rühmliche Ausnahme. Sie stand nachgewiesenermaßen bereits seit dem Anfang des 12. Jahr­ hunderts als die damals führende Stadt Süddeutschlands auf dem Donauweg mit Kiew in Handelsbeziehungen, die im 13. Jahr­ hundert auch Breslauer Kaufleute aufnahmen. Vom 14. Jahr­ hundert an trat Lemberg als wichtiger Austauschplatz zwischen Europa und Vorderasien an die Stelle Kiews und sehen wir namentlich die Städte Thorn, Breslau und Nürnberg dort ver­ treten. Als dann späterhin unter König Sigismund mit dem be­ ginnenden 15. Jahrhundert Bestrebungen in den Vordergrund traten, den deutschen, insbesondere den süddeutschen Handel statt auf Venedig über Genua zu leiten, verlor der bisherige Handelsweg die Donau entlang erheblich an Bedeutung. Die führende Stadt des süddeutsch-genuesischen Handelsverkehrs ward Konstanz. In einem Gutachten der Stadt Genua um das Jahr 1420 wird ausdrücklich betont, daß die deutschen Kaufleute nicht in Venedig, wohl aber in Genua die Möglichkeit hätten, Schiffe mieten und so den direkten Verkehr mit Spanien und dem Orient anbahnen zu können. Seit 1430 hatte Venedig, unterstützt von den meisten süddeutschen Kaufleuten, Genua wieder verdrängt und seine beherrschende Stellung im deutschen Handelsverkehr zurückerobert. Das hinderte aber nicht, daß die Bodenseestädte Konstanz und Ravensburg im weiteren Verlaufe des 15. Jahr­ hunderts über Genua nach Spanien und dem Adriatischen Meere doch namhaften Handel trieben, der in der großen Ravensburger Handelsgesellschaft seinen bekannten Ausdruck fand. Neben Genua scheint damals auch Nizza für Schiffsmieten deutscher Kaufleute zu ähnlichen Handelszwecken in Betracht gekommen zu sein. Die Frage, ob die Ravensburger Gesellschaft im 15. Jahr­ hundert ihre Geschäfte nicht sogar bis nach Konstantinopel trug, ist noch unentschieden. Mit der Zeit aber traten damals die Indienfahrten der Portugiesen doch immer mehr in den Vorder-

95 grund, die den süddeutschen Kaufleuten eine lohnendere Be­ teiligung an überseeischen Unternehmungen in Aussicht stellten. Soweit das Bemerkenswerteste des ersten Abschnittes, der, wie zu ersehen ist, im großen und ganzen die Zwecke einer allge­ meinen Einführung verfolgt. In dem zweiten Teile, der die Levante-Unternehmungen der Augsburger Firma Melchior Manlich behandelt, wird zunächst dargelegt, daß der seit den Kreuzzügen nahezu bedeutungslos gewordene französische Orienthandel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Führung der Stadt Marseille ein starkes Aufblühen erfuhr und in diese Zeit der kurzen Blüte des Handels von Marseille die levantinischen Unternehmungen der Augsburger Firma Manlich fielen, über die nachstehend das Wesentlichste mitgeteilt werden soll. In Marseille hatte zumeist ständig ein Mitglied der Familie Manlich seinen Wohnsitz. Quellenmäßigen Aufschluß über die Firma geben einesteils die von K. D. Häßler herausgegebenen Memoiren des Ulmer Patriziers Hans Ulrich Krafft, der in Augs­ burg, Lyon und Florenz sich als Kaufmann gebildet hatte und im Jahre 1573 auf fünf Jahre in die Gesellschaft Melchior Manlich d. Alt. & Co. eintrat; andernteils die Seedarlehensabrechnungen des David Dettigkhofer und der Firma Dettigkhofer & Co. in Memmingen mit dem Handelshaus Melchior Manlich, die im Stadt­ archiv Augsburg ein glücklicher Zufall bis auf unsere Tage gebracht hat. Krafft erzählt namentlich von der stattlichen Handelsflotte der Firma, die aus sieben eigenen Schiffen bestand. Wir erfahren von ihm, daß im Jahre 1573 die „Santa Cristina“ reich beladen nach dreimonatiger Fahrt aus Tripolis in Syrien glücklich nach Marseille zurückkehrte, der „Falcon“ seine Waren in Konstanti­ nopel absetzte und solche von dort an Bord nahm, der „Griffon“, ein sehr großes Schiff, das mit Geschützen bewaffnet war, unter großen Gefahren doch noch gut in Lissabon ankam, hier besser eingerichtet wurde und dann nach Rouen und England weiter­ segelte, daß die „Siropa“ ohne Schaden zu nehmen mit einem großen Quecksilbervorrat und die Barke „St. Johann* ebenfalls mit ansehnlichen Warenbeständen Alexandria in Ägypten erreichten, die Barke „St. Margareta“ wohlbehalten in Cadix in Spanien eintraf und die „Santa Croce“, die mit 13 Stück Geschützen auf Rädern und auch sonst ausgerüstet war, die Fahrt nach Tripolis

