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German Pages [176] Year 2020
Wissenschaft Bildung Politik Herausgegeben von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft
Band 23
Wissenschaft und Aberglaube
Wissenschaft Bildung Politik
Herausgegeben von der
Österreichischen Forschungsgemeinschaft Band 23
Wissenschaft und Aberglaube
Herausgegeben von
Reinhard Neck Christiane Spiel
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch:
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Redaktion: Katharina Koch-Trappel, Wien Satz und Layout: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21196-9
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wissenschaft und Pseudowissenschaft Martin Mahner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Die Entwicklung der Wissenschaften im Lichte ihrer Öffentlichkeiten Martina Merz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Moderner Aberglaube und seine biologischen Wurzeln Peter Brugger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 The Psychology of Superstition Stuart A. Vyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Esoterik und Religion Franz Winter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Homeopathy Edzard Ernst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Die Wissenschaft und ihre Grenzen Florian Aigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Wahr oder falsch? Ulrich Berger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
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Inhalt
Verstehen, Vertrauen und die Verständlichkeit der Wissenschaft Rainer Bromme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Deutlich werden Eva Horn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Vorwort I lass’ mir mein’ Aberglaub’n Durch ka Aufklärung raub’n, ’s is jetzt schön überhaupt, Wenn m’r an etwas noch glaubt.
Mit diesem Couplettext charakterisierte Johann Nestroy 1849 den beharrlichen Glauben an Irrationales. Heutige politische Debatten, Artikel in viel gelesenen Zeitungen und Äußerungen von Personen des öffentlichen Lebens lassen diesen Text als sehr aktuell erscheinen. Diverse abergläubische Äußerungen, die sich ganz bewusst gegen wissenschaftlich anerkannte Einsichten stellen, finden vielfach Gehör und dienen populistischen Politikern zur Rechtfertigung weitreichender Maßnahmen. In der „Wiener Erklärung“ wandten sich zehn europäische Rektorenkonferenzen gegen diese Tendenzen und bekräftigten ihre Verpflichtung auf die Grundsätze der Aufklärung und des wissenschaftlichen Diskurses auch bei politischen Entscheidungen. Auf dem Österreichischen Wissenschaftstag 2019 widmete sich die Österreichische Forschungsgemeinschaft dem Thema des Aberglaubens und setzte sich mit der damit verbundenen Wissenschaftsfeindlichkeit in interdisziplinärer Weise auseinander. Der vorliegende Band beinhaltet die schriftlichen Fassungen fast aller Beiträge. Die Frage, wie sich Wissenschaft und Pseudowissenschaft unterscheiden, das sogenannte Abgrenzungsproblem, ist in der zeitgenössischen Wissenschaftsphilosophie aus der Mode gekommen, und es wird sogar bestritten, dass eine solche Abgrenzung überhaupt sinnvoll ist. Für diese Skepsis ist hauptsächlich das Scheitern herkömmlicher Abgrenzungsversuche verantwortlich. Der Beitrag von Martin Mahner beleuchtet einige der Probleme, die zu diesem Scheitern geführt haben. Angesichts der gesellschaftlichen Relevanz von Pseudowissenschaften (im weiteren Sinn) besteht jedoch sehr wohl der Bedarf, s olche „Unternehmungen“ von wissenschaftlichen zu unterscheiden. Der Beitrag zeigt auf, wie dies trotz des Scheiterns herkömmlicher Ansätze gelingen kann. Während Mahner das Verhältnis von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft aus der Sicht der Wissenschaftstheorie beleuchtet, behandelt Martina Merz das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit in historischer und
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Vorwort
s ozialwissenschaftlicher Perspektive. Sie zeigt anhand von vier Beispielen aus der Geschichte der Physik, dass das Verhältnis der sozialen Subsysteme Wissenschaft und Öffentlichkeit in verschiedenen historischen Epochen sehr unterschiedlich war, wobei dies auch Implikationen sowohl für die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wurde, wie für das, was als Öffentlichkeit anzusehen war, hatte. Dass d ieses Spannungsverhältnis auch gegenwärtig relevant ist, wird anhand der sogenannten 750-GeV-Episode illustriert. Anhand von Beispielen aus der Verhaltensforschung weist Peter Brugger auf die Zusammenhänge von Aberglauben und Überleben hin. Abergläubisch Denkende sehen in zufälligen Ereignissen eine Bedeutung in der Form einer Wiederholung des Ereignisses, einer Idee oder einer Assoziation. Experimente mit Studierenden zeigen, dass Menschen, die scheinbar mehr „bedeutungsvolle Zufälle“ erleben, beim Produzieren von Zufallszahlen stärker vermeiden, die gleiche Zahl zwei- oder mehrmals hintereinander zu nennen. Interessanter weise zeigen Tiere ebenfalls eine solche Wiederholungsvermeidung bei der „zufälligen“ Entscheidung zwischen Alternativen. Evolutionsbiologisch macht es in einer gefahrenreichen Umwelt Sinn, lieber manchmal zu viel zu sehen als einmal zu wenig. Der Preis für diese Strategie ist, dass Mensch und Tier zum „Aberglauben“ neigen, zum Sehen von Bedeutung in Zufallskonstellationen oder zufälligen Paarungen von Handlung und Geschehen. Der Beitrag von Stuart A. Vyse stellt dar, wie Aberglauben entsteht und aufrechterhalten wird. Sozialisation, die Demografie von Aberglauben, die psychologischen Profile der dem magischen Denken besonders anheimfallenden Personen und die Erkenntnisverzerrungen, die zum Bestehen irrationaler Glaubenssysteme beitragen, werden in dem Kapitel dargestellt. Nach Vyse ist Aberglaube nach wie vor weltweit in vielen hoch entwickelten Ländern stark vorhanden und scheint sogar eine zunehmende Präsenz in der Welt der kommerziellen Märkte zu gewinnen. Vyse bewertet auch die potenziellen Kosten und Nutzen abergläubischen Verhaltens und analysiert den Aberglauben und seine Ursachen in einer Epoche, in der fachliches Wissen zunehmend angegriffen, Erkenntnisse für subjektiv erklärt und Fakten weitgehend geleugnet werden. Franz Winter bietet in seinem Beitrag einen Überblick über den aktuellen Forschungsdiskurs zum Thema Esoterik und Religion und stellt die Frage nach der Definition und der Wertung der esoterischen Tradition. Die beiden Begriffe wurden lange Zeit als Gegensatzpaar verstanden und werden erst in der neueren Forschungsliteratur aufgrund einer Neuorientierung der Religionswissenschaft und ihrer Emanzipation von der lange Zeit dominierenden Theologie stärker aufeinander bezogen. Die „westliche“ (euro-amerikanische)
Vorwort
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esoterische Tradition wurde zu einem bedeutenden Feld der Forschung, die die Wichtigkeit dieser Strömung für die europäische, aber auch eine globale Religionsgeschichte herausarbeitet. Homöopathie ist ein therapeutisches Verfahren, das sich auf die Gabe von Substanzen stützt, die an gesunden Menschen ähnliche Symptome hervorrufen wie jene, an denen der Kranke leidet. Sie beruht auf der Annahme von Samuel Hahnemann, dass Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen sei („Similia similibus curantur“). Edzard Ernst zeigt in seinem Beitrag, dass Homöopathie sowohl einer biologischen Plausibilität wie auch eines schlüssigen Wirksamkeitsnachweises entbehrt. Auch die weitverbreitete Annahme, dass die Homöopathie weitgehend ungefährlich sei, ist unrichtig. Ernst erklärt diese Tatsachen, Widersprüche und Umstände und stellt sie in einen breiteren Kontext. Auf dem Wissenschaftstag wurden abschließend in einer Podiumsdiskussion die Grenzen der Wissenschaft aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Mit den Impulsreferaten der dazu eingeladenen Diskutantinnen und Diskutanten schließt dieser Tagungsband. Der Physiker und Wissenschaftspublizist Florian Aigner hebt besonders die Wechselwirkungen von Wissenschaft und Gesellschaft und die Art und Weise, wie die beiden Bereiche einander benötigen, hervor. Ulrich Berger, Präsident der Gesellschaft für kritisches Denken (der „Wiener Skeptiker“), zeigt an zahlreichen Beispielen, dass es – entgegen häufig geäußerten Vorurteilen – durchaus möglich ist, durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Urteile zu heftig umstrittenen Fragen zu gewinnen. Dass Verständlichkeit und Vertrauensbildung wissenschaftlicher Vermittlung zur Überwindung von Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung erforderlich sind, betont Rainer Bromme. Laut Eva Horn führt d ieses Erfordernis zu der Forderung nach interdisziplinärer Zusammenarbeit und nach deutlicheren Kommunikationsformen als bisher. Wir danken den Referentinnen und Referenten für ihre mündlichen und schriftlichen Beiträge und den Mitarbeiterinnen der Österreichischen Forschungs gemeinschaft für die engagierte und umsichtige Betreuung des Wissenschaftstags und des Buchprojekts.
Reinhard Neck Christiane Spiel
Wissenschaft und Pseudowissenschaft Das Abgrenzungsproblem Martin Mahner
Halten wir eine aufgeklärte Gesellschaft für wünschenswert, in der nicht nur Politiker, sondern auch normale Bürger Entscheidungen möglichst auf der Grundlage fundierter Informationen bzw. belegter Annahmen treffen statt auf der Basis von persönlichem oder ideologisch motiviertem Wunschdenken, kommen wir um die Unterscheidung von Wissenschaft 1 und Pseudowissenschaft nicht herum. Wir müssen entscheiden, w elche Fächer an Schulen und Universitäten gelehrt und welche Forschungen gefördert werden sollen, und wir brauchen Richtlinien, wofür Steuergelder ausgegeben werden. Warum ist Astronomie ein seriöses Fach, Astrologie hingegen nicht? Sollen gesetzliche Krankenkassen nur Therapien mit empirisch belegter Wirksamkeit bezahlen oder auch magische Behandlungen wie Homöopathie oder Aura-Chirurgie? Ist es verantwortbar, Lawinenopfer von Wünschelrutengängern oder vermisste Kinder von Hellsehern suchen zu lassen? Warum lassen wir vor Gericht keine spirituellen Medien zu, die per Kartenlesen, I-Ging oder Geisterbeschwörung Schuld oder Unschuld von Angeklagten ermitteln? In vielen solchen Fragen wenden wir – teilweise korrekt, teilweise aber auch noch nicht völlig konsequent – die Unterscheidung von wissenschaftlicher Erkenntnis und illusionärem Denken an. Doch anhand welcher Kriterien führen wir diese Unterscheidung durch?
1 Hier sei unter „Wissenschaft“ das verstanden, was im Englischen als „science“ bezeichnet wird, also die Realwissenschaften wie die Naturwissenschaften, die empirische Psychologie und die empirischen Sozialwissenschaften. Somit bleiben die Formalwissenschaften (Logik und Mathematik) sowie die Geistes- und Kulturwissenschaften (im Englischen: humanities) unberücksichtigt. Es ist jedoch durchaus möglich, dass einige der in diesem Beitrag diskutierten Kriterien von Wissenschaftlichkeit auch auf die Geisteswissenschaften übertragen werden können. Daher seien einige gelegentliche Grenzüberschreitungen gewagt.
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Die Kritik an der Abgrenzung von Wissenschaft und Pseudowissenschaft Zunächst würden wir erwarten, dass uns die Wissenschaftsphilosophie für eine Antwort auf diese Frage hilfreich zur Seite steht. Dies tut sie jedoch nur bedingt, denn das sogenannte Abgrenzungs- oder Demarkationsproblem ist dort bereits seit mehreren Jahrzehnten aus der Mode gekommen. Nur eine kleine Minderheit von Wissenschaftsphilosophen – vor allem solche, die aus verschiedenen Gründen immer wieder mit Pseudowissenschaften konfrontiert sind – beschäftigt sich noch damit. Die Ablehnung des Abgrenzungsproblems geht teilweise sogar so weit, dass Demarkationisten implizit eine Form des wissenschaftstheoretischen Populismus unterstellt wird. So schreibt etwa der Medizinhistoriker und Wissenschaftsforscher Michael Hagner 2: …Pseudowissenschaft [ist] ein politischer Kampfbegriff, der die Vertrauenswürdigkeit einer bestimmten Lehre und derer, die sie vertreten, in Misskredit bringen soll, um dagegen eine wie auch immer definierte Reinheit, Unabhängigkeit und Nicht-Kontaminierbarkeit der Wissenschaften zu behaupten. (S. 22) … Der Begriff sagt mehr über diejenigen aus, die ihn benutzen, als über diejenigen, auf die er angewendet wird (S. 26).
Das Infragestellen der grundsätzlichen Legitimität von Demarkation geht auf einen sehr einflussreichen Beitrag des amerikanischen Wissenschaftstheoretikers Larry Laudan zurück, der bereits Anfang der 1980er-Jahre schrieb 3: Was macht eine Annahme wohlbegründet? Und was macht eine Annahme wissenschaftlich? Die erste Frage ist philosophisch interessant, die zweite Frage ist nicht nur uninteressant, sondern angesichts ihrer kontroversen Vergangenheit unlösbar. […] Aufrichtiger- und vernünftigerweise sollten wir Wörter wie ‚pseudowissenschaftlich‘ und ‚unwissenschaftlich‘ aus unserem Vokabular streichen; sie sind lediglich leere Phrasen, die nur der Stimmungsmache dienen. (S. 125, meine Übersetzung) 2 M. Hagner, Bye-bye science, welcome pseudoscience? Reflexionen über einen beschädigten S tatus. In: D. Rupnow et al. (Hg.), Pseudowissenschaften, Frankfurt 2008, 21 – 50. Es sei hier nicht bestritten, dass das Etikett „Pseudowissenschaft“ immer wieder so gebraucht bzw. missbraucht wurde und wird. Wie hier gezeigt werden soll, bedeutet dies jedoch nicht, dass der Begriff „Pseudowissenschaft“ nicht in einem legitimen, d. h., wissenschaftstheoretisch begründeten Sinne definiert werden kann. 3 L. Laudan, The Demise of the Demarcation Problem. In R. S. Cohen, L. Laudan (Hg.), Physics, Philosophy, and Psychoanalysis, Dordrecht 1983, 111 – 127.
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So reduziert sich Laudan zufolge Wissenschaftstheorie auf allgemeine Erkenntnistheorie, denn die Frage nach der Begründung von Annahmen ist eine allgemein epistemologische. Die Frage nach einer darüber hinaus gehenden Wissenschaftlichkeit ist für ihn ja nicht nur uninteressant, sondern unlösbar. Ob dies der Wissenschaftstheorie gerecht wird, sei dahingestellt. Schauen wir uns jedoch genauer an, wie man auf die Idee kommen kann, die Frage nach dem, was Wissenschaftlichkeit ausmacht, sei unlösbar.
Abgrenzungskriterien: notwendig und hinreichend? Abgesehen davon, dass Laudan einen viel zu weiten Wissenschaftsbegriff verwendet, der „science“ bereits bei Aristoteles beginnen lässt 4 und allein dadurch die Abgrenzung schwieriger macht als nötig, ist es vor allem die Nichtauffindbarkeit von einzeln notwendigen und zusammen hinreichenden Merkmalen für Wissenschaftlichkeit, die ihn zu der Überzeugung gelangen lässt, „Wissenschaft“ sei uncharakterisierbar. Um eine Klasse von Objekten zu bilden, benötigt man mindestens eine Eigenschaft, welche alle Objekte in der Klasse besitzen – die also notwendig für die Klassenmitgliedschaft ist – und welche zugleich ausschließlich den Objekten in der Klasse zukommt – die hinreichend für die Klassen mitgliedschaft ist. Andernfalls ist die Klassenzugehörigkeit nicht eindeutig. Erfüllt tatsächlich kein Abgrenzungskriterium diese logische Bedingung? Werfen wir dazu einen Blick auf das bei vielen Wissenschaftern bis heute populärste Abgrenzungskriterium: Poppers Falsifizierbarkeitsforderung. Zunächst als Antithese zum Verifikationismus des Wiener Kreises zur Unterscheidung von Wissenschaft und Metaphysik entwickelt, brachte sie Popper auch zur Abgrenzung von Wissenschaft und Scheinwissenschaft ins Spiel 5. Eines seiner Beispiele betraf die Psychoanalyse, die er aufgrund ihrer Unfalsifizierbarkeit für eine Pseudowissenschaft hielt. In der Tat wäre etwa die Behauptung, wonach alle Männer einen manifesten oder reprimierten Ödipuskomplex aufweisen, unfalsi fizierbar. Die Unfalsifizierbarkeit wird hier durch die Disjunktion „manifest 4 In der Wissenschaftsgeschichte stehen einander zwei Traditionen gegenüber. Die eine vertritt im Wesentlichen die These von der Kontinuität von Wissenschaft über 2500 Jahre, während die andere Wissenschaft mit der neuzeitlichen wissenschaftlichen Revolution beginnen lässt, die sich u. a. durch Etablierung von Forschungstraditionen auszeichnet. Siehe z. B. D. Wootton, The Invention of Science. A New History of the Scientific Revolution, London 2016. Ich schließe mich hier den Revolutionsvertretern an. 5 K. R. Popper, Vermutungen und Widerlegungen, Tübingen 2000.
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oder reprimiert“ garantiert: Weist ein Mann den Komplex auf, hat die Theorie recht; zeigt er sich nicht, muss er unterdrückt sein, so dass die Theorie wiederum recht hat. Nichts kann also gegen die Theorie sprechen, die deshalb keine wissenschaftliche sein kann. So überzeugend der Falsifikationismus hier erscheinen mag, besteht das Problem bei genauerer Betrachtung darin, dass selbst in der Psychoanalyse nur wenige Aussagen unfalsifizierbar sind. Viele Aussagen sind falsifizierbar und falsifiziert 6. Demnach müsste also ein guter Teil der Psychoanalyse wissenschaftlich sein, doch andere Probleme sprechen gegen diesen Status. Bei vielen anderen Pseudowissenschaften sieht es ähnlich aus: Das meiste, was etwa Astrologie oder Homöopathie sagen, ist nicht nur falsifizierbar, sondern auch tatsächlich falsifiziert. Popper zufolge müsste es sich also um Wissenschaften handeln, allein man betrachtet beide aus guten anderen Gründen nicht als solche 7. Letztlich macht Poppers Kriterium alle als falsch nachweisbaren Tatsachenaussagen zu wissenschaftlichen Aussagen: Es ist zu weit. „Wissenschaftlich“ ist daher offensichtlich nicht äquivalent mit „falsifizierbar“: Falsifizierbarkeit ist allenfalls notwendig, aber nicht hinreichend für Wissenschaftlichkeit. Bleibt Falsifizierbarkeit eine notwendige Bedingung für Wissenschaftlichkeit, müssten zwar alle wissenschaftlichen Aussagen falsifizierbar sein, aber nicht alles, was falsifizierbar ist, wäre deshalb wissenschaftlich. Mit anderen Worten: Unfalsifizierbarkeit würde Unwissenschaftlichkeit garantieren, aber Falsifizierbarkeit keine Wissenschaftlichkeit. Nun wäre es durchaus wünschenswert, wenn Falsifizierbarkeit bzw. Prüfbarkeit wenigstens eine notwendige Bedingung bildete 8. Es gibt jedoch Fälle, die sogar die Notwendigkeit der Falsifizierbarkeit in Frage stellen. Ein Beispiel wäre(n) die Stringtheorie(n). Diese stellen den Versuch dar, die vier Grundkräfte der Physik theoretisch zu vereinheitlichen. Allerdings sind die (hypothetischen) Bezugsobjekte der Th eorie so klein, dass derzeit nicht erkennbar ist, wie ihre Existenz empirisch nachgewiesen werden könnte. Sind die Stringtheorien also unfalsifizierbar? Die Frage kann hier durchaus offenbleiben, doch sollte die Antwort darauf tatsächlich ja lauten, würde dies bedeuten, dass es respektable wissenschaftliche Theorien gibt, die nicht falsifizierbar sind. Damit wäre 6 A. Grünbaum, Die Grundlagen der Psychoanalyse. Eine philosophische Kritik, Stuttgart 1988. 7 Zur Pseudowissenschaftlichkeit der Homöopathie siehe den Beitrag von Edzard Ernst in diesem Buch. 8 Siehe dazu G. Vollmer, Wozu Pseudowissenschaften gut sind. In: G. Vollmer (Hg.) Wissenschaftstheorie im Einsatz, Stuttgart 1993, 11 – 29.
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Falsifizierbarkeit nicht einmal mehr eine notwendige Bedingung für Wissenschaftlichkeit, sondern bestenfalls ein Desideratum. Besteht man alternativ auf der Notwendigkeit von Prüfbarkeit für gute Wissenschaft, dürfte man die Stringtheorie wohl höchstens mit dem Prädikat „protowissenschaftlich“ versehen. Ein weiteres Beispiel stellt die Idee dar, Wissenschaft zeichne sich durch Systematizität aus 9. Auch hier zeigt sich, dass diese allenfalls eine notwendige Bedingung bilden kann, keine hinreichende, denn auch Pseudowissenschaften wie Astrologie, Homöopathie oder Theologie 10 werden systematisch betrieben. Diese Beispiele mögen zur Illustration des Problems genügen, dass bei genauerer Betrachtung keine einzeln notwendigen und zusammen hinreichenden Abgrenzungskriterien zu finden sind. Allein dieser Befund hat dazu beigetragen, das Demarkationsproblem als unlösbar zu betrachten. Doch die Nichtanwendbarkeit der herkömmlichen Klassen-Logik ist nicht das einzige Problem mit dem Abgrenzungsproblem. Es gibt noch weitere Schwierigkeiten 11.
Abgrenzungsprobleme I Will man Wissenschaft im Sinne von „science“ charakterisieren, so ist das zugehörige Gegenstück zunächst nicht die Pseudowissenschaft, sondern die Nichtwissenschaft. Dazu gehören etwa die Alltagserkenntnis sowie die Bereiche, die man im Englischen als „humanities“ bezeichnet (siehe Fußnote 1). Im Deutschen ist es sicher befremdlich, die Geisteswissenschaften als Nichtwissenschaften zu betrachten, doch im Englischen ist diese Unterscheidung unproblematisch. Sie ist rein deskriptiv, nicht normativ, d. h., es ist damit kein Werturteil verbunden wie mit dem Etikett „pseudo-science“. Entsprechend müsste man für Bereiche, die die Standards geisteswissenschaftlicher Forschung – wie immer diese genau aussehen mögen – nicht erfüllen, eine eigene Bezeichnung wie „pseudo-humanities“ einführen. Wie in Fußnote 1 erläutert, beschränken wir uns in diesem Beitrag jedoch auf die Abgrenzung 9 P. Hoyningen-Huene, Systematicity – The Nature of Science, Oxford 2016. Neuerdings stellt der Autor klar, dass für Abgrenzungszwecke weniger Systematizität als s olche denn Systema tizitätszuwachs relevant ist. Siehe P. Hoyningen-Huene, Replies, Synthese 196, 907 – 928. 10 Zur Pseudowissenschaftlichkeit der Theologie siehe H.-W. Kubitza, Der Dogmenwahn: Scheinprobleme der Theologie. Holzwege einer angemaßten Wissenschaft, Marburg 2015. 11 M. Mahner, Science and Pseudoscience: How to Demarcate After the (Alleged) Demise of the Demarcation Problem. In: M. Pigliucci, M. Boudry (Hg.), Philosophy of Pseudoscience – Reconsidering the Demarcation Problem, Chicago 2013, 29 – 43.
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von „pseudo-science“. Die Gegenüberstellung von Wissenschaft und Pseudo wissenschaft unter Ausblendung der Nichtwissenschaft ist somit eine Verkürzung. Diese ist jedoch dadurch gerechtfertigt, dass die Abgrenzung von Pseudowissenschaft nicht allein anhand deskriptiver Merkmale bewerkstelligt werden kann wie die von Wissenschaft und Nichtwissenschaft, sondern auch normative Eigenschaften erfordert. Eine weitere Unterscheidung hat sich in den letzten Jahren eingebürgert: die zwischen guter und schlechter Wissenschaft (bad science). Handelt es sich hierbei um eine Alternative zur Dichotomie von Wissenschaft und Pseudowissenschaft? Oder geht es um etwas anderes? Leider ist dies von Autor zu Autor verschieden. Einige verstehen unter „bad science“ lediglich Beispiele wie die Kalte Fusion, durch w elche die Amerikaner Stanley Pons und Martin Fleischmann 1989 Aufsehen erregten, oder die von Prosper-René Blondlot 1903 „entdeckten“ N-Strahlen, die sich nach genauerer Untersuchung schließlich als Ergebnis von Selbsttäuschung herausstellten. Andere 12 zählen auch klare Pseudowissenschaften wie die Homöopathie zur schlechten Wissenschaft – möglicherweise, um das, wie eingangs erwähnt, unter Kritik stehende Wort „Pseudowissenschaft“ zu vermeiden. Doch schlechte Wissenschaft ist immer noch Wissenschaft, während Pseudowissenschaft keine mehr ist. Ersteres ist eine quantitative Unterscheidung, letzteres eine qualitative. Wie dem auch sei: die Existenz von schlechter Wissenschaft wirft die Frage auf, bis zu welchem Punkt etwas noch schlechte Wissenschaft ist und wann es sozusagen umkippt in Pseudowissenschaft. Als genügte diese Schwierigkeit nicht, können wir weiter fragen, wie man schlechte Wissenschaft und Pseudowissenschaft wohl von Protowissenschaft und Heterodoxie unterscheidet. Vom Wortsinn her ist eine Protowissenschaft ein Bereich, der sich auf dem richtigen Weg zur Wissenschaft befindet, der aber zugleich noch nicht alle Bedingungen erfüllt, um klar als wissenschaft liche Disziplin bzw. Subdisziplin anerkannt zu werden. Wenn etwas noch nicht ganz wissenschaftlich ist, wie unterscheidet es sich dann von schlechter Wissenschaft? Wie beantwortet man diese Fragen etwa in Bezug auf die Kalte Fusion oder Alfred Wegeners Kontinentalverschiebungstheorie? Zu guter Letzt: Wann ist eine Auffassung oder ein Ansatz nur heterodox und wann pseudowissenschaftlich? In vielen Disziplinen gibt es herrschende Ansätze und Theorien: einen Mainstream, eine Orthodoxie sozusagen. Darum herum gibt es einige alternative Theorien und abweichende Meinungen. Man 12 B. Goldacre, Bad Science, London 2008.
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denke beispielsweise an die Urknalltheorie im Gegensatz zu den sogenannten Nichtstandard-Kosmologien 13. Heterodoxie sollte in der Wissenschaft willkommen sein, denn sie stellt einerseits einen Kreativitätsfundus dar, andererseits trägt sie durch das skeptische Infragestellen des Vorherrschenden zur Theorieoptimierung bei 14. Doch auch hier stehen wir vor dem Problem, an welcher Grenze gesunde Heterodoxie in Pseudowissenschaft bzw. Wissenschaftsleugnung umschlägt. Bis zu welchem Punkt ist etwa Kritik an der Klimaforschung wichtig und hilfreich, und wann degeneriert sie zur Klimawandelleugnung? Wir haben es hier also mit einem ganzen Feld von verwandten Abgrenzungen zu tun, die bei manchen Wissenschaftsphilosophen die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Hauptabgrenzung z wischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft verstärken.
Abgrenzungsprobleme II Das nächste Problem, das eine an Demarkation interessierte Wissenschaftstheorie beantworten muss, lautet: Was genau soll eigentlich als wissenschaftlich bzw. als pseudowissenschaftlich abgegrenzt werden? Darauf finden wir eine erstaunliche Vielfalt von Antworten. Popper möchte durch sein Falsifizierbarkeitskriterium wissenschaftliche und scheinwissenschaftliche Aussagen trennen. Doch ist diese niedrige Ebene der Einzelaussage die richtige, wenn wir begründen wollen, warum die Astronomie eine Wissenschaft ist und die Astrologie nicht? Und müssen dazu alle Aussagen der Astronomie wissenschaftlich und alle der Astrologie pseudowissenschaftlich sein? Oder genügt die Mehrheit der Aussagen? Oder ein anderes prozentuales Verhältnis von wahren und falschen Hypothesen? Und sind es wirklich nur ein paar Aussagen, also die theoretischen Ebenen, die den Unterschied bedingen? So meinte Thomas Kuhn, viel wichtiger seien die Fragestellungen des betreffenden Bereichs und damit dessen Problemlösungskapazität 15. Löst die Astrologie echte Probleme oder nur solche, die man ohne sie gar nicht hätte? Andere Autoren kommen zu dem Schluss, dass auch die Problemlösungskapazität 13 https://en.wikipedia.org/wiki/Non-standard_cosmology 14 Siehe dazu auch G. Vollmer, zitiert in Fußnote 8. Vollmer meint, dass selbst Pseudowissenschaften noch nützlich sind, weil sie uns helfen zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. 15 T. S. Kuhn, Logic of Discovery or Psychology of Research? In: I. Lakatos, A. Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge (Hg.), New York 1970, 1 – 24.
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längst nicht alles ist. Vielmehr würden die Logik und Methodologie von Pseudowissenschaften irreparable Defekte aufweisen 16. Wiederum andere betrachten die gesamte Th eorie und Praxis einer Pseudowissenschaft als funda 17 mental fehlerhaft . Der Popper-Schüler Imre Lakatos schlug vor, Wissenschaftlichkeit bzw. Pseudowissenschaftlichkeit an der Entwicklung von Forschungsprogrammen festzumachen 18. Unter einem Forschungsprogramm verstand er eine zeitliche Reihe einer sich im Zuge von Forschung ändernden Theorie. Ist der Verlauf dieser Entwicklung progressiv, d. h., erhöht sich dadurch z. B. die Erklärungs- und Vorhersagekraft der Th eorie, handelt es sich um ein wissenschaftliches Forschungsprogramm. Stagniert die Entwicklung oder ist sie gar degenerativ, etwa indem immer mehr Schutzhypothesen gegen Widerlegungen eingeführt werden müssen, kann die Th eorie in die Pseudowissenschaftlichkeit abgleiten. Zu guter Letzt meinen Wissenschaftsphilosophen wie Mario Bunge und Paul Thagard, man solle sich bei der Demarkation gleich der höchsten Ebene zuwenden, nämlich ganzen Disziplinen oder Erkenntnisbereichen (engl. e pistemic fields)19. Schließlich sind etwa bei der Astrologie, Homöopathie oder Parapsycho logie nicht nur einzelne Aussagen oder Methoden problematisch, sondern die gesamten Bereiche werden trotz möglicher einzelner richtiger Aussagen als Pseudowissenschaften klassifiziert. Herrscht in der Wissenschaftstheorie schon keine Einigkeit über die abzugrenzenden Ebenen, so finden wir auch Dissens bei der Frage nach der Anzahl von Abgrenzungskriterien. Einzelne Kriterien wie Falsifizierbarkeit sind unzulänglich. Doch welche anderen Kriterien gibt es und wie viele sind es? Und sollen solche Kriterien eher ahistorisch sein, wie Poppers Falsifizierbarkeit, die als logisch-methodologisches Kriterium zu allen Zeiten auf alle Tatsachenaussagen anwendbar ist? Oder müssten sie zeitabhängig sein wie bei Lakatos` 16 F. Wilson, The Logic and Methodology of Science and Pseudoscience, Toronto 2000. 17 P. Kitcher, Abusing Science: The Case against Creationism, Cambridge (MA) 1982. – A. Lugg, Bunkum, Flim-Flam and Quackery: Pseudoscience as a Philosophical Problem. In: Dialectica 41 (1987), 221 – 230. 18 I. Lakatos, Falsification and the Methodology of Research Programmes. In: I. Lakatos, A. Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge, New York 1970, 91 – 197. 19 M. Bunge, Demarcating Science from Pseudoscience. In: Fundamenta scientiae 3 (1982), 369 – 388. – M. Bunge, Treatise on Basic Philosophy. Bd. 6, Epistemology and Methodology II , Dordrecht 1983. – P. Thagard, Computational Philosophy of Science, Cambridge (MA ) 1988.
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Forschungsprogrammen oder Hoyningen-Huenes Systematizitätszuwachs, bei denen erst nach einer gewissen Beobachtungszeit ein Urteil über deren mögliche Pseudowissenschaftlichkeit gefällt werden kann? Oder wäre eine Kombination aus verschiedenen solcher Kriterien nützlicher? Wie dem auch sei: Alle in diesem und im vorangegangenen Abschnitt angeführten Abgrenzungsprobleme haben zusammen mit der Unmöglichkeit einer eindeutigen Demarkation durch einzeln notwendige und zusammen hinreichende Kriterien dazu geführt, dass viele Wissenschaftsphilosophen das Abgrenzungsproblem für unlösbar halten (siehe Kasten 1). Sollen wir also alle Hoffnung auf Abgrenzung fahren lassen? Oder ist es angesichts der eingangs genannten Relevanz der Unterscheidung von Wissenschaft und Pseudowissenschaft nicht hilfreicher, dem wissenschaftstheoretischen Defätismus zu widerstehen und zu erkunden, ob es nicht alternative, wenn vielleicht auch unscharfe Abgrenzungsmöglichkeiten gibt? Kasten 1: Probleme der Abgrenzung von Wissenschaft und Pseudowissenschaft (Erläuterung im Text) • Was ist der Unterschied zur Abgrenzung von Wissenschaft und Nichtwissenschaft? • Was ist der Unterschied zwischen guter und schlechter Wissenschaft? • Wie sind Protowissenschaft und Heterodoxie von Pseudowissenschaft zu unterscheiden? • Was genau will man eigentlich als wissenschaftlich abgrenzen? – Einzel-Aussagen (Hypothesen)? – Fragestellungen/Problemlösungskapazität? – Methoden bzw. Logik und Methodologie? – Theorie & Praxis? – Theoriereihen/Forschungsprogramme? – Ganze Erkenntnisbereiche (Disziplinen)? • Wie viele Abgrenzungskriterien gibt es überhaupt? • Sollen Abgrenzungskriterien überzeitlich oder zeitabhängig sein? • Ist das Abgrenzungsproblem überhaupt mit der herkömmlichen Klassen- Logik lösbar, die dazu (einzeln) notwendige und (zusammen) hinreichende Kriterien fordert?
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Cluster und Profile Unscharfe Grenzen finden wir in vielen Bereichen. In der Religionswissenschaft heißt es oft, der Religionsbegriff sei nicht scharf definierbar, und in der Biologie treten immer wieder Probleme bei der Unterscheidung von Spezies auf. Dort besteht ein Ansatz darin, verschiedene Art-Merkmale in ein Koordinatensystem einzutragen, um ein Bild der Merkmalsverteilung zu gewinnen. In aller Regel finden sich trotz einer gewissen Streuung mehr oder weniger gut lokalisierte Cluster von Merkmalen. Diese Cluster repräsentieren dann die Merkmalsverteilung der betreffenden Spezies und damit auch eine mehr oder weniger scharfe Abgrenzung. Dazu gibt es verschiedene taxonomische Verfahren, auf die nicht näher eingegangen werden muss. Denn das Demarkationsproblem Wissenschaft/Pseudowissenschaft lässt sich auch einfacher angehen, nämlich durch die Erstellung eines wissenschaftstheoretischen Profils 20. Ein solches besteht letztlich aus einer möglichst umfangreichen Liste von Eigenschaften bzw. Indikatoren, die für Demarkationszwecke relevant sein können. Doch wovon erstellt man ein solches Profil? Wir haben oben gesehen, dass verschiedene Autoren unterschiedliche Aspekte bzw. Ebenen als wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich betrachten, von Einzelaussagen über Methoden bis zu ganzen Theorien und Praktiken. Um alle diese Ebenen in Betracht ziehen zu können, empfiehlt es sich, die höchste Einheit als Ausgangspunkt zu wählen, nämlich die von Disziplinen oder Erkenntnisbereichen. Da der Begriff der Disziplin oft auf anerkannte Fächer beschränkt wird, sei hier in Anlehnung an den englischen Terminus „epistemic field“ der Begriff „Erkenntnisbereich“ benutzt. Dieser sei definiert als eine Gruppe von Personen samt ihren Theorien und Praktiken, deren Ziel es ist, Wissen einer bestimmten Art zu gewinnen. Selbstverständlich kann d ieses Ziel auch verfehlt werden wie im Falle der Pseudo wissenschaften. Die Bezeichnung „Erkenntnisbereich“ bedeutet also nicht, dass wirklich Wissen gewonnen wird. Das Arbeiten mit Erkenntnisbereichen hat nicht nur den bereits erwähnten Vorteil, dass die relevanten Eigenschaften aller untergeordneten Ebenen zur Verfügung stehen: Das Einbeziehen der Personen, die angetreten sind, Erkenntnis
20 Dieser Ansatz geht zurück auf den amerikanischen Wissenschaftsphilosophen Paul Thagard, der selbst jedoch nur wenige Eigenschaften für ein solches Profil angeführt hat. Siehe Fußnote 19.
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zu gewinnen, erlaubt es auch, wissenschaftspsychologische und -soziologische Analysen anzustellen und diese für Abgrenzungszwecke heranzuziehen 21.
Abgrenzungskriterien: Methodologie und Soziologie Welche Eigenschaften, Indikatoren oder Kriterien sind für die Erstellung eines wissenschaftstheoretischen Profils von Interesse 22? Da die Unterscheidung von Wissenschaft und Pseudowissenschaft nicht nur eine deskriptive ist, sondern ein Qualitätsurteil beinhaltet, sind dazu auch normative Eigenschaften vonnöten. Dies sind vor allem Eigenschaften, wie sie in der normativen Erkenntnistheorie bzw. Methodologie diskutiert werden. Einige Beispiele seien als Fragen formuliert, wie sie zur Analyse von Erkenntnisbereichen gestellt werden können: Werden die Regeln des rationalen Argumentierens akzeptiert?23 Wird die Möglichkeit des Irrtums eingeräumt (Fallibilismus)? Wird in der Theoriebildung das Sparsamkeitsprinzip berücksichtigt? Welchen Stellenwert haben empirische Prüfung und somit empirische Belege – neudeutsch: wie steht es mit der Evidenzbasierung 24? Wie hoch ist die Erklärungs- und Vorhersagekraft der Theorien? Wie fruchtbar sind die Theorien? Sind die empirischen Daten reproduzierbar? Sind die eingesetzten Methoden unabhängig prüfbar?
21 So kann man etwa die Psychologie des Aberglaubens untersuchen. Siehe dazu die Beiträge von Peter Brugger und Stuart Vyse in diesem Band. 22 Ich orientiere mich bei diesen Indikatoren an Bunge (1982, 1983), zitiert in Fußnote 19, nehme aber Abstand von seiner These, diese Merkmalsliste müsse als notwendig und hinreichend betrachtet werden. Dies ist nämlich nicht aufrechtzuerhalten. Dazu sowie für eine umfangreichere und detailliertere Indikatorenliste siehe M. Mahner, Demarcating Science from Non-Science. In: T. A. F. Kuipers (Hg.), Handbook of the Philosophy of Science, Bd. 1: General Philosophy of Science – Focal Issues, Amsterdam 2007, 515 – 575. 23 Siehe z. B. N. Mukerji, Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstandes, Springer-Verlag 2017. 24 Die moderne Umdeutung des Wortes „Evidenz“ als „empirischer Beleg“ im Sinne des Englischen „evidence“, wie sie vor allem mit der sogenannten evidenzbasierten Medizin zu uns gekommen ist, verkehrt den ursprünglichen deutschen Wortsinn ins Gegenteil. Eine Evidenz ist herkömmlicherweise eine unmittelbare Einsicht, eine offenkundige Wahrheit, die keiner weiteren Begründung mehr bedarf. In d iesem Sinne sind auch einige Pseudowissenschaften Evidenz-basiert, indem sie statt empirischer Belege auf die unmittelbare Einsicht in die (vermeintliche) Wahrheit ihrer Überzeugungen rekurrieren. Beispiele sind die Theologie und Anthroposophie.
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Die Unterscheidung von deskriptiven und normativen Eigenschaften ist jedoch nicht immer eindeutig. Die eben genannten Fragen etwa sind zwar deskriptiv formuliert und können zunächst auch auf dieser Ebene beantwortet werden, sie bringen jedoch letztlich Anforderungen zum Ausdruck, die man an wissenschaftliche Erkenntnisbereiche stellt, d. h., man kann sie auch normativ verstehen. Der Unterschied verschwimmt noch etwas mehr bei der Frage, ob ein Erkenntnisbereich Mechanismen zur Fehler- bzw. Irrtumskontrolle umfasst. Nicht zu Unrecht war dieser Punkt zentral in Poppers kritischer Philosophie. Doch die Idee, Wissenschafter sollten versuchen, ihre eigenen Hypothesen zu widerlegen, ist nur bedingt realistisch. Zwar wird jeder Wissenschafter, der eine neue Hypothese formuliert, ihr Für und Wider erörtern und sie, wenn möglich, auch selbst schon empirisch prüfen, doch die Psychologie zeigt, dass die Vertreter einer Behauptung oft nicht gerade ihre stärksten Kritiker sind. Man kann es niemandem verdenken, wenn die Neigung zur Bestätigung größer ist als die zur Widerlegung, d. h., wenn sich der „confirmation bias“ auch bei Wissenschaftern nicht völlig abschalten lässt. Man möchte schließlich etwas Bleibendes beitragen, und Nobelpreise werden nicht für Widerlegungen verliehen, sondern für neue Beiträge zu unserem Wissensbestand. Irrtumskontrolle können wir daher nur in beschränktem Maße auf individueller Ebene erwarten. Wer jedoch gerne bereit ist, Hypothesen zu widerlegen, sind die Kollegen der eigenen scientific community: Es ist immer leichter, die Fehler der anderen zu finden als die eigenen. Ein wichtiges Merkmal wissenschaftlicher Erkenntnisbereiche ist somit das Bestehen einer Forschungsgemeinschaft, d. h. einer Gruppe bzw. eines Netzwerks von Personen, die in engem Informationsaustausch miteinander stehen und sich mit denselben oder zumindest ähnlichen Gegenstandsbereichen und Forschungsfragen beschäftigen 25. Nur sie sind letztlich kompetent genug, die Qualität der Arbeiten ihres Fachgebiets zu beurteilen. Auf diese Weise wird die normative Eigenschaft der Irrtumskontrolle über ein soziales System umgesetzt. Ein Gegenstück zur Forschungsgemeinschaft (scientific community) ist der Eigenbrötler, der als Autor Thesen in die Welt setzt, möglicherweise selbst ein bisschen forscht, und der vielleicht Leser und Anhänger hat, aber keine Community, die einer Forschungsgemeinschaft ähnelt. Ein Beispiel wäre wohl Erich von Däniken mit seinen Thesen vom Einfluss außerirdischer Raumfahrer auf 25 Zu den sozialen Faktoren von Wissenschaft und deren Nutzen für die Demarkation siehe auch G. W. Dawes, Identifying Pseudoscience – A Social Process Criterion. In: Journal for General Philosophy of Science 49 (2018), 283 – 298.
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die Geschichte der Menschheit (Prä-Astronautik). Ein anderes Gegenstück zur Forschungsgemeinschaft ist die Glaubensgemeinschaft. Diese zeichnet sich durch eine Gründungsautorität aus, deren Lehren von einer Anhängergemeinschaft durch Exegese und geringfügige Ergänzungen tradiert wird. Ein Beispiel wäre Rudolf Steiner und seine Anthroposophie. Forschung, die den Namen verdient, gibt es hier so gut wie nicht. Allenfalls in der anthroposophischen Medizin und Landwirtschaft findet etwas Forschung statt, doch diese dient in der Regel der Bestätigung von Steiners Lehren. Fände dort echte Forschung statt, hätte sie längst zur Selbstauflösung dieser Bereiche führen müssen. In der akademischen Parapsychologie hingegen gibt es durchaus so etwas wie eine Forschungsgemeinschaft. Allerdings stellt diese teilweise auch eine Glaubensgemeinschaft dar. Nach mehr als 150 Jahren ergebnisloser parapsychologischer Forschung würde man sonst ebenfalls annehmen, dass dieser Bereich ohne einen starken Hang zum Glauben an paranormale Fähigkeiten längst hätte aufgegeben werden müssen 26. Ein weiterer Indikator mit gesellschaftlich-deskriptiver und methodologisch- normativer Komponente liegt in der Frage, ob bzw. inwieweit die Vertreter eines Erkenntnisbereichs frei bzw. ergebnisoffen forschen und publizieren können. Damit sind selbstredend nicht die Einschränkungen durch die methodologischen Standards des wissenschaftlichen Arbeitens gemeint, sondern Vorgaben durch politische oder religiöse Ideologien, die in der Gesellschaft vorherrschen, in der die betreffende Forschungsgemeinschaft eingebettet ist. Ein unrühmliches Beispiel ist die Deutsche Physik des Dritten Reichs. Zur selben Zeit trat in der Sowjetunion der Lyssenkoismus als marxistische Alternative zur „bourgeoisen Genetik“ der „herrschenden“ Biologie auf. Im Bereich der Linguistik gibt es viele Beispiele von Versuchen, die eigene Landessprache aus politisch- nationalen oder religiösen Gründen als Ursprache aller anderen zu erweisen 27. Im Gegensatz zur ideologisch neutralen Religionswissenschaft ist die Theologie konfessionell gebunden, d. h. von bestimmten religiösen Dogmen abhängig. Insofern Theologen de facto nicht rein religionswissenschaftlich arbeiten, wie zu historischen oder text-kritischen Themen, sondern sich mit der eigenen Theorie, der Dogmatik, beschäftigen, können sie nicht mehr ergebnisoffen forschen 28. 26 R. Hyman, The Demise of Parapsychology, 1850 – 2009. In: Skeptic 22(2) (2010), 17 – 20. 27 M. Newbrook, Strange Linguistics. A Skeptical Linguist Looks at Non-mainstream Ideas about Language, München 2013. 28 Wir haben bei der Theologie also den interessanten Fall, dass es sich bei ihr aufgrund der dogmatischen Bindung sozusagen um eine institutionelle Pseudowissenschaft handelt,
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Wer zu Ergebnissen gelangt, die der konfessionellen Dogmatik widersprechen, läuft Gefahr, aus seiner Position entfernt zu werden. Zu guter Letzt wird etwa einem Teil der Genderforschung vorgeworfen, nicht ergebnisoffen zu sein, sondern der Bestätigung ideologischer Vorgaben zu dienen, um jene mit dem Anschein wissenschaftlicher Legitimität auszustatten 29.
Abgrenzungskriterien: Paradigma und Metaphysik Dass die theoretische Arbeit in den Realwissenschaften von stillschweigend akzeptierten Rahmenannahmen geleitet wird, wird zwar von empiristisch angehauchten Geistern gern verdrängt oder gar explizit geleugnet, ist aber lange bekannt. Bei Thomas Kuhn gehören solche Hintergrundannahmen zum Paradigma eines Erkenntnisbereichs, bei Imre Lakatos zum sogenannten h arten Kern seiner Forschungsprogramme. Paradigmen sind jedoch nicht nur auf einzelne Disziplinen oder Forschungsrichtungen beschränkt, die Realwissenschaften insgesamt sind von einer Art Groß-Paradigma oder Meta-Paradigma geleitet. Dabei handelt es sich aus philosophischer Sicht unter anderem um ontologische bzw. metaphysische Annahmen: über die Natur der Dinge allgemein sowie etwa darüber, wie Kausalität in der Welt funktioniert. Man geht davon aus, dass wir in einer gesetzmäßigen Welt leben, in der es überall mit „rechten Dingen“ zugeht. Alle Forschungsobjekte der Realwissenschaften sind also natürliche Gegenstände bzw. sind materieller Natur. Entsprechend gehören ein ontologischer Naturalismus bzw. ein moderner Materialismus zum Meta-Paradigma der Realwissenschaften. Doch ist die Feststellung, dass der Naturalismus Bestandteil der philosophischen Hintergrundannahmen der Realwissenschaften ist, eine rein deskriptive, oder kommt ihr vielmehr normative Kraft zu, d. h. kann Realwissenschaft nur unter naturalistischen Bedingungen betrieben werden?30 Wie immer die Antwort auf dieses in der Wissenschaftsphilosophie kontro vers diskutierte Problem ausfällt, ein Abgrenzungskriterium bildet somit die wiewohl individuelle Theologen durchaus religionswissenschaftlich saubere Arbeit leisten können. 29 D. Patai, N. Koertge, Professing Feminism: Education and Indoctrination in Women’s Studies, Lanham 2003. 30 Für die These, dass der ontologische Naturalismus eine notwendige Voraussetzung realwissen schaftlichen Arbeitens bildet und so als normatives Abgrenzungskriterium zu betrachten ist, siehe M. Mahner, Naturalismus – Die Metaphysik der Wissenschaft, Aschaffenburg 2018.
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Frage, ob der zu untersuchende Erkenntnisbereich von natürlichen und gesetzmäßigen Gegenständen bzw. Prozessen handelt. Daher wird der Beschäftigung mit immateriell-spirituellen Objekten, wie sie bei einigen Pseudowissenschaften vorkommt, üblicherweise mit Ablehnung – zumindest aber mit großer Skepsis – begegnet 31. So verhalten sich die berühmten Psi-Kräfte der Parapsychologie nicht wie alle anderen bekannten Kräfte. Weder Psychokinese noch Präkognition lassen sich ohne weiteres mit dem naturalistischen Paradigma der Realwissenschaften vereinbaren. Unser Geist kann allenfalls über motorische Handlungen auf andere Dinge einwirken, und die Zukunft beeinflusst nicht die Vergangenheit. Ebenso wenig existiert eine Qi-Energie, wie sie die traditionelle chinesische Medizin voraussetzt; durch Voodoo kann man niemandem aus der Ferne schaden; und wo wie bei hochverdünnten Homöopathika kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorhanden ist, kann auch keine pharmakologische Wirkung existieren. Gewiss können sich ontologische Annahmen ändern, wie etwa die Entwicklung der Quantenphysik lehrt, doch Demarkationsversuche können immer nur vom Sachstand zur Zeit der Analyse ausgehen, wozu auch die philosophischen Hintergrundannahmen in den herrschenden Paradigmen gehören 32.
