Wissen und Wissensnormen: Zur Behandlung von Organisationswissen im Bürgerlichen Recht [1 ed.] 9783428552863, 9783428152865

Die Frage, ob sich eine Organisation die Kenntnisse ihrer aktuellen oder ehemaligen Bediensteten zurechnen lassen muss,

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Wissen und Wissensnormen: Zur Behandlung von Organisationswissen im Bürgerlichen Recht [1 ed.]
 9783428552863, 9783428152865

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Wissen und Wissensnormen Zur Behandlung von Organisationswissen im Bürgerlichen Recht

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

JAN DIRK HARKE Wissen und Wissensnormen

Lectiones Inaugurales Band 17

Wissen und Wissensnormen Zur Behandlung von Organisationswissen im Bürgerlichen Recht

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker &Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Fotosatz Voigt, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 2194-3257 ISBN 978-3-428-15286-5 (Print) ISBN 978-3-428-55286-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85286-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Joseph Georg Wolf (1930–2017)

Vorwort Das Thema der Wissenszurechnung beschäftigte mich schon vor geraumer Zeit. Ich hätte es gern zum Thema meines Anfang 2003 gehaltenen Habilitationsvortrags gemacht. Nachdem spezielle Rücksichten mich davon abgehalten hatten, musste es in den vergangenen dreizehn Jahren, in denen ich an der JuliusMaximilians-Universität in Würzburg tätig war, anderen spannenden Themen weichen. Seine zufällige Wiederentdeckung fiel zeitlich mit meinem Wechsel an die Friedrich-Schiller-Universität Jena zusammen. Die am 19. Mai 2017 gemeinsam mit dem Kollegen Florian Knauer gehaltene Antrittsvorlesung bot passenden Anlass und Rahmen dafür, mich erneut mit der Frage zu beschäftigen. Mit dem schönen Ereignis verbinde ich die Hoffnung auf eine fruchtbare Zusammenarbeit im neuen Kollegenkreis, dem ich für sein Vertrauen und die freundliche Aufnahme danke. Gewidmet ist dieses Buch dem Andenken an meinen Doktorvater Joseph Georg Wolf, der mir den Weg in die Wissenschaft geebnet und mich nachhaltig geprägt hat. Er konnte leider nicht mehr an der Vorlesung teilnehmen. Jan Dirk Harke

Inhalt I.

Eine neue Entscheidung, ein altes Problem . . . . . 1. Die Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Judikatur zum Verjährungsbeginn . . . . . . . 3. Die neuere insolvenzrechtliche Rechtsprechung 4. Eine neue Synthese? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik . . 1. Die Lehre vom Wissensvertreter . . . . . . . . . . . 2. Das Gleichstellungsargument . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zur Organisation der verbandsinternen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . .

33 33 41

III. Eine differenzierte Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 278 BGB als Regelungsmodell für Zu- und Zusammenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Vorbild der Rechtsprechung zum Bauvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungs- und erklärungsorientierte Wissensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Und das Deliktsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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47 51

56 66 72 87

IV. Wissenszurechnung im Konzern . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Die Rechtsprechung des fünften Senats . . . . . 96 2. Versicherungsrechtliche Judikatur . . . . . . . . . . 98 3. Zusammenspiel mit dem Schrifttum . . . . . . . . 100 4. „Funktionale Einheit“ und Wissensnormen . . 103 V. Resultat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Organisation, insbesondere ein Unternehmen oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, sich das Wissen ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen muss, war um die Jahrtausendwende ein vielbehandeltes Thema.1 Seitdem ist das Problem wieder aus dem 1 Es ist nicht nur in zahllosen Aufsätzen behandelt, sondern auch Gegenstand einiger Dissertationen geworden, unter ihnen sind Baum, Die Wissenszurechnung, Berlin 1999, Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, Frankfurt a. M. u. a. 2000, Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, Berlin 2001, Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, Frankfurt a. M. 1998, Schulenburg, Bankenhaftung bei geschlossenen Immobilienfonds, zugleich eine Untersuchung der Wissenszurechnung im Konzern, Frankfurt a. M. u. a. 2002, Schüler, Wissenszurechnung im Konzern, Berlin 2000, Vogel, Arglistiges Verschweigen des Bauunternehmers aufgrund Organisationsverschuldens: eine Untersuchung zum Begriff des arglistigen Verschweigens bei § 638 Abs. 1 S. 1 BGB und zur unterorganschaftlichen Wissenszurechnung, Düsseldorf 1998. Jünger ist die Dissertation von Bruns, Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht, Karlsruhe 2007. Eine Habilitationsschrift zu dem Thema hat Buck-Heeb vorgelegt; sie ist erschienen unter Buck, Wissen und juristische Person. Wissenszurechnung und Herausbildung zivilrechtlicher Organisationspflichten, Tübingen 2001 (vgl. auch Buck-Heeb, Private Kenntnis in Banken und Unter-

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

Blickfeld gerückt. Eine unlängst ergangene Entscheidung des sechsten Zivilsenats des BGH2 zeigt freilich nehmen, WM 2008, 281). Auch die Habilitationsschrift von Spindler, Unternehmensorganisationspflichten. Zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Aspekte, 1. Aufl. Köln u. a. 2001, 2. Aufl. Göttingen 2011 befasst sich zu einem nicht geringen Teil mit der Frage der Wissenszurechnung. Rund zwanzig Jahre älter ist die Habilitationsschrift von Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, Bielefeld 1983. – Aufsätze zu dem Thema stammen von Altmeppen, Verbandshaftung kraft Wissenszurechnung am Beispiel des Unternehmenskaufs, BB 1999, 749, Dauner-Lieb, Wissenszurechnung im Gewährleistungsrecht. Ethische Neutralisierung der Arglist?, in: Hönn (Hg.), Festschrift für Kraft, Neuwied u. a. 1998, S. 43, Faßbender/Neuhaus, Zum aktuellen Stand der Diskussion in der Frage der Wissenszurechnung, WM 2002, 1251, Flume, Die Haftung für Fehler kraft Wissenszurechnung bei Kauf und Werkvertrag, AcP 197 (1997) 441, Grunewald, Wissenszurechnung bei juristischen Personen, in: Beisse u. a. (Hg.), Festschrift für Beusch, Berlin 1993, S. 301, Hagen, Wissenszurechnung bei Körperschaften und Personengesellschaften als Beispiel richterlicher Rechtsfortbildung, DRiZ 1997, 157, Koller, Wissenszurechnung. Kosten und Risiken, JZ 1998, 75, Medicus, Probleme der Wissenszurechnung, Karlsruher Forum 1994 (1995) 4, Taupitz, Wissenszurechnung nach englischem und deutschem Recht, Karlsruher Forum 1994 (1995) 16 und Waltermann, Zur Wissenszurechnung – am Beispiel der juristischen Person des privaten und des öffentlichen Rechts, AcP 192 (1992) 180, dems., Arglistiges Verschweigen eines Fehlers bei der Einschaltung von Hilfskräften, NJW 1993, 889. – Speziell der Zurechnung im Konzern gelten folgende Aufsätze: Bork, Zurechnung im Konzern, ZGR 1994, 237, Drexl, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 161 (1997) 491, 514 ff., ders., Wissenszurechnung im unabhängigen und Konzernunternehmen, in: Hadding u. a. (Hg.), Bankrechtstag 2002, Berlin 2003, S. 85, Nobbe, Die Wissenszurechnung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, a. a. O., S. 123. 2 BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250.

I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

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wieder einmal, dass sie weder wissenschaftlich befriedigend geklärt noch auch nur einer einheitlichen Lösung in der Rechtsprechung zugeführt worden ist. Ohne sich auf ein Ergebnis festzulegen, stellt der BGH in ihr die beiden extremen Ansätze gegenüber, die sich in der bisherigen Judikatur finden und nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Auf der einen Seite stehen die Entscheidungen zur vertraglichen Haftung eines Verkäufers für das arglistige Verschweigen eines Mangels der Kaufsache, auf der anderen die Urteile zum Beginn der Verjährungsfrist infolge von Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen. Zum Problem der Wissenszurechnung gelangt man in dem zuerst genannten Fall, wenn als Verkäufer ein Unternehmen oder eine Körperschaft auftritt, deren mit dem Kaufvertrag befassten Organe oder Vertreter zwar keine Kenntnis von dem Mangel, aber die Möglichkeit haben, sich diese Kenntnis zu verschaffen, indem sie auf das Wissen anderer Mitarbeiter zurückgreifen. In den Fällen der zweiten Konstellation geht es regelmäßig um den Rückgriff eines Sozialleistungsträgers, der Leistungen an einen deliktisch Geschädigten erbracht hat und nun den Schädiger aus übergeleitetem Recht in Anspruch nehmen will; für die Frage der Verjährung kommt es hier darauf an, ob diese an das Wissen oder die Erkenntnismöglichkeiten der mit der Leistungsgewährung befassten Mitarbeiter oder aber ausschließlich an das aktuelle oder potentielle Wissen der Regressabteilung anknüpft. Dass die zum Verjährungsbeginn ergangene Rechtsprechung nicht mit der Judikatur zur vertraglichen

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

Arglisthaftung in Einklang steht, hat den BGH nun dazu veranlasst, die Frage aufzuwerfen, ob die Wissenszurechnung, wie sie bei der Entscheidung über die vertragliche Mängelhaftung stattfindet, auch im Deliktsrecht Geltung beanspruchen könne.3 Diese Frage überrascht deshalb, weil sie der Beschäftigung mit einem Fall entspringt, in dem eine deliktische Haftung für Täuschung durch Unterlassen und damit ein Phänomen im Raum steht, das sich zumindest in tatsächlicher Hinsicht kaum von den Fällen der vertraglichen Arglisthaftung unterscheidet. Dass der sechste Senat an der Gleichbehandlung beider Konstellationen zweifelt, lässt sich ihm freilich nicht verdenken; denn die auf Fälle deliktischer Schädigung gemünzte Rechtsprechung zur Kenntniszurechnung bei Verjährung steht seit mehr als zwei Jahrzehnten unverbunden neben den Entscheidungen zur vertraglichen Arglisthaftung; und zwischen beiden schwankt die insolvenzrechtliche Judikatur.4 1. Die Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung Hauptauslöser des literarischen Booms zur Jahrtausendwende war ein Urteil des BGH von 19965, das vom Gericht selbst später als „Grundsatzentscheidung“ bezeichnet wurde6. Gegenstand war die ver3

BGH, NJW 2017, 250 (Rn. 23). Von einem „verwirrenden Bild“ der Rechtsprechung spricht denn auch zu Recht Spindler (Fn. 1), S. 625. 5 BGH, Urteil vom 2. Februar 1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339. 6 Vgl. BGH, NJW 1997, 1917 (1918). 4

1. Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung 15

tragliche Haftung eines Grundstücksverkäufers für eine dem Käufer nicht offenbarte Kontamination der Immobilie. Zwar ließ der Sachverhalt mangels hinreichender Aufklärung durch die Instanzgerichte keine Entscheidung der Frage zu, ob dem Verkäufer der Vorwurf einer arglistigen Täuschung des Käufers gemacht werden konnte. Dennoch nahm der fünfte Senat des BGH den Fall zum Anlass für eine grundsätzliche Stellungnahme zur Zurechnung von Wissen, das Organe und Mitarbeiter eines Unternehmens erlangt haben und für diese später verfügbar ist: Unabhängig von seiner Rechtsform müsse sich das Unternehmen die Kenntnisse zurechnen lassen, von denen bei gehöriger Organisation der internen Kommunikation sowohl anzunehmen sei, dass sie gespeichert werden, als auch zu erwarten sei, dass sie später aus Anlass des bevorstehenden Vertragsschlusses abgerufen werden.7 Mit diesem Urteil von 1996 untermauerte der fünfte Zivilsenat eine ältere Entscheidung von 19898, in der er erstmals den Bezug zwischen Wissenszurechnung und Wissensspeicherung hergestellt hatte: Sie galt ebenfalls der vertraglichen Arglisthaftung aufgrund des Verkaufs eines Grundstücks, dessen Bebauung einsturzgefährdet und daher früher schon zum Gegenstand bauordnungsrechtlicher Maßnahmen geworden war. Verkäufer war eine Gemeinde, deren Bürgermeister bis zum Abschluss des Vertrags nicht über den Mangel des Grundstücks unterrichtet war. Kenntnis hiervon hatten nur einer seiner Amtsvorgän7 8

BGH, NJW 1996, 1339 (1341). BGH, NJW 1990, 975.

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

ger sowie sein Stellvertreter, der die entsprechende Nachricht jedoch einfach zu den Akten genommen hatte. Indem er das Wissen dieser Personen der Gemeinde zurechnete, nahm der fünfte Senat an, sie sei dem Grundstückskäufer wegen arglistigen Verschweigens des Mangels haftbar. Dabei ließ das Gericht die theoretische Frage offen, inwieweit es trotz eines zeitlichen und sachlichen Wechsels in der Person des Organvertreters eine Kontinuität des Gemeindeorgans gebe. Für maßgeblich hielt er allein, dass das dem früheren Bürgermeister und dem Stellvertreter des jetzigen Bürgermeisters vermittelte Wissen typischerweise aktenmäßig festgehalten werde.9 Das Urteil des fünften Senats von 1989 entspricht in seiner Tendenz einer Entscheidung des dritten Senats,10 der sich in demselben Jahr mit der Frage zu befassen hatte, ob sich eine projektfinanzierende Bank gemäß § 173 BGB den Mangel einer Vollmacht zum Abschluss eines Darlehensvertrags entgegenhalten lassen muss, wenn ihr Filialleiter wusste, dass die Vollmacht wegen einer vom Initiator des Projekts verübten arglistigen Täuschung anfechtbar war. Die Zurechnung dieses Wissens, das gemäß § 142 Abs. 2 BGB der Kenntnis des der Nichtigkeit der Vollmacht gleichsteht, bejahte der dritte Senat unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB. Der Anwendung dieser Vorschrift stehe nicht entgegen, dass der über die Täuschung unterrichtete Filialleiter nicht mit dem Abschluss des Darlehensvertrags selbst 9

BGH, NJW 1990, 975 (976). BGH, Urteil vom 1. Juni 1989 – III ZR 261/87, NJW 1989, 2879. 10

1. Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung 17

betraut war, dieser vielmehr in einer ganz anderen Filiale unter Beteiligung unwissender Mitarbeiter der Bank zustande kam. Mit der umfassenden Wissenszurechnung solle der Bank die Möglichkeit genommen werden, den Informationsaustausch so zu steuern, dass die für den Vertragspartner relevanten Punkte davon ausgeschlossen sind.11 Pate stand dabei eine Entscheidung des neunten Zivilsenats, der schon 1984 befunden hatte, eine mit einer Vorsatzanfechtung (§ 30 Nr. 1 KO) belangte Bank müsse sich nach § 166 Abs. 1 BGB das Wissen eines Kassierers von der Zahlungseinstellung eines Gemeinschuldners auch dann zurechnen lassen, wenn dieser an dem angefochtenen Geschäft selbst nicht beteiligt war.12 Seine 1989 auf dieser Grundlage entwickelte Lösung relativierte der fünfte Senat in einer Entscheidung von 199213, in der es wiederum um den Verkauf eines gemeindlichen Grundstücks ging, das mit einem Sachmangel, diesmal in Gestalt einer ungünstigen Bodenbeschaffenheit, behaftet war. Die Kenntnis von diesem Mangel war in diesem Fall nicht bei einem Gemeindeorgan, sondern, wenn überhaupt, dann beim Leiter des Baurechtsamtes vorhanden. Die Zurech11 BGH, NJW 1989, 2879 (2881). In Anknüpfung an diese Entscheidung hat später auch der neunte Senat eine filialübergreifende Wissenszurechnung in einem Fall bejaht, in dem es für die Auslegung einer Bürgschaftserklärung auf Äußerungen des Mitarbeiters einer anderen Filiale ankam; vgl. das Urteil vom 15. Januar 2004 – IX ZR 152/00, NJW 2004, 2232 (2234). 12 BGH, Urteil vom 1. März 1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 (1954). 13 BGH, Urteil vom 24. Januar 1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099.

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nung seines Wissens an die Gemeinde lehnte der BGH deshalb ab, weil der Leiter des Baurechtsamtes nicht mit der selbständigen Wahrnehmung von Aufgaben im Rechtsverkehr betraut gewesen und daher nicht vom Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB erfasst sei. Aus diesem Grund könne auch nicht auf den in der Entscheidung desselben Senats von 1989 herausgestellten Gesichtspunkt zurückgegriffen werden, dass es sich bei dem Grundstücksmangel um einen typischerweise aktenmäßig festgehaltenen Sachverhalt handelte. Dieser Umstand komme nur bei einer nach außen in Erscheinung tretenden Funktionseinheit zum Tragen; nehme man auf ihn auch bei internen Vorgängen Rücksicht, werde der Umfang des einer kommunalen Körperschaft zurechenbaren Wissens zu stark ausgedehnt. Auch die Annahme einer Pflicht zum Informationsaustausch, wie sie der dritte Senat in seiner Entscheidung von 1989 im Verhältnis verschiedener Filialen einer Großbank bejaht hatte, scheide aus, weil ein solcher Informationsaustausch bei fiskalischen Grundstücksgeschäften und den Vorgängen im Rechtsamt nicht naheliegend gewesen sei.14 Diese zweite Erwägung ist nicht daran geknüpft, dass die beteiligten Wissensträger gegenüber dem anderen Teil nach außen in Erscheinung getreten sind, und bereitete den Boden für die Kehrtwende, die der fünfte Senat schließlich mit seinem Grundsatzurteil von 1996 vollzogen hat. Seitdem verzichtet er auf das Kriterium einer Außenwirksamkeit des Handelns der betroffenen Personen und lässt für eine Wissenszu14

BGH, NJW 1992, 1099 (1100).

1. Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung 19

rechnung genügen, dass die maßgeblichen Kenntnisse bei ordnungsgemäßer Informationsverarbeitung innerhalb der betroffenen Organisation sowohl bereitgehalten als auch später abgerufen worden wären. Auf fruchtbaren Boden fiel das Urteil von 1996 in der Judikatur des elften Senats. Dieser zog die Grundsatzentscheidung des fünften Senats schon ein Jahr später heran, um die grobe Fahrlässigkeit auf Seiten einer nach § 21 ScheckG in Verbindung mit §§ 989, 990 BGB belangten Bank zu bejahen.15 Deren Mitarbeiter hatten zahlreiche Schecks zur Einziehung von einem Buchhalter hereingenommen, der sie sich im Rahmen seiner Tätigkeit unbefugt zugeeignet hatte. Ein wesentlicher Umstand, der die Einreichung der Schecks verdächtig machte und die Bankangestellten nach Ansicht des BGH zu einer Überprüfung der materiellen Scheckberechtigung hätte veranlassen müssen, war, dass ein früher mit der Kontoführung betrauter, dann aber in eine andere Filiale versetzter Mitarbeiter Kenntnis von der Berufstätigkeit des Einreichers und der Identität seines Arbeitgebers hatte. Während das Berufungsgericht dieses Wissen noch für irrelevant erklärt hatte, weil der informierte Angestellte an der Hereinnahme der Schecks nicht mitgewirkt hatte, hielt der BGH-Senat es deshalb für zurechenbar, weil das Wissen des Mitarbeiters bei ordnungsgemäßer Informationsorganisation hätte dokumentiert und bei der Entscheidung über die Herein15 BGH, Urteil vom 15. April 1997 – IX ZR 105/96, NJW 1997, 1917. Vgl. auch das Urteil desselben Senats vom 21. Mai 1996 – IX ZR 1999/95, NJW 1996, 2734 (2736).

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

nahme der Schecks abgefragt werden müssen.16 Generell sei das zu speichernde Wissen jeder mit der Bearbeitung von Schecks befassten Abteilung einschließlich der Posteingangsstelle zu berücksichtigen.17 Auch der fünfte Senat selbst hat seine Position später noch bekräftigt und präzisiert, und zwar wiederum in Entscheidungen zur vertraglichen Haftung einer Gemeinde wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels des verkauften Grundstücks: In einem Urteil von 199918 wandte er sich gegen eine Überspannung der Organisationspflicht, die nicht dazu führen dürfe, dass der Gemeinde jegliches theoretisch verfügbare Wissen zurechnet werde. Sie sei insbesondere nicht gehalten, in Akten zu Nachbargrundstücken nach Hinweisen auf eine mögliche Bodenkontamination des verkauften Grundstücks zu suchen, wenn diese Hinweise schon Jahrzehnte alt sind und einer Zeit entstammen, in der mangels hinreichenden Problembewusstseins noch nicht absehbar war, dass sie rechtserheblich werden könnten.19 In einem rund zehn Jahre später ergangenen Urteil20 erklärte der fünfte Senat die Beklagte dagegen für haftbar, weil sie den Käufer des Grundstücks nicht über den Schwammbefall des darauf errichteten 16

BGH, NJW 1997, 1917 (1918). BGH, NJW 1997, 1917 (1918). 18 BGH, Urteil vom 1. Oktober 1999 – V ZR 218/98, NJW 1999, 3777. 19 BGH, NJW 1999, 3777 (3778). 20 BGH, Urteil vom 10. Dezember 2010 – V ZR 203/ 09, BeckRS 2011, 01685. 17

2. Die Judikatur zum Verjährungsbeginn

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Hauses unterrichtet hatte. Das Bauordnungsamt und das Sozialamt, die von dem Mangel Kenntnis hatten, seien verpflichtet gewesen, diesen erkennbar rechtserheblichen Umstand an das mit Grundstücksgeschäften betraute Liegenschaftsamt weiterzugeben. Der hieran anknüpfenden Wissenszurechnung stehe nicht entgegen, dass die Ämter ihr Wissen nicht bei der Abwicklung privatrechtlicher Angelegenheiten, sondern in öffentlich-rechtlichem Zusammenhang erlangt hatten.21 2. Die Judikatur zum Verjährungsbeginn Ebenso alt wie die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung bei der vertraglichen Arglisthaftung ist die Judikatur zum Beginn der Verjährung beim Regress durch einen Sozialleistungsträger. Dass hier der subjektive Kenntnisstand des Gläubigers entscheidet, gilt nicht erst seit der Schuldrechtsreform, mit der die Verjährung von Ansprüchen generell an die Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen geknüpft wurde. Eine dem heutigen § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vergleichbare Regelung fand sich schon vorher in § 852 Abs. 1 BGB a. F. für deliktische Schadensersatzansprüche, deren Verjährung davon abhing, dass der Gläubiger die für sein Ersatzrecht maßgeblichen Umstände kannte. Hierzu vertrat der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass es nach der Regel des § 166 Abs. 1 BGB statt auf das Wissen oder die Erkenntnismöglichkeiten der Bediensteten der Leistungsabteilung allein auf die Kenntnisse der Mitarbeiter der für die 21

BGH, BeckRS 2011, 01685 (Rn. 17).

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

Anspruchsverfolgung zuständigen Regressabteilung ankam, und zwar selbst dann, wenn die Leistungsabteilung kraft behördeninterner Weisung verpflichtet war, die Akte bei Anhaltspunkten für die Haftung eines Dritten der Regressabteilung vorzulegen.22 Im Verhältnis zum Schädiger sei die Behörde nicht verpflichtet, eine Organisationsform zu schaffen, die für eine Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen und damit einen Verjährungsbeginn zum frühestmöglichen Zeitpunkt sorge.23 Über das Verjährungsrecht hinaus hat der BGH diese Ansicht auch bei der Beurteilung einer Ausschlussfrist in einem Teilungsabkommen zwischen einer gesetzlichen Unfallversicherung und einem Haftpflichtversicherer vertreten, weil diese vertraglich bestimmte Frist in Anlehnung an die gesetzliche Verjährungsregelung in § 852 BGB a. F. geschaffen worden war.24 An der restriktiven Haltung bei der Wissenszurechnung in Verjährungsfragen haben der dritte und der sechste Senat des BGH auch unter Geltung des neuen Schuldrechts festgehalten. Im Fall eines regressberechtigten Sozialversicherungsträgers erachten sie nun für ausschlaggebend, ob bei den Bediensteten der Regressabteilung die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der

22 BGH, Urteil vom 22. April 1986 – VI ZR 133/85, NJW 1986, 2315 (2316), Urteil vom 9. März 2000 – III ZR 198/99, NJW 2000, 1411 (1412), Urteil vom 15. März 2011 – VI ZR 162/10, NJW 2011, 1799 (Rn. 11). 23 BGH, NJW 1986, 2315 (2316). 24 BGH, Urteil vom 27. März 2001 – VI ZR 12/00, NJW 2001, 2535 (2536).