96 in Syrien antrat. Die Schiffe der Firma Manlich fuhren nun aber nicht unter deutscher Flagge, sondern unter französischer, deren sich damals auch die Genuesen, Engländer, Portugiesen, Spanier, Katalonen, Sizilianer, Ankonitaner und Ragusaner be­ dienten, wie aus den zwischen Frankreich und der Türkei im Jahre 1581 abgeschlossenen Kapitulationen erhellt. Sie alle stellten sich unter den Schutz der französischen Konsuln. Alexandria also war der äußerste Endpunkt der Handels­ fahrten unserer kühnen Augsburger. Aus Cypern brachten ihre Schiffe die gesuchte Baumwolle der fruchtbaren Insel, die gerade für eine Handelsstadt wie Augsburg so große Bedeutung hatte, wo sie schon seit mehr als zwei Jahrhunderten in riesigen Mengen eingeführt wurde und die Grundlage für die weltberühmte Augs­ burger Barchentweberei bildete. In Tripolis (Syrien) trafen die Augsburger Faktoren mit den Kaufleuten zusammen, die in Kamel­ karawanen ihre Waren, namentlich die großen Rosinen, die sogen. Zibeben, bis von Damaskus her brachten und sie gegen Wolle und Tuche austauschten, die die Deutschen mitbrachten. Aber auch kostbare Teppiche, Edelsteine, Perlen, Spezereien aus Indien und Drogen aller Art, feine Seidenstoffe, farbige baumwollene Mousseline und Gewürze tauschte man in Tripolis von den hier zusammenströmenden Kaufleuten aus Armenien, Anatolien, Aegypten und Indien ein. Das alles ward im Jahre 1574, als die weltbekannte Firma Manlich, die sich bei den italienischen und französischen Kaufleuten in der Levante eines ausgezeich­ neten Rufes erfreute, plötzlich zahlungsunfähig wurde, jäh ab­ gebrochen. Auch der genannte Hans Ulrich Krafft, der auf der „Santa Croce“ nach Tripolis gekommen war, und hier, wie sonst auch andere Faktoren der Firma, für diese unter eigener Bürg­ schaft Waren einkaufte, ward davon schmerzlich betroffen; er wurde, weil er beim Zusammenbruche seines Hauses den über­ nommenen Verbindlichkeiten nicht nachkommen konnte, auf Ver­ anlassung seiner Gläubiger seines ganzen Besitzes beraubt und ins türkische Schuldgefängnis geworfen, das er erst nach drei­ jähriger Haft wieder verlassen durfte. Im dritten Abschnitt bringt der Verfasser noch alle ihm erreichbaren Nachrichten über die Beteiligung anderer deutscher Kapitalisten an den Levantefahrten der Manlich. Er weist nach, daß es insbesondere die Memminger Handelsgesellschaft David