Abgrenzungskriterien: Kohärenz und Erkenntnisfortschritt Wissenschaftliche Disziplinen stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern befruchten einander gegenseitig. Wissenschaft bildet ein Wissensnetzwerk. Inter- und Multidisziplinarität würden sonst wenig Sinn ergeben. Dementsprechend lassen sich zwei komplementäre Indikatorfragen an Bereiche stellen, die den Anspruch erheben, wissenschaftlich zu sein: Entlehnt der Bereich Wissen oder Methoden aus Nachbarbereichen? Bereichert er umgekehrt irgendwelche Nachbarbereiche? Pseudowissenschaften tun das in der 31 A. S. Reber, J. E. Alcock, Searching for the Impossible: Parapsychology’s Elusive Quest. In: American Psychologist 2019, Doi: dx.doi.org/10.1037/amp0000486. 32 Mit der Verwendung des Kuhnschen Paradigmabegriffs übernehme ich nicht dessen Inkommensurabilitätsthese oder andere Elemente seiner Wissenschaftsphilosophie. Ganz im Gegenteil zeigt die Entwicklung des naturalistischen Großparadigmas der Realwissenschaften seit Galilei eine klare Konsolidierung. Ist jenes zudem eine notwendige Voraussetzung der Realwissenschaften, kann es auch nicht zu den ontologischen Hintergrundannahmen gehören, die sich ändern können, ohne den Wesenskern der Realwissenschaften zu zerstören. Wie erwähnt, besteht in dieser Frage jedoch kein Konsens.
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Regel nicht. Sie versuchen zwar, Wissenschaft zu imitieren, die Wissenschaft selbst kann jedoch so gut wie nichts von ihnen lernen: Sie bilden isolierte Erkenntnisbereiche. Der Erkenntnisbestand der Wissenschaften liefert zudem ein halbwegs kohärentes Gesamtbild. Bei allen Lücken und lokalen Widersprüchen und Problemen, die es zu füllen bzw. zu lösen gilt, passen die Erkenntnisse von Physik, Chemie, Biologie, Psychologie usw. mehr oder weniger zueinander. Der englische Begriff „consilience“ trifft diesen Sachverhalt sehr gut, ist jedoch mit „Kohärenz“ oder „Konvergenz“ nur suboptimal zu übersetzen. Wie dem auch sei, es ergibt sich auch hieraus ein wichtiges Abgrenzungskriterium: Sind die Behauptungen des untersuchten Erkenntnisbereichs vereinbar mit wohlbestätigtem Wissen? Mit anderen Worten: Lassen sie sich einbinden – und sei es durch moderate Modifikation des bestehenden Wissens – oder ist die Diskrepanz so groß, dass ein guter Teil der Physik, Chemie und Biologie falsch sein müsste? In der Tat ist es nicht selten, dass Pseudowissenschafter nach einer wissenschaftlichen Revolution rufen, weil sich ihre vermeintlichen Erkenntnisse nicht mit dem wohlbestätigten Wissensbestand der Realwissenschaften vertragen. So sind etwa die Grundprinzipien der Homöopathie unverträglich mit dem, was wir über die Welt wissen. Das Ähnlichkeitsprinzip, wonach Gleiches Gleiches heilen soll, ist völlig obsolet und ein Relikt primitiv-magischen Denkens. Die Idee, ein Heilmittel könne durch Verdünnung in der Wirkung verstärkt werden („Potenzierung“) widerspricht den Gesetzesaussagen der Physik und Chemie. Ab einer bestimmten Verdünnungsstufe ist kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorhanden, so dass auch keine Wirkung mehr auftreten kann. Hätte die Homöopathie recht, wären also gute Teile der bestehenden Physik und Chemie falsch. Genauso wenig lassen sich die Behauptungen der Astrologie und anderer Pseudowissenschaften mit dem Sachstand der Wissenschaft vereinbaren. Pseudowissenschaften sind nicht nur durch Isolation gekennzeichnet, sondern auch durch Stagnation: Es gibt keinen nennenswerten Wissenszuwachs. Es werden zwar bestimmte Regeln und Verfahren angewandt und der „Wissens bestand“ irgendwie verwaltet, aber mangels echter Forschung kommt so gut wie nichts Neues dazu – und wenn es auftaucht, dann eher von außen. So hat die Astrologie die Entdeckung neuer Planeten wie Neptun und Pluto in ihr System inkorporiert, aber die neuen Objekte waren der Astronomie zu verdanken. Die Astrologie hat die neuen Planeten lediglich mit frei erfundenen Eigenschaften ausgestattet. Allein der Parapsychologie muss man zugutehalten, dass sie eine gewisse Entwicklung aufweist, indem sie vor allem ihre statistischen
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Methoden im Laufe der Zeit verbessert hat. Doch auch dies geschah oft eher durch äußere Kritik, und die aktualisierten Methoden haben auch nichts zur Verbesserung der prekären Erkenntnislage beigetragen. Dementsprechend ist der „Wissensbestand“ von Pseudowissenschaften zumeist weder aktuell noch wohlbestätigt. Er besteht häufig aus Anachronismen, d. h. es werden oft unverdrossen Theorien, Ansätze und Paradigmen weiter kultiviert, die die Wissenschaft längst verworfen hat. Die in den letzten drei Abschnitten erläuterten Abgrenzungskriterien sind der Übersichtlichkeit halber in Kasten 2 zusammengefasst. Kasten 2: Indikatoren zur Abgrenzung von Wissenschaft und Pseudowissen schaft (Erläuterung im Text) • Werden die Regeln des rationalen Argumentierens akzeptiert? • Wird in der Theoriebildung das Sparsamkeitsprinzip berücksichtigt? • Welchen Stellenwert haben empirische Prüfung und somit empirische Belege bzw. wie steht es mit der Evidenzbasierung? • Wie hoch ist die Erklärungs- und Vorhersagekraft der Theorien? • Wie fruchtbar sind die Theorien? • Sind die empirischen Daten reproduzierbar? • Sind die eingesetzten Methoden unabhängig prüfbar? • Wird die Möglichkeit des Irrtums eingeräumt (Fallibilismus)? • Gibt es Mechanismen zur Fehler- bzw. Irrtumskontrolle? • Bilden die Vertreter des Bereichs eine Forschungsgemeinschaft (scientific community)? • Können die Vertreter des Bereichs frei bzw. ergebnisoffen forschen und publizieren? • Handelt der Bereich von natürlichen und gesetzmäßigen Objekten? • Entlehnt der Bereich Wissen und Methoden aus Nachbarbereichen? • Bereichert der Bereich irgendwelche Nachbarbereiche? • Sind die Behauptungen des untersuchten Erkenntnisbereichs vereinbar mit wohlbestätigtem Wissen? • Ist der Wissensbestand aktuell und wohlbestätigt? • Verzeichnet der Bereich einen Wissenszuwachs?
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Pseudowissenschaft und Parawissenschaft Wir haben bisher stets von Pseudowissenschaften gesprochen. Diese werden üblicherweise definiert als Bereiche, die fälschlicherweise den Anspruch erheben, Wissenschaften zu sein. Dies wird jedoch dem Spektrum von illusionären Erkenntnisbereichen nicht gerecht, denn wie klassifizieren wir Bereiche, die gar keinen Wissenschaftsanspruch erheben? Was machen wir mit Aberglauben? Mit Esoterik, New Age und Okkultismus? Oder mit Bereichen, die grob als spirituelle Lebenshilfe einzuordnen sind? Zwar wird hier auch der Anspruch erhoben, mit Erkenntnissen aufzuwarten, doch diese werden eher „höheren Einsichten“ zugeschrieben denn wissenschaftlicher Methodik. Ja, oft will man sich gerade von der angeblich reduktionistisch-materialistischen Wissenschaft distanzieren, weil diese nur zu einem „verengten“ Weltbild führen könne. Man schätzt Wissenschaft also eher gering und hat daher gar keinen Anlass, sie zu imitieren. Für solche Bereiche bietet sich die Bezeichnung „Parawissenschaften“ an. Diese stehen wie die Pseudowissenschaften außerhalb bzw. neben (griechisch: „para“) der Wissenschaft, erheben aber keinen Wissenschaftlichkeitsanspruch. Logisch gesehen bilden die Pseudowissenschaften eine echte Teilmenge der Parawissenschaften. Definiert man „Parawissenschaften“ als die Menge aller Bereiche, deren Erkenntnisansprüche sich nicht einlösen lassen, dann stellen die Pseudowissenschaften diejenige Teilmenge der Parawissenschaften dar, die einen Wissenschaftlichkeitsanspruch erheben. Genauer könnte man formulieren 33: Eine Parawissenschaft ist ein außerhalb der Wissenschaften – aber nicht unbedingt außerhalb des Universitätsbetriebes – angesiedelter Erkenntnisbereich, dessen – expliziter oder impliziter – Anspruch, Wissen über die Welt zu erlangen oder erlangt zu haben, nicht eingelöst werden kann. Mit anderen Worten: dessen Theorie und Praxis in wesentlichen Punkten auf illusionärem Denken beruhen. Wird neben dem einfachen Erkenntnisanspruch auch der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben, bezeichnet man eine Parawissenschaft als Pseudowissenschaft. Wichtig ist hier die inhaltliche Unterscheidung z wischen Para- und Pseudo wissenschaften, nicht die terminologische. Wer auf den in der akademischen Literatur eher seltenen Begriff der Parawissenschaft verzichten möchte, müsste 33 M. Mahner, Parawissenschaft und Paramedizin als Ausdruck illusionären Denkens und Handelns. In: D. Graf, C. Lammers (Hg.), Anders heilen? Wo die Alternativmedizin irrt, Aschaffenburg 2015, 11 – 24.
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ersatzweise den Pseudowissenschaftsbegriff aufspalten in eine weite und eine enge Variante: Die Pseudowissenschaft im weiten Sinne entspräche dann der Parawissenschaft wie oben definiert, die Pseudowissenschaft im engen Sinne bildete deren Teilmenge, deren Elemente einen Wissenschaftlichkeitsanspruch erheben.
Fazit Das Gegenstück von Wissenschaft ist nicht nur die Pseudowissenschaft, sondern die umfangreichere Klasse der Parawissenschaft. Für die Abgrenzungsproblematik hat dies jedoch keine schwerwiegenden Konsequenzen. Man muss nur schauen, ob ein Bereich lediglich einen Erkenntnisanspruch erhebt oder darüberhinausgehend einen Wissenschaftlichkeitsanspruch. Mit dieser Unterscheidung wird schließlich auch die eingangs zitierte Kritik von Larry Laudan am Bemühen um Demarkation beantwortet. Dieser meinte, legitime Abgrenzung beschränke sich auf die Frage, ob Erkenntnis erlangt wird oder nicht, während die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Erkenntnis nicht nur uninteressant, sondern auch unlösbar sei. Unsere lange Liste von Demarkationskriterien erlaubt es jedoch, beide Aspekte von Erkenntnisbereichen zu analysieren: Die rein methodologischen Kriterien betreffen vor allem den Erkenntnisaspekt, während andere auch den Wissenschaftsaspekt beleuchten, wie etwa die Frage nach der Existenz einer Forschungsgemeinschaft, nach der Kohärenz von Behauptungen mit dem wissenschaftlichen Wissensbestand oder dem Bestehen von Erkenntnisfortschritt. Käme es nur, wie Laudan meinte, darauf an, ob eine Überzeugung gerechtfertigt ist, also im Wesentlichen auf den Erkenntnisaspekt, dann wären die letztgenannten Eigenschaften, die typisch für wissenschaftliche Erkenntnis sind, überflüssig. Die in den vorangegangenen Abschnitten bzw. in Kasten 2 angeführten Abgrenzungskriterien erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit 34: Sie dienen lediglich als Beispiele für Indikatoren, die zur Analyse von parawissen schaftsverdächtigen Bereichen eingesetzt werden können. Dabei muss weder jeder einzelne Indikator zutreffen, noch muss das Ergebnis für jede Parawissen schaft gleich aussehen. Des Weiteren können die Kriterien bei der Analyse unterschiedlich gewichtet werden: Man mag einige für stärker bzw. aussage fähiger halten als andere. Unsere Kriterienliste lässt also noch Raum für 34 Für eine ausführlichere Liste siehe Mahner (2007), Fußnote 22.
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Ausarbeitung. Dennoch sorgt bereits eine solche unvollständige Indikatorenliste für analytische Transparenz, wo sonst eher „demarkationistisches Bauchgefühl“ zum Tragen kommt. Wir gelangen also zu dem Schluss, dass Wissenschaften und Parawissenschaften sehr wohl sinnvoll voneinander abgegrenzt werden können. Eine solche Abgrenzung ist in ihrer rationalen Ausformulierung allerdings nicht so einfach, wie sich dies viele – möglicherweise verleitet durch die häufige Zuverlässigkeit ihrer demarkationistischen Intuitionen – vorstellen. Denn das eine, alles entscheidende Abgrenzungskriterium gibt es nicht. Auch die eindeutige Abgrenzung durch einzeln notwendige und zusammen hinreichende Kriterien funktioniert nicht, weshalb Demarkation wohl immer unscharf bleiben muss. „Unscharf“ bedeutet aber weder „beliebig“ noch „irrational“, weil eine solche Abgrenzung auf der sorgsamen Erstellung eines wissenschaftstheoretischen Profils der betreffenden Erkenntnisbereiche beruht.
Die Entwicklung der Wissenschaften im Lichte ihrer Öffentlichkeiten Martina Merz
Einleitung 1 Unter dem Titel „Wissenschaft & Aberglaube“ widmet sich die mit dem Österreichischen Wissenschaftstag 2019 assoziierte Buchpublikation, in der dieser Text erscheint, der Abgrenzung und dem Verhältnis z wischen der Wissenschaft und ihrem illegitimen Gegenüber: jenen Initiativen, die einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, denen dieser aus Sicht der Wissenschaft jedoch nicht zukommt. Solche wenig geschätzten Initiativen werden z. B. als „Pseudo wissenschaft“ oder „Esoterik“ bezeichnet. In der Wissenschaftsphilosophie vertrat man lange Zeit die Auffassung, dass sich anhand festgelegter Demarkationskriterien eine eindeutige Grenze zwischen wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Wissen oder Vorgehen ziehen lässt.2 Der vorliegende, aus der Perspektive einer sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung verfasste Text verfolgt ein anderes Ziel. Meine These ist, dass Debatten um die Abgrenzung von Wissenschaft und Nichtwissenschaft sich, in der Art eines selten bewusst gemachten Hintergrunds, auf die Unterscheidung zwischen der Wissenschaft (bzw. den Wissenschaften) und ihrer Öffentlichkeit (bzw. ihren Öffentlichkeiten) stützen. Diese Unterscheidung ist aber nicht selbstverständlich. Zudem gibt es diverse mögliche Verhältnisse von Wissenschaft und Öffentlichkeit zueinander. Diese empirisch verschiedenen Verhältnisse nehme ich in Augenschein. Auf der Grundlage ausgewählter wissenschaftshistorischer Studien werden sie im Folgenden exem plarisch für verschiedene Zeiten in der Entwicklung der Naturwissenschaften rekonstruiert. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den Verschiebungen 1 Ich danke für Anregungen und kritische Kommentare, die ich anlässlich der Präsentation der Arbeit am Österreichischen Wissenschaftstag im Oktober 2019 erhalten habe. Barbara Grimpe sei für weiterführende Diskussionen gedankt. Dieser Beitrag und die ihm zugrunde liegende Forschung werden gefördert durch den Wissenschaftsfonds bzw. Austrian Science Fund (FWF): Projekt Nr. I 2692-G16. 2 Vgl. Beitrag von Martin Mahner in d iesem Band.
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und Transformationen in diesen Verhältnissen zu, wobei jeweils zu klären ist, auf welche Weise und zu welchem Typ von Öffentlichkeit sich Wissenschaft, ihre Akteure und Praktiken in Beziehung setzen. Der hier verwendete Begriff der Öffentlichkeit bedarf angesichts seiner vielfältigen Lesarten in den Sozialwissenschaften einer Klärung. Im Gegensatz zur Vorstellung, dass die Öffentlichkeit der Wissenschaft unproblematisch gegeben ist und als s olche der Wissenschaft gegenübertritt, soll die Aufmerksamkeit hier auf die Frage nach der Herstellung von Öffentlichkeit gerichtet werden. Eine solche Verschiebung der Perspektive wirft eine Reihe von Fragen auf. Zum Beispiel: Durch welche diskursiven, materiellen, medialen Praktiken werden Öffentlichkeiten erzeugt? Wer ist an dieser Konstruktion beteiligt? An welchen Lokalitäten ist Öffentlichkeit situiert? Was wird publik gemacht? Ein derart praxisorientierter Begriff des Öffentlichen geht folglich über die Vorstellung hinaus, dass es sich bei der Öffentlichkeit der Wissenschaft lediglich um den Adressatenkreis handelt, an den Wissenschaft sich wendet. Auch wird der Begriff pluralisiert, indem von der möglichen Existenz multipler Öffentlichkeiten ausgegangen wird. Im Folgenden werden, in Form kurzer Vignetten, vier ausgewählte Fallgeschichten zur Entwicklung der Wissenschaften in unterschiedlichen Epochen präsentiert. Alle vier Fallgeschichten sind lose mit der Physik (bzw. mit Phäno menen, die heute zur Physik zählen) assoziiert. Im Zentrum jeder der vier Vignetten steht die Frage nach dem jeweiligen Verhältnis der Wissenschaften zu ihren Öffentlichkeiten.3 Der Beitrag schließt mit einigen Folgerungen, die einen Bezug zur heutigen Zeit herstellen.
Öffentliche Bezeugung unter Gentlemen im England des 17. Jahrhunderts Als erstes sei der Blick auf das 17. Jahrhundert gerichtet, eine Zeit, in der G alileo, Kepler, Boyle, Pascal und andere Naturforscher eine „neue Wissenschaft“ ausriefen und die Neuartigkeit ihrer Erkenntnisse als radikalen Schnitt mit der Vergangenheit darstellten – eine Entwicklung, die später als „wissenschaftliche
3 Für eine ausführliche Diskussion der Entwicklung des Verhältnisses von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit vgl. Peter Weingart, Die Wissenschaft der Öffentlichkeit, Weilerswist 2005.
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Revolution“ bezeichnet werden sollte.4 Leben und Arbeit der Naturforscher war in verschiedene soziokulturelle Milieus eingebettet, im Kontext derer sich spezi fische Öffentlichkeiten für die neue Wissenschaft bildeten. Der Mathematiker und Philosoph Galileo zum Beispiel verbrachte einen wichtigen Teil seines Forscherlebens am Hof der Medici und wurde von ihnen unterstützt. Seine Arbeiten insbesondere im Bereich der Astronomie waren durch die höfische Kultur geprägt und explizit auf die Öffentlichkeit des Hofes ausgerichtet, wie Mario Biagioli zeigt.5 Die Patronage verlieh seiner wissenschaftlichen Arbeit Legitimation, den Erkenntnissen Glaubwürdigkeit und dem Naturforscher einen Statusgewinn. In England hatte das Milieu der Gentlemen eine herausragende Bedeutung für die Naturforschung und wurde ihr zur Öffentlichkeit, wie Steven Shapin in seinem wegweisenden Werk „The Social History of Truth“ sowie der gemeinsam mit Simon Schaffer verfassten Studie zur Kontroverse z wischen Thomas Hobbes und Robert Boyle darlegt.6 Es handelt sich um das Entstehen eines modernen Empirismus, ausgehend von der Überzeugung, dass wissenschaftliche Erkenntnis auf unmittelbarer und unvermittelter sinnlicher Erfahrung gründet und nur aus ihr hergeleitet werden kann. Neben die Beobachtung natürlicher Phänomene trat nun auch die Herstellung von Erfahrungstatsachen im Experiment, die besonders an der Royal Society of London besondere Bedeutung erwarb. Die von Robert Hook, dem Assistenten von Boyle, entwickelte Vakuumpumpe wurde, laut Shapin, „zum Modell für das richtige Vorgehen in der experimentellen Naturphilosophie“ 7, und entsprechende Experimente wurden in ganz Europa wiederholt. Wer nach der Maxime der Empiristen handelte, dass Erkenntnis primär auf unvermittelter Erfahrung gründet, musste sich die Frage stellen, w elche Verfahren es ermöglichen könnten, den Bereich der Erfahrung indirekt zu vergrößern, und wie kollektiv geteilte Wissensinhalte überhaupt erzeugt werden könnten. 4 Vgl. Steven Shapin, Woher stammte das Wissen in der wissenschaftlichen Revolution? In: Michael Hagner (Hg.), Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt a. M. 2001, 43 – 103. 5 Vgl. Mario Biagioli, Galileo Courtier: The Practice of Science in the Culture of Absolutism, Chicago 1993. 6 Vgl., auch als Grundlage für die Ausführungen in diesem und dem nachfolgenden Absatz, Steven Shapin, A Social History of Truth: Civility and Science in Seventeenth-Century England, Chicago 1994; Steven Shapin, Simon Schaffer, Leviathan and the Air-Pump: Hobbes, Boyle, and the Experimental Life, Princeton 1985. Ergänzend dazu Shapin, Woher stammte das Wissen in der wissenschaftlichen Revolution? S. Anm. 4. 7 Shapin, Woher stammte das Wissen in der wissenschaftlichen Revolution? S. Anm. 4, S. 77.
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Anders ausgedrückt: wie werden individuelle Aussagen öffentlich, wie wird die „Öffentlichkeit des Wissens“ 8 erzeugt? An der Royal Society of London etablierte sich die Praxis, Experimente vor einem Publikum aus sorgsam ausgewählten Beobachtern in Form öffentlicher Demonstrationen durchzuführen. Die ausgewählten Einzelpersonen bürgten als Zeugen, d. h. durch den Akt ihrer öffentlichen Bezeugung, für die Richtigkeit der im Experiment produzierten Ergebnisse, was sie auch schriftlich bestätigen mussten. Das wichtigste Auswahlkriterium für die Benennung von Zeugen war ihr Status als „Gentlemen“. Das Vorliegen wissenschaftlicher oder technischer Fähigkeiten war sekundär. Dank ihrer Ehrenkultur (Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit) und ihres hohen sozialen Status standen Gentlemen für die Vertrauenswürdigkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse ein. Dabei war das Milieu der Gentlemen den Experimenten nicht lediglich entfernte oder periphere Öffentlichkeit. Vielmehr leistete diese sehr gezielt etablierte Öffentlichkeit einen konstitutiven Beitrag zur epistemischen Sicherung der Wissensinhalte und ermöglichte es, dass Wissensinhalte unter Beibehaltung ihrer Glaubwürdigkeit zirkulieren konnten.9
Elektrizität: Beispiel einer öffentlichen Wissenschaft im 18. Jahrhundert Als nächstes sei eine heterogene Konstellation wissenschaftlicher Praktiken und korrespondierender Öffentlichkeiten skizziert, die mit den oben skizzierten Experimentalsituationen, d. h. relativ exklusiven Ereignissen, an privilegierten Orten wie der Royal Society of London oder dem Hof der Medici, kontrastiert. Oliver Hochadel widmet sich in seiner Studie aus der Perspektive der Kulturund Sozialgeschichte den Anfängen der Elektrizität und der Vielfalt elektrischer Praxis in der deutschen Aufklärung.10 Er diskutiert dabei so unterschiedliche Orte wie das Wirtshaus, den Jahrmarkt, die Schule, die Gelehrtenstube, die Werkstatt des Instrumentenmachers oder das Wiener Hetztheater, an denen 8 Ebd., S. 88. 9 Shapin geht noch einen Schritt weiter. Er identifiziert „gentlemanly origins“ der experimentellen und beobachtenden Naturphilosophie im England des 17. Jahrhunderts und zeigt, auf welche Weise das Konzept wissenschaftlicher Wahrheit einer „gentlemanly constitution“ unterliegt, vgl. Shapin, A Social History of Truth: Civility and Science in Seventeenth-Century England, s. Anm. 6, S. xviii und xxi. 10 Oliver Hochadel, Öffentliche Wissenschaft: Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen 2003.
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„Elektrizität auf die eine oder andere Weise praktiziert wird“.11 Die Elektrizität sei damals in folgendem Sinne eine „öffentliche Wissenschaft“ gewesen: Wissen sei in einer Vielzahl von – immer wieder verschieden großen, immer wieder unterschiedlich zusammengesetzten – Öffentlichkeiten und mit konkurrierenden Erklärungen erzeugt und kontrovers debattiert worden. Darüber hinaus seien elektrische Phänomene in Form öffentlicher Spektakel dargeboten worden. Der von Hochadel verfolgte Ansatz, der Heterogenität der Wissenspraktiken und -akteure nachzugehen, ohne zwischen Wissenschaftern und Amateuren, ernstzunehmender Forschung und Vergnügung zu trennen, steht im Dienste der Vermeidung einer teleologischen Geschichtsschreibung, die wissen schaftliche Entwicklung aus der Perspektive späterer Zeiten rekonstruiert. In der betrachteten Epoche war der Status der Naturwissenschaften noch deutungsoffen, waren die Grenzen zwischen Wissenschaft und Amateurpraxis noch nicht gezogen. Das begann sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu verändern, wie der folgende Abschnitt skizziert. Ich beschränke mich auf die Herausbildung von Wissenschaftsdisziplinen, und wie diese zunehmende „Disziplinierung“ – die Herausbildung verschiedener Typen legitimer Wissenschaft sowie legitimer Wissenschafter und Wissenschafterinnen – zwei verschiedene Typen von Öffentlichkeiten, nämlich „innere“ und „äußere“ Öffentlichkeiten, mit sich brachte.
Die Orientierung an disziplinären Öffentlichkeiten im 19. Jahrhundert Die disziplinäre Struktur der Wissenschaft und der Hochschulen, so Rudolf Stichweh, wurde seit dem späten 18. Jahrhundert zunächst in Deutschland und daraufhin auch in anderen europäischen Ländern institutionalisiert. 12 Sowohl die Wissenschaft als auch die Hochschulbildung organisierten sich entlang disziplinärer Unterscheidungen. Eine Disziplin lässt sich charakterisieren durch gemeinsame Problemstellungen, Methoden, Theorien und einen 11 Ebd., S. 11. 12 Als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen vgl. Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen: Physik in Deutschland 1740 – 1890, Frankfurt am Main 1984; Rudolf Stichweh, Wissenschaftliche Disziplinen: Bedingungen ihrer Stabilität im 19. und 20. Jahrhundert. In: Jürgen Schriewer, Edwin Keiner, Christophe Charle (Hg.), Sozialer Raum und akademische Kulturen: Studien zur europäischen Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1993, 235 – 250.
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geteilten Wissensbestand; eine wissenschaftliche Gemeinschaft; disziplinäre Studiengänge und Karrieren; eigene Fachgesellschaften und Publikationsorgane (insbesondere Zeitschriften). Der Entstehung disziplinärer Gemeinschaften ging eine Veränderung in den wissenschaftlichen Praktiken und Werten voraus. Wissenschaftliches Arbeiten wurde (zumindest in den Naturwissenschaften) mit der Idee von Forschung assoziiert, d. h. einer Präferenz für Neuheit und „eine unaufhörliche Produktion neuen Wissens“.13 Gleichzeitig fand eine zunehmende Spezialisierung in Hinblick auf Forschungsprobleme, Methoden und Messinstrumente sowie theoretische Ansätze statt. Das wissenschaftliche Labor entwickelte sich in der Physik und der Chemie zu einem zentralen Ort der Wissensproduktion. Diese Veränderungen brachten es mit sich, dass der wissenschaftliche Alltag sich immer stärker in den Grenzen disziplinärer Gefüge abspielte, sei es intellektuell, institutionell oder physisch. Die disziplinäre Gemeinschaft mit ihren Labors, Konferenzen, Studiengängen und Zeitschriften wurde auf diese Weise zur vorherrschenden Öffentlichkeit für die wissenschaftliche Arbeit. Die Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems in Disziplinen, so Stichweh, ging einher mit einer Ausdifferenzierung der Wissenschaft aus ihrer (nichtwissenschaftlichen) Umwelt.14 Frühere Öffentlichkeiten der Wissenschaft verloren damit an Bedeutung.15 Die öffentliche Bezeugung von Phänomenen war verschwunden. Professionelle Betätigung und disziplinäre Wissenschaft oder universitäre Lehrstellen, die in früheren Zeiten miteinander vereinbar gewesen waren, schlossen sich zunehmend aus. So hatten zum Beispiel noch im 18. Jahrhundert manche Forscher der Chemie Laborerfahrungen in der Apotheke erworben oder gleichzeitig den Apothekerberuf ausgeübt.16 Und auch die Amateurwissenschaft, die im 18. Jahrhundert noch sehr verbreitet und anerkannt gewesen war, verlor an Ansehen. Im Zuge der Institutionalisierung der Wissenschaft haben die Disziplinen ihre Öffentlichkeiten folglich neu konstituiert.
13 Rudolf Stichweh, Wissenschaftliche Disziplinen: Bedingungen ihrer Stabilität im 19. und 20. Jahrhundert, s. Anm. 12, S. 240. 14 Vgl. Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen: Physik in Deutschland 1740 – 1890, s. Anm. 12. 15 Diese Entwicklung betraf die Disziplinen (wie z. B. die Physik, Chemie oder Mathematik), nicht aber die Professionen (wie z. B. Medizin, Recht, Theologie). 16 Erika Hickel, Der Apothekerberuf als Keimzelle naturwissenschaftlicher Berufe in Deutschland, in: Medizinhistorisches Journal 13 (1978), 259 – 276.
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Das Bild des ignoranten Publikums im 20. Jahrhundert Das Verhältnis der institutionalisierten Wissenschaft zu ihrer (äußeren) Öffentlichkeit soll in einer letzten Vignette schließlich noch aus der Perspektive diskursiver Konstruktionen betrachtet werden. Gefragt wird daher, w elche Bilder und Vorstellungen sich die Wissenschaften von der Öffentlichkeit machen und wie die Beziehung z wischen Wissenschaft und Öffentlichkeit imaginiert wird. Bernadette Bensaude-Vincent hat sich dieser Frage angenommen und dabei besonders die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fokussiert.17 Zentraler Topos des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit ist ein „increasing gap“, also die Behauptung einer anwachsenden Kluft oder Lücke. Die Autorin argumentiert, dass die Vorstellung einer solchen Lücke dem Konzept moderner Wissenschaft in der Tat eingeschrieben sei (entsprechend der zuvor diskutierten Ausdifferenzierung der Wissenschaft); damit sei aber nicht impliziert, dass öffentliches Wissen auch eine Abwertung erfahren müsste.18 Diese Abwertung ist neueren Datums und unterscheidet sich von der Konzeption früherer Epochen. Während ein „aufgeklärtes Amateurpublikum“ im 18. Jahrhundert und die „öffentliche Wissenschaft“ im 19. Jahrhundert noch breite Anerkennung genossen hatten, werde die Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert als „eine Menge leichtgläubiger, irrationaler und ignoranter Menschen“ imaginiert.19 Diese Vorstellung bezeichnet man auch als „Defizitmodell“ der Wissenschaftskommunikation. Die Vorstellung einer ignoranten und insofern defizitären Öffentlichkeit schreibt sich nach wie vor in viele Aktivitäten der Wissenschaftskommunikation ein. Dabei wird sehr oft nicht genügend berücksichtigt, dass es sich nicht um eine homogene Gruppe handelt, sondern um Öffentlichkeiten (im Plural) mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen, Interessen, Kenntnissen und Erfahrungen. Gleichzeitig entstanden in den letzten Jahren vermehrt Initiativen, die statt auf Informationsvermittlung auf öffentliche Partizipation setzen. In diesen Kontext sind auch Aktivitäten einzuordnen, die derzeit unter dem Label
17 Vgl., auch als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen, Bernadette Bensaude- Vincent, A Genealogy of the Increasing Gap between Science and the Public. In: Public Understanding of Science 10 (2001), 99 – 113; Bernadette Bensaude-Vincent, Reconfiguring the Public of Science. In: Patrick Baranger, Bernard Schiele (Hg.), Science Communication Today: International Perspectives, Issues and Strategies, Paris 2013, 105 – 118. 18 Ebd., S. 101. 19 Ebd., S. 106.
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„Citizen Science“ angeboten werden.20 Es ist eine empirische Frage und bleibt zu untersuchen, auf w elche Weise Wissenschaft in partizipativen Projekten öffentlich gemacht wird und mit welchen Effekten – für die Beteiligten, die produzierten Ergebnisse und die wissenschaftliche Praxis.
Ausblick und Schluss Dieser Beitrag stellte anhand von vier ausgewählten Fallgeschichten verschiedene Konstellationen im Verhältnis von Wissenschaften und ihren Öffentlichkeiten vor. Ausgehend von einem praxisorientierten Ansatz stand die Frage nach der interaktiven, diskursiven und materiellen Herstellung der Öffentlichkeiten im Zentrum. Implizit wurde auf diese Weise auch eine medientheoretische Perspektive verfolgt. Zwischen den scheinbar disparaten Bereichen Wissenschaft und Öffentlichkeit sind historisch vielfältige Formen der Vermittlung zu beobachten – sei es durch bestimmte Akteure (die englischen Gentlemen), bestimmte Organisationsformen (die „Spektakel“ der Elektrizität) oder das Medium der Sprache (die rhetorische Abwertung der Amateurwissenschaft). Eine dynamische Betrachtung fokussierte Veränderungen und Verschiebungen. Der Diskussion lag die Annahme zugrunde, dass Wissenschaften sich darin unterscheiden, wie sie Öffentlichkeiten konstituieren. Abschließend möchte ich einen kleinen Einblick in ein laufendes Forschungsprojekt geben, um zu illustrieren, wie die Dynamisierung und Pluralisierung des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit sich in bestimmten Situationen auf vielleicht überraschende Weise darstellen kann. Ort des Geschehens ist das europäische Labor für Teilchenphysik CERN in Genf und dort insbesondere die Experimente, die derzeit am Large Hadron Collider (LHC) durchgeführt werden. Uns interessiert, aus der Perspektive der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung, eine Episode aus den Jahren 2015 – 2016.21 Im Dezember 2015 präsentierten zwei der LHC-Kollaborationen, ATLAS und CMS, zeitgleich überraschende und unerwartete Ergebnisse „neuer Physik“, allerdings mit geringer statistischer Signifikanz. Im August 2016 stellte 20 Vgl. Bruno J. Strasser et al., „Citizen Science“? Rethinking Science and Public Participation. In: Science & Technology Studies 32, 2 (2019), 52 – 76. 21 M. Merz, Das Spiel mit der Ambivalenz: Teilchenphysik in den Medien. Vortrag im Colloquium „Wissenschaft in der Glaubwürdigkeitskrise“, Institute for Interdisciplinary Studies of Science (I²SoS), Universität Bielefeld, 16. Januar 2017.
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sich das Ergebnis, der „750 GeV bump“, als statistischer Zufallseffekt heraus. In den dazwischenliegenden acht Monaten war allerdings sehr intensiv um die Interpretation gerungen worden und hatte eine äußerst lebhafte öffentliche Debatte stattgefunden, die über Blogs, Preprints, Präsentationen, Zeitungen, Wissenschaftsmagazine etc. ausgetragen wurde und an der sich eine große Zahl von Vertretern der theoretischen Physik, der Experimentalteilchenphysik, der Print- und Onlinemedien sowie andere Personen beteiligt hatten. Durch die Vielfalt der Akteure und Kommunikationsformate wurde ein erweiterter diskursiver Raum aufgespannt, der sich aus immer wieder neu konfigurierenden Öffentlichkeiten zusammensetzte. Akteure beteiligten sich in verschiedenen Rollen; die Legitimität und Glaubwürdigkeit der jeweiligen Positionen wurde wiederholt in Frage gestellt und verhandelt; Konfliktlinien innerhalb der wissenschaftlichen Community wurden sichtbar; Argumentationsfiguren wanderten durch die Formate und Genres. Bestimmte Situationen lösten eine Fülle nahezu zeitgleicher Kommunikationsakte aus (z. B. wurden Preprints in dem Moment auf den Preprint-Servern hochgeladen, in dem Ergebnisse, auf die sie sich bezogen, gerade präsentiert wurden). Solche verdichtete Kommunikation zwischen global verteilten Akteuren ist aus anderen sozialen Kontexten bekannt (z. B. Aktivierung breiter sozialer Bewegungen mittels Twitter). In der naturwissenschaftlichen Wissensproduktion wurden derartige zeitlich-soziale Verdichtungen bisher noch nicht genauer analysiert. Die Literatur vermittelt den Eindruck, als gäbe es eine klare Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Ereignisse, in denen „innerwissen schaftliche“ und „öffentliche“ Diskurse eng miteinander verflochten sind, wie im Fall der skizzierten Episode, haben bisher noch kaum Aufmerksamkeit erhalten. Der in diesem Beitrag skizzierte Ansatz könnte für eine Analyse der 750-GeV-Episode sowie weiterer Beispiele aus der Hochenergiephysik ein geeigneter erster Schritt sein.
Moderner Aberglaube und seine biologischen Wurzeln Peter Brugger
Aberglaube entspringt einem unermüdlichen Streben nach Sinn. Während anthropologische und sozialpsychologische Studien die (sub)kulturelle Diversität abergläubischer Praktiken in den Vordergrund stellen, beschäftigt sich die Neuropsychologie des Aberglaubens mit seinen biologischen Grundlagen. Auf Wahrnehmungsebene favorisierte die Evolution Nervensysteme, die es einem Individuum erlauben, selbst schwächste Signale vor einem verrauschten Hinter grund zu entdecken. Analog stellt auf Ebene des Assoziierens das Erkennen kleinster statistischer Regelmässigkeiten einen selektiven Vorteil dar. Zuviel zu sehen ist evolutionsbiologisch weniger folgenreich als zu wenig zu sehen, und Aberglaube ist der Preis, den wir für ein hochsensitives Wahrnehmungs- und Assoziationsvermögen zahlen müssen. Damit muss menschliches Streben nach Sinn nicht nur das Unsinnige in Kauf nehmen, sondern ermöglicht auch das Abgleiten in den Wahnsinn.
1 Moderner Aberglaube und Hirnforschung Viel ist über den Aberglauben aus sozialwissenschaftlicher und psychologischer Sicht geschrieben worden und durchaus Lesenswertes kommt auch heute manchmal noch hinzu. Dies hat dazu geführt, dass den kulturellen Spielformen abergläubischer Neigungen und Rituale dermassen viel Beachtung geschenkt wird, dass darüber die biologischen Wurzeln vergessen gingen. Welches sind die evolutionären Kräfte, die Aberglauben auch aktuell transkulturell so allgegenwärtig sein lassen? Wieso hat es die Aufklärung nicht geschafft, den Aberglauben einzudämmen, warum blüht abergläubische Gesinnung inmitten unserer rationalen Gesellschaft, ja selbst in akademischen Kreisen immer wieder auf? Vor einem knappen Vierteljahrhundert beklagte sich der italienische Neurologe Eduardo Bisiach darüber, dass so wichtigen Funktionen wie der Fähigkeit und der Bereitschaft zu glauben von Seiten der Hirnforschung zu wenig Beachtung geschenkt wird. „Nichts scheint weiter von den derzeitigen Grenzbereichen der Neurowissenschaften entfernt zu sein als die Schaltkreise, die der Fixierung
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und den Veränderungen des menschlichen Glaubens zu Grunde liegen 1“. In der Tat ist der Glaube ein Stiefkind der Neuropsychologie. Die Erkenntnis, dass Denkfunktionen wie Lesen, Schreiben und Rechnen in erster Linie Hirnfunktionen sind, ist in unserer Gesellschaft bis auf die Grundschulstufe durchgesickert. Auch gilt der Beitrag des Gehirns zu unserem Gefühlsleben als erwiesen. Bildgebende Verfahren tun es in der Populärpresse kund: Kognition wird von den äussersten Millimetern der Gehirnoberfläche, dem Kortex, her gesteuert, Emotionen entstammen unterhalb der Hirnrinde gelegenen Kernen, haben eine subkortikale Komponente. Doch welche Hirnregionen erlauben uns, zu glauben und zu aberglauben? Ist der Glaube „suprakortikal“ angesteuert, tritt er von aussen an uns heran und kann daher gar nicht Gegenstand der Neurowissenschaften sein? Der vorliegende Beitrag umreisst eine Neuropsychologie des Glaubens. Er fasst Studien zusammen, die seit der ausgehenden Dekade des vorigen Jahrhunderts durchgeführt wurden und sich zum Ziel gesetzt hatten, die neuropsychologischen Grundlagen einer modernen Form des Aberglaubens darzustellen, des Glaubens an die Existenz sogenannt „paranormaler“ Phänomene. Dazu gehört in der Tradition der Parapsychologie in erster Linie die Aussersinnliche Wahrnehmung (ASW; Telepathie, Hellsehen und Präkognition). Der Glaube an ASW entsteht nachweislich aus der Neigung, zwei Zufallsereignissen eine kausale Grundlage zu verleihen 2. Erhalte ich einen Telefonanruf einer Person, die ich gerade eben selber anrufen wollte, denke ich an Gedankenübertragung; träume ich von einem Ereignis, das am nächsten Tag dann auch eintritt, spiele ich mit dem Gedanken an Präkognition. Die Annahme einer Kausalität hinter höchstens korrelierten Ereignissen ist eine Kardinaleigenschaft abergläubischen Denkens: Regen nach längerem Tanzen macht mich zum Regentänzer; hat die Hasenpfote zwei Male Glück gebracht, trage ich den Glücksbringer wohl besser gleich immer auf mir. Die Evolution des Regentanzes muss auf Breitengraden studiert werden, wo Dürreperioden häufig sind. Ob es eine Hasenpfote ist, die als Talisman eingesetzt wird, oder ein beliebiger anderer Gegenstand, muss im Rahmen kultureller und subkultureller Überlieferungen studiert werden. ASW-Gläubigkeit ist in allen Kulturen dieser Welt verbreitet und gerade in westlichen Industriegesellschaften in 1 E. Bisiach, M. Rusconi, G. Vallar, Remission of somatoparaphrenic delusion through vestibular stimulation. In: Neuropsychologia 29 (1991), 1029 – 1031; S.1029. 2 D. Clarke, Experience and other reasons given for belief and disbelief in paranormal and religious phenomena. In: Journal of the Society for Psychical Research 60 (1995), 371 – 384.
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allen Bevölkerungsschichten anzutreffen. Ungebildete Personen liefern lediglich andere Erklärungen für das Erlebnis einer vermeintlich aussersinnlichen Wahrnehmung – was für sie die einfache Übertragung eines Gedankens von einem Gehirn ins andere ist, ist für den Universitätsprofessor Ausdruck einer komplexen quantenmechanischen Verschränkung. Transkulturelles Auftreten und relative Ausbildungsresistenz machen die ASW-Gläubigkeit zu einem Forschungsgegenstand, der ideal geeignet ist für eine Annäherung aus neuropsychologischer Sicht. Wo kulturelle und soziodemographische Faktoren eine eher untergeordnete Rolle spielen, lässt sich der Einfluss zentralnervöser Mechanismen leichter herausschälen. Bevor auf den Glauben ans Aussersinnliche als spezielle Form des „Sehens“ von Bedeutung eingegangen wird, soll kurz der Stellenwert des Bedeutungssehens in der Menschheitsgeschichte besprochen werden.
2 Signal und Rauschen: der selektive Vorteil des Bedeutungssehens Als vor einigen Millionen Jahren der Urmensch von den Bäumen gestiegen war, entwickelte er den aufrechten Gang in einer Savannenlandschaft. Das Gras dort bewegte sich im Winde, bildete ein Muster aus sich zufällig hin und her verschiebenden Streifen – informationstheoretisch ausgedrückt sah sich der Savannenmensch einem visuellen Rauschen gegenüber. So kontemplativ es gewesen sein muss, sich dem Anblick dieses Rauschens und dem begleitenden Geräusch hinzugeben, so gefahrenvoll war der Aufenthalt im Grasland. Der Säbelzahntiger lauerte dort, geschickt sein Streifenfell dem Hintergrund angepasst, bemüht darum, dass das Rauschen seiner Fellstreifen im Rauschen der Grashalme untergehen würde. Für den Menschen stellte er ein Signal dar und es galt, dieses Signal im Rauschen möglichst rasch zu entdecken. In einer solchen Situation, illustriert in Abbildung 1, können grundsätzlich zwei Fehler gemacht werden: der Tiger ist zwar da, wird aber nicht entdeckt. Ein tödlicher Fehler für den Einzelmenschen und einer, der von der Evolution entsprechend bestraft wird: nichts hätte es dem Urmenschen genützt, den aufrechten Gang entwickelt zu habe; noch bevor er die freigewordenen Hände sinnvoll zum Entwickeln von Werkzeug hätte einsetzen können, wäre er bereits ausgestorben! Die Entwicklung eines sensitiven visuellen Systems, das eine verlässliche Mustererkennung erlaubt, war unerlässlich in der frühen Menschwerdung. Der andere mögliche Fehler besteht darin, das Signal auch dann zu „sehen“ (lies: vermuten), wenn in Wirklichkeit nur das blosse Rauschen des Grases vorhanden
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ist. Dieser Fehler – ein „Fehler Typ 1“ in der Sprache der Statistik – wurde von der Evolution unvergleichlich milder bestraft als sein Pendant, der Fehler Typ 2 (das Übersehen des Signals). Wer einmal zu viel vor dem nicht vorhandenen Tiger flieht, hält sich fit und übt für den Ernstfall. Lebensbedrohliche Konsequenzen hat dieser Fehler nicht.
Abbildung 1: Ein räumliches Zufallsmuster, in dem sich ein Signal versteckt: es nicht zu sehen, wäre aus evolutionsbiologischer Sicht fatal gewesen. Seine Anwesenheit bloss zu vermuten, hält im besten Fall fit, im schlimmsten führt es zu Verfolgungswahn. Siehe Text für nähere Erläuterung. (Nach einer Fotografie von Ralph Fletcher; http://livethewritinglife.blogspot.com/2016/03/tiger-tale-true-story.html)
In der Wahrnehmungspsychologie beschäftigt sich die Signal-Entdeckungs- Theorie genau mit solchen Szenarien des Entdeckens eines möglichen Signals im Rauschen. Sie wurde während des Zweiten Weltkrieges im Hinblick auf das Entscheidungsverhalten des Soldaten, der Radarschirme zu beobachten hat, entwickelt. Die Signalentdeckungstheorie besagt, dass das Verhältnis der beiden möglichen Fehlertypen vom Kriterium des Beobachters abhängt. Je bedrohlicher ein Signal, desto eher sind Fehler von Typ 1 in Kauf zu nehmen. Beobachtet man in Kriegszeiten eine kleine Regelmässigkeit auf einem Radarschirm, wird besser früh ein Alarm ausgelöst, als dass so lange zugewartet wird, bis die Flugzeugstaffel ihre Bombenlast entlässt. Auf einen falschen Alarm hin wird hier in Anbetracht der Konsequenzen einer unterlassenen Warnung
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gerne reagiert. Wichtig ist, dass die Häufigkeit eines Fehlertyps immer nur auf Kosten der Häufigkeit des anderen optimiert werden kann. Die Evolution hat eine sensitive Mustererkennung als für dermassen wichtig befunden, dass eine hohe Rate an falschen Alarmen toleriert wurde, auch wenn sie genau damit den Aberglauben förderte, die Bereitschaft, Zufallsmustern zu viel Bedeutung beizumessen. Empirische Studien zeigen, dass der Glaube an ASW tatsächlich mit einer Präferenz für Fehler des Typs 1 (falsche Alarme) einhergeht, selbst in so nüchternen Situationen wie dem Entdecken eines Signals in visuellem Rauschen 3. Neuropsychologisch motivierte Folgestudien konnten nachweisen, dass der rechten Hirnhälfte dabei eine besondere Rolle zukommt: Je ausgeprägter der Glaube einer Person an Telepathie, Hellsehen und Präkognition, desto eher wird Zufallsmustern speziell im linken Gesichtsfeld (das Informationen primär dem rechten visuellen Kortex übermittelt) eine nicht vorhandene Bedeutung zugeschrieben 4. Extrapoliert auf den neuropsychiatrischen Kontext wurde auch gezeigt, dass akute psychotische Symptome wie Halluzinationen und wahnhaftes Denken mit einer erhöhten Bereitschaft zu falschen Alarmen assoziiert sind 5. Solche Experimente belegen die grundlegende Wichtigkeit von elementaren Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozessen für die Glaubensbildung und speziell auch für die Entstehung von abergläubischem und paranoidem Denken.
3 Die Macht der Koinzidenz In modernen Alltagssituationen ist das Signal kein Tiger im Rauschen des Savannengrases. Ein mächtiges Signal stellt die Koinzidenz dar; sie erscheint als Regelmässigkeit im zeitlichen Verlauf von Ereignissen (Abbildung 2) und nimmt einen aus biologischer Sicht zentralen Platz in der Entstehungsgeschichte des Aberglaubens ein.
3 S. Blackmore, R. Moore, Seeing things: visual recognition and belief in the paranormal. In: European Journal of Parapsychology 10 (1994), 91 – 103. 4 P. Brugger, M. Regard, T. Landis, N. Cook, D. Krebs, J. Niederberger, “Meaningful” patterns in visual noise: effects of lateral stimulation and the observer’s belief in ESP. In: Psychopathology 26 (1993), 261 – 265. 5 R. P. Bentall, P. D. Slade, Reality testing and auditory hallucinations: a signal detection a nalysis. In: British Journal of Clinical Psychology 24 (1985), 159 – 169.
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Abbildung 2: Zwei zeitliche Zufallsmuster (Münzwurfsequenzen): „Koinzidenzen“, zwei g leiche Ereignisse in unmittelbarer Aufeinanderfolge, bilden hier das kritische Signal. Welche Sequenz erscheint Ihnen repräsentativer für das elfmalige Werfen einer fairen Münze? Siehe Text für nähere Erläuterung.