2. Die Judikatur zum Verjährungsbeginn

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anspruchsbegründenden Umstände vorliegt.25 Zweifeln an der Richtigkeit dieser Lösung wehren beide Senate mit dem Argument, der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform habe mit der Neuregelung des Verjährungsrechts nicht das Ziel verbunden, die einschlägige Judikatur zur Bedeutung von Gläubigerkenntnis in Frage zu stellen.26 Die weitergehende Wissenszurechnung bei der Arglisthaftung sei aus Gründen des Verkehrsschutzes speziell für den rechtsgeschäftlichen Verkehr entwickelt worden und könne nicht eingreifen, wenn es statt um den Abschluss von Verträgen um die Durchsetzung einer schon begründeten Haftung geht.27 Die Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei der Verfolgung von Ansprüchen durch einen Sozialleistungsträger hat der dritte Senat auch auf andere Fälle übertragen, etwa die Zurechnung von Kenntnissen des Ehegatten des Anspruchsinhabers28 oder des Wissens eines Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft.29 Im zuletzt genannten Fall hat er da25 BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 – III ZR 252/10, NJW 2012, 447 (Rn. 12), Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 (Rn. 13), Urteil vom 17. April 2012 – VI ZR 108/11, NJW 2012, 2644 (Rn. 10), Urteil vom 9. Juni 2015 – VI ZR 327/12, NJW 2015, 2507 (Rn. 32), Urteil vom 8. Dezember 2015 – VI ZR 37/15, NJW-RR 2016, 856 (Rn. 15). 26 BGH, NJW 2012, 447 (Rn. 21), 1789 (Rn. 12), 2644 (Rn. 13). 27 BGH, NJW 2012, 447 (Rn. 13), 1789 (Rn. 14). 28 BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – III ZR 298/ 11, NJW 2013, 447 (Rn. 19 ff.). 29 BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 436/12, NJW 2014, 1294 (Rn. 16 f.).

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

mit sogar die Zustimmung des fünften Senats geerntet, der bei der vertraglichen Arglisthaftung eine ganz andere Linie verfolgt.30 3. Die neuere insolvenzrechtliche Rechtsprechung Einen schwankenden Kurs zwischen der Judikatur zur vertraglichen Arglisthaftung und den Entscheidungen zur verjährungsrelevanten Kenntnis nimmt die neuere insolvenzrechtliche Rechtsprechung. Hier gibt es sowohl Entscheidungen, die eine Wissenszurechnung allein an einen Organisationsmangel geknüpft sehen, als auch solche, in denen grundsätzlich nur der Kenntnisstand der mit dem Vorgang befassten Mitarbeiter berücksichtigt wird: Auf die Pflicht zum Informationsaustausch in einer Großbank bezieht sich eine Entscheidung des neunten Senats des BGH von 200531. Sie betrifft Leistungen einer Bank an einen Gemeinschuldner, dessen Verfügungen nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 InsO dem Vorbehalt einer Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters unterlagen und daher gemäß §§ 24 Abs. 1, 82 InsO nur bei Unkenntnis des anderen Teils von dieser Verfügungsbeschränkung wirksam sein konnten. Der neunte Senat sah den Nachweis dieser Unkenntnis noch nicht als erbracht an, weil die Bank nicht vorgetragen habe, welche Organisationsmaßnahmen sie ergriffen habe, um Informationen über mögliche An30 BGH, Urteil vom 4. Juli 2014 – V ZR 183/13, NJW 2014, 2861 (Rn. 15 f.). 31 BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – IX ZR 227/ 04, NJW-RR 2006, 771.

3. Die neuere insolvenzrechtliche Rechtsprechung 25

ordnungen des Insolvenzgerichts aufzunehmen und weiterzuleiten. 32 Die Bank treffe eine umfassende Pflicht zur Organisation der internen Kommunikation, die sowohl die Weiterleitung der auf Führungsebene vorhandenen Informationen an die mit dem Kundenkontakt betrauten Mitarbeiter („von oben nach unten“) als auch die umgekehrte Vermittlung des Mitarbeiterwissens an die Führungsebene („von unten nach oben“) sowie an Bedienstete derselben Ebene („horizontal“) gewährleiste.33 Die Pflicht zur Einrichtung einer solchen Kommunikationsstruktur sei wegen der Möglichkeit der Datenspeicherung auch zumutbar; fehle sie, müsse sich die Bank die Kenntnisse eines jeden Mitarbeiters zurechnen lassen, „auf welcher Ebene auch immer“ er angesiedelt sei.34 Diese Aussage, die eine konsequente Folgerung aus der vom Senat schon früher gebilligten Annahme einer Pflicht zur Organisation der verbandsinternen Kommunikation35 ist, relativierte der neunte Senat 2009, als er diese Pflicht im Grundsatz auch für ein Versicherungsunternehmen anerkannte.36 Erneut ging es um eine Leistung an einen Gemeinschuldner, die in diesem Fall allerdings erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte und daher zur Befreiung des Versicherers nach § 82 S.1 InsO dessen Unkenntnis von

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BGH, NJW-RR 2006, 771 (Rn. 14). BGH, NJW-RR 2006, 771 (Rn. 13). 34 BGH, NJW-RR 2006, 771 (Rn. 13). 35 Vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1998 – IX ZR 145/98, NJW 1999, 284. 36 BGH, Urteil vom 16. Juni 2009 – IX ZR 118/08, NZI 2009, 680. 33

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

der Verfahrenseröffnung voraussetzte. Der neunte Senat sah dieses Erfordernis nicht als erfüllt an, weil der Versicherer keine hinreichenden Maßnahmen getroffen hatte, um zu gewährleisten, dass die Anzeige der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch die mit der Leistungsabwicklung betrauten Mitarbeiter erreichte.37 Die so verletzte Pflicht zur Weiterleitung der rechtserheblichen Informationen treffe jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation und sei keineswegs auf den Bankenbereich beschränkt.38 Der neunte Senat wollte sich aber nun nicht mehr festlegen, ob sie auch dann eine Wissenszurechnung zeitige, wenn die maßgebliche Kenntnis bei Mitarbeitern vorhanden sei, die nicht zu den Entscheidungsträgern zählen. Als Beispiel für einen solchen Zweifelsfall nennt der Senat den vom elften Senat im Zusammenhang mit der Scheckbearbeitung angeführten Mitarbeiter der Posteingangsstelle des Unternehmens. Da es im vorliegenden Fall an der Einrichtung einer zweckentsprechenden Organisation schlechthin fehlte, ließ der Senat diese Frage aber ausdrücklich dahinstehen.39 Noch weiter hinter dem früheren Ansatz blieb der neunte Senat in seinem Urteil von 201140 zurück, in dem er sich gegen die Wirksamkeit von Aufrechnung mit Steuerforderungen wendet, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gegen einen Gemeinschuldner 37

BGH, NZI 2009, 680 (Rn. 17). BGH, NZI 2009, 680 (Rn. 16). Ebenso später BGH, NJW 2010, 1806 (Rn. 11). 39 BGH, NZI 2009, 680 (Rn. 16). 40 BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – IX ZR 155/08, NJW 2011, 2791. 38

3. Die neuere insolvenzrechtliche Rechtsprechung 27

hatte. Im zugrunde liegenden Fall wollte sich das später von einem Insolvenzverwalter in Anspruch genommene Land so von Werklohnansprüchen des Gemeinschuldners befreien, obwohl das zuständige Finanzamt dessen erhebliche Steuerschuld schon zum Anlass für eine Liquiditätsprüfung genommen hatte. Fraglich war, ob die Aufrechnung gemäß §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 133 Abs. 1 InsO daran scheiterte, dass der Gemeinschuldner durch Erbringung der Werkleistung gegenüber dem Land die Aufrechnungslage mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung geschaffen hatte. Für die Feststellung der hierzu erforderlichen Kenntnis des Leistungsempfängers wollte der BGH nicht allein auf das Wissen der Bediensteten des Bauamtes zurückgreifen, die mit der Durchführung des Werkvertrags betraut und über die wirtschaftliche Lage des Gemeinschuldners nicht unterrichtet waren; vielmehr seien auch die Kenntnisse der hierüber informierten Finanzbehörde relevant. Die Pflicht zur Organisation des internen Informationsaustauschs, die der Senat für Banken und Versicherer bejaht hatte, treffe auch Körperschaften des öffentlichen Rechts. Hier sei sie zwar grundsätzlich auf die einzelnen Behörden als die im Rechtsverkehr auftretenden Organisationseinheiten beschränkt und scheitere im Übrigen an der einschlägigen Zuständigkeitsregelung.41 Eine behördenübergreifende Pflicht zur gehörigen Kommunikation komme aber trotzdem in Fällen wie dem zu entscheidenden in Betracht, in denen sich eine Behörde das Wissen einer anderen zunutze mache und so mit dieser „faktisch eine aufgabenbezogene neue 41

BGH, NJW 2011, 2791 (Rn. 16, 18).

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

Handlungs- und Informationseinheit“ bilde:42 Da die mit der Erfüllung der Werklohnverpflichtung betraute Staatskasse für die Aufrechnung auf die Kenntnisse des Finanzamtes über den Steuerrückstand zurückgegriffen habe, könne sie sich nicht dem hier ebenfalls vorhandenen Wissen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners verschließen.43 In einer späteren Entscheidung hat der neunte Senat diese Erwägungen auf den Fall übertragen, dass sich ein Sozialversicherungsträger zur Vollstreckung einer anderen Behörde bedient, die als Gläubiger fingiert wird.44 Außerdem hat er noch klargestellt, dass es für die zurechenbare Kenntnis der Finanzbehörde nicht auf das Wissen des zuständigen Sachbearbeiters, sondern auf den gesamten Inhalt der Steuerakte ankomme.45 Betrachtet man die Entwicklung der insolvenzrechtlichen Judikatur, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der neunte Senat des BGH bemüht ist, einen Mittelweg zwischen der Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung und den Entscheidungen zum Verjährungsbeginn zu finden. Während er bei privaten Unternehmen zunächst für eine weitgehende Wissenszurechnung auf der Basis einer Pflicht zur Organisation eines umfassenden Informationsaustauschs eintritt, betont er bei Körperschaften des öffentlichen Rechts die Bedeutung der Zuständigkeitsregelung, auf die sich auch die Judikatur zum 42

BGH, NJW 2011, 2791 (Rn. 19, 21). BGH, NJW 2011, 2791 (Rn. 20, 22–24). 44 BGH, Beschluss vom 14. Februar 2013 – IX ZR 115/12, NZI 2013, 398 (Rn. 6). 45 BGH, NZG 2017, 194 (Rn. 17). 43

4. Eine neue Synthese?

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Verjährungsbeginn bei Regressansprüchen eines Sozialversicherungsträgers beruft. Den Ausweg liefert ihm die Figur der fallbezogen geschaffenen „Handlungs- und Informationseinheit“, mit der gewissermaßen eine neue Behörde entsteht, die über das Wissen der beteiligten Einheiten verfügt. Weniger kunstvoll, aber in der Sache vergleichbar wäre die Annahme einer umfassenden Pflicht zum Austausch der relevanten Information gewesen, die aber in offenem Widerspruch zur verjährungsrechtlichen Judikatur gestanden hätte. Mit dem Konstrukt der Handlungs- und Informationseinheit wird dieser Widerspruch verdeckt, ohne dass aber das Problem verschwindet. 4. Eine neue Synthese? Der Gegensatz zwischen der Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn und der Judikatur zur vertraglichen Arglisthaftung ist manifest:46 Während hier Wissen unterstellt wird, weil es zu einem Fehler in der verbandsinternen Kommunikation gekommen ist, bleibt ein solcher bei der Verjährung folgenlos und soll noch nicht einmal den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zeitigen, solange die mit der Anspruchsverfolgung betrauten Mitarbeiter ihn sich nicht selbst gefallen lassen müssen. Nichtsdestoweniger sollen beide Lösungen denselben Ausgangspunkt haben, nämlich die Bestimmung über das Vertreterwissen in § 166 Abs. 1 BGB. Ebenso, wie sie im einen Fall für eine 46 Anders Hagen, DRiZ 1997, 157 (164), der an die Möglichkeit einer sachgerechten Begrenzung der Pflicht zur Organisation des Informationsaustauschs bei der Beurteilung des Verjährungsbeginns glaubt.

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I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

umfassende Zurechnung kraft Organisationsversagens sorgen soll, ist ihr im anderen die Aufgabe zugedacht, eine Rücksicht auf eine organisationsinterne Zuständigkeit zu ermöglichen und eine hierüber hinausgehende Wissenszurechnung auszuschließen. Da die Entscheidungen zum Verjährungsbeginn gerade das Deliktsrecht betreffen, entbehrt es nicht jeden Anlasses, wenn der sechste Senat des BGH nun fragt, ob Vergleichbares hier nicht generell gelten müsse. Die restriktive Zurechnung beträfe dann nicht nur Kenntnis oder Kennenmüssen des Ersatzberechtigten, sondern auch das Wissen des Schädigers, das als Teil des subjektiven Deliktstatbestands die Grundlage seiner Haftung bildet.47 In dem vom sechsten Senat zu entscheidenden Fall ging es ebenso wie im Grundsatzurteil des fünften Senats von 1996 um den Fall einer Bodenkontamination; sie wurde der Beklagten aber nicht als Verkäufer des betroffenen Grundstücks, sondern als Initiatorin eines Immobilienfonds und Herausgeberin des Anlageprospekts zur Last gelegt. Dass Mitarbeiter der Beklagten von einem im Prospekt nicht erwähnten Altlastenverdacht Kenntnis gehabt haben könnten, will der Senat nicht genügen lassen, um eine Haftung nach § 826 BGB zu bejahen. Es fehle jedenfalls an dem Merkmal der Sittenwidrigkeit, das ein moralisches Unwerturteil erfordere und sich nicht aus der „mosaikartigen“ Zusammenrechnung von Kenntnissen ergeben könne.48 47 Den „gesetzlichen Schuldverhältnissen“ hat zuvor schon Spindler (Fn. 1), S. 623 ff. die Entscheidungen zum Verjährungsbeginn zugeordnet. 48 BGH, NJW 2017, 250 (Rn. 23).

4. Eine neue Synthese?

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Diese Lösung ist zwar deshalb bedenklich, weil sie auf der Übersteigerung des Merkmals der Sittenwidrigkeit zu einer verschärften Form der Rechtswidrigkeit beruht, für die neben dem Schädigungsvorsatz des Täters eigentlich kein Raum ist.49 In dieser Hinsicht liegt das Urteil jedoch ganz auf der Linie der bisherigen Judikatur zu § 826 BGB, die zur Begründung dieser Haftung mehr als nur die Verletzung einer Rechtspflicht verlangt und insbesondere noch kein Informationsdefizit in einem Anlageprospekt hinreichen lässt50. Spitzt man den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB derart zu, ist es durchaus konsequent zu fordern, dass in einer bestimmten Person außer der Kenntnis des im Prospekt verschwiegenen Umstands auch noch die verwerfliche Absicht zu ihrer Verheimlichung vor dem Prospektpublikum vorliegen muss. Hat sich die Frage der Wissenszurechnung damit für den konkreten Fall auch erledigt, versagt sich der BGH doch nicht die Frage, ob die im Vertragsrecht akzeptierten Regeln der Wissenszurechnung überhaupt auf das Deliktsrecht passen.51 Im Bezug auf 49 Vgl. Harke, Besonderes Schuldrecht, Berlin/Heidelberg 2011, Rn. 550. 50 Vgl. BGH, NJW-RR 2013, 1448 (Rn. 14), NJW 2017, 250 (Rn. 17). 51 In diese Richtung weist schon eine ältere Entscheidung des sechsten BGH-Senats, in der die Wissenszurechnung, wie sie im Vertragsrecht anerkannt sei, für den „deliktischen Rahmen des § 852 BGB“ ausgeschlossen wird; vgl. BGH, NJW 1997, 1584 (1585). Die hier in Bezug genommene Entscheidung desselben Senats aus dem vorangehenden Jahr spricht insoweit vom „Rahmen des § 852 BGB“; vgl. BGH, NJW 1996, 2508 (2510).

32

I. Eine neue Entscheidung, ein altes Problem

verschiedenartige Anspruchsgrundlagen liegt nämlich ein augenfälliger Unterschied zwischen der Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung und der Judikatur zum Verjährungsbeginn, die in erster Linie den Fällen deliktischer Haftung gilt. Dass dies freilich nur ein ganz oberflächlicher Unterschied ist, der keine ungleiche Behandlung von Mitarbeiterwissen rechtfertigt, zeigt sich schon daran, dass die Rechtsprechung zuweilen auch den Regress gegen Gesundheitsdienstleister betrifft, die gleichermaßen deliktisch und wegen Verletzung von Behandlungsverträgen haftbar sind.52 Dies bedeutet aber auch nicht, dass die abweichende Beurteilung von Arglisthaftung und Verjährungsbeginn im Ergebnis verfehlt und eine gleichmäßige Behandlung beider Fälle wünschenswert wäre. Im Gegenteil: Die unterschiedliche Beurteilung beider Konstellationen ist richtig und geboten, weil sie verschiedenen gesetzlichen Regeln unterfallen.

52

BGH, NJW 2012, 1789 (Rn. 14).

II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik Trotz der Divergenz im Ergebnis war man in Rechtsprechung und Literatur bislang meist darum bemüht, das Problem der Wissenszurechnung einer generellen Lösung zuzuführen, die sich in allen Fällen gleichermaßen bewährt. Ausgangspunkt ist dabei die an § 166 BGB angelehnte Lehre vom Wissensvertreter. Da sie die gewünschten Ergebnisse nur bei manchen Konstellationen zeitigt, in anderen dagegen versagt, hat man sie um das sogenannte Gleichstellungsargument ergänzt, wonach sich eine am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation wie eine natürliche Person behandeln lassen muss, ferner um die Annahme einer Verkehrspflicht zum Informationsaustausch sowie schließlich den Rekurs auf den Grundsatz von Treu und Glauben. All diese Ansätze können entweder nicht überzeugen oder geben zumindest nicht aus, was man von ihnen verlangt. 1. Die Lehre vom Wissensvertreter Sowohl die Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung als auch die Judikatur zur Wissenszurechnung beim Verjährungsbeginn fußen auf der ursprünglich für das Versicherungsrecht entwickelten Lehre vom sogenannten Wissensvertreter. Danach beschränkt sich die Zurechnung von Kennen und Kennenmüssen

34 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

gemäß § 166 Abs. 1 BGB nicht auf einen Stellvertreter, der zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit Vertretungsmacht ausgestattet ist. Im Wege des Analogieschlusses wird die Vorschrift vielmehr auf alle Personen erstreckt, derer sich ein Geschäftsherr in ähnlicher Weise wie eines Stellvertreters bedient und die nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn damit betraut sind, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentanten bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen und weiterzuleiten.53 Es bedarf dabei zwar keiner rechtsgeschäftlichen Vollmacht oder ausdrücklichen Bestellung zum Empfang von Informationen, wohl aber einer bewussten Einschaltung der betroffenen Person, die sie einem durch Vollmacht legitimierten Stellvertreter vergleichbar macht.54 Gegen diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 166 BGB bestehen keine Bedenken. Sie folgt vielmehr der Tendenz, mit der schon die Verfasser des BGB von 1900 die Bestimmung selbst geschaffen haben. Ihr Vorbild in Art. 86 und 87 des Dresdener Entwurfs eines allgemeinen deutschen Obligationenrechts war noch auf das Thema der Willensmängel beschränkt und ordnete an, dass es für die Feststellung eines vertragsvernichtenden Irrtums oder einer arglistigen Täuschung oder Drohung statt auf den Geschäftsherrn auf die Person des Stellvertreters ankom53 Vgl. auch Richardi, Die Wissensvertretung, AcP 169 (1969) 385, 397, 403. 54 BGH, NJW 1992, 1099 (1100). Vgl. auch Richardi, AcP 169 (1969) 385, 398 und Schilken (Fn. 1), S. 225 ff.

1. Die Lehre vom Wissensvertreter

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me.55 Die erste BGB-Kommission übernahm diese Bestimmung, ergänzte sie aber um die Wendung, dass dasselbe für „Wissen oder Wissenmüssen“ gelte.56 Mit dieser Erweiterung sollte die Vorschrift auch bei Auslegungsfragen und in anderen Konstellationen zur Anwendung gebracht werden können, in denen es auf die Kenntnis oder die Erkenntnismöglichkeiten des Vertreters ankommt. Als Beispiel führt die erste Kommission dabei den Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten an, der sich nicht an der Person des Geschäftsherrn entscheiden dürfe, weil dieser bei weitreichender Vertretungsmacht stets gutgläubig sei: „Des Weiteren entscheidet die Person des Vertreters, soweit es sich um die Uebereinstimmung des wirklichen mit dem erklärten Willen, um die Erheblichkeit von Zwang, Betrug, Irrthum, Wissen und Wissenmüssen handelt . . . Bei Auslegungsfragen kommt es ebenfalls auf das an, was der Vertreter gewollt und erklärt hat. Die entsprechende Vorschrift des § 117 steht im 55 Art. 86 des Dresdener Entwurfs lautete: „Ist ein Vertrag durch einen Stellvertreter geschlossen worden, so kommt nur dessen Irrthum in Betracht. Soweit jedoch ein Stellvertreter einen Auftrag zur Schließung eines Vertrags über einen bestimmten Gegenstand vollzogen hat, so kann sich der Vertretene, wenn ihm der wahre Sachverhalt bei Ertheilung des Auftrags bekannt war, auf den Irrthum des Stellvertreters nicht berufen.“ Art. 87 hatte folgenden Wortlaut: „Ist ein Stellvertreter zur Schließung des Vertrags durch Furcht oder Betrug bestimmt worden, so kann der Vertretene den Vertrag anfechten.“ 56 § 117 des ersten Entwurfs des BGB lautete: „Das Erforderniß der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen, ingleichen die Erheblichkeit von Drohung, Betrug, Irrthum, Wissen und Wissenmüssen bestimmt sich nach der Person des Vertreters.“

36 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik Wesentlichen mit den angeführten Bestimmungen des sächsischen Gesetzbuchs und des Dresdener Entwurfs im Einklange; nur sind die aus der Person des Vertreters zu entnehmenden Momente vollständiger aufgeführt. Letzteres ermöglicht zugleich, von einem besonderen Hinweise auf die aus der Person des Vertretenen zu beurtheilenden Momente abzusehen. Die abweichende Regelung des bayerischen und hessischen Entwurfs, nach welcher es, wenigstens bei freigewählter Vertretung, hinsichtlich des Irrthumes und mithin auch Hinsichtlich des guten Glaubens nur auf die Person des Vertretenen ankommen soll, führen zu erheblichen Härten; bei Generalvollmachten wird darnach kaum je ein Irrthum in Frage kommen können und fast immer guter Glaube angenommen werden müssen.“ 57

Die zweite BGB-Kommission hat an dieser Grundentscheidung festgehalten und sich damit begnügt, den Wirkungsbereich der Bestimmung mit dem auch in der Gesetzesfassung zu findenden Begriff der „rechtlichen Folgen einer Willenserklärung“ abstrakt zu umschreiben. Diese Formulierung bedeutet eine nicht unerhebliche Einschränkung der vorher für „Wissen und Wissenmüssen“ schlechthin geltenden Regelung; die zweite Kommission betrachte die Neufassung jedoch als rein „redaktionelle“ Änderung58 und beließ es immerhin dabei, dass „Kenntnis und Kennenmüssen“ des Vertreters alternativ neben den Willensmängeln erscheinen. Indem er die Beschränkung auf das Problem der Willensmängel beseitigte, lockerte der Gesetzgeber

57 58

Mot., Mugdan, Bd. 1, S. 477. Prot., Mugdan, Bd. 1, S. 738.

