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German Pages 294 [293] Year 1992
Wohnen und Stadtpolitik im Umbruch
Wohnen und Stadtpolitik im Umbruch Perspektiven der Stadterneuerung nach 40 Jahren DDR Herausgegeben von Peter Marcuse und Fred Staufenbiel
Akademie Verlag
Herausgeber: Prof. Dr. phil. Dr. jur. Peter Marcuse Columbia Universität New York Fachbereich Architektur, Stadtplanung und Denkmalschutz 100 25 New York USA Prof. Dr. phil. Fred Staufenbiel Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar Fakultät Raumplanung Lehrstuhl Stadtsoziologie Coudraystraße 13 Weimar 0-5300
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wohnen und Stadtpolitik im Umbruch : Perspektiven der Stadterneuerung nach 40 Jahren DDR / hrsg. von Peter Marcuse und Fred Staufenbiel. - Berlin : Akad.-Verl., 1991 ISBN 3-05-001747-3 NE: Marcuse, Peter [Hrsg.]
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1991 Erschienen in der Akademie Verlag GmbH, 0-1086 Berlin (Federal Republic of Germany), Leipziger Str. 3 - 4 Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form — durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means — nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: deutsch-türkischer Fotosatz, Berlin. Druck und Bindung: GAM MEDIA, Berlin. Umschlaggestaltung: Ralf Michaelis, Berlin Bestellnummer: 9363 Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
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Überblick Fred Staufenbiel: Wohnen ohne Urbanität — zu Stärken und Grenzen der Stadtsoziologie
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Bernd Hunger: Stadtverfall und Stadtentwicklung — Stand und Vorschläge Bruno Flierl: Stadtgestaltung in der ehemaligen DDR als Staatspolitik .
32 .
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Städte Alice Kahl: Leipzig - ungelöste Probleme führen zum Aufbruch . . . .
66
Harald Kegler/Martin Stein: Chancen für eine Stadt - das Beispiel Dessau
79
Heidede Becker: Vom Kahlschlag zum behutsamen Umgang mit der alten Stadt
88
Harald Bodenschatz: Neubaugebiete werden alt — die Erfahrung in Berlin (West)
97
Regionen Klaus Brake: Polarisierung der Städte in der Marktwirtschaft
108
Siegfried Grundmann: Ungleiche Regionen (Ost)
117
Hartmut Häußermann: Ungleiche Regionen (West)
134
Andreas Schubert: Vernachlässigte Kleinstädte
141 5
Wohnen Wolfgang Schumann/Peter Marcuse: Wohnungsprobleme und widersprüchliche Wohnungspolitiken Ulfert Herlyn: Die Bewohner im Wandel der Stadterneuerung
157 . . . .
Steffen Krätke: Sozialer Wohnungsbau in der privaten Marktwirtschaft .
172 .
Max Welsh Guerra: Privater Wohnungsmarkt in der liberalen Marktwirtschaft
186
196
Kommunales Klaus Lüders: Kommunale Sozialpolitik in der Stadt als sozialer Gemeinschaft
201
Helmut Melzer: Zum Kommunalgesetz
211
Hellmut Wollmann: Kommunale Sozialpolitik als Hoffnungsträger oder Lückenbüßer
225
Siegfried Lassak: Zerstreute Städtebaugesetzgebung von gestern und die Erfordernisse von heute
241
Heinz Schwarzbach: Bürgerbeteiligung für demokratische Stadtplanung
250
Ein Versuch zu verstehen Peter Marcuse: Die Merkmale einer widersprüchlichen Politik des städtischen Wohnens
266
Autorenverzeichnis
283
Namenverzeichnis
287
Vorwort
Die Idee für dieses Buch entstand im Dezember 1989, in einer Zeit, die heute weit in der Vergangenheit zu liegen scheint. Im Dezember war die Euphorie der Oktoberrevolution noch nicht verflogen. Aber der Reiz des bundesdeutschen Modells wuchs zunehmend. Eine dritte Variante schien damals dennoch nicht unmöglich zu sein, in der das Beste aus zwei deutschen Staaten zu kombinieren wäre. Auch neue Ideen, neue Erkenntnisse vorhandener Erfordernisse sollten diskutiert und eingebracht werden. Unsere ersten Vorstellungen waren also mit hohem Anspruch ausgestattet, die sich dann als illusorisch erwiesen. Wir wollten uns auf Vorschläge für eine wesentlich neue und vorteilhafte Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik orientieren. So hatten wir angefangen. Während der Erarbeitung der einzelnen Beiträge (Redaktionsschluß 30. November 1990) wurde es klar, daß die Möglichkeiten viel begrenzter sind, als wir es uns zuerst vorgestellt hatten. Die Frage scheint jetzt eher zu sein, was in den Städten und den Wohnverhältnissen auf dem Gebiet der ehemaligen D D R Nachholebedarf erzeugt und was Zukunftsorientierung enthält. Ein Fazit der Verhältnisse wurde benötigt. Aber wir wollten auch von unseren Kollegen im Westen wichtige Anregungen erhalten und erfahren, welche Probleme in der Bundesrepublik bestehen und welche Erfahrungen gemacht wurden, die wir kennen sollten. Heute neigen viele Menschen dazu, alles, was in der D D R während ihrer 40jährigen Existenz geschehen ist, ausschließlich negativ zu bewerten. Aber die Geschichte ist komplizierter, als daß kritiklose Ablehnung oder gleichgültige Akzeptanz ihr gerecht würde. Es gab in der D D R Bemühungen um eine Alternative zur Stadtentwicklung in den westlichen Ländern. Ist es mißlungen, nichtprofitablen Städtebau zu betreiben und die Wohnungsfrage für die Mehrheit der Bevölkerung zu lösen, so enthalten diese Versuche doch auch nicht zu leugnende Erfahrungen. Man kann diese pauschal ablehnen. Man kann sie aber auch annehmen: Annahme als kritische Auseinandersetzung mit den Verlusten und den Fehlern. Nachholebedarf erkennen und benennen sowie sich zur Zukunftsorientierung als Vorsorge gegenüber heute schon sich abzeichnender Problemfelder bekennen, empfinden wir als wichtige sozialwissenschaftliche Aufgabe. Das Anliegen einer umweltverträglichen und menschenfreundlichen Stadt ist historisch nicht erledigt. 7
Die Beiträge in diesem Buch spiegeln die sich überschlagende Entwicklung wider. Insofern ist es selbst ein Ergebnis der jüngsten Geschichte. Die Spuren des Wandels in der Zeit seines Entstehens sind daher durchaus erkennbar und sollten auch nicht getilgt werden. Die Beiträge haben nicht nur analytischen Charakter. Sie artikulieren Probleme und diskutieren Lösungsvorschläge beziehungsweise deuten Perspektiven an. Da die beschriebenen Ereignisse im Rahmen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten stattfinden, haben wir auch Betrachtungen von relevanten Entwicklungen in den alten Bundesländern aufgenommen. Um einen gewissen Leitfaden zu haben, bemühten wir uns, eine Reihe von miteinander verbundener Fragen möglichst in jedem Beitrag zu berücksichtigen. 1. Wie war die Lage in den Städten und Wohngebieten der ehemaligen DDR zu der Zeit, die wir als „Stunde Null" bezeichnen (wir meinen damit den Oktober 1989)? 2. Welche Geschichte haben der Wohnungsbau und die Stadtentwicklung, welche Ursachen hat die entstandene Lage? Durch welche Politik entstand sie? 3. Was wäre erforderlich, wie könnte eine Politik aussehen, die falsche Ansätze überwindet und die behutsame Stadterneuerung mit basisdemokratischen Aktivitäten sowie mit sozial orientierten marktwirtschaftlichen Mechanismen verbindet? Obwohl die Beiträge den oben genannten Fragen nicht ausweichen, haben sie jedoch alle ihren eigenständigen Charakter. Jeder Autor ist für seinen Beitrag selbst verantwortlich. Der Leser wird sowohl unterschiedliche Positionen als auch Übereinstimmungen erkennen, was nach Ansicht der Herausgeber als ein Vorteil dieser Schrift gelten soll. Zu den Übereinstimmungen gehören einige gemeinsame Werte und Vorstellungen hinsichtlich folgender Positionen: — Die Interessen der Nutzer sollten gegenüber den Interessen der politischen Herrschaft und der privaten Akkumulation von Vermögen den Vorrang haben. — Die Demokratie wird als ein Wert an sich aufgefaßt, aber auch als ein geeignetes Mittel zur rationellen Führung der Gesellschaft. — Die pauschale Beurteilung sowie die undifferenzierte Analyse und die dogmatische Haltung bringen selten etwas Positives. — Die ethische und soziale Bewertung sind nötige Bestandteile von wissenschaftlichen Untersuchungen. — Die Ansprüche, welche Bürger an ihre Städte und an ihre Wohnbedingungen stellen, sind von existentieller Bedeutung. — Die Städte und die Wohnbedingungen dürfen weder dem Zufall noch der hemmungslosen Wirkung des privaten Marktes überlassen werden. — Ihre nutzergerechte Gestaltung sollte also eine wichtige Angelegenheit jeder Gesellschaft sein. Obwohl vieles von dem, was in den Beiträgen geboten wird, schon historischen Wert annimmt, enthalten die Beiträge doch genügend Diskussionsproblematik sowie festgehaltene Erfahrungen und eventuell auch Stoff für das Studium auf 8
den Gebieten der kommunalen Wohnungspolitik sowie der Stadt- und Regionalplanung. Die Autoren hatten interessante Diskussionen aus Anlaß dieser Publikation und hoffen, daß ihre Darlegungen den geschätzten Lesern Anregungen vermitteln mögen. November 1990
Peter Marcuse und Fred Staufenbiel
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Überblick Red Staufenbiel Wohnen ohne Urbanität — zu Stärken und Grenzen der Stadtsoziologie Als Mitte der 60er Jahre eine soziologische Untersuchung zum Verhältnis von Kulturniveau, Lebensstil und Wohnverhalten verschiedener Familientypen in zehn Städten der DDR durchgeführt wurde, war das auch die Geburtsstunde einer kulturphilosophisch orientierten Stadtsoziologie.1 Die Informationen, die damals entstanden, zeigten, was die Menschen wollten, was sie von ihren Wohnungen dachten, wie sie ihr städtisches Gebiet beurteilten. Es wurden aber auch Einsichten gewonnen über die krasse Wohnungsnot in den Städten, andererseits auch über die Bewohnerstruktur von Altbau- und Neubaugebieten. Der Inhalt von Nachbarschaftsbeziehungen zwischen den Menschen verschiedener Haushalte sowie unterschiedlicher Familiengrößen - und inwiefern diese durch den Gebrauch von wohnungsnahen Freiräumen beeinflußt wurden interessierte die Forscher. Es interessierte auch, wie groß die Anteile der Freizeit waren, die an Werktagen und am Wochenende in der Wohnung oder im wohnungsnahen Umfeld oder außerhalb des Wohngebietes verwendet wurden. In den 70er Jahren haben sich verschiedene soziologische Forschungen mit ausgewählten Problemen der Lebensweise in Städten, mit der Entwicklung kultureller Bedürfnisse sowie ihrer Wirkung hinsichtlich der Arbeitsumwelt und des Wohnmilieus befaßt sowie den desolaten Zustand und den beginnenden physischen Verfall von großen Teilen der Innenstädte signalisiert.2 Der 3. Soziologie-Kongreß der DDR (März 1980) verwandte relativ viel Aufmerksamkeit auf territoriale Bedingungen volkswirtschaftlicher Intensivierungsbestrebungen und machte deutlich, daß wesentliche soziale Ansprüche, die aus der Lebensweise großer Menschengruppen in unterschiedlichen Städten resultieren, weder durch Strukturpolitik noch durch Stadtplanung und Baupolitik beach1
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Vgl. Gemeinschaftsarbeit: Zum Verhältnis von Kulturniveau, Lebensstil und Wohn verhalten in 10 Städten der DDR von H. Tollkühn, P. Feix, H. Kießig, H. Baeseler, I. Sommer unter der Leitung von F Staufenbiel und H. Henselmann im Rahmen des Arbeitskreises Kultursoziologie des Wissenschaftlichen Rates für Soziologische Forschung in der D D R , Manuskript, unveröffentlicht, Berlin 1966. Vgl. Gemeinschaftsarbeit: Soziologische Probleme der Umgestaltung des innerstädtischen Altbauwohngebietes .Sonnenberg' in Karl-Marx-Stadt 1979 von R. Kuhn, K. Brand, B. Hunger unter Leitung von E Staufenbiel im Rahmen des Problemrates Kulturbedürfnisse und Stadtgestaltung des Wissenschaftlichen Rates für Soziologische Forschung in der DDR, Ratsdruck Karl-Marx-Stadt 1980.
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tet wurden und forderte, den sozialen Prozessen in der Stadtreproduktion größere Bedeutung einzuräumen.3 Stadtsoziologische Untersuchungen über das Erleben der Stadt durch ihre Bewohner (Sömmerda 1979)4, über Wohnleitbilder in Neubauwohngebieten5 und über die Interdependenz von Stadtgröße und sozialer Aktivität6 oder über Motivationen zum Heimischfühlen in der Stadt7 bzw. über Ortsverbundenheit und Migrationsbereitschaft8 in unterschiedlichen Siedlungstypen deckten Konfliktpotentiale zwischen soziokulturellen Ansprüchen der Menschen einerseits und Verminderung urbaner Werte im städtischen Leben andererseits auf. In verschiedenen stadtsoziologischen Untersuchungen (Leipzig 1978, KarlMarx-Stadt 1979, Erfurt 1980, Gotha 1981, Rostock 1982, Halle und HalleNeustadt 1984, Eisenach 1985, Magdeburg 1986, Brandenburg 1987, Jena 1988, Dessau 1989), die Mitarbeiter und Studenten der Sektion Gebietsplanung und Städtebau der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar durchführten, wurde eine der lokalen Spezifik als methodologischem Prinzip entsprechende Methode entwickelt. Dabei waren folgende Aspekte für den Methodeneinsatz9 entscheidend: — kombinierte Anwendung verschiedener Methoden (Dokumentenanalyse, Beobachtung, zeichnerische bzw. photographische Gestaltanalyse, Einzelinterviews, Expertengespräche, Kurzinterviews, Gruppengespräche), um der Komplexität sowie der Prozeßhaftigkeit der Untersuchungsgegenstände gerecht zu werden; - Orientierung der Ergebnisdarstellung im städtebaulichen Planungsprozeß, um standortkonkrete und stadtgestaltdienliche soziale Ziele als konzeptionellen Inhalt für die erforderlich gewordene integrierte Stadterneuerungsplanung durchzusetzen.10 Obwohl solche Forschungen für eine sozial orientierte und ökologisch erfor3 Vgl. Materialien des 3. Soziologie-Kongresses der DDR, Berlin 1981. Vgl. auch Materialien des 4. Soziologie-Kongresses der DDR, Berlin 1986, S. 318 und 322f. 4 Vgl. Hunger, B., Stadtgestaltung aus Bewohnersicht, in: Hochschule für Architektur und Bauwesen (im folgenden: HAB) Weimar, Wissenschaftliche Zeitschrift (WZ) 3/1980. 5 Vgl. Kahl, A., Ergebnisse und Probleme der soziologischen Erforschung des Wohnverhaltens in städtischen Neubaugebieten, Referat auf der Tagung des Wissenschaftlichen Rates für Soziologische Forschung in der DDR, in: Informationen zur soziologischen Forschung in der DDR, Zentralstelle Berlin 1/1982. 6 Vgl. Voigt, P., Theoretische Grundprobleme der Territorial- und Stadtentwicklung, in: Thesen zum II. Internationalen Symposium zu Problemen der Leitung und Planung sozialer Prozesse im Territorium, Rostock 1980. 7 Vgl. Weiske, Chr., Heimischfühlen in der Stadt - zur Wechselwirkung von Ortsverbundenheit und Migration, Dissertation HAB Weimar/Jena 1984. 8 Vgl. Grundmann, S., Das Territorium - Gegenstand soziologischer Forschung, Berlin 1981. 9 Vgl. Hunger, B., Soziologische Untersuchungen als Bestandteil städtebaulicher Planung der Umgestaltung von Altbauwohngebieten, Dissertation HAB Weimar 1982. 10 Vgl. Staufenbiel, E, Soziologische Forschung zur Entwicklung der Stadt, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie (DZfPh), 6/1982.
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derliche Regional- und Stadtentwicklungspolitik unumgänglich gewesen wäre, konnten Ergebnisse solcher Untersuchungen in dem administrativ-zentralistischen Regime nur partiell bzw. nicht mit der Kraft „von unten" realisiert werden. Der 5. Soziologie-Kongreß der DDR (Februar 1990) befaßte sich mit der notwendigen Erneuerung der Soziologie in und für die Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Prozeß des Aufeinanderzugehens der beiden deutschen Staaten und der Vorbereitung der sozialen Marktwirtschaft in der DDR. In der Arbeitsgruppe „Demokratische Stadtkultur und bürgerverbundene Stadtentwicklung" wurden solche Probleme behandelt wie: — zur Rolle von Bürgerinitiativen in der Demokratisierung der Stadtplanung und Notwendigkeit der Förderung von Bürgerselbsthilfebewegungen — Bedürfnisentwicklung und Verhaltenskultur mit Bezug auf Wohnmilieu und Stadterleben — neue Ansprüche an bürgerverbundene Stadtplanung — Funktionsweise eines freien und eines sozial orientierten Wohnungsmarktes in der BRD und in Berlin (West) sowie Probleme einer anstehenden Mietreform in der DDR — bürgerliche und alternative Raumplanungstheorien in der BRD und ihre kritische Adaption für Planungskonzepte integrierter Regional- und Stadtentwicklungen in der DDR — soziale Verträglichkeit und territoriale Auswirkungen „neuer Technologien" sowie spezifische Tertiärisierung und sozial-räumliche Disparitäten. Wohnbedürfnisse als Ideal oder als reale Ansprüche Fassen wir die Ergebnisse verschiedener stadtsoziologischer Untersuchungen zusammen, so kann man — obwohl differenziert nach Lokalität, Familienstand, familialer Lebensformen und Sozialstatus sowie Lebensstilen — auch Gemeinsames in den Wohnbedürfnissen von Menschen unterschiedlicher soziodemographischer Gruppen und den Ansprüchen an ihre Stadt entdecken. Die Interpretation solcher Untersuchungsergebnisse führt uns immer zu der Problematik der sozialen Segregation unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in der Stadt und dem Verhältnis von utopischem Ideal und realem Anspruch in verschiedenen Lebensstilen sowie andererseits zu der Frage nach der sozialen Effizienz wohnungsbaupolitischer Zielsetzungen. Das bürgerliche Wohnideal ironisierend dichtete Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym Theobald Tiger 1927 „Das Ideal": „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
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Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit: Neun Zimmer, - nein, doch lieber zehn! Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn, Radio, Zentralheizung, Vakuum, eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm, eine süße Frau voller Rasse und Verve (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) —, eine Bibliothek und drumherum Einsamkeit und Hummelgesumm.
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In den konkreten stadtsoziologischen Untersuchungen der 70er und 80er Jahre antworteten viele Menschen auf die Frage nach ihrer Wunschwohnung so, daß man diese Auffassungen folgendermaßen zusammenfassen kann. Die Wohnung soll genügend Platz bieten für alle Personen, die ständig in ihr wohnen. Man will auch Besuch empfangen von Freunden und Verwandten, die auch mal übernachten könnten. Der Zuschnitt, der Grundriß der Wohnung soll so sein, daß sowohl das Zusammenleben einer kleinen sozialen Gruppe (Mehrpersonen-Haushalte, bestehend aus Verheirateten mit Kindern oder aus Ledigen bzw. Geschiedenen mit Kindern und Partnern) als auch Rückzug für individuelles Verhalten (wie Treffen mit Freunden, Weiterbildung, Körperpflege, sexuelle Betätigung u.a.) möglich sind. Bad und Toilette sollten getrennt sein und das Bad sollte einen Bodenabfluß und Außenfenster haben. Die Küche sollte eine solche Größe und Ausstattung haben, daß nicht nur eine Person darin hantieren kann und wirkliche Arbeitserleichterungen möglich sind. Wenn irgend möglich sollte sie Raum für einen Eßplatz geben, damit zumindest eine gemeinsame Mahlzeit möglich ist. Generell sollte die funktionelle Qualität der Raumgestalt nicht die traditionelle Arbeitsteilung in der Familie bestärken, nicht die „Frauenküche" festmachen, d.h., die Funktion der Küche sollte neu definiert werden. Das verlangen die neuen Familienstrukturen. Stauraum muß es in der Wohnung geben, damit Bekleidung verschiedenster Art, Sportgeräte u.a. nach Jahreszeit verschieden, auch untergebracht werden können. Und pflegeleicht sollten Fußboden, Installationen für Bad und Küche, Fenster u.a. sein, damit man diese selbst ohne Gefahr säubern und instandhalten kann. Schalldämmende Wände und Decken werden gewünscht, damit die Unterhaltung der Nachbarn nicht in die eigenen Räume dringt. Und der Balkon bzw. die Loggia müssen so breit sein, daß Tisch und Sitzgelegenheiten Platz haben. Es ist zu erkennen, daß diese Wünsche aus der Erfahrung mit Neubauwohnungen resultieren. Aber unter Wohnbedingungen verstanden die Menschen noch mehr. Auf das Gebäude bezogen, richteten sich die Ansprüche auf die Maßstäblichkeit der Gebäudeensemble, auf die Lärmminderung, auf günstige Verkehrswege, auf angenehme ästhetische Wirkung. » TUcholsky, K., Gedichte, Reinbek b. Hamburg 1960, S. 32.
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Hinsichtlich der Nahumgebung waren die Übergänge zwischen Gebäude und Freiraum, die Möglichkeiten, Teile der freiräumlichen Umgebung für familiale oder andere gemeinsame Aktivitäten nutzen zu können, von ziemlich starkem Interesse. Und auf die Einrichtungen der sozialen Infrastruktur bezogen, waren Aspekte, die den Standort, die Kapazität, die Erreichbarkeit, die lokale Besonderheit in der architektonischen Gestalt betreffend, in den Urteilen der Probanden über ihr städtisches Gebiet immer von Bedeutung. 12 Es ist klar, daß sich hier sowohl Ansprüche an die materiellen Objekte als auch an den geistigen Sinnzusammenhang artikulieren und in den Auffassungen der Nutzer vom Gebrauchswert ihrer Wohnbedingungen auch der kulturelle Aspekt mitwirkte. Gerade dieser aber wurde durch die technisch-ökonomischen Konzeptionen der Neubauwohnungsplanungen mißverstanden bzw. vernachlässigt, da nicht quantifizierbar. Ober wenn der Gestaltungsaspekt betont wurde, reduzierte er sich auf die formästhetische Komponente ohne Bezug zur Gestalttypik (architektonische Grammatik) der Stadt, was ihre kulturelle Identität nicht aufnehmen konnte, sondern neutralisierte. Das Phänomen Kultur wurde für das Bauwesen nicht als relevant angesehen. Kultur als Gesamtheit von besonders sozialen und geistigen Werten sowie Mustern des Verhaltens und somit mentalitätsprägend in der lokalen Spezifik von Lebensweise und Umweltgestaltung konnte keine Rolle im Konzept der standortunabhängigen Großplattentechnologie spielen. Anders waren die Erfahrungen mit Wohnungen in Altbaugebieten. Diese gaben den Wünschen der Bewohner eine andere Richtung und machten andere Ansprüche deutlich. In der stadtsoziologischen Untersuchung „Brandenburg '87" äußerten 44 % der Bewohner des Altstadtkerns, daß sie in ihren Wohnungen verbleiben und nicht ausziehen möchten. Allerdings war die Zufriedenheit mit ihrer Wohnung durch bestimmte Mängel getrübt. Von den in solchen Altbauwohnungen lebenden Menschen waren 30 % der Meinung, daß sie zwar in dem Gebiet verbleiben, möglichst in dem Gebäude, aber auf jeden Fall für möglichst baldige Verbesserungen in Wohnung und Gebäude eintreten wollen. Prinzipiell unzufrieden nannten ihren Wohnungszustand 26 %. Die Gründe für die Unzufriedenheit mit ihren Wohnungen waren in der Reihenfolge der Häufigkeit ihrer Nennungen — die starke Reparaturbedürftigkeit des Hauses, — der schlechte Zustand der Wohnung, — die zu kleine Wohnung — sowie wenig Komfort in der Wohnung (kein IWC und Bad). 13 12
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Vgl. Staufenbiel, E, Sozial-kulturelle Anforderungen an die Entwicklung von Architektur und Städtebau in den 80er und 90er Jahren, in: HAB Weimar, WZ Reihe A 1/1985, S. 3. Vgl. Gemeinschaftsarbeit: Brandenburg '87. Die Stadt und ihre Bewohner. Eine soziologische Studie zur Stadtentwicklung, Teil I und II, Autorenkollektiv unter Leitung von F Staufenbiel, Schriften der H A B Weimar 1988, S. 169.
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Der Gebrauchswert der Wohnungen und der Gebäude war sehr heterogen, und es bedurfte und bedarf deshalb immer in der Vorbereitung und Durchführung von Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen einer sehr differenzierten Beurteilung der jeweiligen baulich-räumlichen sowie sozialen Situation. In der Vorbereitung von Sanierungs- bzw. Modernisierungsmaßnahmen kommt in bürgerverbundener Kommunalpolitik der Gebrauchs Wertbestimmung14 im Dialog zwischen Fachleuten und Bewohnern — was es alles in der alten Baupolitik nicht gab — größte Bedeutung zu. Um diesen Prozeß in Gang zu setzen bzw. den Mitarbeitern im kommunalen Bauwesen bewußt zu machen, haben wir in der stadtsoziologischen Untersuchung nach den Vor- und Nachteilen der Wohnung, aber auch der Gebäude und des Gebietes gefragt und diese zur Kennntnisnahme für alle Beteiligten aufgelistet. Hier nun die Vor- und Nachteile der Wohnung als ein Ausschnitt dieser Untersuchung. In der Altstadt von Brandenburg a.d.H. lebten zur Zeit der Untersuchung etwa 1880 Einwohner in 828 Haushalten in 793 Wohnungen.15 Die Stichprobe von 89 Einwohnergesprächen in 209 Wohnungen entsprach ungefähr der Bewohnerstruktur in der Altstadt und ergab hinsichtlich der subjektiven Beurteilung des Wohnens in der Altstadt entsprechend der Häufigkeit ihrer Nennungen folgende Rangordnung der Vorteile: — Nähe des Zentrums, ruhige Lage, große Wohnung mit großen Zimmern, eigenes Haus, — einkaufsgünstige Bedingungen, Nebenräume für Freizeittätigkeiten, — gute Beziehungen zu Nachbarn und Bekannten im Gebiet. Als Nachteile wurden genannt (nach Häufigkeit geordnet): — zu kleine Wohnung, Dachschäden, Außentoilette, kein Bad, — Lärmbelästigung, Ofenheizung, schlechter Bauzustand, mangelhafte hygienische Bedingungen, nasse Wände. Man sieht, daß die Nachteile sich fast alle auf den heruntergekommenen Bauzustand beziehen und die Vorteile auf die Lage im Stadtgebiet, auf versorgungsgünstige Bedingungen und auf das offensichtlich noch einigermaßen intakte soziale Milieu. Schon Anfang der 80er Jahre wurde deutlich, wie sehr die damalige Baupolitik kaum auf das intakte soziale Milieu und die real vorhandenen Wohnbedürfnisse der Menschen in den verschiedenen Gebieten (Altstadtkerne und Gründerzeitgebiete) eingehen konnte oder wollte.16 Natürlich war allen klar, daß abstrakte Idealvorstellungen nicht realisierbar sind. Aber umstritten war, inwiefern persönliche Vorstellungen über Wohnung, Gebäude und Nahumgebung aus realen 14
Vgl. Schmidt, H., Gebrauchswert-Aufwand-Bewertung von Bebauungsvarianten städtischer Umgestaltungsgebiete unter besonderer Berücksichtigung sozialer Kriterien, Dissertation HAB Weimar 1989. 15 Vgl. Gemeinschaftsarbeit: Brandenburg '87, a.a.O., S. 166. "> Vgl. ebenda, S. 185.
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Ansprüchen resultieren, also Wohnerfahrungen widerspiegeln. In das Konzept von der Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem haben die soziologisch nachgewiesenen Wohnerfahrungen der Wohnungsnutzer keinen Eingang gefunden. Der Streit ging besonders um das „soziale Problem", das durch die Wohnungsbaupolitik gelöst werden sollte. Die Politiker akzeptierten, daß Wohnungsbau und -Verteilung der Entwicklung einer humanistisch orientierten Lebensweise förderlich sein sollte. Um der Stadtplanung und der Wohnungsbaupolitik diesem Ziel entsprechende Kriterien zu geben, erkundeten Stadtsoziologen der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar reale Ansprüche aus der aktuellen Lebenswelt in den verschiedenen städtischen Gebieten und formulierten mit Hilfe solcher Untersuchungsergebnisse Kriterien einer erstrebenswerten Lebensweise, die damals sozialistisch genannt wurde. 17 In Anbetracht der damaligen Situation wurden Aspekte der Lebensweise, die systemunabhängig sind, aber aus den lokalen Existenz- und Reproduktionsbedingungen hervorgehen und somit auch systemabhängige Komponenten enthalten, in ihrer wechselseitigen Durchdringung erfaßt und in Kriterien formuliert, die methodologische Wirkung für die Stadtplanung haben sollten. Solche Kriterien waren: — Vermeidung von sozialer Segregation und Annäherung verschiedener Bevölkerungsgruppen im städtischen Wohnmilieu durch ein Angebot an Wohnungen mit annähernd gleichem Gebrauchswert (Räume/Person = n + 1, Ausstattung mit Küche, IWC und Bad bzw. Dusche) und freizeitnutzbarer Nahumgebung; — gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme im Bereich der Nachbarschaft (Mietergemeinschaften in einem Gebäude bzw. in einem Aufgang oder in einer Etage) und Respektierung der kulturellen sowie ethnischen Spezifika verschiedener soziodemographischer Gruppen, was auch in unterschiedlichen Wohnungsformen realisierbar sein sollte; — Sicherheit und Geborgenheit im Alter, gefördert durch die Gestaltung des engeren Wöhnbereiches auch unter dem Gesichtspunkt altersgerechter Wohnungen sowie von solchen Bedingungen, die von Behinderten barrierefrei benutzt werden können; — günstige Entwicklung der Familien (auch nicht eheliche) und ihrer Beziehungen untereinander, unterstützt durch familiengerechte Wohnungsformen und Möglichkeiten für gesellige Erholung, Körperkultur und Sport im Wohngebiet sowie Betätigungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, unterstützt durch Spiel und jugendgemäßes Verhalten im städtischen Wohnmilieu.18 17
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Vgl. Brand, K., Zur Rolle sozialer Beziehungen im Wohnmilieu bei der Herausbildung sozialistischer Lebensweise, Dissertation HAB Weimar/Leipzig 1981. Vgl. Gemeinschaftsarbeit: Brandenburg '87, a.a.O., S. 6 f.
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Seit Mitte der 80er Jahre haben die Weimarer Stadtsoziologen aus konkreten Stadt- und wohnsoziologischen Untersuchungen solche Kriterien hergeleitet und sind dafür eingetreten, daß in Generalbebauungs- und Leitplanungen soziale u.a. bewohnerorientierte Problemstellungen und Vermittlungen zwischen sozialer Wirksamkeit und ökonomischer Effektivität grundsätzlich neu zu bestimmen sei und verbindlich berücksichtigt werden sollte. Dazu wurde eine Orientierung auf reale Kriterien aktueller Lebensweise erforderlich, die der Konsensbeschaffung zwischen Auftraggeber, Stadtplanung und Bauproduktion im Interesse der Bewohner dienlich sein sollten.19
Lösung der Wohnungsfrage — ein antiurbanes Konzept? Das politische Ziel bestand darin, in relativ kurzer Zeit (bis 1990) die Wohnungsfrage als soziales Problem zu lösen und somit eine traditionelle sozialdemokratische Forderung zu erfüllen. Versucht man das durch Wohnungsbau und -Verteilung zu lösende „soziale Problem" mit Kriterien einer erstrebenswerten Lebensweise im städtischen Wohnmilieu in Verbindung zu bringen, dann wird klar, daß das zu lösende Problem nicht durch Abriß der alten Bausubstanz und Neubebauung mit zeitgemäßer hygienischer Ausstattung realisiert werden konnte. Die Auffassung, daß unabhängig von der Höhe des Einkommens und der soziodemographischen Zugehörigkeit jedem Haushalt eine Versorgung mit Wohnung (die trocken, sicher und warm sei) gesichert werden sollte, befand sich trotz ihrer Enge doch im Widerspruch zur praktizierten Baupolitik; denn die Realisierung dieser Auffassung hätte zumindest die Integration des Wohnungsbaues in die intensive Stadterneuerung bedeutet und damit den behutsamen Umgang mit dem Bewahrenswerten in der städtischen Substanz. Die Widersprüche und das Konfliktpotential zwischen den sozialpolitischen und den wirtschaftspolitischen Aspekten dieser politischen Zielstellung taten sich in dem Maße auf, wie mit fortschreitender Realisierung der auf die industrielle Großtechnologie orientierten Baupolitik in einer zentralistischen Kommandowirtschaft — die aus der aktuellen Lebensweise der Menschen resultierende Ansprüche an ihre Stadt, an die Alltagskultur der städtischen Erlebnisräume ignorierte — und den physischen Verfall von Innenstadtgebieten nicht aufhielt, sondern deren radikalen Verfall zuließ. Stadterneuerung und Verbesserung der Wohnbedingungen oder umgekehrt, das war eine Problematik, die die demokratische Revolution in der DDR mit hervorgebracht hat. Millionen von Wohnungssuchenden bekamen Wohnung, kinderreiche Familien wurden bevorzugt versorgt, jungen Ehepaaren wurden Wohnungen in kürzew Vgl. Schmidt, H., a.a.O.
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ren Fristen (als in den 60er und 70er Jahren) zur Verfügung gestellt. Auch für ältere Bürger wurde in höherem Maße altersgerechter Wohnraum geschaffen und in modernisierte sowie neue Wohngebäude eingeordnet und für Behinderte sowie besonders bedürftige Bürger Pflege- und Feierabendheime errichtet. 20 Aber die Wege vom Wohnort zum Arbeitsort und zum Stadtkern sowie zu den Einrichtungen der Versorgung, des Einkaufens, der gesundheitlichen Betreuung, zu differenzierten Freizeitbetätigungsmöglichkeiten wurden länger, zeitaufwendiger. Hinzu kam, daß die Stadttechnik und die Infrastruktur immer weniger instandgehalten wurden, so daß besonders die Innenstädte an Lebensqualität verloren und Neubaugebiete für Wohnen und Mindestversorgung dafür wenig boten. Zeitprobleme im städtischen Leben haben für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienleben großes Gewicht. Wird der Arbeitsweg zu lang, so wächst der infrastrukturelle und persönliche Aufwand, diesen zu bewältigen. Heute kommen nun Befürchtungen hinzu, den Arbeitsplatz zu verlieren und die Wohnungsmiete eventuell nicht mehr zahlen zu können. Auch die Sorge um die Sicherung von Kindereinrichtungen in Wohnungsnähe (Kinderkrippe, Kindergarten, Schulhort, Freizeit- und Feriengestaltung) belastet die Einstellung vieler Familien zu ihrem Wohnmilieu. Solche Einrichtungen sind aber für die Berufstätigkeit von Eltern unerläßlich. Diese und Einrichtungen für alte Menschen sowie Behinderte gehören zum Leben sowohl in der Innenstadt als auch in Neubaugebieten, deren Komplettierung mit Einrichtungen der sozialen Infrastruktur im Zusammenhang mit ihrer Erneuerung jedenfalls auf der Tagesordnung stehen. Nachbarschaftshäuser in Neubaugebieten oder auch in anderen Stadtteilen haben dort, wo es sie gibt oder wo sie entstehen sollten, wichtige Funktionen bezüglich der Förderung geistiger Kommunikation unterschiedlicher soziodemographischer und auch ethnischer Gruppen, für die humanistische Qualität der sozialen Beziehungen in dem jeweiligen Stadtteil. Was es in diesen Bereichen an Sozialleistungen bisher gegeben hat, sollte in der kommunalen Bestandsaufnahme registriert und bewertet werden, damit der qualitative und kapazitive Bestand gesichert werden kann. Auch den ausländischen Bürgern müssen größere Möglichkeiten auf der Grundlage gesetzlicher Rahmenbedingungen eröffnet werden, damit sie am normalen städtischen Leben teilhaben können. Das Einbringen ihrer eigenständigen Werte in die alltäglichen Lebensprozesse bereichert die jeweilige Stadtkultur. Die Priorität des industriellen Wohnungsbaus vor der Stadtreproduktion, einschließlich der qualitativen und quantitativen Instandhaltung der Infrastruktur, hat in den meisten Städten zum Rückgang der Einwohnerdichte in den innerstädtischen Gebieten geführt. Randstädtische Gebiete mit geringer Lagegunst wurden relativ gut erschlos20
Vgl. Staufenbiel, F/Kuhn, R./Meinel, K., Das soziale Problem des Wohnungsbaues in innerstädtischen Altbauwohngebieten, HAB Weimar WZ Reihe A 1/1985, S. 7.
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sen, relativ schnell bebaut. Damit aber wuchsen die territorialen Betriebsaufwendungen für die Netze der Stadttechnik und den Verkehr überproportional. Der Arbeitskräftebedarf für Stadtwirtschaft erhöhte sich damit beträchtlich, der aber in vielen Fällen nicht abgedeckt werden konnte. Die Verminderung der Anzahl der Bewohner im arbeitsfähigen Alter verschärfte in den meisten Städten noch die Situation, und was das Wesentliche am Zusammenwirken all dieser Prozesse ist: Der Innenstadtverfall bewirkte eine Verminderung des Heimischfühlens der Menschen in ihren Ortschaften. Rückblickend muß man also das Konzept der Lösung der Wohnungsfrage als anti-urbanistisch charakterisieren. Die dominierende Rolle des großflächigen Ersatzneubaus kalkulierte bewußt den Verfall vieler Altstadtquartiere mit ein. Soziologische Untersuchungen machten aber damals schon deutlich, daß die Architektur der Altstadtkerne im Bewußtsein der Stadtbewohner einen hohen kulturellen Wert einnahm. Und darüber hinaus wurde klar, daß der Gebrauchswert von Altbauwohnquartieren durchaus für aktuelle Lebensweise zurechtgemacht werden kann. Allerdings hätte das die Instandsetzung und auch in vielen Quartieren die Modernisierung vorausgesetzt. Beides geschah nicht oder in so geringem Maße, daß die Gebäude leergezogen wurden. Sie verfielen und warteten auf ihren Abriß. Die neue Kommunalpolitik muß eine Neubewertung der Altbauten sofort organisieren, den Abrißstop, wo noch nicht erreicht, durchsetzen. Wenn stadtsoziologische Untersuchungen in solchen Städten verschiedenen Typs wie Erfurt, Sömmerda, Eisenach, aber auch Rostock und Halle, Magdeburg und Brandenburg, Jena und andere mit dem Indikator „Heimischfühlen" gearbeitet haben, konnten sie jene Faktoren herauskristallisieren, die Heimischfühlen der Menschen konstituieren. In den meisten Städten waren das die Familie, die Wohnung, der Arbeitsplatz, die Stadt als Erlebnisraum, die Landschaft, das Klima und die Luft sowie die Nachbarn, Kollegen u.a.
Heimischfühlen und soziodemographische Gruppen Es zeigte sich im Ergebnis solcher Untersuchungen aber auch ganz deutlich, daß, wenn Arbeiten, Wohnen und Erholen sowie auch die Versorgung in der jeweiligen Stadt mit einiger Zufriedenheit möglich ist, diese Situation die Anziehungskraft der Stadt noch nicht im genügenden Maße reproduziert. Gerade die Auflösung der Städtischen, der Verlust an kultureller Substanz durch Verfall der Innenstädte war ein permanenter Prozeß, der Heimischfühlen vermindert. Die Migrationsbereitschaft besonders von jungen aktiven Menschen, die in Zentrumsbereichen nach Kommunikation, nach Treffen und Begegnung und nach dem Erlebnis kultureller Situationen trachten, wurde dadurch erhöht. Das Heimischfühlen in der jeweiligen Stadt äußert sich in einem bestimmten Grad der Ortsverbundenheit von Menschen verschiedener sozialer Schichten und unterschiedlicher Generationen. 20
Sprechen wir von unterschiedlichen Generationen 21 , so meinen wir damit 1. die Generation der Kinder und Jugendlichen, die noch nicht als arbeitsfähige Bürger in der Stadt leben, aber schon an der Aneignung von Kultur teilnehmen, durch Bildung und Erziehung, durch Besuch von Diskos, Klubs, Kinos, Museen sowie anderer bedeutsamer Orte in der Stadt usw. 2. die Generation der jungen Menschen, die im Begriff sind, eine soziale Stellung in der Gesellschaft zu erwerben, die sich in unterschiedlichen Lebensformen versuchen, die in das aktive Berufsleben eintreten, entweder als Werktätige oder als Lernende und sich aktiv an der biologischen Reproduktion der Bevölkerung beteiligen, dabei Alleinerziehende sein wollen oder Familien gründen. Diese Generation bemüht sich, ihre soziale Situation mit der Elternschaft und den neuen Familienpflichten zu verbinden bei gleichzeitiger Befriedigung vielfältiger konsumtiver Bedürfnisse sowie entwickelter Erwartungen an ihre Partnerschaft. Sie stellt daher spezifische Ansprüche an die soziale Infrastruktur der Wohngebiete, aber auch an die Multifunktionalität der Wohnbedingungen überhaupt und darüber hinaus auch an die Dienstleistungen der Stadt und an die Möglichkeiten des interessanten kommunikativen Erlebens ihrer Stadt selbst, wobei auf Grund der oft unsicheren Arbeitsmarktsituation ihre finanzielle Lage höchst differenziert ist. 3. die Generation, die man zu Großeltern macht, deren Kinder die elterliche Wohnung verlassen möchten und relativ zeitig wirtschaftlich unabhängig vom elterlichen Haushalt sein wollen. Diese Generation ist meist sehr ortsverbunden, weil diese Menschen zu ihrem Arbeitsplatz (der nun aber oft in Gefahr gerät) und ihren Wohnbedingungen sowie zu ihren Kindern und Kindeskindern, aber auch zu Freunden und Bekannten viele emotionale Beziehungen entwickelt haben. Diese Generation brachte durch ihre Arbeit den größten Teil am Nationaleinkommen hervor. Sie erlebt die Veränderung ihrer Lebenswelt besonders in der Polarisation von Arbeitsmarkt und Wohnungs- sowie Mietsituation, im Konflikt mit ihren historisch gewordenen Wertorientierungen. 4. die Generation, die aus dem aktiven Arbeitsprozeß aus Altersgründen ausscheidet, also die Rentner, die aber liebgewordene Lebensgewohnheiten beibehalten möchten, d.h. so lange es ihr Gesundheitszustand erlaubt, einen selbständigen Haushalt führen wollen - aber in räumlicher Nähe zu den Ihrigen („Nähe auf Distanz" wird gewünscht). Auch diese Gruppe erlebt einen tiefgreifenden Wandel ihrer Lebensbedingungen und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber diesen Wandlungen. Früher stellte sie spezielle Ansprüche an die soziale Infrastruktur der wohnungsnahen 21
Vgl. Staufenbiel, E, Die alte Stadt wird neu entdeckt, in: Leben in Städten/Soziale Ziele und Probleme der intensiven Stadtreproduktion — Aspekte kultursoziologischer Architekturforschung, Berlin 1989.
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städtischen Räume, aber auch an die Möglichkeiten, kulturelle Erlebnisse in interessanter architektonischer Umgebung aufnehmen zu können. Nun haben die Faktoren, die Heimischfühlen konstituieren, unterschiedliche Wirkung hinsichtlich der Ortsverbundenheit der Menschen dieser Generationen. Eine Kommunalpolitik, die bürgernah sein will, ist gut beraten, wenn sie ihr Wissen von den vielfältigen Formen des Zusammenlebens, von den unterschiedlichen Interessen, den Bedürfnissen, den Bestrebungen und Ängsten, dem kulturellen Niveau, der Mentalität und der Pluralisierung der Lebensformen der Menschen dieser unterschiedlichen Generationen der Bevölkerung ihres kommunalen Territoriums genauer kennenlernt. Demokratische Kommunalpolitik muß sich auf die wachsende Kenntnis der Existenzbedingungen und Lebensinteressen der Menschen dieser unterschiedlichen soziodemographischen Gruppen (diese entstehen durch die Kombination von sozialen Schichten und demographischen Generationen) orientieren. Das Wissen über die soziale Lage und soziales Verhalten sowie über kulturelle Ansprüche an das Stadtmilieu und die Organisation des städtischen Lebens sehr verschiedener Bevölkerungsgruppen ist für bürgerverbundene Kommunalpolitik unverzichtbar. Da von der Anwesenheit dieser vier Generationen in dem Dorf oder in dem Stadtteil oder in der Stadt als Ganzes sowohl die Bevölkerungsreproduktion als auch das gesellschaftliche Arbeitsvermögen und damit die wirtschaftliche Potenz der Ortschaft abhängig ist, wird es für demokratische Kommunalpolitik auch wichtig, über die Bevölkerungsentwicklung, sowohl über die natürliche Reproduktion als auch über die Aus- und Einwanderer in ihrer Ortschaft und ihrer Region, genauere Kenntnisse zu erwerben. Die Differenzierung der Bevölkerung nach Generationen ist zwar ein wichtiger, aber nur ein Gesichtspunkt. Man muß berücksichtigen, daß der größte Teil der Bevölkerung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in einer wie auch immer gearteten Familienform lebt — und das in unterschiedlichen sozialen Schichten. Daher ist es genauer, von soziodemographischen Gruppen zu sprechen, in die sich die Bevölkerung jeder Siedlung differenziert. Das erlaubt, die innere Strukturiertheit der Bevölkerung in ihrer lokalen Spezifik nach sozialer Schichtung und nach Geschlecht, Alter, Familienstand (verheiratet, ledig, geschieden, verwitwet) und Lebensform genauer zu erkennen.
Zur damals aktuellen Bevölkerungsentwicklung Unter dem administrativ-zentralistischen Regime in der DDR sollte nicht bekannt werden, daß durchgängige Bevölkerungsverluste über den gesamten Zeitraum des Bestehens dieses Staates vonstatten gingen. Die Bevölkerungsgeschichte der DDR war die einer rückläufigen Einwohnerzahl. Die Entwicklung der Bevölkerungszahl eines Landes ist immer das Ergebnis 22
der Wechselbeziehung zweier Bilanzen: einmal der Bilanz von Lebendgeborenen zu Gestorbenen und zum anderen der Bilanz von Ein- zu Auswanderern. Das hervorstechendste Merkmal der demographischen Situation in den Städten der ehemaligen DDR war die sogenannte Altersverschiebung der Bevölkerung. Das ist zwar ein internationales Phänomen, das die demographischen Trends unseres Jahrhunderts beherrscht, aber es traf bei der Mehrzahl der Städte und Gemeinden der ehemaligen DDR in besonderer Weise zu. Die besondere Weise war dadurch gekennzeichnet, daß sich dieses demographische Phänomen mit mehreren Auswanderungswellen verknüpfte. 22 Die erste Welle war die von 1950—1953, als der gesellschaftliche Umbruch in Richtung der „Grundlagen des Sozialismus" für viele Menschen Anlaß war, die D D R zu verlassen. Die zweite Welle war die in den Jahren 1960—1961, als die krisenhafte politische Situation in Mitteleuropa und der forcierte „sozialistische Aufbau" in der DDR viele Menschen verunsicherte und zur Auswanderung veranlaßte. Die dritte Welle begann um 1988 in einer Zeit der Krise der DDR, die alle Bereiche des Lebens ergriff, die Entmündigung der Kommunen immer deutlicher werden ließ, den desolaten Zustand der Innenstadtbereiche in erschreckendem Tempo beschleunigte. Das Gefühl der Fremdbestimmtheit des individuellen Lebens und der vielfachen Einschränkung der Selbstbestimmung breitete sich besonders bei Bürgern der zweiten und dritten Generation aus. Soziologische Untersuchungen der verschiedensten Art 23 in den 80er Jahren machten offensichtlich, daß die jungen Menschen der zweiten und dritten Generation bestimmte Erwartungen an die gesellschaftlichen Bedingungen ihres Lebens entwickelten. Das waren solche wie: — im politischen Leben ernst genommen zu werden, ihre Bedürfnisse und Interessen in ihr gesellschaftliches Umfeld einbringen zu können; — Einfluß auf Entscheidungen der betrieblichen und der kommunalen Verwaltung nehmen zu können, wobei die Aspekte des Umweltschutzes wegen der steigenden Sensibilität gegenüber der Umwelt und ihrer Gestaltbarkeit eine immer größere Rolle spielten; — ihre Vorstellungen zur Gestaltung des individuellen Lebens verwirklichen zu können, was sich in immer deutlicheren Forderungen nach der Realisierung ihrer materiellen wie geistigen Bedürfnisse ausdrückte sowie nach Möglichkeiten, in andere Länder der Welt reisen zu können; — ihre Ansprüche an die Alltagskultur in der Stadt und an die Medienpolitik öffentlich artikulieren und demokratisch durchsetzen zu können; 22
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Vgl. Speigner, W., Zur Verschiebung der Altersstruktur. Vortrag auf dem II. Internationalen Demographie-Seminar, Oktober 1985, in: Protokolle und Informationen des Wissenschaftlichen Rates für Sozialpolitik und Demographie 2/1986. Vgl. Sozialreport 1990, Bd. I, Autorenkollektiv des Instituts für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der D D R , Januar 1990.
23
— ihr Interesse an familialen oder individuellen Wohnbedingungen — die wenigstens dem regionalen Standard entsprechen sollten - möglichst in der Nähe des Arbeitsplatzes oder des Stadtzentrums oder der Einrichtungen für Kinderversorgung realisieren zu können; — ihre wenig entwickelte Orts Verbundenheit, aber starke Migrationsbereitschaft gesellschaftlich akzeptiert zu sehen. 24 Große Bedeutung gewann in dieser Hinsicht, daß die politischen Entscheidungsträger sowohl in den Kommunen als auch im Staat immer weniger berücksichtigten, was viele Bürger besonders der zweiten und dritten Generation dachten und tun wollten. Die Bündelung all dieser Faktoren brachte die krisenhafte Situation hervor, drängte aber auch Bevölkerungsgruppen zum Verlassen der DDR. Beide Prozesse sind in ihrem Inhalt nicht gleichwertig, aber sie beeinflußten sich wechselseitig.
Zu sozialen Folgen der Bevölkerungsverminderung Auf mehreren Gebieten äußern sich die Folgen dieser Entwicklung in Problemen, die Konsequenzen für die Kommunalpolitik, besonders für ihren sozialen Inhalt und ihre stadterneuernden Aktivitäten haben. Da wäre erstens die Veränderung in der regionalen Bevölkerungsverteilung zu nennen, die sich im Zusammenhang mit den Auswanderungswellen aus den industriellen Ballungsgebieten vollzogen hat, aber auch durch Binnenwanderung und durch Migration von den neuen in die alten Bundesländer sowie durch die territoriale Differenzierung der Geburtenhäufigkeit beeinflußt wird. Zweitens muß man sehen, daß die Auswanderung und überregionale Migration bestimmte Bereiche der Volkswirtschaft bzw. des gesellschaftlichen Lebens besonders empfindlich traf: das Gesundheitswesen, den Handel, den Transport, die Versorgungseinrichtungen sowie verschiedene Dienstleistungssektoren und in zunehmendem Maße große Produktionsbereiche. Und drittens muß man sich von der Annahme lösen, daß eine auf die Geburtenentwicklung gerichtete Bevölkerungspolitik - obwohl diese ein Bestandteil moderner Sozialpolitik bleiben sollte — dazu beitragen kann, den demographischen Prozeß des Alterns aufzuhalten oder gar ausgleichend gegenüber der Auswanderung zu wirken. Als Konsequenz bleibt nur, die politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und kommunalen Lebensverhältnisse so zu verändern, daß der Einzug der Marktwirtschaft nicht noch mehr Menschen vertreibt, sondern die Auswanderung verrin24
Vgl. Speigner, W./Dorbritz, J., Die D D R - ein Ein- und Auswanderungsland, in: Sozialpolitik konkret, Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der D D R , 1990.
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gert und die Ortsverbundenheit beträchtlich verstärkt sowie die einwandernden Ausländer umfassender in das gesellschaftliche Leben der Ortschaften integriert. Nach dem Wunsch, mehr persönliche Freiheit zu haben, wird nun (nach dem 3. Oktober 1990) die Sicherung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern zur wichtigsten Forderung, deren Realisierung neue ungewohnte soziale Spannungen auslöst. Die Verständigung über die Zusammenhänge zwischen der generellen Sicherung der Lebensverhältnisse und der lokalen Spezifik der Stadtsowie Dorferneuerung muß durch die Kommunalpolitik öffentlich geführt werden, damit immer wieder „von unten", von den Basisgruppen her die Bewohnerinteressen artikuliert und in die politische Kultur der Kommunen sowie in die Stadt- und Dorferneuerungskonzepte eingebracht werden können. Obwohl die Verminderung der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter bei gleichzeitiger Zunahme der Anzahl von Bürgern der vierten Generation große Lücken im gesellschaftlichen Arbeitsvermögen der meisten Städte und dörflichen Gemeinden (wenn auch sehr differenziert) verursacht, wird es mit dem Einzug der Marktwirtschaft sowohl neuen Bedarf an Arbeitskräften für bestimmte Berufe als auch, durch Umstrukturierung von Betrieben, verminderte Nachfrage und somit Arbeitslosigkeit in bisher nicht gekannten Dimensionen geben. Darauf muß sich bürgerverbundene Kommunalpolitik einstellen und sowohl an einem sozialen Netz der Arbeitslosenunterstützung als auch der Umschulung von Arbeitskräften wirken. Generell muß ein solches soziales Netz für einkommensschwache Familien, Alleinverdienende mit wirtschaftlich nicht selbständigen Kindern, für Jugendliche (Schülerinnen, Lehrlinge, Studentinnen, Jungfacharbeiterinnen) sowie für die Integration von Behinderten und der Seniorinnen wirksam werden. Das verlangt in der kommunalen Sozialpolitik nach bestimmten Leistungen sowohl institutioneller Art als auch finanzieller Aufwendungen speziell für jene Familien, die sich direkt mit der Integration Behinderter oder alter Menschen in ihre kleine soziale Gruppe (= Familie) befassen. Es ist klar, daß zu den ökonomischen Konsequenzen mit entsprechenden sozialen Folgen der Bevölkerungsverminderung gehört, daß sich die Struktur der Haushalte und ihre Größe verändern. Die zu erwartenden Veränderungen in der Alters- und der Familienstruktur veranlassen zu der Voraussicht, daß 1. die Zahl der Haushalte generell bei sinkender Gesamtbevölkerung wächst, daß 2. die Anzahl der Mehrpersonen-Haushalte mit abnehmender Personenzahl sich vergrößert und daß 3. auch die Zahl der Einpersonen-Haushalte anwächst; was aber nicht bedeutet, daß etwa nur kleine Wohnungen (1- oder 2-Raum-Wohnungen) und keine 4- oder 5-Raum-Wohnungen gebraucht würden. Ein-Raum-Wohnungen werden auf dem sich entwickelnden Wohnungsmarkt in Zukunft kaum zahlungskräftige Nachfrage finden. Wenn der o.g. Trend sich im städtischen Leben durchsetzt, allerdings differenziert nach unterschiedlichem Einkommen und entsprechend der lokalen Spezifik von Klein-, Mittel- und Großstädten, aber auch hinsichtlich verschiedener Regio25
nen, hat das Konsequenzen für die Art und Weise der Sanierung bzw. Modernisierung innerstädtischer Gebiete sowie für die erforderlichen kommunalen Dienstleistungen und auch für die Demokratisierung kommunaler Stadterneuerungspolitik.
Zur Demokratisierung kommunaler Stadterneuerung Es ist ganz klar, daß die Umwandlung des Innenstadtverfalls in Stadterneuerung grundlegende, aber auch zügige Umstrukturierungen der Bauwirtschaft mit der Umverteilung von Arbeitskräften zugunsten von kreis- und stadtgeleiteten Baubetrieben erforderlich macht. Daher werden bauliche Voraussetzungen für ein neues ökologisch vertretbares Energiekonzept, für eine leistungsfähige Infrastruktur der Volkswirtschaft, für zeitgemäße Wohnbedingungen und der Urbanen Stadtgestalt dienliche Räume zu schaffen sein. Selbstverständlich geht das nicht ohne Belebung des privaten und genossenschaftlichen Handwerks sowie der Entwicklung und Neugründung mittelständischer Betriebe mit den verschiedensten Baugewerken. Aber gerade dieser Prozeß wird durch den Umtausch des Anlagevermögens der Klein- und Mittelbetriebe 2 : 1 so stark gebremst, daß Stadterneuerung im soziokulturellen Sinne fast unmöglich erscheint und der großkapitalistische Bauboom sich schrankenlos durchsetzen kann.
Stadterneuerung ist nicht nur Bauprozeß Nicht Flächenabriß, sondern Bestandsentwicklung und die funktionelle Anpassung an die gegenwärtigen Lebensverhältnisse, das sind Schritte der Stadterneuerung, die als zentrale und kommunale Aufgaben zugleich bestehen und daher auch durch staatliche Mittel gefördert werden müßten. Um sie durchzusetzen, wird es immer notwendig sein, daß Bürgerinnen und Bürger am Ort stärker als bisher ihre Wünsche und Zielvorstellungen zur Stadterneuerung und -gestaltung artikulieren und daß Fachleute entsprechende Konzepte entwickeln, öffentlich zur Diskussion stellen und den Volksvertretungen ermöglichen, mit Sachkenntnis über entsprechende Maßnahmen zu entscheiden. Dazu benötigen die Volksvertretungen die Verfügbarkeit über finanzielle Fonds, über Kommuneeigentum an Grund und Boden sowie über spezielle Wirtschaftseinheiten. Stadterneuerung ist also mehr als ein baulicher Prozeß. In diesem Prozeß wird deutlich, wie eine Gesellschaft mit baulich-kulturellen Zeugnissen ihrer Geschichte umgeht und daher muß sich die Stadterneuerung daran messen lassen, inwieweit sie demokratisch organisiert wird, inwieweit sie sozial wirkt, d.h., auch die legitimen Interessen jener Bürger wahrnimmt, die im Prozeß des öffentlichen Aushandelns von Maßnahmen der Stadterneuerung häufig zu kurz kommen. Sie 26
muß sich auch daran messen lassen, inwieweit sie ökologisch ist, d.h., von vornherein die ökologische Verträglichkeit von Planungsresultaten, Baumaßnahmen u.a. berücksichtigt, und nicht zuletzt, inwieweit sie die kulturelle Identität der Stadt nicht zerstört, sondern die historische Stadt akzeptiert und in der behutsamen Erneuerung Bestandsentwicklung betreibt. Stadterneuerung in gesamtstädtischer Betrachtungsweise ist auch für die soziale Marktwirtschaft eine komplexe Herausforderung. Wenn die Stadtsoziologie, wie sie an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar betrieben wird, die Stadt auffaßt — als sozialen und wirtschaftlichen Organismus mit relativer kommunaler Selbständigkeit, — als Ensemble von räumlichen, funktionellen und kommunikativen Strukturen, in denen sich sowohl die Gesellschaft verräumlicht als auch die lokale Spezifik der Lebenswelt der Menschen begründet liegt, — als architektonisches und technisches Gebilde mit identifizierbarer Gestalt, durch die sowohl die Geschichte der Stadt als auch ihre Vitalität erlebbar werden, kann der Stadterneuerungsprozeß als immer alle drei Aspekte betreffend und als ein permanenter Prozeß aufgefaßt werden. Dadurch thematisieren sich auch die Untersuchungs- und Anwendungsfelder für Stadterneuerungsprozesse in a) Altstadtgebiete besonders der Klein- und Mittelstädte (vorindustrielle Siedlungsstrukturen) b) sogenannte Gründerzeitgebiete (1871-1918) c) innerstädtische Wohngebiete der 20er und 30er Jahre d) Neubauwohngebiete der 60er und 70er sowie 80er Jahre. Berücksichtigt muß auch die Dynamisierung der Stadt-Land-Beziehungen werden, weil diese auf den Inhalt und die Wirkung der Kommunalpolitik für Stadtund Dorferneuerungsprozesse in Zukunft größeren Einfluß haben wird als bisher. Besonders in den Klein- und Mittelstädten sowie in ihren Umland-Regionen werden gravierende Wandlungen der Lebenswelt stattfinden, die unbedingt von regionalsoziologischen Untersuchungen begleitet werden müssen, damit der Wandel von Lebenswelt und Stadtraum, von Stadtgestalt und Stadtmilieu unter die Wirkung demokratischer Kommunalpolitik gestellt werden kann. Wenn unsere stadtsoziologischen Untersuchungen mit entsprechenden Planungsempfehlungen auch in der Vergangenheit schon halfen, die sozialen Erfordernisse einer behutsamen Stadterneuerung und der Instandsetzung bewahrenswerter Altbaugebiete zu erkennen, gelang es nicht, die Entscheidungspraxis des administrativ-zentralisierten Regimes im Bauwesen zu durchbrechen. Weil die Aussagen der stadtsoziologischen Forschung die Interessen der Bürger artikulierten, führte das auch zur Verschärfung der Widersprüche und zum Anwachsen des Konfliktpotentials zwischen den Bemühungen der Stadtplaner in den Kommunen und den Entscheidungen der Bezirke sowie zentraler Instanzen. 27
In solchen stadtsoziologischen Untersuchungen ging es 1. um die Bewertung von stabilen Elementen in der Stadtentwicklung25, die wesentlich ihre kulturelle Identität konstituieren; 2. um die Bevölkerungsreproduktion und den Wohnungsbedarf in verschiedenen Wohngebietstypen sowie um Ursachen der Ortsverbundenheit bzw. Migrationsbereitschaft verschiedener Bevölkerungsgruppen; 3. um den landeskulturellen Zustand in der Stadt-Umland-Region und die ökologischen Bedingungen, charakterisiert durch das Bewohnerurteil; 26 4. um die Altstädte, die Ursachen ihrer so starken kulturellen Wertschätzung durch die Bewohner verschiedener Stadtteile, um den Beweis ihrer Bewahrungswürdigkeit, gegen die infrastrukturelle Ausmagerung der Altstadtgebiete; 5. um städtebauliche Leitbilder zur Zentrumsgestaltung von Gesichtspunkten sowohl der Funktion der Stadt in der Region als auch der Bedeutung ihrer Zentrumsgestaltung für die Identifizierbarkeit der Stadt selbst, also um diese und andere imageprägenden Eigentümlichkeiten; 6. um die subjektiven Ansprüche an die Wohnbedingungen und an verschiedene städtische Räume sowie um Auffassungen von der generellen Stadtentwicklung im Bewußtsein verschiedener Bevölkerungsgruppen in der Stadt. In diesen soziologischen Untersuchungen wurde der Nachweis geführt, daß Altstadtsanierung und behutsame Stadterneuerung den Interessen der Bevölkerung entspricht. Es wurde aber auch deutlich, daß die Entwicklung des Wirtschaftspotentials der jeweiligen Stadt die qualitative Veränderung der stoffwirtschaftlich orientierten Technologien erforderlich macht, die die ökologischen Umweltbedingungen nicht weiter verschlechtern, sondern diesen Prozeß eindämmen bzw. umkehren muß. Wenn die im Mai 1990 gewählten Volksvertreter u.a. mit internationalen Kapitalimporten für die Erhaltung der Altstädte, aber weiterhin auch für die integrierte Stadterneuerung rechnen, genügt es auf keinen Fall, die sozialen und kulturellen Veränderungen nur als Folgeerscheinungen marktwirtschaftlich orientierter baulicher Maßnahmen hinzunehmen. Um nicht nur die sozialen Folgen in ihren negativen Wirkungen zu mildern, also Konflikte zu kompensieren, sondern um die sozialen Konsequenzen vorausschauend zum konzeptionellen Inhalt der Planungen und Entscheidungen zu machen (Planungsfolgeabschätzung), muß die Wechselwirkung von sozialer Verträglichkeit und ökologischer Akzeptanz in den Planungsfolgeabschätzungen enthalten sein.
25
26
Vgl. Hunger, B., Raum- und Gestaltansprüche aus soziologischer Sicht in ihrem Einfluß auf Städtebau und Architektur, Dissertation Berlin 1988. Vgl. Böhme, S., Natürliche Umweltfaktoren im Stadtgebiet und ihre Bewertung im Rahmen langfristiger Stadtplanung, Dissertation H A B Weimar 1985.
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Zustandsanalysen und sozialstrukturelle Konsensbildung Es hat sich in den positiven Beispielen des Zusammenwirkens der Stadtsoziologie mit der Ökologie und der Stadtökonomie und den betreffenden Räten der Städte bzw. ihrer Volksvertretungen bewährt, folgende Gesichtspunkte der Zustandsanalysen in dem jeweiligen Gebiet zugrunde zu legen, um Ausgangspositionen für die Sanierung bzw. Modernisierung festzuhalten: — städtebauliche und stadträumliche Merkmale (Funktionsfähigkeit und Lage des Gebietes, vorhandene Eigentumsformen, Erschließung, Einwohnerdichte, Qualität der Infrastruktur); — wohnungsbezogene Merkmale (Baualter, wohnhygienische Ausstattung, funktionelle Ordnung der Grundrisse, Raumgrößen, Belegungsquoten, Haushaltsfaktor); — sozialstrukturelle und demographische Merkmale (soziale Gruppen, demographische Generationen, Haushaltstypen, Altersstruktur der Bewohner, Familienformen, Bevölkerungsentwicklung); — Merkmale der Lebensweise (soziale Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, Nachbarschaftskontakte, Ansprüche an gesellschaftliche Einrichtungen der verschiedensten Art und Interessen an familialer, gemeinschaftlicher und öffentlicher stadträumlicher Nahumgebung). Ausgehend von diesen Merkmalen kann eine Charakteristik des jeweils instandzusetzenden bzw. zu modernisierenden Gebietes erarbeitet werden. Dadurch entsteht ein soziales Porträt des zu erneuernden Gebietes, das für die kommunalpolitische Leitung des Erneuerungsprozesses von besonderer Bedeutung sein sollte, weil es eine Voraussetzung für die kommunalpolitisch zu organisierende soziokulturelle Konsensbildung zwischen den verschiedenen Interessenblöcken der Betroffenen ist. Wenn die Qualität des Gebauten in bezug auf die menschlichen Bedürfnisse immer eine Gesamtheit von Eigenschaften ist, die den Grad der Eignung für den vorgesehenen Verwendungszweck bestimmt, dann kann methodisch folgendermaßen vorgegangen und geprüft werden, um die öffentliche Diskussion zwecks soziokultureller Konsensbildung zu unterstützen: 1. Welche natürlichen, technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Eigenschaften der baulichen Gesamtheit sind geeignet, einer sozialen Zielen verpflichteten und ökologisch vertretbaren Bauweise zu dienen? 2. Welche Eigenschaften der instandzusetzenden bzw. zu sanierenden oder zu modernisierenden baulichen Gesamtheit sind für die gesetzten Ziele nicht geeignet und müssen daher eleminiert werden? 3. Welche Eigenschaften der Baulichkeiten müssen neu installiert werden, damit die neue Gesamtheit der Gebäude, Straßen, Plätze und anderer Stadträume den erforderlichen Grad der Eignung für die Sicherung bzw. Verbesserung der Lebensqualität der Menschen erhält? Es ist für die Demokratisierung der kommunalen Stadterneuerungsplanung nütz29
lieh, diese Fragen zu stellen und die Antworten darauf mit den von den Erneuerungsmaßnahmen betroffenen Bürgern öffentlich zu diskutieren, um deren Mitspracherecht und ihre Verantwortung für die Gestaltung ihrer städtischen Lebensbedingungen zu mobilisieren. Die soziokulturell orientierte Konsensbeschaffung in der Demokratisierung von Entscheidungsprozessen wird zu einem unerläßlichen Element einer integrierten Stadterneuerungsplanung. Auf Grund bisheriger Erfahrungen mit Bürgerinitiativen hinsichtlich solcher Konsensbildung und auf Grund soziologisch fundierter städtebaulicher Planungen können folgende Prinzipien einer demokratischen Stadterneuerungsplanung angeboten werden: 1. Die Bürgerinitiativen müssen von den Planungsfachleuten und von den Volksvertretungen ernst genommen werden, d.h., die Selbstbauhilfe sollte nicht als Ersatz für staatliches Versagen, sondern als geistige Einflußnahme auf die Gestaltung der städtischen Lebensbedingungen aufgefaßt und durch die kommunalen Behörden auch so behandelt werden. 2. Standortkonkrete und stadtgestaltdienliche sozial-kulturelle Ziele müssen zum konzeptionellen Inhalt der Planungs- und Entscheidungsprozesse der Volksvertretungen werden. Das verlangt auch, daß die Volksvertretungen über entsprechendes kommunales Eigentum verfügen und Mittel zum Einsatz für die Stadterneuerung besitzen. 3. Es sollte der Praxis begegnet werden, daß durch die Stillegung vorhandener Betriebe und die Ansiedlung neuer Betriebe oder die extensive Ausweitung der bestehenden, die vorhandenen städtischen Strukturen und ihre Funktionstüchtigkeit zerstört werden; das gilt auch für die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßbetrieben (Supermärkten) an der Peripherie, wodurch die Anziehungskraft vorhandener Zentren beschädigt wird. Es gilt natürlich auch für solche Produktionsbetriebe, die die Umweltbedingungen verschlechtern. Die Ansiedlungsbedingungen müssen also sorgfältig geprüft werden, damit die Anziehungskraft der Stadt als Lebensraum ihrer Bewohner nicht vermindert, sondern im Gegenteil verstärkt werden kann. 4. Da in den Städten und Dörfern der ehemaligen D D R wirtschaftliche Mechanismen der Verdrängung der Armen zugunsten der Reichen bisher so gut wie unbekannt sind, muß daher ein juristisches Instrumentarium zur Sicherung sozialer Erfordernisse der Stadterneuerung im Einzelnen wie im Ganzen geschaffen werden. 5. Die Konsequenz wäre, daß die Volksvertretungen sich der kommunalen Entwicklungsstrategie in voller Verantwortung widmen und im Zusammenhang mit der Demokratisierung der Stadt- bzw. Dorfentwicklungsplanung ein soziales System der Einflußnahme auf die Instandsetzungs- und Ortserneuerungsprozesse schaffen und als Steuerungsinstrument für den Einsatz der erforderlichen Kapitalinvestitionen und der Bauproduktion anwenden. So kann sowohl die Stadterneuerungsplanung demokratisiert, die Selbsthilfe auf dem „Weg von unten" als auch die Investimplantation „von außen" im Zusam30
menwirken unter kommunaler Selbstverwaltung die sozial-kulturellen Ziele und ökologischen Orientierungen der Vitalisierung in der Stadt-Umland-Region und der Stadt selbst verwirklichen.
Bernd Hunger Stadtverfall und Stadtentwicklung - Stand und Vorschläge
„Für die Bürger sind die Städte und Gemeinden, in denen sie leben, mehr als nur Wohnorte und Arbeitsstätten. Sie bedeuten für sie die unmittelbare Heimat als Teil ihres sozialistischen Vaterlandes, dem sie sich besonders eng verbunden fühlen." 1 Angesichts dieser schönen, von höchstrangigen Politikern Anfang der 80er Jahre unterschriebenen Erkenntnis fragt es sich, wieso die praktische Städtebaupolitik dem politisch erklärten Ziel identitätsstiftender Stadtgestaltung jahrzehntelang entgegengewirkt hat. Fakt ist, daß die Empörung der Bewohner über das Antlitz und den Zustand ihrer Städte einer der wesentlichsten Zündfunken jener Bewegung war, die das Kommandoregime hinweggefegt hat. Die revolutionäre Umwälzung in der D D R des Oktobers 1989 wurde nicht zuletzt durch kommunale Mißstände verursacht. Um den derzeitigen städtebaulichen Zustand der Städte in der ehemaligen DDR zu verstehen, lohnt ein Blick zurück — auf die sozialpolitische und städtebauliche Konzeption des als Kernstück der Sozialpolitik geplanten 20jährigen Wohnungsbauprogramms zwischen 1970 und 1990 und seine Folgen für die Stadtentwicklung.
Einfluß des Wohnungsbauprogrammes auf die Stadtentwicklung Im Zuge des Wohnungsbauprogrammes haben sich Struktur und Flächennutzung vor allem der größeren Städte, in denen sich der Wohnungsbau in hohem Maße konzentrierte, stark verändert. 2 Während Elemente der Stadtstruktur wie Stadtzentrum, Arbeitsstätten, Freiflächensysteme, Systeme der technischen Infrastruktur kaum Veränderungen erfuhren, unterlagen die Standorte für das Wohnen in der Stadt beträchtlichem Wandel. Die Baugebietsflächen, insbesondere die Wohngebietsflächen, nahmen auf Kosten der land- und forstwirtschaftlichen 1
2
Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der D D R . Beschluß des Politbüros des ZK der SED und des Ministerrates der D D R vom Mai 1982. Zum ausführlichen empirischen Hintergrund vgl.: Städtebauprognose - städtebauliche Grundlagen für die langfristige intensive Entwicklung und Reproduktion der Städte, Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie der D D R , Berlin 1989.