Die beiden in Abbildung 2 gezeigten Sequenzen sind gleich wahrscheinlich. Die Chance für eine Koinzidenz, für eine unmittelbare Wiederholung eines von zwei möglichen Zufallsereignissen, ist 50 %. Auf 11 Würfe sind 5 Koinzidenzen zu erwarten 6. Die obere Sequenz zeigt 3 davon, die untere 7. Obschon beide Sequenzen damit gleich weit weg von der Zufallserwartung liegen, erscheint den meisten Leuten die obere „zufälliger“ zu sein; zu viele Koinzidenzen wirken subjektiv weniger wahrscheinlich als zu wenige. Man kann auch sagen, dass Koinzidenzen allgemein so stark ins Auge fallen, dass sie im Gehirn den Eindruck erwecken, sie seien „gemacht“ und nicht das Resultat eines Zufallsprozesses. Darauf basiert der Irrglaube des Roulettespielers, die Chance für Rot sei nach einigen schwarzen Zahlen angestiegen. Darauf basiert auch die Überzeugung, dass „bedeutungsvollen“ Zufällen im Alltag eine Gesetzmässigkeit zu Grunde liegen muss – eine Überzeugung, die zum Teil namhafte Akademiker dazu verleitet hat, der Koinzidenz eine Monografie zu widmen 7. Auf dieser Macht der Koinzidenz basiert schliesslich auch der Effekt der „Repetitionsvermeidung“ in Experimenten, in denen Versuchspersonen Zufallszahlen generieren müssen 8. Interessanterweise ist das Ausmass der Repetitionsvermeidung ein Indikator für den Aberglauben: Je stärker eine Person an ASW glaubt, desto mehr vermeidet sie Repetitionen im
6 Vom allerersten Wurf kann nicht gesagt werden, ob er eine Wiederholung ist oder nicht. 7 Etwa P. Kammerer, Das Gesetz der Serie, Stuttgart 1919; C. G. Jung, Synchronizität als Prinzip akausaler Zusammenhänge, In: C. G. Jung, W. Pauli, Naturerklärung und Psyche. Zürich 1952, 1 – 107 oder G. B. Schmid, Klick! Warum wir plötzlich etwas wissen, das wir eigentlich nicht wissen können. Zürich 2015. 8 Beim „Mentalen Würfeln“ etwa, einer Aufgabe, welche das Nennen der Ziffern von 1 bis 6 in möglichst zufälliger Reihenfolge verlangt, liegt der Mittelwert an Repetitionen in 66 generierten Würfen für eine Studentenpopulation bei 3,5 statt der erwarteten 10,8.
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Zufallszahlengenerieren 9. Offenbar ist die Schwelle dafür, Koinzidenzen im Alltag eine Bedeutung zuzuschreiben („Das KANN doch kein Zufall sein!“) individuell unterschiedlich hoch, und eine hohe Schwelle führt nicht nur zu Skepsis gegenüber einer paranormalen Bedingtheit von Zufällen, sondern in der Situation des Zufallszahlengenerierens auch zu einer höheren Anzahl generierter Wiederholungen. Man könnte argumentieren, dass Koinzidenzen beim Mentalen Würfeln immer die Wiederholung von Identischem darstellen (etwa eine 2 nach einer 2 oder eine 6 nach einer 6), während bei Koinzidenzen im Alltag lediglich eine Paarung von Ähnlichkeiten vorliegt 10. Wir haben Versuchspersonen den in Abbildung 3 gezeigten Würfel 60 Male mit verbundenen Augen werfen lassen. Nach jedem Wurf mussten sie raten, welches Ereignis nach oben zu liegen kam. Die drei möglichen Ereignisse waren Karotte, Schilf und Ente oder Hase, je nachdem wie ein Proband die ambiguöse Tierfigur interpretierte 11. Eine Analyse der produzierten Koinzidenzen (Karotte-Karotte, Schilf-Schilf und Ente-Ente respektive Hase-Hase) ergab den erwarteten Vermeidungseffekt. Wichtiger aber war die Beobachtung, dass die Versuchspersonen auch vermieden, assoziativ verwandte Paarungen zu generieren: Die Ereignispaare Ente-Schilf respektive Hase-Karotte traten in den Ratefolgen signifikant weniger häufig auf als die nicht verwandten Paare Schilf-Karotte, Ente-Karotte und Hase-Schilf. Relevant im Zusammenhang mit den kognitiven Wurzeln des Aberglaubens ist, dass auch diese Vermeidung assoziativer Paarungen für Gläubige an ASW stärker ausgeprägt war als für Ungläubige (Abb. 3, unten)12. Dem Aberglauben kommt damit eine assoziative Grundlage zu: Wer weiter und ungehemmter assoziiert, sieht eher Kausalbezüge, wo gar keine sind. Wohlbemerkt: ein solches Sehen von Bezügen kann durchaus auch Ausdruck kreativen Denkens sein – davon s päter (Abschnitt 4). 9 P. Brugger, T. Landis, M. Regard, A “sheep-goat effect” in repetition avoidance: Extra-Sensory Perception as an Effect of Subjective Probability? In: British Journal of Psychology 76 (1990), 459 – 468. 10 Ein Traum über den Tod Sigmund Freuds wenige Stunden bevor der Träumende von Alfred Adlers Ableben erfuhr, führte einen Psychoanalytiker wörtlich über Nacht dazu, an Präkognition zu glauben! J. Eisenbud, PSI and Psychoanalysis. Studies in the Psychoanalysis of PSI-conditioned Behavior. New York 1982. 11 Probanden, welche beide Bedeutungen erkannten, wurden vom Experiment ausgeschlossen. Wer irgendeinen Vogel sah statt einer Ente, wurde auf die begrenzte Zeichenfähigkeit des Untersuchers hingewiesen und gebeten, jeweils mit „Ente“ zu raten. 12 P. Brugger, M. Regard, T. Landis, R. E. Graves, The roots of meaningful coincidence. In: The Lancet 345 (1995), 1306 – 1307.
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Abbildung 3a: Der Bilderwürfel, der im Experiment zum Aussersinnlichen Raten verwendet wurde. Er zeigt ein Tier, Schilf und eine Karotte (gleiche Ereignisse auf gegenüberliegenden Würfelseiten). Es wurden ausschliesslich Versuchspersonen untersucht, welche das Tier entweder nur als Hasen (im Bild nach links blickend, die Ohren rechts) oder nur als Ente (Schnabel und Blickrichtung nach rechts) identifizierten (Gruppe HASE versus Gruppe ENTE).
% der Zufallserwartung
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49
100 90
ASW-
80
Ungläubige ASW-Gläubige
70 60 50
Wiederholungen
Assoziative Paarungen
(Ente/Ente, etc.)
(Ente/Schilf, Hase/Karotte)
Abbildung 3b: Unabhängig von der Korrektheit des Ratens (für alle Personen im Zufallsbereich) unterschieden sich die statistischen Eigenschaften der Ratefolgen Abb3 beider Gruppen voneinander: alle Versuchspersonen zeigten zu wenige Koinzidenzen (Wiederholungen des gleichen Ereignisses), die Personen der Gruppe HASE vermieden zudem, „Hase“ und „Karotte“ aufeinanderfolgen zu lassen, die Personen der Gruppe ENTE zeigten eine analoge Vermeidung für die Ereignisse „Ente“ und „Schilf“. Abergläubische Probanden liessen sich in stärkerem Masse von der Identität, aber auch von der assoziativen Verwandtschaft der Ereignisse beeinflussen als nicht abergläubische.
Die neuropsychologischen Grundlagen der Korrelation zwischen der Abergläubigkeit einer Person und ihrer Koinzidenzvermeidung unter experimentellen Bedingungen müssen in Zukunft noch genauer untersucht werden. Fest steht, dass die Generierung von subjektiven Zufallsfolgen einerseits abhängig ist von Frontalhirn-gesteuerten Netzwerken, andererseits von der Merkfähigkeitsspanne 13. Erkenntnisse sind auch aus der Tierforschung zu erwarten. Ein tierisches Pendant zur Koinzidenzvermeidung ist das spontane Abwechseln von aufeinanderfolgenden Entscheidungen im Erkunden eines Labyrinthes („spontaneous alternation behavior“)14. Diese Art Koinzidenzvermeidung wurde bisher bei allen untersuchten Tierarten beschrieben, von Primaten zu Wirbellosen und sogar zu Einzellern 15; sie scheint ein universelles Phänomen zu sein 13 A. Miyake, N. P. Friedman, M. J. Emerson, A. H. Witzki, A. Howerter, The unity and diversity of executive functions and their contributions to complex “frontal lobe” tasks: a latent variable analysis. In: Cognitive Psychology 41 (2000), 49 – 100. 14 W. N. Dember, C. L. Richman, Spontaneous Alternation Behavior. New York, 1989. 15 Selbst Spermatozoen, die ja lediglich einen halben Chromosomensatz aufweisen und erst auf dem Weg sind, ein Lebewesen zu werden, zeigen Koinzidenzvermeidung in mikroskopisch
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und wohl ein Äquivalent der Vermeidung von Koinzidenzen beim Menschen im Kontext der Zufallsgenerierung. Zukünftige Forschung wird die Rolle der Spontanen Alternation für die Neuropsychologie des Aberglaubens noch genauer umschreiben müssen. Die am häufigsten zitierten Beiträge zu den biologischen Grundlagen des Aberglaubens stammen vom amerikanischen Psychologen Burrhus Frederic Skinner. Ihm verdanken wir die Erkenntnis, dass auch Tiere abergläubisches Verhalten zeigen. Klassisch sind seine Versuche mit Tauben. In unregelmässigen zeitlichen Abständen hat Skinner den hungrigen Vögeln jeweils ein Futterkörnchen verabreicht. War eine Taube zufällig gerade dabei, sich die Flügel zu putzen, hat sie das unerwartete Futter als Belohnung dafür aufgefasst und der Flügelpflege in der Folge etwas mehr Beachtung geschenkt. Aufgrund ihrer Erfahrungen konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie „einfach so“ belohnt wurde. Wann immer dann ein Körnchen wiederum während des Flügelputzens verabreicht wurde, wurde ihr Glaube verstärkt, dass Flügelputzen zu Futter führt. Dies erhöhte nochmals die Flügelputzfrequenz und damit auch die Chance, dass das das nächste Futterkorn auch wirklich während des Flügelputzens erhalten wurde. Die Tiere haben die Koinzidenz zwischen irgendeinem Verhalten (das konnte Flügelputzen für eine Taube sein, Sich-im- Kreis-Drehen für eine andere oder Mit-dem-Fuss-scharren für eine weitere) und einem Ereignis in der Aussenwelt nicht als zufällig gedeutet, sondern als bedeutsam. Eigenes Verhalten und davon unabhängiges Ereignis wird als kausal verknüpft erlebt, genauso wie der für Regen Tanzende sein Tanzen mit dem ersehnten Regen in eine kausale Verknüpfung bringt. Skinner hatte deshalb vorgeschlagen, das Verhalten der Taube während zufälliger Belohnung als „abergläubisch“ zu bezeichnen 16, und wollte damit zeigen, dass menschlicher Aberglaube seine tierischen Vorläufer hat und damit Wurzeln in der Biologie. Der evolutive Vorteil solch abergläubischen Verhaltens ist offensichtlich: Es kostet eine Taube nicht viel, sich die Flügel zu putzen, es würde sie aber unter Umständen viel kosten, gar nicht zu erkennen, dass sie sich an einem Ort befindet, wo verlässlich, wenn auch unregelmässig, immer wieder einmal ein Körnchen Futter zu finden ist.
kleinen Labyrinthen: P. Brugger, E. Macas, J. Ihlemann, Do sperm cells remember? In: Behavioural Brain Research 136 (2002), 325 – 328. 16 B. F. Skinner, “Superstition” in the pigeon. In: Journal of Experimental Psychology 38 (1948), 168 – 172.
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Wo der Selektionsdruck durch Nahrungsknappheit wirkt, verbreiten sich auch in menschlichen Sozietäten abergläubische Rituale. Die Naskapi sind ein Volksstamm, dessen Überleben auf der Halbinsel Labrador im Osten Kanadas von der erfolgreichen Jagd auf Karibus abhing. Wo sich eine Herde der Jagdtiere gerade aufhielt, war schwer vorherzusagen; den Naskapi war es nicht gelungen, mit rationalen Strategien den Ort günstiger Jagdgründe vorherzusagen. Schlimmer noch: jegliche auf anthropomorphen Überlegungen basierenden Voraussagen erwiesen sich als in die Irre führend, Die Karibus schienen sich auf Wegen zu bewegen, die der Intuition selbst erfahrener Jäger entgegengesetzt waren. Die Naskapi entwickelten eine Form von Divination, die sich als erfolgreich zeigte: Sie bestimmten den Weg der nächsten Jagd mit Hilfe von Schulterblattknochen der Tiere, die ins offene Feuer gehalten wurden. Die dadurch entstandenen Flecken und Risse bildeten ein Zufallsmuster, das den Jägern erlaubte, spontane Entscheidungen losgelöst von irgendwelchen früheren Erfahrungen zu fällen, w elche sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auf falsche Wege geführt hätten. Auch hier gilt: es kostet eine Gemeinschaft nicht viel, einen Knochen nach dem Abnagen noch etwas länger ins Feuer zu halten. Dass die Weissagungen aus den Strukturen auf dem angebrannten Knochenstück lediglich dazu dienen, die möglichen Nachteile von Verhaltensstereotypien zu minimieren, braucht dem weissagenden Jäger nicht bewusst zu sein 17. Skinners provokative These, dass Aberglaube genauso zum tierischen Verhaltensinventar gehört wie zum menschlichen, hatte viele Psychologen dazu geführt, das Paradigma der zufälligen Belohnung auch am Menschen zu testen. Die Befunde sprachen für sich: Unabhängig von Bildungshintergrund und Alter liessen sich gesunde Versuchspersonen genau so leicht wie Tauben, Ratten oder Affen zu abergläubischem Verhalten konditionieren. In einem Experiment mit 4- bis 5-Jährigen erhielten die Kinder jeweils ein Bonbon, wenn sie einen von zwei Hebeln eine bestimmte Zeit lang NICHT betätigten 18. Drücken des anderen Hebels hatte keinen Einfluss auf die Vergabe der Belohnung. Die meisten Kinder lernten, den kritischen Hebel nicht zu drücken, und gelangten 17 O. K. Moore, Divination – a new perspective. In: American Anthropologist 59 (1957), 69 – 74. Analoge Verfahren des Randomisierens von Entscheidungen sind von unterschiedlichsten Völkern her bekannt. In der modernen klinischen Forschung gilt die Randomisierung von kritischen Faktoren als Goldstandard. Sie schützt vor Fehlentscheidungen, welche ein Studienresultat in Unkenntnis von möglichen Einflussgrössen systematisch verfälschen könnte. 18 M. D. Zeiler, Other behavior: consequences of reinforcing not responding. In: Journal of Psychology 74 (1970), 149 – 155.
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so zu mehr Bonbons. Allerdings drückten sie den anderen Hebel umso häufiger, und es schien, als würden sie dessen Betätigung als Voraussetzung für den Erhalt einer Belohnung erachten. Interessanterweise gab es auch Kinder, die statt der Hebel lieber ihren eigenen Körper bewegten: Sie begannen, scheinbar ziellos auf dem Fussboden hin und her zu kriechen, ein Verhalten, das sie jeweils nur kurz unterbrachen, um das auf dem Tisch dargebotene Bonbon an sich zu nehmen. Ähnlich fantasievoll war das abergläubische Verhalten, das eine Studentin in einem anderen Konditionierungsexperiment entwickelte 19. Hier wurden den Teilnehmern 3 Hebel zur Verfügung gestellt, die sie benutzen konnten, wobei explizit gesagt wurde, dass keine Garantie bestünde, dass ein Betätigen der Hebel auch wirklich nötig sei, um eine Belohnung zu erhalten. Die Belohnung erfolgte in Form eines Lichtes und eines Summtons, ihr Auftreten war in jedem Falle rein zufällig bestimmt und nie abhängig von irgendwelchen Hebelaktionen. Die besagte Studentin gab dann auch nach wenigen Minuten auf, einen Hebel zu betätigen, sondern berührte alle möglichen Gegenstände in der Versuchskammer mit der flachen rechten Hand (zufällig hatte sie genau dann einmal einen Gegenstand so berührt, als Licht und Summton zusammen auftraten). Später im Versuch kletterte sie auf den Experimentiertisch und sprang wiederholt zu Boden; sie dachte aufgrund des Auftretens der Belohnung, damit deren Auftreten fördern zu können. Ihr kompliziertes Verhalten kulminierte im Auf- den-Tisch-Steigen und Berühren der Zimmerdecke mit einem ihrer Sandalen. Solche Versuche sind ein eindrücklicher Beleg dafür, dass auch Menschen sich in der Situation der zufälligen Belohnung zu bizarrsten Verhaltensweisen konditionieren lassen, weil sie das zeitliche Zusammenfallen einer Belohnung mit einem Verhaltenselement als bedeutsam auffassen. Was lange vernachlässigt wurde, ist der Nachweis, dass die beiden Arten von Aberglaube, derjenige, der sich im Alltag äussert, und derjenige, der in der Konditionierungssituation beobachtet wird, auch wirklich miteinander assoziiert sind. Mit anderen Worten: zeigen Personen, die abergläubisch durch die Welt gehen, im Skinnerschen Versuch auch ein erhöht abergläubisches Verhalten? Nach Skinners entsprechendem Postulat 20 dauerte es noch 20 Jahre, bis dieser Nachweis erbracht wurde. In einem Computerspiel sahen sich 40 Studenten unterschiedlichster nicht-psychologischer Fachrichtungen einem 19 K. Ono, Superstitious behavior in humans. In: Journal of the Experimental Analysis of Behavior 47 (1987), 261 – 271. 20 B. F. Skinner, The force of coincidence. In: The Humanist 37 (1977), 10 – 11.
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Bildschirm gegenüber, der ein Spielbrett mit 3 mal 3 Feldern zeigte 21. Im Feld unten links befand sich eine Maus, die mit Hilfe von 4 Tasten bewegt werden konnte: auf, ab, links und rechts. Im Feld oben rechts wurde ein Stück Käse gezeigt, das sich auf einer Mausefalle befand. Aufgabe der Versuchsperson war, die Maus mit den 4 Tasten ins Feld mit dem Käse zu bewegen, wobei ihnen gesagt wurde, dass beim Sprung auf dieses Feld eines von zwei möglichen Ereignissen eintreten würde: Entweder sie würden den Käse erhalten (positive Rückmeldung in Form eines angenehmen Tons und des vergrösserten Bildes des Käsestückes), oder die Falle würde zuschnappen (negative Rückmeldung in Form eines unangenehmen Geräusches und des Bildes einer gefangenen Maus). In jedem Fall begann unmittelbar nach der Rückmeldung ein neuer Durchgang mit der Maus links unten und der Falle mit dem Käse rechts oben. Die Probanden sollten „während ungefähr 10 Minuten“ erstens den Käse möglichst oft erhalten und zweitens im Anschluss an den Versuch Auskunft über ihre Strategie geben können. Was sie nicht wussten, ist, dass die einzige Bedingung, den Käse zu erhalten, darin bestand, 4 Sekunden oder länger zu warten, bevor sie auf das rechte obere Feld sprangen. Nun war es ein Leichtes, dieses Feld schon in weniger als 2 Sekunden zu erreichen, dann würde die Falle allerdings unweigerlich zuschnappen. Die Versuchspersonen mussten also lernen, den kritischen Schritt im Spiel hinauszuzögern, um erfolgreich zu sein – eine Strategie, die unnatürlich ist; wir sind nicht gewohnt, fürs Warten auf etwas, das wir genauso gut auch schneller erledigen könnten, belohnt zu werden!22 Trotz dieser Unnatürlichkeit lernten alle Studenten über 100 Durchgänge hinweg schnell, den Käse immer öfters zu erhalten – bloss: sie warteten nicht einfach 4 Sekunden ab, bis sie aufs kritische Feld sprangen, sondern probierten komplizierte Wege aus, von denen sie dann dachten, sie würden zur Belohnung führen. Ganz individuelle „Erfolgsstrategien“ wurden beschrieben: mehrmaliges Hin-und-Her z wischen zwei Tasten, ein kreisförmiges Wählen der unteren vier Felder in unterschiedlicher Richtung (Uhrzeiger- oder Gegenuhrzeigersinn oder 21 P. Brugger, R. E. Graves, Testing vs. believing hypotheses: magical ideation in the judgment of contingencies. In: Cognitive Neuropsychiatry 2 (1997), 251 – 272. 22 In Experimenten zu abergläubischem Verhalten bei Tieren wurde ein solches Belohnungsschema häufig eingesetzt. Es unterscheidet sich prinzipiell vom ursprünglichen Paradigma der rein zufällig erfolgenden Belohnung. Hier besteht tatsächlich ein Bezug zum Verhalten des Tieres; die Kontingenz wird vom Tier zwar nicht durchschaut, das gezeigte abergläubische Verhalten ist aber von Erfolg gekrönt, weil es Zeit in Anspruch nimmt. Für eine ausführliche Diskussion siehe T. J. Kramer, M. Rilling, Differential reinforcement of low rates: a selective critique. In: Psychological Bulletin 674, 225 – 254.
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die beiden Richtungen im Wechsel), wiederholtes Drücken der Aufwärtstaste, obschon die Maus sich bereits in der obersten Reihe befand, und eine grosse Anzahl weiterer Reaktionskonfigurationen, denen eines gemeinsam war: alle brauchten sie Zeit und führten so indirekt zum Erfolg. Eine standardisierte Befragung unmittelbar nach dem Experiment ermöglichte Auskunft über die Hypothesen, die entwickelt, aber im Verlauf des Spiels wieder aufgegeben wurden, weil sie wiederholtem Testen nicht standhalten konnten. Ebenfalls erfasst wurde der Glaube an die Wirksamkeit bestimmter Verhaltensweisen. 12 irrelevante Verhalten mussten mit „Ja“ oder „Nein“ beurteilt werden, zum Beispiel „Um den Käse zu erhalten, musste ich eine der Antworttasten mehrere Male drücken, bevor ich aufs rechte obere Feld sprang“. Das einzige Verhalten, das notwendig und zugleich auch ausreichend war, wurde ebenfalls zur Beurteilung vorgelegt: „Um den Käse zu erhalten, musste ich mindestens 4 Sekunden warten, bevor ich aufs rechte obere Feld sprang“. Es zeigte sich, dass lediglich 2 der 40 Versuchspersonen die richtige Kontingenz in ihrer Ausschliesslichkeit erkannten. Im Alltag abergläubische Personen testeten während des Computerspiels weniger Hypothesen als nicht abergläubische 23. Gleichzeitig glaubten sie aber im Nachhinein an mehr suggerierte Erfolgsstrategien, ohne deren Wirksamkeit während des Spiels jemals ausprobiert zu haben ! Aberglaube geht offenbar mit einer Neigung einher, kausale Hypothesen über einen vermuteten Zusammenhang lieber einfach zu glauben, als sie einem Test zu unterwerfen. Genau umgekehrt für die wenig Abergläubischen: ihnen ist es fremd, an eine wirksame Strategie zu glauben, für die sie keine empirische Evidenz liefern können. Das Computerspiel mit Maus und Käse hat Skinners intuitive Annahme bestätigt, dass Aberglaube im herkömmlichen mit Aberglauben im behavioristischen Sinne assoziiert ist. Die Beziehungen zwischen den beiden Formen des Aberglaubens sind aber allenfalls komplexer als ursprünglich aufgrund von zufälliger, das heisst, vollkommen verhaltensunabhängiger Belohnung angenommen. Abergläubisches Verhalten (definiert als das Ausführen bestimmter motorischer Antwortmuster) induziert durch Belohnung eines nicht offensichtlichen Aspektes von Verhalten (das zeitliche Hinauszögern) trat bei beiden Probandengruppen auf und führte wegen der Inanspruchnahme von Zeit ja auch zu Erfolg. Die nicht abergläubischen Studenten probierten sogar 23 Wie abergläubisch jeder einzelne Proband war, wurde ausserhalb des Kontextes des Computerspiels erfasst; die Versuchspersonen stuften ihren Glauben an ASW, aber auch an die Wirksamkeit von Glücksbringern nebst weiteren Merkmalen von modernem wie zeitlosem Aberglauben auf einer 30-Fragen-Skala ein.
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mehr unnötige Tastenkombinationen aus als die abergläubischen, sie waren aber bereit, Nicht-Erfolg zu akzeptieren und eine ursprüngliche Hypothese zu falsifizieren. Annahmen über objektiv nicht vorhandene Kausalbezüge müssen also nicht per se abergläubisch sein, sondern können unter Umständen helfen, eine ungewöhnliche Kausalität hinter den Dingen zu entdecken. Es ist die Ritualisierung eines nicht effektiven Verhaltens im Beharren auf seiner Wirksamkeit, die Aberglaube nicht mehr adaptiv sein lässt. Diese Erkenntnis führt uns zu einem Kapitel, das auf die Relativität der Kreativität aufmerksam machen soll. Bis zu einem gewissen Grad ist es kreativ und im evolutionsbiologischen Sinne auch adaptiv, Bezüge zu sehen, die allenfalls gar nicht vorhanden sind. Beharren wir aber auf Bezügen, die nur wir allein sehen und die für andere nicht nachvollziehbar sind 24, überschreiten wir die Grenze zwischen Kreativität und Wahn.
4 Krank oder kreativ? Man kann den schwedischen Autor und Künstler August Strindberg (1849 – 1912) als Personifikation der Ansicht auffassen, dass Genie und Wahnsinn gefährlich nahe beieinander liegen. Während seinen Bühnenstücken, Romanen, Briefen und Gemälden ein bleibender künstlerischer Wert zukommt, stellen seine autopathografischen Aufzeichnungen eine unschätzbare Quelle zum Verständnis des fliessenden Übergangs z wischen kreativem und wahnhaftem Bedeutungssehen dar. Der 1879 erschienene Roman „Inferno“ liefert eine besonders eindrückliche Dokumentation der ersten psychotischen Krise in Strindbergs Leben. Dutzende von Seiten werden der Beschreibung von „bedeutungsvollen“ Mustern in Zufallskonfigurationen gewidmet. Doch anders als Leonardo da Vinci, der seinen Schülern anriet, sich zur Schulung ihrer Kreativität vor alte Gemäuer zu setzen, um in den Flechten- und Moosflecken Landschaften, Gestalten und ganze Schlachten zu sehen 25, will Strindberg seine Leser davon überzeugen, dass es in seinem Falle um mehr geht als um kreatives Mustersehen. Wird das Bild einer Hirschkuh in den Wolken noch als spielerische Deutung akzeptiert, dient ihr scheinbares Nicken mit dem Kopf dann aber als unmissverständlich 24 T. Haenel macht in seiner Schrift Aberglaube, Glaube, Wahn darauf aufmerksam, dass es zwar Glaubensbrüder gibt, aber keine Wahnbrüder (Schweizer Archiv für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 133, 1983, 295 – 310). 25 L. da Vinci, Trattato della Pittura, Paris (1519).
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mahnendes Zeichen. Blitze während eines Gewitters treffen nicht irgendwo hin, sondern sind gegen seine Person gerichtet – nur mit Glück entkommt er ihnen. Auf Spaziergängen trifft Strindberg auf Ästchen und Zweige, die am Boden liegen und einen Buchstaben, ein Symbol oder ein Teufelszeichen bilden, die Wuchsformen von Pflanzen tragen eine Botschaft (dazu Abbildung 4). Aus zerknitterten Stoffen und Kissen schauen ihn Fratzen an. Während alchemistischer Experimente bilden sich aus geschmolzenen Metallen eigenartige Figuren, einmal auch ein Totenkopf, der einen hämisch-ironischen Ausdruck zeigt …
Abbildung 4: Kein Fisch! Bloss Schilfhalme, die aus einem Weiher ragen und sich darin spiegeln. Kreatives Mustersehen erlaubt eine Deutung von innen, apophänes ist von der Überzeugung getragen, eine Botschaft würde übermittelt. Fotografie (ohne Titel) von George Joniaux, um 1960.
Diese Beispiele beziehen sich auf das Erkennen von „Signalen“ im visuellen Rauschen und werden in der Neuropsychiatrie als Pareidolien bezeichnet. Strindberg erlebt aber nicht bloss emotional überwältigende Ausgestaltungen sinnlicher Eindrücke, er „sieht“ auch Signale im Ablauf der Ereignisse; kein Moment scheint zu vergehen, der nicht an einen anderen erinnern würde, er lebt in einer Welt voller sinngebender Koinzidenzen, alles ist mit allem verbunden. Dieses Sehen von Bezügen, das von einem abnorm gesteigerten Bedeutungsbewusstsein begleitet ist, wird in der Psychiatrie als „Apophänie“
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bezeichnet 26. Nicht selten wähnen sich Patienten während solcher Phasen „übermässig wach“ und betonen, dass sie sich nie zuvor auch nur annähernd so kreativ empfunden hätten – eine junge Frau beschreibt die erste Episode ihrer schizophrenen Erkrankung mit folgenden Worten: Jeder einzelne Gegenstand „bedeutet“ etwas. Diese Art symbolischen Denkens ist erschöpfend… Ich habe das Gefühl, alles ist lebhafter und wichtiger; die sich mir darbietenden Reize sind fast mehr, als ich ertragen kann. Da sind Verbindungen z wischen allem, was sich ereignet – es gibt keine Zufälle. Ich fühle mich enorm kreativ 27
Die Apophänie mag zwar ein Kardinalsymptom der beginnenden Schizophrenie sein, Schizophrenie-spezifisch ist sie nicht. In den Schizophrenie- ähnlichen Episoden der Temporallappenepilepsie kann es in den interiktalen Phasen zu einem ähnlich gesteigerten Bedeutungsbewusstsein kommen 28. Bezeichnenderweise sind subklinische Zeichen der Temporallappenepilepsie bei abergläubischen Personen besonders ausgeprägt28 und es ist wohl mehr als eine blosse Koinzidenz, wenn Tiere mit Läsionen im mesialen Temporallappen auch ein übermässig abergläubisches Verhalten im Konditionierungsexperiment zeigen28. Aus evolutionsbiologischer Sicht sind die schöpferischen Leistungen eines August Strindberg (Schizophrenie) oder Fjodor Dostojewski (Temporallappen epilepsie) wichtig, weil sie eine Auflösung des „Darwinschen Paradoxons“ erlauben. Dieses wirft die Frage auf, weshalb Erkrankungen mit einer genetischen Komponente, wie etwa die Schizophrenie, nicht schon längst von unserem Erdball verschwunden sind, wenn sie doch einen beträchtlichen Nachteil für den reproduktiven Erfolg der Betroffenen darstellen. Die Idee ist nun, dass wir einen balancierenden Faktor annehmen müssen, der den offensichtlichen 26 Der Begriff geht auf den deutschen Nervenarzt Klaus Conrad zurück (Die beginnende Schizophrenie. Versuch einer Gestaltanalyse des Wahns, Stuttgart, 1958) und ist zentral für das Verständnis der Überschneidungen z wischen kreativen, paranormalen und abnormen Denkprozessen: P. Brugger, From haunted brain to haunted science: a cognitive neuroscience view of paranormal and pseudoscientific thought. In: J. Houran, R. Lange (Hg.), Hauntings and Poltergeists: Multidisciplinary Perspectives, Jefferson, NC 2001, 195 – 213. 27 B. E. Brundage, First person account: what I wanted to know but was afraid to ask. In: Schizo phrenia Bulletin 9 (1983), 583 – 585, S. 584. 28 Literaturangaben dazu finden sich in P. Brugger, M. A. Dowdey, R. E. Graves, From superstitious behavior to delusional thinking: the role of the hippocampus in misattributions of causality. In: Medical Hypotheses 43 (1994), 397 – 402.
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Nachteil wettmacht und so die Gene, die eine psychotische Erkrankung begünstigen, im Genpool überleben lassen 29. Die Formel heisst dabei nicht etwa „wer schizophren ist, ist auch ein bisschen kreativ“. „Schizophrenie“ wird heute als Spektrumerkrankung aufgefasst; sie reicht von florider psychotischer Symptomatik über „Schizotypie“ als Persönlichkeitsstörung bis hin zu Schizophrenie- ähnlichen Verhaltenselementen bei vollkommen gesunden Personen – magisches Denken und der Glaube an paranormale Phänomene gehört zu letzteren. Die Gene, die dem psychotischen Spektrum assoziiert sind, finden sich auch bei Personen, die selber keine psychotische Entwicklung durchmachen und deren Hang zu unkonventionellem Assoziieren sich nicht auf krankhafte, sondern auf kreative Art manifestiert 30. Die Gemeinsamkeiten von psychotischem und kreativem Denken liegen in der Verarbeitung von Assoziationen. Beide Denkarten erlauben das „Sehen“ von Bezügen, das von anderen Personen entweder gar nicht oder lediglich auf einen Hinweis hin nachvollzogen werden kann. Dass schizophrene Patienten in Wortassoziationstests „schräge“, ungewöhnliche Assoziationen produzieren, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt 31. Dieses Assoziationsverhalten wird in der modernen Neuropsychiatrie mit Hilfe von „Bahnungsaufgaben“ quantifiziert. Semantische Bahnung bezeichnet die Beschleunigung der Verarbeitung eines Begriffes, wenn kurz zuvor ein bedeutungsmässig verwandter Begriff verarbeitet wurde. Dazu werden einer Versuchsperson in rascher Abfolge auf einem Bildschirm sinnvolle Wörter und Kunstwörter (RANSEL) dargeboten und sie soll auf alle regulären Wörter möglichst rasch einen Knopf drücken („lexikalische Entscheidung“). So erfolgt ein Knopfdruck auf das Wort LÖWE rascher, wenn es dem Wort MÄHNE folgt, als wenn es auf GABEL folgt. Interessanterweise finden sich Bahnungseffekte auch für indirekte Assoziationen, das heisst, das Wort STREIFEN bahnt LÖWE, obschon es keine gestreiften Löwen gibt (aber Tiger, die ja schliesslich auch Raubkatzen sind, und Zebras, die ein Löwe so gerne frisst). Akut psychotische Patienten zeigen gegenüber Hirngesunden erhöhte semantische Bahnung, und die indirekten Bahnungseffekte sind sogar 29 J. McClenon, Evolutionary theories of schizophrenia: an experience-centered review. In: Journal of Mind and Behavior 2 (2011), 135 – 150. 30 Bestimmte Aspekte verbaler Kreativität sind in Personen mit Schizotypie besonders entwickelt und wurden direkt verantwortlich gemacht für den nachweislich höheren Fortpflanzungserfolg dieser Personengruppe: D. Nettle, H. Clegg, Schizotypy, creativity and mating success in humans. In: Proceedings of the Biological Sciences of the Royal Society B 273 (2006), 611 – 615. 31 F. Galton, Psychometric experiments. In: Brain 2 (1879/1880), 149 – 162.
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überproportional erhöht 32. Die enthemmte semantische Bahnung, die pharmakologisch auf beide Seiten hin beeinflusst werden kann 33, erklärt kreatives wie apophänes Bedeutungssehen mühelos: Wer gar nicht assoziiert, ist kaum kreativ, läuft aber auch keine Gefahr, sich von Koinzidenzen überwältigt zu sehen und im Extremfall paranoide Ideen zu entwickeln. Wie schon in Abschnitt 1 im Zusammenhang mit der Sensitivität des visuellen Systems bemerkt: Aberglaube und Wahn scheinen der Preis zu sein, den die Menschheit für ein rasch und über Kategoriegrenzen hinweg assoziierendes Sprachsystem zu bezahlen hat 34, für das „Sehen“ eines Signals in semantischem Rauschen. Es würde den Rahmen des vorliegenden Kapitels sprengen, wenn der Beitrag der beiden Grosshirnhemisphären zur assoziativen Grundlage des Aberglaubens hier noch dargestellt werden müsste. Es genüge zu betonen, dass die Frage der funktionellen Asymmetrie diesbezüglich zentral ist. Die linkshemisphärische Überlegenheit für „Sprache“ betrifft das Assoziieren im engen Rahmen und das Konvergieren von unterschiedlichen Ideen auf eine Grundidee. Die rechte Hirnhälfte ist zwar „stumm“, was die lautliche Produktion von Wörtern angeht, sie ist der linken aber überlegen im weiten, indirekten und schrägen Assoziieren. Es ist ihr zu verdanken, dass wir ein Verständnis für Poesie, Humor und Metapher haben, sie ist es, die für das Divergieren von Gedankeninhalten verantwortlich ist. Kreativität ist keine Angelegenheit der rechten Hemisphäre (wie populäre Schriften uns manchmal glauben machen wollen), aber das Zusammenspiel von links und rechts bestimmt letztlich, ob wir eher zu apophänen Beziehungsstiftungen neigen oder Typ-2-Fehler einem falschen Alarm vorziehen 35. 32 Übersicht in M. Spitzer, A cognitive neuroscience view of schizophrenic thought disorder. In: Schizophrenia Bulletin 23 (1997), 29 – 50. 33 Z. Safadi, L. Lichtenstein-Vidne, M. Dobrusin, A. Henik, Investigating thought disorder in schizophrenia: evidence for pathological activation. In: PLoS One 8 (2013) e82882. 34 Das Grazer Forschungsteam um Christian Rominger sieht die sensorischen Verarbeitungsstörungen in der Genese apophäner Beziehungsstiftungen als wichtiger an als diejenigen auf Ebene verbaler Assoziationen (C. Rominger, G. Schulter, A. Fink, E. M. Weiss, I. Papousek, Meaning in meaninglessness: the propensity to perceive meaningful patterns in coincident events and randomly arranged stimuli is linked to enhanced attention in early sensory processing. In: Psychiatry Research 263 (2018), 225 – 232), während T. J. Crow umgekehrt schizophrene Symptomatik generell als Preis auffasst, den die Menschheit für die Entwicklung der Sprache bezahlen musste (Schizophrenia as failure of hemispheric dominance for language. In: Trends in Neuroscience 20 (1997), 339 – 343). 35 Zur Neuropsychiatrie der Lateralität siehe Crow (1997; siehe Fußnote 34) und speziell zu ihrer Relevanz für die neuropsychologischen Grundlagen des Aberglaubens D. Leonhard, P. Brugger, Creative, paranormal, and delusional thought: a consequence of right hemisphere
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5 Wissenschaft und Aberglaube Die Tagung, der wir den vorliegenden Band verdanken, trug den Titel „Wissen schaft und Aberglaube“. Nachdem das Schwergewicht d ieses Kapitels dem Aberglauben gewidmet war, soll nun doch auch die Beziehung zwischen abergläubischem und wissenschaftlichem Denksystem kurz gestreift werden. Auf den ersten Blick erscheint eine Abgrenzung hier trivial: Hier geht es um Glauben, dort um Wissen. Und tatsächlich zeigte Abschnitt 3 (das Computerspiel mit Maus und Käse), dass abergläubische Studenten generell lieber etwas glauben, als dass sie einen Glaubensinhalt systematisch hinterfragen würden. Umgekehrt scheint nicht-Abergläubischen das stetige In-Frage-Stellen, das wiederholte Testen von Annahmen eine unabdingliche Voraussetzung zu sein, um schließlich etwas zu glauben. Nun erfordert aber bei genauerer Betrachtung Wissenserwerb doch ein ständiges Hin und Her z wischen Glauben und Wissen; Wissen ist nie komplett und drängt stets nach weiterem Erkenntnisgewinn. Und hier ist es, wo das abergläubische Element des Sehens von Bezügen, wo keine sind, ins Spiel kommt. Sind die „Kanäle“ auf der Marsoberfläche, die sich dem durchs Fernrohr Blickenden offenbaren, wirklich als Hinweis für Leben auf dem Roten Planeten zu deuten?36 Heute belächeln wir s olche Annahmen, weil wir bessere Fernrohre haben und mehr über optische Täuschungen wissen als im ausgehenden 19. Jahrhundert. Wie steht es mit den „Mikrofossilien“, die auf Meteoritenstücken vom Mars gefunden wurden? Der Blick durch modernste Mikroskope lässt die einen komplexe Theorien aufstellen, welche biogene Aktivität die mineralisierten Einschlüsse einmal ausgeübt haben mochten, während andere diese lediglich als Teil des umgebenden Materials deuten 37. semantic activation? In: Neuropsychiatry, Neuropsychology, and Behavioral Neurology 17 (1998), 177 – 183 und P. Brugger, Das gläubige Gehirn. Der Glaube an das Außersinnliche aus neuropsychologischer Sicht. In: S. Matthiesen, R. Rosenzweig (Hg.), Von Sinnen. Traum und Trance, Rausch und Rage aus Sicht der Hirnforschung. Paderborn 2007, 113 – 133. 36 W. A. Webb, On the rejection of the Martial canal hypothesis. In: Scientific Monthly 85 (1957), 23 – 28. 37 D. S. McKay, E. K. Gibson, K. L. Thomas-Keprta, H. Vali, C. S. Romanek, S. J. Clemet, X. D. Chillier, C. R. Maechling, R. N. Zare, Search for past life on Mars: possible relic biogenic activity in Martian meteorite ALH84001. In: Science 273 (1997), 924 – 930 versus R. A. Kerr, Putative Martian microbes called microscopy artifacts. In: Science 278 (1997), 1706 – 1707. Die Sache ist bis heute nicht entschieden; jüngste Mikroskopie-basierte Erkenntnisse glauben nun doch, den Nachweis für frühere biogene Aktivität geliefert zu haben: I. Gyollai, M. Polgari, S. Berczi, A. Gucsik, E. Pal-Molnar, Mineralized biosignatures in ALH-77005 shergottite – clues to Martian life? In: Open Astronomy 28 (2019), 32 – 39.
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Abbildung 5: Die Ähnlichkeit z wischen zwei Kurven, wie sie in Geologie (links; Abb 5 Achsen in km × 100) und Psychoanalyse (rechts; Achsen in cm) diskutiert wurde. Erläuterungen siehe Text.
Oft ist während langer Zeit nicht schlüssig zu bestimmen, ob eine Beobachtung in der Sprache der Signalentdeckungstheorie einen Treffer oder einen falschen Alarm darstellt. Ist die Ähnlichkeit z wischen den beiden Kurven in Abbildung 5 (links) bedeutsam oder bloss zufällig? Diese Frage hat die geologische Fachwelt über 300 Jahre lang gespalten 38. Die Mehrheit der Geologen fanden den 1596 von Abraham Ortelius geäusserten Vorschlag 39 absurd, wonach die Kontinente einmal miteinander verwachsen gewesen sein sollten. Erst Alfred Wegener gelang es nach Dekaden des Zusammentragens von konvergierenden Befunden aus unterschiedlichsten Wissenschaftszweigen, seine Zeitgenossen davon zu überzeugen, dass der Afrikanische Kontinent (Abb.5, links oben zeigt nach Rotation dieser Buchseite um 90° im Uhrzeigersinn dessen Westküste, ungefähr zwischen der Grenze Elfenbeinküste und Windhuk) und Südamerika (in Abb. 5 links unten, ungefähr zwischen der Amazonasmündung und Montevideo) einmal eine Einheit gebildet hatten. Das Beispiel zeigt anschaulich, dass blosses Sehen eines Signals im Rauschen für 38 N. Oreskes, The rejection of continental drift: theory and method in American earth science. Oxford 1999. 39 J. Romm, A new forerunner for continental drift. In: Nature 367 (1994), 407 – 408.
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den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn nicht ausreicht; es ist zusätzlich nötig, einen plausiblen Mechanismus für das Auftreten des Signals vorzuschlagen. Wissenschaftliche Kreativität, die für andere nicht nachvollziehbar ist, bleibt rein apophän. Ist die Ähnlichkeit zwischen den beiden Kurven in Abbildung 5 (rechts) bedeutsam oder bloss zufällig? In d iesem Fall ist keine visuelle Kreativität gefragt, um eine Ähnlichkeit zu sehen. Und doch ist es dem Forscher, der meinte, auf sie aufmerksam machen zu müssen, nicht gelungen, die wissenschaftliche Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass diese auf mehr als auf Zufall beruht. Die obere Kurve stellt eine typische Fuge zwischen zwei Steinplatten auf einem Gehsteig dar, die untere repräsentiert das weibliche Geschlechtsorgan (vereinfachte äussere Ansicht). Ein namhafter Psychoanalytiker widmete 9 Seiten einer angesehenen Fachzeitschrift der Beschreibung und Erklärung eines Verhaltens, das er als „Gehsteig-Obsession“ bezeichnete. Das bekannte Vermeiden, während des Gehens entlang eines mit Steinplatten belegten Weges auf die Fugen zwischen einzelnen Platten zu treten, erklärte er damit, dass der Fuß ein offensichtliches Symbol für das männliche Geschlechtsorgan sei und die Furchen am Boden ein ebenso offensichtliches Symbol für das weibliche 40. Die erwähnte Vermeidung hätte damit eine psychoanalytische Begründung gefunden. Insofern man der Psychoanalyse den Status einer Wissenschaft zugesteht, liegt hier ein klassisches Beispiel für „wissenschaftliche Apophänie“ vor. So paradox es klingen mag: wissenschaftlicher Fortschritt setzt manchmal das erfolgreiche Unterdrücken von Assoziationen voraus.
40 P. Federn, An every-day compulsion. In: International Journal of Psychoanalysis 10 (1929), 130 – 138.
The Psychology of Superstition Stuart A. Vyse
The overarching theme of this year’s Austrian Day of Science, “Science and Superstition,” is very timely. My role in today’s program is to describe the psychology of superstition — where superstitious beliefs come from and what sustains them — but in keeping with our theme, near the end of my remarks, I will say something about the influence of broad social and political forces on superstition and irrational belief.
Beginnings The word superstition is often used as a blunt object to knock down any idea that is considered outdated, nonsensical, or contrary to established dogma, but for obvious reasons, that is not a workable definition for us. The basic concept is at least as old as the fourth century BCE. For a very brief time, it was a positive term. The Greek word deisidaimonia (δεισιδαιμνοία) originally meant “studiously pious,” but by the end of the fourth century BCE it had acquired the pejorative meaning of “overly fearful of the gods.” In the Greek tradition, the gods were thought to be generally benevolent and not to be feared. The philosopher Theophrastus wrote a collection of brief profiles of the types of men encountered on the streets of Athens, and among these was “The Superstitious Man” (Bowden 2008). Theophrastus said the superstitious man: …is the kind who washes his hands in three springs, sprinkles himself with water from a temple font, puts a laurel sprig in his mouth, and then is ready for the day’s perambulations. (Bowden 2008, 57)
From this point forward, the concept was one of derision. Deisidaimonia was translated into the Latin superstitio, from which the English word superstition derives, and it retained its meaning of “cowardice with respect to the gods” (Gordon 2008; Martin 2004). Eventually the Romans leveled the word against foreign religions, including the new upstart Christianity, and later, when the Roman Empire became the Holy Roman Empire, the word reversed course,
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pointing its arrow of disapproval at those who continued to worship the now “pagan” gods. There were many twists and turns in the targets of the superstition label, including both unauthorized religious practices and the common magic of local sorcerers, fortunetellers, and people accused of being witches (Bailey 2007). Eventually, however, the European religious wars ended, the Enlightenment emerged, and superstition acquired its final meaning. Gradually, scientific thinking rather than religious orthodoxy became the standard by which superstitions were judged. Although from now on, superstition is likely to mean “bad science” rather than “bad religion,” the religious standard for superstition is still applied on occasion. In September, 2019, a Catholic school in the US state of Tennessee pulled all the Harry Potter books from the school library. The school’s official statement claimed, “The curses and spells used in the books are actual curses and spells; which when read by a human being risk conjuring evil spirits into the presence of the person reading the text” (Associated Press 2019). J. K. Rowling is a very talented storyteller, but according to at least one Catholic authority, she has other, much more dangerous skills.
A Definition Before going future, I should clarify what we are talking about. There is no widely agreed upon definition of superstition, but I have proposed one that I hope is narrow enough to avoid meaninglessness and yet captures the main features (Vyse in press). The first two criteria are a belief or action that is (a) inconsistent with known science and (b) is aimed at achieving some end: bringing good luck or avoiding bad. According to this definition superstition is a subset of paranormal beliefs. So, for example, belief in ghosts is inconsistent with our understanding of the natural world, but it is not a superstition. On the other hand, if you believe your ghost can advise you about how to invest your money and you take his advice, that would be a superstition. There are also certain things that superstition is not. For example, it is not religion. In general, superstitions tend to be more focused on a particular current goal, and much of common religious practice is not. However, if a religious person makes a claim about effects in the natural world, then, unless there is evidence to back the claim up, it would fit the definition of a superstition. So, for example, because the evidence does to not support the effectiveness of faith healing, belief in faith healing is a superstition. However, much religious doctrine and practice is outside the bounds of empirical testing. Many people hold
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non-scientific religious beliefs, but few of these beliefs have the same kind of immediate goals as superstition. In addition, for a number of reasons, superstition should not be considered a mental illness. Mental illnesses tend to be relatively rare, and — sadly — superstition is not. Polls suggest that between forty and fifty percent of people in the US and Europe are at least somewhat superstitious. For example, a 2010 survey found that, in response to the statement, “Some numbers are especially lucky for some people,” in most EU countries between thirty and sixty percent of adults said they “agree or tend to agree” (European Commission, 2010). Among Austrians, forty-nine percent expressed a belief in lucky numbers. The closest mental health condition to superstition is obsessive compulsive disorder (OCD; ICD-11 code 6B20 [WHO 2019]), which is an anxiety disorder that involves obsessive thoughts and compulsive rituals. Today, superstition is less likely to appear as excessive fear of the gods, but like OCD, it is often motivated by anxiety. Nonetheless, there seems to be no clear relationship between superstition and OCD. For example, childhood superstitions are not thought to be on a continuum with adult OCD (Leonard, Goldberg, Rapoport, Cheslow, & Swedo 1990). Furthermore, as we have seen, superstition is a very common phenomena, whereas mental health problems are typically rare. To label superstition a mental disorder would be to pathologize a common feature of human experience.
A Taxonomy of Superstition In addition to defining the boundaries of superstition, it is useful to recognize that superstitions come in different shapes. Fortunately, the Austrian psychologist Gustav Jahoda (1970) provided a useful description of four forms of superstitions. Jahoda’s categories were: Socially-shared superstitions: black cats, number 13, or eating raw garlic in yogurt. Personal superstitions: lucky hat, lucky stone, special meal or song. Superstitions forming part of a cosmology or world view: magic, sorcery, and witchcraft. Religious superstitions. Occult experiences: extra-sensory perception. ESP, paranormal experiences. The definition of superstition I have proposed labels some religious beliefs and all occult experiences as paranormal but not typically superstitious. For example, as usually understood the belief in God is inconsistent with science,
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but it does not typically involve an immediate goal. Nonetheless, Jahoda’s categories of socially-shared and personal superstitions encompass the majority of common superstitions.