1. Die Lehre vom Wissensvertreter

37

von 1900 den Bezug der Vorschrift auf die Frage der Gültigkeit eines vom Vertreter vorgenommenen Rechtsgeschäfts. Da er die Bestimmung so für eine Vertretung des Geschäftsherrn beim Erwerb von Kenntnissen oder Erkenntnismöglichkeiten jeder Art öffnete, bereitete er eigens den Boden für die analoge Anwendung der Vorschrift jenseits der Fälle einer regelrechten Stellvertretung. Denn für den Rechtsverkehr bedeutet es keinen relevanten Unterschied, ob jemand, der vom Geschäftsherrn eingeschaltet und im Zuge seiner Tätigkeit Informationen erlangt hat, mit einer Vertretungsmacht ausgestattet ist, die ihm auch den wirksamen Abschluss von Rechtsgeschäften mit Wirkung für den Geschäftsherrn ermöglicht; es genügt völlig, dass er in einer für den Rechtsverkehr erkennbaren Weise für den Geschäftsherrn auftritt und die Erlangung von Informationen dabei in den ihm zugewiesenen Aufgabenbereich fällt. Die Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB auf sogenannte „Wissensvertreter“ zeitigt genau die Ergebnisse, zu denen die Rechtsprechung bei der Beurteilung des Verjährungsbeginns kommt. Die Anknüpfung an eine der Bevollmächtigung vergleichbare Einschaltung der Hilfsperson zur Aufnahme von Informationen bewirkt, dass es bei Behörden und sonstigen Organisationen auf die interne Aufgabenverteilung ankommt: Nur wenn ein Mitarbeiter auch mit der Geltendmachung von Ansprüchen betraut ist, kann der Organisation seine Kenntnis der für die Anspruchsdurchsetzung relevanten Umstände zugerechnet werden. Liegt die Verfolgung von Ansprüchen dagegen jenseits seiner Zuständigkeit, fehlt es an einer Ermächtigung zur Bildung zurechenbaren Wissens,

38 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

wie sie das Vorbild der Erteilung rechtsgeschäftlicher Vollmacht nötig macht.59 Über die Figur der Wissensvertretung führt aber kein Weg zur Zurechnung von Mitarbeiterwissen, wie sie der BGH bei der vertraglichen Arglisthaftung vornimmt.60 Denn das Kriterium, ob die Speicherung und der Abruf einer Information erwartet werden kann, lässt für eine Rücksicht auf die interne Zuständigkeitsverteilung nur insoweit Raum, als derjenige, dem der mangelnde Abruf von Wissen zum Vorwurf gereicht, auch hierzu berufen sein muss, weil er mit Abschluss des haftungsträchtigen Vertrags befasst ist. Das Gebot der Speicherung aufgenommenen Wissens ist dagegen unabhängig von dieser Aufgabe und schon dann einschlägig, wenn derjenige, der die Kenntnis erlangt hat, deren Bedeutung erkennt oder erkennen kann. § 166 Abs. 1 BGB taugt hierfür keineswegs als Begründung, sondern rechtfertigt eher einen Gegenschluss, weil er die Wissenszurechnung

59 Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man mit Bruns (Fn. 1), S. 152 ff. als Ausgangspunkt für den Analogieschluss statt auf § 166 Abs. 1 BGB auf die Bestimmung über die Empfangsvertretung in § 164 BGB zurückgreifen will. 60 Insoweit richtig Waltermann, AcP 192 (1992) 180, 201, 212 ff., NJW 1993, 889, 892 ff., der wegen der Grenzen der Analogiefähigkeit von § 166 BGB eine gesetzliche Regelung der Wissenszurechnung fordert. Ferner Grunewald (Fn. 1), S. 301, 314, Medicus, Karlsruher Forum 1994 (1995) 4, 13 und Buck (Fn. 1), S. 366, Spindler (Fn. 1), S. 636 f. Anders wohl nur Römmer-Collmann (Fn. 1), S. 164 ff., der die Pflicht zur Wissensorganisation gerade aus § 166 BGB ableiten will.

1. Die Lehre vom Wissensvertreter

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an eine entsprechende Ermächtigung und damit auch an die Zuständigkeit des Kenntnisträgers bindet.61 Nicht überzeugen kann daher der vom achten Senat des BGH angestellte Versuch, die Wissensvertreterlehre mit der vom fünften Senat bejahten Wissenszurechnung wegen Organisationsmangels in der Weise in Einklang zu bringen, dass als Wissensvertreter schon gilt, wer die maßgebliche Information überhaupt erlangt.62 Der achte Senat wollte so die vertragliche Arglisthaftung eines im Kraftfahrzeughandel tätigen Unternehmens für den Mangel eines Wagens begründen, der von einem Mitarbeiter der Einkaufsabteilung zwar entdeckt, dem mit dem Verkauf betrauten Angestellten aber verborgen geblieben war. Zwar durften die Bediensteten der Einkaufsabteilung durchaus für sich in Anspruch nehmen, Wissensvertreter ihres Unternehmens zu sein; diese Rolle beschränkte sich jedoch auf den Fahrzeugerwerb und umfasste nicht auch die weitere Veräußerung der erworbenen Wagen. Dass die Mitarbeiter der Einkaufsabteilung nach den Maßstäben eines gehörigen Informationsaustauschs zur Weitergabe ihrer Kenntnisse verpflichtet waren, macht sie noch nicht zu Wissensvertretern gegenüber den Fahrzeugkäufern. Eine Wissenszurechnung auf der Basis von § 166 Abs. 1 BGB kommt hier ebenso wenig in Betracht, wie sie durch die interne Weisung eines Sozialversicherungsträgers

61 So Canaris, Bankvertragsrecht, Berlin 2005, Rn. 800a. 62 BGH, Urteil vom 31. Januar 1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 f.

40 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

an die Leistungsabteilung, ihre Kenntnisse der Regressabteilung weiterzuleiten, gerechtfertigt wäre. Eine Stütze findet die Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung in § 166 BGB allenfalls insoweit, als Abs. 2 der Bestimmung vorschreibt, dass ein Geschäftsherr, der selbst bestimmte Kenntnisse oder Erkenntnismöglichkeiten hat, sich nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen kann.63 Diese Regel geht wiederum auf eine Bestimmung des Dresdener Entwurfs über Willensmängel beim Vertretergeschäft hervor64 und ist von den Verfassern des BGH auf andere Fälle der Kenntnis oder des Kennenmüssens ausgedehnt worden. Die Beschränkung auf Geschäfte, bei denen der Vertreter „nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers“ handelt, ist vom Gesetzgeber, wenn auch bewusst, so doch unreflektiert aufgenommen worden65 und sachlich nicht zu rechtfertigen66. Von der Rechtsprechung ist der Geltungsbereich der Bestimmung folgerichtig entgegen ihrem Wortlaut auf alle Fälle ausgedehnt worden, in denen der Vertretene, statt „bestimmte“ Weisungen zu erteilen, schlicht

63 Insoweit richtig Römmer-Collmann (Fn. 1), S. 165 f. Anders Dauner-Lieb (Fn. 1) S. 51, die § 166 Abs. 2 BGB gerade ein Argument gegen die Wissenszurechnung entnehmen will. 64 Namentlich den auf die Irrtumsproblematik bezogenen S. 2 von Art. 86 (s. o. Fn. 55). 65 Vgl. Mot., Mugdan, Bd. 1, S. 478: „Die Vorschrift auf alle Vollmachtsfälle bzw. alle Vertretungsfälle auszudehnen, in welchen der Vertretene Kenntniß von der Vornahme eines Rechtsgeschäftes in seinem Namen hat, ist bedenklich, und praktisch liegt kein Bedürfniß dazu vor.“ 66 Altmeppen, BB 1999, 749, 752.

2. Das Gleichstellungsargument

41

das konkrete Vertretergeschäft veranlasst hat.67 § 166 Abs. 2 BGB wird damit zum Träger des Rechtsgedankens, dass sich ein Geschäftsherr nicht hinter einem unwissenden Vertreter verstecken und sich durch dessen Einschaltung nicht von den Kenntnissen oder Erkenntnismöglichkeiten entlasten darf, die ihm ansonsten zum Nachteil gereichten.68 Für die Zurechnung von Wissen, dessen Speicherung und Abruf erwartet werden darf, bedeutet es, dass sich eine Organisation nicht auf die mangelnde Kenntnis oder Erkenntnismöglichkeit desjenigen berufen kann, der die Informationen hätte abrufen müssen, dies aber nicht konnte, weil sie vorher gar nicht erst gespeichert worden sind. Hätten sie gespeichert werden müssen, gelten sie als bei der Organisation vorhanden und sind ihr folglich auch dann zuzurechnen, wenn ihr Vertreter, der sie wegen des bevorstehenden Vertragsschlusses hätte abrufen sollen, hierzu mangels Speicherung gar nicht in der Lage war. 2. Das Gleichstellungsargument Liefert § 166 BGB keine Basis für die umfassende Zurechnung zu speichernden Wissens, nimmt nicht wunder, dass die Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung auf andere Begründungsmuster verfallen ist. Eine hervorragende Rolle spielt dabei das sogenannte Gleichstellungsargument. In seiner Entscheidung von 1989 dient es dem fünften Senat des BGH als Grundlage für die Annahme, eine Gemeinde 67 68

BGH, NJW 1962, 2251, NJW 1969, 37 (38). Vgl. Waltermann, AcP 192 (1992) 180, 210.

42 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

müsse sich das typischerweise aktenmäßig festgehaltene Wissen zurechnen lassen: Ein Bürger, der mit einer Gemeinde einen Vertrag eingehe und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringe, dürfe nicht schlechter gestellt werden, als wenn er den Vertrag mit einer natürlichen Person eingehe.69 Die komplementäre Erwägung, man dürfe durch die Beteiligung einer Organisation auch nicht besser als bei einem Vertrag mit einer natürlichen Person stehen, diente dem fünften Senat dann 1992 als Argument für die Ablehnung der Wissenszurechnung bei Kenntnissen, die ein nicht nach außen hervorgetretener Bediensteter der Gemeinde erlangt hatte.70 Zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Gleichstellungsargument kam es schließlich in der Grundsatzentscheidung von 1996, in der der fünfte Senat beide früheren Ansätze miteinander verband und forderte, dass der Vertragspartner einer Gemeinde oder sonstigen juristischen Person weder besser noch schlechter als jemand stehen dürfe, der einer natürlichen Person gegenübertrete.71 Die Grenzen, die sich hieraus für die Wissenszurechnung ergeben, sehen der fünfte Senat und der ihm auch insoweit folgende elfte Senat72 dadurch gezogen, dass nur diejenigen Kenntnisse berücksichtigt werden, zu deren Abruf der am Vertragsschluss beteiligte Bedienstete sowohl eine reale Möglichkeit als auch einen konkreten Anlass hat; so werde verhindert, dass die Or69 70 71 72

BGH, NJW 1990, 975 (976). BGH, NJW 1992, 1099 (1100). BGH, NJW 1996, 1339 (1340). BGH, NJW 1997, 1917 f.

2. Das Gleichstellungsargument

43

ganisation weit über die Schranken hinaus belastet werde, die dem Erinnerungsvermögen einer natürlichen Person gesetzt seien und bewirkten, dass ihr Wissen zeitlich begrenzt und selektiv nach Wichtigkeit des maßgeblichen Vorgangs erhalten bleibt.73 Hieraus folgt insbesondere, wie der neunte Zivilsenat des BGH unlängst eigens festgestellt hat, dass das bloße Vorhandensein archivierter Unterlagen noch keine automatische Zurechnung der hierin festgehaltenen Kenntnisse vermittelt;74 angebracht ist diese nur, wenn der mit dem Vorgang befasste Mitarbeiter auch über Hinweise verfügt, die auf dieses Wissen hindeuten und seinen Abruf rechtfertigen. Ist mit dieser Einschränkung auch gewährleistet, dass die Organisation ebenso wie eine natürliche Person „vergessen“ kann,75 hat das Gleichstellungsargument, für das sich der fünfte Senat des BGH in diesem Punkt vor allem auf seine Behandlung bei Medicus76 beruft, doch eine offenkundige Schwäche, die im Schrifttum auch schon zur Genüge kritisiert worden ist: Wer sich als Vertrags- oder Verhandlungspartner einer Organisation gegenübersieht, weiß dies und glaubt nicht etwa, er habe es mit einer natürlichen Person zu tun.77 Fast immer baut er sogar auf die Organisation, weil er von ihr eine komplexe Leistung er73

BGH, NJW 1996, 1339 (1341), NJW 1997, 1917 f. Urteil vom 13. Januar 2015 – IX ZR 303/12, NJW 2015, 1948, Rn. 25. 75 Daher geht die hieran ansetzende Kritik von Goldschmidt (Fn. 1), S. 69 ff. ins Leere. 76 Karlsruher Forum 1994 (1995) 4, 12. 77 Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (1995) 16, 27, Buck (Fn. 1), S. 370. 74

44 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

wartet, die eine natürliche Person entweder überhaupt nicht oder zumindest nur zu ganz anderen Bedingungen erbringen könnte.78 Die für eine Organisation typische Arbeitsteilung, die das Risiko einer Wissensaufspaltung mit sich bringt, ist die zwangsläufige Folge der Spezialisierung und liegt als solche nicht nur im gesamtwirtschaftlichen, sondern meist auch im Interesse des einzelnen Vertragspartners, der sonst einen höheren Preis für die von der Organisation erwartete Leistung zahlen müsste. Ja dieser Preis lässt sich sogar direkt als Argument gegen eine Wissenszurechnung einsetzen, weil mit dieser die Haftungsrisiken der Organisation und damit auch deren Kosten steigen, die dann über den Preis an den Vertragspartner weitergegeben werden.79 Da man ohne entsprechende Vereinbarung im Vertrag nun aber auch nicht umgekehrt behaupten kann, der ausgemachte Preis sei gerade mit Blick auf das Risiko einer Wissensaufspaltung bestimmt, lässt sich das hinter dem Gleichstellungsargument stehende Gleichbehandlungsgebot freilich auch nicht gegen eine Wissenszurechnung wenden:80 Ebenso wenig, wie man aus dem Vergleich von Organisation und natürlicher Person auf deren informationelle Gleichbehandlung schließen kann, darf man aus den Unterschieden, die zwischen beiden bestehen, folgern, das Risiko einer Wissensaufspaltung in der Organisation 78 Dauner-Lieb (Fn. 1), S. 57, Koller, JZ 1998, 75, 77, Baum (Fn. 1), S. 186, Bott (Fn. 1), S. 52, Spindler (Fn. 1), S. 643 f. 79 Koller, JZ 1998, 75, 83. 80 So in der Tendenz richtig Buck (Fn. 1), S. 321.

2. Das Gleichstellungsargument

45

sei stets vom Vertragspartner zu tragen. Das Gleichbehandlungsgebot braucht, um als Argument für oder gegen die Gleichstellung von Organisation und natürlicher Person operabel zu werden, eines normativen Ansatzpunktes, der die Gleichbehandlung oder ihr Gegenteil erzwingt. Es bleibt wertlos, wenn es isoliert eingesetzt wird, weil es dann lediglich von einer Beziehung tatsächlicher Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit ausgehen kann:81 Die im Interesse beider Vertragsparteien liegende Nutzung der Vorteile von Arbeitsteilung steht dabei auf der einen Seite, das einheitliche Auftreten der Organisation als Vertragspartner in Gestalt einer juristischen Person oder eines vergleichbaren Personenverbands auf der anderen. Spricht dieses für eine Gleichbehandlung in informationeller Hinsicht, spricht jene dagegen, ohne dass sich abstrakt ausmachen ließe, welchem der beiden Gesichtspunkte der Vorrang zukäme. Dieselbe Ambivalenz hat der Vergleich zwischen einer arbeitsteilig tätigen Organisation und solchen, die auf das Konzept des Outsourcing zurückgreifen und Funktionen auf selbständige Unternehmen auslagern. Sieht man in einer weitreichenden Wissenszurechnung innerhalb der Organisation eine unzulässige Benachteiligung gegenüber den mit Nachunternehmern arbeitenden Anbietern,82 setzt man unausgesprochen voraus, dass in diesem zweiten Fall keine

81 Ähnlich Bott (Fn. 1), S. 51 ff., der den Verweis auf die Arbeitsteilung für zu abstrakt hält und in ihr ein rein tatsächliches Phänomen ohne normative Aussagekraft erkennt. 82 So Koller, JZ 1998, 75, 79.

46 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

Wissenszurechnung stattfindet. Mit demselben Recht könnte man aber auch fordern, dass beim Outsourcing eine Zurechnung des Wissens der Nachunternehmer in eben dem Umfang erfolgt, wie sie innerhalb der arbeitsteilig wirkenden Organisation erfolgt.83 Ohne normativen Anhaltspunkt führt also auch dieser Vergleich ins Leere. Begibt man sich auf die Suche nach einer Norm, an die das Gleichstellungsargument anknüpfen kann, wird man jedenfalls bei § 166 BGB nicht fündig. Zwar lässt sich dieser Vorschrift entnehmen, dass derjenige, der sich eines Vertreters bedient, von der hiermit einhergehenden Aufspaltung der Kenntnisse nicht profitieren und daher so behandelt werden soll, als habe er das vom Vertreter abgeschlossene Geschäft selbst getätigt. Die angeordnete Gleichstellung einer Personenmehrheit mit einer einzelnen Person ist aber nicht an das bloße Auftreten des Vertreters oder Geschäftsherrn im Rechtsverkehr geknüpft, sondern setzt außerdem voraus, dass der Vertreter mit Vertretungsmacht ausgestattet ist. Lässt sich dieser Gedanke auch auf den Fall des Wissensvertreters übertragen, der mit einer vergleichbaren Ermächtigung zum Empfang von Kenntnissen ausgestattet ist, kann er doch nicht in der Weise verallgemeinert werden, dass dem Geschäftsherrn das Risiko jeglicher Art von Arbeitsteilung zugewiesen ist. Nur die Gefahren, die sich aus der bewussten Einschaltung eines Gehilfen gegenüber einem Kontrahenten ergeben, können mit Hilfe von § 166 BGB bewältigt werden, nicht dagegen eine Wissensaufspaltung, die mit der Einrichtung 83

So Buck (Fn. 1), S. 321.

3. Pflicht zur Organisation der Kommunikation

47

einer arbeitsteiligen Organisation schlechthin verbunden ist. 3. Pflicht zur Organisation der verbandsinternen Kommunikation Vermag das Gleichstellungsargument weder für sich allein noch in Kombination mit § 166 BGB eine allgemeine Wissenszurechnung zu rechtfertigen, ist verständlich, warum Medicus, dem der fünfte Senat auch insoweit folgt, es mit einem anderen Gesichtspunkt verbunden hat. Es ist der Gedanke der Risikozuweisung kraft Gefahrenschaffung und -beherrschung, der zuweilen auch mit dem Etikett der Zurechnung des „Betriebsrisikos“84 versehen ist: Das aus der Wissensaufteilung folgende Risiko soll von deren Veranlasser getragen werden, der die Gefahr auch durch eine zweckmäßige Einrichtung der Organisation beherrschen kann.85 Dieser Gedanke der Gefahrenkontrolle ist vor allem aus dem Deliktsrecht bekannt, wo sie der Herleitung von Verkehrspflichten dient, deren Verletzung darüber entscheidet, ob jemand für die Beeinträchtigung eines absoluten Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB einzustehen hat. In eben dieser Wendung hat den Gedanken auch der fünfte Senat rezipiert und mit dem Gleichstellungsargument verbunden: Schon in der Entscheidung von 1992 hatte der Senat eine Wissenszurechnung aufgrund des zuvor vom dritten Senat86 herausgearbeiteten Gesichtspunkts er84 85

So Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 800a. Vgl. Medicus, Karlsruher Forum 1994 (1995) 4,

11 f. 86

BGH, NJW 1989, 2879 (2881).

48 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

wogen, dass ein organisationsinterner Informationsaustausch möglich und naheliegend war.87 In der Grundsatzentscheidung von 1996 machte der fünfte Senat diesen Informationsaustausch dann zum Gegenstand einer regelrechten Pflicht. Sie sei einer Verkehrspflicht ähnlich und beruhe auf der „Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereichs“: Eine Organisation, die am Rechtsverkehr teilnehme, müsse so strukturiert sein, dass Informationen, deren Bedeutung für andere Personen innerhalb dieser Organisation erkennbar sei, weitergeleitet und auch von den Adressaten abgefragt würden.88 Als Grundlage dieser Pflicht benennt der fünfte Senat den „Gedanken des Verkehrsschutzes“ und die „berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs“.89 Nach Taupitz, auf den sich der Senat hier ebenfalls stützt, sollen sie darin bestehen, dass die Kommunikation innerhalb der Organisation ordnungsgemäß organisiert ist.90 Ein solches schutzwürdiges Vertrauen hatte zuvor schon Grunewald ausgemacht.91 Auch wenn man seine Berechtigung trefflich mit dem Argument in Frage stellen kann, die gehörige Organisation der internen Kommunikation sei ein bloßes Ideal und biete daher keine Basis für ein Vertrauen,92 bleibt 87

BGH, NJW 1992, 1099 (1100). BGH, NJW 1996, 1339 (1341). 89 BGH a. a. O. 90 Taupitz, Karlsruher Forum 1994 (1995) 16, 26 f. 91 Grunewald (Fn. 1), S. 304 ff. 92 So Baum (Fn. 1), S. 213 ff., 225 für die von ihm so genannten Fälle der „handlungsunabhängigen“ Wissenszurechnung, die freilich im Ergebnis ebenso behandelt werden sollen wie die Konstellationen einer „handlungs88

3. Pflicht zur Organisation der Kommunikation

49

noch der hiervon unabhängige Gedanke der Verkehrseröffnung und -beherrschung: Wer im Verkehr als Organisation auftritt, setzt diejenigen, die mit ihr in Kontakt kommen, den sich hieraus ergebenden Risiken und insbesondere der Gefahr einer Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung aus. Es liegt nahe, diese Risiken der Organisation als derjenigen zuzuweisen, die sie auch beherrschen kann.93 Dieses Modell der Ableitung einer Wissenszurechnung ist der Kritik vor allem in zwei Punkten ausgesetzt: Zum einen bleibt, wenn man abstrakt eine Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der internen Kommunikation postuliert, offen, worin denn die Hauptpflicht bestehen soll, die durch die Organisationspflicht ergänzt oder konkretisiert wird;94 zum anderen bleibt unerklärlich, warum die Pflichtverletzung im Gegensatz zu anderen Sorgfaltsverstößen nicht mit einer Haftung für die hieraus resultierenden Folgen, sondern mit der Fiktion bewehrt sein soll, dass ein in Wirklichkeit nicht vorhandenes Wissen doch gegeben sei95. Beide Probleme hängen miteinander zusammen abhängigen“ Wissenszurechnung nach dem Modell von § 166 BGB (S. 309 ff.). 93 Hierfür tritt Baum (Fn. 1), S. 249 ff. ein, der die Pflicht zum ordnungsgemäßen Informationsaustausch durch ein bewegliches System konkretisieren will, dessen maßgebliche Elemente die technische Möglichkeit und die Kosten der Beherrschung sowie die Größe des Risikos sind. Für den Einsatz eines solchen beweglichen Systems mit ähnlichen Kriterien ist auch Vogel (Fn. 1), S. 258 ff. 94 Insoweit richtig Buck (Fn. 1), S. 433. 95 Baum (Fn. 1), S. 212, 224 nennt dies im Anschluss an Canaris’ Lehre von der Vertrauenshaftung eine „Vertrauensentsprechung“ im Gegensatz zum Ersatz des Ver-

50 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

und fußen im Mangel einer normativen Verankerung,96 an der nicht nur das Gleichstellungsargument, sondern auch die Annahme einer Organisationspflicht krankt: Die Verkehrspflichten, von deren Verletzung eine deliktische Haftung ausgeht, beruhen auf dem Schädigungsverbot des § 823 Abs. 1 BGB, der eine Haftung für die Verletzung eines absoluten Rechts vorschreibt. Da dieses in den Fällen, in denen die vertragliche Arglisthaftung in Betracht kommt, nicht betroffen ist, bleibt außer der deliktischen Arglisthaftung nach § 826 BGB nur die Pflicht zur Rücksicht auf die Interessen eines anderen, die §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB für jede Form des geschäftlichen Kontakts vorschreiben. Diese Pflicht deckt auch reine Vermögensschäden ab, die mit der Wissenszurechnung bewältigt werden sollen, begründet aber lediglich eine allgemeine Fahrlässigkeitshaftung für die Folgen der vorgeworfenen Sorglosigkeit.97 Den Anforderungen, die an eine normative Basis der Wissenszurechnung zu stellen sind, genügt diese gleich in zweifacher Hinsicht nicht: Erstens bleibt die mangelnde Sorgfalt bei der Einrichtung der internen Kommunikation, selbst wenn man hierin eine Verletzung der vorvertraglichen Rücksichtspflicht erkennt, eine Fahrlässigkeitstat, die

trauensschadens, bleibt dann aber eine Erklärung schuldig, warum es die Folge der Verletzung einer Pflicht sein soll, die der Verkehrspflicht ähnlich ist (S. 307). Vgl. hierzu auch Spindler (Fn. 1), S. 645 f. 96 Eine hinreichende Stütze im Gesetz vermisst auch Bruns (Fn. 1), S. 145. 97 Vgl. auch Spindler (Fn. 1), S. 636 f.

