Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg [43]

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Zeitschrift des

Historischen Vereins für

Schwaben und Neuburg.

1917. -------43. Band.--------

Augsburg. J. fl. Schlosser'sche Buchhandlung (F. Schott).

Die Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg erscheint jährlich in einem Band. Die Mitglieder des Vereins (Jahresbeitrag Mk. 4.—) erhalten die Zeitschrift unent­ geltlich. Zuschriften, die sich auf den Inhalt der Zeitschrift beziehen, sowie literarische Beiträge sende man an den Ausschuß des Histo­ rischen Vereins für Schwaben und Neuburg unter der Adresse des Schriftleiters, Dr. Hans Ockel, Gymnasialprofessor, Augsburg, Bismarckstraße.

Buchdruckerei J. P. Himmer, Augsburg.

Inhalts -Verzeichnis. Seite

Die

Dominikanerkirche in Augsburg. Verfaßt von Dr. Hans Wiedenmann, Augsburg .... 1— I. Die Baugeschichte der Dominikanerkirche in Ver­ bindung mit einem Überblick über die allgemeine Klostergeschichte in der Zeit von 1225—1803 5— II. Die einstigen Kunstschätze der Dominikanerkirche in der Zeit von 1515—1803 .......................... 20— III. Die Geschichte der Dominikanerkirche in der Zeit von 1803—1914 ......................................... 44— Urkundenanhang...............................................51—

Neues zum Bauernkrieg von 1525 im Gebiet des ehern. Reichsstifts Roggenburg. Von Reallehrer Dr. Franz Bader, Frankenthal....................................................57—

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19 43 50 55

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Ein Augsburger Pfalzgraf. Von Dr. S. Hausmann, Straßburg........................................................................ 85—105 Nachrufe (f Dr. O. Roger, f Dr. P. Beda Grundl)

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106—114

Buchanzeige..............................................................................

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Erklärung

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Die Dominikanerkirche in Augsburg. Verfaßt von Dr. Hans Wiedenmann, Augsburg. (Auch als Sonderabdruck erschienen und im Auf­ trag des Stadtmagistrates Augsburg herausgegeben.)

Übersicht über die benützten Quellen. Für die vorliegende Abhandlung kamen hauptsächlich in Frage I. Die folgenden Aktenbestände und zwar: *) Das sog. „Sacristey: oder Fundations-Buch aller: vnd jeder bey dem prediger closter Augspurg vorhandnen frommen stüfftungen . . .“, das im Jahre 1709 P. Antonius Pez verfasste. P. Pez gehörte dem Landshuter Konvente an und starb 1714 über einer ähnlichen Arbeit in Rottweil. Das Archivale ist im Stadtarchiv Augsburg verwahrt und wird zitiert: Pez, Fund. Buch v. 1709. *) Die das Dominikanerkloster betreffenden übrigen Akten des Stadtarchivs Augsburg, zitiert: Dominik. Akten, St. A. A. ®) Die das Dominikanerkloster betreffenden Akten des fürstl. und gräfl. Fugger’schen Familien- und Stiftungsarchivs in Augsburg, zitiert: Dominik. Akten, F. A. A. 4) Die „Geschichte der deutschen vnd hernach Sächsischen Provinz Pred. Ordens, zusammengetragen von dem hochw. Provinzial P. M. Karl Welz vnd fortgesetzt von P. Emerich Ruef, d. z. Beichtvater zu Worishofen, geschriben im Jahr 1810“, 3 Bände. Bd. 3 handelt im besonderen „. . vom Bau der Klosterkirche zu St. Magdalena (= Dominikanerkirche in Augsburg), den Begräbnissen, Jahr-Tagen und gestifteten Messen in dasiger Kirche . .“ Alle drei Bände sind von P. Ruef geschrieben und gehen auf das Sammelwerk des P. Welz, des letzten Priors des Dominikanerklosters, zurück, das dieser nach der Säkularisation des Klosters im Jahre 1803 fertigstellte und als „Necrologium conventus Augustani ord. praedic.“ bezeichnete (s. Bd. 1, S. 2501). Es ist anscheinend verloren gegangen. Die in den beiden ersten Bänden verzeichneten Tatsachen sind daraus entnommen (s. Bd. 1, S. 2501). Bd. 3 scheint in erster Linie die Arbeit des P. Ruef zu sein und wurde von

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2 diesem aus nicht näher bezeichneten „hinterlassenen Schriften" (s. Bd. 3, S 3!) zusammengestellt. Das ganze Werk ist ein Bestandteil des Ordinariatsarchivs Augsburg, trägt die Signatur: XIII, K 15—17 und wird zitiert: Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord. 6) Die Geschichte des Männerklosters St. Magdalena. O. S. D., verfasst von P. Plazidus Braun. Ordinariatsarchiv Augsburg. Zitiert: Braun PL, Gesch. d. Dom. Kl., O. A. A. ®) Ein „Inventarium oder summarischer extract Aller vnd jeder Documenten, so dermahlen bey dieser beschreibung in dem archi? vnd registratur des prediger closters Augspurg vorhanden gewest, beschriben vnd vfgericht anno 1709", also ein Inventar des Klosterarchivs, das gleichfalls P. Pez zusammenstellte. Es gehört dem allgemeinen Reichsarchiv in München zu und wird zitiert: Pez, Inv. v. 1709. 7) Leider konnte die von Plac. Braun noch zitierte: „Ordens- und Kloster- Chronik“ nicht aufgefunden werden. Das Pez’sche Inventar scheint damit nicht gemeint zu sein. 8) Bericht zum Augsburger Dominikanerkloster v. 6. VII. 1901, 11 Halbseiten, zusammengestellt von Archivobersekretär Karl Hirschmann. Magistrats akt: 1268, Dominikanerkirche, Fach 23 CA. Zitiert: Hirschmann, Bericht zum Dom. Kl. °) Bericht des Stadtbauamtes über die Dominikanerkirche und ihre im Jahr 1914 vorgenommene Renovierung v. 11. XI. 1914, 7 S. Magistratsakt 1268, Dominikanerkirche, Fach 23 CA. Zitiert: Stadtbauamt, Bericht zur Dominik. Kirche. II. An Literatur; *) Dr. Buff A., Die Anfänge der Stuccaturkunst in Augsburg bis in das 18. Jahrhundert, Zeitschr. d. Hist. Vereins von Schwaben und Neuburg, 23. Jahr­ gang. Zitiert: Dr. Buff, Stuccaturkunst. 2) Dr. Dirr P., die Dominikanerkirche zu Augsburg, Aufsatz, 13 Halb­ seiten, erschienen in Nr. 21 und 22 der Technischen Zeitung „Das Baugewerbe“ im J. 1911. Zitiert: Dr. Dirr, Dominik. Kirche. ®) Paulus N., der Dominikaner Johann Faber und sein Gutachten über Luther, Hist. Jahrbuch, Jahrgang 1896, S. 39 ff. Zitiert: Paulus N., Joh. Faber. *) Dr. Dirr P., Eine Gedächtnisschrift von Johannes Faber über die Er­ bauung der Augsburger Dominikanerkirche, erschienen in der Zeitschrift des Histor. Vereins von Schwaben und Neuburg, 34. Jahrgang, 1908, S. 164 ff. Zitiert: Dr. Dirr, Gedächtnisschrift d. Joh. Faber, Zeitschrift des Hist. Ver.

Grundriß der Dominikanerkirche. Maßstab 1:300.

Ostansicht des Dominikanerklosters aus dem Jahre 1626. Ausschnitt aus dem gleichzeitigen Kilian’schen Stadtplan.

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I.

Die Baugeschichte der Dominikanerkirche in Ver­ bindung mit einem Überblick über die allgemeine Klostergeschichte in der Zeit von 1225—1803« er Dominikaner- oder Predigerorden ist in Augsburg seit dem Jahre 1225 urkundlich beglaubigt. Seine ersten Klostergebäude standen in der Nähe der jetzigen Dominikanerkirche und waren von einer Mauer umschlossen, an der entlang ein Gäßchen zum Gablinger Bad, dem heutigen Anwesen A 506, hinabführte.1) Das Gäßchen selbst lief noch über klösterlichen Grund und Boden2) und ist auf der beigegebenen Ansicht neben dem Klostergarten bei Nr. 76 eingezeichnet.3) Das Areal, auf dem sich jetzt die Dominikanerkirche erhebt, gehörte seit etwa 1280 den gleichfalls in Augsburg ansässigen Tempelherrenrittern4) und wurde, als diese Papst Klemens V. auf Veranlassung König Philipps IV., des Schönen, von Frankreich im Jahre 1312 auf dem allgemeinen Konzil zu Vienne auf hob 5), nebst den Klostergebäuden in den nächstfolgenden Jahren den Augsburger Dominikanern als Eigenbesitz zugesprochen. Sie *) Bestätigungsurkunde des Rates der Stadt Augsburg über die Eigentumsrechte des Augsb. Predigerklosters an diesem Gässchen v. 20. I. 1225, Dominik. Akten, St. A. A. — P. Pez hat das Jahr 1225 richtig bestimmt; ein späterer Glossator seines Archivinventars nimmt irrtümlich das Jahr 1255 als den Zeit­ punkt der ersten Niederlassung des Ordens in Augsburg an; die Welz-Ruef*sehe Ordensgeschichte und die Angaben des PI. Braun stimmen wieder mit der Fest­ stellung des P. Pez überein. S. Pez, Inv. v. 1709, S. 156/7; Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord., Bd. 1, S. 251 u. Bd. 3, S. 3; Braun PL, Gesch. d. Dom. Kl., S. 11 — Bez. d. Gablmgerbadess. Bd. 12, S. 12/3 der Zeitschr. d. Hist. Vereins von Schw. und Nbg. 1 2) s. die unter voriger Ziffer gen. Urkunde! 8) s. auch das Namensregister zu dem Plan der Stadt Augsburg vom J. 1626 von Wolfgang Kilian! 4) Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord., Bd. 3, S. 4. ö) Pez, Inv. von 1709, S. 157; Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord. Bd. 3, S. 4; Braun PL, Gesch. d. Dom. Kl., S. 2b.

y

6 hatten dies namentlich dem Augsburger Bischof Friedrich Speth zu Thurneck und dem Abt von St. Ulrich Marquard von Haglen zu verdanken und gelangten bei dieser Gelegenheit auch in den Besitz der wertvollen Bibliothek der Tempelherrenritter.6) Die letzte Erinnerung an deren einstiges Hiersein hielt noch im Jahre 1759 ein unter der steinernen Treppe im Kreuzgang angebrachter Grabstein fest, der die Aufschrift «F. FRIDERICUS ZIPPELIUS» trug und eine mit Mantel, Kukull und zwei Schwertern be­ kleidete Rittergestalt zeigte.7) Der Dominikanerorden, der im Laufe des 13. Jahrhunderts rasch erstarkte und eine solche Bedeutung gewann, daß bereits 1257 in Augsburg ein Pro­ vinzialkapitel abgehalten werden konnte, soll um die Zeit, da er der Besitznachfolger der Tempelherren wurde, in und um Augsburg schon reich begütert gewesen sein.8) Im allgemeinen ist jedoch über diese frühe Zeit wie über die Geschehnisse der folgenden hundert Jahre nur sehr wenig überliefert.9) Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts beginnen die Quellen wieder etwas reichlicher zu fließen. Sie zeigen, daß in der Zeit von 1496—1500 die Klostergebäude größtenteils abgebrochen und mit Hilfe der 6) Pez, Inv., S. 158; Welz-Ruef, Bd. 1, S. 253 und Bd. 3, S. 4; Braun PI., Gesch. d. Dom. Kl., S. 3b. — Pez nimmt als Zeitpunkt, in dem die Beziehung des Tempelherrenklosters durch die Dominikaner stattfand, das Jahr 1313, WelzRuef und Braun sogar das Jahr 1312 an, während der Glossator des Inventars von Pez darauf hin weist, dass Abt Marquard, der übrigens auch ein Dominikaner war, erst 1314 in seiner neuen Würde bestätigt wurde und somit die Dominikaner, wenn sie mit auf seine Bemühungen hin in den Besitz des Tempelherrenklosters gelangten, dieses erst nach 1314 bezogen haben konnten (s, Pez. Inv., S. 158!). Ganz stichhaltig ist aber sein Argument auch nicht, da sich Marquard von Haglen ja auch schon vor seiner Ernennung zum Abt zugunsten seiner Klosterbrüder mit Erfolg verwendet haben konnte. Mangels genügender Belege lässt sich also das genaue Jahr des Einzuges in ihr neues Heim nicht mit Sicherheit bestimmen. 7) Welz-Ruef, Bd. 3, S. 4; Pez, Inv., S. 158, — P. Pez bemerkt in seinem Inventar von 1709, dass, abgesehen von dem eben genannten Grabstein, „erst kürzlich“ im Kloster ein Stein ähnlicher Art gefunden wurde und zu seiner Zeit überhaupt noch „die altgefundene documenta vnd grabstein“ den Vorbesitz der Tempelherren und ihre im Kreuzgang unter der steinernen Treppe gelegene Grabstätte bestätigten. 8) Pez, Inv., S. 158; Welz-Ruef, Bd. 1, S. 251. ö) Darauf weist auch PI. Braun hin; s. seine Gesch. d. Dom. Kl., S. 4bJ Wer sich für die von ihm für die Zeit von 1400 — 1500 meist aus der Kloster­ chronik zusammengetragenen, ziemlich zusammenhanglosen und nicht allzu be­ deutsamen Details näher interessiert, den verweisen wir auf das eben angegebene

7 freigebigen Augsburger Bürgerschaft wieder neu aufgebaut wur­ den.10) Ihre Krönung jedoch fand die Bautätigkeit im Kloster zu jener Zeit in dem Neubau der Kirche, der im Mai 1513 in Angriff genommen und im September 1515 vollendet wurde.11) Die Initiative dazu war von dem bekannten damaligen Prior des Klosters Dr. theol. Johannes Faber ausgegangen, der schon seit 1509 den Bau in Aussicht genommen hatte.12) Die Notwendig­ keit eines solchen wurde damals allerdings verschiedentlich be­ urteilt. Während Faber die abgebrochene Kirche in seinem Gedächtnisbuch als eine „alte zerissne manigfaltig presthaftige kirch und kor“ schildert13), berichtet Wilhelm Rem, ein gleich­ zeitiger Chronist, für das Jahr 1515, als die neue Kirche „schon gar under das tach gebracht“ war, daß die alte Kirche „stercker und besser dan die neu“ war. Weiter fügt er hinzu, „sie wer nicht umbgefallen, es was wol halb bieberei; sie was wol nit fast weitt, sie wer aber weitt gnug gewesen.“14) Reste von der alten Kirche fanden sich noch gelegentlich der letzten Kirchen­ renovation und zwar zwei romanische Säulenbasen, die in einer Blindfensteranlage der die Säulenreihe tragenden Grundmauer, der vermutlich einstigen südlichen Langwand, aufgefunden wurden und nunmehr in der alten Sakristei, der östlichsten Kapelle zur rechten Seite, zu sehen sind, und sehr interessante, allerdings schlecht erhaltene Bruchstücke frühgotischer Bemalung, die an der einstigen Nord wand unter dem Boden aufgedeckt wurden und Engel darstellen, die ein Sterbelager, anscheinend das der Maria, umstehen. Sie wurden, da ihre Erhaltung unmöglich war, Manuskript. Den Grund des Fehlens eines geschlossenen Quellenmaterials für diese Zeit bildet der Umstand, dass, wie P. Pez berichtet, das alte KlosterarcKiv in der Reformationszeit zugrunde ging. s. Pez, Inv., S. 159! — 10) Welz-Ruef, Bd. 1, S. 254; Braun Plaz., Gesch. d. Dom. Kl., S. 5|. Braun hat diese Notiz der ihm noch bekannten Klosterchronik entnommen. u) Welz-Ruef, Bd. 1, S. 254 und 257 und Bd. 3, S. 6; Braun Plaz., Gesch. d. Dom. KL, S. 6»; Dr. Dirr P., Gedächtnisschrift des Joh. Faber. — N. Paulus lässt irrtümlicherweise den Kirchenneubau schon mit dem Jahre 1512 beginnen, ebenso B. Riehl und Dr. Buff. S. Paulus N., Joh. Faber, S. 41; Riehl B., Augsburg, S. 63. Buff, Stuccaturkunst, S. 58! 12> Hirschmann, Bericht etc. S. 2; Dr. Dirr, Dominik. Kirche, 4. Halbseite. 1S) Dr. Dirr P., Ged.-Schrift d. Joh. Faber, Zeitschrift d. Hist. Ver., S. 169. ,4) Schwäbische Städtechroniken, Bd. 5, „Cronica newer geschichten“ yon Wilhelm Rehm, herausgegeben von Prof. Dr. Fr. Roth, S. 26/7.



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in Naturgröße von Kunstmaler Brandes aufgenommen. Die Bild­ kopie ist im Gange der städtischen Baugewerkschule ausgestellt.15) Den vielen Bemühungen Fabers, der sogar zweimal bei strenger Winterskälte nach Rom reiste und von Papst Leo X. für die Bistümer Augsburg, Köln und Mainz einen Jub^lablaß' erwirkte, um die für den Kirchenbau erforderlichen Mittel verfügbar zu machen, gelang es, eine stattliche Summe zusammenzubringen.16) Rem bemerkt, daß zur Herstellung des Kirchenbaues nur 1800 fl16*) benötigt wurden, während durch den Ablaß ungefähr 10000 fl zusammenkamen und fügt weiter hinzu . da must man dem bapst den halben tail zalen und ain fiertail dem kaiser geben und ain fiertail belib den minchen von predigern . .ß17) Es ist urkundlich nachgewiesen, daß sich die Kurie tatsächlich die Hälfte des Erträgnisses des Ablasses Vorbehalten hat.18) Über die „Anteilsrechte* des Kaisers hat sich jedoch bisher ein authen­ tischer Beleg nicht gefunden. Neben Faber aber gebührte das größte Verdienst an dem Zustandekommen des herrlichen Kirchen­ baues der opferfreudigen Augsburger Bürgerschaft, wie die von Faber selbst verfaßte Gedächtnisschrift deutlich an die Hand gibt. Sie zeigt die Stiftungen der einzelnen Familien in genauem De­ tail.19) Dr. Faber ehrte das Andenken an all diese Guttäter der Kirche damit, daß er ihre Namen und Wappen auf einer großen Gedächtnistafel aus Stein verewigen ließ, die zwischen den beiden Hauptportalen in die Wand eingelassen ist.19*) Meist erhielten die 15) Stadtbauamt, Bericht zur Dominikaner Kirche, S. 4 und 5. ,Ä) Pez, Inv., S. 191; PauIusN., Joh.Faber, S.41/2; Dr.Dirr, Dom.Kirche, S. 4. ie«) Dieser Betrag ist viel zu niedrig gegriffen. A 1T) Schwäbische Städtechroniken, Bd. 5, „Cronica newer geschichten“ von Wilhelm Rehm, herausgegeben von Prof. Dr. Fr. Roth, S. 26/7. 1#) Paulus N., Joh. Faber, S. 42. *•) Zu nennen sind die Namen der Familien Adler, Kinsperger, Villinger, Meiting, von Stetten, Regel zu Lichtenberg, Fugger, Baumgartner, Imhof, Stuntz, Lauginger, Höchstetter, Männlich, Konzeimann, Grander, Noll, Wirsung, Freyhaimer, Gossenbrot und Gassner. S. d. näheren das Gedächtnisbuch des Joh. Faber, das Inv. von Pez, die Geschichte des Kl. von Welz-Ruef und PI. Braun an verschiedenen Orten und Dr. Dirr, die Dominikaner Kirche, Halbseite 4! 19*) Auch eine weitere, hier noch in die Wand eingelassene Steintafel stammt von Dr. Faber und wurde von ihm zur Erinnerung an den Neubau der Kirche in den Jahren 1513—1515 errichtet.

Reste frühgotischer Wandmalerei. Aus der alten Dominikanerkirche. Baugewerkschule.

Stifter auch das Gruftrecht in den an die Hauptschiffe angebauten Kapellen.20) Die neue Kirche selbst ist im spätgotischen Stile er­ baut, aber sie zeigt doch schon in ihren mächtigen, weiten, licht­ überfluteten Doppelschiffen, die in der Mitte von sieben, har­ monisch geordneten Säulen aus Sandstein getragen werden, den unverkennbaren Einfluß der nach freier und imposanter Raum­ gestaltung drängenden Renaissance. Ähnliche Kirchen soll es nach den Feststellungen Riehls auch noch in Tirol und Bayern geben. Keine aber dürfte die seltene Schönheit der Augsburger Dominikanerkirche erreichen.21) Die eben erwähnten Säulen, die späterhin mit Stuck umkleidet wurden, wiesen ursprünglich nur die Hälfte ihres jetzigen Durchmessers auf22) und mögen in dieser Gestalt dem ganzen Kirchenraum vielleicht ein noch freieres und leichtbewegteres Aussehen verliehen haben. Wie über die hervor­ ragende perspektivische Wirkung, die durch die elegante Führung der Spitzgewölbe noch erhöht wird, so staunt der Architekt der Ge­ genwart nicht weniger über die Kühnheit des Baumeisters, der es einst wagte, auf derart schlanken Säulen eine solch gewaltige Last aufzutürmen. Sein Name konnte leider trotz eingehendster Nach­ forschung an allen nur möglichen Orten nicht ermittelt werden. Er dürfte aber wohl dem Kreise Burkhard Engelbergers23), der das Ulrichsmünster und die katholische hl. Kreuzkirche erbaute und 1512 starb, nicht allzuferne gestanden haben; denn ein Engel­ berg, Hans Engelberg, hatte beispielsweise auch den Plan zu der damals neu erbauten Kirche des Dominikanerinnenklosters zu St. Katharinen in Augsburg ausgearbeitet24), die gleichfalls zwei Doppelschiffe aufweist. Für die Wahl dieses Baumeisters war sicherlich auch das Predigerkloster mitbestimmend, da ihm ja *°) s. vorige Ziffer! 21) Riehl Berthold, Augsburg, erschienen in Leipzig 1903, S. 62; Dr. Dirr, Dominikaner Kirche, Halbseite 7. 22) Stadtbauamt, Bericht zur Dominikaner Kirche, S. 3. — Bei der letzten Renovation der Kirche wurde an der östlichen Säule ein gotischer Säulenfuß in seiner ursprünglichen Form frei gelegt, auf den an dieser Stelle der Besucher aufmerksam gemacht sei. *8) Auch Engelb erg genannt, s. die Augsb. Steuerbücher aus dieser Zeit! 24) Hörmann Leonhard, Erinnerungen an das ehemalige Frauenkloster St. Katharina in Augsburg, Zeitschr. des Historischen Vereins von Schwaben und Neuburg, 9. Jahrg., 1882, S. 369.

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auch das Katharinenkloster seelsorgerisch unterstand. Unter den wenigen Denkmalen aus der Zeit des Kirchenbaues sind noch am besten „die vier gülden stain“, die vier Gedenk­ tafeln, erhalten, die an den beiden Längswänden zu sehen sind und die gelegentlich der Wahl Karls V. zum römischen König in den Jahren 1519/20 von Dr. Faber auf Kosten des Kaisers errichtet wurden. Die an der nördlichen Langwand angebrachten sind Kaiser Maximilian und seinem Sohne, König Philipp von Spanien, gewidmet, die beiden anderen sollen die Erinnerung an Philipps Söhne, Karl und Ferdinand, festhalten. Kunsthistorisch sind sie deshalb von großer Bedeutung, weil sie zu den frühesten Bildwerken der deutschen Renaissance zählen und diese in ihrer einfachsten und edelsten Auffassung widerspiegeln. Sie sind aus Sandstein gearbeitet und bemalt und „wohl das künstlerisch Beste, was an Detail der Innenraum noch heute bietet“. Die Aufsätze gehören jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach der Zeit an, in der die Kirche im Barockstile umgebaut wurde, also den 20 er Jahren des 18. Jahrhunderts.25) Auch war die Kirche bald nach ihrer .Vollendung vielfach mit Freskogemälden geschmückt worden. So wissen wir von drei Gewölben, daß sie der Augsburger Bürger Jörg Kinsperger „vast köstlich“ hatte bemalen lassen.26) Diese Gemälde mögen wohl ähnlich ausgesehen haben, wie die Decken­ gemälde aus der Zeit der Frührenaissance, die noch in der alten Sakristei in verhältnismäßig gutem Zustande erhalten sind. Mit „gestül, man vnd frawen stendt“ war die Kirche ebenfalls reichlich ausgestattet.27) Von den Altären und ihrem sowie dem übrigen Kirchenschmuck wird in dem nächstfolgenden Hauptabschnitt im besonderen die Rede sein. Die Außenseite des Gotteshauses mit seinem mächtig in die Höhe strebenden Kirchendache, dessen gewaltiges Gebälk allein schon eine Sehenswürdigkeit ist, zeigt eine einfache, große Sil­ houette, die überall in das Stadtbild, von welcher Seite aus man *6) 8. den Bericht des Archivars Dr. Buff an den Stadtmagistrat über die vier Gedenktafeln vom 20. XI. 1890. Mag. Akt. 1268, Dominik. Kirche, Fach 23 CA. — Dr. Dirr, Dominik. Kirche, Halbseite 12. — Stadtbauamt, Bericht zur Dominik. Kirche, S. 2. **) Ged. Buch des Joh. Faber, Zeitschrift des Hist. Ver., S. 171« *7) s. vorige Ziffer 1

Ostansicht des Klosters aus der Zeit von 1710—1720. Kupferstich von Jeremias Wolff.

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es auch betrachten magi ihre starke beherrschende Linie zeichnet und namentlich der Bäckergasse und einigen Gäßchen der Lech­ viertel einen vielfach sehr malerischen Abschluß verleiht. Die Wirkung des großzügigen äußeren architektonischen Gesamtbildes war in früherer Zeit noch durch ein zierliches, schmales gotisches Türmchen erhöht, das unweit des östlichen Giebels auf der steilen Dachspitze saß und leider zu Beginn des vorigen Jahrhunderts abgebrochen wurde.28) Die beigegebene Ansicht des Prediger­ klosters, die von der Hand des Augsburger Kupferstechers Jeremias Wolff stammt, zeigt den ganzen Klosterkomplex von Osten her gesehen in einem hervorragend schönen Stadtbild. Wie viele Klostergebäude, so trägt darauf namentlich auch noch die Kirche einen vollkommen gotischen Charakter. Abgesehen von dem Türmchen und dem ganzen Äußeren ist dieser noch deutlich in dem fein stilisierten Maßwerk der Fenster der rechts­ seitig vorgebauten Kapelle wie auch der beiden großen Kirchen­ fenster des östlichen Giebels zu erkennen. Aus alledem ergibt sich aber auch der Schluß, daß der Wolff’sche Prospekt noch der Zeit, die vor der Barockisierung der Kirche liegt, am wahrscheinlichsten der Zeit von 1710—1720, angehört. Wolff ist in Augsburg bereits seit 1709 als Hausbesitzer nachweisbar.29) Die bauliche Tätigkeit Fabers blieb aber nicht auf den Kirchenbau beschränkt. Bis zum Jahre 1523 nahm er, wie aus seinen handschriftlichen Aufzeich­ nungen ersichtlich ist, auch noch sonstige wichtige bauliche Ver­ änderungen im Kloster vor. So ließ er eine Badstube, ein Dormitorium, eine „liberey“, d. h. einen Saal für die Klosterbibliothek, und einen Teil des Kreuzganges, dessen westlicher Arm noch erhalten und in seinen Konsolen mit sehr guter Kleinplastik aus jener Zeit geziert ist, neu bauen, bauliche Maßnahmen in der Gastkammer, dem Althause, der Krankenstube, dem Kapitelhause und in der Kapelle im Kreuzgange durchführen und mehrere der neuen und reno­ vierten Räume, wie das Dormitorium, die Bücherei, das Sommer­ refektorium und die Kapelle in seinem Gemache, mit „newen gemela, wohl Frührenaissancemalereien, zieren.30) Eine hübsche Episode, 28) Stadtbauamt, Bericht zur Dominik. Kirche, S. 6. 29) s. die Augsb. Steuerbücher aus dieser Zeit! 80) Ged. Buch des Joh. Faber, Zeitschr. des Hist. Ver., S. 175/6.

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die die Kirche ein Jahr nach ihrer Fertigstellung, im Jahre 1516, erlebte, darf wohl an dieser Stelle auch noch angefügt werden. Vorausgeschickt muß dabei nur werden, daß auch die neue Katha­ rinenkirche in Augsburg im Jahre 1516 im Bau bereits so weit gediehen war, daß lediglich das „tach“, die Kirchendecke, fehlte. Da entstand nun zwischen der Priorin Veronika Welser und den vornehmsten Klosterfrauen einerseits und dem Ratsbauherren Lud­ wig Hoser und dem Weberzunftmeister Martin Engelberg(er) andrer­ seits eine lebhafte Meinungsverschiedenheit, ob es nicht besser wäre, wenn „das tach in der neuen kirche gewölbet oder schlecht­ hin mit zimerhölzer beschlossen würde und welches gebau ge­ sunder und hellklingender wäre“, ein Streit, der auch um des­ willen von hohem Interesse ist, als er den Kampf der ausgehenden Gotik in ihren Deckengewölben mit den getäfelten Holzdecken der neu einziehenden Renaissancekunst widerspiegelt. Die Klo­ sterfrauen von St. Katharinen, die in den maßgebenderen Stel­ lungen meist dem Augsburger Patriziate entstammten, waren zu­ nächst für eine Holztäfelung, die sie auch für akustisch vorteil­ hafter und gesundheitlich zuträglicher erachteten, und suchten nun den Konflikt auf eine resolute, wenn auch etwas ungewöhnliche Weise zu lösen, indem sie am Himmelfahrtstage nachts um 2 Uhr kurz entschlossen ihre Zellen verließen und sich auf den Weg nach dem Dominikanerkloster machten, um dessen Kirche, die sie anscheinend nicht verschlossen fanden, nach ihrer akustischen Seite hin zu überprüfen. Der nächtliche Aufzug, an dem fast alle Klosterfrauen, etwa 50—60 an der Zahl, teilnahmen, trug ein sehr originelles Gepräge und entbehrte namentlich auch nicht der erforderlichen Garde. Er wurde durch den Bürgermeister Jeronimus Imhof und den Zunftmeister Martin Engelberger eröffnet. Diesen folgten dann „alwegen zwo closterfrawen mit ainander in der proceß“, die durch die Augsburger Bürger Lukas Grander, Matheus Langenmantel und Anthoni Arzt in abwechslungsreicher Weise unterbrochen wurde. An sie schlossen sich wiederum Frauen in langer Reihe zu zwei und zwei an, bis zuletzt Dr. Faber und ein Dominikanermönch kamen und dem Ganzen einen würdigen Abschluß gaben. Das seltene Unternehmen scheint alle Klosterinsassen derart sympathisch berührt zu haben, daß

13 selbst die älteren Klosterfrauen, die nicht mehr gehen konnten, am Zuge teilnahmen und sich auf einem kleinen Wagen mitfahren ließen. Als sie im Dominikanerkloster angekommen waren, soll ihnen nach den Angaben Rems Dr. Faber zunächst seine Zelle gezeigt und, als es Tag wurde, sie auch in die neue Kirche geführt haben, wo sie dann zur Probe die Prim absangen. Die Nachbarschaft scheint aber die nächtliche Ruhestörung mit leb­ haftem Interesse aufgenommen zu haben; denn alsbald sammelte sich „wegen des neuen ungewöhnlichen singens“ ein großer Volks­ haufe an, sodaß die Klosterfrauen gezwungen waren, noch vor Tagesanbruch wieder in ihre klösterliche Einsamkeit zurück­ zukehren. Und ein anderes Antlitz zeigte die geschehne Tat. Sie scheinen den nächtlichen Abstecher bereut zu haben; denn „von stund an giengen ihnen die äugen auf, erkannten sie ihren fehltritt, ließen den dominikanerprior P. Joann. Fabri zu sich berufen, der sie dann, da sie ihr verbrechen reumüthig bekannten, in ihrem refectorium knieend von der excommunikation absolvierte als die wider ihr gelübd gehandelt hattenÄ. Die Chronisten fällten über den ganzen Vorgang ein scharfes Urteil. Der eine vertritt den Standpunkt, daß die Klosterfrauen auf Veranlassung Fabers den Ausflug unternahmen und dieser auch den Bürgermeister Imhof um Beteiligung ersucht habe, der dann wieder in den Kreisen seiner Kollegen Propaganda machte. Rem schreibt so­ gar über Imhof: „Der verhalf dem doctor zu einem sollichen gunckelhaus.“ So drastisch wollen wir aber die Sache nicht nehmen; doch scheint sich aus dem Dargestellten zu ergeben, daß die Klosterfrauen einer schließlich nicht allzu bedenklichen Einladung des Priors gefolgt waren. Die kleine Abwechslung wollen wir ihnen jedenfalls nachträglich nicht mißgönnen. Das baugeschichtliche Ergebnis der Forschungsreise aber bestand darin, daß sich die Klosterfrauen für die Gewölbeführung entschieden.31) Die Bautätigkeit ihres kunstsinnigen Priors hatte den Pre­ digermönchen so in der Zeit von 1513—23 wohl manche Störung, “) Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord., Bd. 2, S. 227—229. — Schwäbische Städtechroniken, Bd. 5, S. 54. — Fol. cod. Aug. 53, p 74*, Augsb. Stadtbibliothek. — Hörmann Leonhard, Erinnerungen an das ehemalige Frauenkloster St. Katharina in Augsburg, Zeitschr. des Hist. Ver. von Schw. und Nbg., 9. Jhrg., 1882, S. 369.