The Psychology of Superstition Superstition is ancient and widespread, but now that the fruits of scientific thinking are everywhere, why does it hang on? In the past, there were political reasons for maintaining belief in superstition. In Europe, the long history of the Christian church — both Protestant and Catholic wings — depended on maintaining a fear of demons and witches so that the church could provide the solution to these presumed threats. Baptisms, exorcisms, and witch trials all offered comfort to a frightened populace (Bailey 2007, 2008, Thomas 2003). As we have seen, there are a few remaining examples of demonic fears promoted by the church, but today superstition thrives with little encouragement from the church. The answer is that all the same psychological forces encountered by ancient Greeks still confront us in the modern world. At its core, superstition is an effort to control things that are not adequately under our control, particularly when the stakes are high. There are common superstitions associated with many of life’s most important events: weddings, the birth of babies, and the New Year. If we are certain a thing will happen, then there is no need for superstition. In the American pastime of baseball, there are almost no superstitions associated with fielding (catching the ball when it is hit by a batter) because this activity almost always results in success. Meanwhile hitting the ball is extremely difficult. The best hitters are only successful approximately thirty percent of the time. As a result, there are many superstitions associated with batting (Gmelch 1992). Socialization. We are not born dreading black cats or the number 13. Someone has to teach us these things. As a result, socialization is an important force in the establishment of superstition. The local culture of a person’s upbringing has a very strong effect on the kinds of superstitions you acquire. My own experience with the evil eye superstition is an example. I grew up in the middle of the United States where the default culture was protestant Christian, but my family was not particularly religious. Although the evil eye is one of the most widely known superstitions in the world and is strongly endorsed on several continents, I had never heard of it. Indeed, I did not hear about it until
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years after publishing my first book on superstition when a Peruvian student brought it to my attention. Although belief in the evil eye is widespread, it takes a somewhat different shape in different cultures. The basic belief is that someone who possesses the evil eye can do harm merely by looking, and the motivation is thought to involve envy (Berger 2012; Dundes 1992). The victim of the evil eye has something — babies are a common object of worry — that they don’t want to lose or be harmed, but sometimes the motive is thought to be general mischief. Believers suggest that the evil eye can be warded off by either distracting the eye or reflecting the evil force back at the sender. In south Asia, parents make a black mark on the baby’s face called a kaala tikka that is hoped will distract the attention of the evil eye. In other areas of the world, various kinds of jewelry are used to protect against the evil eye. As you can see, the evil eye superstition circles the globe, but the way it is practiced varies depending upon the culture. Malocchio, the Italian version of the superstition includes a way of diagnosing whether an illness has been caused by the evil eye. Water is placed in a small bowl, and a small amount of olive oil is sprinkled on top. If the oil appears as individual drops, no malocchio is present, but if the oil appears as runny streaks, the disease is believed to be caused by the evil eye and special prayers are said in an effort to remove the curse (Pieroni & Giusti 2002). So, not only do cultural differences explain why I never learned the evil eye superstition as a child growing up in the middle of the US, but if you do learn the evil eye, your local culture determines what version of the superstition you learn. Furthermore, if your parents were true, unquestioning believers in the superstition, it seems more likely that you would grow up believing as well. As a result, the common socially-shared superstitions of your culture are learned the same way you learn about local holidays, customs, and conventions. Demographics. We know a bit about the demographics of superstition. One of the more consistent findings is that, with respect to the common socially- shared superstitions, women tend to be more superstitious than men, however I am quick to point out that men seem to be more interested in Big Foot, UFOs, and flat Earth belief (Meehan 2017, Tobacyk & Milford 1983; Vyse 2014). With respect to age, the available evidence suggests that young adults are more superstitious than older adults. A study of police officers in the US found that belief in the full moon effect — the idea that more crimes are committed during the full moon — was endorsed by 63 % of police officers, but it was more prevalent among new recruits than among experienced officers ( Corrigan, Pattison, & Lester 1980).
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Although hard data is lacking, there are a number of indicators that suggest that religious belief is lower among young adults in the US but belief in astrology is higher (Beck 2018). The implication is that although traditional religious belief has a diminished appeal, young Americans are still in need of something spiritual. In my view, if people use their horoscopes to make life choices, it qualifies as a superstition. Finally, again, in the US, at least, there is a suggestion that political liberals are more superstitious than conservatives (Harris Polls 2014). Personality. Psychologists who study personality have examined the kinds of traits that are associated with superstitious belief, and, in general, they are a collection of undesirable characteristics. At its core, superstition is an effort to exert control where control is lacking. Conversely, the absence of control in important circumstances is sufficient to create anxiety. As a result, it is not surprising that people who are high in trait anxiety, as well as depression and fear of death, are more likely to be superstitious. However, these personality traits are rather weak predictors of superstition (Vyse 2014). The relationship of superstition to anxiety is particularly interesting. Giora Keinan of the University of Tel Aviv took advantage of a situation during the first Gulf War of 1990 – 1991 to study this relationship. During that war, there was great concern that Iraqi Scud missiles falling in Israel would contain nerve gas. The Israeli government issued gas masks to its citizens, and people established sealed rooms in their homes into which they would fled during missile attack. Keinan (1994) noticed that a number of popular superstitions centered around the sealed rooms. Many people believed it was good luck to enter the room with their right foot first and that it was bad luck to allow someone whose home had been bombed into your sealed room. Keinan also noticed that some Israeli cities were being hit (e. g., Tel Aviv) whereas others were not (e. g., Jerusalem), and he hypothesized that stress levels would be considerably higher in the cities under greater threat. Keinan surveyed people in both high and low stress locations about their superstitions, and using a questionnaire, he also measured another important personality variable called tolerance of ambiguity. Tolerance of ambiguity involves an individual’s ability to comfortably hold conflicting ideas at the same time or to tolerate puzzles that are unfinished. It is, in a sense, the opposite of a need for closure. As I am sure this audience understands, tolerance of ambiguity is an important ingredient for success in science. Scientific puzzles go unsolved for decades, and yet scientists continue to strive to solve them. Under these circumstances, people who were low in tolerance of ambiguity might give up and do something else.
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Keinan found a classic interaction effect. As expected, people who were more anxious were more likely to endorse bombing-related superstitions, and people who were low on tolerance of ambiguity were also more superstitious. But, people who were both anxious and low on tolerance of ambiguity had especially high levels of superstition endorsement. In a second study, Keinan (2002) directly observed a superstitious action, knocking on wood, and imposed an external stressor under greater experimental control than in the previous study. Keinan began by developing an interview script that was designed to evoke knocking on wood. The questionnaire included items such as “‘Has anyone in your immediate family suffered from lung cancer?’ ‘Is your health alright on the whole?’ and ‘Have you ever been involved in a fatal road accident?’” (Keinan 2002, 104). To manipulate stress, he assigned college students to two different conditions. Half of the participants were interviewed thirty minutes prior to taking an exam, and half were interviewed on a normal class day. This time, instead of tolerance of ambiguity, Keinan was interested in a trait called desire for control. As we know, superstition is motivated by a desire for control in situations where it is lacking. As in the previous study, Keinan found a classic interaction effect. Being under stress due to an impending exam increased the likelihood that the student would knock on wood. In addition, students who had a higher desire for control also knocked more than those who did not. Finally, students with a high desire for control who were also under stress showed an especially high rate of knocking on wood compared to those in the other conditions. Incidentally, Keinan’s (2002) knocking on wood article is notable because it is one of a small group of studies that observed actual superstitious behavior. There have been a few previous investigations that observed unsuspecting people walking under or avoiding ladders, but the overwhelming majority of studies have used self-report questionnaires asking whether participants endorsed certain superstitions. Many people are superstitious, but for research purposes, it is very difficult to catch them in the act. Part of the interest in Keinan’s work is his uncovering of the combined influence of an immediate external stressor — the threat of bombings or a college exam — with more long-lasting personality features such as tolerance of ambiguity and desire for control. Later in this paper I will return to questions of personality and their effects on how people process information more broadly. Learning. In Jahoda’s terminology, knocking on wood is a socially-shared superstition. Socially-shared superstitions are assumed to be learned by direct instruction or through imitation. You are a young child sitting with your
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mother in the kitchen table when you hear her mention something she wants very badly to happened followed by her fist rapping against the wooden table. A discussion about why she knocked on the table follows. But Jahoda’s category, personal superstitions, is a different matter. Personal superstitions are unique to us, and we acquire them by trial-and-error learning. Your friend will not lend you his lucky tie, and although athletic teams sometimes develop shared team superstitions, the football goalie’s pre-game ritual is generally special to him or her. They will not recommend it to you. Humans have a remarkable ability to learn from experience, in a process that parallels natural selection, responses that lead to good outcomes are more likely to be repeated in the future, and those that are not rewarded fall away. It is only fitting that one of the earliest and most famous studies of conditioned superstition was carried out by B. F. Skinner in 1948. He placed a hungry pigeon in a conditioning chamber and, using a mechanical device attached to the wall of the chamber, he made food in the form of grain available to the bird for a brief period every fifteen seconds. There was no response requirement for the bird at all, but after being exposed to this schedule of regular presentations of food, the bird developed a repeated pattern of behavior. The actual shape of the behavior differed for different birds, with some bobbing their heads up and down and others pecking at a spot on the floor of the chamber. Skinner called these behaviors superstitions because the birds behaved as though they believed their actions caused the food to come. According to Skinner, the behavior had been conditioned through a coincidental relationship between some random behavior and the arrival of the food. Once that coincidence had occurred, the behavior was repeated, making it likely it would happen again when the food arrived. The relationship to pre-game rituals and lucky shirts seemed clear, but as is often the case in science, other researchers objected to Skinner’s interpretation, suggesting that the pigeons’ behavior was not conditioned at all. Instead, they made the plausible argument that these were forms of instinctive behavior that pigeons show in the presence of food. But subsequent experiments conducted with young children and college students produced very similar forms of superstition that were harder to account for by an appeal to instinct (Ono 1987, Wagner & Morris 1987). As a result, it is quite likely that, in everyday contexts, people acquire personal superstitions in a process similar to operant conditioning. In order to be susceptible to this process, it is likely the person must be someone for whom magic is a plausible hypothesis. Non-superstitious rationalists who don’t believe in luck are unlikely to entertain the prospect of their green and red striped socks having magical powers. But for the person who has been taught that
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superstitions are real, associations between their actions or aspects of their surroundings and positive outcomes will often emerge, and these personal superstitions can be remarkably idiosyncratic. For example, the German model Heidi Klum says she carries a small bag containing her baby teeth for luck at all times (Snierson 2003). Coping with Crises. The Keinan studies described above show that people who prefer closure and control are more susceptible to superstition. Furthermore, as previously mentioned, there is some evidence that astrology is gaining popularity, not just in the US, but in Europe and India as well, a trend that is likely fueled by the use of smartphone apps, websites, and social media. A study by researchers at the University of Helsinki provides evidence that people are drawn to astrology as a means of coping with crises (Lillqvist & Lindeman 2004). Before going further, I should point out that astrology does meet the criteria for a superstition. Despite its ancient roots, there is no evidence to support any relationship between astrological signs and any dimension of personality. Furthermore, in a study conducted by one of my students — who was, incidentally, a believer in astrology — found that, when confronted with their own astrological chart and another selected at random from the other participants in the study, people could not identify their own astrological charts (Wyman and Vyse 2008). Astrology is a very elaborate system that, for some people, might fit into Jahoda’s category, “superstitions forming part of a cosmology or world view,” but it is clearly a superstition. The Helsinki researchers surveyed students at local adult education classes. The control group were people who had signed up for classes in elementary German or introduction to psychology, and the experimental group was drawn from people who signed up for a class in elementary astrology. The researchers found that, compared to the German and psychology students, the astrology students reported experiencing more recent life crises. In addition, within in the German and psychology comparison groups, interest in astrology was related to the number of recent life crises. This is merely correlational data, but it is consistent with the interpretation that people use astrology as a method of coping with the uncertainty in their lives. Superstition and cognition. Once you are a believer, a number of cognitive biases work to keep your superstitions going. For example, the familiar confirmation bias leads people to notice and remember instances when their superstitions appeared to work, and fail to recall cases when they didn’t. We all prefer to see our beliefs and values supported by events because it feels good to be right. The desire for confirmation can turn the professional psychic and their
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customer into a collaborative team. A phenomenon called the Barnum Effect — a reference to a phrase attributed to the circus promoter P. T. Barnum — leads people to see themselves in vaguely worded horoscopes (Forer 1949; Meehl 1956). In one study, participants were asked to interview a stranger in order to evaluate the stranger’s horoscope that was supposedly prepared by a professional astrologer. The horoscope described the target person as an extravert (Snyder & Glick 1986). In fact, the stranger was working for the researchers and was told to simply say “yes” to any question they were asked. The research participants who were believers in astrology tended to ask questions that would confirm rather than disconfirm the extraversion hypothesis (e. g., “Do you like going to parties?”) and came away thinking the horoscope was accurate. Even participants who were skeptical of astrology judged the horoscope to be accurate if they ask more confirming than disconfirming questions. Only skeptics who took a scientific approach and chose more disconfirming questions than confirming ones said the horoscope was inaccurate. Superstitions are also sometimes maintained by simple misunderstands of probability. For example, the Gamblers Fallacy is a failure to recognize the independence of events. When the overall long-run probability of an event is known, people often expect that probability to be reflected in a small sample. For example, if you were to flip a coin six times, producing a sequence of six heads in a row (HHHHHH), many people would find that very unlikely and assume that the probability of a tail on the seventh flip was greater than .5. Although we expect the heads and tails to even out after many flips, the coin does not remember what it did the last time you tossed it, and the probability of any given flip remains .5. Nonetheless, gamblers often alter their wagers based on their expectations regarding the sequence of a random process. Roulette players will say that their number or color is “due” to come up, and lottery authorities sometimes publish lists of all the numbers that have been drawn in the past, so that players can find numbers they think are more likely to occur. Humans are pattern-finders, and we often think we see a pattern in random events. Indeed, humans have a very difficult time with randomness. Past research has shown that, when asked to create a random sequence of ones and zeroes, people find the task almost impossible. Researcher Allen Neuringer (1986) was finally able to teach college students to create truly randomly sequences of left and right key-presses on a computer keyboard by giving them simultaneous feedback on their performance using several algorithms for judging the randomness of a sequence. He showed that after practicing and getting direct feedback, humans can behave randomly, but it doesn’t come naturally to us.
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One of the most interesting recent developments in the understanding of the psychology of superstition is a phenomenon called acquiescence that has been identified by psychologist Jane Risen (2016). Risen’s concept of acquiescence builds upon the popular dual-process theory of cognition that was popularized by Daniel Kahneman and Amos Tversky and is described in Kahneman’s (2011) book Thinking, Fast and Slow. According to dual processing theory, we have two cognitive systems: system one is intuitive, fast-acting, and emotional, and system two is slower, more deliberate, and capable of reasoning and calculation. System one helps you decide what to order for dinner at the restaurant, and the US, where it is customary to leave a fifteen or twenty percent tip for the waitperson, system two helps you calculate the right amount to add to the bill. Much of Kahneman and Tversky’s work, as well as that of many others in the field of contemporary cognitive psychology and behavioral economics, has identified errors produced by the quicker-acting intuitive system one. We often employ system one because it is less effortful and quicker, but sometimes it makes mistakes.
Figure 1: Arrangement of bowls of jellybeans in the Denes-R aj and Epstein (1994) experiment in the equal probabilities condition.
Risen’s work is aimed at the times when we are conscious of a direct conflict between our rational and intuitive reasoning systems. For example, in a classic study by Veronika Denes-Raj and Seymour Epstein (1994), participants were offered money if they were lucky enough to select a red jelly bean from a bowl containing red and white jelly beans. In one bowl there were ten jelly beans total, one red and nine white, and in the other there were one hundred jelly beans, ten red and ninety white (see Figure 1). The probability of success was equal at .10 in each bowl. The bowls were placed behind a partition so that participants could not see the beans as they selected one, and their task was to choose which bowl they wished to select a bean from. Under these conditions, a majority of the participants chose the larger bowl containing one hundred beans. Theoretically the participants should be indifferent between the two
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bowls because the probabilities were equal, but a preference for the larger bowl is not irrational given that the larger bowl has the same likelihood of success. But Denes-Raj and Epstein did not stop there.
Figure 2: Arrangement of bowls of jellybeans in the Denes-R aj and Epstein (1994) experiment in an unequal probability condition.
In subsequent trials, the experimenters reduced the probability of success with the larger bowl. For example, the small bowl remained the same — one red and nine white — but the large bowl was reduced to nine red and ninety-one white (see Figure 2). In case the situation was lost on the participants, the experimenters called attention to the probability in each bowl before the participants chose. In this case, the rational choice is the smaller bowl because it has a larger probability of success. Ideally, no one should ever choose the larger bowl if the probability of success was lower, however, contrary to expectations, many people continued to choose large bowl. Indeed, even when the probability of success was half that of the small bowl, five red jelly beans and ninety-five white, over twenty percent of the participants persisted in choosing the large bowl. Denes-Raj and Epstein (1994) interpreted their findings as a conflict between system one and system two.1 System two understood probabilities and was pulling for the small bowl with its greater chance of success, but system one was distracted by the larger number of red jelly beans in the large bowl. It is as if system one was only looking at the numerator of the ratios of red and white jelly beans and ignoring the denominators. Jane Risen (2016) recognized that a very similar conflict is experienced by some people who employ superstitions. In a famous case, a superstitious chain letter circulated among US journalists in the 1980s. Many of the journalists recognized that this was a superstition and that copying and forwarding the letter — as was required to have good luck and avoid calamity — was irrational, 1 Denes-Raj and Epstein (1994) did not use this exact language, but they described their results in terms of a dual process theory.
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but many complied nonetheless. As Gene Foreman, an editor at the Philadelphia Inquirer newspaper explained, “You understand that I am not doing this because I’m superstitious, I just want to avoid bad luck” (Emery 1991). Risen’s (2016) interpretation of this phenomenon was another conscious conflict between the intuitive system one and the more rational system two. Like Gene Foreman, many people recognize that superstitions are irrational, but they acquiesce to their intuitions about magical thinking. They understand that what they are doing does not make sense, but they just feel better doing it anyway. Perhaps you know people like this, or perhaps you are like this yourself. When we are deciding whether we like someone or not or what color curtains to put in the living room, our rational system two is not really engaged, and intuition dominates without any sense of conflict. But in the case of superstition, which, of course, carries at least a mild social stigma, the inner conflict between systems one and two is quite obvious, and Risen’s notion of acquiescence accurately describes the situation of people like Gene Foreman.
Is Superstition Good or Bad? Superstition has a very long history, and it remains quite popular. Can we determine whether superstition is helpful or harmful? Of course, we should first acknowledge the obvious: there is no magic. If superstitions have a benefit, it cannot be a direct causal relationship between the superstition and the natural world. But the very impressive success of superstition, continuing well beyond the Enlightenment and the rise of modern science, suggests that it must have some benefit. There is considerable evidence that superstitions are a method of coping with uncertainty and the anxiety that often accompanies it. As we have seen, people appear to be drawn to astrology when they have experienced crises in their lives, and superstitions provide a sense of order and control, even when order and control are clearly lacking. But do the benefits of superstition go beyond immediate psychological comfort? Could they help in a tangible way? Superstitions are often employed in the context of a skilled activity. Because we have acknowledged that magic is not real, it follows that your lucky M oomins doll will not help you in the bingo hall. Interestingly, bingo players are notoriously superstitious and employ figurines, lucky card markers, and other magical methods in an effort to bring good luck. But what about the superstitious athlete, the person who wears a lucky tie to a job interview, or the opera singer
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who carries a lucky stone in their pocket? Might the psychological benefits of superstition enhance performance of a skilled activity? This hypothesis seems quite plausible, but so far, the research evidence has been inconsistent. For many years, there was little or no research evidence on this question, but in 2010 researchers from the University of Cologne published a study that got lots of attention (Damisch, Stoberock, & Mussweiler 2010). In a series of experiments, they appeared to show that belief in luck could improve performance at a skilled activity. For example, in the most famous of their studies, participants were invited into the laboratory to putt a golf ball into a cup. In this remarkably simple study, half the participants where merely handed a golf ball and told, “This is your ball.” The other half of the participants were told, “This ball has been lucky today.” Miraculously, the lucky ball group was significantly more successful at putting the ball into the cup. For the first time there appeared to be clear evidence that superstitious belief could enhance performance, but our excitement did not last. As you may have heard, there is an ongoing replication crisis in psychology at the moment (Loken & Gelman 2017). We have discovered that many classic psychology studies cannot be reproduced, calling into question some of the foundational phenomena of my discipline. Sadly, the Cologne study collapsed in the same heap of irreproducible results. A more rigorous golf ball study with substantially more participants conducted at Dominican University in the US found no significant difference in putting performance between the lucky ball and normal ball conditions (Calin-Jageman & Caldwell 2014). Anticipating that cultural differences might be blamed for the failure to replicate, the US researchers controlled for more variables than in the original, and, importantly, they determined that belief in luck was equivalent between the US and German samples. All is not lost. A recent study has given some preliminary indication that belief in superstition can have a positive effect on performance. A group of researchers led by Alison Wood Brooks of Harvard University have shown that performing a ritual before either singing into a karaoke machine in front of strangers or performing a timed math test can reduce anxiety and improve performance (Brooks et al. 2016). Brooks and colleagues began by conducting an online survey of four hundred people to ask them (a) whether, when facing a difficult, anxiety-provoking task, they typically perform some kind of ritual and (b) if so what kind of ritual did they perform. The researchers found that 46.5 percent of their respondents reported performing a ritual, and the majority of these rituals were neither spiritual nor superstitious. Thus, they created an experiment employing a non-spiritual and non-superstitious ritual. Brooks
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and colleagues conducted a number of versions of the study, but in one case, prior to taking a math test, participants were asked to: Please count out loud slowly up to 10 from 0, then count back down to 0. You should say each number out loud and write each number on the piece of paper in front of you as you say it. You may use the entire paper. Sprinkle salt on your paper. Crinkle up your paper. Throw your paper in the trash. (Brooks et al. 2016, 49)
For half of the participants, this sequence was described as “random behaviors” and for the other half it was described as a “ritual” (Brooks et al. 2016, experiment 4). After the participants had completed the math test, they filled out questionnaires designed to measure their anxiety level and their sense of control. The results showed that participants in the ritual condition had lower anxiety and better performance on the math test. There was no difference in the sense of control. Brooks and colleagues showed that, when described as a ritual, a sequence of behaviors reduced anxiety, which in turn, improved performance on the math test. They did not describe the ritual as specifically spiritual or religious, but I note that the ritual they chose had an incantatory quality and that salt is both a consecrated object used in religious ceremonies and the subject of a popular superstition. Nonetheless, this is the first study to show that a ritual can reduce anxiety and improve performance — precisely the mechanism that we hypothesize might result from superstitions. Thus, Brooks and colleagues give preliminary support for the idea that a superstitious ritual might lead to better performance at a skilled task, but taken at face value their results suggest that any ritual will do. It doesn’t have to be a magical ritual. I confess that I find the findings of this study to be a bit magical, and as a result, we will have to wait for further research to see whether these results hold up and to learn more about the relationship of superstition to performance. It would be irresponsible to leave this topic without considering the possible negative effects of superstition. First, my personal view is that, when it comes to the fear-based superstitions, we would all be better off if no one ever taught us about black cats, the number 13, and the evil eye. I understand why they exist. People have always searched for explanations for the bad things that happen. In the past, those explanations often involved the work of demons that people thought were entirely real, and anything that might protect from demons was an attractive commodity. But today, an encounter with Friday the 13th brings unwanted anxiety. We can do without it.
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The everyday positive superstitions are often harmless and may provide some psychological benefits, however, there are a number of potential harms. First, a belief in luck can be very expensive for the gambler. People who do not have superstitious beliefs about luck and can do mathematics tend not to gamble. Gambling is not a winning strategy, and it can be a very costly form of entertainment. Similarly, the advent of the internet and social media has been a boon to psychics and astrologers who charge substantial sums in return for skills they don’t really have. Finally, those who are drawn to alternative medical techniques instead of science-based methods are flirting with serious consequences. In 2012, a 19-month-old Canadian boy died of meningitis when his parents treated him for two weeks with naturopathic medicines (Grant 2017). They took him to the hospital only after he stopped breathing. This level of belief in alternative medicine is clearly dangerous and irrational. In the modern world, belief in superstition involves some level of conflict with reason and science, a phenomenon that seems to be growing in the current political atmosphere. Jane Risen’s (2016) concept of acquiescence provides a way of thinking of people who share different levels of belief. I can imagine three groups of people who differ in their approach to superstition. First, there are the committed rationalists for whom superstition is not a live hypothesis. Superstition plays no part in their lives. Next are the acquiescers. People whose systems one and two are in conscious conflict and who understand that, when they knock on wood or avoid walking under a ladder, they are giving in to intuition. Finally, there are true believers. People for whom superstition is so ingrained that they experience no conflict between systems one and two. They may be aware that being superstitious bears a stigma and, as a result, they may not advertise the fact that they believe in the evil eye. But neither do they question the validity of their superstitions. As a societal issue, I think we need only be concerned about this last group. When the stakes are high, I am confident the acquiescers will turn to science rather than superstition. Their inner conflict is born of an understanding that their behavior does not make rational sense. The more challenging problem is the true believers. Those for whom folklore, intuition, and misguided authority are more influential forces than evidence and reason.
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The Future of Superstition Superstition is not going away. Modern life is still filled with all of the psychological motives that prodded Theophrastus’ superstitious man to wash his hands in three springs. We face uncertainty and anxiety on a regular basis, and those inescapable features of human existence are enough to sustain superstitious belief in many people. In addition, superstition is profitable. Amazon.com, Etzy. com, and many other online merchants offer page after page of lucky charms, curse kits, love potions, and bottles of holy water. For a fee, the anxious or unfulfilled consumer can obtain a product that makes magical claims, or they can consult someone who purports to have magical powers. Currently, one of the largest areas of publication on superstition is in marketing and consumer research, and much of it appears to be motivated, in part, by the remarkable growth of the Chinese middle class. When marketing research is undertaken in the hope of harnessing superstition for commercial gain, it raises ethical questions. For example, an article by University of Waterloo researchers Daniel Guttentag and Mark Havitz (2010) explored a number of ways to use common superstitions to maintain customer loyalty at casinos. Several of the authors’ suggestions involved popular Chinese superstitions. As previously mentioned, gambling is a very expensive form of entertainment that, if done to excess, can lead to social problems. In addition, this kind of research places investigators — whom we assume to be scientists or, at least, supporters of rational thinking — in the position of promoting magic and irrational behavior. When businesses employ superstitions as a marketing scheme, it is probably safe to assume these choices will strengthen rather than weaken belief in superstition among their customers. In an article in the Journal of the Association for Consumer Research, I argued that investigators should consider the ethical implications publishing research in this area (Vyse 2018). Research on the effects of superstition in the marketplace is likely to appeal to businesses seeking to increase profits, but it may also lead to a strengthening of irrational thinking among consumers. In keeping with the themes of the Austrian Day of Science, I want to end my paper by addressing some larger societal issues related to superstition and irrational belief. Recent history shows that, as scientists, we may need to pay more attention to variables we sometimes ignore. For example, in the US, the strongest predictor of whether you believe that human activity causes global warming is your political party affiliation. This makes no logical sense. Facts should be persuasive regardless of your political views, and yet mere exposure
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to facts has not worked as well as we might hope in this case. Our assumption that the application of evidence and reason will naturally lead to shared truth was overly idealistic. Similarly, the vaccine resistance movement seems to have brought together groups who are motivated by suspicion of large organizations. Conservative vaccine critics are suspicious of big government and multinational organizations such as the World Health Organization, and liberal vaccine critics question the motives of the pharmaceutical companies. The current political environment has stimulated social and personality psychologists to turn their attention to an understanding of political ideologies and their effects on reasoning. For example, in a recent meta-analysis of 181 studies from various countries, including some Post-Communist states, researchers looked at the relationship between conservative ideology and various thinking styles (Jost, Sterling, & Stern 2018). The results showed that conservatism had significant positive relationships with rigidity and intolerance of ambiguity and had significant negative relationships with need for cognition (e. g., enjoyment of mental challenges) and integrative complexity. This pattern of results is precisely the opposite of the profile we would expect from a scientist or from anyone who was likely to separate truth from illusion. Other research suggests that conservatives (or right-wingers) are generally happier than liberals (or left-wingers), and part of the explanation offered for this happiness advantage is that conservatism is based in system-justification—affirming the status quo (Napier & Jost 2008). All of which suggests that as populist conservative movements gain strength throughout Europe and the Americas, we should expect reason and critical thinking to decline. In addition, the political scientist and anti-Trump conservative US author Tom Nichols’ (2017) book The Death of Expertise suggests that the rise of the internet and other cultural forces have produced a rejection of expert knowledge. The fruits of science are all around us, but respect for scientists and other experts is in decline. Consistent with this interpretation a recent study identified a kind of Dunning-Kruger effect with respect to vaccine hesitancy (Motta, Callaghan, & Sylvester 2018). In a US sample, participants who had the least knowledge about autism were the most confident of their knowledge of autism. Furthermore, participants with the lowest knowledge of autism believed they knew more than the experts. All of this leads me to believe that we have much work to do. For much of my career, I have been concerned with the relatively immediate variables that affect superstition: reasoning errors, operant conditioning, uncertainty, and
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anxiety. But Keinan’s (2002, 1994) studies of superstition’s relationship to tolerance for ambiguity and desire for control and research on conservatism and epistemic motivations suggests that broader, more trait-like characteristics play an important role in sound reasoning. Simply placing the evidence in front of people is no longer enough if we want science to guide good judgment. As scientists we tend to quietly do our work and hope that it will eventually find an audience. With some exceptions, we are not usually concerned with public relations, but the times have changed. The assumption that the scientific cream will rise to the top and be thirstily scooped up by the populace has been proven false, and as a result, we need to make deliberate efforts to celebrate the simple process of discovery we call science. We have reason to believe Enlightenment philosophy is slipping away from us just at a point when much is at stake. As you know, one of the first responses to the last presidential election in the United States was a worldwide March for Science. To many of us, taking to the streets seemed completely out of character with the role of the non-political scientist, but there are earlier examples of scientists taking political action. For example, after World War II, Albert Einstein, Linus Pauling, and Leó Szilárd founded the Emergency Committee of Atomic Scientists to communicate the dangers of nuclear weapons and promote the peaceful use of nuclear power (Mian 2015). Scientists typically don’t take on political issues, but sometimes political problems come knocking on the laboratory door. In the current environment, whether we like it or not, we are forced to be more aggressive with our message, and as a result, we need to take every possible opportunity to celebrate the bright path of science. As Carl Sagan once said, “Science is not perfect, it is just the best we have” (Public Broadcasting Service 1996). One of the jobs that we all must now embrace is celebrating science and speaking up for scientific thinking whenever we can.
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Esoterik und Religion Religionswissenschaftliche Perspektiven Franz Winter
Einleitung: wissenschaftstheoretische Vorbemerkung und eine erste Hilfsdefinition Das Begriffsfeld „Esoterik“ ist aktuell äußerst präsent. Je nach Kontext können damit allerdings recht unterschiedliche Dinge gemeint sein, was wiederum Spiegel einer sehr schillernden Begriffsgeschichte ist: Zum einen kann man bei dem häufigen Gebrauch im (tages-)medialen Zusammenhang eine sehr negative Konnotation bemerken, wo die Zuschreibung „esoterisch“ mehr oder minder gleichbedeutend mit „unsinnig“, „verschwommen“ oder „unklar“ ist. Dem steht zum anderen eine Verwendung desselben Begriffsfeldes im Kontext aktueller Gegenwartsreligiosität, aber auch in Bereichen wie etwa Kunst oder Literatur gegenüber, wo der Ausdruck positiv markiert ist und auf einen spezifischen Ausdruck religiöser bzw. allgemein weltanschaulicher Traditionen bezogen ist, der mit „geheimnisvoll“, „wahrheitsverheißend“ und „faszinierend“ assoziiert ist. Wie im folgenden Beitrag herausgearbeitet werden wird, hat diese beträchtliche Spannbreite viel mit der Geschichte der Esoterik zu tun, die hier unter den Vorgaben und mit der Perspektive des Faches Religionswissenschaft betrachtet wird. Damit ist auch klar angezeigt, dass es sich nicht um eine Gesamterfassung „der“ Esoterik handeln wird, sondern vielmehr um einen Blickwinkel von mehreren möglichen anderen. Das Phänomen der Esoterik ist so stark gespreizt, dass es eine Reihe von anderen Disziplinen benötigen würde, wie beispielsweise Philosophie und Philosophiegeschichte, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte oder auch Wissenschaftsgeschichte und anderes, um ein möglichst umfassendes Porträt zu erreichen. Dies ist im vorliegenden Beitrag nicht zu leisten. Vielmehr bietet die Religionswissenschaft eine spezifische Herangehensweise, die sich im Kontext der kulturwissenschaftlich orientierten, nicht der theologischen Beschäftigung mit Religion bewegt. Das Fach Religionswissenschaft will der Tatsache gerecht werden, dass Religion im Laufe der Geschichte der
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Menschheit ein äußerst präsentes und sehr bedeutendes Phänomen war und bis heute und global gesehen ist. Religionen waren eine zentrale Triebfeder für viele kulturelle Entwicklungen und ein Motivationshintergrund für alles Mögliche, sowohl im Guten als auch im Schlechten. Die Religionswissenschaft als Fach bemüht sich um eine kulturwissenschaftliche Betrachtung dieses Phänomens und unterscheidet sich damit von der Perspektive einer Theologie (oder genauer gesagt, der verschiedenen möglichen Theologien). Innerhalb des Faches hat sich eine spezifische Methodik entwickelt, die natürlich Wandlungen und „Moden“ unterworfen ist, aber die um das deskriptive Erfassen von Religionen und religiöser Phänomene bemüht ist. Religionswissenschaft ist nicht primär „wissenschaftliche“ Kritik an Religionen, von welcher Perspektive auch immer, wie oft missverständlich angenommen wird. Selbstredend gibt es religionskritische Aspekte der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion, aber Religion ist in der Religionswissenschaft nicht primär Gegenstand des Anstoßes, den man – mit welcher Kriteriologie auch immer – zu dekonstruieren oder destruieren hätte. Vielmehr bemüht sich das Fach um eine möglichst viele Ebenen umfassende Beschreibung des Phänomens Religion und seiner vielen Inhalte in den möglichen Verzweigungen und dies unter Absehung von der Frage, ob die Inhalte „wahr“ oder „falsch“ sind. Dieser sogenannte „methodologische Agnostizismus“ ist eine der wichtigsten Vorgaben religionswissenschaftlichen Arbeitens und der grundsätzliche Ausgangspunkt für ihren Zugang. Dabei ist es wichtig und gerade im Hinblick auf das Thema „Esoterik“ selbst hervorzuheben, dass das Fach Religionswissenschaft keinen primär kritischen Zugang zu seinem Untersuchungsgegenstand hat. Der Beitrag selbst ist in insgesamt vier Abschnitte gegliedert. In einem ersten Teil wird die frühe Forschungsgeschichte zur Esoterik kurz aufgebreitet, in der die Abtrennung von „Religion“ und „Esoterik“ ein gängiger Zugang war. Darauf folgt im zweiten Teil eine kurze Darstellung der (relativ jungen) religionswissenschaftlichen Erforschung der westlichen esoterischen Tradition, die sich von den zuvor üblichen Paradigmen ablöste. In einem dritten Teil werden dann verschiedene moderne Ansätze der Erfassung der Esoterik zitiert, wobei ausführlicher auf die schon ältere „Wiederverzauberungsthese“ eingegangen wird. All dies soll in einem abschließenden vierten Teil zu einem Resümee zusammengeführt werden, wo noch eine Reihe von weiteren Aspekten angesprochen wird. Bevor dieser Durchgang gestartet wird, soll aber eine erste generische Hilfsdefinition des „Bereichs“ Esoterik angeboten werden, und zwar geographisch
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und kulturhistorisch beschränkt auf den euro-amerikanischen Horizont, d. h. in Bezug auf die „westliche“ esoterische Tradition.1 Mit dieser Einschränkung kann „Esoterik“ am besten als Containerbegriff bezeichnet werden, worunter eine an sich heterogene Sammlung unterschiedlicher Strömungen, Bewegungen, expliziter Gemeinschaften, aber auch zuweilen einzelner Autoren und Denker verstanden wird, die vielfach in einer direkten historischen Abhängigkeit zueinander stehen. Die esoterischen Traditionen bieten eine Art umfassende Welterklärung, die als Teil einer über die Zeiten gültigen, transkulturell und transreligiös relevanten Wahrheit, d. h. einer Art „Ur-Weisheit“ der Menschheit, verstanden wird. Diese Welterklärung ist an sich „geheim“, und hier würde man die Grundbedeutung des Wortes „esoterisch“ ansetzen: Das Wort leitet sich vom altgriechischen Adjektiv esōterikós ab, das sich mit „zu dem gehörig, was (weiter) innen ist“ übersetzen ließe. Das Basiswort ist esō, was „innen“ bedeutet und mit einer Steigerungsform esōtérō „weiter drinnen“ die Grundlage für die Adjektivbildung darstellt. Erstmals belegt ist d ieses Adjektiv im 2. Jahrhundert, wo es beispielsweise beim griechischen Satiriker Lukian von Samosata als Gegensatz zum gebräuchlicheren Ausdruck exōterikós („zum Äußeren gehörend“) verwendet wird.2 Allerdings ist die davon abgeleitete Substantivbildung „Esoterik“ um vieles später das erste Mal belegt und zwar vermutlich 1792 in einem deutschen Kontext, wovon dann der französische Gebrauch (ésoterisme; 1828) und der englische (esotericism, 1883) abgeleitet werden kann.3 Erklärtes Ziel der diversen esoterischen Programme ist Erkenntnis, ist „Gnosis“, was nichts anderes verspricht als Einsicht in die vorausgesetzte umfassende Wahrheit, die nicht jedem zuteilwird. Die Einsicht selbst erlangt man durch diverse Techniken, die stark introspektiven Charakter haben, aber auch durch Rituale, zuweilen unter Zuhilfenahme diverser Artefakte. In esoterische Gemeinschaften kann man nicht einfach eintreten, sondern in sie wird man aufgenommen, man wird „initiiert“, um danach eine Art Aufstiegsweg, der über verschiedene Stufen hinaufführen soll, zu durchschreiten. 1 Zur wissenschaftstheoretisch wichtigen Einengung dieses Bereichs und den damit verbundenen Implikationen wird weiter unten noch Näheres ausgeführt werden. 2 Vgl. Hanegraaff, Esotericism and the Academy, 334; Gaiser, Platons esoterische Lehre, 13 – 40; von Stuckrad, Western Esotericism: Towards an Integrative Model, 80; Riffard, L’Ésotérisme, 63 – 88. 3 Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 3; ausführlicher Neugebauer- Wölk, Der Esoteriker und die Esoterik, 217 – 231; Hanegraaff, Esotericism and the Academy, 334 – 336; Faivre, L’ésotérisme, 4 f.
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So definiert kann unter dem Begriff (westliche) Esoterik eine Vielzahl von Erscheinungen insbesondere der europäischen Neuzeit versammelt werden, wie beispielsweise die sogenannte hermetische Tradition der Renaissance oder die Naturphilosophie eines Jakob Böhme (1575 – 1614). Namentlich genannt sei hier auch die wirkträchtige Strömung der Theosophie bzw. die Theosophical Society, die 1875 von der charismatischen Russin Helena P. Blavatsky (1831 – 1891) gegründet wurde und die sich als eine Art Summa der esoterischen Tradition versteht,4 oder deren Abzweigung, die Anthroposophie des Rudolf Steiner (1861 – 1925).5 Im 20. Jahrhundert wirkträchtig wurde dann diese spezifische esoterische Tradition durch das sogenannte „New Age“, eine von den USA ausgehende und dann spätestens ab den 1970er Jahren global relevante Strömung, die zu einer maximalen Popularisierung vieler Inhalte der klassischen westlichen esoterischen Tradition führte und weite Strecken dessen, was man heute landläufig unter Esoterik versteht, bestimmt. Letzteres wird im Folgenden als „moderne Populäresoterik“ bezeichnet und damit als Teil der esoterischen Tradition, allerdings mit einem epigonalen Charakter und mit zusätzlichen Aspekten, wie beispielsweise einer massiven Kommerzialisierung. Mit dieser hier vorangestellten Hilfsdefinition kann zudem der „religiöse“ Charakter der esoterischen Tradition für einen ersten Zugang begründet werden. Obwohl, wie schon festgestellt und wie auch im Folgenden noch deutlich gemacht werden wird, Esoterik an einer Schnittstelle unterschiedlicher kultureller Bereiche angesiedelt ist, ist der religiöse Aspekt ein zentraler, insbesondere was die Ansprüche und die grundsätzliche Anlage betrifft.6 Unterschiede zu religiösen Traditionen, die in Form der traditionellen Religionsgemeinschaften präsent sind, ergeben sich zwar in der Tat zahlreiche, beispielsweise auf der Ebene der Organisation, was wiederum eng mit der Frage der Genese der esoterischen Tradition zusammenhängt. Jedoch ist eine grundsätzliche Zuordnung in den Zuständigkeitsbereich einer Religionswissenschaft ausreichend begründet. Wie nun im Folgenden ausgeführt werden wird, war aber die Gleichung, nämlich dass die esoterische Tradition eine Form von Religion ist, keineswegs allgemein üblich, vielmehr wurde in früher Forschungsliteratur oft ein 4 Hammer, Theosophical Elements in New Age Religion, 238 – 258. 5 Grundlegende Studie dazu: Zander, Anthroposophie in Deutschland; ders., Rudolf Steiner. Die Biografie. 6 Zur prinzipiellen Ambiguität des Esoterikbegriffs vgl. Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 1 – 3. In die oben angegebene Richtung und mit Blick auf das Selbstverständnis der Esoteriker argumentiert schon Zinser, Ist das New Age eine Religion? 33 – 50, der allerdings von einem Religionscharakter „in Teilen“ spricht (ebd., S. 48); vgl. dazu auch ders., Religionssoziologische Bemerkungen zu New Age, 91 f.
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Trennstrich zwischen beiden gezogen. Das ist wiederum mit einem grundsätzlichen Wandel des Zugangs zum Religionsbegriff verbunden, der sich in den letzten Dezennien vollzog.
Esoterik und Religion: die theologisch begründete Trennung beider Bereiche Ein wesentliches Kennzeichen der jüngeren Forschungsgeschichte zur esoterischen Tradition ist ihre frühe kritische Wahrnehmung, die im 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen des New Age einen Höhepunkt ab den 1970er Jahren erlebte, weil man aufgrund der erstaunlichen globalen Präsenz mit einem sehr bedeutenden Element einer sich ganz neu gebenden Religionskultur konfrontiert war. Die frühe Forschungsliteratur war sehr stark von christlichen Theologen dominiert, wobei hier das Spektrum der Beschäftigung von bloßer Apologetik bis zu einer durchaus ernsthaften Auseinandersetzung reichte. Es gab darin aber eine mehr oder minder eindeutige Tendenz, den „Religions“-Begriff von der Esoterik wegzunehmen bzw. diesen gründlich zu problematisieren. Klassische Schlagworte, die man in d iesem Zusammenhang in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des New Age antrifft, waren Begriffe wie „Holismus“, will heißen: eine wenig definierte „ganzheitliche“ Sicht der Welt.7 Üblich war auch die Zuschreibung, um nicht zu sagen, der Vorwurf eines „Pantheismus“, was an sich eine klassische Negativzuschreibung in der christlichen theologischen Tradition darstellt. Zudem war oft das faktische „Fehlen“ eines Offenbarungsbegriffs angemeldet,8 was man als besonderes Spezifikum der christlichen Tradition herausstrich: Esoterik wäre demgegenüber etwas Selbstgestricktes, eine beliebig geclusterte Form von Religion, was mit Begriffen wie „Patchwork-Religiosität“ 9 oder „synkretistische“ 10 Religion umschrieben wurde.11 Dazu kommen mehr oder 7 Vgl. z. B. Kehl, New Age oder Neuer Bund, 22 – 24; zum Teil werden vergleichbare Argumentationsfiguren bis in aktuelle Publikationen mitgetragen, z. B. Graf, Die New-Age-Bewegung, 63 – 66. 8 Vgl. z. B. die schon zitierte Darstellung beim katholischen Dogmatiker Medard Kehl, New Age oder Neuer Bund, wo allein schon vom Titel dieser Gegensatz Betonung findet. 9 Vgl. etwa Scholl, Religiös ohne Gott, 34 – 36. 10 Vgl. z. B. Beyerhaus und von Padberg, Eine Welt – eine Religion?; Drehsen und Sparn, Im Schmelztiegel der Religionen. 11 Vgl. auch Wichmann, Die Renaissance der Esoterik, 14 – 27; Widl, Christentum und Esoterik, 96 f; vgl. ebd., 78 – 88; vgl. auch Graf, Die New-Age-Bewegung, 103, über die „Philosophie
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minder verklausulierte Warnungen vor bestimmten Elementen in der esoterischen Tradition, wie zum Beispiel der Vorwurf einer Egozentrik,12 oder gar der Hinweis auf die Gefahren von traditionell negativ konnotierten Kontexten wie „Okkultismus“, die zumeist direkt und unreflektiert mit dem „Satanismus“ als spezifische Ingredienz der Esoterik angeführt wurden.13 Esoterik war damit durchgehend als etwas Defizientes, nicht Vollwertiges behandelt, wenn es nicht ganz unter dem Gefahrenaspekt verhandelt wurde. Die Auseinandersetzung mit Esoterik war nämlich sehr eng verwoben – und zwar von Anfang an und im Grunde genommen bis heute – mit der gesellschaftlichen Diskussion um alternative Formen von Religionen bzw. den sogenannten „neureligiösen Bewegungen“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die man pauschal unter dem Label „Sekten“ verhandelte. Diese sogenannte „Sektendebatte“ begann ab den 1960er/1970er Jahren an Fahrt zu gewinnen und erreichte ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren. Klassische Inhalte und Vorwürfe im Zusammenhang mit den „Sekten“ waren Th emen wie (psychische und wirtschaftliche) Ausbeutung von Menschen, gesellschaftsspaltende Manipulation oder gar die Angst vor einer Unterwanderung des Staates durch die neuen Bewegungen.14 Die Auseinandersetzung von Seiten der christlichen Theologie hat damit zweifellos viel mit dem langsam aber sicher spürbaren Bedeutungsverlust der traditionellen christlichen Kirchen insbesondere im europäischen Raum zu tun. Diese Entwicklung, die gern mit dem schwierigen Klammerbegriff „Säkularisierung“ beschrieben wird, war eine massive Herausforderung und erklärt bis zu einem gewissen Grad die Heftigkeit, mit der gerade von theologischer und kirchlicher Seite diese Auseinandersetzung geführt wurde. Dieser Abwehrbewegung machte erst langsam ein nüchterner und angstbefreiter Umgang mit der esoterischen Tradition Platz, wie er spätestens ab den 1990er Jahren erfassbar wird. des New Age auf dem Fundament der Irrationalität“; Schumacher, Esoterik – Die Religion des Übersinnlichen, 276 – 279; 287 – 295. 12 Vgl. Kehl, New Age oder Neuer Bund, 79 – 85; Graf, Die New-Age-Bewegung, 66 – 68. 13 Vgl. Kehl, New Age oder Neuer Bund, 106 – 117; Graf, Die New-Age-Bewegung, 76 f; Widl, Christentum und Esoterik, 107 – 110, auch 78 – 88; Schumacher, Esoterik – Die Religion des Übersinnlichen, 14 f, 66 – 78; Wichmann, Die Renaissance der Esoterik, 85 – 88. 14 Vgl. beispielsweise Willms, Scientology. Kulturbeobachtungen jenseits der Devianz, zum gesamtgesellschaftlichen Rahmen, innerhalb dessen die Debatte um die als „Church of Scientology“ bekannte Gemeinschaft bis heute zu verstehen ist. Vgl. auch Willms, Die wunderbare Welt der Sekten, 268 – 284.
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Neue Wege in der Esoterikforschung Der Bruch mit diesem lange Zeit sehr dominanten Paradigma vollzog sich auf der Forschungsebene im Grunde genommen seit den 1990er Jahren. Eine neue Generation von Forschern begann, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen und nahm dabei nicht von vornherein aufgrund von theologischen Prämissen eine kritische Position ein. Man versuchte das Phänomen der esoterischen Tradition kulturhistorisch einzuordnen und der Tatsache gerecht zu werden, dass sich dahinter eine sehr große Masse an weitgehend wissenschaftlich nicht erfasster Literatur und Tradition verbarg, die es aufzuarbeiten galt. Dies führte zum Bruch mit bestehenden Paradigmen und Zugangsweisen. Geradezu beispielhaft kann hier eine Arbeit zitiert werden, die sich zudem mit derjenigen Person verbindet, die dann in weiterer Folge zu einer Kardinalfigur der Esoterikforschung wurde: Der Niederländer Wouter J. Hanegraaff veröffentlichte 1996 die Buchfassung seiner Dissertation unter dem Titel „New Age Religion and Western Culture“. Er versuchte eine Art Neuerfassung des New Age, das im Titel schon programmatisch mit dem Begriff „religion“ verbunden wird. Und schon in seiner Vorbemerkung und quasi als Hinführung zur eigentlichen Thematik beginnt er mit einer gründlichen Dekonstruktion des „Offenbarungs“-Begriffs, der ja in der traditionellen christlichen theologischen Auseinandersetzung mit der Esoterik eine ganz zentrale Rolle spielte und den Anspruch auf Genuinität der religiösen Tradition markierte.15 Hanegraaff führt nun aus, dass man den Offenbarungsbegriff genauso gut auch auf die New Age Tradition übertragen darf. Das ist Teil seines Grundansatzes, die Geschichte des New Age und dessen maßgebliche Inhalte in zentralen Texten der sogenannten „Channeling“-Bewegung im 20. Jahrhundert vordefiniert zu sehen. Unter „Channeling“ versteht man die direkte Kontaktaufnahme zu Wesenheiten einer transzendenten, „jenseitigen“ Sphäre mittels einer Person, die als „Channel“ fungiert und die Botschaften übermittelt. Viele Inhalte des New Age wurden bereits früh im 20. Jahrhundert in dieser vielfältigen und zumeist umfangreichen Literatur ausformuliert und vorgebracht.16 15 Hanegraaff, New Age Religion and Western Culture, 24 – 27. 16 Wouter J. Hanegraaff, New Age Religion and Western Culture, 34 – 41, mit einer Liste seiner „sources“, zu denen unter anderem die Schriften des amerikanischen „Sehers“ Edgar Cayce (1877 – 1945), des österreichischen Mediums Eva Pierrakos (1915 – 1979), das „Seth“-Material von Jane Roberts (1929 – 1984), die Botschaften des „Ramtha“ genannten Wesens von J. Z. Knight (geb. 1946), der als „A Course in Miracles“ bekannte „Studiengang“ (unterteilt in „workbook for students“ und „manual for teachers“), oder auch die aufgrund der Popularität
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Eine weitere wichtige Vorgabe, die sich im Zuge des neuen Zugangs zur Esoterik formierte, ist zudem ein Punkt, der ganz konform geht mit dem eingangs zitierten Grundanspruch der Religionswissenschaft und der gerade für die Esoterikforschung ein zentrales Moment darstellt: die absolute Indifferenz gegenüber der Frage, ob die Inhalte, die in den esoterischen Schriften behauptet werden, „wahr“ oder „falsch“ sind. The Absolute or the Divine is simply not a possible object of research: all that scholars can do is study the beliefs, convictions or theories that have been formulated about it, but as scholars they are not qualified to assess their truth or falsity.17
Dieser „methodologisch agnostische“ Zugang war eine wichtige Voraussetzung für die nüchterne, religionswissenschaftlich deskriptive Beschäftigung, zumal damit auch ein anderer Zugang problematisiert werden konnte, der zuweilen in Auseinandersetzungen mit der esoterischen Tradition durchaus präsent war, nämlich die zumeist akademische Beschäftigung mit dieser Tradition mit einer spezifischen religiösen „esoterischen“ Agenda. Man spricht hier in der Esoterikforschung vom „religionist“-Zugang, der nun der nüchternen historisch orientierten Betrachtung weichen sollte.18 So gesehen grenzte man sich sowohl von der christlich orientierten, vielfach apologetisch gepolten Beschäftigung als auch von der affirmativen, quasi „esoterisch-theologischen“ Auseinandersetzung mit der Esoterik ab. Für letzteren Zweig kann eine Reihe von sehr prominenten Kultur- und Religionswissenschaftern im 20. Jahrhundert zitiert werden, die mit einer eindeutigen Ausrichtung esoterische Traditionen auf ihren „Wahrheitsgehalt“ hin untersuchten und dabei mit einer sehr normativen Brille vorgingen. Historisch bedeutsam war beispielsweise der sogenannte „Eranos“-Kreis im schweizerischen Ascona, dessen Wurzeln sich bereits in die Zeit vor dem 2. Weltkrieg zurückverfolgen lassen.19 Ausgehend von d iesem Kreis wäre ein weiteres prominentes Beispiel der rumänische Religionswissenschafter der Autorin und Schauspielerin Shirley MacLaine (geb. 1934) äußerst einflussreiche Buchund Filmproduktion „Out on a limb“ gehören. 17 Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 11 f. 18 Faivre, L’ésotérisme, 12 – 17; Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 10 – 12, der zu d iesem Zweig auch so renommierte Forscher wie den frühen Antoine Faivre, Arthur Versluis oder Nicholas Goodrick-Clarke zählt. 19 Wasserstrom, Religion after Religion; zum Eranos-Kreis insgesamt Hakl, Der verborgene Geist von Eranos; Bernardini, Jung a Eranos; Hanegraaff, Beyond the Yates Paradigm.