4. Grundsatz von Treu und Glauben

51

noch nicht genügt, um die vertragliche Arglisthaftung zu begründen.98 Zweitens wäre die Rechtsfolge des Verstoßes gegen die Organisationspflicht, wenn man sie wie die Verletzung der vorvertraglichen Pflicht zur Rücksicht auf die Interessen möglicher Vertragspartner behandelt, ein Anspruch auf Herstellung des Zustands, der bei einem ordnungsgemäßen Organisationsaustausch eingetreten wäre. In diesem Fall wäre der Vertrag, auf den die Haftung gegründet ist, wahrscheinlich nicht zustande gekommen, so dass der geschädigte Kontrahent zwar seine Befreiung von der Vertragsbindung, nicht aber das positive Interesse ersetzt verlangen kann, dessen Ersatz ihm im Fall einer arglistigen Täuschung über den Mangel des Vertragsgegenstands zusteht. 4. Grundsatz von Treu und Glauben Die Unzulänglichkeiten der Lehre von der Organisationspflicht vermeidet man nur scheinbar, wenn man stattdessen mit Buck-Heeb vom Gebot von Treu und Glauben ausgeht. Nach diesem Ansatz soll es in den Fällen einer organisationsbedingten Wissensaufspaltung nicht zu einer regelrechten Wissenszurechnung kommen; stattdessen soll der Organisation lediglich gemäß § 242 BGB die Berufung auf das Nichtwissen der handelnden Personen verwehrt sein, wenn dies durch ein entsprechendes Vertrauen des Gegenüber 98 Richtig Buck (Fn. 1), S. 437 ff.; vgl. ferner Spindler (Fn. 1), S. 642 ff., der hieraus den Schluss zieht, eine Organisationspflicht sei nur dann anzunehmen, wenn es statt um die positive Kenntnis um das Kennenmüssen eines Sachverhalts gehe.

52 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

gerechtfertigt ist.99 Diese Lösung hat den großen Vorteil, dass sie sowohl ohne die Konstruktion einer Pflicht zur Organisation der internen Kommunikation auskommt als auch eine Fiktion vermeidet, wie sie beim Schluss von fahrlässigem Fehlverhalten auf vorhandenes Wissen stattfindet.100 Auf diese Weise sind die Probleme jedoch mehr verdrängt als gelöst. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wirkt hier nämlich nicht anders in übrigen Fällen, in denen er lediglich Platzhalter für eine gehörige dogmatische Ableitung der Fallentscheidung ist:101 Richtet sich der Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung gegen widersprüchliches Verhalten einer Partei, erfüllt der Einwand eine Funktion, die seit der Fortentwicklung der Rechtsgeschäftslehre besser von dieser wahrgenommen wird.102 Es geht nämlich stets um das Vertrauen in den zurechenbar gesetzten Anschein, eine Partei werde sich künftig in bestimmter Weise verhalten, nämlich einer vom anderen Teil angenommenen Pflicht unterwerfen oder auf die Geltendmachung eines Rechts verzichten. Das passende Instrument hierfür ist statt des reichlich unpräzisen Grundsatzes von Treu und Glauben die Figur der konkludenten Willenserklärung, mit der sich jemand auch ohne entsprechende Absicht bindet, wenn ihm die Erklärung nur zurechenbar ist. Anders als gegenüber dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung verfügt der Erklärende hier über die Möglichkeit einer 99

Buck (Fn. 1), S. 448 ff. Buck (Fn. 1), S. 454, 461. 101 Vgl. Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 338 ff. 102 Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 341 ff. 100

4. Grundsatz von Treu und Glauben

53

Anfechtung, mit der er den Anschein der Erklärung wieder zerstören kann. Es gibt keinen Grund, sie nur bei ausdrücklichen Willenserklärungen zuzulassen, aber zu versagen, wenn sich das Vertrauen des anderen Teils auf ein konkludentes Verhalten richtet. Stattdessen ist ein Erst-recht-Schluss angebracht: Lässt man schon eine Anfechtung expliziter Erklärungen zu, muss man dies umso mehr bei anderem Verhalten tun, an das eine vergleichbare Erwartung geknüpft ist. Soll mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung dagegen ein vergangenes oder aktuelles Fehlverhalten einer Partei sanktioniert werden, ist die richtige Rechtsfolge eine Schadensersatzpflicht, die sich nicht nur aktiv geltend machen, sondern auch einredeweise einem Anspruch des Kontrahenten entgegenhalten lässt.103 Sie durch den Rekurs auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu ersetzen, bringt das Risiko mit sich, dass er das Recht des anderen Teils auch dann abschneidet, wenn seine Erhebung gar nicht seiner Schadensersatzpflicht widerspricht, weil die Entstehung des Rechts überhaupt nicht kausal mit der Pflichtverletzung verknüpft ist, die dem Anspruchsinhaber vorgeworfen werden kann. Die Einwände, die sich gegen die Annahme einer Pflicht zur Organisation des internen Informationsaustauschs richten, treffen den Rekurs auf den Grundsatz von Treu und Glauben also nicht minder. Dieser verschleiert nur, dass es in Wahrheit doch ein unterstelltes Fehlverhalten ist, das der Organisation zum Nachteil gereicht. Folglich muss es auch eine korre103

Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 339 f.

54 II. Bisherige Begründungsansätze und ihre Kritik

spondierende Pflicht geben, die auf das Vertrauen der übrigen Verkehrsteilnehmer fußen soll. Und die Verletzung dieser Pflicht wird, wenn der Organisation verwehrt ist, sich auf das Nichtwissen der handelnden Personen zu berufen, in gleicher Weise wie bei der Fiktion von Wissen sanktioniert. Bedeutet der Weg über § 242 BGB damit keinen inhaltlichen Fortschritt gegenüber der Annahme einer Organisationspflicht, birgt er zudem die weitere Gefahr einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit. Denn der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist, wenn man ihn überhaupt anerkennen möchte, eine Ausnahmefigur für Sondersituationen, seine Handhabung daher vor allem dem Einzelfall und individuellen Rechtsgefühl des Rechtsanwenders überlassen.104 Das mit den übrigen Ableitungsversuchen verfolgte Ziel einer vorhersehbaren Zurechnungspraxis wird so nachgerade vereitelt.

104 Hieran entzündet sich auch die berechtigte Kritik von Reinhardt, Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, Berlin 2010, S. 182 f., der für die Beurteilung öffentlich-rechtlicher Sachverhalte statt auf den Gedanken des Vertrauensschutzes auf den in § 24 VwVfG festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz zurückgreifen will (S. 173 ff.) und den so gewährleisteten Schutz gegen das Risiko einer Wissensaufspaltung auf das Rechtsstaatsprinzip zurückführt (S. 177 f.). Dem Vorwurf, Wissen auf diesem Wege bloß zu fingieren, will Reinhardt dadurch wehren, dass er es, wenn auch nicht in der Person des betroffenen Amtsträgers, so doch in dem Organisationsbereich der Behörde als wirklich vorhanden ansieht (S. 184).

III. Eine differenzierte Lösung Vermögen die bisher erprobten Begründungsansätze nicht zu überzeugen, ist der Ausweg aus dem Dilemma doch schon gewiesen. Zu verdanken haben wir ihn Canaris. Dessen vielzitierte Ausführungen in seinem Bankrechtshandbuch sind weniger erhellend als ein Diskussionsbeitrag, in dem er sich mit der Meinung von Medicus auseinandersetzt.105 Darin fordert er zum einen engere Anbindung der Fallentscheidung an das Gesetz unter Einbeziehung der hier vorgesehenen Zurechnung von Gehilfenverschulden gemäß § 278 BGB; zum anderen tritt er für eine stärkere Differenzierung zwischen den einzelnen Konstellationen der Wissenszurechnung unter Berücksichtigung des jeweils maßgeblichen Gesetzeszwecks ein. Kombiniert man beide Gedanken, tritt an die Stelle des vergeblich erstrebten Einheitsmodells eine differenzierte Lösung, die anhand der jeweils einschlägigen Norm zwischen zwei Arten von Wissenszurechnung unterscheidet: Auf der einen Seite stehen die Bestimmungen über die Verschuldenshaftung und verwandte Regelungen, auf der anderen Seite Vorschriften, deren Rechtsfolgenanordnung eher einer Willenserklärung ähnelt. Bei diesen erklärungsorientierten Regelungen muss die Wissenszurechnung nach der 105

Karlsruher Forum 1994 (1995) 34 f.

56

III. Eine differenzierte Lösung

Lehre vom Wissensvertreter erfolgen, die mit ihrer Ableitung aus § 166 BGB in der Rechtsgeschäftslehre verankert ist. Für die haftungsorientierten Bestimmungen ist der passende Ansatzpunkt dagegen § 278 BGB, mit dem das Gesetz eine generelle Aussage für die Behandlung von Arbeitsteilung in Verschuldensfällen trifft. Sie rechtfertigt eine Wissenszurechnung in viel weiterem Umfang als die Lehre vom Wissensvertreter. Unterfällt dieser vor allem die Bestimmung des Verjährungsbeginns, ist § 278 BGB der richtige Ausgangspunkt für die Beurteilung von vorvertraglicher Arglist und bösem Glauben. 1. § 278 BGB als Regelungsmodell für Zu- und Zusammenrechnung Die Frage, ob sich der Bestimmung des § 278 BGB eine Lösung für das Problem der Wissenszurechnung abgewinnen lässt, ist schon häufig gestellt worden. Fast ausnahmslos wird sie mit einer knappen, aber scheinbar einleuchtenden Begründung verneint: Die gesetzliche Anordnung, ein Schuldner habe das Verschulden eines von ihm eingesetzten Erfüllungsgehilfen wie eigenes zu vertreten, passe nicht, wenn es statt um ein Fehlverhalten des Gehilfen lediglich um seine Kenntnisse gehe, deren mangelnde Weitergabe oder Nutzung der Organisation insgesamt oder anderen in ihr wirkenden Personen zur Last fällt.106 Das 106 So Richardi, AcP 169 (1969) 385, 390 f., Schilken (Fn. 1), S. 55, Waltermann, AcP 192 (1992) 180, 188, ders., NJW 1993, 889, 894, Vogel (Fn. 1), S. 112 f., Baum (Fn. 1), S. 136, Bott (Fn. 1), S. 35 und Bruns (Fn. 1), S. 138. Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1251 (1258 f.)

1. § 278 BGB als Regelungsmodell

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zugerechnete Wissen könne allenfalls Voraussetzung einer Pflicht sein, deren Verletzung durch einen Erfüllungsgehilfen dann nach § 278 BGB beurteilt werde.107 Dieses Argument beruht auf einem Fehlverständnis von Bedeutung und Funktionsweise der Norm, das seinen Ursprung in den Motiven zum ersten Entwurf des BGB hat: Zur Rechtfertigung der verschuldensunabhängigen Haftung des Schuldners für seine Erfüllungsgehilfen stellte die erste BGB-Kommission zwei miteinander verknüpfte Erwägungen an, von denen die eine konkret und richtig, aber nur undeutlich ausgeführt, die andere dagegen zu generell und in dieser Allgemeinheit falsch ist.108 Die Abkehr vom Gemeinen Recht, in dem man einen Schuldner beim Einsatz eines Erfüllungsgehilfen bloß für sein Auswahlverschulden einstehen ließ, begründet die Kommission außer durch den tautologischen Hinweis auf die Verkehrserwartung mit der Veranlassung der Arbeitsteilung: Ein Schuldner, der Dritte für die Erfüllung seiner Verpflichtung einsetze, tue dies im eigenen Interesse und daher auch auf eigene Gefahr. Als Adressat der Verpflichtung könne er sich so nicht seiner Verantwortung entziehen: „In der That ist der den letzteren Entscheidungen zum Grunde liegende, auch in der Theorie zunächst für den Werkvertrag, dann aber auch allgemeiner und in ver-

wollen hieraus sogar schließen, dass es zur Wissenszurechnung überhaupt nur im Rahmen einer Verhaltenszurechnung komme. 107 Buck (Fn. 1), S. 177, 182 f. 108 Vgl. Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 242.

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III. Eine differenzierte Lösung schiedener Weise begründete Standpunkt legislativ im höchsten Grade beachtenswert. Mit Recht läßt sich für den heutigen Verkehr sagen, daß der Schuldner, der sich der Hülfe Dritter bei der Bewirkung der Leistung bedient, im eigenen Interesse und folgeweise auch auf seine eigene Gefahr handelt. In seiner Eigenschaft als Schuldner, der zur Leistung verpflichtet ist, kann er sich der Verantwortung, nach Maßgabe der von ihm in dem betreffenden Schuldverhältnisse zu beobachtenden Diligenz, für diejenigen nicht entschlagen, welche er bei den ihm dem Gläubiger gegenüber obliegenden Handlungen zuzieht. Wenn der Schuldner eine Leistung versprochen hat, so erblickt der heutige Verkehr in diesem Versprechen auch die Übernahme einer Garantie für das ordnungsmäßige Verhalten derjenigen, deren Mitwirkung bei der Leistung sich zu bedienen dem Schuldner ausdrücklich oder stillschweigend gestattet ist. . . . Es erscheint hiernach gerechtfertigt, im Anschlüsse an dieses Gesetz [das schweizerische Obligationenrecht] schlechthin die Haftung, des Schuldners für das Verschulden seiner Leute zu bestimmen. Hierdurch ist man auch der Nothwendigkeit überhoben, eine erhebliche Zahl von Spezialbestimmungen zu treffen, welche bei Annahme des abgelehnten Prinzipes aufzustellen gewesen wären.“109

Der noch in der heutigen Kommentarliteratur vielzitierte Satz, der Schuldner müsse als Nutznießer der Arbeitsteilung zwangsläufig auch die hiervon ausgehenden Risiken tragen,110 begegnet denselben Bedenken, die sich auch dem Gleichstellungsargument 109

Mot., Mugdan, Bd. 2, S. 16 f. MüKo/Grundmann § 278 BGB Rn. 3, Staudinger/ Caspers § 278 BGB Rn. 1. Von diesem Satz geht zu Unrecht auch Canaris, Karlsruher Forum 1994 (1995) 34 aus. 110

1. § 278 BGB als Regelungsmodell

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entgegenhalten lassen:111 Von der Arbeitsteilung profitiert keineswegs allein deren Urheber, sondern mindestens in ebenso großem Umfang der andere Teil. Denn die Arbeitsteilung erlaubt es erst, Leistungen, zu denen eine einzelne natürliche Person nicht in der Lage wäre, zu attraktiven Bedingungen anzubieten. Und wer sich deshalb auf einen Vertrag oder einen geschäftlichen Kontakt mit dem arbeitsteiligen Anbieter der Leistung einlässt, weiß genau, dass er es mit einer solchen Organisation zu tun hat. Seine Erwartung schließt damit außer den hierdurch möglichen Erfolgen auch die Risiken mit ein, die sich aus der Arbeitsteilung für das Vertragsverhältnis oder den geschäftlichen Kontakt ergeben. Die Veranlassung der Arbeitsteilung als solche ist damit noch kein Gesichtspunkt, der es rechtfertigen könnte, dem Schuldner eine Garantiehaftung für seine Erfüllungsgehilfen aufzuerlegen. Ganz anders verhält es sich mit der zweiten Erwägung, die in der Darstellung der Motive etwas kurz gerät, dem Verweis auf die Veranlassung der Arbeitsteilung aber einen konkreten Inhalt gibt: Ein Schuldner, der sich bei der Erfüllung seiner Pflicht anderer Personen bedient, erhielte, wenn man ihn nicht einer verschuldensunabhängigen Haftung für die hieraus resultierenden Risiken unterzöge, praktisch die Möglichkeit, sich seiner Leistungspflicht zu entziehen. Ließe man seinen Einwand zu, die Ursache für die Pflichtverletzung liege nicht in seinem eigenen Verhalten, sondern in der von ihm verwendeten Arbeitsorganisation, könnte er durch ihren Einsatz zuver111

S. o. II. 2.

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III. Eine differenzierte Lösung

lässig ausschließen, für die Leistungsstörung oder Schädigung überhaupt haftbar gemacht zu werden. Um ihren Namen zu verdienen, muss die Pflicht des Schuldners daher durch eine unbedingte Haftung für Fehler flankiert sein, die in dieser Arbeitsorganisation ihren Ursprung haben.112 Dieser zweite Aspekt, der die Garantiehaftung für Erfüllungsgehilfen mit einer gleichsam naturrechtlichen Legitimation unterlegt, wirkt sich auch auf die Bestimmung der von § 278 BGB erfassten Sachverhalte aus. Soll dem Schuldner verwehrt sein, sich durch Arbeitsteilung zu entlasten, kann es nicht nur darauf ankommen, ihn für ein Verhalten der eingesetzten Gehilfen haftbar zu machen, das schon für sich genommen eine vorsätzliche oder fahrlässige Pflichtverletzung darstellte; der Schuldner muss auch für Vorgänge einstehen, die isoliert nicht vorwerfbar sind, sofern sie in ihrer Zusammenschau ein schuldhaftes Verhalten ergeben. Andernfalls beschränkte sich der Geltungsbereich von § 278 BGB auf bloße Substitutionsfälle, bei denen der Schuldner ein von ihm gefordertes Verhalten komplett einem Erfüllungsgehilfen überträgt; und ausgespart blieben sämtliche Konstellationen einer weiter verfeinerten Arbeitsteilung, bei denen den Hilfspersonen Aufgaben übertragen werden, die wegen ihrer Kleinteiligkeit von vornherein nicht geeignet sind, den Vorwurf von Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu rechtfertigen. Nach dem Normzweck von § 278 BGB müssen selbstverständlich 112 Hervorgehoben findet sich dieser Gesichtspunkt vor allem bei PWW/Schmidt-Kessel § 278 Rn. 1 und jetzt auch bei Staudinger/Caspers Rn. 1.

1. § 278 BGB als Regelungsmodell

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auch diese Fälle erfasst sein, um dem Schuldner jegliche Exkulpationsmöglichkeit zu nehmen. Und über die Frage, ob er sich ein vorsätzliches oder fahrlässiges Fehlverhalten zurechnen lassen muss, entscheidet erst die Summe der einzelnen arbeitsteilig verbundenen Vorgänge, die zusammengerechnet und in die Person des Schuldners projiziert werden. Die einzelnen Elemente müssen dabei wiederum nicht in Verhalten bestehen, sondern können auch ein Kenntnisstand sein, der dem Schuldner zur Last fällt, weil die mangelnde Nutzung dieses Wissens ein schuldhaftes Verhalten bedeutet. Als Zu- und Zusammenrechnungsnorm bietet § 278 BGB den gesetzlichen Anknüpfungspunkt für ein normativ fundiertes Gleichstellungsargument,113 das anders als sein von der Rechtsprechung verwendeter Namensvetter eine solide Basis für die Fallentscheidung bietet: Der Normzweck von § 278 BGB fordert, die gesamte Arbeitsorganisation des Schuldners als Einheit anzusehen und in ihr Wirken in der Gesamtschau so zu beurteilen, als ob es in einer einzelnen natürlichen Person zusammenfällt. Diese Form der Gleichbehandlung ist nicht dem Einwand ausgesetzt, die Besonderheiten zu ignorieren, die eine arbeitsteilig erbrachte Leistung sowohl in ihrem ökonomischen Nutzen als auch aus der Sicht der Verkehrserwartung kennzeichnen. Werden diese Besonderheiten ausgeblendet, um die Gleichbehandlung mit einer natürlichen Person zu ermöglichen, beruht dies nicht auf einer abstrakten Bewertung der Arbeitsteilung als eines tatsächlichen Phänomens; es ist die Folge einer 113

Ähnlich Canaris, Karlsruher Forum 1994 (1995) 34.