14 aber auch ein prächtiges Heim gebracht. Doch nicht lange sollten sie sich darin der Ruhe und der klösterlichen Stille er­ freuen. Denn die Stürme der Reformation brausten schon durch die Lande und trugen ihre Wellen auch an die Mauern des Klosters. Dr. Faber stand mitten in dem Streit. Seine Stellung­ nahme zu den großen Fragen jener Zeit hat N. Paulus ein­ gehend untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß der be­ kannte „Ratschlag“ vom Jahre 1520, der bis zum Jahre 1896 als eine Arbeit des Erasmus oder Zwingli galt, in Wahrheit aus der Feder Fabers stammt, daß dieser zunächst zwischen beiden feind­ lichen Parteien eine Verständigung anstrebte, auch Luther „voll und ganz“ im Sinne der Humanisten beurteilte und mit Erasmus und Zwingli in freundschaftlichen Beziehungen stand, denen er auch seine Berufung zum Hofprediger Karls V. zu verdanken hatte. Von der Zeit an jedoch, da Luthers Schrift „von der babylonischen Gefangenschaft“ erschien, scheint er, wie Paulus weiter zeigt, seine bisherige Gesinnung gegenüber dem Reformator geändert zu haben und bereits zu Anfang des folgenden Jahres forderte er auf, gegen Luther einzuschreiten. Nach dem Reichs­ tag zu Worms im Jahre 1521 sagte er sich überhaupt von den Humanisten völlig los. Die einzigen Orte, an denen in Augsburg im Jahre 1524 noch nicht nach der Bibel gepredigt werden durfte, waren der Dom und die Dominikanerkirche und so ist es leicht verständlich, daß die Stimmung der reformatorisch ge­ sinnten Augsburger Bevölkerung gegen das Predigerkloster eine immer schärfere wurde. Sie trat in der Folgezeit wiederholt in Erscheinung und unter ihrem Drucke wurde Faber schon im darauf folgenden Jahre 1525 aus der Stadt gewiesen, die er in Zukunft nicht mehr betreten sollte. Er starb 1530 „in der Verbannung“.32) Der glänzende Reichstag des gleichen Jahres, dessen Präsidium der neugewählte Kaiser in höchsteigener Person übernahm und der die Verlesung der Augsburger Konfession durch Philipp Melanchthon brachte, scheint die in der Stadt herrschende Volksstimmung auch nicht mehr nachhaltig beeinflußt zu haben. Denn ihr trug der Rat bereits 1534 damit Rechnung, daß er an die Prediger**) s. Paulus N., Joh. Faber, S. 51 und 58—60. — Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 6, S. 493. — Dr. Dirr, Dominik. Kirche, Halbseite 4«

15 mönche das Verbot ergehen ließ, in der Katharinen- und Marga­ retenkirche zu predigen und Messe zu lesen. Auch wurden auf sein Geheiß zu gleicher Zeit, mit Ausnahme des Doms, der Ulrichs-, Moritz-, hl. Kreuz-, Georgs-, Stephans-, Peters- und Ursulakirche, alle Kirchen geschlossen und mit eisernen Ketten abgesperrt, wo­ von auch die Dominikanerkirche betroffen war.83) Den Domini­ kanermönchen wurde sogar die Reichsstraße verboten. Doch scheinen sie sich darüber nicht allzusehr aufgeregt zu haben; denn ein paar Wochen nach dieser Verfügung waren sie im internen Kreise vergnüglich bei einem Mahle vereinigt, zu dem sie zehn „Vikarier“ vom Dom und St.' Moritz geladen hatten. Der Chronist berichtet über die Herren: „Die haben nach dem tisch all ire messer von inen abgirt, sind in hossen vnd wames gangen und haben keglot.“ Sie wurden aber mitten in ihrer Unterhaltung ge­ stört; denn plötzlich betraten die beiden Bürgermeister, vier Stadt­ herren, der Stadtvogt Dr. Heel und ein Notar mit mehreren Knechten das Kloster, verlangten und erhielten das Konventssiegel, nahmen ein Verzeichnis von allem, was im Kloster war, auf und versiegelten dessen ganzes Mobiliar. Der damalige Prior, Blasius Taglang, und vier seiner Konventsherren zogen darauf aus diesen Tatsachen die Konsequenzen, verließen am 16. August84) 1534, einem Sonntag, „am morgens frie ainer nach dem andern“ in Laienkleidern das Kloster und die Stadt und übergaben einem ihrer Knechte alle Schlüssel des Klosters nebst einem an den Bürgermeister Jeronimus Imhof gerichteten Brief, der diesen von den Geschehnissen in Kenntnis setzen und ihm zugleich anheim geben sollte, daß „er das closter wol versech und wann sie körnen, wiederumb einandtwurt“.85) 88) Schwäbische Städtechroniken, Bd. 4, S. 387. **) Der Tag ihres Wegzuges war nach dem Chronisten der „sumptag nach dem auffertag“, nach der in den Städtechroniken angegebenen Auflösung der 17. Mai. Das Datum ist aber nicht richtig bestimmt, da mit dem vorliegenden Auffarttag nicht die in den Mai fallende Himmelfahrt Christi, sondern die Himmel­ fahrt Mariä gemeint ist. Der angegebene Tag fiel also auf den 16. August. Dies beweist auch der Umstand, daß nach der in den Städtechroniken selbst an­ gegebenen Auflösung die Dominikanermönche am 12. August noch bei dem besprochenen Mahle vereinigt waren, s. Schwäbische Städtechroniken, Bd. 4, S. 391/2. M) Schwäbische Städtechroniken, Bd. 4, S. 391/2. — Es ist sonach nicht richtig, wenn der Glossator zu dem von Pez im Jahre 1709 verfaßten Inventar

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Aber auch der Rat zog aus all diesen Vorkommnissen seiner­ seits die entsprechenden Folgerungen und ließ zwei Jahre später, im Oktober 1536, den ganzen Hausrat des Klosters auf offenem Markte versteigern.36) Doch nicht nur dieser, sondern auch das damalige Klosterarchiv87) und die von den Tempelherren­ rittern überkommene „vornembe bibliothec“ soll bei dieser Ge­ legenheit von der protestantischen Bevölkerung weggenommen, worden sein38), Vorgänge, die sich im 30jährigen Kriege und gelegentlich der Säkularisation in anderer Schattierung wieder­ holten. Es ist daher kein Wunder, wenn von dem einst umfang­ reichen Klosterarchiv und der vielgerühmten Klosterbibliothek nur mehr kümmerliche Überreste vorhanden sind. Ihren Abschluß fand die eben besprochene Bewegung im Jahre 1537 damit, daß über­ haupt der gesamte katholische Klerus gezwungen wurde, die Stadt zu verlassen.39) Lange mußten darauf die Mönche ihrem Kloster fernbleiben, bis sie schließlich der Augsburger Religionsfriede vom Jahre 1555 wieder ihrem Heime zurückgab. Sie fanden es, als sie einzogen, in einem wenig erfreulichen Zustande. Nicht lange darnach aber bedrohte das Kloster „. . gleich ein neues: vnd weit gef ehrlicheres . . vngewitter“, wie Pater Pez schreibt, als die Jesuiten 1574 den Versuch machten, sich in den Besitz des neu hergerichteten Klosters zu setzen und, um dies zu erreichen, die Predigermönche sogar bei dem päpstlichen Stuhle als unnütze Mitglieder der menschlichen Gesellschaft verdächtigten. Auf den Bericht des Priors P. Mathäus Deibler an die Kurie hin wurden sie jedoch mit ihrem Verlangen abgewiesen. P. Pez schreibt weiterhin, daß die spätere Zeit den Beweis erbracht habe, daß man in ihrem „fruchtbaren weingartten der wahren catholischen kürchen underschidliche arbeiter und nit nur allein die P. P. societatis: sonder auch unseren h: predigerorden brauchen und berueffen thuea.40) So zeigt sich dessen Stellungnahme zu den Je­ des Klosterarchivs bemerkt, daß die Mönche erst 1537 das Kloster verließen oder wenn P. Pez selbst diese Ereignisse gar schon im Jahre 1530 sich abspielen läßt. 86) Schwäbische Städtechroniken, Bd. 4, S. 403/4. 87) „documentis.“ 88) Pez lnv., S. 161, Randbemerkung. 89) s. vorige Ziffer! 40) Pez, lnv., S. 161-174. - Braun PI., Gesch. d. Dom. KI., S. 12.

17 suiten am Anfang des 18. Jahrhunderts in einem kirchengeschichtlich hochinteressanten Lichte. Aus den Reihen der Predigermönche gingen denn auch in der Zeit von der Restitution des Klosters im Jahre 1560 bis zum Jahre 1630 viele Männer hervor, die sich um den Orden große Verdienste erwarben und teils mit dem „doctors und magisterii ehrn-barettÄ geziert waren, wie Barth. Klaindienst, Paulus a Lobrick, Michael Vögelin und David Vogt, teils die Würde eines baccalaureus oder lector trugen, wie Mathias Deibler, Johannes Brändl, Kaspar Degenhard, Anton Bidermann und Vincentius Lämmer.41) Diese etwa 70 jährige Zeit des Aufstiegs und der Blüte wurde jedoch durch den 30jährigen Krieg wieder jäh unterbrochen. 1632 wurden die Mönche, als das schwedische und französische Kriegsvolk in die Stadt drang, erneut vertrieben und ihr Vermögen mit Beschlag belegt. Dabei gingen „des convents mehriste Sachen . . zu verluest“. Doch gab ihm Kaiser Ferdinand II. das Kloster wieder zurück, allerdings unter wesentlicher Reduzierung seines Vermögens, und kraft seines gleichfalls vom Kaiser befürworteten Patents, das die Erhebung eines Almosens im ganzen Reiche und in den österreichischen Erblanden gestattete, war es wirtschaftlich rasch wieder in der Höhe.42) Für die folgende Zeit herauf bis zum Jahre 1709 sind an bedeutenden Konventualen noch zu nennen: Ant. Bentheim, Eust. de Rosario, der als Restaurator des Klosters bezeichnet und als geistvoller Prediger geschildert wird, Nik. von Bankh, der für einen tüchtigen Historiker galt, Joh. und Eust. Mayr, Joh. Herzog und Ulrich Faigl.43) Ergiebiger wird das Quellenmaterial erst wieder mit dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Es wurde durch den spanischen Erbfolgekrieg (1701—1714) eingeleitet, der der Stadt Augsburg allein in der Zeit vom 1. Mai 1703 bis zum 16. August 1704 einen Schaden von 3152 000 fl brachte44), den aber auch das Domini41) Pez, Inv., S. 174 —177. — Braun PL, Gesch. d. Dom. KL, S. 11B und 12 J. 42) Pez, Inv., S. 178/9. 4S) Pez, Inv., S. 180 ff. 44) „Designation derer schaden, so seidert den 1*®» may a° 1703 bis 16*gg augusti a®. 1704 von einer curfürstl. Drl. in Bayren und dero alliirten feindlicher cron Frankreich daß h. röm. reichs statt Augspurg unschuldigst erlitten.“ Ein­ zelnes BL, Litteraliensammlung, St. A. A.

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18 kanerkloster im Jahre 1704 namentlich in Gestalt hoher Quartiers­ kosten zu spüren bekam, die es um so empfindlicher trafen, als insbesondere seine grundherrlichen Einkünfte nur mehr schlecht eingingen. Trotzdem aber nahm es sich seiner Bauern in fürsorg­ licher Weise an. Es streckte beispielsweise seinen „Von denen allirten engelendischen völckhern völlig ausgeraubten vnderthanen zu Rohrespach“ Geld vor, mit dem sie ihre Häuser und Höfe wieder aufbauen konnten, da „ansonsten . . solche güetter des closters mit grossem schaden hetten ligen bleiben: auch in ermanglung dieser hilf die arme tropffen mit weib vnd vil kleinen khünden im pettl herum lauffen müssen“.45) Allerdings hätte das Kloster ohne eine Unterstützung seinerseits voraussichtlich überhaupt keine Einkünfte mehr weiter beziehen können, sodaß schließlich diese Maßnahmen beiden Teilen zugleich zugute kamen. Das Kloster war um das Jahr 1709 von 38 Konventualen bewohnt und galt damals für eines der vornehmsten Klöster der deutschen Ordensprovinz.46) Sonst melden die Akten für diese Zeit aus der allgemeinen Geschichte des Klosters nur wenig. Um so bedeu­ tungsvoller war dafür das 2. und 3. Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in baugeschichtlicher Beziehung. Gleich vielen anderen kirchlichen Bauwerken in Augsburg, wie der Jakobs-, Barfüßer-, St. Moritzund hl. Kreuzkirche und zahlreichen Profanbauten, wurde damals auch die Dominikanerkirche im Stile des Spätbarock umgebaut.4’) Dr. Dirr schreibt über diesen Umbau des Näheren, wie folgt: „Die Umgestaltung des Kircheninnern in der Zeit des Spät­ barock hat die Raumwirkung nicht beeinträchtigt. Im Übrigen förderte auch dieser Umbau, der um 1716 begann, Bemerkens­ wertes zu Tage. Man verkleidete die schlanken gotischen Rund­ pfeiler mit Bewurf und krönte sie mit reichen korinthischen Kapi­ talen in Stuck. Die feingeschwungenen gotischen Gewölbe ver­ schwanden unter Rundwölbungen mit dicker Bewurfverkleidung. In den Jahren 1723 und 1724 erhielt das Ganze dann eine reiche ") Pez, Inv., S. 187/8. 4B) s. vorige Ziffer! 47) M. Johann Martin Christeil, besondere und ausführliche Nachrichten von der evangelischen Barfüsser- und St. Jakobs-Kirchen, etc. Augsburg, 1733. — Die Barfüsserkirche wurde 1723, die Jakobskirche 1726 renoviert. — Riehl Berthold, Augsburg, 1903, S. 138 ff.

Oratorium und Kaiserepitaph. An der nördlichen Langwand der Kirche.

19 malerische und Stuckdekoration in der Art des zum Rokoko über­ leitenden Spätbarock. Die Gebrüder Feichtmaier, talentvolle Jünger der berühmten Wessobrunner Stuckatorenschule, waren die Schöpfer dieser Arbeiten. Die nicht gerade bedeutenden Decken­ fresken stammen von dem Augsburger Freskenmaler Alois Mack; er führte sie nach Entwürfen seines bedeutenderen Lehrmeisters J. G. Bergmüller, Direktor der Stadtakademie, aus. Die Stuck­ ornamentierungen der Feichtmaier sind keineswegs bloßes Beiwerk zu den Deckengemälden. Sie bilden vielmehr in ihrer weiten Verzweigung über Decke und Wände ein wirkungsvolles selbstän­ diges künstlerisches Ganzes. Alles in allem hat also die Barockisierung des Innenbaues Erfreuliches gezeitigt.“48) Hinzugefügt möge noch werden, daß die Gemälde die 15 Geheimnisse des Rosenkranzes darstellen und bei aller Mittelmäßigkeit doch eine gute Fernwirkung zeigen, auch sehr günstig verteilte Mittelpunkte bilden, von denen die Stuckaturen ihren Ausgang nehmen. Diese selbst gelangen in den schön und eigenartig gearbeiteten Um­ rahmungen und Aufsätzen zu den Betstübchen und Kaiserepi­ taphien, wie den prächtigen Kapitalen, die ein sehr feines und maßvolles künstlerisches Können zeigen, in besonders selbständiger Weise zum Ausdruck. Für die folgenden Jahrzehnte bringen die Akten über die Baugeschichte und die allgemeine Geschichte des Klosters fast keine Nachrichten mehr, denen größere Bedeutung zukommt. Die Kirche selbst verblieb im wesentlichen in dem eben vor­ geführten Bilde bis zu der im Jahre 1807 endgültig durchgeführten Säkularisation, die mit einem Schlage in sinnloser, für die Gegen­ wart geradezu unverständlicher Weise das herrliche, einheitliche Kirchenmuseum auseinander riß, von den seltensten Kunstwerken angefangen herab bis zu den Pflastersteinen, was nur irgendwie weggebracht werden konnte, herausnahm und teils den staat­ lichen Kunstsammlungen einverleibte, teils freihändig versteigerte. Bis auf die vier Kaiserepitaphien, die dabei auch nicht unbe­ schädigt blieben, wurde die Kirche jeglichen Schmuckstückes und Gegenstandes beraubt, der nur irgendwie transportabel war. 48) Dr. Dirr, Dominik. Kirche, Halbseite 7/8.

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Nur sehr wenige Stücke davon, in verschiedenen Museen zer­ streut, sind noch in der Gegenwart erhalten; doch auch von diesen ist bis jetzt leider keines wieder an die alte Stätte zurück­ gekehrt.

II.

Die einstigen Kunstschätze der Dominikanerkirche in der Zeit von 1515—1803. Ipjfts dürfte daher nicht unangebracht und für das kunstliebende und kunstverständige Publikum vielleicht sogar von Interesse sein, wenn in dem nunmehr anschließenden weiteren größeren Hauptabschnitte der Versuch unternommen wird, dem Besucher des Gotteshauses dieses in seinem ganzen einstigen, reichen und seltenen Kirchenschmucke vor Augen zu führen, wie es ihn noch unmittelbar v o r der Säkularisation besaß. Enthält auch das Faber’sche Gedächtnisbüchlein schon viele kunsthistorisch wichtige Tatsachen, allerdings durchwegs ohne irgend­ welche Angaben über die Künstler, die die darin genannten Werke schufen, und sind auch die aus der Welz-Ruef’schen Kloster­ geschichte sich ergebenden Mitteilungen allgemeingeschichtlicher, namentlich aber kunstgeschichtlicher Art sehr bedeutsam, da hier meistens die Namen der Meister genannt werden, *und in dieser Hinsicht für die Zeit von 1709—1803 geradezu die ausschließliche und einzige Quelle, so zeigen doch die Arbeiten des P. Pez, daß die Welz-Ruef’sche Chronik im großen und ganzen, was die Zeit vor 1709 betrifft, auf den Feststellungen des P. Pez beruht und über diese nur selten hinausgeht. Dies gilt insbesondere für Angaben kunstgeschichtlichen Inhaltes, die bei P. Pez, abgesehen von seiner Selbständigkeit, auch viel eingehender, ausführlicher und wissenschaftlich wertvoller sind. Sie haben weiterhin auch noch deshalb eine sehr große Bedeutung, als sie von der Aus­ stattung der Kirche in einem Zeitpunkt einen Begriff geben, zu dem ihre Barockisierung noch nicht vollzogen war. So ergänzen sich die Arbeiten von Faber, Pez und Welz-Ruef zu einem ver­ hältnismäßig geschlossenen Material, an dessen Hand wir nun-

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mehr den Kirchenraum durchwandern wollen. Der beigegebene Grundriß wird dabei die Führung erleichtern. Wir beginnen bei den beiden Hauptportalen und treten, von ihnen weggehend, zu­ nächst in das linksseitige Kirchenschiff ein. Die erste Kapelle (I), die sog. Annakapelle, war mit einem kunstvollen Altar geschmückt. Das Altarblatt stellte Maria mit dem Kinde und Anna dar und war von Schönfeld gemalt. An einer der Seiten der Kapelle hing ein gleichfalls von Schönfeld gemaltes Epitaph der Familie Baumgartner „mit der bildnus Lazari, so noch artificioser als der altar gehalten wird“.49) Das Gruftrecht besaß hier zur Zeit des Kirchenbaues die Familie Lauginger und seit dem Jahre 1656 der Augsburger Kaufmann Hans Adam Baumgartner, dessen Linie aber schon 1736 aus­ starb.50) Die nächstfolgende Kapelle (II) war die St. Rosa- oder Rehlinger’sche Kapelle. Ihr Altar war zu den Zeiten des P. Pez mit einem „zwar alten: iedoch sauberen blädl S: Rosae virginis bildnus“ geziert, das später weggenommen und auf das Dormitorium gebracht wurde, wo es „bey dem figural chor“ zur Aufstellung gelangte. Aus der Welz-Ruef’schen Chronik ist auch zu ersehen, daß zu einer nicht näher angegebenen Zeit ein Altar aus der Katharinenkapelle hieher verlegt wurde und diesen Platz bis zuletzt beibehielt. Sein Altarbild zeigte die Rosenkranz­ geheimnisse und einen Sterbenden und war von Isaak Fisches gemalt. Bis zum Jahre 1614 befand sich hier die Grabstätte der Familie Stunz, von der sie dann in dem genannten Jahre auf die Familie des Leonhard Christoph Rehlinger aus Augsburg über­ ging.51) Die dritte Kapelle (III), auch Katharinenkapelle ge­ nannt, barg noch im Jahre 1709 eine Auferweckung des Lazarus, ein altes Altarbild, das sich angeblich schon seit 1515 im Besitze 49) Pez, Inv., S. 199; Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord., Bd. III, S. 19; Pez, Fund Buch von 1709, S. 762. 50) s. vorige Ziffer und Zeitschrift des Hist. Ver. von Schw. und Nbg. Jahrg. 1908, S. 173. 61) Pez, Inv., S. 198; Welz-Ruef, Gesch. d. Pred. Ord., Bd. III, S. 18; Pez, Fund. Buch, von 1709, S. 766.

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der Familie Imhof befand. 1735 nahm es Leopold Antoni Imhof an sich und ließ an seine Stelle eine andere Tafel, eine Kom­ munion der Katharina von Siena, setzen. 1785 mußte auch diese einem neuen Gemälde weichen, das die Werkstätte des Augs­ burger Malers Joseph Hartmann lieferte und die Szene vorführte, wie Christus mit Maria das Herz vertauscht. Um die gleiche Zeit scheint auch der aus Nußbaumholz gearbeitete Altar in die Im­ hof’sche Kapelle verlegt worden zu sein, der bis dahin in der letzten Kapelle rechts gestanden hatte. Die Familie Imhof hatte in dieser Kapelle schon seit dem Jahre 1515 ihre Gruft.52) Die vierte oder St. Dominikuskapeile (IV) war noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts dem Ordensheiligen geweiht, wie auch ihr Altarblatt dessen Bildnis trug. Letzteres wurde später­ hin in den. Gang des Provinzialates transferiert. Der bisher in der Kapelle befindliche ältere, aus Stein gearbeitete Altar wurde 1732 abgebrochen und an seine Stelle trat 1734 der Altar des Thomas von Aquino, der früher in der sog. Diepold-Reichart’schen oder sog. welschen Kapelle (VIII) stand.53) Dieser Altar war aus schwarz gebeiztem Holze gefertigt und enthielt das Bildnis des St. Dominikus, „wie er von den engein mit einer himmlischen gürtel umgürtet wird“. Die unter der Kapelle liegende Gruft gehörte im Jahre 1515 dem Augsburger Kaufmann Hans Baum­ gartner, vor dem Jahre 1684 dem Handelsmann Johann Schoggete, seit 1684 dem Handelsherren Johann Chardon und seit 1800 dem Augsburger Apotheker Franz Xaver von Stahl und seinen Erben.54) Auf dem Altäre der anschließenden St. Joachims- oder Jakob Fugger’schen Kapelle (V) war eine Tafel aus Mar­ mor angebracht, die die Krönung Mariä vorstellte und von P. Pez als eine „alte: iedoch schöne arbeit“ bezeichnet wird. Die Wappen der Familie Fugger schmückten die Fenster und das Gewölbe. Unmittelbar vor der Säkularisation stand in dieser Kapelle ein von dem Dominikanerfrater Bernhard Haibel ge­ schnitzter Altar aus Nußbaumholz, dessen Altarblatt St. Joachim 5*) Buch. S. 68) M)

Pez, Inv., S. 198; Welz-Ruef, Bd. 111, S. 17/8 und S. 45; Pez, Fund. 167/8. s. vorige Ziffer! Pez, Inv., S. 198; Welz-Ruef, Bd. III, S. 16/7; Pez, Fund. Buch, S. 769, ff.

23 gewidmet und ein Werk Johann Holzers war. Unten am Antipendium sah man die Familie Jesu von Hartmann und unter dem Epitaph, das an einer der Wände befestigt war, noch zwei Wappen, die zwei Engel „ober dem stein“ hielten. Die Kapelle hatte 1515 Jakob Fugger als Familienbegräbnis erworben.55) Die vorletzte Kapelle auf der linken Seite bestand ur­ sprünglich aus zwei getrennten Kapellen (VI und VII). Der auf dem Grundriß als VI bezeichnete Raum war die Kapelle, die 1515 den Gebrüdern Hans und Michael von Stetten zugeeignet wurde. Deren Familien beanspruchten hier, obwohl sie etwa um das Jahr 1530 zum evangelischen Glauben übertraten, doch auch weiterhin das Gruftrecht. Das Epitaph des 1525 verstorbenen Michael von Stetten, ein aus Sandstein gearbeitetes, bemaltes Hochrelief, sah man hier noch zu Anfang des vorigen Jahr­ hunderts. Es befindet sich jetzt im Maximiliansmuseum (Nr. 1330) und sollte am zweckmäßigsten wieder in die Kirche verbracht werden. Der Raum VII, auch Dominikus-, Rehlingische oder Thomaskapelle genannt, gehörte zuerst dem Augsburger Bürger Lukas Meiting zu, war gleichfalls dem St. Dominikus ge­ weiht und gelangte im Jahre 1613 in den Besitz der Gebrüder Christoph, Johann und Peter Rehlingen von Haltenberg. 1709 stand hier ein in Holzarbeit ausgeführter Altar, der aus der nächst­ folgenden, sog. Diepold-Reichart’schen Kapelle stammte und dem Thomas von Aquino gewidmet war. Er blieb hier bis zum Jahre 1731 und wurde dann in die Kapelle IV transferiert. Der neue Marmoraltar, den dann die Kapelle erhielt, war ein Werk des Bildhauers und Dominikanerfraters Bernhard Haibel. Das Altar­ blatt führte St. Dominikus vor Augen, wie er zu Maria für die unten im Bilde knienden Bedrängten betet. Es war wie das weiter oben angebrachte Dreifaltigkeitsbild von dem Augsburger Maler Johann Bergmülier gemalt. Der Altar, der einen größeren Raum beanspruchte, als ihn die Dominikuskapelle (VII) bot, war auch die Ursache, weshalb 1731 mit Genehmigung der Familie von Stetten die Mauer durchbrochen wurde, die bis dahin ihre Kapelle und die 55) Pez, Inv., S. 198; Welz-Ruef, Bd. III, S. 16; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 772 ff.

24 Dominikuskapelle schied. In der Zeit vor der Säkularisation er­ blickte man in der so erweiterten Kapelle auch noch ein Altar­ bild, das die Huldigung der drei Könige wiedergab und nach den Angaben der Welz-Ruef’schen Chronik „von einer sehr guten Hand gemalet, uralt und glaublich schon bey dem Kirchenbau in dise Kapelle verehrt“ worden war.56) Die letzte Kapelle (VIII) auf der linken oder Weiberseite, die Diepold-Reichart’sche, welsche oder Brentanosche Kapelle, war 1515 der Familie des Schatzmeisters der Stadt Augsburg Jakob Villinger verliehen worden, der hier den ersten Altar errichten ließ. 1681 kam sie an die Familie des Augsburger Bürgers Diepold Reichart, wornach sie auch Reichart’sche Kapelle benannt wurde, und an die des Johann Baptist Chardon aus Augs­ burg. Nach dem Aussterben dieser Familien wurde sie abge­ brochen und der Platz 1700 an die aus Italien eingewanderte Kauf­ mannsfamilie Brentano und einige andere in Augsburg lebende italienische Handelsleute vergeben, worauf die Bezeichnung „welsche“ Kapelle zurückzuführen ist. Die Kapelle wurde dann neu gebaut und nach rückwärts wesentlich erweitert. Ihre Innen­ architektur wird von P. Pez als „gar sauber: vnd oben mit miehesamer stokatur aufgearbeitet“ geschildert. Der Altar war schwarz gebeizt und vergoldet und das Altarbild stellte die Verkündigung Mariä dar. Der Eingang zu dem Kapellenraum schloß oben in einem schönen Ziergiebel ab, der jedoch schon im Jahre 1723 bei dem Umbau der Kirche wieder weggenommen wurde.57) Zu beachten sind auf der linken Seite noch die drei Ora­ torien, Betstübchen, die über den genannten Kapellen zu sehen sind. Sie bilden in ihrer duftigen, leicht bewegten und gefälligen Spätbarockmanier noch in der Gegenwart eine der schönsten und anziehendsten Sehenswürdigkeiten der Kirche. Die neben der welschen Kapelle liegende Kapelle IX war von Johann Jakob Fugger 1558 gestiftet worden und deckte sein und seiner Nachkommen Grab. Das Grabmal, das er für M) Pez, Inv., S. 197/8; Welz-Ruef, Bd. III, S. 15/6; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 775-778. 4T) Pez, Inv., S. 197; Welz-Ruef, Bd. III, S. 14; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 789/90.

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AB HARRACH CABT1TATE INS1CNI ROM.KVNC. BOBM.AC POLO.V1A REOXAHVM ASStCUB PAMIL1AR1 ET VIA NA BARO TOIRRETAHVM DOMIATS COMVCI MARISSLMÄ ATQVE INC0MPARAB1U AMORIS AC D8SIDBRII BRCO MONVMPJVT HOC LVCENS MOKREXSCJVE PRATER VOTVM POSVIT. OBIIT XVUI. DIE SEPTEMB. ANN. 8AL. MDL1IR.

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MISERXORD1A EIVS A PROGENIE IN PROGENIES TIMENTIBVS EVM

Grabdenkmal des Johann Jakob Fugger und seiner Gemahlin Ursula von Harrach. Arbeit aus dem 3. Viertel des 16. Jahrhunderts. Ulrichskirche.

25 sich und seine Gemahlin Ursula von Harrach errichten ließ, ist nebenstehend abgebildet und eine bedeutende künstlerische Leistung, namentlich die Gestalt des Auferstandenen mit den edel ge­ schnittenen Gesichtszügen, in denen der Triumph des sieghaften Ostermorgens in besonders schöner Weise zum Ausdruck gebracht ist. Über den Künstler, von dem das jetzt im Ulrichsmünster be­ findliche Werk stammt, ist Näheres nicht bekannt geworden. Doch wird man wohl an italienische Einflüsse zu denken haben. Sonst sind über die Ausstattung dieser Kapelle Einzelheiten nicht über­ liefert.58) Ihren Abschluß findet die Ostwand nach rückwärts in dem sog. unteren Chor (Raum X), der verhältnismäßig klein und „glat aufgewelbet“ war. Er wurde in der Zeit von 1626 — 1720 gebaut. Um die Chorwand lief eine Reihe von Stühlen, in denen etwa 36 „Religiösen“, Ordensangehörige, Platz finden konnten. An die Giebelmauer war zu Anfang des 18. Jahrhunderts ein kleiner Altar angebaut, der zuvor in der Kirche den Platz ein­ nahm, an dem zu Zeiten der Säkularisation das Ecce-homo-Bild stand, von dem weiter unten noch die Rede sein wird.59) Die Ostwand selbst gewährte einen imposanten Anblick. Die linksseitige Kirchenhälfte wurde hier durch den sog. Rosenkranzhochaltar, der rechts von der welschen Kapelle stand, abgeschlossen. Dieser Altar führte seinen Namen daher, weil auf ihm täglich die Frühmesse gelesen und vom Volke der Rosenkranz gebetet wurde. Das mächtige Altarbild, eine Himmel­ fahrt Mariä, wurde im Aufträge des Hauses Fugger von dem Italiener Giovanni Lanfranco (1580—1647) gemalt, einem Schüler der Gebrüder Annibale und Agostino Carracci, jener Künstler, die auch in der Zeit des aufstrebenden Barockstiles noch an den Traditionen des Cinquecento, an den großen Errungenschaften der Renaisance festzuhalten und beiden Stilarten gerecht zu werden suchten.60) Wie bei ihnen, so zeigen auch bei Lanfranco Personen und Landschaft das erregte Pathos des Barock, doch in einem noch cinquecentistisch gehaltenen allgemeinen Rahmen, über den 58) Pez, Fund. Buch von 1709, S. 795, ff. 69) Pez, Inv., S. 194; Welz-Ruef, Bd. III, S. 27/8. 60) Muther Richard, Gesch. d. Malerei, Bd. II, S. 298, ff.

26 die große Ruhe des Geistes der Renaisancezeit gebreitet liegt. Das 25 Schuh oder 7 ni hohe und etwa m breite Kolossal­ gemälde galt den Chronisten des Klosters stets als ein „ganz be­ sonderes Kunststück“ und bildet jetzt eine Zierde der Augsburger Gemäldegalerie.61) Die beigegebene Abbildung möge dem Leser von dem bisher nur wenig beobachteten Bilde wenigstens einen ungefähren Begriff geben. Wer sich aber an seiner leuchtenden Farbenpracht und an der teilweise sehr scharf erfaßten Charakte­ ristik der Köpfe und Körper im besonderen Maße erfreuen will, dem empfehlen wir das Gemälde an Ort und Stelle zu betrachten, um so mehr, als es nur mehr eines der wenigen Bildwerke aus der Dominikanerkirche ist, von denen wir mit Bestimmtheit wissen, daß sie einst das Kircheninnere schmückten. Stellt man das Ge­ mälde ausschließlich in Vergleich mit den großen Werken der italienischen Hochrenaissance, so kommt man nicht zu einer ge­ rechten Würdigung' der künstlerischen Bedeutung des Meisters; man muß vielmehr seine Arbeit im Rahmen ihrer Zeit sehen und wird ihr dann vielleicht doch mehr Aufmerksamkeit schenken, als es bisher der Fall war. Zu beachten ist jedenfalls, daß der kunstsinnige Papst Pius VI., als er im Jahre 1782 in Augsburg weilte, gerade diesem Gemälde sein besonderes Interesse zuge­ wandt haben soll.62) Altar und Bild, die beide eine Stiftung des Hauses Fugger waren, kosteten zusammen 41000 fl, das Gemälde allein 18000 fl, gewaltige Summen für damalige Verhältnisse, die von dem einst fast unerschöpflichen Reichtum des Hauses Fugger ein beredtes Zeugnis ablegen.63) Auch das rechtsseitige Kirchenschiff wurde gegen die öst­ liche Giebelwand zu durch einen großen Choraltar, den sog. „Prinzipal Chor: vnd Conventsaltar“, auch Namen Jesuund Bruderschaftsaltar genannt, abgegrenzt. Zu diesem Altar, auf dem alltäglich das Konventsamt und die „ordinari ämbter“ gesungen wurden, führten „vier marmelsteinene stafflen“ hinauf. Das Altarblatt, ein jüngstes Gericht von Mathias Kager, wird Pez, Inv., S. 197/8; Welz-Ruef. S. 7/8. e*) s. Artikel zur Gesch. der Dominik. Kirche, Augsb. Postztg. v. 12. XI. 1909, Nr. 257, S. 13. **) Pez, Inv., S. 196; Welz-Ruef, S. 7. 91)

Die Himmelfahrt Mariä. Von Giovanni Lanfranco (1580—1647).

27 von P. Pez mit den Worten beschrieben: „ . . ein sehr guettes stükh vnd wird zimlich hoch in ehren gehalten . .“ Im Jahre 1738 wurde es durch ein neues Altarbild, eine Himmelfahrt Christi von Brenner, ersetzt. Auf dem Altäre war auch das Wappen der Familie Imhof angebracht.64) Zwischen den beiden Hochaltären strebte, an der Ostwand der Kirche befestigt, noch im Jahre 1709 ein „rarer vnd schöner tabernacul“, ein aus rotem und weißem Marmor gearbeitetes Sakramentshäuschen, in die Höhe, das mit seiner Spitze bis in die Deckengewölbe reichte und von dem Augsburger Kaufmann Philipp Adler bei Erbauung der Kirche gestiftet worden war. Es stand auf Postamenten, die gleichfalls aus Marmor, und auf Säulen, die in Iaspis gearbeitet waren. Etwas über Mitte sah man aber­ mals vier Säulen aus Iaspis, die eine „miehsame“ Bildhauerarbeit in Marmor, eine Darstellung des Abendmahles, umrahmten. Ge­ legentlich der Barockisierung der Kirche im Jahre 1724 wurde leider das anscheinend herrliche Steinwerk abgebrochen und in Teilstücken zur Ausschmückung verschiedener Altäre verwendet65), wovon weiter unten noch des näheren die Rede sein wird.66) Seinen Platz nahm in Zukunft „das grosse crucifix Jesu Christi“ ein, das bis dahin auf dem Magdalenenaltar gestanden hatte und zu dem als Seitenstücke noch die beiden Schächer ge­ hörten, die, wie im Jahre 1709, so auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts rechts und links von den zwei Choraltären an den Seitenmauern hingen. Die drei Arbeiten, Holzschnitzwerke, bil­ deten eine einheitlich geschlossene Kreuzigungsgruppe, die im Jahre 1516 Jakob Fugger gestiftet hatte und die damals die westliche Giebel wand schmückte, bis man mit ihr die eben beschriebene Umstellung vornahm. Schon von jeher wurde ihr ein außerordentlicher Kunstwert beigemessen. Das früheste Ur­ teil, das uns darüber von einem Augenzeugen überliefert ist, stammt von P. Pez, der beide Schächer „fir maisterstukh vnd grosse werkh“ erklärte, namentlich den rechten Schächer, in dem er ein Bildwerk erblickte, das „an geschnittner: vnd gfaster 64) Pez, Inv., S. 199; Welz-Ruef, Bd. III, S. 6/7. 6ß) Pez, Inv., S. 195; Welz-Ruef, Bd. III, S. 28/9. 66) s. S. 41 u. 43!