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Mircea Eliade (1907 – 1986), der maßgeblich an der positiven Aufladung des „Schamanismus“-Begriffs beteiligt war, worin er eine Art universal gültige, seit prähistorischer Zeit relevante „Religion“ erkannt haben wollte, in deren Zentrum eine vorgeblich „archaische“ Ekstasetechnik stehen würde.20 Mit ihm verbindet sich deshalb auch maßgeblich die Formierung des heute sehr präsenten „Schamanismus“, der in der modernen Populäresoterik eine große Rolle spielt.21 Ein weiteres Beispiel für einen sehr einflussreichen Autor, der mit einer explizit esoterischen Agenda seine Studien betrieb, ist der französische Islamwissenschaftler, Iranist, Philosoph und Theologe Henri Corbin (1903 – 1978).22 Seine Studien zeigen eine gewisse Nähe zu den sogenannten Traditionalisten, die eine enge Anbindung der esoterischen Tradition an das islamische Sufitum behaupteten und hier von einem überzeitlichen Weisheitsstrom ausgingen, den es zu ergründen gälte.23 Man könnte diese Schiene als die „theologische“ Tradition der Esoterik bezeichnen, die mit d iesem neuen Zugang ebenfalls 20 Grundlegend ist hier seine Publikation Le Chamanisme et les techniques archaïques de l’extase, die erstmals 1951 erschien und insbesondere nach der ersten englischen Übersetzung 1964 (Shamanism: Archaic Techniques of Ecstasy) eine beispiellose Rezeption in Intellektuellenkreisen und weit darüber hinaus erfuhr. Einflussreich war auch seine umfangreiche, mehrbändige Histoire des croyances et idées religieuses (ab 1976), die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Dort begegnet passim der Schamanismus-Begriff, nicht nur in Bezug auf die früheste Religionsgeschichte (vgl. z. B. Eliade, Geschichte der religiösen Ideen, 23 – 37 u. ö.). Zur Rezeptionsgeschichte und Kritik an Eliades Konzept vgl. Hutton, Shamans, 121 – 127; zur grundlegenden Kritik an Eliade, nicht zuletzt auch aufgrund von dessen politischen Positionen in seiner rumänischen frühen Zeit vgl. die verschiedenen Beiträge in Wedemeyer und Doniger (Hg.), Hermeneutics, Politics, and the History of Religions, 103 – 323; zusammenfassend auch Winter, Emil Cioran und die Religionen, 19 f und 30 f. 21 Neben Eliade wäre in d iesem Zusammenhang auch auf das Wirken von Michael Harner (1929 – 2018) hinzuweisen, der – zum Teil inspiriert durch Eliade – mit seiner „Foundation for Shamanic Studies“ auf der inhaltlichen, aber auch der praktischen Ebene Impulse für die moderne „Schamanen“-Szene geliefert hat. Vgl. dazu (mit sehr kritischer Perspektive) Zinser, Schamanismus im „New Age“, 319 – 327. 22 Vgl. dazu Masterton, Review of: Swedenborg and Esoteric Islam, 108 – 112, mit einer grundlegenden Einordnung von Corbin in den Kontext spezifischer Konstellationen. Ausführlicher dazu Ramón Guerrero, Henry Corbin y su „Histoire de la philosophie islamique“; Wasserstrom, Religion after Religion, 52 – 66; Neuve-Eglise, Hermeneutics and the Unique Quest of Being. 23 Vgl. dazu Sedgwick, Against the Modern World, bes. 156 – 157, zur Frage des Verhältnisses Corbins zu den Traditionalisten, die dieser zum Teil massiv kritisierte, vgl. auch ders., Western Sufism, 173 – 185; Cheetham, The World Turned Inside Out, 100 – 103.
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kritischer gesehen wurde, wenn auch außer Frage steht, dass wichtige Vertreter der Esoterikforschung zumindest eine gewisse Nähe zu diesen Zugängen erkennen lassen. Die veranschlagte Unterscheidung wird im Vorwort des bis heute maßgeb lichen Lexikonwerks zur westlichen Esoterik, das von Wouter J. Hanegraaff 2005 herausgegebene Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, deutlich gemacht: To the present day, the term ‘esotericism’ tends to be used by scholars in two different senses, that should be clearly distinguished: in a typological sense it refers to traditions of secrecy or (mainly among authors inspired by ‘religionist’ agendas) to what is seen as the deeper ‘inner mysteries of religion’ as opposed to merely external or ‘exoteric’ religious observance, but in a strictly historical sense it functions, rather, as a general label for a series of specific currents in Western culture that display certain similarities and are historically related. The term Western Esotericism in the title of this Dictionary refers to this second meaning.24
Eindeutig tritt hier die Tendenz entgegen, den Esoterikbegriff in erster Linie als klassischen umbrella term zu verwenden, nicht zuletzt auch deshalb, um ein gemeinsames Feld zu definieren. In dieser Weise sollte man auch diese Begriffsfindung verstehen, wenn es auch weiterhin große Schwierigkeiten gibt, das Gemeinsame aller der darunter versammelten Erscheinungen überzeugend zu definieren. Doch ist dies bei vielen vergleichbaren Wissenschaftsfeldern die größte Herausforderung, der man oft nur ungenügend begegnen kann. Hervorhebenswert ist in diesem Zusammenhang die Beschränkung des Interessensfeldes der Esoterikforschung, die sich durch den Zusatz „Western“ bei den heute üblichen Definitionen ergibt. Praktisch bedeutet das den primären Bezug auf den euro-amerikanischen Horizont – ungeachtet der Tatsache, dass diese spezifische „westliche“ Esoterik bereits früh eine beachtliche globale Verbreitung erfahren hat. Dies lässt sich schon für das ausgehende 19. Jahrhundert konstatieren, wo esoterische Argumentationsfiguren eine große Bedeutung bei der frühen Asienrezeption hatten. Insbesondere relevant wurde es ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, weil das New Age eine Rezeption in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten erfuhr und sich dabei eine erstaunliche Variationsbreite ergab. So spielte beispielsweise die Rezeption des New Age in Japan in Form des sogenannten seishin sekai („spirituelle Welt“) 24 Hanegraaff u. a. (Hg.), Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, xi.
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eine zentrale Rolle bei der Formierung weiter Strecken der religiösen Kultur der 1970er bis zu den 1990er Jahren.25 Vergleichbares lässt sich auch für einen rezenten Diskurs im gegenwärtigen Iran ausmachen, wo die Diskussion um eine sogenannte „neue Spiritualität“ (ma’nawiyat jadīd) zu einem neuen Forschungszweig wurde. Die Abgrenzung und Eingrenzung des Forschungsfeldes ist eng mit der oben bereits erwähnten Ausgrenzung des „religionist“-Zugangs verbunden. Eine der wichtigsten Grundlagen vieler esoterischer Programme ist die Idee von einer transkulturell relevanten Eignung des Begriffs „esoterisch“, der sehr gern auf sehr unterschiedliche Erscheinungen übertragen wurde und damit die Idee einer globalen Kohärenz religiöser Systeme propagierte. Diese würden sich in einer vermeintlichen „Mitte“ treffen, die wiederum den eigentlichen, wesentlichen Kern „aller“ Religionen ausmachen würde. Neben dem Begriff „esoterisch“ tritt hier oft wahlweise auch die ebenfalls sehr unsauber definierte „Mystik“ entgegen. Diese Behauptungen können aber nüchtern betrachtet nicht verifiziert werden: Weder finden sich vergleichbare Traditionen in allen Religionen, noch spielen diese Elemente in den verschiedenen Religionen dieselbe Rolle. Vielmehr handelt es sich beispielsweise bei den sogenannten „Mystikern“ in den gerne zitierten sogenannten „abrahamitischen“ Religionen Judentum, Christentum und Islam um religiöse „Virtuosen“ (um einen gängigen Begriff in der Religionswissenschaft zu verwenden), die keineswegs den Kern der Religionen ausmachen. Zudem treten die sogenannten „mystischen“ Strömungen im Christentum oder im Islam eher als Randtraditionen entgegen, die intern eine beachtliche Variationsbreite haben. Auch die Verwendung des Begriffs „esoterisch“ in anderen religiösen und kulturellen Kontexten allein kann noch nicht Anlass sein, die Unterschiede zu übersehen. So gibt es beispielsweise im ostasiatischen Buddhismus die Bezeichnung „esoterischer Buddhismus“ (chinesisch mizong bzw. japanisch mikkyō; wörtlich eigentlich „geheime Tradition“), womit man sich auf spezifische Strömungen innerhalb des breiten Spektrums der möglichen Formen des Buddhis mus bezieht, näherhin diverse ostasiatische Ausprägungen des sogenannten „Diamantfahrzeugs“ (Vajrayāna). Doch ist damit keineswegs eine direkte Gleichung mit dem „Esoterik“-Kontext der euro-amerikanischen Tradition möglich, weil inhaltlich völlig andere Parameter und Kriterien relevant sind. Etwas unscharf bleibt höchstens die Frage der Abgrenzung von spezifischen Formen spätantiker Religiosität, die sich vor allem um das frühe Christentum 25 Vgl. Franz Winter, A Greek God in a Japanese New Religious Movement. 425 – 427.
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herum entwickelten (und d ieses tief beeinflussten).26 Man spricht hier gern von den sogenannten „gnostischen“ Strömungen der nachchristlichen Jahrhunderte, wobei der zugrundeliegende Begriff „Gnosis“ schwer zu fassen und nur bedingt als Klammerbegriff sinnvoll ist.27 Obwohl der Esoterikbegriff zeitlich primär mit der neuzeitlichen Entwicklung (in Europa) zusammengehängt wird, ergibt sich in der Tat ein gewisses Kontinuum, das sich auch auf der faktischen textlichen Ebene niederschlägt. So spielt das spätantike sogenannte Corpus Hermeticum, eine heterogene Sammlung von Traktaten, Dialogen und Predigten, in denen unterschiedliche Elemente hellenistischer und spätantiker Religionstraditionen (neuplatonische Lehren, orphische Traditionen, ägyptische Religionsgeschichte) miteinander verwoben werden,28 eine bedeutende Rolle bei der Prägung neuzeitlicher europäischer Esoterik. Diese Kontinuität ist auch einer der Gründe, warum das schon zitierte Dictionary of Gnosis and Western Esotericism diesen Part der Religionsgeschichte ebenfalls miteinbezieht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Beschränkung auf den euro-amerikanischen Kontext und die begriffliche Fokussierung auf „Western Esotericism“ forschungspragmatisch ein wesentlicher Fortschritt gegenüber allen Zugängen bislang war und die Verwendung im wissenschaftlichen Kontext prägen sollte. Damit ist ein für alle Mal allen esoterischen Aspirationen in der Esoterikforschung entgegengetreten. Dies begegnet im Übrigen auch in den relevanten Wissenschaftsorganisationen, prominent in der European Society for the Study of Western Esotericism, die 2005 begründet wurde und der Wouter J. Hanegraaff in der Anfangsphase als Präsident vorstand.29 26 Vgl. als jüngere Auseinandersetzung mit dem „Esoterik“-Begriff im Zusammenhang mit dem frühen Christentum und anderen Formen der spätantiken Religiosität Stroumsa, Hidden Wisdom, 27 – 45 und 147 – 168. 27 Zu dieser schwierigen Frage und der niemals übernommenen Trennung z wischen „Gnosis“ (als quasi überzeitliche weltanschauliche Erscheinung in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Kontexten) und „Gnostizismus“ (als spezifische Bezeichnung für bestimmte Erscheinungen der spätantiken Religionsgeschichte) vgl. van den Broek, Gnosticism I, 403 – 416; King, What is Gnosticism?, 5 – 19; Markschies, Gnosis: An Introduction, 13 – 16. Eine ausführliche Dekonstruktion des „Gnosis“ und „Gnosticism“-Begriffs bietet Williams, Rethinking “Gnosticism”. Vgl. dazu auch Winter, Studying the “Gnostic Bible”, 83 f (mit Fußnoten). 28 Moderne deutsche Übersetzung mit ausführlichem Kommentar: Holzhausen und Colpe, Das Corpus Hermeticum. 29 Zu deren Zielsetzungen und grundsätzlichen Anliegen vgl. https://www.esswe.org/ About-ESSWE (eingesehen am 11. November 2019).
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Erklärungsmodelle für die Entstehung der Esoterik Den Ausführungen eben ist zu entnehmen, dass die genaue Definition des eigentlichen Arbeitsfeldes in der Esoterikforschung eine der größten Herausforderungen darstellt (was im Kontext der kulturwissenschaftlichen Forschung an sich nicht ungewöhnlich ist, weil es sich meist um äußerst weitgefasste, generische Begriffe handelt).30 Dies betrifft zum einen die Frage nach dem Kern der esoterischen Tradition als auch die nach deren Genese. Zur Frage der Definition sollen im Folgenden einige jüngere Ansätze zitiert werden, um dann etwas ausführlicher auf ein schon älteres, aber gerade für die Frage nach dem „Wissenschaftsbegriff“ der Esoterik zentrales Modell einzugehen. Vorausgeschickt sei jedoch, dass es aktuell keine durchgehend akzeptierte Definition gibt, die alle relevanten Bereiche erfassen würde. Vielmehr kann man auf der wissenschaftlichen und auch auf der wissenschaftsorganisatorischen Ebene beobachten, dass sich Forscher unter ein Label „Western Esotericism“ versammelt haben, obwohl sie zum Teil sehr heterogene Bereiche behandeln. So gesehen ist die Bezeichnung auch ein rein pragmatischer Begriff, um der Gefahr einer literalen „Atomisierung“ des Fachgebietes zu entgehen, das an sich schon darunter leidet, dass die verschiedenen Forscher oft aus sehr unterschiedlichen Disziplinen kommen. Deshalb muss auch jeder Auflösung des Esoterikbegriffs entgegengetreten werden, wenn es noch so schwer ist, sich auf einen gemeinsamen Definitionszugang zu einigen.31 Denn auch der Vorschlag, neue Termini zu kreieren, würde nicht viel weiterbringen, wie Wouter J. Hanegraaff ausführt: The sober truth is that all the available labels tend to create misleading images of what the field is all about. A neutral and generally accepted terminology simply does not exist; and if one were to try and remedy this situation by inventing a new label from scratch, this would not help because nobody would recognize it as pertaining to the field in question.
30 Kurzer Überblick bei von Stuckrad, Western Esotericism. A Brief History of Secret Knowledge, 2 – 11; Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 3 – 17. 31 Es sei hinzugefügt, dass die exakte Abzirkelung eines Forschungsbereichs in vielen Fällen nicht sauber ausgeführt wird. Das betrifft in der Religionswissenschaft beispielsweise immer auch die Frage einer sauberen Definition so zentraler religionsgeschichtlicher Kategorien wie etwa „Christentum“, „Islam“ oder „Buddhismus“. Auch hier ist es oft sehr schwierig, eine allgemein akzeptierte Abgrenzung zu erreichen, weshalb man sich meistens mit Arbeitsdefinitionen behilft.
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The emerging consensus among contemporary specialists is to deal with these dilemmas by sticking to ‘Western esotericism’ as the overall umbrella term, in spite of its disadvantages.32
In jüngeren Definitionen wird oft versucht, das Wesen der Esoterik – zumeist eng verkoppelt mit der Frage der Genese – mit einer möglichst k urzen Formel zu umgreifen. So rekurriert beispielsweise Wouter J. Hanegraaff in neueren Publi kationen auf die Tatsache, dass der Komplex, mit dem man Esoterik assoziiert, in der westlichen akademischen Tradition primär ein ausgeschiedener, „zurückgewiesener“ Bereich sei, wobei der Vorgang des Ausscheidens selber ganz eng mit der Entstehung moderner Wissenschaftstraditionen im 19. Jahrhundert verkoppelt ist. „Western esotericism“ könnte man demgemäß als „the academy’s dustbin of rejected knowledge“ interpretieren.33 Konkret festgemacht wird dieser Ansatz an Entwicklungen, die eng mit der Geschichte der protestantischen Theologie und Theologiegeschichtsschreibung verbunden sind: Die lutherische Vorgabe, das Christentum quasi von Fremdelementen zu „reinigen“, führte beim lutherischen Theologen Ehrgott Daniel Colberg (1659 – 1698) zum Konzept eines „hermetisch-platonischen Christentums“, das er aus den spätantiken Hermetiktraditionen ableitete. Diese Grundkonzeption wurde dann positiv vom protestantischen, stark pietistisch geprägten Theologen Gottfried Arnold (1666 – 1714) aufgenommen und als Gegentradition zum zu engstirnigen lutherischen Dogmatismus konzipiert. Genau aus dieser Konstellation hätte sich nach Hanegraaff mittelfristig die neuzeitliche esoterische Tradition im engeren Sinn entwickelt.34 Die Entstehung und Formierung wesentlicher Elemente der „Western Esotericism“-Tradition kann somit als eine Art Ausscheidungsprozess verstanden werden, der eng mit der Genese bedeutender Elemente eines „modernen“ Weltbildes gekoppelt ist. Damit ist der Begriff aber primär ein von außen angebrachter, kein aus der Tradition entstandener Begriff, was wiederum die großen Schwierigkeiten einer sinnvollen, umgreifenden Definition erklärt.35 32 Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 2 f. 33 Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 13. Ebd. auch eine nähere Definition des „rejected knowledge“-Begriffs: “it contains precisely everything that has been consigned to the dustbin of history by Enlightenment ideologues and their intellectual heirs up to the present, because it is considered incompatible with normative concepts of religion, rationality and science.“ 34 Zusammengefasst bei Baier, Esotericism; das gesamte Konzept wird bei Hanegraaff, Esotericism and the Academy, detailliert herausgearbeitet. 35 Vgl. Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 13: „… the consensus among mainstream intellectuals after the eighteenth century was that this domain should better be
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Dieser jüngeren, quasi negativen Definition des Feldes steht ein anderer Ansatz gegenüber, der sich mit dem Religionswissenschafter Kocku von Stuckrad verbindet, der den Eigenanspruch der esoterischen Traditionen in den Mittelpunkt rückt: Esoterik definiert sich bei ihm als „the claim of higher knowledge“ im Zusammenhang mit dem grundsätzlichen Anspruch der Esoteriker, Anteil an einem übergeordneten Wissen zu haben, das gleichzeitig eine Art „master key“ wäre für alle großen Fragen der Menschheit.36 Dabei streicht er heraus, dass Esoterik einen hohen Anteil an der europäischen Religionsgeschichte hat und schreibt ihr deshalb eine Bedeutung als „a structural element of Western culture“ zu.37 Es ist also keine bloße Zutat, sondern wesentlich mit Elementen der europäischen Geistesgeschichte und darüber hinaus intrinsisch damit verbunden. In beiden Fällen sind die jeweiligen Definitionen sehr umfassend und generisch, weshalb ihnen auch immer wieder Kritik entgegengebracht wurde. Eine lange Zeit sehr populäre Definition der Esoterik und ein Erklärungsmodell für deren Genese ist die mit Frances Yates und Antoine Faivre verbundene „Wiederverzauberungsthese“. Faivre legte 1992 eine lange Zeit verwendete Definition von Esoterik vor, die als eine Art Kriterienkatalog fungierte, an der man sich für das jeweilige Forschungsfeld abarbeitete. Obwohl dieser Zugang heute als überholt gilt,38 soll er ein wenig ausführlicher behandelt werden, weil sich darin einige bedeutende Charakteristiken vieler esoterischer Programme finden und zudem eine Einordnung in einen größeren kulturhistorischen Horizont angeboten wurde. avoided and ignored in academic discourse rather than being dignified by detailed study and analysis of its ideas and their development. We will see that this process of exclusion and neglect did not just happen overnight: on the contrary, it was the final outcome of a long history of apologetic and polemical battles and negotiations, beginning in late antiquity, about the question of which worldviews and approaches to knowledge should be considered acceptable and which ones should be rejected.“ 36 Vgl. etwa von Stuckrad, Western esotericism: Towards an Integrative Model of Interpretation, 88 f; ders., Western Esotericism. A Brief History of Secret Knowledge, 10; als „claim of absolute knowledge“ auch in ders., Art. Esotericism, 608 – 609. Vgl. auch die ähnliche Definition beim Religionswissenschafter Hendrik Bogdan, Western Esotericism and Rituals of Initiation, 5: „Somewhat crudely, esotericism can be described as a Western form of spirituality that stresses the importance of the individual effort to gain spiritual knowledge, or gnosis, whereby man is confronted with the divine aspect of existence.“ 37 Vgl. von Stuckrad, Western esotericism: Towards an Integrative Model of Interpretation, 80“. 38 Vgl. dazu Hanegraaff, Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, 3 f; ders., Esotericism and the Academy, 334 – 355; ders., Beyond the Yates Paradigm; zur Einordnung des Konzeptes von Faivre vgl. auch Baier, Esotericism; Asprem, The Problem of Disenchantment.
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Die Grundthese, die sich mit diesem Forschungsparadigma verbindet, ist die Annahme, dass die Tradition der westlichen Esoterik eine Art Gegenbewegung zur zunehmenden Rationalisierung bzw. „Vernaturwissenschaftlichung“ der Welt, der Stellung des Menschen darin und seiner Bedeutung darstellen würde – bei gleichzeitiger Loslösung von den Mustern der traditionellen Religionen, wie insbesondere des Christentums, das spätestens mit der Entwicklung des Protestantismus als zu rationalisiert und dann vor allem moralisierend wahrgenommen wurde. Einer „Entzauberung“ stellt man eine „Wiederverzauberung“ der Welt entgegen, wo dann wieder „geheime“ und „überirdische“ Kräfte wirken und zudem eine Art Verwobenheit von allem mit allem propagiert wird, in dessen Rahmen dem Menschen dann wieder eine zentrale Funktion als Träger eines inneren „göttlichen“ Weisheitsfunkens zukommt. Faivre spricht nun in d iesem Zusammenhang von „an ensemble of spiritual currents in modern and contemporary Western history which share a certain air de famille, as well as the form of thought which is its common denominator“, wobei die zugrundeliegende „form of thought“ durch insgesamt sechs Kriterien bestimmt werden kann, von denen vier als intrinsisch und zwei weitere als oft anzutreffende, aber nicht immer präsente zu gelten haben.39 Diese Kriterien sind nun die folgenden: • Korrespondenzen (correspondances): die Annahme von symbolischen und realen Entsprechungen zwischen allen Elementen des Universums, sowohl der sichtbaren als auch der unsichtbaren („wie unten so auch oben“). Der bekannteste Ausdruck ist die Idee einer Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, was sich auf der anthropologischen Ebene in der Idee manifestiert, dass der Mensch mit seinen Körper- und Seelenteilen bestimmten Elementen des Universums entspricht. Das All ist gleichsam ein Ensemble an korrespondierenden Elementen, deren Zusammenspiel nur richtig gelesen und entziffert werden muss. • Belebte Natur (nature vivante): Esoteriker gehen von der Annahme aus, dass es so etwas wie eine alles durchwebende „Lebenskraft“ geben würde, die das gesamte Universum durchströmt. Bei ausreichender Beschäftigung mit esoterischen Lehren kann man diese Kräfte zu beherrschen lernen bzw. die Momente der Sympathie bzw. Antipathie z wischen den durch diese Kraft verbundenen und hierarchisierten Elementen des Universums erkennen. Klassische Begriffe, die für diese spezifische Kraft Verwendung fanden, wären etwa der lateinische Ausdruck fluidum; sehr präsent ist zudem die 39 Faivre, Questions of Terminology, 2.
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Eigenschaftsbeschreibung „feinstofflich“ oder „subtil“. Im Zuge der Rezeption asiatischer Religionen im ausgehenden 19. Jahrhundert fanden zudem Begriffe wie indisch prāna oder auch chinesisch qi Einzug in den esoterischen Sprachgebrauch. • Mediationen und Imagination (médiations et imagination): Dieser Bereich verbindet sich mit der oben beschriebenen Vorstellung von den Korrespondenzen. „Imagination“ wird hier als spezifische Fähigkeit der Seele verstanden, verschiedene Ebenen einer multidimensionalen Wirklichkeit zu erkennen, und zwar mit Hilfe von diversen Vermittlungsmedien wie etwa Ritualen, symbolischen Darstellungen (etwa „mandala“ oder Tarot-Karten; auch diverse Texte) oder durch direkte Unterstützung helfender Mittlerwesen. Mit diesen verschiedenen Zugängen wird der Esoteriker in die Lage versetzt, die verborgene „geheime“ Natur des Universums zu entschlüsseln. • Das Erleben der Transmutation (expérience de la transmutation): Der an sich der alchemistischen Tradition entnommene Begriff der Transmutation bezieht sich auf die Vorstellung von einer psycho-physischen umfassenden Veränderung der Person im Zuge ihrer Annäherung an die esoterischen Wahrheiten. Diese manifestiert sich in der Vorstellung einer quasi „zweiten Geburt“ (seconde naissance), die sich im Adepten vollziehen würde und ihn in völlig neue Wahrnehmungs- und Erlebnishöhen führt. Neben diesen vier intrinsischen Kriterien nennt Faivre noch zwei weitere, die nicht unbedingt Bestandteil esoterischer Lehren sein müssen, diese aber oft begleiten und eng damit verknüpft sind. • Konkordanz (concordance): Man geht in vielen esoterischen Traditionen davon aus, dass es eine Entsprechung der eigentlichen Wahrheit in unterschiedlichen religiösen und kulturellen Kontexten geben würde. Das läuft auf die Vorstellung von einer allen Kulturen inhärenten „Ur-Weisheit“ der Menschheit hinaus, die man bei dementsprechender Vorbereitung und Anleitung aufspüren könnte. • Transmission (transmission): Die eben beschriebene „Ur-Weisheit“ wäre über die Zeiten hinweg immer wieder weitergetragen worden, was die hohe Bedeutung der vermeintlichen esoterischen, „geheimen“ Träger- bzw. Übermittlergesellschaften begründet. Bedeutend ist vor allem der Gedanke, dass es zu einer quasi Übertragung der Wahrheiten durch ein hierarchisches Lehrer-Schüler-System kommt. Deshalb kann man in die verschiedenen esoterischen Gemeinschaften nur nach einer Initiation, quasi einer Eignungsprüfung, Aufnahme finden.
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Dieser Kriterienkatalog war lange Zeit in der Esoterikforschung sehr bestimmend und wurde oft als eine Art Checklist verwendet, die man abarbeitete, um den esoterischen Charakter einer Tradition zu verifizieren (oder eben zu falsifizieren). Davon ist man heute aufgrund der Komplexität und der großen Unterschiede zwischen den esoterischen Traditionen wieder abgekommen. Doch eignet sich dieser Kriterienkatalog meines Erachtens recht gut, um bestimmte Charakteristiken esoterischer Modelle zu beschreiben und Standardargumentationsfiguren vorzustellen. Zudem ist die „Wiederverzauberungsthese“ ein sehr valides Erklärungsmodell für die Frage nach der Entstehung insbesondere der neuzeitlichen Esoterik und der für die Gegenwart davon besonders relevanten Elemente. Die Annahme beispielsweise, dass man in dieser Tradition zu einem guten Teil auch eine Reaktion auf die Herausforderung durch die immer bedeutender werdenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Neuzeit erkennen kann, findet auf weite Strecken Bestätigung. Man spricht in der kulturhistorischen Forschung in d iesem Zusammenhang gerne von den drei grundlegenden (neuzeitlichen) „narzisstischen Kränkungen“ des Menschen: Mit der kopernikanischen Wende wird die Erde (und damit der Mensch) aus dem Zentrum des Universums verbannt; mit der Evolutionslehre Darwins verliert der Mensch den singulären Platz an der Spitze der Schöpfung, bzw. genauer gesagt seine Sonderstellung gegenüber der Tierwelt; und schließlich definiert Freud den Menschen nicht primär als rational bestimmtes Wesen, sondern in erster Linie als triebgesteuert. Auf diese Herausforderungen, die zentrale Momente aller religiösen Traditionen berühren, wurde im Rahmen der Esoterik mit einer Wiederbestätigung der Rolle des Menschen reagiert, dem wieder besondere Eigenschaften und eine herausragende Rolle zukommen. Die Nähe zur Entstehung der modernen Naturwissenschaft ist im Übrigen ein prägendes Element der esoterischen Traditionen insbesondere des 19. Jahrhunderts bis heute und findet Niederschlag in einem beständigen Bezugnehmen auf zumeist sehr krude und defizient verstandene, vermeintliche „Erkenntnisse“ der naturwissenschaftlichen Forschung. Eine besondere Rolle spielen beispielsweise in der modernen Populäresoterik die Referenzen an „Quantenmechanik“, „Quantenphysik“ oder ähnliche Begriffsfelder, die als Bestätigungen für diverse esoterische Annahmen herhalten müssen. Esoteriker sind vielfach sehr darum bemüht, ihre Welterklärungsmodelle als umfassende Super-Theorien zu präsentieren, wo moderne Naturwissenschaft integriert ist, meist verbunden mit dem Subtext, dass deren Erkenntnisse ja schon längst in den alten Lehren der esoterischen Welttradition grundgelegt wären.
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Das lässt sich leicht auch mit Zitaten aus esoterischen Texten illustrieren, im Folgenden aus zwei bedeutenden zeitlichen Abschnitten ihrer Geschichte. So findet sich in The Secret Doctrine der schon erwähnten Helena P. Blavatsky aus 1888, wo diese eine Art „Ur-Religion“ bzw. „the synthesis of science, religion, and philosophy“ zu präsentieren beabsichtigte, der Hinweis: „The Hindu initiated Yogi knows really ten times more than the greatest European physicist of the ultimate nature and constitution of light.“40 Ein weiteres prägnantes Beispiel wäre dem Buch The Tao of Physics von Fritjof Capra zu entnehmen, das zu einem der zentralen Texte der New Age Tradition wurde: „The Eastern mystics have a dynamic view of the universe similar to that of modern physics…“ 41 Die hohe Bedeutung eines oft sehr dilettantischen Bezugs auf die Naturwissenschaften ist ein bemerkenswerter Zug der Esoterik der letzten zwei Jahrhunderte geworden. In der Forschungsliteratur zur Esoterik wird dieser Zug als „scientism“ bezeichnet, den Olav Hammer mit folgenden Worten definiert: Scientism is the active positioning of one’s own claims in relation to the manifestations of any academic scientific discipline, including, but not limited to, the use of technical devices, scientific terminology, mathematical calculations, theories, references and stylistic features – without, however, the use of methods generally approved within the scientific community, and without subsequent social acceptance of these manifestations by the mainstream of the scientific community through e. g. peer reviewed publication in academic journals.42
Diese Definition, die im Übrigen deutlich von der üblichen Verwendung des Begriffs insbesondere des deutschen Begriffs „Szientismus“ abweicht, erfasst sehr gut die grundsätzliche Problematik: Esoteriker stellen sich vermeintlich als in der naturwissenschaftlichen Tradition argumentierend vor, ohne aber den Spielregeln, die dafür relevant sind, zu folgen. Historisch haben sich hier übrigens interessante Verschiebungen der Bezüge ergeben: Im 19. Jahrhundert stand die Biologie im Vordergrund, beispielsweise im Zusammenhang mit der Evolutionslehre, aber auch einer damals wissenschaftlich diskutierten 40 Helena P. Blavatsky, The Secret Doctrine, 516. 41 Capra, The Tao of Physics, 241. Vgl. auch ebd., 18 f: „…the parallels between modern physics and Eastern mysticism are most striking, and we shall often encounter statements where it is almost impossible to say whether they have been made by physicists or by Eastern mystics“; ebd., 54: „It seems, then, that Eastern mystics and Western physicists went through similar revolutionary experiences which led them to completely new ways of seeing the world.“ 42 Hammer, Claiming Knowledge, 206.
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„Rassenlehre“. Dies führt im Übrigen dazu, dass beispielsweise die Theosophie eine spezifische Rassenlehre entwickelt hat, die von der Existenz sogenannter (sieben) „Wurzelrassen“ (root races) ausgeht, die an der „Wurzel“ der Entwicklung der Menschheit stehen würden, wo beispielsweise die „arische“ (aryan) Rasse aus der vorhergehenden „atlantischen“ (Atlantaean) und der „lemurischen“ (Lemurian) hervorgegangen wäre.43 Diese Inhalte werden zum Teil bis heute in esoterischen Kontexten transportiert und sollten auf jeden Fall Gegenstand einer eingehenden Kritik sein.44 Im 20. Jahrhundert verschob sich das Bezugsfeld deutlich und nun wurde die Physik zum zentralen Referenzpunkt, einerseits im Kontext der Astrophysik und der diversen Theorien zur Entstehung des Universums, andererseits im Zusammenhang mit der sogenannten Quantenphysik. In beiden Fällen vermeinte man direkt mit derjenigen Disziplin verbunden zu sein, der man heute am ehesten zutraut, die Weltformel („the theory of everything“) zu finden.45 Und damit wird die Physik zum mehr oder minder natürlichen Ansprechpartner für esoterische Traditionen auf der Suche nach Bestätigung für ihre Lehren einer Ur-Weisheit.46 Dieser Zug ist in der modernen Populäresoterik sehr präsent. Die Referenzen an „Quantenmechanik“ oder „-physik“, zumeist bar jeder sinnvollen naturwissenschaftlichen Grundlagenkenntnisse, zieren esoterische Angebote und schlagen sich teilweise auch in der Produktion von diversen technischen Artefakten nieder, deren Sinn sich bei näherer technischer Betrachtung nicht erschließt (wobei in deren Einschätzung und Beurteilung in den meisten Fällen der bloße Hausverstand genügt).
Einige zusammenfassende Anmerkungen und Thesen, oder: viel Lärm um nicht viel? Die zuvor gegebene Aufstellung hatte zum Ziel, ein Bewusstsein für die Breite und Bedeutung derjenigen Tradition aufzuzeigen, die unter dem Klammerbegriff „Western Esotericism“ zu einem selbständigen, sehr jungen Forschungsgebiet 43 Santucci, The Notion of Race in Theosophy; Lubelsky, Mythological and Real Race Issues in Theosophy; Trompf, Theosophical Macrohistory. 44 Vgl. z. B. zur Anthroposophie Husmann, Schwarz-Weiss-Symbolik, 230 – 315, über Rudolf Steiner und sein Verhältnis zur Rassenlehre, und ebd., 317 – 356, über den aktuellen anthro posophischen Umgang mit diesem Erbe. 45 Asprem, Theosophical Attitudes towards Science, 406 – 427. 46 Bradby, Science as Legitimation for Spirituality, 688 – 705.
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wurde. Dabei ging es einerseits um eine kulturhistorische Einordnung, andererseits um Aspekte der Bewertung. Und vor allem auch um die Herausarbeitung der nicht zu unterschätzenden Bedeutung, die diesem Strang in der europäischen, aber auch einer globalen Religionsgeschichte zukommt. Wie schon deutlich gemacht wurde, ist insbesondere letzteres ein wichtiges Interessensfeld aktueller Forschung, wo die hohe Valenz spezifischer esoterischer Strömungen im 19. Jahrhundert für die frühe Wahrnehmung asiatischer Religionen und Kulturtraditionen ganz im Zentrum der Fragestellungen steht. Die Existenz diverser esoterischer Netzwerke beispielsweise in Indien unter britischer Kolonialherrschaft oder auch im islamischen Raum (z. B. in Ägypten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) verweist auf den hohen Einfluss in kulturhistorischer Hinsicht, aber auch bis hin zu konkreter politischer Betätigung. Mit dem Aufweis der Bedeutung soll allerdings nicht suggeriert werden, dass die Tradition der Esoterik automatisch „geadelt“ würde und damit vor jeder Kritik geschützt werden sollte. Auch das Label „Religion“ allein dient nicht dazu, Kritik zu entkräften. Vielmehr ist Kritik an Religion ein wesentlicher Zug der modernen Auseinandersetzung, die von den Religionen auch wahrgenommen und aufgenommen werden muss. Der oben genannte Zug eines „Szientismus“ wäre beispielsweise aktuell ein wichtiger Punkt der kritischen Wahrnehmung vieler esoterischer und populäresoterischer Angebote, die mit ihren Bezügen auf „Quantenphysik“ oder „-mechanik“ glänzen wollen, aber zumeist nicht einmal ansatzweise einen Funken wirklicher Kenntnisse in d iesem Feld aufweisen. Besonders evident ist dies im Zusammenhang mit diversen kommerziellen Angeboten auf dem esoterischen Markt, die bei näherer (naturwissenschaftlich-technischer) Begutachtung oft hart an der Grenze zum Betrug angesiedelt würden.47 Im Zusammenhang mit dem Phänomen der Esoterik kann auch auf ein anderes Thema eingegangen werden, nämlich die lange Zeit sehr populäre These, dass Esoterik in der Gegenwart so etwas wie die „Rückkehr der Religion“ bzw. einer „Spiritualität“ andeuten würde. Diese Argumentationsfigur, die in vielen 47 Hier ist vor allem auf das Wirken der „Skeptiker“-Bewegung hinzuweisen, die sich im deutschsprachigen Raum in Form der „Gesellschaft für die wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP; https://www.gwup.org/; in Österreich organisiert als „Skeptiker“; vgl. https://www.skeptiker.at/) aufgestellt hat und im Zentrum ihrer Tätigkeit die kritische, vor allem naturwissenschaftlich bestimmte Auseinandersetzung mit diversen aktuellen Angeboten auf dem populäresoterischen Markt hat, insbesondere wenn es um Überschneidungen mit dem alternativmedizinischen Segment gibt. Vgl. auch den Beitrag von Berger in diesem Band.
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einschlägigen Veröffentlichungen der 1980er und 1990er Jahre sehr beliebt war und bis heute repliziert wird, hat wohl mehr mit dem Wunschdenken derer zu tun, die sie propagierten. Faktische Evidenzen gibt es dafür nämlich keine. Es steht zwar völlig außer Frage, dass das Thema Religion aktuell wieder eine hohe mediale Präsenz hat, wie man sie sich im ausgehenden 20. Jahrhundert niemals erwartet hätte, jedoch in erster Linie in Form einer grundsätzlichen Problematisierung von Religionen oder spezifischer Elemente von Religionen, keineswegs in einem positiv-affirmativen Sinn. Dabei ist auch wichtig wahrzunehmen, dass diese Diskussion sich heute sehr stark mit dem Islam verbindet, während die Esoterik und die damit oft verbundene „Sektendebatte“ völlig in den Hintergrund gerückt ist. Das führt zu einer weiteren Beobachtung, die meines Erachtens in der aktuellen Diskussion etwas unterbeleuchtet scheint: „Esoterik“ und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit waren ehemals bedeutender als heutzutage. Den Höhepunkt dieser Tradition könnte man vielleicht eher in den 1980er und 1990er Jahren verorten, wo das global wirkende New Age vor allem auch hierzulande im Zentrum vieler Debatten stand. Wenn aktuell im medialen oder politischen Diskurs jemandem nachgesagt wird, dass er „esoterisch“ redet, dann wird ihm übertragen nachgesagt, dass er Unsinn redet. „Esoterisch“ ist schon lange kein positives Signum mehr. Das lässt sich im Übrigen auch auf den sogenannten „Esoterikmessen“ beobachten, wo sich an sich Anbieter einfinden, die sich vielfach dem klassisch populäresoterischen Feld zuordnen lassen. Bei vielen begegnen einem dabei im Gespräch ein deutlicher Abgrenzungsmodus und der Hinweis, dass man eben „nicht esoterisch“ zu verstehen wäre. All dies ist ein untrügliches Zeichen für eine Distanzierung von der zugrundeliegenden Tradition. Dies verbindet sich übrigens auch mit einer weiteren These, nämlich im Zusammenhang mit dem angeblich milliardenschweren „esoterischen Markt“, auf den in medialen Kontexten und natürlich auch von diversen Beratungseinrichtungen immer wieder hingewiesen wird. Seit den 1990er Jahren kursieren für Deutschland konkrete Zahlen in den Medien, die in Folge und bis heute nach oben lizitiert werden – wohl inflationsbedingt, aber weit darüber hinausgehend. So wurden beispielsweise für die beginnenden 1990er Jahre Summen von etwa „grob geschätzt bis zu 18 Milliarden Mark“ genannt.48 Diese Zahl findet sich dann auch zitiert, allerdings ohne die vorsichtige Einschränkung „grob 48 Vgl. zum Beispiel ein Titelartikel im deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ aus dem Jahr 1994 mit dem Titel „So viel Psi war nie“ über den angeblich „milliardenschweren
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geschätzt“, beispielsweise in der Debatte im deutschen Bundestag zum Endbericht der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ 49 als mehr oder minder akzeptiertes Faktum in der öffentlichen Diskussion.50 Ende der 1990er Jahre wurden daraus 9 Milliarden Euro, die dann zu 10 Milliarden Euro aufgerundet wurden,51 um danach einen einsamen Höhenflug hinzulegen. Aktuelle Angaben in unreflektierten Medienberichten schrauben die Zahlen zumeist auf etwa 20 bis 25 Milliarden Euro nach oben.52 Niemals Weltanschauungsmarkt“: „Grob geschätzt bis 18 Milliarden Mark werden in Deutschland pro Jahr mit entsprechenden Waren und Dienstleistungen umgesetzt.“ 49 Dieser „Endbericht der Enquete-Kommission ‚Sogenannte Sekten und Psychogruppen‘. Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen in der Bundesrepublik Deutschland“ (herausgegeben vom Referat Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages 1998), der nach zweijähriger Beratung der Kommission entstand, ist ein bedeutendes Dokument einer gründlichen Auseinandersetzung mit der sogenannten „Sekten“-Thematik, in der viele Mythen und vorgeschobene Behauptungen adressiert und zum Teil aufgehoben wurden. Allerdings existieren bis heute oft sehr divergierende Lesarten d ieses Berichts. Der Text ist einzusehen auf: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/109/1310950.pdf (eingesehen am 15. November 2019). 50 Zitiert im „stenographischen Bericht“ zur 85. Sitzung des deutschen Bundestages, 28. Jänner 2000, S. 7850 (online einsehbar auf https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/14/14085.pdf; eingesehen am 15. November 2019): „Der Esoterikbereich macht 18 Milliarden DM Umsatz im Jahr.“ 51 Vgl. beispielsweise einen Artikel mit dem Titel „Schamanismus, Okkultismus, Kohlemachismus“ aus der „Welt am Sonntag“ vom 23. Mai 2004 (online auf https://www.welt.de/ print-wams/article110697/Schamanismus-Okkultismus-Kohlemachismus.html; eingesehen am 15. November 2011): „Experten schätzen den Umsatz in Deutschland auf zehn Milliarden Euro.“ In diesem Artikel werden auch weitere unbelegte Zahlen für verschiedene Segmente genannt. 52 Vgl. etwa den Artikel „Mit Esoterik lässt sich reales Geld machen“ in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 16. April (online auf https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/ article13189158/Mit-Esoterik-laesst-sich-reales-Geld-machen.html; eingesehen am 15. November 2019); oder das Interview mit einem „Esoterikexperten“ in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ mit dem Titel „Die Esoterik will die Probleme der Welt mit Engelssprays lösen“ vom 24. April 2012 (online auf https://www.derstandard.at/story/1334530813212/ okkulte-geschaefte-die-esoterik-will-die-probleme-der-welt-mit-engelssprays-loesen; eingesehen am 15. November 2019). Neuere Medienberichte wären etwa der Artikel „Wer am Geschäft mit dem Seelenheil verdient“ aus der Tageszeitung „Die Süddeutsche“ vom 20. Juli 2017 (online auf https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/esoterik-wer-am-geschaeft- mit-dem-seelenheil-verdient-1.3596195; eingesehen am 15. November 2019) oder die Kurzbeschreibung eines „Nachtcafe“ des Fernsehsenders 3sat vom 6. Mai 2019 mit dem Titel „Kaum zu glauben – von Ufos, Geistern und Engeln“ (online auf https://programm.ard. de/TV /3sat/nachtcaf-/eid_280071613602624; eingesehen am 15. November 2019). Eine
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findet sich allerdings eine valide Erklärung für diese hohen Annahmen, vor allem in Hinblick auf die Frage, was darin alles hineingerechnet werden sollte. Wenn man nur den Buchmarkt betrachtet, ergeben sich viele Anfragen: Was zählt als „Esoterik“ (etwa einschließlich der Bücher des Dalai Lama oder eines „spirituell“ argumentierenden Theologen wie etwa des Benediktinermönches Anselm Grün, oder das Segment der „Positiv-Denken“- und Lebensbewältigungsliteratur)? Oder der weite Bereich der esoterischen Anbieter? Es gibt nur ganz wenige wissenschaftlich vertiefte Studien, die sich um eine breite Erfassung bemühen. Doch kommen diese zumeist zum Schluss, dass die wenigsten Anbieter wirklich von diesem Ertrag leben könnten.53 Medial wahrgenommen werden zumeist nur die Spitzen, wie beispielsweise die Debatte um einen sogenannten „Energiering“, der von einem esoterischen Anbieter um ein neues Krankenhausprojekt in Wien „errichtet“ worden wäre – zum Preis von 95.000 € (und damit, wohl zufällig, unter der Ausschreibungsschwelle). Doch sind solche Vorgaben keineswegs die Regel. Diese grundsätzliche Problematisierung führt zum nächsten Punkt in dieser Zusammenschau aktueller Themenfelder: die angeblichen „Gefahren“, die der „esoterische Markt“ birgt. Die Debatte darüber dominiert die aktuelle Wahrnehmung der „Esoterik“ in den Medien, die immer wieder Berichte von „Opfern“ esoterischer Anbieter ausbreiten. Dabei bleibt die grundsätzliche Frage ausgeblendet, inwiefern diese zweifellos vorhandenen „Fälle“ so repräsentativ sind für das Gros der Angebote und ob nicht weitere zusätzliche Elemente bei diesen vielen verschiedenen Sachverhalten mitbeachtet werden müssen. Vielfach sind problematische Entwicklungen an einer Schnittstelle aus persönlicher, sehr unterschiedlich gewichteter Problemlage und zum Teil bereits anfälliger Persönlichkeitskonstellationen mit den diversen esoterischen Angeboten angesiedelt. Letztere können zweifellos zum Trigger werden, die grundsätzliche Problema tiken zutage treten lassen. Deshalb ist aber ein alleiniger Fokus auf das jeweilige esoterische Programm nicht angebracht, vielfach müssen in den notwendigen Interventionen auch andere Aspekte berücksichtigt werden. Hier können im Grunde genommen nur ausgebildete Psychologen und Psychotherapeuten, die Zusammenstellung von Medienberichten, die allerdings bei näherer Betrachtung die Dürftigkeit unterstreicht, findet sich auf https://www.psiram.com/de/index.php/Esoterikmarkt (eingesehen am 15. November 2019). Vorsichtigere Zusammenstellungen sprechen höchstens von einem „beträchtlichen“ Markt, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Vgl. z. B. http:// www.ekd.de/ezw/dateien/EZW _KI _Esoterik_05_2011.pdf (eingesehen am 8. April 2013; aktuell nicht mehr abrufbar). 53 Vgl. etwa Franz Höllinger und Thomas Tripold, Ganzheitliches Leben, 147 – 178 und 224 – 266.