97 Dettigkhofer und Mitverwandte war, die in der Form von See­ darlehen beträchtliche Geldsummen in den überseeischen Ge­ schäften der Firma Manlich festlegte. Wenn alles gut ging, stand reicher Gewinn in Aussicht; das Risiko war dafür aber auch ein sehr großes. Nach den schon oben genannten Abrechnungen hatte sich beispielsweise David Dettigkhofer mit 1350 L 13 ß und 9d an der Fahrt der „Santa Magdalena“ beteiligt, wofür ihm 30 °/0 für Verzinsung und Risiko in Aussicht gestellt wurden, ein Betrag, den er dann auch tatsächlich im Oktober 1573, als das Schiff wohlbehalten in Marseille wieder ankam, mit 405 L 3 ß und 1 d ausbezahlt erhielt. Mit gleichem Glücke beteiligte er sich um dieselbe Zeit auch an einer Fahrt des „St. Augustin“ mit 1719L 14ß 8d, an der Ladung des nach Konstantinopel ab­ gegangenen „Falcon“ und der nach Spanien beordneten „St. Juan Bonaventura la Hulcka“ mit je 1500 L und einem Gewinn von 26 °/0 und an der nach Tripolis in Syrien fahrenden „St. Marga­ reta“ mit 1350 L zu 30°/0 Gewinn. Auf den „Leon“, der einem gewissen Jehan Patte gehörte, und auf den „Falcon“ des Micolo Justigniano legten sie zusammen 3300 L zu 32 °/0 ein. Beide Schiffe waren nach Chios und Konstantinopel bestimmt. Auf die Fracht des Seglers „Falcon“ — ein anderes Schiff als der eben­ genannte „Falcon“ —, der der Familie Melchior Manlich & Cie. gehörte und nach Chios und Konstantinopel fuhr, und der gleich­ falls den Manlich gehörenden „Santa Cristina“, die Tripolis in Syrien zum Ziel hatte, hatte die Dettigkhofer’sche Kompagnie zusammen sogar 9500 L zu 30 °/0 eingezahlt und Ende 1574 legte sie nicht weniger als 21 000 L auf vier verschiedenen Schiffen des Augs­ burger Kaufmannshauses an. Alle Beispiele ähnlicher Art hier aufzuführen, würde zu weit führen. Den hohen Gewinnen standen zum Teil aber auch beträchtliche Verluste gegenüber. So ging die „Nostra Dama della Guardia“, die im Jahre 1573 nach der Berberei abgegangen war, mit 2350 L Frachtanteil der Memminger Handelsgesellschaft in der Meerenge von Gibraltar unter. Der Umstand, daß der Gewinnsatz von 30 auf 24 v. H. zurückging, gibt Zeugnis von dem guten Rufe, den das Augsburger koloniale Exporthaus noch zu Anfang des Jahres 1574 genoß. Zum Schlüsse seiner Ausführungen erhebt der Verfasser noch die Frage, ob wohl die Firma Manlich die einzige süd­ deutsche Handelsgesellschaft blieb, die auf eigenen Schiffen das 7

98 Mittelländische Meer durchkreuzte. Er beantwortet sie mit einem einzigen Beispiel, das wiederum nach Augsburg weist, und be­ richtet, daß der Augsburger Kaufmann Hieronymus Hitzier 1578 in Venedig ein leeres Schiff um billiges Geld mietete und dieses mit Waren beladen nach Lissabon abgehen ließ, wo es auch wohlbehalten ankam und Hitzier guten Absatz fand. Dort wollte er es wieder mit neuen Waren verfrachten und nach Venedig zurück­ fahren lassen. Eines Morgens aber sei ihm die Mitteilung gemacht worden, daß sein Schiff sich mit Wasser fülle und versinke. Am Lande stehend habe er sich von der bitteren Wahrheit der Tat­ sache überzeugen müssen, sei aber aus Gram darüber „zu Boden gesunken und habe seinen Geist aufgegebena. Der schon oben genannte Kaufmann und Chronist Krafft hält dafür, daß die Portugiesen zur Nachtzeit in das Schiff Löcher bohrten „als Warnung, um den Deutschen ihre Schiffahrt für die Zukunft zu verleiden und damit sie selbst in ihrem Schacher nicht gehindert würden“. Strieder betont dem gegenüber, daß man in Venedig neidischer auf ein Unternehmen wie das Hitzler’sche blickte als in Lissabon, wo der nordische, der hansische Kaufmann zu Schiff ein häufiger Gast war. Vielleicht hat er damit das Richtige getroffen, sicherlich aber mit dem Hinweis darauf, daß der Bank­ rott Melchior Manlich & Cie. der venezianischen Levantekauf­ mannschaft lebhafte Freude bereitet haben mag. Leider aber ging mit ihrem Fall auch eine hoffnungsvolle, vielversprechende Episode der deutschen Handelsgeschichte zu Ende, wie sie ähnlich erst wieder zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstand, als der deutsche Levantehandel einerseits von Hamburg, andererseits von Triest und Fiume aus erneut festen Fuß fassen konnte, um schließlich zu Ende des letzten und im ersten Jahrzent unseres Jahrhunderts seine Glanzzeit zu erleben. Der verlorene Weltkrieg hat diese schöne Entwicklung, die der Neid unserer Feinde nicht mehr dulden wollte, leider zerstört. Trotzdem können wir den Schluß­ worten des Verfassers nur beipflichten, wenn er schreibt: »Wir schöpfen aus der Tüchtigkeit und der Unternehmungslust des deutschen Kaufmannes die unbeirrbare Hoffnung, daß auch aus diesen Ruinen bald wieder frisches neues Leben heraufsteigen wird.“ Soweit das Wesentlichste aus dem Aufsatze Dr. Strieders, der zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 16. Jahrhunderts