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mallerarbeit etwas rares ist“. Die Welz-Ruef’sche Chronik bringt darüber hinaus nichts Neues. Sie übermittelt nur für ein Jahr­ hundert später die erfreuliche Feststellung, daß auch noch zu dieser Zeit, die für alte Kunstschätze im allgemeinen nur mehr wenig Verständnis besaß, insbesondere die beiden Schächer von Kunstkennern nie genug betrachtet werden konnten.67) Die nächste Frage, die sich nun erhebt, ist die: Wo ist die Kreuzi­ gungsgruppe hingekommen? Wir wissen es bis jetzt nicht, eben­ sowenig als wir den Namen des Bildners kennen, der sie schuf. Aber wir hoffen, daß vielleicht doch noch einmal ein glücklicher Zufall das Dunkel, das über diese Fragen gebreitet liegt, lichtet. Gleichwohl darf man jetzt schon mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß Jakob Fugger das Werk bei einem der großen, damals in Augsburg lebenden oder für Augsburg in Ulm und Eichstätt arbeitenden Meister, wie eines Gregor Erhärt, Adolf und Hans Daucher, Michael Erhärt oder Loy Hering, in Auftrag gegeben haben mag. Damit verlassen wir die östliche Chorwand, um unsere Wan­ derung durch die Kapellen der rechten Kirchenhälfte fortzusetzen. Durch die Türe neben dem Konventsaltar betreten wir zu­ nächst den Raum XI, der ehedem die alte Sakristei bildete, in der Folgezeit aber an die Familie Höchstetter kam und nach deren Aussterben im Jahre 1586 von dem Augsburger Kaufmann Jakob Rembold d. Ä. für sich und seine Nachkommen als Sepultur erworben wurde. Rembold hatte hier einen neuen Altar aus Sand­ stein errichten lassen, der zur Zeit des P. Pez eine von diesem als „kostbarliche arbeit“ bezeichnete Kreuzigung Christi im Bilde zeigte. Die Kapelle, die sonst noch mit verschiedenen Epitaphien geziert, im übrigen aber in schlichter Sandsteinarchitektur gehalten war, wurde auch Rembold’sche Kapelle benannt.68) Neben dem eben erwähnten Altäre führte eine Türe in die sog. neue Sakristei oder Rosenkranzkapelle (XII u. XIII). 87) Ged. Buch d. Joh. Faber, Zeitschr. d. Hist. Ver. v. Schw. u. Nbg., 34. Jahrg., S. 172; Chronik d. Wilh. Rehm, schwäb. Städtechroniken, Bd. 5, S. 67; Pez, Inv., S. 193; Pez, Fund. Buch von 1709. S. 773; Welz-Ruef, Bd. III, S. 28/29. “J Die gegenwärtig an der Ost wand der Kirche hängenden beiden Rembold’schen Epitaphienbilder (ca. 1565) befanden sich früher in dieser Kapelle. In ihren künstlerischen Qualitäten nähern sie sich stark der Mittelmäßigkeit.

Ansicht der sog. neuen Sakristei oder Rosenkranzkapelle. (Raum XU und XIII.)

29 Als Sakristei hatte dieser Raum bis zum Jahre 1688 gedient, von da an wurde er jedoch als Kapelle und Grabstätte vergeben und damals auch umgebaut. Er wurde dabei auf den Hof hinaus er­ weitert, durch vier Fenster erhellt und mit Deckenfresken und Stuckaturen geschmückt, die aber nicht mit den Deckengemälden identisch sind, die jetzt dort zu sehen sind. Letztere sind Früh­ renaissancemalereien und stammen aus der Zeit des Kirchenbaues. Die Kapelle war, wie der Grundriß zeigt, verhältnismäßig groß und bildete so ein entsprechendes Gegenstück zu Kapelle VI/VII. Auch hatte sie, als sie 1688 dem Augsburger Kaufmann Johann Georg Rehm überlassen wurde, auf dessen Kosten einen hübschen Altar aus Nußbaumholz erhalten, dessen Altarbild von Isaak Fisches gemalt war und einen Sterbenden zeigte, der sich in den Schutz der Maria befiehlt. Um den Altar herum waren die Ge­ heimnisse des Rosenkranzes gemalt Auch stand in der Kapelle noch ein „Lavor“, ein Waschbecken aus Marmor, das beim Kirchenbau Herzog Georg von Sachsen gestiftet hatte. Als aber 1764 in der Dominikanerkirche die Andacht zum St. Vincentius eingeführt wurde, waren damit auch einige Veränderungen in den Kapellen verbunden. So wanderte damals das Altarblatt samt den Rosen­ kranzgeheimnissen in die Kapelle der St. Rosa und an die Stelle des bisherigen Altars trat 1772 ein neuer von „Ips-Marmor“, den die Augsburger Bürgerin Barbara Walter zum Preise von 500 fl der Kirche schenkte. Sein Altarblatt war St. Vinzenz gewidmet und kam aus der Werkstatt Joseph Hartmanns. Das Gruftrecht besaß nach der Familie Rehm die des Augsburger Bürgers Nikolaus Grander und späterhin die des Handelsmannes Claudius Ador, der es 1746 wieder an den Kaufmann Franz Salesius Bioley veräußerte.69) Die in dem Kapellenraum zur Aufstellung ge­ brachten Weberhausoriginalfresken bilden ein bedeutsames kunst­ geschichtliches Kapitel für sich, über das die wissenschaftlichen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, und verdienen die besondere Beachtung des Besuchers der Kirche. 69) Pez, Inv., S. 199/200 und 208—210; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 759/60 ; Welz-Ruef, Bd. III, S. 19/20; Braun PL, Gesch. d. Dom. Kl., S. 6j>. ~ Der im Jahre 1709 in der Sakristei befindliche Silberschatz bestand aus den nach­ folgend verzeichneten Gegenständen:

BO

Die nächstfolgende Kapelle (XIV) war die Kapelle der vierzehn Nothelfer. 1662 hatte hier Michael Mayr einen Altar in „duft-arbeitt“ errichten lassen, der in der Art seiner Anlage auf den des Benediktinerklosters zu Montferrat in Italien zurückgriff. Der Altar trug 1709 „vnser lieben frauen vnd der 14 nothhelfer figur“. Aus einer Randbemerkung des Glossators zu P. Pez ist ersichtlich, daß es sich hiebei um die „grosse“, wohl lebensgroße Statue einer sitzenden Madonna mit Kind handelte, die ebenfalls nach einer in dem genannten Kloster befindlichen Vorlage gearbeitet war. Die Bildgruppe, die eine große Verehrung genoß und zuerst in der offenen Kirchenhalle stand, wurde zur Zeit des Umbaues der Kirche „in“ den Altar und später auf den Beichtstuhl in der Kapelle XV verbracht. Bemerkenswert war unter den kunst­ gewerblichen Gegenständen der Kapelle noch eine Ampel mit sieben Leuchtern aus Messing, die eine alte Stiftung war. In der Kapelle, die zur Zeit des Kirchenbaues der Familie Konzelmann überlassen war, lagen seit 1687 Mitglieder der Familie Reich und gegen Ende des 18. Jahrhunderts solche der Familien Hochleithner, Frey, Sam und Bachioli begraben.70) Zwischen der eben bezeichneten und der nächsten Kapelle war oben an der Wand die Kanzel eingebaut. Man muß aber zwischen einer alten und neuen Kanzel unterscheiden. Erstere war in Marmor gearbeitet und schon zur Zeit des Kirchenbaues von dem Augsburger Bürger Narziß Lauginger gestiftet worden. Sie wurde 1702 durch ein neues, wohl im Barockstile gehaltenes «1 1 3 15 5 6 6 1 1 10

schöne große vnd 1 paar mittere vnd kleinere monstrantzen, 1 paar kleinere lichterle, mehr ciborien, 2 dergleichen kleiner lichterle, oder 16 kelch, 4 auf postamenten stehunte gantze crucifix bilder, bilder, gros: vnd klaine ampln, 1 gaislung mit schildkrotten, paar opffer kändl mit lavorle, 2 monstränzl mit wax von Pio 5g., waichprun kessel vnd wadl 1 runde agnus dei vf klainen fießlen rauchfaß samt dem schiffl, mit heilthumben, grosse lichter, 2 geschlagne casel. Alle dise obgesetzte stukh seint von guettem silber.» — Auch wird weiterhin noch der Bestand an Ornatstücken, Altartüchern, an Reliquien und Heiligtümern u. a. genannt, s. S. 210/11 des Inv. von Pezl 70) Pez, Inv., S. 200; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 753, ff; Welz-Ruef, S. 21/2; Braun PI., S. 6J>.

31 Kanzelwerk aus Nußbaumholz ersetzt, dessen Schöpfer der Do­ minikanerfrater und Kunsttischler Franz Mayr aus Augsburg war. P. Pez gibt von dieser Kanzel eine ausführliche, kunst­ geschichtlich sehr wertvolle Beschreibung. Der Kanzelkörper hatte darnach eine anscheinend quadratische Form und seine Seiten­ wände zeigten in guter Bildhauerarbeit ausgeführte vertiefte Fül­ lungen, die von „gewundenen saulen sambt vier schön geschweifften schnirkhlen“ eingerahmt waren. An den vier Ecken stand je ein vergoldetes „ordensbild“. Nach unten lud die Kanzel in ein „miehesames“ Gesims mit schönen Abkröpfungen aus, unter denen weitere neun Füllungen durch glatte und gedrehte Säulen abge­ grenzt und vier Hermen als Träger des Ganzen angebracht waren. Auf dem Kanzeldeckel erhob sich als Abschluß nach oben die vergoldete Gestalt der Fama. Pez faßt sein Urteil über die Kanzel in die Worte zusammen: „ein werkh so sechens: vnd lobenswirdig“. Die wenigen Notizen, die darüber die Welz-Ruefsehe Chronik bringt, gehen alle auf die Aufzeichnungen des P. Pez zurück; sie fügt nur noch hinzu, daß die Kanzel von allen Kennern sehr hoch geschätzt wurde und berechnet die Höhe des Deckels auf 12 und die der Kanzel auf 24 Schuh, das ganze Werk zu­ sammen also auf eine Höhe von 101/2 m.71) Die nach Westen anschließende Kapelle XV befand sich zur Zeit der Erbauung der Kirche im Besitze der Familie des Antoni Lauginger, fiel aber, als diese nach 1530 zur evange­ lischen Lehre übertrat, wieder an das Kloster zurück. Seit 1662 ruhten hier Mitglieder der Familie Morell, die bereits 1709 bis auf eine Frau ausstarb. Von der Familie Morell stammte auch der Altar und die „schöne spalier zu der capeilen“, wohl ein kunstvoll gearbeitetes Gitterwerk. Auf dem Altarblatt sah man die fünf Büßer Petrus, David, Magdalena, den Schächer am Kreuz und den verlorenen Sohn zu den Füßen des Erlösers. Christus selbst reichte in der Höhe seine Wunden dar und neben ihm stand ein Engel, der ein Kreuz trug. 1727 wurde das Gemälde von dem Altar weggenommen, 1734 gelangte es im Dormitorium zur Aus­ schmückung des Oratoriums zur Aufstellung und noch später 71) Pez, lnv., S. 200/1; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 753; Welz-Ruef, S. 22.

32 wurde es auf den Beichtstuhl gestellt, der in der letzten Kapelle auf dieser Seite stand, und durch ein neues ersetzt, das den Bischof Nikolaus und die Äbtissin Walburga darstellte und bis zur Säku­ larisation an diesem Platze blieb.72) Weiter vorwärts schreitend kommen wir zi^r St. Salvator­ oder sog. schwarzen Kapelle (XVI), die zuerst der Familie Männlich, seit 1663 Johann Franz Imhof und seinen Nachkommen und, als diese Linie ausstarb, 1681 der Familie des Leonhard Christoph Rehlinger als Grabstätte diente. Doch auch dieser Rehlinger’sche Zweig erlosch bald und so kam sie 1708 an den Handelsherren Brentano-Mezegra. Das Altarbild zeigte die armen Seelen im Fegfeuer.73) Die vorletzte Kapelle, die Kapelle der sog. Rehlingerschen Fraternität (XVII), deren Stiftungsbrief auf das Jahr 1558 zurückreicht, schloß zu Beginn des 18.. Jahrhunderts gleich­ falls einen in reichem Golddekor gehaltenen, mit Nußbaumholz eingelegten Altar in sich, der zuerst in der Kapelle der Rehlingen von Haltenberg (Raum VII) stand. Er war in letzterer Kapelle errichtet worden, als der bis dahin hier gestandene Thomasaltar in die welsche Kapelle verlegt wurde. Als er jedoch in die Kapelle XVII verbracht wurde, wanderte der Thomasaltar wieder aus der welschen Kapelle in den Raum VII zurück. Das wertvollste Stück an diesem Altäre war eine Kreuzigung Christi „mit den fügen“, die sich aus drei auf Holz gemalten Altarblättern zu­ sammensetzte. Das Mittel- und Hauptstück stellte die Kreuzigung selbst dar und die Seitenblätter den bußfertigen und unbußfertigen Schächer. P. Pez, der das Bild für „ein altes: iedoch guetes gemähl“ erklärte, sprach sich vorsichtigerweise über den Meister nicht aus. Sein Glossator erblickte darin eine Arbeit Dürers oder Holbeins. Welz und Ruef besaßen, wie so oft, auch in dieser Frage kein selbständiges Urteil, sondern übernahmen im wesent­ lichen die Feststellungen der Pez’schen Handschrift. Die Ge­ lehrten des 19. Jahrhunderts endlich, die auf Altdorfer oder Scorel rieten, kamen eher vom Ziele ab als ihm näher, bis endlich im ”) Pez, Inv., S. 201; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 749, ff; Welz-Ruef, S. 22/23. Braun PI., S. 7±* 18) Pez, Inv., S. 201; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 743, ff; Welz-Ruef, S. 23;

Kreuzigung. Von Ulrich Apt (ca. 1486—1532), gemalt 1517Mittelstück des Rehlingenaltares. Galerie.

33 Jahre 1889 Dr. H. A. Schmid das Rätsel in zweifelsfreier und geistreicher Weise löste, als er auf dem Kopflederzeug des im Vordergründe stehenden Pferdes die ganz unauffällig eingeschrie­ bene Signatur: APT entdeckte, womit die Urheberschaft des Augsburger Malers Ulrich Apt endgültig nachgewiesen war. Der Meister, der in seinen Werken im Gegensatz zu Burgkmair und Amberger noch zäh an dem Realismus des 15. Jahrhunderts festhält und vielfach an niederländische Vorbilder erinnert, schuf das Gemälde im Jahre 1517. Es befindet sich jetzt in der Augs­ burger Galerie und sollte am zweckmäßigsten wieder in die Dominikanerkirche verbracht werden.74) Die letzte Kapelle auf dieser Seite war die neben der Eingangstüre gelegene sog. Heim’sehe Kapelle (XVIII), die seit 1616 dem Kaufherrn Karl Rehlinger und seit 1654 den Familien der Augsburger Kaufleute Kaspar Hoy und Jakob Heim als Ruhestätte überlassen war. Gegen den Kirchenraum zu war die Kapelle, die in der „alten manier“ mit Stuckaturen geschmückt war, durch ein „hohes vorgatter“ abgeschlossen, dessen Anschaffung den Familien Hoy und Heim 1654 bei Übernahme der Kapelle vertraglich auferlegt worden war, wie ingleichen auch die Erneuerung des Altares. Das alte Altarbild, eine Anbetung der drei Könige aus dem Morgenland, hielt Plazidus Braun für ein Gemälde Albrecht Dürers. Es befand sich bis 1729 im Besitze der Familie Heim, wurde aber in diesem Jahre von der Frau eines Handelsfaktors Müller, die eine geborene Heim war, wieder an den Konvent zurück­ gegeben, der es 1734 erneut auf den Altar bringen und das bis dahin dort befindliche Altarblatt, ein etwa aus der Mitte des 17* Jahrhunderts stammendes jüngstes Gericht, wieder wegnehmen ließ.75) Zu beachten sind auch in der rechten Kirchenhalle neben den schon besprochenen Kaiserepitaphien noch die drei mit reichem und sauberem Holzbarockwerk verzierten Oratorien, deren mitt74) Pez, Inv., S. 201; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 742; Welz-Ruef, S. 23/24. Katalog d. Augsb. Gemäldegalerie. S. 2. — Statt „fügen“ ist wohl zu lesen „fliglen“ = Altarflügel. — Das Apt’sche Bild ist in verkleinertem Maßstab in dem Aufsatz von Dr. Dirr über die Dominikanerkirche bereits veröffentlicht worden. T5) Pez, Inv., S. 201/2; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 739 ff.; Welz-Ruef, S. 24. 3

34 leres unmittelbar in der Nähe der Kanzel eingebaut war.76) Sie scheinen 1698 in ihrer jetzigen Form entstanden zu sein. Das Oratorium über der vorletzten Kapelle zur rechten Seite war vorher mit einem großen Fenster versehen, das einen Ausblick auf die beiden Hochaltäre gewährte.77) Wie die Wände und Kapellen, so waren auch die sieben Säulen mit kunstvollen Altären und teilweise seltenen Kunst­ werken geschmückt. Um auch von ihnen noch eine Vorstellung zu bekommen, gehen wir noch einmal kurz die Säulenreihe ent­ lang, an der Westwand beginnend, durch die Kirche. Die l, Säule neben den beiden Eingangstüren zierte ein kleiner, schwarz gebeizter Altar, den der Augsburger Handelsherr Johann Meer, der hier seit 1685 ein Familiengrab besaß, errichten ließ. Das Altargemälde hielt die Gestalt des St. Antonius von Padua fest und war von Schönfeld gemalt.78) ** An der 2. Säule stand ein kleiner Frauenaltar in guten architektonischen Formen mit dem Bildnis der Maria Major. Er wurde 1745 von einem neuen Altar, den die Kaufmannswitwe M. Elisabeth Maurmann stiftete, abgelöst. Die hier liegenden Begräbnisstätten gehörten am Ende der reichsstädtischen Zeit den Familien Anton Eckhart (seit 1711), Maurmann, Ruf und Bene­ dikt Stahl.79) Der Altar der 3. Säule trug eine ungefähr 6 Schuh hohe Holzstatue des St. Sebastian, die von dem Chronisten als ein „altes: aber vortreffliches stukha gerühmt wird. Sie stammte aus der Zeit des Kirchenbaues und war eine Stiftung des Dr. Marquard, dessen Familie hier begraben lag. Ihre Anfertigung kostete damals 30 fl. Um 1800 hatte hier die Familie Obwexer ein ge­ meinsames Grab.80) 7e) Welz-Ruef, Bd. III., 77) s. vorige Ziffer! 78) Pez, Inv., S. 204; Bd. III, S. 13. 79) Pez, Inv., S. 204; Bd. III, S. 13. *) Pez, Inv., S. 204; Bd. III, S. 12/3.

S. 20/21. Pez, Fund. Buch von 1709, S. 801 ff.; Welz-Ruef, Pez, Fund. Buch von 1709, S. 803 ff.; Welz-Ruef, Pez, Fund. Buch von 1709, S. 813 ff.; Welz-Ruef,

35 An die 4. Säule war 1709 ein kleiner Holzaltar mit dem Bildnis des Bischofs Liborius angebaut. Er mußte 1739 einem anderen Platz machen, den die Augsburger „ Handelsherren Savoischer Nation" zu Ehren des Franz von Sales stifteten. Ihm war auch das neue Altarblatt gewidmet. Beide Gemälde waren Werke des bekannten Augsburger Malers Johann Georg Berg­ müller. Seit 1657 befand sich hier das Familiengrab des Augs­ burger Kaufmanns Philipp Jakob Miller.81) Die Altäre der drei folgenden Säulen verdienen wegen der seltenen Kunstwerke, die sie bargen, noch unsere ganz besondere Aufmerksamkeit. Die 5. Säule schmückte zu Anfang des 18. Jahrhunderts ein Altärchen in vornehmer Architektur, das aus Alabaster und rotem Marmor gearbeitet war, den das abgebrochene Sakraments­ häuschen geliefert hatte. Der ganzen Anlage des Altares ent­ sprechend war auch das Altarblatt in Alabaster ausgeführt. Es stellte das Abendmahl, die Kreuzigung und die Auferstehung dar und war mit den Worten: „Concurrite undique ad victimam meam“ überschrieben. Diese drei Bilder wurden rechts und links noch durch zwei Beispiele aus der Geschichte des alten Bundes, das Opfer des Melchisedek und das des Abraham, ergänzt. P. Pez bezeichnet die ganze Bildgruppe als eine „sehr gutt: vnd ein vornembe arbeit“.82) Über den Meister, aus dessen Werkstatt sie hervorging, melden leider seine Aufzeichnungen nichts. Nach 1709, vermutlich in der Zeit der Barockisierung der Kirche, wurde der Marmoraltar weggenommen und durch einen neuen, den sog. Ecce-homo-Altar ersetzt. Die Alabasterreliefs wanderten dabei, wie uns der Chronist überliefert, in den sog. unteren oder hinteren Chor, wo sie anscheinend bis zur Säkularisation des Klosters verblieben. Zu dem neuen, von Jakob Holzapfel von Herxheim gestifteten Altar stand der Weilheimer Bildhauer Georg Petel insoferne in Beziehung, als das darauf aufgestelite, aus Holz geschnitzte Ecce8A) Pez, Inv., S. 203/4; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 818 ff.; Welz-Ruef, Bd. III, S. 11/12. 82) Pez, Inv., S. 203; Pez, Fund. Buch v. 1709, S. 825; Welz-Ruef, Bd. III, S. 10/11; Braun PL, Gesch. d. Dom. Kl., S. 8.

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36 homo-Bildnis von ihm stammte, das der Konvent offenbar aus älterer Zeit her besaß und zur Ausschmückung dieses Altares bereitstellte. Es paßte ja auch gut zu den neueren in Holz, namentlich in Nußbaumholz gearbeiteten Altären und ist uns zum Glück erhalten geblieben. Jetzt befindet es sich im Dom, wo es an der dem Südportal gegenüberstehenden Chorwaqd zur'Aufstellung gebracht ist, allerdings an einer nicht gerade -günstig beleuch­ teten Stelle und auch zu weit oben, sodaß es bisher nicht ge­ nügend beachtet wurde. Durch die beigegebene Abbildung soll es wieder mehr zur allgemeinen Kenntnis gebracht werden. Wir stellen in ihm ein Kunstwerk von hervorragender Schönheit fest. Der muskulöse und kräftig gebaute, schmerzdurchzuckte Körper, alle Bewegungen, wie auch die Harmonie der Glieder, insbesondere die Ziselierung der Hände und unteren Fußpartien, sind mit einer naturalistischen Schärfe und Treue wiedergegeben, vor der man staunend steht. Doch ihren Höhepunkt erreicht die Kunst Petels in dem meisterhaft durchgearbeiteten Antlitz, das die seelischen Qualen, zugleich aber auch die Geduld und den Gehorsam des Erlösers in ergreifender und überzeugender Weise zum Ausdruck bringt und zeigt, wie schwer das Leiden noch auf diesen starken Körper gelegt werden muß, bis er ganz zusammengebrochen ist.88) Das Bild scheint in der Zeit von 1625—34 entstanden zu sein, da Petel erst seit dem Jahre 1625 in Augsburg nachweisbar ist, wo er sich damals dauernd niederließ und auch verehelichte.83*) An der 5. Säule oder doch in ihrer unmittelbaren Nähe war zu Anfang des 18. Jahrhunderts auch noch eine wertvolle Madonnengruppe zu sehen. P. Pez berichtet darüber: „Bey disem altärl hanget in der heche ain muettergottsbild mit vilen engelsköpffen, alles von holtz, daran die schönste arbeit vnd solls dem sagen nach auch der vorneme bildhauer Pettl geschniden haben.“ Näheres ist darüber leider nicht bekannt geworden.84) 88j Pez, Inv., S. 203; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 825 ff.; Welz-Ruef, Bd. III, S. 10,11. *••) Hochzeitsamtsprotokolle der Stadt Augsburg v. 1624—29, S. 55. Steuer­ register r. 1625 ff. St. A. A **) Pez, Inv., S. 203.

Ecce-homo. Von Georg Petel aus Weilheim (um 1600, *»* 1634), Dom.

87 Auch bei der 6. Säule müssen wir wieder etwas länger verweilen. Der hier befindliche Altar war gleichfalls aus weißem und rotem Marmor hergestellt, den man anscheinend auch von dem abgebrochenen Sakramentshäuschen genommen hatte, und mit einem in Messing ausgeführten Altarblatt, einer Auferstehungs­ gruppe, geschmückt. Außerdem trug er noch die Gestalten von vier Propheten, die ebenfalls aus Messing gegossen waren. Alle diese Werke wurden von P. Pez als Meisterstücke gerühmt und waren von Christoph Fugger, dessen Familienbegräbnis hier lag, gestiftet. So kommt es, daß im Fuggerarchiv über sie sehr wertvolle und interessante kunsthistorische Feststellungen gemacht werden konnten. Im Jahre 1581 begannen nämlich, wie wir aus den Akten erfahren, die Vorarbeiten zu diesen Bildwerken. Dem Bildhauer und Steinmetzmeister Paul Mair aus Augs­ burg war dabei der äußere Aufbau des Altares übertragen. Er entwarf dazu zehn Visierungen, die er „auf taflen aufzereißen“ hatte, und erhielt für den Altar im ganzen 770 fl. Für den davor liegenden Grabstein aus rotem Marmor, in den eine Messingtafel mit einer Inschrift und dem Fuggerwappen ein­ gelassen war, wurde er außerdem noch mit 60 fl entschädigt. Zu dem Altarbild, der erwähnten Auferstehungsgruppe, und den vier Propheten lieferte der aus Florenz berufene Carlo Ballas, der „deß vorsteenden gießwerckhs halben“ nach Innsbruck ge­ kommen war, die ersten Modelle. Er erhielt an Zehrungsgeld nach Innsbruck 18 fl 24 kr, an Auslagen für die „zu dem possieren der bilder“ erforderlichen Materialien und dafür, daß er „zu dem altar von erden was possiert hat“, etwas mehr als 10 fl und endlich „für ettlich gemachte vnd geformbte mödel der bilder zum abgießen bei seiner abferttigung“ 50 fl, zusammen also rund 7872 fl. Nach diesen Modellen wurde dann nocfy im gleichen Jahre die Ausführung des Gusses in Angriff genommen und dem Augsburger Rotschmied Jeremias Reisinger übertragen 85), doch mit wenig Glück, da man in dem Messingguß offenbar noch keine genügende Erfahrung besaß. So mißlang der Guß der großen Auferstehungsgruppe völlig, während die Gestalten des ®5) Er bekam dafür 6 fl.

38 Moses und Elias, eines weiteren nicht näher genannten Propheten und zweier großer Engel86) anscheinend besser ausfielen, da man an ihnen durch den Augsburger Goldschmied Johannes Müller unter einem Kostenaufwande von 124 fl die Verschneidungs­ arbeiten vornehmen und einige Gußfehler ausbessern ließ. Doch scheinen sie auch nicht allzusehr befriedigt zu haben; denn der Guß der Auferstehungsgruppe und einiger anderer bisher* nicht geratener Stücke wurde im gleichen Jahre noch einmal ver­ sucht. Aber dafür hatten nicht mehr die Mpdelle des C. Bailas, sondern die des „Bildermachers“ Robert Gerard zu gründe gelegen, wenn vielleicht auch angenommen werden darf, daß da­ bei die Vorlagen des Italieners nicht unberücksichtigt blieben. Es wird ausdrücklich gesagt, daß Robert Gerard Bilder zum Nachgießen formte, insbesondere die Auferstehung in Wachs possierte. Aber ihr Guß schlug auch diesmal fehl, ebenso der einer Himmelfahrt Christi, während einer der beiden großen Engel, die den Altar tragen sollten, wie auch die vier Propheten, von denen zwei saßen und zwei standen, und zwei „klaine kindlin“ glückten. Gerard bildete darauf zu der Auferstehung und Himmel­ fahrt, zu dem einen der beiden großen Engel und zum Fugger­ wappen, die teilweise von P. Pez nicht genannt werden, zum zweiten Male die Wachsmodelle und wurde für alle bisherigen Arbeiten mit 160 fl entlohnt. Sie gelangen diesmal alle, auch die ausdrücklich als „grosses stück“ bezeichnete Auferstehungsgruppe, die die späteren Chronisten immer erwähnen. Den Guß hatte wieder Reisinger vorgenommen und sein Lohn betrug 45 fl. Die weiteren Veredelungsarbeiten besorgten in den Jahren 1583/84 der schon genannte Goldschmied Johannes Müller und der Gold­ schmied David Niggl. Müller erledigte zu dem Preise von 102 fl die Verschneidungsarbeiten an der Himmelfahrt und Auferstehung, Niggl hatte die Himmelfahrt und die zwei Engel „außzusieden vnd zu kratzen“. 1584 erhielten beide Meister für weitere ähn­ liche Arbeiten 77 fl 24 kr. Auch wurden alle Bilder vergoldet, wozu man vier Muscheln „gemalt goldt* benötigte. Die „colona, gilgen, auch ettlich köpff, arm vnd fueß zum großen stückh“, **) Ein Engel trug ein Kreuz.

Magdalenenbild. Augsburger Arbeit aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Maximilians-Museum.

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wohl die architektonische Bilderumrahmung und sonstige Aus­ stattung, hatte gleichfalls Robert Gerard 1583 in Wachs mo­ delliert87), 1584 Reisinger gegossen und Müller verschnitten. 1584 wurde auch, wie die Akten zeigen, das aus Kupfer getriebene vergoldete Fuggerwapppen über der großen Historie, vermutlich der die Mitte des Altars einnehmenden Auferstehungsgruppe, an­ gebracht. Das ganze Altarwerk war im Jahre 1584 vollendet und wurde darauf noch mit einem kunstvollen Eisengitter umrahmt, das die Werkstätte des bekannten Augsburger Schlossermeisters Jörg Scheff, des Verfertigers des Gitters um den Augustusbrunnen, zu dem Preise von 631 fl 7 kr lieferte.88) Auch war der Maler Hans Kästner noch mit einigen Arbeiten beteiligt. Abgesehen von Anstreicharbeiten am Pultbrett und Gestühl hatte er das Fuggerwappen ins Meßbuch gemalt und sonst noch „allerlay gemähl vnd visierungen zue den ornaten vnd altar“, wie auch zum Epitaph gefertigt.89) Die letzte oder siebente Säule erhob sich zwischen den beiden Choraltären. Zur Zeit des Kirchenbaue3 stand auf dem hier befindlichen Magdalenenaltar ein von dem Augsburger Bürger Hans Kötzer gestiftetes Magdalenenbild, das 70 fl kostete und, wie das Gedächtnisbuch des Johannes Faber zeigt, in der Zeit von 1515—-1523 entstanden sein muß.89*) Es befindet sich nunmehr im Maximiliansmuseum und ist nebenstehend abgebildet. Das Bild­ werk ist deshalb sehr beachtenswert, weil die Art der Modellierung, die alle Charakteristika der damaligen Augsburger Schule an sich trägt, bei beiden Figuren mit großer naturalistischer Schärfe durch­ geführt ist und der Künstler die einheitliche Wirkung des Ganzen dadurch noch erhöht hat, daß er auf jede weitere Personenbeigabe 87) „in form zuschneiden.“ 88) Der Kistler Schertim erhielt noch für einen aus Eichenholz gearbeiteten Antritt zum Altar 7 fl. 89) Für alle diese Arbeiten wurde er mit 11 fl 3 kr honoriert. — Verzeichnis der briefl. Urkunden betr. das Christoph Fugger’sche Begräbnis in der Domini­ kanerkirche v. 1580—84. Fasz. 1, 1, l des Fuggerarchivs, S. 10 ff. Pez, Inv., S. 203; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 827 ff.; Welz-Ruef Bd. III, S. 9/10. 89*) Dr. Dirr, Ged. Schrift d. Joh. Faber, Zeitschr. d. Hist. Ver., S. 177; Dominik. Kirche, Halbseite 11 u. 12.

40 verzichtete und so die einsame, stille Trauer der Magdalena und ihre volle Hingabe an den Gekreuzigten in ein um so stärkeres Licht rückte. Späterhin, wohl um die Mitte oder doch wenigstens noch im 3. Viertel des 16. Jahrhunderts89b), erhielt der Altar eine neue Tafel, die das bedeutendste Meisterwerk der Kirche war. Sie stellte das Gastmahl der Martha dar und war von keinem geringeren als Tintoretto selbst gemalt. Dieser Künstler, der die abgeklärte, leuchtende Farbenharmonie seines Lehrers Tizian mit der großen Liniensprache Michelangelos zu vereinigen suchte, nimmt in der Kunstgeschichte deshalb eine hervorragende Stellung ein, weil er zum Begründer jener leidenschaftlich erregten Barockkunst der Gegenreformation wurde, die die Zeit der Renaissance ablöste und dem 17. Jahrhundert ihren Stempel aufdrückte. So erklären sich in seinen Bildern die großen Körper, die komplizierten Be­ wegungen und die scharfen Gegensätze von Licht und Schatten, sowie das damit Hand in Hand gehende stärkere Betonen der naturalistischen und landschaftlichen Momente, die in sehr vor­ teilhafter Weise die von ihm beabsichtigte Stimmung erhöhen. Das in seinen früheren Bildern noch mehr hervortretende Ver­ einigen der Kompositionsgesetze der Renaissance mit den neuen Stilgesetzen zeigt sich auch in dem beigegebenen Bilde, in dem die neuen Raumwerte namentlich noch durch die diagonale Tiefen­ anordnung in stärkerem Maße zum Ausdruck gebracht sind. Das herrliche Gemälde hängt jetzt in der alten Pinakothek in München. 1686 und 1742 wurde der hier stehende Altar, der die Gruft der Familie Rehm deckte, erneuert.90) Dafür, daß die jetzt in der Augsburger Galerie befindlichen, von Bartholomäus Zeitblom aus Ulm (ca. 1450—1520) gemalten vier Bilder aus der Valentinianslegende einst einem Altäre der Dominikanerkirche zugehörten, wie gelegentlich in der Literatur *®b) Diese Annahme ist dadurch begründet, daß das vorliegende Gemälde zu den früheren Werken des Meisters, der von 1518—1594 lebte, zählt. *>) Pez, Inv., S. 202/3; Pez, Fund. Buch von 1709, S. 828; Welz-Ruef, Bd. III, S. 8/9. — Muther Richard, Geschichte der Malerei, Bd. II, S. 283 ff. . Leipzig 1909. — Das Bild Tintorettos ist in verkleinertem Maßstab in dem Aufsatz von Dr. Dirr über die Dominikanerkirche bereits veröffentlicht worden.

Maria hat den besten Teil erwählt.» Von Jac. Tintoretto (1518—1594). Alte Pinakothek, München.

41 behauptet wird90*), hat sich in den in der Quellenübersicht ge­ nannten Aktenbeständen ein urkundenmäßig beglaubigter Nachweis nicht finden können. Zum Schlüsse soll auch noch kurz den Orgelwerken, die sich ehedem in der Kirche befanden, einige Aufmerksamkeit ge­ schenkt werden. In der Mitte des gleich in der Nähe gelegenen sog. unteren oder kleinen Chores (Raum X) stand im Jahre 1709 noch eine anscheinend kleinere Chororgel, die 1768 durch eine neue, von dem Orgelmacher Johann Michael Ruf aus Kirchheim a./d. Mindel gebaute Orgel ersetzt wurde. Die „große Orgel“, die zu Zeiten des Kirchenbaues von dem Hause Fugger gestiftet wurde, nahm zuerst an der Nordwand den Platz über der Dominikus- und welschen Kapelle (Raum VII—VIII) ein und wurde in den Jahren 1614 und 1615 einer größeren Renovatur unterzogen, über die wir durch Akten des Fuggerarchivs gleich­ falls näher unterrichtet sind. Wir ersehen daraus, daß sie sich auf eine „ernewerung, verbößerung vnd Zurichtung“ der Orgel erstreckte, mit der, was zunächst ihre technische Ausgestaltung anbelangt, im Jahre 1612 der bekannte Augsburger Orgelmacher Marx Güntzer von Philipp Eduard und Marx Fugger beauftragt wurde. Der darüber abgeschlossene Vertrag ist noch erhalten und zeigt, daß Güntzer das ganze Orgelwerk „auf den rechten chorthon“ stimmte und dabei das Manuale nach unten um eine volle Terz, das „groß CDE“, erweiterte und auch mit den dazu gehörigen vier großen und über vierzig kleinen Pfeifen versah. Er nahm zu dem alten Manuale91), das an Registern schon Prin­ zipal, Vordeck, Oktav, Mixtur, Zimbel und Rauschpfeife oder „regal“ aufwies, noch ein Positiv mit vier Registern, wie „claui“, Prinzipal, Oktav, Mixtur und Zimbel, nebst „tremulant“, „vogelgsang vnd hörbaucken“ hinzu. Der Orgelkasten mußte so wesent­ lich vergrößert werden. Für die ganze Arbeit erhielt Güntzer

700 fl.

