Die strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfe im deutschen und chilenischen Recht [1 ed.] 9783428556250, 9783428156252

In Deutschland und Chile steigt die Nachfrage nach Sterbehilfe ständig. Die Herangehensweise des Strafrechts an das Them

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German Pages 222 [223] Year 2019

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Die strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfe im deutschen und chilenischen Recht [1 ed.]
 9783428556250, 9783428156252

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 37

Die strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfe im deutschen und chilenischen Recht

Von

Pablo Castillo Montt

Duncker & Humblot · Berlin

PABLO CASTILLO MONTT

Die strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfe im deutschen und chilenischen Recht

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Kosovo Sondertribunal Berater (amicus curiae) Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, Bogotá, Kolumbien

Band / Volume 37

Die strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfe im deutschen und chilenischen Recht

Von

Pablo Castillo Montt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Sommersemester 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-15625-2 (Print) ISBN 978-3-428-55625-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85625-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Lieben gewidmet

Vorwort Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat die vorliegende Arbeit im Sommersemester 2018 als Dissertation angenommen. Zunächst möchte ich Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Walter Perron für die freundliche und unkomplizierte Betreuung meiner Arbeit danken. Zudem danke ich Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Kai Ambos für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“. Die großzügige Förderung durch die Internationale Max Planck Research School für Strafrechtsvergleichung sowie die hervorragenden Arbeitsbedingungen am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht haben erheblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Dafür danke ich Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ulrich Sieber und der Max-Planck-Gesellschaft. Gedankt sei auch der Comisión Nacional de Investigación Científica y Tecnológica de Chile, die meine Arbeit vor der Aufnahme in die Research School und während meines LL.M.-Studiums an der Universität Freiburg unterstützt hat. Freiburg im Breisgau, September 2018

Pablo Castillo Montt

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

B. Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

C. Methode und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Erster Teil Sterbehilfe in Deutschland

27

Kapitel I Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

29

A. Dimensionen und Funktionen der Freiheitsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

B. Grundrechtliche Schutzpflichten gegen den freien Willen des Grundrechtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

C. Grundrechtsbeeinträchtigung und ihre materielle Rechtfertigung . . . . . . . .

31

D. Die in Betracht kommenden Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Menschenwürdegarantie in der Sterbehilfediskussion (Art. 1 Abs. 1 GG) 2. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) 3. Schutz der Freiheit und Privatsphäre in der deutschen Verfassung . . . . . . . . . a) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) . . . b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)

32 32 33 35 35 35

E. Suizid und Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der freiverantwortliche aktive Suizid aus verfassungsrechtlicher Perspektive a) Mögliche Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kriminalisierung der Suizidbeihilfe als verfassungsmäßige Schutzmaßnahme und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsmäßigkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe . . 2. Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . a) Erfüllung der staatlichen Lebensschutzpflicht als legitimer Zweck des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36 36 37 38 40 41 42 43 43

10

Inhaltsverzeichnis d) Unverhältnismäßige Ergebnisse des im Prinzip verfassungskonformen Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfassungsmäßigkeit einer eventuellen Entkriminalisierung der aktiven Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indirekte Sterbehilfe: Verfassungsrechtliche Lage von tödlichen Palliativbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Behandlungsverzicht aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . .

44 45 45 46

Kapitel II Strafrechtlicher Rahmen

49

A. § 216 StGB: Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Unrecht der Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigungsbedürftigkeit der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der anfängliche Verbotsgrund: Unverfügbarer Charakter des Rechtsguts Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fundamentänderung: Gefährdungs- anstatt Tötungsunrecht . . . . . . . . . . . . d) Kritische Betrachtungen des Gefährdungsunrechtsaufbaus . . . . . . . . . . . . . 2. Die Dogmatik des § 216 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grund der Strafmilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematisches Verhältnis zum Mord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der objektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Opferverlangen und seine notwendige Anstiftungswirkung . . . . . bb) Ausdrücklichkeit und Ernstlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) § 216 durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 49

B. Die Dogmatik der Suizidbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandslosigkeit und Rechtsmäßigkeit des Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Straflosigkeit der Beihilfe am freiverantwortlichen Suizid . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zwischen freiverantwortlichem und nicht freiverantwortlichem Suizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritische Ansichten der Freiverantwortlichkeitsdiskussion . . . . . . . . . . . . . 4. Beihilfe zum unfreien Suizid und dessen Nichthinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abgrenzung zwischen Tötungsdelikten und Suizidbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Tatherrschaftslösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die strenge Tatherrschaftslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Modifizierte Tatherrschaftslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 61

C. § 217 StGB: Die geschäftsmäßige Suizidförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Unrecht der geschäftsmäßigen Suizidförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nach dem Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ansicht der deutschen Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 70 71

49 50 52 53 53 54 55 55 57 58 58

62 64 65 66 67 68 69

Inhaltsverzeichnis

11

2. Dogmatik des § 217 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der objektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der tatbestandliche Selbstmordbegriff: Suizid durch Tun und Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die „Gelegenheit zum Suizid“: Reine oder qualifizierte Beihilfe? . . cc) Gewähren oder Verschaffen einer Suizidgelegenheit . . . . . . . . . . . . . . dd) Vermitteln einer Suizidgelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Geschäftsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Allgemeine teleologische Tatbestandeinschränkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der persönliche Strafausschließungsgrund für Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . e) Die Teilnahme an einer geschäftsmäßigen Suizidförderung . . . . . . . . . . . .

73 73

D. Die Nichthinderung eines freien Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafbarkeit des Garanten wegen Nichthinderung eines freien Suizids . . . . . . a) Rechtsprechung: Strafbare Nichthinderung wegen Tatherrschaftswechsels b) Kritische Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Mindermeinung: Tatherrschaftsgelöste Unterlassungstäterschaft . . . . d) Wendung der Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeit eines Nichtgaranten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansicht der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77 78 79 79 80

73 73 74 74 75 76 76 76 77

81 81 82

Kapitel III Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

83

A. Strafrechtliche Lage der direkten Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktive Sterbehilfe als gerechtfertigter Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 84

B. Die tödlich wirkende Palliativbehandlung (indirekte Sterbehilfe) . . . . . . . . . 1. Straflosigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlende Tötungsabsicht als negative Straflosigkeitsvoraussetzung: Der Unterschied zu direkter Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Indirekte Sterbehilfe aufgrund mutmaßlicher Einwilligung und Einhaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bevorstehender Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der dogmatische Begründungsweg der Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Notstandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Einwilligungslösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86 86 86 88 89 89 90 90 92

12

Inhaltsverzeichnis

C. Der tödliche Behandlungsverzicht auf Patientenwunsch (passive Sterbehilfe) 1. Das ärztliche Unterlassen auf Patientenwunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ansicht der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ärztliches Unterlassen beim entsprechenden Patientenwillen nach der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der technische Behandlungsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straflosigkeitsbegründung in der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Straflosigkeitsreichweite des Behandlungsverzichts aufgrund einer Patientenverfügung bzw. wegen eines mutmaßlichen Patientenwillens . . . . . . . . . . . a) Verfahrensüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur und Wirkung der §§ 1901 a ff. BGB auf die strafrechtliche Beurteilung eines Behandlungsverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 94 94 96 98 98 99 101 101 102

D. Besonderheiten des ärztlich assistierten Suizids gegenüber der Suizidbeihilfedogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Kapitel IV Zusammenfassung zum deutschen Sterbehilferecht

105

Zweiter Teil Sterbehilfe in Chile

109

Kapitel I Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

111

A. Dimensionen und Funktionen der Freiheitsgrundrechte in der chilenischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 B. Grundrechtsbeeinträchtigung und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 C. Die in Betracht kommenden Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Menschenwürde in der chilenischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Grundrecht auf Leben (Art. 19 Nr. 1 chVerf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufgedrängter Lebensschutz nach der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründungsänderung: Die These der staatlichen Lebensschutzpflicht . . c) Widersprüchliche Rechtsprechung des Obergerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . d) Abweichende Strömungen in der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft 3. Das Recht auf körperliche und psychische Integrität (Art. 19 Nr. 1 chVerf) . . 4. Schutz der Freiheit und Privatsphäre in der chilenischen Verfassung . . . . . . . a) Recht auf persönliche Freiheit (Art. 19 Nr. 7 chVerf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Recht auf Privatleben (Art. 19 Nr. 4 chVerf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113 114 116 117 118 118 119 120 120 121

Inhaltsverzeichnis

13

aa) Das Privatleben als Freiheitssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Der eingeschränkte Privatlebensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Der Privatlebensbegriff in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 D. Suizid und Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der freiverantwortliche Suizid und die Suizidbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herrschende Meinung: Euthanasieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Behandlungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

124 124 125 125 127 128

Kapitel II Der strafrechtliche Rahmen

129

A. Der zu berücksichtigende strafrechtliche Rahmen: die vorsätzlichen Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 B. Das menschliche Leben als geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 C. Das vorsätzliche Tötungsdelikt im chilenischen Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . 1. Tatbestandlosigkeit des Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der einfache Homizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Parrizid (Art. 390 Abs. 1 chStGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Qualifikation des Homizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Qualifikation bei Opfereinwilligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtliche Wirkung der Einwilligung bei den Tötungsdelikten . . . . . . . . . . .

130 130 130 131 131 133 133

D. Allgemeines zur Strafbarkeit des Unterlassens bei den Tötungsdelikten . . . 1. Die Strafbarkeit der unechten Unterlassungsdelikte im chStGB . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeitsbegründung beim ärztlichen Unterlassen und Opfereinwilligung beim unechten Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterlassene Hilfeleistung: Reichweite der gesetzlichen Rettungspflicht . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134 134

E. Strafbarkeit einverständlichen ärztlichen Unterlassens nach dem Gesetz über Patientenrechte (GüPR)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung der Regelung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das allgemeine Behandlungsverweigerungsrecht und seine Schranken (Art. 14 GüPR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Sonderfall des Sterbepatienten (Art. 16 GüPR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Krankenhausentlassung auf eigenen Wunsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltbestimmung der gesetzlichen Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Artifizielle Beschleunigung des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134 135 136 136 137 137 138 139 139 139 139

14

Inhaltsverzeichnis aa) Artifizielle Beschleunigung des Todes durch Behandlungsverweigerung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entstehungsgeschichte der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Aufrechterhaltung der gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hintergrund des Satzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Änderungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Verlauf des Abstimmungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Welcher Sinn hat der Satz? In dubio pro vita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusätzliches Auslegungsproblem: Die Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Euthanasieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Suizidbeihilfeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verhältnis zwischen Einschränkungen und Art. 18 GüPR . . . . . . . . . . . . . . f) Vermeintliche Einschränkungen des Rechts auf Krankenhausentlassung . 3. Strafrechtliche Folgen normwidrigen Verhaltens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit zum Gesetz Nr. 20.584 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

F. Art. 393 chStGB: Suizidbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Suizid und Suizidbeihilfe in der chilenischen Gesetzgebung vor dem Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Art. 335 des spanischen Strafgesetzbuches von 1850 und seine Einführung in die chilenische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Unrecht der Suizidbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der objektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unbestimmtheit der Quasi-Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung und Reichweite des Wortlauts „auxiliar“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalzusammenhang als mindeste Tatbestandsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eigenhändige Tötung als oberste Tatbestandsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zurechnungsfähigkeit des Suizidenten als Tatbestandsvoraussetzung? . . . f) Anstiftung als Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Tod des Suizidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 140 141 142 142 143 144 144 146 147 147 148 148 149 150 150 150 151 152 154 154 154 155 155 155 156 156 157

G. Nichthinderung eines Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Kapitel III Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

158

A. Strafrechtliche Lage der aktiven Euthanasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Verfassungsrechtlich begründete Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Inhaltsverzeichnis

15

2. Straflosigkeit aufgrund einer Kollision zwischen Art. 391 StGB und Art. 14 und 16 des GüPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Lösungen auf der Schuldebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Die tödlich wirkende Palliativbehandlung (indirekte Sterbehilfe) . . . . . . . . . 160 1. Strafrechtlicher Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Herrschende Meinung: Indirekte Sterbehilfe als gerechtfertigte Ausübung eines Berufs bzw. Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 C. Der tödliche Behandlungsverzicht auf Patientenwunsch (passive Sterbehilfe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Limitierte Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine Straflosigkeit der passiven Euthanasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lösung durch die Unterlassungsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetz Nr. 20.584 als Grundlage der Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Behandlungsverzicht bei Entscheidungsunfähigen: Patientenverfügung und mutmaßlicher Patientenwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ärztliche Behandlungen bei Entscheidungsunfähigen nach dem GüPR . . b) Das Patiententestament im chilenischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die mutmaßliche Einwilligung im chilenischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufbau des Entscheidungsverfahren bei Entscheidungsunfähigkeit . . . . . e) Strafrechtliche Lage des Behandlungsverzichts bei Entscheidungsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtslage des ärztlich assistierten Suizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Folgen der herrschenden Meinung bezüglich des Behandlungsverzichts 3. Suizidbeihilfe nach der Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafbarkeit nach dem chilenischen Betäubungsmittelgesetz . . . . . . . . . . . . . .

162 162 163 164 164 165 165 166 166 166 167 168 169 169 170 170 171

Kapitel IV Zusammenfassung zum chilenischen Sterbehilferecht

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Dritter Teil Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

173

Kapitel I Rechtsvergleich

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A. Verfassungsrechtlicher Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

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Inhaltsverzeichnis 2. Grundrechtlicher Schutz des menschlichen Lebens und körperlicher Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Die Freiheits- und Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4. Sterbehilfe aus verfassungsrechtsvergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . 178

B. Vergleich des deutschen und des chilenischen Sterbehilferechts . . . . . . . . . . . 1. Die aktive Tötung auf Verlangen eines Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Behandlungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behandlungsverzicht bei Entscheidungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der aktive Behandlungsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ärztliche Suizidbeihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Korrektur des chilenischen Sterbehilferechts anhand der deutschen Dogmatik

180 180 183 184 184 185 186

Kapitel II Rechtspolitische Aussicht

188

A. Deutschland: Weitere Prozeduralisierung der Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 B. Chile: Normative Sicherung der Patientenautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. ADPCP AK-GG Anm. AnwKomm-StGB AG Medizinrecht im DAV ARSP Art. AT Aufl. BayObLG Bd. BCN BeckOK BGB BeckOK GG BeckOK StGB BeckRS BGB BGH BGHSt BGHZ BLJ BT BT-Drs. BtÄndG BtMG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ca.

anderer Ansicht Absatz Anuario de Derecho penal y Ciencias penales Alternativkommentar. Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Anmerkung AnwaltKommentar StGB Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel/Artículo Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Biblioteca del Congreso Nacional de Chile Beck’scher Online Kommentar Bürgerlichen Gesetzbuch Beck’scher Online Kommentar zum Grundgesetz Beck’scher Online-Kommentar zum Strafgesetzbuch Elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bucerius Law Journal Besonderer Teil Bundestag-Drucksache Betreuungsrechtsänderungsgesetz Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise circa

18 chOGH chStGB chVerf chVerfG CPC d. h. DÄBl. ders. deStGB DJT DMW DP DRiZ EGMR Einl. EMRK etc. Ethik Med evtl. f., ff. FamRZ Fn. FS GA GG ggf. h. L. h. M. Hervorh. d. Verf HGR HRRS Hrsg. hrsg. v. i. e. S. i. S. v. i.V. m. i. w. S. insb. JA JfWuE JGG

Abkürzungsverzeichnis chilenischer Oberste Gerichtshof (Corte Suprema de Chile) chilenisches Strafgesetzbuch (Código penal chileno) chilenische Verfassung (Constitución Política de la República de Chile) chilenisches Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional de Chile) Código Penal Comentado das heißt Deutsches Ärzteblatt Derselbe deutsches Strafgesetzbuch Deutscher Juristentag Deutsche Medizinische Wochenschrift Derecho Penal Deutsche Richterzeitung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention etcetera Ethik in der Medizin eventuell folgende, fortfolgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenfalls herrschende Lehre herrschende Meinung Hervorhebung durch den Verfasser Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber herausgegeben von im engeren Sinne im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne insbesondere Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Jugendgerichtsgesetz

Abkürzungsverzeichnis JR Jura JuS JW JZ Kap. KriPoz KritV

19

Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kriminalpolitische Zeitschrift Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft LG Landgericht LK Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Lkw Lastkraftwagen m. E. meines Erachtens m.w. N. mit weiteren Nachweisen MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Med Ethik Zeitschrift für medizinische Ethik MedR Medizinrecht Medstra Zeitschrift für Medizinstrafrecht MüKo-StGB Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch NJW Neue Juristische Wochenschrift NK-StGB Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch nlStGB Strafgesetzbuch der Niederlande Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift Strafrecht NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungsreport OLG Oberlandesgericht PE Parte Especial (Besonderer Teil) PG Parte General (Allgemeiner Teil) Polít. Crim. Política Criminal RAEN Revista de la Asociación Española de Neuropsiquiatría RDPUCV Revista de Derecho de la Pontificia Universidad Católica de Valparaíso REJ Revista de Estudios de la Justicia Rev Chil Pediatr Revista chilena de pediatría Rev Chil Salud Pública Revista Chilena de Salud Pública Rev Med Chile Revista médica de Chile Rev. Derecho (Valdivia) Revista de Derecho de la Universidad Austral de Chile RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RGZ Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rn. Randnummer S. Seite SK-StGB Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

20 SSW-StGB StGB StVollzG u. u. a. u. U. Übers. d. Verf. usw. v. VG vgl. Vol. Vor. z. B. ZfL ZIS zit. ZJS ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar zum Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch Strafvollzugsgesetz und unter anderem unter Umständen Übersetzung der Verfasserin und so weiter von/versus Verwaltungsgericht vergleiche Volume Vorbemerkung zum Beispiel Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung Seit langem steht in Deutschland das Thema „Sterbehilfe“ zur Diskussion. Die ständige rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Problem hat Gesetzgebung und gerichtliche Entscheidungen erzeugt, die zu relativ hoher Rechtssicherheit geführt haben. Im Vergleich zu Chile hat Deutschland eine lockere Regelung, wobei die Opfereinwilligung im Rahmen der Tötungsdelikte privilegierend wirkt und die Suizidbeihilfe nur ausnahmsweise strafbar ist. Darüber hinaus besteht im medizinischen Bereich weitgehend Klarheit über die Strafrechtslage von Behandlungsunterlassungen bzw. Behandlungsabbrüchen und tödlich wirkenden Palliativbehandlungen. Trotzdem lassen sich immer noch Grauzonen und Unklarheiten finden und die Diskussion über das Thema erscheint noch weit davon entfernt, erschöpft zu sein. Im Gegensatz zu Deutschland befindet sich die Diskussion des Themas in Chile ganz am Anfang und die dogmatische bzw. gerichtliche Entwicklung der sachbezogenen Normen ist immer noch sehr gering. Gegenüber der deutschen Strafrechtsordnung ist die chilenische Regelung strenger: Die Opfereinwilligung findet bei den Tötungsdelikten keine Berücksichtigung und die Suizidbeihilfe ist ausnahmslos strafbar. Darüber hinaus ist die Strafrechtslage ärztlichen Handelns bzw. Unterlassens weitgehend unklar.

A. Untersuchungsgegenstand Untersucht werden die strafrechtlichen Normen (samt deren verfassungsrechtlichen Hintergründen), die auf die ärztliche Beteiligung – sei es als Täter oder Gehilfe, durch Tun oder Unterlassen – an der Verwirklichung eines (ggf. mutmaßlichen) Sterbeentschlusses von Patienten anwendbar sind. Dieser Untersuchungsgegenstand entspricht weitgehend den übereinstimmenden Begriffen „Sterbehilfe“ 1 (Deutschland) bzw. „Euthanasie“ (Chile). Im Folgenden wird nur der Begriff „Sterbehilfe“ verwendet, auch wenn dieser oft enger oder weiter gefasst wird. So umfasst die Sterbehilfediskussion zum einen auch Sachverhalte, in denen die Tötung weder auf einen (zumindest mutmaßlichen) Sterbeentschluss zurückführen ist noch ein Arzt beteiligt ist und lässt zum anderen oft die ärztliche Suizidbeihilfe außer Acht. 1 Aus historischen Gründen (bzw. NS-Euthanasieprogramm) wird in Deutschland der Begriff „Euthanasie“ vermieden. Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 23; Leitner, Sterbehilfe, S. 55 f.; Lorenz, Sterbehilfe, S. 43.

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Einleitung

Weder die deutsche noch die chilenische Rechtsordnung kennt eine gesetzliche Definition von Sterbehilfe. Sie stellt einen dogmatischen Begriff dar, dessen Mehrdeutigkeit erhebliche Konkretisierungsprobleme aufweist2, sodass sogar empfohlen wird, ihn besser gar nicht zu verwenden.3 Trotzdem lässt sich in beiden Ländern eine wohl standardisierte Subklassifikation identifizieren, welche hauptsächlich zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe unterscheidet.4 Die aktive (direkte und indirekte5) Sterbehilfe besteht hauptsächlich in der aktiven Tötung auf Verlangen einer Person aufgrund besonderer Umstände (bzw. krankheits-, schmerz- oder altersbedingt)6, während die passive Sterbehilfe den einverständlichen Verzicht auf eine ärztliche Behandlung charakterisiert, welcher dem Sterbeprozess seinen Lauf lässt.7 Allerdings ist der Sterbehilfebegriff strafrechtlich neutral.8 Er hat eine reine Gruppierungsfunktion9, Sachverhalte zu sondern, die im Vergleich zu den Tötungsdelikten einige außertatbestandliche Besonderheiten aufweisen, um ihre mögliche strafrechtliche Relevanz und Reichweite zu analysieren. Diese Systematisierung nach der Begehungsform wird in nicht juristischen Kreisen weitgehend missverstanden10 und hat in der Rechtswissenschaft dazu ge2 In Deutschland siehe Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 12; Hübner, Sterbehilfe, S. 86; Oduncu, in: Junginger (Hrsg.), Grenzsituationen in der Intensivmedizin, S. 229 f. In Chile siehe Beca Infante (u. a.), Rev Med Chile 2005; 133, S. 602; Echeverría Bunster (u. a.), Rev Med Chile 2011; 139, S. 643; Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 510; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 43. 3 Siehe Borasio, Selbst bestimmt sterben, S. 75; Hübner, Sterbehilfe, S. 94, NKStGB-Neumann, Vor § 211 Rn. 97 f. 4 In Deutschland siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 29 f.; Hübner, Sterbehilfe, S. 81; Linke, Lebensende, S. 25; Lorenz, Sterbehilfe, S. 43. In Chile Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 64 ff.; Echeverría Bunster, u. a., Rev Med Chile 2011; 139, S. 643; Mayer Lux, RDPUCV Vol. 37 Nr. 2 (2011), S. 389; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 7 f. Vivanco Martínez, Disposición, S. 80. 5 Aktive indirekte Sterbehilfe kennzeichnet tödlich wirkende Palliativbehandlungen Hoerster, Sterbehilfe, S. 41 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 152 f.; Antoine, Sterbehilfe, S. 51; Schmaltz, Sterbehilfe, S. 18; Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 70; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 7 f. 6 Antoine, Sterbehilfe, S. 30; Linke, Lebensende, S. 25; Lorenz, Sterbehilfe, S. 3; Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 69; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 7 f. 7 Antoine, Sterbehilfe, S. 30; Hübner, Sterbehilfe, S. 82; Linke, Lebensende, S. 25; Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 64 f.; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 7 f. 8 Siehe Walter, ZIS 2011, S. 79; Engländer, JZ 2011, S. 517; NK-StGB-Neumann, Vor § 211 Rn. 98 „Da die eingespielte und in der Diskussion noch immer ganz überwiegend zugrunde gelegte Begrifflichkeit die normativen Ergebnisse jedoch nicht präjudiziert, ist ihre Revision keine vordringliche Aufgabe.“ 9 Antoine, Sterbehilfe, S. 29; Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 12 f.; NK-StGB-Neumann, Vor § 211 Rn. 97. 10 Siehe Hübner, Sterbehilfe, S. 217 f. Ihre empirische Untersuchung zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen den Grundunterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe nicht versteht. Darüber hinaus besteht in der ärztlichen Praxis Handlungsunsicher-

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führt, dass rechtlich unterschiedliche Fälle zusammengebracht worden sind, deren Lösung einheitlich nicht bearbeitet werden kann. Beispielsweise werden die Mitleidstötung11, die Früheuthanasie12 und der Behandlungsverzicht aus anderen Gründen als der Patientenwille13 und sogar die Eugenik14 oft als Teil der Sterbehilfediskussion behandelt. Auf den ersten Blick mögen alle diese Sachverhalte ähnlich sein, da es sich um mehr oder weniger extreme Ausnahmefälle handelt, in denen besondere Umstände vorliegen, die die Tötung bzw. das Sterbenlassen eines Menschen auf eine Art nachvollziehbar machen. Allerdings muss hier unterschieden werden: Während bei der auf den Opferwillen zurückführbaren Tötung die wesentlichen Fragen sind, warum der Opfereinwilligung strafausschließende Wirkung abgesprochen wird und ob sie unter Umständen strafausschließend wirken könnte, ist die Frage bei fehlender Einwilligung ganz anders und viel komplexer.15 Aufgrund dieser materiell-rechtlichen Unterschiede lassen sich die beiden Fragen nicht gemeinsam beantworten, weshalb – auch um die Diskussion von der NS-Ära abzukoppeln16 – sich die vorliegende Untersuchung nur auf Sachverhalte beschränkt, in denen zumindest ein mutmaßlicher Sterbewunsch vorliegt.17

heit, weil die unterschiedlichen Sterbehilfeformen samt deren rechtlichen Konsequenzen unklar sind. Vgl. Borasio, Selbst bestimmt sterben, S. 75; Hübner, Sterbehilfe, S. 104; Oduncu, in: Junginger (Hrsg.), Grenzsituationen in der Intensivmedizin, S. 229 f. 11 Einige verstehen als Sterbehilfe auch die Mitleidstötung ohne oder sogar gegen den Willen des Opfers, siehe Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 6. A. A. Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 28; Fischer, FS-Roxin I (2011), S. 567 „Es gibt keine „Sterbehilfe“ gegen den Willen der betroffenen Person.“ In Chile empfiehlt Vivanco Martínez, Disposición, S. 104 die Diskussion nicht ausschließlich auf die Opfereinwilligung zu konzentrieren, weil die pietistischen Beweggründe des Täters entscheidend seien, um von Euthanasie sprechen zu können. 12 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 347; Chatzikostas, Disponibilität, S. 107 ff.; Merkel, Früheuthanasie, S. 13, NK-StGB-Neumann, Vor § 211 Rn. 136. 13 Bzw. non liquet-Situationen. Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 102 ff.; Hörr, Passive Sterbehilfe, S. 244 ff. 14 Vgl. Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 125 ff.; Lorenz, Sterbehilfe, S. 18 ff.; Oduncu, in: Junginger (Hrsg.), Grenzsituationen in der Intensivmedizin, S. 232 ff. 15 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 416; Kolb, Sterbehilfe, S. 151 ff.; Merkel, Früheuthanasie, S. 429 „Die Frage erscheint aber ungleich schwieriger, wenn ein solcher Wille nicht erkennbar, und noch schwieriger, wenn er a priori ausgeschlossen ist – wie bei Neugeborenen.“; ders., S. 640 „Das Strafrecht des sozusagen klassischen Rechtsgüterschutzes freier und gleicher Bürger hält für die Extremfälle unseres Themas keine akzeptablen Lösungen bereit.“ 16 In diesem Sinne Oduncu, in: Junginger (Hrsg.), Grenzsituationen in der Intensivmedizin, S. 234. 17 Ähnlich Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 28 Fn. 126; Ehmann, Sterbehilfe, S. 25 f.; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 32; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 86. In Chile Mayer Lux, RDPUCV Vol. 37 Nr. 2 (2011), S. 396 f.

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Untersucht werden alle Formen der Beteiligung an der Verwirklichung eines Sterbeentschlusses. Auf diese Weise wird auch die Suizidbeihilfe vom Sterbehilfebegriff erfasst.18 Der Oberbegriff „Beteiligung an der Verwirklichung eines Sterbeentschlusses“ ermöglicht, die Suizidbeihilfe und die Tötung auf Verlangen als naheliegende Situationen zu verstehen, in denen eine Entscheidung des „Opfers“ verwirklicht wird. Ferner beschränkt sich die Arbeit auf die ärztliche Beteiligung, denn nur sie wird in die Diskussion ernsthaft einbezogen.19 Die Hauptsorge in der Sterbehilfediskussion besteht in einer effektiven Kontrolle von Fehler- und Missbrauchsgefahren im Rahmen einer Drittbeteiligung beim Sterben. Eine solche Möglichkeit der Kontrolle besteht nur im Rahmen von ärztlicher Beteiligung.20 Aus dem Untersuchungsfeld scheiden deshalb Fallkonstellationen außerhalb eines PatientenArzt-Verhältnisses aus wie der kontrovers diskutierte deutsche Fall des Kannibalen von Rottenburg21 oder Ausnahmefälle wie der in Deutschland hypothetische LKW-Fall22, welcher dem tatsächlichen chilenischen Fall „Tragödie von Alpatacal“ 23 entspricht. Konkret wird die Strafrechtslage der folgenden Fallkonstellationen untersucht: die aktive Tötung auf Wunsch des Patienten (einschl. tödlichen Palliativbehandlungen), der Behandlungsverzicht auf (ggf. mutmaßlichen) Patientenwunsch und der ärztlich assistierte Suizid.

B. Untersuchungsziel Die erheblichen Unterschiede zwischen beiden Rechtsordnungen geben Anlass zu einer aussichtsreichen Rechtsvergleichung. Diese zielt darauf, die Möglichkeiten zur ärztlichen Sterbehilfe in jedem Land festzustellen und die Gründe für die bestehenden Einschränkungen aufzuzeigen, sodass formell- und materiellrechtliche Ähnlichkeiten, Abweichungen und Grauzonen beider Rechtsordnungen offenbart und gegenübergestellt werden können. Damit können Vorteile und 18 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 1 Rn. 1; Lorenz, Sterbehilfe, S. 3 „Zur Sterbehilfe i. w. S. gehört auch die Beihilfe zur Selbsttötung.“ 19 Lindner, JZ 2006 S. 374. Beca Infante/Leiva López, Rev Chil Pediatr 2014; 85 (5), S. 609; Beca (u. a.), Rev Méd Chile 2005; 133, S. 603; Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 515; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 13. 20 Gavela, Suizid, S. 245 ff.; Kuschel, Suizid, S. 146; Linke, Lebensende, S. 124; Saliger, Selbstbestimmung, S. 212; Roxin, NStZ 2016, S. 189. 21 BGHSt 50, 80, 80. 22 Der Fall eines verunfallten im Fahrzeug eingeklemmten und bei lebendigem Leibe verbrennenden Autofahrers. Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 63; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 246; Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 56. 23 Cousiño Mac Iver, PG III, S. 264, im Jahr 1927 hat ein Soldat einen sich in einem verbrennenden Zug verklemmten Kampfgefährten auf dessen Verlangen erschossen.

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Schwächen bei der strafrechtlichen Behandlung der ausgewählten Sterbehilfevarianten aufgezeigt werden, mit dem Ziel, Lösungen gegenseitig zu übertragen und Richtlinien zur künftigen Sterbehilferegelung auszuarbeiten. Aufgrund der höheren Entwicklung der Sterbehilfediskussion in Deutschland erscheint eine kritische Prüfung der chilenischen Rechtslage unter dem Licht des deutschen Sterbehilferechts besonders aussichtsreich.

C. Methode und Gang der Untersuchung Das Ziel wird rechtsdogmatisch und rechtsvergleichend verfolgt und die Antwort auf die Frage, wie die Sterbehilfe behandelt und verstanden wird, wird auf mehreren Ebenen untersucht. Der Großteil des auf das Problem anwendbaren Strafrechts24 stammt aus dem 19. Jahrhundert25, in dem das Staats-, Verfassungs- und Strafrechtsdenken noch anders war. Darüber hinaus gehen diese Normen dem aktuellen Sterbehilfeproblem – welches in großem Maße Konsequenz der Entwicklungen im 20. Jahrhundert ist (erhöhte Lebenserwartungen wegen moderner Medizin26, Pluralismus und Säkularisierung27, Selbstbestimmungsdenken28) – zeitlich voran.29 Da es sich um vorkonstitutionelle Normen handelt, die nicht für das aktuelle Sterbehilfeproblem gedacht worden sind, ist es sinnvoll, sie im Rahmen der rechtsvergleichenden Analyse in Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit und kriminalpolitische Leistungsfähigkeit zu überprüfen. Zunächst wird ein knapper Überblick der jeweiligen Grundrechtssysteme gegeben, wobei die Rechtfertigungsdynamik in Staat-Bürger-Verhältnissen und die Grunddogmatik der bei der Sterbehilfediskussion in Betracht kommenden verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten hinsichtlich der Sterbehilfeproblematik geschildert werden. Unter diesem Licht werden danach der verfassungsrechtliche Status des Suizids und der Sterbehilfeformen untersucht zum Zweck der Bestimmung des gesetzgeberischen Regelungsspielraumes der Tötung auf Verlangen, Suizidbeihilfe und des Behandlungsverzichts. Außerdem werden die verfassungs24

Abgesehen vom neuen § 217 deStGB. In Deutschland Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 235 „Die tatbestandliche Fassung der Tötung auf Verlangen ist seit der Entstehung des Rechtsstrafgesetzbuchs 1871 unverändert geblieben.“ Das chilenische Strafgesetzbuch stammt aus 1874. 26 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 23; Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 263; Hübner, Sterbehilfe, S. 25 f.; Kuschel, Suizid, S. 17; Lorenz, Sterbehilfe, S. 36 f.; Schneider, MüKo-StGB, Vor § 211 Rn. 94. 27 Hübner, Sterbehilfe, S. 24 f. 28 Antoine, Sterbehilfe, S. 23. 29 Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 283 f. „Die Materialen zu dieser Vorschrift lassen nicht erkennen, daß die Regelung auf die Euthanasie bezogen oder nur mitbezogen sein sollte . . . Das Gesetz knüpft also nicht an eine extreme Notlage des Opfers an.“ Siehe Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 262. 25

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Einleitung

rechtlichen Rahmenbedingungen einer eventuellen Verschärfung bzw. Lockerung der jeweiligen Rechtslage untersucht. Da in beiden Ländern keine ausdrückliche und umfassende Sterbehilferegelung vorhanden ist, sondern die Sterbehilfefälle den allgemeinen Strafnormen unterworfen sind, wird das örtlich anwendbare „Sterbehilferecht“ festgestellt und dogmatisch analysiert (bzw. die auf die ärztliche Beteiligung von Sterbeentschlüssen anwendbaren Strafnormenbündel). Somit wird auch das den anwendbaren Normen zugrunde liegende Rechtsdenken und seine Evolution aufgezeigt. Letztlich wird die spezifische auf die Sterbehilfe und Suizidbeihilfe entwickelte Dogmatik dargelegt und deren Abweichungen von der allgemeinen Dogmatik aufgezeigt. Die rechtspolitische Dimension des Problems wird nur am Rande behandelt, da schon die Analyse de lege lata in dem Rahmen kaum durchführbar ist. Ein vollständiger Regelungsvorschlag unter Einbeziehung rechtspolitischer Erwägungen muss einer eigenen Untersuchung vorbehalten bleiben. Hier können nur kriminalpolitische Richtlinien erarbeitet werden, wobei eine abschließende Regelung außerrechtliche Aspekte einbeziehen muss. Es handelt sich nämlich auch um ein rechtspolitisches Problem, das außerrechtliche Dimensionen aufweist, sodass seine Lösung eine intensive gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit sorgfältiger Berücksichtigung der sozialen und medizinischen Wirklichkeit bedarf.

Erster Teil

Sterbehilfe in Deutschland

Kapitel I

Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive A. Dimensionen und Funktionen der Freiheitsgrundrechte In der deutschen freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wo die bürgerlichen Freiheiten vorstaatlich verstanden werden1, dienen die Freiheitsgrundrechte der Sicherung von Freiheiten des Einzelnen vor ungerechtfertigten Beeinträchtigungen durch die Staatsgewalt.2 Die meisten Freiheitsgrundrechte weisen eine Doppeldimension auf. Einerseits stellen sie ein subjektives Recht für den Grundrechtsträger dar und andererseits bilden sie für den Staat objektives unmittelbar verbindliches Recht.3 In seiner subjektiv-rechtlichen Dimension stellen die Freiheitsgrundrechte die Grundlage für Ansprüche des Grundrechtsträgers gegenüber der Staatsgewalt dar, welche entweder in einem Unterlassen aktiver staatlicher Beeinträchtigungen bestehen können4 (abwehrrechtliche Funktion) oder in einem staatliches Handeln, wenn die Beeinträchtigung durch zurechenbares staatliches Unterlassen geschieht (leistungsrechtliche Funktion).5 Korrelativ zu diesem aus den Grundrechten stammenden Anspruch gelten die Grundrechte für den Staat als objektives Recht.6 Dementsprechend ist der Staat dazu verpflichtet, Grundrechtsverletzungen zu unterlassen und aktiv für die Grundrechte einzustehen.7 Aus dieser Leistungsfunktion ergeben sich die staatlichen grundrechtlichen Schutzpflichten, nach denen der Staat Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte vor Gefahren und Verletzungen vornehmen muss.8 1 Vgl. Hillgruber, BeckOK GG Art. 1; Hufen, Staatsrecht II, § 1 Rn. 12; Herdegen, Maunz/Dürig GG Art. 1 Abs. 1 Rn. 1; Michael/Morlok, Grundrechte, § 1 Rn. 9 ff. 2 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 9; Hufen, Staatsrecht II, § 1 Rn. 12; Michael/Morlok, Grundrechte, § 1 Rn. 2. 3 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 11; Hufen, Staatsrecht II, § 5 Rn. 3; Stern, Stern/ Becker GG, Einl. Rn. 32. 4 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 12; Stern, Stern/Becker GG, Einl. Rn. 33. 5 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 12; Sachs, Grundrechte, S. 50. 6 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 12; Stern, Stern/Becker GG, Einl. Rn. 36. 7 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 11; Sachs, Grundrechte, S. 58. 8 Vgl. Lang, BeckOK GG, Art. 2 Rn. 74 f.; Sachs, Grundrechte, S. 52; Stern, Stern/ Becker GG, Einl. Rn. 47.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

B. Grundrechtliche Schutzpflichten gegen den freien Willen des Grundrechtsträgers In den meisten Fällen liegt eine Korrelation zwischen der staatlichen grundrechtlichen Schutzpflicht und dem Schutzinteresse des Grundrechtsträgers vor. Bei den hier untersuchten Sachverhalten kollidiert der staatliche Schutzanspruch mit dem selbstzerstörenden Freiheitsanspruch des Grundrechtsträgers. Hierbei stellt sich die Frage, ob es eine staatliche Pflicht zum aufgedrängten Grundrechtsschutz gibt. Selbstverständlich lässt sich bei nicht freiverantwortlichen Sterbeentschlüsse nicht von einem aufgedrängten Grundrechtsschutz sprechen, denn wenn der Eingriff dem Rechtsgutsträger nicht zurechenbar ist, besteht für den Staat eine Schutzpflicht.9 Hinsichtlich freiverantwortlicher Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen, die keine Grundrechte Dritter gefährden bzw. verletzen, wird diese Frage verneint.10 Nur ein radikaler grundrechtstheoretischer Ausgangspunkt – welcher die Grundrechte als eine vom Rechtsträger unabhängige objektive Wertordnung versteht11 – könnte einen aufgedrängten Grundrechtsschutz wegen der Verletzung der objektiven Wertordnung rechtfertigen.12 Aber nach dem herrschenden freiheitlichen Verständnis der Schutzpflichten13 würde eine Unterwerfung des Grundrechtsträgers unter eine verselbständigte objektivierte Wertordnung dem freiheitlichen Kern der Grundrechte widersprechen.14

9 Vgl. Dietlein, Schutzpflichten, S. 220; Murmann, Selbstverantwortung, S. 265; Sachs, Grundrechte, S. 52. 10 Siehe Dietlein, Schutzpflichten, S. 230; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 84; Murmann, Selbstverantwortung, S. 246; Michael/Morlok, Grundrechte, § 9 Rn. 160; Rigopoulou, Paternalismus, S. 60 (m.w. N.); Sachs, Sachs GG, Vor Art. 1 Rn. 57; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 54. 11 Zum Beispiel: VG Karlsruhe, JZ 1988, S. 209 geht davon aus, dass „[. . .] die umfassende Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben nicht davon abhängen kann, ob derjenige, um dessen Leben es geht, diesen Schutz will [. . .].“ 12 Siehe Murmann, Selbstverantwortung, S. 244 f. 13 Siehe BVerfGE 7, 198 (205); BVerfGE 50, 290 (337 f.) „Die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft, hat jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung [. . .]. Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt.“ 14 Siehe Dietlein, Schutzpflichten, S. 229 f.; Fink, HGR IV, § 88 Rn. 49; Michael/ Morlok, Grundrechte, § 9 Rn. 160; Rigopoulou, Paternalismus, S. 60; Murmann, Selbstverantwortung, S. 246 f.

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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C. Grundrechtsbeeinträchtigung und ihre materielle Rechtfertigung Nach der aktuellen Verfassungsdogmatik liegt eine Grundrechtsbeeinträchtigung vor bei jeder dem Staat zurechenbaren nachteiligen Einwirkung auf einen grundrechtlich geschützten Bereich vor.15 Diese kann entweder durch aktives staatliches Handeln16 oder durch Nichterfüllung bzw. unzureichende Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht erfolgen.17 Die Zulässigkeit von Eingriffen durch aktives staatliches Handeln in grundrechtliche Freiheiten hängt hauptsächlich von ihrer Verhältnismäßigkeit ab18, deren Prüfung bei strafrechtlichen Normen äußerst problematisch ist19, da die Entscheidung über den Umgang mit empirischer Unsicherheit hinsichtlich einer Gefahrprognose dem Gesetzgeber und nicht dem BVerfG zusteht.20 Deshalb räumen das BVerfG und die herrschende Verfassungsrechtslehre dem Gesetzgeber – besonders in Strafrechtsfragen – einen breiten Einschätzungsspielraum ein.21 Wegen ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit und der Vielfalt von Erfüllungsmöglichkeiten ist die Frage der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Verletzung von grundrechtlichen Schutzpflichten noch komplexer22, weshalb dem Gesetzgeber in diesem Bereich auch ein breiter Spielraum zugestanden wird.23 Im Allgemeinen wird eine Beeinträchtigung angenommen, wenn der Staat überhaupt keine oder offensichtlich unzureichende bzw. ungeeignete Schutzmaßnahmen getroffen hat.24

15 Vgl. Jarass, Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 24; Michael/Morlok, Grundrechte, § 16 Rn. 486. 16 Vgl. Jarass, Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 25; Michael/Morlok, Grundrechte, § 16 Rn. 488. 17 Vgl. Jarass, Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 24. 18 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 48 ff.; Hufen, Staatsrecht II, § 9 Rn. 15 ff.; Jarass, Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 45; Michael/Morlok, Grundrechte, § 23 Rn. 611 ff.; Sachs, Grundrechte, S. 191. 19 Ausführlich Goeckenjan, in: Jestaedt/Lepsius, Verhältnismäßigkeit, S. 203 f.; Lepsius, in: Jestaedt/ders., Verhältnismäßigkeit, S. 30. 20 Lagodny, Grundrechte, S. 172 ff. 21 Siehe Lagodny, Grundrechte, S. 52 f.; Petersen, Verhältnismäßigkeit, S. 90 ff.; Goeckenjan, in: Jestaedt/Lepsius, Verhältnismäßigkeit, S. 203 f. 22 Vgl. Dietlein, Schutzpflichten, Vorb. zur 2. Aufl. „Die Figur des Untermaßverbotes ist bis heute inhalts- und konturenlos geblieben.“; Epping, Grundrechte, Rn. 126 ff. 23 Siehe Jarass, Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 56; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 83; Lang, BeckOK GG, Art. 2 Rn. 77; Sachs, Grundrechte, S. 53. 24 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 127; Jarass, Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 56; Michael/Morlok, Grundrechte, § 23 Rn. 627.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

D. Die in Betracht kommenden Grundrechte 1. Die Menschenwürdegarantie in der Sterbehilfediskussion (Art. 1 Abs. 1 GG) Die in Art. 1 Abs. 1 GG vorgesehene Menschenwürdegarantie spiegelt die Idee bedingungsloser Anerkennung und Respekt aller Menschen als autonome selbstbestimmungsfähige Wesen wider.25 Trotzdem weist ihre Bestimmung eine enorme – wenn auch nicht unüberwindbare – begriffliche Komplexität auf26, deren Konkretisierung auch im Bereich der Sterbehilfe äußerst schwierig ist.27 Aufgrund ihrer begrifflichen Plastizität stellt die Menschenwürdegarantie bei der Sterbehilfedebatte ein argumentatives zweischneidiges Schwert dar.28 Während einige aus Art. 1 GG ein verfassungsrechtliches Verbot aktiver Sterbehilfe, Suizidbeihilfe und sogar ein Suizidverbot ableiten29, sehen andere in diesen Sachverhalten einen „Ausdruck menschenwürdiger Selbstbestimmung.“ 30 Extrempositionen im Rahmen der Diskussion hinsichtlich der Menschenwürde sollten vermieden werden: Einerseits steht das Grundrecht auf Leben unter ausdrücklichem Gesetzesvorbehalt, sodass nicht jede Tötung eines Menschen eo ipso eine Würdeverletzung darstellt.31 Nur wenn qualifizierte Umstände hinzutreten, kann eine Tötung als verfassungswidrige Menschenwürdeverletzung anzusehen sein. Da bei den Sterbehilfevarianten der Tod unter ärztlicher Aufsicht geschieht und es sich um die Verwirklichung des freiverantwortlichen Willens des Patienten handelt, wäre eine Erniedrigung bzw. Würdeverletzung eher zu ver25

Vgl. Blömacher, Menschenwürde, S. 25 f. Siehe Baldus, Menschenwürde, S. 246 ff.; Michael/Morlok, Grundrechte, § 8 Rn. 131; Epping, Grundrechte, Rn. 602 ff.; Herdegen, Maunz/Dürig GG, Art. 1 Rn. 30; Höfling, Sachs GG, Art. 1 Rn. 5 ff. 27 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 82; Baldus, Menschenwürde, S. 227 ff.; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 172; Knopp, MedR 2003, S. 383. 28 Antoine, Sterbehilfe, S. 82 f. „Verstößt es gegen die Menschenwürde, wenn ein Mensch auf sein Verlangen hin getötet wird? [. . .] oder ist nicht vielmehr das Verbot der aktiven Sterbehilfe eine Objektbehandlung des Sterbewilligen, indem er als sittliches Subjekt in seiner Entscheidung zum Freitod nicht ernst genommen wird?“ Ähnlich Baldus, Menschenwürde, S. 227 ff.; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 172 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 91. 29 Wegen Missachtung des objektiven Eigenwerts jedes menschlichen Lebens vgl. Hillgruber, BeckOK GG, Art. 1 Rn. 20; Höfling, Sachs GG, Art. 1 Rn. 29. Bezüglich der Würdewidrigkeit des Suizids siehe (m.w. N.) Günzel, Selbsttötung, S. 36 Fn. 148. Zusammenfassend Antoine, Sterbehilfe, S. 232 ff. (Selbstzerstörung als würdewidrige Selbstverobjektivierung; Suizid als Zerstörung der biologischen Basis der Menschenwürde; Suizid als Verletzung einer objektiven Menschenwürde). 30 Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 248; Knopp, MedR 2003, S. 384. Zusammenfassend Günzel, Selbsttötung, S. 86 f. 31 Vgl. Dietlein, Schutzpflichten, S. 226; Hillgruber, BeckOK GG, Art. 1 Rn. 19, Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 12; Kuschel, Suizid, S. 61; Knopp, MedR 2003, S. 383; Linke, Lebensende, S. 108. 26

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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neinen.32 Andererseits wird ein unantastbarer Anspruch auf Sterbehilfe33 bzw. ein Recht auf Suizid34 aus Art. 1 GG von der wohl h. M. verneint. Im Prinzip fördere Art. 1 GG weder ein Verbot noch eine Erlaubnis der Sterbehilfe35 bzw. Suizidbeihilfe36 und dementsprechend wird empfohlen, das Problem im Rahmen der speziellen Freiheitsgrundechte zu erörtern und der Menschenwürde eine sekundäre Rolle als Auslegungskomplement zuzuschreiben.37 2. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) Das Grundrecht auf Leben schützt die biologisch-physische Existenz des Individuums38, welche die physische Voraussetzung aller Grundrechte und auch den Höchstwert der Verfassung darstellt.39 Der Schutz ist absolut in dem Sinne, dass er unabhängig von jeder Qualifizierung bzw. Quantifizierung (bzw. Alter, Gesundheitszustand oder Bewusstsein) erfolgt und erstreckt sich vom Anfang bis zum Ende des Lebens.40 Aber trotz ihrer allerhöchsten Verfassungswertigkeit steht diese Garantie unter ausdrücklichem Gesetzesvorbehalt und ist dementsprechend abwägungsfähig.41 Wie bei jedem anderen Freiheitsgrundrecht findet in ihm die aus ihm stammende staatliche Schutzpflicht nicht nur ihr Fundament, sondern auch ihre Grenze.42 Auch wenn man ein über den individuellen Schutz des eigenen Lebens 32 Keine Verletzung der Menschenwürde bei Sterbehilfe: Ausführlich Rohrer, Menschenwürde, S. 177 ff. Vgl. Herdegen, Maunz/Dürig GG, Art. 1 Rn. 85, Linke, Lebensende, S. 108; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 93. Keine Würdewidrigkeit des Suizids: Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 239; Günzel, Selbsttötung, S. 43 ff.; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 161 Rn. 11; Schmalz, Sterbehilfe, S. 48 f. 33 Vgl. Blömacher, Menschenwürde, S. 241; Hufen, Staatsrecht II, § 10 Rn. 59. 34 Siehe Günzel, Selbsttötung, S. 87 f. 35 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 260 ff.; Blömacher, Menschenwürde, S. 241; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 161; Linke, Lebensende, S. 109. Ausführlich Rothhaar, in: Was heißt in Würde sterben?, S. 101 ff. 36 Vgl. Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 103 f. 37 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 178 ff.; Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 1 Rn. 20; Fink, Selbstbestimmung, S. 69 f.; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 177; Knopp, MedR 2003, S. 383; Linke, Lebensende, S. 109; Michael/Morlok, Grundrechte, § 8 Rn. 155; Rohrer, Menschenwürde, S. 316; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 95. A. A. Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 191 ff. Leitet aus der Menschenwürdegarantie ein für die Diskussion zentrales Recht auf den eigenen Tod ab. 38 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 105a; Sachs, Grundrechte, S. 257. 39 Siehe BVerfGE 39, 1, 42; BVerfGE 49, 24, 53; BVerfGE 115, 118 (139). 40 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 18; Laber, Schutz des Lebens, S. 75; Michael/Morlok, Grundrechte, § 9 Rn. 159; Epping, Grundrechte, Rn. 106; Sachs, Grundrechte, S. 257. 41 Vgl. Fink, HGR IV, § 88 Rn. 43; Michael/Morlok, Grundrechte, § 9 Rn. 158. 42 Vgl. Fink, HGR IV, § 88 Rn. 47 f.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

hinausgehendes Allgemeininteresse an der Selbsterhaltung der Gemeinschaft annimmt43, findet dieses seine Grenze beim freiverantwortlichen Sterbeentschluss44, da das Leben ein individuelles Rechtsgut darstellt.45 Der enge Zusammenhang mit der Menschenwürde begründet nicht nur den Sonderschutz des Rechtsguts, sondern betont auch seinen Bezug zur menschlichen Autonomie.46 Deswegen wird eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Leben wohl überwiegend verneint.47 Die Frage nach der Verfügbarkeit dieses Grundrechts (bzw. Grundrechtsverzicht) lautet – aus verfassungsrechtlicher Perspektive – ob und inwiefern eine staatliche Schutzpflicht in Betracht kommt.48 Bei freiverantwortlichen Sterbewilligen kommt vor der Frage nach dem Verzicht auf staatlichen Schutz, die Frage nach dem Vorliegen der Grundlagen der staatlichen Lebensschutzpflicht.49 Hinsichtlich des freiverantwortlichen Sterbewilligen selbst kommt die staatliche Lebensschutzpflicht nicht in Betracht, weil ihre Daseinsberechtigung nicht vorliegt.50 Unabhängig davon kann eine auf den Schutzanspruch Dritter bezogene Lebensschutzpflicht in Betracht kommen. Neben der biologischen Existenz schützt Art. 2 Abs. 2 GG die Integrität des Leibes des Grundrechtsträgers51, welcher ein entsprechendes Selbstbestimmungsrecht über seinen eigenen Körper hat.52 Demgemäß hat der Grundrechtsträger einen Anspruch auf Freiheit von jeder Beeinträchtigung einschließlich heilender medizinischer Maßnahmen.53 Darüber hinaus hat der Grundrechtsträger einen Anspruch auf Schmerzfreiheit.54 43

Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 47; Laber, Schutz des Lebens, S. 17. Laber, Schutz des Lebens, S. 135 „Hier darf das Lebenserhaltungsinteresse der Gesellschaft nicht so weit betont werden, daß der individuelle Eigenwert des Lebens negiert wird, was jedoch der Fall wäre, wenn dem Staat das Recht zugesprochen würde, einen Menschen gegen dessen Willen (mit Zwang) am Leben zu erhalten.“ M. w. N. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 47 Fn. 162; Saliger, Selbstbestimmung, S. 53 f. 45 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 251 f.; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 104. 46 Vgl. Fink, HGR IV, § 88 Rn. 48 f.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 93. 47 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 169; Fink, HGR IV, § 88 Rn. 49; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 53; Kuschel, Suizid, S. 64; Linke, Lebensende, S. 68; Schmalz, Sterbehilfe, S. 46. 48 Vgl. Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 374; Linke, Lebensende, S. 111; Sachs, Grundrechte, S. 139 f. 49 Vgl. Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 376 ff. 50 Vgl. Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 379; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 84; Murmann, Selbstverantwortung, S. 246 ff. 51 Epping, Grundrechte, Rn. 107; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 58; Sachs, Grundrechte, S. 264. 52 Vgl. Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 83; Lang, BeckOK GG, Art. 2 Rn. 63; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 148 53 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 107; Hufen, Staatsrecht II, § 13 Rn. 5. Es bestehe sogar eine Freiheit zur Krankheit Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 83. 54 Vgl. Lang, BeckOK GG, Art. 2 Rn. 62; Michael/Morlok, Grundrechte, § 9 Rn. 165; Sachs, Grundrechte, S. 264. 44

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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3. Schutz der Freiheit und Privatsphäre in der deutschen Verfassung a) Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) Durch Art. 2 Abs. 1 GG wird die Freiheit der Person geschützt, zu tun und zu lassen, was sie will55, es handelt sich um einen umfassenden Schutz der Rechtssphäre der Person.56 Diese Garantie hat eine Lückenschließungsfunktion und stellt die Basis des deutschen abgestuften Systems des Grundrechtsschutzes dar.57 Geschützt wird jedes menschliche Verhalten – von banalen Verhaltensweisen über selbstgefährdendes bzw. selbstzerstörendes Verhalten bis hin zu sozialschädlichem Verhalten58 – vor jeglicher staatlicher Freiheitsbeeinträchtigung, die nicht in den Schutzbereich anderer Grundrechte fällt.59 Als Konsequenz der Lückenschließungsfunktion wird diese Garantie als Auffanggrundrecht verstanden, sodass sie – in Ermangelung eines speziellen Freiheitsgrundrechts – stets einschlägig ist.60 Dementsprechend muss jegliche staatliche Freiheitsbeeinträchtigung auf eine gesetzgliche Grundlage zurückführbar und verhältnismäßig sein.61 b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Über die allgemeine Handlungsfreiheit hinaus wird durch dieses ungeschriebene Grundrecht ein Freiraum gegenüber dem Staat gewährt62, der wichtige Elemente der Persönlichkeit enthält, die im Zusammenhang mit der Menschenwürde stehen.63 Sein sachlicher Schutzbereich charakterisiert sich durch Offenheit, ent55 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 546; Michael/Morlok, Grundrechte, § 10 Rn. 419; Sachs, Grundrechte, S. 236. 56 Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 6; Sachs, Grundrechte, S. 235; BVerfGE 6, 32 (41) „Hieraus ergibt sich, daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist.“ 57 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 15; Epping, Grundrechte, Rn. 551; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 8 f. 58 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 50; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 28; Sachs, Grundrechte, S. 238. 59 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 15; Epping, Grundrechte, Rn. 552; Sachs, Grundrechte, S. 238; Michael/Morlok, Grundrechte, § 10 Rn. 435 „Aus der Perspektive des Staates bedeutet dies, dass lückenloser Grundrechtsschutz besteht, es also keine grundrechtsfreien Räume gibt.“ 60 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 15; Epping, Grundrechte, Rn. 578; Michael/Morlok, Grundrechte, § 10 Rn. 418; Sachs, Grundrechte, S. 246. 61 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 555; Michael/Morlok, Grundrechte, § 10 Rn. 436. 62 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 132. 63 Vgl. Sachs, Grundrechte, S. 235.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

hält die engere persönliche Lebenssphäre, die Selbstbestimmung und die Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung.64 Dieses Recht hat auch eine Auffangfunktion bezüglich des Schutzes von Elementen der menschlichen Persönlichkeit mit Bezug zur Menschenwürde, die nicht durch spezielle Grundrechte gedeckt sind.65 Obwohl diese Garantie dieselbe Schranke der allgemeinen Handlungsfreiheit teilt66, genießen die durch dieses Grundrechts gedeckten Interessen, wegen ihrer Nähe zur Menschenwürde, ein besonderes Schutzniveau (bzw. höhere Rechtfertigungsanforderungen).67

E. Suizid und Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht 1. Der freiverantwortliche aktive Suizid aus verfassungsrechtlicher Perspektive In Bezug auf den verfassungsrechtlichen Status des aktiven Suizids lässt sich keine Einigkeit feststellen.68 Nach der Rechtsprechung69 und einer Mindermeinung stellt der Suizid ein verfassungswidriges Verhalten dar. Zum einen wird beim Suizid ein unzulässiger Verstoß gegen die Menschenwürde behauptet.70 Zum anderen wird in der grundrechtlichen Garantie des Lebens ein Selbsttötungsverbot gesehen, das die staatliche Pflicht begründen soll, jeden Suizid zu verhindern.71 Aber nach wohl herrschender Meinung ist der Suizid verfassungsrechtlich nicht verboten.72 Er steht weder im Widerspruch zur Menschenwürdegaran64

Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 147. Vgl. Michael/Morlok, Grundrechte, § 10 Rn. 424; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 36; Sachs, Grundrechte, S. 235. 66 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 133. 67 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 131; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 105; Sachs, Grundrechte, S. 254. 68 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 218; Fink, Selbstbestimmung, S. 33 f.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 46. 69 Siehe BGHSt, 6 147 (153); BGHSt 46, 279 (285) „Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig.“ Trotzdem BVerwG, Urt. v. 02.03.2017 – 3 C 19/15 „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ 70 Siehe Günzel, Selbsttötung, S. 36 ff.; Linke, Lebensende, S. 64 ff.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 51. 71 Siehe Günzel, Selbsttötung, S. 30 ff.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 50. 72 Siehe Günzel, Selbsttötung, S. 46 f.; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 169; Di Fabio, Maunz/Dürig GG Art. 2 Nr. 1 Abs. 2 Rn. 47; Saliger, Selbstbestimmung, S. 49 ff. 65

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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tie73 noch stellt er ein aufgrund des Grundrechts auf Leben verbotenes Verhalten dar.74 Im Mittelpunkt steht eine Auffassung des Suizids als ein zum rechtsfreien Raum gehörendes Verhalten, welches weder verboten noch erlaubt ist.75 Dieser Ansatz wird aufgrund der Auffangfunktion der allgemeinen Handlungsfreiheit abgelehnt.76 Nach h. M. genießt der Suizid grundrechtlichen Schutz.77 Diesbezüglich sollten die Entscheidungen des EGMR berücksichtigt werden, die aus Art. 8 EMRK ein Recht auf Suizid ableiten. Eine konventionskonforme Auslegung der deutschen Verfassung zwingt dazu, dem Suizid grundrechtlichen Schutz anzuerkennen.78 a) Mögliche Einschränkungen Dass Einschränkungen durch Rechte anderer79 oder durch das Sittengesetz80 gerechtfertigt werden können, wird in der Regel verneint. Jedenfalls kommt hier die staatliche Lebensschutzpflicht in Betracht. Während eine Mindermeinung davon ausgeht, dass die staatliche Lebensschutzpflicht auch auf den Schutz vor Eingriffen des Rechtsgutsträgers selbst81 anwendbar ist, wird die Grenze der staat73 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 1 Rn. 85; Günzel, Selbsttötung, S. 46; Saliger, Selbstbestimmung, S. 56; Dietlein, Schutzpflichten, S. 226; Enders, Stern/Becker GG, Art. 1 Rn. 52. 74 Vgl. Günzel, Selbsttötung, S. 36; Linke, Lebensende, S. 65; Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Nr. 1 Abs. 2 Rn. 47. 75 Siehe Bottke, Suizid, S. 42. 76 Siehe Bottke, Suizid, S. 43 f.; Günzel, Selbsttötung, S. 101 f. 77 In der Regel wird er zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 (evtl. i.V. m. Art. 1) zugeschrieben. Siehe Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 114; Dietlein, Schutzpflichten, S. 225 f.; Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Rn. 50; Epping, Grundrechte, Rn. 105a; Fink, HGR IV, § 88 Rn. 47; Günzel, Selbsttötung, S. 69; Horn, Stern/ Becker GG, Art. 2 Rn. 53; Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 34; Kuschel, Suizid, S. 63; Murmann, Selbstverantwortung, S. 234 ff.; Sachs, Grundrechte, S. 259 f.; a. A. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 392; Fink, HGR IV, § 88 Rn. 48 nach denen der Suizid durch das Grundrecht auf Leben geschützt sei. Nach Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 21 sei der Suizid durch Art. 1 geschützt. 78 Vgl. Saliger, Selbstbestimmung, S. 25 ff. 79 Eine Einschränkung auf der Basis eines berechtigten Interesses von Ehegatten und Kindern (Art. 6 Abs. 1 u. 2) wird verneint, weil Art. 6 keinen Anspruch darauf enthält, den Ehegatten bzw. die Eltern zwangsläufig am Leben zu halten. Siehe Bottke, Suizid, S. 45; Fink, Selbstbestimmung, S. 121 ff.; Günzel, Selbsttötung, 113 ff.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 72. 80 Nach aktuellem Verständnis der Verfassung lässt sich die Sittenwidrigkeit des Suizids nicht begründen. Vgl. Bottke, Suizid, S. 51; Dietlein, Schutzpflichten, S. 228; Saliger, Selbstbestimmung, S. 71. A. A. Laber, Schutz des Lebens, S. 126 „Es besteht eine sittliche Norm, die Dritte zur Verhinderung der Verfügung eines anderen über sein Leben verpflichtet. Sie ist in der Allgemeinheit anerkannt und wird allgemein als sittlich verbindlich betrachtet.“ 81 Siehe Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 355 f.

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lichen Lebensschutzpflicht wohl überwiegend in dem freiverantwortlichen Sterbeentschluss des Rechtsgutsträgers gesehen.82 Der Grund dafür liegt darin, dass sich eine Schutzpflicht gegen den freien Willen des Rechtsgutsträgers nicht begründen lässt, unabhängig davon, worin man das Fundament von staatlichen grundrechtlichen Schutzpflichten sieht.83 Sogar wenn man die Lebensschutzpflicht aus der objektiv-rechtlichen Dimension des Grundrechts auf Leben ableitet, bestünde keine Schutzpflicht bei freiem Willen des Rechtsgutsträgers, weil die Lehre der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte zur Verstärkung grundrechtlicher Freiheiten entwickelt worden ist.84 Bezüglich nicht freiverantwortlicher Suizide kommt im Gegenteil die staatliche Lebensschutzpflicht ins Spiel, die Maßnahmen zur Suizidverhinderung fordert.85 In diesem Fall darf bzw. muss der Staat zum Schutz des Grundrechtsträgers hindernd eingreifen.86 Als Konkretisierung der Lebensschutzpflicht werden §§ 211 ff.; 323 c StGB angesehen87, deren Anwendung bei einer Beihilfe zum unfreien Suizid von der h. M. angenommen wird.88 b) Kriminalisierung der Suizidbeihilfe als verfassungsmäßige Schutzmaßnahme und ihre Grenzen Abgesehen von der Diskussion um den neuen § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe bestraft, wird in Deutschland die Verfassungsmäßigkeit eines allgemeinen Suizidbeihilfeverbots wenig diskutiert.89 Aus der deutschen Verfassung ergibt sich kein Kriminalisierungsgebot90, sodass die Regelung dieses Sachverhalts im Prinzip dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassen ist. 82 Siehe Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 349; Dietlein, Schutzpflichten, S. 230; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 368 ff.; Laber, Schutz des Lebens, S. 135; Murmann, Selbstverantwortung, S. 245 ff.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 54. 83 Vgl. Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 356; Linke, Lebensende, S. 85 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 245 ff. 84 Vgl. Bethge, Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, S. 357; Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 47 f.; Dietlein, Schutzpflichten, S. 230; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 368 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 247; BVerfGE 7, 198 (205); BVerfGE 50, 290 (337 f.). 85 Vgl. Günzel, S. 122; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 370; Saliger, Selbstbestimmung, S. 54. 86 Vgl. Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 220; Linke, Lebensende, S. 91; Saliger, Selbstbestimmung, S. 76 ff. 87 Vgl. Saliger, Selbstbestimmung, S. 77 f. 88 Siehe Erster Teil, Kapitel II B. IV. 89 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 402. 90 Vgl. Bottke, Suizid, S. 322; Gavela, Suizid, S. 231; Kämpfer, Sterbehilfe, S. 169. A. A. Hillgruber, in: Hoffmann/Knaup (Hrsg.), Was heißt: In Würde sterben?, S. 133. Aus Art. 1 ergebe sich die Notwendigkeit, die ärztliche Suizidbeihilfe strafrechtlich zu verbieten, um „das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung nachhaltig zu prägen.“

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Da sich der Gehilfe auf kein eigenständiges berechtigtes Interesse an der Durchführung des Suizids berufen kann, hängt die verfassungsrechtliche Lage der Suizidbeihilfe akzessorisch vom Status des Suizids ab.91 Im Prinzip erstreckt sich der grundrechtliche Schutz des Suizids auch auf die Beihilfehandlung.92 Aber aufgrund der drohenden Gefahren93 – die jeder Verwirklichung eines Sterbeentschlusses innewohnen (insbesondere bei Entscheidungen am Ende des Lebens94), unabhängig davon, wer die Tötung vollzieht95 – samt den praktischen Schwierigkeiten im Einzelfall zur Identifizierung der Freiverantwortlichkeit96 könnte ein grundsätzliches Suizidbeihilfeverbot als Maßnahme zum Lebensschutz im Prinzip verhältnismäßig sein.97 Jedoch wäre ein absolutes Suizidbeihilfeverbot unverhältnismäßig98, da sich die Lebensschutzpflicht in der Sicherstellung der Freiheit der Entscheidung erschöpft.99 Sogar ein von einer allgemeinen Vermutung fehlender Freiverantwortlichkeit ausgehendes grundsätzliches Suizidbeihilfeverbot wäre verfassungsmäßig100, vorausgesetzt, dass Ausnahmen bestehen. Über die Reichweite der Ausnahme besteht Einigkeit nur darüber, dass die Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid zumindest bei Suizidunfähigkeit nicht kriminalisiert werden sollte.101 Ob ferner Ausnahmen verfassungsrechtlich geboten sind, bleibt unklar.102 91

Vgl. Gavela, Suizid, S. 232; Saliger, Selbstbestimmung, S. 89 ff. Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 402; Lindner, JZ 2006, S. 377; Linke, Lebensende, S. 87; Saliger, Selbstbestimmung, S. 81. 93 Vgl. Gavela, Suizid, S. 234 f.; Linke, Lebensende, S. 92 ff.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 77 ff. Z. B. Fehlende Freiverantwortlichkeit, Übereilung, fehlende Vollzugsreifheit, Irrtum, Zwang, äußerer Druck usw. Außerdem drohen eventuelle zu entwickelten Missbrauchsgefahren bei einer unkontrollierten Verbreitung der Suizidbeihilfe. Auch wenn der Suizid freiverantwortlich geschieht, bestünde die Gefahr, dass Dritten das Beispiel folgen würden. 94 Linke, Lebensende, S. 93. Im Finalstadium liegen Schmerzen, die manchmal sogar nicht palliativbar sind, seelisches Leiden, Ängste, Depression, mangelnde medizinische und mitmenschliche Ressource, sozialer bzw. familiärer Druck. 95 Vgl. Linke, Lebensende, S. 92. 96 Vgl. Gavela, Suizid, S. 235. 97 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 392 Fn. 137; Bottke, Suizid, S. 321; Gavela, Suizid, S. 232; Linke, Lebensende, S. 107. 98 Vgl. Bottke, Suizid, S. 323; BT-Drs. 18/5373, S. 3; Gavela, Suizid, S. 229 f.; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 363; Saliger, Selbstbestimmung, S. 80. A. A. Hillgruber, in: Hoffmann/Knaup (Hrsg.), Was heißt in Würde sterben?, S. 126 ff. 99 Vgl. Linke, Lebensende, S. 105. 100 Linke, Lebensende, S. 92 „Die Zurechenbarkeit dieses Entschlusses lässt sich dagegen nicht ohne weiteres erkennen, bedarf näherer Beobachtung und ist im Interesse des Lebensschutzes apriorisch infrage zu stellen.“ Ähnlich Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 361 f. 101 Vgl. Gavela, Suizid, S. 232; Linke, Lebensende, S. 64; Saliger, Selbstbestimmung, S. 81. 102 Saliger, Selbstbestimmung, S. 81 spricht von einem eingriffsresistenten Kern „wenn es ohne Suizidbeihilfe keine oder keine würdige Möglichkeit des Suizids gibt“ 92

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c) Verfassungsmäßigkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe Der neue § 217 StGB, der nur die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe stellt, hat in der deutschen Rechtswissenschaft erhebliche Kritik hervorgerufen. Neben vielen strafrechtsdogmatischen Einwänden wird die Verfassungsmäßigkeit dieses abstrakten Gefährdungsdelikts erheblich in Frage gestellt. Der Gesetzgeber wird zunächst kritisiert, dass die drohenden Gefahren103, die das in unterschiedliche Grundrechte eingreifende104 Verbot rechtfertigen, überhaupt nicht nachgewiesen sind105, sodass die Norm im Wesen verfassungswidrig sei.106 Ferner wird die Norm als unverhältnismäßig angesehen. Auch wenn dem § 217 StGB ein legitimer Zweck zugeschrieben werden könnte107, wird die Norm einerseits für ungeeignet gehalten, weil ein Verbot – welches den Schwerpunkt auf die Geschäftsmäßigkeit der Tätigkeit legt ohne die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zu berücksichtigen – weder zur Vermeidung einer Erhöhung der Suizide108 noch zum Schutz der Autonomie109 dienen kann. und auch „auf alle Suizidbegleitungen, die das Anliegen des Suizidwilligen selbstbestimmungsneutral fördern“. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 363 sieht die Notwendigkeit, Ärzten die Möglichkeit offenzulassen, zumindest unter strenger prozeduraler Kontrolle, Suizidbeihilfe leisten zu können. Ähnlich Linke, Lebensende, S. 96 ff. Schlägt vor, die Zulässigkeit der Suizidbeihilfe ausschließlich auf Sterbepatienten einzuschränken und mit weitgehenden Schutzmaßnahmen einzustellen. 103 Siehe Erster Teil, Kapitel II C. 1. b). 104 Ärztliche Vereinigungs- und Berufsfreiheit; allgemeine Handlungsfreiheit bezüglich nicht Ärzte, die anderen zum freien Suizid Hilfe leisten wollen; Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten. Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 10; Gaede, JuS 2016, S. 386; Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 681. 105 Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 387; Grünewald, JZ 2016, S. 946; Hillenkamp, KriPoz 2016, S. 7; Hoven, ZIS 2016, S. 4; Kreß, JfWuE 2016, S. 31; Neumann, NK-StGB, Vor §§ 211 Rn. 148 ff.; Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 1; Posa, DMW, S. 896; Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 681; Weißer, ZJS 2016, S. 530. 106 Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 387; Hillenkamp, KriPoz, S. 9 „Wer den Strafgesetzgeber und kontrollierendes Gericht mit dergleichen empiriefreien Spekulationen zu nur abstrakt nicht undenkbaren Rechtsgutsgefährdungen von der verfassungsrechtlichen Kette lässt, gibt jeden ,strafbarkeitsbegrenzenden, liberalen Gehalt‘ der Rechtsgutsanbindung und damit die kriminalpolitische Bedeutung des materiellen Verbrechensbegriffs vollständig auf.“ 107 Bzw. Lebensschutz vgl. Brade, JA 2016, S. 929; Roxin, NStZ 2016, S. 187; a. A. Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 12a. 108 Vgl. Roxin, NStZ 2016, S. 188 f. Ähnlich Hoven, ZIS 2016, S. 8 und Oglakcioglu, BeckOK, § 217 Rn. 12a; a. A. Brade, JA, S. 929 „Es erscheint zumindest nicht völlig ausgeschlossen, dass sich ältere oder unter schweren Erkrankungen leidende, auf fremde Hilfe angewiesene Personen, durch Angebote geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung zu einem Suizid verleiten lassen.“ 109 Eine Norm, die freie Sterbeentschlusse ausnahmslos umfasst, wirkt gegen die Autonomie. Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 387; Grünewald, JZ 2016, S. 945 f.