99 einen sehr wertvollen Beitrag bedeutet und in seiner geschickten Anlage jedermann, der sich für wirtschaftsgeschichtliche Fragen unseres Volkes, insbesondere unserer schwäbischen und namentlich Augsburger Kaufleute interessiert, nur angelegentlich empfohlen werden kann. Der Leser wird sich mit der Lektüre des Auf­ satzes ein paar Stunden schönen Genusses bereiten und die Ab­ handlung mit viel Befriedigung aus der Hand legen. Dr. H. Wiedenmann.

Dr. Roth Friedrich, zwei Chroniken des Augsburger Ratsdieners Paul Hektor Mair von 1548 (bzw. 1547) — 1565 (bzw. 1564), herausgegeben durch die bayerische Akademie der Wissenschaften in München als 7- Band der schwäbischen Städtechroniken, Leipzig 1917. Im Aufträge der bayerischen Akademie der Wissenschaften in München hat Prof. Dr. Friedr. Roth im Jahre 1917 den 7Band der schwäbischen Städtechroniken erscheinen lassen und mit ihm zunächst die erste, die Jahre 1547—1565 umfassende Chronik des Augsburger Ratsdieners Paul Hektor Mair ver­ öffentlicht. Dem Texte der Chronik ist eine sehr umfangreiche Einleitung (S. 1 —144) vorausgeschickt, die die Lebensgeschichte des Paul Hektor Mair, seine Tätigkeit als Sammler von Geschichsquellen und als Autor behandelt, um dann auf die Handschriften der Chronik A und die Beschreibung der Handschriften über­ haupt einzugehen, die von oder für P. H. Mair geschrieben wurden oder sich in seinem Besitze befanden. An die Chronik schließen sich 8 Beilagen an, die im Nachstehenden kurz er­ örtert werden sollen. Beilage I gibt Aufschluß über Gebräuche, die bei der Ta­ gung des Reichstages von 1547/48 auf dem Rathaus beobachtet wurden, Beilage II bringt eine Zusammenstellung über die 1549 begründeten neuen Handwerkerinnungen, die Persönlichkeiten und Besoldungsverhältnisse ihrer Vorgeher und Beilage III sehr interessante Mitteilungen über die von Kaiser Karl V. 1548 neu aufgestellten Mitglieder des kleinen Rates. Die in Beilage III gegebenen statistischen Feststellungen, die lediglich als solche dem Zwecke des ganzen Buches entsprechend erscheinen, ge­ währen einen tiefen Einblick in die von dem Kaiser veranlaßten Geschehnisse des Jahres 1548, in dem die seit 1368 bestandene 7*