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III. Eine differenzierte Lösung

konkreten Gesetzesnorm, die ihrerseits eine selbstverständliche Schlussfolgerung aus dem Konzept von Pflicht und Haftung ist: Um im Fall der Arbeitsteilung nicht sanktionslos zu bleiben, sondern durch eine Haftungsfolge bewehrt zu sein, muss die Aufspaltung der Pflichterfüllung hinweg- und in die Person des Schuldners hineingedacht werden. Diesem werden dann nicht nur sorgfaltswidriges, sondern jegliches Verhalten von Hilfspersonen und auch deren Kenntnisse zugerechnet und einer Beurteilung unterzogen, wie sie bei einer Vereinigung der maßgeblichen Umstände in einer natürlichen Person angebracht wäre. Die Organisation erscheint, um es mit Canaris114 auszudrücken, als eine Art „integrierter Gesamtunternehmer“. Nur auf der Grundlage einer solchen Gleichstellung kann man auch zu der allseits akzeptierten Regel gelangen, für den Maßstab des Verschuldens sei allein die Person des Schuldners und nicht die der Hilfsperson ausschlaggebend. Andeutungsweise findet er sich schon in dem Hinweis der ersten BGB-Kommission auf die „Maßgabe der von ihm in dem betreffenden Schuldverhältnisse zu beobachtenden Diligenz“. Ausgeführt hat ihn der BGH in einer Entscheidung von 1959,115 als er darüber zu befinden hatte, ob ein Handwerksmeister für das Verhalten eines Lehrlings einzustehen hatte, der nach den an seine Person anzulegenden Maßstäben sorgfältig gearbeitet, aber nicht dem Standard gerecht geworden war, dem ein Meister 114

Karlsruher Forum 1994 (1995) 34. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1959 – VI ZR 222/ 58, NJW 1960, 669. 115

1. § 278 BGB als Regelungsmodell

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unterlegen hätte. Der BGH hielt diesen Standard für den richtigen und versagte daher eine Berufung auf die mangelnde Erfahrung und Reife des Lehrlings, die für den Meister „keinen Entlastungsgrund“ bilden dürften.116 Dieser Entscheidung, die der BGH später nur insoweit relativiert hat, als die vertragliche Vereinbarung über besondere Fähigkeiten der Hilfsperson eine zusätzliche Steigerung des einzuhaltenden Sorgfaltsniveaus rechtfertigen könnte,117 liegt genau jene Zusammenschau zugrunde, die auch bei der Wissenszurechnung geboten ist: Das Verhalten der eingesetzten Hilfspersonen wird nicht isoliert, sondern so beurteilt, als ob es sich in der Person des Schuldners ereignet hätte und dann an dem hierfür geltenden Maßstab gemessen. Auf dieselbe Weise wird bei der Zurechnung eines Kenntnisstands Wissen in die Person des Schuldners projiziert, um das Verhalten einheitlich vor dem Hintergrund dieses Wissens beurteilen zu können. Die von § 278 BGB vorgegebene Gleichstellung einer arbeitsteiligen Organisation mit einer natürlichen Person führt auch nicht zu einer grenzenlosen Zurechnung, sondern zeitigt diese nur in dem Rahmen, wie ihn die Rechtsprechung auf der Basis ihrer Variante des Gleichstellungsarguments zutreffend bestimmt hat: Ebenso wenig, wie ein Schuldner jegliches Verhalten der von ihm eingesetzten Hilfspersonen zu verantworten hat, muss er sich alle in der Organisation vorhandenen Kenntnisse zurechnen las116

BGH, NJW 1960, 669 (671). BGH, NJW 1991, 2256 (2258), NJW 2008, 3700 (Rn. 17). 117

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III. Eine differenzierte Lösung

sen. Eine Gleichbehandlung mit seinem eigenen Verhalten und Wissen ist nur bei einem bestimmten Bezug zu der Verpflichtung gerechtfertigt, deren Verletzung ihm zum Vorwurf gemacht werden soll. Geht es um das Verhalten der Hilfspersonen, muss dieses zu der Verpflichtung dadurch in Beziehung stehen, dass der Schuldner sie zu ihrer Erfüllung eingesetzt hat. Geht es um das in der Organisation vorhandene Wissen, ergibt sich die Verbindung zu der maßgeblichen Verpflichtung daraus, dass es bei seiner ordnungsgemäßen Verwendung zu ihrer Erfüllung zur Verfügung gestanden hätte. Und über die Frage, worin seine ordnungsgemäße Verwendung besteht, entscheidet, ob es bei seiner Erlangung hätte gespeichert und bei einer später getroffenen Entscheidung hätte abgerufen werden müssen. Stützt man diese auch von der Rechtsprechung angestellten Erwägungen auf den Sinn von § 278 BGB, entgeht man dem Einwand, dass lediglich fahrlässiges Fehlverhalten zur Begründung des Arglistvorwurfs herangezogen würde.118 Für die Annahme, zu speicherndes und abzurufendes Wissen sei in der Organisation vorhanden, ist nämlich nicht eine auf die Verkehrserwartung gegründete Organisationspflicht maßgeblich, deren Missachtung allerdings regelmäßig nur 118 Flume, AcP 197 (1997) 441, 445, Dauner-Lieb (Fn. 1), S. 46, Goldschmidt (Fn. 1), S. 55 f., 69 ff., Bruns (Fn. 1), S. 184 f. An diesen Vorwurf knüpft auch der Vorschlag von Altmeppen, BB 1999, 749, 750, 753 f. an, der einer Organisation das zu speichernde und abzurufende Wissen nicht ohne Weiteres als vorhanden zurechnen, sondern lediglich eine entsprechende Vermutung aufstellen will, die von der Organisation dann zu widerlegen ist.

1. § 278 BGB als Regelungsmodell

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das Verdikt der Fahrlässigkeit rechtfertigen könnte. Statt Gegenstand einer Pflicht ist die gehörige Organisation der verbandsinternen Kommunikation Kriterium für die von § 278 BGB vorgeschriebene Projektion der innerorganisatorischen Vorgänge in eine natürliche Person. Lässt sich mit seiner Hilfe ein Bezug des Wissens zu dem Verhalten herstellen, an das eine Haftung anknüpfen soll, wird dieses Wissen zu dem Verhalten addiert und geprüft, ob es in der Gesamtschau ein vorsätzliches Fehlverhalten darstellt oder nicht.119 Wegen seiner Integrationswirkung bildet § 278 BGB auch die passende Grundlage für die Grundlage von Wissen, das überhaupt nicht in menschliche Hände gerät, sondern nur in maschinellen Speichern vorhanden ist, die ungenutzt bleiben. Das OLG Hamm hat die Zurechenbarkeit eines solchen Wissens, wenn auch in Gestalt der eher deliktsrechtlich zu behandelnden120 Kenntnis von der Benachteiligungsabsicht gemäß § 133 Abs. 1 InsO, schon bejaht.121 Anknüpfungspunkt war ein erheblicher Rückstand eines Gemeinschuldners mit der Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen, der wegen der Automatisierung des Einzugsverfahrens für die Bediensteten des beklagten Sozialversicherungsträgers nur bei Auswertung der im Computer gespeicherten Daten gewesen wäre. Dass diese unterblieb und die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit damit nie zu menschlichem Wissen wurde, vermochte die Beklagte aus Sicht des OLG nicht zu entlasten; denn die von ihr eingesetzten Computer sah es ebenfalls als Wissensver119 Dies meint ansatzweise auch Vogel (Fn. 1), S. 107, der hieraus jedoch keine Konsequenzen zieht. 120 S. u. III. 4. 121 OLG Hamm, Urteil vom 8. September 2011 – I-27 U 36/11, ZIP 2011, 1926.

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III. Eine differenzierte Lösung treter an, mit deren Einsatz die Pflicht einhergehe, eine Erfassung und Weiterleitung rechtserheblicher Auffälligkeiten im Zahlungsverhalten zu organisieren. Sieht man von der unrichtigen Verankerung dieses Gedankengangs in § 166 BGB ab, sind diese Überlegungen zutreffend und entsprechen dem, was sich aus § 278 BGB ableiten lässt: Die Überlegung, niemand dürfte sich durch Arbeitsteilung der Haftung für seine Pflichten entziehen, deckt außer menschlichen Erfüllungsgehilfen auch andere, nichtmenschliche Instrumente ab.122 Sie rechtfertigt daher auch die Zurechnung hier gespeicherten Wissens, sofern es bei gehöriger Organisation der Informationsstruktur zu speichern und abzurufen gewesen wäre.123

2. Das Vorbild der Rechtsprechung zum Bauvertragsrecht Lassen sich mit § 278 BGB die Ergebnisse erzielen, die der fünfte Senat des BGH auf der Basis des abstrakten Gleichstellungsarguments und der Annahme einer Organisationspflicht zu erreichen versucht, kommt man nicht um die Feststellung umhin, dass diese Judikatur der Rechtsprechung zum Bauvertragsrecht hinterherhinkt. In der Frage, ob sich die Verjährungsfristen für die Gewährleistung des Unternehmers 122

Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 247. Umgekehrt ist natürlich eine Einschränkung der Wissenszurechnung durch individualvertragliche Vereinbarung möglich, wie sie etwa Hoenig/Klingen, Grenzen der Wissenszurechnung beim Unternehmenskauf, NZG 2013, 1046 (1049 f.) für den Unternehmenskauf vorschlagen; denn § 278 S. 2 BGB setzt das von § 276 Abs. 3 BGB bestimmte Verbot eines Ausschlusses der Vorsatzhaftung für den Erfüllungsgehilfen ausdrücklich außer Kraft. 123

2. Vorbild der Rechtsprechung zum Bauvertragsrecht 67

wegen dessen Arglist verlängern, war man hier schon früh auf § 278 BGB als richtigen Anknüpfungspunkt der Wissenszurechnung gestoßen und hat sie später auch für weitere Erwägungen fruchtbar gemacht, die die Richtigkeit dieser Lösung unterstreichen:124 Lange bevor das Thema der Wissenszurechnung und ihrer Begründung in der Rechtsprechung des fünften Senats aufkam, hatte der für Bausachen zuständige siebte Senat des BGH § 278 BGB zur Grundlage seiner „Kolonnenführer“-Entscheidung gemacht. Dieses 1974 ergangene Urteil125 galt der Schadensersatzpflicht des Bauunternehmers für eine ungenügende Betonierung von Stahleinlagen. Bei der Beurteilung, ob der betreffende Anspruch des Bestellers bereits verjährt oder die Verjährung wegen arglistigen Verschweigens des Mangels gemäß §§ 638, 195 BGB a. F. auf dreißig Jahre verlängert war, konnte dem Unternehmer nach Ansicht des BGH zwar nicht die Kenntnis der Arbeiter zugerechnet werden, die das Werk mangelhaft ausgeführt hatten; denn sie seien vom Unternehmer als Erfüllungsgehilfen für die Herstellung des Werks und nicht in Erfüllung seiner Pflicht zur Offenbarung von Mängeln gegenüber dem Besteller eingesetzt.126 Anders verhalte es sich aber 124 Dagegen hält Hagen, DRiZ 1997, 157 (162 f.) der Rechtsprechung des siebten Senats gerade entgegen, dass sie eine Wissenszurechnung über § 278 BGB befürwortet, und spricht sich für die Annahme einer Schadensersatzpflicht aus, mit der die Verjährungsgrenzen überwunden werden. 125 BGH, Urteil vom 20. Dezember 1973 – VII ZR 184/72, NJW 1974, 553. 126 BGH, NJW 1974, 553 f.

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III. Eine differenzierte Lösung

mit den zur Überprüfung der Bauleistung eingesetzten Mitarbeitern. Deren Wissen musste sich der Unternehmer nach Meinung des siebten Senats auch dann zurechnen lassen, wenn sie nicht mit der Ablieferung des Werks und der hierbei zu erwartenden Offenbarung von Mängeln beauftragt waren. Ihre Eignung als Erfüllungsgehilfen zu leugnen sei „nach Treu und Glauben untragbar“, weil der Unternehmer sich sonst seiner Haftung durch Wissensaufspaltung entziehen könne.127 Zu den Prüfern, deren Wissen dem Unternehmer zuzurechnen ist, zählen nach Ansicht des siebten Senats eigentlich nur örtliche Bauleiter; wenn es an solchen fehlt oder ein Mangel nur vorübergehend zu entdecken ist, seien es aber auch Angestellte unterhalb der Bauleiterebene wie die im vorliegenden Fall eingesetzten Kolonnenführer, die von der mangelhaften Betonierung der Stahleinlagen wussten und sogar die einzigen waren, die sie außer den Arbeitern erkennen konnten.128 Der siebte Senat nutzte diese Entscheidung schon zwei Jahre später zu einem Erst-recht-Schluss auf den Fall, in dem ein vom Bauunternehmer eingesetzter Subunternehmer den Mangel der Werkleistung erkannt und nicht mitgeteilt hatte.129 Aus Sicht des Senats hat ein Subunternehmer eine verantwortungsvollere Stellung als ein Kolonnenführer, weshalb er zumindest bei einem nur während der Bauarbeiten erkennbaren Mangel als Erfüllungsgehilfe gelten müs127

BGH, NJW 1974, 553 (554). BGH, NJW 1974, 553 (554). 129 BGH, Urteil vom 15. Januar 1976 – VII ZR 96/74, NJW 1976, 516. 128

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se, dessen sich der Hauptunternehmer auch im Hinblick auf die Pflicht zur Mängeloffenbarung bediene. Andernfalls könne der Hauptunternehmer sich dieser Pflicht dadurch entziehen, dass er einen Subunternehmer einschalte und diesen dann von der Ablieferung des Werks fernhalte.130 An die beiden Entscheidungen aus den 70er Jahren knüpfte der siebte Senat schließlich in einem Urteil von 1996131 die Annahme, einen Werkunternehmer treffe eine umfassende Pflicht zur Organisation der Überwachung des Herstellungsprozesses. Die Entscheidung betraf die nahezu dreißig Jahre zurückliegende Errichtung einer Scheune, deren Dach infolge unsachgemäß eingebrachter Pfetten schließlich teilweise eingestürzt war. Auf die Bedenken des Berufungsgerichts, der Besteller habe keinen Mitarbeiter des Unternehmers benannt, dessen Wissen sich dieser zurechnen lassen müsse, antwortete der BGH mit der Erwägung, eine Arglist des Unternehmers könne sich bereits aus der mangelhaften Organisation der Kontrolle des Herstellungsprozesses und diese sich wiederum schon aus der Schwere des Mangels ergeben. Über die Zurechnung der Kenntnisse von Mitarbeitern oder Subunternehmern hinaus könne die Arglist des Unternehmers auch dadurch begründet sein, dass er sich unwissend halte, indem er von vornherein keine Vorkehrungen zur Entdeckung von Mängeln treffe. Daher seien ihm alle Kenntnisse zuzurechnen, die er bei ordnungsgemäß organisierter Überwachung 130

BGH, NJW 1976, 516 (517). BGH, Urteil vom 12. März 1992 – VII ZR 5/91, NJW 1992, 1754. 131

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III. Eine differenzierte Lösung

der Arbeiten gehabt hätte, damit dem Vertragspartner aus dem Einsatz eines arbeitsteiligen Herstellungsprozesses keine haftungsrechtlichen Nachteile drohen.132 Auf einen hieraus abzuleitenden Einwand gegen die Annahme einer Einstandspflicht für Subunternehmer hat der siebte Senat abermals zwanzig Jahre später, nämlich in einer Entscheidung von 2006133, reagiert. Die Zurechnung der Kenntnisse eines Subunternehmers, der Fliesenarbeiten unsorgfältig ausgeführt hatte, verteidigte der Senat dabei gegen die Erwägung, der Hauptunternehmer habe durch Einschaltung eines erfahrenen Bauleiters alle organisatorischen Maßnahmen ergriffen, um die Herstellung des Werks ordnungsgemäß zu überwachen. Sähe man deshalb allein den Bauleiter als Gehilfen zur Erfüllung der Pflicht zur Mängeloffenbarung an, würde man nach Ansicht des Senats den Interessen des Bestellers nicht gerecht; denn er erführe keinen Schutz bei solchen Mängeln, die auch im Fall einer ordnungsgemäß organisierten Bauüberwachung vom Bauleiter nicht zu entdecken wären. Daher seien für solche Mängel statt des Bauleiters der Subunternehmer oder seine Mitarbeiter als Erfüllungsgehilfen anzusehen.134 Die Stück für Stück ergänzte Rechtsprechung des siebten BGH-Senats, der im Schrifttum nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteil geworden ist wie der Judikatur des fünften Senats, ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie ihren Ausgang von der passenden Norm 132

BGH, NJW 1992, 1754 f. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VII ZR 272/05, NZBau 2007, 96. 134 BGH, NZBau 2007, 96 (Rn. 15). 133

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des § 278 BGB nahm. Obwohl dies im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund getreten ist, enthüllt sie zudem noch zwei interessante Aspekte, die für die Richtigkeit dieses Ausgangspunktes sprechen: Erstens zeigt der zunächst gezogene Schluss vom Mitarbeiterwissen auf die Kenntnisse eines Subunternehmers, dass der Weg über § 278 BGB zu einer gleichmäßigen Behandlung des Einsatzes eigener Bediensteter und des Outsourcing führt: Statt auf die Zugehörigkeit zur Betriebsorganisation des Geschäftsherrn kommt es allein darauf an, ob er sich der jeweiligen Personen mit Bezug auf die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung bedient hat. Beide Varianten der Arbeitsteilung werden gleichbehandelt, weil die normative Grundlage des § 278 BGB hier wie dort passt. Zweitens verdeutlicht der vom siebten Senat anschließend gezogene Schluss auf den Fall eines Organisationsmangels den Zusammenhang, der zwischen Arbeitsteilung und dem Gebot der Einrichtung gehöriger Informationsstrukturen besteht: Wer selbständige oder unselbständige Gehilfen einsetzt, kann sich nicht von den Kenntnissen freihalten, die an die Arbeitsorganisation gelangt sind und bei ordnungsgemäßer Kommunikation an den Vertragspartner hätten gelangen müssen. Gibt es Informationen, die zu speichern und abzurufen waren, sind es Kenntnisse der arbeitsteilig wirkenden Organisation, die zur Beurteilung der vorgeworfenen Pflichtverletzung in die Person des Schuldners hineinprojiziert werden. Es spielt dabei keine Rolle, ob und wem das Informationsdefizit zum Vorwurf gereicht, solange nur durch das Kriterium ordnungsgemäß gestalteten Informationsaus-

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III. Eine differenzierte Lösung

tauschs dargetan ist, dass das Wissen Bezug zu der in Frage stehenden Pflichtverletzung hat. 3. Haftungs- und erklärungsorientierte Wissensnormen Bildet § 278 BGB eine taugliche Grundlage für die organisationsinterne Wissenszurechnung, kann diese Vorschrift natürlich nicht durchgängig Geltung beanspruchen. Sie passt nur, wenn es um die Haftung der Organisation oder einen vergleichbaren Tatbestand geht, nicht dagegen in einem Fall, in dem der Organisation das Wissen zur Begründung ihrer rechtsgeschäftlichen Bindung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge zugerechnet werden soll. Hier ist die Bestimmung des § 166 BGB einschlägig, die man in Rechtsprechung und Schrifttum fälschlicherweise zum Ausgangspunkt der Wissenszurechnung schlechthin macht. Dass sie ihrerseits nicht für die Bewältigung von Haftungsfragen taugt, war schon den Verfassern des BGB klar, die eine Einstandspflicht des Vertretenen für einen vom Stellvertreter herbeigeführten Schaden nicht den Bestimmungen des Vertretungsrechts, sondern den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts und der Haftung für culpa in contrahendo überlassen wollten.135 135 Mot., Mugdan, Bd. 1, S. 478: „Für den Schaden, den der Vertreter durch eine in Ausübung seiner Vertretungsmacht begangene widerrechtliche Handlung Dritten zufügt, ist der Vertretene, von den für die jur. Personen gegebenen besonderen Bestimmungen . . . abgesehen, nur innerhalb der aus §§ 711, 712 [den Bestimmungen des Deliktsrechts] ersichtlichen Schranken haftbar. Ob und inwieweit der Vertretene für eine vom Vertreter bei Einge-

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Die aus dem Regime der Stellvertretung entwickelte Lehre vom Wissensvertreter und die Wissenszurechnung auf der Basis von § 278 BGB verhalten sich also komplementär und decken jeweils einen eigenen Bereich der fraglichen Fälle ab. In dem einen kommt es zu einer umfassenden Wissenszurechnung anhand des Maßstabs, ob bei gehöriger Organisation des Informationsaustauschs eine Kenntnis des Entscheidungsträgers vorgelegen hätte; in dem anderen erfolgt die Wissenszurechnung restriktiv und hängt davon ab, ob die relevanten Kenntnisse bei demjenigen vorhanden sind, der für den maßgeblichen Vorgang zuständig und damit in vergleichbarer Weise wie ein Vertreter eingesetzt worden ist. Nur wenn eine solche Ermächtigung vorliegt, kann man von einer rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Bindung der Organisation ausgehen, während eine Haftung oder vergleichbare Rechtsfolge schon dann angebracht ist, wenn ein Bezug des Wissens zu der Pflicht besteht, deren Verletzung der Organisation vorgeworfen wird.136 hung eines Rechtsgeschäftes begangene Fahrlässigkeit (culpa in contrahendo . . .) einzustehen hat, hängt davon ab, ob in dem Begehen derselben eine unerlaubte Handlung oder lediglich eine Verletzung rechtsgeschäftlicher Pflichten zu erblicken ist – eine Frage, die bereits . . . als der Wissenschaft angehörig bezeichnet worden ist.“ 136 In der Tendenz wohl ähnlich, aber sehr abstrakt und ohne Anknüpfung an die gesetzlichen Zurechnungsnormen Bott (Fn. 1), S. 173 ff., 206, der glaubt, eine Rücksicht auf die organisationsinterne Zuständigkeitsordnung sei umso eher gerechtfertigt, je mehr die „normativen Vorgaben des Tatbestandszusammenhangs die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit in den Vordergrund rücken“.

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III. Eine differenzierte Lösung

Beide Fälle lassen sich nur formal auf den von Schilken137 formulierten Satz bringen, Wissen ermögliche Selbstschutz und rechtfertige daher, einen ansonsten eintretenden Rechtsvorteil zu versagen. Unabhängig davon, ob sie nun ausdrücklich übernommen worden ist oder unausgesprochen im Hintergrund steht, bildet diese Überlegung die Basis der bisherigen Diskussion um die Wissenszurechnung, in der die Rücksicht auf den Zweck der jeweils einschlägigen Norm zumeist nur Lippenbekenntnis, Ziel der Suche doch eine Einheitslösung ist. Eine solche kann es aber nicht geben, weil man Haftung und vertragliche Bindung nur um den Preis übersteigerter Abstraktion über einen Kamm scheren kann. Natürlich lässt sich hier wie dort behaupten, Wissen eröffne die Möglichkeit zu seiner Weitergabe und verhindere so, dass es dem Wissensträger zum Nachteil in Gestalt einer Haftung oder einer vertraglichen Bindung gereicht. Diese Formel vermag aber nichts für die Frage auszugeben, was die Voraussetzungen der Annahme von Wissen sein sollen. Hier bedeutet es einen großen Unterschied, worin die an das Wissen geknüpfte Rechtsfolge besteht: Geht es um die Haftung für die Verletzung einer Pflicht, hält das Gesetz mit der Garantiehaftung für Hilfspersonen gemäß § 278 BGB ein ganz anderes Regelungsmodell bereit, als es § 166 BGB für die Fälle einer Bindung durch Erklärung lie137 A. a. O. (Fn. 1), S. 52 ff. Nicht unähnlich Bott (Fn. 1), S. 92 ff., der zwar nach dem konkreten Regelungszusammenhang forscht, in dem die Kenntnis eines Rechtssubjekts maßgeblich ist, dann aber doch nach Gemeinsamkeiten sucht und mit dem Merkmal der zumutbaren Ungewissheit gefunden zu haben meint.