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Andererseits sei die Norm nicht erforderlich, da mildere Mittel (z. B. ordnungswidrigkeitsrechtliches Verbot hinsichtlich Sterbehilfevereine und prozedurale autonomieschützende Maßnahmen) möglich sind.110 Aber der Haupteinwand bezieht sich auf die Angemessenheit der Norm, weil die exzessive Weite des Tatbestandsmerkmales der „Geschäftsmäßigkeit“ erhebliche Strafbarkeitsrisiken (besonders für Ärzte und Pflegepersonal) geschaffen hat und eventuell hinsichtlich der Suizidbeihilfe allgemein verbietend wirken könnte.111 2. Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen Im Fall einer Tötung auf freiverantwortliches Verlangen eines Patienten stellt § 216 StGB einen Eingriff in die Grundrechte sowohl des Arztes als auch des Patienten dar.112 Indem § 216 StGB die Tötungshandlung untersagt, stellt die Strafnorm einen Grundrechtseingriff für den Täter dar.113 Außerdem greift die Vorschrift in diesem besonderen Fall mittelbar in einen grundrechtlich geschützten Bereich des Opfers114, weil sie den Vollzug seines Willens hindert.115 Deswegen muss die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs geprüft werden.116

110 Vgl. Hoven, ZIS 2016, S. 3; Roxin, NStZ 2016, S. 188. Außerdem sei der Schutz vor Missbrauchen und Voreiligkeit schon durch die §§ 222; 212, 25 I Alt. 2 gewährleistet; vgl. Brade, JA, S. 931. A. A. Kubiciel, ZIS 2016, S. 400 „Jedenfalls bewegt sich der Gesetzgeber klar innerhalb seines Ermessensspielraumes, der ihm bei der Wahl zwischen Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht zusteht.“ 111 Vgl. Brade, JA 2016, S. 930 f.; Duttge, NJW 2016, S. 124; Grünewald, JZ 2016, S. 944; Hillenkamp, KriPoz, S. 8; Hoven, ZIS 2016, S. 7 f.; Kreß, JfWuE 2016, S. 32 f.; Kubiciel, ZIS 2016, S. 401; Roxin, NStZ 2016, S. 190; Weißer, ZStW 2016, S. 131 f. 112 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 325; Lindner, JZ 2006, S. 375. 113 Das Interesse an der Tötung auf Verlangen gehört zum Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit; vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 176; Lindner JZ 2006, S. 377; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 18 ff. Für den Fall der ärztlichen Sterbehilfe käme auch die Berufsausübungsfreiheit in Betracht. Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 369 ff., was in Frage gestellt wird, weil die Sterbehilfe nicht zum ärztlichen Beruf gehört. Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 175 f. 114 Nach h. M. greift § 216 in Bezug auf das Opfer in Art. 2 Abs. 2. Siehe Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 37; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 120; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 163; Lindner, JZ 2006, S. 377; (evtl. i.V. m. Art. 1) Hufen, NJW 2001, S. 855; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 325. Eine Mindermeinung sieht einen Eingriff in das Grundrecht auf Leben des Opfers. Ausführliche Begründung bei Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 181 ff.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte Rn. 392; Fink, Selbstbestimmung, S. 96. Dies wird von der h. M. verneint. Siehe m.w. N. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 166 Fn. 37. 115 Antoine, Sterbehilfe, S. 372; Ehmann, Sterbehilfe, S. 176; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 325; Lindner, JZ 2006, S. 374; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 18 ff.; Linke, Lebensende, S. 120 verneint einen Eingriff, weil kein Abwehrrecht, sich töten zu lassen, existiere. 116 Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 327; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 43.

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Wegen der notwendigen Anknüpfung der Handlung an dem Opferverlangen, hat der Täter kein vom Opferwillen losgelöstes selbstständiges Interesse an der Durchführung der Tötung. Deswegen spielt die Frage nach der Rechtfertigung des Eingriffs in die Grundrechte des Täters hier jedenfalls eine zweitrangige Rolle, da die Rechtfertigung des Eingriffs hinsichtlich der Opferinteressen zur Rechtfertigung der Grundrechtsbeeinträchtigung in Bezug auf den Täter führen sollte.117 a) Erfüllung der staatlichen Lebensschutzpflicht als legitimer Zweck des Verbots Aus der Vielfalt von Gründen118, die in der Dogmatik des § 216 StGB zur Unrechtsbegründung vorgebracht werden, wird nur der Schutz vor den an einer Entkriminalisierung der Tötung auf Verlangen assoziierten Gefahren, die für das Opfer und Dritte entstehen könnten (Gefahr von Entscheidungsdefiziten119, Missbrauchs- und Dammbruchgefahren120) als legitimer Zweck anerkannt.121 Da eine vom Willen des Rechtsträgers losgelöste bzw. objektive Lebensschutzpflicht auszuschließen ist122, müssen sowohl die Unverfügbarkeit des Lebens123 als auch kollektive Ansprüche auf die Erhaltung des Lebens124 als Grundlage der Schutzpflicht ausscheiden. Darüber hinaus ist die Überwindung von Beweisschwierigkeiten als Zweck des § 216 StGB verfassungsrechtlich fragwürdig.125

117 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 325; Lindner, JZ 2006, S. 377; Linker, Lebensende, S. 120 f. 118 Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 1. 119 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 378; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 350; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 188 ff. 120 Antoine, Sterbehilfe, S. 379; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 350 f.; Linke, Lebensende, S. 123; Lindner, JZ 2006, S. 375 f.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 161 ff.; ders., S. 180; Hufen, NJW 2001, S. 855; Knopp, MedR 2003, S. 386. 121 Antoine, Sterbehilfe, S. 377 f.; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 349 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 86 ff. 122 Vgl. Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 86 ff. Nach Hillgruber, in: Hoffmann/ Knaup (Hrsg.), Was heißt in Würde sterben?, S. 128 f. verlangt die Menschenwürdegarantie ein ausnahmsloses strafrechtliches Verbot der Tötung auf Verlangen. 123 Ausführlich Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 70 ff. Ähnlich Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 350. Aufgrund der weltanschaulichen Neutralität der deutschen Verfassung sollten überpositive Konzeptionen des Lebens als unverfügbares Rechtsgut nicht berücksichtigt werden. 124 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 376; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 147 ff. Da es sich um ein individuelles Rechtsgut handelt, könnte die Schutzpflicht auf der Basis eines kollektiven Anspruchs nicht begründet werden. Hufen, NJW 2001, S. 855 kennzeichnet die Achtung des Lebens als Wert der Gemeinschaft. 125 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 378 f.; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 354; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 161. Nach solchem Zweck handelte es sich beim § 216 um eine verfassungswidrige Verdachtsbestrafung.

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Ferner wird die Erhaltung des Tötungstabus als legitimer Zweck weitgehend verneint.126 b) Geeignetheit und Erforderlichkeit An der Geeignetheit des § 216 StGB zur Gefahrkontrolle wird nicht gezweifelt127, allerdings werden bei der Erforderlichkeitsprüfung einige Bedenken geäußert. Zum einen wird die Existenz und der Umfang der drohenden Gefahren in Frage gestellt.128 Zum anderen wird die Möglichkeit einer prozeduralen Gefahrkontrolle für ein weniger eingreifendes Mittel gehalten129, welches zumindest die Erforderlichkeit der Ausnahmslosigkeit der Norm ausschließen würde.130 Diesen Einwänden wird entgegengehalten, dass die Nachweisanforderungen bezüglich der Existenz und des Umfangs der drohenden Gefahren – wegen des Gewichts des zu schützenden Rechtsguts – niedrig sind und ebendarum ein vorsichtiges Umgehen mit dem Problem vertretbar sei.131 Außerdem stelle die Wahl zwischen mehreren geeigneten Maßnahmen eine zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gehörende Entscheidung dar.132 c) Angemessenheit Der vom § 216 geleistete Gefahrenschutz wird – angesichts der Straflosigkeit der Suizidbeihilfe – für angemessen gehalten. Obwohl die Vorschrift für das Opfer grundrechtseingreifend wirkt, ist die Freiheit zur Verwirklichung seines Sterbeentschlusses nicht vollständig gehindert, weil dem Sterbewilligen die Möglichkeit offen bleibt, Suizid – sogar mit strafloser ärztlichen Hilfe – zu begehen.133 126 Verneinend Antoine, Sterbehilfe, S. 377; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 350; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 147 ff. A. A. Hufen, NJW 2001, S. 855. 127 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 382; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 352; Lindner, JZ 2006, S. 380. 128 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 379. 129 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 353 f.; Panagopoulou-Koutnatzi, Die Selbstbestimmung des Patienten, S. 127, behauptet deswegen die Verfassungswidrigkeit des § 216. A. A. Lindner, JZ 2006, S. 380 „ein gleich geeignetes Mittel zur Realisierung des Lebensschutzes, das weniger eingreifend ist als das strafrechtliche Verbot, ist nicht erkennbar.“ 130 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 353 f.; ähnlich Lindner, JZ 2006, S. 380; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 188. 131 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 352 f. 132 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 383; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 352 ff. 133 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 385; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 355 f.; Linke, Lebensende, S. 123; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 190 „Ein berechtigtes Interesse, von einem anderen getötet zu werden, wenn man sich auch selbst töten könnte, ist demgegenüber schwer zu begründen.“ Dass diese Freiheit tatsächlich besteht, wird – wegen der richterrechtlichen Konstruktion der Tatherrschaftswechsel beim Eintritt der Bewusstlosigkeit und der ärztlichen Zurückhaltung zur Suizidbeihilfe [siehe Erster Teil, Kapitel II D. 1. a)] – in Frage gestellt. Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 356.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Dementsprechend wird die Entscheidung, ein allgemeines Verbot der Tötung auf Verlangen zum Schutz des Lebens, als eine der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers entsprechende nicht unverhältnismäßige Maßnahme angesehen.134 d) Unverhältnismäßige Ergebnisse des im Prinzip verfassungskonformen Verbots Bei einigen Extremfällen (z. B. unerträglichen Schmerzen135, Locked-in-Syndrom136), bei denen unzureichende bzw. unmögliche Palliativmöglichkeiten137 bestehen und der Patient suizidunfähig ist138, wird das Verbot einer Tötung auf Verlangen als unverhältnismäßig angesehen.139 Für solche Fälle wird entweder an eine Rechtfertigung durch § 34140 StGB oder an die Schaffung eines Ausnahmetatbestandes gedacht.141 Ein Ausnahmetatbestand wäre vorzuziehen, weil bei hinreichenden verfahrensrechtlichen Vorkehrungen, die Gefahren, die zur Begründung des § 216 StGB herangezogen werden, beseitigt werden könnten.142

134 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 385 ff.; Ehmann, Sterbehilfe, S. 177 f.; Hufen, NJW 2001, S. 855; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 357; Knopp, MedR 2003, S. 386; Linke, Lebensende, S. 122; Lindner, JZ 2006, S. 380; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 194 f. BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 „Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit . . . findet seine Begrenzung . . . in der verfassungsmäßigen Ordnung. Hierzu gehört die bereits erwähnte staatliche Schutzpflicht für das Leben . . . Bei der Aufstellung und normativen Umsetzung entsprechender Schutzkonzepte kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu . . . Danach ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn er die so genannte aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen eines Sterbewilligen durch einen Dritten, unter Strafe stellt.“ 135 Lindner, JZ 2006, S. 381. 136 Lindner, JZ 2006, S. 381. 137 Antoine, Sterbehilfe, S. 394; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 357. 138 Antoine, Sterbehilfe, S. 394; Ehmann, Sterbehilfe, S. 179; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 357. 139 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 394; Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 219; Lindner, JZ 2006, S. 381; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 357; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 196 ff. Obwohl er es für kriminalpolitisch sinnvoll sieht, verneint er eine justitiable Pflicht zur Reform des § 216, weil diese Entscheidung letztendlich in die Zuständigkeit des Gesetzgebers fällt. A. A. Hillgruber, in: Hoffmann/Knaup (Hrsg.), Was heißt in Würde sterben?, S. 128 f. Das Verbot ist – wegen Art. 1 GG – sogar gegenüber dem Suizidunfähigem gerechtfertigt. 140 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 389; Lindner, JZ 2006, S. 381. 141 Ob dies durch eine strafrechtsdogmatische Lösung oder durch einen Ausnahmetatbestand erfolgen sollte sei nicht grundrechtlich determiniert. Vgl. Lindner, JZ 2006, S. 381. 142 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 359; Ehmann, Sterbehilfe, S. 179; Linke, Lebensende, S. 124; Lindner, JZ 2006, S. 381; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 234; Knopp, MedR 2003, S. 386.

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e) Verfassungsmäßigkeit einer eventuellen Entkriminalisierung der aktiven Sterbehilfe Eine vollständige Freigabe der Tötung auf Verlangen würde erhebliche Gefahren sowohl für das Opfer im konkreten Fall als auch für Dritte eröffnen und wäre folglich verfassungswidrig.143 Dies wird zumindest nicht oft befürwortet144 und geht außerdem über den Gegenstand der Arbeit hinaus. Was den Untersuchungsgegenstand betrifft, wird der Verfassungsmäßigkeit einer eventuellen Entkriminalisierung der aktiven Sterbehilfe für Extremfälle zugestimmt, vorausgesetzt, dass ein strenges Verfahren zur Gefahrkontrolle besteht.145 Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Freigabe der aktiven Sterbehilfe wird aufgrund des gesetzgeberischen Spielraumes verneint.146 Auf der anderen Seite wird auch eine verfassungsrechtliche Pflicht zur absoluten Kriminalisierung der aktiven Sterbehilfe verneint.147 3. Indirekte Sterbehilfe: Verfassungsrechtliche Lage von tödlichen Palliativbehandlungen Obwohl die verfassungsrechtliche Lage der indirekten Sterbehilfe nur selten diskutiert wird, wird sie fast einhellig als verfassungsrechtlich zulässig angenommen.148 Anhand des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit149 und der Menschenwürdegarantie150 wird ein grundrechtlich geschützter Anspruch des Patienten auf Schmerzfreiheit konstruiert. Es wird angenommen, dass dieser Anspruch den Eingriffscharakter der indirekten Sterbehilfe ausschließt, weil das Unterlassen der Verabreichung von Medikamenten einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen würde.151 Folglich wird ein verfassungsrechtliches Gebot zu indirekter Sterbehilfe behauptet.152 143

Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 134. Vgl. Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 188. 145 Antoine, Sterbehilfe, S. 314; Hufen, NJW 2001, S. 855; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 371 ff.; Knopp, MedR 2003, S. 386 f.; Lindner, JZ 2006, S. 381; Michael/ Morlok, Grundrechte, § 9 Rn. 163. 146 Vgl. Knopp, MedR 2003, S. 386; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 185 f. 147 Vgl. Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 241; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 130; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 212a. 148 Siehe Kämpfer, Sterbehilfe, S. 169. 149 Vgl. Hufen, NJW 2001, S. 854; Knopp, MedR 2003, S. 386; Linke, Lebensschutzes, S. 128. 150 Vgl. Bernert-Auerbach, Aktive Sterbehilfe, S. 23 ff.; Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 1 Rn. 85; Hufen, Grundrechte, § 10 Rn. 59; Linke, Lebensschutzes, S. 128. 151 Vgl. Hufen, NJW 2001, S. 854. Knopp, MedR 2003, S. 386 „Bei der sog. Indirekten Sterbehilfe . . . liegt bereits kein Grundrechtseingriff vor, denn Art. 2 Abs. 2 GG wird im Gegenteil vielmehr verletzt, wenn die Gabe solcher schmerzlindernder Medikamente, die nach dem medizinischen Maß möglich ist, verweigert wird.“ 152 Vgl. Di Fabio, Maunz/Dürig GG, Art. 1 Rn. 85; Hufen, Grundrechte, § 10 Rn. 59. 144

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Diese Begründung erscheint unvollständig zu sein, weil das Vorliegen eines Anspruchs auf Schmerzfreiheit den Eingriffscharakter einer tödlichen Handlung bezüglich der dem § 216 StGB zugrunde liegenden Interessen bzw. der staatlichen Lebensschutzpflicht nicht automatisch ausschließt. Vielmehr sollte eine Kollision zwischen dem Anspruch des Patienten auf Schmerzfreiheit und dem Anspruch von Dritten auf Lebensschutz angenommen werden. Der Ansatz könnte dadurch ergänzt werden, dass im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe keine Missbrauchs- oder Dammbruchgefahren drohen153, sodass keine staatliche Lebensschutzpflicht hinsichtlich Dritter in Betracht käme. Die Lebensschutzpflicht erstreckt sich in solchen Fällen ausschließlich auf die Sicherung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung, welche durch die ärztliche Aufklärungspflicht und die Einwilligungsvoraussetzung hinreichend erfüllt wird.154 Da die Lebensschutzpflicht erfüllt ist und keine Gefahren für Dritte bestehen, bleibe nur eine intrapersonale Interessenkollision, welche der Patient lösen dürfe.155 Eine Gegenmeinung verneint, dass aus der Menschenwürdegarantie156 bzw. aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit157 ein Anspruch auf Schmerzfreiheit abgeleitet werden kann. Vielmehr sei die indirekte Sterbehilfe weder verfassungsrechtlich verboten noch erlaubt.158 4. Behandlungsverzicht aus verfassungsrechtlicher Perspektive Bezüglich eines Behandlungsverzichts lautet die verfassungsrechtliche Auffangfrage nicht, ob eine Behandlung unterlassen bzw. abgebrochen werden darf, sondern ob die Behandlung bzw. ihre Fortsetzung – welche stets einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt159 – gerechtfertigt ist.160 153 Vgl. Linke, Lebensschutzes, S. 128 „. . . da sie generell nur in der Sterbephase zulässig ist . . .“. 154 Vgl. Linke, Lebensschutzes, S. 128 f. 155 Vgl. Linke, Lebensschutzes, S. 128. 156 Vgl. Roggendorf, Indirekte Sterbehilfe, S. 89. Nicht jedes schweres Leiden beeinträchtigt die Menschenwürde. Nur bestimmte folterähnliche Schmerzen können als menschenunwürdig kategorisiert werden. Warum Schmerzen, die zur indirekten Sterbehilfe führen, nicht als folterähnliche anzusehen sind, wird nicht erklärt. 157 Vgl. Roggendorf, Indirekte Sterbehilfe, S. 91. Einerseits ergibt sich aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kein Anspruch auf medizinische Versorgung, geschweige denn, wenn sie tödlich wirkt. Andererseits habe die staatliche Lebensschutzpflicht wegen des „allerhöchsten Stellenwert“ des Lebens stets Vorrang vor dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. 158 Vgl. Roggendorf, Indirekte Sterbehilfe, S. 92. 159 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 107; Huffen, Grundrechte, § 13 Rn. 10; Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 89; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 154. 160 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 412; Epping, Grundrechte, Rn. 111; Hufen, NJW 2001, S. 853; Knopp, MedR 2003, S. 385; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 27.

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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Im Rahmen ärztlicher Behandlungen hat der Patient anhand Art. 2 Abs. 2 GG ein Selbstbestimmungsrecht über seinen Körper161 und im Prinzip entscheidet der Grundrechtsträger selbst darüber, ob die Behandlung vorgenommen werden darf.162 Selbstverständlich schließt dies nicht jeden ungewollten Eingriff aus, aber bei fehlender Einwilligung muss eine entsprechende Rechtfertigung vorliegen. Ausnahmsweise können Eingriffe gerechtfertigt werden, wenn sie zum Schutz anderer Rechtgüter notwendig sind, vorausgesetzt, dass sie aufgrund einer gesetzlichen Grundlage erfolgen163 und verhältnismäßig sind.164 Die aus Art. 2 Abs. 2 GG entstehende staatliche Schutzpflicht kommt hier in Betracht, wenn aus der Verweigerung Gefahren für Dritten entstehen.165 Außerdem können Eingriffe zum Schutz des Grundrechtsträgers bei Einwilligungsunfähigkeit gerechtfertigt werden166, aber bei einer aufgeklärten freiverantwortlichen Behandlungsverweigerung, die keine Gefahren für andere Rechtsgüter schafft, kommt eine Rechtfertigung überhaupt nicht in Betracht167, sogar wenn sie unvernünftig zu sein erscheint.168 Die Behandlungshoheit des Patienten ist unbegrenzt, unabhängig vom Patientenzustand169 und auch wenn die Entscheidung zum Tod des Patienten führt.170 Dies hängt damit zusammen, dass kein vom Rechtsträger losgelöster staatlicher Anspruch auf Schutz der Gesundheit bzw. das Leben besteht, sodass der 161 Siehe Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 83; Laber, Schutz des Lebens, S. 214; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 148. 162 Während einige bei Einwilligung den Eingriffscharakter der Handlung verneinen vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 111; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 206, sehen andere eine Rechtfertigung des Eingriffs; vgl. Huffen, Grundrechte, § 13 Rn. 10. 163 Da Art. 2 unter einfachem Gesetzvorbehalt steht, ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Vgl. Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 95; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 187. 164 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 116. 165 Z. B. bei ansteckenden Krankheiten vgl. Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 101; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 159. 166 Siehe BVerfGE 128, 282; Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 101; Linke, Lebensende, S. 159. 167 Hörr, Passive Sterbehilfe, S. 50; Jarass, Jarass/Pieroth GG, Art. 2 Rn. 100; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 206. 168 Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 215; Linke, Lebensende, S. 161. 169 Hufen, NJW 2001, S. 854; Knopp, MedR 2003, S. 386; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 204; BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 „Die verfassungsrechtlich gebotene Achtung vor dem persönlichen Umgang des Einzelnen mit Krankheit und dem eigenen Sterben schließt auch die freiverantwortlich getroffene Entscheidung schwer kranker Menschen ein, ihr Leben vor Erreichen der Sterbephase oder losgelöst von einem tödlichen Krankheitsverlauf beenden zu wollen.“ 170 Dürig, Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 12; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 339; Linke, Lebensende, S. 159 f.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Arzt von Verfassung wegen nicht nur berechtigt ist, sondern auch verpflichtet, die Entscheidung des Patienten zu respektieren.171 Eine Rechtfertigung von Zwangsbehandlungen aufgrund der staatlichen Lebensschutzpflicht kommt in diesen Fällen nicht in Betracht172 und wird für würdeverletzend gehalten.173 Da ein Patient jede Behandlung freiverantwortlich rechtsverbindlich verweigern darf, ist davon auszugehen, dass kein grundrechtsdogmatisch relevanter Unterschied zwischen Behandlungsverzicht und passivem Suizid besteht.174 Freiverantwortliche suizidale Behandlungsverweigerungen genießen denselben grundrechtlichen Schutz wie jede andere Behandlungsverweigerung.175 Da auch der Behandlungsverzicht anfällig für Missbrauchsgefahren ist176, sind staatliche Kontrollmaßnahmen zulässig. Dies liegt dem 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz zugrunde177, welches durch die Einführung der §§ 1901 a, 1901 b und Änderung des § 1904 BGB die Feststellung und Umsetzung des Patientenwillens bei Entscheidungsunfähigkeit prozeduralisiert hat.

171 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 411; Horn, Stern/Becker GG, Art. 2 Rn. 130; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 212a. 172 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 411; Dörr, Binnenkollision, S. 331; Murswiek, Sachs GG, Art. 2 Rn. 212a; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 31. Knopp, MedR 2003, S. 385 „Wenn der Betreffende den Entschluss, sich zu töten, bei völlig klarem Bewusstsein gefasst hat, gibt es nicht nur keine staatliche Schutzpflicht, sondern auch keine Berechtigung ihn daran zu hindern.“ 173 Vgl. Hörr, Passive Sterbehilfe, S. 37 ff.; Knopp, MedR 2003, S. 386; Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 55. 174 Vgl. Günzel, Selbsttötung, S. 49; Linke, Lebensende, S. 66. 175 Ausführlich Saliger, Selbstbestimmung, S. 58 ff. BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 „Dass die Schutzpflicht des Staates für das Leben hinter dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen zurückzutreten hat, ist für die Situation des Behandlungsabbruchs im Übrigen inzwischen sogar für Fälle anerkannt, in denen sich der Betroffene nicht in einer extremen Notlage befindet. Der Betroffene kann den Abbruch lebenserhaltender und -verlängernder Maßnahmen selbst dann verlangen, wenn der Behandlungsabbruch darauf zielt, das Leben trotz vorhandener Lebensperspektive zu beenden.“ 176 Ausführlich Hörr, Passive Sterbehilfe, S. 43 ff. BGHSt 40, 257 (260 f.) „. . . und ein solcher Behandlungsabbruch bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck seiner allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) grundsätzlich anzuerkennen ist, sind doch an die Annahme des mutmaßlichen Willens erhöhte Anforderungen insbesondere im Vergleich zur Sterbehilfe im eigentlichen Sinne zu stellen. Der Gefahr, daß Arzt, Angehörige oder Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken, nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen das von ihnen als sinnlos, lebensunwert oder unnütz angesehene Dasein des Patienten beenden, muß von vornherein entgegengewirkt werden.“ 177 BT-Drs. 16/8442, S. 3.

Kap. II: Strafrechtlicher Rahmen

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Kapitel II

Strafrechtlicher Rahmen A. § 216 StGB: Tötung auf Verlangen 1. Das Unrecht der Tötung auf Verlangen a) Rechtfertigungsbedürftigkeit der Norm Die Strafbarkeit einer Tötung trotz ernstlichen und ausdrücklichen Opferverlangens stellt im deutschen Recht aus unterschiedlichen Gesichtspunkten eine erklärungsbedürftige systematische Anomalie dar. Der Grund einer Absonderung des Rechtsguts Leben gegenüber den anderen verfügbaren individualen Rechtsgütern178, der materielle Unterschied zu strafloser Suizidbeihilfe179 und die Ausnahmslosigkeit der Norm hinsichtlich dogmatischer Konstellationen strafloser passiver und aktiver eingewilligter Tötungen im ärztlichen Bereich180, sind einige der Fragen, die bei Betrachtung der Norm auftauchen. Die heutzutage nicht mehr haltbare ursprüngliche Begründung dieses vorkonstitutionellen Verbots, hat die deutsche Strafrechtsdogmatik dazu gezwungen, eine mit den Rechtfertigungsstandards der aktuellen Rechtsordnung zu vereinbarende Begründung zu finden, die die Eigentümlichkeiten dieses Verbot erklären kann. b) Der anfängliche Verbotsgrund: Unverfügbarer Charakter des Rechtsguts Leben Dieser Ansatz, welcher auch zur Begründung der Rechtswidrigkeit des Suizids führen sollte181, sieht in der Tötung auf Verlangen eine eigenmächtige Disposition eines vom Rechtsträger nicht verfügbaren Rechtsguts. Die Indisponibilität des Rechtsguts wird entweder anhand christlicher Moralvorstellungen begründet, nach denen das menschliche Leben Gott gehöre182 – was wohl der dem § 216 StGB ursprünglich zugrunde liegende Gedanke war183 – oder aufgrund einer supraindividuellen Dimension des menschlichen Lebens als Bestand des Staates.184 Beide Ansätze wurden bei der Schaffung des § 216 StGB vertreten, obwohl sich 178

Vgl. Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 165 f.; Schoppe, BLJ 2012, S. 107. Vgl. Duttge, HRRS, 2015, S. 134; Palm, Selbsttötung, S. 82. 180 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1a; Schneider, MüKoStGB, § 216, Rn. 4. 181 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 43. 182 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 4; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 7; Maatsch, Selbstverfügung, S. 40 f. 183 Vgl. Müller, § 216 StGB, S. 32 f.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 70. 184 Siehe Chatzikostas, Disponibilität, S. 237; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 182 ff.; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 6; Müller, § 216 StGB, S. 34. 179

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

die damalige Diskussion nicht um die Rechtfertigung der Strafbarkeit drehte, sondern vielmehr um die Rechtfertigung einer Strafmilderung.185 Moderne Varianten der Argumentation greifen auf den objektiven Wertgehalt des Rechtsguts Leben186 oder auf die Unantastbarkeit der Menschenwürdegarantie zurück.187 Diese Begründung für § 216 StGB wird in der aktuellen deutschen Rechtswissenschaft nicht oft vertreten. Weder die göttliche Herrschaft über menschliches Leben noch eine Selbsterhaltungspflicht gegenüber dem Staat können in einem säkularen freiheitlichen Rechtssystem als Rechtfertigung des § 216 StGB angewendet werden.188 In einer ähnlichen Argumentationslinie wird die Berechtigung der Norm in der Erhaltung des Tabus einer Fremdtötung gesehen189, dessen Existenz in der deutschen Gesellschaft bzw. im deutschen Rechtssystem190 aber auch seine rechtfertigende Tauglichkeit im rechtlichen Bereich191 in Frage gestellt wird. c) Fundamentänderung: Gefährdungs- anstatt Tötungsunrecht Eine Unrechtsbegründung hinsichtlich einer Tötung zu finden, die auf einem ausdrücklichen und ernstlichen Opferverlangen beruht, gestaltet sich als äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich.192 Deshalb wird die Rechtfertigung der Norm inzwischen durch einen Rückgriff auf unterschiedliche mögliche Gefahren strukturiert, die sich ohne das Verbot verwirklichen würden. 185

Ausführlich Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 11 ff. Z. B. Safferling, Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2. Ablehnend Schroeder, ZStW 1994, S. 567; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 80 ff., weil der Ansatz die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe nicht erklären könne. 187 Kritisch Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 174; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/ Schröder, § 216 Rn. 1a; Rönnau, Willensmängel, S. 163; Schoppe, BLJ 2012, S. 109 f.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 96. Eine freiheitliche Garantie könne gegenüber dem Rechtsgutsträger selbst nicht freiheitseinschränkend wirken. 188 Siehe Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 4; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 173 ff.; Kühl, Jura 2010, S. 84; Maatsch, Selbstverfügung, S. 45; Müller, § 216 StGB, S. 37 Fn. 93 f.; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1a; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 1; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 179. 189 Siehe Chatzikostas, Disponibilität, S. 240; Müller, § 216 StGB, S. 65; Safferling, Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2. 190 Ausführlich Chatzikostas, Disponibilität, S. 241 ff. Siehe auch Pawlik, in: FSWolter, S. 637; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 4; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 163 ff. 191 Vgl. Müller, § 216 StGB, S. 66; Schroeder, ZStW 1994, S. 567: Die wesentliche irrationale Natur von Tabus spricht gegen seine Beachtlichkeit im juristischen und politischen Diskurs, welcher sich durch seine Rechtsgutsbezogenheit charakterisiert. 192 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19 „Die Vorschrift des StGB muß also einem anderen Unrecht als einem Tötungsunrecht gelten.“ 186

Kap. II: Strafrechtlicher Rahmen

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Einerseits hindere das Verbot unerwünschte kriminalpolitische Wirkungen, wie die Gefahr einer progressiven Relativierung des Lebensschutzes in der Gesellschaft193, was zur Nichtbeachtung der lebensschützenden Strafnormen und zu einer weiteren Lockerung des strafrechtlichen Lebensschutzes führen könnte.194 Weiterhin wird die Gefahr von unbestraften Tötungen ohne Opferverlangen und ungerechten Freisprüchen195 minimiert, die aufgrund von Beweisschwierigkeiten hinsichtlich eines Mangels an Opferverlangen bzw. Freiverantwortlichkeit entstehen. So verstanden handele es sich beim § 216 StGB um ein Kumulationsdelikt, wobei nicht das isolierte Verhalten die Gefahr erzeugt, sondern ihre Generalisierung.196 Andererseits schütze § 216 StGB vor Gefahren, die für das Individuum bestehen. Durch das Verbot werde der Mensch vor dem möglichen sozialen Druck geschützt, nach seiner Tötung zu verlangen, dem jeder ausgesetzt wäre, der eine soziale, physische oder finanzielle Last für Dritte darstellt.197 In diese Argumentationslinie werden zusätzlich andere autonomiebeeinträchtigende Faktoren einbezogen, die bei einer solchen Entscheidung vorliegen können (wie Krankheiten, kognitive Defizite und extreme Lebensumstände, die die Entscheidungsbasis beeinflussen können).198 Außerdem vermag die Möglichkeit einer fehlerhaften Übereilung199 und die mangelnde Stabilität200 bzw. Vollzugsreifheit201 einer solchen Entscheidung die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zu rechtfertigen. Insbesondere wird in dem Akt der Übertragung des Tatvollzugs an einen anderen ein Indiz von Entscheidungsdefiziten gesehen.202

193 Siehe Chatzikostas, Disponibilität, S. 247 f.; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19; Müller, § 216 StGB, S. 76; Schoppe, BLJ 2012, S. 110 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 167 ff. 194 Vgl. Müller, § 216 StGB, S. 77; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 166 f. 195 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 260 f.; Müller, § 216 StGB, S. 62. 196 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 381. 197 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 259; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20; Müller, § 216 StGB, S. 64; Palm, Selbsttötung, S. 87 f. 198 Vgl. Müller, § 216 StGB, S. 123. 199 Vgl. Merkel, Früheuthanasie, S. 412. 200 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 263 ff.; Verrel, JZ 1996, S. 226. 201 Vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21; Palm, Selbsttötung, S. 86 f.; Schroeder, ZStW 1994, 574. 202 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 265; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 22; Roxin, in: ders./Schroth, Medizinstrafrecht, S. 87 f.; Saliger, Selbstbestimmung, S. 139 „Diese Differenzierung ist hinreichend begründet, weil dem Gesetzgeber die Freiverantwortlichkeit des suizidalen Aktes gegen mögliche Fremdbestimmung nur gesichert scheint, wenn der Sterbewillige selbst Hand an sich legt.“

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

d) Kritische Betrachtungen des Gefährdungsunrechtsaufbaus Zunächst wird das Argument der Gefahr einer Relativierung des Lebensschutzes für menschenwürdewidrig gehalten. So verstanden, instrumentalisiere § 216 StGB die Selbstbestimmungsfreiheit der Person, um zukünftige Straftaten von Dritten und gesetzgeberische Fehler zu vermeiden.203 Ferner habe das Argument keine empirische Basis204 und beruhe auf einem falschen Zusammenhang, weil die Tötung auf Verlangen einen absolut unterschiedlichen Sachverhalt gegenüber den anderen Tötungsdelikten darstellt, sodass ihre Straflosigkeit nicht zur Straflosigkeit der Tötung ohne Verlangen führen würde.205 Außerdem stehe die Befürchtung möglicher Missbrauchsgefahren und strafloser Tötungen ohne Opferverlangen – trotz ihrer theoretischen Plausibilität – im Widerspruch zu der deutschen Wirklichkeit, wo sich dieselben denkbaren Gefahren im parallelen Bereich der straflosen Suizidbeihilfe nicht konkretisiert haben.206 Dagegen spricht auch die Erfahrung aus deutschen Gerichtsprozessen, in denen sich die Angeklagten wegen Totschlags und Mord nicht auf § 216 StGB berufen.207 Darüber hinaus könne diese Ansicht die Ausnahmslosigkeit des Verbots nicht rechtfertigen, was – hinsichtlich Tötungen, bei denen das Opfer tatsächlich freiverantwortlich und einwandfrei nach seiner Tötung verlangt hat – einen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz darstelle.208 Ähnliches gelte bezüglich der denkbaren Gefahr sozialen Drucks, welche sich weder im Rahmen der straflosen Suizidbeihilfe verwirklicht hat209 noch die Ausnahmslosigkeit des Verbots rechtfertigen kann.210 Hinsichtlich des Schutzes vor Entscheidungsdefiziten wird eingewandt, dass sich § 216 StGB nicht auf eine defizitäre Entscheidung beziehe, da der Tatbestand ein ernstliches Verlangen voraussetzt. Eine Regelung, die ausschließlich den Schutz des Opfers vor seinen defizitären Entscheidungen bezweckte, sollte beim ernstlichen Opferverlangen nicht anwendbar sein, weil das Vorliegen eines 203 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 41; Müller, § 216 StGB, S. 78; Kubiciel, ZJS 2010, S. 657. 204 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 249; Kubiciel, ZJS 2010, S. 657; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 167. 205 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 249; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19; Kühl, Jura 2010, S. 84; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 1; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 4; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 167 f. 206 Vgl. Weißer, ZStW 2016, S. 130. 207 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 263; Schroeder, ZStW 1994, S. 570. 208 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1a; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 259 f.; Müller, § 216 StGB, S. 62 ff.; Schoppe, BLJ 2012, S. 110; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 161. 209 Vgl. Müller, § 216 StGB, S. 64; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20. 210 Vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20.

Kap. II: Strafrechtlicher Rahmen

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ernstlichen Verlangens die Abwesenheit von Entscheidungsdefiziten voraussetzt. Bei einem defizitären Verlangen kämen §§ 211, 212 StGB und nicht § 216 StGB in Betracht.211 Außerdem erscheine die Pertinenz212, Plausibilität213 und argumentative Reichweite214 des Schutzes des Opfers vor eigenen fehlerhaften Entscheidungen fragwürdig und stehe im Widerspruch zu der Straflosigkeit der Suizidbeihilfe.215 Dazu könne die Übertragung der Tatausführung nicht pauschal als Indiz eines Entscheidungsdefizits angesehen werden, weil dies überhaupt nicht zutreffe.216 2. Die Dogmatik des § 216 StGB a) Grund der Strafmilderung Einer Ansicht nach sei die Privilegierung das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Erfüllung der Lebensschutzpflicht und der Anerkennung der Opferautonomie, welcher eine unrechtsmindernde Wirkung zugeschrieben wird.217 Andere sehen den Grund der Privilegierung in der schuldmindernden Mitleidsmotivation des Täters.218 Dogmatische Relevanz bekommt die Frage im Bereich der 211 Vgl. Duttge, HRRS, 2015, S. 135; Maatsch. Selbstverfügung, S. 52; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 1; Schoppe, BLJ 2012, S. 109; Schroeder, ZStW 1994, S. 568; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 123 f.; Eschelbach, BeckOK StGB, § 216 Rn. 2. 212 Vgl. Müller, § 216 StGB, S. 85 f. Einerseits fälle solche Möglichkeit in den Verantwortungsbereich des Opfers und andererseits sei der Schutz des Opfers vor Fehlentscheidungen keine legitime Aufgabe des Strafrechts. 213 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1a; Maatsch, Selbstverfügung, S. 47; Müller, § 216 StGB, S. 87; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 1; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 99. Beim Vorliegen eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens könne nicht argumentiert werden, dass noch ein tatsächliches Interesse am Weiterleben besteht. Das Gesetz sollte sich ausschließlich an dem tatsächlichen Opferwillen richten. 214 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1a. Ein solcher paternalistische Gedanke könnte bestens einen erhöhten Einwilligungsstandard rechtfertigen, aber nicht die ausnahmslose Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen. 215 Vgl. Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 111. Dieses Argument sollte zur Strafbarkeit der Suizidbeihilfe führen, weil in solchen Sachverhalten auch die Gefahr übereilter bzw. defizitärer Entscheidungen besteht. 216 Vgl. Brunhöber, MüKo-StGB (3. Aufl.), § 217 Rn. 8; Maatsch, Selbstverfügung, S. 51; Schoppe, BLJ 2012, S. 108: Die eigenhändige Selbsttötung könne in vielen Fällen das Resultat einer defizitären Entscheidung sein. Umgekehrt könnte die Übertragung der Tatausführung Nachweis der Wohlüberlegenheit der Entscheidung sein. Besonders unter Berücksichtigung, dass der Dritte durch das Verlangen bestimmt worden ist und dass das Bestimmt-worden-Sein in der Regel aufgrund überzeugender Gründe erfolgt. 217 Vgl. Fischer, StGB, § 216 Rn. 3; Schneider, MüKo StGB, § 216 Rn. 1; Sinn, SKStGB, § 216 Rn. 2; Ziethen, ZIS 2007, S. 372. 218 Vgl. Bringewat, ZStW 1975, S. 645; Eisele, BT-I, S. 78; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 123; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 69; Laber, Schutz des Lebens, S. 181; Lackner/ Kühl StGB, § 216 Rn. 1; Magnus, Patientenautonomie, S. 272; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 1.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Teilnahme. Während der vom Mitleidskonflikt ausgehende Ansatz die tatbestandliche Anstiftungswirkung des Opferverlangens als ein besonderes persönliches Merkmal versteht219, sieht sie der von der Unrechtsminderung ausgehende Ansatz als ein tatbezogenes Merkmal.220 Während die Idee einer verminderten Schuld des Täters als plausibel erscheint, trifft sie tatsächlich nicht zu, zumal die Privilegierung auch ohne Mitleidsmotivation wirkt.221 Richtig erscheint, der Einwilligung privilegierende Wirkung zuzuschreiben. Dennoch lässt sich aus dogmatischer Sicht nicht verstehen, warum der Einwilligung in diesem Fall nur eine partielle Wirkung zugeschrieben wird.222 Aus historischer Perspektive erscheint die partielle Wirkung der Einwilligung eine rechtsgefühlmäßige Entscheidung des Gesetzgebers zu sein im Sinne eines Kompromisses zwischen der Unverfügbarkeit des Lebens und dem Rechtsgefühl, dass die Tötung auf Verlangen nicht gleich wie die Tötung ohne den Willen des Opfers bestraft werden sollte.223 b) Systematisches Verhältnis zum Mord Der im § 212 StGB enthaltene Totschlag stellt nach wohl h. M. den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte dar, welcher je nach Vorliegen von Mordmerkmalen oder einem Opferverlangen qualifiziert oder privilegiert wird.224 Dagegen versteht der BGH225 und eine Mindermeinung226 § 216 StGB als eigenständiges Delikt. Selten wird § 211 StGB als Grundtatbestand angesehen.227 219 Somit wäre die Privilegierung nur für Teilnehmer anwendbar, die tatsächlich durch das Opferverlangen bestimmt worden sind. Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 18; Kindhäuser, BT-I, § 3 Rn. 17; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 86; Engländer, FS-Krey, S. 72 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 61; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 12. 220 Vgl. Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 20 (m.w. N.). Zum selben Ergebnis führt die Ansicht der Rechtsprechung, welche § 216 als selbständiges Delikt versteht. Siehe Engländer, FS-Krey, S. 74. 221 Vgl. Sinn, NK-StGB, § 216 Rn. 2; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 1. 222 Duttge, HRRS 2015, S. 136 „Auf der Basis der Einwilligungsdoktrin lässt sich diese Abstufung des Unrechts („Privilegierung“) ersichtlich nicht erklären, weil die damit verbundene Verantwortungszuschreibung an die Adresse des Sterbewilligen dann – bei Vorliegen sämtlicher autonomiebegründender Anforderungen – nur eine vollständige und keine ,halbe‘ sein könnte.“ Nach Pawlik, in: FS für Wolter, S. 640 weil „es sich . . . um verdeckte Appelle um Zuwendung . . . handelt“. 223 Siehe Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 252 f. 224 Vgl. Eisele, BT-I, S. 78; Kindhäuser, BT, § 1 Rn. 2; Krey/Heinrich/Hellmann, BTI, § 1 Rn. 113; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 28; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 5; Rengier, BT-II, § 4 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT-I, § 2 Rn. 69. 225 BGHSt 2, 258; BGHSt 13, 162, 165. 226 Zutreffend Müller, § 216, S. 178. Kein privilegiertes Tötungsunrecht, sondern Gefährdungsunrecht. 227 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 5.

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Die überwiegende h. M. schließt beim Vorliegen der im § 216 StGB vorgesehenen tatbestandlichen Voraussetzungen die Totschlags- und Mordtatbestände aus.228 Die dogmatische Begründung der Sperrwirkung des § 216 StGB erscheint schwierig.229 Trotzdem gibt es historische Gründe, die die These stützen.230 Zum selben Ergebnis führt die Ansicht des BGH, der von der Selbständigkeit des § 216 StGB ausgeht.231 Eine Mindermeinung sieht die Möglichkeit232 und sogar die Notwendigkeit233 einer Bestrafung nach § 211 StGB. c) Der objektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen aa) Das Opferverlangen und seine notwendige Anstiftungswirkung Neben den Tatbestandsmerkmalen des Totschlags234, muss ein Verlangen des Opfers vorliegen, welches nach h. M.235 und Rechtsprechung236 mehr als eine 228 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 13; Eisele, BT-I, S. 78; Eser/ Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 2; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 252; Kindhäuser, BT I, § 2 Rn. 64; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 124; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 113; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 61; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 3; Wessels/Hettinger, BT-I, § 2 Rn. 167a. 229 Ausführlich Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 259 ff. Obwohl die Mehrheit einfach einen – dogmatisch unbegründet – Vorrang der Privilegierung vor der Qualifizierung annimmt, sind einige dogmatische Begründungen der Sperrwirkung zu finden: Von der Lehre der Typenkorrektur beim § 211 ausgehend wird behauptet, dass das Verlangen die besondere Verwerflichkeit der Tat ausschließt. Außerdem wird § 216 als eigenständige Konkurrenzregel (bzw. milderes Gesetz) verstanden. Siehe Kindhäuser, BT I, § 2 Rn. 64; Kühl, Jura 2010, S. 86; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 61. Müller, § 216, S. 179 Fn. 518 geht von einem vom Unrecht der vorsätzlichen Tötung selbständigen Unrechtstypus des § 216 aus und verneint die Anwendung des § 211 beim Vorliegen der Voraussetzungen der Tötung auf Verlangen. 230 Vgl. Müller, § 216, S. 178 Fn. 514; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 238. Der deutsche Gesetzgeber hat den Fall einer Konkurrenz mit dem Mordtatbestand vorgesehen. Dass der Gesetzgeber trotzdem keine besondere Regelung geschaffen hat, wird als Unterstützung der Sperrwirkungsthese angesehen. 231 BGHSt 2, 258 „. . . der Tatbestand des § 216 StGB als der engere den des Totschlags oder Mordes ausschließt.“ 232 Die Anwendung von § 211 oder § 216 hänge von dem zugrunde liegenden Hauptmotiv der Tatausführung ab. Siehe Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 239 f. 233 Siehe Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 239 f. Wenn man von § 211 als Grundtatbestand ausgeht, da die Privilegierung die Abwesenheit von Mordmerkmalen voraussetzte, oder wenn man versteht, dass sich § 216 allein auf die ausschließlich durch das Opferverlangen motivierte Tötung bezieht. 234 Vgl. Eisele, BT-I, S. 80; Fischer, StGB, § 216, Rn. 4; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 248; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 122; Küpper, BT-I, § 1 Rn. 60; Rengier, BTII, § 6 Rn. 5; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 9. 235 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 50; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 5; Fischer, StGB, § 216, Rn. 7a; Kühl, Jura 2010, S. 84; Küpper, BT-I, § 1 Rn. 63; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62; Müller, § 216, S. 181; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 220; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6; Schneider, MüKoStGB, § 216 Rn. 13. 236 BGHSt 50, 80.

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bloße Opfereinwilligung voraussetzt. Im Unterschied zu einem passiven Einverständnis setzt § 216 StGB ein aktives Handeln vonseiten des Opfers voraus, das sich auf die Motivation des Täters richtet.237 Trotzdem wird ein Verlangen auch angenommen, wenn die Initiative zur Tötung vom Täter ausgeht und sogar wenn der Täter zur Tat schon entschlossen ist, vorausgesetzt, dass der entschlossene Täter die Durchführung der Tötung von der Opfereinwilligung abhängig macht, sodass er ohne sie die Tat nicht durchgeführt hätte.238 Dieses breite Verständnis des Tatbestandmerkmals hat dazu geführt, dass ein Unterschied zwischen dem Opferverlangen im § 216 StGB und einer bloßen Einwilligung von einigen in Frage gestellt bzw. verneint wird.239 Andere sehen den Unterschied in dem für das Verlangen notwendigen „Bestimmt-worden-Sein“, das die rechtfertigende Einwilligung nicht voraussetzt.240 Ein Verlangen liegt nur bei Einwirkung des Opfers auf den Täterwillen vor: Der Täter muss erstens Kenntnis des Verlangens besitzen und zweitens dadurch bestimmt worden sein (im Sinne der Anstiftungsdogmatik).241 Hinsichtlich eines zuvor fest entschlossenen Täters ist nach herrschender Meinung trotz Kenntnis des Verlangens eine Privilegierung ausgeschlossen.242 Das Verlangen muss nicht der einzige Handlungsgrund sein. Bei Konkurrenz mehrerer Beweggründe muss das Opferverlangen nach h. M.243 und Rechtspre237 Fischer, StGB, § 216, Rn. 7a; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 248; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 73; Müller, § 216, S. 181; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 220. 238 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 13 f.; Chatzikostas Disponibilität, S. 51; Eisele, BT-I, S. 82; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 5 u. 9; Kindhäuser, BT, § 3, Rn. 10; Fischer, StGB, § 216, Rn. 7 ff.; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62a; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 111; Otto, JZ 2005, S. 800; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 25. Kritisch Hinz, JR 2016, S. 580. Ein Verlangen setze „eine besonders intensive Einwirkung des Lebensmüden auf die Willensbildung des Täters“ voraus. 239 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 13; Fischer, StGB, § 216, Rn. 7a; Müller, § 216, S. 181 f.; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 12; Mitsch, AnwKomm-StGB, § 216 Rn. 7. 240 Vgl. Mitsch, AnwKomm-StGB, § 216 Rn. 7. 241 Eisele, BT-I, S. 80; Fischer, StGB, § 216, Rn. 10; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 249; Kindhäuser, BT-I, § 3 Rn. 12; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 126; Kühl, Jura 2010, S. 85; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 74; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 220; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 25. 242 Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 9; Hinz, JR 2016, S. 579; Kudlich, JR 2005, S. 342; Kühl, Jura 2010, S. 85; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 74; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62; Otto, JZ 2005, S. 800; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 7; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 25; kritisch Scheinfeld, GA, 2007, S. 702 ff., welcher de lege ferenda § 216 beim schlichten Wissen um das Verlangen annimmt. 243 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 9; Eisele, BT-I, S. 82; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 249; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2

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chung244 der hauptsächlich bestimmende Grund gewesen sein. Eine Mindermeinung bejaht den Tatbestand sogar, wenn der Täterentschluss unter Vorbehalt der Opfereinwilligung bestand, also solange das Verlangen überhaupt ein Grund für die Tötung war.245 Diese weite Auffassung stehe im Einklang sowohl mit der Anstiftungsdogmatik246 als auch mit dem ursprünglichen Sinn des Tatbestandmerkmals.247 Sonst wäre der Begriff zu diffus248, weil die Feststellung der verschiedenen tatsächlich vorliegenden Beweggründe und deren Hierarchisierung (hinsichtlich der Frage, welche „handlungsleitend“ war) in der Praxis unmöglich sei.249 Letztlich reicht ein bedingungsloses bzw. nicht auf eine bestimmte Person gerichtetes Verlangen aus. Ein bedingtes (z. B. bezüglich bestimmter Tötungsmethoden)250 oder ein auf bestimmte Personen gerichtetes Verlangen251 wirkt nur insofern, als die Tatausführung bzw. der Täterkreis den Bedingungen entspricht. bb) Ausdrücklichkeit und Ernstlichkeit Ein ausdrückliches Verlangen muss nicht unbedingt in Worten erfolgen252, solange es eindeutig und unmissverständlich ist.253 Seine Vermutung aus den Umständen ist ausgeschlossen.254 Die Ernstlichkeit des Verlangens bezieht sich ausschließlich auf die Freiverantwortlichkeit der Opferentscheidung im Sinne der Einwilligungsdogmatik Rn. 62a; Kindhäuser, BT-I, § 3, Rn. 12; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 126; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 26. Kritisch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 16. Nicht das Verlangen, sondern die „verzweifelte Situation des Verlangenden“ sollte der hauptsächlich bestimmende Grund sein. 244 BGHSt 50, 80: Es muss „handlungsleitend“ sein. 245 Vgl. Hinz, JR 2016, S. 579; Kudlich, JR 2005, S. 342 f.; Müller, § 216, S. 183 ff.; Otto, JZ 2005, S. 800; Scheinfeld, GA, 2007, S. 708 f. 246 Vgl. Kudlich, JR 2005, S. 342. 247 Vgl. Scheinfeld, GA, 2007, S. 701. 248 Vgl. Scheinfeld, GA, 2007, S. 697. 249 Vgl. Scheinfeld, GA, 2007, S. 699 ff. 250 Vgl. Eisele, BT-I, S. 80; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 5; Kindhäuser, BT I, § 3 Rn. 14; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 111; Fischer, StGB, § 216, Rn. 7a; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 73; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 16. 251 Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 17; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 16. 252 Vgl. BGH JR 1988, 336; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6. 253 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 7; Eisele, BT-I, S. 81; Fischer, StGB, § 216, Rn. 8; Kindhäuser, BT, § 3, Rn. 10; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 124; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62a; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 18. 254 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 18; Eisele, BT-I, S. 80; Eser/ Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 7; Mitsch, AnwKomm-StGB, § 216 Rn. 8.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

(nicht auf seine Vernünftigkeit).255 Folglich wird die fehlerfreie Willensbildung eines Einsichts- und Urteilsfähigen vorausgesetzt, welcher die Bedeutung und die Konsequenzen des Verlangens abgewogen haben muss.256 Irrtümer, (absoluter bzw. kompulsiver) Zwang, psychische Störungen, Alkohol- und Drogenkonsum, Minderjährigkeit, Depressionen und Augenblicksstimmung sind Faktoren, die die Freiverantwortlichkeit bzw. Ernstlichkeit des Verlangens – abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles – ausschließen können.257 d) Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen weist keine Besonderheiten auf, er setzt Vorsatz voraus, welcher sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen muss.258 e) § 216 durch Unterlassen Die Frage, ob ein Garant, der auf ausdrückliches und ernstliches Verlangens des Opfers, eine Rettungshandlung unterlässt, nach §§ 216, 13 StGB zu bestrafen ist, wird von der ganz überwiegenden herrschenden Meinung hauptsächlich259 verneint260, weil die Garantenstellung bzw. Garantenpflicht in diesem Fall 255

Vgl. Kühl, Jura 2010, S. 85; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 106. Vgl. BGH, NStZ 2011, 340, 341; BGH, NStZ 12, 85; BGH NJW 1981, 932; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 18; Chatzikostas, Disponibilität, S. 51; Eisele, BT-I, S. 81; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 8; Kindhäuser, BT-I, § 3, Rn. 10; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 124; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 112; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62a; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 19; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 107. 257 Ausführlich Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 107 f. Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 18; Eisele, BT-I, S. 81; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 8; Fischer, StGB, § 216, Rn. 7a; Kindhäuser, BT-I, § 3 Rn. 10; Mitsch, AnwKomm-StGB, § 216 Rn. 9; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 22; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 62a; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 6. 258 Vgl. Eschelbach, BeckOK-StGB, § 216 Rn. 13; Kühl, Lackner/Kühl, § 216 Rn. 5; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 54. 259 Nur für den Fall, in dem der Garant wegen eines Irrtums bezüglich der Freiverantwortlichkeit des Schützlings die Rettung unterlässt, wird die Anwendung des § 216 durch Unterlassen angenommen. Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216, Rn. 10; Gössel/Dölling, BT, § 5 Rn. 3; Momsen, SSW-StGB, § 216 Rn. 12. Kritisch Chatzikostas, Disponibilität, S. 292, wer eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen sieht. 260 Vgl. Bartsch, FS-Achenbach, S. 16; Chatzikostas, Disponibilität, S. 290 ff.; Eschelbach, BeckOK StGB § 216 Rn. 5; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216, Rn. 10; Fischer, StGB, § 216 Rn. 6; Gössel/Dölling, BT, § 5 Rn. 3; Kindhäuser, BT, § 3 Rn. 13; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 83; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 72; Laber, Schutz des Lebens, S. 219; Magnus, Patientenautonomie, S. 272; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 2 Rn. 60; Momsen, SSW-StGB, § 216 Rn. 11; Müller, § 216 StGB, S. 220 ff.; Rengier, BT-II, § 7 Rn. 9; Wessels/Hettinger, BT-I, § 2 Rn. 161. 256

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fehle.261 Darüber hinaus würde die Annahme eines strafbaren Unterlassens zu systematischen Widersprüchen führen: Zum einen wäre dies mit dem Prinzip der Straflosigkeit der Teilnahme am freiverantwortlichen Suizid unvereinbar.262 Zum anderen wäre aus § 216 StGB eine mit dem Selbstbestimmungsrecht unvereinbare Handlungspflicht abzuleiten263, die auch im Widerspruch zu der einhellig angenommenen grundsätzlichen Rechtswidrigkeit von Zwangsbehandlungen steht.264 Deswegen wird angenommen, dass sich die im § 216 StGB vorgesehene Einwilligungssperre ausschließlich auf die aktive Tötung bezieht265, da die Norm nur die Vermeidung von Eingriffen in fremdes Leben bezwecke und nicht die Erhaltung eines Lebens um jeden Preis.266 Demgegenüber nimmt die Rechtsprechung die Möglichkeit einer Tötung auf Verlangen durch Unterlassen an267, mit der Folge, dass Garanten – insbesondere Ärzte – wegen der Nichthinderung eines freiverantwortlichen Suizids und auch bei Behandlungsunterlassen bestraft werden können.268 Eine Mindermeinung geht – oft ohne weitere dogmatische Begründung269 oder bezüglich anderer Sachverhalte270 – von der allgemeinen Strafbarkeit der Tötung durch Unterlassen auf Verlangen des Opfers aus. Ausgangspunkt ist, dass die Garantenpflicht nicht vom (sogar freiverantwortlichen) Willen des Schützlings abhängig sei.271 Die Strafbarkeit des Unterlassens hänge davon ab, „ob die Ab261 Siehe Beckert, Suizidbeteiligung, S. 301; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216, Rn. 10; Gössel/Dölling, BT, § 5 Rn. 3; Momsen, SSW-StGB, § 216 Rn. 11; Rengier, BT-II, § 6 Rn. 9; Roxin, NStZ 1987, S. 346; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 66. 262 Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 220; Momsen, SSW-StGB, § 216 Rn. 11; Wessels/Hettinger, BT, § 2 Rn. 161. 263 Vgl. Bartsch, FS-Achenbach, S. 16; Chatzikostas, Disponibilität, S. 291; Eschelbach, BeckOK-StGB § 216 Rn. 4; Fischer, StGB, § 216 Rn. 6; Laber, Schutz des Lebens, S. 220; Müller, § 216 StGB, S. 222. 264 Vgl. Heide, Medizinische Zwangsbehandlung, S. 19. 265 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 10; Kühl, Lackner/ Kühl, § 216 Rn. 4; Küpper/Börner, BT-I, § 1 Rn. 72. 266 Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 221; Magnus, Patientenautonomie, S. 272. 267 BGHSt 13, 162; BGHSt 32, 367, 373. Der BGH geht von der Möglichkeit aus, dass „sich ein Arzt in Fällen der vorliegenden Art durchaus wegen eines Tötungsdelikts – ggf. unter Privilegierung nach § 216 StGB – strafbar machen kann, wenn er die lebensrettende Versorgung des Suizidpatienten unterläßt.“ BGHSt 55, 191, 202. 268 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 10. 269 Siehe Helgerth, JR 1976, S. 46; Schmitt, JZ 1985, 365. 270 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 303 ff. Behauptet die Strafbarkeit nach §§ 216, 13 des Garanten, „der die Tötung auf Verlangen seines Schützlings, durch einen Dritten nicht verhindert“. In diesem Fall wäre tatsächlich eine Beihilfe durch Unterlassen zur Tötung auf Verlangen anzunehmen. Siehe Fischer, StGB, § 216 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT, § 2 Rn. 161 da der Garant „pflichtwidrig eine durch einen Dritten begangene Tat nach § 216 nicht verhindert“. 271 Herzberg, JA 1985, 177, 178 f.

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wendung des Suizids nach dem Sinn der Verantwortung“ zu der Garantenpflicht gehöre.272 Dementsprechend wäre der Unterlassungstatbestand hinsichtlich Beschützergaranten trotz freiverantwortlicher Entscheidung stets gegeben273 und die Straflosigkeit könnte nur aufgrund einer Rechtfertigung erfolgen (z. B. § 34 StGB für Fälle schwerer Krankheit).274 Im medizinischen Bereich wäre eine Garantenpflicht bezüglich der Selbsttötung nur gegeben, wenn der Sterbeentschluss mit dem behandelten Gesundheitsmangel zusammenhängt.275 Ein anderer auf den Bereich des Verzichts auf lebenserhaltende Maßnahmen beschränkter Ansatz sieht § 216 StGB als Grenze der Patientenverfügungsmöglichkeiten, sodass danach die Beachtung eines suizidalen Behandlungsverbots276 als Tötung auf Verlangen durch Unterlassen strafbar ist.277

B. Die Dogmatik der Suizidbeihilfe 1. Tatbestandslosigkeit und Rechtsmäßigkeit des Suizids Im deutschen Strafrecht ist der Suizid bzw. Suizidversuch nach fast einhelliger Meinung278 und ständiger Rechtsprechung279 tatbestandslos. Ausnahmsweise wird von der Tatbestandmäßigkeit des Suizids ausgegangen280, die sonst aus historischen, materiell-rechtlichen und systematischen Gründen überwiegend abgelehnt wird.281 272

Herzberg, JA 1985, 177, 179. Herzberg, JA 1985, 177, 179; Herzberg, ZIS 2016, S. 444 ff. 274 Herzberg, JA 1985, 177, 179; Herzberg, ZIS 2016, S. 444 ff. 275 Herzberg, JA 1985, 177, 179: Beispielsweise „wenn der Patient sich gerade wegen seiner suizidalen Neigung in die Behandlung begeben hat“ oder „wenn ein Krebsleiden, eine Beinamputation der Altersgebrechen den Grund bilden und die medizinische Fürsorge sich hierauf bezieht“. 276 Vgl. Kutzer, FS-Rissing-van Saan, S. 347: Ein suizidales Behandlungsverbot sei anzunehmen, wenn hochwirksame Medikamente, Reanimation, Operation, künstliche Ernährung oder Beatmung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Genesung führen würde, vorsätzlich abgelehnt worden sind. 277 Vgl. Kutzer, FS-Rissing-van Saan, S. 347. 278 Vgl. Gavela, Suizid, S. 8; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn 101; Kühl, Lackner/Kühl StGB, Vor §§ 211 Rn. 9; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 37; Palm, Selbsttötung, S. 11; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 1a. 279 RGSt 70, 313 (315); BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167 f.); 24, 342 (343); 32, 262 (263 f.); 32, 367 (371); 46, 279 (285). 280 Bringewat, ZStW 1975, S. 639 ff. geht von einem fiktiven Selbsttötungstatbestand aus. Schmidhäuser, FS-Welzel, S. 802 ff.; Klinkenberg, JR 1978, S. 441 ff. behaupten die Tatbestandsmäßigkeit i. S. d. § 212, da die Norm nur von der Tötung eines Menschen und nicht von der Tötung „eines anderen“ spricht. 281 Statt vieler Matthes-Wegfraß, Eigenverantwortung, S. 166 ff.; Palm, Selbsttötung, S. 31 ff.; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 226 f.; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 32 f. 273

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Ob die Tatbestandlosigkeit des Suizids aus seiner Rechtmäßigkeit folgt, ist umstritten. Während die Rechtsprechung282 und eine Mindermeinung283 ihn für rechtswidrig halten, behauptet die wohl herrschende Meinung in der Literatur284 und der EGMR285 seine materielle Rechtmäßigkeit, welche – wie gesehen286 – verfassungsrechtlich verankert ist.287 Einige ordnen den Suizid in einen rechtsfreien Raum ein288, da der Regelungsbereich dem Staat entzogen sei.289 Es handele sich um eine weder rechtmäßige noch rechtswidrige nicht verbotene Handlung, die „von keinem Schutzbereich der Grundrechte erfasst“ sei.290 2. Die Straflosigkeit der Beihilfe am freiverantwortlichen Suizid Aus der Tatbestandlosigkeit des Suizids folgt nach h. M.291 und Rechtsprechung292 unmittelbar die Tatbestandslosigkeit der Beihilfe zum freien Suizid, da die Teilnahmestrafbarkeit eine tatbestandsmäßige Haupttat voraussetzt. Neben 282 BGHSt 6, 147 (153): „Da das Sittengesetz jeden Selbstmord – von äußersten Ausnahmefällen vielleicht abgesehen – streng missbilligt, da niemand selbstherrlich über sein eigenes Leben verfügen und sich in den Tod geben darf . . .“ BGHSt 46, 279 (285) 7. Februar 2001: „Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmenfällen abgesehen – als rechtswidrig“ (BGHSt 6, 147, 153). Kritisch dazu: Matthes-Wegfraß, Eigenverantwortung, S. 183 f. 283 Schmidhäuser, FS-Welzel, S. 802 ff.; Klinkenberg, JR, 1978, S. 441 ff. behaupten die Rechtwidrigkeit des Suizids aufgrund eines Verstoßes gegen eine Pflicht zum Weiterleben gegenüber der Gemeinschaft. 284 Siehe nur die „Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe“ in: Hilgendorf/Rosenau, Medstra 2015, S. 129 ff. 285 EGMR NJW 2013, 2953, Ls. 3. „Das Recht einer Person zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben beendet sein soll, ist Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK, vorausgesetzt, sie kann ihren Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ 286 Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. 287 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 2; Grosse-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 257; Laber, Schutz des Lebens, S. 251; Matthes-Wegfraß, Eigenverantwortung, S. 90 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT-I, § 1 Rn. 19; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 44; Weißer, ZStW 2016, S. 128. 288 Kühl, Lackner/Kühl-StGB, Vor §§ 211 Rn. 9. 289 Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 50. 290 Vgl. Palm, Selbsttötung, S. 24 ff. Ähnlich Lüttig, ZRP 2008, S. 58. Kritisch Ostendorf, GA 84, S. 319. Ein rechtsfreier Raum sei „aufgrund der Freiheitsprämisse“ der deutschen Rechtsordnung inexistent, nach der alles, was nicht verboten ist, als rechtmäßig anzusehen sei. 291 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 24; Gössel/Dölling, BT, § 2 Rn. 80; Kraatz, Arztstrafrecht, § 6 Rn. 168; Kindhäuser, BT-I, § 3 Rn. 1; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 101; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 30. 292 RGSt 70, 313; BGHSt 2, 150; BGHSt 46, 279 (285); OLG München, NJW 1987, 2940.