100 Zunftverfassung abgeschafft und der kleine Rat, in dessen Händen die eigentliche Regierungsgewalt lag, mit erdrückender Mehr­ heit aus den Reihen des Großkapitals und des damit eng ver­ bundenen Patriziats genommen wurde. Wir ersehen, daß von den insgesamt 41 Mitgliedern des kleinen Rates nur mehr 7 „aus der Gemeind“ genommen, aber auch diese wohlhabende, zum Teil sogar reiche Leute waren. Von ihnen steuerten die zwei Weber 2 und 8 fl, ein Metzger 4 fl, ein Plattner 9 fl, ein Kürschner 10 fl und ein Gewürzkrämer sogar 76 fl. Die sog. Mehrer, diejenige Gesellschaftsklasse, aus der sich in der Regel das Patriziat ergänzte, stellten 3 Herren, die 20, 40 und 87 fl 7 kr. Steuer entrichteten. Die übrigen Ratsmitglieder steuerten in 12 Fällen 26 —100 fl, also durchschnittlich 135 fl, in 3 Fällen 200—300 fl, durchschnittlich 246 fl, der Kaufmann Marx Pfister 343 fl, der Patrizier Jakob Rembold 484 fl, Anton und Bartolomäus Welser je 600 fl, Johann Baumgartner und David Baum­ gartner den Betrag von je 800 fl, endlich Anton Fugger einer­ seits und Georg und Hans Jakob Fugger andrerseits den Be­ trag von je 1000 fl, wobei zu beachten ist, daß es sich bei den Fuggern nicht um eine prozentual bemessene Steuer­ summe, sondern um einen Steuerpauschalbetrag handelt, wie ihn die Fugger so und so oft mit dem Rate der Stadt vereinbarten. Das Paritätsverhältnis war damit gewahrt, daß 20 Katholiken 21 Protestanten gegenüberstanden, wobei die größere Geldmacht auf Seite der Katholiken lag, die insgesamt 6324 fl Steuer zahlten gegenüber 2105 fl Steuer, die die Protestanten auf­ zubringen hatten. Beilage IV enthält einen kürzeren, lesenswerten Bericht über den Augsburger Bürgermeister Jakob Hörbrot und im Ab­ druck zwei Stücke aus dem Augsburger Hörbrotbuch, an die sich noch ein Bericht über einen Rechtsstreit anschließt, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts zwischen Jakob Hörbrot und Leonhard von Beckenstein spielte. In Beilage V gibt der Verfasser eine Liste des sog. großen Rates und der Steuern, die seine Mitglieder zahlten. Der große Rat, der insgesamt 301 Personen umfaßte, setzte sich haupt­ sächlich aus den folgenden vier Gruppen zusammen: den sog. Herren oder Patriziern (43), der Gesellschaft der Mehrer (37), den Mitgliedern der Kauf leutestube (80) und den Handwerkern (141).

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Beilage VI bringt eine wahrscheinlich von P. H. Mair selbst herrührende Beschreibung des beim Einzug Kaiser Ferdi­ nands II. in Augsburg im Jahre 1559 gebräuchlichen Zeremoniells, Beilage VII Mitteilungen über die bei Ausschreibung eines Ren­ nens üblichen Gepflogenheiten, Beilage VIII ein interessantes Schriftstück über das Thema: „Wie man es während des Ster­ bens in den Brechhäusern gehalten im Jahre 1563“ und Beilage IX endlich einen Münzberuf des Augsburger Rates vom 26. VIII. 1563. Mit einem ausführlichen Glossar und einem Personen- und Orts­ register schließt dann das ganze Buch ab, dem auch noch ein nach Medaillen der Schaumünzensammlung im Maximilians­ museum in Augsburg gearbeitetes Bildnis P. H. Mairs und seiner Ehefrau beigegeben ist. Wir können zum Schlüsse das Chronikwerk, das dem un­ ermüdlichen Fleiße und der hervorragenden Sachkenntnis des Verfassers das beste Zeugnis ausstellt, den breitesten Kreisen, soweit sie Interesse für Augsburgs große Vergangenheit haben, nur wärmstens empfehlen. Dr. H, Wiedenmann.