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Nutzfläche erheblich zu. In den meisten Städten wuchsen die Baugebietsflächen rascher als die Einwohnerzahlen. Zweifellos erbrachte der Wohnungsbau der letzten 20 Jahre für die Mehrheit der Bevölkerung besseres Wohnen. Da jedoch das Wohnungsbauprogramm — entgegen den Warnungen vieler Fachleute — verengt auf den randstädtischen Neubau hochgradig normierter Wohnungen ausgerichtet war, verfielen die Innenstädte. Altstadtgebiete endeerten sich aufgrund erheblicher Einwohnerumverteilungen von innerstädtischen Gebieten an den Stadtrand. Trotz dicht bebauter neuer Wohngebiete gingen die Einwohnerdichten der Städte insgesamt zurück. Ihbelle 1: Entwicklung der Einwohner, Wohnungen, Flächen- und Dichtekennwerte zwischen 1980 und 1990(*) Territoriale Einheit
Durchschnitt 88 Städte
Zuwachs in Prozent Wohn- u. Mischgebietsfläche
Einwohner absolut
6,55
5,3
Anzahl Städte über Durchschnitt unter Durchschnitt
28 38
ausgewählte Städte - Brandenburg - Erfurt - Görlitz - Jena - Magdeburg - Weimar
8,1 10,6 8,4 7,5 7,4 6,5
Einwohner/ ha -
21 45 4,5 5,7 3,1 5,2 1,5 2,9
0,96 30 36
-
3,4 4,2 4,0 0,7 5,5 5,4
Wohnungen Wohnungen/ absolut ha 8,10
13,85 26 40
30 36
13,1 14,1 4,1 20,6 5,6 25,1
8,1 7,0 1,0 14,2 1,9 16,7
-
Die gleiche Tendenz zeigt sich auch bei einer Anzahl über einen längeren Zeitraum betrachteter Städte. (*) Analyse von 88 Städten, Planungsstand 1983, Zwischenzeitlich ist der tatsächliche Einwohnerzuwachs im allgemeinen geringer ausgefallen als ursprünglich geplant. Hingegen werden die einmal erschlossenen neuen Wohngebiete auch gebaut. Der Rückgang der Einwohnerdichten hat sich in den meisten Städten noch stärker vollzogen, als er in der Tabelle ausgewiesen ist. (Arbeitsunterlagen, Institut für Städtebau und Architektur, Abt. Generalbebauungsplanung)
Kennzeichnend für die städtische Flächennutzung ist es heute, daß innerstädtische Flächen mit hoher Lagegunst nicht intensiv genutzt werden und stadttechnisch mangelhaft erschlossen sind, während Gebiete geringer randstädtischer Lagegunst dicht bebaut und gut erschlossen sind. Infolge der extensiven Stadterweiterungen wuchsen die Betriebsaufwendungen für die Netze der Stadttechnik und den Verkehr überproportional. Das notwendige gesellschaftliche Arbeitsvermögen für die Stadtbewirtschaftung erhöhte sich beträchtlich — eine Entwicklung mit hoher Dramatik angesichts tendenziell rückläufiger Zahlen der Bewohner im arbeitsfähigen Alter und anhaltend niedriger Arbeitsproduktivität. 33
Tabelle 2: Stadtwachstum - ausgewählte Städte(*) Stadt
Berlin Dresden Brandenburg Potsdam Dessau Anklam Pasewalk
Zuwachs in Prozent Einwohner
B augebietsfläche
10,5 4,5 3 22,5 8 5 3,5
15+ -
20,5 15 6,5 10,5 16
Wohn- und Misch- Einwohnergebietsfläche dichte 20 13,5 13,5 19,5 5,5 17,5 17,5
- 9,5 - 9,5 - 10 1,5 1 - 11 - 12,5
+ Vergleich zwischen 1970 und 1980 (*) Methodische Grundlagen für die Präzisierung der Flächennutzungspläne in ausgewählten Städten der DDR.
Mit zwingender Logik stauten sich Verkehrsprobleme an, die dringliche Erneuerung stadttechnischer Netze verschob sich von Fünfjahrplan zu Fünfjahrplan. Für den Umweltschutz wurde nichts im Alltag Bemerkbares getan, die Kehrseite war verschwenderisches Verpulvern von Energie durch uneffektive Heizungssysteme und schlecht isolierende Baustoffe. Mit den nach außen wachsenden Städten nahmen die Arbeitswegezeiten für viele Städter zu, was vor allem den berufstätigen Müttern zusätzliche Belastungen aufbürdete. Das hatte ungünstige soziale und wirtschaftliche Folgen: — Zeitprobleme haben für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft großes Gewicht. Wird der Arbeitsweg zu lang, so wächst der Wunsch nach Arbeitsplatzwechsel oder Teilzeitbeschäftigung; bei hoher beruflicher Motivation wird ein potentiell vorhandener Kinderwunsch nicht realisiert, — mit zunehmendem Arbeitsweg erhöht sich die Bereitschaft zum Wechsel des Arbeitsplatzes und die Bereitschaft zur Übernahme nicht qualifikationsgerechter Arbeit. 3 Betroffen von hohen Fluktuationsraten waren vor allem innerstädtische Betriebe mit großem Anteil beschäftigter Frauen — jedes neue randstädtische Wohngebiet spiegelt sich in Umschichtungen der Belegschaft wider. Allgemein ist für innerstädtische Arbeitsstätten ein hoher Verschleißgrad der baulichen Grundfonds charakteristisch — die Setzung der bauwirtschaftlichen Priorität auf den Wohnungsneubau ging einher mit sich stetig vergrößernden Kapazitätslücken für Bestandserhaltung und -Verbesserung in allen Bereichen des Bauens. Am politisch brisantesten an der Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte war jedoch zweifellos der durch den Innenstadtverfall bewirkte Angriff auf das Heimischfühlen, die Stadtverbundenheit und das Stadtbewußtsein der Bewohner — 3
Vgl. Städtebauprognose - soziologische Grundlagen, Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie der DDR, Berlin 1988.
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ein Angriff mit nicht kalkulierbaren politischen Folgen, auf die in stadtsoziologischen Arbeiten wiederholt verwiesen wurde.4
Ideologischer Hintergrund der Städtebaupolitik Die augenscheinlichen Mängel in der Gestaltung der alltäglichen Lebensumwelt der Städter sind Folge einer Politik, die Städte als Standorte für zentrale Entscheidungen auffaßte, statt als lebendige Kommunen mit eigenständigen Interessen ihrer Bewohner. Städtebau verkam zur nachgeordneten Dienstleistung des „komplexen Wohnungsbaus", statt Bindeglied aller Seiten der Stadtentwicklung zu sein und über die Gestaltung einer erlebnisreichen Stadtumwelt zum Heimischfühlen der Bewohner beizutragen. Architekten und Stadtplaner wurden der Leitungshierarchie der Bauwirtschaft untergeordnet und konnten nur unter schwierigsten Bedingungen die Interessenvertreter der Bewohner und Kommunen sein. Ähnlich ist die Lage der örtlichen Volksvertretungen, die über bei weitem nicht ausreichende materielle Kapazitäten und finanzielle Fonds zur selbstbestimmten Gestaltung ihrer Städte und Gemeinden verfügen. Begünstigt wurde die zentralistische Städtebaukonzeption durch das im internationalen Städtebau übliche Leitbild der 60er Jahre hinsichtlich seines rigiden Bruches mit den Werten der alten Stadt. Orientiert wurde auf großräumige und offene Bebauung als Negation überkommener Funktions- und Raumstruktur. Gefragt war neuer Raum für eine neue Lebensweise, wobei der politisch prononciert gesetzte Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft eine kulturelle Unterschätzung historisch stabiler, tradierter Seiten der Lebensweise und Raumansprüche zur Folge hatte. Die kulturelle Entwertung überlieferter Raumstrukturen — vor allem der Altstadtkerne und der Gründerzeitgebiete — („negatives kapitalistisches Erbe") war die logische Konsequenz. 5 Das zentrale Dirigieren der Stadtentwicklung ging einher mit einem normativen Menschenbild, dem eine Vorstellung von der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft zugrunde lag, die den großen Gedanken sozialer Gleichheit aller Menschen auf das Streben nach sozialer Annäherung der Klassen und Schichten durch Gleichförmigkeit der Lebensbedingungen zurechtbog. Die Verräumlichung dieser Konzeption ist fast idealtypisch an Halle-Neustadt, der Chemiearbeiterstadt für ca. 100 000 Menschen, nachvollziehbar.6 Das Leben in der neuen Stadt, deren Grundstein 1964 gelegt wurde, sollte den vermeintlich 4
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Vgl. vor allem: Stadtsoziologische Studien der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar (Leitung: Fred Staufenbiel); Weiske, C., Heimischfühlen in der Stadt — zur Beziehung von Ortsverbundenheit und Migration, Dissertation Jena 1984. Vgl. Hunger, B . , Raum- und Gestaltansprüche aus soziologischer Sicht in ihrem Einfluß auf Städtebau und Architektur, Dissertation Berlin 1988. Vgl. Halle-Neustadt. Vom Werden und Wachsen unserer Stadt, Halle-Neustadt 1968.
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kleinstädtischen Siedlungscharakter bisheriger Neubaugebietsplanung überwinden. Mit vielgeschossiger und kompakter Bebauung wurde dem Bewohner das Erlebnis vermittelt, als „Teil einer großen Gemeinschaft" zu leben. Im Idealbild der sozialistischen Menschengemeinschaft waren Klassen- und Schichtspezifika nivelliert, reale soziale Unterschiede verschleiert und Interessenunterschiede im „höheren" Gemeinschaftsinteresse aufgehoben. Die soziale Gleichmacherei setzte sich im normativen Hinwegsetzen über die Vielfalt der durch verschiedenartige Lebensstile und Persönlichkeitstypen geformten individuellen Raumansprüche fort. Die geplante Wohltat — nämlich der Ungleichheit in den Wohnverhältnissen als Resultat bürgerlicher Entwicklung entgegenzuwirken — wurde zur Plage, indem jeder und alle unter gleichen Bedingungen in gleichen Wohnungen7 leben sollten, was durch die Gleichförmigkeit der Wohnarchitektur unterstützt wurde. Insofern haben die ob der Unflexibilität und Uniformität des Wohnungsbaus heute vielgescholtenen Architekten die vor 25 Jahren vorherrschende Gesellschaftskonzeption konsequent vergegenständlicht — das Unglück der Planer ist es heute, daß Bauten und Stadträume dauerhafter sind als gesellschaftliche Vorstellungsbilder und nicht so rasch „verdrängt" werden können. Die Tragik des Wohnungsbaus am Stadtrand besteht darin, daß er — trotz weitreichender Veränderungen im Wertesystem der Gesellschaft — bis heute den vereinbarten Grundprinzipien der 60er Jahre folgt: Innovationen im Grundriß der Wohnungen und Gebäude tendieren gegen Null, die Wohnungsgrößen stagnieren, gruppenspezifische Wohnansprüche werden nach wie vor nicht bedient, der Bewohner erhält als potentieller Selbstgestalter seiner Wohnung und Wohnumwelt im Massenwohnungsbau keine Chance. Die Wohngebiete wurden und werden als weitgehend selbständige monofunktionale Bereiche „reinen Wohnens" — einschließlich der unerläßlichen Grundausstattung mit Gesellschaftsbauten - infolge des Strebens nach Entflechtung der städtischen Funktionen gestaltet, das dem Konzept sektoraler Wirtschaftsplanung am besten entspricht.
Einfluß der Bauwirtschaft auf die Stadtentwicklung Die Generalbebauungsplanung für die größeren Städte zeigte noch 19898, wie sehr die Prämissen der Stadtplanung von den technologischen und kapazitativen Grenzen des Bauwesens diktiert werden: im Mittelpunkt der Planung stand die Standortwahl des Wohnungsneubaus, dessen vorgegebenes Volumen als primäre Ausgangsgröße der Stadtentwicklung gesetzt wurde, ohne aus einer Gesamtbetrachtung der Reproduktionserfordernisse der Wohnbausubstanz abgeleitet zu 7
Vgl. Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972. s Erste Auswertung der Entwürfe der Generalbebauungspläne für 28 Bezirksstädte und Stadtkreise, Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie der D D R , Berlin 1989.
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sein. Neubaudenken erklärte sich als Pendant des völlig unzureichenden Umfangs der Erhaltungskapazitäten. Langfristige Konzeptionen für das Zusammenspiel von Wohnungsbau, Arbeitsstättenentwicklung und Erneuerung der technischen und sozialen Infrastruktur blieben die Ausnahme und waren schon allein deshalb nicht gefragt, weil es den Städten an generellen Rahmenkonzepten angestrebter sozial-kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung mangelte. Die jüngste Phase der Generalbebauungsplanung zeigte klar: ohne entschiedene Strukturveränderungen des Bauaufkommens wären ein weiteres Wachstum der Baugebietsflächen um 5—10 % sowie sinkende Intensität innerstädtischer Flächennutzung vorprogrammiert. Da die Einwohnerzahlen der Städte tendenziell sinken, wären die ungünstigen Folgen sich auflockernder und auflösender Stadtstrukturen irreversibel; perspektivisch fehlt das soziale Potential für die Innenstadterneuerung.
Bedeutungsveriust des Städtischen Dem Bedeutungsverlust des Städtebaus entsprach der Bedeutungsverlust des Städtischen in der Lebensweise. Da Grundsatzfragen der Stadtentwicklung gewöhnlich über die Köpfe der örtlichen Räte hinweg entschieden wurden, verkam der öffentliche Dialog über städtische Probleme. So konnten sich Stadtbewußtsein und öffentliche Stadtkultur nur in begrenztem Maße entfalten. Stadtöffentlichkeit entwickelte sich in jenen Städten, wo im Dialog zwischen Politikern, Planern, Bauleuten und Bewohnern eine konsequente Innenstadterneuerung eingeleitet wurde — in aufreibender Auseinandersetzung mit einer den Ansprüchen innerstädtischen Bauens zuwiderlaufenden Bauökonomie und -technologie. Rostock und Wismar, Gera und Wernigerode, Torgau und Sömmerda stehen als Beispiele für eine Reihe von Städten mit Stadterneuerungsstrategien, die Mut machen für die Gesamtdimension des in den nächsten Jahren zu Leistenden. In der Mehrzahl der Städte formierte sich Stadtöffentlichkeit erst im Oktober 1989 als Protestpotential, das sich im augenscheinlichen Zusammenhang zwischen der Länge der Demonstrationszüge und dem Grad des Stadtverfalls darstellte. Der Regelfall der letzten zwei Jahrzehnte war jedoch, daß sich immer mehr Bewohner von den wenig attraktiven Innenstädten abwandten und ihre Freizeitinteressen auf den Garten, die Datsche oder das Eigenheim konzentrierten. Der öffentliche Stadtraum erlitt einen kulturellen Bedeutungsverlust, indem er zwar innerstädtischer Verkehrs- und Versorgungsraum blieb, aber kaum mehr Hülle des politischen und kulturellen Dialoges, der Selbstdarstellung der unterschiedlichen städtischen Bewohnergruppen war. Öffentliche und private Investitionen verschwanden im „Bermuda-Dreieck" von Datsche, Wohnung und Arbeitsplatz. Hingegen blieb ganzheitlich konzipierte Innenstadterneuerung auf der Strecke, da im bislang dominierenden „ökonomischen" Denken die Ökonomie der Stadt 37
aufgefaßt wurde als größtmögliche Kostensenkung beim einmaligen Bauaufwand. Städtebau wurde verengt als Dienstleistung oder bestenfalls als kulturelle Zutat verstanden, die Geld kostet und wo möglichst gespart werden muß. Resultat dieser Entwicklung war die Verfestigung einer wenig innovativen städtischen Lebensweise: Datsche, Wohnung und Arbeit ergeben als Summe nunmal noch keine Stadt — genau wie Kleingärtnern, Heimwerkeln und Fernsehen als verbreitete Alternativen zu innerhalb der Stadtöffentlichkeit realisierbaren Freizeitbedürfnissen allein noch kein kreatives Denken und Verhalten bewirken.
Gewandeltes städtebauliches Leitbild Der Übergang zum intensiven Typ gesellschaftlicher Reproduktion bildete sich im internationalen Städtebau der 70er Jahre als prägnanter Wandel des städtebaulichen Leitbildes der 60er Jahre ab: von der extensiven Stadterweiterung zur Innenstadterneuerung, von der weitgehenden Trennung städtischer Funktionen zu ihrer sinnvollen Mischung, von der Geringschätzung überkommener Bausubstanz zur Erkenntnis ihres materiellen und kulturellen Wertes, von der „schwerpunktmäßigen" Stadtentwicklung zur betonteren Planung der Stadt als Ganzes. Dem ideellen Wandel konnte die Städtebaupraxis in der DDR nur teilweise entsprechen. Bestandsorientierte Innenstadterneuerung als Voraussetzung für die weitgehende Vermeidung extensiven Wachstums bebauter Flächen am Stadtrand ist nach wie vor eher Ziel als Wirklichkeit. Bremsend wirken veraltetes Planungsdenken und dringend reformbedürftige Stadtverwaltungen ebenso wie die Fehlorientierung der technologischen Entwicklung und Organisation der Bauwirtschaft. Im Unterschied zum kulturell und ökonomisch festgefahrenen Stadtentwicklungskonzept der ehemaligen DDR haben hochentwickelte Industriestaaten in den letzten 10 Jahren großangelegte Investitionen in den städtischen Infrastrukturen getätigt — Stadtkultur wurde als Wirtschaftsfaktor ersten Ranges anerkannt. Transportsysteme und Kommunikationstechnologien müssen reibungslos funktionieren, landschaftlicher Reiz und kulturelle Identität der Stadt sind als sogenannte „weiche" Standortfaktoren gefragt, um die Standortwahl der Unternehmen zugunsten der jeweiligen Stadt zu beeinflussen. Der europäische Binnenmarkt wird das Gerangel der Städte innerhalb der EG um die Standortgunst erheblich verstärken; dafür rüsten sich die Kommunen technologisch und kulturell. Die sich abzeichnende prinzipiell neue Qualität von „Stadt" korrespondiert mit einer auch in unserem Lande zu beobachtenden stärkeren Außen-Orientierung der Lebensweise. Bedürfnisse nach Kontakten, nach erlebnisreichem städtischem Leben, nach geistigem Austausch nicht nur zu Hause oder „auf Arbeit" stehen im Widerspruch zur nach wie vor wohnungszentristisch angelegten Freizeitkonzeption, einem Rudiment der wohnungs-, familien- und fernsehorientier38
ten Lebensweise der Städter in den 60er Jahren. Heute sind unsere Innenstädte bemerkbar belebter geworden, aber die meisten sehen nicht nur schlimm aus, sondern die Erlebnis- und Nutzungsangebote sind schmal und langweilig. Wo soll da Innovation herkommen? Fest steht: Heute haben Fragen der Stadtentwicklung in Verbindung mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschäftigungspolitik, des Wohnraumbedarfs und der Stadtkultur erheblich an Bedeutung gewonnen — sowohl für die wirtschaftliche Leistungskraft von Regionen und Städten der ehemaligen DDR als auch für die soziale Wohlfahrt ihrer Bewohner im Kontext gesamteuropäischer Kooperation und Konkurrenz. Die Abbildung deutet schematisch die Unterschiede zwischen traditionellen (extensiven) und aktuellen (intensiven) Merkmalen der Stadtentwicklung an. Die Tragweite des Umbruchs im Verhältnis von Gesellschaft und Städtebau ist für das städtebauliche Denken langfristig und gravierend. Gestalterische „Schönheitspflaster" im Antlitz der Städte nutzen wenig, gefordert ist eine tiefgreifende Reform der Stadtentwicklungs-Instrumentarien.
Der Weg aus der Krise: Stärkung der Kommunen Was kann für die Stadtentwicklung getan werden, um aus den eingefahrenen Gleisen herauszukommen? Vor allem ist die Verantwortung und Selbständigkeit der örtlichen Volksvertretungen für die Entwicklung ihrer Städte gravierend zu erhöhen und materiell wie finanziell zu sichern. Neue gesetzliche Regelungen zur Bildung kommunaler Fonds und zum Städtebaurecht sind gefordert ebenso wie eine grundlegend erhöhte Baukapazität in der Verfügung der örtlichen Räte. Ein Städte- und Gemeindetag als zentrale Interessenvertretung der Städte ist dringlich. Auf diesem Wege werden die gewählten örtlichen Räte zu stärkeren Interessenvertretern komplexer Stadtentwicklungsplanung, die sich aus der Vormundschaft der Bauwirtschaft lösen kann. Solcher Art Stadtentwicklungsplanung weitet die bisherige städtebauliche Planung — die vor allem als räumliches Gestalten zentraler Standortentscheidungen konzipiert war — wesentlich auf und stärkt ihre kommunale wie gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Das auf einem Tiefpunkt befindliche gesellschaftliche Prestige der Architekten und Stadtplaner würde wieder ansteigen. Ebenso ist das Neu-Entdecken der kulturellen Bedeutung der Architektur im öffentlichen Bewußtsein zu erwarten — eine Entwicklung, die sich in den derzeitigen leidenschaftlichen Diskussionen der Bewohner über die Zukunft ihrer Städte bereits andeutet. Woher sollen Geld und Kapazitäten kommen? - Erstens von einer drastisch erhöhten Steuerabführung der ortsansässigen Wirtschaft an die Kommunen und die Stärkung weiterer kommunaler Einkommensquellen (u.a. Grundsteuer, Einkommenssteuer). Die ökonomische Ei39
Extensive
Stodtentwicklung
Wachstum
des
derStndtflöche
Intensive Stadtentwicklung Höhere Effizienz der Produktion, rationellere Flächennutzung und sozialräumliche Beziehunaen
Produktionsvolumens, und
Einwohnerzahl
Innerer Erneuerungsprozeß intensiv erweiterter Reproduktion mit dem Ziel kulturvoller Lebensweise und Umweltaneignung sowie effektiverer Produktion
Bauen am
Stadtrand
Schwerpunkt: Großräumige Resultat:
Innerstädtisches
-
Neubau
Bauen
Schwerpunkt:
Erhaltung
Kleinräumige
Funktionstrennung "reines"Wohnmilieu
Funktionsmischung
Resultat: vielfältiges
Stadtmilieu
Standortneutrales, unifiziertes Bauen
lokal spezifisches, stadttypisches Bauen
Großflächige Bauaufgaben
Kleinflächige Bauaufgaben
einheitliche großer Losgröße
heterogene geringer Lasgröße
Hochgradige Normierung der Bedürfnisse und Bausortimente
Bedürfnisvielfalt. Mannigfaltiger werdende Bauaufgaben
Planen und Bauen die Bewohner
Planen und Bauen den Bewohnern
für
Wohnen
Wohnungsorientierte Freizeitkonzeption Reines Wohnen am Wohnformen: 5-Geschosser
und
_
mit
Stadtorientierte Freizeitkonzeption Stadt kultur am Stadtrand durch Komplettierung rondstädtischer Beb.
Stadtrand
viel faltigere ¡nnenstadtgerechte Wohnformen (Stadthaus, Reihenhaus)
Eigenheim Städtebaupohtil
Städtebau
als
Städtebauliche Gegenstand: Aufwands Ökonomie
Dienstleistung Planung Städtebau
kriterium: des Bauens
Städtebau Komplexe Gegenstand:
als
Triebkraft Stadtplanung Stadtentwicklung
Aufwandskriterium: der Stadt im Rahmen
Ökonomie der HIV
Abb. 1. Merkmale der Stadtentwicklung
genständigkeit der Betriebe erfordert eine enge ökonomische Verbindung von Stadt- und Wirtschaftsentwicklung, wenn die Städte nicht zu „Wohnheimen" der Betriebe degradiert werden sollen. Das faktisch völlige Fehlen ökonomischer Beziehungen zwischen Stadt und ansässiger Wirtschaft führte zu der sozialen Ungerechtigkeit, daß gerade jene Städte und Regionen am meisten
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baulich verfallen, ökologisch belastet und kulturell unterversorgt sind, die über Jahrzehnte hinweg die relativ höchsten Anteile des Nationaleinkommens produzierten (Ballungsräume Halle/Leipzig und Chemnitz/Dresden, aber auch Städte wie Brandenburg, Dessau u.a.). — Zweitens von weitreichender staatlicher Unterstützung der Stadtentwicklung. Die Kommunen sind nirgends auf der Welt in der Lage, unerläßliche städtebauliche Aufgaben nur aus dem eigenen Einkommen zu finanzieren. Infrastrukturelle und Stadterneuerungsaufgaben bedürfen ebenso wie der Wohnungsbau massiver staatlicher Zuschüsse. — Drittens von der Ökonomisierung städtischer Dienstleistungen. Der kritische Zustand vieler Städte ist auch dadurch verursacht, daß städtische Dienstleistungen dem Nutzer weit unter ihrem tatsächlichen Wert angeboten wurden — was verschwenderische Inanspruchnahme förderte — und gleichzeitig völlig unzureichend staatlich subventioniert worden sind. Dieses Problem soll nachfolgend genauer diskutiert werden.
Ökonomisierung der Stadtentwicklung — Möglichkeiten und Grenzen Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation und des Zustandes der Städte steht die Frage: Wie können die Kommunen mit gleichen Ressourcen mehr leisten, wo schlummern Reserven, wie kann gespart werden ohne Sozialabbau? Vier Varianten stehen zur Diskussion: a) Abbau von städtischen Dienstleistungen (Ausgabenkürzung) Die sozialpolitisch kritischste Variante, da sie die städtische Lebensqualität absolut verschlechtert. Bereits in der Vergangenheit angewendet (Beispiel: verschlechterter Personennahverkehr durch größere Fahrabstände), wird sie zukünftig nur vermeidbar sein bei stabilen, für das Notwendige ausreichenden kommunalen Haushalten im Rahmen einer allgemeinen Stabilisierung der ökonomischen Situation. b) Privatisierung städtischer Dienstleistungen, Verkauf städtischen Vermögens Sozialpolitisch insofern kritisch, da private Anreize (Gewinnmöglichkeiten) gegeben sein müssen, um Privatisierungen überhaupt in Gang zu setzen. Das hätte Preissteigerungen zur Folge bzw. staatliche Subventionierungen der Privatwirtschaft — die allerdings sinnvoller kommunalen Betrieben zufließen sollten. c) Gebührenerhöhungen (Erhöhung der Einnahmen) Das hat Sinn, wenn damit Sparsamkeit im Umgang mit städtischen Ressourcen stimuliert wird. Die Einnahmenerhöhung in Richtung Kostendeckung wird allerdings an soziale Grenzen stoßen, da die Garantie der Sozialverträglichkeit ja gerade der Sinn öffentlicher Ausgaben ist. 41
d) Beförderung der Bewohnerselbsthilfe Eine unbedingt zu unterstützende Maßnahme angesichts des Defizits an Kapazitäten für das Bauen und für städtische Dienstleistungen. Nach Studien in der Bundesrepublik kommt die „informelle Ökonomie", — die Arbeit „nach der Arbeit" —, in der Wertschöpfung auf ein Drittel bis auf die Hälfte des Bruttosozialproduktes. 9 In der ökonomisch weit weniger entwickelten ehemaligen D D R kann man getrost von einer „zweiten Volkswirtschaft" ausgehen, die in ganz anderer Dimension als bisher produktiv in die Stadterneuerung einbezogen werden kann. Gute Chancen bestehen für die Orientierung des genossenschaftlichen und des Eigenheimbaus auf die Innenstädte mit finanziellen Förderungsmitteln. Material und menschliche Energien müssen nicht zwangsläufig in die Datsche bzw. das freistehende Eigenheim am Stadtrand abfließen - not tut eine Hinwendung der Bewohnerinitiativen zur Innenstadt. Wieso sollte es nicht möglich sein, mit den Bewohnern auch in relativ kurzer Zeit meßbare, für alle täglich in der Stadt erlebbare Erfolge zu erzielen? Um ein Beispiel zu nennen: Das Gros der Kleinstädte hat niedriggeschossige Stadtkerne, die vielerorts durch innerstädtischen Eigenheimbau in Reihenhausbebauung reparabel sind. Allerdings fehlen attraktive rechtliche und ökonomische Stützungen dieser Bauweise ebenso wie ein gesellschaftlicher Aufklärungsprozeß, der kritisch hinterfragt, warum das freistehende randstädtische Eigenheim - das nichts anderes als die kleinbürgerliche Karikatur der bürgerlichen Villa des 19. Jahrhunderts ist - die einzige Alternative zum fünfgeschossigen Wohnblock bleiben muß. Indem privates und genossenschaftliches Bauen innerhalb der Städte gefördert wird, kann sich der Staat vom Wohnungsbau entlasten und wird sich das Interesse der Bewohner an bedürfnisgerechten Wohnbauten mit dem Stadterneuerungsprozeß verknüpfen. Geldmittel der Bevölkerung flössen nicht nur in die Datschen, sondern auch in den Wohnungsbau. Damit wäre der Trend der letzten Jahre zu stoppen, daß die Datschen immer größer und die Wohnungen immer kleiner werden. Kurzum: Über veränderte politische und ökonomische Regulative können beträchtliche Bewohnerinitiativen für die bewahrende Erneuerung der Innenstädte freigesetzt werden.
Städtische Sozialpolitik zwischen Kostendeckung und Sozialverträglichkeit Die bisherigen Überlegungen zur Entlastung der Öffentlichen Haushalte sind kein Ziel sozialorientierter Stadtentwicklung! Sie können lediglich ein Mittel sein, um der Verschwendung städtischer Ressourcen infolge der bisherigen, scheinbar allen ökonomische Bindungen enthobenen zentralen Subventionspoli® Siebel, W., u.a., Arbeit nach der Arbeit. Schattenwirtschaft, Wertewandel und Industriearbeit, Opladen 1987, S. 28ff.
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tik entgegenzuwirken und über die Ökonomisierung der Stadtentwicklung gleichzeitig eine kulturvollere Entwicklung der Städte einzuleiten. Das wirft folgende Frage auf: Welchen sozialen Zweck und ökonomischen Nutzen hat die Ökonomisierung der Stadtentwicklung? Sozialorientierte und ökonomische Stadtentwicklung verfolgt gleichzeitig mehrere Ziele. Sie soll — sozial verträglich sein, — ökologisch verträglich sein, — ökonomisch sein, indem sie Sparsamkeit beim Umgang mit Ressourcen belohnt und Anreize wirtschaftlicher Entwicklung bietet. Das geläufige Zauberwort und Allheilmittel zur Erreichung dieser Ziele scheint nach dem Stand der öffentlichen Diskussion zu lauten: Subventionsabbau. Allerdings ist die Erfahrung anderer osteuropäischer Länder bekannt - Subventionsabbau war vor allem verdeckte Reallohnsenkung und damit Minderung der Lebensqualität für breite Bevölkerungsschichten bei gleichzeitiger Vertiefung sozialer Unterschiede zwischen Betuchten und weniger Bemittelten! Soziale Spannungen nahmen zu, während größere Sparsamkeit im Umgang mit städtischen Dienstleistungen kaum eintrat. Spürbare Effekte für die Gesundung der Wirtschaft blieben bislang aus. Jegliche Umverteilung der Mittel für städtische Dienstleistungen in Richtung größerer Kostendeckung befördert soziale Segregation. Hingegen weicht die gegenwärtige soziale Schichtung der Bewohner verschiedener Stadtteile in der ehemaligen D D R relativ wenig vom Stadtdurchschnitt ab. Räumliche Ausgrenzung Verarmter — eine zunehmende Erscheinung in den Metropolen selbst hochentwickelter kapitalistischer Länder — gibt es nicht. Damit haben die Städte die Chance, ihre Erneuerung mit den Bewohnern ohne soziale Benachteiligung in Gang zu setzen, falls die Sozialverträglichkeit von Stadterneuerungsprojekten garantiert bleibt. Natürlich ist angesichts der gegenwärtigen Billigst-Preise ein Maß an Subventionsabbau unerläßlich, das Sparsamkeit des Nutzers stimuliert. Das hat sehr unterschiedliche Folgen bei den verschiedenen Formen städtischer Dienstleistungen: Subventionsabbau als Stimulus für Sparsamkeit — ist sehr wirksam bei Energie, Wasser, Müll (da der Einzelne direkt erreicht wird); — fragwürdiger bei öffentlichen Dienstleistungen wie Friedhöfen, Straßenreinigung; — sehr in Frage zu stellen bei kulturellen Einrichtungen wie z . B . Museen und Theatern, aber auch bei öffentlichen Bädern usw. (Beispiel B R D : Kostendeckungsgrad der Museen beträgt 9 % ) ; — äußerst problematisch beim öffentlichen Personennahverkehr. Hier fördert Subventionsabbau lediglich den Privatverkehr, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wird schlechter. Klar wird eines: für das Verhältnis von Kostendeckung und Sozialverträg43
lichkeit städtischer Dienstleistungen gibt es kein Patentrezept; jede Dienstleistung für sich erfordert ein spezifisches Finanzierungsmodell. Von hoher politischer Brisanz ist die Tatsache, daß die hohe Subventionierung städtischer Dienstleistungen zu einer Selbstverständlichkeit der Nutzung von Wohnraum, Energie, Wasser und öffentlichen Verkehrsmitteln in der ehemaligen D D R geführt hat, die erst mit ihrem Abbau als sozialer Wert hohen Ranges im öffentlichen Bewußtsein deutlich werden dürfte. Das Verhältnis von Kostendeckung und Sozialverträglichkeit städtischer Dienstleistungen wird zum vielleicht sensibelsten Thema zukünftiger Stadtentwicklungspolitik werden. Vor allem der Ökonomisierung der Wohnraumnutzung sind sozial enge Grenzen gesetzt — da das Bedürfnis nach Behausung ein existenzielles ist und seine Befriedigung auch in entwickelten kapitalistischen Ländern sozialstaatlich reguliert wird, also keineswegs über Marktmechanismen und kostendeckende Mieten allein. Der weitreichende Strukturwandel des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens bringt zeitweilig existenzielle Unsicherheiten für Zehntausende mit sich deshalb sollte man gerade bei Mietpreis Veränderungen sehr überlegt vorgehen! Genau zu hinterfragen und öffentlich zu diskutieren sind die beträchtlichen Unterschiede in den Folgen von Subventionsabbau: Welchen sozialen Gruppen nutzt, welchen schadet er? Die gegenwärtig recht hemdsärmelig geführte öffentliche Diskussion über notwendige Preissteigerungen in unterschiedlichen Bereichen der Konsumtion behandelt noch zu wenig die unterschiedliche Betroffenheit von Bürgergruppen, die sich erst in Anfängen über Interessenverbände artikulieren. Aus sozialpolitischer Sicht wird es bei der Gestaltung der Instrumente einer grundlegend erneuerten Stadtentwicklungspolitik darum gehen, in einer ersten Etappe den Abbau von sozial Erreichtem möglichst zu vermeiden und in einer zweiten Etappe die soziale und kulturelle Wohlfahrt aller Stadtbewohner zu erhöhen. Das heißt zunächst, die Gleichheit aller Bürger in den Bedingungen für die Befriedigung der grundlegenden Lebensbedürfnisse zu garantieren durch — die Sicherung eines Grundniveaus der Lebensbedingungen für alle, u.a. auch der Aneignungsmöglichkeiten der Stadt (gesundheitliche und soziale Betreuung, Wohnen, Grundversorgung); — soziale Sicherheit betreffs der Garantie dieses Grundniveaus; — keine soziale und räumliche Ausgrenzung Einkommensschwächerer. Gleichzeitig — und nicht im Widerspruch zum o.g. Ziel stehend — geht es um Leistungsstimulierung über durch Leistung gerechtfertigte soziale Unterschiede in den städtischen Lebensbedingungen. Gleichmacherei muß ein Ende haben, bei gleichzeitiger Dämpfung aufkommender sozialer Ungleichheit infolge marktwirtschaftlicher Prozesse. Eine „Amerikanisierung" der kommunalen Sozialpolitik würde breite Kreise der ostdeutschen Bevölkerung um die Früchte ihrer revolutionären Umwälzung bringen. 44
Wichtige städtebaupolitische Entscheidungsfelder im Verhältnis von Bewahrenswertem und zu Veränderndem Die Perspektive einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten setzt städtebaupolitische Entscheidungen auf die Tagesordnung, die einen grundsätzlichen Wandel der Stadtentwicklungspolitik unter Berücksichtigung der besonderen sozialen und ökonomischen Bedingungen in den Städten der ehemaligen D D R einleiten. Weitreichende Konsequenzen haben folgende drei Entscheidungsfelder: Erstens: Grund- und Bodenrecht Staatliches und kommunales Eigentum an Grundstücken sollte nicht veräußert, sondern verpachtet werden (eine Möglichkeit: Erbbaurecht). Bodenverkauf heißt Ausverkauf der Steuerungsmöglichkeiten zukünftiger Stadtentwicklung. Das Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand beim Verkauf privater Grundstücke zu limitierten Preisen ist ein Vorteil des ehemaligen DDR-Bodenrechtes, der eine kommunale Bodenvorratswirtschaft z.B. für die Lösung infrastruktureller Probleme begünstigt. Öffentliches Verfügungsrecht über Grund und Boden ist ebenfalls eine günstige Ausgangsposition ökologisch orientierter Stadtentwicklung — nicht zuletzt behindert der private Bodenbesitz in der BRD gravierend einen aktiven Bodenschutz. Gleichzeitig sind Bodennutzungsrechte mit weitreichendem Rechtsschutz des Nutzers vergebbar. Insofern ist staatliches und kommunales Bodeneigentum keine Behinderung marktwirtschaftlich orientierter Stadtentwicklung. Zweitens: Kommerzialisierung der Stadterneuerung Fraglos steht eine marktwirtschaftlich orientierte Stadtentwicklungspolitik in der Pflicht, die kommerzielle Rentabilität von Unternehmen und Bauvorhaben zu fördern. Die Frage ist allerdings, ob private Einzelmaßnahmen städtebauliche Gesamtkonzepte gefährden oder in diese eingebunden sind, ob die Stadtkultur als Ganzes gewahrt wird oder auf der Strecke bleibt. Die gegenwärtig absehbaren schnellen Aktionen zur Innenstadterneuerung bergen zwei Gefahren in sich: a) Gefahr des „Windhund-Verfahrens" — wo ein Investor auftritt, wird gebaut, ggf. auf Kosten des städtebaulichen Ensembles; b) Gefahr, daß dort mit Priorität etwas geschieht, wo politischer Druck entsteht. Dringlichste soziale und räumliche Probleme der Stadterneuerung können jedoch gerade dort auftreten, wo sich die Bewohner nicht so deutlich politisch artikulieren wie die öffentlich wirksam hervortretenden Initiativgruppen. Insofern wird es für die Stadtplanung darauf ankommen, Einzelinvestoren und Bewohnerinitiativen auf keinen Fall zu verprellen, sondern zu unterstützen, jedoch jedes Bauvorhaben einzubetten in übergreifende städtebauliche Planungen (die Eingriffsrechte der Kommunen in die Flächennutzung sollten nicht abgebaut werden!) und öffentlich zu diskutieren. Trotz immensen Innenstadtverfalls darf nicht vergessen werden, welche guten Chancen die Altstadterneuerung im städtebaulichen Ensemble hat: die Stadtkerne der ehemaligen DDR sind weitgehend von Verbauung und Abriß durch 45
den Modernismus und die Verkehrskonzepte der 50er und 60er Jahre verschont geblieben, kommerzielle Funktionen stehen in ausgewogenem Verhältnis zum innerstädtischen Wohnen; ein großer Teil der überlieferten städtebaulichen Kultur sieht zwar schlimm aus, steht aber noch und wurde dank der Denkmalschutzgesetzgebung gesichert. Mut sollte machen, daß die Altstadterneuerung eine relativ begrenzte Bauaufgabe ist: die historischen Stadtkerne umfassen grob hochgerechnet ca. 5 % der Stadtfläche, die Zahl der dort befindlichen Wohnungen liegt insgesamt kaum höher als die bislang übliche 5-Jahres-Produktion des Wohnungsneubaus. Die Hälfte aller Altstadtzentren hat weniger als 500 Gebäude. Am kritischsten sieht es in ca. 200 kulturell bedeutsamen Altstädten der ehemaligen D D R aus.10 Insofern steht eine durchaus mittelfristig (10 Jahre) zu bewältigende Aufgabe an, die allerdings den nötigen politischen Willen, das Engagement der Bewohner und den Einstieg der privaten Wirtschaft — eingebunden in übergeordnete stadtkulturelle Interessen — erfordert. Drittens: Mietpreisreform Mietpreispolitik ist als sensibelster Bereich bisheriger Subventionspolitik am behutsamsten und in öffentlicher Diskussion zu behandeln. Als Prinzipien sollten gelten: Sozialverträglichkeit vor Gewinnorientierung, kein Abbau vorhandener Mieterrechte. Die Mietpreisreform sollte ohne Zeitdruck diskutiert werden — Wohnungen sind ebenso wie ihre Subventionierung nicht exportierbar, in diesem Bereich droht kein ökonomischer Ausverkauf des Landes. Billig und sicher zu wohnen war einer der höchsten sozialen Werte der ehemaligen DDR auch im Vergleich zur BRD. Verschlechterungen in diesem Bereich würden unkalkulierbaren sozialen Unfrieden säen.
Neue Ansprüche an die politische Kultur der Stadtplanung Die Demokratisierung städtischer Entscheidungsprozesse ist das unerläßliche politische Pendant zur Ökonomisierung der Stadtentwicklung. Die bisherige „Sprachlosigkeit" der Stadtöffentlichkeit angesichts zentral verordneter Entscheidungen zur Stadtentwicklung ist mit dem in Gang gekommenen kommunalpolitischen Dialog der verschiedensten Bewohner- und Interessengruppen beendet. Wünschenswerte Grundprinzipien der entstehenden politischen Kultur kommunaler Entscheidungsprozesse sind: — volle Legitimation der Stadtplanung im Auftrag frei gewählter örtlicher Volksvertretungen; — Öffentlichkeit der Entscheidungsprozesse, Kontrolle durch Transparenz der Planung für Nicht-Fachleute; 10
Städtebauprognose - städtebauliche Grundlagen ..., a.a.O., S. 99ff.
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- rechtliche Sicherung der Bürgerinitiativen, rechtliche Festschreibung demokratischer Kontrollmechanismen; — Planungsgruppen vor Ort, Planung so nahe wie möglich am Bürger. Sozialstudien (Sozialplanung) als Instrument der Bürgermitwirkung und sozialorientierten Stadtplanung. Vielerorts wird der Aufbau einer demokratischen kommunalen Selbstverwaltung und Stadtplanung erleichtert durch vorhandene Traditionen in der Arbeit von Basisgruppen örtlicher Bürgervertretungen: neben vielem Formalismus gab es und gibt es den Bewohnerinteressen verpflichtete Wohnbezirksausschüsse, Hausgemeinschaften und Gruppen der in der Nachbarschaftshilfe und Altenbetreuung kaum ersetzbaren Volkssolidarität. Dort wie auch in den Gruppen des demokratischen Frauenbundes, den informellen Sportgruppen, ehrenamtlichen Verkehrsaktiven usw. waren Aktionen weniger von oben kommandiert, sondern entsprangen gemeinschaftlichen Interessen. Die „Mach-mit-Bewegung" verschönerte das Wohnumfeld um so augenscheinlicher, je überschaubarer der Wohnbereich ist und seine Gestaltung von allen Nachbarn als Anliegen empfunden wurde — ganze Dörfer und Kleinstädte z.B. im Thüringer Raum stehen hierfür beispielhaft. Das sozialökonomische Wesen der alten Städte, nämlich die Vergegenständlichung der Verräumlichung von Interessenkonflikten innerhalb einer Gemeinde zu sein, die allerdings nach außen gemeinsame Interessen vertritt, macht ihre Faszination für die heute Lebenden aus. Es sind die stadtspezifischen Spannungsfelder zwischen Individuum, Gemeinschaft und Öffentlichkeit - aber auch die Verhältnisse zwischen Bürger, Gemeinde und Staat, die sich in der Funktion und Gestalt der Altstädte darbieten. Veränderte politische und ökonomische Instrumente der Stadtentwicklungspolitik vermögen es, die Stadterneuerung wieder von ihrem sozialökonomischen Inhalt her zu bestimmen. Erst dann wird es möglich sein, daß Architekten und Stadtplaner nicht ständig Heldentaten im halbillegalen Kampf gegen die offiziellen Planungsinstrumente vollbringen müssen, um bei der Altstadtbewahrung wenigstens mit Teilerfolgen voranzukommen. Stehen die sozialökonomischen Hintergründe der Stadterneuerung nicht im Zentrum der Diskussion, so besteht die Gefahr, daß Urbanität zur Floskel verkommt und zur Gestaltung einer ästhetisch und sozial bereinigten, geschönten Erlebnissphäre inmitten der Stadt für Bessergestellte führt. 11 Aber das Wiederaufleben der Stadtbaukunst als räumliche Illusion einer harmonischen Gesellschaft, die soziale Probleme verdeckt, kann wohl kaum das Ziel sozialorientierter Städtebaupolitik sein! Auf welch gefährlichem Wege in dieser Hinsicht das stalinistisch geprägte StädtebauDenken war, zeigt das Beispiel des geschönten Nikolai-Viertels, das Alt-Berlin vorgaukelt, während zur gleichen Zeit Altstadtgebiete mit bewahrenswertem, noch erlebbarem „Milljöh" zur Abriß-Disposition stehen. » Vgl. Durth, W , Die Inszenierung der Alltagswelt. Zur Kritik der Stadtgestaltung, Braunschweig/Wiesbaden 1988.
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Insofern befördert das Neuverständnis von Stadtökonomie und Stadtkultur im Sinn von Ökonomisierung und Demokratisierung der Stadtentwicklung als Einheit, als zwei Seiten einer Medaille! — das Wiederaufleben der Stadtöffentlichkeit und wird zur Chance kulturvoller und kostengünstiger Stadterneuerung. Durch Planen und Bauen nicht nur für, sondern mit den Bewohnern sind kurzfristige, für alle sichtbare Fortschritte bei der Innenstadterneuerung erzielbar. Initiativgruppen „vor Ort" können nicht genug ermutigt werden, in Zusammenarbeit mit den Stadtplanern vielfältige Formen der privaten und genossenschaftlichen Selbsthilfe in Kooperation mit der Bauwirtschaft zu erproben.
Resümee Zusammenfassend stehen die Sterne für eine demokratische Erneuerung der Stadtkultur in der ehemaligen D D R nicht schlecht. Falls sich der notwendige Bruch mit der zentralistischen Städtebaukonzeption nicht in der einfachen Negation 40jähriger Stadtentwicklung gefällt, sondern beim unerläßlichen Über-BordWerfen veralteter Denkweisen und untauglicher Instrumente gleichzeitig an bewahrenswerten Seiten städtischer Lebensweise und Kultur festhält, bietet die jetzige Situation soziale Anknüpfungspunkte für die Gestaltung der Stadt von morgen. Dazu zählen: — Gleiche Chancen zur sozial-räumlichen Aneignung der Stadtumwelt für alle Stadtbewohner. Soziale Sicherheit im Wohnen und preiswerte städtische Kultur- und Dienstleistungsangebote haben in den Städten der neuen Bundesländer soziale Segregation bzw. räumliche Ausgrenzung sozial Schwächerer bislang verhindert und eine weitgehend vom Geldbeutel unabhängige Nutzung des Stadtraumes ermöglicht. — Relativ dichtes Netz sozialer Fürsorge und Betreuung innerhalb der Städte. Damit wird die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft städtebaulich unterstützt. — Kulturelle Attraktivität von Regionen und Städten. Stadtgeschichte und -kultur sowie landschaftliche Reize verbinden sich in größeren Bereichen zu teilweise noch gut erhaltenen Kulturlandschaften. „Sanfter Tourismus" kann sich — noch gefördert durch die mitteleuropäische Lagegunst — als wichtiger Wirtschaftsfaktor entfalten. — Großes Interesse der Bürger an der Innenstadterneuerung und der Selbstgestaltung ihrer Wohnumwelt. Derzeit liegt ein Baupotential brach, das nicht stark genug gefördert werden kann. Vieles wird für die Zukunft der Städte davon abhängen, inwieweit im Zuge einer allgemeinen marktwirtschaftlichen Orientierung der gesellschaftlichen Entwicklung öffentliche Interessen über Instrumente kommunaler Steuerung der sozialräumlichen Entwicklung noch durchsetzbar sind.
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Bruno Flierl Stadtgestaltung in der ehemaligen DDR als Staatspolitik
Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der ehemaligen DDR waren bereits längere Zeit in eine Krise geraten, bevor sie durch die revolutionären Ereignisse im Oktober 1989 überhaupt in Frage gestellt wurden. In ihren tieferliegenden ökonomischen und politischen Ursachen damals nicht immer schon erkennbar, war diese Krise jedoch für viele in ihren Wirkungen empirisch durchaus erlebbar: Zum einen schien der Verfall der Stadtumwelt schneller voranzuschreiten als ihre Erhaltung und Erneuerung durch Neubau und Modernisierung — und dies trotz großer baulicher Anstrengungen. Zum anderen schien sich das Defizit an Wohnungen nicht in dem Tempo zu verringern wie vom Staat geplant und den Wohnungssuchenden versprochen — trotz eines beeindruckenden Wohnungsbauprogramms. Schließlich schien die Stadt infolge ihrer veralteten und unzureichenden technischen Infrastruktur und ihres völlig fehlenden ökologischen Schutzes an Funktionstüchtigkeit und Lebensqualität mehr und mehr zu verlieren, anstatt zu gewinnen. In der Krise der Stadt offenbarte sich die Krise der Gesellschaft. Viele von denen, die seit dem Sommer 1989 die D D R verließen, kehrten ihr den Rücken nicht zuletzt wegen des Zustandes der Städte, weil sie die Hoffnung verloren hatten, daß sich daran so bald etwas verändern würde. Andere, die im Lande blieben, begannen sich zu wehren, formierten sich zu Bürgerinitiativen und machten Vorschläge zur Erhaltung und Modernisierung ihrer Wohnumwelt, die nach den Plänen in manchen Städten vom Abriß und vom industriellen Ersatzneubau bedroht waren: in Berlin, in Schwerin, in Potsdam und anderswo. Die Regierung aber feierte Feste: eitle Inszenierungen der eigenen Selbstherrlichkeit. Schon das Jubiläum zur 750jährigen Stadtgründung von Berlin im Jahre 1987, mehr noch das Pfingsttreffen der FDJ 1989 in Berlin hatten breiten Unwillen in der Bevölkerung ausgelöst. Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des DDR am 7. Oktober 1989 brachten dann das Faß zum Überlaufen: das Volk ging auf die Straße und zwang die Herrschenden zum Rücktritt. Seitdem gibt es noch keine neue Politik für Stadtentwicklung und Stadtgestaltung. Sie wird es vermutlich so schnell auch nicht geben können, solange jedenfalls nicht, bis die neuen ökonomischen und politischen Grundlagen im Bereich der ehemaligen DDR noch nicht konsolodiert sind. Was heute gebraucht wird, sind Analysen der Vergangenheit und Denkanstöße für die Zukunft. Dieser Absicht dienen die hier vorgestellten Überlegun49
gen zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen, zu den städtebaulich-architektonischen Ergebnissen und zur historischen Aufhebung der Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der 40jährigen Geschichte der ehemaligen DDR.
1. Gesellschaftliche Voraussetzungen - Fündament Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der DDR beruhten auf sozial-ökonomischen Grundlagen, gesellschaftspolitischen Zielsetzungen und politisch-institutionellen Strukturen einer Gesellschaft, die den Weg zum Aufbau einer von kapitalistischem Profitinteresse befreiten und auf das Gemeinwohl des Volkes orientierten sozialistischen Gesellschaftsordnung eingeschlagen hatte. Diese wurde wegen ihres an die Stelle früheren Privateigentums an den Produktionsmitteln formell gesetzten gesellschaftlichen Gemeineigentums und ihrer damit im Zusammenhang ansatzweise reell entstandenen kollektiven Arbeits- und Lebensformen sowie Denk- und Verhaltensweisen schon für „sozialistisch" gehalten. Tatsächlich jedoch entwickelte sie sich dominant „staatssozialistisch", weil die Herausbildung einer von Entfremdung überhaupt befreienden Vergesellschaftung durch eine mit neuer Entfremdung behaftete Verstaatlichung der Individuen und aller ihrer gesellschaftlichen Beziehungen überformt und deformiert wurde. Die entscheidenden sozial-ökonomischen Grundlagen von Stadtentwicklung und Stadtgestaltung fixierte das von der Regierung der DDR bereits im Juli 1950 beschlossene „Aufbaugesetz" 1 : einmal die Inanspruchnahme und Verfügbarkeit von bebauten und unbebauten Grundstücken durch den Staat für ein Bauen im Interesse des Volkes, zum anderen die Einbindung des Bauens generell, also auch des Städtebaus, in die Planwirtschaft mit dem Ziel, auf diese Weise die materiellen Voraussetzungen für die Realisierung gesellschaftlicher Bauprogramme „planmäßig" sichern zu können. Zugleich legte das „Aufbaugesetz" die dringlichsten Maßnahmen für den Aufbau der kriegszerstörten Städte in den kommenden Jahren sowie die dabei zu beachtenden Planungs- und Bestätigungsverfahren fest. Dieses Konzept eines zentralistisch geleiteten und planwirtschaftlich eingebundenen Städtebaus ist - bei allen späteren Präzisierungen, Ergänzungen und Konkretisierungen — im Prinzip 40 Jahre lang bestimmend geblieben. Es wurde von der materiell-technischen Seite her durch die Schaffung einer leistungsstarken Bauindustrie mit volkseigenen Betrieben der Bauproduktion fundiert — vor allem nachdem auf der 1. Baukonferenz der DDR 1955 der breite Übergang vom traditionellen zum industriellen Bauen beschlossen worden war. Zur entscheidenden gesellschaftspolitischen Zielsetzung von Stadtentwicklung und Stadtgestaltung wurden die zusammen mit dem „Aufbaugesetz" 1950 erlas1
Vgl. GBl. 1950, S. 965ff., vgl. auch: Schöne Städte für ein schönes Leben, Ministerium für Aufbau, Berlin 1950.
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senen „Grundsätze des Städtebaus" — ihrer Anzahl wegen auch „16 Grundsätze des Städtebaus" genannt. 2 In ihnen wird die Stadt als die „wirtschaftlichste und kulturreichste Siedlungsform für das Gemeinschaftsleben der Menschen" und zugleich in Struktur und architektonischer Gestaltung als „Ausdruck des politischen Lebens und des nationalen Bewußtseins des Volkes" bezeichnet. Als Ziel des Städtebaus gilt „die harmonische Befriedigung des menschlichen Anspruchs auf Arbeit, Wohnung, Kultur und Erholung". Dem Verkehr wird eine „dienende" Funktion zugewiesen.3 Diese Grundsätze verstanden sich als eine Art Gegenmodell zu den 1933 verfaßten und als Charta von Athen bekanntgewordenen städtebaulichen Grundsätzen der CIAM. Zugleich fußten sie auf den Erfahrungen des sowjetischen Städtebaus, die während einer eigens zu diesem Zweck unternommenen Studienreise gesammelt worden waren. Die neuen Grundsätze unterschieden sich von den alten der Charta von Athen nicht nur in den meisten Punkten sachlich, so vor allem wenn darauf Gewicht gelegt wird, nicht einer funktionalen und räumlichen Separierung, sondern einer ganzheitlichen Gestaltung der Stadt mit bewußter Betonung einer gesellschaftlich zentralen und baulich dominanten Mitte das Wort zu reden und folgerichtig statt einer Auflösung der Stadt „das Prinzip des Organischen und die Berücksichtigung der historisch entstandenen Struktur der Stadt bei Beseitigung ihrer Mängel" zu fordern. 4 Die neuen Grundsätze unterschieden sich von den alten auch strategisch, nämlich dadurch, daß sie nicht als Appell von Architekten und Stadtplanern an die Regierung, sondern umgekehrt als Auftrag der Regierung an die Architekten und Stadtplaner fungieren sollten und viele Jahre auch tatsächlich so fungierten. Die „Grundsätze des Städtebaus" gelangten besonders in den 50er Jahren voll zur Wirkung: bei der Gründung der neuen Städte Eisenhüttenstadt (damals noch mit dem Namen Stalinstadt) und Hoyerswerda sowie bei den ersten großen innerstädtischen Baumaßnahmen in Berlin als der Hauptstadt der DDR und in den zu Aufbaustädten erklärten und dadurch bevorzugten Städten Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Magdeburg und Rostock. Später allerdings bedurften sie mancher ergänzender Dokumente — je nachdem, welche Schwerpunktaufgaben dem Städtebau gestellt wurden. Das bezeugen allein schon die Titel dieser Dokumente: „Grundsätze der Planung und Gestaltung sozialistischer Stadtzentren" (1960), „Grundsätze der Planung und Umgestaltung der Städte in der D D R in der Periode des umfassenden Aufbaus des Sozialismus" (1965), „Städtebau und Architektur bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR" (1968) und „Entwicklung des sozialistischen Städtebaus und der sozialistischen Architektur in der Deutschen Demokratischen
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Vgl. Schöne Städte ..., a.a.O. Siehe auch Lothar Bolz, Sechzehn Grundsätze des Städtebaus, in: Vom Deutschen Bauen. Reden und Aufsätze, Berlin 1951, S. 32—52. Vgl. ebenda, Grundsätze 1, 2 und 8. Vgl. ebenda, Grundsatz 5.
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Republik" (1971).5 Alle diese Dokumente waren Ergebnisse der Forschungsarbeit der Bauakademie der DDR, erhielten jedoch durch das Ministerium für Bauwesen, in dessen Auftrag sie entstanden waren, quasi den Charakter von gesellschaftspolitischen Direktiven, die es in der städtebaulichen Planung zu berücksichtigen galt. Dahinter stand die führende Partei, die SED, die alle diese Dokumente als programmatische Äußerungen zur Stadtentwicklung und Stadtgestaltung stets initiiert und abgesegnet hatte und deren Beachtung auch zu kontrollieren wußte. Im Unterschied zu den zurückliegenden zwei Jahrzehnten gab es in den 70er Jahren von offizieller Seite keine neuen städtebaulichen Dokumente. Das lag daran, daß das 1973 beschlossene Wohnungsbauprogramm zur Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 nicht nur zum Kernstück der Sozialpolitik erklärt, sondern auch zur Hauptaufgabe gemacht worden war, vor allem aber daran, daß die daraus abgeleitete technisch-ökonomische und politisch-ideologische Ausrichtung des Bauwesens hauptsächlich auf Wohnungsbau mit einer eklatanten Vernachlässigung und Geringschätzung ganzheitlicher städtebaulicher Planung einherging. Wohnungsbau statt Städtebau, so lautete die Losung — allerdings nur inoffiziell. Das konnte nicht gut gehen. Schon Ende der 70er Jahre wurde erkannt, daß der eingeschlagene Weg, den schnellstmöglichen Zuwachs an Wohnungen primär durch Wohnungsneubau am Rande der Stadt und nur sekundär durch Erhaltung und Modernisierung vorhandener Wohnbausubstanz sowie durch Neubau in der Innenstadt, also vorwiegend extensiv statt intensiv zu sichern, zu ernsthaften Disproportionen hinsichtlich der Entwicklung und Gestaltung der Stadt als Ganzes bereits geführt hat und auch weiterhin führen würde. Dies konnte nicht ignoriert werden, zumal seitdem sich die Erkenntnis durchzusetzen begann, daß - wie auf dem X. Parteitag der SED 1981 ausdrücklich betont wurde — auch in der DDR der notwendige Übergang von der extensiven zur intensiven gesamtgesellschaftlichen Reproduktion historisch herangereift war.6 Deshalb war es dringend an der Zeit, die urbanistische Dimension des Wohnungsbauprogramms und, wichtiger noch, die Prognose des Städtebaus in den 80er Jahren grundlegend neu zu bedenken. Zu diesem Thema meldete sich dann 1982 die oberste politisch-institutionelle Ebene — das Politbüro des ZK der SED und der Ministerrat - selbst zu Wort und verkündete 5
Vgl. Grundsätze der Planung und Gestaltung sozialistischer Stadtzentren, Hrsg.: Deutsche Bauakademie, in: Deutsche Architektur, Berlin 9 (i960) 8, Sonderbeilage; Grundsätze der Planung und Umgestaltung der Städte in der D D R in der Periode des umfassenden Aufbaus des Sozialismus, Hrsg.: Deutsche Bauakademie, in: Deutsche Architektur, Berlin 14 (1965) 1, S. 7ff.; Städtebau und Architektur bei der Gestaltung des entwickelten Systems des Sozialismus in der D D R . Thesen. Arbeitsmaterial, Hrsg.: Deutsche Bauakademie, Berlin 1968; Entwicklung des sozialistischen Städtebaus und der sozialistischen Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik. Arbeitsmaterial, Hrsg.: Deutsche Bauakademie zu Berlin, Bund der Architektur der D D R , Berlin 1971.
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Vgl. Direktive des X. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R in den Jahren 1981-1985, Berlin 1981, S. 10.
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„Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik". 7 Diese neuen Grundsätze sollten die seit 1950 formell noch immer gültigen, reell jedoch längst vergessenen „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus" ablösen und auf den Stand der aktuellen Aufgaben in der Einheit von Wohnungsbau und Städtebau bringen. Was dabei jedoch herauskam, war völlig unter dem Niveau, das die Lage erfordert hätte: Zwar war da die Rede von der Notwendigkeit der Entwicklung und Gestaltung der Stadt als Ganzes, ebenso davon, die Ziele des Wohnungsbauprogramms künftig verstärkt auch durch innerstädtisches Bauen zu erreichen, aber alle realen Entwicklungswidersprüche — zwischen Leben und Bauen, Wohnungsbau und Städtebau usw. — wie auch die möglichen Varianten zu ihrer Lösung wurden durch Wunschvorstellungen wegretuschiert. Im krassen Unterschied zu den Grundsätzen von 1950, die das Dokument eines selbstbewußten Aufbruchs auf dem Weg zu einer neuen Gesellschaft darstellten, waren die Grundsätze von 1982 der Ausdruck einer schwach und krank gewordenen, stagnierenden und im Grunde konzeptionslosen Gesellschaft. Wie hatten sich die Zeiten gewandelt! In den 50er und 60er Jahren, als unter der autoritären Führung von Walter Ulbricht an der Spitze von Partei und Staat die ökonomischen und staatlichen Grundlagen des DDR-Sozialismus geschaffen und der „umfassende Aufbruch der sozialistischen Gesellschaft" begonnen wurde, da ging es nicht zuletzt auch um den Bau der „sozialistischen Stadt", da gab es Programme und Grundsätze zur sozialistisch orientierten Gestaltung und Umgestaltung der Stadt, und es gab den kraftvollen praktischen Versuch dazu — Ausdruck einer wachsenden Wirtschaftskraft, aber auch einer starken Utopie von einer neuen Gesellschaft und von einem neuen Menschen. Seit den frühen 70er Jahren, seitdem Erich Honekker auf dem VIII. Parteitag der SED Walter Ulbricht abgelöst hatte, herrschte ein zwar ideologisch verbrämter, aber geistloser Pragmatismus. In der proklamierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sollte sich der Sozialismus vor allem im Alltag des Lebens erweisen. Das klang gut! Aber abgesehen davon, daß nicht einmal die Bedürfnisse des alltäglichen Lebens auf die Dauer zu befriedigen waren, so verschwand im vergeblichen Ringen um ein bißchen mehr Wohlstand im Überlebenskampf der D D R mit den reichen kapitalistischen Wohlstandsländern die Vision vom Sozialismus, von der sozialistischen Gesellschaft ebenso wie von der sozialistischen Stadt als einer lebenswerten Alternative zur Gesellschaft und zur Stadt des Kapitals. Zum Schluß, als sich dann gegen Ende der 80er Jahre immer mehr herausstellte, daß die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht in der gedachten harmonischen Übereinstimmung zu entwickeln war, sondern an ihren wachsenden Widersprüchen zerbrechen mußte, ja überhaupt die ökonomischen und politischen Schwierigkeiten, in die die D D R im Inneren wie 7
Vgl. Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik. Beschluß des Politbüros des ZK der SED und des Ministerrates der DDR, in: Neues Deutschland, Berlin 29./30. Mai 1982, S. 9f.
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im Äußeren ihrer Beziehungen geraten war, wohl nicht mehr zu lösen sein würden, falls nicht radikale Veränderungen einträten, da stand auch die Stadtplanung vor nicht beantwortbaren Fragen. Das Resultat davon war, daß zum 40. Jahrestag der D D R — mit seinen offiziellen Erfolgsmeldungen und den gegen sie gerichteten Protesten des Volkes - in keiner Stadt der D D R bestätigte Pläne für den Städtebau im Jahre 1990, geschweige denn für die 90er Jahre vorlagen. Eine wesentliche Ursache dieses Mangels an Konzeptionen für die Gesellschaft und die Stadt der DDR für die Zeit nach 1990 war das in den 80er Jahren immer stärker zur Geltung gelangte endzeitliche Denken vor allem der älteren Generation, die vier Jahrzehnte lang den Aufbau des Sozialismus aktiv geführt hatte, das waren die mit diesem Denken verbundene Unfähigkeit und Unwilligkeit, die historische Aufhebung des erreichten Entwicklungszustandes über sich und die eigene Lebenszeit hinaus zu erwägen und zu betreiben, und das waren schließlich, daraus resultierend, Selbstzufriedenheit, Selbstgerechtigkeit und Stagnation. Für Honecker, der seine Inthronisierung auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 als seine Stunde Null interpretieren ließ, war 1990 das große Jahr der Erfüllung des Wohnungsbauprogramms und damit der Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem — in einer D D R mit hoher Wirtschaftskraft und sozialer Sicherheit, mit einem zufriedenen Volk in innerem und äußerem Frieden, mit Ansehen bei anderen Völkern. Er sah darin vor allem auch seine persönliche Erfüllung, eine Art „Endlösung" seines Lebenswerkes. Es wurde tätsächlich sein Ende, und es wurde — trotz mancher gegensätzlicher Konzeptionen gerade aus den Reihen der jüngeren Generation für die Entwicklung und Gestaltung der Gesellschaft und der Stadt - das Ende der DDR. Am Aufschwung wie am Niedergang des Gesellschaftssystems und auch der Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der D D R hat nicht zuletzt das etablierte politisch-institutionelle System seinen Anteil. Dieses System beruhte von Anfang an auf der Fiktion von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, die als Vorhut der Klasse die Führung praktisch auszuüben habe, tatsächlich jedoch beruhte es, da die Klasse ihre Partei nicht kontrollierte, auf der Macht der Partei, der SED, die den Staat in allen seinen Organen durchdrang und als Vollstrecker ihrer Beschlüsse benutzte und gleichzeitig dafür sorgte, daß die Exekutive des Staates nicht von der Legislative, also den gewählten Volksvertretern, schon gar nicht von einer kritischen Öffentlichkeit demokratisch kontrolliert werden konnte. Dieses mit „Diktatur des Proletariats" und als „Demokratischer Zentralismus" oft genug verklärte System war tatsächlich Diktatur einer Staatspartei ohne entwickelte Entscheidungsbeteiligung des Proletariats, also Diktatur des Parteiapparats, mit viel Zentralismus ohne Demokratismus. Es war das System des Stalinismus, ein System, das Demokratie ausschaltet, parlamentarische wie erst recht außerparlamentarische, ein System, durch das die herrschende Partei nicht etwa nur politisch führte, sondern direkt administrativ eingreifend alle gesellschaftlichen Prozesse im Lande leitete. 55
Dieses System war speziell im Bauwesen „perfekt" durchorganisiert. Die Partei „führte", d.h., sie leitete vom Politbüro aus über das dort angeschlossene Sekretariat des ZK für Wirtschaft sowie über die diesem unterstellte Abteilung Bauwesen des ZK das gesamte Bauwesen der DDR in allen Ebenen der Parteiund Staatshierarchie von oben nach unten. Nichts geschah ohne die Partei — weder auf der Ebene der Republik noch auf der Ebene der Bezirke, Städte und Gemeinden. Fast drei Jahrzehnte — vom Beginn des „umfassenden Aufbaus des Sozialismus" in den frühen 60er Jahren bis zum Ende der Staatspartei 1989 — war diese Hierarchie sogar durch einunddieselben Personen kontinuierlich abgesichert: durch Günter Mittag als Mitglied des Politbüros und Sekretär für Wirtschaft, durch Gerd Trölitzsch als Leiter der Abteilung Bauwesen des ZK und durch Wolfgang Junker als Mitglied des ZK und Minister für Bauwesen. Ihnen unterstanden nicht nur die Produktionsbetriebe des Bauwesens, sondern auch alle Einrichtungen der Stadtplanung (seit 1958) und der Projektierung (seit 1963) sowie der Bauforschung. Nicht zuletzt achteten sie darauf, was über das Bauen, über Städtebau und Architektur durch die Medien bekannt oder besser nicht bekannt werden sollte. Sie „betreuten" auch den Bund der Architekten der DDR. Eine perfekte Politbürokratie! Zu Beginn der Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der DDR hatte dieses zentralistisch gesteuerte System der Leitung und Planung — getragen von einem auf sozialistische Ideale orientierten Bewußtsein der Nachkriegsgeneration — durchaus Erfolge aufzuweisen. Ihm war es zu danken, daß angesichts der Unentwickeltheit der Produktivkräfte in den ersten Jahren und Jahrzehnten nach dem Krieg ein materieller und ideeller Kraftzuwachs entstand und auf den dynamischen „Aufbau der sozialistischen Gesellschaft", auch der „sozialistischen Stadt", konzentriert werden konnte. Aber später, angesichts entwickelter Produktivkräfte und gewachsener Ansprüche des Volkes auf Mündigkeit und Mitbestimmung in allen öffentlichen Angelegenheiten - vor allem auch der Stadt, ihrer Entwicklung und Gestaltung — entpuppte sich dieses System, je stärker der Unmut dagegen anstieg, als um so regressiver und repressiver und führte schließlich solange zu Verlusten an Kraft und Vertrauen, bis das Volk sich das nicht mehr gefallen ließ und gegen Bevormundung und Perspektivlosigkeit auf die Straße ging. Letzten Endes ist der in der DDR real existierende Sozialismus historisch nicht nur daran gescheitert, daß er ökonomisch dem Druck des internationalen Konkurrenzkampfes — einschließlich dem Druck des Rüstungswettlaufs — mit den führenden kapitalistischen Ländern auf die Dauer nicht gewachsen war, sondern vor allem auch daran, daß er sich politisch als unfähig zur Erneuerung aus sich selbst erwiesen hat.
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2. Städtebaulich-architektonische Ergebnisse — Bilanz Das Ergebnis von 40 Jahren Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der D D R war ebenso widersprüchlich wie diese selbst, wie die gesellschaftlichen Voraussetzungen, aus denen es erwuchs, ja, wie die Geschichte des realen Sozialismus in diesem Lande überhaupt. Zweifelsohne besaß die Stadt in der ehemaligen DDR Eigenheiten, die sie als real-sozialistische Stadt von Städten in kapitalistischen Ländern, nicht zuletzt in der BRD, aber auch als deutsche Stadt von Städten in anderen Ländern unterscheidet und die eben deshalb zu ihrer Identität gehörten. Denn die Stadt war hier die baulich-räumliche Vergegenständlichung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und gesellschaftlicher Wertvorstellungen unter den Bedingungen des „realen Sozialismus" — seines Entstehens und seines Wachsens, seines Stagnierens und seines Verfalls — in einem Teil deutscher Kulturlandschaft und für den Zeitabschnitt von 40 Jahren deutscher Geschichte. Die Stadt in der ehemaligen DDR ist die sozial-räumliche Organisation des Zusammenlebens der Menschen unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus, nämlich des von der Idee zur Realität gewordenen Sozialismus als etablierte Gesellschaft und damit also behaftet mit dem Widerspruch zwischen Idee und Realität sozialistischer Gesellschaftsentwicklung und natürlich auch sozialistischer Stadtentwicklung und Stadtgestaltung. Wer diesen Widerspruch nicht erkennt, der lobt entweder den 40 Jahre lang real existierenden Sozialismus oder verdammt ihn gleichermaßen pauschal und macht sich dadurch jeweils nur unter umgekehrtem Vorzeichen unfähig, mit dem historisch Entstandenen entwicklungsorientiert umzugehen. Anstatt also den früher einseitig positiv gebrauchten Begriff „real existierender Sozialismus" nunmehr einseitig negativ zu besetzen, wäre es wichtig, die durch ihn bezeichnete Wirklichkeit daraufhin zu befragen, was an ihr als Resultat der Geschichte für die Zukunft brauchbar und daher bewahrenswert ist und folglich im Sinne kultureller Kontinuität und Identität „aufgehoben" werden sollte — und was nicht. Zu diesem Zweck soll in Hinsicht auf Stadtentwicklung und Stadtgestaltung das in 40 Jahren Entstandene nach einigen seiner Merkmale charakterisiert werden: Die wichtigsten konstitutiven Prinzipien der Stadtentwicklung und Stadtgestaltung waren: Ganzheitlichkeit, Zentralität und Dominanz. 8 Ganzheitlichkeit. Die Stadt sollte als Ganzes ihrer untergeordneten Teile und selbst als Teil des übergeordneten Ganzen eines Siedlungsraumes entwickelt und gestaltet werden: als relativ stabiles und in der Größe planmäßig begrenzbares 8
Die folgenden Analysen stützen sich auf frühere Untersuchungen des Autors und führen sie weiter: Zur sozialistischen Architekturentwicklung in der D D R . Theoretische Probleme und Analysen der Praxis, Diss. B, Humboldt-Universität zu Berlin 1978, abgedruckt durch Bauakademie der D D R , Institut für Städtebau und Architektur, Berlin 1979; Architektur und Kunst. Texte 1964-1983, Fundus-Bücher 91/92, Dresden 1984.