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diesem formellen Argument wird der materielle Grund der Straflosigkeit in dem Eigenverantwortlichkeitsprinzips gesehen.293 Isolierte Ansätze versuchen die Strafbarkeit der Suizidteilnahme 294 zu begründen, welche jedenfalls aufgrund ihrer Gesetzwidrigkeit einhellig abgelehnt werden.295 3. Abgrenzung zwischen freiverantwortlichem und nicht freiverantwortlichem Suizid Im Rahmen der Suizidbeihilfe ist im deutschen Recht der vorausgesetzte Autonomiegrad eines freien Sterbeentschlusses unklar. Bisher hat die Rechtsprechung kein System entwickelt296, im Schrifttum dagegen lassen sich hauptsächlich zwei konkurrierende Kriterienbündel finden. Während ein Teil der Lehre297 den Freiverantwortlichkeitsausschluss nur auf die in den §§ 19, 20, 35 StGB, 3 JGG vorgesehenen Schuldunfähigkeitszustände einschränkt298 (Exkulpationslösung), schlägt ein anderer Teil vor299, die Freiverantwortlichkeit nach den subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung zu bestimmen (Einsichtsfähigkeit300 und mangelfreier 293 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 33 f.; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/ Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 35; Gavela, Suizid, S. 16 f.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 222 ff.; Palm, Selbsttötung, S. 39; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 34; Wessels/Hettinger, BT-I, § 1 Rn. 48. 294 Bringewat, ZStW 1975, 632, S. 639 ff. begründet die Strafbarkeit der aktiven Beteiligung am versuchten Suizid durch einen fiktiven gewohnheitsrechtlichen Suizidtatbestand. Schilling, JZ 1979, 159, 166 begründet die Strafbarkeit der Suizidteilnahme durch eine Ausdehnung des Täterschaftsbegriffs. 295 Siehe Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 38 ff. 296 In einigen Entscheidungen wird eine Annäherung an der Exkulpationslösung gesehen. Vgl. Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 37; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 118 ff. Beispiele in Dölling, Maiwald-FS, S. 121. A. A. Feldmann, Suizid, S. 204; Matthes-Wegfraß, Eigenverantwortung, S. 211 f. verneinen eine erkennbare Tendenz. 297 Statt vieler siehe Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 38 Fn. 150. 298 Folglich könnte nur der Suizid von Geisteskranken, Minderjährigen und der Suizid unter Notstandsvoraussetzungen nicht freiverantwortlich sein. Das Vorliegen einer seelischen Störung schließt die Freiverantwortlichkeit des Suizids nicht automatisch aus, sondern die Entscheidung muss mit der Geisteskrankheit zusammenhängen. Vgl. Neumann, NK-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 66. Bezüglich Minderjähriger ist umstritten, ob die Freiverantwortlichkeit strikt auf der Basis des Alters bestimmt werden soll. Nach Neumann, NK-StGB, Vor §§ 211 Rn. 67; Schneider, MüKo-StGB, 216 Rn. 21; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 115 sei entscheidend, ob der Suizid „auf altersbedingt defizienter Entscheidungskompetenz beruht.“ A. A. Mitsch, AnwKomm-StGB, Vor § 211 Rn. 18. Ein freiverantwortlicher Suizid sei bei Minderjährigen ausgeschlossen. Ähnlich Sinn, SK-StGB, § 216 Rn. 12. Der BGH sieht zumindest hinsichtlich Jugendlicher die Möglichkeit eines freiverantwortlichen Suizids (BGH 19, 135). 299 Statt vieler siehe Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 39 Fn. 152. 300 Die Einsichtsfähigkeit bezieht sich – bezüglich Eingriffe in Personenrechte – weder auf die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit noch hängt sie mit dem Alter des Opfers

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Wille301) oder sogar nach dem noch strengeren im § 216 StGB vorgesehenem Maßstab des privilegierenden Tötungsverlangens, welcher zusätzlich eine gewisse Festigkeit der Entscheidung voraussetzt („Ernstlichkeit“ 302). Obwohl beide Ansätze bezüglich eines im Schuldunfähigkeitszustand begangenen Suizids zu ähnlichen Ergebnissen kommen303, sind die Ergebnisse hinsichtlich anderer Fallkonstellationen trotzdem diametral entgegengesetzt. In den Fällen von Drohungen, die die Schwelle des § 35 StGB bzw. § 240 StGB nicht erreichen304, bei verminderter Schuldfähigkeit des Suizidenten (§ 21 StGB)305 und bei Irrtümern und Täuschungen306 führt die Exkulpationslösung zur Annahme einer freiverantwortlichen Entscheidung, während die Einwilligungslösung zu einem Freiverantwortlichkeitsausschluss führt. Einige Vertreter der Einwilligungslösung gehen sogar so weit zu behaupten, dass jeder Motivirrtum beachtlich ist.307 Die Vorzugswürdigkeit jeglichen Ansatzes hängt wesentlich von dem priorisierten kriminalpolitischen Zweck ab.308 Die Vertreter der Exkulpationslösung legen den Schwerpunkt auf die Rechtssicherheit, die die Exkulpationskriterien bieten, welche innerhalb der Einwilligungsdogmatik aufgrund der bestehenden

zusammen, sondern bezieht sich ausschließlich darauf, ob es nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung fähig war, die Bedeutung und Folgen der Handlung zu erkennen. Vgl. Heinrich, AT, S. 194; Kindhäuser, AT, § 12 Rn. 11; Krey/Esser, AT § 17 Rn. 660; Roxin, AT § 13 Rn. 84 f.; Schmidt, AT, S. 176. 301 Bzw. Abwesenheit von Drohung, Irrtum und Täuschung. Bezüglich Drohungen wird umstritten, ob und inwieweit eine unter der Nötigungsschwelle i. S. v. § 240 liegende Beeinträchtigung in die Willensfreiheit die Einwilligungswirksamkeit ausschließen kann. Vgl. Roxin, AT I, § 13 Rn. 113; Schmidt, AT, S. 180. Hinsichtlich Irrtümer und Täuschungen ist unklar, inwieweit ein vom Täter nicht bekannter Irrtum des Rechtsträgers (vgl. Kindhäuser, AT, § 12 Rn. 29 ff.; Roxin, AT, § 13 Rn. 111) oder eine Täuschung durch einen Dritten die Einwilligungswirksamkeit ausschließt. Vgl. Kindhäuser, AT, § 12 Rn. 23 ff.; Schmidt, AT, S. 179 f. 302 Magnus, Patientenautonomie, S. 119 „eines wirklichen stabilen Todeswunsches“; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 14 „eines überlegten Entschlusses“; Schneider, MüKoStGB, § 216 Rn. 19 „Willensfestigkeit.“ Eschelbach, BeckOK-StGB, § 216 Rn. 11; BGH NStZ 2011, 340; BGH NStZ 2012, 85; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder § 216 Rn. 8 „innere Festigkeit und Zielstrebigkeit“. 303 Vgl. Dölling, Maiwald-FS, S. 123; Gavela, Suizid, S. 21. 304 Bei Anwendung der Einwilligungslösung wäre die Freiverantwortlichkeit schon bei geringem Druck ausgeschlossen. Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 30; Gavela, Suizid, S. 21; Palm, Selbsttötung, S. 62. 305 Vgl. Gavela, Suizid, S. 21. 306 Vgl. Palm, Selbsttötung, S. 62. Nach der Exkulpationslösung sind Irrtümer unbeachtlich. Ob alle Motivirrtümer die Einwilligungswirksamkeit ausschließen ist umstritten. Vgl. Gavela, Suizid, S. 21; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 52. 307 Vgl. Eschelbach, BeckOK-StGB, § 216 Rn. 11; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 14; Sinn, SK-StGB, § 216 Rn. 8; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 22. 308 Vgl. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 116.

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Unklarheiten beeinträchtigt wird.309 Dagegen wird die Strenge der Einwilligungslösung durch die Ergebnisse der Suizidforschung unterstützt nach denen eine nicht unerhebliche Zahl, wenn nicht fast jeder Suizid, nicht freiverantwortlich sei310, was eine Aufopferung der Rechtssicherheit zugunsten des Lebensschutzes rechtfertigen mag.311 a) Kritische Ansichten der Freiverantwortlichkeitsdiskussion Jenseits der Fragwürdigkeit der wirklichen strafrechtsdogmatischen Natur der Diskussion312 und berechtigten Zweifeln an der Praktikabilität der Unterscheidung313 wird in letzter Zeit die Betrachtung des Freiverantwortlichkeitskriteriums als „Kernfrage der Selbsttötungsproblematik“ 314 in Frage gestellt. Zutreffend wird einerseits eingewandt, dass die Freiverantwortlichkeit in wichtigen Fallkonstellationen315 als Entscheidungskriterium untauglich erscheint.316 Die Fallentscheidung hänge meistens nicht von der Freiverantwortlichkeit ab, sondern von einer gefühlsmäßig getroffenen Entscheidung, welche anhand der Freiverantwortlichkeitskriterien nachträglich rationalisiert wird.317 Sogar in dem paradigmatischen Fall eines freien Suizids (bzw. der wohlerwogene Suizid eines unheilbaren Kranken, wobei die Freiverantwortlichkeit nach beiden Ansichten anzunehmen wäre318) könne eigentlich nicht von einer freien Entscheidung ge309 Vgl. Dölling, Maiwald-FS, S. 128; Neumann, Mitwirkung am Suizid, S. 56; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 116 ff. Ausführlich Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 54 ff. 310 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 35; Jähnke, LK-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 27 f.; Laber, Schutz des Lebens, S. 255; Matthes-Wegfraß, Eigenverantwortung, S. 211 Fn. 395. 311 Vgl. Gavela, Suizid, S. 23; ähnlich Chatzikostas, Disponibilität, S. 299; Laber, Schutz des Lebens, S. 255. 312 Vgl. Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 37 ff. Tatsächlich handele sich um eine kriminalpolitische und ethische Diskussion. 313 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 33. Der Nachweis der fehlenden Freiverantwortlichkeit (insbesondere der Vorsatz des Mitwirkenden diesbezüglich) sei im Strafverfahren undurchführbar. 314 Jähnke, LK-StGB, Vor § 211 Rn. 24 „Die Kernfrage der Selbsttötungsproblematik, auf die sich die Diskussion mehr und mehr zuspitzt, ist jedoch, wann ein echter Freitod, ein auf eigenverantwortlicher Willensbildung beruhender Selbsttötungsentschluß vorliegt.“ 315 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, S. 446 f. Fall 1: Ein Mafiaboss droht das Opfer mit der Tötung seines Kindes, es sei denn, dass es Suizid begeht. Es verlangt seinen Freund um seine Tötung. Fall 2: Ein schwerverletzter Soldat verlangt seinen Kameraden um seine Tötung. 316 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, S. 446 f. In diesen Fällen könne von Freiheit der Entscheidung kaum gesprochen werden. 317 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, S. 447. 318 Aus der Perspektive der Entschuldigungslösung vgl. Gavela, Suizid, S. 21. Aus der Perspektive der Einwilligungslösung vgl. Roxin, in: ders./Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht, S. 106.

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sprochen werden, da sie durch eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 35 StGB bedingt wird.319 Andererseits wird die Einseitigkeit der Diskussion dahingehend kritisiert, dass ein exzessiver Schwerpunkt auf die Frage der Freiverantwortlichkeit gelegt wird, während die weitere Frage nach der Verantwortung des Mitwirkenden vernachlässigt wird. Herrschend erscheint die Ansicht, dass das Fehlen der Freiverantwortlichkeit automatisch zur Übertragung der Tatherrschaft zu jedem Beteiligten führt320, ohne zu berücksichtigen, dass noch dazu ein steuerndes Element notwendig ist321, dem in Fällen der Suizidbeihilfe besondere Relevanz zukommt.322 Anstatt allein die Freiverantwortlichkeit zu berücksichtigen, wird befürwortet, nach den strafrechtlichen Verantwortungsbedingungen des Dritten zu fragen, wobei der Zustand und Wille des Suizidenten neben anderen Faktoren eine Rolle spielen.323 4. Beihilfe zum unfreien Suizid und dessen Nichthinderung Auch wenn die Frage nach den Voraussetzungen für eine Verantwortung eines Mitwirkenden am unfreien Suizid unklar ist, bleibt sie im Ergebnis hinsichtlich Garanten irrelevant, da sowohl das Unterlassen als auch die Beihilfe bei einem unfreien Suizids nach einhelliger Meinung als (nicht privilegiertes) Tötungsdelikt durch Unterlassen zu bestrafen wäre.324 Demgegenüber ist diese Frage von Bedeutung, wenn ein Nichtgarant Beihilfe zu einem unfreien Suizid leistet. Geht man von der Notwendigkeit eines steuernden Elements aus, dann wäre die Beihilfe nur als unterlassene Hilfeleistung zu bestrafen, da ein unfreier Suizidversuch einhellig als Unglücksfall angesehen

319 Herzberg, ZIS 2016, S. 446 nimmt in solchem Fall eine gegenwärtige Gefahr für Leib i. S. d. § 35. Ähnlich Müller, § 216, S. 138 Fn. 394. 320 Z. B. kategorisch Jähnke, LK-StGB, Vor § 211 Rn. 25: Die Freiverantwortlichkeit sei die „maßgebende rechtliche Anknüpfung“ . . . „Anderenfalls gelangt der mitwirkende Dritte zwangsläufig in eine täterschaftliche Position“; ders., Rn. 29 „. . . der Dritte, der die unfreie Selbsttötung nicht verhindert, ist mangels Beachtlichkeit des suizidalen Willens Täter.“ Siehe auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 24 ff.; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 37; Feldmann, Suizid, S. 232; Gavela, Suizid, S. 17; Laber, Schutz des Lebens, S. 275 f. 321 Vgl. Müller, § 216, S. 140 ff. 322 Müller, § 216, S. 140 f. „Erforderlich hierfür ist zusätzlich ein steuerndes Element, an dem es in den praktisch vor allem relevanten Fällen, in denen der Beitrag des Dritten strukturell einer Beihilfehandlung entspricht, nicht selten fehlen wird.“ 323 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, S. 446 ff.; Müller, § 216 StGB, S. 140 ff. 324 Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 40; Gavela, Suizid, S. 36; Kindhäuser, BT, § 4 Rn. 19; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 87; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 87; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 66; Sinn, SK-StGB, § 216 Rn. 17.

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wird.325 In diesem Fall verstößt die geleistete Beihilfe schon gegen § 323 c StGB, da die Norm nicht nur eine Erfolgsabwendungspflicht sondern auch eine Durchführungshinderungspflicht enthält.326 (Selbstverständlich könnte § 323 c StGB nicht als Quelle einer Garantenpflicht gelten, um die Nichthinderung als Tötung durch Unterlassen zu bestrafen327, weil eine Garantenpflicht aufgrund eines echten Unterlassungsdeliktes nicht begründet werden kann.)328 Dagegen wäre nach der Gegenansicht die Beihilfe zum unfreien Suizid als Tötung in mittelbarer Täterschaft zu bestrafen.329 5. Abgrenzung zwischen Tötungsdelikten und Suizidbeihilfe Das Problemfeld bezieht sich auf Fälle, die über die reinen Fälle einer Tötung auf Verlangen bzw. Suizidbeihilfe hinausgehen, wobei sowohl ein Dritter als auch das „Opfer“ die Tatherrschaft zu haben scheinen. Beispielfälle sind etwa das Vorliegen von für den Todeserfolg ungefähr gleich notwendigen Täter- und Opferbeiträgen330; der Opfervorbehalt (bzw. die Möglichkeit, den tödlichen Kausalverlauf zu unterbrechen)331; die Absicherung eines Suizidversuchs durch einen Dritten332 und die Verabreichung eines vergifteten Getränkes.333 325 Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 40; Neumann, NKStGB, Vor § 211 Rn. 88; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 81; Stein/Rudolphi, SK-StGB, § 323 c Rn. 8. 326 Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 40; Neumann, NKStGB, Vor § 211 Rn. 87; Sinn, SK-StGB, § 216 Rn. 19. 327 Vgl. Gavela, Suizid, S. 36 Fn. 204. 328 Vgl. Stree/Bosch, Schönke/Schröder, § 13 Rn. 57; Kühl, Lackner/Kühl-StGB, § 13 Rn. 7. 329 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 334; Gavela, Suizid, S. 21; Jähnke, LKStGB, Vor § 211 Rn. 25 ff. 330 Vgl. Herzberg, JA 1985, S. 137: Das Opfer vereinbart mit dem Täter, dass es auf die Straße springen wird, um von seinem LKW überrollt zu werden. 331 Siehe RG, JW 1921, 579 („Gashahn-Fall“); BGHSt 19, 135 („Gisela-Fall“). Es handelte sich um Fälle einseitig fehlgeschlagener Doppelsuizide, in denen das Opfer den Tod hätte vermeiden können. Auch wird der Sachverhalt diskutiert, in dem ein langsam wirkendes tödliches Gift injiziert und dem Opfer die Möglichkeit bleibt, ein Gegengift zu injizieren. 332 OLG München, NJW 1987, 2940. Das Opfer wollte durch Einspritzung von Scophedal Suizid begehen und hat seinen Neffen um Hilfe für den Fall eines Misslingens gebeten. Später – nachdem sich das Opfer die Spritze gesetzt hat – hat der Angeklagte, von dem Misslingen des Suizids ausgehend, dem Opfer noch eine tödliche Spritze gegeben. BGH MDR 1966, 382 „Frau B hatte von A verlangt, daß er sie erwürge, falls ihr eigener Versuch, sich zu vergiften oder zu erhängen, mißglücken sollte. Demzufolge hatte die B dem A dann auch den von ihr zur Hälfte geleerten Becher mit aufgelösten Medikamenten mit der Bitte gereicht, selbst die andere Hälfte erst zu trinken, wenn sie tot sei. In Ausführung des Gesamtplans kam es dazu, daß A die B durch Erwürgen tötete.“ 333 Siehe OLG München, NJW 1987, 2940. Ein Arzt hat ein Gift zur Verfügung seiner Patientin gestellt, sodass sie eigenhändig Suizid begehen könnte.

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Bezüglich aller dieser Fallkonstellationen besteht relativer Konsens darüber334, dass das Problem nach der Tatherrschaftslehre zu lösen ist.335 Trotzdem wird diskutiert, welche Konsequenz eine (Mit-)Tatherrschaft des Opfers hinsichtlich § 216 StGB hat: Während eine Mindermeinung die Mittäterschaft des Opfers für unentbehrlich bezüglich der Tatherrschaftsbegründung des Dritten hält (und folglich § 216 StGB annimmt), sieht die h. M. die Tatherrschaft des Opfers im Ausschlussverhältnis zu einer Tatherrschaft des Dritten, sodass ihr Vorliegen eine Strafbarkeit nach § 216 StGB ausschließe. a) Die Tatherrschaftslösung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung – nachdem sie im Rahmen des § 216 StGB ihr subjektives Abgrenzungskriterium aufgegeben hat336 – folgt einer auf der Teilnahmelehre basierten Lösung337, nach der die Tatherrschaft das maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung darstellt.338 Dementsprechend wird bei einem bis zuletzt In-denHänden-Halten des Geschehens durch einen Dritten eine Tötung auf Verlangen angenommen.339 Demgegenüber wird eine Suizidbeihilfe bejaht, wenn das Opfer „. . . bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal . . .“ 340 behält. Nach diesem Kriterium hat die Rechtsprechung die Tatherrschaft des Dritten bei eigenhändig begangenem Suizid verneint341 und sie bei nachträglicher Absicherung des Suizidversuchs durch den Dritten bejaht.342 Jedenfalls nimmt der 334 Vereinzelt wird die Abgrenzung nach einem psychologischen Kriterium vorgeschlagen. Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT, § 3 Rn. 42 oder nach dem objektiven und subjektiven Gewicht der Beiträge vgl. Jähnke, LK-StGB, § 216 Rn. 11. Beide Lösungen erscheinen kaum praktizierbar zu sein. Vgl. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 134. 335 Vgl. Hoven, ZIS 2016, S. 3; Palm, Selbsttötung, S. 93. 336 Vgl. BGHSt 13, 166 f. Anfänglich hat der BGH in einem Fall über Nichthinderung eines Suizids erklärt, dass die Abgrenzung zum § 216 – sei es durch Tun oder Unterlassen – nach dem Kriterium des Täterwillens (bzw. die Tat beherrschen wollen) erfolgen sollte. Nach dieser Ansicht schließe die Unterordnung des Dritten unter Willen des Opfers § 216 aus. Diese Lösung wurde in BGHSt 19, 135, 138 f. aufgegeben, weil § 216 stets die Unterordnung des Täters unter fremden Willen voraussetzt. 337 BGHSt 19, 135, 137; BGH MDR 1966, 382; BGH JR 1988, 336. 338 BGHSt 19, 135, 139; OLG München, NJW 1987, 2941; OLG München JZ 1988, 201 ff. 339 BGHSt 19, 135, 137 „Gab er sich in die Hand des Anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft.“ 340 BGHSt 19, 135, 139 f. 341 OLG München, NJW 1987, 2941 „Nach diesen Kriterien der Rechtsprechung scheidet eine unmittelbare Begehungstäterschaft aus. Das Gift wurde Frau E nicht eingeflößt. Sie hat den Giftbecher vielmehr ohne Hilfe Dritter selbst zum Mund geführt und das Gift getrunken. Damit hat sie den lebensvernichtenden Akt eigenhändig ausgeführt.“ 342 Siehe OLG München NJW 1987, 2941; BGH MDR 1966, 382.

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BGH die Möglichkeit einer Tatherrschaftsverneinung des Dritten bei einem Opfervorbehalt an, solange der Vorbehalt Teil des Gesamtplans war.343 b) Die strenge Tatherrschaftslösung Eine strengere Lösung, die jeden Opfervorbehalt stets für unbeachtlich hält344, wird von einer Mindermeinung vertreten, die schon bei ungefähr gleichgewichtigen Täter- und Opferbeiträgen in der Tatausführung eine mittäterschaftlich begangene und folglich zurechenbare Tötung auf Verlangen annimmt.345 Die Tatherrschaft des Opfers schließt die Zurechnung des Tötungsunrechts hinsichtlich des anderen Mittäters im Sinne von § 216 StGB nicht aus.346 Eine straflose Suizidmitwirkung komme nur in Betracht, insofern der Beitrag des Dritten den vom Opfer eigenhändig begangenen Suizid vorstrukturiert oder begleitet.347 Vereinzelt wird sogar so weit gegangen zu behaupten, dass in Arzt-PatientenVerhältnissen die vom Opfer freiverantwortlich und eigenhändig geführte Selbsttötung die Tatherrschaft des Dritten und folglich eine Strafbarkeit des Arztes nach § 216 StGB nicht ausschließe.348 Da es nach dieser Ansicht allein auf die Tatherrschaft des Dritten ankommt, hängt die Strafbarkeit von minimalen Unterschieden ab und führt meistens zur Strafbarkeit des Dritten.349 Um die möglichen harten Folgen des Ansatzes zu mildern, wird vorgeschlagen, die Tatumstände bei der Strafzumessung zu berücksichtigen350 und für die Fallkonstellationen des einseitig fehlgeschlagenen Dop-

343 Vgl. BGHSt 19, 135, 140. Sieht der Plan keinen Opfervorbehalt vor, dann müsse eine Tötung auf Verlangen angenommen werden, auch wenn das Opfer die tatsächliche Möglichkeit hatte, sich vom Tod zu entziehen, da die Strafbarkeit nicht von Zufälligkeiten abhängen könnte bzw. nicht nachträglich zu bestimmen sein kann. 344 Vgl. Schneider, MüKo-StGB § 216 Rn. 47. 345 Kutzer, NStZ 1994, S. 112; Herzberg, JA 1985, S. 137, ders., Täterschaft, S. 78, ders., ZIS 2016, S. 443; ähnlich Safferling, Matt/Renzikowski-StGB, Rn. 17. Einsetzen eines kausalen Tatbeitrages, „der geeignet und bestimmt ist, den Tod des Opfers herbeizuführen.“ und Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 48, 51 f. „Anwendung der tradierten kausalitätsorientierten Tatherrschaftsmuster . . . ohne Einschränkung.“ 346 Kutzer, NStZ 1994, S. 112; Herzberg, JA 1985, S. 127; Safferling, Matt/Renzikowski StGB, § 216, Rn. 17; Schneider, MüKo-StGB § 216 Rn. 49. 347 Vgl. Herzberg, Täterschaft, S. 80; Safferling, Matt/Renzikowski-StGB, § 216, Rn. 17; Schneider, MüKo-StGB § 216 Rn. 52. Zust. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 137. 348 Vgl. Kutzer, NStZ 1994, S. 112. Ähnlich Herzberg, ZIS 2016, S. 443. Kritisch Schneider, MüKo, § 216 Rn. 48 Fn. 132 „. . . derartige Konstellationen sind eindeutig als Suizid einzuordnen.“ Ähnlich Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 193 f. 349 Herzberg, ZIS 2016, S. 443 „Beurteilt nach den Kategorien von Täterschaft und Teilnahme, stellen sich die meisten Akte ursächlichen Mitwirkens, die zur straflosen Beihilfe erklärt werden, in Wahrheit als mittäterschaftliche Tötung dar.“ 350 Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 53.

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pelsuizids die Möglichkeit eines Absehens von Strafe nach § 60 StGB zu erwägen.351 c) Die Modifizierte Tatherrschaftslösung Die herrschende Meinung weicht im Rahmen des § 216 StGB von dem üblichen Tatherrschaftskriterium, dass schon eine Mittatherrschaft in der Ausführungsphase die Täterschaft der Beteiligten begründet und schlägt folglich eine Modifizierung des Kriteriums vor, nach dem für die Falllösung ausschließlich die Herrschaft über den todbringenden Moment entscheidend sein sollte.352 Der Grund der Fokussierung auf diesen Punkt liegt darin, dass – unabhängig von der Arbeitsteilung während der Ausführungsphase – entweder das Opfer oder der Dritte den spezifischen Todeserfolg beherrscht.353 Solange das Opfer den todbringenden Moment beherrscht, müsse das Geschehen als ein dem Dritten nicht zurechenbarer Suizid verstanden werden.354 In der Konsequenz könne § 216 StGB nur durch alleinige Tatherrschaft des Dritten verwirklicht werden: Zurechenbares Tötungsunrecht liege nur bei unmittelbarer täterschaftlicher Begehung der Tötung vor355, welche durch einen Opfervorbehalt356 oder mittäterschaftsähnliche Mitwirkung357 des Opfers ausgeschlossen wird. Trotz der konzeptuellen Kohärenz des Ansatzes ist die Konkretisierung des modifizierten Tatherrschaftskriteriums im Einzelfall äußerst problematisch.358 Zunächst hängt die Strafbarkeit beim Vorliegen von Beiträgen des Dritten und des Opfers, die für den Todeserfolg ungefähr gleich kausal sind, von minimalen Unterschieden ab. Beispielsweise im zitierten LKW-Fall (oben siehe Fn. 357) würde die Strafbarkeit davon abhängen, ob der Fahrer ausweichen bzw. stoppen konnte.359 351 Vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 80; Safferling, Matt/Renzikowski-StGB, § 216, Rn. 18. 352 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 39, 272; Gössel/Dölling, BT-I, § 2 Rn. 85; Kindhäuser, BT-I, § 4, Rn. 9; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 145; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 109; Palm, Selbsttötung, S. 116 f.; Rengier, BT-II, § 8 Rn. 8; Roxin, Täterschaft, S. 572; Wessels/Hettinger, BT-I, § 2 Rn. 164. 353 Vgl. Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 9. 354 Vgl. Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 10; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 110; Gössel/Dölling, BT, § 2 Rn. 85, 91; Roxin, in: GA-FS, S. 185; ders., Täterschaft, S. 569. 355 Vgl. Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 9; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 5. 356 Chatzikostas, Disponibilität, S. 39, 272; Gössel/Dölling, BT, § 2 Rn. 85; Krey/ Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 109; Rengier, BT-II, § 8 Rn. 10; Roxin, Täterschaft, S. 571; Ziethen, ZIS 2007, S. 372. 357 Roxin, in: GA-FS, 185 „Wie die Mittäterschaft eine Täterschaft ist, sollte ein Suizid schon bejaht werden, wo jemand den point of no return nur mitbeherrscht hat.“ 358 Vgl. Schroeder, ZStW 1994, S. 576. 359 Roxin, in GA-FS, S. 185 „Wirft sich B so unter die Räder, daß A nicht mehr ausweichen oder stoppen kann, ist ohne Zweifel dem B die letzte, todbringende Handlung

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Außerdem ist die Feststellung des entscheidenden todbringenden Moments unklar.360 Zum Beispiel im Fall der oralen Verabreichung von tödlichem Gift kommt man zur Straflosigkeit bzw. Strafbarkeit, je nachdem, ob man den todbringenden Moment beim Hinunterschlucken oder beim Becherhalten sieht.361 Darüber hinaus besteht keine Einigkeit, wann ein tatherrschaftsbegründender Opfervorbehalt anzunehmen ist. Während die Möglichkeit des Opfers, sich selbst dem Todeserfolg entziehen zu können, als tatherrschaftsbegründend angesehen wird362, sind Sachverhalte, in denen dem Opfer rettende Gegenmaßnahmen zur Verfügung stehen, umstritten.363 Schließlich wird in Fällen von Erfolgsabsicherung eines Suizidversuchs eine extreme Normativierung der Tatherrschaft vorgeschlagen, nach der eine eindeutige Tötungshandlung als „absichernde Handlung von geringem Gewicht“ zu bewerten sei, um die Straflosigkeit zu begründen.364

C. § 217 StGB: Die geschäftsmäßige Suizidförderung 1. Das Unrecht der geschäftsmäßigen Suizidförderung a) Nach dem Gesetzgeber Laut dem deutschen Gesetzgeber stellt § 217 StGB eine Reaktion auf die Zunahme der Zahl geschäftsmäßiger Suizidbeihilfen in Deutschland dar.365 Verhindert werden soll eine den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben schwächende366 Normalisierung der Suizidbeihilfe, welche Menschen zum Suizid verzuzurechnen . . . Wenn dagegen B sich auf die Straße legt und A ihn überfährt, ohne daß B dem noch entkommen könnte, hat A eine Tötung auf Verlangen gegangen.“ 360 Vgl. Eschelbach, BeckOK-StGB, § 216, Rn. 4; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 49 f.; Schroeder, ZStW 1994, S. 576. 361 Siehe Fischer, StGB, § 216 Rn. 4a; Jähnke, LK-StGB, § 216 Rn. 11. 362 Paehler, MDR 1964, S. 648; Mitsch, AnwKomm-StGB, § 216 Rn. 4; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 6; Sternberg-Lieben/Eser, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; Ziethen, ZIS 9/2007, S. 372. 363 Verneinend Palm, Selbsttötung, S. 109; Neumann, NK-StGB, § 216 Rn. 7; Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 10; bejahend Roxin, in: 140 Jahre GA, S. 185: Das Opfer habe Tatherrschaft, weil es „nach der Injektion die Entscheidung über Leben und Tod in der Hand hatte“. 364 Vgl. Roxin, NStZ 1987, 347. Kritisch Chatzikostas, S. 273 Fn. 213; Hohmann/ König, NStZ 1989, S. 305. Stattdessen wird einen Zurechnungsausschluss auf der Basis des Eigenverantwortlichkeitsprinzips vorgeschlagen. Kritisch zur Hohmann/König’s Lösung Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 51. § 216 schließt die Berücksichtigung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips ausdrücklich aus. Zustimmend Safferling, Matt/Renzikowski-StGB, § 216, Rn. 16. 365 Siehe BT-Drs. 18/5373, S. 9. Es werden keine konkreten Ziffern gegeben, sondern nur anekdotische Presseberichte. 366 BT-Drs. 18/5373, S. 9.

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leite367 und den Willensbildungs- und Entscheidungsvorgang beeinflusse.368 Deshalb soll die Norm – von der Annahme ausgehend, dass das Angebot die Nachfrage bestimmt369– das Recht auf Leben und die menschliche Selbstbestimmung vor diesen Gefahren (Erhöhung der Suizide und des sozialen Drucks) schützen.370 Das BVerfG hat im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens entschieden, dass die vom Gesetzgeber genannten Gefahren rationell begründet und nicht offensichtlich fehlerhaft sind.371 b) Die Ansicht der deutschen Strafrechtswissenschaft Neben verfassungsrechtlichen Einwänden wird die Norm aus unterschiedlichen Gründen fast einhellig abgelehnt.372 Zunächst wird ihre Systemwidrigkeit betont, da die wesentliche Rechtmäßigkeit eines freiverantwortlichen Suizids – nicht nur aus formellen akzessorietätsbezogenen systematischen Gründen, sondern auch materiell rechtlich373 – zur Straflosigkeit jeder Teilnahme daran führen sollte.374 Die Geschäftsmäßigkeit einer im Prinzip rechtmäßigen akzessorischen Handlung könne kein Unrecht begründen.375 Jenseits der Systemwidrigkeit der Norm werden die faktischen Prämissen, die das der Norm zugrunde liegende Gefährdungsunrecht begründen mögen, heftig in Frage gestellt. Hauptsächlich wird eingewandt, dass weder die Gefahr einer den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben schwächende376 Normalisierung377

367 BT-Drs. 18/5373, S. 2 „Eine Korrektur ist aber dort erforderlich, wo geschäftsmäßige Angebote die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheinen lassen und Menschen dazu verleiten können, sich das Leben zu nehmen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung zu verhindern.“ 368 BT-Drs. 18/5373, S. 11: Zum einen durch die Einbeziehung von Gehilfen, die Eigeninteressen verfolgen. BT-Drs. 18/5373, S. 8, zum anderen durch die Erzeugung eines Erwartungsdruckes. 369 BT-Drs. 18/5373, S. 2 „Ohne die Verfügbarkeit solcher Angebote würden sie eine solche Entscheidung nicht erwägen, geschweige denn treffen.“ 370 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 2 f. 371 Vgl. BVerfG, NJW 2016, S. 559. 372 Siehe nur die von 144 Strafrechtswissenschaftlern unterzeichnete Stellungnahme zum § 217 Hilgendorf/Rosenau, Medstra 2015, S. 129 ff. 373 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, S. 449. 374 Vgl. Hoven, ZIS 2016, S. 3. 375 Vgl. Duttge, NJW 2016, S. 122; Grünewald, JZ 2016, S. 944; Herzberg, ZIS 2016, S. 449; Hoven, ZIS 2016, S. 3; Hillenkamp, KriPoz, S. 6; Maurach/Schroeder/ Maiwald, Strafrecht BT-I, § 1 Rn. 23; Weißer, ZStW 2016, S. 131; Roxin, NStZ 2016, S. 186. 376 Vgl. Hoven, ZIS 2016, S. 4 „Die Sorge vor einer generelleren Relativierung des Lebensschutzes bleibt daher eine Mutmaßung ohne rationale Basis.“ 377 Vgl. Kreß, JfWuE 2016, S. 31.

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der Suizidbeihilfe noch die Verleitungs-378 bzw. Autonomiebeeinträchtigungsgefahr379 vom Gesetzgeber in hinreichender Weise nachgewiesen worden sind, sodass die Rechtfertigung der Norm zweifelhaft erscheint.380 Aufgrund der exzessiven Weite des Tatbestandsmerkmales der „Geschäftsmäßigkeit“ wird weiterhin die kriminalpolitische Wirkung der Norm kritisiert, weil sie in der Praxis allgemein verbietende Wirkung hinsichtlich der Suizidbeihilfe habe, da sie die Tür für unkalkulierbare Strafbarkeitsrisiken insbesondere für Ärzte und Pflegepersonal eröffnet habe.381 Um Strafbarkeitsrisiken zu vermeiden, werden Ärzte rücksichtvoller, vermeiden Suizidbesprechungen und könnten damit den Patienten zu brutalen Suizidformen bewegen.382 Eine Mindermeinung stimmt der gesetzgeberischen Begründung zu383 und sieht weder rechtliche Einwände gegen § 217 StGB384 noch ärztliche Strafbarkeitsrisiken.385 Neben der vom Gesetzgeber gegebenen Unrechtsbegründung wird als eigenständiges Unrecht der geschäftsmäßigen Suizidförderung das Profitieren mit dem Tod genannt, welches einem fundamentalen gesellschaftlichen Grundkonsens widerspreche386 und ebenso die Gefahr mangelnder „Durchdachtheit des Sterbewunsches“.387

378 Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 387; Neumann, NK-StGB, Vor §§ 211 Rn. 148 ff.; Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 681: Kein Nachweis eines Kausalzusammenhanges zwischen geschäftsmäßigem Suizidbeihilfeangebot und Zunahme von Suiziden. 379 Die Gefahr eines autonomiebeeinträchtigenden sozialen Drucks sei weder nachgewiesen worden (vgl. Posa, DMW, S. 896) noch hänge er mit der Geschäftsmäßigkeit der Suizidbeihilfe zusammen. Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 387; Grünewald, JZ 2016, S. 946; Hoven, ZIS 2016, S. 6. 380 Vgl. Grünewald, JZ 2016, S. 945; Hillenkamp, KriPoz 2016, S. 7; Neumann, NKStGB, Vor §§ 211 Rn. 148 ff.; Oglakcioglu, BeckOK-StGB, § 217 Rn. 1; Weißer, ZJS 2016, S. 530. 381 Vgl. Brade, JA 2016, S. 930 f.; Duttge, NJW 2016, S. 124; Grünewald, JZ 2016, S. 944; Hillenkamp, KriPoz, S. 8; Hoven, ZIS 2016, S. 7 f.; Kreß, JfWuE 2016, S. 32 f.; Kubiciel, ZIS 2016, S. 401; Roxin, NStZ 2016, S. 190; Weißer, ZStW 2016, S. 131 f. 382 Vgl. Brade, JA 2016, S. 931; Duttge, NJW 2016, S. 124; Gaede, JuS 2016, S. 387; Hilgendorf/Rosenau, Medstra 2015, S. 129; Hoven, ZIS 2016, S. 8; Kreß, JfWuE 2016, S. 30; Oglakcioglu, BeckOK-StGB, § 217 Rn. 7; Weißer, ZStW 2016, S. 135. A. A. Roxin, NStZ 2016, S. 188. Die Norm bezwecke dem Suizidenten zu einer lebenswerten Alternative zu bewegen. 383 Vgl. Gärditz, ZfL 2015, S. 115. Die geschäftsmäßige Suizidförderung könne „Eigendynamiken entfalten und eine Normalität suggerieren, in die Betroffene in schweren Lebensphasen unter Kontrollverlust hineingezogen werden. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und ein vernünftiger Verbotsgrund.“ 384 Vgl. Jurgeleit, NJW 2015, S. 2714 (ohne Begründung zu geben). 385 Vgl. Lüttig, ZRP 2008, S. 59 f. 386 Vgl. Lüttig, ZRP 2008, S. 59 f. 387 Vgl. Kubiciel, ZIS 2016, S. 399. Nimmt trotzdem einen Tatbestandausschluss an, wenn „keine Gefahr einer voreilig-undurchdachten Lebensaufgabe“ besteht.

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2. Dogmatik des § 217 StGB a) Der objektive Tatbestand Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, welches sich auf die Situation im Vorfeld des Suizidversuchs bezieht: Der Suizid(versuch) selbst gehört nicht zum Tatbestand.388 Der Gehilfe macht sich bereits strafbar, wenn er eine Gelegenheit zum Suizid bietet, selbst wenn das „Opfer“ die Gelegenheit nicht wahrnimmt.389 aa) Der tatbestandliche Selbstmordbegriff: Suizid durch Tun und Unterlassen? Da keine gesetzliche Definition des Selbstmordes besteht und der Begriff „Selbstmord“ auch passive Suizidmodalitäten erfasst390, ist unklar, ob nur ein unmittelbar tötendes aktives Tun des Suizidenten391 oder auch ein tödliches Unterlassen vom Tatbestand erfasst sein könnte.392 bb) Die „Gelegenheit zum Suizid“: Reine oder qualifizierte Beihilfe? Kaum problematisiert wird das Tatbestandsmerkmal der „Gelegenheit“, welches neben der „Geschäftsmäßigkeit“ ausschlaggebend für die Bestimmung der Tatbestandsreichweite ist. Anscheinend geht der Gesetzentwurf davon aus, dass „Gelegenheit“ im Sinne des Beihilfebeitrags nach § 27 StGB verstanden werden soll.393 Folglich wäre jeder zur Ermöglichung, Erleichterung oder Absicherung eines Suizids geeignete394 physische bzw. psychische Beitrag tatbestandsmäßig. 388

Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 388; Weißer, ZJS 2016, S. 527. Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 682; Weißer, ZJS 2016, S. 527. 390 Vgl. Brunhöber, MüKo-StGB, § 217 Rn. 42; Kreß, JfWuE 2016, S. 33. 391 In diesem Sinne anscheinend Oglakcioglu, BeckOK-StGB, § 217 Rn. 15 „Akte, bei denen die Tötung letztlich nur mittelbar eintritt, per se nicht dem Tatbestand unterfallen. Damit fallen indirekte wie auch passive Sterbehilfe per se nicht unter den Anwendungsbereich.“ 392 Vgl. Kreß, JfWuE 2016, S. 33 fragt nach der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Beteiligung am passiven Suizid (z. B. das zum Tod führenden Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit). Duttge/Simon, NStZ 2017, S. 512 ff. schlagen diesbezüglich eine teleologische Tatbestandeinschränkung vor. 393 Im Gesetzentwurf wird von Suizidbeihilfe gesprochen und als tatbestandmäßige Handlungen werden die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten (vgl. BT-Drs. 18/ 5373, S. 11) und die auf die Förderung eines Suizids gerichtete Kommunikation- bzw. Informationsaustausch genannt (vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 18). Grünewald, JZ 2016, S. 942 „es hier substanziell lediglich um Beihilfe geht“. 394 Vgl. Grünewald, JZ 2016, S. 941: Da es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, nimmt die Möglichkeit an, dass auch „erfolglose und möglicherweise sogar untaugliche Förderungshandlungen“ vom Tatbestand erfasst sein könnten. A. A. vgl. Duttge, NJW 2016, S. 121. Ein untauglicher Beitrag wäre keine Gelegenheit. BT-Drs. 18/5373, S. 18 „Gewähren oder Verschaffen einer Gelegenheit setzt voraus, dass der 389

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Aufgrund der zahllosen Mittel zum Suizid, die fast jedem (mit Ausnahme von Bewegungsunfähigen) zur Verfügung stehen, wird eine Einschränkung dieses Tatbestandmerkmales vorgeschlagen. Eine Suizidgelegenheit sei nur tatbestandsmäßig, wenn sie ein Plus (z. B. Schmerzlosigkeit) im Vergleich zu den allgemein zur Verfügung stehenden Suizidmethoden bietet oder sie dem Suizidenten nicht allgemein verfügbare Medikamente oder nicht allgemein zugängliche Informationen zur Verfügung stellt.395 Demgegenüber wäre die reine psychische Unterstützung396 oder die Bereitstellung von Räumlichkeiten397 keine Suizidgelegenheit. cc) Gewähren oder Verschaffen einer Suizidgelegenheit Ein Gewähren oder Verschaffen einer Suizidgelegenheit liegt vor, wenn der Täter dem Suizidenten eine ihm schon zur Verfügung stehende (Gewähren) bzw. eine von ihm herzustellenden/zu erlangenden (Verschaffen) konkrete398 Gelegenheit zum Suizid ermöglicht oder erleichtert.399 Nach Ansicht des Gesetzgebers liegt ein vollendetes strafbares Gewähren bzw. Verschaffen bereits vor, „wenn die äußeren Bedingungen für die Selbsttötung günstiger gestaltet worden sind.“ 400 Demgegenüber wird die Vollendung – nach dem Wortsinn der Verben „Gewähren“ und „Verschaffen“ – davon abhängig gemacht, dass die Gelegenheit den Suizidenten tatsächlich erreicht.401 Andere setzen voraus, dass das Opfer unmittelbar zum Suizid ansetzt.402 dd) Vermitteln einer Suizidgelegenheit Das Vermitteln besteht in der Ermöglichung des Kontaktes zwischen Suizident und Gehilfe und setzt eine Verbindung des Täters mit beiden Personen samt der Abklärung der Hilfsbereitschaft voraus.403 Täter äußere Umstände herbeiführt, die geeignet sind, die Selbsttötung zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern.“ 395 Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 683, 685. 396 Vgl. Brunhöber, MüKo-StGB, § 217 Rn. 46; Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 685. 397 Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 684. Beispielsweise die vorsätzliche Vermietung eines Hotelzimmers zum Suizid und sogar die Einrichtung eines Suizid-Hotels, vorausgesetzt, dass keine Suizidmittel vorhanden sind. 398 BT-Drs. 18/5373, S. 18 „Bloße Handlungen im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsgefährdung sind ebenfalls nicht Gegenstand der Neuregelung . . . soweit sie nicht . . . einer konkreten Gelegenheit zur Selbsttötung ausgerichtet sind.“ 399 BT-Drs. 18/5373, S. 18. 400 BT-Drs. 18/5373, S. 18. Ohne Einwand Gaede, JuS 2016, S. 386. 401 Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 684. 402 Vgl. Oglakcioglu, BeckOK-StGB, § 217 Rn. 17; Kubiciel, ZIS 2016, 402. Gegen diese zeitlich restriktive Auslegung Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 684, denn es bestehe kein Grund, den Tatbestand zu verneinen, wenn der Suizid nach dem Gewähren oder Verschaffen der Gelegenheit nicht unmittelbar in Anspruch genommen wird. 403 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 18.

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Nach Ansicht des deutschen Gesetzgebers setzt die Vollendung der Tat nicht den Kontakt zwischen Suizident und Gehilfe voraus; schon die Vorbereitung des Kontaktes im oben genannten Sinne reicht aus.404 Demgegenüber wird – aus unrechtsbezogenen405 und sprachlichen406 Gründen – vorgeschlagen, die Vollendung erstens von einem erfolgreichen Kontakt und zweitens einem effektiven Zurverfügungstellen der Suizidgelegenheit zugunsten des Suizidenten abhängig zu machen.407 ee) Geschäftsmäßigkeit Die bloße Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Suizidgelegenheit allein ist nicht strafbar, es sei denn, dass sie geschäftsmäßig erfolgt. Dieses Tatbestandmerkmal setzt weder eine Gewinnerzielungsabsicht noch einen Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit, sondern nur eine Wiederholungsbereitschaft vonseiten des Täters voraus.408 Erforderlich ist nicht die tatsächliche Wiederholung der Tätigkeit, sondern bereits die Absicht zur Wiederholung.409 Folglich wäre sogar eine erstmalige tatbestandliche Handlung eines wiederholungsbereiten Gehilfen strafbar.410 Eingewendet wird, dass der Nachweis einer Wiederholungsabsicht äußerst schwierig ist411, sodass jede Suizidbeihilfe potentiell strafbar sein könne insbesondere im Gesundheitswesen412, weil sich eine solche Absicht niemals sicher 404 BT-Drs. 18/5373, S. 18 „. . . müssen allerdings für die Vollendung der Tat diese beiden Personen noch nicht selbst miteinander in Kontakt getreten sein.“ Vgl. Weißer, ZJS 2016, S. 527. 405 Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 685. Es bestehe eine Unrechtsdiskrepanz zwischen Gewähren bzw. Verschaffen und die vom Gesetzgeber vorgeschlagene Auslegung des Vermittelns: Während das Gewähren bzw. Verschaffen das Gewicht einer Beihilfe hätten, sei ein so verstandenes Vermitteln „eine bloße Hilfstätigkeit im Vorfeld der eigentlich inkriminierten abstrakten Lebensgefährdung“. 406 Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 686. Das „Vermitteln“ müsse „im Sinne einer erfolgreichen Vermittlungstätigkeit“ verstanden werden, da es sich um eine „Gelegenheit zur Selbsttötung“ handelt und nicht um eine Gelegenheit „für den Suizidenten, sich die Möglichkeit eines Zugangs zum Suizid erst durch eigene Tätigkeit . . . zu verschaffen“. 407 Vgl. Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 685. 408 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 17. 409 BT-Drs. 18/5373, S. 18 „Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen.“ 410 Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 17. Dagegen Hillenkamp, KriPoz, S. 8. Die Geschäftsmäßigkeit sei kein rein subjektives Tatbestandmerkmal und seine objektive Seite setze voraus, dass die „Hilfe . . . zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil seiner Tätigkeit“ gemacht wird. Somit könne Geschäftsmäßigkeit bei der ersten Tat nicht behauptet werden, obwohl eine entsprechende Absicht vorliegt. Auch kritisch Grünewald, JZ 2016, S. 944. 411 Duttge, NJW 2016, S. 122; Roxin, NStZ 2016, S. 189; Weißer, ZJS 2016, S. 527. 412 Duttge/Simon, NStZ 2017, S. 515 „. . . wird es an der ,Geschäftsmäßigkeit‘ medizinischen Unterstützungshandelns kaum einmal fehlen . . .“

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ausschließen lässt.413 Aufgrund der begrifflichen Weite dieses Tatbestandmerkmales wird hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit eine Tatbestandeinschränkung vorgeschlagen, um Strafbarkeitsrisiken zu minimieren, sodass die von Ärzten bzw. Pflegepersonal regelmäßig geleistete Suizidbeihilfe nicht als geschäftsmäßig anzusehen wäre, es sei denn, dass sie die Hauptdienstleistung darstellt.414 b) Der subjektive Tatbestand Hinsichtlich der tatbestandmäßigen Handlung und seiner Geschäftsmäßigkeit reicht Eventualvorsatz aus.415 Darüber hinaus setzt die Norm die Absicht voraus, den Suizid zu fördern (nicht die Beabsichtigung des Suizids selbst).416 Fehlt die Förderungsabsicht, ist die Handlung straflos, auch wenn sie geschäftsmäßig erfolgt (z. B. Behandlungsabbruch, indirekte Sterbehilfe, allgemeine Hinweise für eine mögliche Selbsttötung ohne Förderungsabsicht).417 Da sich die Absicht ausschließlich auf die innere Einstellung des Täters bezieht, wird ihre schwierige Nachweisbarkeit kritisiert, weil sie letztlich Anlass zu erheblicher Willkür gibt und kein sicheres Abgrenzungskriterium (sogar hinsichtlich der erlaubten Sterbehilfekategorien) liefert.418 c) Allgemeine teleologische Tatbestandeinschränkung? In Fällen, in denen „keine Gefahr einer voreilig undurchdachten Lebensaufgabe“ besteht, wäre die Tatbestandsmäßigkeit zu verneinen, auch wenn geschäftsmäßig gehandelt wird.419 d) Der persönliche Strafausschließungsgrund für Teilnehmer § 217 Abs. 2 StGB sieht einen persönlichen Strafausschließungsgrund hinsichtlich solcher Teilnehmer vor, die Angehörige oder Nahestehende des Suizidenten sind. Da die (geschäftsmäßige) Suizidförderung des Angehörigen bzw. Nahestehenden vom Abs. 2 nicht gedeckt ist, sollte sie nach § 217 Abs. 1 straf413

Vgl. Duttge, NJW 2016, S. 122; Weißer, ZJS 2016, S. 527. Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 26. Ähnlich Gaede, JuS 2016, S. 390: Geschäftsmäßigkeit liege vor, nur wenn „die wiederholte Suizidhilfe entweder die Hauptaufgabe der Tätigkeit darstellt oder auf eine Art und Weise geleistet wird, die sie nicht mehr nur als ultima ratio innerhalb der Patientenbeziehung ausweist“. 415 Gaede, JuS 2016, S. 390; Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 28; Weißer, ZJS 2016, S. 527. 416 Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 29. 417 Vgl. Gaede, JuS 2016, S. 390; Weißer, ZJS 2016, S. 527. 418 Vgl. Grünewald, JZ 2016, S. 944. 419 Kubiciel, ZIS 2016, S. 402. Dagegen Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 682, weil die Norm solche Faktoren nicht berücksichtigt und weil es sich um ein abstraktes und nicht konkretes Gefährdungsdelikt handelt. 414

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bar sein.420 Nahestehende sind nach der Dogmatik des § 35 StGB Personen, die zu dem Suizidenten ein auf eine gewisse Dauer angelegtes zwischenmenschlichen Verhältnis unterhalten, wobei „in dem Angehörigenverhältnis entsprechende Solidaritätsgefühle existieren und [. . .] eine vergleichbare psychische Zwangslage gegeben ist.“ 421 Umstritten ist, ob Ärzte als Nahestehende gelten können.422 e) Die Teilnahme an einer geschäftsmäßigen Suizidförderung Da die Geschäftsmäßigkeit ein strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal darstellt, ist bereits die nicht geschäftsmäßige Teilnahme strafbar.423 Diesbezüglich tauchen unterschiedliche Fragen auf wie zum Beispiel die Bestrafungsmöglichkeit eines überlebenden Opfers wegen Anstiftung bzw. Beihilfe zum § 217 StGB424; die Abgrenzung zwischen Beihilfe zur geschäftsmäßigen Suizidförderung und zu strafloser Suizidbeihilfe425 und die Möglichkeit einer Beihilfe zur Suizidförderung durch Unterlassen.426

D. Die Nichthinderung eines freien Suizids 1. Strafbarkeit des Garanten wegen Nichthinderung eines freien Suizids Nach h. L. kann das Unterlassen bei einem freiverantwortlichen Suizid nicht als Unterlassungstötungsdelikt bzw. unterlassene Hilfeleistung bestraft werden427, 420

Vgl. Weißer, ZJS 2016, S. 528. BT-Drs. 18/5373, 20. 422 Bejahend Weigend/Hoven, ZIS 2016, S. 691. Verneinend Gaede, JuS 2016, S. 392. 423 Vgl. BT-Drs. 18/5373, 19. 424 Vom Grundsatz der notwendigen Teilnahme ausgehend, verneint der Gesetzgeber (BT-Drs. 18/5373, 20), das BVerfG (BVerfG NJW 2016, S. 559) und einige Stimmen in der Rechtswissenschaft (Weigend/Hoven, in: ZIS 2016, S. 690; Weißer, ZJS 2016, S. 529) eine Strafbarkeit des überlebenden Opfers. Trotzdem wäre die Bestrafungsmöglichkeit theoretisch nicht ausgeschlossen, weil der Grundsatz der notwendigen Teilnahme im Rahmen eines abstrakten Gefährdungsdeliktes nicht anwendbar wäre und weil das Opfer im Abs. 2 nicht erwähnt wird (Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 1.2). 425 Z. B. „Der Ehemann, der seine todkranke Ehefrau ihrem freiverantwortlich gefassten Entschluss entsprechend zu einem geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfer fährt, um sie mit in den Tod zu begleiten.“ (BT-Drs. 18/5373, 20) Der Gesetzgeber sieht eine Beihilfe zu § 217. Zustimmend Grünewald, JZ 2016 und Hoven, ZIS 2016, S. 8. A. A. Oglakcioglu, BeckOK StGB, § 217 Rn. 37 sieht eine straflose Suizidbeihilfe. 426 Vgl. Weigend/Hoven, in: ZIS 2016, S. 690. Z. B. ein Garant, welcher die Kontaktaufnahme mit dem Suizidförderer nicht hindert. 427 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 46; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff., Rn. 41; Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 21; Krey/Heinrich/Hellmann, BT-I, § 1 Rn. 83; Kühl, Lackner/Kühl-StGB, Vor § 211, Rn. 15; Mitsch, AnwKomm-StGB, Vor § 211 Rn. 22; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 74; Sinn, SKStGB, § 216 Rn. 17; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 196. 421

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

weil die freiverantwortliche Entscheidung des Opfers jede Garantenstellung bzw. Hilfeleistungspflicht ausschließt.428 a) Rechtsprechung: Strafbare Nichthinderung wegen Tatherrschaftswechsels Obwohl die Rechtsprechung die Straflosigkeit der Beihilfe in Fällen sofort tödlich wirkender Suizidhandlungen annimmt429, hat der BGH bezüglich Suizidversuchen, bei denen ein zeitlicher Raum zwischen dem Eintritt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten und seinen Tod bestand430, bis in die erste Hälfte der 80er Jahre die Strafbarkeitsmöglichkeit des untätig gebliebenen Garanten wegen Tötung durch Unterlassen431 angenommen. Beim Eintritt der Bewusstlosigkeit werde die vom Suizidenten verlorene Tatherrschaft dem Garanten übertragen.432 Unabhängig von der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung bleibe die Garantenstellung bzw. Rettungspflicht unberührt.433 Ausnahmsweise – falls die Rettung unzumutbar erscheint (z. B. bei möglichem irreparablen Dauerschaden des Patienten)434 oder bei unheilbarer und qualvoller Krankheit bzw. schwerer, unerträglicher und auswegloser Gefahr435 – wird vom BGH die Zulässigkeit eines ärztlichen Unterlassens angenommen. Eine Erklärung zur Unwirksamkeit des Opferwillens lässt sich nur im Bereich der Arzt-Patienten-Verhältnisse finden. Es handele sich nicht um ausschließlich privatrechtliche Verhältnisse, sondern um einen der ärztlichen Standesethik unterworfenen Bereich.436

428

Vgl. Kühl, Lackner/Kühl StGB, Vor § 211, Rn. 15. BGHSt 2, 150 LS. 1; BGHSt 46, 279, 285, OLG München, NJW 1987, S. 2940. 430 In BGHSt 2, 150, 156 und BGH NJW 1960, S. 1822 hat ein Garant (aus ehelicher bzw. enger Gemeinschaft) den Suizid des Opfers in beiden Fällen durch Erhängen nicht gehindert. In BGHSt 32, 367 hat ein Arzt die Rettung seiner bewusstlos gefundenen Patientin – auf deren schriftlichen Verlangen – unterlassen. 431 BGHSt 2, 150, 156 f.; BGHSt 32, 367, 373. „Nach allgemeinen Grundsätzen macht sich wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar, wer einen Bewußtlosen in einer lebensbedrohenden Lage antrifft und ihm die erforderliche und zumutbare Hilfe zur Lebensrettung nicht leistet, obwohl ihn – z. B. als Ehegatten oder behandelnden Arzt – Garantenpflichten für das Leben des Verunglückten treffen. Von seinem Willen und seiner Haltung zu dem ohne sein Eingreifen bevorstehenden Tod hängt es ab, ob eine Bestrafung wegen eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötungsdelikts in Betracht kommt.“ 432 BGHSt 2, 150, 156; BGH NJW 1960, S. 1822; BGHSt 32, 367, 374. Ab diesem Zeitpunkt hänge der Eintritt des Todes allein vom Verhalten des Garanten ab. 433 BGHSt 2, 150, 154; BGH NJW 1960, S. 1822; BGHSt 32, 367, 373. 434 BGHSt 32, 367, 380. 435 BGHSt 2, 150, 154. Diese Straflosigkeitsmöglichkeit hat der BGH bloß theoretisch angedeutet. 436 Vgl. BGHSt 32, 367, 378 f. 429

Kap. II: Strafrechtlicher Rahmen

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b) Kritische Rezeption Die Idee eines strafbarkeitsbegründenden Tatherrschaftswechsels ist von der Mehrheit der deutschen Strafrechtswissenschaft aus unterschiedlichen Gesichtspunkten kritisiert worden.437 Grundsätzlich setze sich die Rechtsprechung über die vom Gesetzgeber absichtlich vorgesehene Straflosigkeit der Suizidteilnahme hinweg438 und verstoße gegen das Selbstbestimmungsrecht.439 Außerdem sei der Ansatz strafrechtsdogmatisch verfehlt440, weil beim Unterlassen die Tatherrschaft nicht in Betracht kommt (durch Unterlassen nichts beherrscht werden kann).441 Im Rahmen der Unterlassungsdelikte sei nur die Garantenstellung für die Unterlassungstäterschaft maßgeblich442, wobei der Garant keine „Vormundschaftsstellung mit Zwangsbefugnissen“ 443 habe und folglich durch die freiverantwortliche Entscheidung des Opfers von seiner Pflicht befreit wird.444 Letztlich führe diese Rechtsprechung zu absurden Ergebnissen445, verunsichere die rechtliche Lage und setze Ärzte, Angehörige und Nahestehende Strafbarkeitsrisiken aus.446 c) Die Mindermeinung: Tatherrschaftsgelöste Unterlassungstäterschaft Ausgehend von den Ergebnissen der Suizidforschung447 bezweckt eine Mindermeinung448 den lebensfremden und inhumanen Rigorismus449 der „nicht juris-

437 Siehe Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 41; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 74. 438 Vgl. Gropp, NStZ 1985, S. 98; Verrel, JZ 1996, S. 230; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 73. 439 Vgl. Gavela, Suizid, S. 39. 440 Vgl. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 191. 441 Vgl. Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 74; Roxin, Täterschaft, S. 592 f.; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 73. 442 Vgl. Roxin, Täterschaft, S. 591. 443 Vgl. Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 21; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 74. Spezifisch bezüglich der ärztlichen Garantenstellung Roxin, Täterschaft, S. 592; Schmitt, JZ, 1984, S. 867; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 74. 444 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 35; Kindhäuser, BT-I, § 4 Rn. 21; Roxin, Täterschaft, S. 591 f. 445 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 43; Schneider, MüKo-StGB, § 216 Rn. 68. Ein Garant darf dem Opfer Hilfe zu seinem Suizid straflos leisten, macht sich aber nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit strafbar, wenn er den Suizid nicht verhindert. 446 Vgl. Schmitt, JZ, 1984, S. 869; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 190. 447 Vgl. Geilen, JZ 1974, S. 152; Kutzer, MDR 1985, S. 712: Fast jeder Suizid sei nicht freiverantwortlich. 448 Geilen, JZ 1974, S. 153 f.; Herzberg, ZIS 2016, S. 444 f.; Kutzer, MDR 1985, S. 712 ff. 449 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, 445.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

tisch widerlegbar“ 450 herrschenden Meinung entgegenzusetzen. Da der Suizident sich in der Regel in einer Lage von Schutzbedürftigkeit451 befinde und er letzten Endes dankbar dafür wäre „gehindert und bevormundet zu werden“ 452, wird der freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers hinsichtlich Beschützergarantenstellungen jede Wirkung abgesprochen.453 Die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe stehe dieser Ansicht nicht entgegen, da im Gesetz keine Straffreierklärung bezüglich einer Unterlassungstäterschaft bestehe.454 Damit wäre anders als bei der Tatherrschaftswechsellehre die Tatbestandsmäßigkeit eines Unterlassens bei jedem Suizid anzunehmen, unabhängig von dem sofortigen oder retardierten Eintritt des Todes. Dabei wäre sogar die Tatbestandsmäßigkeit der von einem Beschützergaranten geleisteten aktiven Suizidbeihilfe aufgrund eines Unterlassens durch Tun zu bejahen.455 Unberührt bleibe die Möglichkeit eine Rechtfertigung (Notstand456) bzw. Entschuldigung (Zumutbarkeit457). d) Wendung der Rechtsprechung? Schon im Jahr 1982 hat der BGH erklärt, dass eine (aus enger Gemeinschaft stammende) Garantenstellung nicht dazu verpflichtet, einen freiverantwortlichen Suizid zu verhindern. Der Sachverhalt war allerdings anders, da es sich um einen Suizid durch Unterlassen handelte.458 Später hat der BGH aufgrund des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bezüglich eines der dargestellten Fallkonstellation ähnlichen Falles459 erklärt, dass beim freiverantwortlichen Suizidversuch der 450

Herzberg, ZIS 2016, 445. Vgl. Geilen, JZ 1974, S. 152; Herzberg, ZStW 1979, S. 565; ders., ZIS 2016, S. 444 f.; Kutzer, MDR 1985, S. 713. 452 Herzberg, ZIS 2016, 445; ähnlich Geilen, JZ 1974, S. 153 „Ist der Lebensmüde hic et nunc gerettet, dann pflegt die Rezidivgefahr . . . minimal zu sein.“ Kutzer, MDR 1985, S. 714 „. . . die Mehrzahl der Geretteten den Selbstmordversuch nicht wiederholt und zu einer das Leben bejahenden Einstellung zurückfindet.“ 453 Vgl. Geilen, JZ 1974, S. 153; Herzberg, ZIS 2016, 444 ff.; Kutzer, MDR 1985, S. 712 ff. 454 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, S. 444 „. . . eine weitergehende, auch die Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Unterlassungstäterschaft (oder dem der mittelbaren Täterschaft) erfassende ,Straffreierklärung‘ ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.“ 455 Vgl. Geilen, JZ 1974, S. 153; Herzberg, ZIS 2016, S. 444. 456 Vgl. Herzberg, ZIS 2016, 444. 457 Vgl. Kutzer, MDR 1985, S. 712; Geilen, JZ 1974, S. 149 „Daß bei wirklich echtem Bilanzselbstmord Ausnahmen zugelassen werden müssen, ist unstreitig . . .“ Ohne die dogmatische Figur zu spezifizieren. 458 BGH NStZ 1983, S. 117. Einer von zwei Freunden, die zusammenwohnten, der bettlägerig war, hat sich zum Tode entschieden. Dementsprechend hat er Ernährung und ärztliche Hilfe verweigert. 459 BGH, NStZ 1988, S. 127. Ein Arzt hat seine Patientin in komatösem Zustand gefunden und aufgrund ihrer vorherigen Willenserklärung i. S. nicht gerettet zu werden, hat er ihre Rettung unterlassen. 451

Kap. II: Strafrechtlicher Rahmen

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Arzt untätig bleiben darf.460 Darüber hinaus hat das OLG München das Selbstbestimmungsrecht als Grenze der ärztlichen Garantenstellung angenommen, welche durch eine Willenserklärung entfällt, sodass eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsunterlassungsdeliktes nicht in Betracht käme.461 2. Strafbarkeit eines Nichtgaranten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB) a) Rechtsprechung Anfänglich hat die Rechtsprechung die Strafbarkeit in solchen Fällen verneint, weil eine vom Suizidenten freiverantwortlich selbst generierte Lebensgefahr keinen Unglücksfall im Sinne von § 323 c StGB sei.462 Später hat die Rechtsprechung mehrmals bei einem Suizid einen Unglücksfall behauptet463, in der Regel464 unabhängig von der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung465 und sogar bei ausdrücklichem „Verzicht des Hilfsbedürftigen auf Rettung.“ 466 Die Wendung wurde durch grammatikalische 467, historische468 und praktische469 Überlegungen begründet. Ferner (und noch wichtiger) wurde die Kontradiktion dieser Auslegung mit dem Prinzip der Straflosigkeit der Suizidteilnahme dadurch erklärt, dass die Straflosigkeit der Suizidteilnahme eine formalrechtliche Folgerung sei. Aus materiell-rechtlicher Perspektive solle die Hilfspflicht gegenüber „dem sittlich mißbilligten Willen des Selbstmörders“ – was später in die 460

Vgl. BGH, NStZ 1988, S. 127. OLG München JZ 1988, S. 203 ff. Im ähnlichen Sinne die Staatsanwaltschaft München StA München, NStZ 2011, 345. 462 BGHSt 2, 150 Ls. 2. 463 BGHSt 6, 147; BGH JR 1956, S. 348; BGHSt 32, 367, 381; OLG München JZ 1988, S. 206. 464 OLG München JZ 1988, S. 206. In diesem Fall „Aufgrund der vorliegenden extremen Ausnahmesituation konnte Frau E über ihr Leben verfügen [. . .]“, sodass „der Wille der Suizidentin [. . .] ausnahmsweise zu beachten war.“ 465 BGHSt 6, 147, 153 f.; BGHSt 32, 367, 375. 466 BGHSt 13, 162, 169; BGHSt 32, 367, 375. 467 Vgl. BGHSt 6, 147, 149. Obwohl der freiverantwortliche Suizid aus der Perspektive des Suizidenten – nach dem allgemeinen Sprachgebrauch – nicht als Unglücksfall zu verstehen wäre, ergebe sich aus der Perspektive des Verpflichteten die Hilfebedürftigkeit des Suizidenten, sodass der Suizid problemlos als eine ernste Gefahrenlage verstanden werden kann. 468 Vgl. BGHSt 6, 147, 149. Bei der Einführung der Norm (damals § 330 c) in das deutsche StGB wurde in der amtlichen Begründung der Suizidversuch als Unglücksfall ausdrücklich vorgesehen. 469 BGHSt 6, 147, 154. Eine Unterscheidung zwischen freiverantwortlich und nicht freiverantwortlichem Suizid sei kaum möglich. Der Hilfspflichtige sollte nur „dem instinktiven Anruf seines Gewissens [. . .] folgen und dort [. . .] helfen, wo er eine schwere Notlage vorfindet“. Im ähnlichen Sinne BGHSt 32, 367, 376. 461

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Rechtswidrigkeit des Suizids umgedeutet wurde470 – nicht zurücktreten, „weil der Selbstmörder nicht befugt ist, aus eigenem Willensentschluß über sein Leben zu verfügen“.471 b) Ansicht der Strafrechtswissenschaft Nach herrschender Meinung könne nur ein nicht freiverantwortlicher Suizidversuch als tatbestandsmäßiger Unglücksfall verstanden werden, sodass bei einer freiverantwortlichen Entscheidung der Tatbestand überhaupt nicht in Betracht kommt.472 Darüber hinaus wird beim freiverantwortlichen Suizidversuch die Erforderlichkeit473 bzw. die Zumutbarkeit474 der Hilfeleistung verneint. Trotzdem bleibt einerseits unklar, ob entweder von der Freiverantwortlichkeit475 oder von dem Freiverantwortlichkeitsausschluss476 auszugehen ist, was die Tatbestandsreichweite weithin bestimmt.477 Andererseits ist die zu wählende Perspektive (ex-ante478 /ex-post479) zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit umstritten, was die Beachtlichkeit einer nachträglich festgestellten Freiverantwortlichkeit determiniert.480 Dagegen sieht ein Teil der Rechtswissenschaft stets einen Unglücksfall, was der Straflosigkeit der Suizidteilnahme widerspreche481, da jede Suizidbeihilfe als unterlassene Hilfeleistung bestraft werden könnte.482 470 BGHSt 46, 279, 285. „Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig [. . .].“ 471 Vgl. BGHSt 6, 147, 153. 472 Vgl. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 39 Rn. 13; Kindhäuser, BT, § 72 Rn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT, § 55 Rn. 7; Sternberg-Lieben/Hecker, Schönke/Schröder, § 323 c Rn. 8; Wolters, SK-StGB, § 323 Rn. 8. 473 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 3 Rn. 35. 474 Vgl. Eisele, BT I, § 6 Rn. 192; Rengier, BT II, § 8 Rn. 19. 475 Wohlers/Gaede, NK-StGB, § 323 c Rn. 5. 476 Krey/Hellmann/Heinrich, BT I, § 1 Rn. 99 „[. . .] ist Unglücksfall [. . .] jeder Suizidversuch, es sei denn, der Selbstmordentschluss ist nach dem [. . .] Einwilligungsmaßstab offensichtlich freiverantwortlich.“ Ähnlich Freund, MüKo-StGB, § 323 c Rn. 61; Wolters, SK-StGB, § 323 Rn. 8. 477 Je nach Gesichtspunkt kommt man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Geht man grundsätzlich von der Freiverantwortlichkeit aus, wäre der Tatbestand regelmäßig ausgeschlossen und nur bei erkennbaren Indizien eines Freiverantwortlichkeitsausschlusses gegeben. Nach dem anderen Gesichtspunkt wäre der Tatbestand im Prinzip zu bejahen und nur ausnahmsweise bei positiven Indizien der Freiverantwortlichkeit ausgeschlossen. 478 Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 39 Rn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT, § 55 Rn. 18; Freund, MüKo-StGB, § 323 c Rn. 62. 479 Kindhäuser, BT-I, § 72 Rn. 9; Eisele, BT I, § 65 Rn. 1249; Rengier, BT II, § 42 Rn. 4; Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, § 323 c, Rn. 9. 480 Vgl. Wolters, SK-StGB, § 323 Rn. 8. 481 Vgl. Sinn, SK-StGB, § 216 Rn. 8a; Conen, AnwKomm-StGB, Vor § 323 c Rn. 26. 482 Vgl. Schüttauf, in: Brudermüller (Hrsg.), Suizid und Sterbehilfe, S. 95.