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eine ausreichende Sensibilität und die dementsprechende Erfahrung im Umgang mit d iesem gesamten Komplex entwickelt haben, ein sinnvolles Gesamtkonzept bieten.54 Besonders schwerwiegend sind zweifellos diejenigen Fälle, in denen unter Umständen alternativmedizinische, vielfach esoterisch inspirierte Angebote, die nachgewiesenermaßen wirkungslos sind, der sogenannten „Schul medizin“ vorgezogen werden. Hier gibt es in der Tat eine Reihe von besonders tragischen Fällen, deren Handhabe aber schwierig erscheint. Mit all diesen Überlegungen soll die Behandlung des umfangreichen Themenfeldes Esoterik seinen Abschluss erfahren. Und mit einer These konkludiert werden, die zumindest Teile der aktuellen Diskussion erklärt. Bei nüchterner Betrachtung kann man sich nämlich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Punkte der Diskussion um „Esoterik“ und ihrer angeblichen „Auswüchse“ eine Art Stellvertreterdiskussion bilden, die klarer und an sich das Thema benennen sollte: Es geht schlicht und einfach um das Verhältnis einer sich modern und damit aufgeklärt und rationalisiert verstehenden und argumentierenden Gesellschaft zum Phänomen „Religion“, das nun einmal Elemente der Irrationalität und des – vor allem auf der individuellen Ebene – Unberechenbaren, Unkontrollierbaren enthält. Dieser Aspekte wird man nie ganz Herr werden können, weil sie offensichtlich tief mit dem Wesen des Menschen verbunden sind. „Nobody could own the church.“ 55
54 In Österreich wäre beispielsweise das hochprofessionelle Angebot der „Bundesstelle für Sektenfragen“ zu nennen, die ein Instrumentarium für so geartete Problemlagen entwickelt hat. Zu bedauern ist allerdings, dass man in den diversen „Jahresberichten“ dieser offiziellen Einrichtung der österreichischen Bundesregierung der Komplexität der Grundfrage nicht gerecht wird, weil man primär einen „Gefahrenmodus“ in Bezug auf die verschiedenen Problemfelder (seien es die esoterischen Angebote, s eien es die sogenannten „Sekten“) fährt und keine differenzierte Betrachtung wagt, die zu einer Veränderung des gesamtgesellschaftlichen Diskurses führen und die Diskussion in vernünftigere Bahnen lenken würde. 55 Ein Zitat aus dem US-amerikanischen Film „Polyanna“, einer Disney-Produktion aus 1960, die auf einem in den USA sehr bekannten Kinderbuch beruht.
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Homeopathy Edzard Ernst
Homeopathy can be defined as the treatment of patients with remedies that follow Hahnemann’s “like cures like” principle. Since its invention by the German physician, Samuel Hahnemann, about 200 years ago, homeopathy has come in and out of fashion. Today, it is popular not just in Germany from where it originated, but also used widely in Austria, France, the USA, India, South America and many other parts of the world.
The main assumptions of homeopathy Homeopathy is based on the “like cures like” principle formulated by Hahnemann as “simila similibus currentur” (strictly speaking this translates not as “like cures like” but as “let like be cured by like”). The principle (in fact, it is not a principle but an assumption) holds that, if a substance causes a set of symptoms in a healthy person, it can serve as a remedy for treating these symptoms when they occur in a patient. A few examples might explain this better: • A typical homeopathic treatment for hay fever would be a preparation of onion: onions can make our eyes water which, of course, is a symptom of hay fever. • Coffee can keep us awake; a typical homeopathic remedy for insomnia is therefore based on coffee. • A more exotic but nevertheless real example is the homeopathic remedy “Berlin wall”. The Berlin wall inhibited communication between people; for homeopaths, this is an indication that a remedy made from fragments of the original Berlin wall can cure a patient’s communication problems. This example also demonstrates that, contrary to a common belief, homeopathics are not necessarily based on natural or herbal substances. Hahnemann saw the “like cures like” principle as a law of nature, and his followers today seem to agree. Following his logic of “like cures like”, Hahnemann believed that homeopathic remedies cause a set of symptoms in the patient
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receiving homeopathic treatment. He called this an “artificial disease” and postulated that this artificial disease would stimulate the patient’s “vital force” which, in turn, would defeat the patient’s real disease. For this to happen, the artificial disease needed to be as similar as possible to the real disease affecting the patient. Homeopaths therefore test their remedies in so-called provings where a healthy person takes a substance and notes all subsequent reactions. These then combine to form the “drug picture” that characterise each homeopathic remedy. A homeopath then matches the drug picture with the set of symptoms experienced by his patient. Many “mother tinctures” (the name for the undiluted substances used in homeopathy) employed in homeopathy are toxic; examples include arsenic, lead or strychnine. For homeopaths, poisonous substances do not necessarily present a problem, because they dilute their remedies multiple times. At each dilution step, they shake them vigorously, a process called “succession”. Serial dilution together with the shaking is called “potentisation” or “dynamisation”. As implied by the term “potentisation”, homeopaths are convinced that this unique method of preparing their remedies renders their healing power not less but more potent. Initially, the dilution was aimed at avoiding toxicity of the ingredient. Later, Hahnemann became convinced that the process transfers some information or “vital energy” from the less to the more dilute remedy. In this way, homeopaths believe, the diluent retains important properties of the mother tincture, even when all of this material has disappeared during serial dilutions, a phenomenon which is often referred to as “the memory of water”. The most commonly used potency, and the one Hahnemann himself was most fond of, is a “30C” (30 dilutions of 1:100). This amounts to a dilution of the “mother tincture” of 1:100000000000000000000000000000000000000 0000000000000000000000 which, in turn, roughly equates to one molecule of the “mother tincture” per universe. The main assumptions of homeopathy are evidently not rational; in fact, they fly in the face of science. This means that homeopathy lacks plausibility. It is therefore understandable that scientists have rejected homeopathy ever since Hahnemann first published his ideas more than 200 years ago.
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Reasons for homeopathy’s popularity There are many reasons for the current high level of popularity. One of the most important is the fact that the public is incessantly misinformed about the subject. Many consumers are led to believe that • Homeopathy is natural • Homeopathy is risk-free • Homeopathy is akin to herbal medicine • Homeopathy is of proven effectiveness • Homeopathy even works for children and animals The media and the internet have a crucial role to play in this misinformation. Currently there are almost 10 million websites on homeopathy, and the vast majority are full of misleading information aimed at promoting homeopathy to the often all too gullible public. The truth is that • Not all homeopathic remedies are based on natural substances; the infamous remedy “Berlin Wall” is just one example for many. • Homeopathy is by no means risk-free and has unquestionably cost many lives (see below). • Homeopathy has little in common with herbal medicine; it never employs botanical extracts but dilutes all its remedies. • Despite the many studies that have attempted to show that homeopathy works, its effectiveness beyond placebo remains unproven. • There is no convincing evidence that homeopathy works for children or animals.
The history of homeopathy and research during the Third Reich Given the nature and risks of “heroic medicine” — the name given retrospectively to the conventional treatments of Hahnemann’s time — it is easy to see why homeopathy quickly conquered Germany, Europe and the rest of the world. While conventional medicine was often more dangerous than the diseases it tried to cure, homeopathy was virtually free of side-effects. Partly stimulated by Hahnemann’s criticism, conventional medicine gradually began to abandon its harmful and ineffective treatments and became more and more scientific. Consequently, it discovered ever more effective treatments. These developments
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significantly contributed to a decline in homeopathy’s popularity during the late 19th and early 20th centuries. Yet, by the early part of the 20th century, a strong lay movement of “natural health” had developed in Germany. It is estimated that, in 1933, when the Nazis came to power, the number of lay practitioners equalled that of qualified physicians. The Nazis jumped on this bandwagon and created the “Neue Deutsche Heilkunde” (new German medicine) — a forced integration of health care to a single body under strict political control [1]. A systematic attempt was subsequently initiated to scrutinize homoeopathy. The motivation was threefold: it fitted the Neue Deutsche Heilkunde concept, it was put forward as a “pure German” line of medicine, and homoeopathy was also seen as potentially a cheap way of keeping the nation healthy, freeing resources for preparatory war efforts. The results of these extensive tests have never been published and may now be lost for ever. However, an eye-witness report was written after the war by Dr Donner, a homeopathic physician of high standing [2]. On the occasion of the 1937 Homoeopathic World Congress in Berlin, Nazi officials decided to start the trials on homoeopathy on a large scale. “Hundreds of millions” of Reichsmark were available. Donner described this research in some detail. Without exception, their results yielded no indication for the validity of homoeopathy.
Current public acceptance of and belief in homeopathy The believers in homeopathy nevertheless claim to know from their very own and personal experience that homeopathy works. They do not seem to need any scientific proof, but cling on to the gospel of Hahnemann and elaborate on the vague theories that might support the assumptions of homeopathy. They point to numerous outcome studies, to 200 years of experience, and to the endorsement of homeopathy by many intelligent people as well as important institutions. When confronted with the various weaknesses of their arguments, homeopaths tend to defend their belief by even weaker ones, such as: • Science cannot tell us everything. • Much of conventional medicine is also not based on good evidence. • The mechanism of action of many mainstream drugs is also not fully understood. • Even if it works via a placebo effect, it still helps patients and therefore is a useful therapy.
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When all else fails, they tend to resort to ad hominem attacks against their opponents. The believers’ conclusion on homeopathy: it is unquestionably a valuable type of therapy regardless of what anyone else might say. Research is merely needed to confirm their belief; and, one day, science might be sufficiently advanced to deliver an explanation as to how homeopathy works.
Different types of homeopathy Most people assume that homeopathy is one single entity. However, this is far from true. A range of different types of homeopathy have emerged during the last 200 years and are currently popular. The most important of these include: • Auto-isopathy, the treatment with remedies called “nosodes” which are made from patients’ own body substances which have been potentised according to homeopathic manufacturing processes. An example is the use of pus from a patient for generating a homeopathic remedy to cure his disease. Nosodes are often recommended by homeopaths as an alternative to immunisations (see below). • Classical homeopathy, the practice strictly based on Hahnemann’s instructions (as described above) where each patient is treated according to his or her individual pattern of symptoms, clinical signs and personal characteristics. • Clinical homeopathy, the non-individualised treatment based mainly on guiding symptoms where the choice of the remedy depends not on the individual patient but on his diagnosis. A well-known example is the use of homeopathically prepared arnica for cuts and bruises regardless of the individual characteristics of the patient. • Complex homeopathy, the treatment with combination remedies containing a multitude of homeopathic remedies (Hahnemann insisted that only one single remedy should be used for one patient at one time); the combination is chosen such that the ingredients cover the most likely remedies of a given condition to the principals of “clinical homeopathy”. • Homotoxicology, the treatment based on Reckeweg’s concepts of detoxification. • Isopathy, the use of remedies made by potentising the causative agent. An example is the use of a specific allergen (e. g. grass pollen) for the treatment of an allergy (e. g. hay fever). Strictly speaking, isopathy does not obey the “like cures like” principle, but it follows the assumption that “identical cures identical”.
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Different types of homeopaths By no means all homeopaths follow Hahnemann’s instructions religiously and employ classical homeopathy as the only therapeutic option for any symptom or disease they might treat. In fact, it seems that today the purist homeopath is in the minority. Here are three further and more common types of homeopaths: • The liberal homeopath. Despite Hahnemann’s explicit orders to the contrary, most homeopaths today combine homeopathic remedies with all sorts of conventional medicines. In the words of Hahnemann, these clinicians are “half-homeopaths” who have “betrayed” his teachings. He would most certainly have disowned them; being convinced that the administration of other treatments weakens the power of his remedies, he would have predicted that their approach is doomed to failure. • The occasional homeopath. In several countries — Germany and Austria are good examples — doctors tend to use homeopathy only on relatively rare occasions. It seems that many of these clinicians do not really believe in the effectiveness of homeopathy but employ it merely because some patients ask for it, or because they want to use it as a legally and ethically defensible placebo. There can be little doubt that Hahnemann would have condemned this approach. He would have regarded it as useless and would have called it “treason” or worse. • The DIY-homeopath. “Do It Yourself ”-homeopaths is my term for describing patients and consumers who have no training in homeopathy whatsoever but nevertheless buy homeopathic remedies over the counter and self-administer them without consulting a trained homeopath. This group of individuals seems to be by far the largest group of homeopaths. Yet it is most certainly not one that Hahnemann would have condoned. As outlined above, homeopathy is built on the “like cures like” principle which means that the optimal remedy has to be identified by a skilled homeopath based on taking a long and arduous history. Hahnemann would have called the DIY -homeopaths fools and would most likely have tried to stop pharmacists — he had a life-long battle with this profession — selling his remedies to non-homeopaths.
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Evidence of effectiveness Most advocates of evidence-based medicine (EBM) have a pragmatic attitude towards homeopathy; they simply say: “show me the evidence!” If most of the reliable clinical trials of homeopathic remedies suggests an effect beyond placebo, they would conclude that homeopathy is effective. If that is not the case, they doubt the effectiveness. If the evidence is, as so often happens, contradictory or incomplete, they are likely to advocate more rigorous research. During many years, the evidence for homeopathy has been mixed (at least if one believed the optimistic interpretation of the data). Therefore, some EMB advocates used to be undecided or even mildly positive about the value of homeopathy. This situation has, however, changed in recent years. If one critically assesses the totality of the reliable evidence, one inevitably finds that there is no convincing evidence that highly diluted homeopathic remedies are more effective than placebos in treating any disease of adult or paediatric patients [4, 5]. Several independent national and international organisations have recently assessed the existing studies and reviews of homeopathy. They all have confirmed the findings of my “systematic review of systematic reviews” which concluded that there is no good evidence to suggest that highly diluted homeopathic remedies differ from placebos [3]. Here are but a few examples [4]: • “…the evidence…does not show that homeopathy is effective…” (National Health and Medical Research Council of Australia) • The principles of homeopathy contradict known chemical, physical and biological laws and persuasive scientific trials proving its effectiveness are not available. (Russian Academy of Sciences, Russia) • Homeopathy should not be used to treat health conditions that are chronic, serious, or could become serious. People who choose homeopathy may put their health at risk if they reject or delay treatments for which there is good evidence for safety and effectiveness. (Health Canada, Canada) • Homeopathic remedies don’t meet the criteria of evidence based medicine. (Hungarian Academy of Sciences, Hungary) • The incorporation of anthroposophical and homeopathic products in the Swedish directive on medicinal products would run counter to several of the fundamental principles regarding medicinal products and evidence-based medicine. (Swedish Academy of Sciences, Sweden)
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• We recommend parents and caregivers not give homeopathic teething tab-
lets and gels to children and seek advice from their health care professional for safe alternatives. (Food and Drug Administration, USA) • … there are no known diseases for which there is robust, reproducible evidence that homeopathy is effective beyond the placebo effect. (Europ Ass Sci Advisory Council) Thus, there is now a wide-spread consensus (amongst non-homeopaths) that the best available evidence fails to show that homeopathy works beyond placebo.
Safety Homeopathy is generally considered to be a very safe therapy; in fact, as mentioned already, it could be seen as one of Hahnemann’s achievements that he recognised the dangers of “heroic medicine” of his time and came up with an alternative that had much less adverse effects. Yet it is not true that homeopathy is entirely risk-free. The truth is that it is burdened with considerable risks. They fall mainly into four categories: • Not all homeopathic remedies are highly diluted; a low potency of arsenic is a homeopathic remedy — and it is unquestionably lethal, if taken over a prolonged period. • Quality control of the manufacturing processes might not be sufficiently robust, and this could result in remedies containing harmful substances in sufficiently large amounts to cause harm. • Homeopathy might replace conventional therapy for a serious condition. For instance, a cancer patient might use homeopathy to cure his condition, a decision which could cost his life. Most homeopaths would not recommend this course of action, but there is a plethora of claims, for instance on the Internet, suggesting that homeopathy can cure all sorts of life-threatening conditions. And, of course, Hahnemann himself was adamant that homeopathy was the best medicine for any condition and must never be combined with conventional treatments. • Many homeopaths advise against immunisations and recommend “homeopathic vaccinations” or “nosodes” for which there is no evidence of efficacy. This behaviour endangers public health. The chief executive and medical director of NHS England have therefore recently written to the Professional Standards Authority (PSA ), the statutory body that oversees healthcare
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regulation in the UK, urging it to strip accreditation from the Society of Homeopaths (SoH). They argue that endorsing the society affords it a “veneer of credibility” that lures vulnerable patients towards “bogus treatments”. In particular, the health chiefs accused homeopaths of propagating “mis- information” about vaccines and pointed out that both the NHS and the National Institute for Health and Care Excellence (Nice), take the position that homeopathic remedies are not scientifically valid [6].
The costs of homeopathy Homeopathic remedies tend to be less expensive than conventional drugs. It is thus tempting to think that homeopathy might save money to our healthcare services. Researchers well-known for their pro-homeopathy stance have recently published a systematic review of economic evaluations of homeopathy. They included 14 published assessments, and the more rigorous of these investigations did not show that homeopathy is cost-effective. They concluded that “although the identified evidence of the costs and potential benefits of homeopathy seemed promising, studies were highly heterogeneous and had several methodological weaknesses. It is therefore not possible to draw firm conclusions based on existing economic evaluations of homeopathy “[7].
Homeopathy for children Some enthusiasts claim that homeopathy cannot be a placebo therapy because it works particularly well in children. This claim is wrong on two accounts. Firstly, children can respond to placebos. Secondly, the evidence that h omeopathy works for children is less than convincing. Our 2007 systematic review of the subject included 16 trials that assessed 9 different conditions. The evidence for attention-deficit/hyperactivity disorder and acute childhood diarrhoea was mixed, showing both positive and negative results for their respective main outcome measures. For adenoid vegetation, asthma, and upper respiratory tract infections the available evidence suggested no difference compared with placebo. We concluded that “the evidence from rigorous clinical trials of any type of therapeutic or preventive intervention testing homeopathy for childhood and adolescence ailments is not convincing enough for recommendations in any condition”. [5]
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Homeopathy for animals Ever since Samuel Hahnemann gave a lecture on the subject in the mid-1810s, homeopathy has been used for treating animals. Initially, veterinary medical schools tended to reject homoeopathy as implausible, and the number of veterinary homeopaths remained small. In the 1920s, however, veterinary homoeopathy was revived in Germany, and in 1936, members of the “Studiengemeinschaft für tierärztliche Homöopathie” (Study Group for Veterinary Homoeopathy) started to investigate homeopathy systematically. [8] Today, veterinary homeopathy is popular not least because of the general boom in so-called alternative medicine. Prince Charles is just one of many prominent advocates who claims to treat animals with homeopathy. A 2015 systematic review by ardent homeopaths tested the hypothesis that the outcome of veterinary homeopathic treatments is distinguishable from placebos. A total of 15 trials could be included, but only two comprised reliable evidence without overt vested interest. The authors concluded that there is “very limited evidence that clinical intervention in animals using homeopathic medicines is distinguishable from corresponding intervention using placebos.” [9]
Why does it matter? Many people fail to understand the never-ending disputes around homeopathy. They might think that it is merely a very minor problem. After all, compared to our total health expenditure, its financial impact is almost negligible. And compared to the risks of conventional treatments, the potential harm done by homeopathy is small. So, why not just let it be? The importance of the debate is not homeopathy’s financial impact, nor its danger. In my view, it lies elsewhere. Homeopathy is implausible and unproven, yet its proponents often defend it religiously to an extent that resembles a form of science denial. The tools of science denialists are the same regardless of whether the deniers are flat-earthers, Holocaust deniers, proponents of intelligent design, or AIDS deniers: • They ignore or distort a widely held scientific consensus. • They cherry-pick their evidence to support their creed. • They rely on anecdotes and other forms of poor-quality evidence. • They invent conspiracy theories.
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• They slander and personally attack their opponents. • They point out that science has been wrong before. • They publish misleading statements, falsehoods and lies. In the end, their actions undermine rationality in a general sense. Proponents of homeopathy make a mockery of evidence-based medicine by insisting that their observations and interpretations are as (or more) valid than true evidence. Denying science means hindering progress and insisting on implausibilities jeopardises our ability to think critically. It was Voltaire who said that “those who can make you believe absurdities, can make you commit atrocities”.
Conclusion Homeopathy is no longer defensible. After 200 years of often heated debate, a consensus has finally been reached to which only the homeopaths themselves fail to subscribe: the axioms of homeopathy fly in the face of science, and the clinical evidence fails to show that homeopathy does more good than harm. This means there is no sound reason to continue including homeopathy in the range of treatments used by responsible clinicians.
References [1] Ernst E. “Neue Deutsche Heilkunde”: complementary/alternative medicine in the Third Reich. Complement Ther Med 2001 Mar; 9(1), 49 – 51. [2] https://edzardernst.com/2019/03/homeopathy-during-the-third-reich-a-telling-bit-of-history/ [3] Ernst E. A systematic review of systematic reviews of homeopathy. Br J Clin Pharmacol 2002 Dec; 54(6), 577 – 582. [4] https://edzardernst.com/2017/04/official-verdicts-on-homeopathy/ [5] Altunç U, Pittler MH, Ernst E. Homeopathy for childhood and adolescence ailments: systematic review of randomized clinical trials. Mayo Clin Proc 2007 Jan; 82(1), 69 – 75. [6] https://edzardernst.com/2019/10/homeopathy-can-cause-serious-harm-and-finally-the-nhs- england-has-realised-it/ [7] Viksveen P, Dymitr Z, Simoens S. Economic evaluations of homeopathy: a review. Eur J Health Econ 2014 Mar; 15(2), 157 – 174. [8] Ernst E. Homeopathy, the undiluted facts. Springer, Heidelberg 2016 [9] Mathie RT, Classen J. Veterinary homeopathy: meta-analysis of randomised placebo-controlled trials. Homeopathy 2015 Jan; 104(1), 3 – 8.
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Wir brauchen Wissenschaft. Dafür gibt es viele Gründe: Die moderne Forschung in der Medizin erlaubt uns heute, länger und gesünder zu leben als je eine Generation vor uns. Die angewandt-technologische Forschung hat uns moderne Verkehrsmittel und weltumspannende Telekommunikation beschert, wodurch uns heute Gedanken, Ideen und Lebenswirklichkeiten in anderen Gegenden der Welt unvergleichlich viel einfacher zugänglich sind als je zuvor. Die Grundlagenforschung vieler Wissenschaftssparten, von der Kosmologie bis zur Evolutionsbiologie, hat uns geholfen, unseren Platz im Universum besser zu verstehen. Wenn wir heute darüber nachdenken, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns dabei auf die neuesten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft zu beziehen.
Wissenschaft als Basis des Zusammenlebens Es gibt aber noch einen anderen, ganz wesentlichen Grund, die Wissenschaft wertzuschätzen und ernst zu nehmen: Die wissenschaftliche Methode, die immer versucht, sich auf klare Fakten zu beziehen, wohlbegründete Aussagen zu produzieren und intersubjektive Ergebnisse zu liefern, auf die wir uns alle einigen können, ist eine unverzichtbare Basis des menschlichen Zusammenlebens. Wenn wir in einer modernen demokratischen Gesellschaft gemeinsame Entschlüsse fassen wollen, kommen wir am wissenschaftlichen Denken nicht vorbei. Wir sehen das an heiß diskutierten Fragestellungen – etwa an der Impfdebatte oder an der Frage des Klimawandels: Bestimmte Impfungen haben sich als sinnvoll und gesundheitsfördernd erwiesen, daher werden sie von den Behörden empfohlen. Der Klimawandel ist real, er wird vom Menschen verursacht und er ist bedrohlich für unsere Zivilisation. Das sind Fakten, die innerhalb der Wissenschaft außer Streit stehen. Trotzdem gibt es in der öffentlichen Meinung heiße Diskussionen dazu. Gegenpositionen stützen sich manchmal auf ein diffuses Bauchgefühl („Ich weiß selbst am besten, ob mein Kind geimpft werden
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soll oder nicht!“, „Ich hab den Eindruck, dass das Wetter früher auch immer wieder seltsam war!“), manchmal auch auf scheinwissenschaftliche Argumente, die längst widerlegt wurden („Die gemessene Erderwärmung liegt nicht am CO2-Gehalt der Luft, sondern an der Sonnenaktivität!“). Das zeigt uns, dass wir im demokratischen Diskurs einen wichtigen Grundsatz beachten müssen: Alle Menschen sind gleich wichtig, aber nicht alle Meinungen sind gleich wichtig. Es gibt wohlbegründete wissenschaftliche Meinungen und schlecht begründete bauchgefühlte Meinungen. Wenn wir als Gesellschaft eine Chance haben wollen, uns in schwierigen Fragen zu einigen, dann müssen wir gemeinsam festlegen, w elche Art von Argumenten im öffentlichen Diskurs erlaubt sein soll und welche nicht. Welche Art von Daten können wir gemeinsam als Basis von Entscheidungen anerkennen? Welche Art von Schlussfolgerungen sollten wir als akzeptabel betrachten? Worauf können wir uns eigentlich verlassen?
Die Suche nach dem Verlässlichen: Mathematik Die größtmögliche Sicherheit, die wir in der Wissenschaft überhaupt haben können, liefert der mathematische Beweis. Wenn etwas mathematisch bewiesen ist, dann lässt sich daran nicht zweifeln. Man geht von ganz einfachen Grundannahmen aus, die leicht außer Streit gestellt werden können – etwa von den Peano-Axiomen 1: „Null ist eine natürliche Zahl. Jede natürliche Zahl hat einen Nachfolger“ – und so weiter. Diese Sätze haben nichts mit unserer Weltanschauung, mit unserer Herkunft oder unseren politischen Ansichten zu tun. Darauf können wir uns einigen. Und der Mathematik gelingt es, mit Hilfe der Gesetze der Logik aus solchen scheinbar banalen Sätzen hochkomplizierte Gedankengebäude zu errichten. Wenn wir uns darüber einig sind, dass die Axiome der Mathematik wahr sind, und wenn wir uns darüber einig sind, dass Aussagen, die nach logischen Regeln aus wahren Aussagen abgeleitet wurden, ebenfalls wahr sind, dann müssen wir die Mathematik insgesamt als wahr betrachten. Das ist der Grundgedanke von „Hilberts Programm“ 2 – dem großen Projekt, die gesamte Mathematik streng formal auf einfache Axiome zurückzuführen, vorgeschlagen vom großen Mathematiker David Hilbert. 1 Giuseppe Peano, Arithmetices principia nova methodo exposita, Turin 1889 2 David Hilbert, Die Grundlegung der elementaren Zahlenlehre. In: Mathematische Annalen 104, 1931, 485 – 494.
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Hilbert träumte von einer Mathematik, in der jeder wahre Satz logisch aus der Wahrheit einiger Grundaxiome abgeleitet werden kann – und in der auf Basis der Grundaxiome von jedem falschen Satz logisch bewiesen werden kann, dass er falsch ist. Dieser Traum wurde jedoch vom Logiker Kurt Gödel zerstört, der mit seinen Unvollständigkeitssätzen zeigen konnte, dass diese Aufgabe unlösbar ist 3: Jedes logische System, das zumindest mächtig genug ist, um eine Theorie der ganzen Zahlen zu enthalten, enthält wahre Aussagen, die sich im Rahmen des Systems nicht beweisen lassen – oder es ist in sich widersprüchlich. Gödels Unvollständigkeitssatz stellt allerdings nicht die Zuverlässigkeit des mathematischen Schließens in Frage: Wenn wir uns über die Wahrheit einer Aussage einig sind und daraus logisch die Wahrheit einer anderen Aussage folgt, dann müssen wir uns auch über die Wahrheit dieser Aussage einig sein.
Naturwissenschaft: Die Notwendigkeit der Beobachtung Daraus ergibt sich die Frage, ob man ein ähnliches Maß an Unanfechtbarkeit auch in andere Wissenschaften, insbesondere in die Naturwissenschaften, hineintragen kann. Fasziniert von den Erfolgen der mathematischen Logik wurde von den Philosophen des Wiener Kreises untersucht, ob die Wissenschaft insgesamt, bis hin zur Philosophie, als logisch-präzises Gedankengebäude errichtet werden kann 4. Dabei stößt man allerdings auf Probleme: Die Axiome, auf denen die Naturwissenschaft beruht, können niemals im selben Ausmaß den Charakter der offensichtlichen, unbestreitbaren Wahrheit haben, wie das bei mathematischen Axiomen der Fall ist. Mathematik ist das, was nicht anders gedacht werden kann. Wenn Peano definiert, dass jede natürliche Zahl einen Nachfolger hat, dann können wir das nicht bestreiten, weil sich Zahlen gar nicht anders denken lassen. Wenn hingegen Newton postuliert, dass Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist, dann sieht die Sache anders aus. Dieser Zusammenhang erschließt sich nicht unmittelbar durch bloßes Nachdenken – er braucht empirische Belege. Das heißt: Die Naturwissenschaft kommt prinzipiell nicht ohne Bezug zur Beobachtung aus. Wir müssen gezielt forschen, experimentieren und messen, um naturwissenschaftliche Theorien aufstellen zu können. Und dabei kann 3 Kurt Gödel, Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I. In: Monatshefte für Mathematik und Physik. 38, 1931,173 – 198. 4 Karl Sigmund, Sie nannten sich der Wiener Kreis, München 2015.
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einiges schief gehen. Wir müssen uns auf unsere fehleranfälligen Sinne verlassen, wir werden durch unsere Wünsche und Erwartungshaltungen beeinflusst, wenn wir auswählen, w elche Ergebnisse wir akzeptieren und w elche wir als irrelevante Messfehler im Papierkorb verschwinden lassen. Wir werden von unserem sozialen Umfeld beeinflusst, wenn es darum geht, welche Fragen wir überhaupt als interessant betrachten, w elche Ideen wir als vertrauenswürdig gelten lassen und welche Forschungsziele wir anstreben. Deshalb lassen sich naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht im mathematischen Sinn beweisen. Die Wunschvorstellung des Wiener Kreises von einer mit perfekter Strenge betriebenen Wissenschaft, in der jede Aussage mit zwingender Logik auf andere Aussagen zurückgeführt werden kann, bis zu unstrittigen Grundannahmen, lässt sich nicht umsetzen. Die Frage ist daher nicht: Wie können wir absolute wissenschaftliche Sicherheit erlangen? Sondern: Wie können wir dafür sorgen, dass wir mit Hilfe der Wissenschaft immer klüger werden? – Ganz unabhängig davon, ob man eine absolute Wahrheit erreichen kann oder nicht.
Falsifikationismus und Paradigmenwechsel: Was heißt hier „widerlegt“? Ein nützliches Werkzeug dabei ist Poppers Falsifikationismus 5: Popper wies auf die grundlegende Asymmetrie z wischen dem Beweis und der Widerlegung wissenschaftlicher Aussagen hin. Während eine Aussage der Form „Alle Raben sind schwarz“ wissenschaftlich nie mit absoluter Sicherheit bewiesen werden kann, weil man nie mit Sicherheit weiß, ob man tatsächlich jeden einzelnen Raben überprüft hat, lässt sich eine solche Aussage durch ein einziges Gegenbeispiel widerlegen: Ich muss nur einen nicht-schwarzen Raben finden, und die Regel „alle Raben sind schwarz“ ist widerlegt. Daraus ergibt sich eine praktikable Methode, Wissenschaft von Pseudowissenschaft abzugrenzen: Nur Aussagen, die prinzipiell falsifizierbar sind, die also grundsätzlich an der Beobachtung scheitern können, dürfen als wissenschaftlich betrachtet werden. Wer behauptet, in telepathischem Kontakt mit einem unsichtbaren intergalaktischen Einhorn zu stehen, formuliert keine wissenschaftliche These. Es gibt kein denkbares Experiment, mit dem diese Aussage widerlegt werden könnte. Das bedeutet aber auch, dass sie unwissenschaftlich 5 Karl R. Popper, Logik der Forschung, Wien 1935.
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ist und dass es bloße Zeitverschwendung wäre, sich im wissenschaftlichen Kontext mit ihr auseinanderzusetzen. Wenn man Poppers Falsifikationismus allerdings auf allzu naive Weise auslegt, dann gelangt man zu einem Zerrbild, das mit der Praxis der Wissenschaft nichts zu tun hat: Selbstverständlich geht es in der täglichen Arbeit eines Wissenschaftlers nicht in erster Linie um das Falsifizieren und das Suchen nach Lücken in der eigenen Lieblingstheorie, sondern eher um das Aufbauen von etwas Neuem, um das Finden von Zusammenhängen, um das Erhärten von Vermutungen. Der Wissenschaftsphilosoph Imre Lakatos versuchte, Poppers Thesen zu überdenken 6: Nach Lakatos muss man zwischen einem harten Theoriekern und „weicheren“ Zusatzannahmen unterscheiden. Während uns ein naiver Falsifikationismus dazu anleiten würde, unsere Lieblingstheorie bereitwillig über Bord zu werfen, sobald wir empirische Ergebnisse finden, die ihr zu widersprechen scheinen, ist es nach Lakatos durchaus rational sinnvoll, eine gute, etablierte Theorie zunächst zu verteidigen. Wenn man auf neue experimentelle Ergebnisse stößt, die sich mit dem vorhandenen Wissen nicht vereinen lassen, muss man nicht sofort nach einem völlig neuen Weltbild rufen, man kann den Kern der alten Theorie durch Zusatzannahmen zu retten versuchen. Als man etwa Unregelmäßigkeiten in der Bahn des Uranus entdeckte, die mit den bekannten Gesetzen der Newtonschen Gravitationstheorie nicht vereinbar schienen, kam niemand auf die Idee, Newtons Mechanik insgesamt für obsolet zu erklären. Stattdessen versuchte man, den Kern der Th eorie zu retten, indem man überlegte, ob man die Bahn des Planten Uranus nicht durch einen zusätzlichen, bisher unbekannten Planeten erklären könne – genau das war auch tatsächlich der Fall, der Planet Neptun wurde gefunden. Eine andere Situation ergab sich hingegen, als man Bahnunregelmäßigkeiten des Merkur untersuchte. Auch hier versuchte man zunächst, einen zusätzlichen Planeten einzuführen – genannt Vulkan. Doch trotz großer Anstrengungen ließ er sich nicht zweifelsfrei aufspüren. In d iesem Fall genügte es nicht, an den Zusatzannahmen (wie etwa der Anzahl der Planeten, die man in himmels mechanische Berechnungen miteinbezieht) herumzuschrauben. Das Rätsel um die Bahnunregelmäßigkeit des Merkur ließ sich nur mit einem Eingriff in den Kern der Theorie lösen: Albert Einstein gelang es schließlich im Jahr 1915, mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie die Bewegung des Merkur zu erklären, indem er die Newtonsche Gravitationstheorie mit einer neuen, komplizierteren, 6 Imre Lakatos, The Methodology of Scientific Research Programmes, Cambridge 1977.
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aber dafür auch mächtigeren Gravitationstheorie ersetzte. Dabei handelte es sich um ein klassisches Beispiel dessen, was Thomas Kuhn als „Paradigmenwechsel“ bezeichnete 7: Eine Theorie wird von einer anderen abgelöst, neue Fragen werden aufgeworfen, alte Ergebnisse erscheinen in neuem Licht. Doch wurde Newton dadurch tatsächlich widerlegt? Wenn wir eine Trenn linie zwischen zuverlässiger Wissenschaft und unzuverlässiger Pseudowissenschaft ziehen wollen, wenn wir erklären wollen, warum es klug ist, an die Wissenschaft zu glauben, anstatt an esoterische Heilsversprechungen oder beliebig zusammengeträumte Fake News, dann müssen wir einen Blick auf diese zentrale Frage werfen: Was passiert mit einer wissenschaftlichen Th eorie, wenn sie durch eine andere, bessere abgelöst wird? Würden wir unsere alten Theorien wegwerfen wie kaputtgelaufene Schuhe, dann wäre es tatsächlich schwer zu argumentieren, warum den wissenschaftlichen Ergebnissen von heute eine große gesellschaftliche Bedeutung beigemessen werden sollte. Wenn ohnehin jederzeit alles falsifiziert werden kann, wenn die Lehrmeinung von gestern heute nur noch belächelt wird, wenn die Gewissheiten von heute schon morgen über Bord geworfen werden können, warum sollten wir dann ausgerechnet dem heutigen Stand der Wissenschaft Glauben schenken? Ist dann nicht die Quantenphysik ebenso wackelig wie die Thesen eines Astrologen? Nein – denn eine gute wissenschaftliche Theorie wird niemals widerlegt. Die Newtonsche Mechanik wurde von der Relativitätstheorie (und in gewissem Sinn auch von der Quantentheorie) als führende Wissenschaft ihrer Zeit abgelöst – aber sie wurde dadurch nicht falsch. Auch heute noch verwendet man zum Berechnen der Trajektorie von Raumfahrzeugen Newtons Formeln, und sie funktionieren bestens. Dasselbe gilt für viele andere Theorien, selbst für solche, die wir als längst widerlegt betrachten: Niemand glaubt heute an ein geozentrisches Weltbild, aber wenn ich am Urlaubsstrand darüber nachdenke, wohin der Schatten meines Sonnenschirms wandern wird, dann stelle ich mir dabei die Erde fest und die Sonne beweglich vor. Die Atomphysik lehrt uns, dass Atome aus mehreren kleinen Teilchen zusammengesetzt sind und sich nicht wie ein Kügelchen benehmen, sondern eher Wellencharakter haben. Trotzdem kann es für bestimmte Anwendungen ein sinnvolles Bild sein, Atome als winzige, elastische Objekte zu betrachten, die miteinander kollidieren können wie Billardkugeln.
7 Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1970.
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Neue Theorien machen die alten nicht obsolet. Wer sich eine neue Zahnbürste kauft, wird die alte wegwerfen. Wer eine neue Theorie entwickelt, fügt sie der alten bloß hinzu. Auf diese Weise gibt uns die Wissenschaft immer wieder neue Werkzeuge in die Hand, mit denen wir immer mehr Probleme lösen können. In der Wissenschaft geht es nicht darum, die Welt perfekt zu beschreiben. Es geht darum, mit immer besseren Werkzeugen ein immer größeres Netz an Wahrheiten zu knüpfen, die miteinander in Verbindung stehen.
Das Netz der Wissenschaft: Tragkraft durch Vernetztheit Unterschiedliche Experimente, Messergebnisse und Forschungsdaten nehmen Bezug aufeinander. Eine Tatsache stützt die andere, ein neuentdeckter Zusammenhang lässt uns den alten verstehen. In der Wissenschaft gibt es normalerweise nicht bloß einen einzigen Beleg für eine Behauptung. Eine wissenschaftlich korrekte Aussage fügt sich in das dicht geknüpfte Gesamtnetz unseres Wissens ein. Einzelne Knotenpunkte d ieses Netzes mögen sich durch neue Erkenntnisse oder durch das Aufdecken von Irrtümern auflösen – aber ein gutes Netz bleibt auch dann tragfähig. Dieses Phänomen zeigt sich etwa in der Debatte um den Klimawandel: Dass sich das globale Klima ändert und dass der Mensch mit seinen Treibhausgas- Emissionen der Grund dafür ist, steht heute außer Zweifel. Trotzdem gibt es nach wie vor Menschen, die das nicht wahrhaben wollen, die alternative Theorien zurechtbasteln und vermeintliche Fehler in der „orthodoxen“ Klimaforschung aufzudecken glauben. Für Außenstehende kann es beeindruckend wirken, wenn auf einen strittigen, zweifelhaften oder vielleicht sogar tatsächlich falschen Punkt in einer wissenschaftlichen Publikation über den Klimawandel hingewiesen wird. Wenn an dieser Stelle eine Lücke in der Argumentation gefunden wurde – bedeutet das dann nicht, dass die Geschichte vom Klimawandel in sich zusammenstürzen muss? Nein, keineswegs. Der Klimawandel lässt sich mit vielen unterschiedlichen Methoden untersuchen. Wir haben theoretische Forschung, Daten aus der Paläoklimatologie, Messungen der globalen Temperatur, Untersuchungen über die Eigenschaften der Ozeane, Eiskernbohrungen, Zeitreihenanalysen aus Jahresringen von Bäumen und vieles mehr. Und all das fügt sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammen. Erst dadurch entsteht die hohe Überzeugungskraft der These.
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Das kennzeichnet eine gute, verlässliche Th eorie: Es gibt in ihr keinen einzelnen, heiklen Punkt, an dem sie zum Einsturz gebracht werden kann, sondern sie wird von unüberblickbar vielen Fäden zusammengehalten. Die moderne Atomphysik ist ein Beispiel für so eine Th eorie: Sie ist nicht nur mathematisch formuliert und frei von inneren Widersprüchen, sie ist eingebettet in ein Netz von empirischen und theoretischen Bestätigungen. Moderne Mikroskopietechniken machen heute einzelne Atome sichtbar, in Teilchenbeschleunigern können Atome zur Kollision gebracht werden, um wieder andere Teilchen zu erzeugen. Die quantenphysikalischen Eigenschaften von Atomen bestimmen ihr chemisches Verhalten, das sich im Labor überprüfen lässt, ebenso wie die Wechselwirkung der Atome mit Licht, die einen ganzen Zoo unterschiedlicher spektroskopischer Messmethoden ermöglicht. All diese Herangehensweisen stützen einander gegenseitig und fügen sich zu einem großen Ganzen, ohne innere Widersprüche. Das unterscheidet die Wissenschaft ganz eindeutig von Esoterik, Aberglauben und Pseudowissenschaft: Dort fehlt diese enge Verknüpfung unterschiedlicher Daten und Argumente völlig.
Wissenschaft als soziales Spiel Wenn es gerade die Vernetztheit von Thesen, Daten und Fakten ist, die Wissen schaft vertrauenswürdig, belastbar und (in gewissem Sinn) sogar unwiderlegbar macht, dann müssen wir die Dichte und Tragfähigkeit der Querverbindungen z wischen unterschiedlichen Gedanken, Thesen und Theorien immer weiter erhöhen. Das funktioniert nur durch Zusammenarbeit: Ergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen müssen verknüpft werden, unterschiedliche Sichtweisen müssen zusammengeführt werden, unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ideen müssen miteinander reden. Das bedeutet auch, dass wir alte, klischeehafte Vorstellungen über den Wissenschaftsbetrieb aussortieren müssen: Wissenschaft wird nicht von Einzelforschern in der einsamen Studierstube erarbeitet, Wissenschaft ist das Produkt von Kooperationen. Große Durchbrüche, die die Welt der Wissenschaft grundlegend verändern, werden nicht (oder nicht mehr) von überragenden Genies errungen, sondern durch viele kleine Ideen vieler kleiner Leute. Wir sollten uns die Entstehung von Wissen nicht vorstellen wie die Entstehung einer Marmorstatue, die ein Renaissancekünstler in seinem Atelier in fleißiger Detailarbeit gemeißelt hat, sondern eher wie die Entstehung eines Ameisenhaufens, der zuverlässig und kontinuierlich aufgebaut wird, weil unüberblickbar viele Ameisen jeweils einen winzigen Beitrag
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dazu leisten. Ob es dabei einzelne Star-Ameisen gibt, die besonders viele Tannennadeln auf den Haufen zerren, ist ziemlich unerheblich. Der Erfolg stellt sich ein, weil sich ausreichend viele Einzelakteure an einem großen Projekt beteiligen. Das bedeutet auch, dass wir Wissenschaft nicht auf die eng begrenzte Community beschränken sollen, in der sie entstanden ist: Nicht nur für die demokratische Gesellschaft ist es wichtig, mit Wissenschaft in Kontakt zu kommen. Auch für die Wissenschaft ist es wichtig, mit der Gesellschaft in Kontakt zu kommen. Wenn die moderne Wissenschaft mit ihrer mittlerweile für Einzelpersonen hoffnungslos unüberschaubaren Komplexität als soziales Spiel verstanden werden muss, dann wird sich der größte Erfolg nur dann einstellen, wenn weite Teile der Gesellschaft Teil d ieses sozialen Spiels werden. Daher muss Wissenschaft kommuniziert werden – nicht nur in Fachvokabeln, die für eine eng begrenzte Community erfunden wurden, sondern auf eine Weise, die das Verknüpfen, Verbinden und in-Beziehung-setzen erleichtert. Wir alle – egal ob wir wissenschaftlich forschen oder nicht – sind in den meisten Fachdisziplinen Laien. Daher muss Wissenschaft Laien zugänglich gemacht werden, wenn sie auch in Zukunft tragfähig bleiben und weiterwachsen soll. Wenn wir Wissenschaft als soziales Spiel begreifen, müssen wir über Wissenschaft reden. Über Wissenschaft reden heißt aber nicht nur wissenschaftliche Ergebnisse zu erklären. Genauso wichtig ist es zu vermitteln, was Wissenschaft überhaupt bedeutet, wie verlässlich sie insgesamt ist, auch wenn manche der Behauptungen, aus denen sie besteht, vielleicht widerlegt werden mögen. Wir müssen ehrlich darüber sprechen, welche Aussagen der Wissenschaft vorläufigen Charakter haben und bei w elchen es sich um einen zuverlässigen Theoriekern handelt. Wir müssen erklären, warum die Wissenschaft nicht bloß eine Sichtweise von vielen ist, neben Schamanismus, Astrologie und den wackeligen Behauptungen selbsternannter Wunderheiler, sondern ein zuverlässiges Netz an Wahrheiten, auf das wir uns verlassen können. Wir sollten nicht in feierlichen Sonntagsreden fordern, dass die Gesellschaft näher an die Wissenschaft herangeführt werden soll – stattdessen sollten wir erkennen, dass Wissenschaft und Gesellschaft von vornherein völlig untrennbar sind: Die Gesellschaft kann ohne wissenschaftliche Fakten nicht funktionieren. Von der Geometrie der alten Ägypter bis zu modernen Halbleiterchips wurde jede menschliche Kultur maßgeblich von ihrer Wissenschaft und ihrer Technologie definiert. Und die Wissenschaft ist ohne Gesellschaft genauso undenkbar wie die Wellenmuster auf dem See ohne Wasser: Die Wissenschaft ist eine Eigenschaft der Gesellschaft, sie ist ein Produkt unserer Kooperation. Wir alle sind Teil der Wissenschaft – und darauf sollten wir stolz sein.
Wahr oder falsch? Wissenschaft als Wegweiser aus dem Dickicht der Desinformation Ulrich Berger
Jedes Jahrzehnt scheint seine spezifischen Formen von Aberglauben und Pseudo wissenschaften zu haben. In den 1960ern suchte man nach UFOs, in den 1970ern versuchte man, mit Gedankenkraft Löffel zu verbiegen, in den 1980ern wurden in heimischen Schulen tausende von Tischerln „gerückt“, in den 1990ern entfalteten sich die „geistartigen Kräfte“ der Homöopathie, gefolgt von einer Lawine anderer pseudomedizinischer und esoterischer Therapien in den Nuller jahren des neuen Jahrtausends, während in den Zehnerjahren unzählige neue Verschwörungstheorien zur Blüte gelangten. Das neue Jahrzehnt (das streng genommen erst 2021 beginnt) wird möglicherweise von einem besorgniserregenden Phänomen geprägt werden, das seit Kurzem um sich zu greifen beginnt. Fake news, „alternative Fakten“, gefühlte Wahrheiten, Verschwörungstheorien, postfaktische Zeiten – mit Schlagworten wie diesen illustrieren viele Medienberichte der letzten Zeit einen Zustand, in dem es immer schwieriger zu werden scheint, zwischen wahr und falsch, zwischen echt und unecht, zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft zu unterscheiden. Ist der Klimawandel menschgemacht? Wurde das WTC 7-Gebäude am 11. September 2001 gesprengt? Versprühen dunkle Mächte Chemtrails im Himmel, um uns gefügig zu machen? Ist der Yeti bloße Einbildung? Wirkt Homöopathie? Ist Impfen harmlos? Erzeugt Glyphosat Krebs? Ist Mobilfunkstrahlung gefährlich? Zu jeder dieser Fragen finden sich in den Weiten des World Wide Web zahlreiche, oft ausführlich dokumentierte und begründete Antworten, und zwar sowohl pro als auch kontra. Wohlgemerkt: dies ist nicht ein Streit um Meinungen, sondern ein Streit um Tatsachen, also um Behauptungen, die im Grunde, spätestens nach ausreichender Spezifizierung der Fragestellung, einen eindeutigen und objektiven Wahrheitswert haben sollten. Welchen dieser Argumente kann man vertrauen, w elchen dieser Antworten soll man glauben? Es ist kaum verwunderlich, dass viele Menschen sich angesichts der Fülle von widersprüchlichen Informationen und einander
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gegenseitig ausschließenden Antworten zu beinahe jeder Tatsachenbehauptung, die heute in der Öffentlichkeit diskutiert wird, auf einen Standpunkt zurückziehen, der subjektiven, „gefühlten“ Antworten den Vorzug gegenüber echtem oder vermeintlichem Expertenwissen gibt. Wenn es ohnehin keinen Konsens gibt, so ein oft gehörter Appell, dann vertrauen Sie einfach auf Ihr Bauchgefühl! Tatsächlich verfügen wir aber über eine ausgeklügelte und mittlerweile sehr weit entwickelte Methode, s olche umstrittenen Fragen mit relativ hoher Zuverlässigkeit zu entscheiden. Sie nennt sich die „wissenschaftliche Methode“. Freilich ist diese „Methode“ im Grunde ein Sammelbegriff für eine große Vielzahl von unterschiedlichen Methoden und Instrumenten; gemeinsam ist ihnen aber ein Konsens darüber, wie man Wissen, das diesen Namen auch verdient, am besten generiert, nämlich durch systematische Beobachtung und kontrollierte Experimente, unter möglichst weitgehender Vermeidung von bekannten Fehlerquellen. Wenn wir, wie eben argumentiert, ohnehin eine Methode zur Klärung strittiger Fragen haben, warum streiten wir dann immer noch? Aus meiner Sicht stehen wir hier drei Problemen gegenüber. Erstens, wir verfügen zwar über diese Methode, aber zu viele Menschen wissen dies schlicht nicht. Zweitens, jene, die es doch wissen, vertrauen der Wissenschaft oft nicht. Drittens, selbst jene, die es wissen und der Wissenschaft auch vertrauen, sind sich oft im Unklaren darüber, wo und wie sie die Antworten „der Wissenschaft“ finden sollen. Im folgenden möchte ich versuchen, diese drei Problemfelder näher zu skizzieren und mögliche Lösungswege aufzuzeigen.
Problem 1: Mangelndes Wissen über die Leistungsfähigkeit der wissenschaftlichen Methode Kinder kommen mit Wissenschaft meist erstmals in der Schule, typischerweise in der Sekundarstufe I, in Berührung. Was dort gelehrt wird, ist zu einem großen Teil einfach Wissen. Vielfach inkludiert ist dabei zwar, wer wann dieses Wissen geschaffen hat, also Wissenschaftsgeschichte. Was aber oft vernachlässigt wird, ist, wie dieses Wissen geschaffen wurde, also die Methode, und warum gerade diese Methode gewählt wurde. Am Ende der Schulzeit haben viele Schülerinnen und Schüler daher oft ein beachtliches Faktenwissen angesammelt, gleichzeitig aber nur wenig über den Kern der wissenschaftlichen Methode erfahren und insbesondere keine Vorstellung davon, wie mächtig diese Methode ist, wenn es gilt, Tatsachenbehauptungen zu überprüfen.