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sozial-räumliches System urbaner Qualität in der Einheit von Funktion, Struktur und Gestalt. Tatsächlich ist dies immer nur partiell — in Teilbereichen und unter verschiedenen Aspekten — gelungen, beim Umbau vorhandener Städte ebenso wie beim Aufbau neugegründeter Städte. Dafür gibt es Gründe: erstens resultierten aus dem gesellschaftlichen Lebensprozeß neue Anforderungen an das Bauen in der Stadt zumeist schneller und differenzierter, als in den städtebaulichen Prognosen und Plänen vorgesehen und vor allem auch als auf der Basis bestätigter Baumaßnahmen in der Praxis umsetzbar waren. Zweitens war die ökonomische Kraft stets zu gering, um gleichzeitig für allzu verschiedene Zwecke an allzu verschiedenen Standorten in der ganzen Stadt bauen zu können. Drittens hatte die zentral geleitete Planwirtschaft und die an sie gebundene städtebauliche Planung neben ihrem unbestreitbaren Vorzug der planmäßigen Realisierung beschlossener Bauaufgaben den großen Nachteil der Unfähigkeit, sich flexibel und dynamisch auf neue Anforderungen der Praxis einstellen zu können. So blieb das Bauen in der Stadt hinter dem Leben weit zurück, und das Konzept vom Ganzen der Stadt verlor sich immer wieder bei der von Kampagne zu Kampagne dirigierten Erfüllung von Schwerpunktaufgaben — auch wenn es nie ganz preisgegeben wurde. Ganzheitlichkeit zu denken und zu realisieren war jedoch in viel höherem Maße möglich, wenn es sich um klar definierte und baulich abgesicherte Teilbereiche der Stadt handelte. Der hierfür gültige Begriff lautete viele Jahre hindurch: Ensemble. Im städtebaulichen Ensemble — im Ensemble — im Ensemble-Sein des Gebauten eines städtischen Bereiches sollte das Ensemble der Menschen, ihr Ensemble-Sein im Leben dieses Bereiches — auf optimale Weise sowohl praktisch ermöglicht als vor allem auch ästhetisch erlebbar gemacht werden. Auch wenn die im „architektonischen Bild" des städtebaulichen Ensembles „dargestellte" Kollektivität der Menschen jener im realen Leben tatsächlich erreichten verheißungsvoll vorauseilte, so war sie in den meisten Fällen doch akzeptiert als ermutigendes Zeichen für den Willen zum Ensemble-Sein der Menschen in der Gesellschaft. Denn die in den aufstrebenden 60er Jahren ausgegebene Losung „Vom ICH zum WIR" fand bei der Bevölkerung seinerzeit breite Zustimmung. Wer allerdings mehr vom städtebaulichen Ensemble erwartete, etwa daß es sich als kollektive Umweltform direkt positiv auf die kollektive Lebensform der Menschen auswirkte, daß es also möglich sein müsse, auf die Herausbildung der in jenen Jahren angestrebten „sozialistischen Menschengemeinschaft" baulich direkt einwirken zu können, der sah sich enttäuscht, als nichts dergleichen geschah, bis er zu begreifen begann, daß über den Gebrauchswert von Lebensbedingungen, also auch von gebauter Umwelt, immer nur auf der Basis der aus der Lebenstätigkeit gesellschaftlicher Individuen resultierenden Wertorientierungen entschieden wird. Zum Konzept „Ganzheitlichkeit" und „Ensemble" gehörte tief verwurzelt das Bestreben nach einer Synthese von Städtebau und Architektur: Architektur sollte in der Dimension der Stadt, die Stadt sollte in der Qualität der Architektur 58
gestaltet werden. In diesem Bezugsfeld sollte auch die bildende Kunst zur Wirkung kommen. Das alles hatte in der Geschichte von Städtebau, Architektur und bildender Kunst bereits eine lange Tradition, von der Antike bis zur Moderne. Es gab da gute und schlechte Erfahrungen. Worauf es nun ankam war, eine für die angestrebte sozialistische Gesellschaft gemäße Lösung zu finden. Das ist auf eine DDR-spezifische Weise geschehen und hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, die kulturelle Identität der Bürger mit ihrer Stadt zu stimulieren. Weniger Erfolg hatte das Bestreben nach komplexer Umweltgestaltung der Stadt. Unter komplexer Stadtgestaltung wurde auf die Ganzheitlichkeit gerichtete arbeitsteilige und kooperative, also vergesellschaftete Gestaltung der gegenständlich-räumlichen Stadtumwelt — in der qualitativen Differenziertheit und Einheit ihrer einzelnen Elemente — im Interesse des Stadtlebens der Menschen verstanden. Die für komplexe Gestaltung der Stadtumwelt notwendige Gesellschaftlichkeit und Individualität vermochten sich jedoch gegen die vor allem in den 80er Jahren landesüblich gewordene Leitungspraxis, Verstaatlichung statt Vergesellschaftung und Nivellierung statt Individualisierung zu betreiben, nicht durchzusetzen. Zentralität. Die Stadt sollte als ganzheitliches sozial-räumliches System von ihren gesellschaftlichen Zentren her und auf sie hin funktionell, strukturell und gestalterisch erschlossen werden. Zentren wurden als zentrale Orte gesellschaftlicher Lebenstätigkeit der Menschen in der Stadt aufgefaßt. In der Hierarchie der gesellschaftlichen Zentren hatte das Stadtzentrum als Zentrum der Stadt insgesamt, als „Stadtmitte", gegenüber den anderen gesellschaftlichen Zentren, den Stadtbezirkszentren, Wohngebietszentren usw. den absoluten Vorrang. Seit Beginn der Stadtentwicklung in der ehemaligen DDR wurde das Stadtzentrum hinsichtlich seiner Funktion im System der Stadt als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Menschen und hinsichtlich seiner städtebaulich-architektonischen Struktur und Gestalt als Höhepunkt in der Komposition der gesamten Stadt angesehen — in der Annahme, daß der sozialistische Charakter der Stadt für die Bürger in starkem Maße gerade durch die neue Funktion, Struktur und Gestalt des Stadtzentrums erlebbar wird. Davon ausgehend ist versucht worden, das Stadtzentrum der „sozialistischen Stadt" im bewußten Gegensatz zur City der „kapitalistischen Stadt" zu entwikkeln: als Ort nicht vordergründig kommerzieller Zentralität des Kaufens und Verkaufens, des Handels und der Geschäfte, auch nicht in erster Linie als Ort autoritärer Zentralität staatlicher Leitung und Repräsentation, wiewohl das anfangs konzeptionell eine Rolle spielte, sondern primär als Ort kommunikativer Zentralität und dementsprechend als Ort einer auf gesellschaftliche Gemeinsamkeit orientierten räumlichen Ordnung und Gestaltung der gebauten Umwelt. Charakteristisch sollte sein, daß im Mittelpunkt der Zentren — städtebaulicharchitektonisch betont — Gebäude und Anlagen der Bildung, Kultur und Erholung, der Tagungen, Kongresse und Begegnungen, also zentrale Einrichtungen gesellschaftlicher Kommunikation angeordnet sind, größtenteils in enger Verbin59
dung mit anderen zentrumsbildenden Einrichtungen und Bereichen — also mit der Tendenz zu einer integrativen Zentralität. Die bekanntesten Beispiele für diese Versuche finden sich in den Stadtzentren von Berlin, Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz), Gera, Cottbus und Suhl. Ebenso charakteristisch ist, daß in den Stadtzentren gewohnt wird. Diese angestrebte Mischung der Funktionen, von der Impulse für Urbanität erwartet wurden, war nur möglich, weil die etablierten Eigentumsverhältnisse niedrige Bodenpreise und Mieten garantierten, Konkurrenzkampf und Bodenspekulation nicht zuließen und die sozialräumliche Segregation städtischer Funktionen und Bevölkerungsgruppen ausschlössen. Trotzdem ist festzustellen, daß die Stadtzentren in der ehemaligen D D R generell eine viel zu geringe Urbanität aufzuweisen hatten. Das liegt nicht nur daran, daß ihre kommerziellen Funktionen unterschätzt und kein ausreichendes und genügend differenziertes Angebot des Handels und der Gastronomie entwickelt wurde, sondern auch daran, daß ihre kommunikativen Funktionen, nämlich ihre Kultur- und Freizeitfunktion, nicht attraktiv genug ausgebildet war — ganz abgesehen vom Fehlen eines leistungsstarken öffentlichen Personennahverkehrs. Besonders an den Abenden und an Wochenenden boten die Zentren so gut wie fast aller Städte der DDR eine oft beängstigende Langeweile. Wer als DDR-Bürger Stadt konzentriert erleben wollte, der fuhr nach Leipzig zur Messezeit oder - falls er in westliche Städte nicht kam - gleich weiter nach Prag und nach Budapest. Der Wohnungsbau in den Stadtzentren, um den city-erfahrene Besucher aus dem Westen die DDR stets beneideten, hat allerdings auch nicht dazu beigetragen, die Mitte der Stadt mit neuem Leben zu erfüllen. Denn es sind nicht in erster Linie die Bewohner des Zentrums, die es lebendig machen, die es bevölkern. Gegenüber den Stadtzentren sind in fast allen Städten der ehemaligen D D R die Stadtbezirkszentren und erst recht die Wohngebietszentren in der Entwicklung wie in der Gestaltung derart zurückgeblieben, daß es den Bürgern stets schwerfiel, sich dort als an einem zentralen Ort gesellschaftlicher Kommunikation der Stadt befindlich zu erleben. So ist manche Vorstellung von kommunikativer Zentralität im Leben der Städte unerfüllt geblieben. Dominanz. In Analogie zur Vergangenheit galt Dominanz auch im Städtebau der DDR als ein wichtiges Prinzip, als das Prinzip der Hervorhebung und Betonung des gesellschaftlich Bedeutsamen in der gebauten Umwelt - nach Größe, Lage und Gestalt - zum Zwecke gesellschaftlicher Präsentation und vor allem Repräsentation. Es war mit der Forderung verknüpft, das für den Sozialismus — im allgemeinen und besonderen einer konkreten Stadt — Bedeutsame und das für ihn charakteristische Neue gegenüber dem weniger Bedeutsamen und vor allem auch gegenüber dem Alten baulich-räumlich hervorzuheben. Ganz im Sinne traditioneller Organisation und Komposition der Stadt ging es dabei primär um die Dominanz von Straßen, Plätzen und Gebäuden. Besondere Funktion 60
4 Berlin,
i . .
Fernsehturm
I i Leipzig,
Jena,
Universität
Chemnitz,
i
•
.
Suhl,
•
Kulturhaus
«
Wohnhochhaus
n Frankfurt
Abb. 2.
Hotei
!• i i • .1 L
Heubrandenburg,
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- - - L
Universität
10.,
Touristenhotel
Gebaute Höhendominanten ostdeutscher Städte
hatten die wichtigsten Straßen, Plätze und Gebäude zu erfüllen, die als zentrale Straßen bzw. „Magistralen", „Zentrale Plätze" und „Zentrale Gebäude" und damit als die zentralen Elemente in der neuen gesellschaftlichen Bedeutungsstruktur der neu zu bauenden wie der alten, umzugestaltenden Städte besonders herausgestellt wurden. Zur wichtigsten Erscheinungsform der Dominanz im Städtebau der D D R wurde die städtebauliche Höhendominante. In Anlehnung an das damalige Modell des sowjetischen Städtebaus wie auch in der historischen Traditionslinie des deutschen Städtebaus, jedoch in scharfem Kontrast zu überkommenen baulichen Zeugnissen vergangener gesellschaftlicher Dominanz in der Gestalt von Kirchtürmen, Rathaustürmen usw. entstand bereits in den frühen 50er Jahren die Idee, den wichtigsten Städten der DDR - der Hauptstadt und den auserwählten Aufbaustädten, später auch den Bezirksstädten — jeweils eine alles überragende „Höhendominante höchster Zentralität als neue sozialistische Stadtkrone" zu 61
geben. Eine solche als „Zentrales Gebäude" verstandene und auch so bezeichnete Stadtdominante sollte in den 50er Jahren überall als „Leitungsdominante", also — so wurde das zwar nicht gesagt, aber sehr wohl gedacht — als Herrschaftsdominante errichtet werden: in Berlin als Hochhaus der Regierung, in Magdeburg als Hochhaus für den Rat der Stadt und den Rat des Bezirks, in Dresden als „Haus der SED" und in Rostock als Hochhaus ebenfalls für zentrale politische Einrichtungen. Auch andere Städte wie Suhl und Frankfurt/Oder sollten solche „Leitungsdominanten" erhalten. Nicht eine von ihnen ist verwirklicht worden. Dies geschah nicht in erster Linie aus ökonomischen Gründen, sondern aus der später herangereiften Einsicht, daß die in den 50er Jahren entwickelte Konzeption des Setzens von Herrschaftszeichen der institutionellen Macht des neu etablierten sozialistischen Staates nun in den 60er Jahren — nachdem diese Macht ökonomisch und politisch gesichert schien und der „umfassende Aufbau des Sozialismus" begonnen hatte — historisch bereits überholt sei. So erhielten viele Städte „ersatzweise" eine stadtbeherrschende Höhendominante mit „normalen" Funktionen moderner Großstädte: Hochhäuser für Hotels in Berlin und Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz), für Universitäten in Leipzig und Jena sowie für Wohnzwecke in Suhl und Frankfurt/Oder. Für Bürofunktionen ist nur ein einziges Hochhaus gebaut worden: das Internationale Handelszentrum am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Als höchstes Bauwerk wurde 1969 in Berlin der Fernsehturm errichtet, der dank seiner Lage im sozial-räumlichen Kontext der Stadtmitte und auch dank seiner einmaligen Gestalt schon seit vielen Jahren zum Symbol von DDR-Berlin geworden war — nicht zuletzt weil er in ganz Berlin gesehen werden kann. Ob er künftig auch als Stadtsymbol von ganz Berlin wird bestehen können, ist ungewiß. Die in allen diesen gebauten Hochhäusern und Stadtdominanten zum Ausdruck kommende Zurücknahme einer ursprünglich auf betonter Machtdemonstration orientierten städtebaulichen Konzeption, dieser Verzicht auf eine solche — auch im Sinne sozialistischer Ideale falsche Dominanz, ja überhaupt auf jegliche städtebauliche Demonstration institutioneller Macht, und daraus folgend das Bestreben, statt autoritärer möglichst nur noch kummunikative Zentralität durch bauliche Höhe dominant zu machen, haben wesentlich dazu beigetragen, die Gestalt der deutschen Stadt in der DDR auszuprägen und von jenen Städten in westlichen Ländern, auch in der BRD, zu unterscheiden, in denen die typischen Hochhäuser der Banken, Versicherungen und Verwaltungen dominant das Bild der Stadt — als Bild pluralistischer kommerzieller Zentralität — bestimmen.
3. Historische Aufhebung — Perspektive Was für eine Perspektive die Ergebnisse der 40jährigen Stadtentwicklung und Stadtgestaltung in der ehemaligen DDR haben können, wird ganz davon abhängen, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken sie in Zukunft materiell und ideell - substanziell und konzeptionell - als brauchbar und daher als bewahrens62
1 Berlin, Entwurf für dos Zentrale ßebäude 1952 2 Berlin, Polast der Republik und Fernsehturm heute 3 Dresden, Entwurf für ein Haus der SED 1952
4- Dresden, Variante für die Höhendominante 1953 5 Dresden, Entwurf für ein Haus der sozialistischen Kultur 1960, bester Entwurf des Wettbewerbs (3. Preis) 6 Dresden, Kulturpalast heute 0
100
3
A •)l
n
75 J. Whgn. mit Bad/Dusche 1987 Bürger mit FA/Meisterqualifikation '81 Bürger mit FS/HSqualifikation '81 Genossenschaftler 1981 qm Verkaufsraumfläche/Ew 1985
65,5 44,7 95,8 62,7 64,2 12,6 16,1 507,9
49,5 38,8 93,7 73,2 63,2 14,9 15,0 386,3
25,3 45,3 114,0 83,5 62,2 20,2 3,6 347,6
Mittelwert ausgewählter Indikatoren % Arbeiter/Angestellte 1981 % Freischaffende u. a. 1981 % Beschäftigte in Land- u. Forstwirtschaft '81 % Kinder 1986 % Rentner 1986 % Einpendler/Auspendler 1981 % Wohngebäude im Bauzustand 3 + 4 '81
82,0 1,4 16,5 19,7 18,6 51,9 44,0
82,9 1,5 18,2 21,8 14,8 61,4 15,9
95,5 0,6 5,8 20,8 11,3 345,8 20,3
80,3 1.879 2.316 4.958 1.980 2.049 6.900
103,0 2.193 3.927 4.855 1.550 2.105 28.000
117,0 14.249 15.279 249.349 3.400 5.150 30.980
% Einwohner 1986/1964 Einwohner 1986 Minimum Mittelwert Maximum Einwohner 1875 Minimum Mittelwert Maximum
Kleinstädten erfolgen. Momentan besteht in bezug auf Wohnkomfort (Bad/ Dusche, Innentoilette, Ausstattung mit modernem Heizsystem) sowie Bauzustand der Wohngebäude ein ungerechtfertigtes Großstadt-Kleinstadt-Gefälle. Stadt- bzw. stadttypspezifische Reproduktionsstrategien kamen bisher kaum zur Anwendung. 2. In Abhängigkeit von qualitativen und quantitativen Entwicklungsprozessen der künftigen Rentnergeneration entwickeln sich neue Anspruchssituationen an die städtische Infrastruktur, insbesondere an die Wohnungssubstanz. Während für Kinder und Jugendliche durch Kindertagesstätten, Schulhorte, Spielplätze und Freizeitzentren eine alters- und fähigkeitsspezifische Wohnumwelt geschaffen worden war, war die städtische Wohnumwelt nur zum geringen Teil auf die Ansprüche älterer und/oder behinderter Bürger ausgerichtet.
Zu 1. Verbesserung der lokalen Wohnbedingungen — Impuls für die ganzheitliche Entwicklung der Stadt Zwischen der Stadtgröße (und damit auch meist der Zentralität der jeweiligen Stadt) und 13 Merkmalen zur Beschreibung der Wohnbedingungen gibt es signi142
fikante Korrelationsbeziehungen. Es gilt: Je größer die Stadt, desto: — höher ist der Anteil an 1- und 5-Raumwohnungen 1987, — niedriger ist der Anteil an 4-Raumwohnungen 1987, — niedriger ist der Anteil an Wohnungen > = 6 Räume 1987, — höher ist der Anteil an volkseigenen und genossenschaftlichen Wohnungen 1987, — niedriger ist der Anteil an privaten Wohnungen 1987, — niedriger ist der Anteil der Wohnungen in der Bauzustandsstufe III und IV (große Bauschäden), 144
— höher ist der Anteil der Wohnungen, die nach 1870 erbaut wurden, — höher ist der Anteil der Wohnungen mit modernem Heizungssystem, Bad oder Dusche und IWC 1987. Im Bezirk Rostock lagen die wesentlichen Ursachen dieser Entwicklung in der planwirtschaftlich-zentralistischen Standort- und Investitionspolitik. Ungerechtfertigte territoriale Unterschiede (so z.B. in Hinsicht auf gleichwertige Wohnbedingungen) wurden bestenfalls modifiziert, nicht aber grundsätzlich beseitigt. Die Bezirksstadt Rostock wurde — in Verwirklichung ehrgeiziger politischer Absichten — zum erstrangigen Entwicklungsschwerpunkt erklärt. In der politischen und wirtschaftlichen Hierarchie folgten die Kreisstädte. Regelmechanismen, welche den kleineren Städten und Gemeinden zu ihrem Recht verholfen hätten, waren außer Kraft gesetzt.2 Material- und Arbeitskräftebilanzen wurden, den politischen Kräfteverhältnissen zwischen den hierarchisch disziplinierten Städten folgend, meistenteils in die „Zentren der gesellschaftlichen Entwicklung", also nach Berlin und Rostock, und die kleineren politischen Machtzentren gelenkt. Die Folgen dieser Politik zeigen sich — so die Ergebnisse der sozialstatistischen Analysen — insbesondere in den sozialräumlichen Disparitäten zwischen größeren und kleineren Städten. Selbst wenn z.B. die auf Erfolgsmeldungen orientierte 1
Dennoch war wissenschaftliche Standortpolitik partiell möglich, wenn sie den politischen und ideologischen Prämissen entsprach. Die Kleinstadt Neubuckow ist der untypische Trendsetter. Neubuckows Entwicklung beweist, daß Kleinstädte durchaus Perspektiven haben, wenn ihre Arbeits- und Wohnfunktion entwickelt wird. 1970 gelang es z.B. durch die soziologische Untersuchung: „Einzugsbereich Neubuckow" auf die Entwicklungsprobleme dieser Stadt und ihres Umlandes aufmerksam zu machen. Mittlerweile verfügt Neubuckow über eine leistungsfähige LPG, ein modernes Mischfutterwerk, eine große Hühnermastanlage und einen kleinen Maschinenbaubetrieb.
145
146
Rostock-Hafenviertel: Ein verschlissenes Wohngebiet wurde neu bebaut. Flächenabrisse werden für die Stadterneuerung in Mecklenburg die Ausnahme bleiben.
amtliche Statistik die Wohnraumversorgung pro eintausend Einwohner als relativ gleich auswies, so entstanden dennoch krasse Niveauunterschiede in der Wohnraumversorgung und im Wohnkomfort zwischen mächtigeren und schwächeren Städten. Beim Vergleich der Wachstumsraten des erfaßten Wohnungskomforts ist auffällig, daß grundsätzlich die Niveauunterschiede reproduziert wurden, obwohl der prozentuale Zuwachs an statistisch ausgewiesenem Komfort in den größeren Städten relativ gering ist. Praktiker verweisen schon seit Anfang der 80er Jahre auf das Phänomen, daß Gebäude, welche mit geringem Aufwand zu modernisieren waren, mittlerweile modernisiert sind und demzufolge Objekte, welche nur mit großem Aufwand zu modernisieren sind, immer häufiger werden. Es ist deshalb zu vermuten, daß die größeren Städte - ob ihrer sozialstrukturellen Vorteile sowie ihrer politisch motivierten Bevorzugung - schon eher als die meisten Kleinstädte diesen Schwellenwert erreicht haben. Insbesondere durch den Vergleich zwischen der Stadtgruppe „Einwohnergewinn" und der Stadtgruppe „Einwohnerverlust" (jeweils > 10 % 1964/1986) wird 147
Tabelle 2:
Wohnungskomfort nach Stadtgruppen (in %)
Merkmal 2 + 3 mod. Heizsystem 1981 1987 Bad/Dusche 1981 1987 WC 1981 IWC 1987
63 66 80 84 81 85
Stadtgruppe* 4B1 4A 42 51 70 79 68 78
37 45 62 71 58 67
4B2
EV
EG
25 30 55 65 49 55
21 26 52 61 46 52
51 59 76 83 75 83
* Stadtgruppe (SG) 2 + 3 > 20.000 Einwohner (Ew), SG 4A 10.000-20.000 Ew, SG 4B1 4.000-10.000 Ew, SG 4B2 < 4000 Ew
auf lokale Spezifika in der Wohnweise aufmerksam gemacht. Diese lokalen Spezifika gehen — nach Auffassung des Autors — deutlich über normale Proportionen zwischen Städten unterschiedlichen Funktionsspektrums hinaus. Sie sind deshalb in ihrer Gesamtheit als Indiz für ungerechtfertigte Unterschiede zwischen den Bürgern verschiedener Städte zu werten. Diese Indikatoren belegen sowohl ein eindeutiges Niveaugefälle von den großen zu den kleinen Städten des ehemaligen Küstenbezirkes als auch zwischen den alten und den neuen Bundesländern insgesamt. 3 Die unterschiedlichen Eigentumsformen an Wohnungssubstanz zeigten nicht nur in der ehemaligen DDR unterschiedliche Wirkungen auf die Reproduktion dieser Bausubstanz und der sozialen Struktur ihrer Nutzer. Für die 31 untersuchten Städte galten auf dem 95 %-Niveau statistischer Sicherheit folgende Trends: Je kleiner eine Stadt, desto höher war ihr Anteil an privater Wohnungssubstanz. Je weniger Einwohner eine Stadt hatte, desto geringer war der Anteil an genossenschaftlichem und volkseigenem Wohnungseigentum. Es gilt aber auch die Umkehrung: Je größer die Stadt, desto höhere Anteile genossenschaftlichen und volkseigenen Wohnungseigentums. Genossenschaftliches und volkseigenes Wohnungseigentum rekrutierte sich überwiegend aus Altneubauten und Neubauten. Diese boten in den meisten Fällen hohen Wohnkomfort. 4 Analysen in Leitplanungen, eigene Beobachtungen und eingeholte Expertenmeinungen belegen, daß für die 27 Kleinstädte das Klischee: „Privates Wohnungseigentum = Eigenheim = Luxuswohnung" nur in Ausnahmefällen zutraf. 3
4
Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Materialien zum Bericht zur Lage der Nation ..., Wohnungswirtschaft, Bonn 1987, S. 534ff. Generell ist der Anteil des genossenschaftlichen und volkseigenen Wohnungseigentums von 1981 bis 1987 gestiegen. Dennoch kann diese Tendenz die Dominanz des privaten Wohnungseigentums in kleineren Städten nicht schmälern. Der in diesen Kleinstädten hohe Anteil an privatem Wohnungseigentum korreliert signifikant negativ mit den Einwohnerzahlen von 1986 sowie dem Anteil der Wohnungen mit Bad/Dusche, IWC, modernem Heizungssystem, Bewohnern mit Hoch- bzw. Fachschulabschluß und korreliert signifikant positiv mit einem hohem Anteil an Wohnungen in Gebäuden, welche vor 1870 gebaut wurden und in der Bauzustandsstufe 3 oder 4 sind.
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Charakteristische Straßenszene in einer Kleinstadt
Weit typischer war für die Kleinstädte des Bezirkes Rostock, daß privates Wohnungseigentum — obwohl meistenfalls durch den Eigentümer genutzt — geringen Komfort und einen schlechten Bauzustand aufwies. Besonders in kleineren Städten ist privates Eigentum weder eine Garantie für hochwertige Wohnbedingungen der Wohnungsnutzer noch für deren feste Wohnortbindung sowie für deren persönliches Engagement zur Instandhaltung und Modernisierung ihrer Wohnungen. Schon die Sozial- und Baugeschichte dieser typischen Ackerbürgerstädte läßt dieses Klischee als unwahr erscheinen. Diese Kleinstädte hatten bis zur Mitte unseres Jahrhunderts eine relativ arme Wohnbevölkerung. Diese konnte sich nie luxuriöse Wohngebäude leisten. Kleine, niedrige Häuser — errichtet in Volksbauweise — auf kleinen Parzellen mit Hausgärten, ausgebaute Traufendächer prägen das Bild dieser Städte. Diese Wohnhäuser wie auch ihre stadttechnische Erschließung sind zum großen Teil zumindest moralisch verschlissen und für Modernisierungsmaßnahmen unattraktiv. Dieses historische Erbe kompliziert die Instandhaltung, Instandsetzung und Modernisierung der Wohnungsbausubstanz in den Kleinstädten erheblich. Unter den Voraussetzungen für die Modernisierungswürdigkeit eines Wohnge149
Neubuckow: Altbauten und private Gartenanlagen im Stadtzentrum
bäudes, wie z.B. Lage, Grundstücksgröße, Wohnumfeld, Wohnungsgrundriß, Stadthygiene, Bauzustand und Nebengelaß, stellen bereits die Abwasserableitung und die Abwasserbeseitigung eine oft unüberwindbare Barriere dar. Bisher war es für die Bewohner solcher Gebäude einfacher, mit dem Umzug in eine größere Stadt eine attraktive Wohnung zu erhalten.5 Geplanter Mangel war eine kalkulierte Folge angewandter Ideologie. Kleinere privatwirtschaftlich oder genossenschaftlich arbeitende Baubetriebe wurden in ihrer Entwicklung gehemmt: Sozialistische Bauwirtschaft war erst dann fortschrittlich und wahrhaft sozialistisch, wenn sie industriell in volkseigenen Kombinaten erfolgte. Letztere wurden aber so strukturiert, daß sie fast nur in der Lage 5
Diesartige Störungen bei der Reproduktion der städtischen Bausubstanz sind ebenfalls in den Altbaugebieten der größeren Städte zu beobachten. Die mangelhafte Reproduktion privater Bausubstanz war eine Folge politisch motivierter Diskriminierung privater Hausbesitzer. Privatem Hausbesitz haftete noch bis in die 70er Jahre der Makel eines bourgeoisen Rudimentes an. Dieser Privatbesitz wurde in vielen Fällen für den Eigentümer eine Last; viele Hausbesitzer verloren das Interesse an der Erhaltung und Modernisierung ihrer Wohngebäude. Ein ähnliches Schicksal ereilte kleine Wohnungsgenossenschaften und gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften. Jene Eigentümer, welche dennoch ihre Eigentümerpflichten wahrnehmen wollten, scheiterten oft am Fehlen von Baukapazität und Material.
150
waren, teuren industriellen Massenwohnungsbau in hohen Losgrößen am Stadtrand zu bewerkstelligen. Demzufolge standen sie der Instandhaltung und Modernisierung der Stadtzentren kaum zur Verfügung. D e r industrielle Massenwohnungsbau durch volkseigene Wohnungsbaukombinate sollte dem Ideal der sozialen Gleichheit Realität verleihen. Wissenschaftlich begründeten Forderungen nach sozialer Gleichheit formal folgend, sollte soziale Gleichheit im Lebensbereich Wohnen durch industriellen Massenwohnungsbau produziert werden. Dieses Ziel war durch genormte Typenwohnungen sehr einfach zu erreichen. Lediglich Ausnahmen für Nomenklaturkader wurden zugelassen. Einziges Kriterium für Wohnungsbedarf war die Haushaltsgröße. D a die Bewohner der mecklenburgischen Ackerbürgerstädte jedoch kaum dem Idealtyp eines sozialistischen Industriearbeiters entsprachen und sich diese Städte kaum einer politischen Lobby erfreuten, hatten diese Kommunen schlechte Chancen, in die Gunst von entscheidungsbefugten Politikern zu kommen. D i e Tendenz, daß sozialräumliche Disparitäten das Niveau sozialer Ungerechtigkeit annahmen, war schon seit den 70er Jahren erkennbar. D a aber die Industriearbeiterschaft zum Fortschrittsträger der sozialistischen Gesellschaft erklärt wurde, fiel es nicht schwer, den Nachweis zu erbringen, daß insbesondere in den größeren Städten Wohnungen zu bauen seien. Jede gegensätzliche Diskussion wurde unter Verweis auf den großen Wohnungsmangel in den größeren Städten und das dort mögliche relativ hohe Bautempo gegenstandslos. Die realen einmaligen und laufenden Kosten der industriellen Bauproduktion in den Machtzentren konnten ohnehin nicht mit den vorgeschriebenen Methoden ermittelt werden; sie waren demnach als Argument unbrauchbar. Schlechte Arbeits- und Wohnbedingungen in ländlichen Siedlungen führten nicht nur zur Land-, sondern auch zur Kleinstadtflucht mit selektiven regionalen und sozialen Folgen. D e r Mangel an attraktiven Wohnbedingungen in den Kleinstädten verschlimmerte die Wohnungsnot in den größeren Städten. D i e Abwanderung vieler Kleinstadt- und Dorfbewohner veranlaßte keinen Politiker, die verfehlte Baupolitik ernsthaft zu korrigieren. Die Statistik wies für Politiker Erfolge aus; es bestand „kein Handlungsbedarf". So konnte z . B . mit der amtlichen Planungskennziffer „Wohnraumversorgungsgrad" seit 1971 die Tendenz von der Angleichung der Wohnraumversorgungsniveaus der Städte belegt werden. Ein gesellschaftspolitisch wichtiges Ziel war erreicht; wenn auch nur formal. In den Stadtgruppen 2 -I- 3, 4 A und Einwohnergewinn ( E G ) war die Erhöhung des Versorgungsgrades ( E V ) mit umfangreichen extensiven Erweiterungen des Wohnungsbestandes verbunden. D e m gegenüber beruht die scheinbare Verbesserung in den Stadtgruppen 4 B 1 und 4 B 2 sowie der Gruppe „Einwohnerverlust" hauptsächlich auf Einwohnerverlusten durch hohe Sterberaten und selektive Abwanderung junger und Wohnungssuchender Bürger. In Kleinstädten (wie auch in Altbaugebieten überhaupt) wohnen gegenwärtig überdurchschnittlich viele Werktätige, welche unmittelbar in primären und se151
kundären Wirtschaftsbereichen tätig sind. Sie leisten zum Teil schwere körperliche Arbeit. 6 Diese Bevölkerungsgruppen wurden als die herrschenden Klassen in der sozialistischen DDR bezeichnet; die Praxis sah anders aus. Luxuriöse Wohnbedingungen ohne vorherige Opfer konsumieren zu dürfen, war fast nur Nomenklaturkadern möglich. Eigenheimbewohner und Wohnungsmodernisierer mußten hohe materielle und zeitliche Eigenleistungen erbringen, um in den Genuß von hochwertigen Wohnbedingungen zu kommen. Steuergelder, Arbeitsleistungen und Material wurden in unproportionalem Maße in politische Prestigeobjekte investiert. Da mit den Kleinstädten kaum politisches Prestige zu gewinnen war, wurden die Kleinstädte letztendlich um ihre Anteile am Nationalreichtum betrogen. Die entstandenen sozialen Ungerechtigkeiten wurden spätestens Ende 1989 vielen Bürgern bewußt. Dieses Bewußtsein setzt gewaltige soziale Energien frei. Um diese Energien für gesellschaftlichen Fortschritt zu aktivieren, müssen jetzt für die Bewohner dieser verschlissenen Wohnbereiche überschaubare Perspektiven gezeigt werden. 7 Der sozialen und baulichen Typik der Kleinstädte entsprechend, scheint es in Zukunft wieder möglich zu werden, die Traditionen der geförderten genossenschaftlichen und privat-gemeinnützigen Selbsthilfe wiederzubeleben. Hohe Leistungsmotivation aus der Verbindung von informeller und formeller Ökonomie können insbesondere altstädtische Innenstadtbereiche aufwerten. Oft ist dazu seitens der Kommune eine zukunftsorientierte technische Infrastruktur unabdingbare Vorleistung. Diese Vorleistungen sollten durch örtliche Baubetriebe erbracht werden. Um Spekulationen mit dieser Schlüsselposition für die städtische Entwicklung auszuschließen, sollte sich jede Kommune an diesen Betrieben Eigentumsanteile und Entscheidungsrechte sichern. Gleichfalls kann sich so die Kommune Arbeitsplätze und Einnahmequellen schaffen. Der sozialen Typik der Kleinstädte entspricht, so Tabelle 1, ein hoher Anteil an Genossenschaftlern, Freischaffenden, Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen. In der Konkurrenz der Kommunen um Investitionen haben die Kleinstädte einige Vorteile. Sie haben eine lange „mittelständische Tradition", relativ billige Grundstücke, geringe Entfernungen zu lokalen Zentren und ländliche Arbeitskräftepotentiale. Über kommunale Einnahmen, wie Gebühren und Abgaben, Steuern, Gewinne aus kommunalen Betrieben, Krediten sowie Zuwendungen aus den verschiedenen Entwicklungsprogrammen (Städtebauförde-
6 Vgl. dazu ausführlicher: Staufenbiel, E, Leben in Städten, Berlin 1989, S. 92ff. 7 Instandsetzung und Modernisierung von Wohngebäuden wird in der B R D mehrfach gefördert. In Verbindung mit leistungsstimulierenden Mechanismen der Eigentumsbildung wird Bautätigkeit in der BRD auf direktem und indirektem Wege stimuliert. Diese Politik hatte aber meist zur Folge, daß billige Mietwohnungen immer seltener wurden. Um so wichtiger ist es, vor städtischen Sanierungsmaßnahmen Sozialpläne demokratisch zu erarbeiten.
152
rang, Strukturhilfegesetz, Küstenschutz, Landesförderungsprogramme) 8 , können insbesondere Kleinstädte jene Vorleistungen erbringen, welche sie für die stadttypischen mittelständischen Unternehmen besonders attraktiv machen.
Zu 2. Wie sollten ältere Bürger wohnen? Um über die Wohnbedürfnisse der älteren Bürger mehr zu erfahren, wurde dieser Problemkreis Ende der 80er Jahre durch das Büro für Städtebau Rostock im Rahmen einer soziologischen Stadtentwicklungsanalyse untersucht. 9 Eine Diskriminanzanalyse setzte den Problemkreis „Reproduktion der Altersrentner" als Unterscheidungskriterium städtischer Entwicklung an vordere Stelle. Die Analysen verweisen auf die Tendenz, daß sich diese 31 Städte in Zukunft deutlich in bezug auf den Bevölkerungsanteil älterer Bürger ( > 75 Jahre) an der Wohnbevölkerung unterscheiden werden. Für die 31 Städte des Bezirkes (wie mit großer Sicherheit auch für die anderen Gemeinden) gilt die Regel: Je mehr Einwohner eine Stadt hatte und hat, desto höher waren und sind ihre Einwohnergewinne. Die Einwohnergewinne der größeren Städte verjüngten ihre Wohnbevölkerung. Mittlerweile ist die zugewanderte Bevölkerung in diesen Städten gealtert. Deshalb weisen die aktuellen Generalbebauungspläne der Kreisstädte sowohl großen Wohnungsbedarf durch die Kinder der zugewanderten Bürger als auch wachsenden Bedarf an seniorengerechten Wohnformen aus. Die Elterngeneration nähert sich dem Rentenalter. Die kommende Rentnergeneration wird bei einem Anteil von ca. 20 % Hoch- und Fachschulkadern ihre altersspezifischen Ansprüche an die städtische Infrastruktur zu artikulieren wissen. Obwohl sich auch im Zeitraum von 1990 bis zum Prognosejahr 2005 die Rentnergeneration verjüngt, so wächst dennoch die Gruppe der Bürger über 75 Jahre um ca. 6 000 Menschen. Diese Altersgruppe ist oft auf Hilfe anderer angewiesen. Altersuntypisch krank und demzufolge auch hilfsbedürftig sind in erster Linie jene Altersrentner, welche ihr Leben körperlich schwer und geistig wenig anregend arbeiten mußten. Die typischen Vertreter der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern sind demzufolge mit größerer Wahrscheinlichkeit auf Hilfe im hohen Alter angewiesen als Hoch- und Fachschulkader. Es ist im höchsten Grade unsozial, daß Menschen, nur weil sie nicht körperlich leicht arbeiten durften, oft in ländlichen Siedlungen unter erschwerten Bedingungen leben mußten und/oder unverschuldet hilfsbedürftig geworden sind, schlechte Chancen für einen würdigen Lebensabend haben. Diese Men8
9
Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Dorferneuerungsbericht, Bonn 1990, S. 41. Vgl. Schubert, A . , Zu den Wohnbedingungen und Wohnbedürfnissen älterer und alter Bürger im Bezirk Rostock, Büro für Städtebau Rostock, Studie, 1987.
153
Rostock-Toitenwinkel: Dieses Feierabend- und Pflegeheim beherbergt 160 Senioren
sehen bilden den Kern künftiger Feierabend- und Pflegeheimbewohner. Weder sie noch die vielen hilfsbedürftigen Hoch- und Fachschulkader werden immer weniger bereit sein, den sozialen Abstieg in eine Einraumwohnung oder gar in ein als schlecht empfundenes Feierabend- oder Pflegeheim zu akzeptieren. Als eine weitere Folge der Urbanisierungsprozesse der 50er und 60er Jahre deutet sich die Tendenz an, daß immer mehr Altersrentner aus den ehemaligen Abwanderungsgebieten in die Nähe ihrer Kinder ziehen möchten. Dazu ist aber ein Umzug aus meist unattraktiven Orten (Dörfer, Kleinstädte, Südbezirke) in die attraktiven Kreisstädte des ehemaligen Ostseebezirkes notwendig. Die Wohnungsnot in den Städten des Bezirkes macht einen Wohnungstausch in die Nähe der Kinder beinahe unmöglich. Die Umzugswünsche der Senioren werden schon bald selektive Wirkung zeigen. Reiche Senioren bzw. Senioren mit attraktiven Tauschwohnungen werden eher ihre Wünsche nach ihren Wohnbedingungen verwirklichen können als weniger bemittelte Bürger. Soziologische Untersuchungen weisen immer wieder nach, daß Altersrentner in der Tendenz immer noch schlechter wohnen als jüngere Bevölkerungsgruppen. Das Klischee - „Altersrentner = unterbelegte Vollkomfortwohnung" trifft nur in wenigen Einzelfällen zu. Noch zu oft sind es die Wohnbedingungen, welche den Veteranen einen würdigen Lebensabend unmöglich machen. 154
Dieser Problemkreis war schon in den 80er Jahren den Soziologen, Medizinern und Architekten des Bezirkes bekannt. Deshalb kommt es heute mehr denn je darauf an, deren gute Konzeptionen endlich Realität werden zu lassen. Deutliche Verbesserungen der Wohnqualität unserer älteren Bürger können — so besagen es internationale Erfahrungen — nur durch ein System alters- und leistungsspezifischer Wohnformen herbeigeführt werden. Für die Zukunft scheint es am dringendsten, die Wohnform „Wohnen auf Distanz" allen Interessenten zu ermöglichen. Das Leben einer Dreigenerationsfamilie in einer Wohnung ist für die meisten Bürger unattraktiv. Die räumliche Trennung der Eltern von den Kindern und Enkeln wird demgegenüber mehrheitlich gewünscht. Familiäre Bindungen können für die Eltern, die Kinder und die Enkel unschätzbaren Wert haben. Ein sinnerfülltes Leben in der Familie kann menschliches Glück bewirken, sichert aber auch Hilfeleistungen im Krankheitsfalle. Betrachtet man die Wohnbedingungen in den Feierabend- und Pflegeheimen des Bezirkes, so scheint es ebenso dringend, bedarfs- und standortgerecht ausreichend Feierabend- und Pflegeheimplätze (in der Relation 1 : 4) direkt durch Neubau- bzw. Rekonstruktionsmaßnahmen zu schaffen. Indirekt läßt sich der Mangel an Feierabend- und Pflegeheimplätzen durch ein breites Angebot an geschützten Wohnformen für geschädigte und/oder zu befürsorgende Bürger verbessern. Die Auswahl des Standortes und der Heimkapazität sollte jedoch unbedingt dem jeweiligen Standort und den Wünschen künftiger Bewohner entsprechen. Kleinstädte verkraften kaum Heimkapazitäten über 100 Bewohner. Dennoch können bereits schon kleinere Heime für die ganzheitliche Entwicklung des städtischen Organismus die notwendige „Initialzündung" sein. Sonderwohnformen können den Kommunen Arbeitsplätze, Folgeinvestitionen und dauerhafte Einkünfte sichern. Die Sonderwohnformen der 90er Jahre müssen — unabhängig von ihrer Eigentumsform — jedem Bewohner sein Höchstmaß an Individualität zubilligen. Zimmerbelegungen mit 3, 4 oder mehr Bewohnern müssen der Vergangenheit angehören. Insbesondere werden für die Wohnform „Wohnen auf Distanz", Wohnungen und Wohnhäuser für ältere Bürger sowie Wohnungen, Wohnungsgruppen und Wohnhäuser für Rehabilitanden die besten Voraussetzungen für die Selbstbestimmung des Lebens dieser Menschen und ihrer Familien bieten. Das System aus — Wohnungen für ein Familienleben der drei Generationen in nachbarschaftlicher Trennung zwischen Eltern einerseits und Kindern und Enkeln andererseits, — Wohnungen, Wohnungsgruppen und Wohnhäusern für ältere Bürger, — Wohnungen, Wohnungsgruppen und Wohnhäusern für geschädigte Bürger, — kleinen Feierabend- und Pflegeheimen für Einzel- und Zweipersonenappartements, — Pensionen, 155
— Wohngebietsclubs der Volkssolidarität kann im besonderen Maße der sozialpolitischen Zielgruppe der älteren und/oder behinderten Bürger helfen, optimale Wohnbedingungen für ihr Leben zu finden. Gleichfalls werden Kapazitäten des Gesundheitswesens in Krankenhäusern sowie in Feierabend- und Pflegeheimen freigesetzt. Ein Standort- und bedarfsgerechtes Netz an Sonderwohnformen und seniorengerechten Dienstleistungen muß so schnell wie möglich zur Selbstverständlichkeit werden! Diese Sonderwohnformen und diese Dienstleistungsbetriebe müssen (bis auf wenige Ausnahmen für Zahlungskräftige) in kommunalem und staatlichem Eigentum bleiben. Privatwirtschaftlich arbeitende Seniorenheime dürfen nicht gewinnorientiert sein, sie sollten gemeinnützigen Charakter haben.
Wohnen Wolfang Scheumann/Peter Marcuse Wohnungsprobleme und widersprüchliche Wohnungspolitiken
Wenn die Entwicklung der Wohnungspolitik in der ehemaligen D D R ihrem Wesen nach und in ihren Ergebnissen dargestellt werden soll, sind zwei notwendige Voraussetzungen zu beschreiben. Erstens ist staatliche bzw. kommunale Wohnungspolitik als eine Strategie zu verstehen, die auf den Lebensbereich Wohnen und das dazugehörige Bedingungs-, Bedürfnis-, Nutzungs- und Regulationsgefüge zielt. Der Komplexität dieser Betrachtungsweise folgend stehen somit die Wohnraumlenkung, die Bewirtschaftung, das Bauen und konkrete Nutzungsprozesse im Kalkül von Wohnungspolitik. Zweitens ist eine Analyse der Wohnungspolitik in der ehemaligen DDR zwangsläufig in vier zeitlichen Etappen zu betrachten. Dabei ist der Zeitraum von 1945—1949 als Instandsetzungsund Wiederaufbauphase zu kennzeichnen, die Etappe von 1949—1971 ist die des vorrangigen Aufbaus, die Jahre von 1971-1989 sind durch die deklarierte „Lösung der Wohnungsfrage" bestimmt, und 1990 beginnt mit den gravierenden Veränderungen des Übergangs zur sozialen Marktwirtschaft eine qualitativ völlig neue Phase von Wohnungspolitik. Die Wohnungspolitik in den Jahren 1945—1949 auf dem späteren Territorium der DDR war im Gefolge des Zweiten Weltkrieges durch eine katastrophale Ausgangssituation gekennzeichnet. Allein 50 % der Wohnungen in den Großstädten waren teilweise oder völlig zerstört. In Dessau betrug dieser Anteil zum Beispiel 80 %, in Berlin und Dresden jeweils 65 %. 1 Daraus leitete sich als erster wohnungs- und baupolitischer Schwerpunkt ein konsequentes Instandsetzungsund Wiederaufbauprogramm ab. Gleichzeitig entstand ein zusätzlicher Bedarf an Wohnungen zur Versorgung der ausgebombten Bevölkerung, der Heimkehrer und vor allem der Umsiedler aus ehemaligen deutschen Gebieten. Letzteres betraf die sowjetische Besatzungszone mit 4,3 Millionen Umsiedlern, das entsprach einem Viertel der damaligen Einwohnerzahl, ganz besonders. 2 Dies war ein Vorgang, der sich in der späteren und gegenwärtigen deutschen Geschichte durch Übersiedlungsprozesse von der DDR in die BRD gravierend umkehrte
1
2
Vgl. Barthel, H., Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der D D R zur Wirtschaftsentwicklung auf dem Gebiet der D D R 1945 bis 1949/50, Berlin 1979, S. 41. Vgl. Gottert, E, Die Entstehung der Wohnungsfrage und ihr Inhalt in der D D R , in: Protokolle und Informationen, 2/88, Wissenschaftlicher Rat für Sozialpolitik und Demographie, Berlin 1988, S. 65.
157
(vgl. Artikel Grundmann). Wohnungspolitisch wurde in dem beschriebenen Zeitabschnitt eine Strategie verfolgt, die sich ganz in der Tradition der Arbeiterbewegung verstand. Das heißt, daß die Menschenrechtsforderung auf Wohnraum den offiziellen Rang von Staatspolitik hatte, daß von Anfang an eine staatliche bzw. kommunale Wohnungspolitik angezielt wurde, daß bereits vor Gründung der D D R die offizielle Reglementierung und kommunale Verteilung der Wohnungsfonds, weitgehend unabhängig von deren Eigentumsform, zum wohnungspolitischen Prinzip erhoben wurde. Aus dieser Strategie erklärt sich die spätere Wohnungspolitik der DDR sowie auch erste konkrete Maßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone, wie das „Wohnungsbauprogramm" der KPD von 1946 u.a. Und dieser Ansatz bildete auch die Basis für die inhaltliche Bestimmung des Artikels 26 der Verfassung vom 7. Oktober 1949, wonach jedem Bürger und jeder Familie eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu sichern war, eine für die damalige Zeit völlig idealisierte Zielstellung. Die Wohnungspolitik in den Jahren 1949 bis 1971 ist als vorrangige Aufbauphase gekennzeichnet. So begann mit dem Zweijahresplan 1949/50 der Wiederaufbau solcher Städte, wie Berlin, Potsdam, Leipzig, Dresden, Magdeburg und Wismar. Vorrangige Wohnungsbaustandorte waren dabei industrielle Schwerpunktgebiete, und in den 50er und 60er Jahren entstanden durch das Nationale Aufbauwerk erste neue Wohngebiete bzw. auch neue Städte, wie das spätere Eisenhüttenstadt, Schwedt und Hoyerswerda. Die Wohnungsbestandsentwicklung und wichtige Kennziffern der wohnungspolitischen Situation dieser Jahre zeigen die folgenden Übersichten: Thbelle 1:
Entwicklung des Wohnungsbestandes in der D D R (1949-1971)*
Merkmal
1949
Wohnungbestand insgesamt (in 1000 Wohnungen) Wohnungsbestand je 1000 Einwohner Durchschnittliche Größe je Wohnung in m 2 Wohnfläche je Einwohner in m 2 Tabelle 2:
Wohnungs- und Haushaltsstrukturen
Räume bzw. Personen 1 2 3 4 5 und mehr
5.080 270 46 12
1961
1971
5.507 322 53 17
6.057 355 58 21
- Stand 1971**
Wohnungsbestand
Haushalte
Differenz
679.989 2.251.013 2.030.919 765.106 350.005
1.663.395 1.806.725 1.304.484 951.061 677.908
+ + -
983.406 424.288 726.435 185.955 327.903
* Vgl. Gottert, E, Die Entstehung der Wohnungsfrage und ihr Inhalt in der DDR, a.a.O., S. 68. ** Vgl. Statistisches Jahrbuch 1983 der DDR, Berlin 1983, S. 169/276.
Die abgebildete positive Bestandsentwicklung dieser Jahre war jedoch insgesamt nicht ausreichend. Vielmehr entstand mit dem Übergang in die 70er Jahre 158
eine sehr kritische wohnungspolitische Bilanz. So gab es 1971 in der D D R 6 057 032 Wohnungen, bei anerkannt 6 403 573 Haushalten. 3 Dies ergibt ohne die notwendige Reserve von 5 bis 7 % ein Fehl von 350 000 Wohnungen. Qualitative Probleme lagen vor allem bei der nichtbedarfsgerechten Wohnraumversorgung infolge einer mangelhaften Wohnungsgrößenstruktur, in dem niedrigen Niveau sanitärtechnischer Ausstattung der Wohnungen und in einem sich bereits stark manifestierenden Verfall der Altbausubstanz (vgl. Tab. 2; 7, 9, 10, 11). Die Baupolitik dieser Jahre war durch eine starke Forcierung des Industriebaus, durch eine zu große Dominanz des Neubaus gegenüber der Erhaltung und Modernisierung der Wohnungsfonds, durch eine nicht ausreichende Industrialisierung der Bauprozesse und durch einen deutlichen Rückgang im Wohnungsbau der 60er Jahre bestimmt (vgl. Tab. 3). Wohnungspolitisch wurde in dieser Zeit mit der Verfassung der D D R vom 6.4.1968, Artikel 37 erstmals das Recht jeden Bürgers auf Wohnraum für sich und seine Familie kodifiziert. 4 Und dieses Recht wurde nach den tatsächlichen realen Voraussetzungen und Möglichkeiten inhaltlich mit der Formulierung „entsprechend den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und örtlichen Bedingungen" 5 und mit der Beschränkung auf Wohnraum und nicht, wie vorher, auf Wohnung eingegrenzt. Eine Formulierung, die auch gegenwärtig noch gilt. 6 Außerdem wurde der Staat konkret verpflichtet, „dieses Recht durch die Förderung des Wohnungsbaus, die Werterhaltung vorhandenen Wohnraums und die öffentliche Kontrolle über die gerechte Verteilung des Wohnraums zu verwirklichen". 7 Soziale und politische Sicherheit wurde in den Absätzen 2 und 3 garantiert, in denen es heißt: „(2) Es besteht Rechtsschutz bei Kündigungen" und „(3) jeder Bürger hat das Recht auf Unverletzbarkeit seiner Wohnung". 8 Die Realisierung dieser festgeschriebenen Verfassungsnorm, vor allem im Sinne dessen, daß sie für die Bürger spürbar und erlebbar wird, bedeutete aber eine konsequente Erweiterung und Beschleunigung des Wohnungsbaus. Am Anfang der Wohnungspolitik der Jahre 1971 bis 1989 stand deshalb eine entsprechende offizielle kritische Einschätzung der wohnungspolitischen Situation im Lande durch den VIII. Parteitag der S E D 1971. 9 Da es zu diesem Zeitpunkt volkswirtschaftlich möglich schien und die notwendige breite Verbesserung der Wohnbedingungen der Bürger sich tatsächlich zu einem Politikum ersten Ranges entwickelt hatte, wurden konkrete Maßnahmen zur Verstärkung des Wohnungsbaus für die beiden folgenden Jahrzehnte festgelegt. Gesellschaftsstrategisch wurde 1973 die Zielstellung formuliert, bis zum Jahre 1990 die WohVgl. ebenda. * Vgl. Verfassung der D D R vom 6. April 1968, Berlin 1968, Artikel 37. 5 Ebenda. 6 Vgl. ebenda und GBl. I, 47/74, S. 432. 7 Ebenda. 8 Ebenda. » Vgl. Dokumente des VIII. Parteitages der SED, Berlin 1971, S. 118. 3
159
nungsfrage zu lösen, eine Zielstellung, die auf dem IX. Parteitag 1976 durch die Ergänzung „... als soziales Problem" weiter präzisiert wurde. 10 Als notwendige Voraussetzung für diese Aufgabenstellung beschloß dann die 10. Tagung des ZK der SED 1973 das Wohnungsbauprogramm. Was das nun jedoch heißt - „Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem" (vgl. Artikel Flierl) - wurde in den folgenden Jahren niemals gesamtgesellschaftlich ausreichend definiert. Es gab lediglich Versuche, dies territorial-spezifisch auf Bezirksebene zu tun. Eine globale und oft „definitorisch" verwendete Aussage dazu machte Honecker auf dem XI. Parteitag der SED, indem er sagte: „Jeder Bürger wird über angemessenen Wohnraum verfügen". 11 Wenn diese Zielstellung, und dafür sprechen nicht zuletzt die gegenwärtig vorhandenen 750 000 Wohnungsanträge im Territorium, auch nicht gesamtgesellschaftlich realisiert werden konnte, sollen im folgenden doch quantitative und qualitative Trends gezeigt werden, die insgesamt einen vorwiegend positiven Charakter aufweisen, die jedoch gesellschaftlich auch neue Probleme zur Folge hatten, welche in den letzten Jahren offiziell nicht zur Diskussion standen. In den vergangenen 20 Jahren wurden etwa 10 % des produzierten Nationaleinkommens für den komplexen Wohnungsbau ausgegeben. Dies wie insgesamt die mit dem beschleunigten Wohnungsbau verbundene extensive Entwicklung des Bauwesens und der dazu notwendigen Investitionsmittel haben zwangsläufig zu Disproportionen in anderen volkswirtschaftlichen Bereichen geführt. Die im Oktober 1988 in Berlin-Hohenschönhausen übergebene dreimillionste seit 1971 fertiggestellte Wohnung beschreibt einerseits die erfolgreiche Seite des Baugeschehens und der Verbesserung der Wohnbedingungen. Andererseits steht dem aber ein ständig steigendes Potential an verfallenden, nicht mehr bewohnbaren Fonds gegenüber. In Brandenburg betrug beispielsweise 1988 der Anteil solcher Wohnungen 25 % des Altbaubestandes. Damit erklärt sich auch der Sachverhalt, daß in etwa nur jede zweite Neubauwohnung einen tatsächlichen Wohnungsbestandszuwachs erbrachte. Die Entwicklung im Wohnungsbau der DDR wird in der folgenden Übersicht deutlich. Thbelle 3:
Fertiggestellte Wohnungen*
Jahr insgesamt 1949 1950 1955 1960 1965 1970
29.825 30.992 32.830 80.489 68.162 76.088
Fertiggestellte Wohnungen davon Neubau (%) Modernisierung
(%)
Zahlen lagen dem Autor nicht vor 71.857 58.303 65.786
(89,3) (85,5) (86,5)
8.632 9.859 10.302
Tabelle wird auf nächster Seite
(10,7) (14,5) (13,5) fortgesetzt
io Vgl. Materialien der 9. Tagung des ZK der S E D , Berlin 1973, Dokumente des IX. Parteitages der S E D , Berlin 1976. » Dokumente des XI. Parteitages der S E D , Berlin 1986.
160
Tabellenfortsetzung von vorheriger Seite Jahr insgesamt 1975 1980 1985 1988 1989
Fertiggestellte Wohnungen davon Neubau (%) Modernisierung
140.793 169.223 212.222 219.243 197.929
95.976 120.206 120.728 110.511 92.347
(68,2) (71,0) (56,9) (51,0) (46,0)
44.870 49.017 91.494 108.732 105.582
(%) (31,8) (29,0) (43,1) (49,0) (54,0)
* Vgl. Statistisches Jahrbuch 1989 der DDR, Berlin 1989, S. 168.
Rein statistisch stehen durch den beschleunigten Wohnungsbau gegenwärtig etwa 7,1 Millionen Wohnungen 6,6 Millionen Haushalten gegenüber. Bei Anerkennung einer notwendigen Reserve scheint damit erst einmal der Grundbedarf im Wohnen gedeckt zu sein. Diese Aussage ist jedoch durch beträchtliche territoriale Differenzierungen, den oft mangelhaften Bauzustand der Wohnungen, eine nicht haushaltsgerechte Wohnungsgrößenstruktur und ähnliches im folgenden weiter zu relativieren. Die Entwicklung des Wohnungsbestandes, bezogen auf Einwohner, ist wie folgt: Tabelle 4: Wohnungsbestand je 1000 Einwohner* 1949
1961
1971
1981
1985
1986
1987
1989
270
322
355
393
410
415
418
422
* Vgl. Materialien der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Berlin 1989, unveröffentlicht.
Im internationalen Vergleich sah die Situation 1981 folgendermaßen aus: Thbelle 5: Anzahl der Wohnungen je 1000 Einwohner 1981* Land Schweden BRD Österreich DDR USA
Anz. WE/1000 EW 440 418 410 393 390
Land
Anz. WE/1000 EW
Großbritannien Finnland CSFR Bulgarien Polen
388 385 361 327 277
* Vgl. Wohnen 2000. Bauakademie der DDR. Berlin 1989, S. 6, unveröffentlicht.
Die durchschnittliche Wohnfläche je Einwohner beträgt in der ehemaligen DDR gegenwärtig 27 Quadratmeter. Auftretende Differenzierungen und ein Süd-Nord-Gefälle verdeutlichen jedoch folgende Werte: Berlin: 29,8 m 2 , Bezirk Suhl: 27,8 m 2 , Bezirk Rostock: 23,5 m 2 . 12 Umgekehrt gibt es hinsichtlich des Bauzustandes und des Komforts ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Staatlicher Wohnungsbau, wie er in den letzten Jahren in Größenordnungen realisiert wurde, hat zwangsläufig die Reduktion auf ein gesellschaftlich normiertes Min12 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1989 der DDR, a.a.O., S. 171.
161
destniveau in bezug auf Komfort und Wohnungsgröße zur Folge. Zu letzterem ein internationaler Vergleich: Thbelle 6: Wohnfläche je Neubauwohnung und Anteil der Wohnungen in 1- und 2-Familienhäusern 1984* Land
m 2 Wohnfläche je WE
Anteil Eigenheime (%)
99 99 96 78 76 74 68 65 62 56
53 60 45 64 26 45 47 18 14 24
Schweden BRD Österreich Niederland CSFR Ungarn Polen Bulgarien DDR UdSSR (nur städtisch) * Vgl. Wohnen 2000, a.a.O., S. 6.
Gemessen an der durch den Wohnungsneubau geschaffenen Wohnfläche in den 80er Jahren (1985: 460 m 2 je 1000 Einwohner), entsprach die Jahresproduktion der DDR dem mittleren europäischen Niveau.13 Problematisch ist nach wie vor die Wohnungsgrößenstruktur. ütbelle 7:
Wohnungsgrößenstruktur (%)*
Jahr
1-R-WE
2-R-WE
3-R-WE
4-R-WE
5 u. mehr Räume
1970 1981 1987
11 8 8
37 33 31
33 37 38
13 15 16
6 7 7
* Vgl. Materialien der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, a.a.O.
Wie groß hier jedoch territoriale Differenzierungen sind und welche lokalen Spezifika dabei auftreten können, zeigt folgende Übersicht zu Berlin (Ost) bzw. zu einem Neubaugebiet (Marzahn) und einem Stadtbezirk mit dominanter Altbausubstanz (Prenzlauer Berg). Ihbelle 8:
Stadtbezirksvergleich*
Stadtbezirk 1R-WE Przl. Berg Marzahn Berlin ges.
24,7 18,2 17,6
Wohnungsgrößenstruktur (%) 2R-WE 3R-WE 4R-WE 43,3 21,9 36,9
23,4 36,9 32,0
5,1 19,4 11,4
5R-WE u. mehr 0,7 3,6 2,0
Wohn- m 2 Wohnfl. je Einräume je WE wohner 2,08 2,68 2,44
34,5 23,9 29,5
* Vgl. Materialien des Magistrats von Berlin, Abt. Wohnungspolitik, Berlin 1988, unveröffentlicht.
Vgl. ECE Kommission der UN: Annual Bulletin of Housing and Building Statistics for Europe 1984, New York 1985, unveröffentlicht.
162
Diese Differenzierungen der Wohnungsstruktur nach m 2 und Räumen wirken sich zwangsläufig im konkreten Belegungsverhältnis der Wohnungen aus. Das heißt konkret, daß in Neubauwohnungen mehr Personen auf weniger m 2 Wohnfläche leben. Und ein entscheidender Nachholebedarf besteht nach wie vor hinsichtlich des Ausstattungsgrades der Wohnungen. Ein Ländervergleich von 1985 zeitigt folgende Ergebnisse: Dibelle 9: Ländervergleich zum Ausstattungsgrad* Land
Ausstattungsgrad Bad/Dusche
IWC
moderne Heizung
DDR BRD
74 % 90 %
68 % 94 %
40 % 40-50 %
* Vgl. Wohnen 2000, a.a.O., S. 8.
Die konkrete Entwicklung in der DDR ist dabei wie folgt: Ihbelle 10:
Ausstattungsgrad*
Jahr
Bad/Dusche
1971 1981 1985 1987 1989
39 % 68 % 74 % 77 % 82%
IWC 39 60 68 70 76
% % % % %
* Vgl. Die Wohnungssituation in der DDR zu Beginn des Jahres 1990, Bauakademie der DDR, unveröffentlicht, S. 7ff.
Diese Entwicklungstrends sind jedoch territorial sehr differenziert ausgeprägt. Das dabei auftretende Nord-Süd-Gefälle wird mit folgenden ausgewählten Beispielen deutlich: Tabelle 11: Ausstattung der Wohnungen in Bezirken* Bezirk
Bad/Dusche % 1971 1989
Innen-WC % 1971 1989
mit Fernwärme % 1989
Berlin
59
88
80
94
42
Südbezirke Karl-Marx-Stadt Dresden
29 33
72 72
22 32
50 58
21 24
Nordbezirke Rostock Neubrandenburg
39 36
81 81
46 37
81 80
40 21
* Vgl. ebenda.
163
Umgekehrt zeigen hinsichtlich des Versorgungsgrades diese Bezirke ein eindeutiges Süd-Nord-Gefälle. Tabelle 12: Wohnungen je 1000 Einwohner 1989/90* Berlin 484
Karl-Marx-Stadt
Dresden
Rostock
Neubrandenburg
452
432
377
375
* Vgl. ebenda.
Diese Differenzierungen, die vor allem der Neubau-Standortpolitik geschuldet sind, verdeutlichen den qualitativen Unterschied in der „Lösung der Wohnungsfrage" in territorialer Sicht und machen zugleich auf Nachholebedarf und Schwerpunktsetzungen der 90er Jahre aufmerksam. Ein anderes territoriales Problem besteht auch heute noch darin, daß infolge der über einen längeren Zeitraum erfolgten Konzentration des Wohnungsbaus vor allem auf die Bezirksund Großstädte die Qualität der Wohnungen in den mittleren und kleineren Industriestädten in allen Bezirken deutlich unter dem Niveau der Bezirksstädte geblieben ist. Und nicht zuletzt gibt es innerhalb der Städte erhebliche Differenzierungen in den Wohnbedingungen. Das ist vor allem den Prozessen extensiver Stadtentwicklung (Entstehen von randstädtischen Neubaugebieten) und einer verspäteten Schwerpunktsetzung im Bereich von Modernisierung/Rekonstruktion und Erhaltung von Altbausubstanz geschuldet. Das führte zu relativ homogenen Wohnbedingungen in peripheren Neubaugebieten und gleichzeitig zu starker Differenzierung in sogenannten klassischen Altbaugebieten. Damit verbunden ist aber auch eine starke Differenzierung im Wohnmilieu städtischer Gebiete. Letztere wiederum wird verstärkt durch zunehmenden, teilweise großflächigen, innerstädtischen Neubau. Sehr deutlich haben sich insgesamt durch die Konzentration der Wohnungsbaumaßnahmen auf ausgewählte größere Städte die Unterschiede zwischen den einzelnen Siedlungsgrößengruppen allgemein weiter vertieft. Ihbelle 13: Versorgungsgrad mit Wohnungen und Anschlußgrad an die technische Versorgung (%)* Siedlungsgröße Einwohner bis 10.000 10.000- 50.000 50.000-100.000 über 100.000
Wohnungen je 100 Haushalte Abwasser 1990 1971 91 93 93 100
103 110 100 112
Anschlußgrad Kanalisation 1990 1990 56 75 90 95
36 54 76 97
* Vgl. ebenda.