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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Kapitel III

Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten A. Strafrechtliche Lage der direkten Sterbehilfe Oft wird in der Lehre behauptet, dass sich in Deutschland die wohl h. M. für eine ausnahmslose Strafbarkeit jeder Tötung auf Verlangen ausspricht.483 Ob dies immer noch zutrifft, ist unklar, da sich verschiedene Meinungen in der Lehre für Ausnahmen aussprechen.484 Innerhalb der Ansätze, die Ausnahmen befürworten, findet man unterschiedliche Lösungsvorschläge (Tatbestandeinschränkung485, Entschuldigungsmöglichkeiten486 und andere Begründungswege487), aber praktikabel erscheint nur eine Rechtfertigung nach § 34 StGB.488 483 Chatzikostas, Disponibilität, S. 48; Dörr, Binnenkollision, S. 330; Ehmann, Sterbehilfe, S. 62; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 244; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 56 f.; Kolb, Sterbehilfe, S. 15; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 141; Kühl, Lackner/Kühl-StGB, Vor § 211, Rn. 7; Laber, Schutz des Lebens, S. 191; Neumann, NK-StGB, Vor § 211, Rn. 139; Roxin, in: ders./Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 111; Schmalz, Sterbehilfe, S. 18; Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 56; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 212. 484 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 70 Fn. 276; Pawlik, in: FS-Wolter, S. 627. 485 Diejenigen Ansätze, die von einer reinen paternalistischen Funktion des § 216 ausgehen, sprechen für die Straflosigkeit der Tötung auf Verlangen, wo die Entscheidung objektiv vernünftig ist. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 14 ff. sieht in § 216 eine Garantie der Vollzugsreife, welche beim Vorliegen eines objektiv vernünftigen Sterbeentschlusses nicht notwendig wäre. Objektiv vernünftig sei ein Sterbeentschluss, wenn ein extrem reduziertes oder qualvolles Dasein vorliegt. Ähnlich Zimmermann, Rettungstötungen, S. 113 f. schlägt eine teleologische Reduktion der Einwilligungssperre, sodass nur bei einem evident unvernünftigen Todeswunsch § 216 anwendbar wäre. Ähnlich Pawlik, in: FS-Wolter, S. 641 wenn das Verlangen eine objektive sachgemäße Reaktion auf einen Leidenszustand darstellt. 486 Ein entschuldigender Notstand nach § 35 kommt in der Regel nicht ins Spiel, weil der Arzt keine nahestehende Person i. S. des § 35 ist. Vgl. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 342 ff.; Laber, Schutz des Lebens, S. 196 f.; Leitner, Sterbehilfe, S. 75. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 342 ff. sieht in Fällen unkontrollierbarer Schmerzen bzw. Qualen samt bestehender Suizidunmöglichkeit einen übergesetzlichen Notstand, wobei die Straflosigkeit wegen Unrechts- und Schuldverminderung erfolgen sollte. Aufgrund eines Wahrens des Patienteninteresses am körperlichen Wohl und aufgrund seiner Einwilligung wäre ein vermindertes Handlungs- und Erfolgsunrecht anzuerkennen. Darüber hinaus wäre die Schuld des Arztes wegen des fast unlösbaren Gewissenskonfliktes vermindert. Dies wird in der Regel abgelehnt. Siehe Ehmann, Sterbehilfe, S. 70; Laber, Schutz des Lebens, S. 196 f.; Leitner, Sterbehilfe, S. 76. 487 Beispielsweise wird ein schuldbezogener Strafverzicht wegen analoger Anwendung des § 60 vorgeschlagen. Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 70. Ablehnend wegen der Absolutheit des Rechtsguts Leben Laber, Schutz des Lebens, S. 197 ff. Jedenfalls eine problematische Lösung aus der Perspektive der Rechtssicherheit des Arztes vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 72. 488 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 45; Eschelbach, BeckOK-StGB, § 216 Rn. 14; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

1. Aktive Sterbehilfe als gerechtfertigter Notstand Da § 216 StGB nur die Rechtfertigungsmöglichkeit durch Opfereinwilligung ausschließt, bleibt der Weg für einen rechtfertigenden Notstand offen.489 Bei nicht durch Palliativmedizin behandelbaren Leiden490 und anderen Extremfällen491 wird bei dem Opfer ein berechtigtes Interesse anerkannt, durch den Tod von Schmerzen befreit zu werden.492 Indem das Tötungsverlangen die Befreiung von Leiden bezweckt, stellt die entsprechende Tötungshandlung eine Wahrung dieses Interesse dar, das nach § 34 StGB gerechtfertigt werden könne.493 Auf den ersten Blick scheinen sich sowohl das beeinträchtigte Rechtsgut (Leben) als auch das Erhaltungsgut (körperliches Wohl) ausschließlich auf das Opfer zu beziehen, sodass im Prinzip der Rechtsgutsträger allein entscheiden sollte, welchem im Konfliktfall Priorität zukommt.494 Trotzdem zwingt die rechtliche Unbeachtlichkeit der Einwilligung im Rahmen der Tötungsdelikte danach zu fragen, welches Interesse der Einwilligungssperre zugrunde liegt und ob dieses durch das Opferinteresse überwogen werden kann. Nach einem reinen paternalistischen Verständnis des § 216 StGB wäre hier eine echte intrapersonale Interessenkollision anzusehen, wobei das Opferinteresse an Schmerzfreiheit im Konflikt zu seinem Interesse an Schutz vor sich selbst steht.495 Ob § 34 StGB bei intrapersonalen Interessekollisionen überhaupt in Frage kommt, ist umstritten.496 Andere sehen in diesen Fällen eine interperso-

489 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 51; Kühl, Jura 2009, S. 881; Schneider, Abbruch, S. 280 f.; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, § 216 Rn. 15a. Dagegen wird behauptet, dass § 216 eine allgemeine rechtliche Unbeachtlichkeit des Opferwillens im Rahmen der Tötungsdelikte feststellt, sodass er auch im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes wirkungslos bleiben sollte. Siehe Leitner, Sterbehilfe, S. 69; Schmitz, Notstand, S. 131. 490 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 63; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. 491 Der Fall eines verunfallten im Fahrzeug eingeklemmten und bei lebendigem Leibe verbrennenden Autofahrers. Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 63; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 246; Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 56. 492 In der Regel wird ein Interesse am körperlichen Wohl als Erhaltungsinteresse angesehen. Siehe Ehmann, Sterbehilfe, S. 65 f.; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. Nach Chatzikostas, Disponibilität, S. 320 ff. wäre das Selbstbestimmungsrecht des Opfers. 493 Eingewandt wird, dass die Tötung keinen Zustand schafft, sondern die Existenz vernichtet, sodass ein Bewahren eines Interesses ausgeschlossen wäre. Siehe Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 293 f.; Leitner, Sterbehilfe, S. 71. 494 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 322; Leitner, Sterbehilfe, S. 71 f.; Neumann, NK-StGB, § 34 Rn. 32. 495 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 61 f.; Müller, § 216, S. 201. 496 Ausführlich Schmitz, Notstand, S. 32 ff., 127 ff. Während ein Teil der Lehre für die uneingeschränkte Anwendung spricht, verneint ein Teil der Lehre eine Abwägung von Interessen bei intrapersonalen Interessekollisionen, weil solche Konflikte nur denje-

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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nale Kollision zwischen dem Opferinteresse und dem Interesse der Allgemeinheit am Lebensschutz.497 Unabhängig von der Konfliktgestaltung müsse nach wohl h. M. eine Notstandsrechtfertigung stets scheitern.498 Zum einen wird die Erforderlichkeit der zu rechtfertigenden Handlung verneint, weil eine Tötungshandlung kein erforderliches Mittel zur Schmerzbeseitigung sei.499 Zum anderen könne das Opferinteresse nicht als wesentlich überwiegend bewertet werden entweder wegen der Unabwägbarkeit des Rechtsguts Leben500 oder aufgrund des Gewichts der drohenden Missbrauchs- und Dammbruchgefahren für die dem § 216 StGB zugrunde liegenden Interessen.501 Demgegenüber wird von einer Mindermeinung die Möglichkeit eines rechtfertigenden Notstandes angenommen. Während einige eine uneingeschränkte Anwendung des § 34 StGB auf diese Fallkonstellation befürworten502, setzen andere Suizidunfähigkeit voraus.503 Jedenfalls sind mehrere Punkte hinsichtlich dieser nigen angehen, dem die Interessen zustehen, sodass der Konflikt nach seiner Entscheidung gelöst werden sollte und nicht nach supraindividuellen Maßstäben des Notstandes. Bei rechtlicher oder faktischer Unmöglichkeit einer Einwilligung, sollte entweder ein anderer Rechtfertigungsweg gefunden werden oder die Tat sollte einfach bestraft werden. Verneinend ders., S. 172 ff. 497 Siehe Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 296; Chatzikostas, Disponibilität, S. 64; Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. 33; Neumann, NK-StGB, § 34 Rn. 16; Leitner, Sterbehilfe, S. 72. 498 Siehe Dörr, Binnenkollision, S. 330; Rossenau, SSW-StGB, § 34 Rn. 20; Roxin, AT I, § 16 Rn. 56; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 212. 499 Aufgrund der Alternative von Palliativbehandlungen und der Möglichkeit des Opfers, Suizid zu begehen, wird die Erforderlichkeit verneint. Einige nehmen eine Ausnahme für den Fall an, dass das Opfer keinen Suizid begehen kann. Siehe Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 296; Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211, Rn. 25; Ehmann, Sterbehilfe, S. 64. 500 Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 193 f.; Rossenau, SSW-StGB, § 34 Rn. 20; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 212. Eingewandt wird, dass die Unabwägbarkeit des Lebens nur im Rahmen interpersonalen Kollisionen gelte, sodass das Leben nicht aus Nützlichkeitserwägungen zugunsten Dritter aufgeopfert wird. Dies wäre nicht auf intrapersonale Interessekollisionen übertragbar. Siehe Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 292; Ehmann, Sterbehilfe, S. 49; Kühl, Jura 2009, S. 882; Merkel, Früheuthanasie, S. 524 f.; Schmitz, Notstand, S. 65. Außerdem führe dieses Argument zur Strafbarkeit der indirekten Sterbehilfe. Vgl. Leitner, Sterbehilfe, S. 71. 501 Vgl. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 297; Dörr, Binnenkollision, S. 330; Chatzikostas, Disponibilität, S. 67; Laber, Schutz des Lebens, S. 194 f.; Leitner, Sterbehilfe, S. 69 f.; Momsen, SSW-StGB, § 216 Rn. 10. 502 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 67; Kühl, Jura 2009, S. 884; Müller, § 216, S. 204 f.; Neumann, NK-StGB, § 34 Rn. 85; Sinn, SK, § 212 Rn. 56; Zimmermann, Rettungstötungen, S. 115 ff. 503 Nur wenn das Opfer nicht in der Lage ist, Suizid zu begehen, sei die Tötung erforderlich i. S. d. § 34. Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 320 ff.; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211, Rn. 25; Leitner, Sterbehilfe, S. 73; Merkel, Früheuthanasie, S. 420 f.; Schneider, MüKo-StGB § 216 Rn. 60.

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Lösung unklar, nämlich, ob auch ein berechtigtes Interesse beim psychischen Leiden anzunehmen ist504 und ob ein Interesse nur bei ausdrücklichem und ernstlichem Verlangen anzunehmen ist505 oder auch bei bloßer (sogar mutmaßlicher506) Opfereinwilligung.

B. Die tödlich wirkende Palliativbehandlung (indirekte Sterbehilfe) Die medizinisch indizierte Palliativbehandlung, deren tödliche Wirkung mehr oder weniger vorhersehbar ist, stellt nach aktuell einheitlicher Lehre507 und Rechtsprechung508 grundsätzlich strafloses ärztliches Verhalten dar.509 Allerdings sind der dogmatische Begründungsweg und die Straflosigkeitsvoraussetzungen umstritten.510 1. Straflosigkeitsvoraussetzungen a) Fehlende Tötungsabsicht als negative Straflosigkeitsvoraussetzung: Der Unterschied zu direkter Sterbehilfe Unabhängig von dem gewählten dogmatischen Begründungsweg der Straflosigkeit511, wird die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe von der h. M.512 nur in Fällen angenommen, in denen höchstens Wissentlichkeit vonseiten des Arztes 504 Müller, § 216, S. 204 f. Erwähnt die Tötung als „Mittel zur Beendigung erheblicher körperlicher (oder evtl. auch psychischer) Leiden.“ 505 Chatzikostas, Disponibilität, S. 326; Leitner, Sterbehilfe, S. 83 f.; Müller, § 216, S. 206 setzen ein ausdrückliches und ernstliches Opferverlangen voraus. 506 Diese Möglichkeit wird immer noch kaum diskutiert. Dafür (ohne die Frage weder zu begründen noch zu problematisieren) Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 141. Ablehnend Leitner, Sterbehilfe, S. 83 f., aufgrund der Gefahren einer vom Opferwillen losgelösten objektiven Abwägung. Kritisch hinsichtlich eines wesentlichen Überwiegens Ehmann, Sterbehilfe, S. 68, weil im solchen Fall das Tötungsverbot eindeutig stärker beeinträchtigt wird als beim Vorliegen eines tatsächlichen Willens. Auch unsicher Müller, § 216, S. 207 f. 507 Heutzutage wird die Strafbarkeit von niemandem angenommen. Siehe Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 174 Fn. 907. 508 BGHSt 42, 301; BGHSt 46, 279, 284 f.; BGHSt 55, 191, 204. 509 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 53; Chatzikostas, Disponibilität, S. 72; Ehmann, Sterbehilfe, S. 33; Laber, Schutz des Lebens, S. 199; Leitner, Sterbehilfe, S. 57; Müller, § 216, S. 205; Kindhäuser, Strafrecht BT, § 3 Rn. 2; Kolb, Sterbehilfe, S. 16; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 217; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 13; Schmalz, Sterbehilfe, S. 19. 510 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 53; Laber, Schutz des Lebens, S. 199; Schmalz, Sterbehilfe, S. 20. 511 Siehe Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 269; Merkel, Früheuthanasie, S. 166. 512 Siehe Klesczewski, BT, § 2 Rn. 142; Ehmann, Sterbehilfe, S. 60; Leitner, Sterbehilfe, S. 65; Merkel, Früheuthanasie, S. 169; Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 102.

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vorliegt.513 Dagegen wird die absichtliche Tötung eines Patienten fast einhellig für strafbar gehalten.514 Auf den ersten Blick – und so wird es häufig verstanden515 – wäre der Unterschied zur direkten Sterbehilfe rein subjektiv. Einige Autoren sehen in der tödlich wirkenden Palliativbehandlung jedoch einen objektiven Unterschied, nämlich, den Sinn der Handlung516: Im Unterschied zur direkten Sterbehilfehandlung lasse sich die medizinisch indizierte Palliativbehandlung nicht ausschließlich als Tötungshandlung verstehen, sondern habe eine zweideutige Natur (Schmerzlinderung/Tötung).517 Folglich handele es sich nicht um ein Vorsatzproblem. Es soll sogar Tötungsabsicht vorliegen dürfen, solange die Maßnahme objektiv nicht allein als Tötung erscheint.518 Wie dem auch sein mag, ist die praktische Bedeutung des Unterschieds gering, weil die Absicht meistens nicht nachweisbar ist.519 Sogar Extremdosen können medizinisch indiziert sein, da die Dosierung stets von der Stärke der Schmerzen abhängt.520 Nur bei eklatanten medizinisch ungerechtfertigten Überdosierungen oder anderen verratenden Umständen wäre die Strafbarkeit anzunehmen521, sodass der Arzt sich meistens auf seine gute Absicht berufen könnte.522 Interessant ist allerdings die dogmatische Begründung der Maßgeblichkeit der Grenzziehungskriterien zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten.

513 Nach einer Mindermeinung wäre die indirekte Sterbehilfe bei direktem Vorsatz stets strafbar. Siehe Dölling, JR 1998, S. 162; Duttge, GA, 2006, S. 578 f., Eser/Sternberg-Lieben, Sch/Sch, Vor § 211 Rn. 26; Schöch, NStZ 1997, S. 411. 514 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 47; Kindhäuser, BT I, § 3 Rn. 2; Leitner, Sterbehilfe, S. 64. 515 Siehe Ingelfinger, Tötungsverbot, 258; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 105. 516 Z. B. nach Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 270 ff. sei die tödlich wirkende Palliativbehandlung keine Entscheidung für den Tod, sondern eine Entscheidung für ein kürzeres Leben ohne schwere Schmerzen. Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 102 unterscheidet zwischen „Tötung durch leidensmindernde Behandlung“ und „Leidensminderung durch Tötung“. Antoine, Sterbehilfe, S. 49 „Der Unterschied zur direkten Sterbehilfe besteht darin, daß bei der aktiven Sterbehilfe nicht eine schmerzlindernde Medikation aufgenommen wird, sondern der Arzt direkt den Tod bzw. eine Lebensverkürzung anvisiert, um dadurch – und nicht durch die Bekämpfung der Schmerzen selbst – den Schmerzen ein Ende zu bereiten.“ Ähnlich Ehmann, Sterbehilfe, S. 59 f. 517 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 59. 518 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 59 f.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 273 f. 519 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 56; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 258; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 14. 520 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 60. 521 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 60; Ehmann, Sterbehilfe, S. 58; Leitner, Sterbehilfe, S. 65. 522 Merkel, Früheuthanasie, S. 166; Zimmerman, Rettungstötungen, S. 104.

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Der rein subjektive Erklärungsansatz entspricht der moralischen Doppelwirkungslehre, nach der absichtliche Tötungen aller Art zu unterlassen sind, während nicht beabsichtigte aber vorhersehbare Todeserfolge zulässig sein können, solange kein an sich tödliches Mittel angewendet wird.523 Ein plausibel rechtlicher Ansatz zur Erklärung dieses strafrechtsdogmatischen Fremdkörpers524 lässt sich nicht finden.525 Es wird nur auf die Existenz eines subjektiv-sachlichen Unterschieds verwiesen, dessen rechtliche Maßgeblichkeit wird jedoch stillschweigend vorausgesetzt.526 Dogmatisch leistungsfähig scheint der objektive Erklärungsansatz zu sein. Dieser Ansatz wird im Rahmen des rechtfertigenden Notstands527 (und auch im Rahmen einer Tatbestandslösung528, die die indirekte Sterbehilfe als Handlung außerhalb des Schutzbereichs der Tötungsdelikte ansieht), als Kriterium der Erforderlichkeit konkretisiert. Danach sei eine tödlich wirkende Palliativbehandlung nur straflos, insoweit sie erforderlich für die Schmerzlinderung ist. Eine Dosis jenseits des Erforderlichen zur Schmerzlinderung wäre keine Wahrung der Interessen, sondern strafbare Verwirklichung eines Tötungsverlangens.529 b) Die medizinische Indikation In der Lehre wird die medizinische Indikation bei tödlich wirkenden Palliativbehandlungen für ihre Straflosigkeit vorausgesetzt.530 Dies hängt mit dem Unterschied zur direkten Sterbehilfe zusammen. Die Funktion und Reichweite der strafbefreienden Wirkung dieser objektiven Zulässigkeitsvoraussetzung531 wird unterschiedlich beurteilt, je nachdem wie man den Unterschied zwischen direkter 523 Siehe Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 105; Zimmerman, Rettungstötungen, S. 103. 524 Einerseits ist eine unterschiedliche Behandlung des Vorsatzes 1. und 2. Grades dogmatisch unhaltbar, da die Tötungstatbestände keinen Anlass dazu geben. Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 58 f.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 258; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 217; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. Andererseits schließe die Tötungsabsicht den für die Rechtfertigung notwendigen Rettungswillen nicht aus. Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 59; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 269. 525 Ausführlich Chatzikostas, Disponibilität, S. 79 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 166 ff. 526 Vgl. Merkel, Früheuthanasie, S. 168 f. 527 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 60. 528 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 274 „Die Grenze zur direkten Sterbehilfe ist dort erreicht, wo Medikamente in einer Menge verabreicht werden, die zur Gewährleistung eines erträglichen Leidpegels nicht mehr erforderlich sind und damit die objektiv noch realisierbare Lebenszeit in nicht notwendigem Umfang verkürzen.“ 529 Ehmann, Sterbehilfe, S. 60 „Solche Verhaltensweisen wären allein als ,Tötung‘ aufzufassen, aber nicht i. S. d. § 34 StGB erforderlich und damit rechtswidrig . . .“ 530 Siehe Dörr, Binnenkollision, S. 335; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, Kap. IV Rn. 103 Fn. 333; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 26. 531 Vgl. Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 106.

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und indirekter Sterbehilfe versteht. Geht man von einem reinen subjektiven Unterschied aus, dann wäre die medizinische Indikation nur ein Indiz der Rechtmäßigkeit532, ohne unmittelbare strafausschließende Wirkung.533 Geht man dagegen von einem objektiven Unterschied aus, wäre die medizinische Indikation hinreichende Straflosigkeitsvoraussetzung.534 c) Indirekte Sterbehilfe aufgrund mutmaßlicher Einwilligung und Einhaltung des Verfahrens Die wohl herrschende Meinung535 und Rechtsprechung536 lassen die mutmaßliche Einwilligung für die Straflosigkeit genügen. Dass eine aktive Tötung aufgrund einer Mutmaßung durchgeführt wird, wird in der Lehre erstaunlicherweise kaum problematisiert.537 Auch die Frage, ob die Einhaltung der zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften (§§ 1901a ff. BGB) eine Voraussetzung der Straflosigkeit darstellt, wird im Rahmen der indirekten Sterbehilfe wenig diskutiert.538 d) Bevorstehender Tod Während eine Mindermeinung einen bevorstehenden Tod für die Straflosigkeit voraussetzt539, erklärt die herrschende Meinung den Gesundheitszustand bzw. die 532 Siehe Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 106 ff. Die Voraussetzung der medizinischen Indikation diene zur Überwindung der besonderen Missbrauchsgefahren bei der indirekten Sterbehilfe, die die forensischen Unterscheidungsschwierigkeiten zwischen Wissentlichkeit und Absicht darstellt. Somit werden „Gerichte von der Schwierigkeit des Nachweises einer Tötungsabsicht“ entlastet. 533 Die Indikation wäre notwendige aber nicht hinreichende Bedingung der Straflosigkeit. Der Richter könnte sich trotzdem von einer absichtlichen Tötung überzeugen. Vgl. Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 108. 534 Siehe Ehmann, Sterbehilfe, S. 60. 535 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 58; Chatzikostas, Disponibilität, S. 77; Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 233 ff.; Ehmann, Sterbehilfe, S. 33; Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. 34; Kindhäuser, BT I, § 3 Rn. 2; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 142; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, Kap. IV Rn. 103; Rengier, BT II, § 7, Rn. 4; Roxin, AT I, § 16 Rn. 57; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 108; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 40; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 217. 536 Siehe BGHSt 42, 301. 537 Zum Beispiel bei Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 40 ff. wird die Frage überhaupt nicht erörtert. Kritisch diesbezüglich Antoine, Sterbehilfe, S. 58. 538 Vgl. Dörr, Binnenkollision, S. 337. Klesczewski, BT, § 2 Rn. 142 sieht die Verfahrensbeachtung als Straflosigkeitsbedingung. A. A. Ehmann, Sterbehilfe, S. 55; Leitner, Sterbehilfe, S. 66, da ein Verstoß gegen Verfahrensnormen kein Tötungsunrecht darstellt. 539 Vgl. Dörr, Binnenkollision, S. 336; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 10.

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Todesnähe des Patienten für unbeachtlich.540 Neben den Schwierigkeiten zur Bestimmung des Finalstadiums bestehe kein rechtlicher Grund, die Straflosigkeit vom Stadium des Sterbevorgangs abhängig zu machen.541 2. Der dogmatische Begründungsweg der Straflosigkeit Einige Ansätze verneinen bereits, dass durch die indirekte Sterbehilfe der Tatbestand der Tötungsdelikte verwirklicht wird.542 Eine solche Lösung wird aber von der wohl h. M. abgelehnt543, weil die Tatbestandsmäßigkeit der indirekten Sterbehilfe nicht ernsthaft verneint werden könne, da es sich um ein eindeutiges Tötungsverhalten handelt.544 In ähnlicher Weise werden vereinzelte schuldbezogene Ansätze abgelehnt, weil eine Annahme der Rechtswidrigkeit im Ansatz fehlerhaft sei und außerdem eine solche Lösung wenig Rechtssicherheit leiste.545 Deswegen wird die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe überwiegend durch den rechtfertigenden Notstand begründet.546 a) Die Notstandslösung Die wohl herrschende Meinung sieht in den Fällen indirekter Sterbehilfe eine Notstandslage, in der das Interesse des Patienten an Schmerzfreiheit mit den dem

540 Siehe Ehmann, Sterbehilfe, S. 55 Fn. 147; Leitner, Sterbehilfe, S. 64; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 104; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 10; Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 103. 541 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 56. 542 Ausführliche Darstellung der Ansätze siehe Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 93 ff. Für die Tatbestandslosigkeit der indirekten Sterbehilfe wird auf ihren „sozialen Sinn“ oder auf ihre Sozialadäquanz verwiesen. Darüber hinaus wird sie als erlaubtes bzw. unverbotenes Risiko angesehen oder wird sie außerhalb des Schutzbereichs der Tötungstatbestände eingeordnet. Pawlik, in: FS-Wolter, S. 634 schlägt eine teleologische Tatbestandeinschränkung vor. 543 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 53 f.; Chatzikostas, Disponibilität, S. 73 ff.; Ehmann, Sterbehilfe, S. 34 f.; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 26; Leitner, Sterbehilfe, S. 60 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 200 ff.; Neumann, NKStGB, Vor § 211 Rn. 101 f.; Roxin, in: ders./Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 87; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 178; Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 58; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 107; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 218 f. 544 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 36; Leitner, Sterbehilfe, S. 61; Schneider, MüKoStGB, Vor §§ 211 Rn. 107. 545 Vgl. Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 261; Merkel, Früheuthanasie, S. 216. 546 Siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 55; Chatzikostas, Sterbehilfe, S. 77; Ehmann, Sterbehilfe, S. 45; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. 26; Eschelbach, BeckOK StGB, § 216 Rn. 14; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 262; Laber, Schutz des Lebens, S. 202; Leitner, Sterbehilfe, S. 62; Rengier, BT II, § 7 Rn. 4; Roxin, AT I, § 16 Rn. 57; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 133; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 108; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 220.

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§ 216 StGB zugrunde liegenden Interessen kollidiert.547 Da die Tötungshandlung gleichzeitig schmerzlindernd wirkt, wird sie als gerechtfertigte Wahrung des wesentlich überwiegenden Opferinteresses angesehen. Dies hat einige Irritationen in der Lehre verursacht, weil die direkte Sterbehilfe bezüglich einer Notstandsrechtfertigung unterschiedlich behandelt wird.548 Angesichts der ähnlichen Sachverhalte und verwickelten Interessen wird zum einen nach den Gründen der Ausnahme der Unabwägbarkeit des Lebens gefragt549, da eine Rechtfertigung unbedingt eine Abwägung und eine qualitative bzw. quantitative Bewertung des Rechtsguts Leben voraussetze.550 Zum anderen fehlt es, auch wenn man vom Prinzip der Unabwägbarkeit des Rechtsguts Leben absieht, an einer Begründung des unterschiedlichen Abwägungsergebnisses.551 Die Ausnahme vom Prinzip der Unabwägbarkeit des Rechtsguts Leben und die Berücksichtigung seiner Qualität und Quantität wird dadurch gerechtfertigt, dass in dieser Fallkonstellation der dem Prinzip der Unabwägbarkeit des Lebens zugrunde liegende Grund – Gefahr einer Instrumentalisierung menschlichen Lebens zugunsten Dritter – nicht gegeben ist, weil nur Interessen einer einzigen Person betroffen sind.552 Das unterschiedliche Abwägungsergebnis553 wird dadurch begründet, dass das Allgemeininteresse an Erhaltung des Tötungsverbots bei Tötungen, die im Zusammenhang mit Palliativbehandlungen stehen, – anders als bei direkten Tötungen – nicht abgeschwächt wird.554 Ferner wird die Menschenwürde als zusätzlicher und entscheidender abzuwägender Faktor berücksichtigt, welche neben 547

Siehe Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 143 ff. Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 57; Chatzikostas, Disponibilität, S. 78; Duttge, GA 2006, S. 578; Pawlik, in: FS-Wolter, S. 634; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 224; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. 549 Siehe Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 260; Merkel, Früheuthanasie, S. 156; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 136 f.; Schneider, MüKoStGB, Vor §§ 211 Rn. 110; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. 550 Vgl. Leitner, Sterbehilfe, S. 62; Merkel, Früheuthanasie, S. 171 f.; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 111. 551 Vgl. Duttge, GA 2006, S. 578; Laber, Schutz des Lebens, S. 203 f.; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139. 552 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 57; Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. 33; Leitner, Sterbehilfe, S. 63; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 140. 553 Eigentlich wird die Wesentlichkeit des Überwiegens nicht begründet, sondern vorausgesetzt und nur durch einen Verweis auf die herrschende Meinung unterstützt. Kritisch Duttge, GA 2006, S. 578. 554 Vgl. Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. 33; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 160 ff. Ähnlich Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 298; Leitner, Sterbehilfe, S. 64; Neumann, NK-StGB, § 34 Rn. 37. Während bei der indirekten Sterbehilfe eine objektive Basis zur Abwägung bestehe (medizinische Indikation und Leidensverminderungsmöglichkeit), sei die Erforderlichkeit bei der direkten Sterbehilfe fragwürdig; die Maßstäbe der Unerträglichkeit von Schmerzen subjektiv und außerdem bestehen größere Missbrauchsgefahren. 548

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dem körperlichen Wohl des Patienten durch die tödliche Palliativbehandlung bewahrt wird.555 Die Überzeugungskraft und Rechtssicherheit dieser dogmatischen Lösung wird von einigen bezweifelt, weshalb Reformen des geltenden Rechts befürwortet werden.556 b) Die Einwilligungslösung der Rechtsprechung Die neue Rechtsprechung des BGH557 und eine Mindermeinung558 begründen die Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe durch die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten. Anscheinend stellen die fehlende Tötungsabsicht559 und die Einhaltung der §§ 1901 a BGB ff. Rechtfertigungsvoraussetzungen dar.560 Genauso wie beim aktiven Behandlungsabbruch im Rahmen der passiven Sterbehilfe liegt das Problem dieser Lösung darin, dass eine Rechtfertigung einer aktiven Tötungshandlung durch eine Opfereinwilligung angesichts § 216 StGB nicht plausibel erscheint.561

C. Der tödliche Behandlungsverzicht auf Patientenwunsch (passive Sterbehilfe) Was die Verhaltenserscheinungsform betrifft, handelt es sich beim Behandlungsverzicht in der Regel um ontologisches Unterlassen562, welches folglich 555 Siehe Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. 33; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 26; Ehmann, Sterbehilfe, S. 49 f. Kritisch wegen der Unbestimmtheit des Begriffs Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 112. Ähnlich Ehmann, Sterbehilfe, S. 50; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 267. 556 Siehe Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139; Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 61; Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 55. 557 BGHSt 55, 191 (204) „Eine durch Einwilligung gerechtfertigte Handlung der Sterbehilfe setzt überdies voraus, dass sie objektiv und subjektiv unmittelbar auf eine medizinische Behandlung im oben genannten Sinn bezogen ist. Erfasst werden hiervon nur das Unterlassen einer lebenserhaltenden Behandlung oder ihr Abbruch sowie Handlungen in der Form der so genannten ,indirekten Sterbehilfe‘ . . .“ Früher nahm der BGH eine Rechtfertigung nach § 34 an. Vgl. BGHSt 42, 301 (305); BGHSt 46, 279. 558 Vgl. Dörr, Binnenkollision, S. 334 f.; Duttge, GA 2006, S. 578 f. nur bei eventuellem Vorsatz; Zimmermann, Rettungstötungen, S. 112. 559 BGHSt 55, 191 (204) „. . . die unter Inkaufnahme eines möglichen vorzeitigen Todeseintritts als Nebenfolge einer medizinisch indizierten palliativen Maßnahme erfolgen.“ Dagegen Dörr, Binnenkollision, S. 336. 560 BGHSt 55, 191 (205); Dörr, Binnenkollision, S. 337. 561 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 42 ff.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 268; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 103; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe, S. 129 ff.; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 109. 562 Entweder ein Behandlungsunterlassen oder die Nichtfortführung einer Behandlung. Beispielsweise die Nichteinweisung durch Hausarzt, Nichtaufnahme in das Krankenhaus, Unterlassen von ärztlichen Maßnahmen bzw. operativen Eingriffen, Unterlassen bzw. Aufhören einer manuellen Behandlung, Absetzen einer Medikation vgl. Eser,

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nach der Unterlassungsdogmatik beurteilt wird.563 Ferner wird unter diesen Begriff die Fallkonstellation gefasst, in der eine selbstständig564 funktionierende technische Behandlung durch ein erfolgskausales aktives Tun abgebrochen wird (manche PEG-Sonde, Beatmungsgeräte, Herz-Lungen-Maschine, Dialysegeräte), sodass die Begründung ihrer Straflosigkeit durch einen Rückgriff auf die Unterlassungsdogmatik in Frage gestellt wird.565 Nach Lehre und Rechtsprechung sind beide Fallkonstellationen straflos566, nur die Grundlage für die Straflosigkeit ist umstritten. Obwohl sich die Diskussion meistens auf Situationen am Lebensende bezieht (Schwerkranke, unheilbare Krankheiten)567, muss beachtet werden, dass ein strafloser Behandlungsverzicht auf (ggf. mutmaßlichen) Patientenwunsch auch hinsichtlich nicht hoffnungsloser Zustände stattfinden darf 568, ohne dass es auf den Gesundheitszustand des Patienten569 ankommt. Jedem Patienten wird ein fast absolutes Behandlungsverweigerungsrecht zugestanden570 und Zwangsbehandlungen werden in der Regel als rechtswidrig angesehen.571 in: Auer, Sterbehilfe, S. 96; Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, S. 100 f.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 52. 563 Vgl. Eser, in: Auer, Sterbehilfe, S. 96; Hörr, Passive Sterbehilfe, S. 63. 564 Jedenfalls besteht in der Praxis die Möglichkeit, solche Behandlungen so einzustellen, dass sein Betrieb von einem regelmäßigen aktiven Tun abhängt, sodass ein Abbruch durch Unterlassen möglich wäre, wenn der Betriebszyklus zu seinem automatischen Ende kommt. Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 113. 565 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 112; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 Rn. 114. 566 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 72 f.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 277; Chatzikostas, Disponibilität, S. 82. 567 Z. B. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor § 211 Rn. „[. . .] vor allem bei Moribunden, irreversibel Bewusstlosen oder ähnlich aussichtslos erscheinenden Behandlungsfällen, und zwar u. U. schon vor Beginn des Sterbevorgangs seit geraumer Zeit verstärkt gefordert wird.“ Siehe auch Kindhäuser, BT, § 3 Rn. 3; Kolb, Sterbehilfe, S. 17; Roxin, in: ders./Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 92; Sinn, SKStGB, § 212 Rn. 50; Wessels/Hettinger, BT-I, § 1 Rn. 34. 568 Vgl. Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch, S. 25. Auch in Fällen, in denen die Möglichkeit der Wiederherstellung des Bewusstseins eines nicht hoffnungslos Verletzten besteht, ist ein Behandlungsverzicht zulässig. Siehe auch Verrel, in: Verrel/Simon, Patientenverfügungen, S. 31 f. 569 Weder die Heilbarkeit der Erkrankung noch die Todesnähe wirken auf die rechtliche Beurteilung des Falles. Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 85; Laber, Schutz des Lebens, S. 217; Kolb, Sterbehilfe, S. 51; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 92 f.; Safferling, Matt/Renzikowski-StGB, § 212 Rn. 47; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 116; Trück, Passive Sterbehilfe, S. 9; Ulsenheimer, in: Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 700 f.; BVerfG NStZ-RR 2002, 169 (170); BGHSt 40, 257 (260 f.); BGHSt 40, 257, 260; BGHSt 55, 191 (196). Besonders nach der Einführung des § 1901 a Abs. 3 BGB, welche die Wirksamkeit des Patientenwillens „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung“ anerkennt. 570 Die herrschende Meinung geht davon aus, dass jede Art ärztlichen Eingriffs verweigert werden darf. Ausführlich Ehmann, Sterbehilfe, S. 126 ff.; Chatzikostas, Dispo-

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Die einzige Kontroverse diesbezüglich findet sich beim Suizidversuch, bei dem die herrschende Meinung auch die Straflosigkeit des Arztes annimmt572, während die Rechtsprechung und eine Mindermeinung von der grundsätzlichen Straflosigkeit abweichen. 1. Das ärztliche Unterlassen auf Patientenwunsch Abgesehen von den neuen Unsicherheiten, die die Einführung des § 217 StGB hinsichtlich ärztlichen Unterlassens geschafft hat573, gehen sowohl Rechtsprechung als auch Lehre von der Straflosigkeit aus, wenn es dem Patientenwillen entspricht. Trotzdem bestehen Unterschiede betreffend die Grundlage und der Reichweite der Straflosigkeit. a) Die Ansicht der Rechtswissenschaft Die wohl herrschende Meinung behauptet die ausnahmslose Straflosigkeit eines ärztlichen Unterlassens sowohl nach §§ 216, 13 StGB574 StGB als auch nach § 323 c StGB575, solange dies einer freiverantwortlichen Entscheidung des Patienten entspricht. Der Grund dafür liegt zum einen in der absoluten Vereinbarungsabhängigkeit des Patient-Arzt-Verhältnisses576 und zum anderen in der Abwesenheit – jenseits nibilität, S. 85 f.; Kubiciel, ZJS 2010, S. 658 „Gibt man dem Einzelnen das Recht, über den Umfang seiner Behandlung selbst zu bestimmen, ist es normativ willkürlich, den Verzicht auf einzelne Behandlungsmethoden für unzulässig zu erklären.“ Sogar Maßnahmen der Basisversorgung. Vgl. Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 147; Verrel, in: Verrel/Simon (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 26. 571 Eine Ausnahme sieht § 101 StVollzG bezüglich des Schutzes von Gefangenen vor, wobei keine Zwangsbehandlungspflicht, sondern nur eine Berechtigung vorgesehen wird, welche nach dem BVerfG nur auf den Fall beschränkt ist, wenn „der Untergebrachte krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig ist“. BVerfGE 128, 303 f. 572 Wenn der Arzt den freiverantwortlichen Sterbeentschluss des Patienten kennt oder ein solcher Wille offensichtlich vorliegt, sei das Geschehenlassen des Patiententodes straflos. Irrelevant sei, ob es sich um einen freiverantwortlichen Suizidenten oder um einen normalen Kranken handelt. Vgl. Fischer, StGB, Vor §§ 211–216 Rn. 41; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 116; Laber, Schutz des Lebens, S. 222; Roxin, GA 2013, S. 316 f.; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 96; Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, S. 34; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 87 f. 573 Siehe Erster Teil, Kapitel II C. 2. a) aa). 574 Vgl. Roxin, GA 2013, S. 315; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 115; Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 550; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 93. 575 Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 229 ff.; Rieger, Mutmaßliche Einwilligung, S. 53 f.; Safferling, Matt/Renzikowski-StGB, § 212 Rn. 46; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 95 f. 576 Es ist nur kraft tatsächlicher informierter (ggf. mutmaßlich) Einwilligung vonseiten des Patienten und Behandlungsübernahme vonseiten des Arztes möglich, dass die Garantenstellung bzw. das Behandlungsrecht des Arztes entsteht. Vgl. BGH NJW 1979,

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des § 323c StGB – einer allgemeinen ärztlichen Pflicht bzw. Ermächtigung zur Rettung eines Dritten.577 In der Konsequenz hindert die Behandlungsverweigerung das Zustandekommen der ärztlichen Garantenstellung oder schränkt die ärztliche Garantenpflicht ein, je nachdem, ob es sich um ein totales oder partielles Behandlungsveto handelt.578 Ähnliches geschehe im Rahmen einer laufenden Patienten-Arzt-Beziehung, in der der Willenswiderruf je nach Umfang zum nachträglichen Wegfall der bestehenden Garantenstellung oder zur Einschränkung der Garantenpflicht führe579, ohne dass die Einwilligungssperre des § 216 StGB in Betracht kommt, da sie nur für aktives Tun gilt.580 Ein dritter Punkt, welcher oft in der Diskussion als Grund für die Straflosigkeit vorgebracht wird, sind die strafrechtlichen Wirkungen der Behandlungsverweigerung. Da die wirksame Patienteneinwilligung eine notwendige Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ärztlicher Eingriffe darstellt581, welche den Arzt zur Lebenserhaltung gleichzeitig ermächtigt und verpflichtet582, sind eigenmächtige ärztliche Eingriffe rechtswidrig583 und nach der Rechtsprechung584 und einem Teil der Lehre585 als Körperverletzung strafbar, unabhängig von ihrer kunstgerechten Durchführung und ihrem Erfolg.586 Somit würde der Patientenwille auch (indi1258; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht IV, Rn. 2; Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 550; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 61 f. 577 Außer einigen Sonderfällen (z. B. Bereitschaftsarzt; Schiffsärzte, Werksärzte oder Truppenärzte). Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, XIII Rn. 719; Frister/Lindemann/ Peters, Arztstrafrecht, S. 81; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht IV, Rn. 1, 7 ff.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 60 f.; Stree/Bosch, Schönke/Schröder, § 13 Rn. 28a. 578 Vgl. Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 88. 579 Vgl. Chatzikostas, Disponibilität, S. 84; Gössel/Dölling, BT-I, § 2 Rn. 51; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 115; Laber, Schutz des Lebens, S. 224; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht IV, Rn. 5; Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 28; Engländer, JZ 2011, S. 514; BGH NJW 1987, 2943; Rieger, Mutmaßliche Einwilligung, S. 44 ff.; Rengier, BT-II, § 7 Rn. 9; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 93; Walter, ZIS 2011, S. 80 f. Umstritten ist, ob der Patientenwillen die Garantenstellung aufheben kann oder nur die Garantenpflicht einschränkt. Darstellung der Diskussion bei Trück, Passive Sterbehilfe, S. 58 ff. 580 Vgl. Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 89. Ferner siehe Erster Teil II. A. 2. e). 581 Vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht IV, Rn. 6; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 70; Schroth, in: Roxin/ders., Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 25. 582 Vgl. Eser/Sternberg-Lieben, Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 28; Laber, Schutz des Lebens, S. 214; Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 550; Schneider, MüKoStGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 115; Neumann, NK StGB, Vor § 211 Rn. 107. 583 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, VII Rn. 526; Fischer, StGB, Vor §§ 211– 216 Rn. 40. 584 Siehe BGH NJW 2011, 1088 (1089); 2012, (2128). 585 Darstellung der Diskussion in: Schroth, Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 24 ff. 586 Chatzikostas, Disponibilität, S. 84; Laber, Schutz des Lebens, S. 215; Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 550.

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rekt) auf die Garantenstellung bzw. Garantenpflicht des Arztes wirken, weil keine rechtliche Pflicht zum rechtwidrigen Verhalten bestehen kann.587 Die wohl herrschende Meinung sieht hinsichtlich dieses Grundsatzes keine Einschränkung588, während eine Mindermeinung – von einer der Pflicht zur Respektierung des Patientenwillens höherrangigen ärztlichen Hilfspflicht589 ausgehend – beim Suizidversuch von diesem Grundsatz ausnahmsweise abweicht. Die materielle Unterscheidungsbasis bilden die objektiven und subjektiven Differenzen beider Sachverhalte, da beim Suizidversuch nicht ein reines Sterbenlassen als „Ausübung des Rechts, selbst über die Behandlung eigener Leiden entscheiden zu dürfen“ 590 vorliege, sondern eine aktive (Selbst-)Tötungshandlung bzw. eine „Negation eines Höchstwertes.“ 591 Außerdem richte sich der Wille des Patienten nicht auf den Behandlungsabbruch, sondern auf die Selbsttötung.592 Dementsprechend wäre ein ärztliches Unterlassen beim Suizidversuch und bei suizidalen Behandlungsverboten593 als Tötung auf Verlangen durch Unterlassen strafbar.594 b) Ärztliches Unterlassen beim entsprechenden Patientenwillen nach der Rechtsprechung Sowohl bei eigenmächtigen ärztlichen Eingriffen als auch beim ärztlichen Behandlungsunterlassen auf Patientenwunsch, behauptet die Rechtsprechung ständig und kategorisch es sei die ärztliche Pflicht, den (sogar unvernünftigen595 und tödlichen596) Patientenwillen stets respektieren zu müssen.597 Aufgrund des hohen Werts des Rechts auf körperlicher Unversehrtheit598 und dem Selbstbestim587

Darstellung des Arguments bei Trück, Passive Sterbehilfe, S. 59 f. Aus rechtlicher Perspektive bestehe kein Unterschied zwischen der Verweigerung einer vital indizierten Behandlung und einem Suizid. Darstellung des Arguments bei Bleiler, Strafbarkeitsrisiken, S. 81. 589 Die konkrete Pflicht wird nicht erwähnt. Gesagt wird nur, dass es sich um eine andere rechtliche, ethische und psychologische (?) Pflicht handele. Vgl. Kutzer, NStZ 1994, S. 114. 590 Kutzer, MDR 1985, S. 713. 591 Kutzer, MDR 1985, S. 713. 592 Vgl. Kutzer, NStZ 1994, S. 114; ähnlich Herzberg, ZIS 2016, S. 444 f.; Trück, Passive Sterbehilfe, S. 69. 593 Vgl. Kutzer, in: FS-Rissing-van Saan, S. 347. Ein suizidales Behandlungsverbot sei anzunehmen, wenn hochwirksame Medikamente, Reanimation, Operation, künstliche Ernährung oder Beatmung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Genesung führen würde, vorsätzlich abgelehnt worden sind. 594 Vgl. Kutzer, in: FS-Rissing-van Saan, S. 347. 595 Seit RGSt 25, 375 (378); vgl. auch BGHSt 11, 111, 113; BGHZ 90, 103, 111. 596 LG Ravensburg, NStZ 1987, 229; RGZ 151, 349; BGHSt 11, 111, 113. 597 Vgl. BGHSt 11, 111; LG Ravensburg, NStZ 1987, 229; BGHZ 154, 205 ff. 598 BGHSt 11, 111, 114. 588

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mungsrecht599 wird die Rechtswidrigkeit eines ärztlichen Eingriffs gegen den Patientenwillen angenommen.600 Trotzdem weicht die Rechtsprechung von dieser Ansicht im Rahmen des Suizidversuchs ab601 und lässt die Strafbarkeitsmöglichkeit des Arztes nach §§ 216, 13 StGB bzw. ggf. 323 c StGB offen. Im Gegensatz zur Lehre verneint die Rechtsprechung aufgrund einer standesethischen Dimension der ärztlichen Garantenstellung602 die ausschließende Wirkung des (Suizid-)Patientenwillens auf die Garantenstellung sogar bei ausdrücklicher und ernstlicher Ablehnung von Rettungsmaßnahmen.603 Nach der Rechtsprechung könne der Patientenwille nur im Rahmen des Behandlungsverzichts, von dem der Suizid ausgeschlossen ist604, eine rechtfertigende Wirkung haben.605 Welche Pflicht (Garantenpflicht/Pflicht zur Respektierung des Patientenwillens) im Fall eines Suizidversuchs zu erfüllen ist, wird auf die Ebene der Zumutbarkeit verlagert.606 Anders als die Lehre 599

Vgl. BGHZ 154, 205; BGHSt 55, 191, 204 f. RGSt 25, 375; BGHSt 37, 376; BGHSt 32, 367 (379 f.); BGHSt 40, 257, 262; BGHSt 55, 191 (196) „Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht daher angenommen, dass die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung einen rechtswidrigen Angriff gegen die körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Patientin dargestellt hätte.“ 601 BGHSt 32, 367 (378) „Ob das Verbot ärztlicher Eingriffe gegen den Willen des Patienten auch dann gilt, wenn es sich um einen zu rettenden Suizidenten handelt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden.“ 602 BGHSt 32, 367, (378 f.) „Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist keine nur rechtsgeschäftliche, ausschließlich von dem Willen der beiden Vertragsparteien bestimmte Beziehung. Die Standesethik des Arztes steht nicht isoliert neben dem Recht. Sie wirkt, wie das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf Eb. Schmidt hervorgehoben hat (BVerfGE 52, 131, 169 f.), allenthalben und ständig in die rechtlichen Beziehungen des Arztes zum Patienten hinein. Weit mehr als sonst in den sozialen Beziehungen des Menschen fließt im ärztlichen Bereich das Ethische mit dem Rechtlichen zusammen (BVerfG aaO S. 170). Daher darf der Arzt bei der Entscheidungsfindung auch nicht die sozial-ethischen Belange der Rechtsgemeinschaft, in der er und der Patient leben, außer acht lassen.“ 603 BGHSt 32, 367 (371) „Der Senat teilt allerdings nicht die in der Hauptverhandlung geäußerte Ansicht des Vertreters des Generalbundesanwalts, daß eine Garantenstellung des Angeklagten schon deswegen ausscheide, weil ihm Frau U. die lebensrettende Behandlung nach einem Selbstmordversuch untersagt habe.“ Bestätigt in BGH 55, 191, 202. 604 Auch ausdrücklich betont von der damaligen Vorsitzenden Richterin am Bundesgerichtshof Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 547 „Das Element der Behandlungsbezogenheit hält auch . . . das anders gelagerte Problem des ärztlich assistierten Suizids oder der Beihilfe zum Suizid aus der Definition der rechtmäßigen Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch usw. heraus.“ 605 BGHSt 55, 191, 204 f. 606 BGHSt 32, 367, 378 „Der Arzt darf sich nicht allein nach dessen . . . erklärten Willen richten, sondern hat in eigener Verantwortung eine Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme auch des nur möglicherweise erfolgreichen Eingriffs zu treffen.“ 600

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nimmt die Rechtsprechung bei der „Sterbehilfe durch Unterlassen“ 607 keinen Tatbestandsausschluss, sondern eine rechtfertigende (ggf. mutmaßliche) Opfereinwilligung an. 2. Der technische Behandlungsabbruch Nach fast einhelliger Meinung608 und Rechtsprechung609 ist der technische Behandlungsabbruch beim entsprechenden tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen stets straflos. Umstritten ist nur die dogmatische Begründung der Straflosigkeit gegenüber § 216 StGB, insbesondere wenn ein Dritter ohne Zustimmung des behandelnden Arztes die Behandlung abbricht. a) Straflosigkeitsbegründung in der Strafrechtswissenschaft Ein Teil der Lehre610 konstruiert – trotz der ontologisch aktiven Erscheinungsform des Verhaltens – durch unterschiedliche Argumentationswege ein normatives Unterlassen, damit der Patientenwille auf die Garantenstellung bzw. Garantenpflicht aufhebend oder gegebenenfalls einschränkend wirken kann, sodass die Einwilligungssperre des § 216 StGB nicht in Betracht kommt.611 Diese Argumentationen umfassen den unterlassungsähnlichen sozialen Sinn des Tuns612, den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit613, Unterlassen durch Tun614 oder Suizidbeihilfe durch Unterlassen615. Andere nehmen ein aktives Tun an und versuchen einen Tatbestandsausschluss616 oder eine Rechtfertigung617 zu begründen.

607 BGHSt 55, 191 Ls. 1 „Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901 a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.“ 608 Vgl. Roxin, in: ders./Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 95; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 222. 609 BGHSt 40, 257; BGHSt 55, 191; LG Ravensburg NStZ 1987, S. 229. 610 Statt vieler Kühl, Lackner/Kühl StGB, Vor § 211 Rn. 8a. 611 Vgl. Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 28; Stoffers, MDR 1992, 623. 612 Der soziale Sinn eines Behandlungsabbruchs entspreche einem Unterlassen. Siehe Dellinghausen, Sterbehilfe, S. 461 ff.; Engisch, Gallas-FS, S. 178; Geilen, JZ 1968, S. 151 f.; Roxin, in: ders./Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 94 f. 613 Nicht der aktive Behandlungsabbruch, sondern die nachträgliche Unterlassung weiterer Rettungsbemühungen wäre strafrechtlich vorwerfbar. Darstellung des Arguments bei Schneider, Abbruch, S. 169 f. 614 Der Behandlungsabbruch sei bloße Wiederherstellung der anfänglichen Gesundheitslage des Patienten, was die Struktur einer nach der Unterlassungsdogmatik zu behandelnden Rückgängigmachung eines Rettungsversuchs aufzeige. Vgl. Roxin, FS-Engisch, S. 398, Roxin, AT II, § 31 Rn. 117. Ähnlich Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 461 ff. 615 Ähnlich als bei der Abgrenzung zwischen Tötung und Suizidbeihilfe [siehe Erster Teil II. B. 5. c)] hätte der Patient (normative) Tatherrschaft und der Arzt sei ein bloßer Gehilfe, welche eine Rettung unterlässt. Vgl. Trück, Passive Sterbehilfe, S. 59.

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Noch problematischer ist die Begründung der weitgehend angenommenen618 Straflosigkeit des Dritten. Da der Abbruch außerhalb eines Garanten-SchützlingVerhältnisses geschieht, könne weder das Verhalten als ein normatives Unterlassen angesehen werden noch könne der Patientenwille auf die Garantenstellung außerkraftsetzend wirken, auch wenn es sich um dasselbe Verhalten handelt.619 Vielmehr handelt es sich um einen aktiven Abbruch eines fremden rettenden Kausalverlaufes, wobei der Patientenwille mit der Einwilligungssperre des § 216 StGB kollidiert.620 Zur Ergebnisrechtfertigung werden die Übertragung der Unterlassungslösung621, eine Tatbestandverneinung622 oder eine Rechtfertigung durch § 34 StGB623 vorgeschlagen. b) Die Rechtsprechung Von einer aktiven Tötungshandlung624 und von den Wirkungen des Selbstbestimmungsrechts innerhalb von Arzt-Patienten-Verhältnissen im parallelen Be616 § 216 beschränke sich nur auf selbständige Todursache. Das Sterbenlassen durch aktiven Behandlungsabbruch – wobei die Krankheit und nicht das Tun den Tod verursacht – liege außerhalb des Tatbestandes. Vgl. Dölling, ZIS 2011, S. 347; Sax, JZ 1975, S. 149 f.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 225; Walter, ZIS 2011, S. 81. Außerdem wird von der Rechtmäßigkeit des Verhaltens ausgegangen (aufgrund der Rechtswidrigkeit von Zwangsbehandlungen), welche die objektive Zurechenbarkeit ausschließe. Vgl. Gaede, NJW 2010, S. 2927; Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 549 f. Nach Pawlik, in: FS-Wolter, S. 630 sei der Ausschluss der objektiven Zurechenbarkeit eine petitio principii. 617 Entweder durch einen auf diesen Sachverhalt bezogenen besonderen Rechtfertigungsgrund vgl. Engländer, JZ 2011, S. 518; Verrel, NStZ 2010, S. 672 oder durch § 34, da die Autonomie ausnahmsweise Vorrang vor dem Rechtsgut Leben hätte (aufgrund des besonderen Sachverhaltens bzw. mittelbare tödliche Wirkung des Sterbenlassens), somit § 216 bezüglich unmittelbar tödlich wirkender Tötungshandlungen anwendbar bleiben würde. Vgl. ausführlich Schneider, Abbruch, S. 242 ff.; Kühl, Lackner/Kühl-StGB, Vor § 211 Rn. 8a; Gössel/Dölling, BT-I, § 2 Rn. 61. Klesczewski, BT, § 2 Rn. 138 sieht eine rechtfertigende Pflichtenkollision (Respekt des Selbstbestimmungsrechts v. Respekt des Tötungsverbots). 618 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 88; Schneider, Abbruch, S. 195; Schneider, MüKoStGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 122. 619 Vgl. Kolb, Sterbehilfe, S. 72. 620 Vgl. Dölling, ZIS 2011, S. 346 f.; Hirsch, JR 2011, S. 37; Schneider, MüKoStGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 120. 621 Roxin NStZ 1987, 350; Roxin, in: ders./Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 96. 622 Die Durchsetzung des Patientenwillens liege außerhalb des Schutzzwecks des § 216. Vgl. Thias, Möglichkeiten und Grenzen, S. 225. 623 Vgl. ausführlich Schneider, Abbruch, S. 194 ff.; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 122 und Ehmann, Sterbehilfe, S. 89 (Relativierung der Höherrängigkeit des Lebens bei internen Interessenkollisionen, aber nur wenn der Patient selbst die Behandlung nicht abbrechen kann); Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 52; Ehmann, Sterbehilfe, S. 94. 624 BGHSt 55, 191 (198).

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reich des Unterlassens ausgehend (Straflosigkeit des einverständlichen ärztlichen Unterlassens625 und Behandlungsrechtwidrigkeit bei fehlender Patienteneinwilligung)626, begründet der BGH seit 2010627 die Straflosigkeit durch den Rechtfertigungsgrund der (mutmaßlichen) Einwilligung.628 Um eine allgemeine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung im Rahmen der Tötungsdelikte zu vermeiden, unterscheidet der BGH zwischen den üblichen Fällen aktiver Tötung (wobei die Handlung selbständig bzw. unmittelbar tödlich wirkt) und dem Sterbenlassen durch aktives Tun (bzw. Behandlungsabbruch).629 Die rechtliche Relevanz dieses faktischen Unterschieds liege in den Grenzen der legitimierenden Kraft des Selbstbestimmungsrechts, welches nur abwehrend bezüglich rettender Maßnahmen wirken könne (trotz tödlichem Erfolg), ohne direkt tödliche Ursachen erlauben zu können.630 Bezüglich Dritter beschränkt der BGH die Rechtfertigungsmöglichkeit ausschließlich auf den Arzt, Betreuer, Bevollmächtige und deren Hilfspersonen.631 Der am Selbstbestimmungsrecht orientierte Ausgangspunkt (Straflosigkeit beim Unterlassen632 und Rechtswidrigkeit von Zwangsbehandlungen633) und das Rechtssicherheit schaffende Ergebnis dieser Entscheidung wird von der Lehre positiv bewertet634. Allerdings wird angesichts der im Rahmen der Tötungsde625 BGHSt 55, 191 (203) „Denn wenn ein Patient das Unterlassen einer Behandlung verlangen kann, muss dies gleichermaßen auch für die Beendigung einer nicht (mehr) gewollten Behandlung gelten.“ 626 BGHSt 55, 191 (196) Eine „Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung“ stellt „einen rechtswidrigen Angriff gegen die körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Patientin“. 627 Früher hat die Theorie vom Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit vertreten. Siehe BGHSt 40, 257 (265 f.). 628 BGHSt 55, 191 (198 ff.). 629 BGHSt 55, 191 (204 f.) „Eine Rechtfertigung durch Opfereinwilligung kommt daher nur in Betracht, wenn sich das Handeln darauf beschränkt, einen Zustand (wieder-)herzustellen, . . . so dass der Patient letztlich dem Sterben überlassen wird. Nicht erfasst sind dagegen Fälle eines gezielten Eingriffs, der die Beendigung des Lebens vom Krankheitsprozess abkoppelt.“ 630 BGHSt 55, 191 (204) „Das . . . Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen legitimiert die Person zur Abwehr gegen nicht gewollte Eingriffe . . .; es gewährt kein Recht oder gar einen Anspruch darauf, Dritte zu selbständigen Eingriffen in das Leben . . .“ Zustimmend Rissing-van Saan, ZIS 2011, S. 547. 631 BGHSt 55, 191 (205 f.). 632 Walter, ZIS 2011, S. 82 „Richtig ist vor allem, den tätigen Abbruch einer Behandlung dem Fall gleichzustellen, dass die Behandlung von Anfang an unterbleibt.“; vgl. Dölling, ZIS 2011, S. 347. 633 Engländer, JZ 2011, S. 517 „Der Abbruch der Behandlung bedarf gar keines eigenständigen Zustimmungsaktes; seine Zulässigkeit ergibt sich vielmehr schlicht aus dem Wegfall bzw. dem Widerruf der Einwilligung in die Durchführung der Behandlung.“ „Die Rechtsordnung gebietet dem Arzt in einem solchen Fall, die Behandlung abzubrechen.“ Vgl. Dölling, ZIS 2011, S. 347; Hirsch, JZ 2011, S. 38; Kubiciel, ZJS 2010, S. 660.