90*) Katalog der kgl. Gemäldegalerie zu Augsburg, 3. Auf!., ^12, S. 88/9. Dr. Baum Julius, Ulmer Kunst, Stuttgart u. Leipzig 1911, S. XXV u. Abb. 60—63. 91) Das alte Pedal enthielt eine Oktav, Posaune und niedere Koppel.

42 Der künstlerische Entwurf zu dem neuen Orgelgehäuse, das gleich dem der Ulrichsorgel92) in Gestalt eines Flügelaltares gebaut war, und zu seiner malerischen Ausstattung stammt von dem bekannten Augsburger Maler Mathias Kager.93) Wie bei der Fuggerorgel des Ulrichsmünsters die beiden Seitenpfosten durch ein6 nach unten halbkreisförmig eingebogene Füllung verbunden sind, in der zwei überlebensgroße Engel das Fuggerwappen halten,, so waren wohl auch hier in ähnlicher Weise die zwei sitzenden Engel mit dem Fuggerwappen angebracht, die der Augsburger Bildhauer Paul Mair fertigte.94) Auch darf man annehmen, daß die Orgel, die etwa die halbe Größe und Breite der Ulrichsorgel besaß und' noch um 1800 als die beste und kunstvollste Orgel Augsburgs gepriesen wurde, wohl sicherlich mit den dahinter liegenden Kirchenfenstern und den Kunstwerken ihrer näheren Umgebung zu einem harmonischen Ganzen von schönster Wirkung zusammengeschlossen war. Die Ausführung der Malarbeiten aber nahm Kager nicht selbst vor, sondern er beauftragte damit den Augsburger Maler Hans Freyberger, der sich dabei streng an die Kager’sche Vorlage halten und „alles dem visier gemees“ malen mußte. Der Vertrag, den Freyberger über diese Arbeiten 1614 mit Philipp Eduard und Marx Fugger abschloß, ist noch erhalten, wie auch ein von ihm selbst stammendes Schriftstück, das auf diese Dinge Bezug nimmt. Wir ersehen aus diesen Urkunden, daß die beiden Orgelflügel, deren jeder ll1/* Schuh hoch und 5J/2 Schuh breit war, woraus sich die quadratische Anlage des Gehäuses mit einer Seitenlänge von 3,2 m ergibt, innen und außen mit Gemälden geschmückt wurden. Auf der Außenseite brachte Freyberger den englischen Gruß, auf der Innenseite die Geburt Christi und die Anbetung der drei Könige zur Darstellung. Die ganze Persönlichkeit des Künstlers, der ja damals auch das Barfüßertor bemalte, spricht dafür, daß diesen Bildern wohl ebenfalls die gute Fern Wirkung eigen gewesen ") Die Fuggerorgel der Ulrichskirche wurde 1608 gleichfalls von Güntzer im Auftrag der Familie Fugger renoviert. 9#) Der Fuggerschild und die beiden Engel waren nicht von ihm entworfen. 94) Möglicherweise ist auch die Engelsgruppe auf der Ulrichs­ orgel ein Werk Paul Mairs.

43 sein mag, wie sie Friesenegger für die Gemälde der 1608 ge­ bauten und bemalten Ulrichsorgel konstatiert, in denen er in treff­ sicherer Weise die künstlerische Oberleitung Kagers vermutet.95) Weiter schmückte Freyberger nach dem Vorbiide Kagers die Orgelflügel unten und zu beiden Seiten noch mit einer Reihe von zehn lebensgroßen Engeln, die auf Wolken saßen und ver­ schiedene Musikinstrumente hielten, ein sehr beliebtes Kager’sches Motiv. Auch waren zu beiden Seiten noch vier Feldungen mit bildlichen Darstellungen ausgefüllt. Alle Bilder waren in Öl ge­ malt, mit „. . schönen frischen . . guetten“ Farben. Freyberger erhielt für seine ganze Arbeit 525 fl. Im Jahre 1698 wurde die Orgel von ihrem bisherigen Platze weggenommen und „sambt dem Musik Chor“ auf den „sauber ausgearbeiteten Toxal“ oder oberen Sängerchor gebracht, der noch heute in seiner ganzen Aus­ dehnung die beiden Eingangstüren überzieht.96) Angefügt möge noch werden, daß die sieben Pfeiler, die heutzutage verhältnismäßig kahl und nackt auf dem weiten Boden stehen, nicht nur mit all den genannten Altar- und Bildwerken geziert waren, sondern daß von ihnen zu den Wänden einst auch eine lange Reihe von Kirchenstühlen überleitete. Sie wurden in dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, kurz vor 1709, weg­ genommen und durch ein neues, „braites“ Gestühl ersetzt, das in reicher und feiner Holzschnitzarbeit gehalten war und einen be­ deutenden finanziellen Kostenaufwand erforderlich gemacht hatte.97) 9b) Die vorstehenden Feststellungen dürften gezeigt haben, daß für die Gemälde der Ulrichsorgel, deren ausführende Arbeit Friesenegger dem Faßmaler Elias Greuter aus Weilheim zuschreibt, auch Freyberger in Frage kommen könnte, s. Friesenegger-Hofmiller, Die St. Ulrichsorgel, S. 431 Augsb., 1903. 96) Akten betr. die Reparatur der Fuggerkapelle und Fuggerorgel in der Dominikanerkirche von 1612—1655.' Akten des Fuggerarchivs, Fach 79, 1; s. hier insbesondere den im Anhang beigegebenen Vertrag über die Bemalung des Orgel­ werkes in der Dominikanerkirche zwischen Philipp Eduard und Marx Fugger und dem Augsburger Maler Hans Freyberger vom 13. V. 1614 und den Vertrag der Fuggerschen Stiftungsverwaltung mit dem Augsburger Orgelbauer Marx Güntzer über die Reparatur der Orgel vom Juni 1612. — Kopialband der „Fuggerischen gemaine Stiftungen betreffent in der statt Augspurg. auch dero gemaine raittungen“ von 1606—1616. Fasz. 5, 1, 4 des Fuggerarchivs; Pez, Inv., S. 202; Welz-Ruef, Bd. III, S. 24/5/7. 97) Pez, Inv., S. 204.

44 Soweit die Geschichte der Augsburger Dominikanerkirche bis zur Zeit der Säkularisation.98)

ra. Die Dominikanerkirche in der Zeit von 1803—1914. 4gfeuf die Durchführung der Säkularisation des Klosters im beJPl* sonderen soll an dieser Stelle, dem Zwecke der ganzen Arbeit entsprechend, nicht näher eingegangen werden.99) Interessieren dürfte lediglich die Tatsache, daß der ganze Kloster­ besitz, soweit er außerhalb der Stadt lag, dem Staate und, soweit er von den Stadtmauern umschlossen war, der Stadt Augsburg zufiel.100) Nach einer gleichzeitigen Schätzung von P. Oßler erhielt Bayern auf diese Weise Vermögenswerte im Betrage von 1 100 000 fl und die Stadt, die Klostergebäude nicht eingerechnet, solche in Höhe von 28000 fl.101) Den klösterlichen Verein ließ die Stadt zunächst noch als solchen bestehen, wie sie auch seinen Mitgliedern den Aufenthalt im Kloster und die Ausübung des Gottesdienstes noch bis auf weiteres gestattete, um den schroffen Übergang doch durch einige mildere Maßnahmen auszugleichen. Als jedoch 1806 auch die Stadt bayerisch wurde und damit der ihr 1803 zu­ gesprochene Klosterbesitz, fielen auch diese Milderungen weg und bereits 1808 mußten die Mönche dauernd ihr altes Heim verlassen, das nunmehr einer anderweitigen Zweckbestimmung entgegengeführt wurde.102) Die Klostergebäude vermietete man anfangs an einige 98) Auch wurde der ganze Fußboden, der bis dahin tiefer als die vor­ beiführende Straße lag, 1709 unter vielen Kosten höher geführt und mit weißen Solenhofer Steinen, die der bereits bekannte Klosterbruder und Bildhauer Bernhard Haibel zurichtete, gepflastert. — s. Pez, lnv., S. 204/5. ") Die nachfolgenden Ausführungen sind in der Hauptsache dem in der Verwaltungsregistratur verwahrten Magistratsakt «1268, Dominikanerkirche, Fach 23 C A> entnommen. Die anschließenden Zitate sind, soweit ihnen ein besonderer Lagerort nicht beigefügt ist, darauf zu beziehen. lö°) Braun PI., Gesch. d. Dom. Kl., S. 18*. Dr. Dirr, Dominik. Kirche, Halbs. 1. 301) Braun PI., Gesch. d. Dom. Kl., S. 18*. 102) Braun PI., etc., S. 19^ u. *. Dr. Dirr, etc., Halbs. 2.

45 Handwerker, wandelte sie aber bald darauf in eine Versorgungs­ anstalt für arme, alte Leute und in ein Erziehungsheim für arme Kinder um108), Institute, die noch in der Gegenwart bestehen. Die Kirche selbst wurde in der Folgezeit den Ansprüchen des Ge­ schäftslebens in einer Weise dienstbar gemacht, die eine durch die Umstände wirklich nicht gebotene Entweihung des Gottes­ hauses bedeutete. Sie fand abwechselnd als Weinlager, Magazin für Marktbuden, als Militärdepot, Strohmagazin, Holzlege für die Armenpflege, als Lagerort für Dultgegenstände 104) u. a. Verwendung und wurde 1837 von der Stadt zu dem Preise von 6000 fl als ein „so großes und an Baumaterialien reiches Gebäude“ wieder zurückgekauft.105) Das städtische Baubüro trug sich damals sogar mit dem Gedanken, eine Niederlegung des ganzen Gebäudes vorzuschlagen, wofür schon ein Kostenvoranschlag ausgearbeitet war.106) Glücklicherweise aber kam es nicht so weit, da der Stadt­ magistrat lediglich dafür zu haben war, den Oberbau abtragen zu lassen.107) Auch fand das zwei Jahre später vom Bauamt in Vorlage gebrachte Projekt, den Kirchenraum nach dem Beispiel der Markthalle in Brüssel in eine gedeckte Markthalle umzubauen und ihre Außenwände mit Galerien zu versehen, nicht die Billi­ gung der Stadtbehörde, da man anderweitig mit den Markthallen ungünstige Erfahrungen gemacht hatte.108) Gegen die 70 er Jahre zu aber traten allmählich auch ästhe­ tische Gesichtspunkte in den Vordergrund. Bürgermeister Fischer holte 1869 ein Gutachten des Bauamts über die kunstgeschicht­ liche Bedeutung der Kirche .'ein, in dem sich letzteres auf den Standpunkt stellte, daß die innere Kirchenhalle nebst den schönen Kreuzgewölben doch erhalten bleiben sollte und so faßte denn der 10#) Braun PI., etc., S. 19i. 104) s. auch die vorige Ziffer und den unter Ziffer 99 gen. Akt an ver­ schiedenen Stellen! 106) Schreiben des kgl. Rentamts Augsburg an den Stadtmagistrat vom 28. IV. 1836 und Reskript des kgl. Staatsministeriums d. Finanzen v. 15. II. 1837. 106) Bericht des Stadtbaubüros über den baulichen Zustand der Kirche vom 26. VII. 1866. 10T) Signatum des Bürgermeisters Fischer v. 15. XI. 1866. 108) Signatum des Stadtbaubüros vom 25. III. 1868; Mag. Beschluß vom 11. IV. 1868.

46 Stadtmagistrat noch im gleichen Jahre den Beschluß, lediglich die drei an die östliche Chormauer angebauten, vom Stadtbaubüro als baufällig bezeichneten Kapellen und das hohe Kirchendach abtragen und dieses durch ein einfaches, 20 Schuh hohes Schieferdach er­ setzen zu lassen, was zusammen 5300 fl gekostet hätte.109) Doch gelangte auch dieses Projekt zum Glück nicht zur Durchführung, da das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten gegen den Abbruch der genannten Kapellen, die mit wenig Kosten wieder hergestellt werden könnten, und gegen eine Abnahme des Kirchendachstuhles war, der sich in vorzüglicher baulicher Verfassung befinde.110) Beachtenswert ist, daß zu dem gleichen Ergebnis späterhin auch ein Gutachten des Stadtbauamtes führte.111) Gleichzeitig stellte das Kollegium den Gegenantrag, überall in der Kirche die ent­ sprechenden Reparaturen vorzunehmen und überhaupt über das ganze Gebäude, das vielleicht doch noch einmal einem besseren Zwecke zugeführt werden könne, eine sorgfältige bauamtliche Aufsicht zu führen.12) Die notwendigsten Ausbesserungsarbeiten wurden darauf zwar in den 70 er Jahren fortgeführt, doch war damit anscheinend der Sache nicht allzuviel gedient und herauf bis zum Jahre 1890 geschah nur wenig für eine genügende Instand­ haltung des Baues. Er diente auch zu dieser Zeit immer noch als Aufbewahrungsort für alte Requisiten und Baumaterialien.113) Der bauliche Zustand der Kirche verschlimmerte sich so immer mehr. 1891 fehlten bereits alle Scheiben in den Fensteröffnungen und mußte allein zwecks Ausbesserung des Daches und Weg­ räumung des Schuttes und Staubes, der auf den Grüften und dem Fußboden lag, ein Kredit von 3550 Mark angefordert werden.114) Es ist daher leicht begreiflich, wenn das Haus Fugger, das schon 1859 die Gebeine seiner in der Kirche ruhenden Familien­ mitglieder nach St. Ulrich hatte überführen lassen, in der Mitte 109) Baubüros 110) in)

Signatum des Bürgermeisters Fischer vom 22. VII. 1869; Bericht des v. 14. X. 1869; Mag. Beschluß v. 16. X. 1869. Beschluß des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten vom 9. XL 1869. Bericht von Stadtbaurat Holzer vom 6. IV. 1913. s. Ziff. 110! n*) Signatum des Stadtbaubüros vom 17» L 1873; Bericht des Baubüros vom 14. XI. 1890. 114) Bericht des Baubüros v. 15. IX. 1891 u. Mag. Beschluß v. 3. X. 1891.

47 der 90 er Jahre mit Genehmigung des Stadtmagistrates auch noch seine beiden in der Fugger’schen Kapelle der Kirche befindlichen Epitaphien wegnehmen und gleichfalls ins Ulrichsmünster ver­ bringen ließ.115) An dem guten Willen der verschiedensten Kreise, in diesen Dingen eine Änderung zum Besseren herbeizuführen, fehlte es freilich auch damals nicht. Die verdienstvollen Be­ strebungen des Historischen Vereins von Schwaben und Neu­ burg, der an Epitaphien und sonstigen Einzelstücken für das Maximiliansmuseum zu retten suchte, was noch irgendwie Wert be­ saß, auch des öfteren für eine bessere Verwendung des Gebäudes eintrat116), und das warme Interesse, das auch jederzeit die beiden städtischen Kollegien einer Wiederinstandsetzung des Kirchen­ baues, dessen Inneres damals ein „unbeschreibliches Bild der Zer­ störung“ bot, entgegenbrachten117), konnten allerdings zunächst noch nicht über den Mangel der für eine Gesamtkiichenrenovatur er­ forderlichen Mittel hinweghelfen, die das Bauamt im Jahre 1902 auf 110000 Mark veranschlagte118) und so blieb das ganze Programm wiederum auf weitere Jahre hinaus zurückgestellt. Die Bauschäden nahmen aber dabei einen immer bedenklicheren Charakter an und 1909 mußte für die Vornahme der unerläßlichen Spenglerarbeiten und Mauerreparaturen wie für die Erneuerung der in reichen und feinen Empireformen gehaltenen Eingangstüren, die sehr stark heruntergekommen waren und von dem hiesigen Bildhauer Hein­ rich Zinkei mit viel Sorgfalt und Geschick ausgebessert wurden, erneut ein Kredit von 7000 Mark genehmigt werden. In ähnlicher Weise hoffte man auch in den nächsten Jahren noch mit diesem System der kleineren Mittel auskommen zu können. Gleichwohl aber gab man den Plan einer durchgreifenden Gesamtrenovatur nicht auf.119) Nur wollte man sie der Art der künftigen Ver116) Schreiben d. Fürsten Karl Fugger an den Stadtmagistrat v. 21. IV. 1894. 118) Schreiben des Historischen Vereins von Schwaben und Neuburg an den Stadtmagistrat v. 22. XI. 1890, 6. VI. 1891 und 19.V. 1900. 117) s. den unter Ziff. 99 gen. Akt an verschiedenen Stellen, insbesondere auch den Antrag der Gemeindebevollmächtigten Abel, Dumler, Stempfle, Kusterer und Gollwitzer an das Gemeindekollegium v. 2. V. 1900! 1J8) Signatum des Stadtbaubüros v. 29. XII. 1902. n#) Bericht des Stadtbauamts vom 29. IV. 1909 und Mag. Beschluß vom 1. VI. 1909. Neue Augsburger Zeitung vom 12. XI. 1909, Nr. 263.

48 wendung der Kirche anpassen, eine Frage, die eine lebhafte Meinungs­ verschiedenheit auslöste und die Streitenden zuletzt in zwei Haupt­ gruppen schied, von denen die eine mehr praktische, die andere mehr ideelle Gesichtspunkte bereits bekannter Art in den Vorder­ grund rückte. Über all dem Streit aber wurde zunächst nur erreicht, daß man die Mietverhältnisse in den Seitenkapellen kündigte.120) In der Hauptsache aber kam man nicht wesentlich vorwärts. Auch der berechtigte Hinweis Dr. Dirrs, daß der bayerische Staat, der seinerzeit aus der Säkularisation des Klosters die größeren Vor­ teile gezogen und daher die moralische Verpflichtung habe, einen Teil der Renovationskosten auf sich zu nehmen121), brachte keine staatliche Beihilfe und so ist es denn leicht verständlich, wenn Georg Mader 1911 in zutreffender Wiedergabe der in der Augs­ burger Bürgerschaft herrschenden Stimmung dasVerslein schrieb: Wie nötig war hier ein Mäzen! Doch, lieber Gott, wo findt man den?

Eine derartige Lösung der schwierigen Frage war allerdings die einfachste und sie fand sich wider aller Erwarten denn auch tatsächlich schon sehr bald in der eben bezeichneten Richtung.122) Wie seinerzeit im Jahre 1513 der Neubau der Kirche in erster Linie nur durch die Freigebigkeit der Augsburger Bürgerschaft ermöglicht worden war, so hatte man genau 400 Jahre später, im Jahre 1913 ihren damals ernstlich gefährdeten Fortbestand als kirchliches Kunstwerk wiederum nur dem altbekannten Augs­ burger Opfersinn zu verdanken, als Gutsbesitzer Hugo Ritter von Förster für die Zwecke der Wiederinstandsetzung des Gottes­ hauses die ansehnliche Summe von 200000 Mark seiner Vaterstadt zur Verfügung stellte.128) Der Stifter, der damit die Zahl der reichen Forster’schen Familienstiftungen um ein neues Glied erweiterte, 12°) Bericht des Stadtbauamts v. 24. I. 1910; Bericht des Stadtmagistrats an die kgl. Regierung v. 18. III. 1910; Antrag des Mag. Rats Gg. Neumeier an den .Stadtmagistrat vom 15. II. 1911 und Bericht von Stadtbaurat Holzer vom 22. VII. 1912. 121) Dr. Dirr, Dominik. Kirche, Halbs. 13. Mader Georg, Unser Städtle, Augsburg, 1913, S. 27. m) Schreiben von Gutsbesitzer Hugo Ritter von Förster in Klingenburg an den Stadtmagistrat Augsburg v. 14. VIII. 1913.

49 darf für das damit bekundete b- sinnige Mäzenatentum des dauernden Dankes der Augsburger Bürgerschaft versichert sein. So war es möglich, noch im Oktober 1913 den Betrag von 144000 Mark für die Restaurierungsarbeiten zur Verfügung zu stellen124), die bald darauf unter der kunstverständigen Leitung * von Stadtbaurat Holzer einen raschen Fortgang nahmen und bereits lim Herbst 1914 vollendet werden konnten. Die Decken­ gemälde, von denen zwei nach alten Stichen vollständig er­ neuert werden mußten, restaurierten die Kunstmaler Gebrüder Haugg in Ottobeuren, die vier Kaiserepitaphien der Stein­ metzmeister Göschei aus Nürnberg und die Frührenaissance­ malereien in der Sakristei der Kunstmaler Vogt aus München.125) Bei diesen Arbeiten verfuhr man mit möglichster Anlehnung an das Überkommene. Auch die Gitter, die die hiesigen Fir­ men L. A. Riedinger, H. Göbel und G. Ingeduld besorgten, sind nach Alt-Augsburger Motiven gearbeitet126), ebenso die Ritter Hugo von Förster zu Ehren errichtete Gedächtnistafel, die Bildhauer Joseph Köpf in München nach einem Entwürfe von Stadtbaurat Holzer fertigte und in der Johann Jakob Fugger’ sehen Kapelle (IX) an der Ostwand angebracht ist127). Über den Kunstwert all dieser Arbeiten, die nach dem Willen des Stifters ihren Verfertiger als Künstler in seinem Fache zeigen sollen128), wird eine spätere Zeit, die diese Leistungen mehr aus der Perspektive sieht, wohl ein besseres Urteil fällen können als es die Gegenwart vermag. Das eine aber läßt sich heute schon feststellen, daß der Stifter, der mit der Restaurierung der Kirche seiner Vaterstadt nach seinen eigenen Worten „in möglichst weitem Umfange eine Sehenswürdigkeit, einen An­ ziehungspunkt für Fremde und Einheimische“ schenken wollte129), dies in vollem Umfange erreicht hat. Denn darüber herrscht 124) Plenarbeschluß des Stadtmagistrates v. 27. IX. 1913. | 125) Bericht des Stadtbauamts v. 11. XI. 1914, S. 6/7. 128) s. die vorige Ziffer u. Notiz der N. Augsb. Ztg. v. 29. II. 1916, Nr. 49. 1,T) Bericht des Stadtbauamts v. 24. XI. 1914. 1M) Desgleichen v. 21. III. 1915. 129) Schreiben von Gutsbesitzer Hugo Ritter von Förster an den Stadt­ magistrat v. 26. VI. 1914.

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50

allgemeine Übereinstimmung, daß die Wiederherstellung des herr­ lichen Kircheninnem allen Erwartungen entsprochen hat, die man darauf setzte, und daß die Stadt Augsburg damit um ein weiteres ausgezeichnetes Denkmal seltener Eigenart reicher geworden ist, wie es nur wenige Städte mehr besitzen.

Innenansicht der Kirche in ihrer jetzigen Gestalt.

Anhang:

Urkunden, 1.

1614. Mai 13.

Vertrag über die Bemalung des Orgelwerkes in der Augsburger Dominikanerkirche zwischen Philipp Eduard und Marz Fugger und dem Augsburger Maler Hans Freyberger.1)

Zuewissen, daß auß beuelch der wolgebornen herren herren* Philippsen Eduardts vnnd herren Marxens der Fugger, freyherren zue Kürchberg vnnd Weißenhoren, als administratorn der gemainen Stiftungen des Fuggerischen geschlechts dero verwalther der fuggerey alhie, der ernhafft Mattheus Krinner ains, sodann der erbar Hannß Freyberger burger vnd maaler alhie anders tails wegen der Fuggerischen orgel in der dominicaner oder predigerkhürchen alhie sich nachvolgender gestallt verglichen hat: Erstlich ist abgehanndlet worden, daß ermelter Freyberger dz Fuggerische wappen sambt den zwayen englen, welliche das­ selbe halten, von schönen frischen Ölfarben machen, die haarfligel aber vnd andere gezürde mit guettem feinem gold matt faßen soll, gleich wie die hieriber vnd anderer nachvolgender puncten halb gestöllte visier mit mehrerem zuerkhennen gibt. *) Akten betr. die Reparatur der Fugger-Kapelle und Fuggerischen Orgel in der Dominikanerkirche von 1612—1655. Fach 79, 1. F. A. A. 4*

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Zum andern soll er Freyberger den khasten, darinnen daß pfeiffenwerckh ist, innwendig mit schöner hocher wasserblawer färb anstreichen. Fürs dritte soll daß gantz werckh oben, vnnden vnnd an der seitten, wie nit weniger auch daß g i 11 e r (außerhalb der fligel vnd anderer bilder) von schönen frischen Wasserfarben, als bleyweyß, blaw, rodt vnd grien, wie es die notturfft erfordern würdt* aufs zierlichiste, vleißigiste vnd gewürlichiste gefast werden. Vierttens soll obbemeltes werckh an den orthen, wölliche in der vißier vnd gelber färb gezaichnet seindt, durchauß mit guetem geschlagenem feinem gold vleißig, sauber vnd matt verguldet werden. . Zum fünfften soll an beede fliglen außerhalb der englische grueß, innwendig auer die geburtt Christi auf ainer vnd auf der andern seitten die hailige drey khönig, wie sie daß opffer bringen, von schönen frischen Öl­ farben vleißig vnd sauber der vbergebenen vißier gemeß gemalt werden. Für das sechste sollen vnden an dem werckh herumb vnd an beeden fliglen 10 kindlen oder engelen mit vnderschiedlichen instrumenten in wolckhen sitzendt von guetten Ölfarben vleißig vnd sauber gemacht werden. Für vnd vmb solche hieobens specificierte arbait vnd vncosten, so diß werckh in allem mit mahlen, vergulden, anstreichen vnd faßen erfordert, nichts vberal außgenomen, hat in namen vnd anstatt wolgedachter herr Fugger ermelter Mattheus Krinner dem Freyberger versprochen, daß ime 525 f 1 rheinisch inn müntz bezalt werden sollen, damit der Freyberger sich beniegen laßen vnd weitter nicht daß geringste vnder dem schein erlittenen schaden vnd nachtails fordern soll noch will, gethreulich sonders gefäerde. dessen zue warer vrkundt sendt hieriber zween gleich­ laufende brieffe vnder deß Krinners vnd Freybergers aigner handt subscription vnd iren aufgetruckhten pettschafften verförttigt worden, deren jeder ainen zue handen genomen. geschehen in Augspurg den dreyzehendten tag mayo deß sechtzehenhundert vnd vierzehendten jhars.

2.

1612. Juni..

Vertrag über die Renovatur der Orgel in der Domini­ kanerkirche zwischen Philipp Eduard und Marz Fugger und dem Augsburger Orgelmacher Marz Güntzer.1)

Zuwissen, das auß beuelch der wolgebornen herrn herrn Philippsen Eduards vnd herrn Marxens der Fugger, freyherrn zue Kirchberg vnd Weissenhorn, alß administratorn der gemainen stifftungen des Fuggerischen geschlechts dero Verwalter der fuggerey alhie, der ehrnhafft Matheus Kriner eins, so dann der erbar Marx Güntzer, burger vnd orgelmacher alhie in Augspurg anders theils wegen emewerung, verbößerung vnd Zurichtung der Fuggerischen orgel in der dominicaner oder predigerkirchen alhie in persönlicher gegenwartt des ehrwürdigen herrn Gregory Aychingers, vicarii des thuembstiffts alhie, vnd des ehrnhafften Christiani Erbachs, Organistens alhie, sich nachvolgender gestalt verglichen hat: Für das erste soll gedachter Marx Güntzer die jetzige Fuggerische orgel in ermelter kirchen, wie dieselbige derzeit beschaffen, vf seinen aignen vncosten abbrechen vnd nach hauß füeren lassen. Zum andern, demnach dis orgelwerck auf den rechten chorthon zurichten, auch die drey vnderiste claues als das groß CDE in das manual zemachen, weliches vber das alte stimbwerck noch vier grosse vnd über die 40 andere pfeiffen von newem zuezerichten erfordert, damit dis werck noch mehr als vmb ein J) Akten betr. die Reparatur der Fuggerkapelle und Fuggerischen Orgel in der De ininikanerkircbe v. 1612—55. Fach 79, 1. F. A. A.

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ganzen tertz tieffer vnd grauitetischer, auch zur musica bequemer lautten thüe, alß soll ermelter Güntzer solliche pfeiffen alle vnd jede machen vnd zurichten. SeitenmainA) auch das alte orgelwerck im manual die register hat wie volgt, als erstlich ein principal, zum andern ein vordeck, fürs dritte ein octaua, vierttens ein mixtur, zum fünften ein zimbel, für das sechste rauschpfeiffen oder regal, im pedal ein niderfe copel, zum andern posaunen, zum dritten ein octaua, dann andere stimbwerck seind im manual angehengt, so dann ein ruckh positiu hats vier register, als ein claui, principal, ein octaua, ein mixtur vnd cimbel wie nit weniger ein tremulanten, auch vogelgsang vnd hörbaucken, mit wellichen pfeiffen das corpus also oberfüllet, das die obbegriffne newe pfeiffen der gestallt nit blatz haben würden, als soll fürs dritte der Güntzer ein gantz newen kästen zum orgel­ werck machen vnd dessen vndere corpus also erweittern, das ins konfffig neben dem Organisten etliche musici blatz haben mögen, darauf ein solliches corpus sowohl die obbedingte new als auch andere pfeiffen, so von alters da gewesen vnd von ihme der nottturfft nach auszubutzen vnd wo vonnötten zuuerbössern sendt, richten, überdis auch wegen der pfeiffen souil zellen, ventil födern vnd wintladen machen, wie es die notturfft erfordern wirt, damit also dis gantze werck der hierüber insonder­ heit gestelten vnd von dem Kager maler verbößerten visier (vßerhalb des fuggerischen schilts vnd zwayer darneben sitzender engel, so insonderheit verdingt worden) allerdings gleich seye. Zum viertten hat ernanter Güntzer zugesagt vnd versprochen, das er dis werck oberzelter maßen mit böstem vleiß vnd also zu­ richten wolle, das es einen gueten langwürigen bestand haben soll. Für vnd vmb alle solliche hieobens specificierte arbeit vnd vncosten, so diß gantz orgelwerck in allem an zün, bley, wißmet, messin, eysen, löder, leim, holtz vnd anderm, so dan auch in abbrechung vnd wideraufrichtung desselben erfordern wirt, nichzig als allain dz fuggerisch wappen vnd die zween engel vnd den casten zemahlen außgenumen, hat in 1) = sintemal.

55 namen vnd an statt wolermelter ihrer g: g: der herrn Fugger gedachter Matheus Kriner dem Güntzer versprochen, das ihme in allem 680 fl reinisch in müntz bezalt werden sollen, dessen zu warer vrkundt seindt hierüber zwen gleichlautende briefe aufgerichtet worden, welliche nit allein obbenambste Kriner vnd Güntzer, sondern auch der herr Aichinger vnd Erbbach mit aignen handen vnderschriben vnd denselben ihre pittschafft aufgetruckt haben, hierauf hat den ainen brief der Kriner, den andern aber der Güntzer zuhanden genomen. geschehen in Augspurg den . . juny a4 1612.

Ergänzungen«

Seite 11, Zeile 22/3: Der auf dieser Seite noch genannte westliche Arm des Kreuzganges wurde 1511 im Bau begonnen und 1512 vollendet. Seite 19, Zeile 13: Mit dem Auftakt zum Rosenkranz sind es 16 Deckengemälde.

Nettes zum Bauernkrieg von 1525 im Gebiet des ehern. Reichsstilts Roggenburg. Von Reallehrer Dr. Franz Bader, Frankenthal.