Besonders deutlich wurden in der Tabelle auch territoriale Unterschiede in der technischen Infrastruktur, die sich letztlich gravierend auf das Niveau der Wohnbedingungen auswirken. 164
Zusammenfassend gelten für die 70er und 80er Jahre folgende wohnungspolitische Grundaussagen: Der mit 1971 beginnende, verstärkte Wohnungsbau war zu diesem Zeitpunkt keine Ermessensfrage von Partei und Regierung, sondern vielmehr, der objektiv entstandenen wohnungspolitischen Misere und dem Widerspruch zwischen verkündeter und konkret erlebbarer Gesellschaftsentwicklung folgend, zu einer innenpolitisch zwingenden Notwendigkeit geworden. Die praktizierte wohnungszentristische Baupolitik führte zu einer spürbaren Verbesserung der konkreten Wohnbedingungen für einen Großteil der Bevölkerung und damit auch zu einer höheren Wohnungszufriedenheit, insbesondere in den Neubaugebieten. Sie hatte jedoch auch gleichzeitig eine verstärkte Unzufriedenheit mit den Wohnbedingungen des Umfeldes, des Wohngebietes und der Stadt zur Folge. Der massenhafte Wohnungsneubau in randstädtischen Gebieten mit einem relativ uniformen Wohnungstyp führte zu einer starken Nivellierung der Wohnbedingungen und damit partiell auch der Wohnwertorientierungen der Bürger. Soziale Folgen randstädtischer Neubausiedlungen, wie gravierend erhöhte Arbeits Wegezeit-Relationen und damit verbundene, volkswirtschaftlich oft nicht zu rechtfertigende, Fluktuation der Arbeitskräfte sowie einschneidende Begrenzungen der verfügbaren familialen oder individuellen Freizeit, schlechtere Versorgungsbedingungen, wie insgesamt Mängel in der Infrastruktur, die Konzentration junger Familien und damit die einseitige Ausprägung demographischer Einwohnerstrukturen mit den damit zu erwartenden Auswirkungen demographischer Wellen - das alles stand in dieser Zeit offensichtlich kaum im Kalkül städteplanerischer und wohnungspolitischer Arbeit. Die staatlich bzw. kommunal geregelte Wohnungspolitik nach sozialpolitischen Prämissen und Dringlichkeiten in der Versorgung und nach einheitlichen Vergabenormativen, die lediglich an der Haushaltsgröße orientiert waren und daraus die erforderliche Wohnungsgröße nach Anzahl der Räume ableiteten, führte einerseits zu stark egalisierten Wohnbedingungen im Sinne eines gesellschaftlich normierten Grundbedarfs im Wohnen, erzeugte andererseits aber langfristig zwangsläufig einen Mangel an Befriedigung existierender und bereits artikulierter gruppenspezifischer Wohnbedürfnisse. Das heißt, daß einerseits wesentliche sozialpolitische Ziele staatlicher Wohnungspolitik erfolgreich realisiert werden konnten. Dies betrifft vor allem die kurzfristige Versorgung kinderreicher Familien, junger Ehepaare, von Arbeiter- und insbesondere Schichtarbeiterhaushalten, die Bereitstellung von altengerechtem Wohnraum u.ä. Andererseits führte die politische bzw. sozialpolitische Dominanz in der Bestimmung und Rangfolge von Vergabegruppen dazu, daß der Möglichkeitsrahmen zur Befriedigung durchaus berechtigter spezifischer Wohnbedürfnisse bestimmter demographischer bzw. sozialstruktureller Nutzergruppen (z.B. nach Tätigkeits- und Qualifikationsmerkmalen) außerordentlich gering war. Haushaltsgerechte Versorgung, gemessen an dem Verhältnis von Personen und Räumen, war im Regelfall das familial bzw. individuell offiziell zu realisierende Maß. Das führte zwangsläufig oft zu Unzufriedenheit mit qualitativen Merkmalen des Wohnens. Umgekehrt wurde ein einmal erreich165
tes, relativ hohes Niveau in den Wohnbedingungen, und die praktizierte Mietpreispolitik machte dies möglich, unabhängig von sich reduzierenden Haushaltsgrößenstrukturen u.ä. konsequent erhalten. Das führte zwangsläufig zu einem hohen Anteil von unter- bzw. überbelegtem Wohnraum (jeweils etwa 10 %) und letztlich zu einem Mangel der gesamtstädtischen Wohnmobilität, die für effiziente Wohnraumbelegung unumgänglich ist. Insgesamt ist zu konstatieren, daß kommunale Wohnungspolitik in dem beschriebenen Zeitraum vorrangig von Wohnraumverteilung nach aktuellem Bedarf bestimmt war, daß tatsächliche Wohnraumlenkung im Sinne von sozial und ökonomisch effizienter Nutzung der vorhandenen Wohnungsfonds, nicht zuletzt auch durch einen unzureichenden kommunalen Handlungsspielraum bedingt, noch zu wenig Arbeitsprinzip war und daß die wohnungspolitische Strategie zu stark baupolitisch determiniert wurde. Unbestreitbar bleibt für die 70er und 80er Jahre eine wesentliche Verbesserung der wohnungspolitischen Situation im Lande, die vorrangig dem in wesentlichen Teilen realisierten Wohnungsbauprogramm geschuldet ist. Letzteres war jedoch, wie bereits erwähnt, nur zu Lasten anderer volkswirtschaftlicher Bereiche möglich. Die im Herbst 1989 einsetzenden gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen in der ehemaligen DDR und der vollzogene Übergang zur sozialen Marktwirtschaft haben zwangsläufig eine neue Qualität von Wohnungspolitik zur Folge. Dazu einige noch etwas hypothetische Grundüberlegungen: Die Wohnungspolitik der 90er Jahre ist eine Wohnungspolitik im Spannungsfeld zwischen Staat, Kommune und Markt. Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft kann aber keinesfalls die generelle Ablösung staatlicher bzw. kommunaler Wohnungspolitik durch den sogenannten freien Wohnungsmarkt sein. Auch unter den Bedingungen einer sozialen Marktwirtschaft sollte und muß die grundsätzliche Bereitstellung von Wohnraum im Sinne von Grundbedarfsdekkung ein sozialer, ein gesellschaftlicher Auftrag bleiben. Nur so ist das nach der UNO-Erklärung von 1948 definierte Menschenrecht Wohnen zu garantieren. Ein Recht, das auch mit jeder Länderverfassung gesichert werden sollte! Dies erfordert jedoch eine staatliche bzw. kommunale Bereitstellung von gesellschaftlich notwendigem und akzeptiertem Wohnraum nach normierten Mindestwerten, also sozialen Wohnungsbau und gleichzeitig eine kommunale Wohnungspolitik, die nach sozialen bzw. sozialpolitischen Prämissen und Dringlichkeiten in Vergabe und Reihenfolge das existenzielle Grundbedürfnis Wohnen befriedigt. Voraussetzung dafür ist jedoch die konsequente Übernahme der staatlichen Wohnungsfonds in kommunales Eigentum und damit in die alleinige Verfügbarkeit der Kommunen. Grundrecht auf Wohnraum impliziert gleichzeitig eine notwendigerweise staatlich bzw. kommunal geregelte und kontrollierte, sozial verträgliche Mietpreispolitik. Das einer eindeutig politischen bzw. sozialpolitischen Bestimmtheit folgende Mietpreismodell der ehemaligen D D R war zwar sozial ausgesprochen verträg166
lieh, aber zu undifferenziert hinsichtlich der, Bewertung der konkreten Wohnbedingungen. Außerdem erzeugte es wohnungspolitische Fehlbelegung, verhinderte notwendige Mobilitätsprozesse im Wohnen und ist vor allem aus ökonomischer Sicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Eine zu konzipierende Mietpreisreform sollte einerseits soziale Gleichheit im zu definierenden Grundbedarf sichern, das heißt, daß z.B. die etwa 70 Quadratmeter große Drei-Raum-Sozialwohnung für jeden Drei-Personen-Haushalt zu einem erschwinglichen Mietpreis zu erhalten ist. Das bedingt Subventionen. Andererseits sollte eine Neufestlegung von Mieten zugleich wesentlich stärkere Differenzierungen nach Haushaltsbzw. Familien- und Einkommensverhältnissen, nach wohnungskonkreten Voraussetzungen (Größe, Ausstattung, Bauzustand, Lage), nach den wirklichen Nutzungsverhältnissen, nach erbrachten finanziellen und materiellen Leistungen und ähnlichem hervorbringen. Letztlich sollten also neue Mieten den Gebrauchswert einer Wohnung widerspiegeln, im Durchschnitt an den laufenden Bewirtschaftungs- und Instandhaltungskosten orientiert sein, eine sozial effizientere Nutzung stimulieren und die soziale Lage der Bewohner berücksichtigen. Eine sozial verträgliche Mietpreisreform sollte auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht Gewinnorientierung, sondern Gemeinnützigkeit in den Vordergrund stellen. Das setzt sozialstaatliche Regulative, Förderungsmittel für den Wohnungsbau, Mechanismen einer Nonprofit-Wohnungswirtschaft u.ä. voraus. Ein letzter Aspekt: Mietpreisreformen sind ein politisch äußerst sensibler Bereich. Niedrige Mieten werden nach wie vor als ein grundlegender sozialer Wert empfunden. Deshalb bedarf eine grundsätzliche Mietpreisreform einer komplexen Herangehensweise in bezug auf die Entwicklung der Einkommensund Preispolitik überhaupt, einer konsequenten Öffentlichkeitsarbeit und sicher auch eines notwendigen Stufenprogramms. Vor allem bedarf dies aber auch des Beweises tatsächlich ökonomisch und sozial höherer Wirksamkeit der Maßnahmen sowie der öffentlichen Diskussion verschiedener Modelle. Eine neue Mietpreispolitik bringt nicht automatisch sozial gerechtere, effizientere Nutzungsverhältnisse hervor. Hinsichtlich des öffentlich so vielzitierten unterbelegten Wohnraumes zum Beispiel könnte das bedeuten, daß dieser lediglich sozial umverteilt, aber keinesfalls reduziert würde. Eine wesentlich stärkere soziale Segregation wäre auf alle Fälle die unabdingbare Folge einer unangemessenen Mietpreissteigerung. Deshalb sollte durch eine sozialverträgliche, kommunale Mietpreispolitik der Konzentration der sozial Schwachen in bestimmten städtischen Gebieten (z.B. in randstädtischen Neubausiedlungen) weitgehend entgegengewirkt werden. Wenn über den sozialen Wohnungsbau kommunale Grundbedarfsdeckung im Wohnen erfolgen soll und dafür vorrangig Wohnungsfonds aus dem bisherigen staatlichen und nun kommunalen Eigentum vorzusehen wären, bleibt die Frage nach erweiterten gruppenspezifischen und individuellen Wohnbedürfnissen und deren Befriedigung. Dies könnte u.a. zu einem spezifischen Feld eines zu verstärkenden und in den veschiedenen Varianten von Bauen, Nutzen und Bewirtschaf167
ten zu realisierenden genossenschaftlichen Wohnungsbaus werden. Bereits jetzt ist etwa jede sechste Wohnung in genossenschaftlichem Eigentum und sollte dies auch bleiben. Generell geht es darum, dem genossenschaftlichen Sektor im Wohnen wieder einen höheren Stellenwert zu geben und ihm tatsächlich eine neue Attraktivität zu verleihen. Das könnte zum Beispiel heißen, daß neben Betrieben und Einrichtungen, wie es bei den bisherigen Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften der Fall war, künftig vor allem auch Mietergemeinschaften verschiedenster Ausprägung als Träger von Genossenschaften in Frage kämen, daß damit auch verstärkt bisher kommunal bewirtschaftete Altbausubstanz in genossenschaftliche Nutzung und Bewirtschaftung übergehen sollte, daß wesentlich erweiterte und veränderte Wohnformen und Wohnungstypen geschaffen werden, daß kurzfristige und bedürfnisgerechte Vergabe und Vielfalt in den Nutzungsmöglichkeiten zu garantieren wäre, daß wieder attraktivere, innerstädtische Neubaustandorte in Frage kämen, daß Vererbbarkeit und Weitergabe der Wohnungen an Familienmitglieder möglich würde, daß ein Wohnungstausch unbürokratisch zu realisieren wäre, daß weitgehend Mietpreisbindung zur Regel würde und vor allem, daß tatsächliche Mieterbeteiligungen an der Gestaltung der konkreten Wohnbedingungen von Anfang an möglich wäre. Das alles erfordert jedoch einen höheren Grad finanzieller und/oder materieller Beteiligung der Mieter am Bauen, Erhalten und an der Nutzung, die dazu notwendigen neuen und veränderten gesetzlichen Regelungen und Finanzierungsmodelle und vor allem bedingt das wohnungspolitische (auch wenn nicht finanzielle) Selbständigsein der Genossenschaften. Das heißt im einzelnen: Die etwa 800 gemeinnützigen und Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften des Landes, die mehr als eine Million Wohnungen bewirtschaften, würden durch eine Vielzahl kleinerer Genossenschaften ergänzt, die sich aus den verschiedensten Nutzungsgemeinschaften rekrutieren. So entstehende Selbsthilfemodelle, die vor allem auf die Sanierung bzw. Modernisierung und Wiedergewinnung von Wohnraum orientiert sind, sollten durch den Dachverband der Wohnungsgenossenschaften, durch kommunal zu schaffende Beratungsstellen und durch die Verfügbarkeit staatlicher und kommunaler finanzieller Mittel unterstützt werden. Die gegenwärtig existierenden genossenschaftlichen Wohnfonds, die nach Wohnungstyp und Ausstattung auch nur das Niveau von sozialem Wohnungsbau haben, würden dann an Attraktivität gewinnen, wenn sie bedürfnisgerecht und damit über dem Niveau kommunal definierter Vergabenormative von Sozialwohnungen genutzt werden können. Das schließt entsprechende Mietpreisregulierung ein. Gruppenspezifische und individuelle Wohnbedürfnisse, die nach soziologischen Untersuchungen, vor allem durch Alter, Lebens- und Familienzyklus, Tätigkeit und Qualifikation, bestimmt werden und die bisher viel zu wenig im Kalkül des Wohnungsbaus und der Wohnungspolitik standen, sollten den Neubau und die Gestaltung genossenschaftlicher Wohnungsfonds entscheidend beeinflussen. Das heißt, daß dann ein breites Spektrum von Wohnformen den Nutzergruppen zur Verfügung stünde. Das schließt ein, daß sich das Bauwesen mit Angebots- und 168
Technologievielfalt auf diese Forderungen einstellt und die Genossenschaften tatsächliche Auftraggeberfunktion wahrnehmen. Ein veränderter Typ von genossenschaftlichem Wohnen, eine weitere Erhöhung des individuellen Eigenheimbaus und der Verkauf von volkseigenen Einund Zweifamilienhäusern, die bisher kommunal bewirtschaftet wurden, ein andauernder kommunaler Wohnungsbestand, das alles könnten mögliche Alternativen gegenüber den gegenwärtig vieldiskutierten und geforderten Eigentumswohnungen sein und damit die Wohnung als Spekulationsobjekt wesentlich ausschließen. Es ist schwer einsehbar, warum die Eigentumswohnung gegenwärtig so sehr als „Königsweg" diskutiert wird. Den Vorteilen von persönlicher bzw. familialer Verfügbarkeit, von Schutz gegenüber Mietpreisspekulationen und anderem mehr steht eine Menge offener Fragen entgegen. Die staatliche Wohnraumversorgung ist ein Bereich, in dem die ehemalige DDR im internationalen Vergleich tatsächlich soziale Werte aufzuweisen hatte. Damit ist möglicherweise auch ein relativ interner politischer Spielraum für ihre Bewahrung gegeben. Weitreichende Mieterrechte und soziale Sicherheit im Wohnen, unabhängig vom Einkommen, eine relativ geringe soziale Schichtung in den Nutzungsverhältnissen und Gemeinnützigkeit von Wohnungspolitik, das alles sind über Jahrzehnte gemachte und verinnerlichte soziale Erfahrungen. Deshalb wird es für einen Großteil der Bürger kaum einsichtig sein, warum sie die bisher mit niedrigen Mieten genutzte Wohnung, die ohnehin im Vergleich mit entwickelten kapitalistischen Ländern oft nur einem Mindestniveau entspricht, kaufen und sich damit im Regelfall über einen langen Zeitraum finanziell verschulden sollen. Sicherheit im Wohnen würde so oft verbunden sein mit längerfristiger finanzieller Verunsicherung, zumindest aber mit bisher nicht gekannten finanziellen Belastungen der Haushalte für das Wohnen. Im Kalkül zentraler oder kommunaler Entscheidungen zum Verkauf von Wohnungen sollte nicht so sehr der damit verbundene Gewinn finanzieller Mittel und die Entlastung der kommunalen Bewirtschaftung von Wohnungsfonds stehen, sondern vielmehr die damit verbundenen, absehbaren sozialen Folgen. Dies wären, neben den bereits dargestellten, vor allem Prozesse sozialer Segregation im Sinne einer möglichen Verdrängung sozial Schwacher aus innerstädtischen Bereichen in periphere Neubaustandorte und umgekehrt der Konzentration hoher Einkommensgruppen in attraktiven Wohnbereichen. Unter den sich gegenwärtig vollziehenden und absehbaren gesellschaftlichen Veränderungen könnte dies z.B. für Berlin starke Umwälzungen von Einwohnerstrukturen in gesamtstädtischer Sicht bedeuten. Wenn auch nicht generell die Möglichkeit des Erwerbs von Eigentumswohnungen längerfristig auszuschließen ist und dies bereits gegenwärtig für bestimmte Sonderwohnformen in großstädtischen Zentrumsbereichen denkbar und kommunal attraktiv erscheint, sollte doch diese Nutzungs- und Aneignungsform von Wohnraum nicht zum dominanten Regelfall, sondern vielmehr zur kommunal begründeten und individuell gewünschten Ausnahme werden. Wenn über künftige Wohnungspolitik als Strategie und als kommunalpoliti169
scher Prozeß zu sprechen ist, dann ist jedoch auch nach neuen Strukturen von Verantwortlichkeit und Kompetenz, von Öffentlichkeit und Nutzerpartizipation sowie nach Handlungsspielräumen und Interessen zu fragen. Zu neuen Strukturen hat vor allem die anstehende Verwaltungsreform und die zu konzipierende kommunale Selbstverwaltung Bündiges zu leisten. Auf dem Territorium der ehemaligen DDR hat die Wohnungspolitik als sozialstrategische Aufgabe mit ihrer sozialpolitischen Orientierung eine Tradition, die jetzt über geeignete neue Strukturen und Handlungsmechanismen in einen effektiveren kommunalpolitischen Prozeß eingebracht werden sollte. Gleich wie sich Verwaltungs- und Kommunalwissenschaftler sowie Kommunalpolitiker innerhalb der gegenwärtig diskutierten Modelle entscheiden werden und wie die einzelnen kommunalen Fachbereiche heißen mögen, geht es doch darum, Wohnungspolitik als strategisches Konzept in der Kommunalpolitik zu verwirklichen. Denkbar wäre als eine der möglichen Varianten, z.B. ein Ratsbereich „Komplexe Stadtentwicklung", der nach sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen, kulturellen und baulich-räumlichen Strategien kommunale Entwicklungsplanung zu verantworten hätte. Wenn die Reproduktion des Wohnungsbestandes eine strategische, planerische und auftraggeberische Funktion dieses Bereiches wäre, käme dem künftigen Kommunalen Wohnungsamt dann vorrangig die Funktion von Lenkung, das heißt von Erfassung, Verteilung und Auslastung des Wohnraumes, zu. Und die Bewirtschaftung bzw. Verwaltung wäre, je nach Eigentumsform, Aufgabe kommunaler, gemeinnützig orientierter Einrichtungen, die von Genossenschaften, privaten Eigentümern u.a. Eine veränderte Wohnungspolitik bedarf jedoch auch einer neuen Qualität von kommunaler Demokratie und Stadtöffentlichkeit. In der letzten Zeit entstanden und entstehen, einem neuen Demokratieverständnis folgend und begründet in gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen sowie in veränderten Notwendigkeiten von Interessenvertretung und Bürgerpartizipation, eine Reihe von Initiativen, Interessengruppen und Verbänden. Dabei geht das Spektrum vom Mieterbund über einen Dachverband der Wohnungsgenossenschaften bzw. der Wohnungswirtschaftsbetriebe bis zu Bürger-Komitees und -Initiativen, die sich ganz konkret in die gegenwärtige und künftige Gestaltung und Nutzung ihres engeren Wohnbereiches oder des Wohngebietes „einmischen" und ihre Forderungen gegenüber den verantwortlichen Kommunalpolitikern, Planern und Baubetrieben massiv artikulieren. Das führte teilweise zu Verunsicherungen und auch zu vorübergehender Handlungsunfähigkeit der Verantwortlichen von örtlichen Organen, Baubetrieben usw. Allemal wurde in dieser Etappe jedoch deutlich, daß hier einerseits Bürger ihren neuen Handlungsspielraum tatsächlich auch ausreizen und sich die notwendige Kompetenz erarbeiten bzw. kompetente Fachkräfte in diesen Prozeß einbeziehen, daß sich sehr schnell eine neue Qualität sozialer Aktivität konstituierte. Andererseits wurde klar, daß Kommunalpolitiker lernen müssen, sich dieser demokratischen Mitwirkung und konsequenten Interessenartikulation zu stellen und dabei nicht nur Konsens zu finden, sondern 170
sich auch auf eine neue Weise als Sachverwalter von Bürgerinteressen zu verstehen. Dringlichste Voraussetzungen für dieses notwendige Miteinander von Kommune und Bürger sind Akzeptanz, Sachkompetenz, die Überwindung beiderseits vorhandener Informationsdefizite und vor allem eine stärkere analytische Arbeit der kommunalpolitischen Organe zum städtischen Bedingungsgefüge von Wohnen und den daraus entstehenden kommunalen Anforderungen sowie zu den tatsächlichen Interessen- und Bedürfnisstrukturen der Bürger bezogen auf Stadt, Wohngebiet, engeren Wohnbereich und Wohnung. Insgesamt ist abschließend zu konstatieren: Kommunale Wohnungspolitik kann künftig keinesfalls mehr vorrangig operative Alltagspolitik im Sinne von Sicherung des Grundbedarfs im Lebensbereich Wohnen sein, sondern muß vielmehr zu einer gesamt- und teilstädtischen, langfristigen Strategie werden, mittels derer über den kommunalen Wohnungsbestand soziale Grundbedürfnisse befriedigt werden, jedoch gleichzeitig auch größere Vielfalt im Wohnen möglich wird. Dies bedeutet aber auch, daß die bisher vorrangig wohnungszentristische Baupolitik abgelöst werden muß durch eine solche, die sich tatsächlich an Erfordernissen von komplexer Stadtentwicklung und -gestaltung orientiert.
Ulfert Herlyn Die Bewohner im Wandel der Stadterneuerung
Die Stadterhaltung und Stadterneuerung, die trotz aller Teilerfolge in der Vergangenheit eine der großen Zukunftsaufgaben für die Städte in der ehemaligen DDR sein wird, erfordert die möglichst weitgehende Beteiligung der Bewohner. Bei der Einlösung des Mitspracherechts der Bewohner als vor allem vom Umbau der Städte Betroffenen erscheint es sinnvoll, einen Rückblick auf die Rolle zu werfen, die die Betroffenen in der Stadterneuerung der Bundesrepublik der letzten Jahrzehnte gespielt haben. Generell muß es zu denken geben, daß in der Geschichte der Stadterneuerung der Widerstand gegen einzelne Maßnahmen gerade und ausgerechnet von jenen ausgegangen ist, denen die Städteplaner vermeintlich helfen wollten. Alles in allem war man allzusehr auf bauliche Zustände und städtebauliche Zusammenhänge fixiert, als es um die Stadterneuerung ging; die sozialen Verhältnisse unter den Bewohnern wurden nicht nur nicht erneuert, sondern oft genug auch zerstört. Die Stadterneuerung als eine „Daueraufgabe ohne Dauerlösung" (Zlonicky) hat in den letzten 25 Jahren einen ungeahnten Formwandel erfahren, und mit dem Wandel ihrer Erscheinungsformen hat sich in charakteristischer Weise die Rolle der Bewohner verändert, die sie spielen mußten, sollten oder konnten. Die Reichweite ihrer Reaktionen geht von Trauer und Wut auf der einen bis hin zu Befreiung und Glück auf der anderen Seite. Unter diesem Gesichtspunkt der Rolle der Bewohner läßt sich die Stadterneuerung ganz grob in drei Hauptphasen gliedern: I. Phase (60er Jahre) Politische Apathie: Die Bewohner als Opfer der Flächensanierung. II. Phase (70er Jahre) Wagnis Demokratie: Die Bewohner in der Partizipation. III. Phase (80er Jahre) Renaissance der politischen Beruhigung: Individualisierende Erneuerungsstrategien. Wenn ich jetzt die drei unterschiedlichen Phasen der Rolle der Bewohner bei Stadterneuerungsmaßnahmen erörtere, so werde ich immer auch auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die politischen Strukturen in den jeweiligen Zeiträumen, kurz eingehen, denn die allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse prägen nicht nur die Stadterneuerungsstrategien und -praktiken, sondern auch das Bewußtsein der Bewohner und ihr politisches Selbstverständnis. 172
I. Politische Apathie: Die Bewohner als Opfer (60er Jahre) Nach dem Wiederaufbau in der unmittelbaren Nachkriegszeit gerieten in den 60er Jahren die überkommenen Stadtstrukturen immer mehr in Widerspruch zu Prozessen einer Tertiärisierung, in deren Verlauf sich die City-Funktionen unerwartet schnell in die benachbarten innenstadtnahen Altbauquartiere ausdehnten. Stadterneuerungsmaßnahmen hatten die zentrale Funktion, durch bessere Nutzungserschließung, Nutzungsaufwertung und Nutzungsintensivierung in standortgünstigen Quartieren bessere Voraussetzungen für Kapitalverwertungsprozesse zu eröffnen und zugleich selbst als Akkumulationsprozeß, insbesondere für die Bauwirtschaft, zu dienen. In jenen Jahren begannen die ungeheuren sog. Flächensanierungen, in deren Verlauf ganze Stadtviertel abgerissen und neu wieder aufgebaut wurden. Es waren nach Auskunft leitender Verwaltungsbeamter in Nordrhein-Westfalen quasi Säuberungsaktionen größten Umfangs, bei denen rigoros und weitgehend bedenkenlos der Bagger eingesetzt wurde. Als eines der bekannten Beispiele sei auf den bau- und sozialstrukturellen Wandel im Wedding verwiesen. Aus der heutigen Perspektive stellen sich die 60er Jahre als der harte Kern eines Modernisierungsschubs dar, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfaßt und tief durchdrungen hat. Wirtschaftswachstum war das oberste und bis in die späten 60er Jahre kaum in Frage gestellte Ziel, dem hohe Priorität zukam und das von einem ungebrochenen Fortschrittsglauben begleitet wurde. Das ökonomische Wachstumsstreben und eine es stützende ungebrochene Leistungsideologie forderte von allen Teilsystemen der Gesellschaft einen entsprechenden Beitrag in Form einer Rationalisierung und Effektivierung sozialer Ressourcen, die den gesellschaftlichen Modernisierungsprozeß möglichst konfliktarm vorantreiben sollten. Im Bereich des Städtebaus war diese Strategie damals die rigorose Flächensanierung. Sie war nicht durchführbar ohne umfangreiche Umsiedlungsaktionen der Bewohner in andere, zumeist neu erbaute Wohnsiedlungen am Stadtrand. Um auf das Beispiel des Wedding zurückzukommen, wurde korrespondierend damit die neue Großsiedlung der Gropiusstadt erbaut. Die Wirkung der erzwungenen Umsiedlung von Tausenden von Bewohnern im Rahmen von Sanierungsprozessen in neue Wohnungen und oft genug neue Wohnviertel hat wohl keiner eindringlicher beschrieben als M. Fried in seinem bekannten Aufsatz „Trauer um ein verlorenes Zuhause": „Die Trauer zeigt sich in dem Gefühl schmerzlichen Verlustes, fortwährenden Verlangens, generell depressiver Gestimmtheit, häufigen Symptomen psychischen, sozialen und körperlichen Leidens, in der Anstrengung, die nötig ist zur Anpassung an die veränderte Situation, in dem Gefühl der Hilflosigkeit, im gelegentlichen Ausdruck offener wie verdrängter Angst und in Neigungen, den verlorenen Platz zu idealisieren" (Fried 1971)1. 1
Das Literaturverzeichnis befindet sich auf S. 184 f.
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Vor dem Hintergrund einer weitverbreiteten politischen Apathie der Bevölkerung, die man z.T. als Folge der „Ohne mich"-Haltung nach dem Kriege interpretieren kann bzw. als Teil einer konservativ orientierten Rekonstruktion der Bundesrepublik fand eine politische Teilnahme bzw. Mitwirkung, von Mitbestimmung ganz zu schweigen, bei der Stadterneuerung praktisch nicht statt. Verbreitet waren vor allem die positiven Hoffnungen, die sich an eine neue Wohnung knüpften, denn in den Metropolen herrschte in den 60er Jahren noch eine große Wohnungsnot. So hatte München in der ersten Hälfte der 60er Jahre pro Jahr etwa 100 000 Zuzüge. Erst allmählich regte sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre Widerstand gegen die menschenverachtenden Formen von kollektiven Zwangsumsetzungen der Bewohner im Rahmen von Flächensanierungen. Das unpolitische Bewußtsein endete jäh, als mit der ersten ökonomischen Rezession, politisch der Bildung der ,Großen Koalition' und vor allem der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre herkömmliche obrigkeitsstaatliche Orientierungen an prägender Kraft verloren.
II. Wagnis Demokratie: Die Bewohner in der Partizipation Der Vorsatz von Willy Brandt in der Regierungserklärung von 1969 „Mehr Demokratie wagen" bedeutete eine Weichenstellung für verschiedenste gesellschaftliche Bereiche und war nicht zuletzt auch ein Signal für die Art und Weise der Stadterneuerung. Anstelle der Leitidee des Wirtschaftswachstums verbreitete sich nun das Verlangen nach mehr Lebensqualität als Zeichen für eine kritischere Haltung vieler Bürger gegenüber ökonomischen Rentabilitätskalkülen als vorherrschender Wertorientierung. Im Bereich der Städte und Gemeinden hatte sich nun die Bürgerinitiativbewegung formiert, die in den verschiedensten lokalen Konfliktfeldern, wie Stadtteil, Schule, Obdachlosigkeit, Verkehr usw., versuchte, die Bedürfnisse und Interessen der von planungspolitischen Maßnahmen Betroffenen unmittelbar ohne den langwierigen und oft genug aussichtslosen Instanzenweg der politischen Parteien, vor allem gegenüber den Verwaltungen, zu artikulieren. Erinnert sei hier nur an solch spektakuläre Aktionen, wie der berühmte Verkehrsstreik „Roter Punkt" vom Sommer 1969 oder an die ersten Hausbesetzungen im Bürgerviertel des Frankfurter Westends oder die „Frauenaktion 70" gegen den § 218 in Frankfurt oder die Basisinitiativen von Mietern im Märkischen Viertel Berlin. Im Bereich der Stadterneuerung kommt der Bewohnerbeteiligung mit dem Städtebauföiderungsgesetz von 1971 eine entscheidende Bedeutung zu, indem im Rahmen der dort verankerten Sozialplanung die Beteiligung der Bewohner an der Planung abgesichert wurde. Darauf zielen im besonderen § 4 (die vorbereitenden Untersuchungen im Hinblick auf zu erwartende Nachteile für die unmittelbar Betroffenen einschließlich der so wichtigen „Grundsätze für den Sozialplan") und § 8 (Festlegung der Erörterungen mit den unmittelbar Betroffenen in 174
einem Sozialplan) und § 9 (Erörterung der Neugestaltung des Sanierungsgebietes) ab. 2 Die Bestimmungen zu einem Sozialplan sind damals auf Anregung des Göttinger Soziologen H. P. Bahrdt in das Gesetz aufgenommen worden. Er hatte unter anderem neben dem üblichen Bebauungsplan einen Sozialplan gefordert, „der nicht nur eine Vorstellung von der zukünftigen ökonomischen und sozialen Struktur des erneuerten Gebietes beinhaltet, der auch nicht nur die Chancen zur Verwirklichung dieser Vorstellungen beurteilt und die Phasen der Überleitung beschreibt, sondern sich auch des Schicksals derer annimmt, die durch Sanierungsmaßnahmen ohne Schuld in Not und Verlegenheit geraten" (H. P. Bahrdt 1970, S. 12). Der Sozialplan wurde — wie B. Schäfers zu Recht bemerkt — „zum entscheidenden Angelpunkt der Partizipation im Städtebauförderungsgesetz", 2
Die entsprechenden normativen Regelungen sind in den folgenden Paragraphen des Städtebauförderungsgesetzes enthalten: § 4: Vorbereitende Untersuchungen und Stellungnahmen (1) Die Gemeinde hat vor der förmlichen Festlegung eines Sanierungsgebietes die vorbereitenden Untersuchungen durchzuführen oder zu veranlassen, die erforderlich sind, um Beurteilungsunterlagen zu gewinnen über die Notwendigkeit der Sanierung, die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse und Zusammenhänge sowie die Möglichkeiten der Planung und Durchführung der Sanierung. Sie soll dabei auch die Einstellung und Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer, Mieter, Pächter und anderen Nutzungsberechtigten im Untersuchungsbereich zu der beabsichtigten Sanierung ermitteln sowie Vorschläge hierzu entgegennehmen. (2) Die vorbereitenden Untersuchungen sollen sich auch auf nachteilige Auswirkungen erstrecken, die sich für die von der beabsichtigten Sanierung unmittelbar Betroffenen in ihren persönlichen Lebensumständen, im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich voraussichtlich ergeben werden. Die Gemeinde soll, sobald dies nach dem Stand der Vorbereitung der Sanierung möglich ist, Vorstellungen entwickeln und mit den Betroffenen erörtern, wie nachteilige Auswirkungen möglichst vermieden oder gemildert werden können (Grundsätze für den Sozialplan nach § 8). Das Ergebnis ist in den Bericht über die vorbereitenden Untersuchungen aufzunehmen. § 8: Aufgaben der Gemeinde (2) Die Gemeinde soll während der Dauer der Durchführung der Sanierung die Erörterungen mit den unmittelbar Betroffenen fortsetzen und dabei namentlich Berufs-, Erwerbs- und Familienverhältnisse, Lebensalter, Wohnbedürfnisse, soziale Verflechtungen sowie örtliche Bindungen und Abhängigkeiten der Betroffenen berücksichtigen. Das Ergebnis ist schriftlich festzulegen (Sozialplan). Der Sozialplan ist laufend zu ergänzen. Die Gemeinde soll den Betroffenen bei ihren eigenen Bemühungen, nachteilige Auswirkungen zu vermeiden oder zu mildern helfen, insbesondere beim Wohnungswechsel und beim Umzug von Betrieben; auf die Arbeits- und Berufsförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz vom 25. Juni 1969 (Bundesgesetzbl. I, S. 592) ist hinzuweisen. § 9: Erörterung der Neugestaltung des Sanierungsgebiets (1) Die Gemeinde soll mit den Eigentümern der im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke, soweit sie bekannt oder aus dem Grundbuch ersichtlich sind, den Mietern, Pächtern und anderen Nutzungsberechtigten oder deren Beauftragten möglichst frühzeitig die beabsichtigte Neugestaltung des Sanierungsgebiets und die Möglichkeiten ihrer Beteiligung an der Durchführung der Sanierung erörtern. Sie soll auch den Arbeitnehmern der Betriebe im Sanierungsgebiet Gelegenheit geben, sich zur Neugestaltung des Sanierungsgebiets zu äußern.
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indem er die an der Stadterneuerung beteiligten Gruppen zu einer Auseinandersetzung über ihre sozialen Belange zwingt und ferner, indem die „vorbereitenden Untersuchungen" einschließlich der „Grundsätze für den Sozialplan" die sozialen Lebensumstände offenlegen. Die vorbereitenden Untersuchungen einschließlich der „Grundsätze fiir den Sozialplan" wurden daher auch zunächst sehr positiv bewertet insofern, als sie Licht in das Dunkel der in Frage stehenden Gebiete werfen und die sozialen Auswirkungen kontrollieren sollten. Auslegungsrichtungen des Sozialplans ließen sich unterscheiden: ein technologisches Konzept (karitative Maßnahme und individualisierende Strategie), ein kompensatorisch-instrumentelles Konzept (Wahrung des Besitzstandes der Betroffenen) und ein konfliktorientiert-partizipatorisches Konzept (besonders Stellung der Grundsätze für den Sozialplan); vgl. Herlyn 1975; Körte 1986. Eine kritische Untersuchung von vielen „Vorbereitenden Untersuchungen" kam jedoch nach acht Jahren angewandten Städtebauförderungsgesetzes zu dem ernüchternden Fazit, daß sich „die Beteiligungschancen an der Planung nicht maßgeblich erhöhten", vor allem deshalb, weil die Untersuchungen in der Regel methodisch mangelhaft waren und eben nicht die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen ermittelt haben (Jessen/Siebel 1979, S. 247). Vor allem wirkten sich jedoch die einschneidenden Sanierungsmaßnahmen selbst zur Zeit der politischen Aufbruchstimmung mobilisierend auf die sich rasch vermehrenden Bürgerinitiativen aus. Man kann vergröbernd formulieren, daß sich parallel zur Radikalität der Sanierungen in den Initiativen der Betroffenen eine Gegenmacht bildete, die schließlich neben anderen Faktoren zu einem allmählichen Ende des Typus der Flächen- bzw. Kahlschlagsanierung führte. Diese hatte für die zwangsumgesetzten Mieter ökonomische, soziale und psychische Folgen, die — in Amerika von M. Fried treffend als „Trauer um ein verlorenes Zuhause" beschrieben — umfassend empirisch von W. Tessin und anderen in Berlin untersucht worden sind. Die Folgen des erzwungenen Wohnungswechsels als „sozial-planerisches Urproblem" jeder Sanierung (E Fehl) lassen sich danach folgendermaßen skizzieren: Mit dem positiv erwarteten Umzug in eine Neubausiedlung wurden die Familien nicht selten vor ökonomische wie psychosoziale Zerreißproben gestellt. In der ökonomischen Dimension waren mit dem Umzug in der Regel gravierende finanzielle Belastungen verbunden: allen voran die meist drastisch steigenden Mietbelastungen 3 , dann aber auch erhebliche Anschaffungskosten 4 für neue Möbel (Tessin u.a. 1983). Schließlich treten z.T. unerwartete Mehrbelastungen 3
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„Gut die Hälfte der Neubauumgesetzten erlebte Mietsteigerungen (inklusive Heizkosten) von über 200 DM, jeder Vierte von über 300 DM". Etwa 40 % betrachteten die gestiegene Miete für zu teuer (Tessin u.a. 1983, S. 120). Nach Tessin hatte ca. jeder 4. Betroffene Neuanschaffungskosten. Ungefähr ein Drittel gab sogar mehr als 5 000 DM aus (1983, S. 122). Deutlich ist die Abhängigkeit von Einkommen und Lebensalter insofern, als mit steigendem Einkommen und jüngerem Alter im Durchschnitt höhere Anschaffungskosten entstanden waren.
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bei den Raumüberwindungskosten und sonstigen Lebenshaltungskosten auf, die alle zusammen als „indirekte Lohnsenkungen" von Tessin interpretiert werden. Die vielfältigen Antworten zwangsumgesetzter Haushalte in Berlin auf die Herausforderungen gestiegener finanzieller Belastungen umfassen die Verringerung der Sparquote bei 46 %, Einsparungen größerer Art 31 %, Ratenkäufe, Kreditaufnahme, Mehrarbeit des Hauptverdieners bzw. Mitarbeit des Ehepartners und bei einem Viertel staatliche Unterstützungen (Tessin u.a. 1983, S. 129). Hinsichtlich der sozialen Bezüge wird in der Regel bei einem Umzug in ein Neubauviertel das gesamte nachbarschaftliche soziale Netzwerk ausgewechselt. An die Stelle zumeist eingeschliffener Verhaltensweisen und stabilisierten Normen zwischen Nachbarn tritt zunächst einmal die Aufgabe, ein neues Beziehungsgeflecht mit neuen Regeln des sozialen Kontakts aufzubauen. Auch wenn die Nachbarschaft in der modernen Stadt generell an Funktionen eingebüßt hat, so wird in der Regel der Verlust enger nachbarlicher Beziehungen ausdrücklich beklagt (Tessin u.a. 1983, S. 155ff.). Auch die für alltägliche Unterstützungsleistungen so bedeutsamen Verwandten und Bekannten bzw. Freunde (vgl. Diewald 1986) sind zunächst in dem neuen Viertel stark unterrepräsentiert, und so fehlt zwischen den Kernfamilien insgesamt der Kitt der sozialen Beziehungen weitgehend gerade zu einer Zeit, in der er mehr als in anderen Zeiten dringend von den umgezogenen Familien benötigt wird, die ohnehin in ihrem internen Beziehungsgefüge infolge der verschiedenen Rollenwechsel mannigfachen Konflikten ausgesetzt sind. Gegenüber dem Leben in den Herkunftsgebieten, in denen sich das soziale Netzwerk in der Regel besonders eng knüpfte und in ein über längere Seßhaftigkeit gewachsenes Milieu integriert war, wirkt die anfängliche Beziehungsarmut bei den zwangsumgesetzten Mietern wie ein Schock (vgl. Herlyn 1990, Kap. 9). Die enge Verstrickung von umzugsbedingter ökonomischer Benachteiligung und sozialen Streßfaktoren ließ die großen Hoffnungen bei Umzügen in der Regel schon bald zerplatzen wie eine Seifenblase: „Die moderne Wohnung wird, so paradox es klingt, zum Hindernis für den Start in ein modernes Leben, den sie doch gerade zu versprechen schien. Der Komfort entschwindet just in dem Augenblick, so man ihn erreicht zu haben glaubte. Schließlich arbeitet man bloß noch, um das Recht zu haben, dort zu wohnen, unter Verzicht auf alles andere" (Bourdieu. zit. nach Coing 1974, S. 210).
III. Die 80er Jahre: Renaissance der politischen Beruhigung: Individualisierende Emeuerungsstrategien In der Stadterneuerung vollzog sich in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine Tendenzwende von dem radikalen Stadtumbau der Flächensanierung hin zu mehr objektbezogener und erhaltender Erneuerung im vorhandenen Wohnungsbestand. Von den vielfältigen Gründen sei vor allem hingewiesen auf die krisen177
haften ökonomischen Entwicklungen, die zu einer Finanzknappheit der öffentlichen Hände führten. Hinzu kam die Tatsache, daß eine Überproduktion an Neubauwohnungen im Zusammenhang mit den Folgen eines drastisch veränderten regenerativen Verhaltens der Bevölkerung (Halbierung der Kinderzahl zwischen 1965 und 1976) zu regional spezifischen Überangeboten an Wohnungen führte. Außerdem gab es neben erheblichen Durchführungskosten und -zeiten politische Durchsetzungsprobleme, die auf den nicht unbeträchtlichen Widerstand der Sanierungsbetroffenen zurückgeführt werden mußten. 5 Diese, sich aus verschiedenen Quellen speisende Umorientierung der Stadterneuerung in der zweiten Hälfte der 70er Jahre hat eine ungewöhnliche Deversifizierung verschiedener Formen zur Folge, die sich nach ihrer Mittelwahl, der Vorgehensweise sowie der sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Auswirkungen gegeneinander abgrenzen. So unterscheidet Kujath fünf für die bundesdeutsche Stadterneuerungspolitik charakteristische administrative Handlungsvarianten: „(a) Modernisierungs- und Instandsetzungsförderung ohne unmittelbaren Gebietsbezug, (b) Wohnumfeldverbesserungen auf öffentlichen Flächen, (c) Strukturerhaltende behutsame Stadterneuerung, (d) Strukturverändernde Stadterneuerung (Sanierung), (e) Befristete Instandsetzung und Modernisierung abgewohnter Wohnquartiere" (Kujath 1986, S. 193ff.). In Anbetracht des knappen zur Verfügung stehenden Raumes werde ich unter dem Gesichtspunkt der Rolle, welche die Bewohner spielen, grob zusammenfassend 1) Die Stadterneuerung nach Städtebauförderungsgesetz, 2) Die Stadterneuerung mittlerer Intensität und 3) Die sog. weichen Förderungsmaßnahmen der Modernisierung unterscheiden, obwohl sie eng zusammengehören.
ad 1) Stadterneuerung nach Städtebauförderungsgesetz Wie gesagt, gibt es innerhalb der Stadterneuerungsverfahren in den 80er Jahren einen deutlichen Wandel zu Strategien einer Erhaltenen Erneuerung, bei der vorhandene Baustrukturen im wesentlichen erhalten bleiben. Aus einer Untersuchung des Instituts für Urbanistik im Auftrage des Bundesbauministeriums geht hervor, daß nur in jeder fünften Sanierungsgemeinde ausschließlich „durchgreifende Erneuerung" und/oder „Abriß und weitgehende Neuordnung" betrieben s Vgl. zu den Gründen des Wandels K. Seile 1986, S. 106f.; Autzen/Becker 1986, S. 58. „Es ... setzt sich ... zunehmend die Erkenntnis durch, daß sich mit Sanierungsgebieten nach dem Städtebauförderungsgesetz allein der ,Problemstau' in den Altbauquartieren nicht auflösen läßt. In dem Maße, wie die Modernisierung der Wohnungen und Gebäude in den Mittelpunkt staatlicher Wohnungspolitik und -förderung rückt, wird von der kommunalen Planungspraxis in der Koordinierung von Modernisierung und Wohnumfeldverbesserung eine notwendige Ergänzung zu dem auf wenige städtische ,Inseln' beschränkten Erneuerungsmöglichkeiten nach dem Städtebauförderungsgesetz gesehen" (BT-Drucksache 8/2085, Antwort der Bundesregierung zur Städtebaupolitik vom 06.09.1978, S. 10).
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worden sind (Autzen/Becker 1986, S. 59). Diese inhaltliche Umorientierung der Sanierungszielsetzung kommt auch darin zum Ausdruck, daß „für gut die Hälfte der Sanierungsgebiete im Laufe des Verfahrens die ursprünglichen Maßnahmeschwerpunkte verändert worden sind" (Autzen/Becker, S. 12). Eine wichtige Konsequenz dieser „konservativen" Erneuerungsstrategie ist die tendenzielle Abnahme von kollektiven Bevölkerungsumsetzungen in andere Stadtgebiete. Fast wie ein Experiment kann hier zurückgegriffen werden auf einen Vergleich der im Berliner Wedding praktizierten Flächensanierung und die stärker auf Modernisierung ausgerichtete Sanierung in Charlottenburg. „Im Wedding ... sind die Verdrängungseffekte am deutlichsten. Die Bevölkerung ist hier seit 1970 um fast 50 % zurückgegangen und nahezu vollständig ausgetauscht worden. Von allen ... umgesetzten Haushalten erhielten nur rund 15 % eine Ersatzwohnung im Sanierungsgebiet. Im Charlottenburger Gebiet ... waren die Bevölkerungsveränderungen bisher weniger einschneidend: rund 30 % Einwohnerrückgang seit 1970 und rund 25 % im Gebiet verbliebene Umsetzmieter" (Becker/Schulz zur Wiesch 1982, S. 15). Generalisierend kann gesagt werden, daß die Zwangsumsetzung von Bewohnern in andere Wohnungen und vor allem in andere Stadtgebiete Ende der 70er Jahre und in den 80er Jahren abgenommen hat. Zunehmend versuchte man, die notwendigen Umsetzungen nun gebietsintern vorzunehmen, um so den quartierlichen Lebenszusammenhang der Bewohner nicht zu zerstören, auf den gerade die ökonomisch und sozial schwachen Bewohnergruppen angewiesen sind. Trotzdem wurde noch 1982 festgestellt, „daß die sozialen Probleme der Sanierung" immer noch durch ungewollte „Verdrängungseffekte" bestimmt werden (z.B. Wohnraumvernichtung, hohe Mieten, Ersatzwohnraummangel innerhalb des Gebietes); es sei noch nicht gelungen, Konzepte zur Verringerung der Verdrängung in die Sanierung „strategisch wirkungsvoll einzubeziehen" (Gewos 1982). Die soziale Unverträglichkeit dieser Art von Stadterneuerungsprozessen hat zwar abgenommen, aber sie besteht grundsätzlich noch immer. Was die Partizipation der betroffenen Bewohner an den Stadterneuerungsmaßnahmen anbelangt, so vollzieht sich in den 80er Jahren eine schleichende Auszehrung der Mitwirkung der Betroffenen. Sichtbaren Ausdruck und forcierendes Element zugleich stellt die sog. Beschleunigungsnovelle (Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht) vom 1. Juni 1979 dar, die neben anderen gesetzlichen Regelungen des Bundesbaugesetzes die Sozialplanung des Städtebauförderungsgesetzes durch eine Infragestellung der „vorbereitenden Untersuchungen" und der „Grundsätze des Sozialplans" in wesentlichen Teilen amputiert insofern, als auf sie in begründeten Fällen von der Gemeinde ganz oder teilweise verzichtet werden kann, obwohl noch 1978 90 % der Gemeinden die Einführung „Vorbereitender Untersuchungen" nach dem StbauFG für sinnvoll und geeignet hielten (Bundestags-Drucksache 8/2085). Durch diese „gesetzestechnische Detailmontage" (K. Seile 1986, S. 115) entfallen für die betroffenen Mieter nicht nur 179
wichtige Informationen als Voraussetzung für eine erfolgreiche Bürgermitwirkung, sondern auch die Chance, eine politische Einklagbarkeit von nicht monetarisierbaren Schäden durch eine institutionelle Regelung der Grundsätze für den Sozialplan in Verbindung mit dem Neuordnungskonzept zu erreichen (z.B. die Forderung nach Zusammenbleiben von Hausgemeinschaften).
ad 2) Stadterneuerung mittlerer Intensität (einfache Stadterneuerung) Neben die schwerfällige klassische Sanierung der öffentlichen Hand ist seit 1984 die Stadterneuerung mittlerer Intensität getreten (vgl. Vohlwahsen 1983). Sie versucht eine umfangreiche präventive Revitalisierung zusammenhängender Stadtbereiche durch verschiedenste Instrumente, wie Gestaltungssatzungen, Wohnumfeldverbesserungen, Maßnahmen der Verkehrsberuhigung, spezielle Schutzsatzungen und anderes, zu erreichen. Als Beispiel kann hier auf das 14-Städte-Programm in Baden-Württemberg verwiesen werden, in dem erstmals staatliche Förderungen öffentlicher Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes und privater Maßnahmen zur Modernisierung außerhalb des StbauFG in einem Zeit- und Gebietsbezug integriert wurden (vgl. W. Schwantes/W. Schwinge 1983, S. 142). Es folgte dann Anfang der 80er Jahre das Wohnumfeldprogramm, das in vielen Ländern Nachahmungen fand und in deren Zentrum die Verkehrsberuhigung, die nutzerorientierte Rückgewinnung von Freiflächen und die Durchgrünung des Quartiers steht. Neben der dringlichen Verbesserung der innenstadtnahen Wohngebiete im Rahmen einer vorbeugenden behutsamen Stadterhaltung sah man als vorrangige Aufgabe „die Eröffnung neuer Formen für soziales und stadtpolitisches Engagement" an (vgl. Ganser 1983, S. 159). Ging es früher darum, den überreichlich artikulierten Bürgerprotest zu kanalisieren und einzudämmen, so geht es in den 80er Jahren vor allem darum, die Bürger zu mehr (An)Teilnahme zu motivieren. Das geschieht im großen und ganzen auf dem Hintergrund der rechtlichen Grundlage (§ 3 Baugesetzbuch) durch verschiedenste institutionalisierte Formen der Beteiligung (vgl. deutscher Ausschuß für die Europäische Kampagne zur Stadterneuerung 1981). Hier sei vor allem auf das Modell der Anwaltsplanung verwiesen, das in verschiedenen Städten (Hannover, Darmstadt) seit geraumer Zeit angewendet wird. Der von der Stadt bezahlte Planungsanwalt oder Quartiersarchitekt berät die Bürger kostenlos über alle Belange der Erneuerungsmaßnahmen und versucht, ihre Position gegenüber den professionellen Planern zu vertreten. Es scheint so, als wenn trotz vieler Kritik dieses Verfahren die Chance hat, über längere Zeit zu funktionieren. Daneben spielt zunehmend mehr die kollektive Selbsthilfe eine Rolle, mit der sich die Hoffnung einer stärkeren Aktivierung der Betroffenen verbindet. Die kollektive Selbsthilfe kommt in den verschiedensten Formen vor und muß neben privater Daseinsgestaltung durch marktgesteuerte Selbstversorgung und staatli180
eher Daseinsvorsorge durch öffentliche Versorgung als dritter ordnungspolitischer Ansatz ernstgenommen werden. Ob es sich um Innenhöfe, Mietergärten, Spielstraßen, Platzgestaltungen handelt, stets geht es um den Einsatz und das Einbringen der Erfahrungen und die Entfaltung von Bedürfniskonstellationen durch die unmittelbare Beteiligung der Betroffenen. Auch hier zeigt sich, daß der Prozeß sog. Selbsthilfe häufig deutlicher und wiederholter Anstöße von außen — sog. Hilfe zur Selbsthilfe — bedarf (siehe als Beispiel die Anlage von Mietergärten in Hannover). Die deutliche Abmagerung des politischen Gehalts und kritischen Potentials der Bürgerbeteiligung in den 80er Jahren hängt jedoch nur z.T. mit dieser Demontage des StbauFG zusammen, sondern vor allem auch mit der Renaissance eines politischen Konservatismus der neuen CDU-Regierung und der Tatsache, daß in ökonomischer Krisenzeit — und als solche werden die 80er Jahre mit ihren hohen Arbeitslosenquoten und Finanzknappheit der öffentlichen Hände in die Geschichte eingehen — ein akzeptiertes Wohlverhalten auf den verschiedensten Gebieten und in diversen Institutionen als Voraussetzung gesellschaftlicher Integration angesehen wird.
ad 3) Maßnahmen der Wohnungsmodernisierung In den 80er Jahren gewann die Modernisierung von Wohnungen für die angemessene Wohnungsversorgung breiter Schichten eine große Bedeutung. Wesentliche Grundlage für die Förderungen stellt das Wohnungsmodernisierungsgesetz vom 25.06.1976 dar. In dem durch das Gesetz bestimmten Schwerpunkt erhalten die Eigentümer Förderungsmittel, um durch geeignete Maßnahmen den Gebrauchswert der Wohnungen zu erhöhen. Für unseren Zusammenhang ist vor allem wichtig, daß trotz der Festlegung von Mietobergrenzen mit der privat initiierten und verfügten ökonomischen Substanzverbesserung auf mittlere Sicht ein sozialstruktureller Umwandlungsprozeß insofern verbunden ist, als primär ökonomisch bessergestellte Schichten auf dem Umweg über steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten Vorteile erzielen können und daher Verdrängungsprozesse ökonomisch schwächerer Schichten unausweichlich sind. Der sozialstrukturelle Wandel ist hier also in erster Linie marktvermittelt. „Die Invasion begüterter Mittelschichten kann ohne sichtbare politische Konflikte ablaufen, von Grundstück zu Grundstück und von Wohnung zu Wohnung, jeden Ansatz politischen Widerstandes zersplitternd. Diese Form .entpolitisierter' Umgestaltung von Stadtgebieten hält die Rolle des Staates gleichsam hinter den Marktvorgängen versteckt und erspart den staatlichen Instanzen den Aufbau besonderer legitimatorischer Auffangstellungen, z.B. in Form von Sozialplänen" (Kujath 1986, S. 195). Franz Pesch erläutert, „daß die gestreute Modernisierungstätigkeit immer nur einzelne Haushalte oder Hausgemeinschaften trifft und mithin kaum Ansatzpunkte gege181
ben sind, individuelle Betroffenheit in gemeinsame politische Aktivitäten umzumünzen" (1983). Neben der eben angesprochenen Individualisierung politischer Konflikte bei Modernisierungsprozessen einschließlich der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sind die durch Sanierung und Modernisierung eingeleiteten Verdrängungsprozesse in den alten, innenstadtnahen Vierteln von sozial schwächeren Gruppen durch Angehörige sozialer Mittel- und Oberschichten eine Realität der Sozialstrukturentwicklung (vgl. Dangschat 1988). Die „Gentrification" dieser Viertel ist jedoch auch nur in diesem Umfang möglich, weil wir seit ca. 20 Jahren eine breite Umwälzung der Formen des Zusammenlebens feststellen, als dessen Kern die „Destandardisierung des Familienzyklus" (Kohli 1986, S. 198) gilt: Die Heiratsquoten sinken kontinuierlich (Zahl der Eheschließungen haben sich von den 50er Jahren bis zu den 80er Jahren halbiert), damit verbunden ist ein drastischer Rückgang an Geburten (Halbierung von 1965 bis 1975 und seitdem konstant niedrig) und eine deutliche Zunahme der Scheidungen (Verdoppelung in den letzten 20 Jahren). Diese demographischen Entwicklungen führen dazu, daß noch nie zuvor so viele Menschen allein lebten wie heute. Die Infragestellung tradierter Lebenslaufmuster hat u.a. zur Konsequenz die sog. Neuen Haushaltstypen, zu denen neben den sog. Singles die nichtehelichen Lebensgemeinschaften (1983 = 7,5 % der Haushalte) und Wohngemeinschaften zählen. Tatsache ist, daß diese neuen Haushaltstypen nun überwiegend innenstadtnahe Altbauquartiere als Wohnstandort suchen (vgl. Droth/Dangschat 1985), die ihnen „Experimentierfreiräume" auf dem Hintergrund weitgehender Zeitsouveränität für ihre neuen Lebensstile ermöglichen. Wo auch immer Teile der älteren und abgesunkenen Gebiete erneuert werden, finden wir als Resultat relativ scharfe soziale Kontraste entlang der Erneuerungslinie, wo es nicht selten zu einem ökonomischen und kulturellen Zusammenstoß zwischen ansässigen sozio-ökonomisch schwachen Stammbewohnern und neuen, sozial-ökonomisch starken Bewohnern kommt (vgl. Herlyn 1990). Diese zwei Gesichter der inneren Stadt finden sich besonders in den prosperierenden Städten, denn „dort, wo Mode, Kultur, Banken und High Tech prosperieren, entwickelt sich auch ihr Erfolgszwilling, die Yuppie-Kultur" (Häußermann/Siebel 1987, S. 21). Es muß angenommen werden, daß bei Fortschreiten der gegenwärtigen „Wiederaufbereitung" der innerstädtischen Gebiete für die neo-urbane Elite die mit fortschreitender Arbeitslosigkeit wachsenden ökonomisch schwachen Sozialgruppen zunehmend an periphere Standorte verdrängt werden. Die Retrospektive hat einiges deutlich gemacht, was ich thesenartig zusammenfassen möchte. 1. Das philosophische Theorem der Entsprechung von „Herausforderung und Antwort" trifft auch grundsätzlich für den politischen Bereich der Mitwirkung der Bürger zu. Je intensiver und einschneidender der alltägliche Lebenszusammenhang von Bewohnern durch Erneuerungsmaßnahmen verändert wird, desto 182
stärker formiert sich ihr Widerstand in Form von aktivem Kampf, von Verweigerung oder Aggressionen. 2. Wir haben gesehen, daß die Bürgerbeteiligung bei der Stadterneuerung zwar auch mit den jeweilig gültigen gesetzlichen Grundlagen zusammenhängt, aber in erster Linie jedoch als Teil des Entwicklungsstandes der jeweiligen politischen Kultur verstanden werden muß. Die scharfen Proteste und Gegenmachtbildungen der Bürgerinitiativen Anfang der 70er Jahre stehen z.B. in krassem Gegensatz zur politischen Apathie Mitte der 60er Jahre, obwohl die Sanierungseingriffe in beiden Perioden ähnlich radikal waren. 3. Was die Bürgerbeteiligung der 80er Jahre anbelangt, so ist sie ähnlich differenziert wie die aufgezeigten gleichzeitig laufenden Arten der Erneuerung. Gemeinwesenarbeit, Anwaltsplanung, Expertenforen, Sanierungsbeiräte sind einige Beispiele für stärker institutionalisierte Beteiligungsformen, Haus- und Instandbesetzungen, ihre radikalen, auf wenige Großstädte konzentrierten Nebenentwicklungen. Es herrschen eindeutig individualisierende Strategien vor, die kollektiv erfahrene Benachteiligungen kaum noch sichtbar werden lassen. Der Bürgerbeteiligung bzw. Bürgerinitiativbewegung insgesamt droht jedoch eine dreifache Schwächung: Die Partei der Grünen nimmt sich u.a. verschiedener Konfliktlösungen im kommunalen Bereich stark an und absorbiert damit das früher gegebene Konfliktpotential weitgehend; überlokal orientierte soziale Bewegungen, wie Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegung, ziehen die politische Aufmerksamkeit stärker auf sich, und schließlich hat die Aktivierung der kollektiven Selbsthilfe als von staatlicher Konfrontation entkoppeltes und insofern tendenziell apolitisches Instrument der Bedürfnissicherung bestimmter Gruppen erheblich an Boden gewonnen. 4. Die in großem Maßstab erfolgte Zwangsmobilität im Zuge der Flächensanierungen der 60er und frühen 70er Jahre gehört zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Stadtentwicklung nach dem Krieg. Es ist gar keine Frage, daß vor allem die ökonomische Rezession andere mildere, sozial verträglichere planerische Strategien in diesem Bereich entwickelt hat, die jedoch im Grundsatz auch häufig genug auf individualisierenden, zwangsweisen Wohnungswechsel hinauslaufen. Die Stadterneuerung wendet sich nun einmal in der Regel den abgewerteten Teilen und Substanzen einer Stadt zu, und darin wohnen bzw. existieren zumeist die wirtschaftlich und sozial schwachen Gruppen, zu deren Schicksal sich die Planer in der Regel in großer sozialer Distanz befinden. 5. Die Bewohner sind nicht „vergessen", aber es scheint nicht übertrieben, zu behaupten, daß häufig genug ihre berechtigten Lebensinteressen nicht hinreichend in den Erneuerungsprozeß einbezogen worden sind. Die Sozialplanung darf nicht als ein „Schmiermittel" für einen reibungslosen Erneuerungsablauf mißbraucht werden, sondern die Sozialplanung muß über die Milderung von Härten hinaus als eine soziale Entwicklungsplanung begriffen werden, die nur mit einer kontinuierlichen Beteiligung der Betroffenen denkbar ist. 183
Sollen die Städte im Interesse der in ihnen w o h n e n d e n und arbeitenden Bürger erneuert werden, dann m ü s s e n sie von A n f a n g an in den Planungs- und Bauprozeß einbezogen werden. „In den 90er Jahren wird es darauf ankommen", so schreibt Staufenbiel, „den gesellschaftlich erforderlichen Gebrauchswert hinsichtlich der funktionellen Qualität (nutzerorientierte Qualität) der Wohnungen, der G e b ä u d e , der Wohnungsnahumgebung, der städtischen R ä u m e , der Arbeitsstätten, der Stadttechnik und des Verkehrs sowohl zu planen als auch zu produzieren" (1989, S. 187). E s wäre zu w ü n s c h e n , daß die verschiedenen langjährigen Erfahrungen mit der Beteiligung u n d Nichtbeteiligung der B e t r o f f e n e n in den alten Bundesländern helfen k ö n n t e n , den bevorstehenden Stadtumbau in den Städten der n e u e n Bundesländer in h u m a n e Bahnen zu lenken.
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Steffen Krätke Sozialer Wohnungsbau in der privaten Marktwirtschaft
I. Der Mietwohnungssektor gehört zu denjenigen gesellschaftlichen Bereichen, in denen die bundesrepublikanische Marktwirtschaft weithin versagt hat. Trotz umfangreicher Neubauaktivität in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg führt eine fortschreitende Verknappung preiswerter Mietwohnungen zu anhaltenden Krisenerscheinungen. Alle Jahre wieder macht das Schlagwort von einer „neuen" Wohnungsnot die Runde. Die Einrichtung eines öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus ist Folge der Funktionsunfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wohnungsversorgung dort, wo es um die Bereitstellung bezahlbarer Mietwohnungen für Haushalte mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen geht. Da eine „freie" Wohnungsmarktwirtschaft allenfalls für die Besserverdienenden ein ausreichendes Angebot von Mietwohnungen, Luxusappartements und Eigenheimen schaffen kann, sind in allen westeuropäischen Ländern seit Anfang des Jahrhunderts mehr oder weniger umfangreiche Staatseingriffe in den Wohnungsmarkt und öffentliche Subventionen selbstverständlich geworden. Letztlich sind es die Rentabilitätsbedingungen oder Verwertungsansprüche privatwirtschaftlicher Träger des Wohnungsbaus, die ein ausreichendes Angebot preiswerter Mietwohnungen nicht ohne öffentliche Subventionen gewährleisten können, da die von den Wohnungsbau-Kapitalgesellschaften und Privatinvestoren geforderte marktübliche Verzinsung wohnungswirtschaftlicher Kapitalanlagen regelmäßig eine Miethöhe verlangt, die von Haushalten mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen nicht mehr getragen werden kann. So weist der Wohnungsmarkt kapitalistischer Länder ständig ein Mißverhältnis zwischen der Preisstruktur des Wohnungsangebots und der Einkommensstruktur der Lohnabhängigen auf. Zudem sind einige Mietergruppen durch „soziale Barrieren" bzw. eine sozial und ethnisch diskriminierende Praxis der Wohnungsvergabe von bestimmten Wohnungsangeboten ausgeschlossen. Die Funktionsfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wohnungsversorgung ist ferner durch die Heterogenität und Teilmarkt-Differenzierung des Wohnungsangebots eingeschränkt: Von besonderer Bedeutung ist erstens die Aufspaltung des Wohnungsmarkts in regionale Teilmärkte, da Wohnungsmangel in der einen Region nicht durch ein Überangebot in anderen Regionen ausgeglichen werden kann, zweitens die Herausbildung von Wohnungsteilmärkten, die sich nach Finanzierungsbedingungen, Mietpreisniveau und Sozialstruktur der Nachfrager abgrenzen (z.B. Altbau, freifinanzierter 186
Neubau, sozialer Wohnungsbau). Umfangreiche Bevölkerungsgruppen sind wegen begrenzter Mietzahlungsfähigkeit nicht oder nur bei erheblicher Einschränkung anderer Lebensbedürfnisse in der Lage, Wohnungen eines Teilmarktes mit marktmäßigen Finanzierungsbedingungen und entsprechend hohen Mieten zu belegen. Bei fehlenden Ausweichmöglichkeiten führt dies in Teilmärkten mit (absolut) niedrigeren Mieten zu einer dauerhaften Übernachfrage, die es ermöglicht, im Verhältnis zur Wohnungsqualität überproportionale Mieten zu fordern oder die Wohnungen ohne Gefährdung der Vermietbarkeit durch unterlassene Instandhaltung ertragssteigernd herabzuwirtschaften. So ist die marktwirtschaftliche Wohnungsversorgung infolge der Barrieren zwischen Teilmärkten mit Preisverzerrungen verbunden, wobei die Mieter von „Bruchbuden" häufig die höchsten qm-Mieten zahlen müssen. Die Wohnungsnachfrage ist im Bereich des „dringlichen" existenznotwendigen Bedarfs weitgehend unelastisch, d. h., Bevölkerungsgruppen mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen, die in erster Linie ihren „dringlichen" Wohnraumbedarf befriedigen, können auf Preissteigerungen kaum durch Nachfrageeinschränkung reagieren. Eine marktwirtschaftliche Mietpreisbildung sichert auch keineswegs die ordentliche Bewirtschaftung und Instandhaltung des Wohnungsbestands: Es steht den Privateigentümern grundsätzlich frei, ihre Mietüberschüsse nicht in die Häuser zu reinvestieren, statt dessen in Finanzanlagen und allerlei Spekulationsgeschäfte zu stecken. Nur dort, wo es langfristig renditeträchtig erscheint, werden ausreichende Instandhaltungsmaßnahmen (häufig in Verbindung mit teuren Modernisierungen, die zur Verdrängung der angestammten Mieter führen) getätigt; überall dort, wo es geschäftlich opportun erscheint, werden Wohnungsbestände trotz instandhaltungsgerechter Mieteinnahmen herabgewirtschaftet. Eine kapitalistische Wohnungsmarktwirtschaft führt in den Städten in ausgewählten Quartieren zur Herausbildung von Inseln des „gehobenen" Wohnens (häufig in Form schmuck renovierter, großzügiger Altbauten), und bringt zugleich eine ausgeprägte soziale Segregation mit sich, die mit hohen gesellschaftlichen Unkosten verbunden ist. Das marktwirtschaftliche Verteilungsprinzip, d. h. die Wohnungsverteilung nach der Zahlungsfähigkeit, führt zu einem verschwenderischen Umgang mit Wohnraum: Mehrpersonenhaushalte mit Kindern und großem Flächenbedarf müssen sich mangels Zahlungsfähigkeit in Kleinwohnungen zusammendrängen, die Gutverdienenden (z.B. sog. „Yuppies") unter den kleineren Haushalten können einen extensiven Flächenverbrauch realisieren und zum Teil ganze Etagen anmieten. II. Der soziale Wohnungsbau gilt als mögliches Korrektiv einer marktwirtschaftlichen Wohnungsversorgung. Dabei sind die Träger der staatlichen Wohnungspolitik in der Bundesrepublik bis heute von der Auffassung beherrscht, daß eine ausreichende Wohnungsproduktion für Bevölkerungsgruppen mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen vorrangig durch finanzielle Anreize (z.B. Steuervergünstigungen) und mietsenkende Subventionen für privatwirtschaftliche 187
Wohnungsbauträger gewährleistet werden kann. Die Förderung des Wohnungsneubaus hat in der Bundesrepublik die Form einer staatlichen Subventionierung privater wohnungswirtschaftlicher Kapitalanlagen angenommen. Beim Neubau von Sozialmietwohnungen wurden die Möglichkeiten einer marktüblichen Kapitalverwertung mit Hilfe umfangreicher Subventionen abgesichert bzw. überhaupt erst geschaffen. Objektbezogene Subventionen sollten die große Differenz zwischen einem langfristig rentierlichen Mietpreisniveau und der Mietzahlungsfähigkeit von Haushalten mit niedrigen bis durchschnittlichen Einkommen zeitlich befristet überbrücken. Sozialer Wohnungsbau war in der Bundesrepublik von Anfang an als „Lückenbüßer" für Versorgungsengpässe der Wohnungsmarktwirtschaft konzipiert, der längerfristig wieder demontiert werden könne. Im Unterschied zu anderen westeuropäischen Ländern (z.B. den Niederlanden, wo der soziale Wohnungsbau ausschließlich unter der Trägerschaft von Kommunen und genossenschaftsähnlichen Bauvereinen durchgeführt wird) sind in der Bundesrepublik von Anfang an neben den gemeinnützigen, genossenschaftlichen oder kommunalen Wohnungsunternehmen auch private Bauherren gleichwertig gefördert worden. Um den privatwirtschaftlichen Trägern ausreichende Investitionsanreize zu bieten, sind die mit einer öffentlichen Förderung verbundenen „Sozialbindungen" (bezüglich Miethöhe, Einkommensgrenze für Mieter, anfangs kommunales Belegungsrecht) stets zeitlich befristet gewesen. So war die spätere Privatisierung öffentlich geförderter Sozialmietwohnungen von Anfang an vorgesehen, und heute stehen wir vor der Situation, daß alljährlich ein neuer Baujahrgang von älteren, noch relativ mietpreisgünstigen Sozialwohnungen „planmäßig" seine Bindungen verliert, trotz der ursprünglich hohen öffentlichen Förderungsbeiträge, wie eine freifinanzierte Mietwohnung verwertet oder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden kann. Von der Bindungsfreigabe, durch die den Eigentümern erhöhte Marktmieten zufließen, ist heute besonders der Sozialwohnungsbestand in erneuerungsbedürftigen Neubau-Großsiedlungen betroffen. Die Demontage des sozialen Mietwohnungsbaus ist zugleich auf der Förderungs- und Produktionsseite vorangetrieben worden: Frühzeitig wurde eine bevorzugte Förderung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen durchgesetzt, und innerhalb des sozialen Wohnungsbaus wurde der klassische „1. Förderungsweg" zugunsten anderer Förderungsschienen mit geringerem Mittelaufwand und wesentlich höheren Mieten eingeschränkt. Die folgenreichste Veränderung ergab sich durch die zwischen 1968 und 1972 erfolgte Umstellung des Förderungssystems von der Direktvergabe zinsgünstiger öffentlicher Baudarlehen, die zu einer relativ niedrigen „Kostenmiete" geführt hatten, hin zur „marktgerechten" laufenden Subventionierung der Zinsen für Kapitalmarktkredite. Seitdem wurde der soziale Mietwohnungsbau zum größten Teil durch den privaten Kapitalmarkt finanziert, mit der längerfristigen Folge, daß sich steigende Baukosten in Verbindung mit marktüblichen Zinsansprüchen zu einer Explosion der Kostenmieten auswachsen konnten. Die staatlichen För188
derungsinstitutionen reagierten u.a. mit der fortschreitenden Erhöhung der vom Mieter zu tragenden „Sozialmiete" neuer Baujahrgänge, um den Preis, daß Neubau-Sozialwohnungen für Haushalte mit niedrigen Einkommen nicht mehr bezahlbar waren, d. h., die „eigentlichen" Adressaten eines Sozialen Wohnungsbaus nicht mehr erreicht werden konnten. Der erforderliche Subventionsaufwand stieg aber noch wesentlich schneller, bis in den 80er Jahren die absurde Situation erreicht war, daß Neubau-Sozialmietwohnungen eine Subventionsquote von weit mehr als 100 % , in vielen Fällen auch mehr als 200 % , erhielten: d.h., der bundesrepublikanische Staat bezahlt aus Steuermitteln im Verlauf eines mehr als 15jährigen Förderungszeitraums insgesamt mehr als 100 % (und in einigen Fällen das Doppelte) des Betrags, den die faktischen Herstellungskosten (einschließlich Grundstückserwerb) einer neuen Sozialwohnung ausmachen. Und die so großzügig subventionierten Wohnungen erhalten Mieten, die für niedrige bis durchschnittliche Einkommensgruppen nicht mehr tragbar sind, und sie erhalten keine dauerhaften Sozialbindungen, sondern können nach 25—30 Jahren „frei" vermarktet werden. Heute ist der Soziale Wohnungsbau der Bundesrepublik ein Scherbenhaufen — ältere Sozialmietwohnungen werden progressiv privatisiert und aus ihren Bindungen „entlassen", neue Sozialmietwohnungen (in stark reduzierter Anzahl) nur um den Preis eines skandalösen Subventionsvolumens gebaut, das die öffentlichen Haushalte noch auf Jahrzehnte hinaus belasten wird. Trotz der starken Einschränkung des Neubaus von Sozialmietwohnungen seit Mitte der 70er Jahre hat das gesamte Volumen der staatlichen Wohnungsbauförderung weiter zugenommen, u.a. infolge der Ausweitung steuerlicher Anreize für den Erwerb von Wohnungseigentum, Subventionen für „Bauherren- und Erwerbermodelle" und ständig erhöhte Wohngeldleistungen — diese von den Marktwirtschaftsanhängern in der Bundesrepublik favorisierte Form einer sog. Individualsubventionierung ist insofern marktkonform, als hierbei keinerlei direkte öffentliche Einflußnahme auf den Investitionsprozeß im Wohnungsbau gegeben ist, an einer unkontrollierten marktmäßigen Mietpreisbildung erst nachträglich angesetzt wird und die Betroffenheit von Wohnungsnot individualisiert gehandhabt werden kann (Wohngeld als Form der Sozialhilfe). Insgesamt hat sich der staatliche Mitteleinsatz im Wohnungssektor der Bundesrepublik zu einer großangelegten Umverteilungs-Maschinerie zur Ankurbelung und Stützung einer privatwirtschaftlichen Bau- und Wohnungswirtschaft entwickelt. Der soziale Mietwohnungsbau ist durch ein wirtschaftlich und sozial unverantwortliches Finanzierungs- und Förderungssystem herabgewirtschaftet worden. Darauf wird aber nicht mit Reformen, sondern mit verringertem Förderungsvolumen und Mengenreduktion reagiert; nur die vom sozialen Problemdruck überrollten Kommunen und einzelne Bundesländer versuchen, den sozialen Mietwohnungsbau als „Lückenbüßer" des Wohnungsmarkts aufrechtzuerhalten und weiterzuführen.