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likte geltenden Einwilligungssperre der gewählte dogmatische Begründungsweg der rechtfertigenden (mutmaßlichen) Einwilligung635 und dessen persönliche Einschränkung636 kritisiert und stattdessen eine teleologische Tatbestandeinschränkung vorgeschlagen.637 Bezüglich des Adressatenkreises bestehen Zweifel, wann jemand als Hilfsperson gilt, da es sich nicht um einen rechtlich definierten Begriff handelt.638 Ob Dritte, die keine Hilfspersonen sind (z. B. Angehörige), sich strafbar machen können, wenn sie eigenhändig eine Behandlung abbrechen, ist umstritten.639 3. Straflosigkeitsreichweite des Behandlungsverzichts aufgrund einer Patientenverfügung bzw. wegen eines mutmaßlichen Patientenwillens Die §§ 1901 a ff. BGB enthalten bestimmte Vorgehensweisen hinsichtlich der einwilligungsbezogenen Probleme eines entscheidungsunfähigen Patienten, die mit ärztlichen Eingriffen zusammenhängen. Im Gegensatz zum Behandlungsverzicht bei Entscheidungsfähigen, wo die Einwilligung unmittelbar strafausschließend wirkt, wird bei Entscheidungsunfähigen gefragt, ob die Straflosigkeit zusätzlich von der Observanz dieser zivilrechtlichen prozeduralen Maßnahmen abhängt. a) Verfahrensüberblick Hinsichtlich der Umsetzung einer Patientenverfügung und der Feststellung des mutmaßlichen Willens enthalten die §§ 1901 a ff. BGB ein Verfahren, welches den Schutz des Patienten und sein Selbstbestimmungsrecht und die Rechtssicherheit der Beteiligten bezweckt.640 In diesem Verfahren stellt einerseits der behandelnde Arzt die für den Sachverhalt indizierten Maßnahmen fest.641 Andererseits muss der Patientenvertreter die 634 Vgl. Engländer, JZ 2011, S. 520; Hirsch, JR 2011, S. 37; Krey/Hellmann/Heinrich, BT-I, § 1 Rn. 12; Kubiciel, ZJS 2010, S. 660; Walter, ZIS 2011, S. 79. 635 Vgl. Eisele, BT-I, § 6 Rn. 168; Klesczewski, BT, § 2 Rn. 138; Kubiciel, ZJS 2010, S. 660; Rengier, BT-II, § 7 Rn. 8; Pawlik, in: FS-Wolter, S. 630; Schneider, MüKoStGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 118. Besonders kritisch Walter, ZIS 2011, S. 78 ff.; a. A. Engländer, JZ 2011, S. 518; Kolb, Sterbehilfe, S. 151. 636 Vgl. Dörr, Binnenkollision, S. 332 f.; Verrel, NStZ 2010, S. 674; Walter, ZIS 2011, S. 79 f. Die Einwilligung sollte allgemein rechtfertigend wirken. 637 Vgl. Dörr, Binnenkollision, S. 331; Walter, ZIS 2011, S. 81; Dölling, ZIS 2011, S. 347; Pawlik, in: FS-Wolter, S. 630 ff. 638 Kolb, Sterbehilfe, S. 52; Rosenau, FS-Rissing-van Saan, S. 564. 639 Siehe Kolb, Sterbehilfe, S. 52 f. 640 BT-Drs. 16/8442 S. 11. 641 § 1901b Abs. 1 BGB. Umstritten ist, ob eine Patientenverfügung hinsichtlich des Einsatzes bzw. der Fortführung nicht indizierter Maßnahmen rechtlich bindend ist. Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 114 ff.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

aktuelle Verbindlichkeit der Patientenverfügung prüfen642 oder – im Fall mangelnder wirksamer oder einschlägiger Patientenverfügung – den mutmaßlichen Willen bestimmen.643 Zusätzlich muss in diesem Verfahren nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Patienten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden.644 Letztlich findet eine Besprechung zwischen Arzt und Vertreter statt über die einschlägigen Maßnahmen im Verhältnis zu dem von Patientenvertretern geprüften bzw. festgestellten mutmaßlichen Patientenwillen, woraus sich zweierlei ergeben kann: Beim Einverständnis zwischen Vertreter und Arzt darf auf die Behandlung ohne weiteres verzichtet werden. Bei Dissens darüber, dass der Behandlungsverzicht dem Patientenwillen entspricht, ist eine gerichtliche Genehmigung notwendig.645 b) Rechtsnatur und Wirkung der §§ 1901 a ff. BGB auf die strafrechtliche Beurteilung eines Behandlungsverzichts Je nachdem, ob man den in §§ 1901 a ff. BGB vorgesehenen Verfahrensschritten zur Umsetzung bzw. Feststellung des (mutmaßlichen) Patientenwillens eine konstitutive oder eine rein deklaratorische Wirkung zuschreibt, wird ein Rückgriff auf den materiellen (mutmaßlichen) Patientenwillen zulässig. Die Rechtsfolge eines Normenverstoßes ist demnach unterschiedlich.646 Nach wohl herrschender Meinung hängt die strafrechtliche Beurteilung eines Behandlungsverzichts ausschließlich vom Vorliegen eines entsprechenden Patientenwillens ab, da nur die Patienteneinwilligung bzw. ihre Abwesenheit über das Vorliegen eines Tötungsunrechts entscheiden kann. Ein reiner Verstoß gegen Verfahrensnormen könne keinen Vorwurf wegen Tötungsunrecht begründen.647 642

Dabei werden die Voraussetzungen einer wirksamen Patientenverfügung geprüft, nämlich, Volljährigkeit, Schriftform, Einwilligungsfähigkeit, Fehlen von Willensmangeln und Bestimmtheit hinsichtlich der abgelehnten Behandlung. Vgl. Verrel, in: Verrel/ Simon (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 24 ff. Besondere Auslegungsschwierigkeiten stellt das Bestimmtheitsgebot dar. Siehe Müller, BeckOK BGB, § 1901a Rn. 9; Bornmann, Akzessorietät, S. 72. Im Rahmen des Behandlungsabbruchs neigt die Rechtsprechung zu einer engen Auslegung und hat bei einer allgemeinen Verweigerung von „lebensverlängernden Maßnahmen“ eine unmittelbar wirkende Patientenverfügung abgelehnt. BGH Beschl. v. 6.7.2016 – XII ZB 61/16, BeckRS 2016, 14029. A. A. Verrel, in: Verrel/Simon (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 88. Darüber hinaus wird die Aktualität der Patientenverfügung geprüft, also die Übereinstimmung zwischen dem antizipierten und dem aktuellen Sachverhalt. Dies geschehe in der Praxis „so gut wie nie“. Siehe Albrecht, Das Patientenverfügungsgesetz, S. 23 ff.; Verrel, in: Verrel/Simon (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 25. 643 § 1901a Abs. 2 BGB. 644 § 1901b Abs. 2 BGB. 645 § 1904 Abs. 4 BGB. 646 Ausführlich siehe Bornmann, Akzessorietät, S. 39 ff. 647 Vgl. Ehmann, Sterbehilfe, S. 132; Bornmann, Akzessorietät, S. 89 ff.; Hirsch, JR 2011, S. 39; Thias, Möglichkeit und Grenzen, 281 f.; Rissing-van Saan, in: May/Kreß/

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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Eine Mindermeinung648 und wohl auch die Rechtsprechung649 halten die Beachtung dieser Verfahrensnormen für notwendige Bedingung der Straflosigkeit, sodass ein Behandlungsverzicht trotz entsprechenden Patientenwillens als Tötungsdelikt strafbar wäre. Umgekehrt wirkt die Durchführung des Verfahrens beim Behandlungsverzicht gegen den Patientenwillen nicht rechtfertigend650, was jedenfalls für den Arzt kein besonderes Strafbarkeitsrisiko darstellt.651

D. Besonderheiten des ärztlich assistierten Suizids gegenüber der Suizidbeihilfedogmatik Aus der Untersuchung der Dogmatik der Suizidteilnahme ergibt sich, dass die ärztliche Suizidbeihilfe nicht nur tatbestandslos, sondern auch kraft des Eigenverantwortlichkeitsprinzips für materiell rechtmäßig gehalten wird, solange sie nicht „geschäftsmäßig“ erfolgt.652 Trotz dieser einfachen groben Feststellung, ist die Rechtslage ärztlicher Suizidbeihilfe weitgehend unklar und man kann mehrere Grauzonen identifizieren, welche Ärzte Strafverfolgungs- und Strafbarkeitsrisiken aussetzen.653 Verrel/Wagner (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 109; Eisele, BT-I, § 6 Rn. 168; Wessels/Hettinger, BT-I (40. Aufl.), § 1 Rn. 37; Schneider, MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 179. 648 Walter, ZIS 2011, S. 80 f. Nur bei aktivem Behandlungsabbruch. Dörr, Binnenkollision, S. 333 ff. Kolb, Sterbehilfe, S. 107 ff. sieht in §§ 1901 a ff. BGB einen besonderen der allgemeinen rechtfertigenden Einwilligung verdrängenden Rechtfertigungsgrund, wobei neben der Opfereinwilligung die darin vorgesehenen Verfahrensanforderungen ein prozedurales Rechtfertigungselement darstellen, dessen Fehlen eine Rechtfertigung ausschließen. Ablehnend Bornmann, Akzessorietät, S. 153. 649 BGH NStZ 2011, 274 (276) „Im Übrigen weist der Senat darauf hin . . . die Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b . . . zu beachten sein werden.“ Da es sich um ein obiter dictum handelt, bleibt die Akzessorietät des Strafrechts zu den §§ 1901 a ff. BGB immer noch unklar. 650 Vgl. Bornmann, Akzessorietät, S. 89 ff. Die Falschauslegung einer Patientenverfügung oder die Falschfeststellung eines mutmaßlichen Patientenwillens wären als vorsätzliches bzw. fahrlässiges Tötungsdelikt zu bestrafen. Sieht man bei §§ 1901 a ff. BGB einen vom Patientenwillen abgekoppelten rein prozeduralen Rechtfertigungsgrund, dann wäre die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ausgeschlossen. 651 Der Arzt hat keine Erkundungspflicht bezüglich der Feststellungen des Patientenvertreters, sodass er sich auf die Aussage verlassen kann ohne eine Sorgfaltspflicht zu verletzen. Vgl. Bornmann, Akzessorietät, S. 91 f. 652 Siehe Erster Teil, Kapitel II C. 653 Vgl. Borasio, Selbst bestimmt sterben, S. 102; Feldmann, Suizid, S. 322; Gavela, Suizid, S. 51 f.; Kuschel, Suizid, S. 140; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 32 f.; BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 „Für den Arzt ist eine Suizidbeihilfe mithin mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden. In einer solchen Situation darf die Rechtsordnung den Betroffenen nicht darauf verweisen, einen Arzt zu suchen, der bereit ist, diese Risiken einzugehen.“

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Den ersten maßgeblichen Ausgangspunkt bildet die Freiverantwortlichkeitsgrenze, da sie den Unterschied zwischen Strafbarkeit wegen Tötungsdelikt (§ 212 StGB, evtl. § 211 StGB) und Straflosigkeitsmöglichkeiten darstellt. Aufgrund des ärztlichen Sonderwissens und im Kontext des Arzt-Patienten-Verhältnisses dürfte der Streit um die Freiverantwortlichkeitskriterien im ärztlichen Bereich kein Problem darstellen, weil der Arzt die Freiverantwortlichkeit der Patientenentscheidung leichter erkennen kann. Trotzdem stellt sich dies wegen der Unsicherheit hinsichtlich des Maßstabes zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit als problematisch dar.654 Ferner ist die Abgrenzung zu den Tötungsdelikten problematisch, was jedenfalls mit relativer Sicherheit – vorausgesetzt, dass die Rspr. konsistent bleibt655 – dadurch beseitigt wird, dass der Patient eigenhändig handelt.656 Da die Rechtsprechung und eine Mindermeinung in der Lehre eine außerkraftsetzende Wirkung des Patientenwillens auf die ärztliche Garantenstellung verneinen, besteht andererseits – wenngleich unwahrscheinlich – die theoretische Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen, welche jedenfalls – trotz einer Wendung der Rechtsprechung657 – hinsichtlich des ärztlichen Unterlassens auch nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann.658 Darüber hinaus ist die Strafbarkeit des Arztes, wenn man den freien Patientenwillen gegenüber der ärztlichen Garantenstellung außerkraftsetzende Wirkung zuschreibt, auch durch § 323 c StGB theoretisch möglich.659 Darüber hinaus bestehen für Ärzte und Gesundheitspersonal wegen der hohen formell-rechtlichen Reichweite des neuen § 217 StGB weitere Strafverfolgungsund Strafbarkeitsrisiken, welche trotz geringerer Konkretisierungswahrscheinlichkeit auf die ärztliche Tätigkeit zumindest abschreckend wirken werden.660 Wenn die ärztliche Suizidbeihilfe durch einige der vom Betäubungsmittelgesetz erfassten Stoffe und Zubereitungen begangen wird, kommt die Strafbarkeit des Arztes nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 BtMG in Betracht661, welcher die ärztliche Verschreibung, Verabreichung oder Überlassung von Betäubungsmittel, die in 654

Vgl. Gavela, Suizid, S. 51 f. Siehe Erster Teil, Kapitel II D. 1. d). 656 Vgl. Gavela, Suizid, S. 61; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 14. 657 Siehe Erster Teil, Kapitel II D. 1. d). 658 Vgl. Gavela, Ärztlich assistierter Suizid, S. 51 f. 659 Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 32. 660 Vgl. Jox/Borasio, in: Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing (Hrsg.), Assistierter Suizid, S. 137 ff.; Kuschel, Suizid, S. 140. 661 Nach BGHSt 46, 279 (289) scheidet § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG (Überlassen von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung) aus, weil das freiverantwortliche Handeln des Suizidenten die vom Tatbestand vorausgesetzten „Leichtfertigkeit“ des Gehilfen ausschließt). Dies ist jedoch in der Rechtswissenschaft umstritten. Zusammenfassend Feldmann, Suizid, S. 300 ff. 655

Kap. IV: Zusammenfassung zum deutschen Sterbehilferecht

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Anlage III BtMG kennzeichnet sind, unter Strafe stellt, wenn das Verhalten gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstößt. Diesbezüglich ist maßgeblich, ob die Anwendung des Betäubungsmittels „am oder im menschlichen Körper begründet ist“. Nach herrschender Meinung ist die Anwendung von Betäubungsmitteln beim Suizid im Sinne von § 13 BtMG nicht begründet.662 Einerseits könne die Suizidbeihilfe nicht als ärztliche Aufgabe ausgelegt werden. Zum anderen würde eine solche Auslegung dem Zweck des BtMG (bzw. Gesundheits- und Lebensschutz) widersprechen.663 Letztlich stünde eine solche Auslegung im Widerspruch zum § 216 StGB, da eine tödliche Verabreichung von Betäubungsmitteln auf Verlangen des Patienten den Tatbestand des § 216 StGB verwirklichen würde, sodass sie nicht als begründet im Sinne von § 13 BtMG gelten kann. Demgemäß sollte derselbe Maßstab für das Überlassen gelten, sodass das Überlassen auch nicht als medizinisch begründet angesehen werden kann.664 Schließlich erscheint die standesethische Ablehnung und das standesrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe erwähnenswert, da sie – auch wenn sie nicht strafrechtlich wirken – in der Praxis für die ärztliche Suizidbeihilfe abschreckend wirken.665 Kapitel IV

Zusammenfassung zum deutschen Sterbehilferecht Die deutsche Staatsgewalt ist weder verpflichtet noch berechtigt, grundrechtliche Freiheiten gegen den Willen des Grundrechtsträgers zu bewahren. Weder das Grundrecht auf Leben noch die Menschenwürdegarantie können eine „Unverfügbarkeit des Lebens“ begründen. Demzufolge ergibt sich aus dem deutschen Verfassungssystem eine Freiheit zum Sterben, welche im Prinzip sogar die Einbeziehung von Drittpersonen bei der Verwirklichung des eigenen Sterbeentschlusses einräumt. 662 Vgl. Feldmann, Suizid, S. 314 f.; Gavela, Suizid, S. 57 f.; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 39 f. 663 Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 39 f. 664 Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 40 Fn. 209. Zutreffend ist, dass das Verabreichen einer tödlichen Dose von Betäubungsmitteln den Tatbestand des § 216 verwirklichen würde, aber im solchen Fall ist das Verabreichen wegen der abstrakten Gefährlichkeit der täterschaftlichen Tötung verboten, was nicht mit der medizinischen Begründetheit des lebensvernichtenden Zwecks zu tun hat. Auch wenn man § 216 zur Auslegung des § 13 brachte, sollte den Unterschied zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und straflosen Suizidbeihilfe eine Rolle spielen, was eine differenzierte Behandlung im Rahmen von § 13 zwischen Verabreichen und Überlassen erlaubt. Ein Zusammenhang zwischen § 216 und § 13 BtMG besteht nicht, weil die Strafbarkeit des § 216 durch die Gefährlichkeit der täterschaftlichen Verwirklichung des Sterbeentschlusses begründet ist und hängt nicht mit der medizinischen Begründetheit aller Formen der Verwirklichung eines Sterbeentschlusses. 665 Feldmann, Suizid, S. 314; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 45 ff.

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1. Teil: Sterbehilfe in Deutschland

Trotzdem ist der Staat in Bezug auf das menschliche Leben wegen des Rechtsgutsgewichts und der Endgültigkeit der betreffenden Entscheidungen zum sorgfältigen Schutz berufen. Zur Erfüllung seiner Lebensschutzpflicht verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Entscheidungsspielraum und darf bzw. muss unterschiedliche und weitgehende freiheitsbeschneidende Maßnahmen zur Sicherung der Entscheidungsqualität und zum Schutz vor (sogar diffusen) Gefahren treffen, solange sie den Kern dieser Freiheit zum Sterben unangetastet lassen. Dementsprechend müssen die lebensschützenden Maßnahmenbündel für verfassungsmäßig gehalten werden, solange sie keine „Pflicht zum Leben“ auferlegen. Im Gegenzug ergibt sich aus der Verfassung kein absolutes Kriminalisierungsgebot der Sterbehilfeformen. Solange sich der Gesetzgeber innerhalb der Untermaßverbotsgrenzen bewegt, darf er straflose Bereiche der Sterbehilfe schaffen und Strafnormen lockern. Das deutsche Sterbehilferecht stellt sich als ein duales System dar, in dem zunächst die aktive täterschaftliche Drittbeteiligung an der Verwirklichung von Sterbewünschen grundsätzlich verboten ist. Der Grund dafür liegt nicht in der Unverfügbarkeit des Lebens, sondern einerseits darin, dass trotz ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens Entscheidungsdefizite vorliegen können, die besonders für medizinische Laien schwer erkennbar sind. Andererseits würde eine allgemeine Freigabe der Tötung auf Verlangen wahrscheinlich in einer das Untermaßverbot verletzenden Weise unterschiedliche Gefahren für Menschen schaffen. Somit ist das Verbot aus Gefahrgründen gerechtfertigt. Dies ist aber keine alles oder nichts Entscheidung, da zwischen beiden Extremen andere verfassungsrechtlich zulässige, aber nicht gebotenen Möglichkeiten denkbar sind. Zum anderen hat sich der deutsche Gesetzgeber für die grundsätzliche Straflosigkeit der aktiven Suizidbeihilfe entschieden, solange sie nicht geschäftsmäßig erfolgt.666 Der Grund für diese duale Behandlung von täterschaftlicher und nicht täterschaftlicher Beteiligung an der Verwirklichung von Sterbeentschlüssen wird in der Eigenhändigkeit gesehen. Bezüglich eines Behandlungsverzichtes räumt der Gesetzgeber dem Betroffenen ein weitreichendes Behandlungsverweigerungsrecht ein667, welches in der allgemeinen Straflosigkeit des einverständlichen aufgeklärten Behandlungsverzichts resultiert. Im Fall einer Einwilligungsunfähigkeit sieht der Gesetzgeber zusätzliche prozeduralen Vorkehrungen für den Behandlungsverzicht vor. Ob deren Nichtbeachtung strafrechtliche Folgen auslösen kann, ist bisher besonders hinsichtlich des aktiven Behandlungsverzichts unklar. 666 BT-Drs. 18/5373, S. 2. Dass die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe eine reine formell-systematische Konsequenz sei, ist nach dem Erlass vom neuen § 217 StGB nicht mehr haltbar. Der deutsche Gesetzgeber hat die Abwesenheit einer rechtlichen Pflicht zum Leben bestätigt und die grundsätzliche Straflosigkeit der Suizidbeihilfe anerkannt. Straftatbestände sollten folglich entsprechend ausgelegt werden. 667 BT-Drs. 16/8442.

Kap. IV: Zusammenfassung zum deutschen Sterbehilferecht

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Obwohl eine Sonderregelung der indirekten Sterbehilfe fehlt, wird sie vom deutschen Gesetzgeber für „eindeutig nicht strafbar“ gehalten.668 Die Mehrheit der deutschen Rechtswissenschaft sieht im § 216 StGB die Erfüllung der staatlichen Lebensschutzpflicht, in dem die Norm den Schutz vor abstrakten Gefahren für das Leben bezweckt. Im Unterschied dazu wird § 217 StGB, dem dieselbe gefahrbezogene Argumentation zugrunde liegt, weitgehend und stark abgelehnt. Darüber hinaus geht die herrschende Meinung davon aus, dass bei einem freiverantwortlichen Sterbeentschluss keine staatliche Lebensschutzpflicht vorliegt. Der freiverantwortliche Sterbeentschluss lässt die ärztliche Garantenstellung und gesetzliche Rettungspflicht entfallen, da ein aufgedrängter Lebensschutz weder eine Grundlage hat, noch gerechtfertigt werden kann. Alle dies wird durch eine wechselhafte Rechtsprechung relativiert. Problematisch und rechtsverunsichernd sind die von der Rechtsprechung angenommene Rechtswidrigkeit des Suizids und die Unwirksamkeit des aufgeklärten Patientenwillens auf das Patienten-Arzt-Verhältnis. Die Rechtsprechung zieht eine gefühlsmäßige und einzelfallbezogene Grenze zwischen gerechtfertigter „Sterbehilfe“ und möglich strafbarer Suizidbeteiligung, welche sich nicht bestimmen lässt, da sie die ärztliche Garantenstellung bei einem klassischen Sterbehilfefall bejaht.669 In ähnlicher Weise geht eine Mindermeinung von einer Selbstbestimmungsgrenze aus. Nach ihr ist die ärztliche Garantenstellung- bzw. Garantenpflicht trotz aufgeklärter Behandlungsverweigerung anzunehmen. Sie verschiebt das Problem auf die Rechtfertigungsebene. Wie die Rechtsprechung führt die Mindermeinung zu unübersichtlichen Konstellationen von nicht zu beachtenden Behandlungsverweigerungen. Rechtsprechung und Mindermeinung geben keinen rechtlichen Grund für die Abkoppelung der ärztlichen Garantenstellung vom Patientenwillen, was im offensichtlichen Widerspruch mit der Strafrechts- und Grundrechtsdogmatik steht. Die Diskussion um Ausnahmen vom § 216 StGB beschränkt sich in der Regel auf Extremfälle, sodass man in der Tat von der grundsätzlichen Verbotenheit jeder aktiven direkten Sterbehilfe ausgehen kann, da sich die Mehrheit von Ärzten den Strafbarkeitsrisiken nicht aussetzen wird. Trotz der grundsätzlichen Straflosigkeit der Suizidbeihilfe gilt für die ärztliche Suizidbeihilfe ähnliches, da die gesamte Rechtslage der Suizidbeihilfe – insbesondere Abgrenzungsprobleme zum § 216 StGB, die fehlerhafte Auffassung des neuen § 217 StGB, das Betäubungsmittelstrafrecht – samt der launenhaften Rechtsprechung und des standesethischen und standesrechtlichen Suizidbeihilfeverbots weitgehend abschreckend wirkt, sodass die ärztliche Suizidbeihilfe so gut wie verboten ist.

668 669

BT-Drs. 18/5373, S. 17 f. Siehe Erster Teil, Kapitel III C. 1.

Zweiter Teil

Sterbehilfe in Chile

Kapitel I

Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive Anders als in Deutschland ist die chilenische Verfassungsdogmatik noch sehr wenig entwickelt1 und die Argumentationen der Verfassungsrechtsprechung sind äußerst nachlässig und inkonsistent.2 Die geringere Entwicklung der chilenischen Verfassungsdogmatik hat zu einem extrem vereinfachten Verständnis der Grundrechte geführt. Ein System, welches die Gesamtheit der Grundrechte unter dem Licht ihrer Funktionen analysiert, ist bisher nicht entwickelt worden.3 Darüber hinaus sind die unterschiedlichen Formen der Sterbehilfe in der chilenischen Verfassungsrechtswissenschaft kaum untersucht worden, was die Darstellung und Analyse des Themas erheblich erschwert.

A. Dimensionen und Funktionen der Freiheitsgrundrechte in der chilenischen Verfassung In ihrem Grundrechtskatalog – den Art. 1 Abs. 44 und Art. 5 Abs. 25 chVerf entsprechend – anerkennt die chilenische Verfassung die vorstaatlich individuellen Freiheitssphären6, zu deren Respekt und Verwirklichung der Staat verpflichtet ist.7 1 Vgl. Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno I, S. 186; Bassa Mercado, Anuario de Derecho Público, Universidad Diego Portales 2010, S. 486; Bassa Mercado, Revista de Derechos Fundamentales, 2011, S. 36; Celis Danzinger, Revista del Magíster y Doctorado en Derecho, 2007, S. 44 ff.; Contesse Singh, in: Squella Narducci (Hrsg.), Anuario de Filosofía Jurídica y Social, Nr. 20, 2002, S. 74 ff. 2 Siehe Correa González, Revista Derecho y Humanidades 2005, S. 170 ff. 3 Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 105 ff.; Bassa Mercado, Anuario de Derecho Público, Universidad Diego Portales 2010, S. 485 ff. 4 „Der Staat ist zum Dienst am Menschen geschaffen, und sein Ziel ist die Förderung des Gemeinwohls, da er dazu beitragen muss, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, die allen und jedem einzelnen Mitglied der nationalen Gemeinschaft erlauben, die größtmögliche geistige und materielle Selbstverwirklichung zu erreichen unter voller Beachtung der Gesetze und Garantien, die diese Verfassung vorsieht.“ 5 „Die Staatsorgane haben die Pflicht, diese Rechte zu respektieren und zu fördern, die durch diese Verfassung sowie durch die von Chile ratifizierten und gültigen internationalen Verträge garantiert werden.“ 6 Vgl. Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 310 ff.; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 62. 7 Vgl. García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 380; Ribera Neumann, in: Pfeffer Urquiaga (Hrsg.), Temas actuales de Derecho Constitucional, S. 242.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Freiheitseinschränkungen stellen dementsprechend rechtfertigungsbedürftige Ausnahmen dar.8 Neben einer primären abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte9, wird weitgehend von der aktuellen Rechtsprechung10 und Rechtswissenschaft11 eine aus Art. 5 Abs. 212 chVerfG stammende staatliche Pflicht zur Förderung und zum Schutz der Grundrechte angenommen, sodass der Staat nicht nur die Grundrechte respektieren, sondern auch Maßnahmen treffen muss, um ungerechtfertigte Grundrechtsbeeinträchtigungen vorzubeugen. Da der Staat im Dienst des Menschen steht und sein Zweck die Förderung des Gemeinwohls ist, müsse er die bürgerlichen Freiheitssphären schützen und zu deren Verwirklichung aktiv beitragen.13 Jenseits dieser allgemeinen Aussagen wurde im Rahmen dieser Untersuchung keine allgemeine Schutzpflichtenlehre gefunden. Nur in Bezug auf den Schutz des Lebens lassen sich Überlegungen über die Grundlage und die Reichweite der staatlichen Lebensschutzpflicht finden, die bei der Dogmatik des Grundrechts auf Leben dargelegt werden.

B. Grundrechtsbeeinträchtigung und Rechtfertigung Das Fehlen eines Grundrechtssystems hat dazu geführt, dass die Reichweite der Grundrechte insgesamt – sowohl in Bezug auf einander als auch bezüglich Staatshandeln – überhaupt nicht klar ist. Einerseits besteht keine einheitliche, standardisierte Antwort darauf, wann, inwiefern und unter welche Voraussetzungen der Gesetzgeber in die Grundrechte eingreifen darf.14 Andererseits sind erkennbare eindeutige und standardisierte Lösungskriterien bezüglich konkreter Grundrechtskollisionen nicht erarbeitet worden.15 8 Vgl. Ribera Neumann, in: Pfeffer Urquiaga (Hrsg.), Temas actuales de Derecho Constitucional, S. 242; Gómez Bernales, Derechos Fundamentales y Recurso de Protección, S. 320. 9 Siehe Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 111; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 380. 10 Vgl. chVerfG Nr. 740 vom 18. April 2008 cc. 47; chVerfG Nr. 1287 von 8. September 2009 cc. 17 f.; chVerfG Nr. 2747 vom 25. August 2015 cc. 11 f.; chVerfG Nr. 2801 vom 25. August 2015 cc. 11 f. 11 Siehe Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 180 ff.; Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 37; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 380; Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 250; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 18. 12 Art. 5 Abs. 2 „Die Staatsorgane haben die Pflicht, diese Rechte zu respektieren und zu fördern, die durch diese Verfassung sowie durch die von Chile ratifizierten und gültigen internationalen Verträge garantiert werden.“ 13 Vgl. Ribera Neumann, in: Pfeffer Urquiaga (Hrsg.), Temas actuales de Derecho Constitucional, S. 244. 14 Vgl. Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 234 f. 15 Seit dem Jahr 2000 lässt sich eine Übernahme der Prinzipientheorie und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch einen Teil der chilenischen Verfassungsdogmatik

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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In der Praxis erfolgt die Entscheidung einzelfallbezogen, konsistente Kriterien bezüglich der Grenze der Grundrechte sind nicht erkennbar.16 Bisweilen nennt das chilenische Verfassungsgericht (chVerfG) das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungskriterium der Verfassungsmäßigkeit grundrechtseinschränkender Gesetze, seine Anwendung erfolgt allerdings unsystematisch.17 Es bleibt in der Regel bei der bloßen Erwähnung des Prinzips ohne weitere Ausführungen, insbesondere im Rahmen von strafrechtlichen Grundrechtseinschränkungen.18

C. Die in Betracht kommenden Grundrechte 1. Die Menschenwürde in der chilenischen Verfassung Nach Art. 1 Abs. 1 chVerf sind die Menschen von Geburt an frei und gleich mit Würde und Rechten geboren. Nach der spärlich verfügbaren Menschenwürdedogmatik19 und Rechtsprechung des chVerfG20 handelt es sich um einen Grundwert bzw. ein Grundprinzip der Verfassungsordnung, das als Auslegungsprinzip für die gesamte Rechtsordnung wirken soll.21 Die Anerkennung der Menschenwürde prägt das Menschenbild der chilenischen Verfassung nachhaltig. Dementsprechend wird der Mensch als ein wesentlich freies, vernünftiges und selbstverantwortliches Wesen gesehen, welches sein

beobachten, trotzdem hat dies den Punkt noch nicht erreicht, in dem sie in systematischer Weise auf konkrete Probleme angewendet wird. Für eine ausführliche Analyse der Einführung, Entwicklung und Verständnis der Prinzipientheorie der Grundrechte in die chilenische Rechtswissenschaft und Rechtsprechung siehe Contreras Vásquez, Revista Internacional de Derechos Humanos 2013, S. 103 ff. 16 Vgl. Nash Rojas, Revista de Derecho (Concepción) 2005, S. 128; Díaz García, RDPUCV 2011, S. 172. 17 Vgl. Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 266 f.; Arnold/Martínez Estay/Zúñiga Urbina, Estudios Constitucionales, 2012, S. 87; Díaz García, RDPUCV 2011, S. 172; Zúñiga Añazco, Ius et Praxis, Vol. 16, Núm. 2, 2010, S. 263 ff. 18 Vgl. Lopera Mesa, Revista de Derecho (Valdivia), 2011, S. 123 ff. 19 Vgl. Fernández González, Los Derechos Fundamentales en 25 años de jurisprudencia del Tribunal Constitucional, S. 29. 20 chVerfG Nr. 389 vom 28. Oktober 2003 cc. 17; chVerfG Nr. 433 vom 25. Januar 2005 cc. 24 f.; chVerfG Nr. 521 vom 1. August 2006 cc. 18; chVerfG Nr. 1273 vom 20. April 2010 cc. 42 ff.; chVerfG Nr. 1287 vom 8. September 2009 cc. 16 ff.; chVerfG Nr. 2747 vom 25. August 2015 cc. 11. 21 Celis Danzinger, Curso de Derecho Constitucional I, S. 124; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 396 f.; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 14; vgl. Rosales Rigol, in: Silva Gallinato/Henríquez Viñas (Hrsg.), Derechos Fundamentales y Justicia Constitucional, S. 34; Verdugo Marinkovic/Pfeffer Urquiaga/Nogueira Alcalá, Derecho Constitucional I, S. 110.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Leben selbständig und verantwortlich führt und seine Persönlichkeit frei entwickeln darf.22 Darüber hinaus bestimmt die Anerkennung der Menschenwürde das Verhältnis zwischen Person und Staat in dem Sinne, dass der Staat im Dienst des Menschen steht und nicht, dass der Mensch ein Mittel zum staatlichen Zwecke ist.23 Auch wenn der Begriff und seine verfassungsrechtliche Funktion nicht wie in Deutschland problematisiert wird, weist seine intrinsische normative Offenheit24 bei der verfassungsrechtlichen Sterbehilfediskussion dieselben Konkretisierungsprobleme auf.25 2. Das Grundrecht auf Leben (Art. 19 Nr. 1 chVerf) Die herrschende Meinung26 und Rechtsprechung27 sehen diese grundrechtliche Garantie als Grundlage für alle anderen Grundrechte, die – von einer hierarchischen Ordnung der Grundrechte ausgehendend – absoluten Vorrang vor anderen Rechtsgütern hat.28 Der rechtliche Schutz des Lebens erstreckt sich vom Anfang bis zum Lebensende, unabhängig von irgendeiner Bewertung seiner Qualität.29 Ausfluss der mangelnden Grundrechtsdogmatik ist die häufige Verwechslung des Grundrechts als subjektive Rechtsposition und dem Schutzobjekt bzw. biologischen Zustand „Leben“ als objektiver Grundrechttatbestand. Die herrschende Meinung vertritt die Auffassung, dass sich Art. 19 Nr. 1 chVerf ausschließlich

22 Vgl. Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 43; Molina Guaita, Derecho Constitucional, S. 56; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 16; Verdugo Marinkovic/Pfeffer Urquiaga/Nogueira Alcalá, Derecho Constitucional I, S. 110; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 45. 23 Vgl. Celis Danzinger, Curso de Derecho Constitucional I, S. 126; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 11 f.; Rosales Rigol, in: Silva Gallinato/Henríquez Viñas (Hrsg.), Derechos Fundamentales y Justicia Constitucional, S. 44. 24 Vgl. Rosales Rigol, in: Silva Gallinato/Henríquez Viñas (Hrsg.), Derechos Fundamentales y Justicia Constitucional, S. 35 erkennt dies und schlägt vor – da es sich um einen kulturell bedingten Begriff handelt –, den Begriff nach der Konzeption der humanistischen und christlichen Philosophie auszulegen. 25 Vgl. Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 413 erkennt die Janusköpfigkeit der Menschenwürde und folglich ihre Untauglichkeit als leitendes Kriterium im Rahmen der Sterbehilfediskussion. 26 Vgl. Banda Vergara, Rev. derecho (Valdivia) v. 8 n. 1 Valdivia dic. 1997 [Online]; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 445; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 117; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 342; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 262. 27 chVerfG Nr. 740 vom 18. April 2008 c. 55. 28 Siehe Bassa Mercado, Elementos para una teoría constitucional democrática, S. 351 f.; Jiménez Larraín/Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 226. 29 Mayer Lux, Revista de Derechos Fundamentales 2011, S. 69; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 266.

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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auf die Erhaltung des biologischen Zustandes bezieht, ohne Rücksicht auf den Grundrechtsträgerwillen.30 Nur eine Mindermeinung unterscheidet zwischen Art. 19 Nr. 1 chVerf als subjektiv grundrechtliche Position, der Ansprüche gegenüber dem Staat begründet, und dem objektiven Grundrechtstatbestand, welcher sich auf das Schutzobjekt bezieht.31 Weitgehend wird angenommen, dass die Grundlage dieser Garantie nicht individueller Natur ist.32 Der grundrechtliche Schutz erfolge nicht nur im Interesse des Einzelnen, sondern auch aufgrund demographischen Interesses des Staates an der Erhaltung menschlichen Lebens.33 Dieses Verständnis der Garantie bestimmt weitgehend die Reichweite der einhellig angenommenen staatlichen Lebensschutzpflicht34 und stellt die Basis der heutigen in Chile herrschenden Lehre der Unverfügbarkeit des Lebens dar.35 Trotz allem wird einhellig anerkannt, dass es sich um ein einschränkbares Grundrecht handelt.36 Letztlich wird ein Grundrecht auf den eigenen Tod aufgrund des Wortlauts des Art. 19 Nr. 1 chVerf, nach dem man ein Recht auf Leben hat, verneint.37

30 Siehe Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 16; Marshall Barberán, Revista de Derecho y Humanidades, Nr. 11 (2005), S. 209. 31 Vgl. García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 319; Marshall Barberán, Revista de Derecho y Humanidades, Nr. 11 (2005), S. 209; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 445, S. 157; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 354. 32 Cousiño Mc Iver, PG II., S. 518; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 475; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 330; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 301; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 117. 33 Vgl. Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 112; Vivanco Martínez, La Eutanasia ante el Derecho, ARS Médica Vol. 12, No. 12 [Online]. 34 Vgl. Banda Vergara, Rev. derecho (Valdivia) v. 8 n. 1 Valdivia dic. 1997 [Online]; Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 298; Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 249; Marshall Barberán, Revista de Derecho y Humanidades, Nr. 11 (2005), S. 195 ff.; Molina Guaita, Derecho Constitucional, S. 198; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 157; Verdugo Marinkovic/Pfeffer Urquiaga/Nogueira Alcalá, Derecho Constitucional I, S. 199; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 265 f. 35 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 16; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 319; Marshall Barberán, Revista de Derecho y Humanidades, Nr. 11 (2005), S. 209. 36 chVerfG Nr. 3729 v. 28.08.17 cc. 49; Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 15 f.; Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 267; Jiménez Larraín/Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 227; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 446; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 355 37 Vgl. chVerfG Nr. 3729 v. 28.08.17 cc. 49; Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 16; Banda Vergara, Rev. derecho (Valdivia) v. 8 n. 1 Valdivia dic. 1997; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 445; Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 98.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

a) Aufgedrängter Lebensschutz nach der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft In den 80er Jahren bis zur ersten Hälfte der 90er Jahre hat die chilenische Rechtsprechung anhand des Art. 19 Nr. 1 chVerf und der Lehre der Unverfügbarkeit des Lebens den aufgedrängten Lebensschutz bei lebensgefährlichen Behandlungsverweigerungen legitimiert. Die erste Entscheidung, welche die Grundlage für die weiteren Entscheidungen gebildet hat, begründete die Anwendung der Lehre der Unverfügbarkeit des Lebens als Auslegungsbasis des Art. 19 Nr. 1 chVerf dadurch, dass sie Erbe der jüdisch-christlichen Tradition sei, welche die chilenische Gesetzgebung geprägt habe. Unter Einsatz dieser Lehre hat die Rechtsprechung erklärt, dass der Mensch kein Eigentum über sein Leben habe, weil das Eigentum ein Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt voraussetzt, während der Mensch und sein Leben eine untrennbare Einheit bilden. Dementsprechend könne der Mensch nur Respekt von seinem Leben verlangen, es aber nicht vernichten. Diesbezüglich erklärte das Berufungsgericht, dass jeder Verstoß gegen das Leben – eingeschlossen der Suizid – rechtswidrig sei, und hat in der Führung eines Hungerstreiks eine rechtswidrige Gefährdung des eigenen Lebens angesehen, die gegen das ganze soziale und rechtliche System verstoße.38 In ähnlicher Weise wird in der Literatur die Idee vertreten, dass das Leben dem Rechtsträger nicht oder zumindest nicht ausschließlich gehöre, sodass seine Verfügung fremde Interessen in illegitimer Weise verletzen würde.39 Darüber hinaus wird der unverfügbare Charakter oft auf der Basis einer besonderen Struktur des Rechts auf Leben begründet. Im Unterschied zu den anderen Grundrechten sei bei dem Recht auf Leben die Differenzierung zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt nicht möglich, da die Person gleichzeitig Subjekt und Objekt sei, sodass das Recht vom Rechtsträger nicht getrennt werden könne. Diese Untrennbarkeit schließe die Möglichkeit aus, das Recht auf Leben als ein subjektives verfügbares Recht zu verstehen.40 Außerdem führe der Verzicht des Rechts auf Leben zu einer Vernichtung des Rechts an sich, was nicht erlaubt sei.41 Es wäre ein Widerspruch von Autonomie zu sprechen, um die Vernichtung

38 Vgl. Entscheidung des Berufungsgerichts von Santiago vom 9. August 1984, in: Revista Chilena de Derecho Vol. 12, Nr. 1 (1985), S. 147 ff. 39 Vgl. Carrasco Delgado, Estudios Constitucionales No. 1 2003, S. 87; Cousiño Mac Iver, PG II., S. 518; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 301; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 117. 40 Vgl. Corral Talciani, Derecho Civil y Persona Humana, S. 182; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 301. Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 119 unterscheidet in einer ähnlichen Argumentationslinie zwischen Sachen und Menschen, wobei nur Sachen Rechtsobjekte sein können. Da der Mensch keine Sache ist, könne er kein Recht über sein Leben haben. 41 Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 159.

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der Autonomie zu rechtfertigen. „Kein Prinzip könne seine eigene Vernichtung rechtfertigen.“ 42 b) Begründungsänderung: Die These der staatlichen Lebensschutzpflicht Die ständige Rechtsprechung des chilenischen Höchstgerichts und der verschiedenen Berufungsgerichte ordnet immer noch die Zwangsbehandlung an43, jedoch hat die Begründung der Entscheidungen am Anfang der 90er Jahren eine Änderung erfahren.44 Die katholisch moraltheologische Begründung des unverfügbaren Charakters des Lebens wurde durch eine allgemeine grenzlose staatliche Lebensschutzpflicht ersetzt.45 Diese These geht von der Höherrangigkeit des Rechts auf Leben gegenüber den anderen Grundrechten aus und behauptet aufgrund einer verfassungsrechtlichen positiven Lebensschutzpflicht, dass der Staat nicht nur das Leben respektieren muss, sondern es auch erhalten müsse. Diese Pflicht könne durch den Willen des Rechtsträgers nicht aufgehoben werden, weil die Grundrechte nicht so ausgelegt werden können, dass ihre Ausübung ihre Geltung unmöglich macht. Dementsprechend müsse der Staat jede mögliche Maßnahme treffen, um das Leben zu schützen, auch gegen den Willen der Rechtsträger, weil das Unterlassen der Selbsterhaltung eine willkürliche und rechtswidrige Gefährdung des Rechts auf Leben darstelle.46 Diese Argumentationsänderung hat in der Rechtswissenschaft Anklang gefunden. Das Leben sei somit nicht nur ein Recht, sondern eine Rechtspflicht47 bzw. 42

Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 162 Fn. 27. Siehe Entscheidung des Berufungsgerichts von Temuco vom 30. September 2017 (4647-2017). 44 Siehe Entscheidung des Berufungsgerichts von Copiapó vom 3. Juli 1986 (35691986); Berufungsgericht von Santiago (1561-1992) in: Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 264. 45 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 271. 46 Vgl. Berufungsgericht von Temuco vom 4. Dezember 2007 (1848-2007); Berufungsgericht von Valparaíso vom 24. Oktober 2008 (554-2008); Berufungsgericht von Iquique vom 3. Februar 2010 (30-2010); Berufungsgericht von Temuco vom 24. August 2010 (1154-2010); Berufungsgericht von Temuco vom 3. Mai 2011 (2-2011); Berufungsgericht von Puerto Montt vom 9. September 2011 (215-2011); Berufungsgericht von Punta Arenas vom 9. August 2012 (62-2012); Berufungsgericht von Temuco vom 12. Oktober 2012 (1814-2012); Berufungsgericht von Punta Arenas vom 9. Oktober 2013 (478-2013); Berufungsgericht von La Serena vom 26. Mai 2014 (391-2014); Berufungsgericht von Temuco vom 30. September 2017 (4647-2017); chOGH vom 11. Dezember 2008 (7282-2008); chOGH vom 24. September 2010 (6646-2010); chOGH vom 1. Oktober 2010 (7074-2010); chOGH vom 3. Juni 2011 (4167-2011). 47 Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 475. Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 117 leitet die Pflicht aus dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb, der dem Menschen zur Verwirklichung seines Schicksals verpflichtet. 43

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

ein objektives verfassungsrechtliches Rechtsgut.48 In ähnlicher Weise wird davon ausgegangen, dass die Grundrechte objektive Normen des öffentlichen Rechts sind, deren Geltung nicht vom Willen des Bürgers abhänge.49 c) Widersprüchliche Rechtsprechung des Obergerichtshofes Im offensichtlichen Widerspruch zu dieser These einer schrankenlosen Lebensschutzpflicht, hat die Rechtsprechung des Obergerichtshofes bezüglich der Finanzierung von Behandlungen und Medikamenten eine aus Art. 19 Nr. 1 chVerf abzuleitende staatliche Pflicht verneint, menschliches Leben durch ökonomische Leistungen zu retten. Die grundrechtliche Garantie beziehe sich ausschließlich auf menschliche Eingriffe und erstreckt sich nicht auf die Verhinderung von natürlichen Sterbeprozessen.50 d) Abweichende Strömungen in der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Während der letzten Zeit lässt sich in einigen Entscheidungen51 und Sondervoten52 eine Abweichung beobachten, nach der der Grundrechtsträgerwille die 48 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 16; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 172. 49 Vgl. Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 78, 87, 91. Ausgehend von einer allgemeinen Unverzichtbarkeit der Grundrechte, wird – anhand der Enzyklika Evangelium Vitae (welche nicht nur für die Katholiken, sondern für jeden gelte) – ein bedingungsloser Respekt des Rechts auf Leben von der Konzeption bis zum natürlichen Tod befürwortet. Da die Grundrechte objektive Normen des öffentlichen Rechts sind, habe die Autonomie der Person keine Geltung, sodass der Grundrechtsverzicht verboten sei. Ähnlich Náquira Riveros, PG I, S. 441; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 322 f. 50 Siehe Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 280 ff.; Cortés Sepúlveda, in: Vega Gómez/Corzo Sosa (Hrsg.), Instrumentos de Tutela y Justicia Constitucional, S. 733 ff. 51 Die Entscheidung des Berufungsgerichts von Talca vom 30. Oktober 2010 (9352010) hat im Fall einer Bluttransfusionsverweigerung einen Verstoß gegen Art. 19 Nr. 1 verneint, da der Staat die Person nicht zur Verteidigung ihrer Grundrechte zwingen könne. Wegen der Menschenwürde und Freiheit, der Intimsphäre der Person und des Rechts, Entscheidungen auf den eigenen Körper zu treffen, hat das Gericht erklärt, dass der Wille einer Person stets respektiert werden muss, auch wenn sie zum Tode führt, solange eine informierte Einwilligung vorliegt. Siehe auch die Entscheidung des Berufungsgerichts von Santiago vom 14. April 2014 (12930-2014). Die Entscheidung des Berufungsgerichts von Temuco vom 12. Mai 2014 (1101-2014) hat die aus Art. 19 Nr. 1 staatliche Pflichten verneint, auch wenn der geführte Hungerstreik eine willkürliche Gefährdung des Lebens darstellt. 52 chOGH vom 1. Oktober 2010 (7074-2010) Entscheidung vom 3. Juni 2011 (41672011). Der Richter Brito Cruz hat in zwei Fällen erklärt, dass ein freiverantwortlich geführter Hungerstreik mit vollem Bewusstsein der möglichen Konsequenzen nicht als Verletzung des Rechts auf Leben angesehen werden könne, da die Grundrechte zu-

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Grenze der aus Art. 19 Nr. 1 chVerf abgeleiteten staatlichen Lebensschutzpflicht darstellt. Außerdem verneint eine Mindermeinung in der Rechtswissenschaft – von der Menschenwürde bzw. Menschenautonomie und der subjektiv rechtlichen Natur der Grundrechte ausgehend – den unverfügbaren Charakter des Rechtsguts Leben.53 Eine Auffassung dieses Grundrechts, welche die Person zum Weiterleben verpflichtet, sei mit der rechtlichen Ordnung eines pluralistischen Laienstaates nicht zu vereinbaren. Da die Grundrechte zugunsten der persönlichen bürgerlichen Interessen etabliert worden sind, können sie nicht freiheitseinschränkend wirken, wenn eine freiverantwortliche Entscheidung vorliegt.54 3. Das Recht auf körperliche und psychische Integrität (Art. 19 Nr. 1 chVerf) Meistens wird diese Garantie von dem Recht auf Leben dogmatisch überhaupt nicht unterschieden55 und ihre möglichen restriktiven Auswirkungen auf die ärztliche Tätigkeit sind erstaunlicherweise kaum untersucht worden. Nur vereinzelt wird dieses Grundrecht im Sinne eines allgemeinen Vetorechts hinsichtlich der persönlichen körperlichen Sphäre begriffen56, welches im ärztlichen Bereich verfassungsrechtlichen Schutz der Patientenautonomie gewährleistet57 und sich einfachgesetzlich darauf auswirkt, dass die informierte Ein-

gunsten des Rechtsträgers etabliert worden sind. Der Hungerstreik stelle eine legitime Ausübung des Freiheitsrechts und des Rechts auf Leben dar, auch wenn das Leben gefährdet wird. Obwohl Gendarmerie besondere Garantepflichten gegenüber den Häftlingen hat, sind diese nicht unbegrenzt. Der Wille der Häftlinge sei die Grenze der staatlichen Pflichten, auch wenn die Ausübung eines Grundrechts (Freiheit/Leben) tödlich wirkt. Der Staat sei nicht dazu legitimiert, sich über die Ausübung von Grundrechte hinwegzusetzen. Außerdem hat der Richter eine Kollision zwischen dem Recht auf Leben und der Freiheit abgelehnt, da die Streikenden Träger beider Rechte sind. Bei der Entscheidung des Berufungsgerichts von Talca vom 4. April 2011 – 35-201-Civil hat der Richter Biel Melgarejo in seinem Sondervotum Einwände gegen die gezwungene Dialyse einer Frau erhoben, da das Leben kein absolutes Recht ist, welches dazu bevollmächtigen könne, die Autonomie und Würde der Person unbegrenzt aufzuopfern. 53 Figueroa García-Huidobro, Rev Med Chile 2011; 139, S. 655; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 319; Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 253; Marshall Barberán, Revista de Derecho y Humanidades, Nr. 11 (2005), S. 195 ff.; Mayer Lux, Revista de Derechos Fundamentales, S. 68; Szczaranski Vargas, Diario Constitucional 23.10.2013; Toledo Sepúlveda, El suicidio asistido, S. 118 f. 54 Vgl. Aldunate Lizana, Derechos Fundamentales, S. 161 f.; Marshall Barberán, Revista de Derecho y Humanidades, No. 11 (2005), S. 209; Mayer Lux, Revista de Derechos Fundamentales, S. 68; Szczaranski Vargas, Diario Constitucional 23.10.2013. 55 Siehe Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 295. 56 Vgl. García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 293. 57 Mayer Lux, RDPUCV Vol. 37 No. 2 (2011), S. 373.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

willigung Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung von sonst sogar strafbaren ärztlichen Maßnahmen darstellt.58 4. Schutz der Freiheit und Privatsphäre in der chilenischen Verfassung a) Recht auf persönliche Freiheit (Art. 19 Nr. 7 chVerf) Art. 19 Nr. 7 chVerf garantiert die persönliche Freiheit und das Recht auf die individuelle Sicherheit. Die Mehrheit der Verfassungsrechtler versteht den Inhalt dieser Garantie als die körperliche Bewegungsfreiheit und Wanderfreiheit.59 Dazu wird das Recht geschützt, sich innerhalb des Staatsgebiets zu bewegen, den Aufenthalt- bzw. Wohnort zu wählen und das Recht auf Reisefreiheit.60 Eine Mindermeinung vertritt einen Freiheitsbegriff, welcher weit über die körperliche Bewegungsfreiheit und Freizügigkeit hinausgeht. Die persönliche Freiheit wird im Sinne einer freien Entfaltung der Persönlichkeit verstanden, sodass Art. 19 Nr. 7 chVerf die gesamte Freiheitssphäre der Person schütze.61 Art. 19 Nr. 7 Abs. 1 chVerf gewähre ein Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit, nach dem das Individuum sein Verhalten nach Belieben führen kann ohne faktische oder normative Hindernisse vonseiten des Staates.62 Nach dieser Auffassung ist Art. 19 Nr. 7 chVerf ein subsidiäres Grundrecht, welches sich nicht nur auf ungerechtfertigte Festnahmen und Verhaftungen beziehe, sondern auch auf alles, was die anderen Grundrechte nicht schützen.63

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Mayer Lux, RDPUCV Vol. 37 No. 2 (2011), S. 375. Vgl. García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 296; Pardo Vergara, in: Bassa Mercado (Hrsg.), Los desafíos de la interpretación constitucional, S. 190 ff.; Ribera Neumann, in: Pfeffer Urquiaga (Hrsg.), Temas actuales de Derecho Constitucional, S. 248 f. 60 Siehe Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 257; Jiménez Larraín/ Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 288 ff.; Molina Guaita, Derecho Constitucional, S. 204 ff.; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales II, S. 445; Verdugo Marinkovic/Pfeffer Urquiaga/Nogueira Alcalá, Derecho Constitucional I, S. 235; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 326 ff. 61 Vgl. Bascuñán Rodríguez, Estudios Públicos No. 124 (2011), S. 116 Fn. 5; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 296; Ribera Neumann, in: Pfeffer Urquiaga (Hrsg.), Temas actuales de Derecho Constitucional, S. 241 ff.; Silva Bascuñán, Tratado de Derecho Constitucional XII, S. 17; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 368. 62 Vgl. Pardo Vergara, in: Bassa Mercado (Hrsg.), Los desafíos de la interpretación constitucional, S. 185. 63 Vgl. García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 296; Pardo Vergara, in: Bassa Mercado (Hrsg.), Los desafíos de la interpretación constitucional, S. 212. 59

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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Das chVerf hat diese Auslegung allerdings ausdrücklich abgelehnt.64 Der Freiheitsbegriff im Sinne einer von staatlichen Eingriffen freien Lebenssphäre entspricht mehr dem Begriff des Privatlebens des Art. 19 Nr. 4 chVerf als dem der „persönlichen Freiheit“ und sollte dementsprechend als von Art. 19 Nr. 4 chVerf geschützt angesehen werden.65 b) Das Recht auf Privatleben (Art. 19 Nr. 4 chVerf) Da dieses Grundrecht erst vor nicht allzu langer Zeit in den chilenischen Grundrechtskatalog aufgenommen worden ist, ist der Inhalt dieser Garantie bisher wenig von der Verfassungsdogmatik und Rechtsprechung präzisiert worden.66 Die Mehrheit der sachbezogenen Literatur67 und Rechtsprechung68 bezieht sich auf die Kontrolle von persönlichen Informationen, wobei Art. 19 Nr. 4 chVerf als ein Grundrecht verstanden wird, welches die Preisgabe, Bekanntmachung und Verwendung von persönlichen Informationen umfasst. Jenseits dieses informationsbezogenen Schutzbereiches, findet man in der Rechtswissenschaft zwei konkurrierende Auffassungen dieses Grundrechts. Eine Auffassung versteht das Privatleben als eine bürgerliche Privatsphäre, in der die Person frei von fremden Einflüsse ihre Persönlichkeit entfalten darf. Andere Autoren lehnen diese breitere Auffassung ausdrücklich ab. aa) Das Privatleben als Freiheitssphäre Einige Autoren fassen den Schutzbereich des Rechts auf Privatleben69 weit, was der Ansicht der Verfassungskommission entspricht70, nach der Art. 19 Nr. 4 64

chVerfG Nr. 1683 vom 4. Januar 2012 cc. 48 ff. Vgl. Pino Emhart, Derecho y Humanidades Nr. 12 (2006) S. 173. 66 Covarrubias Cuevas, in: Rodríguez Pardo, Derecho de la información, S. 137; Pfeffer Urquiaga, Ius et Praxis, Vol. 6, No. 1, 2000, S. 466. 67 Aros Chia, RDPUCV No. 22 (2001), S. 209 ff.; Banda Vergara, Revista de Derecho Público, No. 63 (2001), S. 258 ff.; Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 193 ff.; Celis Danzinger, Derecho Constitucional I, S. 307; Corral Talciani, Revista chilena de derecho, Vol. 27, N ë 2, 2000, S. 331 ff.; Covarrubias Cuevas, in: Rodríguez Pardo, Derecho de la información, S. 137; Jiménez Larraín/Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 269; Meins Olivares, Ius et Praxis, Vol. 6, núm. 1, 2000, S. 303 f.; Molina Guaita, Derecho Constitucional, S. 219; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 772 f.; Sanz Salguero, RDPUCV Nr. 41 (2013), S. 457 ff.; Verdugo Marinkovic/Pfeffer Urquiaga/Nogueira Alcalá, Derecho Constitucional I, S. 250 ff.; Vivanco Martínez, Derecho Constitucional II, S. 345. 68 Vgl. Covarrubias Cuevas, La vida privada de las figuras públicas, S. 164 ff.; Figueroa García-Huidobro, Revista Chilena de Derecho, Vol. 40 No. 3, S. 859 ff.; Rodríguez Pinto, Revista Chilena de Derecho, Año 1999, Vol. 26, No. 3, S. 719 ff. 69 Bascuñán Rodríguez/Couso Salas/Cox Leixelard u. a., Revista de Estudios de la Justicia No. 14 (2011), S. 84; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 326; Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 315; Jiménez Lar65

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

chVerf nicht nur die persönliche Information schützt, sondern auch eine umfassende Privatsphäre frei von ungerechtfertigten fremden Eingriffen. Diese Sphäre sei eine Manifestation bzw. Konkretisierung der Menschenwürde71, die die individuelle Autonomie und Entfaltung der Persönlichkeit ermöglicht.72 Aufgrund der Schwierigkeit, das Privatleben erschöpfend zu begreifen, ist die Bestimmung sowohl des Schutzbereichs als auch von Eingriffen vom Einzelfall abhängig.73 Trotzdem sollten im Allgemeinen autonome Entscheidungen bezüglich des eigenen Lebens dem Schutzbereich des Art. 19 Nr. 4 chVerf zugewiesen werden, sodass jede Art von Einmischungen und physischen Eingriffen einer Rechtfertigung bedürfen.74 Die wichtigste allgemeine Wirkung dieser Auffassung liegt darin, dass die Person seine Lebensführung – sogar selbstschädigend bzw. tödlich75 – nicht zu rechtfertigen hat, sondern vielmehr der Staat Eingriffe in das Privatleben eines Bürgers rechtfertigen muss.76 bb) Der eingeschränkte Privatlebensbegriff Eine andere Ansicht behauptet, dass das Grundrecht auf Privatleben ausschließlich darin bestehe, persönliche Informationen privat zu halten, und lehnt – meistens unbegründet – eine von fremden Eingriffen freie Privatsphäre als Inhalt des Rechts ab.77 Es wird davon ausgegangen, dass der Inhalt dieses Grundrechts

raín/Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 269; Molina Guaita, Derecho Constitucional, 6ª Ed., S. 219; Pino Emhart, Derecho y Humanidades No. 12 (2006), S. 173; Verdugo Marinkovic/Pfeffer Urquiaga/Nogueira Alcalá, Derecho Constitucional I, S. 250. 70 Vgl. BCN Historia de la Ley. Constitución Política, Art. 19 Nr. 4, S. 21 ff. „. . . angesichts dessen, dass die Gesellschaft überaus das Individuum beeinflusst und bestimmt, ist es sehr wichtig, dies eine Grenze zu ziehen, sodass der Mensch seine Persönlichkeit ausgestalten, konsolidieren und entfalten kann.“ „. . . la sociedad influye enormemente y determina en muchos aspectos al individuo; todo lo cual hace que sea muy importante que ese proceso de penetración de la sociedad sobre el hombre tenga un límite que le permita a éste formar, consolidar y desarrollar su propia personalidad.“ (Übers. d. Verf.) 71 Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 315. 72 García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 326. 73 García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 328; Historia de la Ley Constitución Política, Art. 19 Nr. 4, S. 25 f.; chOGH Nr. 18481-16 vom 1. Juli 2016 c. 10. 74 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 316 f.; García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 326. 75 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 319 sieht das Vorliegen drittschädigender Wirkungen als die einzige Rechtfertigungsgrundlage eines staatlichen Eingriffs in das Privatleben und geht davon aus, dass weder die selbstschädigende Wirkung einer Entscheidung noch moralische Vorwände Rechtfertigungsgrundlage eines staatlichen Eingriffs sein können. 76 Gómez Bernales, Derechos Fundamentales y Recurso de Protección, S. 320.

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auf der Basis der kollektiven Interessen aufzubauen sei, sodass das Privatleben nur geschützt wird, insofern es die Interessen der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt. Demzufolge sollte das Privatleben dogmatisch nicht von einem von den kollektiven Interessen unabhängigen Bereich des Lebens der Person ausgehen.78 Ein ausführlicher Aufsatz über das Thema sieht in den „klassischen“ und „postmodernen“ liberalen Auffassungen des Rechts auf Privatleben79, nach denen die Grenze der Freiheit ausschließlich durch das Schadensprinzip gegeben sei, „eine Waffe im ideologischen Krieg, um die traditionelle Moral durch andere ethische liberale Ansichten zu ersetzen“ 80. Hinter diesen liberalen Auffassungen verstecke sich ein positives Vorurteil über die moralische Legitimität einiger Handlungen, welches die traditionelle Moral ablehnt. Die Folge einer derartigen Auffassung sei problematisch, weil ein solcher verfassungsrechtlicher Schutz es hindern würde, Handlungen verbieten zu können, die gegen gemeinsame ethische Werte verstoßen.81 Verfassungstheoretisch geht dieser Ansatz von einer dem sozialverträglichen Modell entgegenstehenden transzendenten Natur der Grundrechte aus, nach der die Menschenwürde nicht definiert werden könne, sondern nur intuitiv verstanden werden kann.82 „Menschenwürde“ bedeute Selbstlosigkeit bzw. das Bewusstsein, dass das Leben notwendig in Verhältnis zu anderen Menschen geschieht und dass der Mensch, obwohl er Zweck an sich ist, nicht Zweck für sich ist.83 Aufgrund dieser immanenten Verbundenheit des Menschen mit der Gemeinschaft wird einerseits das liberale Menschenbild für wirklichkeitsfremd erklärt. Andererseits wird behauptet, dass die Lebensführung einer Person auch drittschädigend wirkt, wenn sie moralische Grundprinzipien („principio de moralidad mínima“) verletzt.84 77 Siehe Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho, Vol. 27 No. 2, S. 344; Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho, Vol. 27 No. 1, S. 78; Covarrubias Cuevas, La vida privada de las figuras públicas, S. 160; Covarrubias Cuevas, in: Rodríguez Pardo, Derecho de la información, S. 137 Fn. 56; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 772 f.; Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, 1. Aufl., S. 345; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 365. 78 Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 772 f. 79 Welche von der Souveränität des Menschen über sein Leben bzw. von einem individualistischen Menschenwürdebegriff ausgehen und zur Einschränkung der staatlichen Macht in einer demokratischen Ordnung dienen. Dementsprechend darf der Mensch sein Leben nach Belieben führen, solange die eigene Lebensführung nicht drittschädigend wirkt. Vgl. Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho, Vol. 27 No. 1, S. 53; ders., S. 74. 80 Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho. Vol. 27 No. 2, S. 347 (Über. d. Verf.). 81 Vgl. Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho. Vol. 27 No. 2, S. 347. 82 Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho, Vol. 27 No. 1, S. 75. 83 Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho, Vol. 27 No. 1, S. 77. 84 Corral Talciani, Revista Chilena de Derecho, Vol. 27 No. 1, S. 78 f.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

cc) Der Privatlebensbegriff in der Rechtsprechung Das chVerfG versteht das Privatleben als Ausfluss der Menschenwürde und als Bedingung der freien Entfaltung der Persönlichkeit, welches sich als ein privater persönlicher Bereich definieren lässt, in den nur aufgrund der Einwilligung des Rechtsträgers oder aufgrund eines verfassungsmäßigen Gesetzes eingegriffen werden darf.85 Seinerseits hat der chOGH in Art. 19 Nr. 4 chVerf ein aus der Menschenwürde stammendes Grundrecht angesehen, allein gelassen zu werden. Für den Rechtsträger bedeute dies eine Ausschlussbefugnis. Demzufolge hat jeder einen für die freie Entwicklung der Persönlichkeit notwendigen Freiheitsbereich, der vor illegitimen Eingriffen geschützt ist.86

D. Suizid und Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht 1. Der freiverantwortliche Suizid und die Suizidbeihilfe Nach herrschender Meinung stellt der Suizid aufgrund des unverfügbaren Charakters des Grundrechts Leben ein verfassungswidriges Verhalten dar87, dessen Straflosigkeit nur aus kriminalpolitischen und humanitären Gründen zu erklären sei.88 Aus diesem Grund sei die im Art. 393 chStGB vorgesehene Strafbarkeit der Suizidbeihilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive zu erklären.89 Vereinzelt wird der Suizid einem (verfassungs-)rechtsfreien Raum zugeschrieben.90 Eine Mindermeinung, welche die stark christlich moralisch geprägte Auslegung des Art. 19 Nr. 1 wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der chilenischen demokrati85 Vgl. chVerfG Nr. 389 vom 28. Oktober 2003 cc. 18; Nr. 433 vom 25. Januar 2005 cc. 23; chVerfG Nr. 521 vom 1. August 2006 cc. 19; chVerfG Nr. 1732 vom 21. Juni 2011 cc. 23; chVerfG Nr. 1894 vom 12. Juli 2011 cc. 20; Nr. 1990 vom 5. Juni 2012 cc. 32. 86 chOGH Nr. 5234-2005 vom 5. Januar 2006. 87 Vgl. Corral Talciani, Derecho Civil y Persona Humana, S. 184 ff.; Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 591; Tórtora Aravena, El Derecho a la Vida en la Jurisprudencia, S. 131 f.; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 183 ff.; Vivanco Martínez, ARS Médica Vol. 35, No. 1 (2006) [online]; Vivanco Martínez, Derecho Constitucional II, S. 303. 88 Jiménez Larraín/Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 235; Vivanco Martínez, Derecho Constitucional II, S. 303. 89 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 18; Banda Vergara, Rev. derecho (Valdivia) Vol. 8 No. 1 1997 [online]; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 188; Vivanco Martínez, Derecho Constitucional II, S. 303; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 116 f. Gleich in Vivanco Martínez, ARS Médica Vol. 35, No. 1 (2006) [online]. 90 Die Straflosigkeit des Suizids sei nicht Folge einer verfassungsrechtlichen Garantie, sondern einer straffreien autonomen Sphäre, zu deren Sicherung bzw. Förderung der Staat nicht verpflichtet sei. Vgl. Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 317.

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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schen Verfassung ablehnt91, sieht den Suizid als ein durch Art. 19 Nr. 492 chVerf grundrechtlich geschütztes Verhalten an, welches vom Staat respektiert werden sollte.93 Art. 19 Nr. 1 chVerf sollte nach dieser Ansicht unter dem Licht des Art. 1 Abs. 4 chVerf 94 ausgelegt werden, welcher die Grundrechte und die Menschenwürde als Grenzen der Förderung des Gemeinwohls sieht.95 Die selbstschädigende Wirkung einer Entscheidung könne nicht Rechtfertigungsgrundlage eines staatlichen Eingriffs sein. Die einzige Rechtfertigungsgrundlage eines staatlichen Eingriffs wäre das Vorliegen drittschädigender Wirkungen der Entscheidung.96 Vereinzelt wird die Rechtfertigung der Strafbarkeit der Suizidbeihilfe in der staatlichen Lebensschutzpflicht verankert, da der Suizident in der Regel nicht freiverantwortlich handele.97 Von der Inexistenz einer aus Art. 19 Nr. 1 chVerf abzuleitenden Lebenspflicht98 und dem grundrechtlichen Schutz des Suizids99 ausgehend – aber die staatliche Lebensschutzpflicht verkennend –, wird ausnahmsweise der grundrechtliche Schutz der Suizidbeihilfe akzessorisch begründet.100 In Konsequenz sollte die grundrechtlich geschützte Suizidbeihilfe auch straflos sein101 mit dem Ergebnis, dass Art. 393 chStGB verfassungswidrig wäre.102 2. Aktive Sterbehilfe a) Herrschende Meinung: Euthanasieverbot In der verfassungsrechtlichen Literatur wird, wenn das Problem überhaupt erwähnt wird, fast einhellig von einem verfassungsrechtlichen Euthanasieverbot 91 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 252; ähnlich Figueroa GarcíaHuidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 294; Jiménez Castro, REJ, No. 16 (2012), S. 262. 92 Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 319. 93 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 253. 94 „Der Staat ist zum Dienst am Menschen geschaffen, und sein Ziel ist die Förderung des Gemeinwohls, da er dazu beitragen muss, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, die allen und jedem Einzelnen der Mitglieder der nationalen Gemeinschaft erlauben, die größtmögliche geistige und materielle Selbstverwirklichung zu erreichen unter voller Beachtung der Gesetze und Garantien, die diese Verfassung vorsieht.“ 95 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 266 ff. Ähnlich aber ausschließlich aus der Perspektive des Art. 1 Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 291. 96 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 319. 97 Medina Quiroga, La Convención Americana, S. 63. 98 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 123. 99 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 125. 100 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 125. 101 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 123. 102 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 131.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

ausgegangen. Zum einen wird ein solches Verbot durch das Verfassungsprinzip der Unverfügbarkeit des Lebens begründet.103 Zum anderen wird die aktive Euthanasie als ein verfassungswidriger Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen.104 In der einzigen Untersuchung bis dato über das Thema wird auch ein Euthanasieverbot behauptet.105 Ausschließlich von der Sitzung Nr. 89 vom 21. November 1974 der Verfassungskommission ausgehend106 wird angenommen, dass während der Entstehung der Verfassung keine echte Debatte über die Euthanasie stattgefunden habe.107 Trotzdem sei die aktuelle gesetzliche Regelung der Tötungsdelikte eine Konkretisierung der grundrechtlichen Garantie des Lebens „in ihrem originalen Sinn und wie die Rechtswissenschaft sie verstanden hat“ (bzw. unverfügbares Grundrecht).108 Das Tötungsverbot, als Teil der öffentlichen Verfassungsordnung, stelle eine Grenze der bürgerlichen Freiheiten dar, wenn die Ausübung solcher Freiheiten fremde Rechte oder legitime kollektive Werte – zu denen der Schutz menschlichen Lebens gehöre – verletzt.109 Die Straflosigkeit der aktiven Euthanasie würde legitime kollektive Werte verletzen, weil sie eventuell zur einen Erosion des Tötungsverbots führen würde.110 Darüber hinaus sei dem selbstzerstörenden Anspruch bei dem Konflikt zwischen dem Grundrecht auf Leben und der persönlichen Autonomie grundrechtlicher Schutz abzusprechen, da die Suizidmöglichkeit rein faktisch sei und damit

103 Vgl. Corral Talciani, Derecho Civil y Persona Humana, S. 190; Jiménez Larraín/ Jiménez Loosli, Derecho Constitucional I, S. 235 zitieren das Lehramt der katholischen Kirche um das Verbot zu begründen. Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 123 greift auf das Prinzip der Unverfügbarkeit des Lebens und auf das 5. Gebot zurück. Tórtora Aravena, El Derecho a la Vida en la Jurisprudencia, S. 137 vom hierarchischen Vorrang des Lebens ausgehend. Vivanco Martínez, Curso de Derecho Constitucional II, S. 305; Vivanco Martínez, ARS Médica Vol. 35 No. 1 (2006) [online]. 104 Vgl. Nogueira Alcalá, Derechos fundamentales I, S. 590. 105 Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 441. 106 Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 354. Damals wurde nur erklärt, dass „das Recht auf Leben die Möglichkeit der Eugenik und der Euthanasie bzw. die pietistische Tötung des Kranken ausschließt“. 107 Es muss bemerkt werden, dass Vivanco Martínez früher in ihrer Arbeit den Rekurs auf die Entstehungsgeschichte der Verfassung als Auslegungsmittel des Grundrechts auf Leben ablehnt, weil sich der Verfassungsgeber die aktuellen bio-ethischen Probleme wahrscheinlich nicht vorgestellt hat. Vgl. Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 224. 108 Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 440. Ausdrücklich von der Unverfügbarkeit ausgehend Vivanco Martínez, Derecho Constitucional II, S. 305, wobei außerdem behauptet wird, dass sich der Verfassungsgeber ausdrücklich gegen die Euthanasie geäußert hat. Siehe auch Vivanco Martínez, ARS Médica Vol. 35 No. 1 (2006) [online]. 109 Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 322 f. 110 Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 341.