Über den Verlauf des Bauernkrieges im ehemaligen Stift Roggenburg sind wir ziemlich gut unterrichtet. Einmal haben wir die „rustica seditio“ des Jakob Holzwart, der um 1530 lateinischer Schulmeister in Roggenburg war. Außerdem berichtet uns über jene Zeit und Gegend der St. Leonhards-Kaplan Nikolaus Thoman aus dem dem Kloster benachbarten Städtchen Weißenhorn, der während des zweiten Ansturms der Bauern auf Weißenhorn viele Klosterherren beherbergte und über die Verhältnisse im genannten Kloster recht gut orientiert gewesen zu sein scheint. Auf Grund dieser beiden Quellen, zu denen noch Baumanns „Akten zur Ge­ schichte des deutschen Bauernkrieges aus Oberschwaben“ und die in der Zeitschrift des Historischen Vereins in Augsburg (1879—1883) abgedruckte „Korrespondenz des Schwäbischen Bundeshauptmanns Ulrich Artzt von Augsburg a. d. Jahren 1524 und 1525“ von Dr. W. Vogt kommen, gab der für die geschichtliche Erforschung Roggenburgs und Weißenhorns hochverdiente f Geistl. Rat Holl von Weißenhorn seine Abhandlung „Das Prämonstratenser Reichs­ stift Roggenburg im Bauernkrieg von 1525“ (Beilage zur Augsburger Postzeitung, 189.1, Nr. 29 und 30) heraus. Indes kann Holl bei Zugrundelegung der genannten Quellen nur spärliche Nachrichten über das Nachspiel der sozialen Be­ wegung bringen. Er weiß nur, daß der Abt seine Untertanen je nach Verschulden um 100, 80, 50, 30, 20, 5 oder 4 Gulden strafte; außerdem kennt er nur das Schicksal einiger „großen Federhansen und Rädelsführer“. Man wird sich nun naturgemäß fragen, ob Holl nicht daran gedacht hat, daß für die Klosteruntertanen ein Strafbuch an­ gelegt worden sei. Das läßt sich schwer sagen. Nun finden sich

58 aber bei Radlkofer, „Johann Eberlin von Günzburg und sein Vetter Hans Jakob Wehe von Leipheim“, an mehreren Stellen (S. 320, 368, 400 f.) Hinweise auf das verlorene Strafprotokoll der Roggen­ burgischen Untertanen. Radlkofers Buch hat Holl wohl gekannt und benutzt'und es ist kaum anzunehmen, daß einem Manne von solcher Gründlichkeit diese Notizen entgangen wären. Jedenfalls hat er mit Radlkofer das Protokoll für verloren erachtet. So ist nun einmal des Schicksals Tücke: kaum fünfzig Meter von Holls Pfarrhof in Weißenhorn entfernt führte das Strafbuch unter andern verstaubten Folianten ein schlummerndes Dasein und das Schicksal ließ es nicht in die Hände des arbeitsfreudigen Forschers gelangen. Das Interesse für das historisch interessante Schriftstück er­ wachte erstmals gründlich in mir, als ich bei meinen historischen Liebhabereien als Student in Erlangen im Jahresbericht des Histo­ rischen Vereins für Schwaben und Neuburg (1842/43, S. 79), auf dem auch die Radlkoferschen Notizen beruhen, las, daß vom ehe­ maligen Kloster Roggenburg noch Strafprotokolle aus der Zeit des Bauernkriegs vorhanden seien. Die Frage war jetzt nur: Wo sind sie jetzt? Die Notiz bewies mir zunächst unzweifelhaft, daß sie um 1840 noch vorhanden waren. Aber seit der Notiz im genannten Jahresbericht scheint kein Geschichtsforscher mehr die Protokolle gekannt oder benützt zu haben. Namhafte Forscher, wie der schon genannte Radlkofer, hielten sie für verloren. Leider war die Notiz im Jahresbericht von 1842/43 von unbekannter und längst im Grabe modernder Hand, ihren Verfasser konnte mir auch der Historische Verein von Schwaben und Neuburg nicht angeben und so war die Auffindung der Strafprotokolle mit Hilfe jener Notiz so gut wie unmöglich. Aber das Interesse für sie war nun einmal nachhaltig geweckt und inmitten all meiner Bemühungen um die Wieder­ auffindung der Protokolle fiel mir ein, daß mein Vater mir in meinem Knabenalter schon erzählt hatte, er habe bei Erledigung von Geschäften als Vormund in einem Gang des Amtsgerichts Weißenhorn unter anderm auch ein Buch gesehen mit der Auf­ schrift „Strafprotokolle vom Bauernkriege“. Diese Versicherung, die ich anfänglich in Zweifel gezogen hatte, war jetzt mein einziger Rettungsanker. Ich fragte beim k. Amtsgerichte Weißenhorn an und in der Tat konnte mir Herr Oberamtsrichter Esser das Vor-

59 handensein der gewünschten Protokolle bestätigen. Heute ist der wert­ volle Band dem K. Allgemeinen Reichsarchiv in München einverleibt. Die Spur zu dieser ich möchte sagen fast zufälligen Auf­ findung der Protokolle hätten übrigens die Historiker auch auf dem Wege logischen Kombinierens finden müssen. Für den Geschichtsforscher, der auf Grund der Notiz von 1842/43 an die Aufsuchung der Protokolle herantritt, bieten sich nach meiner Meinung im wesentlichen nur folgende Möglichkeiten: einmal könnten die Protokolle in Privathände gekommen sein; an eine Wiederauffindung ist in diesem Falle wohl nicht zu denken. Dann aber könnten sie bei Aufhebung des Klosters entweder ins Pfarrarchiv Roggenburg oder ins Kreisarchiv nach Neuburg a. D., oder endlich in das Landgericht Roggenburg und bei dessen Aufhebung naturgemäß ins Amtsgericht Weißenhorn gekommen sein. Jede weitere Möglichkeit ist ausgeschlossen und eine der genannten trifft wirklich zu. Es ist das wiederum ein Beweis dafür, wie sich auch in der Geschichtswissenschaft bei richtigem Kombinieren im Auf­ suchen verloren geglaubter Schriften mehr erreichen ließe, als man gemeinhin annimmt. Nach ihrem Äußern sind die Strafprotokolle ein Folio­ band mit 105 Blättern, wovon 93—95, 101 —105, ebenso wie 4 Vorsatzblätter unbeschrieben sind. Sie bestehen aus vielen Hunderten von kurzgehaltenen Einzel­ protokollen. Es kommen folgende 32 Orte vor: Meßhofen, Biberach, Schießen, Unteregg, Ingstetten, Schleebuch, Breitenthal, Oberried, Zaiertshofen, Morenhausen, Tafertshofen, Flissen, Seifertshofen, Ebershausen, Nattenhausen, Kettershausen, Bebenhausen, Ober­ wiesenbach, Oberegg, Unterwiesenbach, Sausenthal, Hilbertshausen, Deisenhausen, Blaichen, Rennertshofen, Friesenhofen, Christertshofen, Ebersbach, Nordholz, Halbertshofen, Engenhofen, Dieters­ hofen. Wie schon der Titel „Strafprotokolle“ sagt, geben uns diese Aufzeichnungen vorzugsweise Aufschluß über die den stiftischen Untertanen auferlegten Strafen; die Besprechung derselben soll auch das Hauptthema vorliegender Abhandlung bilden. Doch finden sich in den Strafbegründungen, soweit solche vorhanden sind, manche interessante Einzelheiten, von denen uns die ein-

60 leitend genannten Quellen nichts berichten. Es helfen uns also die Protokolle nicht bloß das Nachspiel sondern auch den Verlauf des Aufstandes in manchen Punkten wesentlich ergänzen. Was über den Verlauf des Bauernaufstandes im Gebiet der Herrschaft Roggenburg bisher unbekannt war, soll daher hier ebenfalls Er­ wähnung finden. Der Chronist Nikolaus Thoman berichtet, daß Bauern au£ dem Roggenburger Gebiet am 18. Februar zu Weißenhorn zusammengekommen seien. Er sagt: „Am 18. Tag Februarii (Samstag vor Sexagesima) versammelten sich etliche Bauern, so dem Gotteshaus Roggenburg zugehörig waren, hie zu Weißenhorn in einem Wirtshaus, hatten ein Gespräch miteinander, als ob sie miteinander trinken. Da machten sie einen Anfang ihres Unglücks. Es suchte ein Haufe bei dem anderen Rat. Die nicht mit ihnen sein wollten, denen wollten sie die Gemeinde verbieten, Pfähle vor die Häuser schlagen und diese verbrennen. Und welcher in ihre Bruderschaft wollte, der mußte 2 Kreuzer geben einzuschreiben.“ Kurze Zeit später sagt er: „Item am 18. Tag Februarii versammelten sich die Bauern aus allen Flecken, was zu Roggenburg gehöret, hie zu Weißenhorn in einem Wirtshaus, machten einen Anschlag und Konspiration. Es war die gemeine Sage und Geschrei, daß der Bauern allenthalben wohl an 300000 wären.“ Wie nun aus den Strafprotokollen hervorgeht, war 4 Tage später, am Mittwoch vor Estomihi (22. Februar, nicht 22. März, wie der Jahresbericht von 1842/43 und nach ihm alle andern sagen), schon wieder eine Bauernversammlung. Dieselbe fand in Clausen Mayers Haus statt. Wie aus einer andern Stelle bei Thoman (Quellen S. 224) hervorgeht, lag dieses Haus, offenbar ein Wirts­ haus, in der oberen Vorstadt. Als einziger Teilnehmer an dieser Versammlung war bisher nach der mehrfach erwähnten Notiz im Jahresberichte des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg nur Lienhardt Keller1) von Meßhofen bekannt. Durch die Proto­ kolle erfahren wir nun auch die Namen von anderen Roggen­ burgischen Untertanen, die an der Versammlung vom 22. teilnahmen und deswegen schwerer bestraft wurden. Es sind dies: *) Die Notiz und nach ihr Radlkofer, Holl usw, schreiben fälschlich Teller. Der Name lautet in den Protokollen zweifellos Keller.

61 Von Meßhofen Christian Henselmann, Claus Mayr, Hans Schmiher (oder Schnicher). Von Biber ach Hans Hofmann, Hans Sporer, Hans Bichel, Bauer. In Clausen Mayers Haus haben die genannten, wie es in den Protokollen heißt, geratschlagt, „wie und welcher Gestalt sie die andern Bauern zusammenbringen und wider den Abt und das Gotteshaus handeln wollten“. Auch an anderen Orten kamen die Bauern zusammen um sich zu beraten. So ist wiederholt die Rede von dem Rat „im Sumpffen“ zu Ingstetten; der Ausdruck „im Sümpften“ existiert heute noch als Flurname in Ingstetten und ein in der Nähe befind­ licher Wald heißt das Sumpfgehau. Als Räte „im Sumpffen“ zu Ingstetten werden genannt Martin Mayr von Meßhofen, Theus Schmid und Balthus Moll von Biberach. Einfach als Räte zu Ing­ stetten, also ohne die Bezeichnung „im Sumpffen“, führen die Protokolle auf Urban Plost (Plest) von Breitenthal, Konrad Miller von Oberwiesenbach und Peter Thoma von Christertshofen. Da bei diesen Ingstetter Zusammenkünften der Zusatz „im Sumpffen“ öfters fehlt, können wir annehmen, daß wir es in dem genannten Dorfe mit verschiedenen Versammlungen zu tun haben. Holzwart, der, wie einleitend erwähnt, in lateinischer Sprache die Geschichte des Bauernaufstandes geschrieben hat, berichtet in der Tat, die Bauern seien mehrfach in Ingstetten zusammengekommen. In Schießen trafen sich die Bauern heimlich im Hause eines gewissen Hertl. Michel Hertl wird bestraft, weil „er und die anderen Bauern alle nächtlicher Weile in seinem Hause auf gewesen sind und geratschlagt haben, wie sie wider den Abt und das Gotteshaus sein wollten“. Von Wolff Schuster von Biberach heißt es, „daß er und andere hinterrücks der anderen Bauern in Hertls Haus zu Schießen geratschlagt hätten andere Bauern mit ihrem bösen Für­ nehmen aufzubringen“. Außer den beiden schon Genannten nahmen an der Besprechung in Hertls Haus teil Ludwig Thoma, Müller Claus, Heinrich Mayr und Hans Sayler, sämtliche von Schießen. Auch in Christertshofen sind die Bauern mehrfach zu­ sammengekommen. Theys Wenender ist „in den ersten Räten im Wirtshaus zu Christertshofen wider den Abt gewesen“ und Claus Prenner hat „am Berg samt etlichen geheimen Rat gehalten“.

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Öfters ist die Rede von Räten, ohne daß der Ort angegeben ist, wo sie sich hervorgetan haben. So wird Hans Schmiher (Schnicher) von Meßhofen als „sonder geheimer® Rat, Joseph Mayr von Schießen als Führer und Rat »und der obersten einer®, Ottmar Schmid von .Ingstetten als Führer und heimlicher Rat bezeichnet. Von Peter Thoma von Christertshofen heißt es, daß er außer im Rat zu Ingstetten auch in andern geheimen Räten gewesen sei. Wir sehen, fast überall fanden geheime Besprechungen statt, in denen die Erbitterung der erhitzten Gemüter noch mehr ge­ steigert wurde. An einen friedlichen Ausgleich mit dem Kloster war nicht mehr zu denken. Zwar versuchte der Ulmer Rat, unter dessen Schirmherrlichkeit das Kloster stand, zwischen dem Kloster und seinen Untertanen zu vermitteln und auch der nach Ulm ent­ flohene Abt Jodocus kehrte, als er manche seiner Bauern unent­ schlossen. und schwankend sah, zurück, ritt von Dorf zu Dorf und versprach den Bauern, ihnen, wenn sie ruhig blieben, das zu geben, was die umliegenden Nachbarn erlangen würden. Die Verhand­ lungen scheinen sogar fast bis Ende März gedauert zu haben, aber eine Einigung wurde nicht erzielt; den Bauern scheint es auch gar nicht darum zu tun gewesen zu sein, sondern sie erhofften vom Anschluß an die große Bauernbewegung im Lande viel mehr zu erreichen. Deswegen wurde unter den einzelnen Ortschaften ein reger Botendienst unterhalten um sich gegenseitig Rat zu leihen. Solche Boten waren: Urban Plost von Breitenthal, Theus Durk von Christertshofen, Hans Schmiher von Meßhofen. Caspar Preel von Oberegg ist „Büttel gewesen® ; Martin Mayr von Meßhofen „hat die Bauern zusammengeholt®; er ist „Tag und Nacht hin- und wider gelaufen®. Als berittene Boten, die „um bösen, ungetreuen Ratschlag® ausgeritten sind, erwähnen die Protokolle Christian Henselmann von Meßhofen, Simon Wech und Klaus Ebner von Biberach, Jörg Faulhaber von Zaiertshofen und Adam Ebner von Rennertshofen. Auch mit den Baltringer Bauern, deren Führer der sog. Schmied von Sulmingen, der erste Anfänger des Bauernaufstandes, ihr Redner und Kanzler war, standen sie in Verbindung. Klaus Schneyder von Ingstetten ist „gegen Baltringen zu den Bauern geritten®.

63 Trotz der vielen Botschaften scheint es an einer großzügigen, einheitlichen Leitung gefehlt zu haben, woran wohl auch die mangel­ haften Verkehrsverhältnisse schuld waren. Die Namen derer, die sich außer den schon Genannten oder an anderer Stelle zu Nennenden im Bauernaufstand besonders übel gehalten haben, sind folgende: Von Meßhofen: Martin Mayr, Claus Mayr, Schmid. Von Biberach: der junge Hans Hafner, Hans Holzschuh, Balthus Moll und Hans Schelling. Der alte Hans Hafner und Ulrich Schneyder waren besondere Schreier; Hetzer und Aufwiegler waren Hoffmann und Hans Sporer. Von Schießen: Kaspar Wiedenmann und Hans Schmid; der letztere war ein großer Auf­ wiegler und hat „hitzige Reden gebraucht“. Von Ingstetten: Hans Plost, Hans Bader, Melcher Wiedenmann und der junge Konrad Plost. Hans Wiedenmann hat zu Weißenhorn „den ersten Ratschlag wider meinen Herrn und das Gotteshaus gegeben und damit alle anderen Bauern aufgebracht“. Theys Schuster hat sich „mit Geschrei und Empörung vor anderen hervorgetan“. Basiian Gensler hat „vor anderen das Geschrei haben wollen“. Claus Schneyder „hat die Bauern am Berg aufgemahnt“. Von Breiten­ thal: Anderlin Rauch und Simon Plost; dieser hat „vor andern die Bauern aufgebracht“. Von Zaiertshofen: Hans Schuster Wollayb und Badstub Peter Miller; Theys Bader oder Bichel ist „vor anderen Bauern für und für bei den Bauern beharrt, obwohl seine Mitgemeindsleute gehuldigt haben“. Jörg Keller hat sich „vor andern Gemeindsleuten zu Aufruhr erbrochen“. Jörg Knetprun hat sich „samt seinen Gemeindsleuten mit den Bauern ver­ binden wollen“. Von Morenhausen: Der alte Hans Wollayb, desgleichen sein Sohn Melcher haben „für und für bis zuletzt vor anderen Bauren übel gehandelt“. Jörg Heimlin hat sich „ganz ungehorsamlich gehalten“ und, wie wir später sehen werden, den Abt bestohlen. Von Tafertshofen: Melcher Heuslin und Simon Beck; letzterer „hat die Bauern hinausgemahnt und aufgefordert“. Von Seifertshofen: Hans Beb und Michel Nepperschmid (Hepperschmid); dieser ist „der heftigste Aufwiegler im ganzen Dorf gewesen“, hat auch „vor anderen größlich und übel gehandelt“

64 und „zwei unserer Pfarrhöfe helfen plündern“. Von Oberwiesen­ bach: Konrad Miller. Von Oberegg haben sich Groß Thoma und Hans Thoma „mit Trutz, Hochmut und freventlichen Worten vor anderen übel gehalten“. Von Rennertshofen: Hans Mez (Moz). Von'Friesenhofen hat Enderlin Schmid „den Bauern hinausgeboten“, scheint also auch an der Spitze der Bewegung in diesem Orte gestanden zu sein. Von Christertshofen; Bastian Wiedenmann; Martin Hötsch hat sich „ganz bäurisch und vor anderen empört“. Christian Bertelin hat „sonder groß Geschrei und Gepolter gehabt und kurz meinen Herrn vertreiben wollen“. Von Ebersbach: Mang Hertl. Von Nordholz hat sich Thoma Rauch „vor andern übel mit Reden“ und Hans Plest „mit ufmanen und in ander weg übel“ gehalten. Die Anmaßung der richterlichen Gewalt wird be­ sonders von Bauern aus Wiesenbach berichtet. Jörg Susenthaler von Unterwiesenbach ist „als Richter zum Gericht zu Wiesenbach niedergesessen und vordem kein geschworener Richter gewesen“. Ulrich Schirenbrand von Unterwiesenbach hat „hinterrücks des geschworenen Amtmannes die Gewalt angenommen, den Richter­ stab zu Wiesenbach gehabt und richten helfen“. In Oberwiesen­ bach maßte sich Konrad Miller Richtergewalt an. Kaspar Keller von Zaiertshofen wird als Rat und Richter unter den Räten der Bauern bezeichnet. Aus alledem ersehen wir, daß die Empörung eine tiefgehende und allgemeine war. In unserer Gegend gab es damals drei große Bauernlager, nämlich zu Illertissen, Leipheim und Babenhausen. Die Untertanen des Reichsstifts Roggenburg schlossen sich dem Leipheimer Haufen an. Thoman berichtet, daß an 12000 Mann bei Leipheim versammelt gewesen seien. Als Hauptleute der Bauern aus dem Reichsstift Roggenburg geben die Protokolle an Jörg Ebner von Ingstetten, Martin Treu von Schießen und Hans Peter von Susenthal, meist Peter Sausenthaler genannt; als Waibel Hans Holzschuh von Biberach, Hans Schöpperlin von Ingstetten und Jakob Widenmann von Seifertshofen. Es scheint also, daß 3 Abteilungen mit je einem Hauptmann und einem Waibel gebildet worden sind.

65 Am 1. April, am Samstag vor Passionssonatag, marschierte der Leipheimer Haufe nach Weißenhorn; im Bibertal zweigte sich ein kleiner Teil ab und plünderte die Pfarrhöfe. Der große Haufe versuchte in Weißenhorn Einlaß zu erhalten; dieser wurde ihnen jedoch verwehrt. Ihr Begehren, die -Kostbarkeiten, silbernen Ge­ fäße und Betten herauszugeben, welche das Kloster nach Weißen­ horn geflüchtet hatte, wurde abgeschlagen. Der Illertisser Haufe, der mit dem Leipheimer die Stadt stürmen sollte, kam zu spät; der Sturm auf die Stadt mißlang. Nun nahte das Verhängnis für das nahe Kloster. Am Abend desselben Samstags zog der Leipheimer Haufe nach Roggenburg. Die Mönche waren kurz zuvor geflohen, das Kloster schutzlos der Wut der erbitterten Bauern preisgegeben. Wie diese bei der Plünderung hausten, ist hinlänglich bekannt. Auch die Namen solcher, die daran teilnahmen, haben die Protokolle erhalten, aber jedenfalls nicht vollständig. Es sind die3: Von Meßhofen Christian Henselmann und der junge Hans Hafner. Von Biberach Stoffel Beck und Christian Petermann. Von Ingstetten Jakob Bader und Peter Eychenhofer, ferner Claus Plest, Wolff Miller, Andreas Bader, Jakob Gros, Melcher Widenmann, Claus Schneyder auf Lienhart Thomas Gut; unsicher ist dies bei dem Sohne von Klaus Baders Witib. Man geht wohl nicht fehl, wenn man diese außergewöhnlich starke Beteiligung Ingstettens dem Einflüsse des Haupträdelsführers Jörg Ebner zuschreibt. Von Moren­ hausen Melcher, der Sohn des alten Hans Wollayb und Peter Harers Sohn Mannu3, der „zum andern Male das Gotteshaus hat plündern helfen“. Vielleicht war dieser bei der Plünderung, die dem Kloster durch den Illertisser Haufen am Sonntag früh (2. April) widerfuhr. Jörg Haimlin hat, jedenfalls auch bei der Plünderung, „ein Roß, vier zinnene Schüsseln und eine Kanne entwendet und genommen“. Von Tafertshofen der schon genannte Melcher Heuslin. Von Renn er tshofen Hans Mez (Moz) und Jörg Thoma; von Ebersbach Michel Mezeler (Mozeler) und Hans Petermann; von Halbertshofen Jörg Egender. Von Christertshofen Christian Bertelin und Martin Hötsch. Bei der Plünderung aßen und tranken die Bauern tüchtig. Von Jakob Bader und Peter Eychenhofer von Ingstetten heißt es, 5

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sie seien „ am Samstag vorjudica mit den ersten nächtlicherweile ins Gotteshaus gegangen“, haben „helfen auftragen, trinken und essen, auch das Gotteshaus plündern“. Auch Melcher Heuslin von Tafertshofen ist bei dieser Schmauserei gewesen und vermutlich beteiligten sich noch viele andere nicht mit Namen genannte daran. Martin Hötsch von Christertshofen hat „aus dem Gotteshaus Wein und Fische getragen“. Neben diesem Plündern und Zechen wurde allerhand Unfug verübt. Der schon erwähnte Hauptmann Jörg Ebner von IngStetten, ein Bayer, spielte die Rolle des Abtes. In den Protokollen ist darüber von späterer Hand bemerkt (Blatt 100, Rückseite): „Jörg Ebner von Ingstetten machte aus ihm selber einen Abt auf dieselbe Nacht zu Roggenburg. Es währte aber nicht lang, der Himmelsherr nahm ihm die Gewalt bald zu Bubesheim, da ward die Abtei wieder ledig.“ Bekanntlich wurde Ebner nebst anderen Rädelsführern vom Henker nach der Schlacht bei Leipheim auf einem Samenacker bei Bubesheim enthauptet. Nachdem also die Bauern tüchtig gegessen und getrunken, das Kloster ausgeraubt, alles kurz und klein geschlagen und sonst allerlei Unfug verübt hatten, versuchte einer das Kloster in Brand zu stecken. Aber ein Hintersasse des Gotteshauses gab ihm einen Schlag mit der Hellebarde und löschte das Feuer wieder. Die Protokolle berichten, daß „Bläsi Thurnbeck von Leipheim an­ gezündet habe“. Über Thurenbeck erhalten wir auch bei Thoman (Baumanns Quellen S. 59 und 60 oder Radlkofer S. 222/23) Auf­ schluß. Als der abtrünnige Pfarrer Jakob Wehe von Leipheim am Fronleichnamstag (26. Mai) 1524 öffentlich verkündete, „er wolle hinfür sein Leben lang keine ketzerische Messe mehr haben“, ala er viele Hostien auflegte und diese „ohne alle christliche Ordnung und der Kirche Brauch“ konsekrierte und dem Volke das Altars­ sakrament unter beiderlei Gestalten anbot, da „nahm ein Scherg Eschay (Flurwächter), mit Namen Thurenbeck, eine Partikel in seine Hand und gab dieselbe dem Pfarrer, hat sie selbst nicht nehmen wollen. Das sind die Früchte, die aus des Luthers Namen kommen und wachsenThoman macht uns auch mit der Strafe bekannt, welche die Herren von Ulm über Thurenbeck verhängten: „Bläsi Thurenbeck wurde die Herrschaft derer von Ulm und vier

67 Meilen dahinter verboten*. Ob den Herren von Ulm Thurenbecks Versuch das Kloster Roggenburg anzuzünden zu Ohren kam und sie ihn auch dafür straften oder ob er nur für seine Leipheimer Missetaten gestraft wurde, ist nicht ersichtlich. Außer Thurenbeck war von den Leipheimern auch der Pfarrer Wehe bei der Plün­ derung und wahrscheinlich beteiligten sich noch viele andere daran, die nicht Roggenburgische Untertanen waren. Nach dem Abzug des Leipheimer Haufens kam der Illertisser Haufe mit 10000 Mann; als sie sahen, daß die Leipheimer berauscht und beutebeladen abzogen, während sie selbst nüchtern waren, schlugen sie Fenster und Öfen ein und wollten die Gebäude in Brand stecken, wurden jedoch von einigen daran gehindert. Die Namen derer, die wieder löschten, sind Christian Egender von Friesenhofen, Jörg Schinhut und Stephan Mayr von Christertshofen, Mang Yelin und Jörg Vischer von Ebersbach, Jakob Huber von Nordholz und wahrscheinlich noch Christian Yelin von Nordholz. Alle diese gingen trotz ihres Aufruhrs straffrei aus. Am Passionssonntag früh zog also der Leipheimer Haufe mit seiner Beute nach Leipheim ab. Am Dienstag darauf (4. April) fand die Schlacht bei Leipheim statt. Wieviele Roggen­ burger Untertanen daran teilnahmen, können wir auch nicht an­ nähernd sagen. Das Wolfegger Verzeichnis sagt, daß von „Hüsenwisentaich", welchen Namen man auf Hausen und Unterwiesenbach deutet, ungefähr 25 Personen, von „Wisenbachpfarr*- (Ober- und Unterwiesenbach) ca. 100 teilgenommen hätten. Weitere stiftische Orte erwähnt es nicht. Da aber dieses Verzeichnis unvollständig ist, darf man annehmen, daß auch die andern Orte des Stiftes beteiligt waren. Auffällig ist jedoch, daß unter den spärlichen Namen der Gefallenen nur Leute aus dem östlichen Herrschafts­ gebiet sind. Die Protokolle nennen deren zwei: Jakob Leichtlin von Oberegg und Theys Degelin von Unterwiesenbach. Bei einem dritten, Hans Genßler von Schießen, heißt es, er sei im Krieg umgekommen." Es ist unsicher, ob damit der Bauernkrieg gemeint ist; denn diesen nennt das Protokoll nie so, sondern Empörung, Aufruhr usw. Mit der Schlacht von Leipheim waren die Bauern die unter­ liegende Partei. Im Auftrag des Truchseß kam Graf Ulrich von 5*

68 Helfenstein in der Charwoche mit einer Reiterabteilung auf einem Streifzuge auch ins stiftische Gebiet um die Bauern zur Huldigung und zum Schadenersatz zu zwingen. Ingstetten wurde gebrandschatzt und mußte für das Plündern 160 Gulden, Biberach 101 Gulden geben. In der Kirche zu Biberach verwundeten sie einen Bauern schwer, doch starb er nicht. Bei Roggenburg fingen sie einen abtrünnigen Mönch dieses Klosters namens Jörg Maler.. Sie führten ihn, wie der Chronist sagt, „wie einen Hund an einem Strick“ mit sich fort. Dieser Jörg Maler hatte im Aufstand auch zu den Bauern gehalten. Während die Bauern alle anderen Zellen verwüsteten und deren Einrichtung zertrümmerten, gingen sie an der Zelle Malers vorüber und ließen sie unberührt, denn dieser hatte ein hündisches Kreuz an die Tür gezeichnet und dazu ge­ schrieben: „Bruder lang Jörg.“ Diese kurzen, Jörg Maler betreffen­ den Nachrichten nahm ich aus einer bisher unveröffentlichten, sehr interessanten Handschrift über Jörg Maler, die ich im Pfarrarchiv in Roggenburg fand. Ich werde diese Handschrift später noch ausführlich besprechen. Es dauerte noch geraume Zeit, bis im Klostergebiet Ruhe einkehrte; denn die südöstlich von der Roggenburger Herrschaft gelegenen Gebiete waren noch in hellem Aufruhr. Die Wellen des Aufstandes, die von außen her an das Reichsstift schlugen, ließen erst nach, als Jörg Truchseß von Waldburg anfangs Juli von Franken her an die Donau kam und durch Schwaben nach dem Allgäu zog. Da der Truchseß keine Zeit hatte die Untertanen des Stifts zur Huldigung zu treiben, sondern an die möglichst rasche Bezwingung des Aufstandes im Allgäu dachte, schickte der schwäbische Bund andere Hilfe. Mit dem Kanzler von Würzburg und einigen Bundes­ räten kamen Mitte Juli 33 pfalzgräfliche Reiter nach Weißenhorn. Am Morgen des 15. Juli ritten diese mit Abt Jodok nach Roggen­ burg, den sie wieder einsetzten. Tags darauf, am 16. Juli, mußten die Bauern dem Bunde und Abte neu schwören. Damit war der Aufstand der Roggenburger Untertanen endgültig niedergeworfen. Und nun kamen die harten Folgen der Empörung. Die Pro­ tokolle geben uns eingehend, fast von jedem Untertanen, an, wie er gestraft wurde. Wir können in der Hauptsache vier Arten von Strafen unterscheiden: 1. Todesstrafe, 2. Landesverweis, 3. Ehren-

69 strafen, die das Protokoll „Artikel“ nennt, und besondere Auflagen, die einzelnen gemacht wurden, 4. Geldstrafen. Die schwerste der verhängten Strafen war natürlich die Todesstrafe. Wie schon gesagt, mußte diese Jörg Ebner erleiden und zwar schon nach der Schlacht bei Leipheim. Thoman schildert uns die Hinrichtung recht anschaulich. Mit dem Tode mußte seinen Aufruhr auch büßen der Haupt­ mann Hans Peter von Sausenthal. Unter den Anklage­ punkten, die Jörg Maler in der schon erwähnten Handschrift gegen seinen Abt vorbringt, ist Artikel 22 der, der Abt habe den Peter Sausenthaler töten lassen, was er durch seinen Schreiber zuwege gebracht habe. Der Abt bestreitet dies und sagt, nicht er, sondern die Stände des Bunds hätten befohlen den Sausenthaler gefangen zu nehmen und hätten ihn hinrichten lassen. Leider fand ich in den Protokollen nichts über einen Mann, über dessen Schicksal ich nur zu gern Auskunft gehabt hätte, über den Frankenhofer Bauern. Der Frankenhof stand an dem von Roggenburg nach Rennertshofen führenden Sträßchen auf einem Acker, der heute meinem Vater gehört (Steuergemeinde Meß­ hofen PI. Nr. 268). Wiederholte Funde und Grabungen, die ich darauf vorgenommen habe, haben den Beweis erbracht, daß der Ort, den der Volksmund als Stätte des ehemaligen Frankenhofes bezeichnete, richtig angegeben war. Der Grund, warum der Frankenhofer im Strafprotokoll nicht erwähnt ist, ist nicht etwa der, daß er sich am Aufruhr nicht beteiligt hätte, sondern, daß er vom Bunde ge­ straft wurde, und bei den vom Bunde abgestraften Untertanen ist die Strafe in den Protokollen nur ganz flüchtig oder gar nicht vermerkt. Dagegen bringt die schon erwähnte Handschrift, die den Streit zwischen dem Abt und Jörg Maler behandelt, etwas Licht ins Dunkel. Auf der letzten Seite (158) dieser Handschrift findet sich eine kurze Notiz, die anscheinend den Inhalt zweier Schreiben des Abts an den Rat zu Ulm kurz zusammenfaßt. Nach dieser Notiz schrieb der Abt dem genannten Rat über den Lebens­ wandel des Jörg Maler, die Grausamkeit der Bauern und unter anderm auch, daß „dem gewesten Pawren zu Frankenhußen zu Thyßen das Haupt abgeschlagen wurde“. Nun enthält aber die Handschrift in Wirklichkeit (von Seite 149 bis 158) nur die Kopie

70 eines Schreibens des Abt an den Rat, das von Jörg Malers Lebens­ wandel handelt, aber den Frankenhofer Bauern mit keiner Silbe erwähnt. Da nun in diesem einen Schreiben vom Frankenhofer nichts steht, kann man annehmen, daß ursprünglich noch ein zweites Schreiben existierte, von dem aber unserer Handschrift keine Ab­ schrift mehr eingefügt wurde. Zu dieser Annahme stimmt auch, daß das letzte Blatt der Handschrift eine alte durchstrichene Nummer 180 trägt, die nachträglich in 158 verbessert worden ist. Es würden demnach die fehlenden Seiten 158—180 das zweite Schreiben des Abts an den Rat darstellen. Die Hinrichtung des Frankenhofer Bauern zu Illertissen las ich schon Vorjahren in einer der Raiser’schen Schriften, weiß aber augenblicklich nicht,''welches die Quelle Raisers ist. Auf die Todesstrafe folgt inbezug auf Härte der Landes­ verweis. Man muß allerdings sagen, daß die Wegweisung aus dem stiftischen Gebiet keine so harte Strafe war wie die Verbannung aus einem großen Vaterlande; denn bei der damaligen Kleinstaaterei konnte man sich ja gleich wieder neben dem Stift niederlassen, war also immer der alten Heimat nahe und sprach seine Muttersprache wie zuvor; aber die vertraulichste Heimat ist doch das Vaterhaus und von dem liebgewordenen Haus und Besitztum geht niemand leichten Herzens, am allerwenigsten der auf seiner Scholle seßhafte Bauer. Wenn der Abt mehrfach die Wegweisung aus dem Stifte verfügte, so tat er dies zweifellos in der Absicht, sich die unruhigsten und schlimmsten Elemente vom Halse zu schaffen und um fernerem Aufruhr vorzubeugen. Das Scheiden suchte er ihnen dadurch leichter zu machen, daß er das Landesverbot mehrfach in bedingter Form aussprach, indem er für den Wegzug bedeutende Straferleichterung in Aussicht stellte. Von dieser Erleichterung machte z. B. Michel Mezeler (Mozeler) von Ebersbach Gebrauch. Er war um 10 Gulden gestraft worden; da er aber verkaufte, durfte er nur 4 Gulden bezahlen und zudem ließ ihm der Abt noch 20 Pfund (Heller) auf einmal nach. Vom gleichen Orte durfte Lorenz Praun nichts geben, weil „einer darauf gesessen, dem das Land verboten worden“. Vielleicht war dies Mezeler. Das Fischlehen von Breitenthal gibt nichts; „ist ihm in seinem Abziehen nachgelassen“. Jörg Kreyterer von Rennertshofen wurde das Strafgeld nachgelassen, doch sollte er in 2 Monaten verkaufen. 2 Monate scheint, wie auch aus

71 anderen Beispielen hervorgeht, die normale Frist für Verkauf ge­ wesen zu sein. Von Biberach mußte der Badstub Martin abziehen. Bei einigen scheint der Stiftsverweis und der Befehl zu verkaufen wieder zurückgenommen worden zu sein, wie z. B. bei Jörgen Plesten Witib von Breitenthal, der ursprünglich ein Verkaufstermin von einem Monat bezw. bis Ostern gesetzt war. Die gleiche Gnade erfuhr Jörg Menhofer von Flissen. Manche scheinen gar nicht gewartet zu haben, bis sie des Landes verwiesen wurden, sondern flüchteten vorsichtshalber recht­ zeitig. Von Martin Treu von Schießen heißt es, er sei aus­ getreten wegen seiner Hauptmannschaft. Treu flüchtete nämlich aus dem stiftischen Gebiet, weil er für seine Sicherheit fürchtete, als er sah, daß trotz getaner Huldigung vielfach gegen die Führer vorgegangen wurde. Weib und Kind wurden ihm in die Verbannung nachgeschickt; ob sie jemals wieder in stiftisches Gebiet zurück­ kehren durften, kann ich nicht sagen. Solche also, die selber flohen, nannte man Ausgetretene. Einigen, denen der Abt wegzugshalber nicht recht traute, wurde zur Bedingung gemacht, beim Verkauf bar zu zahlen. Bei Hans Miller von Nordholz heißt es: „Wenn er aber von der Mühle kommt, soll er’s bar zahlen“, und beim Bader Veit Sporer von Tafertshofen: „Es wäre denn, daß er die Badstube verkaufte, dann soll mein Herr dabei bezahlt werden.“ Noch bevor Sporer seine 4 Gulden ganz bezahlt hatte, verzog er nach Morenhausen und zahlte den noch schuldigen Gulden nicht mehr; immerhin war er noch besser als der Müller von Nordholz; denn dieser bezahlte von seinen 3 Gulden keinen Pfennig. Mit Bewilligung des Leibherrn konnte der Abt auch Personen strafen, die andern Herren zugehörig waren. Der uns schon bekannte Jörg Haimlin, der dem Abt, wie oben angegeben, verschiedenes ge­ stohlen hatte, hatte zum Leibherrn Walter von Hirnheim, den Pfleger Jakob Fuggers von Augsburg zu Kirchberg und Weißenhorn. Dieser machte mit dem Abt einen Vertrag, wonach Jörg zeitlebens im Ge­ biete des Abts „mit mer Gerten zwengen und um beiner mer kommen“ durfte. Haimlins Schuld von 26 Gulden nahm Hans Hornung auf sich und bezahlte sie bis auf 3 Gulden.