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fert. Und diesen beiden Modellen muss die Rechtsanwendung dann auch in vergleichbaren Fällen folgen, in denen die Rechtsfolge entweder einer Haftung für Pflichtverletzung oder aber einer Bindung durch Vertragsschluss ähnlich ist. Während hier eine Ermächtigung des Wissensträgers erforderlich ist, reicht dort der bloße organisatorische Bezug des Wissens zu dem haftungsträchtigen Vorgang. Welche Wissensnormen sind aber nun haftungsähnlich, welche stehen dem Vertragsrecht näher und lassen sich daher als vertrags- oder erklärungsorientiert bezeichnen? Einfach und evident ist die Zuordnung der Bestimmungen über die Arglist eines Vertragspartners. Zwar gibt es seit der Schuldrechtsreform keine dem § 463 S. 2 BGB a. F. vergleichbare Bestimmung mehr, die im Kaufrecht eine spezielle Schadensersatzpflicht für das arglistige Verschweigen eines Mangels vorsieht. Der Sache nach existiert diese Haftung aber nach wie vor in Gestalt der allgemeinen Haftungstatbestände der §§ 311a Abs. 1, 281 ff. BGB. Sie decken auch den Fall eines arglistigen Verkäufers ab, der immer noch in mancher Hinsicht eine Sonderbehandlung erfährt: § 442 Abs. 1 S. 2 BGB lässt ihn auch dann für einen Mangel einstehen, wenn dieser dem Käufer bei Vertragsschluss lediglich infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist; § 444 BGB erklärt einen vertraglichen Ausschluss der Mängelhaftung für unwirksam; und § 438 Abs. 3 BGB verlängert die Verjährungsfrist nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen der §§ 195, 199 BGB. Hinzu kommt, dass § 377 Abs. 5 HGB einen Verstoß des Käufers gegen die ihm im Handelsverkehr obliegende Rügelast für unbeachtlich

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erklärt, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Eine § 442 Abs. 1 BGB vergleichbare Regelung trifft § 536b BGB für das Mietrecht, wo § 536d BGB auch für die Unwirksamkeit eines Gewährleistungsausschlusses bei Arglist des Vermieters sorgt; beim Werkvertrag gilt Entsprechendes nach § 639 BGB, und § 634a Abs. 3 BGB sieht eine Verlängerung der Verjährungsfrist vor, die sich zwar anders als nach altem Recht nicht auf 30 Jahre erstreckt, wohl aber wie im Kaufrecht nach den allgemeinen Bestimmungen richtet. Für die Anwendung all dieser Vorschriften gilt § 278 BGB mit der Folge, dass sich eine als Verkäufer, Vermieter oder Werkunternehmer auftretende Organisation das Wissen jedes Bediensteten oder selbständig tätigen Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss, sofern die Speicherung und der Abruf dieses Wissens zu erwarten waren.138 Die vom fünften BGH-Senat geprägte Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung ist daher im Ergebnis zutreffend; und der siebte Senat ist in seinen Entscheidungen zur Verjährung im Werkvertragsrecht mit § 278 BGB zumindest am Anfang auch von der passenden Norm ausgegangen, die die Wissenszurechnung trägt. Den Bestimmungen über die Arglist von Verkäufer, Vermieter und Werkunternehmer stehen Vorschriften gegenüber, die für eine Einschränkung der Rechte ih138 Umgekehrt Spindler (Fn. 1), S. 647, der diese Tatbestände gerade dem rechtsgeschäftlichen Bereich zuordnet und eine strikte Beschränkung der Wissenszurechnung fordert, dies aber beim nicht-rechtsgeschäftlichen Bereich, dem er die Beurteilung des Verjährungsbeginns zuordnet, im Ergebnis nicht anders sieht (S. 650).

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rer Vertragspartner sorgen, wenn diese von einem Mangel der Leistung wissen oder wissen mussten: § 442 Abs. 1 S. 1 BGB sieht vor, dass ein Käufer, der schon bei Vertragsschluss den Mangel der Kaufsache kennt, hieraus keine Rechte herleiten kann; § 640 Abs. 2 BGB ordnet dieselbe Rechtsfolge für den Fall an, dass ein Besteller bei Abnahme des Werks dessen Mangel erkennt, ohne sich seine Rechte vorzubehalten; und in § 536b S. 1 und 3 BGB finden wir Regelungen beiden Musters für den Mietvertrag kombiniert. Hinzu kommt die schon erwähnte Bestimmung über die grob fahrlässige Unkenntnis eines Käufers oder Mieters, die ebenfalls die Mängelhaftung ausschließt und nur im Fall der Arglist des anderen Teils oder einer Garantie folgenlos bleibt (§§ 442 Abs. 1 S. 2, 536b S. 2 BGB). Für den Handelsverkehr sieht außerdem noch § 377 HGB vor, dass der Käufer seiner Gewährleistungsrechte verlustig geht, wenn er einen Mangel nicht anzeigt, den er bei der gebotenen Untersuchung der Sache hätte entdecken können oder der nachher erkennbar wird. Wegen der scheinbaren Parallelität zum Vorsatz von Verkäufer, Vermieter oder Werkunternehmer ist man bei oberflächlicher Betrachtung dieser Bestimmungen geneigt, sie ebenso wie jene zu handhaben. Und in dieser Annahme bestärkt noch die Lehre von den sogenannten Obliegenheiten, die in Ausschlussvorschriften der genannten Art die Rechtsfolge der Verletzung pflichtenähnlicher, aber nicht zu Pflichten gesteigerter Verhaltensstandards sieht.139 Auch 139 Grundlegend R. Schmidt, Die Obliegenheiten, Karlsruhe 1953, S. 103 ff., der in den genannten Fällen eines

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diese Formel beruht aber auf einer wertlosen Abstraktion, die den eigentlichen Charakter der mit ihr zusammengefassten Vorschriften verdeckt. In Wahrheit geht es beim Ausschluss der Mängelhaftung infolge von Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des anderen Teils keineswegs um Pflichtverletzungen, sondern um die vertragliche Regelung des Umfangs der Mängelhaftung: Am deutlichsten tritt dies in § 377 HGB hervor, dessen Abs. 2 anordnet, dass bei einem Verstoß des Käufers gegen die Rügelast die mangelhafte Ware „als genehmigt“ gilt.140 Die Verwirkung der Gewährleistungsrechte, die an den Mangel der Rüge geknüpft ist, hat demnach rechtstechnisch die Form einer Vertragsänderung in Gestalt einer neuen Beschaffenheitsvereinbarung, die dem Käufer unterstellt und dem Verkäufer ohnehin recht ist.141 Es liegt auf der Hand, dass die Zurechnung der Kenntnisse eines Bediensteten des Verkäufers hier nicht gemäß § 278 BGB erfolgen darf, sondern sich an § 166 BGB zu orientieren hat, der für die Bindung Rechtsverlustes infolge von Kenntnis denn auch § 278 BGB und nicht § 166 BGB anwenden will (S. 184 ff.). – Mit der Rolle, die § 278 BGB für die Herausbildung der Rechtsfigur der Obliegenheiten spielte, befasst sich Hähnchen, Obliegenheiten und Nebenpflichten, Tübingen 2010, S. 133 f., die sogenannte „Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten“ wie etwa die Rügelast nach § 377 HGB selbst nicht als Pflichten im Sinne von eigenständigen Verhaltensanforderungen, sondern als Voraussetzungen verstehen will (S. 303 f.). 140 Zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift eingehend Niedrig, Die Mängelrüge. Historische und teleologische Untersuchungen zu § 377 HGB, Paderborn u. a. 1994, S. 73 ff. 141 Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 57.

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durch ein Vertretergeschäft gilt und damit auch die passende Vorlage für die Zurechnung von Wissen liefert, das in der Fiktion eines Rechtsgeschäfts mündet. Ähnlich wie § 377 HGB lassen sich auch die vergleichbaren Wissensnormen des BGB deuten:142 Wer als Käufer oder Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Kauf- oder Mietsache kennt, darf die auf den Vertragsschluss gerichtete Erklärung des Verkäufers oder Vermieters nicht so verstehen, als wolle dieser für den Mangel einstehen. Ein Käufer, der den Mangel grob fahrlässig verkennt, darf ein solches Verständnis der Erklärung des anderen Teils nur dann haben, wenn diese eine Garantie einschließt, und ansonsten lediglich darauf vertrauen, dass ihm kein Mangel arglistig verschwiegen wird.143 Wird die Mängelhaftung so vornherein durch eine gesetzlich angeordnete Beschaffenheitsvereinbarung beschränkt, unterstellt das Gesetz bei der vorbehaltlosen Annahme einer Werkleistung durch einen Besteller einen nachträglichen Verzicht auf die Gewährleistungsrechte, der anders als die Kenntnis des Käufers bei Vertragsschluss auch nicht umfassend wirkt und die Schadensersatzpflicht des Werkunternehmers ausspart.144

142 In diese Richtung weisen auch schon die Ausführungen zu § 439 BGB a. F. in den Motiven zum ersten Entwurf des BGB; vgl. Mugdan, Bd. 2, S. 119: „Im Falle der Kenntniß des Erwerbers ist dessen Verzicht auf die Gewährleistung oder die Annahme begründet, daß er die aus dem Rechte des Dritten ihm drohende Gefahr übernehmen wolle.“ 143 Harke, Besonderes Schuldrecht, Rn. 56. 144 Harke, Besonderes Schuldrecht, Rn. 109. Ähnlich Staudinger/Peters/Jacoby § 640 BGB Rn. 1.

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Ebenso zu deuten sind die Einschränkungen der mietrechtlichen Gewährleistung, die zwar Minderung und Schadensersatzrecht, nicht aber den Anspruch auf Mangelbeseitigung ausschließen.145 Soll es in diesen Fällen zu einer Wissenszurechnung kommen, liefert den maßgeblichen Rechtsgedanken nicht etwa § 278 BGB, sondern der für die Vertragsbindung durch Vertreter gemachte § 166 BGB. Ob die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis eines Bediensteten ein Gewährleistungsrecht der Organisation ausschließt, ist also nicht danach zu beurteilen, ob bei gehöriger Ausgestaltung des Informationsaustauschs mit der Weitergabe des Wissens zu rechnen war. Stattdessen muss derjenige, der als Wissensvertreter in den Abschluss oder die Abwicklung des jeweiligen Vertrags eingeschaltet war, diese Kenntnis selbst gehabt haben; denn nur er verfügt über die hinreichende Ermächtigung, die Organisation mittels der vom Gesetz unterstellten Beschaffenheits- oder Verzichtsvereinbarung zu binden. Nichts anderes gilt, wenn man den Zweck des Gewährleistungsausschlusses jeweils mit der neueren kaufrechtlichen Rechtsprechung im Verbot des venire contra factum proprium sieht und annimmt, ein Leistungsempfänger, der sich trotz seiner Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis auf einen Mangel berufe, setze sich mit seiner früheren Entscheidung zum Vertragsschluss oder zur Leistungsannahme in Wider-

145 Harke, Besonderes Schuldrecht, Rn. 315. Ebenso Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536b BGB Rn. 1; anders MüKo/Häublein § 536b BGB Rn. 1.

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spruch.146 Denn um einen solchen Widerspruch zu konstatieren, bedarf es eines früheren Verhaltens, das der betroffenen Organisation gleich einem Rechtsgeschäft als Akt der Selbstbindung zugerechnet werden kann und an dem sie sich folglich festhalten lassen muss; und hierfür bedarf es ebenso wie bei der Annahme eines gesetzlich unterstellten Rechtsgeschäfts wiederum einer Ermächtigung, wie sie einem Wissensvertreter zuteilwird. Eine dem vertraglichen Gewährleistungsausschluss vergleichbare Regelung, die zu einer der ersten Entscheidungen zur Wissenszurechnung überhaupt geführt hat, hält das Bereicherungsrecht mit § 814 BGB bereit. Danach ist die Rückforderung einer rechtsgrundlosen Leistung ausgeschlossen, falls der Leistende den Mangel des Rechtsgrunds gekannt hat. Hierzu befand das RG in einem Urteil von 1912, dass sich der Fiskus, der im streitgegenständlichen Fall eine Zahlung auf nicht erbrachte Lieferungen von Baumaterial geleistet hatte, nicht das Wissen der mit dem Bau vertrauten Beamten entgegenhalten lassen müsse, weil es allein auf den Kenntnisstand der Bediensteten des Zahlamtes ankomme.147 Diese nicht näher begründete Ansicht entspricht durchaus dem Zweck von § 814 BGB. Ähnlich wie in den Fällen des Gewährleistungsausschlusses kann man ihn entweder mit der Rechtsprechung als Ausdruck des Verbots wider146 So für das Kaufrecht BGH, NJW 2011, 2953 (Rn. 13), NJW 2012, 2793 (Rn. 22). Anders noch BGH, NJW 1979, 713 (714), wo von einem „vermuteten Verzicht“ die Rede ist. 147 RG, Urteil vom 26. April 1912 – Rep. II 517/11, RGZ 79, 285 (286 f.).

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sprüchlichen Verhaltens deuten148 oder in der Unterstellung eines Schenkungsvertrags sehen, weil sich wie ein Schenker behandeln lassen muss, wer wissentlich auf eine nicht bestehende Forderung leistet149. Dass die aus der Rechtsgeschäftslehre abgeleiteten Regeln über Wissensvertreter Anwendung finden müssen, liegt im zweiten Fall auf der Hand, lässt sich aber auch beim Rekurs auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens nicht leugnen; denn den maßgeblichen Widerspruch im Verhalten des Kondiktionsgläubigers kann man nur feststellen, wenn es um das bewusste Verhalten des Entscheidungsträgers geht, der für die rechtsgrundlose Leistung zuständig ist. Es genügt nicht, dass die Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund an anderer Stelle in derselben Organisation vorhanden ist.150 Nach dem Vorbild der Normen, die eine Unterstellung des Verzichts auf Rückforderungs- und Gewährleistungsrechte vorsehen, lassen sich auch die Bestimmungen erfassen, die für einen Rechtsverlust durch Untätigkeit trotz Kenntnis oder Kennenmüssens sorgen. Hier geht es ebenfalls um das Phänomen, dass der Inhaber eines Rechts passiv bleibt, obwohl der Rechtsverkehr wegen seines Wissens mit der Aus148 So BGH, NJW 1979, 763; NJW 2008, 1878 (Rn. 16). 149 So Harke, Besonderes Schuldrecht, Rn. 490 im Anschluss an Heck, Grundriß des Schuldrechts, Tübingen 1929, S. 424. 150 Zustimmung erntet die Entscheidung des RG auch bei Buck (Fn. 1), S. 443, die sich dabei aber auf den zu unspezifischen Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes beruft.

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übung des Rechts rechnen darf. Aus der komplementären Annahme, die Untätigkeit sei Zeichen für die Aufgabe dieses Rechts, macht das Gesetz einen Ausschlusstatbestand, durch den der andere Teil so gestellt wird, als wäre diese Erwartung richtig. Zwar mögen hier Zweifel angebracht sein, ob sich die Anordnung dieses Rechtsverlusts gleichfalls als Unterstellung einer Verzichtserklärung deuten lässt. Die Nähe zu diesem Fall ist jedoch unverkennbar, weshalb die passende Vorschrift wiederum nicht § 278 BGB, sondern § 166 BGB ist, eine Wissenszurechnung also nur nach der hieran anknüpfenden Lehre vom Wissensvertreter erfolgen kann. Um sich so behandeln lassen zu müssen, als habe die Organisation ein Recht freiwillig aufgegeben, muss derjenige, an dessen Kenntnisse diese Rechtsfolge anknüpft, in gleicher Weise wie ein Vertreter ermächtigt und auch für die Handlung zuständig sein, deren Mangel den Rechtsverlust bewirkt. Die Lehre vom Wissensvertreter erheischt daher insbesondere Geltung für den Ausschluss einer Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung, die gemäß §§ 121 Abs. 1, 124 Abs. 2 BGB an den Ablauf der durch die Kenntnis vom Anfechtungsgrund in Gang gesetzten Anfechtungsfrist geknüpft ist. Sie gilt ferner für den Verlust des Rechts zur außerordentlichen Kündigung, den § 314 Abs. 3 BGB allgemein bei Verstreichen einer angemessenen Frist, § 626 Abs. 2 BGB speziell für den Dienst- und Arbeitsvertrag wegen einer zweiwöchigen Untätigkeit des Dienstberechtigten oder Arbeitgebers vorsieht; maßgeblich für den Lauf dieser Fristen ist in beiden Fällen die Kenntnis von dem Kündigungsgrund. Wegen der rechtsgeschäftsähnlichen Wirkung, die diese

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III. Eine differenzierte Lösung

Kenntnis in Verbindung mit dem folgenden Fristablauf hat, muss der mit dem Wissen ausgestattete Bedienstete auch derjenige sein, der für die Kündigung durch die Organisation zuständig ist. Den Fällen des Rechtsverlusts durch Fristablauf ist schließlich auch die Konstellation vergleichbar, in der sich die Rechtsprechung am beharrlichsten gegen die Annahme einer Wissenszurechnung kraft Organisationsversagens wehrt. Es ist der Verjährungsbeginn kraft Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dass es hier nicht auf das in der Organisation vorhandene, sondern auf das Wissen des mit der Anspruchsverfolgung betrauten Bediensteten ankommt, lässt sich, wie schon gezeigt,151 ohne Weiteres aus der auf § 166 BGB aufbauenden Lehre vom Wissensvertreter ableiten; und es steht keineswegs im Widerspruch zur Behandlung der vertraglichen Arglisthaftung, weil diese eben nicht vom Stellvertretungsrecht, sondern von § 278 BGB ausgeht. Obwohl die Anknüpfung an „grobe Fahrlässigkeit“ auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, es gehe auch bei der Verjährung um Verschulden, das dem Anspruchsinhaber zum Nachteil gereicht und daher mit einer Norm über Verschuldenszurechnung bewältigt werden muss, ist es in Wahrheit doch ein rechtsgeschäftsähnlicher Vorgang, der dem Rechtsgedanken des Vertretungsrechts unterfällt; denn es geht wiederum um den zurechenbar gesetzten Anschein der Nichtausübung eines Rechts und eine dadurch erzeugte Selbstbindung des Gläubigers. 151

S. o. II. 1.

3. Haftungs- und Wissensnormen

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Die Rechtsprechung hat dies auch schon ansatzweise in der Erwägung zum Ausdruck gebracht, ein Schuldner, insbesondere ein Schädiger, habe keinen Anspruch darauf, dass der Gläubiger seinen Informationsprozess beschleunige, um die Verjährung möglichst frühzeitig beginnen zu lassen.152 Gemeint ist damit, dass es an einer Pflicht fehlt, deren Verletzung der Anspruchsgegner dem Gläubiger vorhalten könnte. Stattdessen dient die Verjährung dem Schutz der Erwartung, der Gläubiger werde sein Recht nicht mehr geltend machen, weil er es trotz Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände schon längst hätte ausüben können und hiervon abgesehen hat. Diese Erwartung, deren Sanktion durch die Einrede der Verjährung dem Schuldner aus einer möglichen Beweisnot helfen und vor einer unangemessen langen Beeinträchtigung seiner Dispositionsfreiheit bewahren soll,153 wird in ähn152

S. o. I. 2. Vgl. die Begründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, BT-Drucks. 14/6040, S. 96: „Was die Interessen des Schuldners betrifft, so richten sie sich in erster Linie darauf, vor den Nachteilen geschützt zu werden, die der Ablauf von Zeit bei der Abwehr unbegründeter Ansprüche mit sich bringt. Der Schuldner kann Belege und Beweismittel nur für eine begrenzte Zeit aufbewahren. In Beweisnot kann er durch Zeitablauf auch deshalb geraten, weil Zeugen nicht mehr namhaft gemacht werden können, unerreichbar sind oder sich an die streitigen Vorgänge nicht mehr zu erinnern vermögen. Dies gilt namentlich dann, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen, von denen der Anspruch des Gläubigers abhängt, vermutet wird und dem Schuldner der Gegenbeweis dafür obliegt, dass jene Voraussetzungen nicht gegeben seien . . . Das Verjährungsrecht muss den Schuldner aber nicht nur vor der Gefahr schützen, dass er durch Zeitablauf in Beweis153

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III. Eine differenzierte Lösung

licher Weise geschützt wie das Vertrauen in ein positives Verhalten des Gläubigers, dem sich sein Wille zur Nichtausübung seines Rechts entnehmen lässt. Zwar kommt im Fall der Verjährung nicht die Fiktion einer Verzichtserklärung des Gläubigers in Betracht, die sich wohl auch nicht mit der angeordneten Rechtsfolge eines Leistungsverweigerungsrechts vertrüge. Die Ähnlichkeit zu diesem rechtsgeschäftlichen Vorgang ist jedoch evident und rechtfertigt die Anwendung der aus der Rechtsgeschäftslehre basierenden Grundsätze der Wissenszurechnung: Das Vertrauen des Schuldners in seine mangelnde Behelligung mit dem Anspruch des Gläubigers ist nur dann gerechtfertigt, wenn auf dessen Seite die erforderlichen Kenntnisse bei der Person vorhanden sind, die über die Geltendmachung des Anspruchs zu entscheiden hat und deren Untätigkeit über lange Zeit folglich als Ausdruck einer Preisgabe des Rechts interpretiert werden darf.154 Dass es hierfür keiner Kenntnis, sondern

not gerät. Denn selbst wenn eine Beweisnot des Schuldners nicht vorliegt und der Anspruch des Gläubigers sachlich begründet ist, kann es den Schuldner hart treffen, wenn er trotz Ablaufs einer langen Zeit den Anspruch noch erfüllen muss. Es mag ein Zeitpunkt erreicht worden sein, in dem der Schuldner darauf vertrauen durfte, dass der Gläubiger auf seine Forderung nicht mehr zurückgreifen werde. Auch kann es unangemessen sein, vom Schuldner zu verlangen, dass er sich lange Zeit zur Erfüllung bereithält und entsprechende Vorsorgemaßnahmen trifft; dadurch kann er in seiner Dispositionsfreiheit unbillig eingeschränkt werden.“ 154 Im Anschluss an Grunewald (Fn. 1), S. 317 und Buck (Fn. 1), S. 317 kann man dies auch so wenden, dass das Vertrauen des Schuldners, soweit es schutzwürdig ist,

4. Und das Deliktsrecht?

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lediglich grob fahrlässiger Unkenntnis bedarf, unterscheidet den Fall nicht von dem der Beschaffenheitsvereinbarung, die das Gesetz durch § 442 BGB einem Käufer unterstellt, der den Fehler einer Kaufsache bei Vertragsschluss leichtfertig verkannt hat. Hier wie dort geht es um ein Verhalten, das der andere Teil so deuten kann, als werde ein denkbares Recht nicht geltend gemacht, und das folglich dem Regime der Rechtsgeschäftslehre, nicht aber den Regeln des Haftungsrechts unterfällt. 4. Und das Deliktsrecht? Die unlängst vom sechsten Senat des BGH aufgeworfene Frage, ob und in welcher Form eine Wissenszurechnung zur Begründung einer deliktischen Haftung statthaft sein kann, ist eigentlich schon durch die bank- und insolvenzrechtliche Judikatur des elften155 und neunten156 Senats beantwortet. Beide haben sich bei der Beurteilung, ob einer Organisation ihr böser Glaube schadet, im Grundsatz für das Konzept einer umfassenden Wissenszurechnung entschieden, wie es der fünfte Senat mit seiner Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung geprägt hat. Zwar wollten die Verfasser des BGB die Vorschrift des § 166 BGB auch beim gutgläubigen Erwerb zum Zuge kommen lassen;157 und diese Lösung ist für den Fall der Stellnicht auf die Organisation des Gläubigers gerichtet sein kann. 155 S. o. I. 2. 156 S. o. I. 3. 157 S. das oben unter II. 1. zu findende Zitat aus den Motiven zum ersten Entwurf des BGB.