Kap. I: Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Perspektive

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zu keinem grundrechtlichen Schutzbereich gehöre. Es bestehe folglich überhaupt kein Anspruch gegenüber dem Staat darauf, Mittel zum Suizid zu bekommen. Als solches Mittel wird auch eine straflose Beteiligung von Dritten angesehen.111 b) Mindermeinung Vereinzelt wird ein verfassungsrechtliches Euthanasieverbot verneint, da es im Widerspruch zu der wesentlichen Einschränkbarkeit des Grundrechts auf Leben stünde.112 Außerdem wäre die zugrunde liegende Auffassung des Grundrechts auf Leben mit einer verfassungsrechtlichen Demokratie inkompatibel113, weil sie das Selbstbestimmungsrecht und das verfassungsrechtlich autonome Menschenbild verkennt. Es wäre ein Widerspruch, die Autonomie als Prinzip der Rechtsordnung anzunehmen und gleichzeitig die Verfügung des eigenen Lebens grundsätzlich auszuschließen.114 So verstanden, lasse Art. 19 Nr. 1 chVerf die Möglichkeit für eine Rechtfertigung der Euthanasie bzw. eines assistierten Suizids offen unter Vorbehalt der Erfüllung der aus Art. 19 Nr. 1 chVerf stammenden staatlichen Lebensschutzpflicht.115 Dies erscheint insbesondere unter Berücksichtigung der Sitzung Nr. 90 vom 25. November der Verfassungskommission zutreffend, in dessen Rahmen die verfassungsrechtliche Behandlung der Euthanasie ausdrücklich diskutiert wurde.116 Damals wurde die Einführung eines ausdrücklichen Euthanasieverbots vorgeschlagen, jedoch war die Mehrheit der Kommission der Meinung, dass die Verfassung über das Thema schweigen sollte, obwohl viele Kommissionmitglieder die Euthanasie für eine strafbarwürdige Handlung gehalten haben.117 Es wurde erklärt, dass die Rechtsprechung in Zukunft entscheiden sollte, ob eine bestimmte Regelung der Euthanasie verfassungsmäßig ist.118 Dieser gescheiterte Versuch, ein ausdrückliches Euthanasieverbot in die grundrechtliche Garantie des

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Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 317. Vgl. Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 292. 113 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 294. 114 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 293. 115 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Ius et Praxis Año 14 No. 1, S. 298. 116 BCN Historia de la Ley. Constitución Política de la República de Chile de 1980. Art. 19 No. 1: El Derecho a la vida y a la integridad física y psíquica de la persona, S. 89 ff. 117 BCN Historia de la Ley – Constitución Política de la República de Chile de 1980. Art. 19 No. 1: El Derecho a la vida y a la integridad física y psíquica de la persona, S. 90. 118 BCN Historia de la Ley – Constitución Política de la República de Chile de 1980. Art. 19 No. 1: El Derecho a la vida y a la integridad física y psíquica de la persona, S. 91. 112

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Lebens einzuführen, steht einem impliziten verfassungsrechtlichen Euthanasieverbot entgegen.119 3. Behandlungsverzicht Insgesamt lässt sich keine ernsthafte und umfassende Diskussion in der chilenischen Verfassungsrechtswissenschaft über die Patientenautonomie und das Problem des Behandlungsverzichts beobachten. Wie gezeigt wurde, stellt das Grundrecht auf Leben den Drehpunkt der Diskussion dar, aus dem sich eine im Ansatz schrankenlose Lebensschutzpflicht ergebe, was im tiefen Widerspruch zu der Struktur der verfassungsrechtlichen Argumentation steht, nach der staatliche Eingriffe und nicht bürgerliche Freiheiten gerechtfertigt werden müssen.120 Grundrechtliche Freiheitssphären der Betroffenen, besonders die körperliche Unversehrtheit, werden bei der Diskussion überhaupt nicht berücksichtigt. Man findet sogar Ansätze, die aufgrund der Unverfügbarkeit des Lebens die Verfassungswidrigkeit von Behandlungsverzichten (passive Euthanasie) behaupten.121 Da sich die staatliche objektive Pflicht zum aufgedrängten Lebensschutz nicht ausschließlich auf Fälle von Hungerstreik und Bluttransfusionsverweigerung bezieht, sondern auch auf andere ärztliche Behandlungen122, lassen sich keine Grenzen dieser Pflicht ziehen, die grundsätzlich als schrankenlos angenommen werden sollte. Folglich könnte angenommen werden, dass der aufgedrängte Lebensschutz stets zulässig und sogar verpflichtend ist. Einige Ansätze sehen in dem Prinzip der (Patienten-)Autonomie, die dem Schutzbereich verschiedener Grundrechte zugeschrieben wird (Körperliche Unversehrtheit123, Privatleben124, Gewissensfreiheit125) eine Grenze der staatlichen Schutzansprüche, sodass die Behandlungsverweigerung prinzipiell grundrechtlich geschützt wäre. Infolgedessen sollte der Behandlungsverzicht nicht nur straf-

119 Gleicher Schluss bezüglich eines verfassungsrechtlichen Schwangerschaftsabbruchsverbots vgl. Bascuñán Rodríguez, Estudios Públicos No. 95 (2004), S. 56. Ähnlich chVerfG Nr. 3729 vom 28.08.2017, cc. 31. 120 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 320. 121 Vgl. Cea Egaña, Derecho Constitucional Chileno II, S. 101 (passive Euthanasie); Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 212. Mit Ausnahme des Verzichts auf außergewöhnlicher Maßnahmen. 122 Entscheidung des Berufungsgerichts vom 4. April 2011 Nr. 35-2011. In diesem Fall erklärte das Gericht die Beachtlichkeit einer Dialyseverweigerung, vorausgesetzt, dass eine Willenserklärung vorliegt, welche durch ein Arztzeugnis über die geistigen Fähigkeiten genehmigt ist. Da solche Willenserklärung nicht vorlag, hat das Gericht die Zwangseinweisung und Behandlung ohne Vorbehalt einer Prüfung der Willensfreiheit genehmigt. 123 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV Vol. 37 No. 2, S. 391 f. 124 Vgl. Gómez Bernales, Derechos Fundamentales, S. 319. 125 Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 375 ff.

Kap. II: Der strafrechtliche Rahmen

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los, sondern auch für den Arzt verpflichtend sein, es sei denn, dass eine Rechtfertigung vorliegt. Wie bei der Darstellung des Gesetzes Nr. 20.584 von 2012 über Patientenrechte gezeigt wird, spiegeln sich die Unzulänglichkeiten der chilenischen Verfassungswissenschaft in besonderer Weise in der gesetzlichen Gestaltung der Patientenautonomie wieder, wobei eine eindeutige Spannung zwischen Autonomie und den darin vorgesehenen Einschränkungen auftaucht.126 Dies hat auch erhebliche Auswirkungen auf die dogmatische Diskussion der möglichen strafrechtlichen Konsequenzen eines Behandlungsverzichtes auf Patientenwunsch. Kapitel II

Der strafrechtliche Rahmen A. Der zu berücksichtigende strafrechtliche Rahmen: die vorsätzlichen Tötungsdelikte Der 8. Titel des 2. Buches des chilenischen Strafgesetzbuches regelt in breiter Weise unterschiedliche „Verbrechen und Vergehen gegen die Personen“. Eine besondere Regelung der Opfereinwilligung bei der Tötung gibt es nicht. Zum Zweck dieser Arbeit werden nur die im § 1 des Titels VIII enthaltenen Normen, welche das geborene menschliche Leben vor vorsätzlichen Eingriffen schützen, berücksichtigt, um die auf den Untersuchungsgegenstand anwendbaren Normen zu bestimmen. Aus § 1 werden der Parrizid (Art. 390 chStGB), der Homizidtatbestand (Art. 391 chStGB), und die Suizidbeihilfe (Art. 393 chStGB) behandelt.127

B. Das menschliche Leben als geschütztes Rechtsgut Nach dem aktuellen Verfassungsverständnis werden diese Strafnormen als Konkretisierung der staatlichen Lebensschutzpflicht verstanden.128 Im Einklang mit der Verfassungsdogmatik des Grundrechts auf Leben geht die chilenische Strafrechtsdogmatik vom absoluten Schutz des menschlichen Lebens aus. Der strafrechtliche Schutz des Lebens erstreckt sich auf den ganzen Lebensvorgang ohne Rücksicht auf qualitative bzw. quantitative Erwägungen129 und die subjektive Einstellung des Opfers spielt keine Rolle bei der Bewertung einer Tötung.130 126

García Pino/Contreras Vásquez, Diccionario Constitucional Chileno, S. 294 f. Art. 392 (Beteiligung an einer Schlägerei) wird außer Acht gelassen. 128 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 19; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 19; Garrido Montt, DP III, S. 23. 129 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 27; Balmaceda Hoyos, PE, S. 18; Cornejo Manríquez, PE, S. 182; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 19. 130 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 27; Garrido Montt, DP III, S. 23; Labatut Glena, DP II, S. 158. 127

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Neben dem Schutz des individuellen Rechtsguts Leben wird in der Regelung der Tötungsdelikte auch der Schutz eines staatlichen demographischen Interesses an der Erhaltung ihrer Mitglieder angesehen.131

C. Das vorsätzliche Tötungsdelikt im chilenischen Strafgesetzbuch Der Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte befindet sich im Art. 391 Nr. 2132 chStGB, der den Regelfall einer Tötung eines Menschen regelt, während Art. 390 und 391 Nr. 1 chStGB qualifizierte Tatbestände darstellen.133 1. Tatbestandlosigkeit des Suizids Da die Tötungsdelikte sich ausdrücklich auf die Tötung eines anderen beziehen, wird die Straflosigkeit des Suizidversuchs einhellig angenommen.134 2. Der einfache Homizid Die vorsätzliche Tötung eines Menschen – ohne dass die in Art. 390 chStGB (Parrizid) und 391 Nr. 1 chStGB (Mord) enthaltenen qualifizierenden Merkmale vorliegen – ist als einfacher Homizid zu bestrafen.135 Der objektive Tatbestand des einfachen Homizids weist keine besonderen Probleme auf und setzt Kausalität und objektive Zurechenbarkeit des Erfolges voraus.136 Ebenso unproblematisch ist der subjektive Tatbestand, da seit langem sowohl in der Rechtswissenschaft137 als auch in der Rechtsprechung138 Konsens 131

Vgl. Garrido Montt, El homicidio, S. 11; Labatut Glena, DP II, S. 158. A. A. Wilenmann von Bernath, Polít. crim. Vol. 11, No. 22 (2016), S. 754 ff. sieht in Art. 391 Nr. 1 Abs. 5 (prämeditierte Tötung) den Grundtatbestand des Homizids. Nach dieser Ansicht stelle Art. 391 Nr. 2 eine Privilegierung wegen verminderter Schuldfähigkeit dar, welche eine Affekthandlung voraussetze. 133 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 26; Balmaceda Hoyos, PE, S. 17; Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 488; Cornejo Manríquez, PE, S. 166; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 23; Labatut Glena, DP II, S. 167; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 10; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 51; Politoff/Matus/ Ramírez, PE, S. 24. 134 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 162; Balmaceda Hoyos, PE, S. 25; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 31; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 52; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 25. 135 Vgl. Balmaceda Hoyos, PE, S. 18; Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 488; Cornejo Manríquez, PE, S. 166; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 23; Garrido Montt, DP III, S. 22; Labatut Glena, DP II, S. 167; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 9 f.; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 51. 136 Siehe Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 38 ff. 137 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 49; Garrido Montt, DP III, S. 43 f.; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 93. 132

Kap. II: Der strafrechtliche Rahmen

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darüber besteht, dass nicht nur eine direkte Tötungsabsicht, sondern auch der eventuelle Vorsatz den subjektiven Tatbestand verwirklicht. 3. Der Parrizid (Art. 390 Abs. 1 chStGB)139 Diese Norm wird kritisiert, weil die Gründe für eine Strafschärfung überhaupt nicht klar sind.140 Nach Ansicht der Lehre141 und Rechtsprechung142 liege der Grund in einer erhöhten sozialen Vorwerfbarkeit der Handlung angesichts der natürlichen Blutsbande bzw. der rechtlichen Verbindlichkeit der Ehe. Außerdem wird der Grund für eine Strafschärfung in der Verletzung von besonderen Vertrauensverhältnissen gesehen.143 Der objektive Tatbestand setzt die objektiv zurechenbare Tötung einer der in der Norm erwähnten Personen voraus. Da die Norm „Kenntnis der sie bindenden Beziehungen“ voraussetzt, wird von einigen Autoren davon ausgegangen, dass der subjektive Tatbestand nur mit direktem Vorsatz hinsichtlich aller Tatbestandselemente zu begehen sei.144 Andere vertreten, dass nur die Beziehung zum Opfer von direktem Vorsatz gedeckt sein muss, während hinsichtlich der Tötung eventueller Vorsatz ausreiche.145 Ferner gibt es noch eine andere Meinung nach der der gesamte Tatbestand mit Eventualvorsatz verwirklicht werden kann.146 4. Die Qualifikation des Homizids Art. 391 Nr. 1 chStGB sieht fünf Umstände vor, deren Vorliegen eine Tötung qualifizieren, nämlich Heimtücke147, Belohnung148, Gift149, Grausamkeit150 und Prämeditation. 138 Vgl. Etcheberry Orthusteguy, El derecho penal en la jurisprudencia IV, S. 305; Matus Acuña, Código Penal sistematizado con jurisprudencia, S. 411 ff. 139 Art. 390 Abs. 1 chStGB „Wer mit Kenntnis der sie bindenden Beziehungen seinen Vater, seine Mutter oder sein Kind oder einen andern seiner legitimen Aszendenten oder Deszendenten oder wen seinen Ehegatten ist oder gewesen ist oder seinen (nichtehelichen) Lebenspartner tötet, soll als Parrizider . . . bestraft werden.“ 140 Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 469; Cornejo Manríquez, PE, S. 259; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 67; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 62; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 106. 141 Vgl. Balmaceda Hoyos, PE, S. 41; Garrido Montt, DP III, S. 70; ders., El homicidio, S. 187; Cornejo Manríquez, PE, S. 166; Labatut Glena, DP II, S. 164. 142 Vgl. Etcheberry Orthusteguy, El derecho penal en la jurisprudencia II, S. 327. 143 Siehe Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 64; ähnlich Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 179. 144 Vgl. Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 478; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 69; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 117. 145 Vgl. Garrido Montt, DP III, S. 78; Cornejo Manríquez, PE, S. 261. 146 Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 73; Labatut Glena, DP II, S. 165. 147 Nach Art. 12 Nr. 1 liegt Heimtücke vor, wenn „. . . verräterisch oder aus dem Hinterhalt gehandelt wird“. Nach der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung besteht die

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Letzteres ist das problematischste Qualifikationsmerkmal, weil seine Abgrenzung zum Vorsatz schwierig erscheint. Deswegen wird die Prämeditation wegen ihrer Unbestimmtheit und unklaren Begründung seit langem in der Rechtswissenschaft stark kritisiert151 und nach dem chOGH restriktiv ausgelegt.152 Jedenfalls besteht in der Rechtswissenschaft153 und Rechtsprechung154 Einigkeit darüber, dass es sich um ein über den Vorsatz hinausgehendes Element handelt, welches eine zeitliche Trennung zwischen dem Tötungsentschluss und der Tatausführung voraussetzt, innerhalb der der Entschluss fortbesteht, was die Tötung als Manifestation einer gereiften Entscheidung – im Gegensatz zu einer spontanen Handlung – verstehen lässt. Vereinzelt wird ein „symptomatisches“ Kriterium vorgeschlagen, nach dem die zeitliche Trennung und Überlegung des Täters nur qualifizierend wirke, wenn sie eine besondere Bosheit des Täters (mayor malignidad) ausdrückt.155 Heimtücke in die Ausnutzung der Wehrlosigkeit des Opfers. Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 32; Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 480; Cornejo Manríquez, PE, S. 168 f.; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 59 f.; Garrido Montt, DP III, S. 55 f.; Labatut Glena, DP II, S. 165 f.; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 156; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 61. 148 Dieses Qualifikationsmerkmal setzt eine an der Tat geknüpfte ökonomische Gegenleistung voraus. Entscheidend ist eine Vereinbarung zwischen dem materiellen Täter und dem Hintermann. Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 33; Cornejo Manríquez, PE, S. 169; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 62; Garrido Montt, DP III, S. 57; Politoff/ Grisolía/Bustos, PE, S. 163. 149 Als Gift wird jeder Stoff verstanden, der geeignet ist, den Tod des Opfers zu verursachen. Die h. M. geht davon aus, dass es sich um einen Unterfall der Heimtücke handelt. Vgl. Balmaceda Hoyos, PE, S. 34; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 167 f. A. A. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 104. Die Tötung durch Gift wirke stets qualifizierend, unabhängig vom Vorliegen heimtückischer Vorgehensweisen. 150 Aus objektiver Sicht müssen besondere körperliche oder bzw. und seelische Qualen vorliegen, die über das für die Tatbegehung nötige Maß hinausgehen und als unmenschlich charakterisiert werden können. Aus subjektiver Sicht müssen diese Qualen vom Täter beabsichtigt sein. Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 34; Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 481; Cornejo Manríquez, PE, S. 170; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 67; Garrido Montt, DP III, S. 61; Labatut Glena, DP II, S. 166; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 57 f.; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 170. 151 Balmaceda Hoyos, PE, S. 35; Cury Urzúa, PG, S. 524; Garrido Montt, El homicidio, S. 153; Garrido Montt, DP III, S. 61; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 54. 152 Mera Figueroa/Castro Morales, Jurisprudencia penal de la Corte Suprema, S. 236. 153 Vgl. Balmaceda Hoyos, PE, S. 35; Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 486; Cornejo Manríquez, PE, S. 171; Cury Urzúa, PG, S. 524; Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 53; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 59; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 176; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 64. 154 Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 465 ff.; Etcheberry Orthusteguy, El derecho penal en la jurisprudencia IV, S. 334; Matus Acuña, Código Penal sistematizado con jurisprudencia, S. 416; Mera Figueroa/Castro Morales, Jurisprudencia penal de la Corte Suprema, S. 236 f. 155 Vgl. Garrido Montt, DP III, S. 62.

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5. Qualifikation bei Opfereinwilligung? Ob der Parrizid auch bei Opfereinwilligung Anwendung findet, ist eine Frage, mit der sich die Strafrechtswissenschaft wenig beschäftigt hat.156 Diejenigen, die sich auf das Problem beziehen, verneinen diese Möglichkeit, weil der Qualifikationsgrund nicht vorliege.157 Weiterhin wird die Möglichkeit, eine Tötung auf Verlangen als qualifizierten Homizid zu bestrafen, nur selten erörtert. Einigkeit besteht darüber, dass eine Qualifikation wegen Prämeditation in solchen Fällen ausgeschlossen ist.158 Einige Autoren schließen jede Qualifikation bei einer Opfereinwilligung aus, weil die Gründe der Strafschärfung nicht vorliegen.159 Demgegenüber sollte die Mindermeinung – die Art. 391 Nr. 2 chStGB als Privilegierung versteht160 – zur Strafbarkeit nach dem Grundtatbestand der prämeditierten Tötung führen, da in den meisten Fällen der aktiven Sterbehilfe keine schuldvermindernde Affekthandlung vorliegt. Der chOGH hat die Qualifikation einer Tötung auf Verlangen wegen Prämeditation und Heimtücke verneint, weil die Grundvoraussetzung für diese Qualifikationsmerkmale – Ausnutzung der Wehrlosigkeit des Opfers – in einem solchen Fall nicht vorliege.161 6. Rechtliche Wirkung der Einwilligung bei den Tötungsdelikten Aufgrund der Unverfügbarkeit des Rechtsguts Leben, die durch die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe zum Ausdruck komme, wird einhellig von der Unwirksamkeit der Opfereinwilligung bei den Tötungsdelikten ausgegangen.162 Unklar 156 Siehe Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 87 ff.; Balmaceda Hoyos, PE, S. 39 ff.: Cornejo Manríquez, PE, S. 258 ff.; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 67 ff.; Garrido Montt, DP III, S. 67 ff.; Labatut Glena, DP II, S. 163 ff.; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 105 ff.; Garrido Montt, DP III, S. 67 ff. 157 Vgl. Lehnebach González, Eutanasia, S. 40 f.; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 191 Fn. 149; Misseroni Raddatz, Acta Bioethica 2000 No. 2, S. 257; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 179 f. 158 Bezüglich einer pietistischen Tötung – ohne zu erklären, ob die Opfereinwilligung vorliegt – Balmaceda Hoyos, PE, S. 35 f.; Garrido Montt, DP III, S. 62. Hinsichtlich einer Tötung auf Verlangen Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 55; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 178. 159 Vgl. Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 191 Fn. 149; Misseroni Raddatz, Acta Bioethica 2000 No. 2, S. 257. 160 Siehe Zweiter Teil, Kapitel II C. 161 Siehe Etcheberry Orthusteguy, El Derecho Penal en la Jurisprudencia I, S. 193 ff. 162 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 16; Balmaceda Hoyos, PE, S. 29; Budnich Cortada, DP, S. 115; Cousiño Mac Iver, PG II, S. 516 ff.; Del Río Castillo, DP III, S. 367; Del Villar Brito, PG, S. 134; Etcheberry Orthusteguy, DP I, S. 241; Garrido Montt, El homicidio, S. 119; Garrido Montt, DP III, S. 162; Labatut Glena, DP II, S. 110; Medina Jara, DP, S. 236 f.; Náquira Riveros, DP, S. 305; Novoa Monreal, PG,

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

bleibt, ob sich die Unwirksamkeit ausschließlich auf ein aktives Tun beschränkt oder auch im Rahmen der Unterlassungsdelikte Geltung beansprucht. Wie gezeigt wird, hat die Rechtswissenschaft die Wirkung der Opfereinwilligung auf die Garantenstellung bzw. Garantenpflicht nicht untersucht. Einige Autoren halten die absolute Unwirksamkeit der Einwilligung – also die Bestrafung einer Tötung auf Verlangen als Homizid nach Art. 391 Nr. 2 chStGB – für unverhältnismäßig.163

D. Allgemeines zur Strafbarkeit des Unterlassens bei den Tötungsdelikten 1. Die Strafbarkeit der unechten Unterlassungsdelikte im chStGB Bisher kennt das chilenische Strafgesetzbuch keine ausdrückliche Regelung der unechten Unterlassungsdelikte, die etwa dem deutschen § 13 StGB entspricht. Trotzdem ist ihre Strafbarkeit dogmatisch begründet worden. Die Möglichkeit einer Begehung durch Unterlassen – zumindest in Bezug auf den Homizid164 – wird durch die Rechtswissenschaft und Rechtsprechung einhellig angenommen, solange eine Garantenstellung bzw. eine Garantenpflichtverletzung vorliegt.165 Innerhalb der möglichen Quellen von strafbarkeitsbegründungsfähigen Garantenstellungen sind das Gesetz und der Vertrag einhellig anerkannt.166 2. Strafbarkeitsbegründung beim ärztlichen Unterlassen und Opfereinwilligung beim unechten Unterlassungsdelikt Es wird davon ausgegangen, dass die Garantenstellungen, die aus den Verhältnissen im Bereich der Gesundheitspflege abzuleiten sind, vertraglicher Natur sind (bzw. vertragsähnlicher, wenn der Patient einwilligungsunfähig ist). Maßgeblich ist die tatsächliche Übernahme der vertraglichen Pflichten und nicht die WirkS. 413; Reyes Véliz, PG I, S. 620; Ríos Arenaldi, Política Criminal No. 1 2006, S. 25 u. 27; Vargas Pinto, DP, S. 157. 163 Vgl. Rioseco Rioseco, El Suicidio, S. 50; Toledo Sepúlveda, El suicidio asistido, S. 108. 164 Vgl. Etcheberry Orthusteguy, DP I, S. 203 spricht für die Beschränkung der Unterlassensstrafbarkeit auf den Homizid und Sachbeschädigung. 165 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 41; Balmaceda Hoyos, PE, S. 24; Bullemore Gallardo, Tratado de jurisprudencia y doctrina I, S. 497; Cornejo Manríquez, PE, S. 181 f.; Etcheberry Orthusteguy, DP I, S. 204; Garrido Montt, DP III, S. 34; Labatut Glena, DP II, S. 159; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 52; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 33. 166 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 42; Balmaceda Hoyos, PG, S. 109; Cury Urzúa, PG, S. 681; Etcheberry Orthusteguy, DP I, S. 205; Garrido Montt, DP III, S. 244; Novoa Monreal, DP I, S. 344; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 73; Politoff/Matus/Ramírez, PG, S. 201.

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samkeit bzw. Gültigkeit des Vertrags.167 Jenseits dieser allgemeinen Aussage fehlt im chilenischen Recht eine ausführliche Erörterung wichtiger Fragen bezüglich der Strafverantwortung von Ärzten. Einerseits fehlen Aussagen bezüglich der Entstehungsvoraussetzungen der ärztlichen Garantenstellung und hinsichtlich des Inhalts und der Reichweite der ärztlichen Garantenpflicht. Andererseits lassen sich weder im Rahmen der allgemeinen Unterlassungsdogmatik noch im Rahmen der Tötungsdeliktsdogmatik Aussagen bezüglich der Wirkung der Opfereinwilligung auf die Garantenstellung bzw. Garantenpflicht finden. 3. Unterlassene Hilfeleistung: Reichweite der gesetzlichen Rettungspflicht Den Umfang der strafrechtlichen Rettungspflicht – solange keine besondere Handlungspflicht besteht – regelt Art. 494 Nr. 14 chStGB.168 Jenseits dieses Tatbestandes ist niemand verpflichtet, fremdes Leben zu retten, sofern er sich in keiner Garantenstellung befindet.169 Nur wenn eine Garantenstellung vorliegt, kommt der strafrechtliche Rahmen der Tötungsdelikte ins Spiel.170 Art. 494 Nr. 14 chStGB verlangt, dass sich das Opfer an einem verlassenen Ort171 entweder verletzt, misshandelt oder in Lebensgefahr172 befindet und diese Umstände vom Vorsatz des Täters gedeckt sind.173 Darüber hinaus ist die Hilfe167 Vgl. Cousiño Mac Iver, PG I, S. 562; Del Villar Brito, PG, S. 80; Etcheberry Orthusteguy, DP I, S. 205; Garrido Montt, DP II, S. 244; Garrido Montt, El homicidio, S. 33; Hernández Basualto, in: Couso Salas, CPC, S. 27; Mayer Lux, RDPUCV, Vol. 37, No. 2 (2011), S. 388; Politoff Lifschitz, DP I, S. 319; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 74; Politoff/Matus/Ramírez, PG, S. 202. 168 Art. 494 Nr. 14 „Wer einer Person nicht zu Hilfe eilt oder Hilfe leistet, welche er an einem einsamen Ort verwundet, misshandelt oder in Gefahr umzukommen, antrifft, wenn er dies ohne eigenen Nachteil tun konnte“ [„El que no socorriere o auxiliare a una persona que encontrare en despoblado herida, maltratada o en peligro de perecer, cuando pudiere hacerlo sin detrimento propio.“] Übers. d. Verf. 169 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 43; Etcheberry Orthusteguy, DP IV, S. 18. 170 Vgl. Balmaceda Hoyos, PE, S. 125; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 389 f.; Garrido Montt, DP III, S. 240 f.; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 171. 171 Die h. M. sieht einen „verlassenen Ort“, da wo – beim Zeitpunkt des Treffens zwischen Täter und Opfer – keine anderen Personen, die dem Opfer Hilfe leisten könnten, anwesend sind. Siehe Cornejo Manríquez, PE, S. 255; Etcheberry Orthusteguy, DP IV, S. 18 und ders., DP II, S. 40; Garrido Montt, DP III, S. 239; Politoff/Grisolía/ Bustos, PE, S. 384. Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 174 setzten voraus, dass das Treffen außerhalb einer Stadt bzw. Dorf stattfinden muss (Fuera del radio urbano de una ciudad o población). 172 Das Opfer muss verwundet oder misshandelt sein oder/und muss eine ex-ante zu bestimmend konkrete Lebensgefahr für das Opfer vorliegen. Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 126 f.; Etcheberry Orthusteguy, DP IV, S. 19; Garrido Montt, DP III, S. 239 f. 173 Der Täter muss die Verletzungen bzw. Misshandlung oder die Gefahr für das Opfer zumindest mit eventuellem Vorsatz kennen. Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 128;

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

leistungspflicht dadurch bedingt, dass der Täter ohne eigenen Nachteil dem Opfer helfen kann.174 Die Hilfe wird unterlassen, wenn die bestehende Gefahr im Rahmen des Möglichen nicht vermindert oder beseitigt wird. Die erforderliche Hilfe kann darin bestehen, die drohende Gefahr persönlich zu beseitigen oder, wenn dies der Person nicht möglich ist, Hilfe zu holen.175 Ob die im Art. 494 Nr. 14 chStGB enthaltene Hilfeleistungspflicht auch gegen den ausdrücklichen Opferwillen gilt, wird in der Regel nicht untersucht.176 Vereinzelt wird eine solche Hilfeleistungspflicht bejaht, da die subjektive Einstellung des Opfers hinsichtlich der Hilfeleistung keine tatbestandliche Voraussetzung sei, sodass einem drohenden Suizidenten immer geholfen werden müsse.177 4. Fazit Der Tod einer Person kann als strafbares Unterlassen nur zugerechnet werden, wenn eine Garantenstellung samt einer Pflichtverletzung vorliegt oder alle Tatbestandsmerkmale des Art. 494 Nr. 14 chStGB erfüllt sind. Aufgrund der Voraussetzung des Art. 494 Nr. 14 chStGB, dass sich das Opfer an einem verlassenen Ort befinden muss, dürfte dieser Tatbestand im Rahmen von Patient-Arzt-Verhältnissen keine Anwendung finden. Mangels Existenz einer gesetzlichen Pflicht jenseits des Art. 494 Nr. 14 chStGB und der einhellig angenommenen vertraglichen Natur der ärztlichen Garantenpflicht, sollte die Opfereinwilligung maßgeblich für die Strafbarkeit ärztlichen Unterlassens sein. Verweigert das Opfer eine ärztliche Behandlung, sollte seine Unterlassung für den Arzt straflos sein.

E. Strafbarkeit einverständlichen ärztlichen Unterlassens nach dem Gesetz über Patientenrechte (GüPR)? Im Jahr 2012 wurde durch das Gesetz No. 20.584 (GüPR) erstmals die Verweigerung einer ärztlichen Behandlung in der chilenischen Rechtsordnung gereCornejo Manríquez, PE, S. 256; Garrido Montt, DP III, S. 240; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 175 174 Die erforderliche Hilfe muss zumutbar sein. Siehe Cornejo Manríquez, PE, S. 255; Garrido Montt, DP III, S. 239; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 384 f. Die Grenze der zumutbaren Rettungshandlung liegt bei schwerer Schadensgefahr an der Person des Täters, sodass die Solidaritätspflicht nur aufhöre, wenn eine schwere Lebens-, Gesundheits- oder Freiheitsgefahr besteht. Bei geringeren Schäden (z. B. geringere körperliche Verletzungen oder kleine ökonomische Verlust) bestehe die Rettungspflicht fort. Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 128; Etcheberry Orthusteguy, DP IV, S. 20. 175 Balmaceda Hoyos, PE, S. 126; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 172. 176 Siehe Balmaceda Hoyos, PE, S. 125 ff.; Cornejo Manríquez, PE, S. 255 f.; Etcheberry Orthusteguy, DP IV, S. 19 f.; Garrido Montt, DP III, S. 237 ff.; Politoff/Grisolía/ Bustos, PE, S. 381 ff. 177 Vgl. Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 173.

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gelt. Zuvor war die Entscheidung des Patienten nicht rechtlich gesichert, was zur eklatanten Verletzungen der Patientenautonomie – sogar mit Unterstützung der Judikatur178 – geführt hat.179 Obwohl es gute Absichten hinsichtlich der rechtlichen Anerkennung der Patientenautonomie gab, wurde die anfängliche Regelung während des Gesetzgebungsverfahrens so stark modifiziert, dass die endgültigen Normen letztendlich nicht zu einer Stärkung der Patientenautonomie beitragen. Ihre unklare Abfassung hat zu einer höheren Rechtsunsicherheit geführt, insbesondere für Ärzte, die nicht nur über keine klaren Handlungsanweisungen verfügen180, sondern auch Strafbarkeitsrisiken ausgesetzt sind, da einige Auslegungen sogar strafrechtliche Konsequenzen aus den Vorschriften ziehen. Im Folgenden wird die sachbezogene Regelung samt der aus ihr stammenden Probleme dargestellt. Im Rahmen dieser Arbeit sind nur die Normen im § 6 des Gesetzes (Art. 14–20 GüPR) von Interesse, wo die Patientenautonomie und informierte Einwilligung geregelt wird. Obwohl diese Überschrift andeutet, dass der Schwerpunkt der Regelung nach seinem anfänglichen Zweck181 auf der Anerkennung und Stärkung der Patientenautonomie liegt, zielt die Regelung eigentlich darauf, der Patientenautonomie Grenzen bezüglich existenzieller Entscheidungen zu ziehen. Von der absoluten Unwirksamkeit der Einwilligung bei einer aktiven Tötung ausgehend, konzentriert sich das Gesetz auf die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Behandlungsverweigerung. Art. 14 GüPR regelt das allgemeine Behandlungsverweigerungsrecht, während sich Art. 16 GüPR auf den Sonderfall eines Sterbepatienten bezieht. In beiden Normen wird dem Patient ein Recht eingeräumt, ärztliche Behandlungen mit gewissen Einschränkungen zu verweigern. Ferner ist die Darstellung des Art. 18 GüPR relevant, da dieser die Möglichkeit einer Krankenhausentlassung auf Wunsch des Patienten vorsieht, was in Konflikt mit den die Autonomie einschränkenden Normen geraten könnte. 1. Darstellung der Regelung und Problemstellung a) Das allgemeine Behandlungsverweigerungsrecht und seine Schranken (Art. 14 GüPR) Art. 14 GüPR enthält ein allgemeines Behandlungsverweigerungsrecht, nach dem jeder Patient eine ärztliche Behandlung freiwillig akzeptieren oder verwei178

Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 2. a) ff. Aufgrund der Regelungsdefizite, welche der ärztlichen Willkür einen großen Spielraum überlässt, genießt die Patientenautonomie in der Praxis immer noch unbefriedigenden Schutz. Siehe Carrasco Meza/Crispi Galleguillos, Rev Med Chile 2016 Vol. 144, S. 1602. 180 Vgl. Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 195. 181 Vgl. BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 4. 179

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gern darf. Die Entscheidung des Patienten wird rechtlich nur wirksam, insofern sie frei, willentlich, ausdrücklich und informiert im Sinne von Art. 10 GüPR182 ist. In Abs. 3 befindet sich eine dreifache Einschränkung dieses Rechts, nach der die Verweigerung „in keinem Fall [. . .] die artifizielle Beschleunigung des Todes, die Verwirklichung euthanasischer Praktiken oder eine Suizidbeihilfe als Zweck haben kann“.183 Außerdem erklärt Abs. 1, dass das Verweigerungsrecht den Einschränkungen des im Art. 16 GüPR vorgesehenen Verweigerungsrechts für Sterbepatienten unterworfen ist. Welche Einschränkungen gemeint sind, ist unklar, weil Art. 16 GüPR neben einem Verbot absichtlicher artifizieller Beschleunigung des Todesvorganges und einem Verweigerungsverbot bei Gefahren für die Volksgesundheit auch einen Vorbehalt gewöhnlicher lebensunterstützenden Maßnahmen enthält, dessen Auslegung als Einschränkung, wie gezeigt wird, fragwürdig ist. b) Der Sonderfall des Sterbepatienten (Art. 16 GüPR) Im Art. 16 GüPR wird die Situation des sich im Lebensendstadium befindenden Patienten bezüglich ärztlicher Behandlungen geregelt. Nach Art. 16 Abs. 1 GüPR darf ein Sterbepatient artifizielle lebensverlängernde Behandlungen akzeptieren oder verweigern.184 Nach Abs. 1 darf der Sterbepatient artifizielle lebensverlängernde Behandlungen verweigern, „unbeschadet der Aufrechterhaltung der gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen“ 185. Ob es sich bei diesem Satz um eine Einschränkung des Behandlungsverweigerungsrechts handelt, muss untersucht werden. Anders als in Bezug auf gewöhnliche lebensunterstützende Maßnahmen ist das Gesetz eindeutig verbietend bzw. einschränkend, wenn es sich um die artifizielle Beschleunigung des Todesvorganges und um Risiken für die Volksgesundheit handelt. Art. 16 Abs. 1 GüPR erklärt, dass die Behandlungsverweigerung auf keinen Fall die artifizielle Beschleunigung des Todesvorganges bezwecken darf, 182 Nach Art. 10 hat jede Person das Recht, hinreichende, rechtzeitige, wahrhafte und verstehbare Information über ihren Gesundheitszustand, die möglichen Behandlungsalternativen samt ihren assoziierten Risiken und die zu erwartende Prognose zu bekommen. Ist die Person unfähig, die Information zu bekommen bzw. zu verstehen, dann wird sie dem Rechtsvertreter gegeben. 183 Art. 14 Abs. 3 „En ningún caso el rechazo a tratamientos podrá tener como objetivo la aceleración artificial de la muerte, la realización de prácticas eutanásicas o el auxilio al suicidio.“ 184 Art. 16 Abs. 1 „La persona que fuere informada de que su estado de salud es terminal, tiene derecho a otorgar o denegar su voluntad para someterse a cualquier tratamiento que tenga como efecto prolongar artificialmente su vida, sin perjuicio de mantener las medidas de soporte ordinario. En ningún caso, el rechazo de tratamiento podrá implicar como objetivo la aceleración artificial del proceso de muerte.“ 185 „. . . sin perjuicio de mantener las medidas de soporte ordinario.“

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während nach Abs. 2 das Verweigerungsrecht nicht besteht, wenn aus der Behandlungsunterlassung- bzw. dem Abbruch Risiken für die Volksgesundheit folgen können. c) Krankenhausentlassung auf eigenen Wunsch Im Abs. 5 des Art. 16 GüPR wird ausdrücklich erwähnt, dass der Sterbepatient stets um die Krankenhausentlassung bitten darf. Zusätzlich wird in Art. 18 GüPR dem Patienten im Rahmen der Behandlungsverweigerung die Möglichkeit eingeräumt, die Krankenhausentlassung auf eigenen Wunsch zu beantragen. Diese Vorschrift enthält keine Schranke. d) Problemstellung Insgesamt lässt sich beim Lesen der Regelung über die Behandlungsverweigerung eine mangelhafte Gesetzestechnik beobachten, die unterschiedliche Auslegungsprobleme verursacht. Einerseits hat die unglückliche Wortwahl beim Verbot „artifizieller Beschleunigung des Todes“ im Schrifttum zu schweren Auslegungsproblemen geführt, da sich die Grenze zwischen dem rechtmäßigen und dem rechtswidrigen Behandlungsverzicht nicht bestimmen lässt. Andererseits sind im Gesetz wichtige Begriffe wie „gewöhnliche lebensunterstützende Maßnahmen“ und „euthanasische Praktiken“ nicht definiert worden, was die Inhaltsbestimmung dieser Einschränkungen erschwert. Darüber hinaus ist unklar, wie die im Art. 16 Abs. 5 GüPR und Art. 18 GüPR vorgesehene Möglichkeit, dass der Patient seine Krankenhausentlassung beantragen kann, mit den Einschränkungen des Verweigerungsrechts zusammenhängen. Der Gesetzgeber hat weder Einschränkungen für dieses Recht noch eine Lösung im Fall einer Kollision mit Einschränkungen vorgesehen. Letztlich findet man im Gesetz weder klare Handlungsanweisungen für den Arzt hinsichtlich der unterschiedlichen Fälle einer Behandlungsverweigerung noch eine Bestimmung der rechtlichen Konsequenzen normwidrigen Verhaltens. Dies samt der fehlerhaften Formulierung der verbietenden Normen, lässt die Ärzte im Dunkel. 2. Inhaltbestimmung der gesetzlichen Einschränkungen a) Artifizielle Beschleunigung des Todes In spanischer Sprache kennzeichnet das Adjektiv „artificial“ die Eigenschaft, vom Mensch geschaffen zu sein.186 Artifizialität setzt damit menschlichen Ein186

Siehe Real Academia Española, Diccionario de la lengua española.

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griff voraus. Seinerseits kennzeichnet „aceleración“ 187 (Beschleunigung) bzw. „acelerar“ 188 (beschleunigen) eine durch einen äußeren Einfluss verursachte Erhöhung der Entwicklungsgeschwindigkeit eines Vorganges. Folglich könnte die artifizielle Beschleunigung eines Todesvorganges als das auf menschlichen Eingriff zurückzuführende vorgezogene Eintreten des Todes verstanden werden, welcher ohne den menschlichen Eingriff später stattgefunden hätte. In einfachen Worten bezeichnet der Begriff einen menschlich verursachten Tod. aa) Artifizielle Beschleunigung des Todes durch Behandlungsverweigerung? Da die Todesursache in einem natürlichen tödlichen Kausalverlauf liegt189, könnte ein der Behandlungsverweigerung korrelativer Behandlungsverzicht – besonders ein Unterlassen – nicht als artifizielle Beschleunigung des Todes verstanden werden. Das Geschehenlassen der natürlichen Entwicklung eines tödlichen Kausalverlaufes kann nicht unter den Verbotstatbestand der artifiziellen Beschleunigung des Todes subsumiert werden. Der eindeutige Wortlaut steht einer anderen Auslegung entgegen.190 Die fehlerhafte Formulierung der Norm hat dazu geführt, dass die Mehrheit jede wirksame Auslegung dieser Einschränkung ausschließt.191 bb) Die Entstehungsgeschichte der Norm Mehrmals wurde innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens die Abfassung der Vorschriften über die Behandlungsverweigerung wegen ihrer Unklarheit kritisiert.192 Sowohl der Verfassungsausschuss als auch der vereinigte Verfassungs187

Das Wort kennzeichnet sowohl das Schnellermachen als auch das Schnellerwerden. Siehe Real Academia Española, Diccionario de la lengua española. 188 Beschleunigen: „Schnelligkeit geben; Größere Geschwindigkeit zu geben; Geschwindigkeitserhöhung bzw. Geschwindigkeitszunahme.“ (Acelerar: „Dar celeridad; Dar mayor velocidad, aumentar la velocidad.“) Über d. Verf. Real Academia Española, Diccionario de la lengua española. 189 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Rev Med Chile 2012; 140, S. 1349; Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 195; Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 540 Fn. 110; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 192; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 405. 190 Vgl. Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 405. Die Verweigerung einer Behandlung könnte einen natürlichen Vorgang – wie der Tod – nicht beschleunigen, weil der Vorgang natürlich verläuft. 191 Vgl. Figueroa García-Huidobro, in: Rojas Vásquez (Hrsg.), Cuadernos de Análisis Jurídico, S. 199; Figueroa, Rev Med Chile 2012; 140, S. 1349; Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 204; Zúñiga Fajuri, in: Anuario de Derecho Público, Nr. 1, 2012, S. 282. 192 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 131; BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 167; vgl. BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 174.

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und Gesundheitsausschuss haben empfohlen, beide Normen präziser zu fassen, sodass eindeutig zwischen zulässigen und unzulässigen Handlungen bzw. Unterlassungen unterschieden werden kann.193 Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass eine Behandlungsverweigerung – auch wenn der Patient sterben will – den Tod des Patienten nicht beschleunigen kann.194 Trotz dieser Anmerkungen sind die Vorschriften nicht geändert worden. Weder die Bedeutung des Ausdrucks „artifizielle Beschleunigung des Todes“ noch ihr Zusammenhang mit einer Behandlungsverweigerung wurde während des Gesetzgebungsverfahrens erklärt. Nur in der präsidentiellen Vorstellung des Gesetzesentwurfs findet man eine Unterscheidung zwischen außergewöhnlichen bzw. unnötigen Maßnahmen und denjenigen, die den Todesvorgang artifiziell beschleunigen, nämlich ein aktives Tun, dessen Zweck die Verursachung des Todes ist oder die absichtliche Unterlassung von angemessenen, gewöhnlichen bzw. notwendigen ärztlichen Behandlungen.195 Vereinzelt wird in dieser Passage der Vorlage des Gesetzes eine für die Auslegung des Gesetzes wirksame Definition angesehen. Demzufolge wäre unter artifizieller Beschleunigung des Todes das Unterlassen bzw. der Abbruch von gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen zu verstehen.196 b) Die Aufrechterhaltung der gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen Nach Art. 16 GüPR hat der Sterbepatient ein Recht, ärztliche Behandlungen zu verweigern, „[. . .] vorbehaltlich der Aufrechterhaltung der gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen.“ Seinerseits erklärt Art. 14 GüPR, dass das Behandlungsverweigerungsrecht den im Art. 16 GüPR vorgesehenen Einschränkungen unterworfen ist. Wenn der in Frage kommende Satz tatsächlich als eine 193 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 168; BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 316 f. 194 Vgl. BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 99. 195 BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 5 „Die theoretischen und praktischen Schwierigkeiten der notwendigen Unterscheidung zwischen der Unterlassung von extraordinären und entbehrlichen Maßnahmen und derjenigen, die den Todesvorgang beschleunigen – sei es durch positives Tun, dessen Ziel den Tod zu verursachen ist, oder durch absichtliche Unterlassung von vernünftigen, notwendigen oder ordinären Maßnahmen – stellt die entscheidende Herausforderung des Gesetzentwurfs.“ „Las dificultades teóricas y prácticas de la necesaria distinción de esta situación, en que se evitan actuaciones extraordinarias e innecesarias, respecto de aquellas en que se acelera artificialmente el proceso de muerte, ya sea mediante actos positivos cuyo objetivo es procurar la muerte o de la omisión deliberada de actuaciones razonables, necesarias u ordinarias, constituye el desafío crucial de la formulación legal propuesta.“ 196 Siehe Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 69; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 192.

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Einschränkung des Verweigerungsrechts des Sterbepatienten auszulegen wäre, wäre er folglich bezüglich jeder Behandlungsverweigerung anwendbar. Die sachbezogene Literatur sieht in dieser Norm ein besonderes Behandlungsverweigerungsverbot, das sich auf gewöhnliche Maßnahmen bezieht, sodass sie unter keinen Umständen unterlassen oder abgebrochen werden dürfen. Neben dem Behandlungsunterlassens- bzw. Behandlungsabbruchsverbot wird aus diesem Satz auch ein Zwangsbehandlungsgebot abgeleitet, die den Arzt dazu verpflichten solle, den Patienten sogar gegen seinen Willen zu behandeln.197 aa) Hintergrund des Satzes Die ursprüngliche Fassung des Art. 16 GüPR hat die gewöhnlichen Maßnahmen nicht erwähnt.198 Die Einführung dieses Satzes in Art. 16 GüPR war das Ergebnis eines Versuchs, die gesamte Regelung des Behandlungsverweigerungsrechts einzuschränken. Analysiert man den Änderungsvorschlag, das Abstimmungsverfahren und dessen Ergebnis, lässt sich klar feststellen, dass das bisherige Verständnis der Norm falsch ist. Durch die Einführung dieses Satzes in Art. 16 chStGB wollte der Gesetzgeber weder ein Behandlungsverweigerungsverbot noch ein ärztliches Zwangsbehandlungsgebot schaffen, obschon dies die anfängliche Bedeutung der vorgeschlagenen Norm war. bb) Der Änderungsvorschlag Einerseits wurde vorgeschlagen, in Art. 14 chStGB einen Satz einzuführen, nach dem „die gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen, wie Hydrierung, Ernährung oder nasogastrische Sonde, nie entzogen oder verweigert werden können.“ 199 Zusammen mit dieser Änderung wurde andererseits die Einführung des Satzes in Art. 16 GüPR „[. . .] vorbehaltlich der Aufrechterhaltung der gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen von Art. 14“ vorgeschlagen.200 197 Vgl. Corral Talciani, in: Milos Hurtado/Corral Talciani (Hrsg.), Derechos y deberes de los pacientes, S. 53; Lecaros Sánchez, in: Diario Constitucional vom 2. November 2012; Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 548 f.; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 193; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 409; Zúñiga Fajuri, in: Couso Salas (Hrsg.), Anuario de Derecho Público No. 1, 2012, S. 285. 198 BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 18. 199 BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 181 „Ordinäre lebenserhaltenden Maßnahme – wie die Hydrierung, Ernährung oder nasogastrische Sonde – dürfen in keinem Fall weder verzichtet noch verweigert werden.“ [Übers. d. Verf.] „Las medidas ordinarias de soporte vital, como la hidratación, alimentación o sonda nasogástrica, no se podrán privar o rechazar jamás.“

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Es besteht kein Zweifel, dass die vorgeschlagene Regelung auf eine allgemeine Einschränkung des Behandlungsverweigerungsrechts zielte und dass der ursprüngliche Sinn des Satzes im Art. 16 GüPR war, die Verweigerung gewöhnlicher Maßnahmen zu verbieten, da sie einen Verweis auf das im Art. 14 GüPR einzuführende Verbot enthielt. Erstaunlicherweise wurde der Änderungsvorschlag von Art. 14 GüPR abgelehnt, während der Änderung von Art. 16 GüPR zugestimmt worden ist, obwohl beide Änderungsvorschläge in derselben Sitzung und fast nacheinander zu Abstimmung gebracht worden sind. cc) Der Verlauf des Abstimmungsverfahrens Die zwei Änderungsvorschläge sind in derselben Sitzung und fast nacheinander abgestimmt worden.201 Zunächst wurde die Einführung des Verweigerungsverbots gewöhnlicher Maßnahmen in Art. 14 GüPR abgelehnt202, während kurz danach der Einführung des betreffenden Satzes in Art. 16 GüPR zugestimmt wurde.203 Aufgrund der kurzen zeitlichen Entfernung zwischen der Abstimmung beider Normen, ist die Möglichkeit auszuschließen, dass der Gesetzgeber die Widersprüchlichkeit der Situation übersehen hat. Dies wird dadurch bestätigt, dass bei der Zustimmung der Änderung von Art. 16 GüPR der Verweis auf das Verbot im Art. 14 GüPR gestrichen wurde, um den Widerspruch aufzulösen204 (anderenfalls würde die Ergänzung der Norm fehlen, da der endgültige Art. 14 GüPR kein Verweigerungsverbot gewöhnlicher Maßnahmen enthalten würde). Dem Gesetzgeber war bewusst, dass das Gesetz kein Verbot enthielt, gewöhnliche Maßnahmen zu verweigern. Zusätzlicher Nachweis, dass dem Satz nicht in seinem ursprünglich vorgesehenen verbietenden Sinn zugestimmt worden ist, ist darin zu sehen, dass die drei Senatoren der Einführung des Satzes zugestimmt haben205, die zugleich gegen die Einführung des Verbots in Art. 14 GüPR gestimmt haben.206 Senator Rossi 200 BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 182. 201 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 220 ff. 202 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 221 f. 203 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 225 f. 204 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 226. 205 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 226 Senatoren Rossi Ciocca, Guirardi Lavín und Ruiz-Esquide Jara. 206 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 222.

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Ciocca hat sogar vor der Abstimmung des Änderungsvorschlags des Art. 14 GüPR die Unzulässigkeit jeder Form von Zwangsbehandlung betont.207 dd) Welcher Sinn hat der Satz? In dubio pro vita Wie der Gesetzgeber den Satz verstanden und ihm zugestimmt hat ist nicht eindeutig. Trotzdem ist die vom Schrifttum vorgeschlagene Auslegung des Satzes auszuschließen. Plausibel ist, dass die Abgeordneten die Norm als ein Behandlungsgebot unter Vorbehalt des Patientenwillens verstanden haben. Demnach sollten die Maßnahmen angewendet bzw. aufrechterhalten werden, solange der Patient die Anwendung bzw. Fortsetzung nicht verweigert. Nur wenn der Patient es ausdrücklich verlangt, dürfen die Maßnahmen unterlassen oder abgebrochen werden. Dies ist meines Erachtens der Sinngehalt, der der Norm zugeschrieben werden sollte. ee) Zusätzliches Auslegungsproblem: Die Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Maßnahmen Jenseits des unklaren normativen Sinnes des Satzes, wird in der Literatur das weitere hermeneutische Problem zur Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen identifiziert.208 Innerhalb der chilenischen Rechtsordnung besteht keine Definition von gewöhnlichen bzw. außergewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen und auch innerhalb der Medizin sind diese Begriffe unbestimmt209, da dies vom Einzelfall abhängig ist – je nach Situation, könne dieselbe Maßnahme gewöhnlich oder außergewöhnlich sein.210 Woher der chilenische Gesetzgeber dieses Kriterium genommen hat, wird im Gesetzentwurf nicht erwähnt, aber wo auch immer man sucht, wird die Unterscheidung zum einen wegen ihrer Unbestimmtheit kritisiert und zum anderen, weil sie nicht bezüglich Einwilligungsfähigen angewendet wird. Auch wenn diese Unterscheidung ihre Wurzel in der katholischen Moraltheologie des Mittelalters findet, wird ihre Unbestimmtheit immer noch betont und folglich ihre Tragfähigkeit als Basis medizinischer Entscheidungen vorwiegend abgelehnt.211 Sogar die Kongregation für die Glaubenslehre selbst hat die Unbe207 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 225. 208 Figueroa García-Huidobro, in: Rojas Vásquez (Hrsg.), Cuadernos de Análisis Jurídico, S. 216; Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 196; Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 550 f.; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 83; Zúñiga Fajuri, in: Couso Salas (Hrsg.), Anuario de Derecho Público No. 1 (2012), S. 285. 209 Vgl. Figueroa García-Huidobro, in: Rojas Vásquez (Hrsg.), Cuadernos de Análisis Jurídico, S. 216; Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 195. 210 Vgl. Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 550 f. 211 Vgl. Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 123 f.; Glöckner, Ärztliche Handlungen bei extrem unreifen Frühgeborenen, S. 257.

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stimmtheit der Unterscheidung bemerkt212, welche manchmal mit dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit gleichgesetzt wird213, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Begriffe handelt: Eine Behandlung könnte gleichzeitig gewöhnlich und unverhältnismäßig sein.214 (Bei Entstehung des Gesetzes wurde das Kriterium der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich abgelehnt, sodass eine Auslegung des Gesetzes auf dessen Basis auszuschließen wäre.215) Jedenfalls bezieht sich diese Unterscheidung auf den Behandlungsverzicht bei einwilligungsunfähigen Patienten. Diesbezüglich erklärte Papst Pius XII ausdrücklich, dass „die Rechte und Pflichten des Arztes [. . .] mit denen des Patienten korrelativ (sind). Der Arzt hat kein vom Patienten unabhängiges Recht. Im Allgemeinen darf er nur handeln, wenn der Patient ausdrücklich oder stillschweigend, direkt oder indirekt einwilligt.“ 216 Auch in der früheren US-Amerikanischen Rechtsprechung217, wo diese Kriterien angewendet aber später aufgegeben worden sind218, bezog sich die Unterscheidung auf den Behandlungsabbruch bei 212 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 20, S. 11 „Bis vor kurzem antworteten die Moraltheologen, die Anwendung „außerordentlicher“ Mittel könne man keinesfalls verpflichtend vorschreiben. Diese Antwort, die als Grundsatz weiter gilt, erscheint heute vielleicht weniger einsichtig, sei es wegen der Unbestimmtheit des Ausdrucks oder wegen der schnellen Fortschritte in der Heilkunst.“ 213 Johannes Paul II, Enzyklika „Evangelium Vitae“ (1995), S. 80 „Der Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Heilmittel ist nicht gleichzusetzen mit Selbstmord oder Euthanasie; er ist vielmehr Ausdruck dafür, daß die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird.“ 214 Vgl. Ernst, in: Hensen/Kölzer (Hrsg.), Die gesunde Gesellschaft, S. 27. 215 Vgl. BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 220 ff. Während des Gesetzgebungsverfahrens ist versucht worden, die Redaktion vom Art. 14 zu ändern, sodass nur unverhältnismäßige Behandlungen verweigert werden sollten. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs wurde die Änderung abgelehnt. 216 Pius XII, Acta Apostolicae Sedis 49 (1957), S. 1031 (Übers. d. Verf.). „Les droits et les devoirs du mérecin sont corrélatifs à ceux du patient. Le médecin, en effet, n’a pas à l’égard du patient de droit séparé ou indépendant; en général, il ne peut agir, que si le patient l’y autorise explicitement ou implicitement (directement ou indirectement)“. 217 In re Quinlan. 70 N.J. 10, 355 A.2d 647 (1976); Superintendent of Belchertown State School v. Saikewicz, 373 Mass. 728, 370 N.E. 2d 417 (Mass. 1977). 218 Matter of Conroy, 486 A.2d 1209 (N.J. 1985) „We also find unpersuasive the distinction relied upon by some courts, commentators, and theologians between ,ordinary‘ treatment, which they would always require, and ,extraordinary‘ treatment, which they deem optional.“; Brophy v. New England Sinai Hospital, 398 Mass., 417, 497 N.E. 2d 626 (1986) „While we believe that the distinction between extraordinary and ordinary care is a factor to be considered, the use of such a distinction as the sole, or major, factor of decision tends, in a case such as this, to create a distinction without meaning.“; Cruzan v. Harmon, 760 S.W.2d 408, 410, 411 (Mo.banc 1988) „Since Quinlan, the medical profession moved to abandon any distinction between extraordinary and ordinary treatment in considering the propriety of withdrawing life-sustaining treatment. Conroy, decided by the same court six years later, found distinctions focusing on the type of treatment unpersuasive. „[W]hile the analysis may be useful in weighing the

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bewusstlosen Patienten, weil dem bewussten Patient stets ein breites Behandlungsverweigerungsrecht zuerkannt wurde219, dessen Grenze nur bei „the preservation of life“, „the protection of the interests of innocent third parties“, „the prevention of suicide“ und „maintaining the ethical integrity of the medical profession.“ liegt220, ohne dass die Behandlungsverweigerung als Suizidversuch gilt.221 c) Das Euthanasieverbot Im Art. 14 GüPR befindet sich das Verbot der Verwirklichung euthanasischer Praktiken als Zweck einer Behandlungsverweigerung. Das Problem dieses Euthanasieverbots liegt hauptsächlich in seiner Unbestimmtheit, weil der Euthanasiebegriff äußerst mehrdeutig ist. Da weder im Gesetz über Patientenrechte noch in anderen Gesetzen der chilenischen Rechtsordnung ein Euthanasiebegriff gefunden werden kann, lässt sich schwer vorstellen, wie dieses Verbot Wirkung haben könnte.222 Seitdem sich das Gesetz von Anfang an dem Thema der Euthanasie genähert hat – wenn nicht sogar direkt damit zu tun gehabt hat –, hätte man eine Definition des Regelungsgegenstandes erwartet. Wenngleich der Wortlaut „Euthanasie“ ständig während des Gesetzgebungsverfahrens verwendet wurde, wurden der Begriff und seine Arten nicht einmal definiert. Im Diskussionsprotokoll lassen sich nur ein paar gegebene Beispiele finden (Unterlassen und Abbruch von Ernährung oder Hydrierung).223 implications of the specific treatment for the patient, essentially it merely restates the question: whether the burdens of treatment so clearly outweigh its benefit to the patient that continued treatment would be inhumane.“ Brophy v. New England Sinai Hospital, 398 Mass., 417, 497 N.E. 2d 626 (1986) „While we believe that the distinction between extraordinary and ordinary care is a factor to be considered, the use of such a distinction as the sole, or major, factor of decision tends, in a case such as this, to create a distinction without meaning.“ 219 In re Quinlan. 70 N.J. 10, 355 A.2d 647 (1976; In re Conroy, 486 A.2d 1209 (N.J. 1985); In re Farrell, 529 A.2d 404, 415 n.8 (N.J. 1987); Guardianship of Browning, 568 So. 2d 4 (Fla. 1990); Cruzan v. Director, Missouri Department of Health, (88-1503), 497 U.S. 261 (1990); „The principle that a competent person has a constitutionally protected liberty interest in refusing unwanted medical treatment may be inferred from our prior decisions.“ 220 Belchertown State Sch. v. Saikewicz, 370 N.E.2d 417, 424–425 (Mass. 1977). 221 In re Conroy, 486 A.2d 1209 (N.J. 1985) „. . . In any event, declining life-sustaining medical treatment may not properly be viewed as an attempt to commit suicide. Refusing medical intervention merely allows the disease to take its natural course; if death were eventually to occur, it would be the result, primarily, of the underlying disease, and not the result of a self-inflicted injury.“; Satz v. Perlmutter, 362 So. 2d 160 (Fla. 4th DCA 1978) „The State here appeals a trial court order permitting the removal of an artificial life sustaining device from a competent, but terminally ill adult . . . This basic wish to live, plus the fact that he did not self-induce his horrible affliction, precludes his further refusal of treatment being classed as attempted suicide.“ 222 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Rev Med Chile 2012; 140, S. 1349.

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Einige Autoren unterscheiden zwischen der (rechtmäßigen) Behandlungsverweigerung und der (rechtswidrigen) passiven Euthanasie.224 Nach dieser Ansicht wäre die Rede von einer rechtmäßigen Behandlungsverweigerung, solange es sich um eine außergewöhnliche Maßnahme handelt.225 Der Begriff „Euthanasie“ würde sich auf das Verbot der Verweigerung gewöhnlicher Maßnahmen beziehen.226 Andere Autoren kommen – aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs Euthanasie, des Fehlens einer gesetzlichen Definition und der Heterogenität von gegebenen Beispielen während des Gesetzgebungsverfahrens – zu dem Schluss, dass es sich nicht bestimmen lässt, worum es sich beim Euthanasieverbot handelt.227 d) Das Suizidbeihilfeverbot Diese Einschränkung, welche genauso wie das Euthanasieverbot nur im Art. 14 GüPR erwähnt wird, wird wenig problematisiert. Es wird gefragt, wie eine Behandlungsverweigerung mit einer Suizidbeihilfe zusammenhängen könnte.228 Die Autoren beschränken sich dabei darauf, auf ihre Unbestimmtheit aufmerksam zu machen229 und die möglichen aus ihr stammenden Strafbarkeitsrisiken für Ärzte, die die Patientenentscheidung unterstützen oder respektieren, zu betonen.230 e) Verhältnis zwischen Einschränkungen und Art. 18 GüPR Nach Art. 18 S. 1 GüPR hat jeder Patient das Recht, das Krankenhaus zu verlassen. Diesbezüglich werden ausdrücklich die Fälle erwähnt, in denen der Patient eine Behandlung ablehnt oder nicht mehr behandelt werden will. Außerdem wird im Art. 16 Abs. 5 GüPR erklärt, dass der Sterbepatient jederzeit die Krankenhausentlassung beantragen kann. 223 BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 50. 224 Vgl. Bravo Cobb, Corpus Iuris Regionis No. 9 (2009), S. 150; Corral Talciani, in: Milos Hurtado/ders. (Hrsg.), Derechos y deberes de los pacientes, S. 51; Echeverría Bunster (u. a.), Rev Med Chile 2011; 139, S. 643; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 212; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 82; Zúñiga Fajuri, Rev. Derecho (Valdivia) Vol. 21 No. 2 (2008), S. 116. 225 Vgl. Corral Talciani, in: Milos Hurtado/ders. (Hrsg.), Derechos y deberes de los pacientes, S. 51 f.; Echeverría Bunster (u. a.), Rev Med Chile 2011; 139, S. 643; Ugarte Godoy, El Derecho de la Vida, S. 212. 226 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 69. 227 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Rev Med Chile 2012; 140, S. 1349; Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 199. 228 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Rev Med Chile 2012; 140, S. 1348. 229 Vgl. Figueroa García-Huidobro, Rev Med Chile 2012; 140, S. 1349; Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 199 f. 230 Vgl. Ibarra Fuentes, Ley No. 20.584, S. 199 f.

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Aufgrund der Tatsache, dass das Gesetz keine Einschränkung dieses Rechts vorsieht und dass alle Einschränkungsversuche während des Gesetzgebungsverfahrens abgelehnt worden sind231, stellt die Möglichkeit einer Krankenhausentlassung das Recht des Patienten dar, nicht gegen seinen Willen im Krankenhaus einbehaltet zu werden. Mithin stellt dieses Recht eine Beschränkung jeder Einschränkung des Behandlungsverweigerungsrechts dar, womit sie – unabhängig wie man sie versteht – letztlich nicht wirksam wären, da der Patient stets sein Recht auf Krankenhausentlassung ausüben darf.232 Vereinzelt wird dies anerkannt und erklärt, dass der Arzt nur nach der Krankenhausentlassung von seiner Garantenpflicht befreit wäre.233 f) Vermeintliche Einschränkungen des Rechts auf Krankenhausentlassung Vereinzelt wird behauptet, dass sich die im Art. 14 GüPR und Art. 16 GüPR vorgesehenen Einschränkungen des Behandlungsverweigerungsrechts auch auf die Krankenhausentlassung auf eigenen Wunsch beziehen. Auch wenn Art. 16 GüPR ausdrücklich vorsieht, dass der Patient stets die Krankenhausentlassung beantragen kann, solle der Wortlaut „stets“ so ausgelegt werden, dass es sich nur auf die Fälle bezieht, in denen die Behandlungsverweigerung zulässig ist. Sonst wären die Schranken des Behandlungsverweigerungsrechts nicht wirksam, weil der Patient die Schranken des Behandlungsverweigerungsrechts durch die Krankenhausentlassung umgehen könnte.234 Gegen diesen Einschränkungsversuch sprechen der klare Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. 3. Strafrechtliche Folgen normwidrigen Verhaltens? Im Gesetz Nr. 20.584 findet man keine an den Verstoß gegen die darin vorgesehenen Verhaltensnormen anknüpfenden Rechtsfolgen. Einige Autoren sehen in dem Satz in Art. 16 Abs. 1 GüPR „unbeschadet der Aufrechterhaltung der gewöhnlichen lebensunterstützenden Maßnahmen“ ein vom Patientenwillen un231 Im zweiten Gesetzgebungsverfahren wurden zwei Vorschläge zur Einschränkung dieses Rechts abgelehnt. Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584. Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 47 f., 96, 195. 232 Vgl. Figueroa García-Huidobro, in: Rojas Vásquez (Hrsg.), Cuadernos de Análisis Jurídico VI (2010), S. 205. 233 Vgl. Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 194 „In diesen Fällen besteht trotzdem für den Patienten die Möglichkeit, die Krankenhausentlassung zu beantragen. Nach der Entlassung hört die ärztliche Garantenstellung auf . . . “ [Übers. d. Verf.] „En estos casos, sin embargo, para el paciente siempre resta la posibilidad de solicitar el alta voluntaria. Una vez concedida el alta a requerimiento del paciente, cesa la posición de garante del médico . . .“ 234 Corral Talciani, in: Milos Hurtado/ders. (Hrsg.), Derechos y deberes de los pacientes, S. 53.