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Unter den Ehrenstrafen steht das Verbot des Wirts­ hausbesuches an erster Stelle. Die gewöhnliche Formel ist: „Er soll in kein öffentlich Wirtshaus mehr gehen.“ Manchmal heißt es „Wirtshaus und Zech“. Bei nachträglicher Erlaubnis zum Wirtshausbesuch ist am Ende des Textes angefügt: ,„Die Wirts­ häuser sind ihm aus Gnaden nachgelassen oder: „Ist ihm erlaubt ins Wirtshaus zu gehen.“ Bei Ausübung des Geschäftes außerhalb, des Klostergebietes scheint das Verbot im allgemeinen nicht gegolten zu haben. Bei Theus Schmid von Biberach heißt es: „Wenn er seinem Nutzen oder seinen Geschäften nachreisen muß, mag er wohl essen und trinken, doch in keine öffentliche Zeche sitzen.“ Baltus Moll von Biberach soll „in meines gnädigen Herrn Gebieten in kein öffentlich Wirtshaus oder Zech mehr gehen, zudem außer­ halb ohne Geschäft dem Zechen auch nicht obliegen“. Nachträglich wurde ihm dieser Artikel erlassen. Stoffel Pfeyffer von Biberach darf in einer Meile Wegs in kein öffentliches Wirtshaus noch Zeche gehen“. Jos Mayr von Schießen darf innerhalb Jahresfrist nicht mehr ins Wirtshaus. Christian Petermann von Biberach soll, „nach­ dem er das Gotteshaus merklich geplündert, keinen Wein mehr trinken als allein in seinem Haus mit seinem Weib und Kindern“. Auch Veit Pfozmavr von Christertshofen darf nur mehr in seinem eignen Hause Wein trinken. An zweiter Stelle folgt das Badverbot. Fast in jedem Dorf ist ein Badstubhalter genannt und unsere Ahnen scheinen uns in diesem Punkte vorausgewesen zu sein. Die eben genannten Christian Petermann und Stoffel Pfeyffer von Biberach dürfen in kein anderes Bad als zu Biberach gehen. Peter Eychenhofer von Ingstetten darf kein öffentliches Bad mehr besuchen als „allein zu den vier hochzeitlichen Festen“. Einigen wurde der Badbesuch auf Fürbitte erlaubt. An dritter Stelle steht das Verbot des Besuchs der Ge­ meindeversammlung. Von diesem Artikel machte der Abt recht fleißig Gebrauch; es wrar jedenfalls eine der empfindlichsten Strafen; denn auf den Bürger hält der Bauer sehr viel und die Entziehung des Stimmrechtes bei der Gemeinde würde ihn zum Unreifen, zum Ehrlosen stempeln. Die mit dieser Strafe bedachten durften nur kommen, wenn sie ausdrücklich von dem geschworenen

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Amtmann oder »von aim geschworenen ains prelaten Diener“ hiezu berufen wurden. Das Abstimmen war schon üblich; denn von dem alten Hans Hafner von Biberach heißt es, er dürfe »keine Stimme bei derselben geben*. Nun folgt eine Modestrafe. Vielen wird verboten den Bart zu scheren; es scheint also das bartlose Gesicht Mode ge­ wesen zu sein. Aus der nachträglich mehrfach erteilten Erlaubnis den Bart zu scheren dürfen wir schließen, daß diese Strafe, weil sie schon äußerlich den Sträfling kennzeichnet, schwer empfunden und um ihre Beseitigung fleißig angehalten wurde. Die Auflage, sich nicht zu solchen zu gesellen, die gegen das Kloster oder den Prälaten reden, muß als ein vorzügliches Mittel bezeichnet werden, weitere Empörungen hintanzuhalten. Der Abt erkannte recht gut die Macht der auf­ reizenden Rede und die willenlose Hingabe vieler Bauern an ex­ zentrische Rädelsführer. Die Formel für diesen Artikel lautet ungefähr: »Wo zwei, drei oder mehr beieinander sind, die wider einen Prälaten oder das Gotteshaus handelten oder wären, von denen soll er fliehen.* Etwas abweichend ist die Formel bei Hans Schmid von Schießen, der „keinen Ratschlag oder Rede wider meinen Herrn mehr üben und brauchen“ und von Simon Plost von Breitenthal, der „auch sonst mit nichten keinen Rat oder böse Reden wider einen Prälaten oder das Gotteshaus ausgießen soll“. Die Anweisung eines hinteren Kirchenplatzes ist wohl noch ein Rest aus den alten Kirchenstrafen. Die Bestimmung des Protokolls lautet: „In der Kirche, wie die Borkirch (= Empor­ kirche) ergreift, nicht hinfür, auch an keinen vorderen Stand stehen*. Es sind dies also die unter der Emporkirche liegenden Plätze, die heute von den Männern meist freiwillig eingenommen werden. Hans Sporer von Biberach soll „hinter der Tür an seinem Stand stehen*. Mit dieser Tür ist hier doch wohl eine Seitentüre und nicht die hintere Türe gemeint. Eine letzte Ehrenstrafe bestand endlich in der Erteilung von Vorschriften über die Beschaffenheit des Messers. Lienhart Keller, Hans Sayler und Simon Plost dürfen „kein anderes Messer oder Wehr an sich tragen als allein ein gemeines Wagen­ messer, das soll abgebrochen sein“. Sehr viele dürfen nur ab-

74 gebrochene Messer von der Länge einer halben Elle tragen; der Zusatz: „das soll abgebrochen sein“ fehlt manchmal. Dem Jos Mayr von Schießen ist dies befohlen „für und für bis auf Erlaubnis“. In zwei Fällen wird ein Messer von der Länge einer Elle gestattet, in einem Fall eines mit der Länge von iy2 Spänen. Theys Schuster von Ingstetten darf ein „Beimesser oder Brotmesser“ tragen; Martin Hötsch von Christertshofen ein „abgebrochenes. Brotmesser, so er aber hinauskommt, „darf er ein gemeines Messer tragen, doch auch abgebrochen“. Blesi Susentaler von Nordholz wird das gemeine Messer anfänglich bei seiner Huldigung zu­ gestanden, nachher aber, wie es scheint, wieder abgesprochen. Das sind die gewöhnlichsten Ehrenstrafen. Sie wurden über solche verhängt, die sich besonders übel benommen hatten, oder über solche, die wegen Armut an Vermögen nicht oder nicht ge­ nügend gestraft werden konnten. Wenn die Ehrenstrafen auf­ gehoben wurden, was meist wohl erst der Fall war, wenn die schuldige Geldsumme bezahlt war, so ist dies links am freien Rand des Protokolls vermerkt mit den Worten: „Sind ihm die Artikel all aus Gnaden nachgelassen.“ Jakob Widenmann von Seiferts­ hofen brauchte die Artikel nur ein Jahr lang zu halten, obwohl er 4 Jahre an seiner Strafsumme zahlen mußte. Einigen, offenbar solchen, die sich gut hielten, wurden die Ehrenstrafen nachgelassen, noch ehe die ganze Strafsumme bezahlt war. Dies geschah z. B. bei Klaus Schneider von Ingstetten und Konrad Miller von Ober­ wiesenbach, bei diesen jedoch unter der Bedingung, daß sie „auf Bartholomäi das Ziel im 28. Jahr verfallen bezahlen“. Hans Hoffmann von Biberach erhält diese Gunst mit dem geding, daß er dafür geben und zahlen soll 2 fl auf die „Viertag“ im 29. Jahr. Wenn einzelne Artikel sofort oder bald nach Verhängung der Strafe, jedenfalls aber vor Ablauf der verhängten Strafzeit zurück­ genommen wurden, so ist dies am Ende des Textes, nicht links am Rand vermerkt. Viele von den schwerer Bestraften, besonders solche mit Ehrenstrafen, mußten eine „Verschreibung“ geben. So heißt es von Lienhart Keller von Meßhofen: „Sollicher artikel halb hat er ain verschreybung geben, die losextendiert und ußzogen sind dann hierinn verlopt“ und bei Hans Sporer von Biberach „Inhalt

75 und ußweyssung ainer verschreybung, die sollich artikel los Ex­ tendiert“. Bei andern steht an Stelle der Verschreibung der Zusatz: „Sollichs hat er zu halten geschworen." Zwei besondere Auflagen möchte ich nicht unerwähnt lassen. Der junge Hans Hafner von Meßhofen „soll sich auch der lutherischen Sekt müßigen". Daraus scheint hervorzugehen, daß die neue Lehre im Klostergebiet sonst nirgends Eingang gefunden hatte, abgesehen von dem abtrünnigen Mönch Jörg Maler, der später dem lutherischen Glauben beitrat. Jakob Gros von Ingstetten konnte wegen Armut an Geld nicht gestraft werden. Daher wurde er mit allen Ehrenstrafen mit Ausnahme des Bartscherens belegt; dazu soll er „weder zu Tanz noch ins Feld mehr pfeifen“. An ein gewöhnliches Vorsichhinpfeifen beim Gang ins Feld ist hier wohl kaum gedacht; der Ausdruck „zu Tanz" verrät, daß er von Beruf Pfeifer war; vielleicht heißt „ins Feld pfeifen“ soviel als pfeifen beim Öschgang oder vielleicht beim Beginn der Ernte. Weitaus die häufigsten Strafen waren die Geldstrafen. Für den Maßstab der Bestrafung waren zwei Gesichtspunkte maß­ gebend; sie erfolgte einmal nach dem Grad des Verschuldens, dann aber auch — und darin liegt etwas sozial Gesundes — nach dem Maßstab der Vermögensverhältnisse. Eine Art allgemeiner Kriegssteuer scheint auf alle Häuser des Stifts gelegt worden zu sein. In der Mehrzahl der Fälle heißt es nämlich einfach, der Betreffende sei „von wegen seiner Ungehorsami“ gestraft worden, ohne daß dabei weitere Vergehen aufgezählt sind. Diese Urteilsbegründung erhielten wohl jene, die in der Gesinnung dem Aufstande jedenfalls zugetan waren ohne dabei tätig einzugreifen, also Mitläufer, die vom allgemeinen Strome mitgerissen wurden und denen entweder der Mut oder der Wille fehlte sich der Bewegung entgegenzustellen. So wäre es auch erklärlich, daß unter den Bestraften Witwen sind, es sei denn, daß diese wegen der Teilnahme erwachsener Söhne gestraft wurden, wie ja sehr oft in den Protokollen neben den Vätern auch ihre Buben gestraft werden. Manchmal fehlt auch diese spärliche Be­ gründung, sei es, daß sie beizufügen vergessen oder, wie gesagt, jedes Haus besteuert wurde.

76 Die Geldstrafen trafen die Leute vielleicht am empfindlichsten. Unter den den Untertanen auferlegten Strafen finden sich alle Zahlen von 1j2 bis 12 Gulden vertreten: von 12 bis 50 Gulden sind es meistens Summen, die durch 4 oder 5 teilbar sind. Strafen von mehr al§ 50 Gulden sind selten, am häufigsten noch in der Gemeinde Meßhofen: es scheinen hier also recht wohlhabende Bauern gelebt zu haben. Von diesem Orte muß bezahlen Klaus Mayr Schmid 60, Lienhart Keller 65, Christian Henselmann 100, Hans Schmiher 100 Gulden. Doch wurden den so hoch Bestraften 10, 10, 30, 25 Gulden erlassen und zwar von dem neuen Abte Johannes. Diese Strafen erscheinen uns auf den ersten Blick sehr milde; dabei müssen wir aber bedenken, daß das Geld zu jener Zeit einen relativ viel höheren Wert besaß. Gemeinhin schreibt man dem Gelde zu Beginn des 16. Jahrhunderts den zehnfachen Wert gegenüber dem unsrigen zu. .Das stimmt für unsere Gegend nicht; dafür soll auch der Beweis erbracht werden. Die Gestraften zahlten in Ermangelung von Geld vielfach mit Vieh und Naturalien überhaupt. Der Höchstpreis für ein Kalb war 1 Gulden, der Mindestpreis 14 Groschen. Ein Rind kostete 1 bis 4 Gulden, eine „Kalbel“ Sl/2 bis 4 Gulden. Der Höchstpreis für eine Kuh war etwas über 6 Gulden, der Mindestpreis 2 Gulden. Ein Stier wurde mit weniger als 5 Gulden bewertet. Statt 5 Gulden gibt einer mehrere Kälber und Lämmer und dazu noch Geld, statt 3 Gulden ein anderer mehrere Lämmer und Schafe. Rosse werden veranschlagt zu 6, 9, 12 Gulden. Wenn wir diese Viehpreise betrachten, so er­ sehen wir ohne weiteres, daß die Leute mit ihrer scheinbar geringen Schuldsumme durchaus nicht milde angefaßt wurden. Die Bezahlung der auferlegten Strafen hatte in Raten zu erfolgen; die Bestrafung wurde so gehandhabt, daß die leichteren Sünder in ein paar Jahren, die schwereren in einigen weiteren bezahlt haben konnten. Beispiele von Strafen auf lange Jahre hinaus sind äußerst selten und dann ganz gering; so mußte z. B. Hans Schelling von Biberach sein Leben lang ein Pfund Heller geben. Weitaus der häufigste Termin für Bezahlung waren die „Vier­ tage“. So hieß man damals die vier Tage, welche dem ersten Fastensonntag vorausgingen. Andere Termine, nach der Häufig-

77 keit ihres Vorkommens geordnet, waren Mittfasten, Jörgentag, Bartholomäi, Ostern, Pfingsten, Bawding, der Herbst („uff den herbst“), St. Johannstag, St. Jakobstag, Faßander und der Zinstag nach Trinitatis. Zur Bezahlung scheint persönliches Erscheinen in Roggenburg nicht unbedingt erforderlich gewesen zu sein. So bezahlt Adam Schelling von Schleebuch an den Konventualen Herrn Heinrich; Leute, die in größerer Entfernung vom Kloster wohnten, gaben das Geld vielfach dem Amtmann; auch wurde es diesem abgezogen und einmal sogar dem Büttel. Die Bezahlung erfolgte also in Raten, und zwar war die erste im Jahre 1526 fällig. Wir haben heute keine Ahnung mehr, wie schwer es den armen Leuten damals fiel das Ziel einzuhalten; oft brachten sie auch nur ein paar fehlende Batzen, Heller, Kreuzer oder Groschen zum ganzen Gulden nicht mehr zusammen. So bezahlt z. B. der ebengenannte Adam Schelling von Schleebuch im Jahre 1526 statt des schuldigen Gulden nur 17 Groschen; die fehlenden 3 Groschen für dieses Jahr und den 1527 fälligen Gulden bezahlte er nebst andern Schulden erst 1529. Noch ein anderer Umstand kam dazu, die Not des armen Volkes zu vergrößern. Nach Schmoller („Zur Geschichte der national­ ökonomischen Ansichten in Deutschland während der Reformations­ periode“, Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaft Bd. 16) begann um 1500 eine starke Geldentwertung und Preissteigerung einzutreten, die sich in 50 Jahren bis zu 50 °/0 steigerte. Die Pro­ dukte stiegen im Wert, ähnlich wie wir es jetzt im Kriege erleben, und ihre Beschaffung wurde für die Armen schwieriger. Das Kloster brauchte seine Gülten nicht zu erhöhen, da es, wie vorher gesagt, vielfach mit Naturalien bezahlt wurde und bei dieser Preissteigerung eine erhöhte Einnahmequelle besaß. Außer den schon genannten Naturalien wurde noch mit anderen bezahlt. Der Fischer von Tafertshofen bezahlt naturgemäß mit Fischen. Für 8 Batzen gibt einer „2 masgrundlen“. Ein vom Kloster anscheinend recht gern angenommenes Zahlungsmittel waren Salzscheiben, die einen Gulden galten. Kleine Summen wurden oft mit Tuch und Zwillich bezahlt. Statt 2 Gulden Geld gibt z. B. einer 33 Ellen Tuch, eine um einen böhmischen Kreuzer. Kaspar

78 Pfeyffer von Christertshofen gibt 10 Klafter Holz, die zusammen höchstens einen Gulden kosteten. Einer bezahlt mit „Erbis“ und ein letzter mit Strohbändern. Wer mit Geld oder Naturalien nicht bezahlen konnte, mußte seine Schuld durch Arbeiten für das Kloster ab tragen. Solche Arbeiten waren Dreschen, Arbeiten (ohne nähere Bezeichnung, wahrscheinlich verschiedenartige Beschäftigung in der Landwirt­ schaft), Holzhauen, Zimmern, Fahren, Einfahren des Zehnten und von Getreide. Manchen wurde die Strafe in ihre Rechnung verrechnet. Wir haben gesehen, daß Arme, die nichts geben konnten, einfach mit Ehrenstrafen belegt wurden. Es waren dies solche, für die niemand zur Bezahlung herangezogen werden konnte. Den Fall der Uneinbringlichkeit scheint der Abt jedoch möglichst beschränkt zu haben; denn für die Schuldigen mußten zunächst die Angehörigen büßen. Natürlich handelt es sich in solchen Fällen nur um Geldstrafen, nicht um Ehrenstrafen. Mehrmals muß die Frau wegen des Mannes zahlen; die Tochter des alten Holzschuh von Biberach für ihren Vater, Hans Goser (Geser) von Morenhausen für seinen Schwiegersohn, Jörg Belzinger von Meßhofen gar für sein Witib. Mehrfach müssen Leute ganz anderen Namens wie die Bestraften die Schuldsummen auf sich nehmen. In diesen Fällen ist das gegenseitige Abhängigkeits­ verhältnis nicht ersichtlich. So ist z. B. für Thoma Stenglin von Seifertshofen neben Hans Stenglin Theus Wollayb bar zu be­ zahlen Bürge. Wo mildernde Umstände Vorlagen, da ließ auch der Abt Milde walten. Einzelne Artikel wurden gleich oder bald nach Verhängung der Strafe zurückgenommen, mehrfach alle Artikel noch vor der vollständigen Bezahlung erlassen. In puncto Landes­ verweisung zeigte sich der Abt ebenfalls sehr milde. Witwen wurden immer nur wenig gestraft. Auch in der Bezahlung einzelner Quoten erhielten sie Nachsicht, mußten sie doch mehrfach auf den Termin nur 1 ort (= J/4 fl) bezahlen und auch der Termin war genügend lang gestellt. Von Hans Bichel Bauer von Biberach sagt das Protokoll, „wenn seinetwegen nicht besondere Fürbitte geschehen wäre, wäre er anders gehalten worden“. Der Bauer Konrad Widenmann von Ingstetten wird geringer gestraft, weil

79 ihn die Bauern mit Gewalt gezwungen hatten mitzutun. Auch auf Waisen nahm der Abt Rücksicht. Bei Simon Fink von Meßhofen heißt es: „Wiewohl er sich in der Bauernempörung vor anderen ganz ungehorsam, frevelhaft und hochmütig gehalten hat und aber ehemals sich genannter Bauer mit meinem gnädigen Herrn ver­ tragen hat und er nun Todes abgegangen ist, so hat mein gnädiger Herr zwei keiner unerzogenen Kinder bedacht und nicht mehr denn 9 Gulden zu Straf von ihm genommen.“ Von Jörg Mez von Biberach nahm der Abt überhaupt nichts, weil seine Frau krank und ganz blind war. Straffrei gingen etwa 30 Personen aus. Hans Zimmer­ mann von Meßhofen wurde die Strafe aus Gnade nachgelassen. Die andern von jenen 30 waren „nicht bei den Bauern gewesen“. Jörg Bader (Veyhel) von Biberach behauptete schon vom Bund „entledigt“ zu sein. Jörg Kollmann von Biberach brauchte nichts zu bezahlen, weil er damals beim Abt Reitknecht war und „die Bauern hat helfen gehorsam machen“. Bei manchen war der Abt wohl wegen widersprechender Zeugenaussagen oder vielleicht mangels solcher nicht gleich imstande, eine bestimmte Strafe auszusprechen. Bei solchen heißt es: „Soll erfahren werden, ob er bäurisch gewesen oder nicht.“ Stellte sich dann die Unschuld des Betreffenden heraus, so ist dies vermerkt mit den Worten: „Hat Anzeigung gebracht.“ Es fehlt natürlich auch nicht an solchen, die beim Verhör ihre Unschuld beteuerten, denen aber nachträglich ihre Schuld nachgewiesen wurde. So gibt Hans Fink von Meßnerhaus in Breitenthal an,, „er habe gar nichts gehandelt“. Als er aber nachher für schuldig befunden wurde, mußte er 1/2 Gulden bezahlen. Es scheint, dab über einige auch nachher nichts Bestimmtes mehr erfahren oder eine weitere Untersuchung vorzunehmen vergessen wurde. So war es z. B. mit Selzel Schmid von Meßhofen. Abt Johannes, der Nachfolger Jodoks, berechnet den ganzen Schaden des Gotteshauses auf 10000 Gulden, Jodokus strafte seine Untertanen um 3886 Gulden; für den Schaden, den andere verübten — und dieser war weitaus der größere — erhielt daa Kloster 3140 Gulden. Es ist nicht ersichtlich, ob der Prälat für die fehlenden 3000 Gulden noch entschädigt wurde.

80 Wenn wir uns nun fragen, welches denn die Ursachen waren, die speziell die Roggenburger Untertanen zum Aufruhr trieben, werden es im wesentlichen dieselben wie an anderen Orten sein. Über Ort und Umfang der örtlichen Forderungen der Kloster­ untertanen geben die Protokolle leider keinen Aufschluß. Doch sagt der einleitend erwähnte Roggenburger Chronist Holzwart frei heraus, die großen Abgaben, Dienste und Lasten seien an dem Aufstand schuld; ja er würde den Bauern die Empörung gar nicht verübeln, wenn sie nicht so gewalttätig vorgegangen wären. Man beachte unter den nachfolgenden Beschwerden der Bauern besonders Punkt 3, wo es heißt, daß sie zu täglichen, d. h. ungemessenen Diensten verpflichtet waren. Unter den auf das Kloster Roggen­ burg bezüglichen Urkunden besitzt die Stadtbibliothek Ulm ein einziges Schriftstück aus der Zeit 3 Bauernkrieges, das bisher von keinem Historiker beachtet oder verwertet worden ist. Das genannte Schriftstück gibt uns gerade über den gewünschten Punkt etwas Aufschluß; es trägtauf der letzten (8.) Seite die Aufschrift: „Was zwischen dem Abt zu Roggenburg und seinen Armenleuten gehandelt ist.“ Abt Jodokus war am 23. Mai 1528 gestorben. Sein Nachfolger, der diese Verhandlungen führte, war Johannes Mayr. Einleitend wird gesagt, daß des Klosters Armenleute und Hintersassen von Tafertshofen, Morenhausen, Füssen, Seifertshofen, Biberach, Schleebuch, Zaiertshofen, Christertshofen, Rennertshofen, Friesenhofen, Nordholz, Eberspach und die der einzelnstehenden Höfe auf Montag den 15. Juni „vor dem Prälaten zu Roggenburg demütiglich erschienen seien und sich ihm als ihrem rechten Herrn und Obern untertäniglich befohlen hätten". Auch hätten sie gar keine Beschwerden gehabt noch sich solche anmerken lassen. Nicht ohne Beschwerden aber waren die Untertanen des Klosters am untern Günztal zu Ingstetten, Meßhofen, Schießen, Unteregg und Breitenthal und ihnen erteilte der Abt folgende Antworten. Punkt 1 betrifft die Armenleute, die mit der Leibeigen­ schaft andern Herrschaften verwandt und zugehörig waren und hinter oder auf des Klosters Güter ziehen wollten. Abt Jodok hatte dies nur dann gestattet, wenn sie sich zuvor von ihren Leibherrn erledigt und sich mit der Leibeigenschaft dem Kloster ergeben hatten. Darauf will der Abt Johannes nicht prinzipiell

81 bestehen, sondern sich mit seinen Nachbarn, Prälaten, Städten und Adel vergleichen und es so halten, wie es gegen ihn in solchen Fällen gehalten werde. Punkt 2 betrifft die Äcker im Klosterwalde. Der Abt sagt: soweit »ich Äcker im Klosterwalde befinden, so sollen seine Untertanen ihn als Prälaten bittlich ersuchen, dann werde er ihnen gestatten die selbstgezüchteten Schweine darin zu treiben, aber nur bis Thomastag (21. Dez.) vor Weihnachten und um ein Viertel Haber von jedem Schwein, wie es von Alters her Herkommen sei. Doch sollen die Untertanen weder Gewalt noch Macht haben ohne des Abts Wissen, Willen und Erlaubnis in „das Nachäcker“ zu treiben; auch soll ihm „das Bannäcker“ allezeit Vorbehalten sein. Für die Ingstetter aber soll es, die Äcker betreffend, bei dem zwischen ihnen und dem Abt geschlossenen Vertrag bleiben. Punkt 3 betrifft die wichtige Frage der Frondienste. Hierin verlangten die Untertanen Einschränkung. Dazu erklärt der Abt rundweg, daß „keine andere Ordnung oder Maß gemacht werden“ könne, als es von Alters her sei, „in Ansehung, daß sie zu täg­ lichen Diensten sitzen und verbunden seien“. Doch wolle er es sich angelegen sein lassen, die Untertanen soviel wie möglich un­ beschwert zu lassen. Wenn sie treulich dienten, so sei es ihr eigener und des Gotteshauses Nutzen. Punkt 4 betrifft den Teil der fahrenden Habe; was diese anlange, habe das Kloster kräftige Urteile und Recht erlangt, auch besiegelte Verträge von den Herren von Ulm, bei denen er und sie bleiben sollen. Da es aber sein Vorfahrer Abt Jos in den Teilungen natürlich und gnädiglich gehalten habe, so wolle auch er es in der Teilung väterlich, gnädig.ich und rechtschaffen halten. Punkt 5 betrifft die Gehaue; hierin soll es bei den Sonder­ verträgen verbleiben, die durch die Verordneten des Rats zu Ulm gemacht worden seien. Punkt 6 bezieht sich auf Gemeindehölzer, die den Ge­ meinden Meßhofen und Schießen gehörten. Der Abt sagt, sein Vorfahrer Jodocus habe das Hauen und Beschirmen derselben nicht aus Eigennutz des Klosters, sondern besonders den Armen­ leuten zugute vorgenommen, damit die Hölzer nicht verwüstet oder abgetrieben würden und die Nachkommen in den Gemeinden auch 6

82 Holz finden möchten. Dann aber fährt er fort: „Aber dess Darnachshalben vermainen wir wie unnser vorfar Abbt Jos seliger auch vermaint hat, das sollich darnach dem gotzhus und nit denen von Mößhoven zugeheren.* Punkt'7 bezieht sich auf die „Raysst eue r*, von der die Untertanen befreit sein wollten. Der Abt erklärt, nachdem des Klosters Armenleute und Untertanen vom Kaiser und dem schwä­ bischen Bund geschützt und beschirmt würden, so sei es nur billig, daß sie die Reichs- und Bündischen Rayssteuern tragen helfen, wie die Untertanen andrer Obrigkeiten und Herren auch zu tun pflegen und wie es auch vormals gehalten worden sei. Punkt 8 betrifft die Artikel (d. i. Ehrenstrafen), die einigen Untertanen des Klosters nach dem Bauernkrieg auferlegt wurden. In diesem Punkte will sich der Abt genau „nach eines jeden Ver­ handlung gnädiglich und unverweislich halten8. Punkt 9 betrifft den Dienst Claus Schneyders von Ingstetten. Der Abt sagt, er solle ihm „billig wie er gesessen ist dienen", weiter begehre er nichts. Punkt 10 zeigt, daß manche Bauern schon damals recht kritisch veranlagte Naturen waren. Es handelt sich um die „schwere, große Klage des Widenbauern“ zu Ingstetten, die der Abt so verbescheidet: „Dieweil es ihm nicht beschwerlich ist vom Viehhaus in die Pfisterei (= Bäckerei) nach dem Brot zu gehen, so soll es ihm billig auch nicht beschwerlich sein, das Holz nicht über einen Steinwurf weiter, denn er selbst zu tun schuldig sein bekennt, vor die Pfisterei zu fahren.* Punkt 11 bezieht sich auf den Heuzehenden zu Breiten­ thal. Das Kloster habe denselben mit Urteil und Recht behalten und sei in ruhiger Possession, Brauch und Inhaben desselben. Punkt 12 betrifft die Wehren, die den Untertanen nach dem Aufstand aus guten Gründen sehr beschränkt wurden. Der Abt erklärt: da die Stände des Bunds der Wehren halb ein besonderes Mandat hätten ausgehen lassen, gezieme es ihm nicht hinter den Ständen des Bunds hierin eine Änderung zu tun. Wenn aber von den Ständen des Bunds den Armenleuten inbezug auf die Wehren, die Büchsen jedoch ausgenommen, Milderung beschehe, so lasse auch er sich solches gefallen.

83 Punkt 13 behandelt die Bitte derer von Schießen, ihnen Holz zumKaufe zu geben. Falls sie dies mit der Zeit bittlich an den Abt bringen, will er sich hierin gegen sie „unverweislich“ halten. Punkt 14 endlich befaßt sich mit der Behauptung der Breite nthaler, daß ihre Vorfahren auf dem Fronmahd des Klosters nicht hätten dienen müssen. Dazu meint der Abt, dies sei von ihnen fremd und schimpflich zu hören; denn es sei wahr und beweisbar, „daß sollich fronmad auch Breitental stiftgüter syen“, und daß die Breitenthaler allezeit darauf dem Kloster gedient hätten wie andere Hintersassen des Klosters, die teils eine Meile, teils eine halbe Meile von diesem entfernt sitzen. Auch heiße es das Fronmahd, weil des Klosters Armenleute darauf fronen und dienen sollen; zudem sei es in allernächster Nähe bei Breitenthal gelegen. Ich komme zum Schluß meiner Ausführungen. Der Bauern­ krieg von 1525 ist ein Markstein in der Geschichte der Bemühungen des Bauernaufstandes seine Lage zu verbessern und nicht länger „das Lasttier der Gesellschaft“ zu sein. Die Bewegung wurde unterdrückt, mit Blut und Eisen erstickt. Die Lage nach der Erhebung war schlimmer als vorher. Die Bauern des stiftischen Gebiets brachten, wie wir gesehen, 1528 wiederum ihre Klagen vor, ohne daß man ihnen in einem Punkte wesentlich entgegen­ gekommen wäre. Von Neuerungen wollte das Kloster nichts wissen, wenn sie ihm sein Einkommen und seine Rechte etwas geschmälert hätten; es bezieht sich dann stets auf sein altes Herkommen. Von einer wirklichen inneren Ruhe im Stift kann wohl selbst Jahre nach der Erhebung noch keine Rede sein. Auch später scheint sich die Lage der Untertanen nicht gebessert zu haben. Das Empfinden der Ungerechtigkeit ist tief ins Volksbewußtsein gedrungen. Ich erinnere mich an das Wort meiner seligen Großmutter, die, wenn sie jemand weinen sah, zu sagen pflegte: „Dir stehen den ganzen Tag die Zähren in den Augen wie den Roggenburger Untertanen.“ In diesem Zusammenhang sei an ein anderes, heute noch gebräuch­ liches Wort erinnert, das meine Landsleute gewöhnlich anwenden, wenn sie sehen, daß jemand in der Ernte zur Vesperzeit ohne Speise und Trank dasitzen muß. Sie pflegen von diesen Leuten ohne Speise und Trank zu sagen: „Sie tun dergleichen wie die Hochbucher“, d. h. sie setzen sich nieder und tun, als ob sie auch 6*

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essen und trinken würden. Hochbuch war nämlich eine zum Kloster gehörige Einöde; während nun die Landleute, die auf den dem Hochbucherhofe benachbarten Feldern arbeiteten, ihr Vesper­ brot einnahmen, sahen sie die, welche für das Kloster auf den Hochbucher Feldern arbeiteten, leer dasitzen und ihnen zuschauen. Aber wenn die damaligen Machthaber auch die Bewegung schließlich unterdrücken konnten, den Geist der~Bewegung konnten sie doch nicht unterdrücken. Dieser lebte fort in den Köpfen der Bauern, bis er schließlich nach Jahrhunderten einen freien Bauern­ stand schaffte, einen Stand, der umsomehr gehört zu werden ver­ dient, als er, wie der gegenwärtige Krieg aufs neue beweist, der erste Stand des Landes ist.

Ein Augsburger Pfalzgraf. Von Dr. S. Hausmann, Straßburg.

L Wer sich näher mit der Geschichte der alten deutschen Uni­ versitäten beschäftigt, der begegnet alle Augenblicke einem „Pfalz­ grafen“. Der akademische Pfalzgraf war damals so ungefähr ein Titel, wie heutzutage der „Geheimrat“, nur mit dem Unterschied, daß dem Pfalzgrafen wenigstens die Möglichkeit gegeben war, aus seinem Amte auch finanziellen Nutzen zu ziehen. Mit dem Er­ löschen des alten Deutschen Reiches sind auch die Pfalzgrafen gegenstandslos geworden, soweit Amt und Titel nicht vorher schon abgeschafft wurden, und heutzutage ist die Einrichtung ganz in Vergessenheit geraten; selbst in akademischen Kreisen kennt man kaum noch das Wort, geschweige denn dessen Inhalt. Es ist daher wohl angezeigt, daß ich der Geschichte von dem Augsburger Pfalz­ grafen eine kurze Bemerkung über den Pfalzgrafen im allgemeinen vorausschicke. Es muß natürlich von vorne herein wohl unterschieden werden zwischen dem eigentlichen uralten Pfalzgrafen, einem hohen richter­ lichen Beamten, den wir schon in der Karolingischen Zeit antreffen, und dem sogenannten „Hofpfalzgrafen“ — lateinisch Comes Palatinus Caesareus, oder Sacri Lateranensis Palatii Comes oder Aulae vel Curiae Caesareae et lmperialis Consistorii Comes —, der in Deutschland durch Kaiser Karl IV. gegen Ende des 14. Jahr­ hunderts eingeführt wurde. In Italien soll es diese Pfalzgrafen schon früher gegeben haben. In der mittelalterlichen Jurisprudenz hatte sich schon sehr früh die Anschauung herausgebildet, daß, da die Universitäten ihre Rechte von Papst und Kaiser haben, auch Papst und Kaiser selbst diese Rechte geltend machen können:

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der Kaiser kann also auch ohne Mitwirkung einer Universität jemanden zum Doktor promovieren, was die Kaiser auch gelegent­ lich getan haben. Und daraus wurde dann der folgerichtige Schluß gezogen, daß der Kaiser dieses persönliche Promotionsrecht als Gnadenbeweis auf eine andere Person übertragen kann, und damit entstand der akademische Pfalzgraf. Sehr frühzeitig, vielleicht schon von Anfang an, unterschied man zwei Klassen von Pfalzr grafen, den major und den minor. Der erstere war erblich und wurde, wie es scheint, eigentlich nur an regierende Herren, Grafen und Fürsten verliehen. Doch gab es hierbei offenbar auch Aus­ nahmen, denn z. B. an der alten Universität Straßburg treffen wir einen erblichen Pfalzgrafen an in der Straßburger Professoren­ familie der Boeder, bei denen der Pfalzgraf schließlich an den „Rhentmeister und Müntzverwalter“ der Stadt Straßburg, Johann Philipp Boeder, vererbte. Wenn wir nun erfahren wollen, worin eigentlich die Befug­ nisse dieser akademischen Pfalzgrafen bestanden, so wenden wir uns am besten an den Urahn unserer Konversationslexika, an den von Peter von Ludewig, den Professor und Kanzler der Universität Halle, bearbeiteten Zedler’schen „Universal-Lexikon“, in dessen 27. Folioband, vom Jahre 1741, wir Aufschluß über den Pfalz­ grafen erhalten. Darnach sind diese Rechte folgende: „1. Die Gewalt, unehelich Geborene zu legitimieren, welches sich jedoch auf Fürsten-, Grafen- und Freiherrliche Kinder nicht, wohl aber auf eines seiner eigenen Kinder erstreckt. 2. Minderjährige, Kirchen und Gemeinden, so verkürzet worden, wieder in vorigen Stand zu setzen. 3. Baccalaureos, Magistros, Licenciatos und Doctores, die man bullatos nennt, in allen Fakultäten nach vorhergegangenem Examine des Kandidaten und mit Hinzuziehung anderer Personen der Fakultät, darin der Kandidat promovieren will, zu machen, welche man aber zum Unterschied derer auf Universitäten creierten gemeiniglich nur Doctores bullatos zu nennen pflegt. 4. Gekrönte Dichter zu machen. 5. Notarien zu creieren, worinnen aber die mit der Comitiv begnadigten Personen derlei nicht mißbrauchen sollen. 6. Zu adeln. 7. Wappen zu erteilen. 8. Vormünder und Curatores, 9. Annehmung an Kindes statt, desgleichen 10. die Entlassung aus der väterlichen Gewalt zu bestätigen. 11. Nachlaß