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III. Eine differenzierte Lösung

vertretung einer natürlichen Person auch nicht zu beanstanden. Sie darf aber nicht dazu verleiten, deshalb auch bei Organisationen auf die Lehre vom Wissensvertreter zu rekurrieren und die Zurechnung von Kenntnissen oder Erkenntnismöglichkeiten an die Zuständigkeit des betroffenen Mitarbeiters zu knüpfen. Stattdessen muss es, wie von der bank- und insolvenzrechtlichen Rechtsprechung zu Recht angenommen, genügen, dass der maßgebliche Kenntnisstand bei ordnungsgemäßer Organisation des Informationsaustauschs auch in der Person desjenigen vorgelegen hätte, der für das betroffene Geschäft zuständig ist. Bei Rechtshandlungen, die zu ihrer Wirksamkeit den guten Glauben einer Seite voraussetzen, geht es nämlich stets und per definitionem um den Eingriff in das Vermögen eines Dritten, der infolge der Wirksamkeit der Handlung sein Recht verliert: Beim gutgläubigen Erwerb gemäß § 892 oder §§ 932 ff. BGB ist es das Eigentum des wahren Berechtigten, das durch das Geschäft zwischen dem Erwerber und dem Nichtberechtigten entzogen wird; bei den von § 407 BGB erfassten Geschäften zwischen dem Schuldner und seinem alten Gläubiger trifft es das Forderungsrecht des neuen Gläubigers; und bei Leistungen durch oder an einen aktuellen oder potentiellen Gemeinschuldner ist die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters oder das durch das Anfechtungsrecht geschützte Interesse der Gläubigergemeinschaft an der Erhaltung der Masse beeinträchtigt. Die Verbindung zwischen dem jeweils Geschädigten und demjenigen, dessen guter Glaube gefordert wird, kann, aber muss nicht vertraglicher Art sein, und ist grundsätzlich deliktischer Natur.158

4. Und das Deliktsrecht?

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Augenfällig wird dies in den auch im Scheckrecht geltenden Bestimmungen der §§ 989, 990 BGB, die im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis eine Sonderregelung für die Haftung wegen unerlaubter Handlung vorsehen und diese ebenfalls vom guten Glauben abhängig machen. Dass § 166 BGB hier nicht passt, hat schon Medicus mit seinem Bonmot dargetan, es gehe hier statt um Rechtsgeschäfte, für die das Vertretungsrecht gemacht ist, um „Unrechtsverkehr“159. Der anzulegende Maßstab ist folglich der des Haftungsrechts, dessen sich der neunte und elfte Senat richtigerweise auch in anderen Fällen bedienen, in denen es auf den guten Glauben ankommt. Hält man sich an die Argumentation des fünften Senats, leuchtet die Anwendung der für die vertragliche Arglisthaftung auf Tatbestände deliktischer Haftung auch unmittelbar ein; denn beide Gesichtspunkte, auf die der Senat die umfassende Wissenszurechnung in einer Organisation stützt, treffen nicht nur auf die Vertrags-, sondern gleichermaßen auf die Deliktshaftung zu: Auch hier gilt, dass ein Geschädigter nicht deshalb geringeren Schutz erfahren darf, weil er statt durch eine natürliche Person durch eine Organisation geschädigt worden ist; und die Pflicht zu Weiterleitung und Abruf des verfügbaren Wissens soll sogar, wenn nicht schon regelrechte Verkehrssicherungspflicht, so doch den im Deliktsrecht maß-

158 Dies übersehen Richardi, AcP 169 (1969) 285, 393, Schilken (Fn. 1), S. 239 und Buck (Fn. 1), S. 186, wenn sie den einschlägigen Bestimmungen absprechen, ein schuldhaftes oder deliktisches Verhalten zu bewältigen. 159 A. a. O.

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III. Eine differenzierte Lösung

geblichen Verkehrspflichten zumindest wesensverwandt sein. Es besteht daher kein Anlass, gerade das Deliktsrecht von der Zurechnung des Wissens auszunehmen, das eine Organisation durch die Teilnahme am Rechtsverkehr erlangt hat und dessen Nutzung im Interesse derjenigen liegt, gegenüber denen die Organisation den Verkehr eröffnet hat. Das Deliktsrecht dient dem Verkehrsschutz nicht minder als die vertragliche Arglisthaftung. Nimmt man es genau, knüpft diese ebenso wie an einen Leistungsmangel an ein vorvertragliches Fehlverhalten an, das zwar mit den Instrumenten des Vertragsrechts bewältigt wird, aber ebenso in den Anwendungsbereich des Deliktsrechts oder der deliktsrechtsähnlichen Haftung aus culpa in contrahendo fällt. Der Zweck des Verkehrsschutzes ist allen drei Arten der Haftung gemein, so dass er auch überall gleichmäßig verfolgt werden muss. Dementsprechend bedeutet es auch eine durchaus konsequente Ergänzung der Rechtsprechung des fünften Senats, wenn sie vom elften Senat in zwei jüngeren Entscheidungen im Fall einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung fruchtbar wird.160 Grund für den deshalb erhobenen Anspruch auf Vertragsaufhebung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss war ein Wissensvorsprung, den eine Bank durch ihre Kenntnis von der Täuschung des Darlehensnehmers bei der Vermittlung des mit dem Kredit finanzierten Anlagegeschäfts hatte. Der Annahme einer solchen Täuschung hatte sich das Berufungsgericht noch mit 160 BGH, Urteil vom 10. November 2009 – XI ZR 252/ 08, NJW 2010, 596, Urteil vom 24. November 2009 IX ZR 260/08, NJW 2010, 602.

4. Und das Deliktsrecht?

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der Begründung widersetzt, eine Arglist des tätig gewordenen Mitarbeiters der Vermittlungsgesellschaft sei nicht dargetan. Dem ist der elfte Senat wiederum mit dem Argument begegnet, die Vermittlungsorganisation habe das für spätere Geschäftsvorgänge relevante Wissen speichern und an die für sie handelnden Personen weitergeben müssen; sei dies unterblieben, werde die Organisation so behandelt, als habe der gegenüber dem Anleger aufgetretene Mitarbeiter dieses Wissen gehabt und vorsätzlich verschwiegen.161 Kommt es bei der Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss also zu einer umfassenden Wissenszurechnung nach dem Muster der vertraglichen Arglisthaftung, kann nichts anderes für die funktionsgleiche Deliktshaftung gelten, soweit diese wegen der Verletzung eines absoluten Rechts oder ausnahmsweise wegen der Herbeiführung eines reinen Vermögensschadens eröffnet ist. Schließt man sich der Rechtsprechung des fünften Senats nur im Ergebnis an und stützt die umfassende Wissenszurechnung bei der vertraglichen Haftung auf § 278 BGB, stellt sich freilich das Problem, dass diese Vorschrift zumindest nach herkömmlicher Ansicht im Deliktsrecht keine Anwendung findet. Stattdessen gilt § 831 BGB, der denjenigen, der sich eines Verrichtungsgehilfen bedient, für die von diesem verübte Schädigung nur unter dem Vorbehalt für haftbar erklärt, dass ihm der Nachweis sorgfältiger Auswahl und Überwachung der Hilfsperson misslingt. Diese Vorschrift ist ihrer praktischen Bedeutung freilich 161 BGH, NJW 2010, 602 (Rn. 23), NJW 2010, 596 (Rn. 29).

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III. Eine differenzierte Lösung

schon dadurch beraubt worden, dass die Rechtsprechung in Fällen der Schädigung durch einen Gehilfen die Haftung nicht an dessen Fehlverhalten, sondern an den Mangel einer Organisation anknüpft, die eine effektive Kontrolle der Tätigkeit des Gehilfen gewährleistet und eine Organhaftung gemäß § 31 BGB gezeitigt hätte.162 Ist damit das Regelungskonzept des § 831 BGB praktisch beseitigt, wäre es konsequent, die Vorschrift auch theoretisch durch eine Rechtsfortbildung zu überwinden, deren Legitimationsgrundlage der innergesetzliche Widerspruch zu § 31 BGB bildet: Haftet ein Verband nach dieser Bestimmung unbedingt für das Fehlverhalten seiner Organe und Repräsentanten, muss er in dieser Weise erst recht für seine unselbständig tätigen Mitarbeiter einstehen, die gleichsam der verlängerte Arm der mit eigener Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Organe und Repräsentanten sind. Der Rechtsgedanke von § 31 BGB verdrängt dann die hiermit unvereinbare Regelung des § 831 BGB.163 Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man auch im Deliktsrecht auf § 278 BGB zurückgreift und diese Bestimmung entsprechend anwendet.164 Das Ergebnis ist hier wie dort eine umfassende Gefährdungshaftung für Gehilfen. An diese lässt sich ebenso wie bei § 278 BGB eine Zurechnung jeglichen Wissens knüpfen, auf dessen Speicherung und Abruf der Rechtsverkehr zählen darf. Selbst wenn man es bei § 831 BGB und dem hergebrachten Ansatz des Organisationsverschuldens be162 163 164

Vgl. etwa BGH, NJW-RR 1996, 867 (868). So Harke, Besonderes Schuldrecht, Rn. 561. So Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 130 ff.

4. Und das Deliktsrecht?

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lässt, kommt man aber ebenfalls nicht umhin, eine Wissenszurechnung nach dem Vorbild der vertraglichen Arglisthaftung auch im Deliktsrecht vorzunehmen.165 Ihr Anknüpfungspunkt ist dann die deliktsrechtliche Überwachungs- und Organisationspflicht, die ebenso wie eine vertragliche Pflicht nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass es infolge eines Organisationsmangels zu einer Wissensaufspaltung kommt. Bejaht man deshalb ein deliktisches Organisationsverschulden, weil Kenntnisse nicht gehörig gespeichert oder abgerufen worden sind, bleibt die hieraus resultierende Einstandspflicht auch dann, wenn der Organisationsfehler nur auf Fahrlässigkeit beruht, gleichwohl eine Vorsatzhaftung. Denn andernfalls bliebe ein Verstoß gegen die deliktsrechtliche Organisationspflicht insofern folgenlos, als man durch einen Organisationsmangel immerhin für eine Herabstufung der Haftung von Vorsatz auf Fahrlässigkeit sorgen könnte. Dass dies nicht zulässig ist, hat die Rechtsprechung mit Bezug auf § 831 BGB bereits entschieden, indem sie eine Haftung nach dieser Vorschrift auch in einem Fall bejaht hat, in dem der Geschäftsherr bloß fahrlässig gegen seine Pflicht zur Überwachung des Gehilfen verstoßen hatte, diesem selbst aber eine arglistige sittenwidrige Schädigung zur Last fiel.166 Richtet sich die Art des Verschuldens nicht 165 Gegen eine Wissenszurechnung im Zusammenhang mit dieser Norm sperren sich aus denselben Gründen, die sie gegen § 278 BGB vorbringen, Waltermann, AcP 192 (1992) 180, 202 ff., Buck (Fn. 1), S. 190 ff. und Bruns (Fn. 1), S. 141. 166 BGH, WM 1989, 1047, 1049 f., NJW 2008, 2445 (Rn. 48).

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III. Eine differenzierte Lösung

nach dem Überwachungsfehler des Geschäftsherrn, sondern nach der Tat des Gehilfen,167 muss auch zurechenbares Wissen zwangsläufig ebenso wie im Vertragsrecht mit der Folge berücksichtigt werden, dass die Organisation wegen vorsätzlicher Schädigung haftbar ist. Eine auf Wissenszurechnung gegründete Haftung nach § 826 BGB, um die es dem sechsten Senat des BGH in der Entscheidung von 2016 geht, kann man daher allein an der fehlenden Sittenwidrigkeit der Schädigung scheitern lassen.168 Sie ist keineswegs schon deshalb ausgeschlossen, weil die Wissenszurechnung im Deliktsrecht anderen Kriterien folgt als bei der vertraglichen Haftung. Ist hier bei der Beurteilung des Verjährungsbeginns zum Schutz der Opfer von Schädigungen auch restriktiv zu verfahren, müssen sich die Täter doch eine umfassende Wissenszurechnung gefallen lassen, wie sie auch bei der vertraglichen Haftung erfolgt.

167 Staudinger/Oechsler (2014) § 826 BGB Rn. 117, MüKo/Wagner § 826 BGB Rn. 36, BeckOGK/Spindler § 826 BGB Rn. 11. 168 Hierauf scheint mir auch die entsprechende Einschränkung gerichtet, die Canaris, Karlsruher Forum 1994 (1995) 35 für die Haftung aus § 826 BGB macht.

IV. Wissenszurechnung im Konzern Ein Bereich, den die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang nur spärlich ausgeleuchtet hat, ist die Zurechnung von Kenntnissen, die nicht in derselben Organisation, wohl aber in einem verbundenen Unternehmen vorhanden sind. Dass die gesellschaftsrechtliche Trennung die Wissenszurechnung nicht ausschließen kann, ist evident, hätte es ein Konzern doch sonst in der Hand, die zu ihm gehörenden Gesellschaften durch Aufspaltung ihrer Kenntnisse von der Haftung und anderen nachteiligen Rechtsfolgen freizuhalten. Diese Gefahr ist vor allem deshalb nicht zu unterschätzen, weil viele verbundene Unternehmen als Einheit am Markt auftreten, indem sie dieselbe oder eine zusammengehörige Leistung arbeitsteilig erbringen. Nichtsdestoweniger fällt die Wissenszurechnung im Konzern als Thema für Rechtsprechung und Schrifttum deutlich gegenüber der Behandlung von organisationsinternem Wissen zurück. Ein naheliegender Grund ist, dass die Lösung des eigentlichen Konzernproblems nicht schwer fällt und im Großen und Ganzen auch schon gefunden ist. Dies macht freilich noch nicht die Differenzierung zwischen haftungs- und erklärungsorientierten Wissensnormen entbehrlich, die nicht nur bei der organisationsinternen Zurechnung von Wissen, sondern auch im Konzern geboten ist.

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IV. Wissenszurechnung im Konzern

1. Die Rechtsprechung des fünften Senats Im Zusammenhang mit der vertraglichen Arglisthaftung hat der fünfte Zivilsenat des BGH auch das Konzernproblem in einem kurz nach der Grundsatzentscheidung von 1996 ergangenen Urteil169 gestreift. Dessen Gegenstand war die Haftung für Mängel eines mit einem Mietshaus bebauten Grundstücks, die dem Hauswart und der mit der Hausverwaltung betrauten Gesellschaft bekannt und nach dem Vortrag des klagenden Käufers auch den Bediensteten der beklagten Verkäuferin mitgeteilt worden waren. Der BGH erachtete diesen Vortrag für ausreichend, um dem Berufungsgericht die bislang unterlassene Untersuchung der Frage aufzugeben, ob die Mitarbeiter der Verkäuferin eigene Kenntnis von den Mängeln des Gebäudes hatten. Eine direkte Zurechnung der bei der Hausverwaltung vorhandenen Kenntnisse lehnte der Senat dagegen mit der Begründung ab, dass diese von der Beklagten nicht in Vorbereitung und Abwicklung des Kaufvertrags eingeschaltet war. Die unter dem Gesichtspunkt einer Pflicht zur ordnungsgemäßen organisierten Kommunikation entwickelten Grundsätze kämen hier deswegen nicht zur Anwendung, weil sie für arbeitsteilige Abläufe innerhalb eines Unternehmens oder einer Organisation entwickelt worden seien; die Hausverwaltung, die den Hauswart beschäftigte, sei aber ein rechtlich und organisatorisch selbständiger Dritter und nicht in die Verkäuferin eingegliedert.

169 BGH, Urteil vom 22. November 1996 – V ZR 196/ 95, NJW-RR 1997, 270.

1. Die Rechtsprechung des fünften Senats

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Nimmt sich diese Entscheidung auf den ersten Blick wie eine generelle Ablehnung der unternehmensübergreifenden Wissenszurechnung aus, gibt sie doch, genau besehen, nur einen selbstverständlichen Gedanken wieder, nämlich dass eine rechtliche Sonderung in verschiedene juristische Personen grundsätzlich zu respektieren und eine Wissenszurechnung nicht schon wegen des bloßen Konzernverbunds statthaft ist. Nicht ausgeschlossen und sogar ausdrücklich vorbehalten ist dagegen eine Wissenszurechnung bei organisatorischer Integration der verschiedenen Gesellschaften, die eine Pflicht zur gehörigen Strukturierung des Informationsaustauschs auslösen kann, wie sie in einem rechtlich einheitlichen Verband besteht. Dies hat der fünfte Senat denn auch in einem Urteil von 2000170 bekräftigt, in dem es um die Frage ging, ob ein im Zuge eines Gesamtvollstreckungsverfahrens erlassenes Verfügungsverbot gegenüber einem Grundstücksveräußerer durch gutgläubigen Erwerb nach § 894 BGB überwunden worden war. Für die Annahme einer Kenntnis vom Verfügungsverbot wollte der BGH nicht genügen lassen, dass einer der Erwerber eine Gesellschaft geleitet hatte, der dieses Wissen möglicherweise zuzuschreiben war; denn die Zurechnung aktenmäßig gespeicherten Wissens erfolge nur zulasten der Organisation selbst, nicht aber zum Nachteil ihrer Organe. Eine Rücksicht auf den Kenntnisstand der von dem Erwerber geleiteten Gesellschaft komme daher allenfalls dann in Frage, wenn diese Aufgaben des Erwerbers oder seiner Partner 170 BGH, Urteil vom 13. Oktober 2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359.

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IV. Wissenszurechnung im Konzern

wahrgenommen habe. Erforderlich sei für eine solche Zurechnung, dass ein Teil des Aufgabenbereichs, der einer Person oder einer Organisation zukomme, „auf eine natürliche Person oder eine selbstständige juristische Einheit ausgegliedert“ sei.171 2. Versicherungsrechtliche Judikatur Neben diesen Entscheidungen des fünften Senats gibt es noch einige Judikate des vierten Senats, die sich auf die Frage beziehen, ob sich ein Versicherer die Kenntnisse eines anderen Versicherungsunternehmens desselben Konzerns mit der Folge zurechnen lassen muss, dass er aus einer Informationspflichtverletzung des Versicherungsnehmers keine Rechte herleiten kann: In einer Entscheidung von 1989172 hatte der Senat über die Wirksamkeit eines Rücktritts von einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu befinden. Grund war ein Verstoß des Versicherungsnehmers gegen die vorvertragliche Pflicht zur Anzeige von Vorerkrankungen. Für die Frage, ob diese wegen Kenntnis des Versicherers folgenlos blieb (§§ 16 Abs. 3 S. 2 VVG a. F., 19 Abs. 5 S. 2 VVG n. F.), war entscheidend, ob dem Versicherer die Informationen zugerechnet werden mussten, die einem zum selben Konzern gehörenden Krankenversicherungsunternehmen vorlagen. Für eine solche Zurechnung ließ der BGH weder den Konzernverbund als solchen genügen noch die Möglichkeit 171

BGH, NJW 2001, 359 (360). BGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 – IV a ZR 177/88, NJW-RR 1990, 285. 172

2. Versicherungsrechtliche Judikatur

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zum Datenaustausch unter den Konzerngesellschaften; stattdessen verlangte er, dass eine Abfrage der Daten des Krankenversicherers entweder routinemäßig stattfinde oder durch einen Hinweis des Versicherungsnehmers nahegelegt werde.173 Dass ein solcher Hinweis eine Kenntniszurechnung zeitigen kann, bestätigte der vierte Senat des BGH in einem Judikat von 1993.174 Es galt einem annähernd gleichgelagerten Fall, in dem die beiden Versicherungsunternehmen eine gemeinsame Datensammlung unterhielten. Die hier gespeicherten Daten galten aus Sicht des BGH als aktuelles, vom Versicherer zu berücksichtigendes Wissen, falls der Versicherungsnehmer hierauf in seinem Antrag hinreichend deutlich Bezug genommen habe. Dass sich ein Versicherer die Kenntnisse einer Schwestergesellschaft auch aus einem anderen Anlass zurechnen lassen muss, nahm der Senat schließlich in einer Entscheidung von 2006 an175. Zugrunde lag ihr eine Auseinandersetzung über die Fehlleitung der Leistung eines Gebäudeversicherers durch eine Rechtsanwältin, deren Haftpflichtversicherung sich nun wegen Verstoßes gegen eine in den Versicherungsbedingungen vorgesehene Informationspflicht von ihrer Einstandspflicht befreit sah. Der BGH ließ diesen Einwand daran scheitern, dass sich der Haftpflichtversicherer die maßgeblichen Kenntnisse über den 173

BGH, NJW-RR 1990, 285 (286). BGH, Urteil vom 14. Juli 1993 – IV ZR 153/92, NJW 1993, 2807. 175 BGH, Urteil vom 28. September 2005 – IV ZR 255/04, NJW 2006, 289. 174

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IV. Wissenszurechnung im Konzern

Fortgang der Angelegenheit von der konzernverbundenen Gebäudeversicherung hätte verschaffen können. Da sich deren Beteiligung am haftungsbegründenden Geschehen schon der ordnungsgemäß abgegebenen Schadensmeldung der Rechtsanwältin habe entnehmen lassen, müsse sich der Haftpflichtversicherer die seinem Zugriff unterliegenden Kenntnisse seiner Schwestergesellschaft zurechnen lassen.176 3. Zusammenspiel mit dem Schrifttum In der Literatur sind die Entscheidungen beider BGH-Senate in der treffenden Formel zusammengefasst worden, eine Wissenszurechnung zwischen konzernverbundenen Unternehmen sei stets dann angebracht, wenn sie „im Zuge arbeitsteiliger Konzernorganisation eine funktionale Einheit“ bilden.177 Mit dieser Regel konvergiert ein zweiter Ansatz, der von der Beherrschbarkeit eines Organisationsbereichs als Zuweisungskriterium ausgeht.178 Danach kommt zumindest eine Wissenszurechnung „von unten nach oben“, also von einer Tochter- an eine Muttergesellschaft, in Betracht, wenn diese Einheiten nicht nur kapitalistisch verbunden, sondern arbeitsteilig zur Verwirklichung eines einheitlichen Unternehmensziels tätig sind.179 Diese Ansicht ist ihrerseits in der obergerichtlichen Rechtsprechung rezipiert und vom OLG 176

BGH, NJW 2006, 289 (Rn. 33 ff.). Nobbe, Bankrechtstag 2002, 123, 159. 178 Dies tut schon Bork, ZGR 1994, 237 (256). 179 Drexl, ZHR 161 (1997) 491, 514 ff., ders., Bankrechtstag 2002, 85, 110 ff. 177

3. Zusammenspiel mit dem Schrifttum

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Hamm180 zur Grundlage einer Entscheidung gemacht worden, in der es um die mögliche Haftung einer Bank gegenüber ihrem Kunden wegen Immobilienerwerbs ging, der unter Vermittlung einer konzernverbundenen Gesellschaft getätigt worden war. Eine eingängige Begründung für die Wissenszurechnung aufgrund arbeitsteiligen Zusammenwirkens liefert der Literatur vor allem das Phänomen des formalen Outsourcing durch Aufsplitterung eines einheitlichen Unternehmens: Es ist offensichtlich, dass die Entscheidung, einen Arbeitsprozess statt durch Betriebsteile innerhalb desselben Rechtsträgers fortan durch rechtlich verselbständigte Einheiten durchführen zu lassen, nicht zu einer Beschränkung der Kenntniszurechnung führen darf; unterlag sie vor dem Outsourcing dem Gebot einer gehörigen Organisation des Informationsaustauschs, muss dieses auch dann Geltung beanspruchen, wenn aus Betriebsteilen Tochtergesellschaften geworden sind.181 Dass die rechtliche Aufspaltung einer Wissenszurechnung nicht entgegenstehen kann, ergibt sich schon daraus, dass diese rechtsformunabhängig ist und jede Art von Gesellschaft und anderer juristischer Personen, ja sogar eine von einer natürlichen Person geführte Organisation, einschließt. Kommt es nicht auf die Rechtsform an, kann aber auch keine Rolle spielen, ob sich der Träger der Organisation statt für eine einheitliche Rechtsform für das Modell eines Konzerns entschieden hat. Und erst recht darf es nicht darauf ankommen, wie 180 Urteil vom 19. Februar 2001 – 5 U 217/00, BKR 2002, 958 (960). 181 Nobbe a. a. O.