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Dies kann an einfachen Beispielen auch innerhalb einer Unterrichtsstunde anschaulich demonstriert werden. Beispiel Horoskope: Ein persönliches Horoskop erscheint der Person, anhand deren Geburtsdaten es erstellt wurde, oft eindrucksvoll präzise die eigene Persönlichkeit zu beschreiben. Ein Großteil der Faszination, die Horoskope immer noch auf viele ausüben, dürfte auf solch eindrucksvolle Erlebnisse zurückzuführen sein. Im Unterricht könnte eine Lehrkraft an alle Schülerinnen und Schüler „persönliche“ Horoskope austeilen und dann auf einer Skala von 0 bis 10 beurteilen lassen, wie gut die Jugendlichen die eigene Persönlichkeit beschrieben fühlen. Nach der Auswertung kann die zu erwartende hohe Präzision diskutiert werden. Wenn die Lehrkraft dann enthüllt, dass alle Personen tatsächlich exakt dasselbe Horoskop zu lesen bekommen haben, dürfte das bei vielen ein Aha-Erlebnis auslösen, das aufgrund seiner emotionalen Komponente einen höheren Erinnerungswert hat als alle physikalisch orientierten Erläuterungen über die mangelnde Plausibilität eines Einflusses der Planetenkonstellationen zum Zeitpunkt der Geburt auf die Entwicklung der Persönlichkeit. Dieses Erlebnis kann dann zum Anlass genommen werden, den dahinter liegenden Barnum-Effekt zu besprechen und aufzuzeigen, wo dieser sonst noch eine Rolle spielen könnte. Eine solche sanfte Heranführung an die wissenschaftliche Methode, die Bedeutung von Experimenten und die Fülle von Fallstricken, die es dabei zu vermeiden gilt, sollte Schülerinnen und Schüler idealerweise zu jungen Erwachsenen machen, die sich dessen bewusst sind, dass wir mit der wissenschaftlichen Methode ein Werkzeug haben, das viele strittige Fragen wenigstens im Prinzip entscheiden kann und in unzähligen Fällen auch bereits entschieden hat. Wichtig ist dabei auch die Erkenntnis, dass manche Behauptungen sogar mit relativ geringem Aufwand von Menschen geprüft werden können, die selbst nicht hauptberuflich in der Wissenschaft tätig sind und insofern nicht als Fachexperten gelten. So werden etwa die leider immer noch verbreiteten Ohrenkerzen damit beworben, dass sie in der Lage s eien, das Ohr eines Patienten von schädlichen Rückständen zu befreien. Als „Beweis“ wird dabei demonstriert, dass sich nach dem Abbrennen einer Ohrenkerze im Ohr eines auf der Seite liegenden Patienten am Boden der Kerze eine gelbliche Substanz angesammelt hat, die durch die Sogwirkung aus dem Ohr „herausgezogen“ worden sein soll. Diese Behauptung lässt sich ebenso leicht prüfen wie widerlegen, indem man eine Ohrenkerze ohne Kontakt zu einem Körperteil einfach in einem Aschenbecher stehend abbrennen lässt. Dass dabei genau dieselbe gelbliche Substanz entsteht, zeigt, dass diese aus der Kerze selbst stammt und nicht aus einem menschlichen Ohr.
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Der Autor dieser Zeilen hat diese Demonstration vor ein paar Jahren im Rahmen einer pro- und kontra-Diskussion zur Alternativmedizin in Wiener Neustadt vorgeführt. Der für die pro-Seite argumentierende Energetiker war über den Ausgang d ieses kleinen Versuchs, dem er selbstbewusst zugestimmt hatte, dermaßen verblüfft, dass er einige Zeit lang sichtlich um Worte rang. Dies lässt darauf schließen, dass er selbst durch seine irreführende Erklärung dieses Phänomens seine Patienten nicht wissentlich täuschte, sondern vielmehr einer Selbsttäuschung unterlag. Das bedeutet, dass auch Personen, die jahrelange persönliche Erfahrung mit einem bestimmten Verfahren haben, dieses Verfahren keineswegs in einem engeren Sinne verstanden haben müssen und daher nicht automatisch als Experten für dieses Verfahren gelten können. Im Schulunterricht kann d ieses Beispiel dazu dienen, zu erläutern, dass man, wenn man verlässliche Erkenntnisse z. B. über die Wirkungsweise und Wirksamkeit von Ohrenkerzen erlangen will, sich nicht auf die Erklärungen von jenen verlassen sollte, die diese Methode seit Jahren in der Praxis anwenden. Vielmehr sollte man nach wissenschaftlichen Studien über Ohrenkerzen suchen oder, soweit möglich, diese in kleinem Maßstab sogar selbst erzeugen. Im Analogieschluss gilt dies natürlich auch für Fragen, die für die Gesellschaft brennender sind als jene nach der Wirkung von Ohrenkerzen.
Problem 2: Mangelndes Vertrauen in die Wissenschaft Auch unter Menschen, die eine höhere Schulbildung genossen oder sogar studiert haben, findet sich oftmals das Phänomen, dass die Fähigkeiten der wissenschaftlichen Methode zwar prinzipiell zumindest rudimentär bekannt sind und auch anerkannt werden, den Wissenschafterinnen und Wissenschaftern und damit der Wissenschaft insgesamt aber heute nicht oder nicht mehr vertraut wird. Für diese Haltung werden mehrere Gründe ins Treffen geführt. Eine vielfach anzutreffende Meinung ist die, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sich ohnehin dauernd änderten. Wenn sich wissenschaftliche Erkenntnisse tatsächlich ständig ändern würden, wäre dies in der Tat ein betrüblicher Zustand, da diese Erkenntnisse jede Relevanz verlieren würden, wenn sie nicht stabil und damit verlässlich wären. Was sich wirklich vielfach „ständig ändert“, sind aber nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern die Resultate von einzelnen Studien. Es trifft zu, dass zu vielen komplexen Fragen immer wieder einzelne Studienresultate erscheinen, die einander entweder zu widersprechen scheinen oder tatsächlich widersprechen. Ein einzelnes Forschungsresultat kann
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jedoch niemals den Anspruch erheben, eine wissenschaftliche Erkenntnis im engeren Sinn darzustellen. Vielmehr entsteht wissenschaftliche Erkenntnis zu einer komplexen oder schwer zu untersuchenden Fragestellung typischerweise erst durch „konvergente Evidenz“, also dann, wenn die überwiegende Zahl von hochqualitativen Untersuchungen, die sich mit unterschiedlichsten methodischen Zugängen der Fragestellung nähern, zu replizierbaren Ergebnissen kommen, die alle in dieselbe Richtung weisen. Am Weg dorthin finden sich unweigerlich immer wieder Einzelresultate, die zu anderen Antworten kommen als die Mehrzahl der übrigen Studien. Da solche Resultate teils überraschend sind und immer einen gewissen Neuigkeitswert haben, werden sie in den Medien oft unzutreffenderweise als „neue Erkenntnisse“ präsentiert, die den bisherigen Stand der Wissenschaft mit einem Schlag über den Haufen werfen. Beim nächsten Forschungsresultat, das den bisherigen Stand der Wissenschaft bestätigt, wird dies medial wiederum als Kehrtwendung dargestellt, so dass der Eindruck entsteht, dass, folgt man der Wissenschaftsberichterstattung in den Medien, z. B. Rotwein alle paar Wochen abwechselnd vor Krebs schützt und Krebs erzeugt, oder dass Mobilfunkstrahlung regelmäßig zwischen schädlich und harmlos hin und her wechselt. Eine Quelle von mangelndem Vertrauen in die Wissenschaft ist demnach sicher reißerischer oder sensationslüsterner Wissenschaftsjournalismus, der es unterlässt, ein Einzelresultat in den Kontext des bisherigen Standes der Wissenschaft einzuordnen und entsprechend vorsichtig zu beurteilen. Freilich liegt die Schuld dabei oft auch weiter stromaufwärts, bei Universitäten, die Forschungsresultate in Presseaussendungen übertrieben darstellen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Mitunter sind es auch die Autoren einer Studie selbst, die ihren Ergebnisse im Abstract oder in den Conclusions zum Zweck des Selbstmarketings einen Spin versehen, der nicht zu rechtfertigen ist. Ebenso kommt es vor, dass wissenschaftliche Fachzeitschriften dubiose Studien vorschnell zu publizieren bereit sind, weil sie in der wissenschaftlichen Fachgemeinschaft Aufmerksamkeit generieren und damit den Impactfaktor der Zeitschrift zu steigern versprechen. Es ist nicht einfach, diesen Tendenzen entgegenzutreten. Am ehesten scheint es zielführend, die Gesellschaft darüber aufzuklären, wie wissenschaftliche Erkenntnis entsteht, insbesondere über die Tatsache, dass einzelne Studien resultate ebensowenig wissenschaftliche Erkenntnisse darstellen, wie eine einzelne Schwalbe einen Sommer macht. Auch dies könnte schon in der Schule begonnen werden, es erfordert aber bereits ein gewisses Hintergrundwissen über den Wissenschaftsbetrieb und ist deshalb vermutlich schwieriger unterzubringen.
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Eine weitere Quelle von Misstrauen ist die Tatsache, dass viele Studien, vor allem in der Medizin, aus naheliegenden Gründen von der Industrie finanziert werden. Es ist kaum vertretbar, die Kosten für Forschung, die privatwirtschaftliche Gewinne generiert, allein dem Steuerzahler umzuhängen. Gleichzeitig führt das derzeitige System aber dazu, dass viele wissenschaftliche Studien von jenen finanziert oder sogar durchgeführt werden, die ein starkes Interesse an einem bestimmten Resultat haben. Dass dies zu einer Verzerrung von industriefinanzierten Studien führt, ist wenig verwunderlich. Während man innerhalb der Wissenschaften d iesem Problem damit begegnet, dass man die Deklaration von Interessenskonflikten verlangt, unabhängige Replikationen fordert und industriefinanzierte Einzelresultate generell mit angemessener Skepsis behandelt, ist in der Öffentlichkeit oft ein radikales Misstrauen in wissenschaftliche Studien und damit in Wissenschaft per se die Folge. Klare wissenschaftliche Evidenz gegen eine Behauptung wird von deren Vertretern oft mit dem lapidaren Hinweis hinweggewischt, dass ohnehin alle Studien „gekauft“ seien. Umso wichtiger ist es, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass eine Vielzahl von Studien von Wissenschaftern erstellt werden, die nicht in der Industrie, sondern an Universitäten tätig sind, deren Kapital ihre wissenschaftliche Reputation ist und die penibel darauf achten, diese nicht durch Gefälligkeitsforschung aufs Spiel zu setzen. Und schließlich gilt auch hier: Die Wissenschaft an sich ist wesentlich vertrauenswürdiger als die einzelnen Forschungsarbeiten, aus denen sie sich zusammensetzt, und die einzelnen Wissenschafter, die diese Forschung betreiben. Die Konkurrenz der Forschergruppen untereinander und die viel beschworenen Selbstreinigungskräfte der Wissenschaft führen trotz aller Schwierigkeiten im allgemeinen dazu, dass durch finanzielle Interessen verzerrten Einzelresultaten kein nachhaltiger Erfolg beschieden ist. Ein verzerrter breiter Konsens und damit eine verzerrte wissenschaftliche Erkenntnis sind allen Unkenrufen zum Trotz eben gerade nicht zu erwarten.
Problem 3: Mangelndes Wissen darüber, wo und wie man wissenschaftliche Erkenntnisse findet Wer über die Leistungsfähigkeit der wissenschaftlichen Methode Bescheid weiß, wissenschaftliche Erkenntnisse auch für vertrauenswürdig hält und daher die Einschätzung der Wissenschaft zu einer bestimmten Fragestellung in Erfahrung bringen möchte, steht oft dennoch vor einem Problem. Es gibt kein weltweites Register wissenschaftlicher Erkenntnis, das man eben mal schnell durchsuchen könnte. Zwar sind wissenschaftliche Erkenntnisse oft allgemein zugänglich,
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meist sogar online, allerdings muss man wissen, wo genau man danach suchen soll, und auch, wie man wissenschaftliche Erkenntnisse, die diesen Namen verdienen, als s olche erkennt. Tatsächlich ist es meist nicht zielführend, in wissenschaftliche Datenbanken wie Pubmed, Scopus oder dem Web of Science mittels Schlagwortsuche nach einzelnen Studien zu suchen. Typischerweise erhält man dabei nämlich hunderte von Resultaten, von denen die meisten für die Fragestellung nicht einmal relevant sind, und generell fehlt am Ende jedenfalls ein Überblick oder eine Einordnung der Einzelresultate. Um eine Einschätzung der gesamten wissen schaftlichen Literatur zu einer bestimmten Fragestellung zu erhalten, ist es erforderlich, diese Literatur systematisch zu sammeln, zu sichten, die einzelnen Studien einer Qualitätsbewertung zu unterziehen und in einer kritischen Gesamtschau zusammenzuführen. Eine solche Arbeit ist Laien nicht zuzumuten, sie wird aber glücklicherweise ohnehin von Wissenschaftern selbst erledigt. Die entsprechenden Übersichtsarbeiten heißen systematic reviews oder, wenn sie eine formale statistische Analyse inkludieren, Metaanalysen. Im Prinzip lassen sich systematische reviews zu einer Fragestellung, soweit sie überhaupt existieren, durch eine entsprechende Schlagwortsuche in wissenschaftlichen Datenbanken finden, indem man „systematic review“ als zusätzlichen Suchterm inkludiert. Dies stellt allerdings für Laien immer noch eine Herausforderung dar, nicht zuletzt deshalb, weil viele Datenbanken nicht frei zugänglich sind. Hier kann die Verwendung von Google Scholar weiterhelfen, was aber wieder eigene Probleme bei der gezielten Suche nach sich zieht. Google Scholar indiziert nämlich sämtliche Quellen im Internet, die bei oberfläch licher Betrachtung wie wissenschaftliche Quellen aussehen, was aber leider auch sogenannte Raubjournale inkludiert, also s olche, deren Hauptfunktion es nicht ist, wissenschaftliche Literatur zu sammeln und nach erfolgreicher Begutachtung durch die Fachwelt der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen, sondern möglichst viele sich wissenschaftlich gebende Artikel unter Umgehung eines echten peer-review-Verfahrens abzudrucken und durch die eingenommenen Publikationsgebühren entsprechende finanzielle Gewinne zu erzielen. Darüber hinaus finden sich konsensuale Einschätzungen der wissenschaftlichen Literatur auch unter anderen Titeln, die noch weniger leicht aufzufinden sind als systematische reviews, etwa in Stellungnahmen von Fachgesellschaften oder in Berichten von staatlichen Behörden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die gezielte Suche in der Wikipedia. Während es in wissenschaftlichen Arbeiten verpönt ist, aus Wikipedia zu zitieren, stellt die Online-Enzyklopädie für Laien eine unschätzbar wertvolle
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Quelle von meist äußerst umfangreicher und präziser Information dar. Ähnlich wie genuin wissenschaftliche Arbeiten unterliegen auch Wikipedia-Artikel einer Art peer review; es trifft also nicht zu, dass, wie oft behauptet, jeder alles in Wikipedia hineinschreiben könne. Tatsächlich werden Änderungen in Wikipedia-Einträgen, die in der Tat jeder Mensch vornehmen kann, erst von erfahrenen Wikipedia-Administratoren gesichtet, bevor sie freigeschaltet werden. Umstrittene Einträge werden ausführlich diskutiert und auf Basis eines Konsensverfahrens online gestellt. Insgesamt führen diese Prozesse dazu, dass Wikipedia-Einträge zu den verlässlichsten Sekundärquellen gehören, die online verfügbar sind. Sie bieten durch die aufgelisteten Referenzen auch einen leichten Zugang zu jenen Primärquellen, die aufzufinden man in Eigenregie viel Zeit und Mühe investieren müsste. Bei umstrittenen Th emen gibt es meist auch ausführliche Darstellungen der Kontroversen, der wesentlichen Akteure und deren etwaiger Interessenskonflikte. Eine ähnliche Online-Enzyklopädie, die auf Verschwörungstheorien, Esoterik, Alternativmedizin und Pseudowissenschaften spezialisiert ist, findet sich unter dem Namen Psiram. Die dort erhältlichen Informationen sind im allgemeinen ebenfalls verlässlich, ausführlich referenziert und reichen in Spezialthemen hinein, die in der Wikipedia keinen Platz gefunden haben. Die Autoren von Psiram treten anonym auf, was angesichts der wüsten Drohungen, mit denen einige der dort kritisch beleuchteten Personen die Plattform überzogen haben, verständlich ist. Streitfragen an den Grenzen zwischen Wissenschaft, Pseudowissenschaft, Aberglauben und Esoterik sind auch der Fokus der sogenannten Skeptikerbewegung, die beinahe weltweit vertreten ist. Im deutschsprachigen Raum hat sich die „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissen schaften“ (GWUP) etabliert, deren österreichische Regionalgruppe als „Gesellschaft für kritisches Denken“ (GkD) auftritt. (Offenlegung: Der Autor dieser Zeilen ist derzeit Präsident der GkD.) Diese Vereine sind Zusammenschlüsse von Wissenschaftern und wissenschaftlich interessierten Laien, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Öffentlichkeit kritisch-wissenschaftlich über umstrittene Th emen aufzuklären, soweit diese einer wissenschaftlichen Prüfung überhaupt zugänglich sind. Die Webseiten und der Blog der GWUP etwa stellen eine reichhaltige Quelle einschlägiger Information dar. Darüberhinaus gibt es eine Reihe spezialisierter Wissenschaftsblogs, etwa auf den Plattformen scienceblogs.de oder scilogs.de, die sich ebenfalls in vertrauenswürdiger Art und Weise mit solchen Th emen beschäftigen. In Österreich ist auch die Seite medizin-transparent.at zu empfehlen, die von Cochrane Österreich an der Donau-Universität Krems betrieben wird.
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Alles in allem gibt es also eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich kritisch und verlässlich über Th emen an den Grenzen der Wissenschaften zu informieren, sofern man nur weiß, wo man nachschlagen muss. Wünschenswert wäre es, wenn sich die Information über diese Quellen möglichst weit verbreiten würde. In der Verantwortung dafür sind nicht nur Wissenschaftsjournalisten, sondern auch Wissenschaftler selbst, Universitäten, staatliche Behörden und die Zivilgesellschaft. Ein erfreulicher Umstand besteht darin, dass an den Universitäten in den letzten Jahren die Bedeutung der sogenannten „Third Mission“ erkannt wurde, also der Verantwortung dafür, wissenschaftliche Erkenntnisse in verständlicher Art und Weise an die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die GkD versucht mit dem von den Briten übernommenen Konzept der Vortragsreihe „Skeptics in the Pub“, gemütliche Beisl-Atmosphäre mit hoch karätigen Vorträgen zu Wissenschaftsthemen bei freiem Eintritt zu verbinden und damit einen niederschwelligen Zugang zur Wissenschaft anzubieten. Demselben Zweck dient der jährlich verliehene Spottpreis „Goldenes Brett vorm Kopf“, der jeden Dezember an den absurdesten pseudowissenschaftlichen Unsinn des vergangenen Jahres und an dessen Proponenten vergeben wird. Ein nicht zu unterschätzendes Hindernis bei der wissenschaftlich-kritischen Aufklärung stellen leider allzuoft nicht nur private, sondern sogar manche öffentliche Institutionen dar, die aus letztlich monetären Interessen stark antiaufklärerisch wirken. So ist es etwa beklagenswert, dass die pseudomedizinische Methode der Homöopathie immer noch unter den Ärztevorbehalt fällt und ihre unwirksamen „Arzneimittel“, die Globuli, apothekenpflichtig sind. Während die Medizinische Universität Wien nach viel zu langer Zeit erst kürzlich das unsägliche Wahlfach Homöopathie aus ihrem Lehrangebot entfernt hat, bietet die Donau-Universität Krems immer noch den Masterlehrgang „Natural Medicine“ und die Fachhochschule Campus Wien seit neuestem den Studiengang „Ganzheitliche Therapie und Salutogenese“ an, wobei in beiden ebenso unverblümt wie unkritisch die Lehre von den „geistartigen Kräften“ der Homöopathie nebst allerlei anderem pseudomedizinischem Ramsch unterrichtet wird. Eine s olche ungerechtfertigte Legitimation der Homöopathie arbeitet der wissenschaftlich- kritischen Aufklärung diametral entgegen und sollte eigentlich durch die Qualitätssicherungsmaßnahmen des Hochschulsystems eliminiert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Pessimismus nicht notwendigerweise angebracht ist. Wir verfügen über Methoden, die mit hoher Zuverlässigkeit wahr von falsch unterscheiden können, und es gibt eine Vielzahl von Institutionen, die sich damit beschäftigen, die Kenntnis über diese Methoden und deren Leistungsfähigkeit an die Gesellschaft zu vermitteln. Die Wissenschaft
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kann viele Fragen heute noch nicht entscheiden und wird manche möglicherweise nie beantworten können. Sie kann jedoch viel mehr Fragen viel verlässlicher beantworten, als es jede andere Herangehensweise könnte, und hat dies auch schon zigtausendfach getan. Wer wirklich will, und auch weiß, wo er suchen muss, kann innerhalb weniger Minuten die Antworten auf viele heiß diskutierte Fragen der letzten Jahre herausfinden. Soweit es die im zweiten Absatz oben gestellten Beispielfragen betrifft, lauten diese Antworten übrigens Ja, Nein, Nein, Ja, Nein, Ja, Nein und Nein.
Verstehen, Vertrauen und die Verständlichkeit der Wissenschaft Zu einigen Randbedingungen für den (erfolgversprechenden) Umgang mit Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung Rainer Bromme
Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Rationalität von öffentlichen Diskursen zu gesellschaftlichen Herausforderungen (zum Beispiel des Klimawandels) und der Akzeptanz der Leistungsfähigkeit der Wissenschaft.1 Diese Leistungsfähigkeit der Wissenschaft betrifft die Gestaltung technologischer und sozialer Artefakte und Prozesse 2 und das öffentliche Verständnis der natürlichen und der sozialen und kulturellen Welt. Deshalb sind Pseudowissenschaft und die strategisch motivierte Bestreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen (Wissenschaftsleugnung / science denialism) ein gesellschaftliches Problem. Wenn z. B. Wissenschaftsleugnung in sozialen Medien weite Verbreitung findet, verändert dies die implizite, aber sozial geteilte Verständigung darüber, dass es möglich ist, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden.3 Wie kann man darauf reagieren? Was ist ein erfolgversprechender Umgang mit Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung? Die Antworten darauf sind so vielfältig wie die Varianten von Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung. Im Folgenden werden in vier Abschnitten einige Randbedingungen des öffentlichen Verständnisses von Wissenschaft (d. h. Bürger/innen/verständnis von Wissenschaft / public engagement with science 1 R. Bromme, L. Gierth, Rationality and the Public Understanding of Science. In: M. Knauff, W. Spohn (Hg.), The Handbook of Rationality, Cambridge, im Druck. 2 Damit sind alle Arten des Transfers wissenschaftlicher Ergebnisse in gesellschaftliche Praxen gemeint, auch in den Sozialwissenschaften, z. B. Ch. Spiel, B. Schober, Lessons Learned for Policy Impact from Research and Interventions. In: A. C. Petersen, S. Koller, F. Motti-Stefanidi, S. Verma (Hg.), Positive youth development in global contexts of social and economic change, New York (2017), 267 – 278. 3 S. Lewandowsky, U. Ecker, J. Cook, Beyond Misinformation, Understanding and Coping with the Post-Truth Era. In: Journal of Applied Research in Memory and Cognition 6 (2017), 353 – 369.
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and humanities) diskutiert, die für den Umgang mit Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung zu berücksichtigen sind. Sie betreffen psychologische und auch epistemische (d. h. wissenschaftslogische und methodische) Gegebenheiten des Umgangs von Bürger/inne/n mit Wissenschaft. Im fünften und letzten Abschnitt wird dann die Forderung nach verständlicher Wissenschaft als das beste Gegenmittel zu Pseudowissenschaft kritisch diskutiert. Damit soll illustriert werden, warum man diese Randbedingungen für den Umgang mit Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung beachten sollte.
1 Was unterscheidet Wissenschaft von Pseudowissenschaft? Wie unterscheiden sich Wissenschaft und Pseudowissenschaft? Es ist nicht möglich, den Unterschied nur anhand einer vollständigen und notwendigen Menge von rein epistemischen Merkmalen festzustellen. Es ist vielmehr eine Gruppe von Merkmalen, die bei den einzelnen Fällen in unterschiedlichem Maße zutreffen und die je nach Disziplin auch ganz unterschiedlich zu konkretisieren sind.4 Eine Definition von Hansson (2017)5 ist hier hilfreich, weil sie insoweit empirisch orientiert ist, als dass sie sich auf Wissenschaft als konkrete soziale Praxis bezieht, nicht auf nur auf rein normative, wissenschaftslogisch definierte Kriterien. Er nennt drei Merkmale: “[…] a statement should be considered to be pseudoscientific if and only if it satisfies the following three criteria: 1. It pertains to an issue within the domains of science in a broad sense (the criterion of scientific domain). 2. It suffers from such a severe lack of reliability that it cannot at all be trusted (the criterion of unreliability). 3. It is part of a doctrine whose major proponents try to create the impression that it represents the most reliable knowledge on its subject matter (the criterion of deviant doctrine).” Der Definition von Pseudowissenschaft stellt er eine Definition von Wissenschaft gegenüber: “Science is the practice that provides us with the most reliable (i. e. epistemically most warranted) statements that can be made, at the time being, on subject matter covered by the community of knowledge disciplines.” 4 M. Mahner, Science and Pseudoscience. How to Demarcate after the (Alleged) Demise of the Demarcation Problem. In: M. Pigliucci, M. Boudry (Hg.), Philosophy of Pseudoscience. Reconsidering the Demarcation Problem. Chicago (2013) 29 – 43. 5 S. O. Hansson, Science Denial as a Form of Pseudoscience. In: Studies in History and Philosophy of Science, Part A, 63 (2017), 39 – 47. Doi: 10.1016/j.shpsa.2017.05.002.
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Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft liegt also in der Qualität der Begründungen für Geltungsbehauptungen 6 sowie in der logischen Passung z wischen speziellen Geltungsbehauptungen und allgemeineren Theorien. Dabei spielen normative, wissenschaftslogisch definierte Kriterien insofern eine Rolle, als sie einen rationalen Diskurs unter Wissenschafter/inne/n darüber ermöglichen, was als am besten begründet gelten kann. Eine wissenschaftliche Wahrheit wird also nicht nur durch die direkte Beobachtung des jeweiligen Weltausschnittes erzeugt, sondern auch dadurch, dass eine soziale Gruppe (die Wissenschafter/innen eines Faches) diesen Diskurs führt und dabei zu dem Ergebnis kommt, welchen Geltungsbehauptungen man vertrauen kann. Bei der Pseudowissenschaft werden die epistemischen Kriterien und die Methoden ihrer Anwendung ebenfalls durch soziale Aushandlungsprozesse in Gruppen (z. B. Sekten) definiert. Diese Parallele von Wissenschaft und Pseudowissenschaft begründet jedoch nicht die Annahme, dass diese Aushandlungsprozesse über die Fragen, was als Wahrheit gilt, letztlich beliebig sind. Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft liegt, wie oben gesagt, in der Qualität der epistemischen Kriterien. In der Wissenschaft sorgen diese nämlich dafür, dass der jeweils untersuchte Weltausschnitt diese Aushandlungsprozesse rahmt, d. h. es dürfen z. B. keine Vereinbarungen über das, was als wahr gilt, getroffen werden, die empirischen Daten widersprechen. Zwischen den Wissenschaftsdisziplinen (und in der Wissenschaftsgeschichte historisch gesehen, auch innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen) gibt es erhebliche Variabilität bei den epistemischen Kriterien, die eine rationale Entscheidung darüber ermöglichen, eine Geltungsbehauptung als am besten begründet anzusehen. In den empirischen Wissenschaften (im weitesten Sinne) sind systematisch erhobene Daten ausschlaggebend; in allen Wissenschaften ist weiterhin die logische Kohärenz der Geltungsbehauptungen ein wichtiges Merkmal, um sie als begründet anzusehen. Ein weiteres Merkmal von Wissenschaft ist, dass die Verständigung in dem Fach über das, was als gut begründet gelten kann, als im Grundsatz revidierbar angesehen wird. Dazu gehört auch, dass klar z wischen begründeten und nicht begründeten Geltungsbehauptungen (Vermutungen) unterschieden wird. 6 Mit Geltungsbehauptungen bezeichnen wir wissenschaftliche Aussagen über den Weltausschnitt, der jeweils durch eine Disziplin oder eine Gruppe von Disziplinen erforscht wird. Zum Beispiel ist die Aussage „Der gegenwärtige CO2-Ausstoß aus industrieller Produktion führt zu einer Klimaerwärmung“ eine (allerdings vereinfachende) wissenschaftliche Geltungsbehauptung im Sinne dieses Beitrags.
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Bei allen Unterschieden z wischen den Wissenschaftsdisziplinen haben diese gemeinsam, dass die typischen epistemischen Strategien der Pseudowissenschaft sozusagen verboten sind (was nicht ausschließt, dass sie auch in der Wissenschaft anzutreffen sind). Zu diesen Strategien der Pseudowissenschaft gehören ein selektiver Umgang mit Daten, die Vernachlässigung oder die Abwehr von Daten und Argumenten, die gegen eine Geltungsbehauptung sprechen, die willkürliche und inkonsistente Festlegung von Kriterien für die Gültigkeit von Geltungsbehauptungen (z. B. Anforderungen an Daten) und schließlich eine Nicht-Akzeptanz der epistemischen Bedeutung des Konsenses unter Wissenschafter/inne/n als Kriterium für die erreichte „Wahrheit“. Diese Strategien der Pseudowissenschaft dienen nicht nur der Abwehr wissenschaftlicher Ergebnisse, zugleich sind sie in vielen Fällen auch nützlich für die immunisierende Rechtfertigung von Theorien, die zum Teil als Alternative (z. B. Theorien zu Klimawandel als Ergebnis natürlicher Schwankungen der Sonnenstrahlung, oder intelligent design als Alternative zur Evolutionstheorie), zum Teil als Ergänzung von Wissenschaft (Homöopathie) formuliert und verbreitet werden.7
2 Wissen und Glauben / subjektive Überzeugungen Akzeptiert man die epistemischen Kriterien der Wissenschaft, so sind diese pseudowissenschaftlichen Theorien eher als „Glaubenssysteme“ 8 zu bezeichnen, die Theorien der Wissenschaft hingegen als „Wissen“. Der Unterschied besteht in der Qualität der epistemischen Kriterien und der Kohärenz der Geltungsbehauptungen untereinander. Auch für Geltungsbehauptungen des Glaubens (subjektive Überzeugungen) gibt es Begründungen, die innerhalb des jeweiligen Systems von Annahmen plausibel sind. Bei einigen pseudowissenschaftlichen Theorien bestehen diese Begründungen in dem Verweis auf eine Autorität, ähnlich wie bei religiösen Glaubenssystemen. Bei wissenschaftlichen Geltungsbehauptungen (wenn sie einmal als Wahrheit – im Prinzip vorläufig – akzeptiert 7 M. Boudry, S. Blancke, M. Pigliucci. What Makes Weird Beliefs Thrive? The Epidemiology of Pseudoscience. In: Philosophical Psychology 28.8 (2015), 1177 – 1198. Siehe auch Fußnote 5. 8 In der englischsprachigen psychologischen Literatur wird ein Unterschied z wischen ‚belief ‘ und ‚knowledge‘ gemacht und das passt hier besser. ‚Beliefs‘ bezeichnet ‚subjektive Überzeugungen‘ und hat nicht die religiöse Konnotation, die der Begriff des ‚Glaubens‘ hat. Im Folgenden wird deshalb immer dann von ‚subjektiven Überzeugungen‘ gesprochen, wenn diese Konnotation nicht passt.
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sind) ist es im Unterschied dazu immer möglich, die Begründungen (Evidenz) für die Akzeptanz als Wahrheit durch Bezug auf Daten, Theorien usw. vorzunehmen. Ist das nicht möglich, dann dürfen sie nicht als Wahrheit akzeptiert werden. Die Begründung, ‚X‘ ist wahr, weil Autorität ‚Z‘ das sagt, ist ein logischer Fehler.9 Diese klare und idealtypische 10 Unterscheidung z wischen „Wissen“ und „subjektiver Überzeugung / Glauben“ ist nur aus einer epistemologischen Perspektive und nur bei einer Art Gesamtperspektive auf „Wissenschaft“ und „Pseudowissenschaft“ sachlich zutreffend. In einem psychologischen Sinne ist sie so nicht möglich. Dieser Unterschied zwischen der epistemologischen Gesamtperspektive und einer psychologischen Perspektive ist in unserem Zusammenhang sehr wichtig. Das erste ist eine Gesamtperspektive (man könnte auch sagen: Vogelperspektive) insofern, als Wissenschaft und Pseudowissenschaft als kulturelle Gegebenheiten betrachtet werden und z wischen Wissen und subjektiven Überzeugungen anhand der Leistungsfähigkeit dieser Systeme für ein Verständnis der Welt unterschieden wird. Das zweite ist eine psychologische Perspektive, die individuelle kognitive Repräsentationen betrachtet und die Frage zu beantworten sucht, unter w elchen Bedingungen Menschen zu der Überzeugung gelangen, dass eine Geltungsbehauptung als „wahr“ zu bezeichnen ist. In diesem Beitrag geht es um die Gewissheit über wissenschaftliche Geltungsbehauptungen von Nicht-Fachleuten und deshalb stehen auch deren individuelle kognitive Repräsentationen im Mittelpunkt. Grundsätzlich gilt das hier Gesagte jedoch auch für Wissenschafter/innen: “The rationality of science emerges from its social organization – only in rare cases is it exemplified in the reasoning of a single individual (Darwin comes to mind)”, Boudry et al,7 S. 1179. Der Unterschied zwischen Wissenschaft aus der epistemologische Perspektive auf das Gesamtsystem der Erzeugung und Rechtfertigung wissenschaftlichen Wissens und einer psychologischen Perspektive auf Wissenschaft als individuelle kognitive Repräsentationen besteht also darin, dass die Gewissheit, dass die Geltungsbehauptungen wahr sind, auf unterschiedliche Weise 9 L. Cummings, The Trust Heuristic, Arguments from Authority in Public Health. In: Health Communication (2014), 1 – 14. A. Keren, The Public Understanding of What? Laypersons’ Epistemic Needs, the Division of Cognitive Labor, and the Demarcation of Science. In: Philosophy of Science 85, 5 (2018), 781 – 792. 10 Praktisch sind die Unterscheidungen oft nicht so klar zu treffen und sie variieren auch historisch mit der Entwicklung der Wissenschaft selbst.
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zustande kommt. Das ist für den Umgang mit Pseudowissenschaft wichtig und deshalb soll diese Unterscheidung nachfolgend anhand zweier Beispiele erläutert werden. Die Geltungsbehauptung, dass „… es äußerst wahrscheinlich ist, dass Aktivitäten des Menschen mehr als die Hälfte des beobachteten Anstiegs der mittleren globalen Erdoberflächentemperatur von 1951 bis 2010 verursacht haben“ 11, können Klimaforscher rational begründen. Diese Begründungen basieren auf komplexen und langfristigen Messungen, an deren Deutung unterschiedliche Disziplinen mitwirken. Die Gewissheit kommt also durch die regelgeleitete Praxis der Wissenschaft – so wie oben skizziert – zustande. Für Bürger/innen ohne entsprechende Ausbildung und ohne den Zugang zu diesen Daten ist es gar nicht möglich, sich direkt in der Sache Gewissheit zu verschaffen. Im Fall der Klimaforschung ist diese so komplex, dass selbst einzelne Wissenschafter/innen das nur können, indem sie sich auf die interdisziplinäre Arbeit großer Gruppen von Klimaforschern stützen.12 Bürger/innen können darüber nur Gewissheit erlangen, indem sie zuverlässige Expert/innen finden, die diese Begründung liefern bzw. indem sie Berichte (z. B. TV-Sendungen) rezipieren, die über die Begründungen solcher Expert/innen berichten. Insofern ist es ein subjektives Überzeugungssystem, das durch eine externe Autorität gesichert wird, für das man aber keine Begründungen aus eigener Anschauung hat. Deshalb kann es auch passieren, dass die eigene Anschauung in Widerspruch zu den wissenschaftlichen Geltungsbehauptungen gerät. So gehört der Verweis auf erlebte kalte Winter zu den Standardargumenten der Leugner des Klimawandels 13. In diesem Fall steht die persönliche Erfahrung in einem vermeintlichen Gegensatz zu den Geltungsbehauptungen der Expert/innen und deren abstraktem Begriff von „Klima“. Empirische Studien zeigen, dass das Erleben von extremen Wetterereignissen oder auch nur die Erfahrung der Tagestemperatur die subjektive Akzeptanz der Geltungsbehauptungen zum Klimawandel beeinflussen 14. Ein zweites Beispiel ist die Geltungsbehauptung „Die Erde ist eine Kugel“. Selbst die Akzeptanz dieser Geltungsbehauptung basiert auf Argumenten, die man erst seit der Verfügbarkeit von Bildern aus dem All oder auf einer Flugreise 11 https://www.deutsches-klima-konsortium.de/de/klimafaq-10-1.html (download 6. 3. 2020). 12 S. R. Weart, The Discovery of Global Warming. Revised and Expanded Edition. Cambridge, Mass., 2008. 13 https://www.dw.com/en/four-climate-change-myths-debunked/a-38530311, download 06. 03. 2020. 14 L. Zaval, E. A. Keenan, E. J. Johnson, E. U. Weber, How warm days increase belief in global warming. In: Nature Climate Change, 4 (2014) 143 – 147.
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(wenn man mindestens in einer Höhe von 15000 m fliegt) durch eigene Anschauung überprüfen kann. Indirekt kann man auf die Erdkrümmung schließen, wenn man bei guter Sicht am Meer beobachtet, dass ein Schiff am Horizont nicht abkippt, sondern zu versinken scheint. Hat man diese Bilder nicht oder aber glaubt man daran, dass diese Bilder Fälschungen sind, und akzeptiert man keine indirekten Beweise, so spricht die persönliche Erfahrung in der Regel eher für die These der Mitglieder der Flat Earth Society, nach der die Erde eine Scheibe ist, die von einer Himmelshalbkugel überwölbt wird. Das zweite Beispiel ist hier gerade deshalb so interessant, weil die subjektive Überzeugung über die Kugelgestalt der Erde inzwischen (das war im 16. Jahrhundert noch anders) so allgemein verbreitet ist, dass ihre Gültigkeit wie aus eigener Anschauung begründet erlebt wird. (Deshalb erscheinen die Mitglieder der Flat Earth Society dann als seltsame Sekte) Gleichwohl ist es – im psychologischen Sinn – eine subjektive Überzeugung, deren erlebte Wahrheit (im nachfolgenden: Gewissheit) sich vor allem daraus ableitet, dass sie kulturell breit geteilt wird; auch von denen, die kein Wissen um Argumente in der Sache haben.
3 Die Rolle der kognitiven Arbeitsteilung für die Erzeugung von Gewissheit Im Alltag ist die Tatsache, dass vieles von dem, was wir über die Welt wissen, subjektive Überzeugungen sind, die wir in der Sache nicht selbst begründen können, meistens unproblematisch. Erst wenn diese Überzeugungen in Frage gestellt werden und insbesondere, wenn alternative Geltungsbehauptungen aufgestellt werden und wenn die Frage, was nun eigentlich „wahr“ ist, handlungsrelevant ist, wird der Unterschied zwischen Wissen und „subjektiven Überzeugungen“ auch erlebbar. Ein Beispiel: Man kann als Laie mit einer gewissen naturwissenschaftlichen Grundbildung verstehen, warum CO 2-Emissionen langfristig zu einer Erderwärmung und nicht zu einer Abkühlung führen. Wenn aber Klimawandelleugner/innen (pseudo-)wissenschaftliche Kontra-Argumente präsentieren, wird es schwierig, in der Sache selbst zu begründen, warum das eigene Wissen nicht nur eine subjektive Überzeugung ist. So war es auf dem Weg zu dem heutigen Konsens über den Klimawandel durchaus eine Zeitlang unklar, ob der Anstieg von CO2-Emissionen nicht auch zu einer Abkühlung der Erde führen könnte.15 15 Siehe Fußnote 12.
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Viele pseudowissenschaftliche Theorien und auch die strategisch motivierte Leugnung wissenschaftlicher Ergebnisse umfassen nun genau solche alternativen Geltungsbehauptungen, die auf Begründungen basieren, die man nicht mit den eigenen Erkenntnismöglichkeiten in der Sache überprüfen kann. Aber dies gilt – wie zu zeigen war – eben auch für viele wissenschaftlich gültige Geltungsbehauptungen. Auch diese werden in dem Sinne geglaubt, dass die Gültigkeit ihrer Begründungen nicht aus eigenem Erkenntnisvermögen in der Sache überprüft werden kann. In beiden Fällen sind die Bürger/innen auf die kognitive Arbeitsteilung in der Gesellschaft angewiesen. Insofern gibt es erst einmal in d iesem Sinne keinen Unterschied, es handelt sich in beiden Fällen um subjektive Überzeugungen. Die Bürger/innen sind also bei der Wissenschaft, wie auch bei der Pseudowissenschaft bei vielen Fragen, zu denen eine „wahre“ Antwort für sie wichtig ist, von epistemischen Autoritäten abhängig.16 Sie müssen entscheiden, wem sie vertrauen können, um daraus abzuleiten, welche Geltungsbehauptungen sie für gültig halten können. Der Unterschied z wischen wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen subjektiven Überzeugungen liegt dann allerdings darin, dass die ersteren im Prinzip begründbar sind, dass es also prinzipiell immer möglich ist, Expert/ innen zu finden, die diese Begründungen liefern können und die sich dabei an den jeweils erreichten Stand der epistemischen Kriterien halten. Im Gegensatz dazu können die Expert/innen der Pseudowissenschaften nur Begründungen liefern, bei denen sie die oben skizzierten Strategien (z. B. selektive Datennutzung, inkonsistente Argumente) anwenden oder indem sie sich auf die Deutung von Doktrinen einer obersten Autorität beschränken.
4 Wie gewinnen wir Gewissheit über das, was „wahr“ ist? Auch Pseudowissenschaften akzeptieren die allgemeine soziale Norm, dass man Geltungsbehauptungen begründen muss und dass die Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen in sozialen Interaktionen unerlässlich ist.17 Das gilt nicht nur für die Pseudowissenschafter/innen, sondern auch für Bürger/ 16 F. C. Keil, The Feasibility of Folk Science. In: Cognitive Science 34, 5 (2010), 826 – 862. P. Kitcher, Public Knowledge and Its Discontents. In: Theory and Research in Education 9, 2 (2011), 103 – 124. 17 Siehe Fußnote 7.
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innen, die ihnen glauben.18 Eine Ausnahme ist nur die strategische, z. B. politisch motivierte Wissenschaftsleugnung, die sozusagen wider besseres Wissen vorgenommen wird.19 Aber selbst diese Form der Pseudowissenschaft behauptet, dass sie diese allgemeine Norm anerkennt. Wenn also das Kriterium der „Wahrheit“ für uns selbst und in sozialen Interaktionen wichtig ist, ist die Frage zu stellen: Wie gewinnen wir – in psychologischer Hinsicht – die subjektive Überzeugung, dass eine wissenschaftliche Geltungsbehauptung wahr ist, wenn dies in Frage gestellt wird?20 Nachfolgend unterscheiden wir (sehr vereinfachend) drei Anhaltspunkte der Gewissheit:
4.1 Unmittelbare Erfahrung (Wahrnehmung) und Übereinstimmung mit dem, was wir bereits wissen/glauben. In vielen Alltagskontexten ist die unmittelbare Wahrnehmung der einfachste Weg zur Erzeugung von Gewissheit. Wir sind sicher, dass der Satz „Dieser Text ist in Englisch formuliert worden.“ falsch ist, weil wir das beim Lesen sehen. Das Beispiel zeigt aber auch, dass die Wahrnehmung fast immer wissensgeleitet ist. Wir bewerten nur dann den Satz unmittelbar als falsch, wenn wir wissen, was er bedeutet. Würden wir Englisch für einen Ortsnamen halten, hätte der Satz sofort eine andere Bedeutung. Es gibt zwar Wahrnehmungen, die unmittelbar sensorisch sind (Schmerzreize), aber in unserem Zusammenhang, in dem es um Gewissheit über wissenschaftliche bzw. pseudowissenschaftliche Geltungsbehauptungen geht, ist jede Wahrnehmung immer auch kategorial geordnet durch unser Vorwissen. Vorwissen/Überzeugungen beeinflussen die Feststellung von Gewissheit auch dann, wenn es nicht um die unmittelbare Wahrnehmung eines Phänomens, sondern um die gedankliche Auseinandersetzung mit Geltungsbehauptungen geht. Ob Personen für sie neue Geltungsbehauptungen akzeptieren, hängt in erheblichem Maße davon ab, wie sich 18 E. Metz, S. Weisberg, M. Weisberg, Non-Scientific Criteria for Belief Sustain Counter-Scientific Beliefs. In: Cognitive Science 42, 5 (2018), 1477 – 1503. 19 N. Oreskes, E. Conway, Merchants of Doubt. How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. London 2010. 20 Diese Einschränkung ist wichtig, weil sich im Alltag die Frage nach der Sicherheit unseres Wissens gar nicht stellt, solange es um Wissen geht, das in unserer sozialen Umgebung geteilt wird und das auch nicht in einem Gegensatz zu konkreten, neuen Erfahrungen steht. In unserem Zusammenhang von Wissenschaft und Pseudowissenschaft geht es im Unterschied dazu um abstrakte und zugleich umstrittene Geltungsbehauptungen.
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das Neue zu dem verhält, was man bereits für wahr hält. Dies gilt umso mehr, wenn die angenommene Gültigkeit eigenen Wissens/eigener Überzeugungen auch das eigene Wertesystem oder die eigene Identität betrifft.21
4.2 Erlebtes Verstehen (sense of understanding). Wenn es um komplexe Sachverhalte geht, die man als offen/unklar betrachtet und wenn dann Erklärungen geliefert werden, die als intuitiv passend erlebt werden, dann wird diesen Erklärungen auch eher eine Wahrheit zugeschrieben. Vor allem Kausalerklärungen in Geltungsbehauptungen lösen den subjektiven Eindruck einer Einsicht bzw. eines Verstehenserlebnisses aus. Allerdings dürfen diese Kausalerklärungen nicht zu komplex sein. Der psychologische Effekt dieses „sense of understanding“ auf die subjektive Überzeugung von Wahrheit ist so stark, dass er sogar in der Philosophie als mögliches normatives Kriterium für gute Erklärungen erörtert wurde.22
4.3 Vertrauen in Expert/inn/en. Wie im Abschnitt 3 begründet, können wir den Wahrheitsgehalt vieler wissenschaftlicher und auch pseudowissenschaftlicher Geltungsbehauptungen nur beurteilen, indem wir die Frage „Was ist wahr?“ in die Frage umformulieren „Wem können wir vertrauen?“. Empirische Studien zeigen, dass die Urteile der Vertrauenswürdigkeit der Expert/inn/en, die die Geltungsbehauptungen aufgestellt haben, an Merkmalen auf drei Dimensionen festgemacht werden: dem Können (das umfasst auch die Zuständigkeit), der Integrität (d. h. der Einhaltung von Regeln) und dem Wohlwollen (d. h. der Annahme, dass die Expert/ inn/en auch die Interessen und Ziele desjenigen berücksichtigen, der auf die Wahrheit des Wissens angewiesen ist). Inzwischen gibt es eine umfangreiche psychologische Forschung dazu, unter welchen Umständen Menschen solche Expert/inn/en-Merkmale überhaupt beachten, wenn sie sich Gewissheit über eine Geltungsbehauptung verschaffen wollen. Die Forschung zum „informierten 21 J. N. Druckman, M. McGrath, The Evidence for Motivated Reasoning in Climate Change Preference Formation. In: Nature Climate Change 9, 2 (2019), 111 – 119. 22 J. D. Trout, Scientific Explanation and the Sense of Understanding. In: Philosophy of Science 69, 2 (2002), 212 – 233.
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Vertrauen“ in Wissenschaft haben wir an anderer Stelle dargestellt, sie würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.23 Obwohl gerade dann, wenn es um komplexe wissenschaftliche Geltungsbehauptungen geht, die Suche nach Gewissheit über den Umweg von informierten Vertrauensurteilen am weitesten führen würde, haben wir alle eine intuitive Präferenz für direkte, auf die Sache bezogene Strategien für die Feststellung von Gewissheit. Wir sind „epistemische Individualisten“,24 d. h. wir prüfen eine Geltungsbehauptung erst einmal spontan, ob sie mit unseren bereits bestehenden Überzeugungen und Wissen zusammenpasst und ob sie zu den aktuellen Wahrnehmungen des jeweils relevanten Weltausschnitts passt. Erst wenn es dabei Konflikte gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir nach der Quelle der Geltungsbehauptung fragen und Informationen dazu beziehen, um daraus abzuleiten, ob wir sie als wahr betrachten können.25
5 (Wann) hilft verständliche Wissenschaft gegen Pseudowissenschaft? Was ist ein erfolgversprechender Umgang mit Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung? Eingangs wurde bereits erwähnt, dass die Antworten darauf so vielfältig sind wie die Varianten von Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung. Es gibt jedoch eine Grundidee, die sich in vielen Antworten findet: die Forderung nach besserer Vermittlung von Wissenschaft, nach direkterer Ansprache von Bürger/inne/n, nach zielgruppengerechter Wissenschaftskommunikation, oder, allgemeiner gesagt, nach verständlicher Wissenschaft. Die Idee, dass Bürger/innen von der Gültigkeit einer wissenschaftlichen Geltungsbehauptung überzeugt werden, indem man die Begründungen (die wissenschaftliche Evidenz) möglichst verständlich erläutert, ist deshalb naheliegend, weil sie in Übereinstimmung mit dem im ersten Abschnitt skizzierten Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft steht. Einer der 23 R. Bromme, Informiertes Vertrauen: Eine psychologische Perspektive auf Vertrauen in Wissenschaft. In: M. Jungert, A. Frewer, E. Mayr (Hg.), Wissenschaftsreflexion. Interdisziplinäre Perspektiven zwischen Philosophie und Praxis. Paderborn, im Druck. 24 N. Levy, Due Deference to Denialism, Explaining Ordinary People’s Rejection of Established Scientific Findings. In: Synthese 196, 1 (2019), 313 – 327. 25 R. Bromme, M. Stadtler, L. Scharrer, The provenance of certainty: Multiple source use and the public engagement with science. In: J. L. G. Braasch, I. Bråten, M. T. McCrudden (Hg.), Handbook of multiple source use,). New York (2018), 269 – 284.