87 Alters halber zu erteilen. 12. Der Minderjährigen Veräußerung ihrer Güter und Vergleiche über Alimente zu bestätigen und darüber Abschied zu erteilen.“ Wie wir sehen, sind diese Rechte der Pfalzgrafen höchst viel­ seitig gewesen. Aber nicht alle diese Rechte sind jedesmal an einen Pfalzgrafen verliehen worden, sondern nur einzelne, die in dem Diplom besonders hervorgehoben wurden; so wird z. B. im Jahre 1582 dem jeweiligen Dekan der juristischen Fakultät zu Rostock die Pfalzgrafenwürde verliehen, mit dem Rechte „Taugliche zu Notarien, öffentlichen Schreibern und Richtern zu creieren“, weil der damalige Herzog Ulrich zu Mecklenburg dem Kaiser vor­ gestellt hatte, er müsse immer sich mit Notarien behelfen, die sich an fremden Orten creieren ließen, da in seinen Landen niemand die Macht hierzu habe; besonders häufig ist offenbar die Beschrän­ kung auf die Promotion zu Magistern und Doktoren gewesen, wobei es wohl immer ausdrücklich in dem Diplom hieß, daß ein Examen vor drei Doktoren der betreffenden Fakultät vorausgehen müsse, was aber zweifellos nur auf dem Papier stand, in der Praxis wohl niemals beobachtet wurde. Namentlich dieses letztere Promotionsrecht der Pfalzgrafen war natürlich eine schwere und, in der Praxis wenigstens, eine sehr bedenkliche Konkurrenz für die Universitäten selbst. Begreiflicher Weise begann daher schon frühzeitig, jedenfalls von den Universi­ täten selbst ausgehend und unterstützt, die Meinung sich zu ver­ breiten, daß die „Doctores bullati“, eben die von den Pfalzgrafen mit ihrer „Bulle“ ernannten Doktoren, erheblich minderwertig seien gegenüber den Doktoren, die sich ihren Titel regelrecht an einer Universität geholt hatten; gelegentlich wurde hieraus auch eine praktische Schlußfolgerung gezogen, daß sogenannte Bullendoktoren nicht Mitglieder von einem Kollegium werden konnten, dessen Mit­ glieder nur Doktoren werden durften. Schon im Jahre 1692 finden wir z. B. in den „Monatlichen Unterredungen einiger guter Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten“ einen Aufsatz, wornach Herr Paulini, der Autor eines damals erschienenen Buches, „sehr übel auf diejenigen zu sprechen ist, welche die von den Pfalzgrafen creierten Doktoren Doctores bullatos nennen, und dafür hält, daß sie einerlei Rechte und Privilegien haben mit denen,

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so auf Akademien promoviert worden“. Ebenso finden wir einen Aufsatz „Einige Bemerkungen über die Bullendoktoren“ in den „Staatswissenschaftlichen und juristischen Nachrichten“, die Euse­ bius Lotz im Jahre 1799 herausgegeben hat. Lotz meint, die Er­ schleichung des Doktors ohne Examen sei bei den Universitäten ebenso gut möglich wie bei den Pfalzgrafen, man sollte daher eigentlich die beiden Doktoren gleichwertig behandeln. Er findet es dann sehr merkwürdig, daß ein Pfalzgraf, der verstorbene Präsi­ dent der Akademie der Naturforscher, Ferdinand Jakob Baier zu Ansbach, einen Apotheker zum Doktor der Chemie promoviert habe, und meint schließlich, es sei doch immer sicherer, die Doktor­ würde auf einer Universität anzunehmen, wenn jemand in ein Kollegium kommen wolle, zu welchem nur promovierte Personen zugelassen werden; und wer sich getraue, sich öffentlich zu zeigen, möge nicht leicht Doktor oder Licentiatus bullatus werden. Sehr merkwürdig ist,“ daß wir von nennenswerten Mißbräuchen an den Universitäten selbst erst in der allerletzten Zeit hören, erst am Anfänge des 19. Jahrhunderts, also kurz vor dem Erlöschen des alten Deutschen Reiches. Der ehemalige hessen-darmstädtische Geheime Regierungsrat Hezel, Professor an der Universität Gießen, war nach Dorpat berufen worden. Auf der Reise dorthin schlug er in Altona eine Bude auf und verkaufte hier Doktordiplome um fünf Louisdors, je nachdem auch noch billiger. Hezel hatte als Pfalzgraf das Recht der persönlichen Doktorpromotion, bei der selbstverständlich von jeder Prüfung überhaupt abgesehen wurde; er war 1778 von dem Fürsten Ludwig Günther zu SchwarzburgRudolstadt zum Pfalzgrafen ernannt worden. Das Journal „Ham­ burg und Altona“ hat nun im 5. und 6. Heft des Jahres 1802 den HezePschen Skandal aufgegriffen und gebrandmarkt. Hezel wußte darauf nur zu erwidern, daß er sein Pfalzgrafenrecht in Dorpat nicht mehr werde ausüben können. Nunmehr griff aber die HessenDarmstädtische Regierung kräftig zu, wie wir aus der Bekannt­ machung ersehen, die wir in den Marburger „Theologische Nach­ richten“, Nummer XXII vom 5. Juli 1802, antreffen: „Da die den Kaiserlichen Pfalzgrafen erteilten Komitive solche Vorrechte ent­ halten, die teils der landesherrlichen Hoheit und Gewalt allein zu­ stehen, teils eine Gerichtsbarkeit und dabei eintretende Kognition

89 voraussetzen, mithin nicht geduldet werden können, so ist, um dem Unwesen, welches solche Pfalzgrafen treiben, zu steuern, nach dem Vorgänge und Beispiel anderer Reichsmitstände unter dem 10. Mai dieses Jahres von des Herren Landgrafen Hochfürstlichen Durch­ laucht gnädigst verordnet worden, daß den Kaiserlichen Hofpfalz­ grafen die Ausübung solcher Rechte in den gesamten fürstlichen Landen untersagt und alle von ihnen desfalls ausgeübt werdenden und bereits ausgeübten anmaßlichen Actus mit alleiniger Ausnahme der Ernennung von Notarien und auch dies nur unter Beschränkung auf die bereits unter dem 20. September 1788 erlassene Notariats­ ordnung und Beobachtung der darin enthaltenen Vorschriften und Bestimmungen für null und nichtig erklärt sein sollen.“ Ebenso hören wir von wirklichen groben Mißbräuchen bei den außerhalb einer Universität stehenden Pfalzgrafen auch erst in den letzten Zeiten des alten Deutschen Reiches. So namentlich in dem dreibändigen „Handbuch des Teutschen Staatsrechts nach dem System des Geheimen Justizrath Pütter“, das der Helmstädter Hofrat und Professor Häberlin „zum gemeinnützigen Gebrauch der gebildeten Stände in Teutschland und mit Rücksicht auf die neuesten merkwürdigsten Ereignisse“ im Jahre 1797 herausgab. Häberlin spricht davon, daß man schon bei den westfälischen Friedens­ verhandlungen darüber geklagt habe, daß die pfalzgräflichen Komitive „zuweilen auf Schuster und Schneider erblich erwachsen wären“, und berichtet dann auf Seite 461 des ersten Bandes aus­ führlich von einem gewissen Freiherrn von Vöhl in, der mit seiner pfalzgräflichen Würde eine Art Gewerbe trieb, indem er „in einem großen Distrikt von Schwaben durch eigens ausgeschickte oder bestellte Kommissarien zu sehr heruntergesetzten und geringen Preisen alle Gattungen von Pfalzgräflichen Gnadenbriefen als Nobilitäts-, Palatinats-, Doctorats-, Licentiats- und Notariats-Di­ plomen, Wapen, Geburts- und Ehrlichmachungs-Briefe usw., ohne alle Rücksicht auf den Stand und die Fähigkeiten der Personen, in solcher Menge austeilte, daß in einem Umkreise von mehreren Meilen um den Baron von Vöhlin’schen Wohnsitz fast kein Beamter, kein Schreiber, kein Advokat war, der nicht mit einem Hoch­ freiherrlich von Vöhlin’schen Nobilitäts-, Palatinats-, Doctoratsoder Licentiats-Diplom, um 20 bis 50 Gulden erkauft, prangte“.

90 Dieser Baron von Vöhlin habe schließlich die Unverschämtheit so­ weit getrieben, daß er einen Barbier in Augsburg, nachdem er schon einige der dortigen Kaufleute geadelt hatte, zum Hof­ pfalzgrafen creierte und diesem die Erlaubnis erteilte, „in beiden Fakultäten der Rechte und Medizin, Doctores, Licentiatos und Baccalaureos, auch der freyen Künste und Philosophie Magistros, Baccalaureos und Poetas laureatos, ingleichen Notarios publicos zu creieren, Documente zu vidimieren, Wapen zu erteilen, unehlich geborne und infamierte Personen zu legitimieren“. Ein kurzer Aufenthalt am Augsburger Stadtarchiv genügte, um den Namen dieses Augsburger Pfalzgrafen herauszubringen. Die näheren Akten sind im Augsburger Archiv nicht mehr vorhanden, wohl aber in dem Haus-, Hof- und Staats-Archiv zu Wien, von wo mir auf Antrag alsbald eine Abschrift dieser Akten zugestellt wurde.

n. In dem heutigen Schwaben und Neuburg, in Illertissen und, nicht sehr weit davon entfernt, in Neuburg an der Kamel hauste in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die alte Familie der Freiherren von Vöhlin, die seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts bekannt ist; im Jahre 1494 ist sie in Augsburg in die Zahl der Geschlechter aufgenommen worden. Der letzte männliche Sproß der Familie, Freiherr Johann Josef Franz Ludwig, der am 22. No­ vember 1786 zu Neuburg gestorben ist, hatte schon von seinem Vater den Besitz unter sehr schwierigen Verhältnissen übernommen« Im Jahre 1756 verkaufte er Illertissen an den Kurfürsten Max Josef von Bayern und siedelte nach Neuburg an der Kamel über, etwa 20 Kilometer südlich von Günzburg an der Donau, einem hübschen Schlößchen auf steilem Hügel dicht über dem freund­ lichen Marktflecken Neuburg. Nicht weniger als sechsmal war Johann Josef verheiratet, aber auch damit scheint er seinen Ver­ mögensschwierigkeiten nicht abgeholfen zu haben. Sein einziger Sohn starb bereits im Jahre 1770, zwei Töchter, die in Neuburg begraben liegen, überlebten ihn. Trotz des günstigen Verkaufes von Illertissen nahmen die finanziellen Verlegenheiten auch in Neu­ burg kein Ende. Aufs schwerste bedrängt, kam er in den sechziger Jahren auf den unglücklichen Gedanken, die Pfalzgrafen-

91 würde, die Kaiser Siegmund anno 1417 dem jeweiligen Senior der Familie beigelegt hatte, geschäftlich zu verwerten. Schon oben haben wir aus Häberlins Staatsrecht gesehen, wie Freiherr von Vöhlin seine ganze Nachbarschaft mit Doktoren- und Magister­ titeln ausstattete, immer gegen eine verhältnismäßig sehr geringe Bezahlung. Am 21. August 1764 ist an der Universität Straßburg ein gewisser Georg Ignatius Nassall aus Niederrieden (einem kleinen Kirchdorfe bei Memmingen) immatrikuliert worden, der sich bei seiner Eintragung selbst als „SS. Caes. Majestät. Comes palatinus“ bezeichnete, am 22. August des genannten Jahres das Examen bestand und am 13. März 1765 disputierte, aber nicht den Doktor, sondern nur den Licentiatus juris erhielt; es wird kaum zu be­ zweifeln sein, daß wir auch in ihm ein pfalzgräfliches Fabrikat des Freiherrn von Vöhlin zu erblicken haben. Später dehnte dann der Freiherr seinen Handelsverkehr weiter aus, bis nach Augsburg, wo er zunächst mehrere Kaufleute adelte, wofür er jedenfalls erheblich besser bezahlt wurde. Am 2. Dezember 1777 aber tat er hier einen Schritt, der ihm noch viele Unannehmlichkeiten zuziehen sollte: er verlieh einem Augsburger Barbierer namens Kephalides ein „überaus prächtiges und mehr als adeliges“ Wappen, gleichzeitig auch ein Diplom, wodurch er den guten Augsburger Barbierer mit der hohen Würde eines Kaiserlichen Pfalzgrafen bekleidete, mit allen ihr anklebenden Rechten, „nahmentlich: das Recht, in beyden Facultäten der Rechten und Medizin Doctores, Licentiaten und Baccalaureos, auch der freyen Künste und Philo­ sophie Magistros, Baccalaureos und Poetas laureatos, ingleichen Notarios publicos zu creieren, selbsten cum fide publica zu vidimieren, Wapen zu erteilen, unehelich gebohrne oder andere maculierte Personen zu legitimieren, Tutores und Curatores zu bestätigen und zu entsetzen, Leibeigene zu erledigen, famam herzustellen“. Kephalides wird in den Akten des Augsburger Stadtarchivs als „Chirurgus, Operateur und Accoucheur“ bezeichnet. Er hat sich am 14. Oktober 1756 mit der Tochter eines Barbierers ver­ heiratet und hat dann am 9. September 1763 das Haus Lit. D 32 in der Philippine Weiserstraße (unweit des Weberhauses) erworben, das vor nicht langer Zeit von der Architektenfirma Jack & Wanner abgebrochen und umgebaut wurde, gegenwärtig das Bankgeschäft

92 Epstein & Gunz enthält. Kephalides scheint also, wie auch aus anderm hervorgeht, ein ziemlich wohlhabender Mann gewesen zu sein. Schon die Nobilitierung verschiedener Kaufherren hatte in Augsburger Magistratskreisen erheblich verschnupft, die Erhebung des Barbierers Kephalides zum Kaiserlichen Pfalzgrafen aber brachte den Magistrat der Stadt Augsburg vollends in Harnisch. Den eigent­ lichen Grund hiervon erfahren wir nicht. Kephalides hatte kurze Zeit vorher einen Prozeß gegen die Stadt gewonnen; das kann aber doch kaum die einzige Ursache gewesen sein. Dagegen vermute ich, daß es dem Magistrat aus einem ganz andern Grunde nicht gleichgiltig war, wenn jetzt seine Schreiber und sonstigen Beamten von dem Barbierer zu Doktoren ernannt werden konnten: der Doktor hat damals noch mehr gegolten als heutzutage, der Doktor stand gesellschaftlich den Patriziern gleich und konnte auch das Töchterchen einer Patrizierfamilie heiraten. Am 30. De­ zember 1780 richtete daher der Magistrat von Augsburg eine Beschwerde unmittelbar an den Kaiser, worin er folgende Gesichts­ punkte geltend machte: das Kaiserliche Privilegium von Kaiser Siegismund von 1417 gebe dem Freiherrn von Vöhlin keineswegs das Recht, seinerseits wieder Pfalzgrafen zu ernennen; der mit der Pfalzgrafenwürde beehrte Barbierer Kephalides sei ein „illiteratus“, ein nicht wissenschaftlich gebildeter Mann, der mit seinen chirurgischen bürgerlichen Beschäftigungen auch intuitu nexus civici, im Hinblick auf seinen bürgerlichen Stand, eines solchen Vor­ zugs unfähig sei; die ganze Concession sei dem dasigen Publico nachteilig, da es ohnehin mit vielen untüchtigen Notariis schon vorher äußerst belästiget sei, weshalb der Magistrat bittet, zu ge­ statten, daß die Notarii nicht anders als nach vorgängigem examine, Approbation und Immatriculierung bei ihm, dem Magistrat, zur Praxis admittiert werden.

in. Diese Beschwerdeschrift des Augsburger Magistrats wurde dem Reichsfiskal überwiesen, indem man ihn gleichzeitig „ seines Amts erinnern“ ließ. Der Fiskal mußte das Unternehmen des Frei­ herrn von Vöhlin für „gesetzwidrig und strafmäßig“ ansehen. Kaiser

93 Sigismund habe zwar dem Hans Konrad von Vöhlin und nach ihm dem ältesten des Geschlechts die Würde eines Comitis Palatini Lateranensis erteilt und ihm die Gewalt beigelegt: Notarios zu creieren, uneheliche Natalia zu restituieren und untadelhaften Leuten Wappen zu geben; aber von der Macht, selbst Comites Palatinos zu creieren und Doctores zu machen, sei keine Rede. Der Frei­ herr habe sich also nicht nur ein ihm nicht gebührendes Recht angemaßt, sondern auch das Publikum hintergangen. Das sei in den Reichsgesetzen und besonders in den Wahlkapitulationen hoch verboten, und es sei verordnet, daß in solchen Fällen nicht nur die Kaiserlichen Begnadigungen wieder gänzlich kassieret und auf­ gehoben, sondern auch der Reichsfiskal angewiesen wäre, der­ gleichen Contravenientes nach Gestalt des Verbrechens zu behöriger Strafe zu bringen. Der Fiskal müsse daher bitten: „daß nicht nur wegen des unternommenen Mißbrauchs das Kaiserlich Sigismundische der Familie Vöhlin erteilte Palatinat, sondern auch sämtliche gegen dessen Inhalt von dem Freiherrn von Vöhlin ausgestellte Instrumenta gänzlich cassieret und aufgehoben, und überdies der Contravenient wegen seiner offenbar gespielten Gefährde und Vilipendierung der Kaiserlichen Autorität in eine Poen von fünfzig Mark Gold erkannt werde.“ Am 14. März 1782 wurde von dem Vertreter des beklagten Freiherrn von Vöhlin ausführlich Einsprache erhoben. Der Impetrat könne zwar nicht in Abrede stellen, daß in dem Kaiserlichen Freiheitsbriefe von 1417 in ausdrücklichen Worten nur das ent­ halten sei, was der Reichsfiskal angeführt habe. Es scheine aber der Sinn und Verstand des Privilegii auch auf Comitiven-Erteilungen und Nobilitierung hinauszugehen, weil einesteils alle Privilegia favorabilia latissimae interpretationis wären, andernteils zu Zeiten Kaiser Sigismunds die Gnadenbrief in extenso auszufertigen nicht gewöhn­ lich, sondern alles in diesen Formalibus enthalten sei: „sich auch aller Gnaden und Freiheiten erfreuen und gebrauchen sollen, deren sich andere unsere und des Reichs Pannerherren und Comites Pa­ latini von Rechts- und Gewohnheits wegen gebrauchen.“ Aus diesem Grunde habe Impetrat vermeint, nicht anzustoßen, wenn er den Meutern Privilegii auch auf die Comitiv-Erteilungen, dann das Jus nobilitandi et creandi Doctores sich ganz sicher zu verstehen

94 beglaubiget gewesen, da sich die im Römischen Reich hergebrachte Gewohnheit, worauf sich das Comitiv wirklich beziehe, sich so weit erstrecke. Impetrat habe auch noch einen Rechtsgelehrten, den Ratskonsulent Doctoren Nuibling zu Ulm zu Rate gezogen, also im besten Treuen und Glauben sein Recht auszuüben geglaubt. Seine Vorfahren hätten mit vielen Opfern an 'Gut und Blut das Privilegium erworben und es immer so ausgeübt, ohne jemals An? fechtung oder Widerspruch zu erfahren. Wenn also auch die Extensio Privilegii der heutigen Interpretation nicht mehr angemessen sein sollte, so hoffe Impetrat, daß ihn Seine Kaiserliche Majestät doch in Rücksicht auf die Verdienste seiner Voreltern in seinen Freiheiten bestätigen und die von ihm ausgefertigten Instrumenta confirmieren werde. Bemerkenswert ist, daß sich hier mit vollster Deutlichkeit die Tatsache ausspricht, wie unklar damals, 1782, schon das ganze Rechtsverhältnis geworden war. In Wirklichkeit lag doch die Sache so einfach wie möglich: wenn in einer Komitiv nicht aus­ drücklich gesagt war, daß es sich um die sogenannte Comitiva major handle, das heißt um die Verleihung der Befugnis, selbst wieder Pfalzgrafen zu ernennen, dann war es eben eine Comitiva ininor, die beschränkt war auf die Befugnisse, die in dem Diplom einzeln aufgeführt wurden. Dazu kam noch, daß wohl niemals eine Comitiva major an einen einfachen Freiherrn, sondern immer nur an einen regierenden Fürsten und Herrn verliehen wurde. Bezüglich des zweiten Punktes aber, daß nach Ansicht des Augsburger Magistrats der Kephalides „wegen seiner bürgerlichen Beschäftigung eines solchen Vorzugs unfähig seiÄ, wird von dem Beklagten betont, daß Kephalides ein Churpfalz-Bayrisches Hofrats-Decret habe, der Beklagte habe sich also wohl für berechtigt gehalten, einen Rat und Diener eines Churfürsten zu würdigen; von der offenen Barbierstube habe er nie etwas gewußt. Das ganze Vorgehen des Augsburger Magistrats rühre nur aus einer Gehässigkeit gegen den ersagten Kephalides her, weil dieser einen Prozeß gegen den Magistrat gewonnen habe. Am 20. Juni 1782 erwidert der Reichsfiskal auf diese Ein­ rede. Die Entschuldigungsursachen seien bloße Ausflüchte. Mit

95 dem falschen Satze des Impetraten von der Interpretatio latissima müßte jeder Unterschied zwischen der Comitiva major und der Comitiva minor überhaupt aufhören, womit der Reichsfiskal zweifel­ los das Richtige trifft. Die gleichmäßige Ausübung der Impeträtischen Voreltern entschuldige den sträflichen Mißbrauch des Privilegii nicht und in praejudicium der Kaiserlichen Majestäts-Rechte sei keine Gewohnheit gültig. Die angebliche Unwissenheit, daß der Kephalides eine offene Barbierstube halte, sei unwahrscheinlich und unerheblich, weil der Beklagte die Pflicht gehabt habe, eine Kaiserliche Gnade nicht ohne gewissenhafte Untersuchung aus­ zuspenden. Das vorgeschützte Hofrats-Decret von Bayern sei gleicher Gestalt unerwiesen und in Bayern überhaupt nicht ge­ wöhnlich, auch im bayrischen Schematismo, in welchem alle auch auswärtigen Titulati bemerket wären, nicht befindlich. Im übrigen bliebe auch trotzdem immer die Überschreitung der Grenzen seines Privilegii strafbar. Der Reichsfiskal schließt daher, er müsse seinen ersten Antrag aufrecht erhalten. Unter dem 18. November des gleichen Jahres reicht der Be­ klagte wieder eine umfangreiche Gegenschrift ein, worin er diesmal ein gröberes Geschütz vorführt. An die Spitze stellt er den Satz: wenn man die triftigen Beweg-Ursachen des von Kaiser Sigismund erteilten Freiheitsbriefes und dessen buchstäbliches Verhältnis sowie die damalige Schreibart ins Auge fasse, so dürfte an der dem Beklagten zustehenden Comitiva major nicht mehr gezweifelt werden, denn seine Vorfahren hätten in Deutschland, in der Lom­ bardei und in Gallien mit Aufopferung eigenen Blutes vielfältige Kriegsdienste geleistet und dadurch ihr uralt adeliches Geschlecht in Abnehmen und Verderben gestürzet; der erste Erwerber Con­ rad von Vöhlin hätte also oftgedachten Kaiserlichen Gnadenbrief mit empfindlichem Verlust seines Ansehens, Güter und Unterthanen und dem augenscheinlichen Untergange der Familie so teuer er­ kauft, er habe also zweifellos zur geschwinden Aufrichtung des ruinierten Geschlechts das große Comitiv als eine dem damaligen Zustande angemessene Vergeltung erhalten. Daß der Beklagte auch in Ansehung des Kephalides nicht ohne Grund und Recht vorgegangen, wird bewiesen durch die Feststellung, daß dieser Kephalides nicht weniger als vier hohe Würden und Ämter be-

96 sessen habe: ein Brandenburgisches Bayreutisches Decret als Leib Chirurgus vom 22. März 1758, ein Churfürstlich Bayrisches Decret als Leib-Oculist vom 11. April 1764, ein Fürstbischöfiiches Regensburgisches Decret als Regensburg- und Ellwangischer Leib-Oculist vom 10. November 1770, ein Churfürstlich-Bayrisches Decret als würklicher Rath vom 24. November 1770; äuch sei Kephalides in dem Churbayerischen Hof- und Staats-Kalender von 1774 als Chur­ fürstlicher Rath und im Jahre 1780 als Churfürstlicher Rath und Leib-Oculist aufgeführt. Der Beklagte habe daher geglaubt, dem Kephalides als einem wohlgeprüften und best meritierten Manne die anverlangte Comitiv erteilen zu können. Auf diese gewichtigen Einreden erwiderte der Reichsfiskal am 13. März 1783 ziemlich kurz: durch den „unerheblichen Inhalt“ der Schrift sei nicht in Abrede gestellt, daß das Privilegium Kaiser Sigtemundi nur eine Comitiva minor in ihrer herkömmlichen von der Comitiva * majori sehr unterschiedenen Form und mit ihren bestimmten Grenzen gewesen, der von dem Beklagten betriebene zu Verkleinerung des Kaiserlichen Ansehens gereichende sträfliche Mißbrauch sei nicht im geringsten entschuldigt. Mitten im Verlaufe dieser Verhandlungen leistete sich der Freiherr von Vöhlin, am 14. Oktober 1783. den Scherz, neuerdings einen Reichs-Stadt-Augsburgischen Advokaten namens Walter zum Lizentiaten juris zu ernennen, „ganz neuerlich zu Trutz und Ab­ bruch der Kaiserlichen Autorität“, wie der Reichsfiskal unter dem 26. Februar 1784 nachdrücklich hervorhebt. Gleichzeitig stellt der Reichsfiskal anheim, „inwieferne das so auffallende neuere Attentatum noch in Sonderheit zu ahnden wohl gefällig sei“. In seiner Antwort vom 19. Juli 1784 schlägt nun der Beklagte wesentlich andere Töne an als bisher. Er bemerkt zunächst, der Kläger bestehe lediglich nur mehr auf dem Unterschied zwischen der Comitiva majori und minori, und lege also dem Beklagten nicht mehr unstrafbare Anmaßung als unbefugten Mißbrauch zur Last. Der Beklagte unterwerfe sich demnach einer mild-richter­ lichen und großmütigen Erkenntnis, möchte aber betonen, daß in­ zwischen sein Bruder, der Domherr zu Regensburg, neulich ver­ storben und Impetrat folglich der letzte von der Vöhlin’schen

97 Familie sei, und mit seinem letzten Atemzuge zugleich die Kaiser­ liche Begnadigung vom Jahre 1417 mit erlösche und absterbe. Er selbst sei 70 Jahre alt und beständig kränklich, und, wie das bei­ gefugte ärztliche Attest besage, in täglicher Lebensgefahr. Eine widrige Entscheidung dieser Sache müßte ihm den letzten Herzens­ stoß geben, ohnehin sei er bei schlechten Einkünften und bringe sein Leben nur in Kummer und Sorge hin. Der Rath Kephalides aber habe dem Augsburger Magistrat bereits die Zurückgabe des ihm ausgefertigten Diplomatis angeboten. Und am 27. September 1784 erklärt der Beklagte, er wolle den Weg der Gnade einschlagen, wegen Alters und Blödsinnigkeit sich seines Diplomatis und seiner Palatinats-Würde gänzlich begeben, und damit aller künftigen Ver­ leitung abhelfen. Diesem Schriftstücke lagen drei, vom Notar vidimierte Er­ klärungen bei. Einmal bekunden die Land-Vogts- und Ober-AmtsRäthe der Markgrafschaft Burgau unter dem 2. September 1784: „nachdem die Herrschaften des von Vöhlin lange Jahre in Ad­ ministration gestanden, auch die Allodien verkauft worden, sind jetzo allein noch die österreichische Lehen-Stücke übrig, wovon derselbe nur noch so viel zu beziehen habe, als zur nötigen Nahrung und gleichsam Alimentation erfordert werde; bey solchen Umständen und jetzo allein einschlagenden Betracht der Österreichischen LehenGüter werde die Angelegenheit des Freiherrn von Vöhlin dahin geziemend empfohlen, womit derselbe wegen Schwäche seines 78 jährigen Alters von fernem Fiscalischcn Proceß verschonet werden möge“. Weiterhin bezeugen zwei Arzte, ein Land-Physicus und ein Augsburger Stadt-Physicus, daß „Freiherr von Vöhlin in seinem 78 jährigen Alter mit sehr vielen üblen Zufällen, Ge­ schwüren, Schwindel, schwachem Gedächtnis und Sinnlosigkeit behaftet sei“. Endlich erklärt der „Impetrat“, seine PalatinatsWürde gänzlich aufzugeben und solche Ihrer Kaiserlichen Majestät zu Füßen zu legen; er würde das Original selbst überreichen lassen, wenn dieses nicht in Verlust gegangen und nirgends mehr zu finden wäre. Letzteres wird noch ausdrücklich von dem Ober-Vogt Kolb zu Neuburg an der Kamel dahin bescheinigt, daß das Diplom schon vor 30 Jahren im Archiv nicht mehr zu finden gewesen und vermutlich schon vor älteren Zeiten verloren gegangen sei. 7

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IV. Aber auch dieser rührselige Ton, den der Beklagte oder dessen Rechtsvertreter nunmehr angeschlagen, rührte den strengen Reichsfiskal nicht im mindesten, denn unter dem 31. Mai 1785 „dociert“ er, „daß Impetrat angedrohtermaßen nunmehr pro confeöso gehalten und nach gerechtestem Ermessen bestrafet werden wolle“. Da war es aber für den armen Freiherrn ein besonderes Glück, daß in der Kaiserlichen Hofkanzlei ein in den Akten nicht genannter Beamter saß, der entweder dem Reichsfiskal nicht wohl­ wollte oder aber nur ein Vergnügen darin fand, jenem seine Macht und sein besseres Wissen vor Augen zu führen. Dieser Beamte gab ein ungeheuer langatmiges „Votum“ ab, mit dem unsere Akten abschließen. Dieses Votum ist nicht datiert, nach dem bisherigen Gange des Prozesses dürfen wir aber wohl annehmen, daß es auch erst nach langen Monaten entstanden ist, also schon nicht mehr allzu lange vor dem Absterben des „Impetraten“. In diesem Votum wird der Reichsfiskal mehrfach kräftig abgekanzelt, daß er sich auf die eigentlichen Fragen nicht, »wie er doch schuldig gewesen wäre“, eingelassen habe, und seine Ausführungen werden geradezu als „seicht“ getadelt. Ich gebe hier einen etwas ausführlichen Aus­ zug aus diesem interessanten Aktenstücke, das deutlich zeigt, wie unklar man sich sogar in der Hofkanzlei über die Rechtsverhältnisse dieser Pfalzgrafen war, und gleichzeitig auch einen bemerkenswerten Einblick in die damalige juristische Praxis am Kaiserlichen Hofe gewährt. Votum. Bey dieser Fiscalischen Klage kömmt praejudicialiter alles auf die Frage an: Was zu Anfang des XVten Seculi und vor vierthhalb-hundert Jahren unter einer Kayserlichen Verleyhung der Würde und Hoheit eines Comitis Palatini Lateranensis begriffen, und wie die in dem Gnaden-Briefe enthaltene Clausul: nach Recht und Gewohnheit zu gebrauchen, heut za Tage rechtlicher Art nach zu erklären sey? — Fiscalis hat sich hierüber, wie er doch schuldig gewesen wäre, gar nicht eingelaßen, ohngeacht Im­ petrat den Grund seiner Exception und Defension hauptsächlich aus der Qualitate comitum Palatinorum Lateranensium, und aus der angeführten Clausul des Gebrauchs der besagten Comitiv nach Recht und Gewohnheit genommen hat, ob er gleich in Speciaiiora ebenfalls nicht hineingegangen.