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III. In der wohnungspolitischen Diskussion der letzten Jahre hatte die Gemeinwirtschaft bzw. der gemeinnützige Wohnungssektor größte Bedeutung, da gemeinwirtschaftliche Wohnungsunternehmen für reformpolitisch engagierte Kräfte einen „Hoffnungsträger" darstellten und seit jeher als eines der wichtigsten Potentiale zur Meisterung von Versorgungsmängeln der Wohnungsmarktwirtschaft angesehen wurden. Der gemeinnützige Wohnungssektor war in der Bundesrepublik als Bestandteil eines expansiven sozialstaatlichen Wachstumskonzepts zunächst bevorzugt gefördert und ausgebaut worden, ist jedoch im Zuge anhaltender Bestrebungen zur Vermarktwirtschaftlichung der Wohnungsversorgung und zur Stärkung privatwirtschaftlicher Wohnungsbauinvestitionen immer weiter zurückgedrängt worden. Der Tätigkeitsschwerpunkt gemeinnütziger Träger lag traditionell im Sozialen Wohnungsbau; bis Mitte der 80er Jahre hatten sie einen Anteil von 58 % am Bestand der Miet-Sozialwohnungen (und 24 % am gesamten Mietwohnungsbestand) erreicht. Dabei hatten sich innerhalb des gemeinwirtschaftlichen Sektors mehrere unterschiedliche Trägergruppen herausgebildet: 1. die „freigemeinnützigen" Unternehmen, wie z.B. Wohnungsbaugesellschaften im Besitz der Gewerkschaften, Industrieunternehmen, Kirchen; 2. Genossenschaften, die in ihren Größenordnungen und der sozialen Zusammensetzung der Mitgliedschaft ein breites Spektrum umfassen; 3. Öffentliche Unternehmen, die zum überwiegenden Teil als kommunale Wohnungsuntemehmen entstanden. Dabei erhielt die kommunale Trägerschaft in der Bundesrepublik die Form von unternehmerisch verselbständigten Kapitalgesellschaften, im Gegensatz zu einem direkt unter kommunaler Regie durchgeführten Gemeindewohnungsbau, wie er sich in anderen westeuropäischen Ländern bis heute bewährt hat. Mitte der 80er Jahre umfaßte die gemeinnützige Wohnungswirtschaft etwa 1 200 Genossenschaften und 600 Kapitalgesellschaften, wobei sich der Wohnungsbestand der Gesellschaften zur Hälfte im Besitz der öffentlichen gemeinnützigen Unternehmen befand. Zwischen den Genossenschaften und den kommunalen Wohnungsunternehmen hatte sich eine traditionelle „Arbeitsteilung" herausgebildet: Innerhalb des gemeinnützigen Sektors waren die Genossenschaften eher für die Versorgung „bessergestellter" Bevölkerungsgruppen da, auch im Falle von Arbeitergenossenschaften, in denen sich wegen der erforderlichen finanziellen Eigenleistungen vorwiegend Facharbeiter mit höheren Lohneinkommen und relativ sicherer Beschäftigungslage organisieren konnten; die kommunalen Wohnungsunternehmen hatten dagegen eher die Versorgung der „schlechtergestellten" Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen und unsicheren Erwerbsmöglichkeiten zu übernehmen. Dieser sozialpolitischen Funktionszuweisung, die durch Belegungsrechte kommunaler Wohnungsämter gestützt wurde, versuchten sich allerdings die als Kapitalgesellschaften strukturierten kommunalen Träger infolge ihres zunehmend „privatunternehmerischen" Selbstverständnisses immer mehr zu entziehen, da sie ihre unternehmerische Konkurrenzfähigkeit stärken wollen. 190
Trotz der in der Bundesrepublik weitverbreiteten Kritik an einer skandalösen Unternehmenspraxis einzelner gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften, allen voran der gewerkschaftseigenen (inzwischen liquidierten) Neuen Heimat, hatte sich bis vor kurzem das positive Vorurteil gehalten, es handele sich bei gemeinnützigen Unternehmen, die im Austausch für eine Reihe von Steuerbefreiungen bestimmten Verhaltensregeln und Bindungen, wie z.B. der Bindung an die sog. Kostenmiete, einer begrenzten Gewinnausschüttung, dauerhaften Vermögensbindung und ständigen Baupflicht, unterworfen waren, um „Non-ProfitTräger", die eine soziale Wohnungsversorgung besser als rein privatwirtschaftliche Unternehmen gewährleisten könnten. Diese Legitimationsbasis für gemeinnützigen Wohnungsbau war jedoch zunehmend untergraben worden: erstens aufgrund der bürokratisierten Wohnungsverwaltung der gemeinnützigen Großunternehmen, die den Mietern keine qualifizierten Mitbestimmungsrechte einzuräumen bereit waren, zweitens infolge der Durchsetzung einer erwerbswirtschaftlich-ertragsorientierten Unternehmensführung der gemeinnützigen Kapitalgesellschaften und ihrer Annäherung an privatunternehmerische Geschäftspraktiken, drittens durch anhaltende Versuche gemeinnütziger Unternehmen, ihre Bindungen zu unterlaufen und zugunsten einer erhöhten privatunternehmerischen Handlungsfreiheit abzuschaffen. So war die gemeinnützige Wohnungswirtschaft dauernd bestrebt, ihre Mietbindungen aufzulösen, um besonders für ihren großen Bestand älterer Sozialmietwohnungen (die noch relativ günstige Kostenmieten hatten) künftig wesentlich höhere Marktmieten realisieren zu können. Die sog. Vermögensbindung war längst unterlaufen durch den portionsweisen Ausverkauf von Sozialwohnungen, die Belegungbindung zunehmend funktionsunfähig gemacht durch die Praxis, Sozialwohnungen im Rahmen der ohnehin sehr hoch angesetzten Einkommensgrenzen bevorzugt an Haushalte mit dem höchstzulässigen Einkommen zu vergeben; da unter den Wohnungssuchenden nach „unternehmerischer" Kalkulation stets die Bestgestellten (sog. „gute Mieter") ausgewählt werden, ist die vielbeklagte Fehlbelegung von Teilen des Sozialwohnungsbestands zum großen Teil von den Gemeinnützigen selbst produziert worden. Die traditionelle Verpflichtung gemeinnütziger Unternehmen auf eine begrenzte Gewinnausschüttung hatte keinerlei „Gewinnverzicht" bedeutet, sondern nur den intersektoralen Gewinntransfer beschränkt, um durch Reinvestition der Gewinne im Wohnungssektor eine beschleunigte Unternehmensexpansion zu stimulieren. Die Bindung der Gemeinnützigen an die sog. Kostenmiete änderte nichts an einer Unternehmensführung, die betriebswirtschaftlich auf Gewinnerzielung ausgerichtet war, denn in der sog. Kostenmiete (gemäß II. Berechnungsverordnung für Mietsozialwohnungen) sind von vornherein alle relevanten Bestandteile wohnungswirtschaftlicher Profiterzielung einkalkuliert: die marktübliche Verzinsung von Kapitalmarktmitteln ist ebenso gesichert wie die Eigenkapitalverzinsung und Entschuldungsgewinne für den Bauträger selbst, hinzu kommt die Realisierung von Spekulationsgewinnen bei den ansetzbaren Grundstückskosten, ganz abge191
sehen von den Möglichkeiten einer Gewinnerzielung aus zweckentfremdeten Instandhaltungsrücklagen. Das „Kostendeckungsprinzip" nach bundesrepublikanischer Definition bedeutet keine Abkehr von einer erwerbswirtschaftlichen Mietenkalkulation und entspricht genau dem aus der älteren Gemeinwirtschaftslehre bekannten „Verzinsungsprinzip", bei dem eine marktübliche Verzinsung der investierten Kapitalien herausgewirtschaftet wird, ohne zugleich alle spekulativen Gewinnaussichten zu realisieren. Der Begriff Kostendeckung ist und bleibt vieldeutig, und es ist keineswegs selbstverständlich, daß gemeinwirtschaftliche Träger ihrer Unternehmensführung ausgerechnet einen auf die unternehmerische Privatwirtschaft zugeschnittenen Kostenbegriff zugrunde legen, statt z.B. vom Grundsatz der Ausgabendeckung aller gebrauchsbezogenen und ausgabewirksamen Größen auszugehen. Die erwerbswirtschaftlich orientierte Unternehmensführung wurde von den gemeinnützigen Trägern in der Bundesrepublik stets mit dem Grundsatz der „Gewinnerzielung zwecks gemeinwirtschaftlicher Gewinnverwendung" gerechtfertigt. Im Kern geht es hier darum, das für eine beschleunigte Expansion benötigte Selbstfinanzierungspotential zu schaffen. Diese Orientierung war wiederum eine Konsequenz der Verselbständigung gemeinnütziger Unternehmen in der Privatwirtschaft angepaßter Unternehmensformen (insbesondere Kapitalgesellschaften). Allerdings war überhaupt nicht gesichert, daß die Gemeinnützigen ihre Gewinne wieder in den sozialen Mietwohnungsbau steckten, vielmehr wurde ebenso in spekulative Bauprojekte auf dem Eigentumssektor, in den freifinanzierten Mietwohnungsbau sowie in Finanzanlagen reinvestiert. Und die zur Unternehmensexpansion gewünschten Gewinne wurden in erster Linie über hochgehaltene Mieten, d.h. auf Kosten der sozialwirtschaftlichen Funktionsfähigkeit der Unternehmen erzielt. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft war von der Doktrin beherrscht, daß der Soziale Wohnungsbau als Kapitalanlage betrieben werden und auf Dauer marktübliche Renditen einbringen müsse. Die „Überanpassung" der Gemeinnützigen an privatwirtschaftliche Leitbilder hat im Verein mit fortgesetzten Bestrebungen zur Vermarktwirtschaftlichung der gesamten Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik dahin geführt, daß die jetzige Bundesregierung mit Wirkung vom 1. Januar 1990 die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen abgeschafft hat. Die Regierung gewinnt dabei ein paar hundert Millionen DM an Steuermehreinnahmen, die (ehemals) Gemeinnützigen gewinnen die erstrebte volle privatunternehmerische Handlungsfreiheit. Die soziale Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik hat zugleich eines ihrer letzten Handlungs- und Reformpotentiale verloren. Künftige Reformbestrebungen werden sich dennoch weiter am Leitbild einer gemeinwirtschaftlichen Wohnungsversorgung in denjenigen Bereichen, wo die Marktwirtschaft versagt, orientieren, zumal in allen westeuropäischen Nachbarländern eine „dualistische" Ordnung des Wohnungssektors fortbesteht, in der neben dem kapitalistischmarktwirtschaftlichen Sektor ein mehr oder weniger ausgedehnter gemeinwirtschaftlicher Sektor existiert, der nicht nur als „Lückenbüßer" der Marktwirt 192
schaft fungieren, sondern auch ein Gegengewicht zur zügellosen Vermarktung des Wohnungsbestands bilden kann. Künftige Reformbestrebungen werden sich u.a. darauf richten, neue gemeinwirtschaftliche Drägerformen im Wohnungssektor zu schaffen und zu unterstützten, die mit erweiterten und dauerhaften Sozialbindungen arbeiten, nach „NonProfit-Grundsätzen" wirtschaften, ihre Geschäftspolitik einer direkten öffentlichen Kontrolle zugänglich machen und ihren Mietern ein qualifiziertes Mitbestimmungsrecht einräumen. Dazu gehört einerseits die Förderung neuer Kleingenossenschaften, vor allem aber die Reform der kommunalen Wohnungswirtschaft. Nach Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit in der Bundesrepublik bei gleichzeitig wachsendem Mangel an preiswerten Mietwohnungen werden von den Kommunen zur Zeit die (ehemals gemeinnützigen) städtischen Wohnungsunternehmen verstärkt „gefordert". Dabei rächt sich nun aber die seit Jahrzehnten verfolgte Politik der „Organisationsprivatisierung" innerhalb des öffentlichen Sektors, d.h. die Umwandlung kommunaler Unternehmen in privatrechtlich verselbständigte Kapitalgesellschaften mit einer privatwirtschaftlichen Grundsätzen angepaßten Geschäftspolitik. Die kommunalen Wohnungsunternehmen wurden dadurch auf eine Selbstfinanzierung aus Gewinnen und eine Unternehmensführung nach dem „Verzinsungsprinzip" orientiert, zugleich aber ihre sozialwirtschaftliche Funktionsfähigkeit (z.B. im Bereich der Miethöhe und der Wohnungsvergabe an die bedürftigsten Haushalte) untergraben. So wurde noch in jüngster Zeit beklagt, daß die kommunalen Wohnungsunternehmen eine bewohnerferne bürokratisierte Wohnungsverwaltung pflegen, sich von den parlamentarisch-politischen Entscheidungsgremien der Gemeinde nicht ausreichend kontrollieren und beeinflussen ließen und auf Kosten sozialer Ziele nach eingefahrenen unternehmerischen Grundsätzen arbeiteten. Mit der Organisation kommunaler Wohnungsunternehmen als privatrechtlich verselbständigte Kapitalgesellschaften sollte eine „marktkonforme" Ausgestaltung des kommunalen Wohnungsbaus und seine finanzielle Unabhängigkeit von der Trägerkörperschaft erreicht werden. Damit war zugleich ein intensives Streben der Unternehmensleitungen nach Unabhängigkeit von der durch demokratische öffentliche Entscheidungsfindung beeinflußbaren Sphäre lokaler Politik verbunden, d.h. eine Entdemokratisierung der kommunalen Wohnungswirtschaft. Zur Reform der kommunalen Wohnungswirtschaft in der Bundesrepublik ist in den letzten Jahren eine Konzeption vorgetragen worden, die davon ausgeht, daß 1. ein Sozialer Wohnungsbau der Gemeinden heute nicht mehr als Kapitalanlage betrieben werden kann, sondern zwecks Einhaltung sozialpolitisch zumutbarer Mieten den Verzicht auf Zinsansprüche voraussetzt und eine, vom Kapitalmarkt abgekoppelte Finanzierung benötigt. Im kommunalen Wohnungsbestand gehört dazu ein Verzicht auf Eigenkapitalverzinsung und Entschuldungsgewinne, d.h. eine Neubestimmung des gemeinwirtschaftlichen Kostendeckungsprinzips, das sich künftig an den gebrauchsbezogenen und ausgabewirksamen Bewirtschaf193
tungskosten orientieren soll (Grundsatz Ausgabendeckung). 2. Die bisherige Privatisierung der Geschäftspolitik kommunaler Wohnungsunternehmen soll durch ihre Überführung in neue Trägerformen überwunden werden, die eine öffentliche Kontrolle und Demokratisierung der Entscheidungsprozesse (u.a. durch Mieterbeteiligung in Kontroll- und Entscheidungsgremien) vorsehen und den Mietern eine genossenschaftsähnliche Hausverwaltung ermöglichen (Selbstverwaltungsmodelle) . Ein erster Schritt in diese Richtung sollte in West-Berlin noch im Herbst 1990 realisiert werden: Gegen die Bestrebungen der früheren CDU-Stadtregierung, die von den West-Berliner Bezirken direkt verwalteten landeseigenen Miethäuser auf die großen landeseigenen Wohnungsbau-Kapitalgesellschaften zu übertragen, hatten sich eine Reihe von Bezirken erfolgreich gewehrt, u.a. mit dem Argument, daß sie nicht ihre direkten kommunalen Belegungsrechte verlieren wollten; die Mieter hatten die bürokratisierte und bewohnerferne Verwaltungspraxis der großen Gesellschaften ebenso zu fürchten wie die unternehmerischertragsorientierten Geschäftspraktiken dieser Kapitalgesellschaften, die seit Beginn des Jahres auch keinerlei gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen mehr unterliegen. Andererseits galt auch die Wohnungsverwaltung durch bezirkliche kommunale Grundstücksämter als dringend reformbedürftig, da in Teilen des Bestands trotz ausreichender Mieteinnahmen große Instandhaltungsmängel aufgelaufen waren, Mieteinnahmen unkontrolliert im allgemeinen Haushalt „verschwanden" und die Mieter ebenfalls keine qualifizierten Kontroll- und Beteiligungsrechte hatten. Das Reformvoihaben besteht nun darin, die noch bezirklich verwalteten landeseigenen Miethäuser in ein „Kommunales Sondervermögen" zu überführen, das die Rechtsform einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt erhält. Diese Rechtsformen sind gegenüber Kapitalgesellschaften eher geeignet, dauerhafte soziale Zweckbindungen des kommunalen Wohnungsvermögens zu sichern, preiswerte, ausgabendeckende Mieten einzuhalten und zugleich flexibles Handeln zu ermöglichen, eine Wohnungsbelegung nach sozialen Kriterien zu gewährleisten und eine Demokratisierung von Entscheidungs- und Kontrollorganen zu erreichen. Die Bildung von Sondervermögen, die in öffentlich-rechtlichen Formen geführt werden und zugleich organisatorisch und wirtschaftlich aus der allgemeinen Verwaltung ausgegliedert sind, soll für bestimmte öffentliche Aufgaben einen transparenten und zweckgebundenen Finanzkreislauf von Einnahmen und Ausgaben schaffen — bei der kommunalen Wohnungsverwaltung kann die Bildung eines Sondervermögens z.B. sicherstellen, daß die Mieteinnahmen künftig tatsächlich für die notwendigen Instandhaltungs- und Bewirtschaftungsausgaben bereitstehen und der öffentliche Träger fähig ist, den Mietern über seine Ausgaben Rechenschaft zu geben. Der neue Träger soll in die Lage versetzt werden, den aufgestauten Instandsetzungsbedarf von Teilen des ihm übertragenen Wohnungsbestands zügig abzubauen. Das Kommunale Sondervermögen soll eine ausgabendeckende Bewirtschaftung unter Verzicht auf Kapitalverwertungs194
anspräche realisieren. Das schließt nicht aus, daß ein Teil der Bewohner über die Miete einen begrenzten „Solidar"-Fondsbeitrag, z.B. für Erneuerungsmaßnahmen, im Bestand aufbringt, wohingegen Mietern mit besonders niedrigen Einkommen solche Beiträge erlassen werden können. Das Kommunale Sondervermögen soll weiterhin auf Bezirksebene dezentral verwaltet werden, wobei die Mieter zusammen mit Vertretern des Landes Berlin in den Organen des Sondervermögens mit Sitz und Stimme gleichgewichtig vertreten sein sollen. Darüber hinaus sollen die bezirklichen Wohnungsvermögen die gemeinschaftliche Mieter-Selbstverwaltung in Wohngebäuden des Sondervermögens unterstützen: Unter der Voraussetzung, daß eine qualifizierte Mehrheit der Bewohner die Bereitschaft zur Selbstverwaltung beschließt, können sie je nach Vertragsgestaltung verschiedene Bewirtschaftungsaufgaben übernehmen, wofür ihnen vom kommunalen Träger (der natürlich gewisse Kontrollrechte behielte) eine entsprechende finanzielle Vergütung bereitgestellt werden müßte. Es bleibt zu hoffen, daß das beschriebene Reformprojekt zügig realisiert wird und für die kommunale Wohnungswirtschaft richtungsweisend wirken kann.
Literatur Autzen, R./Becker, H. 1988: Wohnungsbestandssicherung, Teil 2: Engpässe in der Wohnungsversorgung. Ein Städtevergleich, Berlin. Borst, R./Krätke, S./Schmoll, E 1982: Stadterneuerung ohne Spekulanten — Ansätze zu einer sozialen Stadterneuerungspolitik in England und Holland, Alternativen für die Stadterneuerung in Berlin(W), Berlin. Grüber, W. 1981: Sozialer Wohnungsbau in der Bundesrepublik zwischen Sozialpolitik und Kapitalinteressen, Köln.
Der Wohnungssektor
Krätke, S./Schmoll, E 1989: Gutachten zum Aufbau eines Kommunalen Sondervermögens für Wohnungsverwaltung in Berlin; im Auftrag der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin. Krätke, S. 1987: Gemeinwirtschaft: Einsteigen statt Aussteigen, in: Das Argument, 29. Jg., Nr. 162, Hamburg. Krätke, S./Borst, R./Schmoll, E 1984: Zwischen Selbsthilfe und Staatsbürokratie - Neue Wege für die Kommunale Wohnungspolitik, Hamburg. Winter, G./Barth, U./Schlemmermeyer, B. 1982: Die Kostenmiete - Rechtliches Konzept, Verteilungswirkungen und Vollzugsprobleme, Hamburg.
Max Welsh Guerra Privater Wohnungsmarkt in der liberalen Marktwirtschaft
Die gegenwärtige Diskussion über die Neuordnung des Wohnungssektors, also der Wohnungsproduktion, -finanzierung und -Verteilung auf dem Territorium der ehemaligen D D R ist hauptsächlich getragen von der Frage, wie die Wohnungsbelegung gerechter und die Stadterneuerung wirkungsvoller gemacht werden können. Allgemeiner Bezugspunkt ist dabei der Markt, der den Einsatz der gesellschaftlichen Ressourcen lenken soll. Vor allem eine spürbare Erhöhung der Mieten soll mehr Mittel in den Wohnungsmarkt lenken, Marktmechanismen sollen die Verwendung dieser Mittel effektivieren. Diese postulierte Effektivität des Freien Wohnungsmarktes möchte ich hier hauptsächlich anhand unserer Erfahrungen in Westberlin und in den westdeutschen Städten problematisieren — prinzipiell gelten diese Erfahrungen sicherlich aber auch für die liberalisierten Wohnungsmärkte anderer, ökonomisch weniger entwickelter Länder. Damit soll dem Freien Wohnungsmarkt nicht jedwede Effektivität abgesprochen werden. Marktwirtschaftliche Wohnungsversorgung effektiviert etwa die Reproduktion begehrter Arbeitskräfte zuungunsten anderer sozialer Gruppen. Die Schering AG, beispielsweise, braucht sich nicht direkt um Wohnungen für neu angeworbene Ingenieure zu kümmern: Die hohen Gehälter, die sie zahlt, erlauben diesen, andere Wohnungssuchende zu überbieten. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint mir aber wichtiger, unsere Verlegenheiten - wenn auch in sehr komprimierter Form — offenzulegen. Dabei möchte ich den Schwerpunkt auf die Funktionsweise des Freien Wohnungsmarktes legen. Der wissenschaftliche Diskussionsstand über den Wohnungsmarkt ist unbefriedigend. Es gibt eine bürgerliche Theorie aus den USA, die Filteringtheorie (Ratcliff 1949, Lowry i960) 1 , die — sehr knapp ausgedrückt — eine harmonische Reproduktion des Wohnungsmarktes auf erweiterter Stufenleiter auf freimarktwirtschaftlicher Basis postuliert. Diese Theorie, die bei uns auch als die Theorie der Sickereffekte bekannt ist, wurde in der Bundesrepublik durch verschiedene Untersuchungen in Frage gestellt und auch wegen ihrer Prämissen und wohnungspolitischen Implikationen scharf kritisiert (vgl. Glasauer 1986, Ipsen u.a. 1984). In den 70er Jahren entstand als Gegenentwurf der Ansatz der Teilmärkte (etwa Westphal 1979), der allerdings noch nicht zu einer geschlossenen Theorie gereift ist. Dennoch kann behauptet werden, daß dieser Ansatz eine konstitutive 1
Das Literaturverzeichnis befindet sich auf S. 200.
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Prämisse der Filteringtheorie widerlegt: die Annahme, es gebe einen Wohnungsmarkt, in dem Versorgungsgewinne der Bessergestellten nach unten weitergegeben werden. Der Wohnungsmarkt ist im Gegenteil vielfach fragmentiert, lautet der neue Konsens, der weit in die bürgerliche Wissenschaft reicht, wobei über die Art und Weise dieser Fragmentierung unterschiedliche Vorstellungen herrschen. Diese Fragmentierung des Wohnungsmarktes entsteht aus verschiedenen Gründen. Zum einen aufgrund seiner sozialen Überformung durch die Mieter und Vermieterstruktur, zum anderen durch das Mietpreisrecht und die Stadterneuerungsmechanismen (den Neubau lasse ich hier aus Platzgründen weg). Im folgenden möchte ich diese vier Determinanten und ihre Folgen für die Wohnungsversorgung und Stadtentwicklung knapp skizzieren.
Mieterstruktur Die einzelnen Bevölkerungsgruppen haben nicht gleiche Zugangschancen zu allen Wohnungen. Je nach Nationalität, Haushaltsform und sonstigen Statusmerkmalen ist ihnen der Zugang zu einer Wohnung versperrt oder kann nur durch eine überteuerte Miete erkauft werden. Sie sind nicht nur sehr unterschiedlich mit Wohnraum versorgt, auch die wirtschaftliche Belastung durch die Wohnkosten ist weit gestreut. Generell gilt: Je höher das Einkommen, um so geringer der Anteil der Wohnkosten an den monatlichen Ausgaben. 1981 stellte Gustafsson anhand der Ergebnisse der bundesweiten 1 %-Stichprobe von 1978 fest, daß Einkommenserhöhungen nicht gleichmäßig zu Erhöhungen der Wohnungsnachfrage führen; Bezieher hoher Einkommen widmen höhere Anteile ihrer Zusatzeinnahmen der Verbesserung ihrer Wohnungsversorgung (Gustafsson 1981). Selbst bei linearen Einkommenserhöhungen würden Besserverdienende mehr zusätzlichen Wohnraum kaufen oder mieten können als die anderen Bevölkerungsgruppen. Eine solche lineare Einkommensentwicklung hat es in der Bundesrepublik und in Westberlin bekanntlich nicht gegeben. In der Regel erhöht sich die Kaufkraft der Bezieher hoher Einkommen überdurchschnittlich stark. Mit anderen Worten: Die Kaufkraft von Rentnern, Studenten, Arbeitslosen etc. sinkt zugunsten der Nachfrage von Mittelständlern. Gustafsson stellte übrigens fest, daß ab einem bestimmten Wohlstandsniveau diese Bevölkerungsgruppen mit mehr Wohnungsqualität so gut versorgt sind, daß sie speziell mehr Wohnraumfläche nachfragen und aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke auch bekommen können. So entsteht durch ökonomische Mechanismen eine Umverteilung zugunsten der Bezieher hoher Einkommen. Je höher das Mietpreisniveau, um so schneller steigt die Konkurrenz der Bezieher niedriger Einkommen untereinander um den Wohnungsbestand, der von den Großverdienern nicht nachgefragt wird. Tendenziell können Mieterhöhungen sogar bei wachsendem Bestand und gleichbleibender Bevölkerung zu Wohnungsnot führen.
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Vennieterstruktur Die Vermieter wiederum verhalten sich sehr unterschiedlich. Es verhalten sich nicht alle privaten Vermieter ökonomisch rational, und wenn sie das tun, dann mit unterschiedlichen Bewirtschaftungs- und Vermietungsmustern. Die einzige existierende größere Auswertung hierzu ist eine Sekundäranalyse der genannten 1 %-Wohnungsstichprobe von 1978 durch Ulbrich (Ulbrich 1983). Die Studie ergab, daß unter Berücksichtigung aller wichtigen Strukturmerkmale gleiche Wohnungen je nach Vermietertyp sehr unterschiedliche qm-Preise verlangt wurden. Einige Beispiele: Im sozialen Wohnungsbau lagen die Mieten der Wohnungen im Besitz der Immobilienfonds um 8,7 % über, die staatlichen Wohnungen lagen 12,7 % unter dem Durchschnitt. Im freifinanzierten Wohnungsbau lagen die Mieten der Eigentumswohnungen um 13,1 % über, die der Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen um 18,9 % unter dem Durchschnitt. Mit anderen Worten variierte der Preis für gleiche Wohnungen je nach Vermietertyp um bis zu 32 % (Ulbrich 1983). Da Mietverträge im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches freie Verträge sind, entscheidet der Vermieter darüber, welchem Wohnungssuchenden eine Wohnung vergeben wird. Daher ist die Vermieterfrage von zentraler Bedeutung auch dafür, welche Bevölkerungsgruppen bei der Wohnungsvergabe diskriminiert werden. Die Zusammensetzung der Vermieterschaft ist schließlich eine wichtige Determinante der Stadterneuerung. Nicht alle Vermietertypen verfolgen eine langfristige Investitionsstrategie und sind an einer dauernden Instandhaltung interessiert. Kleiner ist die Gruppe derer, die langfristig wirtschaften möchten und sich dies auch ökonomisch leisten können (Welsh Guerra 1989).
Mietpreisrecht Das Mietpreisrecht in der Bundesrepublik und in Westberlin gestattet bei Neuvermietung besondere Mieterhöhungsmöglichkeiten. Dies führt zur verstärkten Verteuerung in Gebieten mit großer Fluktuation — oft Wohnorte für diskriminierte Gruppen — und ist zugleich ein Anreiz für bestimmte Vermietertypen, Fluktuation mit legalen, halblegalen und illegalen Mitteln auszulösen. Der Mietspiegel nach dem geltenden Mieterhöhungsgesetz ist im übrigen kein Mittel zur Gestaltung der Mietenstruktur, etwa zugunsten einer Familiengerechtigkeit oder einer wie auch immer definierten sozialen Gerechtigkeit. Der Mietspiegel ist lediglich ein Mittel, das die Marktentwicklung transparent macht und homogenisiert. Hohe Mietpreise führen nicht notwendigerweise zu einer öffentlichen Thematisierung von Versorgungsengpässen bzw. Wohnungsnot. Dies erklärt sich aus dem Umstand, daß die Nachfrage eine Funktion des Angebots ist, daß also starke Mietsteigerungen zu einer geringeren Flächennachfrage führen. Die So198
ziologie behandelt diese Mechanismen der Anpassung der Ansprüche an die für realisierbar gehaltenen Standards der eigenen sozialen Gruppe im Rahmen der Bezugsgruppen- und Dissonanztheorie. Stadtemeuerung Eine wichtige Determinante der Wohnungsversorgung ist die Stadterneuerung. Private, also nur mit steuerlicher, indirekter Förderung finanzierte Modernisierung, erlaubt, 11 % der Kosten jährlich auf die Miete umzulegen. Dadurch ist es häufig zu krassen Mieterhöhungen gekommen, die einen regelrechten Austausch der Mieter eines Hauses und ganzer Stadtteile bewirkten. Die Modernisierungsprogramme mit direkter Förderung erlauben eine zeitweise oder bleibende Verringerung der Mieterhöhungen durch Modernisierung und deshalb eine geringere Verdrängung. Die Fragmentierung des Wohnungsmarktes erlaubt es, auch für nicht instandgesetzte Wohnungen Mieter zu finden; der freie Wohnungsmarkt sorgt allein in den Teilmärkten des gehobenen Bedarfs wie etwa in weiten Teilen BerlinWilmersdorfs für eine Kopplung der Miethöhe an die Erhaltung des Hauses. Die massive Unterlassung von Instandhaltung im Westberliner Alt- und Neubau ist nur in Einzelfällen das Ergebnis mangelnder wohnungswirtschaftlicher Rentabilität, meistens ist es das Ergebnis marktwirtschaftlicher Vermietermacht, gepaart mit ungenügender wohnungsaufsichtlicher Tätigkeit der Behörden. Hohe wohnungswirtschaftliche Rentabilität bewirkt nie automatisch eine gute Erhaltung. Die teilweise gelungene Erhaltung der Bausubstanz in Westberlin hat vorwiegend andere Ursachen: starke öffentliche Subventionen aus wirtschaftspolitischen Gründen, aus Gründen politischer Legitimation und als Reaktion auf massive soziale Konflikte. Die vielgepriesene Westberliner Behutsame Stadterneuerung ist dafür ein gutes Beispiel; sie wurde erst nach — im wörtlichen Sinn — schweren Kämpfen und leider nur in einigen Bezirken durchgesetzt, nach dem das herkömmliche sozialdemokratische Stadterneuerungsmodell um 1980 in Westberlin politisch und ökonomisch zusammengebrochen war. Die vielfältige Fragmentierung des Wohnungsmarktes wird sichtbar, wenn in einer kapitalistischen Stadt zugleich Leerstand und Wohnungsnot herrschen, wenn Wohnungen gleicher Art in schlechten Lagen pro qm teurer sind als in guten Lagen, oder wenn der Wohnungsbestand schlechter Qualität (Ausstattung, Erhaltungszustand) pro qm teurer ist als welcher guter Qualität. Das freie Spiel der Kräfte führt mithin nicht zu einem Mietpreis, der der Wohnqualität entspricht, und auch nicht zu einer haushaltsgerechten Wohnraumverteilung, sondern zu einem Mietpreis, der lediglich dem spezifischen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage im betreffenden Teilmarkt entspricht. Marktwirtschaftliche Regelung der Wohnraumverteilung ist weder sozialgerecht noch qualitätsgerecht, sondern ganz einfach marktgerecht. 199
Literatur Glasauer, H. 1986: Sozialpolitische Hoffnungen und die Logik des Marktes. Die Relevanz des Filteringmodells für den städtischen Wohnungsmarkt, Kassel. Gustafsson, K. 1981: Einkommen und Wohnungsnachfrage. Erkenntnisse und Hypothesen auf der Basis der Wohnungsstichprobe 1978, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Heft 1. Ipsen, D. u.a. 1984: Die Auswirkungen des sozialen Mietwohnungsbaus auf den örtlichen Wohnungsmarkt, Kassel. Lowry, I. S. 1960: Filtering and Housing Standards, in: Land Economics, Vol. 36. Ratcliff, R. U. 1949: Urban Land Economics, New York. Ulbrich, R. 1983: Bestandsanalyse der Wohnungsversorgung bestimmter Haushaltstypen durch verschiedene Anbietergruppen, unveröff. Ms. Darmstadt. Welsh Guerra, M. 1989: Dynamik der Vermieterstruktur seit 1982, in: Stadterneuerung in Berlin-West. Perspektiven einer Bestandsentwicklungspolitik. Arbeitsgruppe Stadterneuerung (Hrsg.), Berlin. Westphal, H. 1979: Wachstum und Verfall der Städte. Ansätze einer Theorie der Stadtsanierung, Frankfurt am Main.
Kommunales Klaus Lüders Kommunale Sozialpolitik in der Stadt als sozialer Gemeinschaft
Bezieht man die Überschrift dieses Kapitels unmittelbar auf die Situation der Städte der DDR in den vergangenen 40 Jahren, dürften wohl zuerst einige Zweifel auftauchen: Gab es überhaupt in der DDR des Honeckerschen Scheinsozialismus eine „kommunale Sozialpolitik"? Und: Waren die Städte der DDR in dieser Zeit überhaupt „soziale Gemeinschaften"? An schönen Worten über die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, über die Rolle der „örtlichen Organe" dabei hat es gewiß nicht gemangelt, desto mehr aber an der Realität. Die Städte besitzen für eine funktionierende Gesellschaft wichtige Funktionen, aber ebenso haben sie wichtige Funktionen für ihre eigenen Bürger, für deren Existenzbedingungen: Materielle Funktionen und ideelle, ökonomische ebenso wie soziale; und gleichermaßen, wie es in den vergangenen 40 Jahren den Städten immer schwerer wurde, ihre Funktionen für die Gesellschaft zu erfüllen, kam es zu einem wachsenden Funktionsverlust der Städte für ihre Bürger, kam es insbesondere zum zunehmenden Verlust ihrer Rolle als soziale Gemeinschaften. Und gerade das war im Sommer und Herbst 1989 einer der wichtigsten Anlässe für das offene Ausbrechen der Krise des DDR-Systems. Für viele Bürger der DDR war die Nichtidentifikation mit der Heimat eine Komponente ihres Entschlusses, die DDR zu verlassen; für andere war der Ruin ihrer Heimatstadt eine Komponente des Entschlusses, auf die Straße zu gehen und für die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft zu demonstrieren. Das DDR-System hatte sich durch die Zerstörung der Städte, durch den Verlust ihrer Funktionen selbst den Boden unter den Füßen entzogen. Die sozialen Aspekte gehörten dabei zu den ausschlaggebenden.
Der Fünktionsverlust der Städte in der ehemaligen DDR: Soziales Defizit Wie stand es denn um die Sozialpolitik in den Städten der DDR vor 1989? Um die Antwort kurz und knapp vorwegzunehmen: Schlecht stand es damit. Aber holen wir etwas aus. Die tiefere Ursache für die mangelnde soziale Rolle der Städte war bereits in den Funktionen begründet, die der Sozialpolitik im Rahmen der von der SED unter Honecker seit 1970 deklarierten „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" zugedacht war. Das waren im Grunde zwei Funktionen: Erstens sollte Sozialpolitik die wirtschaftliche Entwicklung sichern und 201
womöglich beschleunigen; in diesem Sinne gab es in der „Einheit" von Wirtschafts- und Sozialpolitik ein eindeutiges Primat der Ökonomie vor dem Sozialen. Daran ließen zahlreiche parteioffizielle Äußerungen von Honecker bis Mittag keinen Zweifel, und auch die Gesellschaftswissenschaft der damaligen Zeit war nach Kräften bemüht, dieses Primat zu sichern. 1 Allerdings: Sehr hoch kann der ökonomische Effekt der „sozialen Triebkräfte" nicht gewesen sein, bedenkt man die unzureichende Produktivitätsentwicklung der DDR in dieser Zeit. Zweitens war Sozialpolitik im Rahmen dieser Einheit darauf gerichtet, das in der Wirtschaftstätigkeit (einer abstrakten „Gesellschaft") Erarbeitete zur Gewährleistung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen, der sozialen Rechte der Menschen einzusetzen. Der Honeckerschen Politik lag also durchaus die Erkenntnis zugrunde, daß schon aus Gründen der Systemstabilisierung ein Ziel der Politik die Sicherung und Erhöhung des Lebensniveaus der Menschen sein mußte, nur: Letztlich hat sich erwiesen, daß die Sozialpolitik des Systems diese systemstabilisierende Funktion nicht erfüllt hat. Entscheidend für die — fehlende — Rolle der Kommunen in der DDRSozialpolitik war jedoch die Art und Weise, in der diese Sozialpolitik betrieben wurde: Sie war vor allem eine zentralistische Sozialpolitik, was ja in diesem bürokratisch-zentralistischen System nicht verwunderlich ist. Alle „sozialpolitischen Maßnahmen" wurden auf höchster Ebene festgelegt und quasi als Gottesgeschenk über die Untertanen ausgegossen — was Wunder, daß für die Menschen der Zusammenhang mit der eigenen Leistung immer mehr verlorengingDabei blieb kein Platz für eine eigene sozialpolitische Rolle der Kommunen, im Gegenteil: Der geringe noch verbleibende sozialpolitische Spielraum wurde den Kombinaten und Betrieben reserviert, die gewissermaßen zum ausführenden Organ für die Durchführung der zentralistischen Sozialpolitik wurden. Eine Vielzahl von — durchaus im Interesse der Menschen liegenden — sozialen Leistungen wurde in den Betrieben oder über die Betriebe abgewickelt: Kindergärten und Polikliniken, Kulturhäuser und Kinderferienlager, Urlaubsreisen und Sporteinrichtungen, Vergünstigungen für junge Mütter und Altersbetreuung, Einkaufsmöglichkeiten für Mangelwaren und Berufsverkehr — der Reduzierung der sozialen Funktion der Kommunen stand eine Aufblähung der sozialen Funktion der Betriebe gegenüber. Und was kam dabei heraus? Die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Stadt wurde geschwächt — aber die Verbundenheit mit ihrem Betrieb nicht im gleichen Maße gestärkt; die sozialpolitischen Leistungen waren in mancher Hinsicht hoch und sind dort heute noch bewahrenswert - aber unter dem Strich entsprach des soziale Standard nicht den Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen. 1
Das Motto des 4. Soziologiekongresses der DDR (1985) lautete: „Soziale Triebkräfte ökonomischen Wachstums".
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All das gehört zu den Ursachen für das soziale Defizit der Städte, das sich bis 1989 in der DDR aufgetan hatte. Dieses soziale Defizit macht sich in vielerlei Weise bemerkbar: 1. Die Städte hatten nicht die Mittel zur Verfügung, um ihren Bürgern gute Lebensbedingungen zu sichern. a) Die Mittel, die insgesamt in der DDR-Gesellschaft für die Lebensbedingungen der Menschen zur Verfügung standen, waren infolge des unzureichenden Produktivitätsniveaus und ungenügenden Produktivitätszuwachses zu niedrig (gemessen an den Maßstäben eines entwickelten Landes in der heutigen Zeit); b) diese unzureichenden Mittel wurden auf unzureichende Weise verausgabt, vor allem über einen explosionsartig wachsenden Anteil für Subventionen, für die sogenannte „zweite Lohntüte"; c) dadurch blieben für die in den Städten zu sichernden wesentlichen Lebensbedingungen der Bürger — Wohnungen, technische und soziale Infrastruktur — nicht einmal genügend Mittel zur Erhaltung der Substanz zur Verfügung, geschweige denn zur eigentlich notwendigen Erweiterung des Bestandes. Nur wenige Fakten sollen das katastrophale Ergebnis dieser Mißwirtschaft belegen: — Trotz des mit großen Aufwand betriebenen Wohnungsbauprogramms, das die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 gewährleisten sollte, gab es Ende 1989 noch 778 352 Wohnungsanträge, davon ein großer Teil von hoher sozialer Dringlichkeit; junge Familien müssen immer noch jahrelang auf eine eigene Wohnung warten; — die vorhandene Wohnungssubstanz ist zum großen Teil in schlechtem Zustand, insbesondere die bis 1945 errichtete (das waren 1986 rund 60 % des gesamten Wohnungsbestandes!) und die zwischen 1945 und 1970 errichtete (weitere ca. 10 %); — der Ausstattungsgrad vieler Wohnungen entspricht nicht den gerechtfertigten Bedürfnissen der Menschen (Anfang 1990 gab es noch 1,47 Millionen Wohnungen ohne Innentoilette und 0,97 Millionen ohne Bad oder Dusche); — die technische Infrastruktur der Städte ist unterentwickelt und überaltert (das Wasserleitungsnetz verliert permanent 30 % des Wassers; von 7565 Gemeinden besitzen nur 1065 Kläranlagen); — der Zustand der sozialen Infrastruktur ist in großen Teilen desolat (besonders im Gesundheits- und Sozialwesen); — historisch wertvolle Altstadtkerne sind verfallen oder bereits unrettbar verloren; die Situation von rund 200 kulturhistorisch bedeutsamen Städten ist kritisch. 2.Das soziale Defizit der Städte äußert sich weiter darin, daß große Teile der sozialen Leistungen und des Bestands an sozialen Einrichtungen nicht ihrem Einfluß unterlagen, sondern den Kombinaten und Betrieben unterstanden. Die Betriebe wendeten hierfür beträchtliche Mittel auf (pro Jahr ca. 6 Mrd. Mark aus den Kultur und Sozialfonds), die bisher zum Teil auch der 203
„Bevölkerung im Territorium" zugute kommen sollten; immer mehr Betriebsleiter bewiesen im Zuge des Übergangs zur Marktwirtschaft, daß sie gut von Günter Mittag gelernt haben: Sie beeilten sich mit der Streichung sozialer Leistungen, als hätten sie schon lange auf eine solche Gelegenheit gewartet. Und entlassene Werktätige wurden von den sozialen Leistungen „ihres" Betriebes natürlich ausgeschlossen, z.B. von der Unterbringung ihrer Kinder im Kindergarten ihres Betriebes. Einen Eindruck vom bisherigen Umfang sozialer Dienste der Betriebe sollen folgende Angaben über aufgewandte Mittel der Betriebe und Einrichtungen 2 vermitteln: Pro Jahr wurden ca. verausgabt - für Ferien und Erholungswesen der Betriebe 750 Mill. Mark — für Kinderbetreuung (Subventionen für Betriebskindergärten, Betriebsferienlager usw.) 600 Mill. Mark 300 Mill Mark — für das Betriebsgesundheitswesen — für kulturelle Leistungen (Kulturhäuser, Klubs, Laienkunst usw.) 560 Mill. Mark — für den Sport 300 Mill. Mark Darüber hinaus standen den entsprechenden sozialen und kulturellen Einrichtungen natürlich umfangreiche Mittel aus dem Staatshaushalt zur Verfügung, die aber zum größten Teil ebenfalls an den Kommunen vorbeigelenkt wurden. Jetzt besteht die Gefahr, daß all diese — unbedingt notwendigen — Aufwendungen ersatzlos gestrichen werden, ohne daß die Kommunen dagegen wirkungsvoll vorgehen können. 3. Der Einfluß der Städte und ihrer Bürger auf ihre eigene soziale Entwicklung, auf die Gestaltung ihrer Lebensumwelt, auf die Sicherung grundlegender Existenzbedingungen war also denkbar gering. Die Kommunen waren keine auf demokratische Weise selbstverwalteten Gemeinschaften, sondern Verästelungen der zentralisierten Staatsmacht. Die unzureichenden Mittel wurden ihnen bei der Aufteilung des zentralisierten Staatshaushalts zugewiesen, noch dazu größtenteils mit vorgeschriebener Verwendung. Über eigene Einnahmen verfügten sie nur in minimalem Umfang. Von einer langfristigen Planung ihrer sozialen Entwicklung konnte so keine Rede sein. Noch machtloser als die Kommunen in bezug auf ihre eigenen Angelegenheiten waren nur die Bürger selbst, die bestenfalls an der Realisierung vorwegbestimmter Aktivitäten mitwirken durften: Orwell läßt grüßen. 4. Das soziale Defizit der Städte äußerte sich letztlich in einer zunehmenden Abwanderung aus den Städten. War in den letzten Jahren von DDR-Wissenschaftlern auf die Wanderungsverluste der Städte hingewiesen worden — sie gingen innerhalb der DDR tendenziell in Form der Abwanderung aus kleineren Städten in größere und aus größeren in größte vonstatten - so war es seit 2
Nach Angaben der DDR-Gewerkschaften.
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Sommer 1989 zusätzlich die Übersiedlung in die Bundesrepublik, die vorrangig aus städtischen Siedlungsgebieten erfolgt. Die Gründe für diese Wanderungsbewegung sind eindeutig: Der Wunsch nach besseren Lebensbedingungen ist stärker als die Bindung an den Heimatort, die nicht zuletzt durch das soziale Defizit der Städte immer stärker abgebaut worden war.
Kommunale Sozialpolitik als Bestandteil kommunaler Selbstverwaltung Für einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat ist die Selbstverwaltung der Kommunen eine unabdingbare Voraussetzung,3 ja mehr noch: Das Niveau von Demokratie und Selbstverwaltung in den Kommunen ist für den demokratischen und sozialen Charakter des Gesamt-Staatswesens ein Schlüsselindikator. Wenn dem so ist, dann ist es für ein zukünftiges Deutschland von elementarer Bedeutung, daß die Kommunen der ehemaligen DDR so rasch wie möglich ihre kommunale Selbstverwaltung entwickeln und auf ein Niveau bringen, das a) den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Bürger entspricht, b) das Funktionsdefizit der Kommunen beseitigt und c) damit ein rasches Aufblühen der Kommunen ermöglicht. Eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern am Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften hat bereits seit Ende Oktober 1989 Aussagen zu Grundzügen einer neuen Kommunalpolitik vorgelegt und Empfehlungen dazu unterbreitet. 4 Im Januar und April/Mai 1990 wurden dazu in ausgewählten Städten und Gemeinden Untersuchungen durchgeführt, die sowohl die Meinungen der Bürger als auch die Vorstellungen der Vertreter neuer gesellschaftlicher Kräfte in den Kommunen erfaßten. In den Ergebnissen dieser Untersuchungen kommt auf beeindruckende Weise der Wunsch der Bürger zum Ausdruck, die Zukunft ihrer Heimatstadt selbst zu bestimmen und sie endlich wieder zu einer Heimstatt für sich und ihre Familien, zu einer funktionierenden sozialen Gemeinschaft zu machen. Demokratische Verhältnisse, Bewältigung der ökologischen Probleme und gute Lebensbedingungen in den Städten — diese drei Forderungen wurden mit hoher Übereinstimmung von den Befragten in den Mittelpunkt gestellt. Im folgenden wird insbesondere der dritte Komplex zu betrachten sein: Die Lebensbedingungen in den Städten und die Frage, was kommunale Selbstverwaltung und insbesondere kommunale Sozialpolitik unter den Bedingungen der 3 4
Vgl. den Beitrag von H. Melzer in diesem Band. Am 30.10.89 wurde dazu eine Studie vorgelegt („Sozialpolitische Probleme in den Territorien der D D R — Schlußfolgerungen und Empfehlungen für eine neue Kommunalpolitik"; Manuskriptdruck, Akademie der Wissenschaften der D D R , Institut für Soziologie und Sozialpolitik, Forschungsgruppe Leitung sozialer Prozesse, Leitung: Prof. Dr. K. Lüders).
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nächsten Jahre in den Kommunen der neuen Bundesländer zu bewältigen haben wird. Wenn es in der nächsten Zukunft darum geht, in den Kommunen der ehemaligen DDR eine kommunale Sozialpolitik zu entwickeln, muß dabei in einer Reihe wichtiger Grundfragen ein Konsens herbeigeführt werden. Das beginnt bereits mit der Frage: Was soll eigentlich Inhalt einer solchen kommunalen Sozialpolitik sein? Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst weiter zu fragen: Was am bisherigen sozialen Status der Menschen in der ehemaligen DDR ist wert, beibehalten zu werden, vielleicht sogar zum Wohle aller deutschen Bürger in ein zukünftiges gemeinsames Deutschland eingebracht zu werden, und was an sozialem Status der Bürger der alten Bundesrepublik läge im Interesse der Bürger der neuen Bundesländer? Es versteht sich, daß dabei nicht einfach mit vorgegebener oder tatsächlich vorhandener Blauäugigkeit eine Art Weihnachtswunschzettel aufgeschrieben werden kann. Solche Überlegungen müssen realistisch sein, müssen die gegebenen Bedingungen und insbesondere die Finanzierungsmöglichkeiten beachten. Der Rahmen dafür ist zwar infolge der wirtschaftlichen Stärke und ausgezeichneten Wirtschaftslage der Bundesrepublik und der Größenverhältnisse zwischen ehemaliger DDR und BRD einerseits recht breit, aber andererseits ist an den Bedingungen der Marktwirtschaft — einer sozialen, wie allerseits betont wird — nicht vorbeizukommen. Ziel sachlicher Erörterungen muß es also sein, für alle Deutschen die sozial günstigste und zukunftsträchtigste Lösung zu finden — eine Lösung, die zugleich im Interesse der Nachbarn Deutschlands die politische und soziale Stabilität Europas verstärkt. Um den sozialen Status der Bürger in den neuen Bundesländern ist in den letzten Monaten eine heiße Diskussion entbrannt; das ist nicht verwunderlich, berühren doch diese Fragen unmittelbar die Lebensinteressen jedes Menschen. Wenn man versucht, diese Auseinandersetzungen etwas zu systematisieren, stößt man zuallererst auf die Diskussionen um das Recht auf Arbeit, um Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit. Angesichts der massenhaften Arbeitslosigkeit ist es natürlich nicht nur eine akademische Frage, ob und in welcher Form das Recht auf Arbeit verfassungsmäßig zu fixieren ist. Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist es nicht enthalten, aber ein dauerhafter Level von 2 Millionen Arbeitslosen in der BRD ist dafür nicht gerade ein Argument. Natürlich muß allen Menschen bei Arbeitslosigkeit zumindest eine einigermaßen menschenwürdige Existenz gesichert werden, aber damit kann es nicht sein Bewenden haben: Wichtiger noch als die finanzielle Unterstützung bei der Arbeitslosigkeit ist a) die Verhinderung von Arbeitslosigkeit und b) die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Beides muß, um es nochmals zu betonen, unter den Bedingungen der Marktwirtschaft gelöst werden. 206
Die gegenwärtige Diskussion hat sich zu einem großen Teil auf die verfassungsrechtliche Seite des Problems konzentriert. Soll ein Recht auf Arbeit in einer neuen deutschen Verfassung verankert werden? Wenn ja: Welchen Charakter könnte ein solches verfassungsmäßig verbrieftes Recht haben — den Charakter eines Staatszieles, einer Richtlinie für Staatspolitik oder aber den Charakter eines einklagbaren Individualrechts? Letzteres gerät wohl stark in die Nähe einer Illusion; aber was nützt es den Arbeitslosen der alten und der neuen Bundesländer, wenn sie sich sagen müßten: Ich habe zwar das Recht auf Arbeit, aber Arbeit habe ich nicht? Die Verkündung des Rechts auf Arbeit als Staatsziel bringt allein noch nichts; aber wäre nicht folgende Konstruktion denkbar: a) Die Fixierung des Rechts auf Arbeit als Staatsziel in der Verfassung; b) die verbindliche Fixierung der Priorität des Rechts auf Arbeit unter den (inneren) Staatszielen; c) die Verbindung des Verfassungsrechts auf Arbeit mit einem Individualrecht auf menschenwürdige Existenz (insbesondere durch Garantie eines Mindesteinkommens für alle Bürger, unabhängig von ihrem Beitrag für die Gesellschaft, unabhängig also davon, ob jemand arbeitet oder nicht) und schließlich d) eine verbindliche Verpflichtung des Staates zur arbeits- bzw. beschäftigungsfördernden Politik. Die letztgenannte Forderung richtet sich nicht nur an die staatliche Zentralgewalt, sondern auch an die Länder und insbesondere an die Kommunen; sie sollte also auch in der Kommunalverfassung verankert sein. Für die Städte der neuen Bundesländer würde das bedeuten: — Zur Kommunalpolitik gehört auch kommunale Arbeitsmarktpolitik, die in engem Zusammenhang mit kommunaler Sozialpolitik betrieben werden muß und unter den kommunalpolitischen Zielen hohe Priorität haben sollte; — dazu muß Kommunalpolitik auf einen hohen Beschäftigungsgrad in der Kommune gerichtet sein, was einschließt • zielstrebige Wirtschaftsförderung, • vorausschauende Strukturpolitik und • langfristig orientierte Sozialplanung. Festzuhalten wäre also: 1. Die Sicherung des Rechts auf Arbeit ist eine soziale Aufgabe erster Ordnung; das gilt für alle Ebenen und Bereiche der Gesellschaft und des Staatswesens. 2. Auch wenn die Sicherung des Rechts auf Arbeit keine ausschließlich kommunale Angelegenheit ist, so gehört doch kommunale Arbeitsmarktpolitik zu den Grundaufgaben kommunaler Selbstverwaltung (ist also nicht nur eine „Auftragsangelegenheit", die den Kommunen von Bund oder Land übertragen wird). 3. Kommunale Arbeitsmarktpolitik kann nur in engem Zusammenhang mit kommunaler Sozialpolitik die Lebensbedingungen der Bürger sichern. 207
4. Die verfassungsrechtliche und gesetzliche Regelung des Problems, wie sie bisher in der Bundesrepublik gilt, ist eine zwar wichtige, aber keine für die Bedingungen in den neuen Bundesländern ausreichende Grundlage der Kommunalpolitik. Ähnliches gilt auch für einen zweiten Problemkreis, der aus sozialpolitischer Sicht für die zukünftige Kommunalpolitik in den Städten der ehemaligen DDR große Bedeutung hat, das Wohnungsproblem. Auch in bezug auf das Wohnungsproblem gilt: Es gibt nur die Alternative zwischen einem (durchsetzbaren) Individualrecht auf Wohnung und einer Konstruktion, die das Recht auf Wohnung als Staatsziel fixiert und seine praktische Verwirklichung ermöglicht. Da die Wohnungsfrage auch in anderen Beiträgen dieses Bandes eine Rolle spielt, sei hier nur auf einige Facetten dieses Problems aus sozialpolitischer Sicht hingewiesen. 1. Die Gewährleistung des Rechts auf Wohnung erfordert in den Städten der ehemaligen DDR Milliardenaufwendungen; auf die gegenwärtig vorliegenden ca. 800 000 Wohnungsanträge wurde schon verwiesen. Also: Die Gewährleistung des Rechts auf Wohnung erfordert eine Forcierung des Wohnungsbaus. 2. Der schlechte Zustand eines großen Teils des Wohnungsbestandes erfordert hohe Aufwendungen für Sanierung, Instandsetzung und Instandhaltung. 3. Der Ausstattungsgrad der Wohnungen in den Städten der ehemaligen DDR muß verbessert werden; dabei geht es - neben der Befriedigung berechtigter Wohnbedürfnisse — auch um gewaltige ökologische Aufgaben, was die Art der Heizung, den sparsamen Verbrauch von Energie und Wasser und eine umweltfreundliche Abwasser- und Müllbeseitigung betrifft. 4. Unter den heutigen Bedingungen der neuen Bundesländer ist die Sicherung sozial verträglicher Mieten von besonderer Bedeutung. Das gegenüber den Bürgern der alten Bundesländer in den neuen Bundesländern wesentlich niedrigere Einkommensniveau erfordert neben Mietzuschüssen aus sozialen Gründen, wie sie ja auch in den alten Bundesländern üblich sind, die Sicherung eines niedrigeren Gesamt-Mietniveaus (das nicht allein an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiert werden kann). 5. In der kommunalen Wohnungspolitik der Städte der ehemaligen DDR muß vorerst noch eine kommunale „Wohnraumlenkung" beibehalten werden, zumal der Wohnungsbestand noch nicht ausreicht und vor allem in der Übergangszeit beträchtliche soziale Probleme bei den Mietern auftreten können. Mieter und Kündigungsschutz muß darüber hinaus - auch unter Einbeziehung von Erfahrungen der alten Bundesländer mit Sozialwohnungen, „weißen Kreisen" usw. — langfristig gesichert sein. In der Diskussion spielt in diesem Zusammenhang auch das Wohnungseigentum eine große Rolle. Diese Diskussion bewegt sich seit Monaten zwischen zwei Extremen: Zwischen der Forderung, das bisherige „Volkseigentum" an Wohnraum unter allen Umständen zu bewahren und der Auffassung, daß das 208
Wohnungswesen in vollem Umfang den marktwirtschaftlichen Prinzipien geöffnet werden müsse, was die Privatisierung des vorhandenen Wohnungsbestandes voraussetze. Hier zunächst die Fakten: Wohnungsbestand in der ehemaligen D D R nach Eigentumsformen 1989 (in %): volkseigen genossenschaftlich Mehrfamilienhäuser 37,0 17,0 1- und 2-Familienhäuser 4,0 1,0 Quelle: Sozialreport 1990 (Hrsg. G. Winkler), Berlin 1990, S. 161.
privat 14,0 27,0
Also: Fast die Hälfte des Wohnungsbestandes befand sich bereits bisher in Privateigentum, ein Sechstel war genossenschaftlich und ca. 40 % „volkseigen", inzwischen leider nicht in Kommunaleigentum. Daß von der dritten Gruppe sicher ein kleiner Teil im Falle ungesetzlicher Enteignungen (z.B. bei „Republikflucht") den früheren Eigentümern zurückgegeben ist, muß hier außer Betracht bleiben, da dafür keine Zahlen vorliegen. Aber selbst abgesehen davon ist der Anteil der Wohnungen in Kommunaleigentum eine nicht nur vertretbare Größenordnung, sondern auch zur Durchsetzung sozialer Orientierungen in der kommunalen Wohnungspolitik unter den Bedingungen der Städte der neuen Bundesländer durchaus notwendig. Wenn knapp die Hälfte des Wohnungsbestandes in kommunalem und genossenschaftlichem Eigentum nach dem Prinzip der Gemeinnützigkeit verwaltet wird, kann mit Hilfe des verbleibenden Anteils der notwendige Beitrag zur Verwirklichung individueller Wohnbedürfnisse und zum Aufblühen einer marktwirtschaftlich orientierten Bauwirtschaft geleistet werden. Als dritten Problemkreis schließlich, der für die Lebensbedingungen der Bürger in den Städten der ehemaligen DDR zukünftig von wachsender Bedeutung sein wird, sei auf die kommunale Sozialarbeit hingewiesen. Im bundesrepublikanischen Sprachgebrauch ist das übrigens der eigentliche Kern kommunaler Sozialpolitik, die meist in einem relativ engen Sinne als „Planung, Organisation und Durchführung, aber auch Finanzierung von sozialen Einrichtungen, Diensten und Leistungen bei den Städten und Gemeinden" verstanden wird, wobei „die Kommunen zum einen Aufgaben, die ihnen durch Bundes- und Landesgesetz vorgeschrieben sind, und zum anderen die freiwilligen Aufgaben, die sich aus der im Grundgesetz festgelegten kommunalen Selbstverwaltung ergeben" 5 erfüllen. Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) ist eine der problematischen Fragen für eine künftige kommunale Sozialarbeit in den Städten der neuen Bundesländer. Zahlreiche Kommunalpolitiker in der alten Bundesrepublik sind mit den gültigen Regelungen für dieses 5
Frank, R., Kommunale Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik in der B R D e. V, Sonderdruck.
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Problem keineswegs zufrieden, da zunehmend die Kommunen soziale Lasten zu tragen haben, auf deren Entstehung sie keinen Einfluß hatten (z.B. bei Aussteuerung von Langzeit-Arbeitslosen). Hier besteht also offensichtlich Diskussionsbedarf. An dieser Stelle kann nur angedeutet werden, daß in die Kompetenz und Verantwortung des Gesamtstaates (des Bundes) die Gewährleistung eines Mindestsockels bei der Realisierung der sozialen Rechte aller Bürger fallen sollte, während die Kommunen darüber hinaus solche sozialen Dienste, Einrichtungen und Leistungen zu realisieren hätten, die ihren spezifischen Bedingungen und der besonderen sozialen Zusammensetzung der Bürgerschaft entsprechen. Daß dieses komplizierte Problem noch komplizierter wird, wenn man dabei den notwendigen Lastenausgleich zwischen den Kommunen mit ins Auge faßt, sei nur am Rande vermerkt. Der Ansatz für eine zukünftige kommunale Sozialarbeit in den Städten der neuen Bundesländer kann sich auf eine Reihe bereits vorhandener Regelungen, Erfahrungen und Einrichtungen stützen, die aufgegriffen und bewahrt werden sollten; er muß aber auch ein beträchtliches Defizit auf anderen Gebieten einkalkulieren, auf denen Regelungen und Erfahrungen der Städte der Bundesrepublik als Vorbild dienen könnten. Einerseits war das der in der DDR vorhandene Standard der Unterstützung der Familien, der Betreuung der Kinder, der Gewährleistung wichtiger Bedingungen für die Gleichstellung der Geschlechter; andererseits betrifft das das bestehende Defizit in der sozialen Betreuung von Alten, Kranken, Behinderten, die sicher an Gewicht zunehmende Hilfe für Alkohol- und Drogenabhängige, für Arbeitslose, für sozial Entwurzelte und Obdachlose, die enge Zusammenarbeit mit intermediären (nichtstaatlichen und nichtwirtschaftlichen) Organisationen, die Unterstützung von Selbsthilfegruppen u.a. In die Diskussion eines solchen Ansatzes für eine kommunale Sozialarbeit sollten auch die Empfehlungen der Sozialcharta, die am 07.03.1990 noch von der Volkskammer (auf Vorschlag des „Runden Tisches") verabschiedet worden war, und der Verfassungsentwurf des „Runden Tisches" einbezogen werden, die unter den neuen Bedingungen auf ihre Realisierbarkeit überprüft werden sollten. Unabhängig davon, wie die endgültigen Lösungen in Einzelfragen aussehen könnten, muß aber eines klar sein: Die Gesundung der kranken Städte in den neuen Bundesländern hängt in höchstem Maße davon ab, wie die Kommunen und ihre Bürger die Städte wieder zu sozialen Gemeinschaften machen; das wird ein schwieriger, aber lohnender Weg sein.
Helmut Melzer Zum Kommunalgesetz
Ein hervorstechendes Ergebnis des demokratischen Aufbruchs in den Städten des Landes ist ohne jeden Zweifel der mit ihm verbundene Übergang zu ihrer kommunalen Selbstverwaltung. Stärker noch als auf manch anderem Gebiet erhält die Demokratiebewegung vom Oktober und November 1989 mit ihr einen dauerhaften Einfluß auf alle Bereiche städtischen Lebens. Denn mit Einführung kommunaler Selbstverwaltung gewinnt die Bürgerschaft der Städte, direkt oder über ihre gewählten Vertretungs- und Verwaltungsorgane, Einfluß auf die wesentlichen Funktionen ihrer kommunalen Gemeinschaft zurück, der unter den früheren bürokratisch-zentralistischen Verhältnissen an für die Bürger völlig anonyme Mächte bürokratischer Partei-, Staats- oder sonstiger Apparaturen übergegangen war, die sich insgesamt unter dem Begriff einer „zentralen Leitung und Planung" verbargen. Das kann jedoch keineswegs bedeuten, die sich zukünftig selbstverwaltenden kommunalen Gemeinschaften der Städte von den großen, die gesamte Gesellschaft heute bewegenden politischen, sozialen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt ökologischen Vorgängen isolieren zu wollen. Kommunale Selbstverwaltung soll im Gegenteil der erneuerungsbedürftigen Ordnung in Staat und Gesellschaft in ihrer Gesamtheit neue demokratische Kräfte und kreatives Potential zuführen, indem sie die Demokratie von unten entwickelt und die Bürger in die Lage setzt, ohne reglementierende Eingriffe zentralistischer Staatsadministration alle ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten, die sie in den Formen kommunaler Selbstverwaltung in ihrer Stadt eigenverantwortlich zu regeln und zu entscheiden in der Lage sind. Kommunale Selbstverwaltung will also die gesamtgesellschaftliche Verantwortung der Städte keineswegs aufheben. Sie will die Städte nicht in autonome von der Gesellschaft pfahlbürgerlich isolierte Inseln verwandeln, sondern sie im Bewußtsein ihrer im Wesen einer Stadt liegenden und über ihr Weichbild weit hinausreichenden Verantwortung für das Land, den Staat erst wirklich zur Geltung bringen. Deshalb bleibt kommunale Selbstverwaltung immer an das Gesetz gebunden und vermag sich nur im Rahmen der Gesetze zu entfalten. Sie ist folglich darauf gerichtet, das den gesamtgesellschaftlichen Willen verkörpernde Gesetz des demokratischen Staates im eigenen Wirkungsbereich zu achten und in die Tat umzusetzen. Aus diesen Gründen erweckt die Verwendung des Begriffs einer Kommunal„autonomie" durch einzelne Autoren und politische Kräfte Bedenken. In seiner politischen Mehrdeutigkeit und bewußt alternativen Verwendung 211
zur Selbstverwaltung scheint er wenig geeignet, den Status der Städte und Gemeinden, wie auch der Kreisverbände als sich selbst verwaltende Gebietskörperschaften adäquat zu bezeichnen 1 und den wissenschaftlich ausgearbeiteten und im deutschen Verfassungsrecht längst eingeführten Begriff der kommunalen Selbstverwaltung zu ersetzen. 2 In der Realität zielt die Forderung nach kommunaler Autonomie zwar auf die Anerkennung und Verteidigung eines kommunalen Interesses in der Politik und Verwaltung ab und man glaubt, mit ihr der Mißachtung dieses Interesses unter dem alten Regime wirkungsvoll entgegentreten zu können. Zugleich aber gerät man mit ihr in die Gefahr der Hypotrophie dieses Interesses durch dessen Separieren vom gesellschaftlichen Interesse, dem jede Stadt, jede Gemeinde als Teil des Ganzen immer verpflichtet bleibt. In der Tat behandelte die vom früheren zentralistischen Regime der „Leitung und Planung" praktizierte bürokratisch-hierarchische Verwaltung durch „örtliche Organe der einheitlichen Staatsmacht" Städte und Gemeinden als vom Staat von oben her zu verwaltende und dem Staat gehörende Objekte der Regierungstätigkeit, als Staatsanstalten. Das aus dem Zusammenleben und der gemeinsamen Arbeit der Menschen in ihren Städten und Gemeinden und ihrer Zusammengehörigkeit in einem engeren oder weiteren Umland geborene und geprägte kommunale Interesse wurde von einem angeblich von der „zentralen Leitung und Planung" repräsentierten gesamtgesellschaftlichen Interesse - wie auch den Amtsinteressen regionaler Zwischeninstanzen — dominiert und nur insoweit zugelassen oder geduldet, als es sich diesen „übergeordneten" Interessen einund unterordnen ließ. Die negativen Wirkungen dieses Verfahrens auf die Stadtund Siedlungsentwicklung und das gesamte kommunale Leben sind unübersehbar. Kommunale Selbstverwaltung geht dagegen von der bei aller Pluralität der konkreten Interessen der Bürger vorhandenen gemeinsamen Interessiertheit aller Mitglieder der städtischen Bürgergemeinschaft an den kommunalen Angelegenheiten aus und legt deren Verwaltung in ihre Hände. Sie macht damit das kommunale Interesse in Politik und Verwaltung zu einem mit anderen Interessen gleichberechtigten und auch gleichberechtigt zu behandelnden Glied in der Interessenstruktur der Gesellschaft und bringt unter Anerkennung einer vertikalen politischen Gewaltenteilung einen rechtsstaatlichen und demokratischen Mechanismus hervor, um bei der Verwaltung der kommunalen Angelegenheiten Interessen und Interessenwidersprüche zu äußern, auszutragen, auszugleichen oder auch einfach in Balance zu halten. Als Rechtsinstitut ermöglicht es kommunale 1 Vgl. dazu auch: Melzer, H., Kommunale Demokratie-Erwartungen, Probleme, Lösungen, in: Symposium „Zur Kommunalverfassung" am 20. und 21. März 1990, hrsg. von der Hochschule für Recht und Verwaltung Potsdam, Manuskriptdruck. 2 Von kommunaler Selbstverwaltung spricht nicht nur Art. 28 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Begriff entspricht auch der Verfassungstradition der DDR, so der demokratischen Gemeindeverfassung von 1946 und auch der ersten Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
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Selbstverwaltung, die individuellen Träger kommunaler Interessen, die Mitglieder des Gemeinwesens, zu einem eigenverantwortlich handlungsfähigen und rechtsfähigen Subjekt öffentlicher Verwaltung (Bürgergemeinschaft) zusammenzufassen, dem das Gesetz die Gebietshoheit und das Recht auf Selbstverwaltung einräumt. Die sich selbst verwaltenden Städte und Gemeinden sind als kommunale Gebietskörperschaften damit eine „der wesentlichsten Grundlagen jeder demokratischen Staatsform" 3 . Das Recht der Bürger auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten kann hier auf kommunaler Ebene am unmittelbarsten ausgeübt werden und zugleich ermöglicht das Bestehen kommunaler Gebietskörperschaften mit garantierten eigenen Zuständigkeiten eine zugleich wirkungsvolle wie bürgernahe Verwaltung. Kommunale Selbstverwaltung ist folglich für eine erneuerte und demokratisierte Gesellschaft im Lande, die sich auf Marktwirtschaft und politischen Pluralismus gründet, die demokratischste und sowohl sozialen wie rechtsstaatlichen Grundsätzen am stärksten verpflichtete Form kommunaler Verwaltung.
Begriff und Umfang kommunaler Selbstverwaltung Kommunale Selbstverwaltung ist kein Wundermittel, um im Veränderungsprozeß alle in Jahrzehnten angehäuften Probleme, Widersprüche und Disproportionen in unseren Städten mit einem Schlage zu lösen. Was sie jedoch bewirken kann und soll, ist die Schaffung grundlegend neuer politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen, die die Bürgerschaft und ihre Vertretungs und Verwaltungsorgane in die Lage setzen, ohne solche Wunder „von oben" zu erwarten, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, über die Entwicklung ihrer Stadt, ihrer Gemeinde selbst zu entscheiden ohne in ureigensten kommunalen Angelegenheiten „übergeordnete" Verwaltungsinstanzen um Erlaubnis fragen zu müssen. Ungeachtet der Vielzahl ihrer Deutungen unter den verschiedenen politologischen, sozialtheoretischen, ökonomischen oder städtebaulichen Gesichtspunkten, versteht sich kommunale Selbstverwaltung im Rechtssinne als das jeder Stadt, jeder Gemeinde zustehende Recht und als ihre garantierte tatsächliche Fähigkeit, im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung und mit weitgehend eigenen Mitteln zum Wohle ihrer Bürger zu regeln und zu gestalten. 4 Dieses Recht ist Recht der Bürgerschaft der Stadt oder der Stadt als Bürgerschaft. Es wird von ihr folglich auch direkt auf dem Wege unmittelbarer Demokratie, bis hin zum Bürgerentscheid oder durch die von ihr in freier und demokratischer Wahl dazu legitimier3
Vgl. „Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung" des Europarats vom 15. Oktober 1985, Bundesgesetzblatt 1987 II, S. 65, Präambel. < Vgl. a.a.O., Art. 3.
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ten Vertretungs- und Verwaltungsorgane unter möglichst breiter demokratischer Mitwirkung der Bürger ausübt. Kommunale Selbstverwaltung im Rechtssinne setzt vor allem die Anerkennung eigener Angelegenheiten der örtlichen (städtischen) Gemeinschaft durch Verfassungsordnung und Gesetzgebung voraus, also einen anerkannten eigenen Funktionsbereich, in dem die Kommunen zuständig sind und entsprechende Befugnisse haben. Dieser eigene Funktionsbereich soll im Rahmen der Gesetze alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassen (Allzuständigkeitsgrundsatz) und darf zum Unterschied von der Regelung der Kompetenz der Staatsorgane nicht auf die (enumerative) Übertragung von Einzelaufgaben begrenzt werden. Denn das würde den Grundsatz kommunaler Selbstverwaltung aufheben und die Verwaltung der Städte und Gemeinden zu einer bloßen Form staatlicher Sonderverwaltung machen. Kommunale Selbstverwaltung schließt deshalb auch ein Verfahren der Regelung aus, wie es in der bisherigen Verfassung der D D R angewandt wurde. Hier war in den Artikeln 41 und 43 der den Städten und Gemeinden zur eigenverantwortlichen Regelung und Verwaltung zugewiesene kommunale Funktionsbereich zwar relativ weit gefaßt. Er wurde jedoch gleichzeitig durch die Klausel „im Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung" eingeschränkt und praktisch aufgehoben. Vor allem durch die restriktive Handhabung der materiellen und finanziellen Planung, die in einem planwirtschaftlichen System in viel höherem Maße als alle Gesetze den tatsächlichen Handlungsrahmen der Städte und Gemeinden und ihrer Organe bestimmt, wurden nach dem Dotationsprinzip zugewiesene finanzielle Mittel und materielle Kapazitäten den Städten und Gemeinden nur für — nicht selten bis in ausgesprochene Details gehende — genau vorbestimmte Zwecke und Aufgaben übergeben und damit der eigene Entscheidungsrahmen immer mehr eingeschränkt. Wenn das Gesetz über die Selbstverwaltung der Städte und Landkreise in der ehemaligen DDR (Kommunalverfassung) 5 in § 2, Abs. 1 bestimmt, daß die Gemeinden und darunter natürlich auch die Stadtgemeinden (die kreisangehörigen und die kreisfreien Städte) das Recht und die Pflicht haben, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zu regeln und zu verwalten, soweit die Gesetze nicht etwas anderes bestimmen, so geht dies von der Prämisse aus, daß es einen solchen garantierten und mehr oder weniger genau von anderen abgrenzbaren Funktionsbereich von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gibt. Da jedoch im modernen Staat, der sich als sozialer Rechtsstaat mit einem marktwirtschaftlichen System begreift, unter dem Einfluß der vor sich gehenden wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen, ökologischen und sozialen Entwicklungen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durch vielfältige Wechselbeziehun5
Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der D D R (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990.
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gen miteinander verflochten und deshalb auch die Ebenen des Handelns von Staats- und kommunaler Selbstverwaltung in den Sachfragen vielfältig miteinander verknüpft sind, verbietet sich eine rein deskriptive Sicht auf diesen Begriff von vornherein. 6 Die in § 2, Absatz 2 enthaltene Hervorhebung bestimmter Selbstverwaltungsaufgaben hat folglich auch keinen Ausschließungscharakter, sondern will die Aufmerksamkeit auf für den Gesetzgeber besonders wichtig erscheinende Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft lenken, darunter auch auf gegenüber den früheren Regelungen neue und bisher den Kreisen und Bezirken zugeordnete oder Wirtschaftskombinaten obliegende Angelegenheiten. Diese Regelung schließt deshalb keineswegs aus, daß es zum Selbstverwaltungsrecht der Städte und Gemeinden gehört, sich im Rahmen ihres breit gefaßten eigenen Wirkungsbereiches in eigener Verantwortung selbst immer neue Aufgaben zu stellen oder solche zu übernehmen, soweit dies im kommunalen Interesse liegt. Vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge, im sozialen, im ökologischen oder Freizeitbereich, heute bei Einführung der Marktwirtschaft, besonders auch bei der Förderung von Wirtschaft und Gewerbe zur Erhaltung und Neugewinnung von Arbeitsplätzen, wachsen den Kommunen täglich neue Aufgaben zu, die von ihnen im Rahmen der Gesetze und nach dem Willen des Gesetzgebers als eigene erfüllt werden sollen. Hier entsteht nun unabweisbar die Frage nach dem Inhalt und der Reichweite des in der Kommunalverfassung enthaltenen Vorbehalts, daß Selbstverwaltung nur „im Rahmen der Gesetze" stattfinden kann. Betrachtet man die Kommunen, wie dies das Kommunalgesetz der DDR tat, als dem Staat integrierte Gebietskörperschaften, konnte ihr Selbstverwaltungsrecht, ihre Befugnis zum eigenverantwortlichen Regeln und Verwalten nicht unbeschränkt sein. Das Selbstverwaltungsrecht besteht folglich nur innerhalb des durch die Gesetzgebung gesetzten Rahmens, d.h. der staatlichen Normen. 7 Somit hat der Gesetzgeber die Möglichkeit in der Hand, den gegenständlichen Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung enger oder weiter zu stecken, d.h. auf die Aufgabenbestimmung und Aufgabenerfüllung der Kommunen Einfluß zu nehmen, ihnen neue Bereiche als „eigene" zuzuweisen, aber auch die Art ihrer Verwaltung zu beeinflussen. Diese Möglichkeit ist wiederum nicht unbegrenzt, denn sie darf nicht dazu führen, daß auf dem Wege zentralisierter Gesetzgebung das eigentliche Substrat kommunaler Selbstverwaltung aufgelöst werden kann. Deshalb stimmt die Fachliteratur im wesentlichen darin überein, daß der eigentliche Kernbereich der „eigenen Angelegenheiten" der Kommunen besonders geschützt und ihn auch durch die Gesetzgebung nicht oder nicht ohne sehr dringende Gründe eingegriffen werden soll.8 Als Garantie sollte Städten und Ge6
Vgl. auch Ipsen, J., Niedersächsisches Kommunalrecht, 1989, S. 34. ? So Knemeyer, E-L., Bayerisches Kommunalrecht, 1988, S. 30. 8 Zum Stand der Diskussion und zur Bestimmung des Kernbestands kommunaler Selbstverwaltungsrechte insbesondere Stober, R., Kommunalrecht, 1987, S. 22ff.