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Unterschiede z wischen Pseudowissenschaft und Wissenschaft ist, dass erstere solche Begründungen nicht liefern kann – zumindest nicht nach den epistemischen Kriterien der Wissenschaft. Salopp gesagt, die Idee einer Überzeugung durch eine möglichst umfassende und zugleich verständliche Begründung von Geltungsbehauptungen ist in Übereinstimmung mit dem aufklärerischen Ideal moderner Wissenschaft. Soweit es dabei um Geltungsbehauptungen geht, die gut bewährte wissen schaftliche Ergebnisse betreffen, die also zum kanonisierten Wissen einer Gesellschaft gerechnet werden und die vor allem solche Wissensbestände betreffen, die anschlussfähig an die Alltagserfahrungen sind, ist d ieses Ideal auch zu erreichen. Etwas vereinfachend kann man sagen, dass das Wissen, das in der allgemeinbildenden Schule vermittelt wird, ein Beispiel für diesen Wissensbestand ist. Zwar gibt es natürlich große interindividuelle Unterschiede darin, was Schüler/innen in der Schule tatsächlich an wissenschaftlichem Wissen verstehen. Grundsätzlich ist es aber durchaus so, dass die in der Schule vermittelten Geltungsbehauptungen (z. B. aus den Naturwissenschaften) dort auch hinreichend rational begründet werden können, vorausgesetzt, sie werden gut unterrichtet. Dieses Wissen ist – schon aus didaktischen Gründen – partitioniert und auch vereinfacht, sodass man als einzelner Lerner die Chance hat, den gewählten Wirklichkeitsausschnitt auch in der didaktisch vorgegebenen Tiefe zu verstehen. Bei der Auseinandersetzung mit Pseudowissenschaft und auch mit der systematischen Wissenschaftsleugnung geht es aber oft nicht um derartige kanonisierte Wissensbestände. Bürger/innen interessieren sich aus praktischen Gründen oft für wissenschaftliche Fragen, zu denen die Wissenschaft aktuelle neue Ergebnisse produziert. Diese sind häufig auch innerhalb der Wissen schaft eine Zeitlang umstritten, so lange, bis sich der im ersten Abschnitt erwähnte wissenschaftliche Konsens durchgesetzt hat. Und sie interessieren sich oft für praktische Fragen, für deren wissenschaftliche Beantwortung komplexe Problemstellungen zu bearbeiten sind. Sie sind also, wie im dritten Abschnitt beschrieben, aufgrund der kognitiven Arbeitsteilung auf die epistemische Autorität von Experten angewiesen. Erste Folgerung für das Ziel Verständlichkeit: Für den Umgang mit der kognitiven Arbeitsteilung sollten Bürger/innen bei ihren Urteilen zu der Frage, wem sie vertrauen können, unterstützt werden. Das bedeutet, dass es darum gehen muss, ein informiertes Urteil darüber zu unterstützen, wer eine vertrauens würdige epistemische Autorität ist. Dazu gehört z. B. eine verständliche Vermittlung von Wissen darüber, wie das Wissenschaftssystem selbst die Qualität
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von wissenschaftlichen Geltungsbehauptungen feststellt. Wissenschaftskommunikation sollte also in verständlicher Weise erklären, wie Wissenschaft arbeitet. Damit ist aber nicht nur gemeint, dass man wissenschaftliche Methoden vermitteln sollte. Diese sind oft ähnlich komplex und entfernt von der Alltagserfahrung wie die Ergebnisse, die mit ihnen erzielt werden. Gemeint ist vielmehr eine verständliche Erzählung darüber, wie das Wissenschaftssystem selbst zu diskursiven Gewissheitsurteilen kommt und auch auf welcher Grundlage wissenschaftliche Reputation entsteht. Das umfasst natürlich auch eine kritische Auseinandersetzung mit Fällen von Irrtum und von Betrug sowie mit der Rolle des wissenschaftlichen Konsenses. Zweite Folgerung für das Ziel Verständlichkeit: Der im zweiten Abschnitt beschriebene Sachverhalt, dass es sich bei dem Wissenschaftsverständnis von Laien bei komplexen Themen und besonders bezüglich der Begründungen im psychologischen Sinne eher um Überzeugungen als um Wissen handelt, impliziert auch, dass man in der Wissenschaftskommunikation ehrlich über die Grenzen des rationalen Überzeugens in der Sache sprechen sollte. Während die Begründung einer Geltungsbehauptung durch Verweis auf eine Autorität ein logischer Fehler im Sinne der Aussagenlogik ist, ist sie im Kontext der Wissen schaftskommunikation für Laien durchaus legitim.26 Dritte Folgerung für das Ziel Verständlichkeit: Der Wunsch nach verständlicher Wissenschaft wird oft konkretisiert durch die Forderung nach Vermittlungsformen, die beiden oben skizzierten psychologischen Grundlagen subjektiven Gewissheitserlebens angepasst sind. Wissenschaft wird in d iesem Sinne dann verständlich vermittelt, wenn sie an das bereits vorliegende Wissen und die bereits vorliegenden Überzeugungen anschließt. Und sie wird dann überzeugend, wenn es gelingt, ein „sense of understanding“ Erlebnis bei den Bürger/inne/n zu fördern. Den Vertretern von Pseudowissenschaften gelingt das oft sehr gut. So ist z. B. die Akzeptanz von pseudowissenschaftlichen Überzeugungen mit einer Tendenz zur Projektion von Kausalbeziehungen, auch dort wo es keine gibt, korreliert.27 Das subjektive Erkennen von Kausalbeziehungen erzeugt wieder ein „sense of understanding“. Wissenschaft bietet oft jedoch nur Wissen, das weder auf unmittelbarer Erfahrung beruht noch sich direkt mit dem Alltagsverständnis der Welt verknüpfen lässt. Das gilt besonders für die 26 Siehe Fußnote 9. 27 M. N. Torres, I. Barberia, J. Rodríguez-Ferreiro, Causal illusion as a cognitive basis of pseudoscientific beliefs. In: British Journal of Psychology, Februar 2020 online, Doi: 10.1111/ bjop.12441.
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wissenschaftliche Evidenz, mit der Geltungsbehauptungen begründet werden. Oben wurde bereits der Klimawandel angeführt. Während die grundlegenden Mechanismen der Erderwärmung sich metaphorisch auf Alltagserfahrungen beziehen lassen (Gewächshaus-Metapher), basiert die wissenschaftliche Evidenz auf komplexen mathematischen Modellen, in die chemische, physikalische und meteorologische Daten eingehen, die ihrerseits oft nur mit Methoden erfasst werden, die ebenfalls wenig Bezüge zu der sinnlichen Erfahrung der gemessenen Phänomene haben. Dass wissenschaftliche Modellbildung und Alltagserfahrungen teilweise weit auseinanderliegen, darf nicht als vermittlungsmethodisches Problem missverstanden werden.28 Es muss vielmehr in der Wissenschaftskommunikation selbst thematisiert werden. Die Diskreditierung dieser Grenzen des Verständnisses von Wissenschaft gehört auch zu den Rechtfertigungstechniken von Pseudowissenschaft.7 Eine Variante der Wissenschaftsleugnung besteht darin, der Wissenschaft ihren abstrakten Charakter und ihren Abstand von der Alltagserfahrung vorzuwerfen und im Kontrast dazu auf die eigene, sinnliche Erfahrung zu verweisen. Daraus folgt: Die Verständlichkeit der Wissenschaft wird nur dann zu einem wirksamen Mittel gegen Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung, wenn man zugleich über ihre Grenzen spricht.
28 L. Wolpert, The unnatural nature of science. Cambridge, MA 1992.
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Pseudo-Wissenschaften als Symptom Die Frage nach Wissenschaft oder Aberglauben ist eigentlich eine Frage nach zwei Wissensformen: eine, die den Standards wissenschaftlicher Qualität wie Überprüfbarkeit, Falsifizierbarkeit, nachvollziehbarer Argumentation, Anschluss an bestätigtes Wissen etc. entspricht – und eine, die nur vorgibt, dies zu tun. „Aberglauben“ wäre also Pseudo- oder Para-Wissenschaft, etwas, das so aussehen will wie Wissenschaft, aber keine ist. Pseudo-Wissenschaft ist ein System von Aussagen, das wissenschaftliche Sprache benutzt, logisches Schließen vorschützt, auf einen Theorierahmen verweisen kann und nicht selten den Anspruch erhebt, humaner, ganzheitlicher, natürlicher oder spiritueller zu sein als die Schulwissenschaft. Gemeinsam ist ihnen jedoch der Anspruch, Wissenschaft zu sein. Nicht selten gerieren sich die Pseudo-Wissenschaften dabei sogar als die „bessere“ Wissenschaft, sie kleiden sich in umfangreiche Theoriegebäude (wie die Astrologie), verweisen auf ihre Wirksamkeit in der Anwendung (wie die Homöopathie) oder gerieren sich als kritische Geister gegen eine angebliche Verschwörung im Wissenschaftsbetrieb (von den Impfgegnern bis zu den Klima skeptikern). Insgesamt erscheinen sie damit oft prägnanter als die richtigen Wissenschaften, klarer, einfacher, einleuchtender. Natürlich kann man sich fragen, wie die Abgrenzung zur Pseudo-Wissenschaft gelingt und w elche Kriterien „echte“ Wissenschaft erfüllen muss. Neben wissen schaftsinternen Verfahren der Qualitätssicherung kann man dabei auch auf die nicht selten emotionalen, ideologischen oder auch politischen Intentionen verweisen, die Pseudo-Wissenschaften antreiben: sei es der Wunsch nach einer „ganzheitlicheren“ oder „natürlicheren“ Medizin, sei es der Versuch, eine andere Sprache für psychologische oder spirituelle Belange zu finden (wie etwa in der Astrologie oder vielen Formen der Esoterik), oder sei es eine politisch angetriebene Form der Wissenschaftsskepsis wie bei Impfgegnern oder Klimawandel-Leugnern. Auch hier steht oft unausgesprochen eine Vorstellung von Einfachheit im Raum: „gute“ Wissenschaft sollte verständlich, natürlich, mit den Sinnen nachvollziehbar sein. Dass sie das oft nicht ist, wird dann als Argument gegen sie ins Feld geführt.
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Gegen die Pseudo-Wissenschaften spricht nicht nur ihre interne mangelnde epistemische Qualität (sie sind in sich inkonsistent, zirkelschlüssig und nicht belegbar). Häufig lässt sich auch zeigen, dass sie von externen Motivationen getrieben sind, von Ideologien, politischen Agenden oder spirituellen Weltbildern. Echte Wissenschaft, so scheint umgekehrt zu gelten, soll sich aus dem politischen Betrieb heraushalten, muss hochspezialisiert (also nicht holistisch) sein und darf nur ihren eigenen, internen Logiken folgen. Dabei erleben wir gerade, dass ein solches Verständnis von „reiner“ Wissenschaft zunehmend problematisch wird. Die Geologie – notorisch a-politisch und konzentriert auf die tiefe Vergangenheit – erlebt es gerade, dass sie zu dem Fach wurde, das die Faktenbasis für das höchst aktuelle und nicht minder politische Konzept „Anthropozän“ überprüfen soll. Während eine hochkarätige Arbeitsgruppe (die Anthropocene Working Group unter dem renommierten britischen Geologen Jan Zalasiewicz) dabei ist, die Spuren des Menschen in den geologischen Schichten der Erde zu erforschen, ätzen einige ihrer Kollegen, damit verfalle das Fach nun leider der „Popkultur“ und den kurzleben politischen Agenden. Im Selbstverständnis der Geologen, so scheint es, ist aktuelle Relevanz ein Sündenfall. Andere Fächer – insbesondere die Naturwissenschaften – sind kaum weniger aktualitätsabstinent. Pseudo-Wissenschaften oder pseudo-wissenschaftliche Wissenschaftskritik (wie etwa bei Impfgegnern) verweisen damit gerade auf die Kehrseite dieser Abstinenz an Gegenwartsbezug: Gegen ihren Willen und ihr Selbstverständnis wird Wissenschaft hier plötzlich politisiert oder ideologisiert. Implizit kritisieren die Pseudo-Wissenschaften die Abstraktheit, Spezialisierung oder Unverständlichkeit des seriösen Wissenschaftsbetriebs – und treffen damit leider einen Punkt. Denn so abstrus ihre Vorschläge, Theorien, Daten und Therapieansätze im Einzelnen sein mögen, so verweisen Pseudo-Wissenschaften doch, als Symp tom, auf ein inhärentes Manko der Wissenschaft selbst. Sie droht, sich in der Kompliziertheit ihrer Theorien, der Abstraktheit ihrer Daten, der Spezialisierung ihrer Fachgebiete, der Unverständlichkeit ihres Jargons und der Lebensferne vieler ihrer Forschungsergebnisse selbst gesellschaftlich unsichtbar zu machen. Dringlicher als die Frage nach einer Abgrenzbarkeit zwischen guter Wissenschaft und fragwürdigen Pseudo-Wissenschaften erscheint mir damit eigentlich eine ganz andere Frage: die nach der Irrelevanz der Wissenschaft. Einerseits nehmen die Anstrengungen der Hochschulen, Forschungsergebnisse einem breiten Publikum zu vermitteln, immer weiter zu. Wissenschaftern wird die „Third Mission“ nahegelegt, Wissenschaftssendungen florieren, Lange Nächte der Wissenschaft werden gut besucht – wenngleich vor allem von Familien mit
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Kindern. Andererseits aber hat die Autorität von Wissenschaftern als Experten sowohl in der öffentlichen Meinung als auch in der Politik in der letzten Zeit dramatisch abgenommen. Medienformate sind immer weniger geeignet, etwas kompliziertere wissenschaftliche Sachverhalte adäquat zu vermitteln, 30 oder 90 Sekunden sind oft das Maximum an Redezeit. Der plötzliche Rummel um den Klimawandel – so notwendig und begrüßenswert er ist – zeigt vor allem das unglaubliche Kommunikationsdefizit der Wissenschaften. Seit 30 Jahren liegen robuste Forschungsergebnisse zum anthro pogenen Klimawandel vor, seit etwa 20 Jahren wird immer mal wieder medial über den Zusammenhang z wischen Treibhausgasen und globaler Erwärmung berichtet. Es ist durchaus nicht so, dass die vielbeschworenen „einfachen Menschen“ ohne wissenschaftliche Spezialausbildung nicht wüssten, was CO2 ist. Seit ebenfalls etwa 20 Jahren gibt es auch – begleitend zur seriösen Klimaforschung und den immer besorgniserregenderen Sachstandsberichten des IPCC – einen pseudo-wissenschaftlichen Diskurs der Klimaskeptiker, der deren Ergebnisse anzuzweifeln und zu relativieren suchte. Das ist sicher ein schönes Beispiel für die Gefährlichkeit der Pseudo-Wissenschaften. Dem Ansehen der Klimawissenschaft hat es nicht geschadet, 2007 erhielten der IPCC und der Klima aktivist Al Gore den Friedensnobelpreis. Aber beeindruckt hat das niemanden, so scheint es. Vielmehr brauchte es weitere 11 Jahre und die mediale Schlagkraft der Schülerin Greta Thunberg, um den Klimawandel endlich ins öffentliche Bewußtsein zu heben. Man kann auch sagen: Wissenschaftskommunikation scheint nur noch stattzufinden, wenn ihre Aussagen auf das Verständnis von Vierzehnjährigen heruntergekocht werden. So dankbar man Fridays for Future und Greta Thunberg sein muss, so lamentabel ist diese Tatsache eigentlich für den Stand und die Autorität von Wissenschaft in der Gesellschaft. Es zeigt ihre Unfähigkeit, laut und deutlich ihr Wissen zu kommunizieren.
Die Kultur des Postfaktischen Wissenschaftliches Wissen, so scheint es, ist in der Politik kaum mehr relevant. Experten werden angehört, aber es wird kaum mehr zugehört. So bedurfte es beispielsweise für die US -Regierung keiner Argumente aus der klimaskeptischen Pseudo-Wissenschaft mehr, um sich aus dem COP 21-Abkommen von Paris 2015 zurückzuziehen oder die Regulationen der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA radikal zu lockern. Und das ist nicht nur ein Problem der Trump-Administration. Man macht sich nicht mal mehr die Mühe, mit
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Wissenschaftern zu diskutieren. 2015 schrieb der Politikberater Oliver Geden in Nature über die trostlose Lage von wissenschaftlicher Politikberatung: Es werden von Politikern nur noch bestimmte Zielvorstellungen abgefragt. Wer diese in Frage stellt oder ihre Machbarkeit negiert, wird ignoriert. Die Wahl für die Wissenschafter liegt z wischen Pragmatismus und Unsichtbarkeit – was sie zu sagen haben, dringt nicht mehr durch. Damit zeigt sich eine gänzlich andere Attitüde als die der Pseudo-Wissenschaften, die sich ja immerhin noch bemühen, die Spielregeln wissenschaft licher Faktenproduktion wenigstens zu simulieren. Seit einigen Jahren bewegen wir uns in einer Wissenskultur, die zunehmend keinen Wert mehr auf belastbare Fakten, wissenschaftlich untermauertes Wissen oder Korrektheit von Aussagen mehr legt. „Postfaktisch“ wird das neuerdings genannt, aber schon 2005 traf der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt mit seinem Buch On Bullshit einen Nerv: Bullshit ist eine Form der Rede, die nicht lügt oder polemisiert, sondern sich um den Wahrheitsgehalt der eigenen Aussagen einfach nicht mehr schert. Die aktuelle Variante davon ist, sich nicht mehr nach dem Wahrheitsgehalt von Wissenspartikeln, die man aufnimmt oder weitergibt, zu fragen, sondern sie eher aufgrund ihres Aufregungspotentials zu kommunizieren. „Fake news“, „alternative Fakten“, Verschwörungstheorien und viele andere Versionen post-faktischer Kommunikation haben damit nicht nur die Autorität wissenschaftlicher Expertise unterminiert. Sie übertönen auch das leise, oft sehr abstrakt und komplex daherkommende wissenschaftliche Wissen mit einer Kakophonie aus eigner Meinung, Hörensagen, Facebook-Gerüchten oder halbgarer Besserwisserei. In Diskussionen wirkt das oft toxischer als jede Pseudo-Wissenschaft, die ja immerhin noch versucht, „bessere“ Wissenschaft anzubieten. Postfaktisch wird nicht mehr argumentiert und gestritten, sondern einfach nicht mehr zugehört. Die Frage ist, was Wissenschaft in dieser Situation tun kann. Wissenschaftliche Abstinenz von Politik, gesellschaftlicher Relevanz und Gegenwartsbezug ist sicherlich keine Lösung, auch wenn sie lange als Garantie einer Freiheit der Wissenschaften verstanden wurde. Diese Abstinenz prägt vor allem die Fachkultur der Naturwissenschaften; die Geistes- und Sozialwissenschaften (jedenfalls viele von ihnen) verstehen sich in einem sehr viel höheren Maße auch als Reflexion auf aktuelle kulturelle und gesellschaftliche Anliegen und Probleme. Und selbst die Naturwissenschafter lernen langsam, dass sie, auch wenn sie sich sorgsam aus dem Gemenge gesellschaftspolitischer Debatten heraushalten, doch in sie hineingezogen werden, sei es nun bei der Klimawissenschaft, der Gentechnik, der Künstlichen Intelligenz, oder – wie jüngst – beim Vorschlag,
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die Gegenwart zum „Anthropozän“, zum Zeitalter des Menschen umzubenennen. Umständlich und gelehrt, aber neuerdings von einer gewissen Hipness, bietet gerade dieser sperrige Begriff auch eine Chance für eine Transformation der Wissenschaften und des Wissenschaftsbetriebs. Denn er bringt einen ökologischen Krisenbefund auf den Punkt, der zugleich von höchster Aktualität ist und die Wissenschaften fast aller Disziplinen auffordert, zu diesem Befund Stellung zu beziehen. Das Bewußtsein, sich in einer massiven ökologischen (und ökonomischen) Krise zu befinden, die das gesamte Erdsystem, aber auch die Lebensbedingungen von Menschen und nicht-menschlichen Organismen auf dem Globus tiefgreifend transformiert, kann nicht allein ein Weckruf für Politik und Bürgerbewegungen bleiben, sondern kann auch als Impuls für die Wissenschaften selbst genutzt werden.
Wissen im Anthropozän Der Befund des Anthropozäns – die genaue Vermessung und das Verständnis der weltweiten ökologischen Veränderungen – ist ein dringlicher, aber auch faszinierender Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Kurz gesagt, geht es dabei um wesentlich mehr als um den derzeit prominenten Klimawandel: um die Störung wichtiger Stoffkreisläufe, um Landgebrauch, Toxine, das Ozonloch, die Veränderung der Chemie der Meere, die Migration und das Verschwinden von Arten, die Transformation von Landschaften und Klimazonen, aber auch um soziale Aspekte wie Ernährung, Konsumverhalten, Mobilität, die Entwicklung der Städte, neue Formen sozialer Kooperation und Zusammenlebens und deren digitaler Kommunikations- und Koordinationsaufgaben. Nicht zuletzt gibt es neue geisteswissenschaftliche Fragen, die sich damit aufwerfen: die nach einer Form der Geschichtsschreibung, die nicht nur Soziales aus Sozialem, Kulturelles aus der Kultur heraus erklärt, sondern kulturelle Prozesse z. B. auf ihre ökologischen und materiellen Voraussetzungen hin untersucht. Nach einer Geschichte des Wissens, die die epistemischen Grundlagen des Anthropozäns beleuchtet. Auf welchen Formen der Energieproduktion beruhen eigentlich die Prozesse der Moderne, w elche Ressourcen werden dafür nötig? Was wäre eine Form von Geschichte, die Menschen- und Naturgeschichte nicht sorgfältig trennt, sondern zur Konvergenz bringt? Welche ethischen und politischen Fragen eröffnen sich aus Problemen, die nicht mehr auf individueller, aber auch nicht auf der Ebene von Nationen gelöst werden können? Welche anthropologischen Einsichten ergeben sich aus dem Begriff des Anthropozäns?
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Klar ist, dass es hier nicht nur um den ökologischen Umbau unserer Gesellschaften, unserer Wirtschaftsformen und unseres Lebensstils geht. Es geht auch um die Transformation der Wissenschaften und des Wissenschaftsbetriebs selbst – und zwar nicht einfach hin zu mehr Gegenwartsbezug. Die europäischen Universitäten haben sich in den letzten Jahrzehnten in einer gefährlichen Weise aufgespalten: Auf der einen Seite werden sie immer mehr zu Massenausbildungsstätten, die möglichst große Mengen von immer schlechter vorgebildeten Schülern möglichst schnell und verschult zu irgendeinem Diplom bringen sollen; auf der anderen Seite werden in der Forschungsförderung zunehmend Ausdifferenzierung und die Wahl möglichst spezialisierter Forschungsgegenstände favorisiert. Es profitieren hiervon die kleinen Fächer und hohen Spezia lisierungen, es entstehen Forschungsbiotope, deren Jargon und Forschungsergebnisse kaum mehr einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln sind. Was einst den Glamour der Universitäten ausmachte – nämlich charismatische Intellektuelle, die Stellung nahmen zur „geistigen Situation der Zeit“ (Jaspers) – weicht zunehmend einer trostlosen Aufgabenteilung zwischen populären Fernsehplauderern à la Richard David Precht und soliden, aber blassen Spezialist/ inn/en für dieses oder jenes, die kaum aus ihrem Fachjargon herausfinden. Die massive Förderung von Spezialisierung und die Vereinzelung von Fächern und Gegenständen haben auch den Dialog zwischen den einzelnen Disziplinen unterbunden. Lange Zeit gab es praktisch keine Kommunikation zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: Geisteswissenschafter/innen hielten Naturwissenschafter/innen für unintellektuelle Nerds, Naturwissenschafter/ innen Geisteswissenschafter/innen für verquaste Schwätzer. So beschränkte sich die oft geforderte, aber kaum je stattfindende „Interdisziplinarität“ auf die höflich-gelangweilten gegenseitige Präsentation von Forschungsprojekten, die den jeweils anderen Fächern entweder unverständlich oder absurd vorkamen. Oder sie bedeutete, dass Vertreter/innen sehr unterschiedlicher Herangehensweisen sich an einem gemeinsamen Gegenstand der Unterschiedlichkeit ihrer Herangehensweisen versicherten. Ein Dialog war das nicht. Genau dies ändert sich aber gerade. Ausgerechnet die doppelte Krise – die globale ökologische Krise, aber auch die Krise der Autorität von Wissenschaft – scheint die Kraft zu haben, die Wissenschaft sowohl nach außen wie nach innen tiefgreifend zu verändern. So sind es gerade Fragestellungen im Umkreis des Anthropozäns, angesichts deren es neuerdings immer öfter gelingt, einen echten Dialog zwischen den Fächern zu initiieren. Das Stichwort dafür ist nicht mehr die altbackene „Interdisziplinarität“, sondern Multidisziplinarität (so der Vorschlag von Julia Adeney Thomas) – die Möglichkeit, unter Beibehaltung
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der jeweiligen Fachperspektive nicht nur Forschungsergebnisse auszutauschen, sondern vor allem an gemeinsamen Fragestellungen zu arbeiten und sich einer gemeinsamen Realität von verschiedenen Seiten zu nähern.
Matters of fact – matters of concern Das bedeutet aber auch, das hergebrachte Selbstverständnis der unterschied lichen Wissenskulturen aufzubrechen – und zwar sowohl auf Seiten der G eistesund Sozialwissenschaften wie der der Naturwissenschaften. Geistes- und Sozialwissenschaften, gelegentlich auch die „Wissenschaften vom Menschen“ genannt, beschäftigen sich mit dem, was Menschen herstellen: kulturelle Sinnsysteme, soziale Ordnungen, Wissen, Machtstrukturen etc. Sie sind in d iesem Sinne immer schon „politisch“, weil sie diese Ordnungen nicht nur interpretieren, sondern damit auch Kritik an ihnen üben. Sie beschäftigen sich, wie Bruno Latour das ausgedrückt hat, mit „matters of concern“, gesellschaftlich strittigen Problemen – und sie liefern Material in diesem Streit. Umgekehrt beziehen sich die Naturwissenschaften in ihrem Selbstverständnis auf einen Gegenstand, der nicht vom Menschen gemacht ist, sondern am besten ohne dessen Intervention betrachtet wird: Natur und ihre Gesetze. Naturwissenschaft mag die epistemologische Basis für Eingriffe in diese Natur herstellen – aber seit der Neuzeit versteht sie sich vor allem als neutrale Beobachterin der Welt, ihr Produkt sind „matters of fact“, Fakten, die als s olche nicht diskutiert werden können. Daher auch das dezidiert unpolitische Selbstverständnis der Naturwissenschaften. Nun, da der Mensch sich selbst als Naturgewalt verstehen muss, sind diese traditionellen Selbstverständnisse nicht mehr haltbar. Naturwissenschafter/innen müssen sich selbst auch als „politische“ Wissenschafter/innen verstehen, als Interventionen in eine gesellschaftliche Debatte. Die Klimawissenschaften haben das in den letzten 20 Jahren schmerzhaft erfahren, als ihre Forschungsergebnisse plötzlich von selbsternannten Klima-Skeptikern in Frage gestellt wurden. Seither ist jeder IPCC-Bericht ein Politikum. Die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen umgekehrt anfangen, sich nicht nur mit kulturellen Konstruktionen, sondern auch mit den materiellen und ökologischen Grundlagen von Kultur und Gesellschaft zu befassen. In den Environmental Humanities geschieht das schon, aber immer noch in sehr zeitlich und lokal begrenzten Perspektiven. Statt sich mit historischen und philologischen Einzelbeobachtungen zu begnügen, brauchen die Geisteswissenschaften „the bigger picture“: Etwa eine
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Geschichtsschreibung, die die kurzen Zeiträume menschlichen Handelns in die viel längeren Kontexte einer Geschichte der Landschaften, der Ökosysteme und des Klimas stellt. Oder Kulturanalysen, die nicht immer nur auf die jeweilige Region und ihre Spezifik begrenzt sind, sondern die Verwobenheit des Lokalen mit dem Globalen in Rechnung stellen und erklären können, warum bestimmte kulturhistorische Prozesse – wie zum Beispiel die Sesshaftwerdung und Entwicklung von frühen Städten – in den verschiedensten Weltregionen ähnlich abgelaufen sind. Die großen begrifflichen Keulen, die von Sozial- und Geisteswissenschaftern gern geschwungen werden, wie etwa „der Kapitalismus“, „das Westliche Denken“ oder „die Moderne“, sind dabei kaum hilfreich.
Deutlich werden Vor allem aber müssen die Fächer miteinander ins Gespräch kommen. Im gemeinsamen Interesse an der erdgeschichtlichen Epoche des Anthropozäns funktioniert das auf eine für mich bislang völlig ungewohnte Weise. Plötzlich interessieren sich Geologen oder Biologen für die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, die ich mache; plötzlich lese ich mit Faszination die Aufsätze von Stratigraphen oder Erdsystemwissenschaftern. Voraussetzung ist dabei nicht nur der gegenseitige Respekt vor den jeweils anderen Methoden, Begrifflichkeiten und Forschungskulturen – und natürlich ein echtes Interesse an deren Forschungsergebnissen. Voraussetzung ist vor allem auch eine Offenheit für die Entwicklung neuer, gemeinsamer Fragestellungen oder Begrifflichkeiten. Das heißt auch, aus dem jeweiligen fachlichen Jargon auszubrechen und Dinge so zu erklären, dass sie auch von fachfremden Kollegen nachvollzogen werden können. Nicht zuletzt heißt es, dass die Forschungsfelder selbst fluider werden müssen und sich ihre Fragestellungen auf bislang ungewöhnliche Gegenstände oder auch Vorgehensweisen hin öffnen. Ein Dialog z wischen den Fächern hätte nicht nur tiefgreifende Folgen für den Wissenschaftsbetrieb und ein ungeheures Innovationspotential. Er könnte auch helfen, gesellschaftliche Relevanz wiederzugewinnen. Die derzeit intensiv geförderte Spezialisierung von Disziplinen und Themen sollte deshalb unbedingt überdacht werden – oder zumindest gegengewichtet mit einer Vermittlung von theoretischer Reflexion, eben jenes „bigger picture“ einfordert, in dem das kleine Einzelergebnis in einen größeren Sinnzusammenhang eingebunden wird. Es muss immer wieder möglich sein zu fragen, was ein einzelnes Forschungsergebnis zu den größeren Perspektiven eines Fachs
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beiträgt, wie es unseren Blick auf die Welt ändert. Früher nannte man das „Theorie“ – und sie ist zu Unrecht mittlerweile in den Ruf bloß abstrakter Begriffszauberei geraten. Theorie ist die Frage nach dem größeren Rahmen, der Relevanz einer Forschungsfragestellung. Und es braucht Vermittler/innen für dieses „bigger picture“: Intellektuelle, nicht Fachvertreter/innen; Personen, die aus der Perspektive ihres Expertenwissens heraus größere Perspektiven entwerfen, Fragen aufwerfen, Wissen vermitteln, Debatten anzetteln. Diese Spezies der öffentlichen Denker/innen ist zumindest im deutschsprachigen Raum extrem rar geworden. Wir überlassen die Repräsentation von Wissenschaft im öffentlichen Raum zu oft fernsehaffinen Dampfplauderern mit Uni-Abschluss oder professionellen Polemikern. Wo sind die seriösen Wissenschafter/innen, die sich der Pein unterziehen, ihr Wissen in 90 Sekunden-Formaten zu präsentieren oder zu twittern, die öffentliche Debatten anzetteln, oder auch Bücher schreiben, die von mehr als 300 Leuten gelesen werden? (Überhaupt: Welche/r seriöse Forscher/in schreibt heute noch Bücher?!) Es gibt sie – dank Harald Lesch, Verena Winiwarter, John Schellnhuber, Konrad Paul Liessmann, Peter Sloterdijk, Stefan Rahmstorf, Helga Kromp-Kolb und einigen anderen. Aber wir brauchen definitiv mehr davon. Wissenschaft muss ihre Kommunikationsstrategien ändern, intern und extern. Sie muss deutlicher werden. Dazu ist es wichtig, sich von allen Varianten jenes Jargons zu verabschieden, der schon jungen Studierenden als Eintrittsbillet in die wunderbare Welt der Wissenschaften vermittelt wird. Haben die Naturwissenschaften ihr für den Laien arkanes Fachvokabular, so haben nicht wenige Geistes- und Sozialwissenschaften für sich ein grausiges Wissenschaftsdeutsch (Nominalstil, Passivkonstruktionen, lange Hypotaxen, Abstraktheit, bizarre Begriffsmonster), das nicht nur stilistisch furchtbar unelegant ist, sondern auch das Verständnis erheblich erschwert. Fachjargon bewirkt, dass eigentlich einfache und klare Sachverhalte kompliziert und uneinleuchtend daherkommen. Die schöne Kunst zu erzählen, zuzuspitzen, eine prägnante Metapher zu finden, fehlt den allermeisten Wissenschafter/innen und wird – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – auch nicht im Verlauf des Studiums vermittelt. Hier gibt es einiges zu tun. Sicher wird Wissenschaft es nicht im Alleingang schaffen, die postfaktische Gleichgültigkeit gegenüber Wissen und Expertentum zu überwinden. Aber sie kann aus ihrer disziplinären Zersplitterung herauskommen und die Dinge angehen, die uns alle betreffen – Wissenschafter/innen wie Nicht-Wissenschafter/ innen. Wissenschaft muss deutlich werden. Erst wenn sie deutlich ist, kann sie überhaupt gehört werden.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Dr. Florian Aigner
Physiker und Wissenschaftsredakteur an der Technischen Universität Wien [email protected]
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftspublizist und lebt in Wien. Er stammt aus Freistadt in Oberösterreich; an der Technischen Universität Wien studierte er Physik. Im Jahr 2010 promovierte er an der TU Wien über Quantentheorie. Parallel zu seiner wissenschaftlichen Arbeit begann Florian Aigner, als Wissenschaftspublizist zu arbeiten – in Tageszeitungen, Blogs und im Online-Magazin CHiLLi.cc. Seit 2010 arbeitet er an der TU Wien als Wissenschaftsredakteur, an der Schnittstelle zwischen Forschung und Journalismus. Parallel dazu schrieb er als freier Journalist für verschiedene Medien, darunter Profil, Der Standard und Addendum. Für das Technologie-Onlinemagazin „Futurezone“ schreibt er seit 2013 die Kolumne „Wissenschaft und Blödsinn“, in der er Themen rund um Wissenschaft, Pseudowissenschaft und Esoterik aufgreift. Seit Anfang 2019 erscheint diese Kolumne auch in der Tageszeitung „Kurier“. 2014 wurde Aigner mit dem Förderpreis für Volksbildung der Stadt Wien ausgezeichnet. 2017 erschien sein Buch „Der Zufall, das Universum und du“ (Brandstätter Verlag), das als „Wissenschaftsbuch des Jahres“ (eine Auszeichnung des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung) prämiert wurde.
Univ.-Prof. Ddr. Ulrich Berger
Professor für Analytische Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien [email protected] Geboren 1970 in Steyr, aufgewachsen in Wien und Klagenfurt. 1995 Mag. in Mathematik an der Uni Wien, 1998 Dr. in Mathematik an der Uni Wien, 1996 – 1998 Assistent an der Uni Wien, 1998 – 2005 Assistent am Department Volkswirtschaft der WU Wien, 2004 Dr. in Volkswirtschaft an der WU Wien, 2006 Habilitation, Forschungsaufenthalte in Harvard und der LMU München, seit 2011 Professor für Volkswirtschaft an der WU Wien, Forschung zur evolutionären und verhaltensorientierten Spieltheorie. Seit 2005 Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP, „Skeptiker“), seit 2007 Mitglied des Wissenschaftsbeirats der GWUP, seit 2010 Präsident der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD, „Wiener Skeptiker“). 5 wichtige Publikationen („skeptische“, nicht akademische) Akademische Globulisierung. profil wissen, 19. 03. 2014 Lobbyisten des Humbugs. Der Standard, 05. 11. 2012 Gestörte Entstörung. Laborjournal 5 – 2010, 52 – 53, 19. 05. 2010 Quantenmystik und Biokram. Der Standard, 27. 07. 2007 Bizarre Forschungsblüten. Der Standard, 13. 06. 2007
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Univ.-Prof. Dr. Rainer Bromme
Professor für Pädagogische Psychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU ) Münster bromme@uni-muenster.de
Rainer Bromme war seit 1995 Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Münster und ist seit dem 1. 4. 2017 dort als Seniorprofessor tätig. Nach dem Studium der Psychologie in Münster arbeitete er von 1976 bis 1992 am Institut für Didaktik der Mathematik der Universität Bielefeld (einem Forschungsinstitut für Fragen der Mathematikdidaktik). Promotion (1979), Habilitation (1989) mit der Schrift „Der Lehrer als Experte“. Er lehrte als Professor für Pädagogische Psychologie von 1992 bis 1995 an der Universität Frankfurt. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte betreffen die Wissenschaftskommunikation, insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften, die Kommunikation zwischen Experten und Laien und Fragen der Evidenzbasierung pädagogischer und psychologischer Praxis. Von 2009 bis 2015 war er Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunktprogramms Wissenschaft und Öffentlichkeit: Das Verständnis fragiler und konfligierender Evidenz (www.scienceandthepublic.de). Er ist Mitantragsteller in dem DFG Graduiertenkolleg Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt (www.uni-muenster. de/GK-Vertrauen-Kommunikation) an der Universität Münster. Weitere Informationen über Forschungsprojekte, Publikationen und sonstige Tätigkeiten, siehe http://www.uni-muenster.de/PsyIFP/AEBromme/personen/bromme.html Fünf wichtige Publikationen Bromme, R. & Beelmann, A. (2018). Transfer entails communication: The public understanding of (social) science as a stage and a play for implementing evidence based prevention knowledge and programs. Prevention Science, 19(3), 347 – 357. Doi: 10.1007/s11121 – 016 – 0686. Bromme, R., Stadtler, M., & Scharrer, L. (2018). The provenance of certainty: Multiple source use and the public engagement with science. In: J. L. G. Braasch, I. Bråten, & M. T. McCrudden (Eds.), Handbook of multiple source use (pp.269 – 284). New York, NY: Routledge. Scharrer, L., Rupieper, Y., Stadtler, M., & Bromme, R. (2017). When science becomes too easy: Science popularization inclines laypeople to underrate their dependence on experts. Public Understanding of Science, 26(8), 1003 – 1018. Doi: 10.1177/0963662516680311. Hendriks, F., Kienhues, D., & Bromme, R. (2016). Trust in science and the science of trust. In: B. Blöbaum (Ed.). Trust and Communication in a Digitalized World. Models and Concepts of Trust Research (pp. 143 – 159). Berlin: Springer. Bromme, R. & Kienhues, D. (2014). Wissenschaftsverständnis und Wissenschaftskommunikation. In T. Seidel & A. Krapp (Hrsg.). Pädagogische Psychologie (6. Auflage) (S. 55 – 81). Weinheim: Beltz.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Univ.-Prof. Dr. Peter Brugger
Professor für Neuropsychologie, Leiter der neuropsychologischen Abteilung am Rehabilitationszentrum Valens Peter.Brugger@kliniken-valens.ch
Ursprünglich Grundschullehrer, entschloss sich Peter Brugger dazu, Biologie und Psychologie zu studieren. Letztlich geschah dies aus der Motivation heraus, Phänomene wie Telepathie und Hellsehen wissenschaftlich erforschen und erklären zu können. Während des Studiums erkannte Brugger jedoch, dass diese Phänomene kognitive Illusionen darstellen und dass die Erforschung des Glaubens an außersinnliche Phänomene interessantere Erkenntnisse liefert als der Versuch, diese nachzuweisen. Seine Doktorarbeit widmete er diesem Gebiet. Nach Forschungsaufenthalten in San Diego (USA) und Victoria (Canada) habilitierte sich Peter Brugger an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Von 2003 bis 2019 leitete er die Abteilung für Neuropsychologie des Universitätsspitals Zürich. Seit Juli 2019 ist er Abteilungsleiter der Neuropsychologie an der Rehabilitationsklinik Valens. Seine Forschungstätigkeit setzt er an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich fort.
Professor Edzard Ernst, MD , Ph. D.
em. Professor für Alternativmedizin an der Universität Exeter [email protected]
Edzard Ernst was born on 30 January 1948. He went to school in Germany and the US and studied psychology and medicine at the Ludwig-Maximilians-University in Munich. In 1977, he qualified as a physician in Germany where he also completed his MD and PhD theses. He was Professor in Physical Medicine and Rehabilitation (PMR) at Hannover Medical School (Germany) and Head of the PMR Department at the University of Vienna (Austria). He came to the University of Exeter in 1993 to establish the world’s first Chair in complementary medicine. In 1999, he took British nationality. Since 2012, he is Emeritus Professor at the University of Exeter and now lives in Cambridge, UK as well as in Britany, France. Professor Ernst is/was founder/Editor-in-Chief of three medical journals (Focus on Alternative and Complementary Therapies, European Journal of Physical Medicine and Rehabilitation and Perfusion). He has been a columnist for many publications (BMJ, GP, PJ, The Guardian, The Independent, The Spectator, etc.). His work has been awarded with 17 scientific awards (most recent: John Maddox Prize 2015 and Ockham Award 2017) and two Visiting Professorships (Canada and USA). He served on the ‘Medicines Commission’ of the British ‘Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency’ (1994 – 2005). According to Ioannidis et al. (2019 PLOS Biology) standardized citation metrics, he is currently ranked No. 104 amongst 100 000 scientists of all disciplines and No.1 amongst all researchers in the category of ‘Complementary & Alternative Medicine’. He has published >1000 papers in the peer-reviewed medical literature (H-Index=97 [2017]), 53 books, translated into over a dozen languages (most recent: Alternative medicine, a critical assessment of 150 modalities, Springer 2019), >100 book-chapters. He has given > 700 invited lectures worldwide and supervised >50 MD and PhD theses.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Univ.-Prof. Dr. Eva Horn
Professorin für Germanistik an der Universität Wien [email protected]
Studium der Romanistik, Germanistik, Vergleichenden Literaturwissenschaft und Philosophie in Bielefeld, Paris und Konstanz. Promotion 1996 in Konstanz. Habilitation an der Europa- Universität Viadrina, Frankfurt/Oder 2004. 2005 – 2009 Professur am Deutschen Seminar der Universität Basel. Seit 2009 Professur in Wien. Gastprofessuren und Fellowships am Collège International de Philosophie, der New York University, Columbia University, IASS Potsdam, Rachel Carson Center München, Kollegforschergruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“ Hamburg. Publikationen The Anthropocene – Key Issues for the Humanities, zus. mit Hannes Bergthaller, New York/ London: Routledge 2019. Air as Medium, Grey Room 73, Fall 2018, 6 – 25. Zukunft als Katastrophe, Frankfurt/M. 2014 Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion, Frankfurt/M: Fischer 2007 Trauer schreiben. Die Toten im Text der Goethezeit, München: Fink 1998.
Dr. Martin Mahner
Leiter des Zentrums für Wissenschaft und kritisches Denken der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) [email protected]
Martin Mahner ist promovierter Biologe. Bereits während seines Studiums wandte er sich der Wissenschaftsphilosophie und speziell der Philosophie der Biologie zu. Im Zuge eines dreijährigen Forschungsaufenthaltes am Department of Philosophy der McGill University, Montreal, verfasste er zusammen mit Mario Bunge das Buch Foundations of Biophilosophy (1997; dt. Philo sophische Grundlagen der Biologie, 2000), dem später Über die Natur der Dinge (2004) folgte. Heute leitet er das Informationszentrum der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP e. V.) und beschäftigt sich mit der Charakterisierung von Pseudowissenschaften sowie dem Verhältnis von Metaphysik und Wissenschaft. Dazu sind von ihm erschienen: Demarcating Science from Non-Science (In: T. A. F. Kuipers, Hg., Handbook of the Philosophy of Science, Bd. 1: General Philosophy of Science, S. 515 – 575, North Holland Publishing Company 2007), Science and Pseudoscience: How to Demarcate After the (Alleged) Demise of the Demarcation Problem? (In: M. Pigliucci & M. Boudry, Hg., Philosophy of Pseudo science – Reconsidering the Demarcation Problem, S. 29 – 43, Chicago University Press 2013) sowie Naturalismus – Die Metaphysik der Wissenschaft (Alibri-Verlag 2018).
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Univ.-Prof. Dr. Martina Merz
Professorin für Wissenschaftsforschung an der Universität Klagenfurt Martina Merz ist Professorin für Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagen furt. Nach Diplom und Promotion im Fach Physik, beide an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wechselte Martina Merz in die Soziologie und die sozial- und kulturwissenschaft liche Wissenschafts- und Technikforschung und damit an die Universität Bielefeld. Ihre wissen schaftliche Tätigkeit führte die Forscherin von Genf, über Bern, Lausanne und Zürich, an die Universität Luzern, wo sie im Rahmen einer SNF-Förderprofessur zur Konfiguration der Nanowissenschaften als neues Forschungsfeld arbeitete. Nach einem Aufenthalt an der Universität Helsinki ist Martina Merz seit 2014 an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Dynamik zeitgenössischer Wissenskulturen, Repräsentationsund Darstellungspraktiken (Modelle, Simulationen, Bilder etc.) sowie, im Rahmen einer DFG/ FWF-Forschungsgruppe, die Epistemologie des Large Hadron Collider.
Publikationen M. Merz, P. Sormani (eds.) (2016): The Local Configuration of New Research Fields. On Regional and National Diversity. Sociology of the Sciences Yearbook, Vol. 29. Cham et al.: Springer. M. R. Evans, … M. Merz et al. (2013): Do Simple Models Lead to Generality in Ecology? Trends in Ecology & Evolution 28 (10), 578 – 583. M. Merz, P. Biniok (2010): How Technological Platforms Reconfigure Science-Industry Relations: The Case of Micro- and Nanotechnology. Minerva: A Review of Science, Learning and Society 48 (2), 105 – 124. T. Knuuttila, M. Merz (2009): Understanding by Modeling: An Objectual Approach. In: H. W. de Regt, S. Leonelli, K. Eigner (eds.), Scientific Understanding: Philosophical Perspectives. Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 146 – 168. M. Merz, K. Knorr Cetina (1997): Deconstruction in a “Thinking” Science: Theoretical Physicists at Work. Social Studies of Science 27 (1), 73 – 111.
Stuart A. Vyse, Ph. D.
Psychologe, Dozent und Autor [email protected]
Stuart Vyse is a behavioral scientist and writer. His book, Believing in Magic: The Psychology of Superstition (Oxford) won the William James Book Award of the American Psychological Association and has been translated into Japanese, German, and Romanian. His book, Going Broke: Why Americans (Still) Can’t Hold On To Their Money (Oxford) was released in an updated edition in 2018, and Superstition: A Very Short Introduction (Oxford) will be released in January of 2020. Since 2015 he has written the Behavior & Belief column for Skeptical Inquirer magazine, where he is a contributing editor. His other writings for the general public have appeared in The Atlantic, Time, and Observer.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
He holds BA and MA degrees in English Literature from Southern Illinois University and MA and PhD degrees in Psychology from the University of Rhode Island. He taught at Providence College, the University of Rhode Island, and Connecticut College, where he was the Joanne Toor Cummings ’50 chair of psychology. He is a fellow of the Association for Psychological Science and of the Committee for Skeptical Inquiry. Notable publications Vyse, S. (forthcoming). Superstition: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press. Vyse, S. (2018). Superstition, ethics, and transformative consumer research. Journal of the Association for Consumer Research, 3(4), 582 – 590. Vyse, S. (2018/2008). Going Broke: Why American’s (Still) Can’t Hold On To Their Money. New York: Oxford University Press. Vyse, S. (2015). Where do fads come from? In J. W. Jacobson, R. M. Foxx, and J. A. Mulick (Eds.), Controversial therapies for developmental disabilities: Fads, fashion, and science in professional practice (2nd ed.). New York: Taylor & Francis. Vyse, S. (2013). Believing in Magic: The Psychology of Superstition – Updated Edition. New York: Oxford University Press.
Univ.-Prof. MM ag. DD r. Franz Winter Professor für Religionswissenschaft an der Universität Graz franz.winter@uni-graz.at
Studium der Theologie, der Religionswissenschaft, der Klassischen Philologie und der Indogermanistik; Studien- und Forschungsaufenthalte in Graz, Wien, Salzburg, Rom, Kyoto, Tokyo, Boston (Fulbright) und Nizwa (Oman); Doktorat in Klassischer Philologie (1999) und Religionswissenschaft (2005 sub auspiciis praesidentis rei publicae); Habilitation in Religionswissenschaft an der Universität Wien (2010), seit April 2019 Professor für Religionswissenschaft an der Universität Graz. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Kontaktes zwischen Europa und Asien von der Antike bis zur Gegenwart; Geschichte des Buddhismus; neureligiöse Bewegungen in Ost und West; Islam und Moderne, religiöse Gegenwartskultur und Geschichte der Esoterik. Weitere Informationen auf http://homepage.univie.ac.at/franz.winter/. Wichtige Publikationen Religionen und Gewalt. Wien und Innsbruck: Tyrolia, 2020. (Herausgegeben gemeinsam mit Lukas Pokorny): Handbook of East Asian New Religious Movements, Leiden: BRILL , 2018 (ausgezeichnet mit dem Anerkennungspreis für „best edited volume“ in der Sparte „Social Sciences“ durch die „International Convention of Asia Scholars“ 2019) Searching for the hidden „one“: Muslim and Early European Interpretations of the Upanishads, NUMEN 65, 1, 2018, 28 – 61 Rewriting German and Japanese Primeval History: A Comparative Analysis of the Takeuchi monjo and „Himmler’s Bible“, Religion 46, 1, 2016, 7 – 31
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Hermes und Buddha. Die neureligiöse Bewegung Kōfuku no kagaku in Japan (Religionen Asiens der Gegenwart/Studies in Modern Asian Religions, edited by Monika Schrimpf and Michael Pye), LIT: Münster 2012 Das Frühchristliche Mönchtum und der Buddhismus. Religionsgeschichtliche Studien (Religionswissenschaft Bd. 13), Frankfurt a. M., 2008