99 ist, sondern sich benüget, jene notiones und Einreden nur vage hin­ zuwerfen. Wogegen es Fiscalis seiner Seits wiederum ganz leicht ge­ nommen, und alles mit dem Unterschied zwischen den Comitivis majoribus und minoribus zu heben geglaubt hat. Da wir aber in einem judicio poenali Cassatorio et privatorio versiren, mithin unser Schuldigkeit erfordert, auch ex officio die DefensionalEinreden des Angeklagten genauer zu erörtern; so müßen wir an Stat der gar zu seichten Fiscalischen replicarum das vom Fiscal zum Grunde seiner Klage gelegte alte Diploma tiefer untersuchen, mithin Klage und Einwendungen genauer prüfen. Das Fundament der Fiscalischen Klage ist demnach der strafbare Mißbrauch und die Übertretung einer Kayserlichen Comitiv. Der Grund der Klage wird damit bewiesen, daß Impetrat a) einem Augsburgischen Bürger und Barbierer, b) ein mehr als adeliches Wapen, c) die Würde eines Kayserlichen Pfalz Grafen, und d) so gar pendente Lite einem Advocaten den Titel eines Licentiaten beygeleget, mithin e) in dem allen die Grenzen seines Pfalz-Grafen Diplomatis über­ schritten. Impetrat gibt die Imputata zu, wendet aber dagegen die Natur und Eigenschaft seines von seinen Voreltern hergebrachten besondem Rechts der Comitum Palatinorum Lateranensium, seiner und seiner Voreltern über 300jährigen ruhigen, nie unterbrochenen noch untersagten Besitzes und Gebrauchs, folglich den Abgang des Doli und der Straffwürdigkeit seiner Handlungen ein, welchem allen Fiscalis replicando nichts als die Grenzen der heutigen kleineren Comitiven entgegen zu setzen gewust. Solchem nach ist die Frage: hat Fiscalis den vorgeben Mißbrauch und die darauf gesetzte Straffälligkeit rechtsgehörig verwiesen? — Ich meines Orts wüste dieses noch zur Zeit nicht zu behaupten: So lange Fiscalis nicht beßer als geschechen erweisen kann, daß der den Impe­ tratischen Vorfahren ertheilte K. Gnadenbrief mit einer heutigen Comitiva minori zu vergleichen sey, und ein alter Comes Palatinus Lateranensis nur die Rechte eines neuen Hof-Pfalz-Grafen unsrer Zeiten auszuüben habe. Die nämliche Quelle, aus welcher der Sigismundische vom Fiscal selbst producirte Gnaden-Brief geschöpft ist, würde ihn auch bey der geringsten Untersuchung darauf geführt haben, daß überhaupt mit den Comitiven seit 150 Jahren bey der Reichs-Canzley eine große Veränderung vorgegangen sey. 7*

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Auch außer den Nachrichten des Reichs-Archivs weiß es heut zu Tage ein jeder, daß die ersten dergleichen Comites und Comitiven sich schon vom Constantino Magno herschreiben: daß sie unter den Römi­ schen Kaysern schon verschiedene Gattungen und Ordines gehabt, be­ weisen schon' bloß die verschiedenen Tituli des Codicis de Comitibus Imperialibus verschiedener Arten, und einem jeden ist aus der Römischen Geschichte das berühmte Palatium Lateranense bekannt, welches dem Patricio Laterano, als einem Comiti primi Ordinis gehörte, und vom Kayser Nero, nachdem er den Patricium ermorden laßen, dem damaligen Pontifici Maximo zu Rom übergeben hat. Seit der Zeit ward es ein geistliches und Kirchen-Pertinenz, biß Kayßer Ludovicus Bavarus den Comitatumu Lateranensis Palatii ad fiscum Caesareum et Sacrum romanum Imperium justis et Legitimis Causis devolutum et applicatum vindicirte, und einem Castrucio verliehe. Die Comites Pallatii Latteranensis waren also nicht schlechtweg Comites Palatini in heutigem Verstände, sondern sie wurden Comites Sacri Consistorii Imperialis, Comites Aulae Palatiique Caesarei genannt. , Die nachherigen Päbste wolten sich aber der Rechte des Pallatii Lateranensis nicht gänzlich enthalten. Daher entstanden Comites Palatii Lateranenses Romani, und Comites Palatii Lateranensis Germanici, deren Recht und Gewalt hauptsächlich darin bestand in Kayserlich er Nahmen Milites zu machen, und sie mit dem Cingulo Mi­ litari zu begaben, Judices Ordinarios und Notarios zu bestellen, und aller­ hand Legitimationes auch Dispensationes zu ertheilen. Das Officium Comitis Palatii. Lateranensis Germanici war schon zu Caroli Magni Zeiten bekannt, und das Palatium Lateranense zu Aachen. Die nachherigen Kayser haben in Deutschland vielfältig dergleichen Comitiven aber nur immer viris illustribus und ob bene merita ertheilet. Vom Kayser Sigismundo hat man bißhero nur eines der gegenwärtigen Gattung im Druck gesehen, nämlich das, welches er im Jahr 1433 seinem Canzler Caspar Schlick gegeben, beym Lünig in Spie. Sec. P. 11 p. 1175, das gegen­ wärtige von eben demselben Kayser de anno 1417 ist folglich noch älter, und für die Anecdoten-Sammler unsrer Zeiten ein Leckerbißen. Nur erst unterm Friderico III. und nach seinen Zeiten wurden die Comitiven gemeiner, und die Unterscheidung derselben zwischen Majoribus et minoribus ist eine Geburth des yorigen Seculi, nachdem die Reichs-Stände angefangen, über die häufigen Comitiven, und deren Mißbrauch zum Nachtheil der Landes-Hoheit zu gravaminiren: und so gar etwas davon in das bekannte Project der perpetuirlichen Wahl-Capitulation fließen ließen. Dis gab Gelegenheit das zum ersten mahl in den XXIIten Art. § 7 der Wahl-Capitulation Caroli VIti die Bestrafung des Misbrauchs der Pala-

101 tinaten eingerücket ward. Die Geschichte beweiset aber zugleich, daß damals nicht die Meynung gewesen, den Kayserlichem Vor-Recht hierunter einzugreifen, sondern nur das Monitum dahin gegangen, um die Translationes per Substitutionem auf andere Personen zu verhüten. Alles dieses konnte und solte ein Reichs-Fiscal so gut als wir wißen, folglich, wenn er auf Bestrafung eines Mißbrauchs des Palatinats klaget, den Mißbrauch und die Übertretung in casu specifico gehörig beweisen. Daran fehlet es aber in gegenwärtigem Fall gar sehr. Es ist nicht genug in generalibus einen Mißbrauch der kleinen Comitiv vorzugeben, wo noch erst in Frage stehet: ob der Beklagte bloß mit der kleinern Comitiv begnadiget sey. Er wendet vielmehr sein Jus Comitis Palatini Lateranensis ein: folglich hatte Fiscalis zu beweisen, daß dieses nur in der Comitiva minori bestehe. Das Gegentheil, und daß die Lateranensis von Alters her mehr als die heutige Comitiva minor gewesen, ist wenig­ stens historice mehr als wahrscheinlich. Jene wurden, wie schon oben gedacht, nur Illustribus und ob bene merita ertheilet. Beydes trift bev Impetraten ein. Der erste Erwerber war zu seiner Zeit allerdings zu den Illustribus zu zählen. Ein Kayserlicher Rath war vor 350 Jahren nichts so gemeines wie etwa heut zu Tage. Der Conrad v. Vöhlin war aus einem uhralten Reichsadelichen Geschlecht. Die Kayserliche Ver­ leihung geschah wegen ritterlichen Thaten und Verdienste um die Kayser­ lichen Vorfahren, und in remunerationem des daher erlittenen GüterVerlusts. Im Jahre 1360 war ein Heinrich v. Vöhlin schon Ritter des hl. Grabes; und noch im Jahr 1713 war ein v. Vöhlin Director der K. Ritterschaft in Schwaben an der Donau. Diese Geschieht-Kündigkeiten hätte der Impetratische Advocat freylich selbst anführen sollen. Allein da ers nicht gethan, so können wirs nebst andern in Notorietate beruhen­ den Dingen ex officio um so mehr bemerken, als es hier um die Defension eines betagten Greises zu thun ist, der nirgends dolose, sondern mit vor­ gehabten Rath der Rechts-Gelehrten nach dem Vorgang seiner Vorfahren zu Werk gegangen ist. Da nun der K. Gnadenbrief dem jedesmaligen Seniori einer illustren Familie, ob bene merita, und zu einiger Erholung in ihrem Verfall er­ theilet worden, folglich eine Interpretationem in amplissima, allerdings verstattet, auch analogice als gewiß angenommen werden kann, daß ein Comes Palatinus Lateranensis in altem Verstand zum wenigsten demjenigen gleich zu halten, der heut zu Tage eine comitivam majorem für bloßes Geld zu erwerben weiß; so stehet zu concludiren: daß Fiscalis den Grund seiner Klage, nämlich eines strafbaren Mißbrauchs oder einer Übertretung eines Kayserlichen Gnaden-Briefes in substrato nicht

102 erwiesen, indem er nicht, wie er zu thun schuldig war, erwiesen hat, daß Impetrat in Ertheilung der kleinern Comitiv, eines bürgerlichen Wapens, und eines Licentiaten-Titels mehr gethan, als er in der Qualität eines Comitis Palatini Latefanensis von Rechts- und Gewohnheits wegen zu thun befugt gewesen. Es könnte freylich aber auch noch ein Abusus darin begangen seyn, daß Impetrat einen Bürger und Barbierer, dann auch einen Advocaten respective Comitiv, Wapen und Titul beigeleget. Allein, nachdem Im­ petrat duplicando erwiesen: daß der Barbierer mit einem Churfürstlichen Raths-Character begabet, und der Licentiat ein würklicher Advocatus in Augsburg sey, die sich dergleichen Licentiaten Titel alle Tage auf jeder Universität kaufen können; Fiscalis auch in facto dem Beweiß nichts ent­ gegen zu setzen gewust; so ist wiederum nicht klar, wenigstens nicht ad effectum poenae für erwiesen nicht anzunehmen, daß Impetrat seine Aus­ spendungen an indignis exerciret, und damit dem Publico oder einem Tertio Schaden gethan habe. Bey diesen Umständen wüste ich ad condemnatoriam gebothenermaßen noch nicht zu kommen. Da Fiscalis gar sehr am Beweiß des Grundes seiner Clage ermangelt hat; so braucht es auch noch zur Zeit nicht eines recursus ad gratiam. Weiterem Schaden haben wir auch nicht vorzubeugen, weil mit dem letzten schon 78 jährigen Privilegiato die ganze Familie, mithin auch das ganze Privilegium mit zu Grabe gehet, und er bey seinem Leben auch bereits auf deßen Gebrauch feyerlich Verzicht ad acta gethan. Impetrati Petitum: Das weitere gerichtliche Verfahren zu sistiren, scheinet mir also den Rechten und der Billigkeit gestalten Sachen nach, nicht ungemäß: und Fiscalis selbst wird sonder Zweifel durch ein angemeßenes Loquatur, wenn er weiter anruft, sich gerne besänftiget finden.

V. Damit schließen unsere Akten. Was weiter geschehen, ob überhaupt noch weiter etwas erfolgt ist, wissen wir nicht. Jeden­ falls aber dürfen wir annehmen, daß es zu keiner Verurteilung gekommen ist. Wenn der Prozeß in dem bis dahin üblichen schleppenden Gange fortgeführt wurde, dann ist er ja ohnehin wahrscheinlich nicht vor dem Ableben des Freiherrn von Vöhlin, am 22. November 1786, zu Ende gegangen, damit aber war die ganze Geschichte im wesentlichen gegenstandslos geworden. Ob der Augsburger Barbierer, Hofrat und Leib-Okulist Kephalides

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formell noch Pfalzgraf blieb oder nicht, auch das spielt keine Rolle. Jedenfalls war ihm der prunkvolle Titel schon herzlich leid ge­ worden, wie ja schon aus seinem Anerbieten, das Diplom zurück­ zugeben, hervorgeht. Irgendwelchen Gebrauch hat er von seinem Amte als Pfalzgraf aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gemacht, wenigstens hat sich hierüber nichts feststellen lassen. In dem „ Augsburgischer Adreß-Sack-Calender“ wird Kephalides als Assessor des „Ehr-Löblichen Evangelischen Ehe-Gerichts“ aufgeführt, dem er seit 1772 angehörte, aber ohne Beifügung seiner Titel; und doch hat er offenbar äußerst viel Gewicht auf seine Prädikate gelegt, denn schon in dem Heiratsprotokoll vom 14. Oktober 1756 ist, zweifellos auf sein Verlangen, am Rande dem einfachen „Bar­ bierer“ noch der voller klingende Titel „Operateur und Accoucheur“ beigefügt worden. In dem Kirchenbuche von St. Anna aber lautet die Eintragung über sein am 5. Juni 1796 erfolgtes Ableben: „Kur­ fürstlicher Bayrischer würklicher Rat, Ehegerichtsassessor und Wundarzt“. Wir dürfen daher wohl annehmen, daß Kephalides nach dem unerquicklichen Prozesse den Titel „Pfalzgraf“, der ihn zweifellos ein schönes Stück Geld gekostet hatte, überhaupt nicht mehr geführt hat. Pfalzgraf Kephalides scheint übrigens in Augs­ burg eine nicht unbedeutende Rolle gespielt zu haben. Der Augs­ burger Schriftsteller August Vetter macht mich darauf aufmerksam, daß der bekannte Abenteurer Casanova in seinen „Erinnerungen“ des Mannes anerkennend gedenkt: „Dieser Doktor galt für den besten Chirurgen von Augsburg“ (Übersetzung von Conrad, Seite 380). An Casanova allerdings hat sich seine ärztliche Kunst nicht bewährt: Kephalides hat, nach der Erzählung von Casanova, beim Aufschneiden von zwei Leistengeschwüren aus Ungeschicklichkeit die Arterie angeschnitten und eine Blutung verursacht, „die mir das Leben gekostet hätte, wenn sich nicht der Bologneser Algardi, der Leibarzt des Fürstbischofs von Augsburg, meiner an­ genommen hätte“. Schließlich mag noch erwähnt sein, daß Augsburg in jener Zeit außer dem Barbierer Kephalides noch weitere drei „Pfalz­ grafen“ besessen hat. In dem kleinen, aber überaus reichen Haus­ museum, das Kommerzienrat August Riedinger eben in seinem Palasthotel zu den „Drei Mohren“ eingerichtet hat, habe ich einen

104 Wappenbrief vom 15. Oktober 1772 gefunden, mit dem ein gewisser Adam Georg Hilarion von Tausean, „Kayserlicher Hofpfalzgraf, beeder Rechten Licentiatus, der freyen Reichsstadt Augsburg Hospitalischer Oberbeamte und Actuarius“ dem Herrn Joseph Linay, „des* innern Rats der freyen Reichsstadt Augsburg und Gastgebern zu denen drey Mohren“ Wappen und Kleinod verleiht. In dem Augsburger Stadtarchiv — Hospitalarchiv Tit. III, tom. 139 — findet sich, daß dieser Tausean am 29. Januar 1765 zum Hospitalamts-Actuarius bestallt wurde, nachdem er bisher Obervogt zu Täfertingen gewesen. Am 12. August 1789 wird „auf zeitliches Ableben des Herrn Actuarii Tauseans seel.“ ein gewisser Kieninger als Nachfolger ernannt. Sonst ergibt sich aus den Akten nur, daß Tausean sich einmal eine Unterschlagung von Getreidegeldern zu schulden kommen ließ, die nur „in Hinsicht auf die bisherige fleißige und getreue Dienste und so auch auf die Angelobung eines fürohin zu verdoppelnden Diensteifers“ nicht weiter verfolgt wurde. Im Jahre 1786 hat dann der bekannte Augsburger Bibliograph Zapf seine „Augsburger Buchdrucker-Geschichte“ dem „Wohl­ geboren und Hochgelehrten Herrn Johann Heinrich Prieser, Beeder Rechte Doktorn, Kaiserlichen Hof- und Pfalzgrafen, und der Reichsstadt Augsburg Konsulenten“ gewidmet. In dem zweiten Teile dieses Werkes, der 1791 erschien, bezeichnet sich Zapf selbst auf dem Titelblatt als: „Kurfürstlicher Mainzischer Geheimerat, Kaiserlicher Pfalzgraf und verschiedener Akademien und gelehrter Gesellschaften Mitglied“. Es liegt hier der Gedanke nahe, daß auch diese drei Augsburger Pfalzgrafen ihre Würde wohl von Frei­ herrn von Vöhlin und von Kephalides erhalten oder erworben haben. Bei Zapf aber steht fest, daß er im Jahre 1786 vom Fürsten Johann zu Schwarzenberg (oder vielleicht: Schwarzburg?) zum Pfalzgrafen ernannt worden ist. Woher Tausean und Prieser ihre Pfalzgrafen­ würde erlangt haben, habe ich nicht feststellen können. So hat die alte Reichsstadt Augsburg noch in den letzten Zeiten des alten Deutschen Reiches, ohne Universitätsstadt zu sein, gleichzeitig vier leibhaftige Pfalzgrafen in ihren Mauern beherbergt. Soweit dann die Pfalzgrafen nicht stillschweigend oder, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ausdrücklich beseitigt wurden (so, wie schon erwähnt, im Darmstädtischen 1802, in Hannover 1805),

105 ist das merkwürdige Rechtsaltertum im Jahre 1806, gleichzeitig mit dem alten Römischen Reich Deutscher Nation, selig entschlafen. Am 18. Juni 1822 hat die Hannoversche Regierung eine ausdrück­ liche Feststellung für angezeigt gehalten, daß „mit der Auflösung des Deutschen Reichs das Amt der vormaligen Kaiserlichen HofPfalzgrafen und Notarien von selbst erloschen“ sei.

Nachrufe. Otto Roger f. In dieser Zeit voll Blut und Grauen, welche die Namen von Gefallenen herumwirbelt wie der Herbstwind die Blätter, in der jede Minute neues Entsetzen verbreitet, stehen wir mit dem Tode auf Du und Du. Auch hinter der Front sinken viele liebe und wackere Gefährten dahin und kaum läßt uns die Spannung unserer vom Kriege gezerrten Nerven die Stunden der Ruhe, ihrer mit Wehmut zu gedenken. Was gilt heute der Ein­ zelne, wo es das Schicksal unseres Volkes gilt! So wird in dieser Zeit des großen Sterbens die Nachricht von dem zu Augsburg am 8. November 1915 erfolgten Hinscheiden des Königlichen Obermedizinalrates a. D. Dr. Otto Roger bei manchem, der sonst länger dabei verweilt hätte, nur eine flüchtige Erinnerung an den ehemaligen, verdienstvollen Leiter des Medizinal­ wesens unseres schwäbischen Kreises und vielseitigen Forscher wachgerufen haben. Uns aber obliegt die Pflicht, in diesen Blättern über den Krieg hinaus dauernd festzulegen, was uns der Verstorbene gewesen ist, wie er fast zwei Jahrzehnte hindurch der I. Vorsitzende unseres Vereins und die Seele unserer Vereinsbestrebungen war und welch außer­ gewöhnlich schmerzlichen Verlust unser Historischer Verein durch sein Hinscheiden erlitten hat. Eingedrungen in die Geheimnisse der Natur machte sich sein reger Geist nach und nach sämtliche Zweige der Heimatforschung zu eigen. Allen denen, die dieses Kulturgebiet bearbeiten, war Roger ein anerkannter Führer, Helfer und Berater. Wenn Augs­ burg in der gelehrten Welt fortgesetzt einen guten Ruf als Pflege­ stätte der Vergangenheit genießt, so ist dieser Umstand nicht zum

107 wenigsten ein Verdienst Rogers. Dank der staunenswerten Viel­ seitigkeit seines Wissens, der kritischen Schärfe seines Denkens, seiner gründlichen Arbeitsweise und seines wissenschaftlichen An­ sehens war er der berufene Leiter unseres Vereins. Das Königliche Generalkonservatorium der Kunstdenkmäler und Altertümer Bayerns hat dem auch in einem an alle Historischen, Altertums- und MuseumsVereine Bayerns und auch an die Königliche Regierung von Schwaben und Neuburg übermittelten Nachruf vom 10. November 1915 auf folgende treffende Weise Ausdruck gegeben: „Am 8. November ist in Augsburg der I. Vorsitzende des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg, Herr Ober­ medizinalrat Dr. Otto Roger im gesegneten Alter von 75 Jahren verschieden. Mit all jener Liebe und Wärme, jener Aufopferung und Uneigennützigkeit, die wir seit Generationen als ein Vorrecht der historischen Vereine kennen, hat der hochverehrte Mann seine Musestunden der Erforschung der Heimat gewidmet. In den letzten Jahren waren es besonders die reichen Sigillata-Funde des Maxi­ miliansmuseums in Augsburg, die er durch Ordnung und Veröffent­ lichung dem Studium und der Wissenschaft zugänglich machte. Roger zählt zu den Augsburgern der Neuzeit, denen es die Stadt verdankt, daß sie, die schon in der Aera der Humanisten eine bedeutende Rolle in der Pflege und der Erforschung der römischen Denkmäler unseres Landes gespielt, auch in der Gegenwart Anteil an diesem wichtigen Zweig der Altertumskunde hat. Wir ehren das Andenken des hochgeschätzten Mitarbeiters, wenn wir fort­ fahren, in seinem Geiste mit Liebe und Eifer die ideale Aufgabe der Heimatkunde zu pflegen und zu fördern.“ Otto Roger wurde geboren am 31. Juli 1841 zu Rapperswyl in der Schweiz und kam schon im zarten Kindesalter (1842) nach Augsburg, das er stets als seine Vaterstadt betrachtet hat. Sein Vater war Lehrer der französischen und englischen Sprache, später zugleich auch Kustos am Maximiliansmuseum, in dem also Roger in jeder Beziehung „zu Hause“ war. Die Mutter starb kurz nach der Übersiedelung nach Augsburg. Roger besuchte das St. Annagymnasium zu Augsburg und wäre infolge seiner besonderen zeich­ nerischen Veranlagung gerne Maler geworden. Diese Existenz war aber dem vorsichtigen Vater zu ungewiß. Er wandte sich daher

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der Medizin zu und bezog die Universität Erlangen, wo er sich den Doktorgrad erwarb. Seine praktische Tätigkeit begann er als Assistenzarzt im Krankenhaus zu Prag. 1866 sehen wir ihn als kgl. bayer. Bataillonsarzt. Ende 1867 ließ er sich als praktischer Arzt in Egling bei Mering nieder, woselbst er auch im März 1868 durch seine Verheiratung mit Philippine, geb. Schnürer aus Erlangen, seinen Hausstand gründete. 1869 siedelte er als praktischer Ar^t nach Schwandorf über. Hier fühlte er sich besonders heimisch und auch die Bevölkerung war ihrem geselligen und heiteren Doktor äußerst zugetan. Er war Vorstand der Liedertafel und hatte sich durch Erbauung eines eigenen Hauses auf ein längeres Bleiben ein­ gerichtet. 1881 wurde er zum Kgl. Bezirksarzt in Kemnath und 1885 zum Kgl. Landgerichtsarzt in Augsburg berufen. 1887 kam er als Kgl. Kreismedizinalrat nach Bayreuth und 1892 in gleicher Eigenschaft nach Augsburg, woselbst er 1910 zum Kgl. Ober­ medizinalrat ernannt wurde. Mit 70 Jahren — 1911 — trat er in den Ruhestand, bei welchem Anlaß er durch Verleihung des Michaelsordens III. Klasse ausgezeichnet wurde. Als Arzt entwickelte er eine äußerst ersprießliche Tätigkeit, er hat manches sehr früh entdeckt und stillschweigend und ohne Aufsehen angewandt, auf was später dann auch andere kamen und es als ihre Entdeckung veröffentlichten. Sein segensreiches Wirken in den verschiedenen Stellen als Bezirksarzt, Landgerichtsarzt und Kreismedizinalrat ist von den Vorgesetzten hohen Stellen wiederholt anerkannt worden. Auf allen Plätzen, auf die er gestellt war, arbeitete er auf dem Gebiete der Hygenie aufs eifrigste mit. Für ihn, der den Entwickelungsgedanken stets sorgfältig gepflegt hat, stand fest, daß eine ungeschriebene Verpflichtung zur Förderung aller Keime der Volkskraft bestehe. So lieh er denn mit Erfolg allen jenen Bestrebungen seine Förderung, die durch Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, Verkürzung der Arbeitszeit, durch Volksernährungs-, Mütter- und Kinderfürsorge von breiten Schichten unseres Volkes jenen Druck nehmen wollen, der der Entfaltung und Verwirklichung guter geistiger und körperlicher Anlagen nicht nur im Wege steht, sondern schon manchen Einzelnen vor der Zeit ganz zum Verschwinden bringt. Mancher Platz, der heute mit einem tüchtigen Vertreter besetzt ist, sowohl in als hinter der Front, stünde

109 ohne diese Fürsorge, so dürftig sie bisher auch vielleicht in manchen Fällen gewesen sein mag, einfach leer. Zum Beschlüsse seiner Amtstätigkeit betrieb Roger noch die Durchführung der Kanali­ sation und die Schließung des nicht mehr zeitgemäßen katholischen Friedhofes in Augsburg. Neben seinen anstrengenden und aufregenden Berufsarbeiten fand aber der rastlos tätige Mann immer noch Zeit, sich mit Privat­ studien zu befassen, wobei ihm seine zeichnerischen Fähigkeiten besonders zu statten kamen. Die Tätigkeit seines Vaters im Maxi­ miliansmuseum, dem er schon als Knabe bei seinen Arbeiten be­ hilflich war, wies ihm den Weg zu seinen besonderen Studien. In Schwandorf und Kemnath beschäftigte ihn die Entwickelungs­ geschichte der Ameisen und Käfer. Viele seiner darauf bezüg­ lichen Handschriften mit feinsten Zeichnungen sind in seiner Familie noch vorhanden, z. B. eine „Beschreibung des Flügelgeäders der Käfer und fragmentärer Versuch einer Phylogenie der Käfer“. Sein Hauptwerk war die zeichnerische Darstellung der vorhandenen Skelette und Reste der fossilen Säugetiere (in systematischer Ord­ nung nach der Entwickelungsgeschichte), eine Arbeit von unend­ lichem Fleiß. Im Druck erschienen ist seine Arbeit: „Verzeichnis der bisher bekannten fossilen Säugetiere.“ Das Werk, jeweils nach dem Stande der Forschung ergänzt, ist wiederholt aufgelegt worden und sieht auch jetzt wieder einer Neuauflage entgegen. Mit ein­ gehenden Studien der Paläontologie hat er 1872 begonnen, aus diesem Jahre sind die ersten Exzerpte. 1898 begann er mit der Entwickelungsgeschichte der Schildkröten, etwas früher mit der der Krokodile. Roger nahm auch zahlreiche Ausgrabungen vor und hat eine reichhaltige Käfersammlung angelegt, welche das Naturwissenschaftliche Museum in Augsburg bewahrt. Nicht minder eifrig oblag er seinen geschichtlichen Studien. In manches Dunkel der Geschichte unserer Heimat hat er das so wünschenswerte Licht gebracht. Seit 10 Jahren beschäftigte er sich mit dem Studium der in Augsburg gefundenen Sigillate und zwar hat er bis ungefähr 14 Tage vor seinem Tode auf diesem Gebiet gearbeitet. Er stand in ständigem Briefwechsel mit Ge­ lehrten der ihn beschäftigenden Fächer, einer darunter war der Franzose Dechelette, von dem ein bedeutendes Werk über Sigillaten

110 existiert und der als Offizier der französischen Armee Ende 1914 gefallen ist. Sehr gefördert hat er auch noch kurz vor dem Kriege die Ausgrabungen bei Oberhausen. Was er wollte, hat er dabei erreicht. Er studierte schon lange den Weg der Römer bis Augs­ burg und ihre Niederlassungen. Das Studium der Sigillaten war ihm Mittel hiezu. Er stellte fest, daß unsere alte Augusta ihre Bedeutung weniger durch Augustus als durch Hadrianus erhielt: Die Neugestaltung des Maximiliansmuseums zu einer Sehenswürdig­ keit ersten Ranges nahm Roger sehr in Anspruch und stellte große Anforderungen an seine Arbeitskraft. Die Zeitschrift des Historischen Vereins enthält folgende Beiträge von ihm: Die Terrasigillatareste von Augsburg XXXIII If.; Röm. Töpferwaren von Westheim bei Augsburg XXXIII 371; Röm. Funde in Augsburg XXXVII 141, XXXVIII 1101, XXXIX 2581, XL 1571; Bildertypen von Augs­ burger Sigillaten mit 18 Tafeln XXXIX 261 — XL 941; Ein römischer Denkstein XXXIX 2541; Römische Funde in Augsburg XLI 1401; Der Serapiskult in Augsburg XLI 1411; Der bronzene Pferdekopf unserer Sammlung XLI 1431; Die alte Bronzetüre des Augsburger Domes XLI 1441 Die letztere Abhandlung war so­ zusagen sein Schwanengesang; die Bronzetüre der Augsburger Kathedrale beschäftigte ihn noch auf dem Totenbette. 1894 wurde Roger in den Ausschuß unseres Vereins berufen und am 28. September 1896 übernahm er an Stelle des nach München übergesiedelten Regierungsdirektors Edmund von Wirschinger den I. Vorsitz im Verein. Damit war eine Verbindung geschaffen, welche dem Historischen Verein zum Segen gereichte und nur durch den Tod gelöst werden konnte. Man kann die Frage aufwerfen, ob Roger als Naturhistoriker bedeutender war oder als Geschichtsforscher. Doch lassen wir diese müßige Frage und freuen wir uns, daß der Dahingeschiedene auf beiden Gebieten so außerordentliches geleistet hat und gleich wie unserem Historischen Verein auch dem Naturwissenschaftlichen Verein für Schwaben und Neuburg lange Jahre hindurch bis zu seinem Tode Ausschuß- und Ehrenmitglied, ja sogar eine Zeitlang Vorstand gewesen ist. Roger war ein aufrechter Mann, der seine Ansichten rück­ haltlos vertrat und das Gefühl geistiger Überlegenheit nicht immer

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verbarg, was manchem unbequem war. Seinem Freundeskreise vergoldete sein prächtiger Humor viele Stunden, wenn er nach getanem Werk im geselligen Kreise saß und Schnurren und Schwänke, insbesondere aus seiner ärztlichen Praxis zum Besten gab. Viel Freude im kleinen Kreise bereitete er auch mit seinen Zeichnungen und Karrikaturen und es wird wenige geben, die von einem Zusammensein mit diesem seltenen Menschen nicht irgend eine kostbare Anregung mitfortgenommen haben. Freud und Leid wechselten auch im Leben dieses Erdensohnes. Er hatte die Genugtuung, daß er, trotz mancher Widrigkeiten sich durchsetzte, und aus eigener Kraft die Persönlichkeit geworden ist, die wir in ihm verehren. So floß ihm das Leben in liebgewonnener Arbeit dahin, bis er an der Schwelle des Alters, wo man sich erst recht an seine Gefährtin halten möchte, seine Frau verlor und auch dem einzigen, hoffnungsvollen Sohn ins Grab sehen mußte. Hart trafen ihn diese Schläge, aber sie beugten ihn nicht. Auch sein Leiden trug er standhaft, und dem Tode sah er mit Ruhe ins Auge. Er konnte mit seinem verflossenen Nördlinger Kollegen, Friedrich Wilhelm von Hoven, Schillers Freund und Genossen von der Hohen Karlsschule sprechen: „Ich stehe schon nahe am Rande des Grabes, aber ich fürchte den Tod nicht.a So ist denn dieser reiche Geist von uns geschieden, er wird aber noch jahrzehntelang befruchtend auf unser Vereinsleben wirken und manchem Leitstern und Leuchte bei seinen Studien sein. Der Name Roger wird dauernd an der Spitze unseres Vereins stehen und dauernd in der Geschichte der schwäbischen Heimatpflege einen Ehrenplatz einnehmen. Schweiker.

Dr. P. Beda Grundl, 0«S»B*f» Am Allerseelentage 1915 verlor der Historische Verein seinen langjährigen Bibliothekar, Professor Dr. P. Beda Grundl, dessen Leben im 56. Jahre durch Herzschwäche und Brustfellentzündung sein plötzliches Ende fand. Auf einen engen Kreis beschränkt sich Grundls äußerer Lebensgang; geboren 1859 in dem schwäbischen Grenzort Wemding als Sohn einer Kammacherfamilie, deren „gerechte* Zunft ein für allemal im köstlichen Bilde Gottfried Keller’schen Humors weiter-

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lebt, wurde er in Eichstätt zum Weltpriester herangebildet und übte sein geistliches Amt zwei Jahre in abgeschiedenen fränkischen Flecken aus. Die seiner Natur gemäße Stätte der Wirksamkeit aber scheint er erst gefunden zu haben, als er mit 27 Jahren das Ordenskleid des heiligen Benediktus im Augsburger Stift St. Stephan anlegte und an der Universität Würzburg seine klassisch-philologische Bildung vervollständigte; nach Abschluß dieser Studien blieb er bis zu seinem Tode, ein Vierteljahrhundert lang, im Kloster und Gymnasium zu Augsburg als Mönch und als Humanist rastlos tätig. Es war nicht mehr als billig, daß seine Verdienste durch Wahl zum Subprior (1904) und Ernennung zum Lyzealprofessor (1901) und Konrektor (1908) ihre äußere Anerkennung fanden. Der leidlich wohlbeleibte Mann mit der hohen Stirne, der edelgeformten Nase und den sehr kurzsichtigen Augen hinter großen Brillengläsern, stets bewaffnet mit der silbernen Tabaksdose, hatte mit den traditionellen Bildern mönchischer Beschaulichkeit manchen gemeinsamen Zug. Seine recht geräumige „Zelle“, wo man ihn stets in hohem Lehnstuhl am Schreibpult sitzend fand, bot den Anblick einer echten Gelehrtenstube, von Büchermengen über­ lastet, belebt allerdings auch durch ein kleines Aquarium, dessen niedlichen Springbrunnen er wohl Gästen zu Ehren spielen ließ. Selten mag er in schulfreien Stunden diese Häuslichkeit verlassen haben, außer zur täglichen Frühmesse im Dominikanerinnenkloster St. Ursula, an die sich das Frühstück in Gesellschaft der Frau Oberin anschloß, und dem regelmäßigen nachmittägigen Gang zu einem befreundeten Buchhändler; jeden Sonntag Vormittag aber, von 1894 bis 1910, waltete er seines Amtes in der Bibliothek des Historischen Vereins. Wer je das Glück hatte, Grundls eigene aufgestapelte Bücherschätze kennen zu lernen, der weiß, daß er von Hause aus nicht zu den erwählten Freunden der segensreichen Himmelstochter Ordnung gehörte; um so höher sind seine an den kostbaren Ruhetagen wirklich aufopferungsvollen Bemühungen um die Instandhaltung und Vermehrung der Vereinsbibliothek zu werten, und um Auskunft hat sich sicherlich niemand vergebens an den ungewöhnlich belesenen und allzeit hilfsbereiten Gelehrten gewandt. Von dem Ordensmann, dessen felsenfest gegründete Gläubig­ keit nach außen hin keiner aufdringlichen Geste bedurfte, ist hier

113 nicht die Rede, auch nicht von dem Lehrer; einige Erinnerungen an den Erzieher, den lateinischen Stilisten, den Interpreten der Klassiker, den Meister im deutschen Unterricht festzuhalten, ist an anderer Stelle versucht worden. Was er aber neben dem täglichen Schulpensum als Schriftsteller leistete, sei in den Hauptzügen erwähnt. Seine Erstlingsarbeit, rein geschichtlichen Inhalts, ist in der Zeitschrift des Historischen Vereins gedruckt Bd. 14 (1887) 107 „ Angehörige der Universität Heidelberg aus dem ehemaligen Ge­ biete der Diözese Augsburg und der jetzt zum Kreise Schwaben gehörigen Teile der Diözesen Konstanz und Eichstätt", ein Auszug aus Töpkes Matrikel der Heidelberger Universität. Es erscheint natürlich, daß der Ordensmann seine bedeutenden sprachlichen Kenntnisse und seine schriftstellerische Befähigung zumeist in den Dienst der Kirche stellte. Obenan sind hier seine Übersetzungen aus der Bibel zu nennen: „Das Buch der Psalmen“, das von 1898 bis 1908 drei Auflagen erlebte, und „Das Neue Testament“, erst­ mals 1900 erschienen, dessen Wert und Beliebtheit durch die er­ staunlich hohe Ziffer von 10 Auflagen (über 120000 Exemplare) beglaubigt wird. Kleinere liturgische Veröffentlichungen, meist mit lateinischem und deutschem Text reihen sich hier an. Mit einer Arbeit aus dem Gebiete der Patristik hatte sich Grundl 1891 die Doktorwürde der Würzburger philosophischen Fakultät erworben und in ein paar Aufsätzen in der „Theologischen Quartalschrift“ verwandte Gebiete behandelt. Daß er schließlich von Papst Pius in die Kommission zur Herstellung des ursprünglichen Vulgatatextes berufen wurde, bedeutete eine hohe Ehrung. Als Beitrag zur Festgabe für seinen Würzburger Lehrer Martin von Schanz lieferte er eine Übersetzung des Euripideischen Orestes (1912). Es ist hier gelungen, dem Original die höchste Treue zu wahren und nicht so sehr eine poetisierende Umschreibung des antiken Textes zu liefern, als vielmehr eine lebendige Anschauung seiner Wesensart zu vermitteln. Grundls eigene poetische Versuche, vier Bändchen „Faschings­ spiele für die Jugend“ und ein geistliches Festspiel „St. Wiborada“, in Augsburg 1911 und 1912 erschienen, sind die Kinder einer sehr harmlosen Muse und erheben durchaus keinen Anspruch, als Lite­ ratur zu gelten. Ihre Erklärung finden sie in seinem leidenschaft9

114 liehen Interesse an den Theateraufführungen der Institutszöglinge, für die er zuerst Shakespeare, dann Geibel und Schleich bearbeitet hatte und denen er schließlich seine eigenen Erzeugnisse hingab. Bei keiner der zahlreichen Proben fehlte der unermüdliche Regisseur und an einem gelungenen Bühnenabend konnte man das sonst so ernste Gesicht in glückseliger Heiterkeit erstrahlen sehen. Wer literarisch so vielseitig tätig war wie P. Grundl, durfte auch das Amt eines Kritikers in Ehren ausüben. Er gehörte der Kommission der Schillerpreisstiftung an, schrieb für die „Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Zisterzienser-Orden“ und war ständiger Mitarbeiter der „Literarischen Beilage zur Postzeitung“. Als im Jahre 1910 die Vereinsbibliothek aus ihrem Heim im Maximiliansmuseum in die Stadtbibliothek übersiedelte, legte P. Grundl sein bibliothekarisches Amt nieder; unerwartet und all­ zufrüh schied er dann für immer aus dem Kreis seiner Ordensbrüder, Freunde und Schüler, und der Historische Verein betrauert in ihm eines seiner tätigsten, tüchtigsten und verdientesten Mitglieder. Dr. Rudolf Pfeiffer.

Buch-Anzeige. G. Euringer: Auf nahen Pfaden. Das Jahr 1916 brachte den Abschluß des wohlbekannten und ge­ schätzten Werkes »Auf nahen Pfaden“ (24 Auflage) von Gustav Euringer. Die letzte, zehnte Lieferung enthält ein gewissenhaft und fleißig hergestelltes Namens-, Orts- und Sachregister, wodurch unseren heimatliebenden Mitbürgern der Gebrauch der vortrefflichen Mitteilungen und Winke in den vorhergehenden neuen Lieferungen sehr erleichtert wird. Die tiefempfundene, in schönen Versen abgefaßte Zuneigung (1. Seite, I. Liefg., 2. Aufl.) läßt in das Innerste des Verfassers sehen, in dem Heimat­ liebe, Natur- und Kunstsinn mächtig glühen. Bei solchen Anlagen und dem bekannten Fleiß und der Willensstärke des Herrn G. Euringer mußte sein mühsames Werk gelingen. Unsere Mitbürger werden dem Verfasser, ihrem besten Heimatsführer, ihren Dank nicht versagen und unser Historischer Verein kann stolz sein, einen solchen Mann zu den Seinen zu zählen. Das Kgl. Ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegen­ heiten hat laut Ministerialblatt Nr. 21 vom 31. Oktober 1916 die An­ schaffung des Werkes für die Lehrer- und die Schülerbibliotheken der oberen Klassen höherer Lehranstalten, namentlich in den Kreisen Schwaben und Oberbayern empfohlen. Möge dem gediegenen und mit echter Wahrheitsliebe verfaßten Heimatsbuch, das auch der Geschichtsforscher immer mit Vorteil benützen wird, ein dauernder Erfolg beschieden sein. Augsburg. D r. von Rad.

Erklärung. Infolge einer durch die Zeitläufe verursachten Verzögerung ist die Schriftleitung bedauerlicher Weise erst jetzt in der Lage zu erklären, daß sie mit dem in der Zeitschrift 1913, 39. Band S. 24 Anm. *) enthaltenen Angriff nicht einverstanden ist und demselben ferne steht. Die Schriftleitung.