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IV. Wissenszurechnung im Konzern

der Konzern seinerseits strukturiert ist.182 Daher begegnet es auch keinen Bedenken, wenn sich das OLG München unmittelbar auf die Grundsatzentscheidung des fünften Senats von 1996 beruft, um die Haftung eines Franchisegebers für eine vorvertragliche Fehlinformation eines Franchisenehmers zu begründen. Dass die diesem vorenthaltenen Kenntnisse über eine mit den Lieferanten geübte Rückvergütungspraxis im zu entscheidenden Fall nicht bei der Franchisegeberin, sondern bei ihrer Muttergesellschaft vorhanden waren, spielte aus Sicht des OLG keine Rolle; denn die vom fünften Senat aufgestellten Grundsätze über die Wissenszurechnung seien „für alle Organisationsformen“ gültig.183 Mit dieser plausiblen Erwägung ist auch der in der Literatur zuweilen erwogenen Beschränkung auf eine Zurechnung „von unten nach oben“184 der Boden entzogen. Zwar hat nur das beherrschende und nicht das abhängige Unternehmen die Macht, über die Organisation des Informationsaustauschs im Konzern zu entscheiden. Folgerte man hieraus darauf, dass zulasten der abhängigen Gesellschaft keine Zurechnung des Wissens der herrschenden Gesellschaft stattfin-

182

Schulenburg (Fn. 1), S. 50 f. OLG München, Urteil vom 27. Juli 2006 – 23 U 5590/05, BB 2007, 14 (15). 184 Drexl, ZHR 161 (1997) 491, 518 ff. will sie selbst dadurch wieder eindämmen, dass er eine Nebenpflicht des abhängigen Unternehmens annimmt. Schüler (Fn. 1), S. 150 ff. will eine Zurechnung von oben nach unten nur ganz ausnahmsweise dann zulassen, wenn sich der Konzernvorstand durch seine Einflussnahme zum Willensbildungsorgan der abhängigen Gesellschaft macht. 183

4. „Funktionale Einheit‘‘ und Wissensnormen

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den dürfe, eröffnete man dieser aber die Möglichkeit, das nachteilige Wissen zu horten und sich damit hinter unwissend gehaltenen Tochterunternehmen zu verstecken.185 Dies widerspricht nicht nur dem rechtsformübergreifenden Ansatz der Wissenszurechnung; es läuft auch eindeutig dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 2 BGB zuwider, wonach derjenige, der sich die selbständige Tätigkeit eines anderen dienstbar macht, nicht durch Aufspaltung des Wissens Risiken der arbeitsteiligen Tätigkeit auf Dritte verlagern können soll186. 4. „Funktionale Einheit“ und Wissensnormen Das im Zusammenwirken von Rechtsprechung und Literatur herausgebildete Konzept der Zurechnung von Konzernwissen hat verblüffende Ähnlichkeit zu der behördenübergreifenden Wissenszurechnung, wie sie der neunte Senat im Insolvenzrecht vornimmt:187 Ausgehend von dem Grundsatz, eine Zurechnung sei auf die einzelnen im Rechtsverkehr auftretenden Organisationseinheiten beschränkt, will sich der BGH hier über die Zuständigkeitsregeln dann doch hinwegsetzen, wenn sich eine Behörde einer anderen bedient, um eigene Ansprüche durchzusetzen oder gegenläufige Ansprüche zum Erlöschen zu bringen. Durch das Zusammenwirken werde eine neue „aufgabenbezogene Handlungs- und Informationseinheit“ geschaffen, in der die Kenntnisse beider Behörden zusammenge185 Auf diese Gefahr weist auch Schulenburg (Fn. 1), S. 63 hin. 186 Richtig Spindler (Fn. 1), S. 966. 187 S. o. I. 3.

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IV. Wissenszurechnung im Konzern

rechnet werden. Diese behördlich gebildete Einheit entspricht ganz der „funktionalen Einheit“, die als Kriterium für die Zurechnung im Konzern dienen soll: Damit die durch rechtliche Verselbständigung gezogenen Grenzen überwunden werden können, müssen die einzelnen Elemente eine neue Struktur bilden, die sich aus ihrem faktischen Zusammenwirken ergibt. Fraglich ist, woran man die Entstehung dieser Arbeitseinheit festmacht. Genügt hierfür schon eine interne Arbeitsteilung, oder muss die Zusammenarbeit der Behörden oder Konzerngesellschaften nach außen hervortreten und dem Rechtsverkehr und insbesondere der im Einzelfall betroffenen Gegenseite erkennbar sein?188 Geht man von dem Gebot gehöriger Organisation des Informationsaustauschs in einer arbeitsteiligen Struktur aus, kann es für die Wissenszurechnung nicht darauf ankommen, ob die beteiligten Einheiten als Elemente eines arbeitsteiligen Mechanismus in Erscheinung getreten sind; denn auch ohne ihre Präsenz im Rechtsverkehr gilt, dass sich eine Organisation nicht durch faktische oder rechtliche Aufspaltung der Verantwortung für die bei ihr vorhandenen Kenntnisse entziehen darf. Legt man dagegen den Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes zugrunde, muss man vom Horizont des Rechtsverkehrs ausgehen und fragen, ob die Einheiten nicht nur intern, sondern auch im Außenverhältnis gegenüber dem betroffenen 188 Für Letzteres tritt Schulenburg (Fn. 1), S. 55 ff. ein. Drexl, ZHR 161 (1997) 491, 518, Nobbe, Bankrechtstag 2002, S. 159, und MüKo/Schubert § 166 BGB Rn. 62 halten das gemeinsame Auftreten im Außenverhältnis immerhin für ein Kriterium zur Feststellung einer funktionalen Einheit.

4. „Funktionale Einheit‘‘ und Wissensnormen

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Dritten zusammengewirkt haben.189 Die Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen darf auch hier wieder nicht abstrakt anhand übergesetzlicher Wertmaßstäbe, sondern nur mit Blick auf die jeweils maßgebliche Wissensnorm getroffen werden: Geht es darum, die Haftung einer Konzerngesellschaft zu begründen, erfolgt die Zurechnung auf der Grundlage von § 278 BGB oder der korrespondierenden Mechanismen des Deliktsrechts. Dies bedeutet, dass ein konzernverbundenes Unternehmen, damit die hier vorhandenen Kenntnisse zugerechnet werden können, nicht nach außen in Erscheinung getreten sein muss. Es genügt eine bloß interne Aufgabenteilung zwischen beiden Gesellschaften, so dass sie überhaupt eine funktionale Einheit bilden. Voraussetzung für eine Wissenszurechnung ist dann lediglich, dass ein Bezug des in einer Gesellschaft vorhandenen Kenntnisstands auf das haftungsträchtige Verhalten der anderen Gesellschaft vorliegt, weshalb eine Integration beider Gesellschaften nach dem Maßstab ordnungsgemäßen Informationsaustauschs gerechtfertigt ist; und dies entscheidet sich wiederum daran, ob mit der Speicherung des Wissens und seinem gesellschaftsübergreifenden Abruf zu rechnen war. Ein solches Konzept der Wissenszurechnung hat zu Recht der BGH im Fall der kaufvertraglichen Arglisthaftung erwogen; und das OLG München hat es folgerichtig auf die quasivertragliche Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten übertragen. Da diese nur technisch dem Vertragsrecht, funktionell dagegen 189

Konsequent daher Schulenburg (Fn. 1), S. 65 ff.

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IV. Wissenszurechnung im Konzern

dem Deliktsrecht angehört, erhellt, dass auch hier von demselben Zurechnungsmodell wie bei der eigentlichen Vertragshaftung auszugehen ist, wobei sich die umfassende Zurechnung hier ebenso wie beim organisationsinternen Wissen entweder aus einer Rechtsfortbildung der Gehilfenhaftung, der Figur des Organisationsverschuldens oder einer großzügigen Handhabung von § 831 BGB ergibt190.191 Da sich der durch Wissenszurechnung gewährleistete Verkehrsschutz nicht auf das Vertragsrecht beschränkt, sondern gleichermaßen Aufgabe der quasivertraglichen und deliktischen Haftung ist, verfängt auch das Argument nicht, die aktienrechtlichen Bestimmungen des Konzernrechts enthielten eine abschließende Regelung für die gesetzliche Haftung im Konzernverbund192. Indem sie Schutz vor Täuschung gewährt, entspricht die umfassende Wissenszurechnung vielmehr einer Kernaufgabe des Deliktsrechts, derer es nicht durch gesellschaftsrechtliche Bestimmungen enthoben werden kann. Anders liegen die Dinge, wenn die Kenntniszurechnung aufgrund einer erklärungsorientierten Norm erfolgen soll, die zur gesetzlichen Unterstellung eines bestimmten Vertragsinhalts, eines Rechtsverzichts oder einer funktionsäquivalenten Verwirkung führt. 190

S. o. III. 4. Überwindet man auf diese Weise die Grenzen, die der deliktischen Gehilfenhaftung durch § 831 BGB gesetzt sind, kommt es auch nicht zu der von Bork, ZGR 1994, 237, 254 f. konstatierten Asymmetrie: Während eine Ober- oder Schwestergesellschaft zwar Erfüllungsgehilfe eines konzernverbundenen Unternehmens sein kann, lässt sie sich schwerlich als Verrichtungsgehilfe im traditionellen Sinne ansehen. 192 So Spindler (Fn. 1), S. 951 ff. 191

4. „Funktionale Einheit‘‘ und Wissensnormen

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Hier liefert den maßgeblichen Rechtsgedanken nicht § 278 BGB, sondern die Rechtsgeschäftslehre, namentlich § 166 BGB mit der an ihn anknüpfenden Lehre vom Wissensvertreter.193 Danach genügt das bloß interne Zusammenwirken zweier Konzerngesellschaften noch nicht, um eine Wissenszurechnung zu rechtfertigen. Die Aufgabenteilung zwischen ihnen muss vielmehr so nach außen in Erscheinung treten, dass eine Konzerngesellschaft gleichsam als Vertreter zum Empfang von Kenntnissen für die andere ermächtigt ist. Nur mit diesem Vorbehalt verdient daher die versicherungsrechtliche Judikatur des vierten BGH-Senats Zustimmung, der eine konzernweite Wissenszurechnung schon aufgrund der Möglichkeit des Datenaustauschs und eines Hinweises des Versicherungsnehmers bejaht hat. Damit ein solcher Hinweis die Zurechnung der Kenntnisse des Schwesterunternehmens rechtfertigt, muss diesem die Befugnis zur Vermittlung von Wissen an den Versicherer durch eine außenwirksame Ermächtigung eingeräumt sein. Hierfür kommt freilich schon eine Bestimmung in den Versicherungsbedingungen in Betracht, mit der dem Versicherungsnehmer sein Einverständnis mit dem Abruf von Daten innerhalb des Versicherungskonzerns abverlangt wird. Alternativ könnte man, wenn es schon auf den entsprechenden Hinweis des Versicherungsnehmers ankommen soll, verneinen, dass dieser, wenn er ihn denn gegeben hat, überhaupt gegen seine Anzeige- oder Unterrichtungspflicht verstoßen hat. 193 Für einen durchgängigen Rückgriff auf § 166 BGB dagegen Römmer-Collmann (Fn. 1), S. 201 ff.

V. Resultat Die Kluft zwischen der Rechtsprechung zur vertraglichen Arglisthaftung und der Judikatur zum Verjährungsbeginn lässt sich nicht überbrücken. Die Divergenz in der Falllösung ist nur äußeres Zeichen für einen grundlegenden Unterschied der Fallgestaltungen, die zwei verschiedenen Regelungsmustern unterfallen: Auf der einen Seite stehen die Konstellationen, in denen das zuzurechnende Wissen Voraussetzung einer Haftung ist, die daran anknüpft, dass von diesem Wissen nicht im Interesse des Geschädigten Gebrauch gemacht worden ist. Auf der anderen Seite stehen die Fälle, in denen statt einer Haftung die Selbstbindung einer Organisation in Rede steht, weil sie durch ihre Kenntnis oder das Kennenmüssen der maßgeblichen Umstände eine bestimmte Erwartung ihres Gegenüber geweckt hat. Beide Fallgestaltungen sind keiner einheitlichen Lösung zugänglich. Die Haftungsfälle müssen nach den für Schadensersatzpflichten geltenden Zurechnungsnormen, die übrigen Konstellationen nach den Vorgaben der Rechtsgeschäftslehre beurteilt werden. Für die Wissenszurechnung im Rahmen vertraglicher Haftung ist die richtige, aber bislang meist als solche verkannte Zurechnungsregel die Bestimmung über den Erfüllungsgehilfen in § 278 BGB. Zweck der hier vorgesehenen Garantiehaftung für das Verschulden einer Hilfsperson ist nicht, dem Geschäfts-

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herrn zum Ausgleich des Nutzens, den die Arbeitsteilung für ihn mit sich bringt, auch die damit verbundenen Risiken zuzuweisen; denn von der Arbeitsteilung profitiert der Vertragspartner des Geschäftsherrn nicht minder als dieser selbst. Die Garantiehaftung für Erfüllungsgehilfen ist stattdessen eine gleichsam naturrechtliche Konsequenz aus der Verpflichtung eines Schuldners: Damit sie nicht leerläuft, muss es ihm verwehrt sein, sich auf die Arbeitsteilung als Grund für ein Leistungsdefizit zu berufen. Fällt dem Schuldner damit jeglicher Fehler seiner Arbeitsorganisation zur Last, ist die Zurechnung keineswegs auf das Verhalten einer Hilfsperson beschränkt, das schon, für sich genommen, den Verschuldensvorwurf rechtfertigt. Der Geschäftsherr muss sich vielmehr auch Gehilfenverhalten zurechnen lassen, das selbst schuldlos ist, sofern es im Zusammenwirken mit anderen Tatbeiträgen als Teil eines Fehlverhaltens erscheint. Alle Vorgänge in der Arbeitsorganisation werden zusammengerechnet und in den Schuldner projiziert, um als fiktives Verhalten einer natürlichen Person einer einheitlichen Beurteilung unterzogen zu werden. Diese Zusammenrechnung kann sich nicht auf Verhalten beschränken, sondern muss auch Wissen einschließen, das in der Arbeitsorganisation vorhanden ist. Dieses Wissen zeitigt, wenn es sorgfaltswidrig ungenutzt bleibt, auch dann den Vorwurf arglistigen Verhaltens, wenn der maßgebliche Entscheidungsträger hierüber verfügt. Es genügt, dass ein hinreichender Bezug zu dem haftungsträchtigen Verhalten besteht, weil das Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation des Informationsaustauschs gespeichert und auch abgerufen worden wäre.

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V. Resultat

§ 278 BGB bietet den normativen Anknüpfungspunkt für das auch von der Rechtsprechung verwendete Gleichstellungsargument: Dass jemand, der einer Organisation gegenübertritt, ebenso stehen soll wie der Vertragspartner einer natürlichen Person, ist, isoliert betrachtet, nicht einzusehen; denn er weiß ja, dass er es mit einer Organisation zu tun hat und verspricht sich hiervon regelmäßig gerade die Vorteile der Arbeitsteilung. Vorgeschrieben wird die Gleichbehandlung von Organisation und natürlicher Person erst durch die gesetzliche Anordnung einer Garantiehaftung für Erfüllungsgehilfen, die zur gedanklichen Integration der Vorgänge innerhalb der Organisation in eine natürliche Person zwingt. § 278 BGB liefert ferner den treffenden Ansatzpunkt für das ebenfalls in der Rechtsprechung anerkannte Gebot einer gehörigen Strukturierung des organisationsinternen Informationsaustauschs: Konstruiert man es wie die Judikatur als Pflicht des Organisationsträgers, kann es allenfalls eine Haftung für seine fahrlässige Verletzung hervorbringen. Sieht man in ihm dagegen ein Kriterium, um den Bezug vorhandenen Wissens auf ein nach § 278 BGB zu verantwortendes Fehlverhalten herzustellen, sorgt es für die gewünschte Zurechnung, aus der sich dann auch eine Vorsatzhaftung ergibt. Die Wissenszurechnung nach dem Muster von § 278 BGB ist nicht auf Fälle vertraglicher Haftung begrenzt. Sie kommt gleichermaßen bei der Schadensersatzpflicht für vorvertragliches Fehlverhalten zum Zuge, die ohnehin den Regeln des Vertragsrechts gehorcht, aber auch im Deliktsrecht zur Anwendung.

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Zu einer verschuldensunabhängigen Haftung für Gehilfen, wie sie das Gesetz für das Vertragsrecht ausdrücklich bestimmt, kommt man hier, wenn man die systemwidrige Bestimmung des § 831 BGB entweder wie die Rechtsprechung indirekt mit Hilfe der Figur des Organisationsverschuldens oder offen durch Rechtsfortbildung überwindet. Die Konsequenz ist eine umfassende Wissenszurechnung nach dem Vorbild der Vertragshaftung, wie sie von der Rechtsprechung auch schon in den Entscheidungen zum guten Glauben einer Organisation zugrunde gelegt wird. Die hierbei einschlägigen Normen sind nämlich dem Deliktsrecht zuzuordnen, weil sie festlegen, unter welchen Voraussetzungen jemand im Zusammenwirken mit einem anderen in die Rechte eines Dritten eingreifen darf, ohne hierfür zur Verantwortung gezogen werden zu können. Die Beziehung zwischen demjenigen, auf dessen guten Glauben es ankommt, und dem Dritten kann durch einen Vertrag geregelt sein, ist aber hiervon nicht abhängig und damit eigentlich deliktischer Natur. Dies gilt nicht nur für die Bestimmungen, die das BGB zum guten Glauben enthält, sondern auch für die insolvenzrechtlichen Vorschriften, die zugunsten eines gutgläubigen Dritten eine masseschädigende Rechtshandlung gestatten. Das andere Konzept der Wissenszurechnung ergibt sich aus § 166 BGB, der meist den vergeblichen Versuchen der Entwicklung einer einheitlichen Theorie der Wissenszurechnung zugrunde gelegt wird. Die an diese Vorschrift anknüpfende Lehre vom Wissensvertreter bedeutet eine zulässige Analogie, weil es für den Rechtsverkehr keine Rolle spielt, ob eine Organisation bei der Aufnahme von Kenntnissen durch einen

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V. Resultat

mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht ausgestatteten Vertreter oder durch eine andere Person repräsentiert wird, die von der Organisation hierfür eingesetzt wird. Die Wissenszurechnung kann in diesem zweiten Fall aber nicht umfassend anhand des Kriteriums des ordnungsgemäßen Informationsaustauschs, sondern nur restriktiv erfolgen, nämlich unter der Voraussetzung, dass der Wissensträger ähnlich wie ein Stellvertreter auch für den Bereich zuständig ist, für den der fragliche Kenntnisstand relevant ist. Die beschränkte Wissenszurechnung nach dem Maßstab von § 166 BGB erfolgt immer dann, wenn das Gesetz an die Kenntnis eines Umstands die Annahme einer stillschweigenden Erklärung knüpft. Der Fall ist dies insbesondere bei den Vorschriften, die als Folge der Kenntnis oder Erkennbarkeit eines Leistungsmangels einen Ausschluss der Gewährleistung anordnen: Auf der Basis seines Kenntnisstands unterstellt das Gesetz dem Leistungsempfänger, er habe auf seine Rechte von vornherein oder zumindest nach Vertragsschluss verzichtet. Ganz ähnlich sind die Konstellationen eines Rechtsverlusts kraft Fristablaufs, wie sie vor allem bei der außerordentlichen Kündigung eintreten können: Hier wird die Untätigkeit trotz Kenntnis vom Kündigungsgrund mit der Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf das Kündigungsrecht versehen. Damit diese konkludenten Erklärungen einer Organisation zurechenbar sind, muss derjenige, an dessen Kenntnisstand sie anknüpfen, auch für den jeweiligen Vorgang zuständig sein, zwar nicht unbedingt als Stellvertreter mit der Befugnis zu rechtsgeschäftlicher Bindung, aber doch als jemand, den die Organisation für diesen Bereich einge-

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setzt und damit in ähnlicher Weise wie einen Vertreter zur Wissensaufnahme ermächtigt hat. Nichts anderes gilt, wenn man die gesetzlichen Regelungen über den Rechtsverlust kraft Kenntnis oder Kennenmüssens nicht als Unterstellung einer konkludenten Willenserklärung, sondern mit Hilfe des Verbots widersprüchlichen Verhaltens deutet. Auch wenn man von dieser Erwägung ausgeht, kann man den Zweck der Ausschlusstatbestände nur darin sehen, die berechtigte Erwartung zu schützen, eine über den relevanten Sachverhalt hinreichend informierte Person werde hieraus keine Konsequenzen ziehen. Damit sich eine Organisation durch den Anschein, an den diese Erwartung knüpft, selbst binden kann, bedarf es einer hinreichenden Ermächtigung der Person, die den maßgeblichen Kenntnisstand hat. Die Lehre vom Wissensvertreter ist daher auch der passende Ausgangspunkt für die Beurteilung des Beginns einer Verjährung, bei der es um den Schutz der Erwartung des Schuldners geht, nicht wegen eines längst vergangenen Geschehens in Anspruch genommen zu werden. Diese Erwartung verdient nur dann Schutz, wenn die für den Fristlauf maßgeblichen Kenntnisse bei einer Person vorhanden sind, die innerhalb der Organisation auch für die Anspruchsverfolgung zuständig ist; denn nur sie hat die Befugnis, die Organisation dadurch zu binden, dass sie durch ihre Untätigkeit die entsprechende Erwartung des Schuldners weckt. Die Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn ist daher ebenso zutreffend wie die scheinbar widersprechende Judikatur in Haftungsfragen. Da sie anders als diese nicht an eine Haftungsvorschrift, son-

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dern an eine erklärungsorientierte Wissensnorm anknüpft, muss sie nur von einer anderen Form der Wissenszurechnung ausgehen, die sich an der Rechtsgeschäftslehre orientiert. Auf den Unterschied beider Arten der Wissenszurechnung kommt es schließlich auch dann an, wenn es um die Beurteilung von Kenntnissen geht, die nicht in dem betroffenen Unternehmen selbst, sondern in einer konzernverbundenen Gesellschaft vorhanden sind. Trotz der eher raren Judikatur zu dieser Frage hat sich hier die Regel etabliert, dass eine Wissenszurechnung statthaft ist, wenn beide Gesellschaften eine funktionale Einheit bilden, indem sie arbeitsteilig einem gemeinsamen unternehmerischen Ziel folgen. Ist dies der Fall, kann man hieraus aber noch nicht ohne Weiteres auf eine Wissenszurechnung schließen, sondern muss wie beim organisationsinternen Wissen differenzieren: Geht es um die Haftung eines Unternehmens oder einen verwandten Tatbestand wie etwa eine vom guten Glauben abhängige Rechtshandlung, ist jedes Wissen der arbeitsteilig zusammenwirkenden Gesellschaften zu berücksichtigen, das bei gehöriger Organisation der konzernweiten Kommunikation zu speichern und abzurufen gewesen wäre. Soll an die Kenntnisse des verbundenen Unternehmens dagegen die Folge geknüpft sein, dass einer Konzerngesellschaft die stillschweigende Erklärung eines Rechtsverzichts unterstellt wird oder ein Rechtsverlust wegen widersprüchlichen Verhaltens eintritt, genügt das Kriterium des ordnungsgemäß organisierten Informationsaustauschs nicht. Hinzukommen muss vielmehr,

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dass das konzernverbundene Unternehmen, das den erforderlichen Kenntnisstand hat, in der arbeitsteiligen Konzernstruktur so eingesetzt ist, dass es ähnlich wie ein Vertreter über die Ermächtigung verfügt, Wissen für die betroffene Gesellschaft aufzunehmen und diese damit zu binden.

Zum Autor Jan Dirk Harke wurde 1969 in Düsseldorf geboren und studierte von 1991 bis 1994 Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau, wo er nach dem Ersten Staatsexamen als Assistent am Lehrstuhl Joseph Georg Wolf tätig war. Auf das Referendariat am Landgericht Freiburg folgten 1998 das Zweite Staatsexamen und die Promotion auf der Grundlage einer Arbeit über die Methode des berühmten römischen Juristen Celsus. Von 1998 bis 2000 war Harke als angestellter Rechtsanwalt im Berliner Büro einer großen internationalen Kanzlei tätig. Danach verfasste er als Habilitationsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter Betreuung von Ulrich Manthe (Passau) eine Habilitationsschrift über den Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht. Die Habilitation durch die Juristische Fakultät der Universität Passau erfolgte 2003. Im selben Jahr erhielt Harke einen Ruf an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg, wo er bis 2016 den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Historische Rechtsvergleichung innehatte. Nachdem Harke einen Ruf an die Universität Göttingen abgelehnt hatte, folgte er 2016 dem Ruf an die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Von 2009 bis 2016 war Harke Richter am Oberlandesgericht Nürnberg. Seit seinem Wechsel nach Jena ist er Richter am Thüringer Oberlandesgericht.