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meinden in strittigen Fragen zur Verteidigung ihres Selbstverwaltungsrechts zukünftig auch das Recht zur Klage vor den Verwaltungsgerichten der Länder oder dem Obersten Verwaltungsgericht bis hin zur Verfassungsbeschwerde und Verfassungsklage zustehen. Funktional sollte der eigene Wirkungsbereich alle öffentlichen Angelegenheiten der Städte und Gemeinden umfassen, die sich aus der gemeinsamen Arbeit und dem Zusammenleben in Stadt und Gemeinde ergeben, soweit diese nicht von den einzelnen Mitgliedern der Gemeinde sinnvoller privat gelöst werden können oder durch Gesetz anderen Gliedern der öffentlichen Verwaltung zur selbständigen Wahrnehmung übertragen sind. Grundsätzlich sollten höhere Verbände und Ebenen der öffentlichen Verwaltung nur dann für zuständig erklärt werden, wenn die Stadt bzw. Gemeinde aus fehlender kommunaler Leistungskraft oder anderen Gründen nicht in der Lage ist, eine ihrer Selbstverwaltung unterliegende Aufgabe sachgemäß zu erfüllen (Subsidiaritätsprinzip) 9 . Dies sollte ausdrücklich auch für das komplizierte Verhältnis Gemeinde - Kreis gelten. Zum eigenen Wirkungsbereich haben grundsätzlich alle Angelegenheiten zu gehören, die sich integrativ oder summierend aus der Sicherung der sozialökonomischen und baulich-räumlichen Reproduktionsbedingungen der Stadt (Gemeinde) und der Verantwortung der Kommune für die Existenzaufgaben der Gemeinschaft und die Daseinsfürsorge für ihre Mitglieder ergeben. Das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise der DDR rechnete zu solchen Aufgaben vor allem eine harmonische Gestaltung der Gemeindeentwicklung einschließlich der Standortentscheidungen unter Beachtung der Umweltverträglichkeit und die Bauleitplanung, die Förderung von Wirtschaft und Gewerbe, den öffentlichen Kommunalverkehr, die Versorgung mit Energie und Wasser, die schadlose Abwasserbeseitigung und -behandlung sowie die Entsorgung des Siedlungsmülls, die Verbesserung der Wohnbedingungen der Einwohner durch sozialen Wohnungsbau und die Förderung privaten und genossenschaftlichen Bauens, die gesundheitliche und soziale Betreuung, die Sicherung und Förderung eines breiten öffentlichen Angebots an Bildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen, die Entwicklung der Freizeit- und Erholungsbedingungen sowie des kulturellen Lebens, den Schutz der natürlichen Umwelt und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit.10 Die Kommunalverfassung der D D R ging davon aus, daß auch in diesen Angelegenheiten eine Beauftragung der Städte und Gemeinden zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben durch Gesetz möglich und durchaus üblich ist (Pflichtaufgaben). So wird auch in Zukunft die Bildungs-
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Zu den Möglichkeiten und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips vor allem: Schmidt-Jortzig/ Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung 1982, S. 24, 118; Oebbecke, J. B., Gemeindeverbandsrecht Nordrhein-Westfalens, 1982, S. 43; Stober, R., Kommunalrecht, 1987, S. 39, Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen 67, 321, 324. w Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden ... § 2.
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und Schulgesetzgebung, die Sozialgesetzgebung, die Wohnungs- und Mietgesetzgebung und andere gesetzgeberische Regelungen mit bestimmten Pflichten für die Städte und Gemeinden verbunden sein. Ihre Wahrnehmung aber erfolgt dann als deren „eigene" Angelegenheit nach dem Grundsatz der Selbstverwaltung und ohne reglementierende Eingriffe der Staatsadministration. Die Kontrolle ihrer Wahrnehmung aber ist eine reine Kontrolle über die Einhaltung der Gesetze. Darüber hinaus können über den eigenen Wirkungsbereich hinausgehend die Städte und Gemeinden durch Gesetz verpflichtet werden, bestimmte öffentliche Aufgaben nach Weisung der zuständigen staatlichen Behörden zu erfüllen (Weisungsaufgaben) 11. Dies bedeutet jedoch keine Rückkehr zu der berüchtigten Praxis der „doppelten Unterstellung", nach der die Abteilungsleiter der Stadtverwaltung in erster Linie nicht ihrem Rat bzw. der Stadtverordnetenversammlung (horizontal) unterstellt waren, sondern dem Abteilungsleiter bzw. Minister auf den „übergeordneten" Ebenen der Staatsverwaltung (vertikal). Obwohl als angeblich „demokratischer Zentralismus" ausgegeben, handelte es sich dabei meist um eine recht unverhüllte Art einfacher bürokratischer Zentralisierung. Durch sie wurden wichtigste örtliche Angelegenheiten dem Einfluß der gewählten Vertretungsund Verwaltungsorgane entzogen und der zentralisierten Bürokratie unterstellt. Zugleich wurden für deren Zwecke die örtlichen Haushaltsmittel genutzt. Unter den Bedingungen der Selbstverwaltung können dagegen Weisungsaufgaben nur durch Gesetz und nicht durch Verwaltungsakte, schon gar nicht auf dem Wege der früher so beliebten „Telephongesetzgebung", den Kommunen übertragen werden. Die für die Wahrnehmung der angewiesenen Aufgaben erforderlichen Mittel müssen ihnen zur Verfügung gestellt werden. Auch die in diesen Fällen zulässige Fachaufsicht durch zuständige Organe der staatlichen Verwaltung darf nicht in einer Weise ausgeübt werden, die die eigentliche Substanz der Selbstverwaltung unzumutbar beeinträchtigt. Von großem Gewicht für eine reale Selbstverwaltung und deren Garantie ist schließlich, daß die Kommunalverfassung den Städten und Gemeinden einen Rechtsanspruch auf übergemeindlichen Finanzausgleich verbürgt, der ihnen grundsätzlich zusteht, soweit ihre eigenen Mittel nicht zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausreichen. Natürlich müssen angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Länder die Bedingungen eines solchen Finanzausgleiches durch Gesetz genau bestimmt werden. Er muß Sparsamkeit und kluges Wirtschaften mit eigenen Einnahmen und Vermögen zur Vorbedingung haben und die sinnvolle, dem Gesetz entsprechende Verwendung der Mittel hat der Rechtsauf sieht zu unterliegen. Gegenüber der früheren Situation, in der auf die Städte und Gemeinden immer neue Aufgaben ohne hinreichende materielle und finanzielle Deckung » A.a.O., § 3.
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abgewälzt wurden und die Kommunen und ihre Bürgermeister gegenüber den Kreis und Bezirksverwaltungen, aber auch bei den Generaldirektoren und Direktoren potenter Betriebe in die Rolle von Bittstellern gedrängt wurden, bringt die finanzielle Garantie der Selbstverwaltung jedoch auf jeden Fall eine neue Lage zum Wohl der Bürger und ihrer Kommunen.
Kommunale Demokratie Kommunale Selbstverwaltung ist nur als kommunale Demokratie denkbar und zu realisieren. Vom Stand dieser kommunalen Demokratie und ihrer Fähigkeit, nicht nur Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der Bürger und ihrer verschiedenen sozialen und anderen Interessengruppen zu artikulieren, sondern auch konkrete Entscheidungen herbeizuführen, um sie in die Tat umzusetzen oder tragfähige Kompromisse zu finden, hängt entscheidend ab, ob und wieweit die Bürgerschaft und ihre Vertretungs- und Verwaltungsorgane in der Lage sind, die eigenen kommunalen Angelegenheiten zu regeln und zu verwalten. Geboren aus der ummittelbaren demokratischen Willensäußerung ihrer Bürger auf den Straßen und Plätzen der Städte, aus Initiativen, Bürgerkomitees und -Vereinigungen, hat sich die neue kommunale Demokratie nach der demokratischen Wahl der kommunalen Vertretungsorgane nun vor allem im Alltag der Selbstverwaltung, bei der Lösung der vielfältigsten und dringenden kommunalen Angelegenheiten zu bewähren. Dieser Übergang von einer überschäumenden direkten Demokratie der ersten Monate der Wende hin zu einer alltäglichen demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung der kommunalen Angelegenheiten ist ohne allen Zweifel ein schwieriger Prozeß. Er fällt auch vielen engagierten Bürgern, die in den Oktober- und Novembertagen hervorgetreten sind und einen unvergessenen Beitrag zur Wende geleistet haben, nicht leicht. Er fordert nicht zur Zivilcourage und persönliches Engagement, sondern zunehmend Sachkompetenz und Verwaltungskenntnis. Er ist deshalb teilweise auch mit dem Hervortreten neuer Kräfte und Personen in der Lokalpolitik verbunden, denen die Bürger bei den Wahlen diese Kompetenz und die Fähigkeit zutrauten, die Geschicke ihrer Stadt oder Gemeinde zu regeln und zu verwalten. Vor allem jedoch bedingt dieser Prozeß die gesetzgeberische Ordnung der Institutionen und Verfahren der kommunalen Demokratie in einer Kommunalverfassung die eine demokratische wie kompetente und rechtsstaatliche Verwaltung der Kommunen zu garantieren hat. Bedeutet dies nun das Ende der Demokratiebewegung in den Kommunen, eine für das Demokratieverständnis und die Demokratiepraxis rückläufige Tendenz? Das Gegenteil dürfte richtig sein, wäre zumindest wünschenswert. Geht es doch um stabile Fundamente eines demokratischen Staates insgesamt, die weder mit bürokratischen Verwaltungspraktiken noch mit ungeordneten oder gar chaotischen Verhältnissen zu gewährleisten sind. Denn beide sind nicht in der Lage, 218
selbst die einfachsten Lebensbedürfnisse der Menschen in den Städten zu sichern. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten in einem deutschen Bundesstaat, der sich als ein demokratischer Rechts- und Sozialstaat versteht, ist vor allem für die Städte und Gemeinden als den unmittelbaren und konkreten Demokratie-, Rechts- und Versorgungsgemeinschaften der Menschen — ganz abgesehen von den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen „Altlasten" des früheren Regimes - mit einer heute kaum übersehbaren Vielfalt kompliziertester Belastungen und Probleme verbunden, mit denen sich die junge, noch ungefestigte kommunale Demokratie in einer schwierigen Bewährungsprobe befindet. Vor allem die erstrangige und vordringliche kommunalpolitische Aufgabe, Wirtschaft und Gewerbe in der Stadt oder Gemeinde mit allen kommunalen Möglichkeiten und Mitteln zu fördern und zu beleben, um Arbeitsplätze zu sichern und — vor allem im mittelständischen Bereich — neu zu schaffen, wird zusammen mit den Problemen der Stadterneuerung, Rekonstruktion und Werterhaltung, in der Ökologie und der vielerorts weitgehend verschlissenen technischen und sozialen Infrastruktur, die realen Inhalte kommunaler Demokratie und Selbstverwaltung prägen und hohe Forderungen an die „neuen Leute" in den Kommunalverwaltungen stellen. Bürgersinn und bürgerschaftliches Verhalten, das bürgerschaftliche Element insgesamt, sind heute gefragt wie nie. In der kommunalwissenschaftlichen Literatur wird dagegen nicht selten darauf verwiesen, daß moderne größere Städte oder auch aus verschiedenen Teilorten zusammengesetzte größere Gemeinden heute kaum noch mit der Gemeinschaft der in der ursprünglichen Ortsgemeinde ansässigen Bürger und deren direkten Nachbarschaftsbeziehungen identisch und vor allem von ihrer Eigenschaft als Verwaltungsgemeinschaft mit ihren dienstleistenden und Vorsorgungsfunktionen geprägt sind. Doch gerade der demokratische Aufbruch in den großen Städten hat den Beweis erbracht, in welch starkem Maße sich auch unter heutigen Bedingungen die Bürger mit ihrer Stadt verbunden fühlen, sich mit ihr identifizieren. Dies zu übersehen, würde verkennen, wie auch die heutige kommunale Selbstverwaltung im Rechtssinne noch immer mit dem Element einer politischen, bürgerschaftlichen Selbstverwaltung verbunden ist, die sich nicht auf das Ehrenamt des einzelnen Bürgers reduzieren läßt, sondern die eigentliche basisdemokratische Grundlage der Selbstverwaltung bildet. Kommunale Demokratie ist in erster Linie eine Vertretungsdemokratie. Deshalb enthält die Kommunalverfassung, die festlegt, daß die Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung) die gewählte Vertretung der Bürger und das oberste Willens- und Beschlußorgan der Gemeinde (Stadt) ist,12 zugleich eine ausführliche Regelung der Rechte und Pflichten der Einwohner und der Bürger, die das Recht auf unmittelbar demokratische Mitwirkung an der Selbstverwaltung in verschiedenen Formen garantiert. 13 12 A.a.O., § 21. 13 A.a.O., §§ 14ff. 219
Die stärkste Form dieser direkten demokratischen Einflußnahme der Bürger auf wichtige kommunale Angelegenheiten ist die unmittelbare Beschlußfassung durch die Bürger selbst in Gestalt des Bürgerentscheides, der als endgültige Entscheidung gilt und nur innerhalb von zwei Jahren durch erneuten Bürgerentscheid aufzuheben oder abzuändern ist. Dem Bürgerentscheid geht ein Bürgerbegehren voraus, das dann als angenommen gilt, wenn es schriftlich von Bürgern beantragt und begründet und von mindestens zehn Prozent der Gemeindebürger mit ihrer Unterschrift unterstützt wird. Analoges Verfahren gilt, wenn Bürger die Behandlung einer wichtigen kommunalen Angelegenheit in der Gemeindevertretung fordern. Hauptproblem der kommunalen Demokratie ist und bleibt die Garantie des bestimmenden Status der gewählten Gemeindevertretung als Hauptorgan der Selbstverwaltung. In der Vergangenheit waren die realen Funktionen der kommunalen Vertretungsorgane nicht nur durch die Manipulierung der Wahl und damit der Zusammensetzung des Abgeordnetenkörpers, sondern in erster Linie auch durch den bestimmenden Einfluß des Partei- und anderer Apparate, darunter auch des eigenen, „doppelt" unterstellten und damit an die Weisungen übergeordneter Verwaltungen gebundenen Verwaltungsapparates in einer Weise eingeengt, daß den Stadtverordnetenversammlungen oder Gemeindevertretungen meist nur eine einfache Bestätigung der von ganz anderen Instanzen bereits vorab getroffenen Entscheidungen verblieb. Dies vor allem dann, wenn es um reale Planungen für die Stadtentwicklung und ihre infrastrukturellen Institutionen ging, wo sich das Fehlen eines eigenen Haushalts und eigenen kommunalen Vermögens ohne Zugriffsmöglichkeit anderer Instanzen verheerend auswirkten. Dieser Zustand hatte nicht nur für den sachlichen Gehalt der Entscheidungen, sondern auch für den Status der bisherigen Vertretungsorgane und ihrer Mitglieder schlimme Auswirkungen. Aus ihm erklärte sich das zu geringe Ansehen der Vertretungsorgane und vieler Gemeindevertreter in der Öffentlichkeit und der von Wahl zu Wahl immer fühlbarere Dequalifizierungsprozeß der Abgeordnetenkörper. Die Neuwahl demokratisch legitimierter Gemeindevertretungen und Gemeindevertreter muß deshalb in der Kommunalverfassung und der Kommunalpolitik zu einer bedeutenden Aufwertung des Status und der Funktionen der kommunalen Vertretungsorgane weitergeführt werden. Die Kommunalverfassung will funktional eine solche Aufwertung der kommunalen Vertretungskörperschaften vor allem in zwei Richtungen garantieren. Sie tut es erstens durch die Begründung einer Allzuständigkeit der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung) für alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit diese nicht durch Gesetz oder eigenen Beschluß dem Bürgermeister als zweiten Verfassungsorgan der Gemeinde übertragen sind. Im zweiten Falle aber müßte man konsequenterweise der Gemeindevertretung auch ein Rückholrecht zubilligen, wenn sie eine solche Angelegenheit selbst verhandeln will. Die Kommunalverfassung legt zweitens einen Katalog von Angelegenheiten fest, über die 220
sie allein und ausschließlich beschließen kann. 14 Diese betreffen vor allem die Richtlinien für die Verwaltungsführung, wichtige Personalentscheidungen, den Erlaß, die Änderung und die Aufhebung von Satzungen und anderer im Interesse des Gemeinwohls in die Rechte von natürlichen und juristischen Personen eingreifende Entscheidungen, die Festlegung des Haushaltsplans und der Haushaltssatzung und deren Kontrolle sowie Vermögensentscheidungen. Die Kommunalverfassung geht realistisch natürlich auch davon aus, daß zwischen den Sitzungen der Gemeindevertretung auch in solchen und anderen Angelegenheiten Entscheidungen zu treffen sind, wenn dies keinen Aufschub bis zur nächsten Sitzung der Gemeindevertretung duldet. Das Recht, in diesen Fällen Entscheidungen zu treffen, überträgt die Kommunalverfassung aber nicht wie dies vorher der Fall war - einem bürokratischen Gremium wie dem früheren Rat, sondern einem neugeschaffenen Hauptausschuß, der aus Gemeindevertretern besteht, von ihr gewählt und ihr verantwortlich ist und dem von Amts wegen der Bürgermeister vorsteht. Da der Hauptausschuß zugleich über die wichtigsten Verwaltungsaufgaben und deren Planung berät und entscheidet, kann er zum wichtigsten Instrument der Vertreterkörperschaft bei der Führung und Kontrolle des kommunalen Verwaltungsapparats werden. Natürlich sind auf die Kommunalverwaltung die Grundsätze der Gewaltenteilung aus der Staatsverfassung nicht einfach übertragbar, da die kommunale Verwaltung in erster Linie nur einer dieser drei „Gewalten", eben den Bereich der öffentlichen Verwaltung, zuzuordnen wäre. Wohl aber erfordert kommunale Demokratie eine saubere funktionale Abgrenzung und Arbeitsteilung von Vertretungsorgan und Verwaltungsorgan, ein Grundsatz, der in der Vergangenheit zum Nachteil der Vertretungsdemokratie ständig verletzt wurde bis hin zu jener Praxis in vielen Städten und Gemeinden, daß Mitarbeiter des eigenen Verwaltungsapparats als Abgeordnete gewählt wurden, Kommissionen leiteten und den sog. Rat bildeten. Dieser Art „Selbstleitung" und „Selbstkontrolle" schiebt die neue Kommunalverfassung durch die Einführung des Grundsatzes der Inkompatibilität einen Riegel vor, indem sie bestimmt, daß leitende Bedienstete der Kommunalverwaltung nicht gleichzeitig Mitglieder der Gemeindevertretung sein dürfen. 15 Ebenso wie die Bestimmung, daß Gemeindevertreter weder beratend noch entscheidend mitwirken dürfen, wenn es um Angelegenheiten geht, die ihnen oder ihren Angehörigen oder einer von ihnen vertretenen natürlichen oder juristischen Person Vor- oder Nachteile bringen, dient auch diese Bestimmung der Garantie von Rechtsstaatlichkeit und Sauberkeit in der Verwaltung. Organisatorisch wurde in Abweichung von der in Gemeindeordnungen der alten Bundesrepublik festgelegten Praxis, daß der Bürgermeister zugleich Vorsitzender der kommunalen Vertretung ist, festgelegt, daß die Gemeindevertretung sich selbst 14
A.a.O., § 21, Abs. 3. •5 Vgl. § 22, Abs. 8.
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einen Gemeindevertretervorsteher (in großen Städten ein Präsidium der Stadtverordnetenversammlung) wählt, dem die Leitung der Sitzungen obliegt. Während kommunale Selbstverwaltung ohne demokratisch gewähltes Vertretungsorgan der Gemeindebürger generell undenkbar ist, gibt es hinsichtlich der Organisation der Leitung in der täglichen Kommunalverwaltung unterschiedliche Gemeindeverfassungstypen und -modelle, zu denen es auch in unseren Ländern unterschiedliche Auffassungen gibt. Die einen versuchen nach wie vor ein angeblich monistisches Modell zu begründen, nach dem im rätedemokratischen Sinne die Vertretungskörperschaft selbst über ein aus ihrer Mitte gewähltes Exekutivorgan (Rat) die Verwaltungsgeschäfte führen soll. Auf dieser rätedemokratischen Fiktion beruhte das bisherige Modell der „örtlichen Räte", die jedoch aus hauptamtlichen Mitgliedern bestehend und direkt mit dem führenden Parteiapparat verbunden, die Vertretungskörperschaft selbst dominierten und entmachteten. 16 In der Praxis verselbständigte sich somit dieses „Organ der Volksvertretung" und aus dem angeblich monistischen wurde zumindest ein dualistisches Modell, da ungeachtet aller ideologisch begründeten Ablehnung der Gewaltenteilung zunehmend mehr Primärzuständigkeiten von der Vertretung an diesen Rat, der sich immer mehr auch professionalisierte, übergingen. Ein anderes, die Gewaltenteilung anerkennendes, aber wahrscheinlich nur in großen Städten praktikables Modell ist die Magistratslösung, nach der die exekutiven Funktionen der Kommunalverwaltung unter Leitung eines kollegialen Organs stehen. Die neue Kommunalverfassung akzeptiert ein solches Modell für kreisfreie Städte über hunderttausend Einwohnern mit der Festlegung17, daß hier von der Stadtverordnetenversammlung dem Bürgermeister ein Gremium zugeordnet werden kann, dem alle Beigeordneten angehören und das gemeinsam mit ihm über laufende Verwaltungsangelegenheiten entscheidet. Man akzeptiert dabei offensichtlich, daß in so komplizierten Gebilden wie diesen großen Städten mit ihrer funktionalen Vielfalt die für Entscheidungen notwendige komplexe Sachkunde ein Gremium erfordert, das nicht nur kollegial berät, sondern auch entscheidet. Ein Nachteil dieser Lösung könnte allerdings sein, daß über ein solches von der Vertretungskörperschaft aus ihrer pluralistischen Zusammensetzung gewähltes Exekutivorgan die parteipolitische Auseinandersetzung, wie sie in der Gemeindevertretung und deren Ausschüssen ihren notwendigen Platz hat, auch in die Kommunalverwaltung übertragen werden kann, in der allein Sachgesichtspunkte den Ausschlag geben sollten. Generell hat sich, wohl auch unter solchen Gesichtspunkten, die neue Kommunalverfassung für einen Bürgermeister als dem zweiten Verfassungsorgan der Gemeinde entschieden, der Vorsitzender des Hauptausschusses der Gemeinde16
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Zur Kritik dieser Position näher: Melzer, H., Kommunale Demokratie — Erwartungen, Probleme, Lösungen, a.a.O. Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinde und Landkreise in der D D R (Kommunalverfassung) vom 17. Mai 1990, § 28, Abs. 5.
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Vertretung und Leiter der Gemeindeverwaltung ist. Er vertritt die Gemeinde nach außen. Die ebenfalls von der Gemeindevertretung gewählten Beigeordneten arbeiten unter seiner Leitung und können selbst bestimmten Dezernaten oder Ämtern vorstehen. Es wäre nur konsequent, wenn dieses vor allem von kommunalen Praktikern aus langjähriger Erfahrung bevorzugte Modell, das viele Ähnlichkeiten mit den Bürgermeisterverfassungen der süddeutschen Gemeindeordnungen aufweist, bis dahin geführt wird, daß der Bürgermeister ebenso wie die Gemeindevertretung direkt von den Bürgern gewählt (Urwahl) würde. Er sollte auch eine längere Amtsperiode haben als die Mandatsdauer der Vertretung. Diese bei den ersten freien Kommunalwahlen im Mai 1990 offenkundig noch nicht zu realisierende Lösung, sollte bei künftigen Wahlen sehr ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Solange jedoch eine solche Urwahl des Bürgermeisters für eine Amtszeit von etwa 6 bis 8 Jahren bei möglicher Wiederwahl nicht stattfindet, sondern der Bürgermeister von der Gemeindevertretung gewählt wird, kann dieser nur für eine mit der Mandatsdauer der Vertretung übereinstimmende Amtsdauer, genauer bis zur Neukonstituierung der folgenden Gemeindevertretung gewählt werden. Entsprechend muß in diesem Falle der Vertretung auch das Recht zustehen, ihn mit einer qualifizierten Mehrheit abzuberufen. Die kommunale Demokratie ist in großen Städten und in aus mehreren Ortsteilen bestehenden kreisangehörigen Städten und Landgemeinden eng mit einer Dezentralisierung der Verwaltung verbunden, die dieser die unerläßliche Bürgernähe sichert. Da bei den Kommunalwahlen im Mai 1990 die früher in den Stadtbezirken von Großstädten bestehenden Stadtbezirksversammlungen, mit Ausnahme der Berlins, nicht mehr gewählt wurden und in Fortfall kamen, ist anzumerken, daß damit keineswegs die Pflicht zu einer dezentralisierten Stadtverwaltung aufgehoben ist. Die Kommunalverfassung geht vielmehr davon aus, daß dafür in den Städten in eigener Entscheidung entsprechend den unterschiedlichen örtlichen Bedingungen und Bedürfnissen geeignete Lösungen gefunden und in der Hauptsatzung geregelt werden sollten. Möglichkeiten, die der Gesetzgeber zwar institutionell vorgibt, in ihrer Anwendung jedoch nicht vorschreibt, sind in Städten über hunderttausend Einwohnern die Einrichtung von Stadtbezirken als Verwaltungseinheiten durch die Stadtverordnetenversammlung jedoch ohne eine eigene gewählte Vertretung, zum anderen die Ortsteilverwaltung, von der man in Großstädten nicht flächendeckend Gebrauch machen sollte, die aber eine geeignete Form bürgernaher Verwaltung in einer Stadtstruktur sein kann, wie sie am Rande von Städten zu finden ist, wo ehemals selbständige Gemeinden oder kleinere Städte in die Stadt zwar eingemeindet worden sind, jedoch noch vieles an eigenen lokalen Interessen existiert, was durch solche Verwaltungsaußenstellen der Stadtverwaltung berücksichtigt werden kann. Wesentliches Element dezentralisierter Verwaltung ist schließlich die Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit Bürgerinitiativen in einzelnen Teilen des Stadtgebietes. Dies sollte in vollem Maße auch für jene Bürgerkomitees gelten, die in einzelnen Wohngebieten sich erhalten haben und viele konkrete Bürgerinteressen wahr223
nehmen. Deren Anspruch, von der Stadtverwaltung gehört und informiert zu werden, leitet sich direkt aus den Rechten der Gemeindebürger, zugleich aber auch aus den Bestimmungen über die Bürgerinitiativen in der Stadt- bzw. Ortsteilverwaltung ab. Für kreisangehörige Städte dürften schließlich auch die Bestimmungen über kommunale Verbände und die neue Regelung der Kommunalverfassung über Verwaltungsgemeinschaften18 von Bedeutung sein. Die letztgenannte Möglichkeit, daß benachbarte Gemeinden zur Stärkung ihrer Selbstverwaltungs- und Leistungskraft eine Verwaltungsgemeinschaft oder ein gemeinsames Verwaltungsamt vereinbaren, sollte wohl am ehesten für Verwaltungen kleinerer Städte und die Gemeinden ihres Umlandes gelten. Dabei würden diese Stadtverwaltungen auf vertraglicher Grundlage und somit dienstleistend genau bestimmte Verwaltungsangelegenheiten für die umliegenden Gemeinden erledigen. Kommunale Selbstverwaltung hat in Deutschland eine lange und progressive Tradition. Sie hat sich in der deutschen Geschichte vielfach und gerade in schweren und krisenhaften Zeiten bewährt. Sie hat geholfen, Bürgersinn und Bürgerinitiative zu entwickeln, solidarisch in der Bürgergemeinschaft sozial Schwache zu unterstützen und durch Bürgerfleiß in Wirtschaft und Gewerbe nicht nur der eigenen Stadt oder Gemeinde, sondern auch dem gesamten Lande wieder aufzuhelfen. An dieser Tradition der Selbstverwaltung knüpfte bereits der Freiherr von Stein in der von ihm initiierten ersten deutschen Städteordnung an, um dem Wiederaufbau des zerrütteten Preußen nach der verheerenden Niederlage gegen die Heere Napoleons neue Kräfte zuzuführen. Kommunale Selbstverwaltung war auch nach dem ersten und noch mehr nach dem zweiten Weltkrieg eine der agierenden Kräfte, um das Leben wieder in Gang zu bringen, Neubeginn und Neuaufbau zu ermöglichen. Auch in der späteren DDR hätte kommunale Selbstverwaltung, hier auf der Grundlage der demokratischen Kommunalverfassung von 1946, schon in den ersten Nachkriegsjahren ein großes Feld der Bewährung für ein gemeinsames Handeln aller demokratischen und antifaschistischen Kräfte sein können, um von den zerstörten Städten und vom Krieg verwüsteten Gemeinden aus einen demokratischen Neuaufbau des gesamten Landes in Gang zu bringen. Doch das Abbrechen der Tradition der Selbstverwaltung durch die fortschreitende bürokratische Zentralisierung hin zu einem dirigistischen Regime zerstörte die Chance einer auf der Gemeinsamkeit der Demokraten aufbauenden kommunalen Selbstverwaltung. Dies war eine der Ursachen für die tiefe Krise, in die dann später die Herrschaft nur einer Partei Städte und Gemeinden gebracht hat. Heute soll das Besinnen auf die kommunale Selbstverwaltung und das Anknüpfen an den besten Traditionen der Kommunalverfassung helfen, im vereinigten Deutschland auch den Städten und Gemeinden der neuen Bundesländer eine sichere Perspektive zu geben und fühlbare Ergebnisse bei der Lösung all jener Probleme zu erreichen, die sich in unseren Städten und Gemeinden über Jahre angehäuft haben. 18 A.a.O., § 31.
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Hellmut Wollmann Kommunale Sozialpolitik als Hoffnungsträger oder Lückenbüßer In dem Aufsatz 1 wird versucht, die Beiträge von Helmut Melzer, der sich mit der Wiederbegründung der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR befaßt, und von Klaus Lüders, der die künftigen sozialpolitischen Aufgaben der Kommunen behandelt, dadurch zu ergänzen, daß zunächst die Entwicklung und Funktion der überwiegend von den Kommunen zu finanzierenden Sozialhilfe im Sozialstaatssystem der Bundesrepublik darstellt und dann die Herausforderung und Überforderung herausgearbeitet werden sollen, der sich die Kommunen seit der Mitte der 70er Jahre in dem Maße gegenüber sehen, wie sich als Folge der hohen Arbeitslosigkeit immer mehr Arbeitslose gezwungen sehen, die von den Kommunen zu finanzierende Sozialhilfe als „letztes Netz sozialer Sicherheit" in Anspruch zu nehmen. Mit dem Aufsatz könnte ein Beitrag zur Diskussion über die künftigen sozialpolitischen Aufgaben der Kommunen in den neuen Bundesländern vor allem dadurch geleistet werden, daß die Reichweite und Grenzen des Handlungspotentials der Kommunen insbesondere in administrativer und finanzieller Hinsicht deutlich gemacht werden und rechtzeitig Regelungen getroffen werden, die der strukturellen Überforderung der Sozialhilfe durch die sozialen Folgen hoher Arbeitslosigkeit Rechnung tragen und vorbeugen. 1. Entwicklungslinien der Sozialhilfe als kommunale Aufgabe Die Geschichte der staatlichen Sozialpolitik ist zugleich die Geschichte einer zunehmenden Zentralisierung ursprünglich lokal, also dezentral verankerter Hilfs- und Unterstützungsleistungen. 2 Gegenüber dem Massenelend, von dem 1
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Der Aufsatz entstand im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt, das, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, am Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin durchgeführt wurde (vgl. Jaedicke, W./Ruhland, K./Wachendorfer, U./ Wonneberg, H./Wollmann, H., Kommunen im Sozialstaat, Opladen 1990). Die vorliegende Fassung des Aufsatzes orientiert sich weitgehend an einer wesentlich ausführlicheren Ausarbeitung, die an anderer Stelle veröffentlicht werden wird (vgl. Wollmann, H., Kommunale Sozial- und Umweltpolitik — zwischen Politikinnovation und Handlungsdefizit, Ms.). Vgl. Krüger, I., Kommunale Sozialpolitik und die Krise des Wohlfahrtsstaates. Zur Verortung der sozialpolitischen Dezentralisierungsdebatte, in: Krüger, I./Pankoke, E. (Hrsg.), Kommunale Sozialpolitik, München 1985, S. 11 ff.
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die Industrialisierung und Verstädterung in der Frühphase des Kapitalismus im letzten Jahrhundert begleitet war, bildete sich — neben der armenpolizeilichen Kontrolle und der Armenfürsorge, die im wesentlichen von den Städten wahrgenommen wurde — eine private Wohlfahrtstätigkeit von karitativen Vereinigungen, insbesondere von freien christlichen Assoziationen (z.B. der „inneren Mission") aus. 3 Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung leitete jene die deutsche bzw. bundesdeutsche Sozialstaatsentwicklung bis in die Gegenwart charakterisierende Funktionstrennung zwischen den allgemeinen sozialen Sicherungssystemen, die, an das Beschäftigungsverhältnis gekoppelt und durch Beiträge der Beschäftigten (mit)finanziert, gegen Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit als typische Beschäftigungsrisiken sichern sollten, und der von den und in den Kommunen zu erbringenden „Fürsorge" in den von der Sozialversicherung nicht gedeckten Fällen persönlicher Not und Bedürftigkeit ein. Stand es bis in dieses Jahrhundert hinein den Kommunen weitgehend frei zu entscheiden, ob und wie sie ihren (armen-)fürsorgerischen Aufgaben nachkamen, wurde durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 und die Reichsverordnung für die Fürsorgepflicht von 1924 die Verpflichtung der Kommunen und Kreise zur öffentlichen Fürsorge erstmals reichsgesetzlich und -einheitlich bestimmt. An dem Zustandekommen dieser „zentralisierend" vereinheitlichenden Regelung hatte der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge wesentlichen Anteil, der, 1880 als Zusammenschluß kommunaler Armenverwaltungen, privater Fürsorgevereine und sozialpolitisch engagierter Einzelpersonen gegründet und sich bald als einflußreiche sozialprofessionelle „Lobby" betätigend, 4 in sozialpolitisch fortschrittlicher Absicht auf eine Vereinheitlichung der Fürsorgeleistungen der Kommunen durch eine reichsgesetzliche Regelung gedrängt hatte. War die historische Armenfürsorge lediglich auf die Bewahrung der Bedürftigen vor dem physischen Untergang gerichtet, wurde die von den Kommunen zu leistende Fürsorge nunmehr auf die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts, die Erziehung zur Lebenstüchtigkeit und die Förderung der Selbsthilfe erstreckt. 5 Des weiteren markierten die beiden Gesetze dadurch einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Wohlfahrtspflege, daß sie erstmals die „freien", insbesondere konfessionellen Wohlfahrtsverbände, die sich in der Zwischenzeit formiert hatten, in die staatliche und kommunale Sozialpolitik einbezogen 6 und damit die Ausbildung jener „korporatistischen" Entscheidungs- und Handlungsstrukturen von öffentlichen und privaten („freien") 3 Vgl. Heinze, R. G./Olk, T., Wohlfahrtsverbände, in: Eyferth, H./Otto, H.-U./Tiersch, H. (Hrsg.), Handbuch zur Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Neuwied 1984, S. 1263ff. 4 Vgl. Jaedicke, W , u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 28ff. 5 Vgl. Hottelet, H., Allgemeiner Sozialdienst, in: Kreft, D./Mielenz, I. (Hrsg.), Wörterbuch Soziale Arbeit, Weinheim 1988, S. 35. 6 Vgl. Heinze, R. G./Olk, T., Wohlfahrtsverbände, a.a.O., S. 1208.
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Trägern der Wohlfahrtspflege bekräftigten, die den Wohlfahrtssektor in der Bundesrepublik bis heute kennzeichnen. 7 Für den Ausbau der Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik brachten die Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) von 1961 und die Novellierung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes in der Fassung des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) von 1961 eine jahrzehntelange Entwicklung insofern zu einem Abschluß, als sie eine merkliche Ausweitung der nunmehr Sozial- und Jugendhilfe genannten Fürsorgeaufgaben der Kommunen brachten. Das BSHG von 1961 war darauf angelegt, die Sozialhilfe als Teilbereich moderner Sozialstaatlichkeit weiterzuentwickeln. Wenn § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG vorschreibt, daß es „Aufgabe der Sozialhilfe" sei, „dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht", so kann hierin eine umfassende „Pilotfunktion" und Aufgabe der Träger der Sozialhilfe gesehen werden, neue soziale Notstände aufzuspüren und sie zu bewältigen. 8 Dem BSHG liegt die gesetzgeberische Vorstellung zugrunde, daß einerseits die allgemeine Hilfsbedürftigkeit, auf die die traditionelle Fürsorge mit ihren Geldleistungen zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts zugeschnitten war, durch den Ausbau der übrigen Sozialleistungsbereiche, insbesondere durch die Verbesserung der Altersversorgung, zunehmend verschwinden werde und andererseits der Bedarf einzelner Bevölkerungsgruppen (insbesondere behinderter und pflegebedürftiger Menschen) an persönlichen Hilfen immer stärker in den Vordergrund treten werde. Im Gegensatz zum früheren Fürsorgerecht führte das BSHG — neben der „Hilfe zum Lebensunterhalt" (HLU) — denn auch die „Hilfe in besonderen Lebenslagen" (HbL) (z.B. „Eingliederungshilfe für Behinderte", „Hilfe zur Pflege") ein und nennt in § 8 BSHG unter „Formen der Sozialhilfe" die „persönliche Hilfe" programmatisch vor der Geldund Sachleistung. Hinsichtlich der Trägerschaft für Sozial- und Jugendhilfe knüpften BSHG und JWG zum einen an die überkommene Regelung an, daß die kreisfreien Städte und Landkreise die örtlichen Träger der Sozialhilfe seien (§ 96, Abs. 1 BSHG). Eine Reihe von besonders aufwendigen Aufgaben - vor allem stationäre und teilstationäre Hilfen im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen — weist das Gesetz jedoch überörtlichen Trägern zu. In den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt, werden die Kosten der Sozialhilfe zum größten Teil von den Kommunen getragen, während sich die Bundesländer durchschnittlich mit rund 20 % beteiligen,9 beliefen sich die Sozialausgaben der Kommunen auf 7
8
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Vgl. Thränhardt, D., Kommunaler Korporatismus. Deutsche Traditionen und moderne Tendenzen, in: Thränhardt, D.AJppendahl, H. (Hrsg.), Alternativen lokaler Demokratie, Königstein Ts. 1981. Vgl. Trenk-Hinterberger, P., Sozialhilfe, in: Kreft, D./Mielenz, I. (Hrsg.), Wörterbuch Soziale Arbeit, a.a.O., S. 506. Vgl. Klanberg, E/Prinz, A., Sozialhilfe im Spannungsfeld gesellschafts- und haushaltspolitischer Interessen, in: Wirtschaftsdienst, 1984, S. 243.
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insgesamt 2,1 Mrd. DM, wovon 834 Mio. DM auf die Hilfe zum Lebensunterhalt und 1,2 Mrd. DM auf Hilfe in besonderen Lebenslagen entfielen. Stellt man die Sozialhilfeausgaben der Kommunen in den Zusammenhang aller öffentlicher Sozialleistungen (Renten-, Krankenversicherung usw.), machten sie 1965 einen Anteil von 2,5 % aus. 10 Für das Verhältnis der kreisfreien Städte und Landkreise als Träger der Sozialund Jugendhilfe einerseits und den „freien" Wohlfahrtsverbänden (insbesondere Kirchen, Deutscher Caritasverband, Diakonisches Werk, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt) führten das BSHG und das JWG zugunsten der letzteren dadurch einen „Vorrang" ein, daß „zur Gewährung von Sozialhilfe ... die Träger der Sozialhilfe eigene Einrichtungen nicht neu schaffen (sollen), soweit geeignete Einrichtung der ... Träger der freien Wohlfahrtspflege vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können" (§ 93 BSHG, noch ausdrücklicher: § 5, Abs. 2 JWG). (Dieses von der damaligen CDU/CSUGesetzgebungsmehrheit verfochtene „Subsidiaritätsprinzip" wurde insbesondere von den Kommunen abgelehnt, die in ihm eine „Funktionssperre" für die Schaffung und Unterhaltung kommunaler Einrichtungen der Sozial- und Jugendhilfe argwöhnten.) 11 In der kommunalen Sozial- und Jugendhilfepraxis befinden sich dann auch die Einrichtungen der Sozialhilfe (Altenheime, Pflegeheime usw.) und der Jugendhilfe (Jugendwohnheime, Jugendbildungsstätten) zum ganz überwiegenden Teil (mit einem Anteil von 65 % bis 85 % — je nach Typ der Einrichtung — an der Zahl der Plätze) in der Trägerschaft von „freien" Wohlfahrts- und Jugendverbänden. Die Monopolstellung der etablierten Wohlfahrtsverbände und hierbei insbesondere der Kirchen und privaten kirchlichen Organisationen ist daran abzulesen, daß von den rund 140.000 bei privaten Trägern der Jugendhilfe 37,5 % auf die Kirchen, 23 % auf die (katholische) Caritas, 28 % auf das (evangelische) Diakonische Werk, 4 % auf den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (als überkonfessionellen Verband) und 3 % auf die (gewerkschaftsnahe) Arbeiterwohlfahrt entfallen. Die sonstigen Jugendverbände und Jugendgruppen bringen es zusammen auf magere 3 %. 12 Das Übergewicht, das die „freien" Träger als Träger von Einrichtungen im Feld der Sozial- und Jugendhilfe haben, tut jedoch dem Grundsatz keinen Abbruch, daß die Kommunen die politische und auch finanzielle Gesamtverantwortung tragen. In der Folgezeit wurde das BSHG mehrfach (insbesondere 1969 und 1974) novelliert, wodurch der Berechtigtenkreis erweitert, das Leistungsangebot ausdifferenziert und das Leistungsniveau angehoben wurden. 13 Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die kommunalen Spitzenverbände in ihrer Mitwirkung 10
Vgl. Jaedicke, W., u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 38 und 41. Vgl. Münder, J., Subsidiarität, in: Eyferth u.a. (Hrsg.), Handbuch zur Sozialarbeit/Sozialpädagogik, a.a.O., S. 1148ff. 12 Vgl. ebenda, S. 1154. » Vgl. Trenk-Hinterberger, P., Sozialhilfe, a.a.O., S. 505. 11
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an den Gesetzgebungsverfahren diesem - für die Kommunen durchaus kostenträchtigen — Ausbau der „kommunalen Sozialstaatlichkeit" bis in die mittleren 70er Jahre durchweg zustimmten. 14 Weitere entscheidende Impulse erhielt die Diskussion um die von den Kommunen zu verwirklichende Sozial- und Jugendhilfe ferner dadurch, daß in den 60er Jahren eine fachwissenschaftliche und -politische Diskussion mit dem Ziel in Gang kam, das Berufsbild des Sozialarbeiters durch eine moderne Methodik (insbesondere durch Konzepte der „Gemeinwesenarbeit" und eines „ganzheitlichen" Problemlösungsansatzes)15 und Ausbildung zu „professionalisieren". Für die Jugendhilfe ging es um Vorstellungen einer „offensiven Jugendhilfe", die sich vor allem in sozialpädagogisch angeleiteter, nach Möglichkeit „offener", also „Heimunterbringung" vermeidender „Jugendsozialarbeit" verwirklicht.16 Die Entwicklung fand in der Umwandlung der höheren Fachschulen in Fachhochschulen für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (mit entsprechenden Curricula und Studienabschlüssen) ihren sichtbarsten Ausdruck. 17 Parallel und ergänzend zur „Professionalisierung" der Sozialarbeit entfaltete sich in den 60er Jahren eine breite Diskussion über die Reorganisation der Sozial- und Jugendadministration auf der kommunalen Ebene. Die Bemühungen um eine „bürgernahe Verwaltung"18 zielten wesentlich darauf, den traditionellen „Außendienst" der Sozial- und Jugendämter seines armenfürsorgerische Spuren aufweisenden Ordnungs- und Kontrollcharakters zu entkleiden und durch einen „Allgemeinen Sozialdienst" zu ersetzen, der, wie der einflußreiche Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge programmatisch formulierte, 19 „als der am umfassendsten angelegte soziale Dienst (begriffen wurde), der ganzheitliche und einheitliche Hilfe leisten und sicherstellen muß. (Er) schafft annähernd gleiche Ausgangschancen für die Bevölkerung von Städten und Kreisen". Eine Reihe von Städten zeigten sich seit den späten 60er Jahren bereit, mit unterschiedlichen Modellen der Reorganisation des Verhältnisses von „Innendienst" der Sozial- und Jugendämter einerseits und „Außendienst" andererseits zu experimentieren. Auch wenn sie vielfach in erster Linie an einer „Effektivierung" ihrer Verwaltungsstrukturen interessiert waren, 20 eröffnete die Reorganisation der „Allgemeinen So14
Vgl. Jaedicke, W., u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 28ff. Vgl. Müller, W. C., Sozialarbeit/Sozialpädagogik, in: Kreit, D./Mielenz, I. (Hrsg.), Wörterbuch Soziale Arbeit, a.a.O., S. 483. 16 Vgl. Jordan, E., Jugendsozialarbeit, in: Kreit, D./Mielenz, I. (Hrsg.), a.a.O., S. 307ff. " Vgl. Mahrzahn, C., Partizipation und Selbsthilfe, in: Eyferth u.a. (Hrsg.), a.a.O., S. 238. 18 Vgl. Kaufmann, F X. (Hrsg.), Bürgernahe Sozialpolitik, Frankfurt a. M. 1979. i' Vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Empfehlungen zur Organisation des kommunalen Allgemeinen Sozialdienstes, Frankfurt a. M. 1983. 20 Vgl. Maas, U . , Organisation der staatlichen Sozialverwaltung, in: ders. (Hrsg.), Sozialarbeit und Sozialverwaltung, Weinheim 1985, S. 26. 15
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zialdienste" vielversprechende Ansatzpunkte für eine Entfaltung und Verwirklichung einer quartiersbezogenen Sozialarbeit als der bedeutsamen Dimension einer erweiterten „kommunalen Sozialstaatlichkeit".21 Schließlich ist an das Vordringen der Selbsthilfebewegung und einer Diskussion in den späten 60er Jahren zu erinnern, die auf Theorie und Praxis der Sozialpädagogik erhebliche Auswirkungen hatte, daß sie einerseits mit ihrem Plädoyer für eine „neue Fachlichkeit" die Diskussion um die gemeinwesenorientierte Sozialarbeit in den Kommunen weiter vorantrieb und andererseits die Professionalisierung, Verrechtlichung und Bürokratisierung des modernen Sozialstaats, einschließlich seiner eher „sozialtechnologischen" Reformen mit der Absicht kritisierten, die Inhalte und Formen der Selbsthilfegruppen in vielen Feldern (Kinderläden, Frauengruppen, Drogengruppen) als Alternative zum Bestand der öffentlichen und etablierten „freien" Träger zu reklamieren. 22 Die Entwicklung der Sozial- und Jugendhilfe läßt sich mithin bis in die mittleren 70er Jahre als die Konturierung eines Bildes und Modells einer „kommunalen Sozialstaatlichkeit" interpretieren, das zum einen von der „Inpflichtnahme" durch staatliche Gesetzgebung und Richtungsentscheidung und zum anderen wesentlich von fachwissenschaftlichen und -politischen Diskussionen und Bemühungen um die sozialstaatlich gebotene Ausfüllung dieses Handlungsrahmen geprägt war. Die „Geschäftsgrundlage" der Kommunen für ihre Bereitschaft, diese — durchaus kostenträchtige — Ausweitung ihrer Sozial- und Jugendhilfeaufgaben zu akzeptieren, wurzelte wesentlich in den Annahmen, daß zum einen die „Hilfe zum Lebensunterhalt" (HLU) als finanzielle Hauptbelastung der traditionellen Fürsorge eine schwindende finanzielle Bürde darstellte zum anderen stetiges Wirtschaftswachstum die Gewähr steigender (durch die Finanzreform von 1969 finanzverfassungsrechtlich untermauert) Einkünfte der Kommunen bei fortbestehender Vollbeschäftigung böte. 23
2. Sozialhilfe und kommunale Sozialpolitik in der Herausforderung durch die Beschäftigungskrise Durch die Mitte der 70er Jahre einsetzende Beschäftigungskrise und Arbeitslosigkeit ist diese „Geschäftsgrundlage" der Kommunen gründlich erschüttert worden. Die steigende Arbeitslosigkeit führte dazu, daß immer mehr Arbeitslose 21
Vgl. Olk, Th./Otto, H.-U., Kommunale Sozialpolitik und wohlfahrtsstaatliche Entwicklung. Ansätze zu einer gesellschafts-theoretischen Begründung des Kommunalen Bedeutungsgewinns, in: Krüger, I./Pankoke, E. (Hrsg.), a.a.O., S. 54. Für eine Übersicht der Reformmodelle vgl. Kühn, D . , Historisch-systematische Darstellung von Neuorganisationsmodellen der Kommunalen Selbstverwaltung, in: Müller, S./Otto, H.-U. (Hrsg.), Sozialarbeit als Sozialbürokratie?, Sonderheft 5, Neue Praxis, Neuwied 1980, S. 90ff. 22 Vgl. Mahrzahn, C., Partizipation und Selbsthilfe, a.a.O., S. 740ff. 23 Vgl. Jaedicke, W , u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 36ff.
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Sozialhilfe in der Form der „Hilfe zum Lebensunterhalt" (HLU) in Anspruch nahmen, weil sie aus der Arbeitslosenversicherung keine oder unzureichende Unterstützung erhielten. Diese Entwicklung wurde für die Kommunen dadurch verschärft, daß der Bund 1982 (mit der „Operation '82") dazu überging, sich durch Kürzungen der Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung finanziell zu entlasten und die Arbeitslosen dementsprechend auf die Sozialhilfe der Kommunen zu verweisen.24 Die Zahl der Empfänger von „Hilfe zum Lebensunterhalt" (HLU) hat sich dann von knapp 1 Mio. im Jahr 1973 auf 2,2 Mio. im Jahr 1986 mehr als verdoppelt, die Ausgaben für HLU haben sich in diesem Zeitraum von ca. 2 Mrd. DM auf 9,3 Mrd. DM mehr als vervierfacht. 25 Wichtigster Auslöser der zunehmenden Inanspruchnahme von HLU ist inzwischen die durch Arbeitslosigkeit bedingte Notlage insbesondere von Langzeit-Arbeitslosen, die aus der Arbeitslosenversicherung „herausgefallen" sind, und von arbeitslosen Jugendlichen, die, da ohne vorheriges Beschäftigungsverhältnis, noch keinerlei Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung erworben haben. Ausweislich einer von den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit durchgeführten Untersuchung bezogen im September 1985 knapp 13 % aller registrierten Arbeitslosen Sozialhilfe. Mit durchschnittlich 33 %, in einigen Städten sogar mit 45 %, war Arbeitslosigkeit die häufigste Ursache für den Bezug von „Hilfe zum Lebensunterhalt". 26 Diese Entwicklung zieht inzwischen in den kommunalen Haushalten tiefe Spuren. Der durchschnittliche Anteil der sozialen Leistungen an den Kommunalhaushalten hat sich von 10,6 % in 1980 auf (voraussichtlich) 15,5 % in 1990 erhöht. Gemessen an den Verwaltungshaushalten der Kommunen (ohne Krankenhäuser) ist der Anteil sogar von 17,7 % auf 23,6 % hochgeschnellt. In strukturschwachen Kommunen, die in der budgetären Falle zwischen stagnierenden Einnahmen und explodierenden Ausgaben sitzen, sind die Anteile noch deutlich höher, und sie müssen teilweise fünf- bis zehnmal soviel Sozialhilfe an Arbeitslose zahlen wie zu Beginn der 70er Jahre. 27 Betrug der Anteil der Sozialhilfeausgaben an allen öffentlichen Sozialleistungen 1965 noch 2,5 %, so verdoppelte er sich bis 1985 fast auf 4,7 Als Folge dieser Entwicklung sind die Prämissen und die Voraussetzungen, unter denen die Kommunen die Erweiterung und Aufwertung der von ihnen zu tragenden und zu finanzierenden „kommunalen Sozialstaatlichkeit" akzeptierten und trugen, regelrecht auf den Kopf gestellt wurden. Die „Hilfe zum Lebensunterhalt", die in der Systematik des BSHG grundsätzlich als vorübergehende „Hilfe zur Selbsthilfe" konzipiert ist und von den Kommunen als ein historisch M Vgl. ebenda, S. 118ff. 25 Vgl. ebenda, S. 39ff. mit weiteren Angaben. 26 Vgl. ebenda, S. 43f. 27 Vgl. Karrenberg, H./Münstermann, E., Gemeindefinanzbericht, in: Der Städtetag 43, 1990, S. 114 ff. 28 Vgl. Jaedicke, W., u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 38.
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und finanziell gewissermaßen „auslaufendes Modell" verstanden werden konnte, entwickelt sich nun zum dauerhaften Ersatzeinkommen für Millionen von Personen und Haushalten. 29 In dem Maße, wie insbesondere arbeitslose Jugendliche aufgrund abgebrochener Schul- oder Berufsausbildung in der doppelten Gefahr stehen, eine Berufsausbildung im „dualen System" und damit den Zugang zum Arbeitsmarkt dauerhaft zu verfehlen, sind die Kommunen mit der finanziell bedrohlichen Aussicht konfrontiert, für den Lebensunterhalt dieser Dauerarbeitslosen unter Umständen lebenslang aufkommen zu müssen. Einerseits mit der maßgeblich durch die Dauerarbeitslosigkeit ausgelösten Explosion ihrer Sozialausgaben und andererseits mit einer Entwicklung ihrer Haushalte insgesamt konfrontiert, auf die die Städte seit Mitte der 70er Jahre mit einem scharfen Sparkurs zur „Haushaltskonsolidierung" reagieren zu müssen glaubten, schritten sie dazu, daß Leistungsprofil „kommunaler Sozialstaatlichkeit" merklich zu stutzen. Dies betraf die Geldleistungen ebenso wie die persönlichen Hilfen. Eine Analyse des kommunalpolitischen und administrativen Kontexts, der diesen restriktiven Kurs ermöglichte und vorantrieb, gibt Aufschlüsse über Reichweite und Grenzen kommunaler Sozialpolitik unter den gegebenen institutionellen und insbesondere finanziellen Rahmenbedingungen kommunalen Handelns.
Kommunalpolitischer Kontext Die Konfliktsituation, in der die Verfechter von Ausgaben für Sozial- und Jugendhilfe im kommunalpolitischen Kontext stehen, ist zum einen dadurch gekennzeichnet, daß sie sich der Phalanx der kommunalpolitischen „Vorentscheider"30 (Bürgermeister, Stadtdirektor, Fraktionsvorsitzende usw.) gegenübersehen, die sich, zumal in den struktur- und damit finanzschwachen Städten, seit der Mitte der 70er Jahre und verschärft in den frühen 80er Jahren veranlaßt sahen, einen entschiedenen Sparkurs und hierbei die Sozialausgaben der Kommunen nicht zu verschonen. Zu diesen rechnen die Transferzahlungen nach dem BSHG ebenso wie die kommunalen Personalausgaben im Sozial- und Jugendhilfebereich sowie die Zuwendungen an die „freien" Träger. Die „konsumtiven" Sozial- und Jugendhilfeausgaben stehen zudem in der budgetären Konkurrenz mit Ausgabenwünschen für „produktive" kommunale Handlungsfelder, insbesondere der Wirtschaftsförderung, die für ihre Ausgabenforderungen geltend machen kann, hierdurch zur wirtschaftlichen Entwicklung der Kommunen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Steigerung der Steuereinnahmen der Kommunen aus deren Gewerbe- und Einkommenssteueranteil beizutragen. 29
30
Vgl. Trenk-Hinterberger, P., Bundessozialhilfegesetz, in: Kreft, D./Mielenz, I. (Hrsg.), a.a.O., S. 125. Vgl. Banner, G., Politische Willensbildung und Führung in den Großstädten der Oberstadtdirektoren-Verfassung, in: Grauhan, R. R. (Hrsg.), Großstadt-Politik, Gütersloh 1972.
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Des weiteren sind die Karten der Sozial- und Jugendhilfe in der budgetären Auseinandersetzung deshalb schlecht gemischt, weil das „Standing" und „Image" der Sozial- und Jugendhilfe als kommunale Aufgaben im kommunalen Konfliktfeld einen niedrigen Rang haben. Kommunale Sozialpolitik ist kein Politikfeld, in dem aufstrebende Partei- und Kommunalpolitiker ihre politischen Sporen verdienen zu können glauben. Die Führungsgruppe der Kommunalpolitiker, z.B. die Fraktionsspitzen, sind dann in den Sozialausschüssen als den zuständigen Fachausschüssen der Kommunal„parlamente" kaum vertreten. 31 „Im Grunde genommen ist Sozialpolitik anrüchig für einen Kommunalpolitiker, das sind immer irgendwo die armen Leute" (Interviewaussage eines Kommunalpolitikers). 32 Die Klientel der Sozialhilfe, herkömmlich insbesondere alte Menschen ohne ausreichende Altersversorgung, bildet eine unwichtige Wählergruppe und entbehrt jeder Konfliktfähigkeit, die kommunalpolitisches Aufsehen erregen könnte. Als „Arme-Leute-Amt" hat das Sozialamt im Konzert der kommunalpolitischen Akteure und Ämter ein entsprechend niedriges Prestige, das auch darin zum Ausdruck kommt, daß das Sozialamt unter den Kommunalbediensteten geradezu als „Strafkolonie" in der Kommunalverwaltung gilt, wie es in einer Untersuchung pointiert heißt. 33 Ähnliches ist für das „Standing" des Jugendamtes zu vermerken. Zwar hat die Jugendarbeitslosigkeit in der kommunalpolitischen Arena in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit gefunden, was wesentlich auf die potentielle Konfliktfähigkeit arbeitsloser Jugendlicher und das von ihnen verkörperte Unruhepotential zurückzuführen sein dürfte. Jedoch ist die Jugendhilfe als kommunale Aufgabe nach wie vor von der in der Jugendhilfeliteratur hervorgehobene „Randständigkeit des Jugendamtes auf der kommunalen Ebene" 34 gekennzeichnet. Für das Jugendamt ist in § 13, Abs. 2 JWG von 1961 — in Anknüpfung an das Reichswohlfahrtsgesetz von 1924 — eine „zweigliedrige" Organisationsform vorgeschrieben, die neben dem Jugendamt als kommunale Verwaltungsdienststelle den Jugendwohlfahrtsausschuß als ein „Kollegialorgan" vorsieht, in dem u.a. Mitglieder der Kommunalvertretung, Vertreter der Jugendverbände und der Leiter des Jugendamtes sitzen35 und dem gewisse Entscheidungsbefugnisse übertragen sind. An sich könnte die Konstruktion — als Institutionalisierung des „korporatistischen" Zusammenwirkens der Kommune und der Jugendverbände - der Jugendhilfe zusätzliche „Muskeln" in der kommunalpolitischen Arena verleihen. Offenbar ist indessen das Gegenteil der Fall. Zum einen erweist sich
31 Vgl. Hegner, E/Schmidt, E. H., Organisatorische Probleme der horizontalen Politiksegmentierung und Verwaltungsfragmentierung, in: Kaufmann, E X. (Hrsg.), a.a.O., S. 178f. 32 Zit. nach ebenda, S. 179. 33 Vgl. Grunow, D./Hegner, E, Die Gewährung persönlicher und wirtschaftlicher Sozialhilfe, Bielefeld 1978, S. 230. 34 Vgl. Wagner, G., Jugendamt, in: Eyferth u.a. (Hrsg.), a.a.O., S. 527. 35 Vgl. ebenda.
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der Jugendwohlfahrtsausschuß als Beschlußgremium als eher schwerfällig.36 Zum anderen ist die institutionelle Verknüpfung des Jugendamtes mit dem Jugendwohlfahrtsausschuß als einem die Jugendverbände und unter Umständen auch alternative Jugendgruppen am kommunalen Entscheidungsprozeß beteiligende Organisationsform offenkundig geeignet, das Jugendamt aus der Sicht anderer Ämter und Ausschüsse in ein schiefes, seine „Randständigkeit" verstärkendes Bild zu rücken. 37 Damit reimt sich, daß die Mitarbeiter von Jugendämtern in der Kommunalverwaltung als „Exoten" gelten und fürchten, aufgrund von Kontakten mit alternativen Jugendprojekten könnten sie „von den anderen Ämtern und Abteilungen der Stadtverwaltung als ,chaotisch' eingestuft werden". 38 Zwar können die kommunalen Akteure der Sozial- und Jugendhilfe einerseits und die „freien" Wohlfahrts- und Jugendverbände andererseits in der kommunalpolitischen Arena dadurch ein gewisses Gegengewicht zur Phalanx der „Vorentscheider" und deren Bestreben, die Ausgaben in diesem Bereich knapp zu halten, aufbringen, daß sie traditionell „korporatistisch" zusammenwirken und hierbei „issue networks" 39 oder „Policy-Netzwerke"40 bilden, die — intern unter Umständen um Ressourcen usw. rivalisierend, nach außen aber durch gemeinsame Ziele verbunden — durch abgestimmtes Vorgehen Einfluß auf den kommunalpolitischen Entscheidungsprozeß zu gewinnen suchen. Jedoch sind diese Koalitionsbildungen offenbar nicht im Stande, etwas an der „Randständigkeit" zu ändern, in der sich die Sozial- und Jugendhilfe als kommunale Aufgaben im Gesamtfeld kommunaler Handlungsinteressen befindet. Dies zeigte sich in den frühen 80er Jahren, als viele Städte in Verfolgung ihres rigorosen Haushaltskonsolidierungskurses dazu schritten, auch die Zuwendungen zusammenzustreichen, mit denen sie im Wege jährlicher Haushaltsbewilligungen die „freien" Wohlfahrtsträger und Jugendverbände, aber auch andere gesellschaftliche Gruppen finanziell unterstützen. Da derartige Zuwendungen der Kommunen in dem Sinne „freiwillig" sind, als eine verbindliche gesetzliche Verpflichtung für sie nicht besteht, sind sie in Perioden budgetärer Bedrängnis gegenüber Streichaktionen besonders verwundbar. Als sich die Kommunen in den frühen 80er Jahren „zu massiven Kürzungen bei den sozialen Leistungen gezwungen (glaubten H. W), die sie selbst beeinflussen können" 41 , fielen die 36
Vgl. Maas, U . , Organisation der staatlichen Sozialverwaltung, a.a.O., S. 23. Vgl. Wagner, G., Jugendamt, a.a.O., S. 527. 38 Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI), Großstadtjugendämter und alternative Jugendprojekte und -initiativen, in: Deutscher Städtetag (Hrsg.), Alternative Jugendbewegungen, Teil II, DSt-Beiträge zur Sozialpolitik, Heft 16, Köln 1984, S. 84. 39 Vgl. Heclo, H., Issue Networks and the Executive Establishment, in: King, A. (ed.), The New American Political System, Washington D. C. 1978. 40 Vgl. Windhoff-H6ritier, A . , Sozialpolitik der mageren Jahre, in: Mäding, H. (Hrsg.), Sparpolitik, Opladen 1983, S. 80. 41 Karrenberg, H./Münstermann, E., Gemeindefinanzbericht 1983, in: Der Städtetag 36, 1983, S. 86.
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„freiwilligen Zuwendungen", wie eine Umfrage des Deutschen Städtetages bei seinen Mitgliedsstädten für 1982 und 1983 bestätigte, 42 denn auch dem Rotstift der Kommunen in merklichem Umfang zum Opfer. Der hierdurch ausgelöste Personalabbau bei den Trägern der freien Wohlfahrtspflege traf solche Dienstleistungen besonders hart, die „freiwilliger" Natur sind, „etwa die offene Familienhilfe, vorbeugende Jugendhilfe, Einrichtungen zur Betreuung älterer Mitbürger, die Nichtseßhaftenhilfe und die Betreuung von Strafentlassenen". 43 Sind die „freien Wohlfahrtsverbände durch ihre „korporatistische" Einbindung in den kommunalpolitischen Entscheidungsprozeß und über entsprechende „Koalitionen" („issue networks", „Policy-Netzwerke") in der Lage, ihre Handlungs-, Organisations- und Domäneninteressen — wenn auch gegen Rückschläge im Falle vorrangiger „Vorentscheider"-Interessen nicht gefeit — in der kommunalpolitischen Arena geltend zu machen und damit das erreichte sozialstaatliche Leistungsniveau der kommunalen Ebene zumindest zu stabilisieren, erweisen sie sich vielfach als Barrieren und als „gatekeeper" gegenüber Selbsthilfegruppen und deren Forderung, von den Kommunen finanziell und sächlich unterstützt zu werden. 44 Alternative und Selbsthilfegruppen haben inzwischen vielfach den Weg gewählt, Mitglieder des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes als des überkonfessionellen „etablierten" Trägers zu werden und auf diese Weise auch das „Anerkennungsverfahren" nach § 9 JWG als Nadelöhr der Förderungsfähigkeit zu meistern. 45
Administrativer und bürokratischer Kontext Wurden im bisher Gesagten die Handlungshürden sichtbar, die auf die Interessen und die Interessenten der Sozial- und Jugendhilfe im kommunalpolitischen Kontext stoßen, so machen sich ähnliche Barrieren und Filter im administrativen und bürokratischen Kontext der kommunalen Ämter geltend. Die Leistungsabteilungen der Sozialämter entsprechen weitgehend dem „klassischen" Modell einer hierarchischen Verwaltung, die auf Unterstützungsanträge „reagiert" und diese aufgrund rechtlicher Vorschriften „bescheidet". 46 In ihnen sind überwiegend Verwaltungssachbearbeiter des gehobenen Dienstes tätig, deren Handlungsmustern eine verfahrensorientierte, an den rechtlichen und finan-
"2 Vgl. ebenda, S. 108. 43 Huster, E. U . , Struktur und Krise Kommunaler Sozialfinanzen, in: Leibfried, S./Tennstedt, E (Hrsg.), Politik der Armut und die Spaltung des Sozialstaats, Frankfurt a. M. 1985, S. 203. 44 Vgl. Becher, B./Grieger, P./Jabukowski, A./Renn, U., Sozialpolitische Aktionsgruppen: Bedingungsfaktoren ihrer Beziehungen zu kommunaler Politik und Verwaltung, in: Kaufmann, F.-X. (Hrsg.), Staat, intermediäre Instanzen und Selbsthilfe, München 1987, S. 300. 45 Vgl. ebenda. « Vgl. Leibfried, S., Sozialhilfe, in: Eyferth u.a. (Hrsg.), a.a.O., S. 948ff.
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ziellen Aspektes des „Falles" ausgerichtete Einstellung eigentümlich ist.47 Das Organisations„klima" ist durch das sehr niedrige Prestige der Beschäftigung im Sozialamt (vgl. obiges Stichwort: „Strafkolonie") und in den letzten Jahren zusätzlich durch den steilen Anstieg der zu bearbeitenden „Fälle" bei unzureichender Personalausstattung geprägt (z.B. nahm im Sozialamt Hannover die Zahl der HLU-„Fälle" von 17.000 im Jahr 1979 auf 28.000 im Jahr 1984 zu). 48 In ihrer Summe tragen diese Faktoren (Organisations„klima", Arbeitsüberlastung, zunehmende Anonymisierung der Kontakte) dazu bei, die die Sozialhilfeleistung stigmatisierenden administrativen Filter zu verstärken. 49 Die vorliegenden Untersuchungen deuten übereinstimmend darauf hin, daß die kommunalen Sozialämter in den frühen 80er Jahren vielfach dazu übergingen, die Ausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) zu reduzieren, soweit deren rechtliche Regelung gewisse Entscheidungsspielräume läßt. Diese bestehen z.B. für die Bewilligung sog. einmaliger Leistungen (z.B. Kauf neuer Möbel, Haushaltsgeräte, Kleidung usw.) ebenso wie für die Frage, ob Sozialhilfe als Darlehen auszuzahlen, Kostenerstattungen gegenüber Dritten durchzusetzen oder Unterhaltsverpflichtete heranzuziehen seien.50 So haben die „Leistungsabteilungen" der Sozialämter inzwischen mitunter eigene Gruppen eingerichtet, um Unterhaltsansprüche konsequenter zu verfolgen.51 Zudem werden der „Allgemeine Sozialdienst" (als „Außendienst" des Sozialamtes) und seine Sozialarbeiter wieder zunehmend damit beauftragt, für den „Innendienst" bei den Sozialhilfeempfängern „Ermittlungstätigkeiten" durchzuführen, 52 die an die armenpolizeiliche Kontrollfunktion erinnern. Mit diesem restriktiven Entscheidungsgebahren reagieren die Sozialämter auf entsprechende Signale aus ihrem kommunalpolitischen Umfeld, etwa auf eine Rüge des kommunalen Rechnungsprüfungsamtes, das die Höhe der Sozialausgaben beanstandete und empfahl, vermehrt von den möglichen Sparstrategien Gebrauch zu machen. 53 Zeigen sich die Leistungsabteilungen der Sozialämter — als Ergebnis eines gegenüber dem Sozialhilfeempfänger distanzierten Organisationsklimas und einer eher verfahrensorientierten Handlungseinstellung - vor allem dann zu einer restriktiven Entscheidungspraxis geneigt, wenn sie sich entsprechenden Signalen aus dem kommunalpolitischen Umfeld gegenüber sehen, deutet alles darauf hin, daß auch der „Allgemeine Sozialdienst", also der „Außendienst" der Sozial- und « Vgl. Schulte, B./Trenk-Hinterberger, P., Sozialhilfe, Königstein 1982, S. 67. "8 Vgl. Blanke, B./Heinelt, H./Macke, C.-W., Großstadt und Arbeitslosigkeit, Opladen 1967, S. 376. 49 Vgl. Leibfried, S., Armutspotential und Sozialhilfe in der Bundesrepublik. Zum Prozeß des Filterns von Ansprüchen auf Sozialhilfe, in: Kritische Justiz, 1976, S. 377ff. 50 Vgl. Jaedicke, W., u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 171 ff.; vgl. Adamy, W./ Naegele, G., Armenpolitik in der Krise, in: Leibfried, S./Tennstedt, E (Hrsg.), Politik der Armut und die Spaltung des Sozialstaats, a.a.O., S. 112f. 51 Vgl. Adamy, W./Naegele, G., Armenpolitik in der Krise, a.a.O., S. 113. 52 Vgl. Hottelet, H., Allgemeiner Sozialdienst, a.a.O., S. 37. 53 Vgl. hierzu Jaedicke, W , u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 171ff.
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Jugendämter, deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt, die in den späten 60er und frühen 70er Jahren mit der Reorganisation der sozialen Dienste und der Rekrutierung von sozialpädagogisch ausgebildeten Sozialarbeitern verbunden worden waren. Zum einen ist daran zu erinnern, daß die Modellversuche mit einer Reorganisation der sozialen Dienste, die in einer Reihe von Städten seit den späten 60er Jahren eingeleitet worden waren, 54 ein „jähes Ende" 55 fanden, als die Kommunen auf die 1974 ausbrechende Krise der Kommunalfinanzen durch massive Ausgabenkürzungen reagierten. Abgesehen von einigen beachtlichen und beharrlichen Reformunternehmungen (insbesondere in Bremen) ist eine umfassendere oder gar flächendekkende Neustrukturierung der sozialen Dienste unterblieben. 56 Inzwischen treiben die vor allem als Folge der Dauerarbeitslosigkeit sprunghaft steigenden Zahlen der Sozial- und Jugendhilfebedürftigen die in den Allgemeinen Sozialdiensten der Kommunen tätigen Bezirkssozialarbeiter an den Rand der Arbeitsfähigkeit, von der Möglichkeit einer „ganzheitlichen Sozialarbeit", wie sie in den Reformphasen der 70er Jahre entworfen worden war, gar nicht zu reden. Damit gerät der Sozialarbeiter „in einen Widerspruch zwischen helfender und kontrollierender Tätigkeit. Nicht selten wird er gegen Grundsätze der Fachlichkeit aufgefordert, Sach- statt Geldleistungen vorzusehen und die wirtschaftliche Hilfe restriktiv zu handhaben. Der Gegensatz behördlicher Sozialarbeit zwischen Hilfe zur gesellschaftlichen Teilhabe einerseits und sozialer Befriedungsaktion andererseits prägt den Allgemeinen Sozialdienst in besonderer Weise.57 Die Tatsache, daß der Allgemeine Sozialdienst und die in ihm verfolgte Sozialarbeit hinter die ursprüngliche Reformabsicht inzwischen weit zurückfällt, läßt sich für dessen Kontakte und Umgang mit den Selbsthilfe- und Alternativgruppen — einer an sich besonders wichtigen Zielgruppe einer gemeinwesenorientierten Sozialarbeit — veranschaulichen. Nach der Untersuchung von Becher u.a. findet in der Regel keine Zusammenarbeit zwischen dem Allgemeinen Sozialdienst und Selbsthilfegruppen statt. Nach Meinung der befragten Mitarbeiter des ASD „läßt die Belastung durch Einzelfallhilfe hierfür keinen Spielraum" 58 . In ähnlicher Richtung dürften die Befunde der SPI-Untersuchung zu interpretieren sein, wonach die Kontakte ganz über54
Vgl. Kühn, D . , Historisch-systematische Darstellung ..., a.a.O. 55 Von der Haar, E., Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Berufsalltag der Jugendfürsorge, Berlin 1984, S. 9. 56 Vgl. Kreit, D . , Träger der sozialen Arbeit, in: Kreft, D./Mielenz, I. (Hrsg.), Wörterbuch Soziale Arbeit, a.a.O., S. 579. 57 Hottelet, H., Allgemeiner Sozialdienst, a.a.O., S. 37. Vgl. die Süddeutsche Zeitung vom 7.4.1990, wo unter der Überschrift „Die ungehörten SOS-Rufe aus dem Sozialdienst" auf gravierende Defizite in der Personalausstattung hingewiesen wird. 58 Becher, B., u.a., Sozialpolitische Aktionsgruppen ..., a.a.O., S. 290.