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abhängiges Behandlungsgebot, welches den Arzt dazu verpflichtet, gewöhnliche lebenserhaltende Maßnahmen – was immer das auch heißen mag – stets anzuwenden.235 Das Unterlassen oder der Abbruch solcher Maßnahmen sogar auf Patientenwunsch wäre als Tötung durch Unterlassen zu bestrafen.236 4. Fazit zum Gesetz Nr. 20.584 Ein Behandlungsverzicht kann nicht unter den Begriff „artifizielle Beschleunigung des Todes“ subsumiert werden, weil der natürliche Todesvorgang dadurch nicht beschleunigt wird. Weder die gesetzgeberische Debatte noch die Systematik des Gesetzes bieten ein Indiz für eine wirksame Auslegung. Der einzige Versuch, das Verbot wirksam zu machen, verschiebt das Problem auf den Satz des Art. 16 Abs. 1 GüPR. Seinerseits ist die These auszuschließen, dass es sich bei dem Satz „[. . .] vorbehaltlich der Aufrechterhaltung der gewöhnlichen Unterstützungsmaßnahmen“ um ein Verweigerungsverbot und Zwangsbehandlungsgebot handelt. Unbestreitbar ist, dass der anfängliche Sinn des Satzes war, zusammen mit dem in Art. 14 GüPR einzuführenden Verbot, die Verweigerung gewöhnlicher Maßnahmen allgemein zu verbieten. Die Ablehnung der Einführung eines eindeutigen Verweigerungsverbots in Art. 14 GüPR zeigt jedoch, dass dem Satz kein solcher Sinn zuzuschreiben ist. Eine angemessene Auslegung des Satzes wäre, sie als ein Behandlungsgebot zu verstehen, welches allerdings hinter dem Patientenwillen zurücktreten sollte. Sogar wenn man dem Satz einen verbietenden Sinn gäbe, wäre die Abgrenzung zwischen gesetzmäßigem und gesetzwidrigem Behandlungsverzicht – aufgrund der Untauglichkeit der Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Maßnahmen als rechtliches Kriterium237 – kaum durchführbar, weil weder eine gesetzliche noch eine dogmatische Auslegungsbasis dafür bestehen. Dasselbe sollte für die Verbote der Euthanasie bzw. Suizidbeihilfe gelten, welche auch bestens als Verweigerungsverbot gewöhnlicher Maßnahmen verstanden werden können. Letztlich erscheint das im Art. 18 und Art. 16 Abs. 5 GüPR anerkannte Recht auf Krankenhausentlassung schrankenlos zu sein, sodass unabhängig der Auslegung der Normen der Patient das letzte Wort über die Behandlung hätte. 235 Vgl. Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 548 f. Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 193 f., welche ein Recht des Arztes zur Zwangsbehandlung annimmt, wenn er mit der Zustimmung des Ethik-Komitees rechnet. Siehe Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 186. 236 Vgl. Leiva López, RDPUCV, Vol. 41, Nr. 2 (2013), S. 549; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2, S. 193. 237 Vgl. Eser, in: Auer/Menzel, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, S. 128 f.

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F. Art. 393 chStGB: Suizidbeihilfe Mangels eines Suizidtatbestands, aufgrund des Wortlauts der Tötungsdelikte, die eine Tötung eines anderen Menschen ausdrücklich voraussetzen, und wegen des Akzessorietätsprinzips sollte die Suizidbeihilfe straflos sein, da eine rechtswidrige Haupttat fehlt.238 Trotzdem schreibt Art. 393 chStGB vor: „Wer, in Kenntnis der Umstände, einen anderen zu dessen Suizid Hilfe leistet, wird mit der Strafe . . . wenn der Tod geschieht.“ 1. Entstehungsgeschichte a) Suizid und Suizidbeihilfe in der chilenischen Gesetzgebung vor dem Strafgesetzbuch Vor dem Inkrafttreten des aktuellen Strafgesetzbuches von 1875 galten in Chile die spanischen Gesetze.239 Weder der Fuero Juzgo noch der Fuero Real sahen Regeln über den Suizid vor240 und in der Siete Partidas war der Suizid hauptsächlich straflos.241 Nur in der neuen Sammlung von spanischen Gesetzen aus dem Jahr 1805 (Novísima Recopilación) war der Suizid mit Vermögenskonfiskation unter Strafe gestellt242. Nach dem Erlass der Verfassung von 1828, welche die Strafe der Vermögenskonfiskation abgeschafft hat243, ist er zum tatbestandmäßigen aber straflosen Delikt geworden.244 Bezüglich der Suizidbeihilfe enthielten die Siete Partidas eine Norm, die gleichzeitig die Suizidbeihilfe und die Beihilfe zum Homizid regelte.245 Was die Regelung der Suizidbeihilfe betrifft, bestanden drei Unterschiede zu der aktuellen Regelung. Erstens war nur die physische Suizidbeihilfe strafbar.246 Zweitens

238 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 163; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 84. 239 Del Río Castillo, DP I, S. 304; Bravo Lira, Revista de Estudios Histórico-Jurídicos No. 10 (1985), S. 104. 240 Morin, Hispania Vol. 61, No. 207 (2001), S. 194. 241 Morin, Hispania Vol. 61, No. 207 (2001), S. 193; Feldmann, ADPCP (2011), S. 115. 242 Novísima Recopilación de las leyes de España, S. 399 „Todo hombre ó rnuger que se matare á sí mismo pierda todos sus bienes, y sean para nuestra Cámara, no teniendo herederos descendientes.“ 243 Fabregat Peredo, Nuevo Mundo Mundos Nuevos [Online]; Mackenna Cortés, El delito de homicidio, S. 16. 244 Vgl. Fabregat Peredo, Nuevo Mundo Mundos Nuevos [Online]. Trotzdem waren die Angeklagten wegen Suizidversuchs – aufgrund eines Verstoßes gegen göttliches Rechts bzw. aufgrund des Prinzips der Heiligkeit des Lebens – dazu verurteilt, Zeit in einem Krankenhaus zu verbringen. 245 Vgl. Las Siete Partidas III, S. 570 f. 246 Strafbar war nur die Einhändigung von Waffen oder anderen Sachen.

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musste sich das Opfer in einem anormalen geistigen Zustand befinden247 (entweder betrunken, schwer krank oder unzurechnungsfähig [necio o desmemoriado]). Drittens war der Gehilfe als Täter zu bestrafen. Die Struktur dieser Norm ähnelte einer Art von mittelbarer Täterschaft.248 b) Der Art. 335 des spanischen Strafgesetzbuches von 1850 und seine Einführung in die chilenische Rechtsordnung Der Art. 355 spStGB hat die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe – nach ihrer Abschaffung durch das spStGB von 1822249 – in die spanische Strafgesetzgebung wiedereingeführt. Die Gründe dafür sind unbekannt, es wird aber spekuliert, dass die Norm eine Reaktion auf Fälle war, in denen die Angeklagten einer Suizidbeihilfe freigesprochen werden mussten.250 Im Unterschied zu der Regelung der Siete Partidas war der geistige Zustand des Opfers nicht berücksichtigt. Art. 355 spStGB wurde fast wörtlich in das chilenische Strafgesetzbuch übernommen.251 Bei der Diskussion über dessen Einführung wurde weder die Notwendigkeit einer solchen Norm noch ihre systematische Merkwürdigkeit erörtert. Die Diskussion bezog sich ausschließlich auf drei Punkte, nämlich den Gehilfenvorsatz, den Suiziderfolg als Strafbarkeitsvoraussetzung der Suizidbeihilfe und den Fall der Tötung auf Verlangen.252 Die Einführung des zweiten Absatzes von Art. 335 chStGB, der die eigenhändige Tötung durch den Dritten regelte, wurde abgelehnt, da nach dem Redaktionsausschuss die eigenhändige Tötung eines Suizidenten ein wirklicher Homizid sei.253 Die immer noch geltende Norm scheint mehr ein Zufallsprodukt zu sein, als das Ergebnis einer durchdachten kriminalpolitischen Stellungnahme hinsichtlich einer sozialen Problematik.

247

Feldmann, ADPCP (2011), S. 115. Feldmann, ADPCP (2011), S. 115. 249 Moito/Tremine/Martínez/Martínez, RAEN Vol. 10 No. 33 (1990), S. 174; Torío López, Estudios penales y criminológicos, No. 4 (1979–1980), S. 171. 250 Vgl. Moito/Tremine/Martínez/Martínez, RAEN Vol. 10 No. 33 (1990), S. 174. 251 Die Auffassung des aktuellen chilenischen Strafgesetzbuches – welches seit 1874 gilt – war einem Ausschuss aufgetragen. Die Arbeitsmethode erfolgte auf der Basis des spanischen Gesetzbuches (nebensachlich war das belgische Strafgesetzbuch berücksichtigt). In jeder Sitzung wurden die Normen des spanischen Strafgesetzbuches in Reihenordnung diskutiert und später wurden sie – vollständig oder mit Modifikationen – übernommen. Siehe Actas de las Sesiones de la Comisión Redactora del Código Penal Chileno, S. 4. 252 Vgl. Actas de las Sesiones de la Comisión Redactora del Código Penal Chileno, S. 153. 253 Actas de las Sesiones de la Comisión Redactora del Código Penal Chileno, S. 153 „El segundo inciso del artículo del Código español fué suprimido, porque él solo trata del que lleva su ausilio hasta ejecutar por sí mismo el suicidio: lo que indudablemente constituye un verdadero homicidio i debe ser castigado como tal.“ 248

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

2. Das Unrecht der Suizidbeihilfe Die chilenische Rechtswissenschaft im späten 19. Jahrhundert hat unter direktem Einfluss der spanischen Dogmatik, welche die Rechtswidrigkeit des Suizids implizierte254, die Unrechtsbegründung des Art. 393 chStGB entwickelt.255 Der Suizid selbst war als rechtswidrig angesehen. Dies wurde einerseits dadurch begründet, dass der Suizid eine eigenmächtige Verfügung eines zu Gott gehörenden Gutes darstelle.256 Andererseits wurde seine Rechtswidrigkeit darin gesehen, dass er gegen die Moral bzw. gegen die öffentliche Ordnung verstoße257, weil er der Gesellschaft ein Mitglied entzieht.258 Trotz seiner Rechtswidrigkeit wurde die Straflosigkeit aus praktischen Gründen begründet. Zum einen wurde die Zurechnungsfähigkeit des Suizidenten verneint.259 Zum anderen wurde ein mögliches Suizidverbot für unwirksam erklärt, weil die Strafe für einen Menschen, der schon zum Suizid bereit ist, nicht abschreckend wirken könne. Außerdem wurde die Strafe beim Suizidversuch aus spezialpräventiver Sicht für kontraproduktiv gehalten.260 Nur vereinzelt wurde die Strafbarkeit des Suizids und des Versuchs empfohlen.261 Im 20. Jahrhundert ist die Unrechtsbegründung der Suizidbeihilfe im Kern unverändert geblieben. Die ganz herrschende Meinung hält den Suizid für eine tat254 Siehe Pacheco, El Código Penal III, S. 30 ff. Obwohl Pacheco über die Rechtswidrigkeit des Suizids nicht ausdrücklich sprach, anerkannte sie die akzessorische Natur der Suizidbeihilfe und hat die Straflosigkeit des Suizids ausschließlich auf der Basis der Unwirksamkeit der Strafe gegenüber dem Suizidenten begründet, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass für sie der Suizid rechtswidrig war. Siehe auch Díaz Aranda, Dogmática del suicidio, S. 29 f.; Juanatey Dorado, Derecho, suicidio y eutanasia, S. 65 f. 255 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 90. Über den Einfluss von Pachecos Kommentar auf die chilenische Strafrechtswissenschaft siehe Matus Acuña, Ius Et Praxis, Vol. 12 No. 1 (2006), S. 66. 256 Vera Díaz, Código Penal de la República de Chile, S. 26; ders., S. 163; Vera Díaz, Anales de la Universidad de Chile Tomo 30 (1868), S. 678. 257 Vgl. Fuensalida, Concordancias y comentarios del Código Penal Chileno III, S. 110. 258 Fernández, Pedro Javier, Código Penal de la República de Chile esplicado i concordado, 2ª Ed., S. 155. 259 Vera Díaz, Código Penal de la República de Chile, S. 606; Vera Díaz, Anales de la Universidad de Chile (1868), S. 679. 260 Vera Díaz, Código Penal de la República de Chile, S. 605; Fuensalida, Concordancias y comentarios del Código Penal Chileno III, S. 110; Fernández, Pedro Javier, Código Penal de la República de Chile esplicado i concordado, 2ª Ed., S. 154. 261 Hernández Díaz, El suicidio desde el punto de vista jurídico, S. 63 sah die Gründe, die zur Straflosigkeit des Suizids geführt haben, als reine „Abstraktionen und rechtsphilosophische Spekulationen“ und schlägt die Bestrafung des Suizids vor, vorausgesetzt, dass keine geistige Störung vorliegt. Der erfolgreiche Suizid solle mit ehrenlosem Begräbnis und mit einem Verbot für die Familie, bei dem Begraben anwesend zu sein, strafbar sein und der Versuch sollte mit Entzug von politischen und zivilen Rechten bestraft werden.

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bestandslose rechtswidrige Handlung262, deren Straflosigkeit nicht mit ihrem materiell-rechtlichen Status zusammenhänge, sondern mit der Unwirksamkeit der Strafe263 oder mit der Zurechnungsunfähigkeit des Suizidenten.264 Die Rechtswidrigkeit des Suizids wird entweder vorausgesetzt265 oder durch den Rückgriff auf das Prinzip der Unverfügbarkeit des Lebens unterstützt.266 Aufgrund der Rechtswidrigkeit des Suizids wird die Suizidbeihilfe von der herrschenden Meinung als eine akzessorische Handlung einer rechtswidrigen Haupttat verstanden.267 Vereinzelt wird die Rechtswidrigkeit des Suizids verneint, weil der Suizid kein fremdes Recht verletze.268 Stattdessen wird ein selbständiges Unrecht der Suizidbeihilfe dadurch begründet, dass jeder zum Respekt fremden Lebens verpflichtet ist269 und jeder Eingriff in das Leben bestraft werden müsse.270

262 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 18; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 84; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 330; Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 4; Garrido Montt, DP III, S. 126; Escanilla Galleguillos/Sanhueza Zapata, La cooperación o auxilio al suicidio, S. 124; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 32; Cornejo Manríquez, PE, S. 43; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III, S. 65; Silva Silva, DP – Delitos Especiales I, S. 191; Balmaceda Hoyos, PE, S. 111. 263 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 163; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 330; Garrido Montt, DP III, S. 127; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III, S. 65; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 83; Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 4; Escanilla Galleguillos/Sanhueza Zapata, La cooperación o auxilio al suicidio, S. 6; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 32; Silva Silva, DP Delitos Especiales I, S. 191. 264 Etcheberry Orthusteguy, DP III., S. 84; Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 4; Garrido Montt, DP III, S. 127; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 32; Cornejo Manríquez, PE, S. 43. 265 Vgl. Etcheberry Orthusteguy, DP III., S. 82 ff.; Cornejo Manríquez, PE, S. 43; Silva Silva, DP Delitos Especiales I, S. 191. 266 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 18; Garrido Montt, DP III, S. 23 u. S. 32; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III PE, S. 65; Balmaceda Hoyos, PE, S. 111. 267 Vgl. Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 84; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 330; Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 5; Garrido Montt, DP III, S. 126; Escanilla Galleguillos/Sanhueza Zapata, La cooperación o auxilio al suicidio, S. 7; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 35; Cornejo Manríquez, PE, S. 43; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III PE, S. 65; Silva Silva, DP Delitos Especiales I, S. 192; Bañados Espinosa, Código Penal de la República de Chile concordado y comentado, S. 293. 268 Vgl. Rioseco Rioseco, El suicidio y algunos hechos que tienen estrecha relación con él, S. 28. 269 Vgl. Rioseco Rioseco, El suicidio y algunos hechos que tienen estrecha relación con él, S. 35. 270 Vgl. Rioseco Rioseco, El suicidio y algunos hechos que tienen estrecha relación con él, S. 36. Ähnlich Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 163, sieht beim Art. 393 eine Ausnahme zum Akzessorietätsprinzip, deren Rechtfertigung darin liege, dass die Suizidbeihilfehandlung trotzdem ein Eingriff gegen fremdes Leben darstelle.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Wie gesehen271 geht eine Mindermeinung von der Rechtmäßigkeit des Suizids aus272 und verneint wegen des Akzessorietätsprinzips das Unrecht der Suizidbeihilfe mit der Folge, dass sie straflos sein sollte.273 3. Der objektive Tatbestand a) Unbestimmtheit der Quasi-Haupttat Das chilenische Recht kennt keine Definition des Suizids und die Rechtswissenschaft hat dies überhaupt nicht problematisiert. Ohne eine Definition des Suizids – aufgrund der akzessorischen Struktur der (Suizid-)Beihilfe – bleibt der Tatbestand weitgehend unbestimmt. Die Rechtsprechung hat angedeutet, dass die Durchführung eines Hungerstreiks einen Suizidversuch im Sinne des Art. 393 chStGB darstellt und dass die Beihilfe dazu, falls ein Streikender stirbt, den Tatbestand verwirkliche.274 Dies wird auch (vereinzelt) in der Lehre angenommen.275 Die Einbeziehung des Hungerstreiks in den Suizidbegriff des Art. 393 chStGB bedeutet nicht nur, dass auch beim Unterlassen ein tatbestandmäßiger Suizid anzunehmen ist, sondern auch, dass sogar eventueller Vorsatz bezüglich der Lebensgefährlichkeit den Suizidtatbestand verwirklicht. Dies würde der These der Rechtswidrigkeit des Suizids als Grundlage der Strafbarkeit der Suizidbeihilfe entsprechen. Geht man davon aus, dass das Leben ein unverfügbares Rechtsgut ist und dass eine korrelative Lebenserhaltungspflicht besteht, dann sollte sich diese nicht nur auf die absichtliche aktive Selbsttötung erstrecken, sondern auch auf gefährliche bzw. potentiell tödliche Handlungen und Unterlassungen. b) Bedeutung und Reichweite des Wortlauts „auxiliar“ Art. 393 chStGB spricht von Hilfeleisten (prestar auxilio). Es handelt sich um eine Beihilfehandlung im Sinne von Art. 16 chStGB.276 In der Literatur wird die Gestaltung des strafbaren Handlungsspektrums wenig problematisiert und nach herrschender Meinung kann der strafbare Beitrag entweder physischer (z. B. Aushändigung von Mitteln, z. B. Waffen oder Gift) oder psychischer Natur sein (z. B. 271

Siehe Zweiter Teil, Kapitel II F. 2. Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 125. 273 Vgl. Corrales Castillo, El suicidio como acto jurídico, S. 131. 274 Entscheidung des Berufungsgerichts von Santiago von 9. August 1984 (Nr. 1671984). 275 Vgl. Del Picó Rubio, Huelga de Hambre e Intervención Estatal, S. 7. A. A. Garrido Montt, DP III., S. 129 verneint den Tatbestand, weil keine Selbsttötungsabsicht vorliegt. 276 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 164; Etcheberry, DP III, S. 84; Garrido Montt, DP III, S. 128. 272

Kap. II: Der strafrechtliche Rahmen

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Ratschläge).277 Die Voraussetzungen und Konturen einer strafbaren psychischen Suizidbeihilfe werden aber kaum diskutiert.278 Vereinzelt wird eine Einschränkung des Tatbestandes auf materielle Beiträge vorgeschlagen.279 c) Kausalzusammenhang als mindeste Tatbestandsgrenze Es wird einhellig angenommen, dass die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe vom Vorliegen eines Kausalzusammenhanges zwischen Beitrag und Todeserfolg abhängt. Jede Hilfeleistung, die sich im Todeserfolg nicht verwirklicht, sei deshalb straflos.280 d) Eigenhändige Tötung als oberste Tatbestandsgrenze Die Handlung, die unmittelbar und direkt den Tod einer Person verursacht, verwirklicht den Tatbestand der Tötungsdelikte und kann nicht als Suizidbeihilfe verstanden werden. Es wird einhellig von der Rechtswissenschaft281 und Rechtsprechung282 angenommen, dass die eigenhändige Tötung nicht als Suizidbeihilfe, sondern als Tötungsdelikt bestraft werden sollte. e) Zurechnungsfähigkeit des Suizidenten als Tatbestandsvoraussetzung? Dieser Punkt wird nur von wenigen Autoren (und sehr knapp) behandelt. Es wird einhellig davon ausgegangen, dass nur die Beihilfe zum freien Suizid eines 277 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 165; Silva Silva, DP– PE I, S. 193; Marinkovic Verdugo, Código Penal III, 2ª Ed., S. 829; Cornejo Manríquez, PE, S. 44; Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 23; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 51. 278 Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 86 erklärt, dass es sich bei psychischen Beiträgen um eine wirkliche Hilfeleistung handeln muss, wie z. B. Erklärungen über Eigenschaften von Giften oder über die Suizidausführungsmethode. Reine Ratschläge oder Empfehlungen seien straflos, leider ohne sein Gedankengang zu erläutern. 279 Vgl. Budnich Cortada, DP, S. 264. Der Grund dieser Einschränkung wird nicht erläutert. 280 Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 19; Bullemore Gallardo/ Mackinnon, DP III, S. 67; Cornejo Manríquez, PE, S. 44; Del Río Castillo, DP III, S. 367; Etcheberry Orthusteguy, DP II, S. 13; Garrido Montt, DP III., S. 130; Marinkovic Verdugo, CP III, 2ª Ed., S. 829; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 334; Politoff/Matus/ Ramírez, PE, S. 156; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 49; Silva Silva, DP Delitos Especiales I, S. 192 f. 281 Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 19; Balmaceda Hoyos, PE, S. 112; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III, S. 66; Cornejo Manríquez, PE, S. 44; Del Río Castillo, DP III, S. 367 f.; Garrido Montt, DP III, S. 128; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 334; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 42; Silva Silva, DP Delitos Especiales I, S. 193. 282 Etcheberry Orthusteguy, El Derecho Penal en la Jurisprudencia II, S. 343. Corte de Apelaciones de Santiago, 22 de Junio de 1979 (Gaceta jurídica, No. 26, S. 25).

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Urteilsfähigen den Tatbestand der Suizidbeihilfe verwirklichen kann. Handelt es sich bei dem Suizidenten um einen Minderjährigen oder um seelisch gestörte Menschen, wird der Tatbestand der Tötungsdelikte ohne weiteres angenommen, ohne zu unterscheiden, ob es sich um einen Garant oder um einen Nichtgarant handelt.283 f) Anstiftung als Beihilfe Mangels eines besonderen Tatbestandes ist nach herrschender Meinung die Anstiftung zum Suizid straflos.284 Einige sprechen sich für die Strafbarkeit als Anstiftung zum Totschlag aus285, während andere eine strafbare psychische Suizidbeihilfe annehmen.286 g) Tod des Suizidenten Vereinzelt wird der erfolgreiche Suizid als tatbestandlicher Erfolg angesehen287, nach herrschender Meinung stellt er jedoch eine objektive Strafbarkeitsvoraussetzung dar288, welche trotzdem vom Vorsatz gedeckt sein muss.289 Der Suizid gehöre nicht zum Tatbestand, weil nach der Vollendung der Hilfeleistung die Ausführung des Suizids ausschließlich vom Willen des Suizidenten abhängt.290 Da der Tatbestand sowohl Kausalität als auch Vorsatz voraussetzt, wäre der Tatbestand besser als Erfolgsdelikt zu verstehen, in dem der gescheiterte Suizidversuch einen besonderen Fall eines Strafbarkeitsausschlusses darstellt.

283 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 163; Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 63 f.; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 44; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 86; Ortega Jirón, Derecho a Morir, S. 64. 284 Budnich Cortada, DP, S. 264; Cornejo Manríquez, PE, S. 45; Del Río Castillo, DP III, S. 367; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 85; Garrido Montt, DP III, S. 127. 285 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 165; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III, S. 66 f. Diese Stellungnahme ist offensichtlich rechtswidrig, weil kein tatbestandlicher Homizid vorliegt. 286 Vgl. Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 157. Es wäre absurd, ein Anstifter frei zu sprechen und den psychischen Gehilfen zu bestrafen. 287 Novoa Monreal, Curso de Derecho Penal Chileno, 1960, S. 322. 288 Balmaceda Hoyos, PE, S. 112; Cornejo Manríquez, PE, S. 44; Etcheberry Orthusteguy, DP – PE III, S. 87; Garrido Montt, DP – PE III., S. 131; Labatut Glena, DP I, S. 89; Politoff Lifschitz, DP I, S. 325; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 337; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 158; Reyes Véliz, PG. I, S. 703; Silva Silva, PE I, S. 153. 289 Balmaceda Hoyos, PE, S. 112; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 337. 290 Vgl. Garrido Montt, DP – PE III, S. 131; Balmaceda Hoyos, PE, S. 112; Politoff/ Grisolía/Bustos, PE, S. 336.

Kap. II: Der strafrechtliche Rahmen

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4. Der subjektive Tatbestand Art. 393 chStGB setzt voraus, dass der Gehilfe in „Kenntnis der Umstände“ handelt. Dies wird von einigen Autoren als Abgrenzung von der nicht vorsätzlichen Suizidbeihilfe angesehen. Dementsprechend muss der Gehilfe den Sterbeentschluss kennen und wissen, dass seine Handlung zur Verwirklichung beitragen wird.291 Andere gehen davon aus, dass nur eine mit direktem Vorsatz geleistete Suizidbeihilfe strafbar sei.292

G. Nichthinderung eines Suizids Das Problem, welche Konsequenzen die Nichthinderung eines Suizids mit sich bringt wird selten erörtert, ohne Bezug auf konkrete Fälle und ohne zu differenzieren, ob der Suizid freiverantwortlich geschieht. Es sind zwei Hauptströmungen zu unterscheiden. Einerseits wird die Frage nach dem „ob“ der Strafbarkeit pauschal verneint, da der Wortlaut „Hilfeleisten“ ein aktives Tun voraussetze. Die Möglichkeit einer strafbegründenden Garantenpflicht oder einer unterlassenen Hilfeleistung nach Art. 494 Nr. 14 chStGB wird von diesen Autoren nicht erwähnt.293 Andererseits wird die Beurteilung der Nichthinderung von dem Vorliegen einer Garantenstellung bzw. Solidaritätspflicht abhängig gemacht. Ein Nichtgarant könne nur wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft werden, vorausgesetzt dass die anderen tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 494 Nr. 14 chStGB gegeben sind.294 Bezüglich Garanten nimmt die herrschende Meinung bei Nichthinderung eines Suizids eine Tötung durch Unterlassen an.295 Vereinzelt wird die Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen verneint, weil ein freiverantwortlicher Suizid aufgrund des Selbstverantwortlichkeitsprinzips dem Garant nicht täterschaftlich zu291 Cornejo Manríquez, PE, S. 44; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 87; Politoff/ Grisolía/Bustos, PE, S. 336; Verdugo Marinkovic, CP III, S. 829; Santis Poblete, El auxilio al suicidio, S. 45 f. 292 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 168; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III, S. 67; Garrido Montt, DP III, S. 130 f.; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 159. 293 Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 85; Labatut Glena, DP II, S. 168; Marinkovic Verdugo, CP III, S. 829; Rioseco Rioseco, El suicidio y algunos hechos que tienen estrecha relación con él, S. 42; Vera Díaz, Código Penal de la República de Chile, S. 606. 294 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 166; Escanilla Galleguillos/Sanhueza Zapata, La cooperación o auxilio al suicidio, S. 24; Garrido Montt, DP III, S. 129; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 330 f.; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 157. 295 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 166; Cornejo Manríquez, PE, S. 44; Escanilla Galleguillos/Sanhueza Zapata, La cooperación o auxilio al suicidio, S. 25; Politoff/Grisolía/Bustos, PE, S. 330 ff.; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 158; Silva Silva, DP Delitos Especiales I, S. 192 f.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

gerechnet werden könnte. Stattdessen sei eine Suizidbeihilfe durch Unterlassen anzunehmen.296 Kapitel III

Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten A. Strafrechtliche Lage der aktiven Euthanasie Nach der Rechtsprechung297 und der wohl herrschenden Meinung298 verwirklicht die Tötung eines Menschen, unabhängig vom Vorliegen einer Einwilligung bzw. eines Opferverlangens, den Tatbestand des einfachen Totschlags. 1. Verfassungsrechtlich begründete Ausnahmen Für den Fall einer durch einen Arzt durchgeführten Tötung eines (sogar mutmaßlich) einwilligenden unheilbar Schwerkranken299 wird die Anwendung des Art. 391 chStGB für einen ungerechtfertigten paternalistischen Angriff auf die Privatsphäre gehalten. Zum einen könne das Grundrecht auf Leben nicht als unverfügbares Rechtsgut ausgelegt werden300 und zum anderen findet die staatliche Lebensschutzpflicht ihre Grenze in der Selbstbestimmungsfähigkeit und Menschenwürde des Opfers.301 Folglich sollten Eingriffe in das Leben strafrechtlich nur insofern geschützt werden, als sie gleichzeitig in die Selbstbestimmungsfähigkeit und Menschenwürde eingreifen. Ansonsten wäre die Erhaltung des Verbots in solchen Fällen eine Entmündigung des Grundrechtsträgers.302 Dementsprechend wäre die eingewilligte Tötung eines schwerkranken Opfers tatbestandslos.303 296

Vgl. Arancibia Rodríguez, El delito de auxilio al suicidio, S. 52. Siehe Etcheberry Orthusteguy, El Derecho Penal en la Jurisprudencia I, S. 193 f. 298 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 69; Balmaceda Hoyos, PE, S. 22; Beca/Leiva, Rev Chil Pediatr 2014; 85 (5), S. 609; Bullemore Gallardo/Mackinnon, DP III, S. 24; Caballero Brun, Revista Penal No. 16, S. 179; Cousiño McIver, PG II, S. 517 f.; Del Río Castillo, Derecho Penal III, S. 367; Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 41; Garrido Montt, DP III, S. 50; Garrido Montt, El homicidio, S. 119; Labatut Glena, DP II – PE, S. 163; Misseroni, Acta Bioethica 2000; año VI, n ë 2, S. 257; Ortega Jirón, Derecho a Morir, S. 61; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 191; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 21; Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 41 ff.; Rioseco Rioseco, El Suicidio, S. 49; Rivacoba y Rivacoba, Revista de Derecho Consejo de Defensa del Estado No. 3 (2001), S. 4. 299 Vgl. Lehnebach González, Eutanasia, S. 7. 300 Lehnebach González, Eutanasia, S. 12 f. 301 Lehnebach González, Eutanasia, S. 36. 302 Lehnebach González, Eutanasia, S. 36. 303 Vgl. Lehnebach, Eutanasia, S. 44. Ähnlich Toledo Sepúlveda, El suicidio asistido, S. 125. 297

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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Ein ähnlicher Ansatz nimmt bei der Tötung auf Verlangen eines suizidunfähigen304 Schwerkranken, der unter langanhaltenden und schweren physischen oder psychischen Schmerzen leidet, die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung an.305 Einerseits sei das Grundrecht auf Leben nicht absolut306, sodass keine verfassungsrechtliche Lebenspflicht besteht.307 Andererseits sei die grundrechtlich geschützte Patientenautonomie und -würde bei Suizidunfähigkeit durch das Tötungsverbot verletzt308, weil keine andere Möglichkeit einer Grundrechtsausübung als die Tötung durch einen Dritten bestünde.309 Eingewendet wird, dass eine solche Begründung zur Straflosigkeit jeder Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe führen dürfte.310 2. Straflosigkeit aufgrund einer Kollision zwischen Art. 391 StGB und Art. 14 und 16 des GüPR Da Art. 14 und 16 des Gesetzes über Patientenrechte ausschließlich das Behandlungsverweigerungsrecht einschränken, wären aktive todbeschleunigende Maßnahmen nach der allgemeinen Regel von Art. 14 und 16 GüPR zu behandeln, also dem Patientenwillen unterworfen. Folglich wäre eine Kollision zwischen Art. 14 und 16 GüPR und dem Tötungsverbot gegeben, welche nach den Grundsätzen lex-posterior und lex-specialis zu lösen wäre, sodass die aktive Tötung auf Verlangen eines Patienten nach dem neuen Gesetz erlaubt wäre.311 Diese Lösung widerspricht dem ausdrücklichen Telos des GüPR und kann deshalb nicht ernst genommen werden. 3. Lösungen auf der Schuldebene Im Fall einer pietistischen Tötung wird die Straflosigkeit aufgrund eines Schuldausschlusses begründet, weil das Anders-Handeln-Können ausgeschlossen bzw. die Unterlassung der Tötung unzumutbar sei.312 Außerdem wird die Möglichkeit einer Strafmilderung nach Art. 11 Nr. 5 chStGB angenommen, wenn

304

Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 395. Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 394. 306 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 398 f. 307 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 401. 308 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 399. 309 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 400. 310 Vgl. Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 181 f. 311 Szczaranski Vargas, Sobre el Estatus Deóntico de la Eutanasia, in: Diario Constitucional, 23 de octubre 2013. 312 Rivacoba y Rivacoba, Revista de Derecho Consejo de Defensa del Estado No. 3 (2001), S. 4. Ähnlich Cousiño McIver, PG III, S. 263; Garrido Montt, El homicidio, S. 118. 305

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

„auf so mächtige Anreize hin gehandelt worden ist, dass sie naturgemäßer Weise Verwirrung und Verblendung hervorgebracht haben.“ 313

B. Die tödlich wirkende Palliativbehandlung (indirekte Sterbehilfe) 1. Strafrechtlicher Status Nach der wohl herrschenden Meinung sei die indirekte Euthanasie straflos314. Es besteht jedoch keine Einigkeit über die dogmatische Begründung.315 Im Schrifttum findet man eine Vielzahl von Ansätzen, die die Straflosigkeit begründen. Trotzdem beschränkt sich die Lehre auf allgemeine Aussagen, ohne eine tiefere dogmatische Analyse durchzuführen. Ferner wird die wichtige Frage nach dem Unterschied zur direkten Euthanasie nicht erörtert. Zur Begründung der Straflosigkeit werden zunächst der Kausalzusammenhang316 und der Vorsatz des Arztes verneint.317 Daneben wird diese Tötungshandlung als erlaubtes Risiko318 oder sozialadäquat319 angesehen. Auf Schuldebene wird die Straflosigkeit auf der Basis einer entschuldigenden Pflichtenkollision begründet.320

313 Vgl. Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 42; Toledo Sepúlveda, El suicidio asistido, S. 85. 314 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 70; Caballero Brun, Revista Penal No. 15, S. 178. Stellungnahmen, die für die Strafbarkeit der indirekten Euthanasie ausdrücklich sprechen, wurden im Rahmen dieser Untersuchung nicht gefunden. Unklar Garrido Montt, DP III, S. 136. Er geht von der Tatbestandsmäßigkeit der indirekten Euthanasie aus, ohne ihre Straflosigkeit zu behaupten. Er verneint jedenfalls einen kategorischen Unterschied zwischen direkter und indirekter Euthanasie. 315 Caballero Brun, Felipe, Revista Penal No. 15, S. 178. 316 Peña Wasaff, Eutanasia, S. 21 begründet die Straflosigkeit der indirekten Euthanasie aufgrund der Schwierigkeit, den Kausalzusammenhang zwischen Palliativbehandlung und Tod festzustellen. 317 Vgl. Peña Wasaff, Eutanasia, S. 21. Einerseits bestünde keine vollständige Kenntnis über die Toxizität der Medikamente und andererseits seien die nachteiligen Auswirkungen der Palliativbehandlungen nicht gleich für jede Person, sodass der Todeserfolg nicht vorhersehbar sei. 318 Siehe Lehnebach González, Eutanasia, S. 29. Jedoch ohne die Erlaubtheit des Risikos hinsichtlich Art. 391 zu begründen. 319 Siehe Peña Wasaff, Orientaciones sobre el tratamiento penal de la Eutanasia, S. 22. 320 Vgl. Peña Wasaff, Orientaciones sobre el tratamiento penal de la Eutanasia, S. 22. Der Arzt sei gleichzeitig zur Lebenserhaltung und Leidensmilderung verpflichtet. Ähnlich Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 390.

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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2. Herrschende Meinung: Indirekte Sterbehilfe als gerechtfertigte Ausübung eines Berufs bzw. Rechts Anhand des Art. 23 Abs. 2 des Ethik-Kodes der chilenischen Ärztekammer321 werden tödliche Palliativbehandlungen als Teil der ärztlichen lex artis verstanden. Folglich wären sie nach Art. 10 No. 10 chStGB322 (Legitime Ausübung eines Berufs) gerechtfertigt.323 Die Doppeleffektlehre, welche auch oft als Grund der Straflosigkeit – ohne deren Relevanz im Rahmen der Vorsatzlehre zu begründen – erwähnt wird324, wird vereinzelt als Teil der medizinischen lex artis eingeordnet, sodass sie durch Art. 10 chStGB strafrechtlich wirksam wäre.325 Diesbezüglich muss erwähnt werden, dass der Grund der allgemeinen Straflosigkeit einverständlicher ärztlicher Behandlungen umstritten ist.326 Einerseits werden ärztliche Behandlungen, die der lex artis entsprechen, als eine durch Art. 10 Nr. 10 chStGB gerechtfertigte Ausübung des Berufs angesehen. Andererseits wird von anderen bemerkt, dass nicht die Ausübung des ärztlichen Berufs, sondern die Einwilligung des Patienten die Straflosigkeit ärztlicher Behandlungen begründet, ohne die die Behandlung straftatbestandsmäßig wäre.327 Gegen eine Rechtfertigung der indirekten Euthanasie wegen der Ausübung eines Berufs wird eingewandt, dass eine berufsrechtliche Befugnis, einen ande-

321 Art. 23 Abs. 1 erklärt, dass jede Person das Recht hat, in Würde zu sterben. Nach Abs. 2 muss der Arzt versuchen, Leiden und Schmerzen zu mildern, trotz eines Lebensverkürzungsrisikos. [Art. 23 Abs. 1 „Toda persona tiene derecho a morir dignamente . . .“ Abs. 2 „El médico procurará siempre aliviar el sufrimiento y el dolor del paciente, aunque con ello haya riesgo de abreviar la vida.“] Über. d. Verf. 322 Art. 10 Nr. 10 „Von strafrechtlicher Verantwortung sind ausgeschlossen . . . Derjenige, welcher handelt in Erfüllung einer Pflicht, der legitimen Ausübung eines Rechts, Autorität, Berufs oder Amtes.“ Diese Norm wird als Positivierung des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung, nach der sich die strafrechtliche Beurteilung nicht ausschließlich nach strafrechtlichen Normen richten sollte, sondern sollten alle betreffende Normen bzw. rechtliche Prinzipien berücksichtigt werden. Siehe Balmaceda Hoyos, PG, S. 202; Cury Urzúa, PG, S. 368 f.; Novoa Monreal, PG, S. 340; Politoff Lifschitz, DP I, S. 390 f. 323 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 70 f.; Etcheberry Orthusteguy, DP I, S. 247; Labatut Glena, DP I, S. 110; Del Villar Brito, PG, S. 140; Matus Acuña/ Ramírez Guzmán, PE, S. 27. 324 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 73 f.; Leiva López, RDPUCV Nr. 41, S. 517; Miranda Montecinos, Rev Med Chile 2012; 140, S. 262; Taboada Rodríguez, Acta Bioethica 2014; 20 (2), S. 227; Vivanco Martínez, Disposición sobre la vida humana, S. 126. 325 Siehe Matus/Ramírez, PE, S. 29. Ähnlich aber nicht eindeutig Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 73 f. 326 Siehe Zweiter Teil, Kapitel III C. 4. c). 327 Vgl. Náquira Riveros, DP, S. 297 f.; ähnlich Politoff Lifschitz, DP I, S. 398 f. Die ärztliche Behandlung sei folglich nicht gerechtfertigt, sondern tatbestandlos. Siehe Cury Urzúa, PG, S. 382.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

ren zu töten, nicht bestehe.328 Darüber hinaus könnte eingewendet werden, dass die Strafwürdigkeit einer rechtsgutsverletzenden Handlung nicht nach der ärztlichen Praxis, sondern ausschließlich nach strafrechtlichen Kriterien bestimmt werden sollte.329 In dieselbe Richtung gehend wird Art. 16 Abs. 4 des GüPR als ausdrückliche Erlaubnis der indirekten Euthanasie verstanden.330 Die indirekte Euthanasie wird damit als gerechtfertigte Ausübung eines Rechts (i. S. v. Art. 10 Nr. 10) angesehen.331 Dieser Ansatz ist problematisch, weil sein Ausgangpunkt ist, dass Art. 16 Abs. 4 GüPR ein Recht darauf enthält, „Palliativbehandlungen zu bekommen“ und „in Würde zu sterben“.332 Einerseits erwähnt Abs. 4 nur das Recht „in Würde zu leben bis zum Todesmoment“ und kein Recht „in Würde zu sterben“.333 Andererseits und noch wichtiger verbieten Art. 14 und Art. 16 GüPR ausdrücklich euthanasische Praktiken und jede artifizielle Beschleunigung des Sterbevorganges.

C. Der tödliche Behandlungsverzicht auf Patientenwunsch (passive Sterbehilfe) 1. Anmerkung Die Auffassung des menschlichen Lebens als ein unverfügbares Rechtsgut und die daraus folgende Rechtsprechung samt der unklaren gesetzlichen Regelung der Patientenrechte erschweren die Bestimmung der Rechtslage eines Behandlungsunterlassens bzw. -abbruchs. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden diesbezüglich keine detaillierten Informationen über die chilenische ärztliche Praxis gefunden. Trotzdem ist wohlbekannt, dass in Chile die passive Euthanasie ständig durchgeführt wird. Aufgrund der unbestimmten Rechtslage und des immer noch geringen Bewusstseins und 328

Peña Wasaff, Eutanasia, S. 22. Siehe Leitner, Sterbehilfe, S. 60, Fn. 126. 330 Matus/Ramírez, PE, S. 28. 331 Die Überschrift in Matus/Ramírez, PE, S. 25 spricht von „Rechtfertigungsgründe: Legitime Ausübung eines Rechts und Euthanasie“ [„Causas de Justificación: Ejercicio legítimo de un Derecho y Eutanasia“]. 332 Matus/Ramírez, PE, S. 28 „[. . .] esa misma disposición legal, al establecer el derecho a recibir tratamientos paliativos y a morir con dignidad [. . .] legaliza al mismo tiempo la llamada eutanasia indirecta [. . .].“ 333 Nach Art. 16 Abs. 4 hat der Sterbepatient ein „Recht in Würde zu leben bis zum Todesmoment. Folglich hat sie ein Recht auf Palliativbehandlungen, die die Krankheitswirkungen erträglicher machen . . .“ [. . . derecho a vivir con dignidad hasta el momento de la muerte. En consecuencia, tienen derecho a los cuidados paliativos que les permitan hacer más soportables los efectos de la enfermedad . . .]. 329

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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Respekts der Patientenautonomie in der Medizin sind die Bedingungen und Prozeduren, unter denen der Behandlungsverzicht geschieht, der ärztlichen Willkür unterstellt, oft ohne hinreichende Kontrolle und Sicherheit.334 In der Strafrechtswissenschaft wird fast einhellig335 ein Bereich straflosen Behandlungsverzichts angenommen, das Problem liegt allerdings in der Bestimmung der Strafbarkeitsgrenze. Obwohl sich die meisten Ansätze auf den Behandlungsverzicht bei „Sterbepatienten“ beziehen, lässt sich aus ihr nicht eindeutig ableiten, ob das Lebensendstadium eine Voraussetzung der Straflosigkeit darstellt und wann es vorliegt. Außerdem wird die Problematik des Behandlungsverzichts durch aktives Tun fast nicht problematisiert.336 2. Limitierte Straflosigkeit Ein Teil der Lehre macht die strafrechtliche Beurteilung eines Behandlungsverzichts von der Art der unterlassenen bzw. abgebrochenen Behandlung abhängig. Einerseits wird aus den Art. 14 und 16 des GüPR ein von der Patienteneinwilligung unabhängiges Behandlungsgebot bzw. Behandlungsverzichtsverbot abgeleitet, welches den Arzt trotz einer aufgeklärten Behandlungsverweigerung stets dazu verpflichtet, gewöhnliche lebenserhaltende Maßnahmen anzuwenden bzw. wiederherzustellen. Das Unterlassen und der Abbruch dieser Maßnahmen wird als eine nach Art. 391 chStGB strafbare Verletzung der ärztlichen Garantenpflicht angesehen337, es sei denn, dass der Patient Gebrauch von seinem Recht auf Krankenhausentlassung macht.338 Behandlungen, die dieser Kategorie nicht entsprechen, können straflos unterlassen bzw. abgebrochen werden.339 Das Problem liegt aber wie gesehen in der Bestimmung der Strafbarkeitsgrenze, weil unklar bleibt, was unter gewöhnlichen Maßnahmen zu verstehen ist. Zum Beispiel wird – neben dem Verzicht auf medizinische Basisversorgung wie Hydrierung und Ernährung – das Unterlassen einer Zwangsbehandlung bei Bluttransfusionsverweigerung und Hungerstreik für strafbar gehalten.340 334

Siehe Carrasco Meza/Crispi Galleguillos, RevMedChile 2016, S. 1602. Balmaceda Hoyos, PE, S. 21 f. Von der Unverfügbarkeit des Lebens ausgehend sieht er in jedem vom Patient eingewilligten todbeschleunigenden Behandlungsabbruch die Verwirklichung des Homizidtatbestandes. 336 Nur Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 390, Fn. 77 – anhand des Urteils des BGHSt 50, 141 – stellt das Behandlungsunterlassen mit dem aktiven Behandlungsabbruch gleich. 337 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 69 f.; Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 193. 338 Nur Ossandón Widow, Derecho Público Iberoamericano No. 2 (2013), S. 194 anerkennt diese Grenze. 339 Vgl. Leiva López, RDPUCV No. 41, S. 540. 340 Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 75 ff. 335

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Eine andere Ansicht behauptet aufgrund der Unverfügbarkeit des Rechtsguts Leben die Unbeachtlichkeit des Patientenwillens, sodass der Arzt seiner Garantenstellung entsprechend auch gegen den Willen des Patienten zum Schutz des Lebens verpflichtet sei.341 Folglich stelle jeder zum Tode führende Behandlungsverzicht eine tatbestandmäßige Tötung dar.342 Nur beim unmittelbar bevorstehenden unvermeidbaren Tod343 oder wenn die Lebensverlängerung unverhältnismäßig bzw. unvernünftig ist, darf auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden.344 In ähnlicher Weise wird auf Art. 23 Abs. 3 des Ethik-Kodex der chilenischen Ärztekammer, welcher dem Arzt einen Ermessenspielraum im Fall eines unvermeidbaren und nahstehenden Tod gibt345, verwiesen, um die Rechtfertigung des Behandlungsverzichts nach Art. 10 Nr. 10 chStGB zu begründen.346 Im Umkehrschluss wäre eine Rechtfertigung jenseits Art. 23 Abs. 3 des EthikKodex der chilenischen Ärztekammer nicht möglich. Diese Rechtfertigungslösung wird kritisiert, weil die Normen der lex artis zu diffus seien, um rechtliche Wirkung zu haben.347 3. Allgemeine Straflosigkeit der passiven Euthanasie Ein anderer Teil der Lehre nimmt die Straflosigkeit des einverständlichen Behandlungsverzichts an, wobei der Grund dafür umstritten ist.348 a) Lösung durch die Unterlassungsdogmatik Einige verneinen die ärztliche Garantenstellung bzw. Garantenpflicht349, wenn ein wirksamer informierter Patientenwille vorliegt, sodass der Behandlungsver341

Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 75; Garrido Montt, DP III, S. 32. Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 75; Garrido Montt, DP III, S. 135. 343 Vgl. Aguilar Aranela, Delitos contra la Vida, S. 64 f.; Garrido Montt, DP III, S. 31 f.; ders., S. 134. 344 Vgl. Garrido Montt, DP III, S. 134; ähnlich Misseroni Raddatz, Acta Bioethica 2000; año VI, n ë 2, S. 255 ff. Das „Unterlassen oder Abbruch einer angemessenen, erforderlichen und wirksamen Behandlung, mit der Absicht den Tod eines sich im Endstadium befindenden Patienten zu verursachen . . .“ sei nach Art. 391 Nr. 2 strafbar. Während der Verzicht auf unverhältnismäßige und exzeptionelle Behandlungen bei unmittelbar bevorstehendem Tod eines Patienten nach Art. 10 Nr. 10 gerechtfertigt sei. Etcheberry Orthusteguy, DP III, S. 32 sieht den Verzicht auf extraordinäre, komplexe und spezialisierte Behandlungen auf Verlangen des Patienten durch Art. 10 Nr. 10 gerechtfertigt (Legitime Ausübung eines Berufs). 345 Nach Art. 23 Abs. 3 darf der Arzt, im Fall eines unvermeidbaren Todes, nach Ermessensentscheidung, Behandlungen unterlassen, die nur eine prekäre und schmerzvolle Existenz herbeiführen. [„. . . ante la inminencia de una muerte inevitable, es lícito que el médico, en conciencia, tome la decisión de no aplicar tratamientos que procuren únicamente una prolongación precaria y penosa de la existencia.“] 346 Vgl. Politoff/Matus/Ramírez, PE, S. 38 f. 347 Vgl. Peña Wasaff, Eutanasia, S. 22. 348 Vgl. Caballero Brun, Revista Penal Nr. 16, S. 178. 342

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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zicht straflos wäre.350 Die außerkraftsetzende Wirksamkeit der Behandlungsverweigerung auf die ärztliche Garantenstellung351 wird durch die normative Kraft der Patientenautonomie gegenüber dem Arzt bzw. öffentlicher Gewalt begründet352, welche verfassungsrechtlich geschützt und folglich stets zu respektieren sei.353 Die Patienteneinwilligung stelle eine Entstehungsbedingung der Garantenstellung im Arzt-Patienten-Verhältnis dar und bestimme die Reichweite der ärztlichen Garantenpflicht.354 Von deren Vorliegen hängt die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit (evtl. Strafbarkeit355) ärztlicher Behandlungen ab.356 b) Gesetz Nr. 20.584 als Grundlage der Straflosigkeit Ohne die Auslegungsproblematik in Bezug auf das Gesetz Nr. 20. 584 zu berücksichtigen, wird in dem darin anerkannten Recht auf Krankenhausentlassung, welches als ein Recht auf Behandlungsabbruch ausgelegt wird357, eine „Legalisierung der passiven Euthanasie“ gesehen.358 Außerdem wird auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts des Patienten die ärztliche Pflicht begründet, dem Patientenwillen nachzukommen.359 4. Behandlungsverzicht bei Entscheidungsunfähigen: Patientenverfügung und mutmaßlicher Patientenwille Die Rechtslage des Behandlungsverzichts ist bei Entscheidungsunfähigen noch undurchsichtiger, da die chilenische Gesetzgebung weder eine Regelung der Wirkung und Umsetzung von Patiententestamenten noch ein den §§ 1901 a ff. BGB 349 Vgl. Lehnebach González, Eutanasia, S. 30; Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 37; ders., S. 388 ff.; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 22. 350 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 391 ff.; Peña Wasaff, Eutanasia, S. 22. 351 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 37; ders., S. 388 ff. 352 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 37; ders., S. 390. 353 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 373. 354 Vgl. Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 387 ff. 355 Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 382 f. 356 Mayer Lux, RDPUCV No. 37, S. 391 „Die Patientenautonomie spielt eine Doppelrolle: deren Beachtung begründet die Straflosigkeit des Arztes hinsichtlich des Patiententodes und deren Nichtbeachtung begründet die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes wegen des Eingriffs auf die körperliche Unversehrtheit bzw. Gesundheit/Leben des Patienten“ [„. . . la autonomía del paciente juega un doble rol: su observancia fundamenta la irresponsabilidad penal del médico respecto de la muerte del paciente y su inobservancia fundamenta la responsabilidad penal del médico por el atentado contra la integridad corporal o la salud o contra la vida del enfermo.“]. 357 Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 28. 358 Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 28. 359 Matus Acuña/Ramírez Guzmán, PE, S. 28 Fn. 51.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

ähnliches Verfahren bezüglich der einwilligungsbezogenen Probleme eines entscheidungsunfähigen Patienten kennt. a) Ärztliche Behandlungen bei Entscheidungsunfähigen nach dem GüPR Das Gesetz über Patientenrechte enthält keine systematische bzw. vollständige Regelung bezüglich ärztlicher Behandlungen bei Entscheidungsunfähigkeit des Patienten. Art. 15 und Art. 17 GüPR deuten an, dass bei Einwilligungsunfähigen im Prinzip der Patientenvertreter über die ärztlichen Maßnahmen entscheiden muss.360 Darüber hinaus stellt Art. 15 GüPR fest, dass die Entscheidungen bezüglich der Behandlung eines Entscheidungsunfähigen beim Fehlen eines Patientenvertreters stets nach einem pro vita Grundsatz zu treffen sind. Sensu contrario könnte abgeleitet werden, dass die Entscheidung des Patientenvertreters in eine andere Richtung gehen könnte. b) Das Patiententestament im chilenischen Recht Ursprünglich sah das Gesetz Nr. 20.584 im Art. 18 die Wirksamkeit von schriftlichen Vorauswillenserklärungen in Bezug auf medizinische Maßnahmen bzw. ärztliche Eingriffe für den Fall vor, dass sich der Patient entscheidungsunfähig und im Lebensendstadium befand. Die Vorschrift wurde trotzdem während des Gesetzgebungsverfahrens beseitigt – hauptsächlich aufgrund von Sorge vor Missbrauch361 –, sodass die Verbindlichkeit, Umsetzung und mögliche strafrechtliche Wirkung eines Patiententestaments immer noch gesetzlich unbestimmt ist. c) Die mutmaßliche Einwilligung im chilenischen Recht Die anfängliche Auffassung des oben genannten Art. 15 GüPR schrieb für den Fall ohne Patientenvertreter vor, dass die Entscheidung nach dem mutmaßlichen 360 Art. 15 regelt den Fall, in dem ein Entscheidungsunfähiger ohne Willenserklärung des Patientenvertreters behandelt werden darf. Dies setzt entweder voraus, dass ein Lebensrisiko besteht bzw. schwere Krankheitsfolgen drohen oder dass ein Patientenvertreter nicht vorhanden bzw. nicht erreichbar ist. In einem solchem Fall sollten die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden, um den Schutz des Lebens zu gewährleisten. Art. 17 Abs. 1 sieht die ärztliche Pflicht, sich an den Ethikausschuss zu wenden, wenn die Entscheidung des Patientenvertreters gesundheitsschädlich oder lebensriskant ist. Art. 17 Abs. 2 sieht die Möglichkeit vor, dass sich der Arzt an den Ethikausschuss wenden kann, wenn der Patientenvertreter indizierte ärztliche Behandlungen verweigert oder er mit der Begrenzung therapeutischer Bemühungen nicht einverstanden ist. 361 Vgl. BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Segundo Trámite Constitucional ante el Senado, S. 318 f. Die Norm würde der Euthanasie Tür und Tor öffnen und würde den Suizid (durch Behandlungsverzicht) ermöglichen. Außerdem bestünde die Gefahr einer zwischenzeitlichen Meinungsänderung des Patienten.

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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Patientenwillen getroffen werden sollte.362 Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Möglichkeit einer Entscheidung auf der Basis des mutmaßlichen Patientenwillens abgelehnt und stattdessen wurde das Kriterium durch den pro vita Grundsatz ersetzt.363 Das Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung ist in der allgemeinen Rechtfertigungsdogmatik wenig entwickelt worden (entweder wird sie überhaupt nicht behandelt364 oder nur oberflächlich erwähnt365). In Bezug auf die Sterbehilfeproblematik wird sie, wie gezeigt wird, kaum erwähnt. Dies hat wahrscheinlich damit zu tun, dass selbst die Dogmatik der tatsächlichen Einwilligung wenig entwickelt worden ist366, besonders im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit, wobei die Patienteneinwilligung als Strafausschließungsgrund (tatbestandsausschließend oder rechtfertigend) selten erwähnt wird, weil nach der wohl herrschenden Meinung in der Strafrechtswissenschaft die körperliche Unversehrtheit ein unverfügbares Rechtsgut darstellt, sodass die Einwilligung keine Wirkung entfalten kann.367 Die Rechtmäßigkeit ärztlicher Eingriffe wird meistens in der legitimen Ausübung des ärztlichen Berufs angesehen (Art. 10 Nr. 10 chStGB)368, welche eine von der Patienteneinwilligung selbständige rechtfertigende Wirkung hätte.369 d) Aufbau des Entscheidungsverfahren bei Entscheidungsunfähigkeit Aus Art. 15 GüPR und dessen Entstehungsgeschichte lässt sich klar feststellen, dass beim fehlenden Patientenvertreter die Entscheidung bezüglich ärztlicher Maßnahmen durch den behandelnden Arzt ausschließlich nach dem pro vita Grundsatz getroffen werden muss. Im Prinzip wäre ein im Patiententestament vorgesehener Behandlungsverzicht nicht zu beachten, da Art. 15 GüPR keine Ausnahme vorsieht und der Gesetzgeber einen Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen abgelehnt hat.

362 Siehe BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 18. 363 Vgl. BCN Historia de la Ley No. 20.584 – Primer Trámite Constitucional ante la Cámara de Diputados, S. 51 364 Siehe Balmaceda Hoyos, PG, S. 203; Labatut Glena, DP I, S. 110 f.; Politoff/Matus/Ramírez, PG, S. 239 f. 365 Siehe Etcheberry Orthusteguy, DP II, S. 240 ff.; Náquira Riveros, DP I, S. 307; Novoa Monreal, DP, S. 416; Cury Urzúa, PG, S. 371 f. sieht die mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund im ärztlichen Bereich als unnötig, weil sie entweder als sozialadäquat oder als eine nach Art. 10 Nr. 10 legitime Ausübung des Berufs anzusehen seien. 366 Vgl. Jiménez Castro, REJ, No. 16 (2012), S. 267. 367 Ausführlich Hernández Basualto, in: Cuadernos de Análisis Jurídico, S. 168 ff. 368 Siehe Hernández Basualto, in: Cuadernos de Análisis Jurídico, S. 168. 369 Siehe Hernández Basualto, in: Cuadernos de Análisis Jurídico, S. 171.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

Beim Vorhandensein eines erreichbaren Patientenvertreters ist die Rechtslage völlig unbestimmt. Welche Bedeutung dem Unterlassen der Regelung von Patiententestamenten und der Substitution des mutmaßlichen Patientenwillens durch den pro vita Grundsatz zugeschrieben sollte, ist ungewiss. Einerseits ist fraglich, ob das bewusste Unterlassen einer Regelung des Patiententestaments dessen absolute Unbeachtlichkeit bedeuten sollte. Andererseits ist zu fragen, ob auch der Patientenvertreter dem pro vita Grundsatz unterworfen ist. Man könnte die Entscheidung des Gesetzgebers, Patiententestamente und mutmaßliche Einwilligung nicht zu regeln, so verstehen, dass sowohl Patiententestamente als auch der mutmaßliche Patientenwille stets unbeachtlich sein sollten. Aber Art. 15 und 17 GüPR geben nicht nur zu verstehen, dass der Patientenvertreter für das Entscheidungstreffen zuständig ist, sondern auch, dass die Entscheidung in dem Behandlungsverzicht bestehen könnte, sodass Ausnahmen zum pro vita Grundsatz möglich sein sollten. Auch wenn man dem absichtlichen Schweigen des Gesetzgebers Bedeutung zuschreiben wollte, lässt sich aus der Entstehungsgeschichte nicht ableiten, ob der Gesetzgeber dem Patiententestament jede Wirkung oder nur unmittelbare Wirkung – als direktes Äquivalent eines tatsächlichen Patientenwillens – absprechen wollte. Aufgrund der vorgesehenen Möglichkeit eines Behandlungsverzichts durch den Patientenvertreter, könnte argumentiert werden, dass der Patientenvertreter das Patiententestament als Basis eines mutmaßlichen Willens zum Behandlungsverzicht anwenden könnte, obwohl er nicht an das Patiententestament gebunden ist. Nur dem Arzt wäre einen Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen untersagt. Dass der Patientenvertreter nach eigenem Belieben in die eine oder andere Richtung entscheiden könnte, erscheint willkürlich. Jedenfalls sollte das Patiententestament berücksichtigt werden. Ob im Fall fehlenden Patiententestaments der Patientenvertreter trotz konkreter Anhaltspunkte eines mutmaßlichen Patientenwillens nach dem pro vita Grundsatz entscheiden müsste, kann auch nicht eindeutig beantwortet werden. e) Strafrechtliche Lage des Behandlungsverzichts bei Entscheidungsunfähigen Die strafrechtliche Lage des Behandlungsverzichts wird unterschiedlich gesehen, je nachdem wonach man die Rechtmäßigkeit ärztlicher Behandlungen beurteilt (Patientenwille/lex artis) und welches Verhältnis man zwischen den Regeln des Strafgesetzbuches und dem GüPR sieht. Wenn man dem (ggf. mutmaßlichen) Patientenwillen Wirkung auf die ärztliche Garantenstellung bzw. Garantenpflicht zuschreibt und das Patiententestament als tatsächliche Willenserklärung oder zumindest als Basis eines mutmaßlichen Willens versteht, wäre eine weite Straflosigkeit eines entsprechenden Behandlungs-

Kap. III: Strafrechtliche Behandlung der Sterbehilfevarianten

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verzichts anzunehmen, wenn man die auf der Basis der Unterlassungsdogmatik aufgebaute Lösung für den dem tatsächlichen Patientenwillen entsprechenden Behandlungsverzicht folgt, vorausgesetzt dass man zusätzlich die strafrechtliche Beurteilung eines Behandlungsverzichts unabhängig von der Regelung des Gesetzes Nr. 20.584 sieht.370 Aus dieser Perspektive dürfte sogar ein Verstoß gegen den vom Art. 15 GüPR angeordneten pro vita Grundsatz straflos sein, wenn der Arzt dem mutmaßlichen Willen oder Patiententestament entsprechend die Behandlung unterlässt oder abbricht. Geht man anders davon aus, dass nur ein nach der lex artis durchgeführter Behandlungsverzicht gerechtfertigt sein könnte (Art. 10 Nr. 10 chStGB), sollte die Beachtung der Normen für die Straflosigkeit notwendig sein. Dasselbe dürfte gelten, wenn man dem GüPR eine strafrechtlich gesicherte lebensschützende Funktion beimisst. Hier wäre ein Verstoß gegen den pro vita Grundsatz strafbar, trotz Vorliegen eines Patiententestaments bzw. mutmaßlichen Patientenwillens. Jedenfalls würde dies nur für den im Art. 15 GüPR vorgesehenen Fall gelten, dass der Arzt aufgrund fehlenden Patientenvertreters die Entscheidung trifft, weil weder das Verfahren noch das Entscheidungskriterium beim Patientenvertreter klar ist. Der Behandlungsverzicht aufgrund einer durch den Patientenvertreter getroffenen Entscheidung, welche dem zumindest mutmaßlichen Patientenwillen entspricht, sollte straflos sein. Wie erwähnt, werden in der Strafrechtswissenschaft die Wirkung von Patiententestament und die Möglichkeit eines Behandlungsverzichts wegen mutmaßlichen Willens kaum behandelt. Die strafausschließende Wirkung von Patiententestamenten hinsichtlich eines Behandlungsverzichts wird verneint, solange keine gesetzliche Regelung besteht.371 In Bezug auf das Entscheidungskriterium bei Einwilligungsunfähigen wird entweder auf die ärztliche lex artis372 oder auf die mutmaßliche Einwilligung zurückgegriffen.373

D. Rechtslage des ärztlich assistierten Suizids 1. Anmerkung Im Rahmen dieser Untersuchung wurde keine besondere dogmatische Problematisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe gefunden. Zunächst ist festzustellen, 370 Nur der Patientenwillen wäre maßgeblich für die Feststellung des Tötungsunrechts. 371 Mayer Lux, RDPUCV 2011, S. 407 f., nimmt im Prinzip die Möglichkeit einer Patientenverfügung als Basis der Straflosigkeit passiver Euthanasie an, verlangt dafür aber aus Sicherheitsgründen eine gesetzliche Regelung der Wirksamkeitsvoraussetzungen der Patientenverfügung. 372 Garrido Montt, DP III, S. 134, bei Entscheidungsfähigkeit müsste sich das ärztliche Handeln nach der lex artis richten. 373 Matus/Ramírez, PE I, S. 28 Fn. 51.

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

dass das im Art. 14 und 16 GüPR vorgesehene Verbot ärztlicher Suizidbeihilfe aufgrund dessen unklaren Wortlauts und auch wegen der Existenz einer strafrechtlichen Regelung überflüssig zu sein scheint. Die strafrechtliche Beurteilung der ärztlichen Suizidbeihilfe sollte sich ausschließlich nach den strafrechtlichen Normen richten. Darüber hinaus verursacht das Fehlen einer Diskussion über die Relevanz der Freiverantwortlichkeit in Bezug auf Art. 393 chStGB samt der herrschenden Unklarheit in Bezug auf das ärztliche Garantenverhältnis Probleme nicht nur im Bereich des Behandlungsverzichtes, sondern auch bei der ärztlichen Suizidbeihilfe: Nimmt man an, dass der Patientenwille gegenüber dem ärztlichen Garantenverhältnis wirkungslos bleibt, ergibt sich, dass die ärztliche Suizidbeihilfe stets nach Art. 391 chStGB zu bestrafen wäre. 2. Die Folgen der herrschenden Meinung bezüglich des Behandlungsverzichts Die Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid sollte im Prinzip nach Art. 393 chStGB beurteilt werden. Trotzdem taucht bei der ärztlichen Suizidbeihilfe die Frage auf, welche Wirkung das Vorliegen der ärztlichen Garantenstellung hinsichtlich der Beurteilung haben sollte. Nach herrschender Meinung ist die Nichthinderung eines Suizids im Rahmen von Garantenverhältnissen – ohne Rücksicht auf die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung – stets als Tötung durch Unterlassen zu bestrafen. Dementsprechend sollte der Arzt wegen Tötung bestraft werden, weil er durch die Hilfeleistung seine von der freiverantwortlichen Entscheidung unberührte Garantenpflicht – mit Todesfolge – verletzt. Da der Wille des Suizidenten aufgrund der angenommenen Unverfügbarkeit des Lebens keine außerkraftsetzende Wirkung auf die Garantenstellung haben könnte, wäre der Arzt stets dazu verpflichtet, Gesundheit und Leben des Patienten zu schützen. Somit wäre der Beteiligungsgrad des Arztes ohne Belang und Art. 393 chStGB wäre bei ärztlicher Suizidbeihilfe nicht anwendbar. 3. Suizidbeihilfe nach der Mindermeinung Folgt man der Mindermeinung, nach der der Patient durch seinen informierten Willen den Arzt partiell oder vollständig von dessen Pflicht entbinden kann, käme beim freiverantwortlichen Suizid nur der Tatbestand der Suizidbeihilfe in Betracht, wobei sich nicht nur Abgrenzungsprobleme zum Art. 391 chStGB im Falle mittäterschaftsähnlicher Beiträge zeigen würden, sondern auch in Bezug auf die Freiverantwortlichkeit, da Kriterien zu ihrer Feststellung weder von der Rechtsprechung noch von der Rechtswissenschaft entwickelt worden sind.

Kap. IV: Zusammenfassung zum chilenischen Sterbehilferecht

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Der Strafrahmenunterschied ist erheblich: Während die einfache Tötung mit einer Strafe von 10 Jahren und 1 Tag bis zu 15 Jahren bestraft wird, sieht Art. 393 chStGB eine Strafe von 541 Tagen bis zu 5 Jahren vor. 4. Strafbarkeit nach dem chilenischen Betäubungsmittelgesetz Falls der Arzt dem Patienten eine dem Betäubungsmittelgesetz 374 unterliegende Substanz (z. B. Secobarbital375, Pentobarbital376, Midazolam377) verschreibt378 oder überlässt379, riskiert der Arzt eine höhere Strafe – ideale Konkurrenz nach Art. 75 chStGB – von 5 Jahren und 1 Tag bis zu 15 Jahren.380 Noch dazu käme der im Art. 19 h) chBtMG vorgesehene Strafschärfungsgrund in Betracht, wenn die Verschreibung, Verabreichung oder das Überlassen im Krankenhaus geschieht. Kapitel IV

Zusammenfassung zum chilenischen Sterbehilferecht Die Gesamtheit der Probleme in Bezug auf die Sterbehilfe im chilenischen Recht wurzeln in der geringeren Entwicklung des Rechtsdenkens. Dies hat zu einem grob verzerrten Verständnis der im Art. 19 chVerfG vorgesehenen individuellen Freiheiten geführt. Besonders problematisch für das Thema ist die Auffassung, dass Art. 19 Nr. 1 Abs. 1 chVerfG ein vom Grundrechtsträger abgekoppeltes objektives Schutzgut enthält, welches absoluten Vorrang vor wesentlichen verfassungsrechtlich geschützten individuellen Bereichen, wie dem körperlichen und privaten Bereich, beansprucht. Somit wird die Idee der Unverfügbarkeit des Lebens verfassungsrechtlich bekräftigt und strahlt folglich auf die ganze Rechtsordnung aus: Dadurch wird die (Verfassungs-)Rechtswidrigkeit des Suizids und der Suizidbeihilfe samt einem Verfassungsverbot der Tötung auf Verlangen begründet. Außerdem werden dadurch Zwangsbehandlungen gerechtfertigt und die Unwirksamkeit der Opfereinwilligung bei den Tötungsdelikten und bei ärztlichen Garantenverhältnissen be374

Gesetz Nr. 20.000. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Verordnung Nr. 867 des Innenministeriums vom 08.08.07. 376 Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2. 377 Häufig bei der Sterbehilfe angewendete Substanzen, die in der Verordnung des chilenischen Betäubungsmittelgesetzes erwähnt werden (Verordnung Nr. 867 des Innenministeriums vom 08.08.07). Siehe Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 160. 378 Art. 6 Ärztliche Verschreibung ohne medizinische Erforderlichkeit. 379 Art. 3 Unerlaubtes Überlassen von Substanzen. 380 Je nach der angewendeten Substanz besteht die Möglichkeit einer fakultativen Strafmilderung. 375

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2. Teil: Sterbehilfe in Chile

gründet. Diese Denkweise hat das Gesetz über Patientenrechte, dessen ursprünglicher Zweck in der Schaffung elementarer Entscheidungsmacht für Patienten und allgemeiner Rechtssicherheit im Gesundheitswesen lag, absolut verstümmelt. Das chilenische Sterbehilferecht stellt sich in der Konsequenz als weitgehend prohibitiv dar, bis zu dem Punkt, dass nicht nur jede Beteiligung an der Verwirklichung von Sterbewünschen strafbar ist, sondern auch die Grundfreiheit zum Sterben normativ nicht gesichert ist. Für Ärzte und Patienten gilt entsprechend Handlungs- und Rechtsunsicherheit.