Drei Bände aus der Bücherei des Hieronymus Wolf in der Zwickauer Ratsschulbibliothek. Von Prof. D. Dr. O. Clernen (Zwickau i. S.). Im Laufe der Jahre habe ich in der Zwickauer Ratsschul­ bibliothek drei Bände gefunden, die aus der Bücherei des Hierony­ mus Wolf stammen, den Paul Joachimsohn in dieser Zeit­ schrift 23, 192 als „die bedeutendste und vielleicht auch die interessanteste unter den vielen anziehenden Augsburger Schul­ meistergestalten des 16. Jahrhunderts“, als „einen Gelehrten von Europäischem Rufe, einen Gräcisten ersten Ranges4* und zugleich als ein „wunderliches Menschenkind** charakterisiert.1) Wir wissen, daß Wolf, der noch wenige Monate vor seinem Tode in einem Bericht an die Scholarchen vom 20. April 1580 über die schlechte Besoldung und Steuerüberlastung der Augsburger Präzeptores und über die in der Reichsstadt herrschende Teuerung klagte8) und außerdem persönlich sehr freigebig gegen Verwandte war3), *) Vergl. ferner den Artikel von G. Mezger in der Allgemeinen Deutschen Biographie 43, 755—7. 2) Joachimsohn, S. 199. 8) Mezger, S. 757.

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vor seinem Ende sich genötigt gesehen hat, sich von seinem liebsten Besitz, von seinen Büchern, zu trennen, die er um 700 Gulden nach Lauingen verkaufte.1) Welche Wege die drei Bände gegangen sind, bevor sie in der Zwickauer Bibliothek landeten, läßt sich nicht feststellen; nur das ist sicher, daß sie unmittelbar vorher dem Zwickauer Gymnasialrektor Christian Daum gehört haben, der 1687 gestorben ist; 1694 hat der Rat die von ihm hinterlassenen Handschriften und Bücher den Erben abgekauft. Ich lasse eine Beschreibung der drei Bände folgen: 1. Sign. 26. 11.44. Quaestiones || ALEXANDRI A-1| PHRODISEI NATVRA- || les, De Anima, Morales: siue || Difficilium dubitationum & so || lutionum Libri IIII. nunc || primum in lucem fl editi. || GENTIANO HER- || ueto Aureliano interprete. || Cum gratia & priuilegio Imperia- || li ad quinquennium. || BASILEAE. |[ A. E.: BASILEAE, PER IOANNEM || Oporinum, Anno Salutis MDXLVIII. || Mense Martio. || 152 ff. 8°. Titelrückseite und letzte Seite unbedruckt. Biegsamer Pergamentband. Auf der Innenseite des Einbandvorderdeckels steht von Wolfs Hand: elerjoov fjjuäg, (b xvgie, tcbvräs te xal fiavovTag Hieronymus Wolfius Oetingensis.2) Basileae 1548.3) Auf dem Vorsatzblatt liest man ferner folgende Anweisung für einen bildungseifrigen Apothekerjüngling von der Hand unseres Humanisten: In Pharmacopolio non parua medicinae pars addiscitur. Itaque matura aetate ad studia redire et ad altiorem dignitatis gradum ascendere licebit. Sed interea, quicquid vacui temporis dabitur, repetitioni eorum, quae audieris, et lectioni medicorum libellorum impendendum erit. Sic pharmacopolium et officina et schola erit, ea tarnen ratione adhibita, ut herilia iussa egyov sint, studia nägegyov. Nam ei, qui seruit alteri, non suis, sed alienis commodis est inseruiendum. Endlich steht auf dem Titel unten die handschriftliche dedicatio: Hiero. Wolfius Joanni Schenkio suo d-dt (dono dedit). 2. Sign. 6. 3. 33. 1. (Blättchen) ANTI- || CLAVDIANI SINGVLARI FE || stiuitate, lepore & elegantia Poetae libri || IX, non credibili doctrina, ordine & bre- || uitate complectetes trjv xvxXojiaideiav u- || niuersam, & humanas diuinasque res oes || in l) Ebd. 9) W. ist am 13. Aug. 1516 zu Öttingen im Ries geboren. a) W. war damals Korrektor bei Oporinus.

103 quibus quiuis homo non omnino || ä/uovoog occupari, meditarique debet quasque || quemlibet non prorsus afteov quadante- || nus saltem scire, aut certe per om-1| nia admirari & suspica-1| re oportet. || BASILEAE APVD HENRICUM || PETRUM, MENSE MAR-1| TIO, ANNO || MDXXXVI. || A. E.: BASILEAE EXCVDE- || bat Henricus Petrus, mense || Martio, Anno || MDXXXVI. ||