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wiegend (75 %) von den alternativen Gruppen oder Projekten ausging, während das Jugendamt nur in wenigen Fällen (10 %) den Kontakt von sich aus suchte. 59
3. Abschließende Überlegungen und Schlußfolgerungen Die Darstellung dürfte vor allem zweierlei gezeigt haben. Einerseits dürfte deutlich geworden sein, daß die hohe Arbeitslosigkeit, die, die beträchtliche „Dunkelziffer" umgerechnet, bundesdurchschnittlich zwischen 8 und 9 % liegt und von einem zunehmenden Anteil von Dauerarbeitslosen, die aus der Arbeitslosenversicherung „herausgefallen" bzw. „ausgegrenzt" worden sind, und von arbeitslosen jungen Menschen, die im Falle fehlender vorausgegangener sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung noch keinen Schutz aus der Arbeitslosenversicherung erworben haben, gekennzeichnet ist, auf die Sozialhilfeausgaben der Kommunen immer stärker durchschlägt. Es sei daran erinnert, daß sich zwischen 1973 und 1986 die Zahl der Bezieher von Sozialhilfe in der Form der Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) — bei einem wachsenden Anteil von Arbeitslosen an den Sozialhilfeempfängern — von knapp 1 Mio. auf über 2 Mio. mehr als verdoppelt und sich die Ausgaben der Kommunen für Hilfe zum Lebensunterhalt in diesem Zeitraum von rund 2 Mrd. DM auf über 9 Mrd. DM mehr als vervierfacht haben. 60 Ist die Sozialhilfe in der Form der „Hilfe zum Lebensunterhalt" im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) eigentlich als eher vorübergehende „Hilfe zur Selbsthilfe" konzipiert und konnten die Kommunen in den 60er Jahren und frühen 70er Jahren vor dem Hintergrunde verbesserter gesetzlicher Altersversorgung und (scheinbar) dauerhafter Vollbeschäftigung davon ausgehen, daß es sich bei der „Hilfe zum Lebensunterhalt" um eine sozial und finanziell immer weniger bedeutsame sozialstaatliche Hilfestellung handeln würde, so hat sie sich inzwischen — im Gegensatz zu diesen ursprünglichen Vorstellungen und Annahmen — zu einem dauerhaften „Ersatzeinkommen" für Millionen von Menschen entwickelt. Damit sehen sich die Kommunen einer Inanspruchnahme der Sozialhilfe gegenüber, die, zumal in den strukturschwachen und damit von besonders hoher Arbeitslosigkeit heimgesuchten Kommunen, nicht nur die kommunalen Haushalte finanziell, sondern auch die kommunale Sozialadministration — die mit der Bewilligung und Auszahlung der Sozialhilfe befaßten „Leistungsabteilungen" („Innendienst") der Sozialämter ebenso wie der „Allgemeine Sozialdienst" als „Außendienst" der Sozial- und Jugendämter — administrativ und personell fordert und zunehmend überfordert. In dem Maße aber, wie die massive Inanspruchnahme der Sozialhilfe im Kielwasser der hohen Arbeitslosigkeit die Kommunen durch ihre schieren „FalT'zahlen 59 Vgl. SPI, Großstadtjugendämter ..., a.a.O., S. 28. 60 Vgl. Jaedicke, W., u.a., Kommunen im Sozialstaat, a.a.O., S. 39ff. mit detaillierten Tabellen.
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überrennt und in finanzieller wie administrativer Hinsicht quantitativ überfordert, haben sich Kommunalpolitik und -Verwaltung veranlaßt gesehen, wo immer möglich, Einsparungen auch bei den Sozialausgaben zu erzielen und hierfür Abstriche im qualitativen Leistungsprofil kommunaler Sozialstaatlichkeit vorzunehmen. Dies macht vor allem die Entwicklung im „Allgemeinen Sozialdienst" als „Außendienst" der Sozial- und Jugendämter sichtbar, dessen sozialreformerische Ansätze einer „ganzheitlichen", Konzepte der Gemeinwesenarbeit einbegreifenden Sozialarbeit unter der Wucht der steigenden „Fall"zahlen und den Streichen kommunaler Sparstrategien weitgehend auf der Strecke geblieben sind. Zwar sind die Kommunen inzwischen vielerorts in einer Art von Not- und Gegenwehr dazu übergegangen, die Beanspruchung der Sozialhilfe durch eine zunehmende Zahl von Dauerarbeitslosen dadurch einzudämmen, daß sie beschäftigungspolitisch, also in einem für sie weitgehend neuen Handlungsfeld, aktiv werden. Auf diese kommunalen Initiativen und Aktivitäten, die, neben der Durchführung von aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit nach dem Arbeitförderungsgesetz finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in kommunaler Trägerschaft, zunehmend an Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (insbesondere § 19 BSHG) und an ein erweitertes Verständnis der Jugendhilfe nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) anknüpfen, soll und kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.61 Jedoch sind der Reichweite und Wirksamkeit dieser ausbildungs- und beschäftigungspolitischen Initiativen der Kommunen — dies sei, den Diskussions- und Erfahrungsstand resümierend, hier hervorgehoben — in mehrfacher Hinsicht enge Grenzen gezogen. Zum einen haben es die Kommunen selbstredend nicht in der Hand, die Beschäftigungskrise, die wesentlich durch im internationalen und nationalen Rahmen wirksame ökonomische und technologische Strukturveränderungen bedingt ist und auch von Politikentscheidungen auf nationaler wie internationaler Ebene abhängt, in ihrem Verlauf und Ausmaß nennenswert beeinflussen. Bei aller Anerkennung, die einzelnen Kommunen zu zollen ist, erweisen sie sich innerhalb ihrer gegenwärtigen finanziellen und institutionellen Rahmenbedingungen insgesamt jedoch als weitgehend außerstande, ausbildungsund beschäftigungspolitische Initiativen als Neuland kommunaler Sozialpolitik in einem mehr als marginalen Umfang zu verwirklichen.62
61
62
Vgl. ausführlich Wollmann, H., Kommunale Sozial- und Umweltpolitik — zwischen Politikinnovation und Handlungsdefizit, Ms., 1990. Für eine Übersicht zur Kommunalen Beschäftigungspolitik vgl. Maier, H. E./Wollmann, H. (Hrsg.), Lokale Beschäftigungspolitik, Basel 1987. Für eine informative Darstellung vgl. Hegner, E, Handlungsfelder und Instrumente kommunaler Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, in: Blanke, B./Evers, A./Wollmann, H. (Hrsg.), Die Zweite Stadt. Neue Formen lokaler Arbeits- und Sozialpolitik, Sonderband Leviathan 7/1986, Opladen 1986, S. 119ff. Vgl. Sund, O., Chancen und Grenzen lokaler Beschäftigungspolitik, ein Kommentar, in: Heinelt, H.AVollmann, H. (Hrsg.), Lokale Politikforschung. Zwischenbilanz und Perspektive, Basel 1990.
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Aus dieser Entwicklung konnte für die Konzipierung der künftigen sozialpolitischen Aufgabe der neu geschaffenen Kommunen in den neuen Bundesländern die Lehre gezogen werden, daß, sollte vorgesehen werden, die Kommunen — in Anlehnung an das Bundessozialhilfegesetz — für die Sozialhilfe als „letztes Netz sozialer Sicherheit" finanziell und administrativ zuständig zu machen, jedenfalls vermieden werden sollte, daß die Sozialhilfe zum „Lückenbüßer" für sozialstaatlich unzureichende Regelungen der Arbeitslosenversicherung und das Fehlen einer entschiedenen staatlichen Arbeitsmarktpolitik wird. Angesichts dessen, daß seit dem 2.7.1990 die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern deutlich ansteigt, kommt dieser Folgerung und Forderung um so größere Bedeutung zu, als eine Entwicklung, in der die politisch und administrativ im Aufbau befindlichen Kommunalverwaltungen von einer Lawine von Sozialhilfeansprüchen im Gefolge von Arbeitslosigkeit finanziell und administrativ überrollt werden, für den Auf- und Ausbau der kommunalen (Selbst-)Verwaltung eine fatale Ausgangsbedingung und -Situation geschaffen hat. Zugleich könnte aber eine Regelung, die für die Kommunen der neuen Bundesländer einen strukturellen „Webfehler" der Aufgaben- und Finanzierungsverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vermiede und korrigierte, einen wichtigen Anstoß für eine entsprechende Reformdiskussion auch in den alten Bundesländern geben.
Siegfried Lassak Zerstreute Städtebaugesetzgebung von gestern und Erfordernisse von heute Die Herbeiführung der staatlichen Einheit Deutschlands — ohnehin eine Aufgabenstellung von hoher Kompliziertheit - hat eines ihrer wohl kompliziertesten Problemfelder zweifellos in der Herstellung einer gesamtdeutschen Rechtseinheit. Diese Aufgabe ist nur mit der Übernahme des BRD-Rechts auf Basis des Grundgesetzes für die aus der ehemaligen DDR hervorgegangenen neuen Bundesländer nicht zu lösen. Auf den meisten gesellschaftlichen Gebieten wird ein derartiger vereinfachender Versuch in praxi alle im Detail steckenden Schwierigkeiten sehr bald offenlegen. So unterschiedlich die Diskussionsmotive über eine Vereinigung nach Artikel 23 oder Artikel 146 des Grundgesetzes auch waren — in einer vereinfachenden Diskussion schon dieser Grundfrage liegen die gleichen Denkmodelle, die der weiteren konkreten Rechtsentwicklung in den meisten gesellschaftlichen Bereichen nicht standhalten werden. Mehr als 40 Jahre unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklung haben zu einer Differenzierung in der Rechtsentwicklung geführt, die eine staatliche Einheit Deutschlands nicht mit einem Schlag beseitigen kann. Damit waren m. E. zwei denkbare prinzipielle Wege der Rechtsentwicklung vorgezeichnet: Entweder für die Gebiete der ehemaligen DDR wird die Gesetzgebung der BRD übernommen, was nur schrittweise geht und für einen noch zu bestimmenden längeren Zeitraum trotz schon vollzogener staatlicher Vereinigung einen Sonderstatus der neuen Bundesländer auf vielen wichtigen Gebieten bedingt; oder die staatliche Vereinigung wird als eine einmalige Chance auch und vielleicht sogar vor allem dafür begriffen, die vorgenannte Phase nicht als bloße Anpassung ehemaliger DDR-Verhältnisse an das bisherige BRD-Recht zu vollziehen, sondern auf wichtigen — wenn auch sicher nicht auf allen — Gebieten eine neue deutsche Gesetzgebung gemeinsam zu erarbeiten, die das bisher Positive im Recht beider Staaten aufarbeitet und zu Lösungen findet, die generell oder bei bedeutsamen Teilproblemen eine höhere Qualität künftigen deutschen Rechts sichern. Beide Wege bergen komplizierte Anpassungsschwierigkeiten für die aus der D D R hervorgegangenen Gebiete des einheitlichen Deutschland, wobei der zweite Weg m. E. zu favorisieren gewesen wäre. Hier treffen wir zugleich auch auf die Intentionen vieler westdeutscher Fachkollegen mit zahlreichen konkreten Vorstellungen für eine Gesetzgebung, die über heute geltendes BRD-Recht z.T. weit hinausgehen und einem einheitlichen deutschen Staat angemessen wären. 241
Beide Wege hätten auf jeden Fall eine Bestandsaufnahme und -prüfung sowie die Entwicklung von Regelungsvorstellungen für die Übergangsphase und — soweit möglich — für die weitere Zukunft bedingt. Die nüchterne Realität offenbart die Notwendigkeit vielfältiger gesetzgeberischer Aktivitäten mit erforderlichen wissenschaftlichen Vorarbeiten. Die nachfolgende Darstellung versteht sich auf dem Gebiet des städtebaubezogenen Rechts als ein Beitrag zur historischen Aufarbeitung der zurückliegenden Entwicklung der Gesetzgebung, verbunden mit Überlegungen de lege ferenda. Die Situation des Städtebaus in der ehemaligen D D R befrachtet die Rechtsentwicklung mit einer zusätzlichen Problemlast, die über die mit einer künftigen Rechtsvereinheitlichung ohnehin entstehenden Anpassungsschwierigkeiten weit hinausgeht. Bevor die Entwicklung des Städtebaurechts der ehemaligen D D R in ihren wesentlichen Zügen betrachtet wird, soll zur Erleichterung des Begriffsverständnisses eine Erläuterung vorangestellt werden: Der Begriff „Städtebaurecht" wurde in der Rechtswissenschaft in der DDR weiter gefaßt als in der BRD; er schließt das öffentliche und das zivile Baurecht in weitem Sinne ein und basiert auf einer Präsumtion der städtebaulichen Relevanz aller baubezogenen Rechtsnormen. Das Städtebaurecht der DDR regelte die gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen, die im komplexen Prozeß der Planung, Vorbereitung und Durchführung baulicher Maßnahmen zur Reproduktion der Wohn-, Arbeits- und Lebensumwelt der Bürger in den Städten und Gemeinden entstanden. Es umfaßte die Gesamtheit von Rechtsnormen, die spezifisch städtebaulich intendiert waren und ausschließlich oder überwiegend in den gesellschaftlichen Verhältnissen dieses Bereichs ihre spezielle Anwendung fanden. Das Städtebaurecht erfaßte alle Reproduktionsformen der Bausubstanz, unabhängig von den Eigentumsformen der Beteiligten. In ihm verknüpften sich Rechtsnormen des Staatsrechts, Verwaltungsrechts, Wirtschaftsrechts, Zivilrechts, Bodenrechts, Finanzrechts und Ordnungswidrigkeitsrechts zu einem komplexen, eigenständigen Rechtsgebiet mit einheitlichem Regelungsgegenstand und einheitlicher sozialer Zielstellung.
Historischer Abriß der städtebaurechtlichen Entwicklung Betrachtet man die mehr als vier Jahrzehnte währende städtebauliche Entwicklung in der DDR und ihre juristische Widerspiegelung in der Rechtsentwicklung, so lassen sich im wesentlichen drei Hauptabschnitte erkennen: 1. Nach der Beendigung des zweiten Weltkrieges begann zunächst eine Phase der Aufräumung zerstörter Städte, der Wiederbewohnbarmachung beschädigter Wohnbauten und der Enttrümmerung. Dafür wurden — überwiegend auf Provinz- und Länderebene — spezielle Rechtsvorschriften erlassen, wie z.B. 242
— Verordnung über den Wiederaufbau in kriegszerstörten Gemeinden vom 29.12.1945'; — Gesetz über den Wiederaufbau von Städten und Dörfern im Lande Thüringen vom 18.10.19452; - Verordnung betr. den Wiederaufbau von Städten und Dörfern vom 26.7.19463; - Wiederaufbaugesetz vom 16.10.19464 nebst Ausführungsbestimmungen vom 10.1.19485 und vom 19.5.1948«. Wie schon seit langen Zeiten die Auseinandersetzung mit den materiellen, finanziellen und sozialen Problemen des Bauens und Wohnens stets zugleich eine Auseinandersetzung mit juristischen Problemen war, brachte auch diese erste Phase der städtebaulichen Entwicklung eine Diskussion darüber mit sich, wie auf der Basis der erreichten Ergebnisse bei der Kriegsschädenbeseitigung eine systematische Förderung des Neuaufbaus mit gesetzgeberischen Mitteln gewährleistet werden kann. Die dabei konzipierten städtebaupolitischen Ziele und Aufgaben fanden ihre juristische Widerspiegelung nach der Gründung der D D R - im Gesetz über den Aufbau der Städte in der Deutschen Demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands, Berlin (Aufbaugesetz) vom 6.9.1950 7 und — in den Grundsätzen des Städtebaus vom 27.7.19508. Das Aufbaugesetz und seine flankierenden Regelungen9 haben die spätere städtebauliche Entwicklung entscheidend mitbeeinflußt. Insbesondere war das von ihnen geregelte staatliche Verfügungsrecht über den Grund und Boden — verknüpft mit einem „Einfrieren" der Bodenpreise — die wesentliche rechtliche Basis für die Überwindung von Bodenspekulation und ausufernder Mietenentwicklung als Motive städtebaulicher Entwicklungen, für die Beseitigung sozialer Zonierung in den Städten, für die Möglichkeit einer architektonisch ansprechenden Gestaltung der Städte sowie für deren komplexe Umgestaltung entsprechend gesellschaftlichen Zielsetzungen. Das Aufbaugesetz regelte die Ausarbeitung städtebaubezogener Planwerke, die Schaffung leitungsorganisatorischer Voraussetzungen für die Einbeziehung fortschrittlicher Erkenntnisse von Wissenschaft, Technik und Kunst sowie die bedeutsame Möglichkeit, Aufbaugebiete festzusetzen und auf der Basis dieser Aufbaugebietserklärungen die Inanspruchnahme
Vgl. Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen, 1946, S. 10. Vgl. Regierungsblatt für das Land Thüringen, 1946, S. 9. 3 Vgl. Amtsblatt der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, 1946, S. 100. 4 Vgl. Verordnungsblatt der Provinzverwaltung Mark Brandenburg, 1946, S. 379. 5 Vgl. Verordnungsblatt der Landesregierung Brandenburg - Amtsblatt 1948, S. 17. « Vgl. ebenda, S. 243. i Vgl. GBl. 1950, Nr. 104, S. 965. « Vgl. Min. Bl. 1950, Nr. 25, S. 153. 9 Vgl. darunter das Gesetz über die Entschädigung bei Inanspruchnahmen nach dem Aufbaugesetz - Entschädigungsgesetz - vom 25.4.1960, GBl. I, 1960, Nr. 26, S. 257. 1
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von Grundstücken (d. h. ihre Enteignung gegen Entschädigung) vorzunehmen. Bereits unter den damaligen Bedingungen orientierte das Gesetz auf die komplexe Neugestaltung der Städte sowie auf die Verwirklichung fortschrittlicher Traditionen und Erfahrungen, ohne den Städtebau — etwa wegen der bestehenden dringlichen Behausungserfordernisse — vorrangig auf den Wohnungsbau einzuengen. Indem das Aufbaugesetz auf die noch von der Provisorischen Regierung der D D R beschlossenen 16 Grundsätze des Städtebaus 10 Bezug nahm, faßte es den Städtebau als eine komplexe gesellschaftliche Aufgabe auf, die sich auf „die harmonische Befriedigung des menschlichen Anspruchs auf Arbeit, Wohnung, Kultur und Erholung" richtet (Grundsatz 2). Man kann aus heutiger Sicht feststellen, daß das Aufbaugesetz mit der von ihm vorgenommenen Verknüpfung der natürlichen Gegebenheiten, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen, Errungenschaften von Wissenschaft, Technik und Kunst sowie der progressiven Elemente des Kulturerbes des deutschen Volkes schon seinerzeit wesentliche Züge einer später anzusteuernden komplexen Städtebaugesetzgebung der DDR vorgezeichnet hat. Wenn die Realisierung der dem Aufbaugesetz zugrundeliegenden städtebaulichen Absichten in den folgenden Jahren nur zum Teil vollzogen wurde, so gab es dafür eine Reihe gesellschaftspolitischer und volkswirtschaftlicher Ursachen mit nachhaltig restriktiven Wirkungen. So haben der vorrangige Ausbau der Grundund Schwerindustrie in der durch Reparationsleistungen über die Kriegsschäden hinaus schwer beeinträchtigten Wirtschaft die Masse der Baukapazitäten an die Errichtung neuer, großer Produktionsbetriebe und deren Wohnsiedlungen gebunden; zugleich unterlag die Entwicklung der privaten Bauwirtschaft starken restriktiven Einflüssen, in deren Folge eine langandauernde Unterdeckung vor allem der städtebaulichen Anforderungen an die Baukapazitäten eintrat. Damit einhergehend begann eine verhängnisvolle Vernachlässigung der zunehmend notwendigen Erhaltungs- und Sanierungsaufgaben gegenüber der vorhandenen Wohnungsbausubstanz, die sich mit ihren bekannten negativen Folgen bis in die jüngste Vergangenheit fortsetzte. Das aus sozialer Sicht positive, sehr niedrige Mietpreisniveau, das ohne staatliche Zuschüsse auf die Vermieter voll durchwirkte, minderte deren ökonomische Möglichkeiten und individuelle Interessen an notwendigen Erhaltungsmaßnahmen, eine Wirkung, die auch durch administrative Maßnahmen wie die Verfügung von Zwangskrediten an private Vermieter nicht aufzuhalten war. 2. Eine weitere Entwicklungsphase begann Mitte der 50er Jahre. Die Herausbildung und breite Durchsetzung industrieller Bauweisen auch im Wohnungsbau, die überwiegende Anwendung industriell realisierbarer Typenbauten und die Konzentration auf Neubaukomplexen in Stadtrandlagen kennzeichnen diese Phase. Die Plattenbauweise auf der Basis industriell vorgefertigter Montageelemente bildete sich heraus und entwickelte sich zu der bis heute vorherrschenden 10
Vgl. Min. Bl. 1950, Nr. 25, S. 153.
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Reproduktionstechnologie. Dies war verbunden mit hohem Aufwand bei der Standorterschließung und bei den Folgeanforderungen an die technische und soziale Infrastruktur, mit einer extensiven Belastung der Territorialentwicklung und weiter zurückbleibender Substanzerhaltung. Die vorwiegend errichteten Neubaukomplexe wurden wie Produktionsstätten rechtlich als Investitionsvorhaben behandelt und dementsprechend auch geplant, vorbereitet und realisiert. Seit dieser Zeit förderten es die auf städtebauliche Maßnahmen anzuwendenden allgemeinen Rechtsvorschriften über Investitionen und Grundfondsreproduktion, daß die Vorhaben nicht in erster Linie nach sozialen und baugestalterischen Maßstäben behandelt, sondern als Produktionsaufgaben vorrangig nach ökonomischen Aspekten, Realisierungszeiten, effektiven Technologien und Zahl der errichteten Wohnungseinheiten bewertet wurden. 11 Die städtebauliche Entwicklung vollzog sich mit wenigen Ausnahmen extensiv „auf der grünen Wiese"; vorhandene Bausubstanz verfiel in Größenordnungen. Die Schaffung von Wohnkomplexen, in denen Wohnungen, Versorgungs- und Dienstleistungsunternehmen und Bildungseinrichtungen sinnvoll miteinander verknüpft waren, gelang auf diese Weise zum Bau indifferenter Satelliten- oder Schlafstädte mit unzureichendem Lebensniveau. Dieser Entwicklung konnte die Umgestaltung einer Reihe von Stadtzentren allein nicht entgegenwirken. Neben der erwähnten weitestgehenden rechtlichen Gleichsetzung der städtebaulichen Maßnahmen mit Aufgaben der Reproduktion produktiver Grundfonds 12 ist diese Phase aus juristischer Sicht auch dadurch gekennzeichnet, daß eine Vielzahl zersplitterter, teilweise veralteter, untereinander ungenügend abgestimmter und schwierig handhabbarer baurechtlicher Regelungen allgemeineren Charakters existierten, zu denen auch die bis jetzt geltende, vielfach veränderte Deutsche Bauordnung aus dem Jahr 1958 zählte. 13 Eine komplexe städtebauliche Gesamtregelung existierte weder in Form eines Gesetzes oder Gesetzbuchs noch als ein in sich abgestimmter Komplex von zusammenwirkenden Einzelregelungen. 3. Die dritte Entwicklungsphase begann nach dem Jahr 1970. Sie war gekennzeichnet durch das Wohnungsbauprogramm, dessen Ziele, Ergebnisse und Problemlast an anderer Stelle dieses Buches hinreichend beschrieben sind. In dieser Phase prägte der Städtebau zunehmend spezifische Besonderheiten gegenüber der allgemeinen Grundfondsreproduktion aus, die die Notwendigkeit n Vgl. dazu u.a. VO über die Vorbereitung von Investitionen vom 23.5.85 (GBl. I, Nr. 17/85), VO über die Durchführung von Investitionen vom 27.3.80 (GBl. I, Nr. D/80) und Erste D B zur Investvorbereitungsverordnung - Vorbereitung der Investitionen des komplexen Wohnungsbaus - vom 10.12.85 (GBl. I, Nr. 35/85). In diesen Rechtsvorschriften kulminiert die jahrzehntelange Anwendung allgemeiner Investitionsregelungen auf die städtebaulichen Vorhaben. 12 Vgl. ebenda. 13 Vgl. A O Nr. 2 vom 2.10.58 über verfahrensrechtliche und bautechnische Bestimmungen im Bauwesen - Deutsche Bauordnung (DBO) GBl.-Sdr. Nr. 287.
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speziell städtebaubezogener Rechtsvorschriften begründeten. Einige bedeutsame Rechtsvorschriften wurden erlassen, wie — das Gesetz über die Bereitstellung von Grundstücken für Baumaßnahmen — Baulandgesetz - vom 15.6.84;14 — das Gesetz über die Entschädigung für die Bereitstellung von Grundstücken — Entschädigungsgesetz — vom 15.6.84.15 Damit wurde zugleich das überholte Aufbaugesetz von 195016 aufgehoben. Darüber hinaus wurden u.a. weiter erlassen: — Erste DB zur VO über die Vorbereitung von Investitionen - Vorbereitung der Investitionen des komplexen Wohnungsbaus — vom 10.12.85;17 — AO über die Komplexrichtlinie für die städtebauliche Planung und Gestaltung von Wohngebieten im Zeitraum 1986—1990 vom 7.12.85;18 — AO über die stadttechnischen Anlagen und Versorgungsnetze für den komplexen Wohnungsbau vom 10.12.85;19 — A O über die Generalbebauungsplanung vom 11.2.88;20 — A O über die Generalverkehrsplanung vom 14.3.88.21 Die wachsende gesellschaftliche Bedeutung und zunehmende Komplexität des Städtebaus erforderten und ermöglichten, diesen Bereich gesellschaftlicher Verhältnisse und Beziehungen seiner Spezifik entsprechend in einem Städtebaugesetz zusammenhängend und mit hohem gesetzgeberischen Rang rechtlich zu regeln. Dabei hätten auch die bis dahin im Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen vom 4.7.8522 erfaßten Bestimmungen zur Verantwortung der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Räte für den Städtebau in einem Städtebaugesetz die notwendige weitere Ausgestaltung erfahren müssen. Diesem Regelungserfordernis ist nicht entsprochen worden; obwohl dem seinerzeitigen Minister für Bauwesen mehrfach entsprechende wissenschaftliche Gutachten und Vorschläge vorgelegt wurden, blieb die Rechtsetzung in diesem bedeutenden gesellschaftlichen Bereich vorwiegend niedrigrangigen Rechtsvorschriften — nämlich den vom Bauminister selbst erlassenen und von ihm auch leicht zu verändernden Anordnungen — vorbehalten. Die Reproduktion der Bausubstanz blieb bis in die jüngste Vergangenheit hinein in die am Modell der produktionsbezogenen Investitionen orientierte rechtliche Regelung eingebunden und erfaßte demgemäß die aus seiner sozialen Zielrichtung abgeleiteten spezifischen Besonderheiten des Städtebaus nur höchst ungenügend. Ohne damit i« Vgl. GBl. I, 1984, Nr. 12. 15 Vgl. ebenda. 16 Vgl. Fußnote 7. 17 Vgl. GBl. I, 1985, Nr. 35. 18 Vgl. ebenda. » Vgl. ebenda. 20 Vgl. GBl. I, 1988, Nr. 6. 21 Vgl. GBl. I, 1988, Nr. 8. 22 Vgl. GBl. I, 1985, Nr. 18.
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die zweifellos auch vorhandenen positiven Ergebnisse negieren zu wollen, läßt sich m.E. doch sagen, daß die Widerspiegelung des Städtebaus der ehemaligen D D R im geltenden Recht sehr vordergründig das Bestreben deutlich werden ließ, mit möglichst geringem Aufwand möglichst viele Menschen in vertretbaren Umständen zu behausen. Fehlende Mietanreize, mangelnde Förderung der klein- und mittelständischen privaten Bauwirtschaft, fehlerhafte Investitionspolitik im Bauwesen selbst sowie einseitige Orientierung auf die Plattenbauweise führten zugleich zu enormen Verfall der jahrzehntelang vernachlässigten Altbausubstanz, deren Sanierung rechtlich ungenügend gefördert worden ist. Die später vollzogene Umorientierung auf innerstädtisches Bauen kam um viele Jahre verzögert und war überdies auch wieder vordergründig ökonomisch motiviert. Natürlich wäre eine spezifische Städtebaugesetzgebung kein Allheilmittel zur Verhinderung einer verfehlten Baupolitik gewesen. Da ein Städtebaugesetz gesellschaftliche Maßstäbe und Anforderungen hätte fixieren müssen, vor denen die Mängel der Baupolitik allgemein offenbart worden wären, ist die gesetzgeberische Zurückhaltung erklärlich. Das Zurückbleiben der Städtebaugesetzgebung hinter den Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung war damit nichts anderes als die juristische Widerspiegelung einer verfehlten Bewertung der sozialen Rolle des Städtebaus und einer darauf fußenden verfehlten Städtebaupolitik. Und bei allen positiven Teilergebnissen hat letztlich auch das Wohnungsbauprogramm diese Situation nur über längere Zeit verschleiert.
Erfordernisse einer städtebaubezogenen Gesetzgebung23 Die Überwindung administrativ-dirigistischer Methoden und Instrumentarien staatlicher Leitungstätigkeit, der Ausbau der Selbständigkeit der Städte und Gemeinden, das Entstehen marktwirtschaftlicher Einflüsse und Mechanismen, die noch ungenügend gestärkte ökonomische Potenz der Kommunen, die sich vollziehenden Wandlungen im Selbstverständnis kommunaler Volksvertretungen — diese und viele weitere Faktoren haben zu einem schnellen Regelungsbedarf auf städtebaulichem Gebiet geführt. Leistungshemmende rechtliche Unsicherheiten und das Erfordernis einer den Städtebau fördernden Gesetzgebung verlangen systematische Maßnahmen zu einer zügigen Rechtsentwicklung. Dabei müssen Sofortmaßnahmen mit längerfristig orientierten Schritten sinnvoll verknüpft werden. Zugleich müssen sich die rechtlichen Entscheidungen in den 23
Für die folgenden Aussagen wurden auch Diskussionsergebnisse aus Arbeitsgruppen der „Ständigen Konferenz der Professoren für Städtebau an den deutschsprachigen Hochschulen" und des Deutschen Volksheimstättenwerks e.V und des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen e.V ausgewertet, an deren Beratungen der Verfasser mitgewirkt hat.
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sachlichen und zeitlichen Ablauf des Zusammenwachsens der alten und neuen Bundesländer einordnen. Anzustreben ist dabei 1. die Gesetzgebungsstruktur und wesentliche Grundzüge des bundesdeutschen Baurechts zu übernehmen. Das gilt für das Baugesetzbuch, das Raumordnungsrecht, das Bauordnungsrecht und das zivile Baurecht (Verdingungsordnung für Bauleistungen), 2. temporäres Übergangsrecht für die neuen Bundesländer zu schaffen, das z.B. • das Wirksamwerden bundesdeutscher öffentlicher und privater Erneuerungsträger, Entwicklungsträger und Sanierungsträger in der ehemaligen DDR rechtlich fördert und absichert, • die Kostenentwicklung nicht auf eine sozialverträgliche Mietentwicklung durchschlagen läßt und den Mieterschutz sichert, • die Fondsbildung für Stadterneuerungsmaßnahmen aus öffentlichen und privaten Mitteln organisiert, • neue, geeignete Planungsverfahren mit demokratischer Bürgermitsprache einführt. Das temporäre Übergangsrecht sollte sich weitgehend — soweit ohne größere Anpassung möglich — an das Bundesbaugesetzbuch anlehnen. Das Gesetz muß die rechtliche Regelung des Städtebaus vom produktionsorientierten Investitionsrecht abtrennen und eine juristische Berücksichtigung der städtebaulichen Entwicklungs- und Reproduktionsspezifik sichern. Es soll insbesondere die städtebauliche Planung (mit Planungshoheit und Planungspflicht der Gemeinden) im Rahmen der Ziele der Raumordnung und Landesplanung, die Sicherung der Planung, die Umlegung, die Erschließung und die Sanierung sowie die Zulässigkeit von Bauvorhaben in beplanten und nichtbeplanten Gebieten geregelt werden. Die Planungsregelungen sollen die Koordinierung mit anderen Planungen (Fachplanungen, Naturschutz u.a.) festschreiben und eine integrierte Umweltverträglichkeitsprüfung durchsetzen. Dabei ist zu sichern, daß die Rechtmäßigkeit des Verfahrens und der Abwägungsentscheidungen beim Zustandekommen verbindlicher städtebaulicher Planungen (Bebauungspläne, Satzungen) sowie der auf ihrer Grundlage getroffenen Entscheidungen verwaltungsgerichtlich überprüfbar sind. Darüber hinaus müssen die Finanzierung städtebaulicher Maßnahmen und deren Quellen sowie die Finanzierungssicherung geregelt werden. Besondere Bedeutung gewinnt das Bodenrecht. Bis zu einer einheitlichen bodenrechtlichen Regelung sind Übergangsregelungen zur Gestaltung des Bodeneigentums als einheitliches Volleigentum (nicht nur als differenziertes Verfügungs- und Nutzungseigentum) zu treffen. Dabei sollte grundsätzlich der gesamte bisher „volkseigene" Grund und Boden in kommunales Eigentum (mit Veräußerungsverbot oder -limitierung) übergehen und von den Kommunen in Nutzung oder — nach deren rechtlicher Wiedereinführung — in Erbpacht vergeben werden können. Damit ist eine im wesentlichen unbegrenzte Baulandverfügung durch die Kommunen anzustreben. Das Erbbaurecht soll die Veräußerung kom248
munalen Bodens weitgehend ausschließen helfen. Privaten Bodenspekulationen ist durch Gewinnabschöpfung, Ausnutzung staatlicher Genehmigungsvorbehalte und Vorkaufsrechte die Grundlage zu entziehen. Als Instrumente der Bodenordnung sollten die Umlegung und die Grenzregelung eingeführt werden, soweit nicht in ihren Voraussetzungen konkret zu fassende Enteignungsmöglichkeiten zugunsten des kommunalen Bodenfonds (für städtebauliche Zwecke oder evtl. auch i. S. eines Öko-Land-Banking) neu gestaltet werden sollen. Es ist die Einführung einer Bodenwertsteuer zu prüfen. Es ist eine zentrale, später auch auf Länderebene zu treffende rechtliche Regelung der Raumordnung erforderlich. Sie soll die Aufstellung von raumordnenden Plänen auf Länderebene und ggf. auch auf Regionalebene (überkommunale oder auch Ländergrenzen überschreitende) sichern. In diesen Plänen sind Entwicklungsziele zu bestimmen, die sowohl für gemeindliche als auch für staatliche Fachplanungen verbindlich sind. Für die Vergabe von Bauleistungen, die Bauverträge und die bautechnischen Normen muß die BRD-Verdingungsordnung für Bauleistungen gelten. Es wäre m.E. sinnvoll, auf dem Gebiet des Städtebaurechts die Herstellung der Rechtseinheit nicht durch letztlich vollständige Übernahme (Rezeption) bundesdeutschen Rechts auf das Gebiet der ehemaligen DDR zu vollziehen, sondern gemeinsam eine für das geeinte Deutschland geltende Städtebaugesetzgebung planmäßig vorzubereiten. Dazu sollten Expertenkommissionen der neuen und der alten Bundesländer mit entsprechenden Aufträgen zur Erarbeitung eines Gesetzespakets ausgestattet werden.
Heinz Schwarzbach Bürgerbeteiligung für demokratische Stadtplanung
Die Beteiligung des freien Bürgers war schon in der griechischen Klassik erwünscht. Perikles, der bedeutende griechische Politiker, schrieb 430 v.u.Z.: „Wir vereinen in uns die Sorge um unser Haus und um unsere Stadt. Wenn wir auch verschiedenen Tätigkeiten zugewandt sind, so ist doch in den Dingen der Stadt keiner ohne Urteil. Bei uns heißt einer, der an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter. Wir entscheiden in den Dingen der Stadt selber oder denken sie doch richtig durch. Denn wir sehen nicht im Wort eine Gefahr für das Tun, wohl aber darin, sich nicht durch Reden zuerst zu belehren, ehe man zur nötigen Tat schreitet." Dies macht deutlich, daß nur die Gesellschaft selbst, nur die Bürger den Zustand der überkommenen Stadt überwinden können, indem sie sich mutig dazu entschließen, als die wahren Bauherren ihrer Städte die humanen und sozialen Prioritäten zu bestimmen, nach denen diese entwickelt und gebaut werden. Die Diskussion und das Bemühen um die Erhaltung unserer Städte, alter und neuer Wohngebiete, historischer Stadt- und Dorfkerne ist in den letzten Monaten deutlich zur Angelegenheit der Bürgerinitiativen und Ratsarbeitsgruppen geworden. Beeindruckend sind die Kraft, Findigkeit und Ausdauer z.B. der IG Äußere Neustadt Dresden, aber auch der Bürgerinitiative des Neubauwohngebietes Freiberg-Friedeburg, deren Arbeit wir planerisch seit September 89 begleiten. Wie diese versuchen wir, mit den Räten eine raschere Veränderung der Situation einzuleiten. Was ist u.E. notwendig? Um zu Erfolg zu kommen, sollten zunächst die Räte der Städte und Stadtbezirke Bewohnerorganisationen im Sinne kommunaler Selbstverwaltungen fördern und ihnen basisdemokratische Rechte und Pflichten einräumen, wie früher schon in anderen Städten Europas, z.B. in Bologna, Glasgow, Rotterdam, Westund Ostberlin und nicht zuletzt in Dresden. Aufgabe dieser Bewohnerorganisation wäre die kommunale Selbstverwaltung, die Übernahme von sozialkulturellen Aktivitäten ihres Stadtteils, ihres Quartieres, ihres Stadterneuerungsgebietes durch Arbeitskreise, die bisher z.T. in Wohnbezirksausschüssen der nationalen Front oder „bürgerfern" von den Stadtbezirksräten bzw. durch den Rat der Stadt erfolgten. Wichtigste Aufgaben des Arbeitskreises „Bauen und Wohnen" z.B. sind: a) Die Verbesserung der Altbauquartiere für die Bewohner dieser Quartiere Das hieße Erneuerung der alten und verwahrlosten Wohnungen, Läden und 250
Gewerbestätten durch Modernisierung und/oder Neubau, Ausbau von Sozialeinrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten, kleiner Gesundheitszentren, Freizeiteinrichtungen und kleiner Läden, aber auch die Umsetzung von umweltschädlichen Betrieben und Industrien und nicht zuletzt die Erweiterung und Neuanlage von Grün- und Spielflächen sowie die Verbesserung des Verkehrs durch Geschwindigkeitsdämpfungen, Verkehrsberuhigungen, Anlage von Fahrradwegen und den Ausbau des ÖPNV - gemeinsam mit den städtischen Planungseinrichtungen und Planträgern. Ziele sind also nicht mehr die radikale planerische und soziale Umstrukturierung der Altbauquartiere wie in den 70er Jahren, wovon viele „Kahlschlagsanierungskollegen" ausgingen, sondern behutsame schrittweise Verbesserungsmaßnahmen für die Wohn- und Lebensbedingungen der Quartierbewohner, die heute größtenteils zu den niedrigen Einkommensschichten gehören, b) Die demokratische, dezentrale und quartierorientierte Planung und Durchführung des Stadterneuerungsprozesses verantwortlich mitzugestalten Das hieße, alle Stadterneuerungs- und Bebauungspläne, Hausprojekte des Umund Ausbaus werden in der Projektgruppe des Stadterneuerungsgebietes von den Stadtteilplanern und Angestellten mit den Bewohnervertretern zusammen ausgearbeitet. Durch die mehrheitliche Vertretung in der Projektgruppe haben die Bewohner Mitentscheidungsrecht bei der Ausarbeitung der Pläne und Projekte für ihren Stadtteil. Mit diesem Projektgruppenmodell sind Planungsbefugnisse, die bisher im Stadtbauamt oder bei der Stadtplankommission lagen, auf Stadtteilebene delegiert. Die Stadtteilplaner der verschiedenen Planungsämter oder Fachdisziplinen werden durch diese Arbeitsweise ständig mit den Problemen des Quartiers konfrontiert und können so mit den Bewohnern besser problemorientierte Lösungsvorschläge ausarbeiten. Bei Konflikten entscheidet die von uns vorgeschlagene Ratskommission oder Ratsarbeitsgruppe „Stadterneuerung" des Rates der Stadt. Die Planungshoheit bleibt damit bei den gewählten Kommunalpolitikern, von denen wir annehmen, daß sie sich bald intensiver um Stadterneuerung bemühen und sich nicht nur mit Vorschlägen der Bauverwaltung, sondern auch mit Ideen und Forderungen der Bewohner und Nutzer auseinandersetzen. Damit habe ich schon die zweite wichtige Maßnahme, um zum Erfolg zu kommen, beschrieben, nämlich die Bildung von Projektgruppen in den vom Rat beschlossenen Stadterneuerungsgebieten, z.B. in Dresden in der Äußeren Neustadt, im Hechtviertel, in Pieschen, in Löbtau, in Cotta, in Strehlen, in Blasewitz u.a. gefährdeten Stadtvierteln oder alten Dorfkernen. Die Projektgruppen haben zwei Aufgaben, nämlich einmal die Vorbereitung und Planung der Stadterneuerungsprozesse und die Festlegung der Stadterneuerungsmaßnahmen (Stadtteilentwicklungsplan, Bebauungsplan, Maßnahmeplan, Hausprojekte und Infrastrukturprojekte sollten ausgeschrieben werden), zum zweiten die Koordinierung der Durchführung einzelner Stadterneuerungsmaßnahmen. In der Projektgruppe haben zwei Parteien Sitz und Stimme: 251
die delegierten Stadtteilplaner der verschiedenen Fachabteilungen des Rates und die Bewohnervertreter mit ihren externen Sachverständigen. Jede Projektgruppe verfügt über ein Stadtteilbüro, das Projektbüro mit einem Projektkoordinator, einen oder mehrere stellvertretende Projektkoordinatoren und administrative Mitarbeiter sowie einen Sozialbetreuer. Sie alle sind bezahlte Angestellte des Rates und könne z.T. aus den HAG-Planstellen gebildet werden. Die Aufgabe des Projektkoordinators ist die Koordination des Stadterneuerungsprozesses auf allen Planungsebenen. Er ist gleichzeitig Vorsitzender der Projektgruppe und hauptverantwortlich für den Prozeß der Stadterneuerung im Stadtteil. Die Projektkoordinatoren haben im Gegensatz zu den Stadtteilplanern und Bewohnervertretern kein Stimmrecht und sind keiner spezifischen Dienststelle zugeordnet, sondern gehören dem Projektkoordinatoren-Kollektiv aller Stadterneuerungsgebiete der Stadt an. Das gibt ihm die Möglichkeit, relativ unabhängig von Fachabteilungen, gemeinsam mit den spezialisierten Fachdisziplinen komplexe Lösungsvorschläge für die Probleme des Stadtteils zu erarbeiten. Die interdisziplinäre Kooperation und die Überwindung der „Fachborniertheit" ist eine der Voraussetzungen, um Stadterneuerungsprozesse zu initiieren und durchführen zu können. Alle für den Stadterneuerungsprozeß relevanten Fachabteilungen des Rates sind durch ihre Stadtteilplaner oder -angestellten in der Projektgruppe vertreten, so das Büro des Stadtarchitekten (Stadtplanungsamt), die Abteilung Wohnungspolitik, die Hauptplanträger Wohnungsbau und Baureparaturen, die Abteilung Liegenschaften, die Abteilung Verkehr, die Medienträger (Stadtwerke) die Abteilung Wirtschaft und Gewerbe, die Abteilung Handel und Versorgung, die Abteilung Gesundheitswesen, der Beauftragte für Denkmalpflege u.a. Sie vertreten den Planungsbeitrag ihrer Ratsabteilung bzw. ihres Fachgebietes in der Projektgruppe durch Mandat. Sie haben ihre speziellen Kenntnisse über Probleme und Vorschläge im Quartier bei ihrer Fachabteilung einzubringen und umgekehrt. Das bedeutet zu der Linienstruktur der Fachabteilungen den Aufbau einer effektiven Projektgruppenstruktur in der Stadt. Die Bewohnervertreter, die zusammen über eine Stimme mehr in der Projektgruppe verfügen als alle „Fachleute" zusammen, werden auf Vorschlag der „Bewohnerorganisation" im Stadtteil gewählt und durch den Rat benannt. Sie erhalten ein „Sitzungsgeld" für die Teilnahme an den Projektgruppensitzungen und der Vorbereitung, Planung und Organisation des Mitentscheidungsprozesses. Die Bewohnervertreter in den Projektgruppen sind an die Beschlüsse der „Quartierversammlung" gebunden. Jede Bewohnerorganisation verfügt über eigene Mittel und ein eigenes Büro, das im Rahmen der Gemeinwesenarbeit aus kommunalen Mitteln finanziert wird. Sie gibt zur Information eine Stadtteil(wand)zeitung heraus und organisiert verschiedene Aktivitäten (Straßenfeste, Altenhilfe, Baumpflanzaktionen u.a.). Für fachkundige Unterstützung sorgen von der Kommune bezahlte externe Sachverständige (Planer, Architekten, Ingenieure, oft auch Studenten). Wohnungsbaugenossenschaften, Gebäudewirtschaft, Interessengruppen wie Gewerbetreibende, Ladenbesitzer u.a. sind nicht 252
mit Stimme in der Projektgruppe vertreten, wohl aber an Arbeitskreisen beteiligt. Damit wird die dritte wichtige Aufgabe für den Rat deutlich, nämlich die Bildung einer Ratskommission Stadterneuerung. Die Projektgruppen unterstehen als quartiergebundene Entscheidungsorgane direkt dem Stadtparlament und haben der o. g. Ratskommission für Stadterneuerung regelmäßig Bericht zu erstatten. Die Ratskommission besteht aus Vertretern aller politischen Parteien des Stadtparlaments, der Vorsitz liegt beim „Bürgermeister für Stadterneuerung", also bei einem eigens zu wählenden Stadtrat. Die Ratskommission berät das Stadtparlament bei der Beschlußfassung über alle die Stadterneuerung betreffenden Vorlagen. Gleichzeitig fungiert sie als „Steuerungsgruppe" in allen Stadterneuerungsgebieten und ist auch „Schiedsrichter" bei Konflikten in den Projektgruppen, sowohl zwischen den Fachabteilungen als auch zwischen den Bewohnervertretern und den Fachabteilungen über Planungsentscheidungen. Durch die direkte Zuordnung der Projektgruppen zur Ratskommission ist die direkte Kommunikation zwischen den gewählten Politikern und den Bewohnern der einzelnen Stadtteile verbessert und der schwierige und komplizierte Entscheidungsprozeß kann verkürzt werden. Das Rathaus kann damit wieder ein „zugänglicher" Ort werden, wo gewählte Politiker auch zwischen den Wahlkampagnen ständig mit den Problemen der Bewohner konfrontiert werden und für ihre Wahlversprechungen zur Rechenschaft gezogen werden können. Diese Stadterneuerungsstrategie basiert also auf politischem Konsens und der Zusammenarbeit und ist z.B. in Rotterdam bereits erprobt. Wir möchten, daß die Bewohner und Stadtteilangestellten nicht gegen, sondern wieder für etwas kämpfen können. Niemand muß mehr „stellvertretend" für Nutzer und Bewohner die „Bauherrenfunktion" übernehmen. Bewohner und Nutzer treten als mündige, politische Bürger auf. Mit diesen Bewohnervertretungen können die Kommunalpolitiker eine Koalition eingehen und die direkte Demokratie auf Stadtteilebene nicht länger als „Bedrohung", vielmehr als wichtige Ergänzung der parlamentarischen Demokratie begreifen. In der Anlage werden ein Statut der Bürgervertretung „Weißer Hirsch" und ein Richtlinienentwurf für die Tätigkeit von Bauaktiven wiedergegeben. Der Erfolg kann sich nur einstellen, wenn wir bereit sind, auch über neue Wohnmodelle und Eigentumsformen nachzudenken. Das Genossenschaftsmodell, das Gesellschaftermodell oder eben nur der Nutzungsvertrag oder der Zeitmietvertrag, sind Modelle, über die wir nachdenken wollen. Die schottische Regierung hat z.B. schon 1976 unter ähnlichen Bedingungen wie bei uns (geringe Mieten, schlechter Bauzustand und Ausstattung der Häuser, soziale Ausgrenzung von Bewohnern mit geringem Einkommen u.a.) ein Wohnungsgesetz verabschiedet, das den Kauf der Wohnungen ermöglichte, wenn die Besitzer nicht in der Lage waren, diese zu modernisieren. Die Mieter schlössen sich im Haus oder im Quartier zur Mietervereinigung zusammen und legten damit fest, was am Haus und jeder für sich, was in der 253
Wohnung mit dem günstigen 8 %igen Kredit von 60.000 DM am Haus und 4.000 DM für das Wohnumfeld passieren sollte. Die Mietervereinigungen, meist von der Labour-Party gestützt, sind heute gewichtige, basisdemokratische Institutionen. Kahlschlagsanierungen wurden gestoppt, Stadtgeschichte und soziales Umfeld erhalten. Bisherige Untersuchungen bei uns zeigen, daß die Bildung von Kleingenossenschaften oder Gesellschaften m.b.H. schnelle juristische und staatsrechtliche Hilfe benötigen, wenn sie den Wettlauf mit einer möglichen Vermarktung, Modernisierungsspekulation oder gar Abschreibungsspekulation gewinnen wollen. Der Erfolg all dieser Maßnahmen ist aber vollkommen abhängig von einer mehr als 100 %igen Steigerung des Bauaufkommens. Mit Hilfe der Bewohnerorganisationen, der Räte, der Handwerkskammer sind Sofortmaßnahmen zur umfangreichen Gewerbeerweiterung und Neugründung auf dem Gebiet der Baureparaturen notwendig. Ergänzt werden kann diese Strategie durch handwerklich geführte Selbsthilfewerkstätten und Qualifizierungs- oder Umschulungskurse. Grundfondsaufwendige Technologien der Fließlinien, wie Dach/Schornstein, Trockenlegung, Fassade, Primär- und Sekundärerschließung, Abriß und recycling-orientierte Trümmeraufbereitung sollten von Betriebsteilen des früheren Modernisierungskombinats, WBK, TBK erfolgen. Die Westberliner und die Rotterdamer Bauleute waren es, die Ende der 70er Jahre gerade diese traditionelle Fließfertigung am Prenzlauer Berg in Berlin studierten und, um Kosten niedrig zu halten, Fließtechnologien, Funktionsbereichsmodernisierungen, aber auch Teilabrisse, Lückenschließungen und Selbstbauteilleistungen der Mieter zuließen. Inzwischen gibt es in fast allen großen Städten der BRD gemeinnützige Wohnungsbau- oder Sanierungsgesellschaften, wie S.T.E.R.N. oder GSW-Westberlin, die ihr Know how anbieten. Wir sollten aber begreifen, daß Hilfe von außen nur wirksam werden kann, wenn sie gleichzeitig Hilfe zur Selbsthilfe ist. Ich möchte mit diesem Beitrag den Oberbürgermeister, aber auch die Bewohnerorganisationen bitten, 10- bis 15jährige internationale Erfahrungen endlich zu nutzen. Das m.E. sozialste Rotterdamer und das angebotene Hamburger Modell sollten offensiver als Demonstrationsvorhaben für zukünftige Dresdner oder Sächsische Stadterneuerungspolitik getestet werden, um so einen neuen Anfang zu wagen. Die TU Dresden ist, wie schon 1982/83 in der Äußeren Neustadt, 1984 in Pieschen, 1989 in Löbtau, 1990 in Cotta bereit, den Bewohnerorganisationen und den Projektgruppen zu helfen. Bemühungen, die bürgernahen Planungen in die Ausbildung aufzunehmen, sind trotz anfänglicher geringer Effizienz positiv. Sie machten anfangs den starken Einfluß auf das Informationsniveau der Bürger, als auch der Kommunalpolitiker notwendig, bedingen heute die Legitimation des Bürger- und Verwaltungshandelns sowie deren politischer Entscheidung. Es wurde deutlich, daß Planungsqualität und Nutzerinteressen eine Einheit bilden und nicht immer zu Planverzögerungen und höherem Kostenaufwand führen müssen.
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Anlage 1: Statut der „Bürgerinitiative Weißer Hirsch" Dresden Statut Name: Bürgerinitiative "Bürgervertretung Weißer Hirsch" Sitz: Dresden - Bad Weißer Hirsch PSF32, Dresden, 8051 Die Bürgervertretung ist Interessenvertretung der Einwohner des Weißen Hirsch gegenüber größeren politischen Einheiten, kommunalen Einrichtungen und Betrieben. Sie ist ausschließlich Vertretung der Bürgerinnen und Bürger des Weißen Hirsch, nicht Vertretung politischer Gruppen und politischer Parteien. Aufgabe der Bürgervertretung ist - der Schutz und die Unterstützung der Bevölkerung des Weißen Hirsch bei der Bewältigung sozialer Probleme, - die Bewahrung der ortsspezifischen Besonderheiten des Weißen Hirsch sowie die Erhaltung und Bewahrung bzw. Verbesserung der Bausubstanz des WeißenHirsch, - die Einflußnahme auf die Entwicklung einer funktionsfähigen Infrastruktur des Ortsteiles, - die Förderung kultureller Angebote für alle Bevölkerungsschichten. Die Arbeitsweise der Bürger Vertretung besteht in der Sammlung und Benennung von Problemen obengenannter Aufgabenbereiche, in der Suche nach und in der Erörterung von Lösungsmöglichkeiten, im Einbringen von Vorschlägen und Anregungen, und in der Kontrolle der für Lösungen zuständigen Personen und Institutionen. Die Bürgervertretung hat sich am 20.12.89 beim Rat der Stadt registrieren lassen .Sie arbeitet gemäß der Vereinigungsverordnung vom 06.11.75 und gemäß der derzeitigen basisdemokratischen Arbeitsmöglichkeiten. Die Bürgervertretung stellt keinen Zweig der staatlichen Exekutive dar, ist politisch unabhängig und zielt nicht auf materiellen Gewinnerwerb. Ihre Mittel aus Spenden und Zuschüssen dienen der Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit und gemeinnützigen Zwecken. Die Bürgervertretung besteht aus den von den Einwohnern gewählten Bürgerinnen und Bürgern. Sie wählt aus ihrer Mitte mit einfacher Mehrheit den Vorsitzenden, den Stellvertreter des Vorsitzenden und den Kassenwart. Diese drei Personen bilden zusammen mit den Leitern der Arbeitsgruppen den Vorstand. Die Vorstandssitzungen sind nicht öffentlich. Sie werden protokolliert. Die Ergebnisse werden den Arbeitsgruppen zugestellt. Die Bürgervertretung beruft nach Bedarf Einwohnerversammlungen ein, jedoch pro Jahr mindestens einmal. Versammlungen der Bürgerinnen und Bürger des Weißen Hirsch müssen vom Vorstand der Bürgervertretung einberufen werden, wenn fünfzig Bewohner des WeißenHirsch es durch ihre Unterschrift fordern.
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Die Bürgervertretung wird nach 12 Monaten durch eine Einwohnerversammlung des Weißen Hirsch mit einfacher Mehrheit neu gewählt oder bestätigt. Zum Wohngebiet Weißer Hirsch gehören: Alexanderstr. , Am Heiderand, Am Hochwald, Am Weißen Adler, An der Berglehne, Bautzner Landstr. l-69u, 2-82g, Bergbahnstr., Chopinstr. , Collenbuschstr. , Degelestr.,Eichhörnchenweg, Eichigtweg, Hainweg, Hans-Schubert-Str. , Heideflügel, HeinrichCotta-Str. , Hermann-Prell-Str. , Hietzigstr., Hirschlei", Johannesweg, Küntzelmannstr. , Kurparkstr. , Lahmannring, Lausitzerstr. , Lehnertstr., Luboldstr. , Materniweg, Mönchsholz, Neugersdorferstr. l-15u, OskarPletsch-Str. , Plattleite ab 5u, ab 18g, Rißweg, Sonnenleite, Steglichstr. , Straußstr. , Säugrundweg, Silberweg, Stangestr.,Stechgrundstr. , Wolfshügelstr. , Zeppelinstr. , Zwanzigerstr. Die Einladungen zu Einwohnerversammlungen erfolgen durch öffentlichen Aushang. In den Versammlungen berichtet die Bürgervertretung von ihrer Tätigkeit. Die Mitglieder der Bürgervertretung teilen sich entsprechend ihrer Interessen in Arbeitsgruppen auf. Diese Arbeitsgruppen sind offen für mitarbeitswillige Bürgerinnen und Bürger. Die Arbeitsgruppen wählen ihren Leiter selbst. Falls der gewählte Leiter nicht offizielles Mitglied der Bürgervertretung ist, ist ein Antrag auf Zugehörigkeit zur Bürgervertretung an den Vorstand zu richten. Die Leiter der Arbeitsgruppen zeichnen selbstverantwortlich als „Arbeitsgruppe der Bürger Vertretung Weißer Hirsch" . Ein Duplikat des Schriftverkehrs erhält der Vorstand. Der Bürgervertretung steht ein Rechtsbeistand zur Verfügung, der nicht Mitglied der Bürgervertretung ist. Dieser wird auf Anforderung des Vorstandes tätig. Für die Erledigung der schriftlichen Arbeiten der Bürger Vertretung wird ein Schriftführer benannt, der nicht Mitglied der Bürger Vertretung sein muß. Er ist Teilnehmer der Vorstandssitzungen ohne Stimmrecht. Die Gegenzeichnungen von Auszahlungen, die Bestätigung der ordnungsgemäßen Buchführung erfolgen durch den Vorsitzenden oder den Stellvertreter. Alle Rechnungen, Quittungen oder Anforderungen sind an den Kassenwart zu richten. Beschlossen am 17. Ol.1990
Nachsatz: Die derzeitige Bürgervertretung versteht sich entsprechend ihrer Aussage auf der Einwohnerversammlung vom 20.12.89 als nur für 6 Monate gewählt. Im Mai 1990 wird sie sich zur Neuwahl bzw. zur Bestätigung stellen.
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Anlage 2: Entwurf der Richtlinien über die Tätigkeit der Bauaktive in den Wahlkreisen (Stadtgebieten) der Stadt Dresden.
Buergervertretung
WEISSER
HIRSCH
Am 2. Januar 1990 hat die Buergervertretung auf ihrer konstituierenden kunft das Statut beraten sowie Arbeitsgruppen und Vorstand gebildet.
Zusammen-
Zur Arbeitsgruppe Infrastruktur gehoeren: als Leiter: Christian Korndoerfer sowie Guenter Jaesch Juliane Krummsdorf Bernd Richter Joerg Voigt Zur Arbeitsgruppe Bauwesen gehoeren: als Leiter: Ilona Braun sowie Andreas Crasselt Peter Herrmann Lothar Koenitz Joachim Stuebner Zur Arbeitsgruppe Soziales gehoeren: als Leiter: Petra Schulze sowie Jutta Bartels Christina Gust Peter Guenther Christoph Blankenburg Zur Arbeitsgruppe
Kultur gehoeren: als amt. Leiter: Sunno Marx sowie Peter Frach Doerte Schneider
Vorsitzender der Buergervertretung: Christoph Flaemig Stellvertreter des Ersitzenden: Peter Rauch Kassenwart: Herbert Neumann Vorsitzender, Stellvertreter und Kassenwart bilden zusammen mit den Leitern der Arbeitsgruppen den Erstand der Buergervertretung. Buerger, die Interesse an Mitarbeit haben, wenden sich bitte an die Arbeitsgruppen oder den Erstand. Postanschrift
der Buergervertretung: PSF 32 Dresden, 8051
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Anlage 3: Berichte
Dresden, den24. Januar 1990
AG Bauen und Wohnen Gruppe der 20 Bearbeiter: Dr.-Ing. Völcker
E N T W U R F Richtlinie über die Tätigkeit der Bauaktive in den Wahlkreisen (Stadtgebieten) der Stadt Dresden
Die Lösung der Aufgaben der Stadterhaltung und Stadtgestaltung, unter der Zielstellung der Festigung der kulturellen Identität und der Heimatverbundenheit der Bürger, stellt an alle Bereiche der Gesellschaft hohe Anforderungen . Von großer politischer und volkswirtschaftlicher Bedeutung ist hierbei die umfassende Mitwirkung der Bürger. Die Arbeit von Bürgern in den Bauaktiven ist eine Form der Vervollkommnung der Demokratie bei der Lösung der Bauaufgaben in den Stadtgebieten. Die Tätigkeit in den Bauaktiven ist ein ehrenamtlicher gesellschaftlicher Auftrag der Bürgerschaft.
1.
Stellung der Bauaktive
1.1. Die Bauaktive sind ehrenamtliche Komitees der Bürgerschaft zur umfassenden gesellschaftlichen Interessenvertretung. 1.2. Sie sind thematisches Bürgeraktiv zur Fachproblematik Bauwesen. 1.3. Bauaktive arbeiten auf Wahlkreis-bzw. Stadtgebietsebene; gegenüber anderen Bauaktiven bestehen territoriale Abgrenzungen. 1.4. Bauaktive arbeiten mit territorial umfassender wirkenden thematischen Bürgerinitiativen zur Bauproblematik zusammen. Sie bringen aber diese Probleme auch in allgemeine, zur Infrastruktur des Territoriums gebildete Bürgerinitiativen ein. 1.5. Unterordnung der Bauaktive besteht gegenüber der Stadtverordnetenversammlung und direkter noch gegenüber der Ständigen Kommission Bauwesen. 1.6. Genauso verpflichtet wie der Stadtverordnetenversammlung sind die Bauaktive den Bürgern ihres Territoriums. 1.7. Bauaktive vertreten auch die Interessen der im Territorium tätigen Bauhandwerker.
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1.8. Zu den territorial zuständigen Gliederungen der kommunalen Organe und den entsprechenden kommunalen Betrieben besteht Partnerschaft (soweit diese aufgrund der Arbeitsweise und Kompetenz der Bauaktive so bezeichnet werden kann). 1.9. Von territorialen oder thematischen Gruppen der Parteien sind Bauaktive unabhängig. Soweit ihr Handeln mit den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung übereinstimmt, ist eine engere Beziehung von Mitgliedern der Aktive zu ihren jeweiligen Parteien normal.
2. Aufgaben der Bauaktive Die Tätigkeit der Bauaktive konzentriert sich in ihrem Territorium auf: 2.1. Kontrolle der Umsetzung von Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung seitens Rat und kommunaler Betriebe 2.2. Kontrolle der auf das Territorium bezogenen Planung-, Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen des Bauamtes auf allen Sektoren des Bauwesens 2.3. Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung des Gebäudewirtschaftsbetriebes bei Baudurchführung und -abrechnung 2.4. Fachliche Beratung von Bürgerinitiativen, -komitees, Abgeordneten, Parteien, Organisationen, Mietervereinigungen, Hausgemeinschaften, Bürgern 2.5. Stellungnahmen zur Planung, Durchführung und Abrechnung von Baumaßnahmen bei Widersprüchen zwischen Hausgemeinschaften und Gebäudewirtschaft oder dieser und Bauhandwerks- und -gewerbebetrieben des Territoriums. 2.6. Mitwirkung und Kontrolle bei der Vorbereitung und Errichtung von Bauwerken der Bevölkerung. 2.7. Durchführung von Bauberatungen für Bürger des Territoriums. 2.8. Mitwirkung bei Gewinnung und Einsatz von Bürgern für Eigenleistungen an kommunalen oder in Mietereigentum übergegangenen Mehrfamilienhäusern. 2.9. Mitwirkung und Kontrolle bei der Lösung von Eingabenschwerpunkten.
5. Arbeitsweise der Bauaktive 3.1. Die Bauaktive sind Kollektivorgane, die nach demokratischen Prinzipien arbeiten. Die Mitglieder wählen aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, der Vorsitzende sollte ein Baufachmann sein. Bauaktive sollten mindestens ... Mitglieder haben. 3.2. Sie stellen sich in den Dienst der Bürger ihres Territoriums, wobei sie die Unterschiede des Grades der Organisiertheit des Bürgerwillens beachten. So arbeiten die Bauaktive in einer Weise, bei der sie
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3.3.
3.4.
3.5.
3.6.
— sich den Beschlüssen der gewählten Bürgervertreter unterordnen, — mit Bürgerinitiativen gleichberechtigt (allerdings unter Beachtung der territorialen Ausstrahlung) zusammenarbeiten, — den einzelnen Bürgern als Kollektivmeinung gegenübertreten. Fachlicher Partner ist das Bauamt mit seinen territorial zuständigen Gliederungen. Entsprechend den Hauptaufgaben sind weitere Partner, die territorial zuständigen Gebäudewirtschaftsbetriebe, AWG, Betriebe des Territoriums und Bauantragsteller aller Eigentumsformen. Andererseits arbeitet das Bauaktiv mit Mietervereinigungen, Belegschaftsvertretern vorgenannter Betriebe, Bürgerinitiativen und den Bürgern zusammen. Die zuständigen Organe des Stadtbauamtes sichern die regelmäßige Information der Vorsitzenden der Bauaktive, ggf. auch Anleitung sowie die Gewährleistung der erforderlichen Arbeitsbedingungen. Dabei wirken Gebäudewirtschaftsbetrieb, AWG, KWV und Betriebe mit. Zur Mitarbeit im Bauaktiv sollten Abgeordnete, Mitglieder der Kammer der Technik, des Bundes der Architekten der DDR, ehrenamtliche Helfer der Bauaufsicht, Bauhandwerker und weitere Bürger mit Baufachkenntnissen oder Baufragen berührenden Fachkenntnissen, z.B. Recht, Finanzen gewonnen werden.
4. Rechte und Pflichten der Mitglieder der Bauaktive
4.1. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben sind die Mitglieder der Bauaktive berechtigt, . in die einschlägigen Unterlagen 11 ungehindert Einsicht zu nehmen, . Grundstücke und Wohngebäude zu besichtigen und Auskünfte einzuholen . Die kommunalen Organe und Betriebe sind verpflichtet, die Bauaktive diesbezüglich zu unterstützen. 4.2. Die Mitglieder der Bauaktive erhalten für die Dauer ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit vom Rat einen Ausweis, der sie mit Befugnissen ausstattet, die sich aus dem Aufgabengebiet der ehrenamtlichen Bauaktive ableiten. 4.3. Die Mitglieder der Bauaktive sind nach der "Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeit vom 11.04.1973 (GBl. Teil 1/22 vom 15.5.1973) versichert, wenn solche in Ausübung ihrer Tätigkeit für das Bauaktiv eintreten. 4.4. Die Mitglieder der Bauaktive sind nicht berechtigt, verwaltungsrechtliche Akte zu vollziehen.
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5. Gesetzliche Grundlagen für die Arbeit der Bauaktive (Änderungen vorbehalten!) 5.1. Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR vom 12.7.1973 (GBl. Teil 1/32, Seite 313) 5.2. Verordnung über die Verantwortung der Räte der Gemeinden, Stadtbezirke, Städte und Kreise bei der Errichtung und Veränderung an Bauwerken der Bevölkerung vom 22.3.1972 (GBl. Teil 11/26, Seite 293) 5.3. Verordnung über die Staatliche Bauaufsicht vom 30.7.1981 (GBl. Teil 1/26, vom 2.9.1981) 5.4. Beschlüsse der Stadtverordneten- und Stadtbezirksversammlung sowie des Rates der Stadt und der Räte der Stadtbezirke.
6. Schlußbestimmungen Diese Richtlinie tritt mit Wirkung vom
in Kraft.
Gleichzeitig wird die Richtlinie über die Tätigkeit der ehrenamtlichen Bauaktive der Räte der Stadtbezirke in den Wahlkreisen der Stadt Dresden vom November 1983 - Rat der Stadt Dresden, Oberbürgermeister - außer Kraft gesetzt.
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Objektlisten, der Instandhaltung, Bürgeranträge, Planungs-, Vorbereitungs- und Abrechnungsunterlagen, Baureparaturpläne, Bescheide der Bauämter u.a.m.
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Müssen alte Häuser sterben? Trotz Sanierungszwang auch Wohnungsneubau dringend! Seit Jataren u n d die Auswirkungen einer einseitig; auf den indusmaüneTtes Wohnungsneubau g e i i i U t e t m Baustxategrc den Fachleuten bekannt und haben u t za vielseitigen Waranngen und Vorschüben veranlaßt, um eine internaOonai üblicbe und volkswirtschaftlich anerläflllche Ausgewogenheit aller notwendiges Bauleistungen iu erreichen. Ks hat i n den Baubetrieben nicht an AnItrengungtn rrnn sinnvollen Aofbau einer effektiven Bauindustrie gefehlt, jeHk. zentralistische Leitung und übertrieb e n e Standardisierung - wie auch in a n d e r e n Zweigen unserer W i r t s c h a f t t u Leistungsrüctachritt g e f ü h r t . Jetzt stehen wir mit Bestürzung vor verfallenden Wohnhäusern und verschlissenen Verkehrswegen. Der rechnerische Komfort des Neubaus hat u n s das Alte gering achten lassen. N u r der Fachm a n n weiß, daß der ä c h t b a r e Zustand d e r alten inners tádnschen Wohnhäuser lediglich ein Teil des Trümmerfeldes Bausubstanz ist. und alle städtiscnen Systeme zur Wasser-. Gas- und AbwasserVersorgung sowie alle eingelagerten Industriebetriebe sich ¡n gleichem Zustand befinden. Gegenwärtig wird die Inkompetenz bisheriger ünningsorgzne so gefürchtet. d a ß Bürgerinitiativen das Bauen ganz verhindern. • Bauen ist Umgang mit Millionen und Milliarden an Volksvermögen. Das berechtigt Bürger zu Besorgnis und Mitverantwortung. Das bedeutet aber auch in einer gesunden Volkswirtschaft einen Beschäftigtenameil von 13 bis 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. In der DDK ist durch permanente Mißachtung grundlegender Bedürfnisse nicht einmal die Hälfte dieses Anteils im Bauwesen tä-
aucn eine d e r Schwere der Arbeit völlig unangemessene Entlohnung sowie der katastroohaie technische Aiisrúsnmcszu-
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aktiv geblieben ist. tut d u aus Berufs- e n t s p r e c h e n d e n technischen Voraussetehre und Berutsstolz - wie im H a n d e l zungen - b e g i n n e n d mit der Baustoffinu n d i m Gesundheitswesen. dustrie - mindestens noch 500 000 BeSowenig uns der gleichförmige, dUo- schäftigte a u f n e h m e n , um internationanomisch wie knitureQ minimierte Plat- les M a ß zu erreichen. Wenn d e r e n o r m e tenbau gefallt: Wenn wir ihm nicht eine N a c h h o i e b e d a r f gesehen wird, dann reicht diese G r ö ß e n o r d n u n g noch nicht einmal. Rekonstruktion*- und mittlere Repararurarbeiten als wesentlicher S c h w a c h p u n k r w e r d e n einen Leistungstene Baupoteaz und zerschlagen vieUeicbt sogar unser bodenständiges z u w a c h s d u r c h kleinere, selbständig arb e i t e n d e Kollektive bei großzügiger obbeispielsweise kaum das Betätigungsfeld jektbezogener Entlohnung erfahren. Die m i t viel Kraft a u f g e b a u t e n und leider unüberlegt d u r c h d i e Stadt demontierten Wenn es s o scheint, als o b u n s e r Woh- Dachlinien d e s Kombinates Bau und Monungsneubau überproportionien und dernisierung h ä t t e n als Modell d a f ü r diedeshalb abzubauen wäre, so ist das ein n e n k ö n n e n . Sie erhielten unter Leitung Trugschluß. Wir haben es mit äußerster Kraftanstrengung vermocht, höchstens eines engagierten Baufachmannes alle 100 000 W o h n u n g e n p r o Jahr fertigzu- Kennzeichen m o d e r n e r , industrialisierstellen. w ä h r e n d z. B. d i e BRD in Jahren ter. technologisch ausgefeilter, sozial anhohen Bedarfs bei Absicherung aller an- gemessener Produktion und arbeiteten deren umfangreichen Bauaufgaben u n m i t t e l b a r mit d e r Baustoffindustrie zu750 000 und Frankreich 500 000 Woh- s a m m e n nungen errichteten. Wir b r a u c h e n also auch weiterhin dringend d e n WohnungsD u r c h kluge Industrialisierung des Arn e u b a u - allerdings in erheblich verbes- beitsprozesses u n d durch Wiederherstelserter Qualität. Es gibt genügend Bei- lung d e r W ü r d e eines Baufacharbeiters spiele d a f ü r , d a ß bei maßvoller H ä u f u n g haben diese Dachlinien rasch ihre Leiauch d e r hochindustrialisierte Planen- stungen verdreifacht. N u n ist ein solcher bau vielfältige Wünsche erfüllen karm. Leistungsanstieg sicher n u r dort möglich, Deshalb ist es falsch u n d praktisch auch w o bisher keinerlei Fortschritt einzog. Er k a u m d u r c h f ü h r b a r , die Tornandene W o h n u n g s b a u k a p a z i t ä t auf die Sanie- gibt u n s jedoch große Hoffnungen darr u n g der Altbauten zu richten. Vielmehr a u f , da& w i r auch selbst erhebliche Regilt es. zielstrebig, beharrlich u n d o h n e serven mobilisieren können, wenn wir bisher übliches s c h w ä c h e n d e s Stopfen Fachleuten o h n e ständige Bevormunvon Löchern d a s Leistungsvermögen des d u n g eine selbständige, schöpferische ArBauens auf d a s international übliche Ni- beit e r m ö g l i c h e n . Die vieien bereits leerveau zu h e b e n . Die b e s t e h e n d e n Betrieoe s t e h e n d e n W o h n h ä u s e r in Altstadtgebiemüssen effektiver zur W i r k u n g gebracht ten. zerschlagene Fenster, zerfallende werden, und zusätzlich sind kleine bis D ä c h e r lassen auch Baufachleute resimittlere Kapazitäten a u f z u b a u e n , die un- gnieren angesichts der immer kleiner sere Bauieistungen wenigstens verdop- w e r d e n d e n Schar v o n M a u r e r n . Zimmerpeln. leuren. Dachdeckern. Bautischlern. Bet o n b a u e r n u n d - a u c h Meistern. Baulei l e m und Projektanten in den Baubetrie Wirtschaftspolitik ben. Deshalb schien Flächenabriß in und damit Grundlage aller unserer Zu- diesen verfallenden Gebieten untimeäneKunrrspüini -n baiiw-se.» . c — 3s
W o h n u n g s b a u ' wenigstens einigermaßen • • . • Die anspruchslosen Maasenquartiere unseres: N e u b a u i u n t e r b o t e n d u r c h festgelegte Preise v i d f a c h d i e bei Rekonstruktion entstehenden Kosten, und d a m i t , « h i e l t »ugh^dic ö k o n o m i s c h e Seite A r g u m e n t e f ü r e i n e n A b r i ß alter H ä u s e r . Keinem vernünftigen M e n s c h e n in unserem Land k o n n t e - j e d o c h - einleuchten, d a ß d i e Sanierung zumeist ansehnlicher H ä u s e r i m Dach r u n d Samtäroereich f ü r eine n o r m a l e Volkswirtschaft kostenaufwendiger sein sollte als ihr Abriß, d e r Schuttabtransport-sowie a n N e u b a u in Plattenbauweise bei meist a u f w e n d i g e r Gründung. Tnnerstädtische Abrisse in westeuropäischen Ländern.'sind unseren nicht vergleichbar, da sie vorwiegend d i e Schaffung gewinnträchtiger, k o m f o r t a bler Wohn- und G e s c h ä f t s b a u t e n in günstiger Lage z u m Ziel h a t t e n . . - • H e u t e steht v o r u n s d i e E r h a l t u n g alp Q e g e r a c b e r Sieht, sondern v o r a l l e m wegen des'auch in zerfaäenrien Häusern s t e c k e n d e n V o l k j v t r m ö g e ü i ~ ü n d " der durchaus noch f ü r n e i e Jahre akzeptablen W o h n u n g s v e r h ä k n o s e . U n t e r den v o r h a n d e n e n Baubedingungen ist die Aufgabe nicht lösbar. B a u g e n o u e nschaften. M i e t e n d b s t h i l f e , Obergabe baufälliger H ä u s e r an b a u f r e m d e Betriebe und -ähnliches bleiben g u t g e m e i n t e Einzelaktionen, die d e r Spezialisierung und Arbeitsteilung als G r u n d l a g e jeder Industriegesellschaft w i d e r s p r e c h e n - N u r gut» u s g e r ü s t e t e k i e u i e bis nuttlere. Baubetriebe sind in d e r Lage, a u s sich selbst heraus einen Grad an Industrialisierung zu erreichen, d e r zu vernünftigem Bautempo und vernünftigen Baukosten f ü h r t . Die Notwendigkeit u n d Möglichkeit der Sanierung g a n z e r Strafienzüge und innerstädtischer Quartiere unterstützt eine solche Industrialisierung und kann Effektivität garantieren. Beispielsweise w ä r e ein Teil d e r u n s ierzt zur Verfügung gestellten DM-Beträge hervorragend angelegt in ein o d e r zwei neugegründeten k o m m u n a l e n Baubetrieben bei guren Lohnbedingungen, die ihre Arbeit mit der Sanierung d e r Hotels .Stadt Leipzig* und d e m . H a n s a h o t e l " beginnen und d a n n m deren Umfeld weiterarbeiDr. Peter i i s a a u / P r o t . B e r n e :
Görlitz zwischen Resignation und Hoffnung.(Teil 1)
Kassandraruf eil vom Untergang kann so nicht zugestimmt werden B e o b a c h t u n g e n zwischen VorrfilergaMe und Karpfengrund Von Armin SthmhU unti ^M
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Einwohner hier verwachsen sind. Was hcren Plänen mit weit größerem Sanic-, wird aus Ihr7 ' rungiaittell zurückgegangen. Zu allen; Ülwr Veränderungen, ob durch Bau Häusern würden Analysen erstellt., Rolf oder Kauf, »oll es künftig eine öffentliche. Hofmann. Leiter der IG. schlug die EinKontrolle geben. Das beschlossen vertan- rlchtung eines Bauhofes am Marlln-Lu, gene Woche Rat Baubetriebe und Bür- ther-Piitz zur Nutzung durch Einwohner gerlnitlative IG .Außere Neustadt" auf el-> ebenso wie Bau- und Handwerksbetriebe ncr Versammlung Im .Klub für Dich*, vor. Dazu könne da», Material, durch Der Bcrelchslelter für staatlicher Eigen-) Rückbau von Häusern,, d.h. werkstoffertum beim Stadtbezirk. Dresden-Nord,I haltender Abriß statt Sprengung z.B., ge-, Schmidt, sagte zu Kaufhandlungen, daß, nutzt werden. Für den Rückbau |nlertsnach dem gegenwärtig noch geltenden »lere »Ich bereits das W B K Dresden, Die Recht nur Ein- und Zweifamilienhäuser Vertreter von H A G und Baubetrleben verkauft werden können und auch nur sprachen sich Jedoch gegen RUckbau au», an Diesdner. wobei Grund und Boden da er teurer «ei als Sprengung elnsch|leßnicht Inbegriffen sind- Für größere lieh Transport. Doch sollte man hier, zuGrundstücke gäbe es noch keine Ver-, gunsten de» Rückbaus auch sp|ien„ daß kaufstegelungen, für Gewerbegrund-; nicht nur Material wiedergewonnen und Stücke seien sie demnächst zu erwarten. Im Baugebiet bereitgestellt wird, sondern Uwe Schneider sprach Im Namen der auch gewaltige Schuttbergc In der LandBürgerinitiative einige Bedenken aus. schal« entfallen würden. Ein künftiges Städtcbaurecht steht noch Zu den Transaktionen .(Ics.yEj) f i t e ; au», doch solle die Stadtregierung, prak. Chemie, auf der Kalharlnenslraße, « d r i l l tisch In Vorwegnähme dessen, bereits den Einwohnern ein bürgerfreund|lchei' Jetzt Ihre Kompetenzen ausschöpfen, um Koloß vor die Nase gesetzt würde, sollen Veränderungen des Gebietes, die seine, letzt Untersuchungen anlaufen, wurde Erneuerung einmal erschweren könnten,' beschlossen. Daraufhin will • auch die zu verhindern. Die Bürgerinitiative Bürgerinitiative vorerst keine Baustellenschlug vor, die Enlstehungg von Mieter- besetzung durchführen. ' 1 ' • ; • genosscnschaftcn zu fördern und die AuViele» mehr wurde angesprochen und 8ere Neustadt als Sanierungsgebiet zu er- z.T. auf die,nächste,Beratung Im März klären. , vertagt. Der Mangel Im Bauen.hat heute Diesen Vorschlag aufgreifend, sprach eine Situation geschaffenen der die Ent-' sich der O B Wolfg.mg Berghofer dafür Scheidung für ein Haus zugleich eine geau», der Äußeren Neustadt den Slams cl- gen ein andere» Ist. Anderen Altbauvieroc» Millcuschuiz- und Sanlerungsgeble- teln Dresdens ergeht es nicht viel anders, tc» zu geben. Die Versammelten einigten Der O B ließ anklingen, daß rnll,Unterslch, aus Ihren Reihen eine Arbeit»-' Stützung sowohl au» Hamburg all auch gruppe zu bilden, die die notwendigen aus Baden-Wi\rtlemberg zu rechnen sei. Unterlagen dazu erarbeiten wird. M- K-
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Ein Versuch zu verstehen Peter Marcuse Die Merkmale einer widersprüchlichen Politik des städtischen Wohnens Was war das Einzigartige und Besondere am Wohnen und an den Städten in der DDR? Gibt es etwas, das im Zuge der Anpassung an das bundesdeutsche System bewahrenswert ist? Welche schwerwiegenden Fehler sollten angesprochen werden? Und in welchem Maße sind die speziellen Merkmale der in vierzig Jahren DDR-Geschichte gemachten Erfahrungen, ihre Erfolge und Versäumnisse mit den wesentlichen Eigenschaften des Systems der ehemaligen DDR verknüpft? In welcher Art sind sie systemunabhängig, das Ergebnis supranationaler Entwicklungsrichtungen, äußerer Kräfte, willkürlicher und/oder gar aus Dummheit getroffener Entscheidungen? Als Außenstehender möchte ich einen Beitrag leisten zu einer skizzenhaften Zusammenfassung und einige mögliche Antworten versuchen, in der Hoffnung, daß die komparative Perspektive, die Betrachtung aus der Entfernung, möglicherweise einige Aspekte deutlich macht, die weitere Diskussionen anregen und in bescheidenem Umfang zur Verdeutlichung von Alternativen beitragen, die in einer Periode der Unsicherheit und so schneller Veränderungen dringend benötigt werden. Im folgenden werden einige Überlegungen angestellt über die Schwierigkeiten, die bei der Benutzung der Begriffe „Markt" und „Staat" auftreten. Einige differenziertere Kategorien für solche Untersuchungen werden angeboten. Dann will ich versuchen, das städtische Wohnen mit diesen Kategorien in großen Umrissen zu charakterisieren. Nicht alle Aspekte stadtbezogener Politik sind jedoch von dem herrschenden Gesellschaftssystem abhängig. Um herauszufinden, worin das grundlegende Stadtsystem der DDR wirklich bestand, müssen zuerst die systemunabhängigen Charakteristika ausgesondert werden: Charakteristika, die in ihrer Reichweite entweder international und direkt parallel z.B. zu Entwicklungen in der BRD einzuordnen sind, oder die sich aus dem Wirken von Kräften ergeben, die durch das jeweilige System nicht beeinflußbar sind, wie z.B. die Begrenztheit der nationalen Ressourcen oder die Zwänge des kalten Krieges, oder letztlich Charakteristika, die das Ergebnis mangelnder Sachkenntnis, besonderer persönlicher oder willkürlicher Entscheidungen waren. Was nach dieser Aussonderung verbleibt, ist dann eine erste Annäherung an das Besondere des DDR-Systems so wie es existiert hat. Abschließend wird dargelegt, welche Aspekte dieses Systems günstige Wirkungen für die Lebensweise der Menschen brachte. Seit dem Beginn politischen Denkens ist die Definition des Staates Quelle gegensätzlicher Auffassungen. Marx' Definition des Staates als „exekutives Organ 266
der herrschenden Klasse" muß mit Sicherheit zumindest dann modifiziert werden, wenn man beginnt, über die Rolle bürokratischer Strukturen als unabhängige Handlungsträger nachzudenken. Ob Parteihierarchien angemessenerweise als „Klassen" bezeichnet werden können, ist auch umstritten. Wie dem auch sei, die Formen und Methoden des Regieiens können sehr unterschiedlich sein. Die DDR war ein zentralisiertes, hierarchisch geordnetes und parteidominiertes Staatswesen. Die BRD ist ebenfalls ein zum großen Teil zentralisierter, aber weniger parteibestimmter Staat; die parlamentarische Demokratie ist seine Handlungsgrundlage. Es gibt noch andere Varianten: Die Vereinigten Staaten sind viel weniger zentralisiert als es die DDR war und die Bundesrepublik Deutschland ist, und in den Zeiten politischer Turbulenz hat es direktere Formen der Demokratie gegeben als durch die parlamentarische Form zum Tragen gebracht wurde. Der Markt ist ebenso ein Begriff mit einer Vielzahl von Bedeutungen. Grundlegend ist ein Markt einfach ein Platz, ein Forum, wo getauscht wird, wo Preise vollständig oder teilweise über Verhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer gebildet werden, wobei Angebot und Nachfrage eine Schlüsselrolle spielen. In diesem Sinne spielte der Markt in der BRD eine viele größere Rolle als in der ehemaligen DDR. Aber man könnte sich ganz andere Varianten von einem Markt vorstellen, als man ihn in der D D R oder BRD fand. Man könnte zum Beispiel einen Markt mit oder ohne privaten Gewinn haben: In diesem Sinn sind der Wohnungs- und der Bodenmarkt in Schweden zum Teil Märkte ohne privaten Gewinn. In jedem Fall bestimmt der Markt in Schweden nicht das Angebot an Wohnungen, und in einem nur sehr beschränkten Sinn bestimmt der Markt das Angebot an Boden irgendwo.
Staat und Markt: Das Gesellschaftssystem der ehemaligen DDR Vom Staat zum Markt, vom Sozialismus zum Kapitalismus, das sind Formulierungen, die in der Regel als synonym gelten, die oft zur Beschreibung der sich in der DDR vollzogenen Veränderungen benutzt wurden und auch in die Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik einziehen werden. Keine der beiden Formulierungen ist der Sache angemessen, ist weder zur Beschreibung des gewesenen Systems, noch zur Erklärung der tiefgreifenden Veränderungen geeignet. Das System des Wohnens und der Stadtentwicklung in der DDR verkörperte eine besondere Kombination spezieller Formen staatspolitischer Entscheidungsfindung, ökonomischer Kontrollmechanismen und Eigentumsformen: „staatlich" oder „sozialistisch" sind sehr grobe und in jedem Falle streitbare Begriffe zur Beschreibung der DDR-typischen Verknüpfung dieser Elemente. Ebensowenig sind „Markt" und „kapitalistisch" angemessene Bezeichnungen der Alternativen, die für die Bundesländer in Zukunft in Betracht gezogen werden können. Viele Marktformen existieren als ökonomischer Regulierungsmechanismus. Mehrere 267
Formen staatlicher Entscheidungshoheit beeinflussen die Märkte in allen kapitalistischen Ländern und die Eigentumsformen im Kapitalismus reichen vom Privateigentum bis zum genossenschaftlichen, kommunalen und staatlichen Eigentum. Ein so einfach polarisiertes Schema wie Staat/Markt ist weder theoretisch plausibel noch von praktischem Nutzen. Beide Begriffe erfordern eine differenzierte Definition. Es gibt zumindest drei Alternativen, nach denen das Wirtschaftssystem eines modernen Staates organisiert werden kann und drei Optionen zur Organisierung eines dafür passenden Staates. Optionen zur Gestaltung des Marktes: 1. Ein marktfreies System zur Festsetzung von Menge und Niveau der Produktion und Konsumtion von Waren. Dies geschieht in der Regel durch direkte staatliche Entscheidungen. Auch durch andere Formen der Machtausübung, die nicht über Preismechanismen oder den Markt vermittelt werden, kann das geschehen. Je weniger effektiv die Zentralmacht in einem solchen System ist, desto umfangreicher werden Schwarzmarkt und/oder Schattenwirtschaft gedeihen, deren Entstehen in einem „nicht Markt"-System unausweichlich ist. 2. Ein privater Markt, in dem Produktion und/oder Distribution hauptsächlich von Privatpersonen oder -firmen im Interesse privaten Gewinns getragen wird, in dem Angebot und Nachfrage entscheidenden Einfluß auf die Preisbildung (und umgekehrt) haben. Ein privater Markt kann mehr oder weniger sozial reguliert werden, aber seine Triebkraft bleibt das private Streben nach Gewinn. 3. Ein sozialer Markt, in dem vom Konsumenten gesetzte Präferenzen zum Ausdruck kommen und durch Preise Informationen vermittelt werden (sowohl über den Wettbewerb als auch durch Kontrolle) kann die Effizienz der Wirtschaft stimulieren. Wenn Angebot und Nachfrage über die Preise beeinflußt werden und indem (anders als in einem Privatmarktsystem) Produktion und Distribution im wesentlichen zur Befriedigung von Bedürfnissen dienen, dann muß durch politische Strukturen der Entscheidungsfindung eine gesellschaftliche Determinierung gesetzt werden, anstatt privaten Gewinn und private Akkumulation zu ermöglichen. Ein solcher Markt kann durch mehr oder weniger demokratische Formen der Entscheidungsfindung reguliert werden. Wenn sich Entscheidungen nicht an privatem Gewinn orientieren, sondern die Marktmechanismen als Antriebs- oder auch als Realisationsmechanismen zur Wirkung kommen, bleibt es dennoch ein sozialer Markt. Optionen zur Gestaltung des Staates: A. Ein undemokratischer Staat, in dem die wirtschaftlichen Schlüsselentscheidungen von einem staatlichen Apparat vorbereitet und umgesetzt, aber von der 268
Staat: Markt:
absolutistisch
zentralistisch parlamentarisch
dezentralisiert partizipativ
marktfrei privater Harkt sozialer Harkt A b b . 1.
Organisationsmöglichkeiten von Gesellschaftssytemen
politischen Leitung getroffen werden. Die historische Erfahrung lehrt, daß ein solcher Staat zu einer strengen Zentralisation tendiert. B. Ein zentralistischer parlamentarischer Staat, in dem ökonomische Schlüsselentscheidungen mittels gewählter Vertretungen in der Öffentlichkeit getroffen werden. C. Eine dezentralisierte, partizipative Demokratie, die durch eine aktive Bürgerbeteiligung im öffentlichen Entscheidungsfindungsprozeß von Beginn an gekennzeichnet ist. Die Geschichte strotzt nicht gerade von Beispielen derartiger Staaten, aber die Möglichkeit der Existenz solcher Staaten ist historisch auch noch nicht negiert worden. Für einen solchen Staat wäre eine parlamentarische Demokratie zwar eine notwendige, aber noch nicht ausreichende Voraussetzung. Die Möglichkeiten für die Organisation eines solchen Gesellschaftssystems könnten als Kombinationen von Formen ökonomischer und politischer Entscheidungsfindung, von Markt und Staat verstanden werden. In der Abbildung 1 werden solche Möglichkeiten grafisch dargestellt; die Pfeile weisen in Richtung zunehmender Demokratie. Das DDR-System - wie wir diesen Begriff hier verwenden - bestand aus der Kombination — einer ökonomischen Struktur, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum nichtpersönlicher Güter fußte, ökonomischer Ungleichheit strikte Grenzen setzte und Planung, Entwicklung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus, des Bewußtseins und der Ideologie statt dem Profit als ihre Triebkräfte gestaltete (Staufenbiel, Hunger), aber über die ein zentrales Kommandosystem verfügte, das Wettbewerb verlangte und die Warenauswahl durch die Konsumenten begrenzte, — einer hochzentralistischen, undemokratischen und nicht-partizipativen politischen Struktur, die von einer hierarchisch organisierten politischen Partei dominiert wurde, die die freiwillige Partizipation als Grundlage der Legitimität durch die Indoktrination einer Ideologie ersetzte (Lüders, Melzer) und — dem Widerspruch zwischen gesellschaftlichem Eigentum in der Wirtschaft und mangelnder Demokratie in der Politik, der zu anhaltenden Spannungen im System führte, die im Laufe der Zeit zu einer politischen Praxis führten, die 269
Schwankungen unterlag und andere Schwächen in beiden Bereichen noch verschärfte. Die gesetzlichen Formen des Eigentums widerspiegeln diese grundlegende Konfiguration der Gesellschaft. Da diese für die Entwicklung des städtischen Wohnens und der Städte selbst so wichtig war, sei noch bemerkt: Wenn vorherrschendes Privateigentum und private Verfügbarkeit, die Eigentumsrechte als Grundlage für die Produktion und die Erzielung von Gewinn aus ihr sowie zur Aneignung der Konsumtionsgüter, der Dienstleistungen, der immateriellen Werte als auch anderer gegenständlicher Objekte nutzt, das Privateigentum durch strenge juristische Gesetze und Verfassungsgarantien geschützt wird, kennzeichnet das den privaten Markt. „Eigentum" in einem marktfreien System ist ein unangemessener Begriff. Rechte sind aus einem gesellschaftlich geplanten Bedürfnis abgeleitet und werden zugewiesen. Sie sind weder austauschbar noch übertragbar. Westliche Beobachter hatten somit den Eindruck, daß in der D D R kein schlüssiges System für den Schutz der Eigentumsrechte, ihren Austausch oder Transfer entwickelt worden war. Sie suchten nach Formen eines dezentralisierten Eigentums — gemeinnütziges, genossenschaftliches —, nach Rechten, der Arbeiter an den Fabriken, der Stadt, an ihrem Grund und Boden, Eigentumsrechte der Einwohner an Wohnungen, Eigentumsrechte an kommunalen Einrichtungen, an Elementen der Infrastruktur, Rechten, so wie sie in begrenztem Umfang in einigen Ländern mit einem privaten Markt existieren. Aber sie fanden nichts dergleichen. Das Fehlen solcher alternativer Eigentumsformen war ein Grund für die schweren gesellschaftlichen Probleme in der ehemaligen DDR. Wir sehen also, „Eigentum" ist ein ungeeigneter Begriff für die Erklärung eines sozialen Marktes bzw. eines marktfreien Systems. In der DDR wurde, wie in den meisten sozialistischen Staaten, das zum Zwecke des Gebrauchs existierende Eigentum geschützt, privates Eigentum an Produktionsmitteln, mit denen andere arbeiteten, war nicht gestattet. Das private Eigentum außerhalb der Konsumtionssphäre als „nicht persönliches" Eigentum wurde durch die spezifische Besteuerung unter staatliche Kontrolle genommen. Die gesetzlichen Eigentumskategorien, im Sinne von Möglichkeiten für Privatpersonen, vermittels von Waren Macht über andere Personen auszuüben, waren nicht gestattet. Sie sind für einen sozialen Markt ungeeignet. Eine geeignete Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Individuen in einem Sozialmarktsystem sollte im politischen Bereich gesucht werden, in dem Volkseigentum deutlich an das Recht der Bürger gebunden wird, an den Entscheidungsverfahren in partizipativen als auch repräsentativen (parlamentarischen) Formen mitzuwirken. Das Zusammenkommen von Existenz des Volkseigentums und dem Fehlen partizipativer Entscheidungsprozesse hat die tödlichen Spannungen im System der ehemaligen DDR hervorgebracht.
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Systemabhängige und systemunabhängige Charakteristika Als Ausgangspunkt muß man anerkennen, daß nicht alle Aspekte der Stadtentwicklung in der DDR, noch in irgendeinem anderen Land, allein vom Gesellschaftssystem des jeweiligen Landes abhängig sind. Es wird immer Aspekte der Stadtentwicklung geben, die „systemunabhängig" sind. Im Unterschied dazu gibt es Merkmale, die direkt mit dem Wesen des Gesellschaftssystems im jeweiligen Land verbunden sind, also als „systemabhängige" Merkmale existieren. Systemunabhängige Aspekte können solche sein, die aus — supranationalen Prozessen hervorgehen, also solche, die gleichzeitig oder mit Zeitverschiebung in verschiedenen Ländern parallel verlaufen, oder solche, die aus — externen Faktoren resultieren, die ihren Ursprung außerhalb der betreffenden Sozialsysteme haben, wie z.B. im Falle der DDR in der Dominiertheit durch die Sowjetunion, im kalten Krieg oder im anhaltenden beherrschenden Wettbewerb mit der BRD. Dies begann mit der Übernahme sowjetischer Planungsund Leitungsmodelle, setzte sich fort durch die größere Orientierung auf Rivalität mit der BRD, als die ostdeutschen Erfahrungen und das daraus resultierende Selbstbewußtsein wuchsen. Und seit November 1989 sahen wir ein deutliches und vollständiges Einschwenken in Richtung eines vorherrschenden Einflusses aus der Bundesrepublik. Systemunabhängig sind auch solche Aspekte, die — willkürlich geschaffene Faktoren im Ergebnis mangelnder Fachkenntnis, persönlicher Präferenzen oder einfach menschlicher Dummheit entstanden. Das sind Faktoren, die in einem System, wie dem der DDR, besondere Bedeutung erlangten, da weder politische Demokratie noch Marktmechanismen eine Korrektur gemachter Fehler bewirkten. Außerdem gibt es in jedem System Mängel, die ihre Wurzeln in systemunabhängigen Prozessen haben, die mit Fehlentscheidungen zusammenhängen und dann weitere negative Folgen zeitigen. Aber den Mangel als systemimmanentes Prinzip aufzufassen, ist eine spezifische Sichtweise auf die sozialistische Gesellschaftsform. Das bedeutet, nicht das Profitstreben, sondern die Mangelüberwindung wirkt als Triebkraft wirtschaftlicher Entwicklung, d.h., der Mangel auf bestimmten Gebieten muß erst so stark werden, daß er ein gesellschaftliches Problem darstellt, dann werden Investitionen zu seiner Beseitigung mobilisiert. Dieses Prinzip wirkt aber auch intensivierungsbremsend, ungenügend qualitätsstimulierend und in der Distribution im Sinne von reglementierter Zuteilung. Schließlich gibt es jene Merkmale — und diese sind die wichtigsten — die systemabhängig sind, die sich aus Ursachen ergeben, die direkt und unzweideutig aus dem wirtschaftlichen und politischen System des Landes erwachsen. Wenn wir die supranationalen Merkmale abarbeiten, dann können wir uns leichter auf die für die DDR besonders wichtigen Aspekte konzentrieren. 271
Supranationale Merkmale Die verheerenden Folgen von Faschismus und Weltkrieg schlössen Wohnungsprobleme und Probleme im städtischen Leben ein, die in allen betroffenen Ländern, unabhängig von ihrer Gesellschaftsform, überwunden werden mußten. Frühzeitige zur Überwindung von Notsituationen getroffene Maßnahmen führten zu Formen des Bauens und Planens, die in vielen Ländern zu ähnlichen Folgeproblemen und zu vergleichbaren Lösungsversuchen tendierten. Im Falle der DDR und der BRD hatten sich folgende Herangehensweisen herausgebildet, die in unterschiedlichen Größenordnungen mit unterschiedlichen Zielen zu verschiedenen Zeiten, aber doch im allgemeinen parallel verliefen: — eine frühe, entschlossene Hinwendung zur Bereinigung der innerstädtischen Bereiche, um so schnell wie möglich den Mangel zu überwinden und die Trümmer zu beseitigen; — eine Periode schnellen Wohnungsbaus mit begrenzten Standards und mit geringer Qualität, um die dringlichen Bedürfnisse nach Wohnraum zu befriedigen; — eine vorzugsweise Konzentration der Investitionen auf den Wiederaufbau, die Erweiterung und die Modernisierung der industriellen Kapazitäten statt der Verbesserung der Wohnbedingungen über ein minimales Niveau hinaus. Mit wachsenden Kapazitäten erfolgte eine Orientierung auf eine quantitative Ausweitung der Versorgung mit Wohnraum zu geringstmöglichen unmittelbaren Kosten, was zu großen Bauvorhaben auf freien Rächen führte, die am Stadtrand lagen oder durch Neubebauung großer Abrißgebiete geschaffen wurden. Die Entwicklung der industrialisierten Bauwirtschaft verlief entsprechend dieser Orientierung. Mit dem Abbau der gravierenden Mängel kam es zu einer Umorientierung in Richtung auf Verbesserung der Qualität und Erhöhung des Variantenreichtums. In ähnlicher Weise wuchs die Bereitschaft, die Bedeutung solcher Faktoren wie der historischen Kontinuität, der räumlichen Identität und sozialen Annehmlichkeit sowie, etwas später, ökologische Kriterien anzuerkennen. Diese Umorientierung widerspiegelt eine wachsende Hinwendung zur Bestandserhaltung, zur Rekonstruktion und Modernisierung der innerstädtischen Bereiche. Durch den von Nutzern vielfältig ausgeübten Druck wuchs das Verständnis für den Wunsch nach gemischten Häusertypen in funktionell heterogenen städtischen Gebieten. Infolge der genannten Faktoren kam es zu einer Abnahme der Anziehungskraft der großen homogenen Neubaugebiete an den Stadträndern. Trotz des sinkenden Interesses an dieser Art Wohnungsbau wuchs die Notwendigkeit, die bestehenden Wohngebiete aufgrund ihres normalen Alterns und ihrer unnormalen Bevölkerungsstruktur zu betreuen und sowohl ihre Reparatur als auch ihre Komplettierung vorzubereiten. Wenn dies supranationale Charakteristika sind, die die D D R mit vielen anderen Ländern, einschließlich der BRD, 272
gemeinsam hatte, welches sind dann jene Merkmale ihrer Städte und ihres Wohnungswesens, die systembezogen sind und die D D R speziell prägten?
Die systemabhängigen Merkmale der Politik der städtischen Wohnens 1. Ein hochindustrialisiertes Bauwesen, mit großen monopolistischen Firmen, geringer Produktivität und Innovation charakterisierten den DDR-Wohnungsbau seit spätestens Mitte der 70er Jahre. Fünfzehn große Wohnungsbaukombinate, eins je Bezirk, und ein Reihe monopolistisch spezialisierter Firmen, z.B. für Industriebauten, Tiefbauten und Straßenbauten entstanden zu Beginn der 70er Jahre. Innovationen der Bauweisen beschränkten sich aber fast ausschließlich auf die Entwicklung verschiedener Plattentechnologien. Im Zeitraum von 1955 bis etwa 1975 wurden bedeutsame Errungenschaften erzielt, die dann aber einem ständigen Druck zwecks einfacher Kostensenkung ausgesetzt waren, die wiederum durch Beschneidung der Standards und weniger durch Erhöhung der Effektivität erzielt wurde. Gleichzeitig wurden andere Bauweisen ausgegrenzt, es verringerten sich sogar die Möglichkeiten zur Ausführung komplexer Stahlbetonbauten wie auch einfacherer plattenfreier Einfamilienhäuser; die hierfür erforderliche Versorgung mit entsprechenden Baumaterialien und Ausrüstungen ging immer mehr zurück. Solch großes Gewicht dem industrialisierten Bauen zu geben, hatte wohl ursprünglich den Sinn, in Mechanismen zu investieren, die in kürzester Zeit die größte Menge an Wohnungen einer tolerierbaren Qualität schaffen zu können, eine supranationale Erscheinung (Bodenschatz und Krätke). Aber in der DDR wurde dieser Prozeß ins Extrem getrieben. Da die Märkte so leicht konsolidiert wurden, entstand auch schnell die massenweise Nachfrage, die erforderlich war, um industrielles Bauen effizient erscheinen zu lassen. Je größer der auf zentralen Entscheidungen beruhende Anteil am gesellschaftlichen Bauaufkommen war, desto größer wurden die relativen Vorzüge des industriellen Bauens, einfach deshalb, weil die Bündelung der Nachfrage dadurch leichter erschien. Jedoch spielten in der DDR im Verlaufe der Zeit die ökonomisch rationalen Kriterien eine immer geringere Rolle. Die ideologisch-politische Vorstellung, daß Fortschritt und Industrialisierung identisch seien, daß der Gebrauch handwerklicher Arbeitskraft ein Zeichen von Rückständigkeit sei, daß großzügige Baumaßnahmen ein Zeichen für den Charakter der neuen Gesellschaft seien, beließen das Schwergewicht weit länger auf der industriellen Bauweise, als sie von der rationalen empirischen Forschung für effizient befunden wurde. Sicher entsprach diese Bauweise auch nicht mehr den individuellen Ansprüchen, die an das Wohnen gestellt wurden (Staufenbiel, Kahl). Der Grund für die geringe Produktivität lag nicht in einer unangemessenen Ausbildung oder Qualifikation, sondern in den zentral verfügten Bauzielen, die der Quantität gegenüber der Qualität Priorität einräumten und in der nicht empirisch, sondern ideologisch begründeten Überzeugung, daß die Plattentech273
nologie der beste Weg zur schnellstmöglichen Erfüllung der quantitativen Ziele sei. Ideologische Vorstellungen über das geeignete Lohnspektrum verhinderten auch das Entstehen einer breiten Lohnspanne, wie man sie in anderen Ländern für Vergütung von Bauarbeiten antrifft. Dort gehören Bauarbeiter zu den bestbezahltesten Berufen. In ähnlicher Weise wurde jede Art von Stückarbeit oder unabhängiger privater Neben Verträge, die die Hinwendung zu kostensparenden Technologien gefördert hätten, ausgeschlossen. Die Ausschaltung jedes Wettbewerbs zwischen verschiedenen Eigentumsformen und die den riesigen Kombinaten verliehene Monopolstellung nahmen den Druck weg, der durch andere ähnliche Betriebe ausgeübt worden wäre und der zu einer Reduzierung der Kosten geführt hätte. Die Möglichkeiten für einen Wettbewerb zwischen staatseigenen Firmen sind nie voll ausgelotet worden, noch existierte ein Mechanismus zur Beurteilung der beim Zusammenschluß vieler ehemals kleiner Betriebe zu Kombinaten erzielten Vorteile. Hätte es einen geeigneten Rücklauf in die politische Sphäre gegeben, dann wäre die oftmals eklatant geringe Produktivität der Kombinate und des Systems als Ganzes zu erkennen gewesen. Aber die Angst vor Kritik, ein Wesenszug des politischen Lebens in der DDR, schloß das Auftreten oder die Kenntnisnahme eines jeden negativen Rücklaufes aus. Der durch den kalten Krieg hervorgerufene Mangel an Material akzentuierte die negativen Folgen dieser fehlerhaften Politik. Die Betonung des industriellen Bauens trug auch zu einer Akzentuierung und Verlängerung des frühen supranationalen Trends zum Bauen auf der grünen Wiese bei und auch zur entsprechenden Vernachlässigung der innerstädtischen Instandhaltung. Während der Umfang des Bauens in absoluten Zahlen oft beeindruckend war, so waren Qualität und Effizienz häufig ungenügend (Schumann). Das aus dem kalten Krieg herrührende Mißtrauen gegenüber allem aus dem Westen nahm die Möglichkeit, die in anderen Ländern entwickelten Innovationen zur Überwindung der Nachteile des Massenwohnungsbaus aufzugreifen. Das Fehlen von Stimuli für Innovationen, die schwer zu planen sind, verfestigte den weiteren Gebrauch der schon bestehenden Technologie. Somit wurde der Beitrag, den das Wirtschaftssystem mit seinen Möglichkeiten zur Planung und Bedarfsbündelung und zur rationellen Nutzung industrieller Technologien hätte leisten können, durch ideologische Vorbehalte und politischen Absolutismus sowie eine falsche Wirtschaftsdoktrin am Ende zunichte gemacht. 2. Das Setzen quantitativer statt qualitativer Ziele war für die Planung im Wohnungswesen ebenso wie in anderen Wirtschaftsbereichen vorherrschend. Der extreme Zentralismus hinsichtlich Planung und Kontrolle führte dazu, daß minimale Qualitätsstandards zwar in Berlin vereinbart werden konnten, aber geregelte Stimuli zur Erzielung eines über dem Minimum liegenden Niveaus wurden nicht geschaffen. Das politische System war nicht flexibel genug, um Stimuli für eine Verbesserung der Qualität und Vermeidung ungenügender Arbeitsleistungen einzuführen. Es gab keine Marktmechanismen, die es individuel274
Ien Konsumenten ermöglicht hätten, ihrer Zufriedenheit oder Unzufriedenheit über das Dargebotene Ausdruck zu verleihen. Ein steriles Design, opportunistische Auswahl des Baugrundes, die Vernachlässigung der Wünsche und Präferenzen der Nutzer waren das Ergebnis. Die quantitativen Zielsetzungen wurden noch schlimmer gemacht durch ihre unkluge Formulierung. So wurden die Ziele auf die Anzahl der Wohnungseinheiten (WE) ausgerichtet, so daß dadurch die Anzahl der Räume pro Wohnungseinheit lieber geringer gehalten wurde, als größere Wohnungen zu bauen. Somit fielen unnötigerweise die Wohnungsgrößen und die Bedürfnisse der Familien im Laufe der Zeit immer weiter auseinander (Hunger). Die kommunale Autonomie und politische Demokratie, die zur Darlegung und Umsetzung dieser qualitativen, auf die lokalen Erfordernisse zugeschnittenen Aspekte nötig gewesen wären, waren im streng hierarchischen politischen System der DDR nicht akzeptabel. Wiederum war mangelndes Verständnis für die reale Problematik im Spiel: quantitative Ziele konnten einfach manipuliert werden, so daß z.B. Teilreparaturen bei der Rekonstruktion einer alten Wohnung als „Modernisierung einer WE" abgerechnet werden konnten, selbst wenn es sich mehrmals um dieselbe Wohnungseinheit handelte, die erst ein neues Dach, dann eine neue Badewanne und dann eine neue Heizung bekam. Somit wurden die einer zentral geplanten Wirtschaft innewohnenden Grenzen von subjektiven Fehlentscheidungen akzentuiert und konnten weder durch einen Markt noch durch einen politischen Mechanismus korrigiert werden. 3. Die Vergabe von Wohnungen nach dem Bedarf war ein bedeutender Unterschied zwischen dem Wohnungswesen der D D R und dem eines privaten Marktsystems; sie hat einer breiten Mehrheit der Bevölkerung beträchtlichen Nutzen gebracht, aber es gab auch viele Ausnahmen. Die Vergabe vollzog sich immer unter Bedingungen des Mangels, war eine Zuteilung von Mangelware, und schuf nur allgemeine Zufriedenheit, solange sich Jahr für Jahr die Möglichkeiten für ein besseres Wohnen zu entwickeln schienen. Praktisch unterlag jeder Bezug einer neuen Wohnung oder jeder Mieterwechsel in schon existierenden Wohnungen einer Bestätigung, falls er nicht durch eine zentrale kommunale Behörde, in der Regel durch die Kommunale Wohnungsverwaltung, eingeleitet worden war. Die KWVen führten Listen jener Haushalte, die berechtigt waren, ihre Wohnung auf Grund unangemessener Unterbringung zu wechseln: Ungenügende Anzahl von Zimmern und unterdurchschnittlicher Ausstattungsgrad waren die dominierenden Gründe, gesundheitliche Erwägungen wurden einbezogen, aber nicht die ungünstige Wohnlage (außer in einer anderen Stadt), oder persönliche Neigungen. Die geringen und im wesentlichen einheitlichen Mieten (z.B. in Berlin 0,90 bis 1,20 M je m 2 ) waren kein Regulativ für die Wohnungsverteilung und ihre Inanspruchnahme. Obwohl dieses System wenig nach Lage, Geschoßzahl, Ausstattungsstandard u.a. differenziert war, kann man seine Wirkung doch als gerecht ansehen. Segregation trat somit nicht auf, mit Ausnahme einer Segregation nach Haushaltsgrö275
ßen, z.B. in Neubaugebieten auf Grund der standardisierten Wohnungen, was eine relativ homogene Altersstruktur zum Zeitpunkt des Erstbezuges mit sich brachte. Aber eine Segregation nach Einkommen, Berufsgruppe oder sozialem Status gab es nicht. Ausnahmen waren die Sonderbedarfsträger, einschließlich privilegierter Künstler, Kulturschaffender und Sportler, aber auch Angehörige der Sicherheitskräfte. Während theoretisch über die Zuweisungen für solche Personen in den kommunalen Behörden öffentlich befunden werden sollte, erlaubte das politische System praktisch keine Einflußnahme auf diese Entscheidungen. Ebenfalls gab es keine öffentliche Kontrolle über die Zuweisung jener Wohnungen, die von den Betriebsleitungen aus dem ihnen zur Verfügung stehenden Wohnungskontingent an ihre Betriebsangehörigen vergeben wurden. Die Unpopularität des System bei den Wohnungssuchenden gründete auf dem Wohnungsmangel und nicht auf die Art und Weise der Verteilung des Vorhandenen, auch wenn persönliche Neigungen von diesem System nicht berücksichtigt wurden. Ein durch Preise regulierter Markt hätte zu keinem besseren Erfolg geführt. Das gut entwickelte System des Wohnungstausches, das sowohl Anzeigen in der Zeitung als auch auf der Straße sowie eine zentrale Wohnungstauschbehörde in den meisten Orten einschloß, schein recht gut funktioniert zu haben. Das Verbot von Ausgleichszahlungen beim Tausch verschiedener Wohnungen beschränkte die Tauschmöglichkeiten, hat aber wahrscheinlich auch Mißbrauch und betrügerische Ausbeutung erschwert. Die schwerwiegende Unzulänglichkeit des Systems, die Unmöglichkeit, eine einmal belegte Wohnung erneut zu vergeben, selbst wenn die Umstände zu einer Unterbelegung geführt haben, war ein Ergebnis des Systems zur Festsetzung der Mietpreise, das im folgenden diskutiert wird. 4. Niedrige Mieten, einheitlich für alle Wohnflächen und Haushalte, vermeiden in der Tat die Zuweisung von Wohnraum nach Einkommen oder Vermögen. Jedoch waren die Nachteile des speziellen, in der D D R gültigen Systems für die Erfüllung dieses Ziels nicht von Bedeutung. Die Mietpreise pro Quadratmeter sind für alle Wohnungen in staatlichem Besitz gleich, differieren nur nach Regionen, z.B. sind sie in Berlin höher, oder nach Ausstattungsgrad, z.B. Zentralheizung und Aufzüge. Größe des Haushalts und des Einkommens waren für den Mietpreis bedeutungslos, ebenso die Wohnlage, die Wohnbedingungen, das Alter der Bauten — weder der Gebrauchs- noch der Marktwert drückt sich also in der Miete aus. Zwei Sachverhalte dieses Systems wurden kritisiert. Der erste: Die Miete ist nicht kostendeckend. Aber keine Wohnungswirtschaft der Welt bietet der Mehrzahl ihrer Bürger ordentliche Wohnbedingungen ohne jede Form von Subvention an. Die Frage ist nur, wieviel Subvention gegeben werden soll, wie diese berechnet und verteilt wird, nicht ob die Miete kostendekkend ist oder nicht. Die durch solche Subventionen (oder niedrige Mieten in staatlichen Wohnungen) erzielte Umverteilung dürfte in der DDR weniger als in 276
anderen Ländern erforderlich gewesen sein, war aber nicht prinzipiell unerwünscht. Die zweite Kritik besteht darin, daß die Mieten nicht den Gebrauchswert widerspiegeln, und sie somit weder zur Realisierung persönlicher Neigungen (eine bessere Wohnung konnte nicht durch höhere Bezahlung erworben werden) noch zur Einsparung ungewollten Wohnraumes (bei geringerer Wohnungsgröße konnte wenig Geld gespart werden) beitrugen. Solche Möglichkeiten hätten innerhalb des Systems recht einfach entwickelt werde können, zumal es dafür schon Modelle gibt. Aber die politische Festlegung der herrschenden Parteiführung auf niedrige Mieten hat Überlegungen über sozial gerechte Anpassungen, die die Mieten für alle anheben würden, ausgeschlossen. Das Argument, daß die geringen Mieten der Grund für die mangelnde Instandhaltung und ungeeigneten Neubau seien, hatte keine logische Grundlage. Wenn die nationalen Ressourcen dafür zur Verfügung stehen würden, könnte eine Anhebung der Steuern ein ebenso effektiver Weg zur Verbesserung der Wohnbedingungen sein, wie eine Erhöhung der Mieten. Der tatsächliche Hinderungsgrund hierbei ist das Nationaleinkommen, nicht das Mietensystem. In dem Umfang, in dem die geringen Mieten das Abziehen von Profiten aus dem Wohnungswesen durch die Hausbesitzer verhindert haben, könnten sie sogar zu einer verstärkten Verwendung der Ressourcen im Wohnungswesen beitragen. Private Investoren fühlen in der Tat keinen Anreiz, in die Verbesserung der Wohnbedingungen zu investieren, wenn sie daraus keinen Gewinn ziehen können. Sie können aber überhaupt nur einen Gewinn erzielen, wenn die Mieter mehr bezahlen könnten. Wenn die Mieter mehr bezahlen können, so könnte diese Möglichkeit selbst innerhalb des bestehenden Systems zur Verbesserung der Wohnbedingungen genutzt werden (die KWV könnte z.B. Geld für Reparaturen borgen, so wie es jeder private Investor tun würde). Und der Vorschlag, daß die Wohnkosten für die meisten Menschen über eine entsprechende Mietpolitik so weit angehoben werden könnten, daß dadurch der Neubau stimuliert werden kann, ist wohl kaum seriös. Abgesehen von der Strenge des Systems, das in dem Glauben angewandt wurde, es würde die Legitimität der herrschenden politischen Partei stärken, wurden über das Mietsystem in der DDR wesentliche gesellschaftliche Ziele verwirktlicht. Dessen wirtschaftliche Kosten waren weit geringer, als konservative Kritiker vorgeben. 5. Die möglichst vollständige staatliche Kontrolle über die Stadtentwicklung, die ideologische Kriterien über die Effektivität stellt und Kommerzialisierung vermeidet, war ein wesentliches Kennzeichen der DDR-Stadtentwicklung. Ein Blick in das Zentrum einer beliebigen Stadt in der ehemaligen DDR läßt die (oftmals rigorose) Handschrift der Regierung erkennen, ebenso wie die ausbleibende Berücksichtigung solcher Kriterien wie Bodenkosten und effektive kommerzielle Ausnutzung, was viele westliche Städte so sehr prägt. Gleiches galt für die Planung von Wohngebieten: Einrichtungen der sozialen Infrastruktur waren in jedem neuen Wohn- oder Industriegebiet entsprechend der geltenden Kom277
plexrichtlinie festgelegt und gehörten zur Standardausrüstung. Die DDR-Wirtschaftsmanagerin erntete nur Unglauben (und Gelächter) als sie versuchte, einer Gruppe westdeutscher Industrieunternehmer die Notwendigkeit von Einrichtungen für Kinderversorgung, gesundheitliche Betreuung, Pausenerholung und Kulturangeboten als Elemente der Planung auch für Industriegebiete darzulegen. Diese Einrichtungen aber waren tatsächlich charakteristisch für dieses System und eine der stolzesten Errungenschaften. Weder die Entwicklung innerstädtischer Gebiete noch die umfassende Planung haben allerdings überall so günstige Ergebnisse hervorgebracht. Obwohl die rechtliche und institutionelle Struktur für eine umfassende und langfristige Planung sowie Ausführung vorhanden waren bzw. in einem demokratischen Rahmen hätten weiterentwickelt werden können, wurden diese Planungen und vor allem die Entscheidungen kampagnenhaft nur auf Schwerpunkte orientiert. Die vorhandene wirtschaftliche Struktur hätte solche Planungen stützen und ihre Realisierung vorantreiben können, wenn politisch ihre Potenzen effektiv genutzt worden wären. Gleiches gilt auf regionaler Ebene, wenn man die Nation als ein System von Städten und Gemeinden versteht (Schubert). Einige Probleme sind technischer oder supranationaler Art wie die Beziehungen zwischen Arbeitsplatz und Wohnort, das Abwägen zwischen Umwelt- und Effektivitätskriterien, die optimalen Transportsysteme. Andere Probleme waren jedoch charakteristisch für das DDR-System, insbesondere für die Entwicklung der Innenstädte. 6. Ideologisch determinierte, unvollständige, aber nicht kommerzialisierte Stadtzentren gibt es in verschieden starker Beziehung zur eigenen Geschichte in unterschiedlichen Städten der ehemaligen DDR. Der Anspruch, die neue Gesellschaft in neuen städtischen Strukturen und ihrer architektonischen Gestalt zu manifestieren, geriet in Widerspruch zu der historisch gewachsenen kulturellen Identität der Städte. Es wäre schwer, sich eine größere ideologische Bedeutung der Stadtplanung vorzustellen, als es in den 16 Grundsätzen des Städtebaus zu finden ist (Flierl). Ich möchte einfach noch hinzufügen, daß gewisse Elemente der DDR-Stadtzentrumsgestaltung von einem außenstehenden Betrachter als ein Anklang an totalitäre Gestaltungsmuster empfunden werden könnten: überdimensionale Plätze und Gebäude, Aufmarschplätze und Magistralen, beherrschende Standbilder, die Umbenennung von Straßen und Plätzen, die Ostentation. Solche Merkmale kennzeichnen immer Stärke, Macht und Herrschaft; es sind Aspekte einer Staatsmacht, die ihre Dominanz direkt durch den politisch-ideologischen Inhalt der Stadtgestalt bedient sehen will. Diese Erscheinungen wurden durch ökonomische Faktoren möglich, insbesondere durch das Fehlen privaten Eigentums, das die Staatsmacht hätte einschränken können. Sie wurden jedoch in keiner Weise vom Wirtschaftssystem benötigt oder gefordert. Oftmals richteten sich die Kosten dafür und deren Ineffektivität gegen die inneren ökonomischen Interessen des Systems, so daß man sich gewiß einen demokratischen politischen Entschei278
dungsmechanismus vorstellen könnte, der ganz andere Pläne und Gestaltungskonzepte befördert hätte. Der Umgang mit Geschichte bezeugt eine gewisse ideologische Richtungslosigkeit. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren setzte man auf eine Rückbesinnung bezüglich deutscher nationaler Formen, um die von der Sowjetunion unterstützte Parteiherrschaft zu ergänzen. Zehn Jahre später wurde die Vergangenheit als ein Erbe des Kapitalismus und des Feudalismus verstanden, das durch den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung überwunden werden mußte. Die Beseitigung des Alten (wie z.B. des Stadtschlosses in Berlin) war eine Vorbedingung für das Protzen mit dem Neuen. Übernationale Tendenzen zur Erzielung kurzzeitiger Effekte bei der Stadtzentrumgestaltung spielten bei der Durchsetzung dieser Haltung eine Rolle. Dann kam es langsam zu einer Aufwertung des Historischen, wobei die Konservierung historischer Objekte zunehmende Aufmerksamkeit erfuhr. Die Kosten für die Beräumung und die Abneigung großer Teile des Volkes gegenüber vielem des anonymen Neuen sowie der Wunsch nach Verbundensein mit der Geschichte spielten bei der Wende eine ebenso große Rolle wie die Veränderungen in den ideologischen Überzeugungen. Ein für die innerstädtische Entwicklung günstiger Aspekt ergab sich direkt aus dem Wirtschaftssystem und weniger aus politischen Entscheidungen: die Vermeidung der Kommerzialisierung, die Bestimmung der Zwecke durch Kriterien, die nicht solche des Profits waren. Es gab auch keine Theorie vom höchsten und besten Nutzen, wie in den typischen westlichen Städten, in der der höchste Nutzen höchstmöglichem Profit gleichgesetzt wurde. Während Lebendigkeit, Farbe und Lichterglanz, die für die kommerziellen Stadtzentren typisch sind, nicht durch gleichwertige kulturelle, soziale und kommunikative Anziehungspunkte ersetzt wurden, so bleibt wenigstens die Ausprägung solcher Qualitäten als künftige Möglichkeit offen. Mangel und nicht ein fehlender Wille wurden als Erklärung für die Unzulänglichkeit angeführt, aber diese Erklärung ist nicht ausreichend. Ein kommunikatives Stadtzentrum hat auch eine politische Bedeutung: Die Art öffentlicher Diskussionen, die man in letzter Zeit überall auf den Straßen hörte, wären unter der alten Staatsmacht nicht toleriert worden. Mangel ist eine Erklärung für das unvollendete Antlitz, das auch viele Städte der ehemaligen DDR kennzeichnet. Die fehlende Demokratie erklärt das Nichtvorhandensein kommunikativer Einrichtungen und die Abneigung gegen Spontanität und vielgestaltige, individuelle und populäre Beschäftigungsvarianten. Wo die politische Kommunikation nicht erwünscht ist, werden Städte, die Kommunikation fördern wollen, nicht unterstützt. Würde das politische System aber den Willen solcher Kommunikation haben, würde das ökonomische System stimulierend wirken. Eine zusammenfassende Bewertung der Stadtplanung würde beinhalten, daß in der DDR ein ökonomisches System entfaltet wurde, das einige negative Aspekte der älteren, privat-marktwirtschaftlichen Entwicklung der Städte erfolgreich verhindert hat, aber daß das verkümmerte politische System die Entwick279
lung eines alternativen, positiven stadtpolitischen Konzeptes, das in der Lage gewesen wäre, das alte zu ersetzen, nicht erlaubt hat. 7. Eine enge und bewußt gestaltete Verbindung zwischen Stadtentwicklungspolitik und Industriepolitik hat es in der DDR immer gegeben, auch wenn sie ihre Richtung etwa 1970 grundlegend geändert hat. Zuvor, hauptsächlich unter Ulbricht und anfänglich von der Sowjetunion gefördert, bestand das dominierende Ziel des Landes in der Erhöhung der Produktion. Die Städteplanung diente diesem Ziel: Wohnungen wurden dort gebaut, wo Betriebe sie am dringlichsten für ihre Arbeiter benötigen. Orte, die einen industriellen Schwerpunkt darstellten, wurden stark gefördert; neue Städte entstanden im Zusammenhang mit den neuen Fabriken. Eisenhüttenstadt entstand, um die Stahlproduktion an diesem Ort zu etablieren. Die Gestaltung von Lebensbedingungen der dortigen Bewohner und der dorthin ziehenden Menschen war eine Folgeerscheinung. Halle-Neustadt wurde für die Arbeiter der Chemischen Industrie gebaut (Hunger). In der Wohnungspolitik bekamen wichtige industrielle Betriebe Vorrang bei der Vergabe von Wohnungen. Arbeiter anderer Betriebe mußten sich um kommunale Wohnungen bemühen. In gewisser Weise widerspiegelt diese Politik grundlegende ideologische Werte, die auch die ökonomischen Beziehungen bestimmten: die Priorität der Arbeit bei der Gestaltung sowohl des privaten Lebens als auch der gesellschaftlichen Aktivitäten. Unter dem Druck der internationalen und nationalen politischen Entwicklung Ende der 60er Jahre gab die Honecker-Regierung dem Wohnungsbau den Vorrang. (Wohnungsbau statt Städtebau; Hunger.) In diesem Sinne betrachtet Staufenbiel das einseitige Wohnungsbauprogramm von 1973 zwar als sehr wichtig für die gesamte „sozialistische" Gesellschaft, aber auch als stadtentwicklungspolitischen Fehler. In gleicher Weise war es auch ein ökonomischer Fehler, da zu viele Ressourcen von dort, wo sie gebraucht wurden, abgezogen wurden; und zwar aus der Industrie, von wo aus sie in den gesteigerten Wohnungsbau gepumpt wurden, allein aus politischen Erwägungen, um eine gefährdete Staatsmacht polstern zu helfen. Der Versuch, Städteplanung, Wohnungsbau und Industriepolitik zu verbinden, war gewiß ein fruchtbringendes Unterfangen, jedoch erlaubten die politischen Prioritäten nie eine konstruktive Verknüpfung dieser Möglichkeiten. 8. Soziale Gleichheit, umfassende soziale Leistungen und Solidarität als Handlungsziele waren in vieler Hinsicht typisch für die Städtepolitik. Die Ziele selbst waren nicht revolutionär, aber deren Umsetzung. Soziale Gleichheit in der Wohnungslenkungspolitik ist bereits erwähnt worden. Dasselbe Ziel galt auch für den Versuch, kulturelle Einrichtungen, Versorgung, Erholungsmöglichkeiten und allgemeine soziale Leistungen so zu verteilen, damit in allen Teilen der Stadt ein annähernd gleiches Niveau geschaffen werden sollte. Größere Zentren hatten natürlich ein breiteres Angebot als kleinere, aber Uniformität und Ganzheitlichkeit der angebotenen Leistungen waren insgesamt stark ausgeprägt. In wirtschaftlicher Hinsicht leiteten sich solche Ziele aus dem Fehlen von 280
Privateigentum, der privaten Akkumulation und dem Fehlen der ökonomisch begründeten großen Unterschiede hinsichtlich des Wohlstandes ab. Das hatte auch seine negativen Aspekte: Gleichmacherei als Beseitigung der Motivation, als eine fiktive Gleichheit vor dem Hintergrund realer Unterschiede im Zugang zur Macht (Hunger). In politischer Hinsicht ließ das viel öfter Gleichheit in bezug auf die Machtlosigkeit hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis entstehen. Ökonomische Gleichheit führt nicht notwendigerweise zu Entindividualisierung. Das bewirken nur die Annehmlichkeiten der Macht (und ein gediegen Maß an Blindheit). Solidarität kann in der Familie, bei der Arbeit, in einer Gemeinschaft, in der Gesellschaft entstehen; sie kann erzeugt werden oder freiwillig wachsen, kann informell oder institutionalisiert sein. In der D D R durchzog sie gewiß in der Theorie und manchmal auch in der Praxis die ganze Gesellschaft. Sie war nicht erzwungen, jedoch stark institutionalisiert in einer Struktur von Organisationen, die in der Nationalen Front zusammengefaßt waren. Der Wunsch zu helfen und mitzuarbeiten, der in der DDR in der Tat gut entwickelt war und eines der positiven Elemente des politischen Systems verkörperte, wurde durch die institutionalisierte Integration in eine hierarchische Gesellschaftsstruktur manipuliert. Solidarität trägt zum physischen Wohlbefinden bei, nicht aber zu einem Leben in Demokratie. 9. Die allgegenwärtige öffentliche Ideologie und ihr Ersatz für Heimischfühlen als Basis der Gemeinsamkeit, für die Überwindung von Gefühlen der Entfremdung, die als ein Kennzeichen des Kapitalismus angesehen wurde. Ein Ergebnis war die Verdrängung von Elementen der kommunalen Geschichte, die als widersprüchlich zu der dominanten Ideologie gesehen wurde: Überschreitung der Höhe von Kirchen durch Hochhaus-Dominanten, was Bruno Flierl „Architektur im Klassenkampf" genannt hat. Der Verlust an Identität mit der räumlichen Geschichte, mit räumlichen Wurzeln in den meisten Großstädten, der aus dem „Klassenkampf" entstand, war ein entfremdetes Resultat im städtischen Leben. Dem politischen System ist es trotz seiner ausgesprochenen Ziele weder gelungen sich in der jeweiligen Eigentümlichkeit ihrer Städte zu etablieren, noch seine Legitimation aus der Geschichte dieser Städte zu gewinnen. Gedenktafeln, die zeigen, wo Rosa Luxemburg lebte oder die Bewahrung des Fassaden teils des ehemaligen Stadtschlosses von Berlin und des Balkons, von dem Karl Liebknecht die erste sozialistische deutsche Republik ausgerufen hatte oder Standbilder von sowjetischen Führern oder von deutschen Arbeitern waren kein Ersatz für die fehlende Verwurzelung des Heimischfühlens in der neuen Gesellschaft. Der starke Druck zur Konformität mit einer staatlich geforderten Reihe von Werten und Benehmensvorstellungen hatte ziemlich widersprüchliche Ergebnisse zur Folge: Privatisierung von Verhaltensweisen, Rückzug aus öffentlicher Beteiligung, mithin genau das Umgekehrte von der gewünschten Solidarität. Damit Solidarität blühen kann, müssen ihre Wurzeln tief und gut ernährt werden. 281
Aber weder Wohnungen noch Stadtteilplanungen haben zu tiefen Gefühlen des Heimisch-Seins geführt (Staufenbiel). Die Uniformität der Neubaugebiete und die Vernachlässigung von Altbauquartieren haben das Einheimischfühlen geschwächt. Der Druck zur Mitgliedschaft in den überall vorhandenen Organisationen und Institutionen, z.B. für Frauen, Jugendliche, Sportlerinnen usw., deren Absicht es war, Menschen unterschiedlicher oder ähnlicher sozio-demographischer Gruppen kommunikativ zusammenzubringen und in das Gesellschaftsleben einzubeziehen, hatte oft das Gegenteil zum Ergebnis. Das hat u.a. auch zu den Bevölkerungsauswanderungen geführt, wie sie immer dann stattfanden, sobald die Grenzen überschreitbar wurden (Kahl). Die Erfolge hinsichtlich Wohnen und Stadtentwicklung erwuchsen aus einigen der ökonomischen Merkmale der DDR (insbesondere der Ablehnung der privaten Akkumulation als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, die staatliche Kontrolle der Stadtentwicklung und Unterbindung der Spekulation), ihre Mißerfolge erwuchsen aus ihrem politischen System und bestimmten Aspekten ihrer Wirtschaftsstruktur (insbesondere aus ihren undemokratischen Formen der politischen Organisation und dem Ausschluß jeder Form von Markt). Erfolg und Mißerfolg wurden hier daran gemessen, wie gut die Stadt und ihre Wohnungen den Interessen ihrer Bewohner und Nutzer dienten. Die Bilanz ist also widersprüchlich: vieles gibt es, was hinweggefegt werden wird und sollte, aber es gibt auch viel, das bewahrenswert ist, um deren Erhalt man sich bemühen muß und das eventuell noch zu verbessern wäre. Um die Ursachen und politischen Implikationen all dessen in zwei Sätzen zu nennen: Das die Städtepolitik begründende politische System erforderte seit langem grundlegende Veränderungen. Das ökonomische System mit seinen entsprechenden Rechten auf Eigentum und Nutzung hat auch viel Bewahrenswertes erzeugt, hatte aber zwei große Schwächen, nämlich die mangelnde Motivierung zur Effektivität und ungenügende Aus Wahlmöglichkeiten. Erforderlich ist jetzt also sowohl die parlamentarische Demokratie als auch die partizipative Selbstbestimmung und die Einführung eines sozialen, aber nicht unbedingt privaten Marktes für die humanistische Gestaltung der Wohnbedingungen und in der permanenten Stadterneuerung als gesellschaftlichem Prozeß.
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. phil. Dr. jur. Peter Marcuse Columbia Universität New York Fachbereich Architektur, Stadtplanung und Denkmalschutz 100 25 New York USA Prof. Dr. phil. Fred Staufenbiel Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar Fakultät Raumplanung Lehrstuhl Stadtsoziologie Coudraystraße 13 0-5300 Weimar Dr.-Ing. Dr. phil. sc. Bernd Hunger Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumplanung Außenstelle Berlin Scharrenstraße 2/3 0-1020 Berlin Dr.-Ing. Dr. phil. sc. Bruno Flierl Architekt und Kunstwissenschaftler Thulestraße 25 0-1100 Berlin Prof. Dr. phil. sc. Alice Kahl Semmelweißstr. 3/109 0-7010 Leipzig Dr.-Ing. Harald Kegler Bauhaus Dessau Thälmannallee 38 0-4500 Dessau 283
Dipl.-Ing.Martin Stein Bauhaus Dessau Thälmannallee 38 0-4500 Dessau Dr. habil. Harald Bodenschatz Technische Universität Berlin Fachbereich 2 Gesellschafts- und Planungswissenschaften Institut für Soziologie/Planungs- und Architektursoziologie Dovestraße 1 W-1000 Berlin 10 Prof. Dr. Klaus Brake Universität Oldenburg Fachbereich 3 Raumplanung Ammerländer Heerstraße 114-118 W-2900 Oldenburg Prof. Dr sc. Siegfried Grundmann Berliner Institut für Sozialwissenschaftliche Studien GmbH (BISS) Charlottenstraße 52 0-1080 Berlin Prof. Dr. Hartmut Häußermann Universität Bremen Fachbereich Stadt- und Regionalforschung W-2800 Bremen 33 Dipl.-Soz. Andreas Schubert Büro für Stadtentwicklung Rostock Rosa-Luxemburg-Straße 19 0-2500 Rostock 1 Dr. oec. Wolfgang Schumann Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Sozialwissenschaften Wissenschaftsbereich Stadtsoziologie Hans-Loch-Straße 349 0-1136 Berlin 284
Prof. Dr. Ulfert Herlyn Institut für Freiraumentwicklung und planungsbezogene Soziologie Fachbereich Landschaftspflege Universität Hannover Herrenhäuser Straße 2 W-3000 Hannover 21 Dr. Stefan Krätke Hochschule der Künste Berlin Fachbereich Architektur Forschungsschwerpunkt Stadterneuerung Hardenbergstraße 33 W-1000 Berlin 12 Dr. Max Welsh Guerra Technische Universität Berlin Fachbereich 2 Gesellschafts- und Planungswissenschaften Institut für Stadt- und Regionalplanung Dovestraße 1 W-1000 Berlin 10 Prof. Dr. oec. Klaus Lüders Sozialwissenschaftler Leipziger Straße 48 0-1080 Berlin Dr. jur. Helmut Melzer Jurist Nerudaweg 9 0-1634 Rangsdorf Prof. Dr. jur. Hellmut Wollmann Freie Universität Berlin Fachbereich Verwaltungswissenschaften Sarrazinstraße 11-15 W-1000 Berlin 41 Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH Berlin Lützowstraße 93 W-1000 Berlin 30 285
Prof. Dr. jur. sc. Siegfried Lassak Technische Hochschule Leipzig Fachbereich Betriebswirtschaft Liebknechtstraße 132 0-7022 Leipzig Prof. Dr.-Ing. Heinz Schwarzbach Technische Universität Dresden Sektion Architektur Lehrstuhl Städtebau Mommsenstraße 13 0-8027 Dresden
Namenverzeichnis
Adamy, W. 236 Ahlers, E. 137,140 Autzen, R. 95,102,178,179,184, 195 Bach, J. S. 67 Baethge, M. 111 Bade, E J. HO Baeseler, H. 11 Bahrdt, H. P. 175,184 Banner, G. 232 Barth, U. 195 Barthel, H. 157 Baumhöfer, A. 137,140 Becher, B. 235,237 Becker, H. 88,95,107,178,179, 184,195 Berger, J. 185 Berger-Schmitt, R. 184 Bismarck, Otto von 226 Blanke, B. 236,239 Bodenschatz, H. 90,96,97,101, 107,273 Böhme, S. 28 Bolz, L. 51 Borst, R. 195 Bourdieu, P. 177 Brake, K. 108,112,113,114,115 Brand, K. 11,17 Brandt, W. 174 Breckner, I. 114 Castells, M. 114,115 Coing, H. 177,184 Dangschat, J. S. 182,184 Diewald, M. 177,184 Dorbritz, J. 24 Droth, W. 182,184 Durth, W. 47
Engels, E 80 Evers, A. 239 Eyferth, H. 226,228,229,233,235 Fehl, E 176 Feix, P. 11 Fischer, L. 82 Flierl, B. 49,160,278,281 Frank, R. 209 Fried, M. 173,176,184 Friedrichs, J. 110,112,138,140, 184 Ganser, K. 184 Geißler, W. 78 Gibbens, O. 107 Glasauer, H. 196,200 Glatzer, W. 184 Glaubitz, J. 137,140 Göderitz, J. 82 Gottert, E 157,158 Grabow, B. 109 Grauhan, R. R. 232 Greiner, S. 78 Grieger, P. 235 Gropius, W. 82 Grüber, W. 195 Grundmann, S. 12,117,119,158 Grunow, D. 233 Gustafsson, K. 197,200 Hardenberg, K. A. von 116 Häußermann, H. 111,134,140, 182,184 Heclo, H. 234 Hegner, E 233,239 Heinelt, H. 236,239 Heinze, R. G. 226 Heise, V 96 Henckel, D. 109 Henselmann, H. 11
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Herlyn, U. 172,176,177,182,184, 185 Hillebrecht, R. 89 Hoffmann, H. 82,83 Homilius, S. 78 Honecker, E. 54,55,160,201,202 Hopfinger, H. 138,140 Hoquel, W. 66 Hottelet, H. 226,236,237 Hunger, H. 11,12,28,32,35,26, 269,275,280,281 Huster, E. U. 235 Ipsen,D.
196,200
Jabukowski, A. 235 Jaedicke, W. 225,226,228,229, 230,231,236,238 Jessen, J. 176,185 Jordan, E. 229 Junker, W. 56 Junkers, H. 84,86 Kahl, A. 12,66,72,273,282 Karrenberg, H. 231,234 Kaufmann, E X. 229,233,235 Kegler, H. 79 Kießig, H. 11 King, A. 234 Klanberg, E 227 Knemeyer, E-L. 215 Kohli, M. 182,185 Korfmacher, J. 96 Korte, H. 176,185 Krätke, S. 186,195,273 Kreft, D. 226,227,229,232,237 Krüger, I. 225,230 Kühn, D. 230,237 Kuhn, R. 11,19 Kujath, H. J. 178,181,185 Läpple, D. 109,110,112 Lassak, S. 241 Leibfried, S. 235,236 Liebknecht, K. 281 Lowry, I. S. 196,200 Lücke, P. 89 Lüders, K. 201,205,225,269 Luxemburg, R. 281 Maas, U. 229,234 Macke, C.-W. 236
288
Mäding, H. 234 Mahrzahn, C. 229,230 Maier, H. E. 239 Marcuse, P. 9,108,157,266 Marx, K. 266 Meinel, K. 19 Melzer, H. 205,211,212,222,225, 269 Meyer, H. 83 Mielenz, I. 226,227,229,232,237 Migge, L. 82 Mittag, G. 202,204 Moulaert, E 112 Müller, S. 230 Müller, W.C. 229 Münder, J. 228 Münstermann, E. 231,234 Naegele, G. 236 Oberbeck, H. 111 Oebbecke, J. B. 216 Olk, Th. 226,230 Orwell, G. 204 Osterland, M. 184 Otto, H.-U. 226,230 Pankoke, E. 225,230 Perikles 250 Pesch, E 96,181,185 Priewe, J. 137,140 Prinz, A. 227 Rainer, R. 82 Ratcliff, R. U. 196,200 Renn, U. 235 Riedel, S. 78 Rietdorf, W 185 Ruhland, K. 225 Sassen-Koob, S. 113 Schäfer, R. 95 Schäfers, B. 175,185 Scheumann, W. 157 Schilling, R. 107 Schilling, W. 119 Schink 216 Schlemmermeyer, B. 195 Schmidt, E. 95 Schmidt, E . H . 233 Schmidt, H. 16,18 Schmidt-Jortzig 216
Schmoll, E 195 Scholz, C. 64 Schubert, A. 141,153,278 Schulte, B. 236 Schulz zur Wiesch, J. 179,184 Schumann, W. 274 Schwantes, W. 180,185 Schwarzbach, H. 250 Schwinge, W 180,185 Seile, K. 96,178,179,185 Siebel, W 42,111,140,176,182, 184,185 Sommer, I. 11 Speigner, W. 23,24 Staufenbiel, E 9,11,12,15,19, 21,35,151,184,185,269,273, 280,282 Stein, H. E K. vom und zum 116 Stein M. 79 Stober, R. 215,216 Sund, O. 239 Swyngedouw, E. 112 Tfcut, B. 79,81 Tennstedt, E 235,236 Tessin, W. 176,177,185 Thränhardt, D. 227 Tiersch, H. 226 Tollkühn, H. 11
Trenk-Hinterberger, P. 232,236 Trölitzsch, G. 56 Hicholsky, K. 12,13
227,228,
Ude, C. 114 Ulbrich, R. 198,200 Ulbricht, W. 54,280 Uppendahl, H. 227 Vohlwahsen, A. 180,185 Voigt, P. 12 Von der Haar, E. 237 Wachendorfer, U. 225 Wagner, G. 233,234 Weiske, C. 12,35 Welsh Guerra, M. 196,198,200 Westphal, H. 196,200 Wilson, P. 112 Windhoff-Hiritier, A. 234 Winkler, G. 209 Winter, G. 195 Wollmann, H. 225,237,239 Wonneberg, H. 225 Zeitschel, W 69 Zlonicky 172
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FRITZ BEHRENS
Abschied von der sozialen Utopie 1991. ca. 300 Seiten — 12 x 19 cm Broschur ca. 48,- DM ISBN 3-05-001142-4 Best.-Nr. 9357
Fritz Behrens, einer der bekanntesten Ökonomen der DDR, verstarb im Juli 1980.20 Jahre lang durfte er zu den aktuellen gesellschaftswissenschaftlichen Problemen nicht publizieren. 1957 wurde er gemaßregelt, weil er bereits damals Wertgesetz und Warenproduktion als zentrale ökonomische Kategorien ansah und die Schwächen der zentralistischen Planwirtschaft erkannte. In der vorliegenden Arbeit, an der der Autor in seinem letzten Lebensjahrzehnt arbeitete, rechnet er mit den geistigen Grundlagen des stalinistischen Denkens ab. Behrens kennzeichnet den Glauben an eine herrschaftsfreie Gesellschaft nicht als utopisches sondern illusionäres Denken. Die Versuche, dieses Denken gesellschaftlich zu verwirklichen, haben zu einer despotischen Gewalt geführt, die als Macht des Volkes getarnt und durch Lüge und Heuchelei ideologisch verbrämt wurde. Mit dieser Publikation wird nicht nur der Autor rehabilitiert, sondern auch ein Beitrag zur Analyse und Kritik des "realexistierenden" Sozialismus geleistet.
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HANS-PETER KRÜGER
Kritik der kommunikativen Vernunft Kommunikationsorientierte Wissenschaftsforschung im Streit mit Sohn-Rethel, Toulmin und Habermas (Wissenschaft und Gesellschaft) 1990. 530 Seiten — 2 Abbildungen 14,5 x 21,5 cm — 48,- DM ISBN 3-05-000793-1 Best.-Nr. 2162/27
H.-P. Krüger gehört zur jüngeren Generation kritischer Philosophen in der ehemaligen DDR, die in Auseinandersetzung mit dem staats- und parteibürokratischen Sozialismus in den 80er Jahren die Konzeption für eine radikale und ökologisch orientierte Demokratisierung entwikkelten. Realismus und Potenzen einer solchen Perspektive, die sich aus der immanenten Kritik der modernen bürgerlichen Gesellschaft ergibt, begründet der Autor von den Erkenntnissen interdisziplinärer Kommunikationsforschung her.
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