Dritter Teil

Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

Kapitel I

Rechtsvergleich A. Verfassungsrechtlicher Vergleich Beide Rechtssysteme teilen dieselbe staattheoretischen Grundlage: Die menschliche Freiheit wird in beiden Länder als eine vorstaatliche Wirklichkeit anerkannt, für deren Erhaltung der Staat verantwortlich ist.1 Dieses Selbstverständnis, nach dem die staatliche Macht dem Menschen unterworfen ist, schlägt sich in der der Grundrechte zugrunde liegenden Dynamik nieder, nach der der Grundrechtsträger einen Abwehr- und Schutzanspruch gegenüber dem Staat hat und jede staatliche Freiheitseinschränkung der Rechtfertigungslast ausgesetzt ist.2 Während dies der deutschen Rechtswissenschaft klar ist und der Grundrechtskatalog als ein Echo dieser staatlichen Grundlagen verstanden wird3, fehlt in Chile ein Gesamtüberblick des Verfassungssystems, der die Grundlagen des Staates bei der Grundrechtsauslegung zum Ausdruck bringt.4 In Deutschland werden die Grundrechte als Konkretisierung der staatlichen Grundlagen anerkannt und stellen folglich die Grenze der staatlichen Macht dar. Innerhalb des Verfassungssystems sind die Grundrechte zugunsten des Individuums geschaffen und der Staat ist – seiner selbstverstandenen Funktion und vor allem dem Freiheitsbegriff nach – nicht dazu berufen, diese Freiheiten aufzuzwingen.5 Der freiheitsorientierten Auffassung des Staates entsprechend genießen Freiheits- und Privatsphäre grundsätzlichen Schutz und solange eine Eingriffsgrundlage vorliegt, muss der Eingriff in formell und materiell gerechtfertigter Weise erfolgen.6 Im Ansatz ist die chilenische verfassungsrechtliche Lage ähnlich. Im Prinzip sind Abwehr- und Schutzfunktionen der Grundrechte anerkannt und staatliche Eingriffe sind formellen und materiellen Rechtfertigungen unterworfen.7 Das Problem liegt in der eher kurzsichtigen Proto-Grundrechtsdogmatik, die die kom-

1 2 3 4 5 6 7

Siehe Erster Teil, Kapitel I A; Zweiter Teil, Kapitel I A. Siehe Erster Teil, Kapitel I C; Zweiter Teil, Kapitel I B. Siehe Erster Teil, Kapitel I A. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I. Siehe Erster Teil, Kapitel I. B. Siehe Erster Teil, Kapitel I. B. u. C. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I A. u. B.

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

plexe, dynamische und wechselwirkungsreiche Systematik seiner Verfassung noch nicht sieht. Trotz großer Erklärungen über die Menschenwürde, über staatliche Unterwerfung unter den Menschen etc.8, die dem letzten Stand der Rechtsund Verfassungstheorie nahekommen, werden diese Aussagen von Gesetzgeber, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bei der Behandlung konkreter Grundrechtsprobleme aus den Augen verloren.9 1. Die Menschenwürde Die in beiden Verfassungen anerkannte Menschenwürde weist bei der Sterbehilfediskussion aufgrund ihrer begrifflichen Amorphie eine limitierte Leistungsfähigkeit auf und spielt folglich eine untergeordnete Rolle.10 Auch wenn die deutsche Menschenwürdedogmatik erheblich umfangreicher als die chilenische ist, erscheint zweifelhaft, dass eine Lösung anhand der Menschenwürde erreicht werden kann. Was die aktive Sterbehilfe betrifft, wird in beiden Ländern bezweifelt, dass die Diskussion vorrangig mit der Menschenwürde zu tun hat, sie wird daher als präklusives Verfassungsargument abgelehnt.11 Vielmehr scheint die aktive Sterbehilfedebatte menschenwürdeneutral zu sein, sodass weder ein absolutes Verbot noch ein Freigabegebot der aktiven Sterbehilfe aus der Menschenwürde abzuleiten wäre. Trotzdem sollte der Begriff nicht aus den Augen verloren werden. Anders als in Chile spielt die Menschenwürde in Deutschland beim Behandlungsverzicht12 und bei den tödlichen Palliativbehandlungen13 eine starke Komplementär-Rolle, da Zwangsbehandlungen bzw. Leiden-ertragen-müssen zutreffend für würdewidrig gehalten werden. 2. Grundrechtlicher Schutz des menschlichen Lebens und körperlicher Unversehrtheit Sowohl die deutsche14 als auch die chilenische15 Verfassung sehen in ihrem Grundrechtskatalog ein ausdrückliches Grundrecht auf Leben vor, welches inhaltlich ähnlich ausgestaltet ist: Das menschliche Leben genießt verfassungsrechtlichen Schutz unabhängig von jeder qualitativen Bewertung, wobei es Einschränkungen und Abwägungen ausgesetzt ist. Unterschiedlich ist allerdings das Verhältnis der Garantie zum Grundrechtsträger und die Reichweite der staatlichen 8

Siehe Zweiter Teil, Kapitel I A. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 2. 10 Siehe Erster Teil Kapitel I D. 1.; Zweiter Teil, Kapitel I C. 1. 11 Siehe Erster Teil, Kapitel I D. 1.; Zweiter Teil, Kapitel I C. 1. 12 Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 4. 13 Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 3. 14 Siehe Erster Teil, Kapitel I D. 2. 15 Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 2. 9

Kap. I: Rechtsvergleich

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Lebensschutzpflicht. In Deutschland findet man eine freiheitsorientierte Auffassung des Grundrechts auf Leben, die gleichzeitig die Reichweite der staatlichen Lebensschutzpflicht bestimmt.16 Reine (bzw. vom Grundrechtsträger losgelöste) staatliche Ansprüche bezüglich der Erhaltung des Lebens werden verneint und folglich wird diese Garantie – dem Staat- und Grundrechtssystem entsprechend – nicht als legitime Eingriffsgrundlage zur Rechtfertigung von Maßnahmen gegen den freien Willen des Rechtsgutsträgers verstanden.17 Dessen ungeachtet wird eine staatliche Lebensschutzpflicht anerkannt, welche nicht nur den Schutz von Dritten fordert, sondern sich auch auf die Sicherung der Entscheidungsqualität des Sterbewilligen erstreckt.18 Dagegen vertritt die chilenische herrschende Meinung und Rechtsprechung eine vom Grundrechtsträger unabhängige Auffassung des Grundrechts auf Leben, welche dem Staat zum Schutz des Lebens „an sich“ – bzw. ohne Rücksicht auf den Grundrechtsträgerwillen – verpflichten mag.19 Trotz des engen Zusammenhangs mit dem Grundrecht auf Leben wird in Deutschland die körperliche Unversehrtheit als eigenständige grundrechtliche Garantie gefasst. Diesem Grundrecht wird von Lehre und Rechtsprechung eine starke abwehrrechtliche Wirkung zugeschrieben, nach der im Gesundheitswesen ein Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und ein Anspruch auf Schmerzfreiheit anerkannt wird.20 Dagegen wird diese Garantie von der Mehrheit der chilenischen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung weitgehend übersehen.21 3. Die Freiheits- und Privatsphäre Die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht bieten in Deutschland einen grundsätzlichen und lückenlosen Grundrechtsschutz der Freiheits- und Privatsphäre, sodass jegliche Beeinträchtigung gerechtfertigt sein muss.22 In ähnlicher Weise sieht der chilenische Grundrechtskatalog ausdrücklich das Privatleben als Grundrecht vor, sodass eine Parallele zum deutschen Verfassungsrecht gezogen werden kann, da ein Teil der Verfassungslehre und die höchstrichterliche Rechtsprechung dieser Garantie einen ähnlichen lückenlosen umfassenden Schutzinhalt zuschreiben.23

16 17 18 19 20 21 22 23

Siehe Erster Teil, Kapitel I D. 2. Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 2. a); Erster Teil, Kapitel I E. 4. Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1., 2., 3., 4. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 2. a). Siehe Erster Teil, Kapitel I D. 2. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 3. Siehe Erster Teil, Kapitel I D. 3. a) f. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 4. a) f.

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

4. Sterbehilfe aus verfassungsrechtsvergleichender Perspektive In Deutschland wird der Suizid von der wohl herrschenden Meinung und wohl auch von der neuen Rechtsprechung als grundrechtlich geschütztes Verhalten angesehen und eine staatliche Lebensschutzpflicht bei freiverantwortlichem Sterbewillen weitgehend verneint.24 Dagegen hält in Chile die wohl herrschende Meinung und ständige Rechtsprechung den Suizid wegen einer isolierten bzw. unsystematischen Auslegung des Grundrechts auf Leben, welche das Grundrecht auf Privatleben übersieht, für (verfassungs-)rechtwidrig, während nur eine Mindermeinung seinen grundrechtlichen Schutz vertritt.25 Dies wirkt unmittelbar auf den verfassungsrechtlichen Status der Suizidbeihilfe, deren ausnahmslose Strafbarkeit in Chile als Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Unverfügbarkeit des Lebens und der aus ihr stammenden staatlichen Lebensschutzpflicht angesehen wird.26 Trotz der Kritikwürdigkeit des Ansatzes erscheinen die Mindermeinungen, die die vollständige Verfassungswidrigkeit des Art. 393 chStGB annehmen, nicht vertretbar, da die Freiheit des Menschen zum Suizid in den meisten Fällen unberührt bleibt. In diesem Sinne vertretbar ist die Mindermeinung, die Art. 393 chStGB als heuristische Norm zum Schutz vor Freiverantwortlichkeitsdefiziten ansieht, die bei jedem Suizid vorliegen können.27 Der deutsche Gefährdungsdiskurs28 könnte zur Rechtfertigung des Art. 393 chStGB herangezogen werden. Anders als in Chile wird in Deutschland ein verfassungsrechtliches Kriminalisierungsgebot der Suizidbeihilfe verneint29 und die Möglichkeit allgemein verbietender kriminalpolitischer Maßnahmen als verfassungsmäßig eingeschätzt, vorausgesetzt, dass in den seltenen Fällen von Suizidunfähigkeit eine Ausnahme zur Verwirklichung des Sterbeentschlusses mit Hilfe Dritter vorgesehen wird.30 Diesbezüglich erscheinen die Einwände bezüglich der Verfassungswidrigkeit des neuen § 217 StGB31 unter dem Licht der Verfassungsdogmatik des Verhältnismäßigkeitsprinzips32 nicht vertretbar, auch wenn die faktische Basis der Norm höchstfragwürdig ist, da sich der Gesetzgeber immer noch innerhalb seines Einschätzungs- und Entscheidungsspielraums bewegt.

24 25 26 27 28 29 30 31 32

Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I D. 1. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I D. 1. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I D. 1. Siehe Erster Teil, Kapitel II A. c) i.V. m. Erster Teil, Kapitel I E. 1. b). Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. b). Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. b). Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. c). Siehe Erster Teil, Kapitel I C.

Kap. I: Rechtsvergleich

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Bezüglich der ausnahmslosen Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen wird in Deutschland die Verhältnismäßigkeit bejaht, weil der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zum Schutz vor Lebensgefahren verpflichtet ist und das strafrechtliche Verbot eine geeignete und erforderliche Maßnahme hierfür darstellt.33 Diese ist auch gegenüber dem Sterbewilligen angemessen, da dieser seinen Sterbeentschluss immer noch – sogar mit nicht täterschaftlicher Beteiligung von Dritten – verwirklichen kann.34 Die Straflosigkeit von tödlichen Palliativbehandlungen wird verfassungsrechtlich einerseits dadurch erklärt, dass der Patient aufgrund seines Rechts auf körperliche Unversehrtheit und wegen seiner Menschenwürde einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf Schmerzfreiheit hat. Andererseits wird die Ausnahme zu der dem § 216 StGB zugrunde liegenden Abwägung dadurch gerechtfertigt, dass es sich wegen der vorliegenden medizinischen Indikation um einen von der reinen Tötung auf Verlangen objektiv unterschiedlichen Fall handelt, wo die Gefahren, die das Verbot rechtfertigen, nicht gegeben sind.35 Im Unterschied dazu wird die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe im chilenischen Verfassungsrecht überhaupt nicht erörtert und die Unbeachtlichkeit der Opfereinwilligung bei den Tötungsdelikten wird durch die Unverfügbarkeit des Lebens bzw. das Euthanasieverbot begründet.36 Aber nicht nur im Bereich der aktiven Tötung, sondern auch bezüglich des ärztlichen Unterlassens beansprucht die Unverfügbarkeit des Lebens im chilenischen Recht einen hohen Stellenwert, sodass die Einwilligung weder bei der aktiven Tötung bzw. Suizidbeihilfe noch in Rettungsfällen – einige Extremfälle ausgenommen – beachtlich ist. Anders als in Deutschland – wo das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit fast jede Zwangsbehandlung hindert und die Strafbarkeit des unterlassenden Arztes ausschließt – wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zugunsten der staatlichen Lebensschutzpflicht bzw. dem höherrangigen unverfügbaren Grundrecht auf Leben präteriert mit der Folge, dass die Frage nach der Strafbarkeit ärztlichen Unterlassens verfassungsrechtlich offenbleibt.37 Der größte Unterschied zwischen beiden Verfassungsrechtsordnungen liegt in der Auslegung des Grundrechts auf Leben. Während der freiheitsorientierte deutsche Ansatz einen verfassungsrechtlich offenen Sterbehilferahmen darstellt – in dem weder eine Kriminalisierung noch eine Straflosigkeit verfassungsrechtlich geboten sind –, sodass der Gesetzgeber über einen breiten kriminalpolitischen Spielraum verfügt, lässt die immer noch aktuelle Auffassung der grundrechtlichen Garantie von Leben in Chile überhaupt kein Raum für eine künftige Lo33 34 35 36 37

Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 2. Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 2. c). Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 3. Siehe Zweiter Teil, Kapitel I D. 2. a). Siehe Zweiter Teil, Kapitel I D. 3.

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

ckerung der ärztlichen Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen bzw. Suizidbeihilfe). Strikt genommen lässt der Ansatz auch kaum Raum für die Zulässigkeit von Behandlungsverzichten. Dieses Verständnis reduziert nicht nur das kriminalpolitische Handlungsspektrum des Gesetzgebers, sondern erzeugt eine kaum lösbare Spannung auf staats- und verfassungsrechtlicher Ebene.

B. Vergleich des deutschen und des chilenischen Sterbehilferechts 1. Die aktive Tötung auf Verlangen eines Patienten Aufgrund der Ausnahmslosigkeit des § 216 StGB ist in Deutschland jede Tötung auf Verlangen unabhängig von jeglichen begleitenden Umständen straftatbestandsmäßig. Trotzdem verleiht das deutsche Strafgesetzbuch dem Opferverlangen – solange es auf den Täter anstiftend wirkt – eine privilegierende Wirkung hinsichtlich des Grundtatbestandes des einfachen Totschlags. Darüber hinaus nimmt die herrschende Meinung und Rechtsprechung bei einer Tötung auf Verlangen eine Sperrwirkung hinsichtlich des Mordtatbestandes an, sodass das Opferverlangen einer Qualifikation der Tat als Mord entgegensteht.38 Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen wird heutzutage dadurch erklärt, dass die Tötung einer Person trotz ihres ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens ein gefährliches Verhalten darstellt.39 Hier liegt nicht nur eine befriedigende Erklärung ihrer Strafbarkeit, sondern auch der strafmildernden Wirkung der Einwilligung angesichts der in der Regel strafausschließenden Wirkung der Opfereinwilligung im Strafrechtssystem: Nimmt man an, dass das Opferverlangen das Tötungsunrecht ausschließt, dann handelt es sich bei § 216 StGB nicht um eine Schuld- bzw. Unrechtsmilderung in Bezug auf das Tötungsunrecht, sondern um ein im Vergleich zum Tötungsunrecht geringeres abstraktes Gefährdungsunrecht.40 Worin konkret die Gefährlichkeit der einverständlichen Tötungshandlung liegt, ist umstritten, wobei opferbezogene und drittbezogene Gefahren zur Rechtfertigung der Norm genannt werden.41 Angesichts der tatbestandlichen Voraussetzungen „Ausdrücklichkeit und Ernstlichkeit“ samt der streng entwickelten Dogmatik des vorausgesetzten Verlangens, erscheinen opferbezogene Gefahren eher wenig erklärungstauglich als die kumulative Gefährlichkeit hinsichtlich fremder Rechtsgüter im Falle einer allgemeinen Freigabe der Tötung auf Verlangen. Denn trotz der theoretischen Plausibilität des paternalistischen Ansatzes, kommt die staat38 39 40 41

Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 2. b). Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 1. c). Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 2. a). Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 1. c) f.

Kap. I: Rechtsvergleich

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liche Lebensschutzpflicht bei freiverantwortlichem Sterbeentschluss nicht in Betracht42, während sie bei Gefahren für Dritte vollständig einschlägig ist. Somit lässt sich die Norm wie gezeigt als verhältnismäßige Lösung eines echten interpersonalen Grundrechtskonfliktes verstehen: Der selbstzerstörende Anspruch des Opfers kollidiert mit dem Schutzanspruch von eventuellen Dritten, zu deren Erfüllung der Staat von Verfassung wegen berufen ist. Trotz aller Bedenken bezüglich der Plausibilität der Gefahren und bezüglich der kriminalpolitischen Tauglichkeit der Norm43, ist sie aus der Perspektive der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsdogmatik nicht zu beanstanden. Abstrakte Gefährdungsdelikte sind immanent nicht verfassungswidrig44 und dem Gesetzgeber wird ein erheblicher Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum zugestanden. Auch wenn die Gefahrenprognose fragwürdig sein mag, wird dies dadurch kompensiert, dass die Norm den Schutz einer der höchsten Rechtsgüter bezweckt. Im Kontext der gesamten Regelung der Tötungsdelikte, die einen Weg zur Verwirklichung des Sterbeentschlusses auch mit strafloser Hilfe eines Dritten offenlässt45, erweist sich die Norm als verfassungskonforme Harmonisierung einer Kollision zwischen der staatlichen Lebensschutzpflicht und dem Sterbensanspruch, ohne dass sich das Opfer auf eine wesentliche Freiheitseinschränkung berufen kann. Nur bei Suizidunfähigkeit wäre der Vorwurf zutreffend. § 216 StGB ist deshalb großenteils ein verfassungskonformes Strafverbot. Angesichts der Rechtsprechung, die die Strafbarkeit jeder Tötung auf Verlangen behauptet, sind Straflosigkeitsmöglichkeiten trotz dogmatischer Konstruktionen in der Strafrechtswissenschaft46 momentan unplausibel. Demgegenüber sind medizinisch indizierte Palliativbehandlungen, die letztendlich tödlich wirken, 42 Abstrakt betrachtet lässt sich die Gefahr, dass trotz ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens der Willensbildungsprozess fehlerhaft war, nicht ausschließen. Dieser Ansatz bewegt sich außerhalb der grundrechtlichen Schutzpflichtlehre, nach der der Staat Maßnahmen zur Sicherung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung treffen darf. So verstanden stellt § 216 eine über freiverantwortlichkeitssichernde hinausgehende paternalistische Maßnahme dar. Beim Vorliegen eines ausdrücklichen und ernstlichen Tötungsverlangen könne die Entscheidung – trotz möglicher feinen Entscheidungsdefizite – nicht als unfrei verstanden werden, sodass die staatliche Lebensschutzpflicht nicht in Betracht käme. Der Schutz der Willensqualität, wenn schon das Tötungsverlangen ausdrücklich und ernstlich ist, gehört nicht zur Lebensschutzpflicht. Siehe dazu Erster Teil, Kapitel II A. 1. d). 43 Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 1. d). 44 Siehe BVerfGE 28, 175 (188 f.); 90, 145 (184). 45 Diesbezüglich tangiert der neue § 217 und die standesrechtliche Regelung eine der großen Säulen der Rechtfertigung des § 216. Die Unbestimmtheit des Verbots drohen faktisch freiheitseinschränkend zu wirken, weil ihre Unbestimmtheit wahrscheinlich faktisch Rechtsunsicherheit droht und faktisch grundrechtsbeeinträchtigend wirkt. Dies reduziert die Möglichkeiten zur Verwirklichung des Sterbeentschlusses. 46 Siehe Erster Teil, Kapitel III A.

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

straflos. Hier dient die vorausgesetzte ärztliche Indikation als objektiv abgrenzendes Kriterium gegenüber der nach immer noch herrschenden Meinung nicht zu rechtfertigenden Tötung auf Verlangen, sodass es sich um einen objektiv von der aktiven Sterbehilfe abzugrenzenden Sachverhalt handelt. Ob ärztliche Absicht vorliegt, sollte folglich irrelevant sein, solange die Medikamentendosis einer Indikation entspricht. Die Abwägung zugunsten des Anspruches auf Schmerzfreiheit lässt sich dadurch erklären, dass – anders als bei einer allgemeinen Straflosigkeit der Tötung auf Verlangen – eine allgemeine Straflosigkeit dieser außeralltäglichen Fallkonstellation keine Gefahren erzeugen würde. Außerdem wäre die Konsequenz, dass der Patient erhebliche Leiden ertragen müsste, menschenwürdewidrig.47 Im Gegensatz zum deutschen Recht wird die Einwilligung bei den Tötungsdelikten im chilenischen Recht überhaupt nicht berücksichtigt. Außer ausschließend hinsichtlich einer Qualifikation zu wirken48, hat sie keine weitere strafrechtliche Folge. Die Tötung auf Verlangen stellt ein straftatbestandsmäßiges Verhalten dar, ohne die Möglichkeit, die Einwilligung als Grundlage einer Rechtfertigung zu berücksichtigen.49 Der Grund dafür wird nach wohl herrschender Meinung in der verfassungsrechtlich gestützten Unverfügbarkeit des Rechtsguts Leben gesehen, sodass sich die ausnahmslose Strafbarkeit jeder Tötung auf Verlangen als verfassungsgeboten ergibt.50 Bedenklich ist jedoch die Abwesenheit eines dem deutschen § 216 StGB ähnlichen privilegierenden Tatbestandes der Tötung auf Verlangen, da die gleiche Bestrafung wie die nicht eingewilligte Tötung als unverhältnismäßig erscheint.51 Die ärztliche Tötung auf Verlangen eines Patienten ist in der Regel strafbar. Die einzige Ausnahme wird bei tödlich wirkenden Palliativbehandlungen angenommen, welche weitgehend für straflos gehalten werden, wobei sich dafür keine zufriedene dogmatische Begründung – besonders angesichts der Unverfügbarkeit des Lebens – finden lässt.52 Die dogmatischen Erklärungen sind schwach53 und bieten keine materiell rechtliche Erklärung zur Begründung einer Ausnahme von der Unverfügbarkeit des Lebens. Ferner findet keine Diskussion über die Voraussetzungen und die Reichweite der indirekten Sterbehilfe statt.

47

Siehe Erster Teil, Kapitel III B. Siehe Zweiter Teil, Kapitel II C. 5. 49 Siehe Zweiter Teil, Kapitel III A. 50 Siehe Zweiter Teil, Kapitel II C. 6. 51 Siehe Zweiter Teil, Kapitel II C. 6. 52 Siehe Zweiter Teil, Kapitel III B. 53 Weder aus der lex artis – wegen seiner nicht rechtlich verbindlichen Natur – noch aus dem GüPR – denn es sieht keinen solchen Fall vor – mag sich eine Rechtfertigung hinsichtlich des Tötungsverbots ergeben. Siehe dazu Zweiter Teil, Kapitel III B. 2. 48

Kap. I: Rechtsvergleich

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2. Der Behandlungsverzicht Die Mehrheit der deutschen Lehre sieht – in Übereinstimmung mit der grundrechtlichen Schutzpflichtenlehre – ein strenges Abhängigkeitsverhältnis zwischen der ärztlichen Garantenstellung und der aus § 323 c StGB stammenden allgemeinen Hilfeleistungspflicht und dem Opferwillen, sodass ein aufgeklärtes bzw. freiverantwortliches Behandlungs- bzw. Rettungsverbot ihre Entstehung bzw. Beständigkeit ausschließt.54 Folglich wird die Behandlungsverweigerung unabhängig von dem Patientenzustand bzw. von der Vernünftigkeit der Entscheidung für rechtsverbindlich gehalten und die Strafbarkeit des unterlassenden Arztes verneint, da der Unterlassungstatbestand nicht in Betracht kommt.55 Dagegen behauptet die Rechtsprechung und eine Mindermeinung die Unabhängigkeit der Rettungspflichten vom Opferwillen und folglich die Tatbestandsmäßigkeit einer Behandlungs- bzw. Rettungsunterlassung mit dem Vorbehalt einer rechtfertigenden Einwilligung56, deren Voraussetzungen unklar sind. Auch wenn die Rechtsprechung in der Regel von der Zulässigkeit von Behandlungsverzicht bzw. Rechtswidrigkeit von Zwangsbehandlungen ausgeht, besteht in Deutschland eine Grauzone, die sich auch auf den Bereich der ärztlichen Suizidbeihilfe erstreckt, da der Unterschied zwischen gerechtfertigtem Behandlungsverzicht und strafbarer Nichthinderung eines Suizids unklar ist.57 Die faktische und rechtliche Lage des Behandlungsverzichts in Chile kann ohne zu übertreiben als ein rechtsfreier Raum bezeichnet werden. Zum einen zeigt die ständige Rechtsprechung, dass der aufgedrängte Lebensschutz – ohne vorhersehbare Einschränkung – zulässig ist.58 Angesichts solcher willkürlichen und unkontrollierten Praxis kann in Chile nicht die Rede von einer Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten sein. Hinzu kommt, dass das evident wenig durchdachte und sprachlich fehlehrhafte Gesetz Nr. 20.584 erhebliche begriffliche Probleme aufweist, sodass die Abgrenzung zwischen gesetzmäßigem und gesetzwidrigem Behandlungsverzicht unmöglich ist.59 Dies wirkt sich negativ auf die Rechtssicherheit für Ärzte aus, die keine klaren Handlungsanweisungen erhalten. Zunächst ist ungewiss, ob der Arzt zur Zwangsbehandlung verpflichtet ist. Wenn ja, bleibt zweitens die Frage offen, ob sich der Arzt bei Achtung einer Behandlungsverweigerung strafbar machen kann. Obwohl es bisher diesbezüglich keine strafrechtlichen Entscheidungen gibt, nehmen nicht wenige Meinungen diese Möglichkeit an. All dies führt zu einer Unklarheit der 54

Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 2. e). Siehe Erster Teil, Kapitel III C. a). 56 Siehe Erster Teil, Kapitel II A. 2. e); Erster Teil, Kapitel II D. a) u. c); Erster Teil, Kapitel III C. a) u. b). 57 Siehe Erster Teil, Kapitel III C. b). 58 Siehe Zweiter Teil, Kapitel I C. 2. a) u. b); Zweiter Teil, Kapitel I D. 3. 59 Siehe Zweiter Teil, Kapitel II E. 55

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

rechtlichen Struktur von Patienten-Arzt-Verhältnissen und ist letztlich auf ein mangelndes Verständnis der chilenischen Verfassung zurückzuführen. a) Behandlungsverzicht bei Entscheidungsunfähigkeit In Bezug auf die ärztliche Behandlung von Entscheidungsunfähigen sieht das deutsche BGB eine prozedurale Kontrolle der Ermittlung und Durchsetzung des Patientenwillens hinsichtlich der einschlägigen indizierten ärztlichen Behandlungen vor, wobei die am Verfahren Teilnehmenden gegenseitige Kontrolle ausüben und ggf. gerichtliche Intervention stattfindet. Wie bei Einwilligungsfähigen entscheidet allein der in dem Verfahren ermittelte Patientenwille über die ärztliche Behandlung.60 Ob die Beachtung der zivilrechtlichen prozeduralen Normen eine Straflosigkeitsvoraussetzung des Behandlungsverzichts bei nachträglich ermitteltem bzw. festgestelltem Patientenwillen darstellt, wird immer noch diskutiert.61 Da § 216 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstellt, sollte die Beachtung zumindest beim aktiven Behandlungsabbruch Voraussetzung der Straflosigkeit sein.62 In Chile fehlt eine umfassende und systematische Regelung der ärztlichen Behandlung bei Einwilligungsunfähigkeit.63 Weder die rechtliche Wirkung von Vorauswillenserklärungen noch die Beachtlichkeit des mutmaßlichen Patientenwillens sind gesetzlich geregelt bzw. dogmatisch bearbeitet worden. Nach den Vorschriften des GüPR lassen sich die Befugnisse des Patientenvertreters und sein Entscheidungsspielraum nicht bestimmen. Eindeutig ist, dass der Arzt beim Fehlen eines Patientenvertreters stets zur Erhaltung des Patientenlebens verpflichtet ist. Außerdem sind die Entscheidungskriterien weitgehend ungewiss. Wann und auf welche Behandlungen verzichtet werden darf, lässt sich nicht beantworten. Somit bleibt die strafrechtliche Lage des Behandlungsverzichts in Chile ungeklärt. b) Der aktive Behandlungsabbruch In Deutschland ist der aktive Behandlungsabbruch demselben Prinzip wie beim Behandlungsunterlassen unterworfen und bei entsprechendem tatsächlichen 60

Siehe Erster Teil, Kapitel III C. 3. a). Siehe Erster Teil, Kapitel III C. 3. b). 62 Hier taucht die Problematik zwischen Unterlassen und Tun wieder auf. Da beim ärztlichen Unterlassen § 216 überhaupt nicht in Betracht kommt, sollte der Patientenwille allein über die ärztliche Garantenstellung entscheiden. Demgegenüber kommt beim aktiven Behandlungsabbruch § 216 in Spiel. Da § 216 ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist, sollte die Straflosigkeit nur bei Beachtung des zur Gefahrkontrolle geschaffenen Verfahrens stattfinden. Der Behandlungsabbruch außerhalb der §§ 1901 a ff. BGB stellt ein abstrakt gefährliches Verhalten dar und dementsprechend verwirklicht das § 216-Unrecht. 63 Siehe Zweiter Teil, Kapitel III C. 4. 61

Kap. I: Rechtsvergleich

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bzw. mutmaßlichen Patientenwillen wird weitgehend Straflosigkeit angenommen.64 Ab dem Zeitpunkt der Behandlungsverweigerung wandelt sich die Behandlung in einen rechtswidrigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten um, sodass ihr Abbruch nicht nur zulässig, sondern auch verpflichtend ist. Auch wenn man von einem aktiven Tun ausgeht und die dem § 216 StGB zugrunde liegenden Gefahren als Eingriffsgrundlage geltend machen würde, könnte so ein massiver – wenn nicht menschenwürdewidriger Eingriff – nicht gerechtfertigt werden. Hinsichtlich der strafrechtsdogmatischen Umsetzung dieser Argumentation besteht keine Einheitlichkeit.65 In der chilenischen Rechtswissenschaft wird dieses strafrechtsdogmatische Problem nicht diskutiert.66 3. Ärztliche Suizidbeihilfe Obwohl die ständige deutsche Rechtsprechung – außer dem BVerwG67 – und eine Mindermeinung von der (Verfassungs-)Rechtswidrigkeit des Suizids ausgehen, hält die wohl herrschende Meinung den Suizid für ein grundrechtlich geschütztes und folglich rechtmäßiges Verhalten.68 Dementsprechend wird eine Pflicht zum Leben innerhalb der Rechtsordnung weitgehend verneint und die Möglichkeit eines aufgedrängten Lebensschutzes des Lebens halber abgelehnt. Vielmehr stellt sich die Verfassungsordnung hinsichtlich der Suizidbeihilfe wegen ihrer Akzessorietät zu dem grundrechtlich geschützten Suizid als neutral dar, sodass der Gesetzgeber einen breiten Regelungsspielraum hat.69 Daher wird der freiverantwortliche Suizid und die nicht geschäftsmäßige Suizidbeihilfe, deren Straflosigkeit sich aus dem Akzessorietäts- und Eigenverantwortlichkeitsprinzips ergibt70, aus strafrechtlicher Sicht als eine tatbestandslose und rechtmäßige Handlung verstanden. Dagegen öffnen sich beim unfreien Suizid Strafbarkeitsmöglichkeiten für die Beteiligten.71 Trotzdem besteht – abgesehen von der Problematik der Bestimmung der Freiverantwortlichkeitsgrenze72 – hinsichtlich der Suizidbeihilfe das Problem der Ab64

Siehe Erster Teil, Kapitel III C. 2. Siehe Erster Teil, Kapitel III C. 2. Hier wäre ein grundrechtsunmittelbarer Rechtfertigungsgrund möglich. Zum Thema siehe Schmidt, Grundrechte als verfassungsunmittelbare Strafbefreiungsgründe S. 133 ff. 66 Siehe Zweiter Teil, Kapitel III C. 1. 67 BVerwG, Urt. v. 02.03.2017 – 3 C 19/15 „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ 68 Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. 69 Siehe Erster Teil, Kapitel I E. 1. b). 70 Siehe Erster Teil, Kapitel II B. 1. u. 2. 71 Siehe Erster Teil, Kapitel II B. 4. 72 Siehe Erster Teil, Kapitel II B. 3. 65

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

grenzung zum Tötungsdelikt73, sogar trotz eigenhändigen Verhaltens des Suizidenten, weil die von der Rechtsprechung und einer Mindermeinung vertretene Loslösung der ärztlichen Garantenstellung von dem freien Patientenwillen unterschiedliche Strafbarkeitsrisiken geschaffen hat.74 Das Schweigen des deutschen Strafgesetzbuches über die strafrechtliche Lage der Suizidbeihilfe, deren Straflosigkeit sich akzessorisch ergibt, lässt wie gezeigt weitgehende Bestrafungsmöglichkeiten offen und schafft dementsprechend erhebliche Strafbarkeitsrisiken für Ärzte und Pflegepersonal. Daher wird die Notwendigkeit einer ausdrücklichen und vollständigen Regelung betont.75 Darüber hinaus hat der neue § 217 StGB weitere Unsicherheiten in das Sterbehilferecht eingeführt.76 Diametral entgegengesetzt zur deutschen Lage sieht die ständige chilenische Rechtsprechung und die Mehrheit der Rechtswissenschaft den Suizid als eine (verfassungs-)rechtswidrige Handlung, da das menschliche Leben für ein nicht verfügbares Rechtsgut gehalten wird, was sowohl die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe durch Art. 393 chStGB als auch den aufgedrängten Lebensschutz rechtfertigen mag. Dies erklärt auch, warum man in Chile keine Diskussion über den rechtlichen Begriff und die Wirksamkeit der Freiverantwortlichkeit des Sterbeentschlusses findet: Die Suizidbeihilfe ist stets Teilnahme an einer rechtswidrigen Verfügung des Lebens. Dies führt zu weiteren Unsicherheiten, da die Unwirksamkeit des Patientenwillens auf das ärztliche Garantenverhältnis zur Annahme einer Tötung durch Unterlassen auch bei Hilfeleistung zum Suizid führen dürfte. Letztlich sind auch die harten Strafen des Betäubungsmittelrechts anwendbar. 4. Korrektur des chilenischen Sterbehilferechts anhand der deutschen Dogmatik Auch wenn hier von der Übertragung des deutschen Rechts abgeraten wird (siehe unten II. B.), können einige dogmatischen Figuren zur Korrektur der Strenge und Unsicherheiten der aktuellen Regelung übertragen werden. Eine grundlegende Änderung der Auslegung des Grundrechts auf Leben im Sinne einer dem deutschen Recht ähnlichen freiheitlichen Auffassung würde zunächst die daraus stammende Lebensschutzpflicht immanent begrenzen und folglich jedem Anspruch auf aufgedrängten Lebensschutz den Boden unter den Füßen wegziehen, solange eine nach Art. 10 des GüPR aufgeklärte Behandlungs73

Siehe Erster Teil, Kapitel II B. 5. Siehe Erster Teil, Kapitel II B. 5. b); Erster Teil, Kapitel II A. 2. e); Erster Teil, Kapitel II C. 2. a) aa); Erster Teil, Kapitel II D. 1. a); Erster Teil, Kapitel II D. 2. a); Erster Teil, Kapitel III C. 1. b); Erster Teil, Kapitel III D. 75 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 402; Pöltner, in: Was heißt in Würde sterben?, S. 80. 76 Siehe Erster Teil, Kapitel III D. 74

Kap. I: Rechtsvergleich

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verweigerung vorliegt, und würde es gleichzeitig dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ermöglichen, abwehrrechtlich zu wirken. Parallel würde sie eine stichhaltige verfassungsrechtliche Begründung für die Straflosigkeit des einverständlichen Behandlungsverzichts bei entsprechendem Patientenwillen geben, da mangels einer staatlichen Pflicht zum aufgedrängten Lebensschutz zugleich kraft Behandlungsverweigerung die entsprechende ärztliche Garantenpflicht zum aufgedrängten Lebensschutz entfällt. Darüber hinaus könnten Patiententestamente und der mutmaßliche Patientenwille im Fall von Entscheidungsunfähigkeit wie in Deutschland vor dem 3. Betreuungsänderungsgesetz77 rechtlich wirken. Die zu erwartende dogmatische Kontroverse bezüglich des technischen Behandlungsabbruchs sollte entweder durch eine direkte Anwendung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit als unmittelbarer Rechtfertigungsgrund oder durch eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 391 Nr. 2 chStGB gelöst werden. Außerdem würde eine solche Konzeption eine gefahrbezogene Begründung der Unwirksamkeit der Einwilligung im Rahmen der Tötungsdelikte ermöglichen und könnte die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe – und seinen geringeren Strafrahmen – in einer befriedigenden Weise erklären, womit Art. 393 chStGB sowohl hinsichtlich seiner Grundlage als auch seiner tatbestandlichen Struktur als abstraktes Gefährdungsdelikt anzusehen wäre. Dementsprechend wäre für die ärztliche Sterbehilfe eine Suizidbeihilfe nach Art. 393 chStGB anzunehmen statt eine Tötung durch Unterlassen, da der Arzt keine Garantenpflicht verletzt, sondern Gefährdungsunrecht verwirklicht. Dies würde außerdem die folgende dogmatische Korrektur der unverhältnismäßigen Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nach Art. 391 chStGB ermöglichen: Bei einem ausdrücklichen und ernstlichen Opferverlangen, welches anstiftend auf den Täter gewirkt hat, sollte (normative) Tatherrschaft des Opfers – bzw. Suizid in mittelbarer Täterschaft – angenommen werden und folglich Art. 393 chStGB angewendet werden. Art. 391 chStGB wäre nur bei Tötungsunrecht anwendbar. Problematisch bleibt unabhängig davon die Konkurrenz mit den Straftatbeständen des BtMG. Letztlich könnte die Straflosigkeit sowohl der ärztlichen Suizidbeihilfe als auch der ärztlichen Tötung auf Verlangen im Extremfällen ähnlich wie in Deutschland durch einen Rückgriff auf den im Jahr 2010 eingeführten Notstandstatbestand (Art. 10 Nr. 11 chStGB) begründet werden.78 In gleicher Weise könnte 77 Zur Rechtslage der passiven Sterbehilfe vor dem 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz siehe Kolb, Sterbehilfe, S. 15 ff. 78 Art. 10 Nr. 11 sieht die Straflosigkeit eines Verhalten vor, wenn es sich darauf richtet, ein Übel für einen anderen zu vermeiden, vorausgesetzt, dass der Übel gegenwärtig bzw. bevorstehend ist; kein anderes ausführbares und weniger schädliches Mittel gibt und dass das verursachte Übel nicht wesentlich größer als das zu vermeidende ist.

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3. Teil: Rechtsvergleich und rechtspolitische Aussicht

die weitgehend angenommene Straflosigkeit von medizinisch indizierten tödlichen Palliativbehandlungen befriedigend dogmatisch begründet werden. Kapitel II

Rechtspolitische Aussicht Da der suizidfähige Sterbewillige in beiden Rechtsordnungen kein normatives Hindernis findet, um seine Entscheidung eigenhändig verwirklichen zu können, erscheint es schwierig, den Vorwurf einer verfassungswidrigen Freiheitseinschränkung zu begründen. Dementsprechend und angesichts dessen, dass Dritte keinen eigenständigen Anspruch an der Beteiligung des fremden Todes haben, ist die kriminalpolitische Entscheidung des jeweiligen Gesetzgebers, solche Beteiligungsformen mehr oder wenig strafrechtlich zu verbieten, verfassungsgemäß. Aber auch wenn beide Systeme aus einer strikten rechtlichen Perspektive nicht zu beanstanden sind, sind sie aus verfassungsrechtlicher und kriminalpolitischer Perspektive auf jeden Fall vervollkommnungsfähig.

A. Deutschland: Weitere Prozeduralisierung der Sterbehilfe Angesichts des herrschenden politischen Klimas79 – welches der Bevölkerungseinstellung widerspricht80 – samt des offiziellen ärztlichen Widerwillens an Sterbehilfe teilzunehmen81 und die absolute Dunkelheit über die Sterbehilfepraxis82 erscheint eine permissive Regulierung der aktiven Sterbehilfeformen in Deutschland immer noch fern, weshalb die folgenden Überlegungen mit wenig Hoffnung angestellt werden. Eine Sterbehilferegelung ist nur mit der Unterstüt79 Zu einer Erklärung der „Passivität der deutschen Sterbehilfepolitik“ siehe Preidel/ Nebel, in: Moralpolitik in Deutschland, S. 60 ff. Auch Feldmann, Tod und Gesellschaft, S. 169 ff. 80 Siehe Feldmann, Tod und Gesellschaft, S. 173 f.; Jox, in: Jorasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Assistierter Suizid, S. 59; Kuschel, Suizid, S. 143 f.; Preidel/Nebel, in: Moralpolitik in Deutschland, S. 61. Die Mehrheit der Deutschen spricht für die Regulierung der aktiven Sterbehilfe. A. A. Hübner, Sterbehilfe, S. 217 f. Die Deutschen wissen nicht genau, was unter aktiver Sterbehilfe verstanden wird. Bei Aufklärung der Bedeutung der aktiven Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen spreche sich nur eine Minderheit dafür aus. Jedoch ergibt die Untersuchung, dass die Mehrheit der Befragten für eine eindeutige gesetzliche Regelung der Sterbehilfe ist; ders., S. 157. 81 Vgl. Kreß, Suizid, S. 30; Preidel/Nebel, in: Moralpolitik in Deutschland, S. 59; Raske-Al-Hammoud, Sterbehilfe, S. 82; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 45 ff. 82 Taupitz, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 15. Wie häufig in Deutschland Suizidbeihilfe tatsächlich praktiziert wird, ist jedoch nicht bekannt, da es hierzu weder eine offizielle Statistik noch eine repräsentative wissenschaftliche Erhebung gibt. In Bezug auf die Mangel an Untersuchungen verdeckter aktiver Sterbehilfe und ihren Grund siehe Hübner, Sterbehilfe, S. 103 f.

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zung der Ärzteschaft möglich.83 Dafür ist außerdem eine Entpolitisierung des Themas84 und die Anerkennung des Regelungsbedarfs notwendig, was auch eine ausführliche Analyse des deutschen Gesundheitswesen erfordert85, damit die Debatte auf Basis eines klaren Bilds der deutschen Wirklichkeit geführt werden kann. Obwohl die unterschiedliche Behandlung der strafbaren Tötung auf Verlangen und der straflosen Suizidbeihilfe in Deutschland dogmatisch dadurch erklärt werden kann, dass die zugrunde liegende Entscheidung bei der eigenhändigen Begehung eines Suizids qualitativ besser ist als bei einer Tötung auf Verlangen zugrunde liegt, erscheint dies jedoch wenig zutreffend zu sein, da das Tötungsverlangen genauso Ausdruck einer qualitativ nicht zu beanstandende Entscheidung sein kann, wie das Verlangen nach Suizidbeihilfe defizitär. Sowohl dem Verlangen nach Tötung als auch dem Verlangen nach Suizidbeihilfe wohnt dieselbe Defizitgefahr inne.86 Darüber hinaus besteht kein Grund dafür, die allgemeine Gefährlichkeit von Fehlentwicklungen, Missbrauchsgefahren usw. bei der Suizidbeihilfe zu verneinen.87 Die zwiespältige Einstellung der deutschen Lehre, welche einerseits weitgehend abstrakte Gefahren bei § 216 StGB annimmt, aber andererseits dieselben zur Rechtfertigung des neuen § 217 StGB angeführten Gefahren verneint, ist unhaltbar.88 Wenn das Sterbehilferecht eigentlich darauf zielt, die Verwirklichung defizitärer Entscheidungen und Makrofehlentwicklungen vorzubeugen, dann sollte der nächste logische Schritt sein, ein staatliches System zu instituieren, welches Ster83

Vgl. Preidel, Sterbehilfepolitik (2015), S. 18. Vgl. Preidel, Sterbehilfepolitik (2015), S. 25 f. 85 Vgl. Schreiber, in: Thiele (Hrsg.), Aktive und Passive Sterbehilfe, S. 125. 86 Vgl. Brunhöber, MüKo-StGB (3. Aufl.), § 217 Rn. 8; Feldmann, Suizid, S. 617; Maatsch, Selbstverfügung, S. 51; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 111; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 228 ff. 87 Vgl. Bauer, in: Normative Entgrenzung (2017), S. 266 „Die Mitwirkung an der Selbsttötung eines anderen Menschen stellt eine abstrakte Gefährdung des Lebens vieler Bürgerinnen und Bürger dar.“ Feldmann, Suizid, S. 617. A. A. nach Saliger, Selbstbestimmung, S. 198, bestehen keine durch Anknüpfungstatsachen plausibilisierbaren Gefahren. Jox/Borasio, in: Assistierter Suizid, S. 141. Im Gegensatz zur Suizidbeihilfe könnte sich die täterschaftliche Beteiligung auf Einwilligungsunfähige (Kinder und Demenzkranke) ausweiten. Partiell zutreffend, weil manche Einwilligungsunfähige zum Suizid verleitet werden könnten, vgl. Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 230. Nach Lorenz, Sterbehilfe, S. 215 sei die aktive Sterbehilfe marginal gefährlicher als die anderen Sterbehilfeformen. Für eine Debatte über Normalisierungsgefahr der Suizidbeihilfe siehe Beckmann/Borasio u. a., in: Borasio/Jox/Taupiz/Wiesing, Assistierter Suizid, S. 108 f. 88 Raske-Al-Hammoud, Sterbehilfe, S. 294 „Gerade jedoch um Missbrauchsgefahren entgegenzuwirken . . . ist eine prozedurale Absicherung zwingend geboten.“ Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 230: „Die Fixierung auf die Eigenhändigkeit des Suizids überzeugt in Bezug auf Schutz vor nicht freiverantwortlichen Tötungen oder Missbrauch nicht.“ 84

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bewünsche kanalisiert und ihre Bearbeitung ermöglicht.89 Gegenüber der durch die Einführung des neuen § 217 StGB erwiesenen reaktiven politischen Tendenz, Sterbehilfeansprüche in den Hintergrund zu drängen90, was rechtsverunsichernd und letzten Endes verbietend wirkt – wobei die verbleibenden Alternativen sind: entweder aktiv Suizid zu begehen91 oder auf Nahrung und Flüssigkeitszufuhr zu verzichten92– erscheint mir besser, sich dem Phänomen präventiv bzw. kontrollierend anzunähern.93 Angesichts der in Deutschland zu erwartenden Steigerung der Nachfrage nach Sterbehilfe94 stellt sich die Erhaltung des aktuellen dualen Systems von strafbarer Tötung auf Verlangen und gesetzlichem Schweigen hinsichtlich der Suizidbeihilfe als wenig adäquat dar.95 Jedoch treten nicht wenige Stimme in der Rechtswissenschaft für eine Erhaltung des aktuellen Systems ein96, da genau ihre relative Unklarheit die Bewältigung von Extremfällen ermögliche ohne die einem institutionalisierten System innewohnenden Dammbruchgefahren.97 Kohärenter mit der Gefahrenkontrolle wäre, die Beteiligung von Dritten grundsätzlich zu verbieten und die Verwirklichung von Sterbeentschlüssen durch ein strenges ärztlich kontrolliertes Verfahren zu ermöglichen.98 Ein institutiona89 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 401 ff.; Baer-Henney, Strafbarkeit aktiver Sterbehilfe, S. 204; Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 265 ff.; Feldmann, Tod und Gesellschaft, S. 174; Hohenstein, Einführung der aktiven Sterbehilfe, S. 135; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 404 ff.; Kreß, Suizid, S. 32 ff.; Kuschel, Suizid, S. 139 ff.; Linke, Lebensende, S. 191; Lorenz, Sterbehilfe, S. 59; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 234. 90 Jox, in: Borasio/Jox/Taupiz/Wiesing, Assistierter Suizid, S. 59: „Ein gesetzliches Verbot des assistierten Suizids . . . wird das Aufkommen von Wünschen nach Lebensverkürzung . . . nicht verhindern. Es wird jedoch wahrscheinlich dazu führen, dass das genannte Tabu und die Schwierigkeit, über diesen Wunsch zu reden, eher noch zunehmen werden.“ 91 Vgl. Taupitz/Tolmein, in: Assistierter Suizid, S. 81. 92 Höfling, ZRP 2014, S. 124 argumentiert, dass „. . . jedem Betroffenen – auch solchen Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr ,Hand an sich legen‘ können – ein Ausweg offensteht: der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeitszufuhr unter palliativer Begleitung . . .“, sodass „der Institutionalisierung und organisatorischen Verstetigung der Suizidhilfe nachdrücklich und umfassend Einhalt geboten werden.“ 93 Vgl. Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 405; Lorenz, Sterbehilfe, S. 59. 94 Kuschel, Suizid, S. 139; Preidel/Nebel, in: Moralpolitik in Deutschland, S. 60. 95 Vgl. Feldmann, Tod und Gesellschaft, S. 174; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 405; Kuschel, Suizid, S. 140. 96 Gavela, Suizid, S. 276; Laber, Schutz des Lebens, S. 285; Pöltner, in: Was heißt in Würde sterben?, S. 93 ff.; Roxin, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinrechts, S. 116 ff.; Schneider, Abbruch, S. 300. 97 Ausführlich Pöltner, in: Was heißt in Würde sterben?, S. 93 ff. Siehe auch Schmalz, Sterbehilfe, S. 146. 98 Siehe der Entwurf von Lorenz, Sterbehilfe, S. 204 f. Gavela, Suizid, S. 228 empfiehlt auch die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe. Auch in den Niederlanden ist die Suizidbeihilfe strafbar. Art. 294 Abs. 2 nlStGB: „Wer einem anderen vorsätzlich bei der Selbsttötung behilflich ist oder ihm die dazu erforderlichen Mittel verschafft, wird,

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lisiertes Sterbehilfesystem könnte dem Sterbewillige bei Lebenskrisen aller Art psychosoziale Beratung bieten und die Verwirklichung von beachtenswerten Sterbeentschlüssen ermöglichen.99 Außerdem könnte ein solches System die Personen, die sich in einer Lebenskrise befinden, dazu bewegen, Beratung aufzusuchen, anstatt sich selbst zu töten.100 Da der Sterbewillige keinen Anspruch auf Sterbehilfeleistung hat und folglich der Staat nicht dazu verpflichtet ist, bleibt dem Gesetzgeber wie immer ein breiter Spielraum hinsichtlich der rechtlichen Normgestaltung. Bei Sachverhalten, die über den Sterbehilfebereich hinausgehen, sollte ein allgemeines Beteiligungsverbot gelten, welches sowohl die Suizidbeihilfe als auch die Tötung auf Verlangen unter dieselbe Strafe stellt.101 Hier sind die Kriterien der Freiverantwortlichkeit bzw. das Eigenverantwortlichkeitsprinzip irrelevant, da solche Figuren nur der Zurechnung eines Tötungsunrechts entgegenstehen, aber in einem gefahrbezogenen Sterbehilfesystem nur die abstrakte Verhaltensgefährlichkeit – welche beiden Beteiligungsformen innewohnt – maßgeblich ist.102 In solchen Fällen sollte das Verbot gegenüber medizinischen Laien abschreckend wirken. Im schlechtesten Fall begeht der Sterbewillige seinen Suizid ohne Hilfe, wobei der untätige Dritte – bei freiverantwortlicher Entscheidung – straflos bleiben sollte, womit der grundrechtlich geschützte Anspruch auf Suizid uneingeschränkt bleibt.103 Auch aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive wäre ein solches System zu präferieren, da es eine Optimierung von grundrechtlichen Ansprüchen und staatlicher Lebensschutzpflicht ermöglicht.104 Einerseits würde eine Kombination von wenn die Selbsttötung vollzogen wird, mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe der vierten Kategorie bestraft. Art. 293 Absatz 2 gilt entsprechend.“ 99 Vgl. Duttge, NJW 2016, S. 125. 100 Roxin, NStZ 2016, S. 188: „Der Zweck des Verbots ist im Gegenteil der, sterbewilligen Menschen eine lebenswerte Alternative zu bieten. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, ohne deren Erfüllung ein Verbot professioneller Suizidförderung seine Legitimation verliert. Wo diese Alternative fehlt (bei unerträglichen, therapieresistenten Leidenszuständen), sollte eine ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung ausdrücklich erlaubt werden, wie ich noch näher darlegen werde.“ 101 In den Niederlanden sehen die Art. 293 Abs. 1 und 294 Abs. 2 die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen bzw. der Suizidbeihilfe, wenngleich mit unterschiedlicher Strafe. Feldmann, Suizid, S. 616 schlägt auch ein Gesamttatbestand der Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe vor. 102 Vgl. Feldmann, Suizid, S. 616 f. 103 Zum Beispiel § 215 AE-StB Nichthinderung einer Selbsttötung: (1) Wer es unterlässt, die Selbsttötung eines anderen zu hindern, handelt nicht rechtswidrig, wenn die Selbsttötung auf einer freiverantwortlichen, ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen erkennbaren ernstlichen Entscheidung beruht. Zustimmend Kuschel, Suizid, S. 147. 104 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 407; Kämpfer, Selbstbestimmung, S. 405; Lorenz, Sterbehilfe, S. 81 f.; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 143; Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 234.

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allgemeinem Strafverbot mit verfahrens-kontrollierten Ausnahmen die drohenden Gefahren für Sterbewillige und Dritte verhindern, andererseits würde sie schützend und hilfreich wirken, indem sie den Sterbewunsch zum ärztlichen Bereich kanalisiert und die Möglichkeit offenlässt, ernstliche und ausdrückliche Sterbewünsche in einem sicheren Umfeld zu verwirklichen. Betreffend die konkreten Merkmale eines solchen Sterbehilfesystems, können in dieser Arbeit nur Leitlinien vorgeschlagen werden, da die Gesetztechnik wegen der Vielzahl von möglichen Sachverhalten besonders schwierig ist.105 Angesichts der größten Sorge davor, dass die Entscheidung zum Sterben defizitär sein kann, sollte idealerweise ein strenges präventives Kontrollverfahren geschaffen werden. Wie in anderen Ländern sollte die Sterbehilfe nur den Ärzten – sogar nur einem reduzierten Ärztekreis106 oder professionellen Sterbehelfern107 – vorbehalten sein108, da sie nicht nur in der besten Lage sind, die Entscheidungsqualität zu überprüfen, sondern auch, die Sterbemethode in einer gesicherten Weise durchzuführen.109 Darüber hinaus könnten unterschiedliche prozedurale Maßnahmen eingesetzt werden. Beispielsweise könnte eine Prüfungs- und Aufklärungsinstanz vorgesehen werden, in der mehrere unabhängige Ärzte die Entscheidungsqualität kontrollieren110 und der Patient über den Gesundheitszustand und die Behandlungsmöglichkeiten informiert wird.111 Besonders sichernd könnte eine präventive Überprüfungsinstanz wirken112, in der z. B. eine interdisziplinäre Kommission113 oder ein Vormundschaftsgericht114 das Vorliegen der Voraussetzungen kontrolliert. Ferner könnte eine Wartefrist zwischen dem Sterbehilfeverlangen und 105

Große-Vehne, Tötung auf Verlangen, S. 266. Kuschel, Suizid, S. 144 „. . . dass es eben nicht generell jedem Mediziner erlaubt wird, diese Form von Hilfe zu leisten, sondern dass diese Möglichkeit nur einem eng umgrenzten Kreis von Personen vorbehalten bleibt, die diese dann evtl. auch zur Hauptaufgabe . . .“ 107 Vgl. Feldmann, Tod und Gesellschaft, S. 175. 108 Wie in den Niederlanden, USA, Belgien, Luxemburg. Vgl. Jacob, Sterbehilfe, S. 291. 109 Vgl. Gavela, Suizid, S. 245 ff.; Kuschel, Suizid, S. 146; Linke, Lebensende, S. 124; Saliger, Selbstbestimmung, S. 212; Roxin, NStZ 2016, S. 189. 110 Hier sollten mehrere Faktoren psychiatrisch und psychologisch kontrolliert werden, wie die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Individuums, die Informiertheit, Wohlerwogenheit und Dauerhaftigkeit der Entscheidung sowie die Abwesenheit von menschlichen Einflüssen und Irrtümern. Siehe Lorenz, Sterbehilfe, S. 140 ff. 111 Vgl. Jacob, Sterbehilfe, S. 294; Linke, Lebensende, S. 99. Siehe das von Lorenz, Sterbehilfe, S. 163 ff. entwickelte Modell von lebensschützender Pflichtberatung. 112 Vgl. Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 143. 113 In den Niederlanden, Belgien und Luxemburg bestehen Kontroll-Kommissionen, die aber nur nachträglich die Beachtung der Sorgfaltskriterien überprüfen. Vgl. Jacob, Sterbehilfe, S. 288 ff. 114 Vgl. Entwurf von Kuschel, Suizid, S. 148. 106

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dessen Vollzug gesetzt werden115 sowie andere formelle Straflosigkeitsvoraussetzungen wie eine Dokumentierungs-116 und Anmeldepflicht.117 Bezüglich der Vollzugsmethode der Sterbeentscheidung könnte das System entweder ausschließlich die ärztliche Suizidbeihilfe vorsehen118 oder auch die Möglichkeit einer Tötung auf Verlangen einbeziehen. Angesichts der kontrollierenden Vorinstanzen sollte die Tatherrschaft m. E. belanglos sein.119 Im Übrigen zeigen Daten, dass Patienten die ärztliche Tötung der ärztlichen Suizidbeihilfe vorziehen120 und dass die Sterbehilfe seltener geschieht, wo nur die Suizidbeihilfe erlaubt ist.121 Fraglich ist, ob es positiv zu bewerten ist, dass Patienten nur deswegen am Leben bleiben. Der schwierigste Punkt liegt bei der Bestimmung des sachlichen Erlaubnistatbestandes, weil die Entwicklung einer medizinischen Indikation für Sterbehilfe und ihre Bestimmung in der Praxis eine große Herausforderung darstellt122, bis zu dem Punkt, dass eine Regelungsmöglichkeit verneint wird.123 Ferner taucht die Frage auf, ob jenseits der Freiheit und Festigkeit der Entscheidung andere Voraussetzungen vorliegen müssen und wenn ja, welche, was in dieser Arbeit nicht dezidiert beantwortet werden kann, da jede Einschränkung aus rechtlicher Perspektive willkürlich erscheint.124 Beispielsweise wird in einigen Ländern das 115 Problematisch ist jedoch die Bestimmung der Frist, welche in anderen Ländern von 48 Stunden bis 1 Monat beträgt. Vgl. Lorenz, Sterbehilfe, S. 158, der deswegen auf Wartezeiten zu verzichten empfiehlt. Ratsam wäre m. E. eine Frist aufzustellen und ein besonderes Schnellverfahren ohne Wartefrist für Fälle schwerer physischer Schmerzen vorzusehen. Ähnlich Kuschel, Suizid, S. 148. 116 Lorenz, Sterbehilfe, S. 194 ff. 117 Am besten wäre die nachträgliche Kontrolle der Staatsanwaltschaft zu überlassen. Vgl. Gavela, Suizid, S. 134 f. 118 Vgl. Borasio, Selbstbestimmt sterben, S. 106 f.; Kuschel, Suizid, S. 146; Lorenz; Sterbehilfe, S. 215. 119 In den Niederlanden, Belgien und Luxemburg ist die Tatherrschaft hinsichtlich der Straflosigkeitsvoraussetzungen irrelevant. Siehe Jacob, Sterbehilfe, S. 253 f. Dagegen Gavela, Suizid, S. 143. 120 Borasio, Selbstbestimmt sterben, S. 104; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 181. 121 Borasio, Selbstbestimmt sterben, S. 104. 122 Vgl. Taupitz/Tolmein, in: Assistierter Suizid, S. 76; Schreiber, in: Thiele, Aktive und Passive Sterbehilfe, S. 124 f. 123 Vgl. Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 473; Laber, Schutz des Lebens, S. 281 ff.; Schneider, Abbruch, S. 300. 124 Tenthoff, Tötung auf Verlangen, S. 106 „Die personale Würde des Menschen und sein Recht auf selbstbestimmte Entfaltung verbieten es, Willensentschlüsse nach Qualitätsmerkmalen zu werten . . . Eine Differenzierung nach Grundsätzen der Vernünftigkeit ist ausgeschlossen.“ Deswegen soll nach Kuschel, Suizid, S. 151 „. . . die Regelung des ärztlich assistierten Suizids . . . gerade nicht auf den Kreis Betroffener beschränkt sein, der sich bereits im Sterben befindet oder unheilbar erkrankt ist oder unerträgliche Schmerzen erleidet.“ Ausführlich Pöltner, in: Was heißt in Würde sterben?, S. 87 ff.

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Lebensendstadium vorausgesetzt125, wo dann aber die Frage auftaucht, warum nur Sterbepatienten Hilfe beanspruchen dürfen.126 Schränkt man die Zulässigkeit der Sterbehilfe auf einen bestimmten Kreis von Krankheiten, Gesundheitszuständen127 oder Leidenszuständen ein128, wiederholt sich der Willkürlichkeitsvorwurf.129 Sogar wenn man nur reine Krankheitsbedingtheit des Sterbenverlangens voraussetzen würde, sind Fälle denkbar, in denen keine Krankheit vorliegt und trotzdem der Sterbewille – z. B. der eines lebensmüden Hochbetagten130 – nachvollziehbar ist; in vielen Fällen hängt der Sterbewunsch nicht unbedingt mit Schmerzen zusammen.131 Letztendlich könnte der Regelung, auch wenn man nur ein nachvollziehbares Verlangen voraussetzt132 genauso wie bei der Behandlungsverweigerung – wo eine Vernünftigkeitsanalyse ausgeschlossen sei – Willkürlichkeit vorgeworfen werden.133 Dies stellt vielmehr eine außerrechtliche Frage dar.134 Wenn festgestellt worden ist, dass die Entscheidung wohlüberlegt, frei von menschlichen Einflüssen und Irrtümern getroffen wurde und sie zusätzlich stabil und rationell genug ist, dass ein medizinisch qualifizierter Dritter zur Sterbehilfe bereit ist und dies zusätzlich von anderen Experten genehmigt wird, sind weitere inhaltliche Entschei125 In den Niederlanden, Belgien und Luxemburg wird eine ausweglose Situation, in der keine Hoffnung auf Besserung besteht, vorausgesetzt. Siehe Jacob, Sterbehilfe, S. 251. Für Deutschland Antoine, Sterbehilfe, S. 410; Lorenz, Sterbehilfe, S. 95; Linke, Lebensende, S. 98 „Gestattete man jegliche Selbst- oder einverständliche Fremdtötung, sofern nur die Entscheidung im erforderlichen Mindestmaß freiverantwortlich gefasst ist, öffnete das sozialer Pression und unerkannten Kurzschlusshandlungen Tür und Tor.“ 126 Vgl. Laber, Schutz des Lebens, S. 281; Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 162; Schmaltz, Sterbehilfe, S. 113 f.; Gavela, Suizid, S. 202. 127 Borasio, Selbstbestimmung, S. 80, unheilbare, zum Tode führende Erkrankung. 128 Hohenstein, Einführung der aktiven Sterbehilfe, S. 135, unerträglicher Leidenszustand. 129 Vgl. Schmalz, Sterbehilfe, S. 113 f. In den Niederlanden van der Heide, in: Borasio/Jox/Taupiz/Wiesing, Assistierter Suizid, S. 27. 130 In der Schweiz wird die Suizidbeihilfe bei Hochbetagten erörtert. Vgl. Zezschwitz, Ärztliche Suizidbeihilfe, S. 175. Auch in den Niederlanden, van der Heide, in: Borasio/Jox/Taupiz/Wiesing, Assistierter Suizid, S. 27. In Deutschland als Argument gegen eine Kriminalisierung der Suizidbeihilfe Saliger, Selbstbestimmung, S. 199. 131 Vgl. Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Assistierter Suizid, S. 3. 132 Zum Beispiel Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 25 ff., spricht von objektiver Vernünftigkeit des Tötungsverlangens. Pawlik, in: FS für Wolter, S. 641 „Erlaubte aktive Sterbehilfe setzt dagegen mehr voraus: Das Tötungsverlangen muss sich aus der Warte eines objektiven Dritten als eine – wenn das Wort erlaubt ist sachgemäße Reaktion auf den Leidenszustand des Sterbewilligen darstellen.“ Z. B. bei „. . . schweren, nicht zu bekämpfenden Schmerzen . . .“ 133 Gavela, Suizid, S. 207 „. . . läuft das Erfordernis anerkennenswerter Gründe, also ,Aussichtslosigkeit‘ und ,Unerträglichkeit‘ oder nahes Lebensende, letztlich der Autonomie entgegen. Eine Willensfreiheit, die einen solchen ,guten Grund‘ braucht, ist letztendlich keine, sondern eine Vernunfthoheit des Staates.“ 134 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 410.

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dungskontrollen aus rechtlicher Perspektive fraglich, da der Staat seine Schutzpflicht bereits erfüllt hat. Es mag traurig und schockierend sein, wenn Krebskranke, Hochbetagte, chronische Alkoholiker, Drogensüchtige oder sogar therapieresistente depressive Menschen sterben wollen.135 Dies aber jenseits der Gefahrkontrolle verhindern zu wollen ist nicht nur schwer zu rechtfertigen, sondern auch praktisch unwirksam. Das strafrechtliche Zuschneiden der Verwirklichungsmöglichkeiten von Sterbeentschlüssen lenkt von dem Problem ab, löst es aber nicht, da der (zwangs- und irrtumsfreie wohlüberlegte und stabile) Sterbewunsch bleibt.136 Eine verbietende Regelung ignoriert das Problem und überlässt das Individuum sich selbst, wobei die Alternativen sind, entweder Suizid zu begehen oder den Rest des Lebens qualvoll zu verbringen.137 Dass die staatliche Lebensschutzpflicht dies verlangt, erscheint mir eher falsch. Zwar ermächtigt der argumentativ grenzenlose Gefährdungsdiskurs wegen des breiten gesetzgeberischen Spielraumes den Staat aus Sicherheitsgründen dazu, die Beteiligung an der Verwirklichung des Sterbewunsches auszuschließen. Allerdings sollten die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen gesetzlich fixiert sein, um eine standardisierte Sterbehilfepraxis zu ermöglichen.138 Ferner sollte der Gesetzgeber andere schwierige Fragen entscheiden, nämlich, ob die Sterbehilfe auch für Minderjährige möglich sein sollte, ob und wie Vorverfügungen zur aktiven Sterbehilfe verwirklicht werden dürfen139 und ob Sterbehilfe wegen mutmaßlichen Willens zulässig wäre.140 Bezüglich der strafrechtlichen Verfahrenssicherung sollte die Regelung zwischen der Nichtbeachtung von prozeduralen bzw. formellen und dem Verstoß gegen materielle Straflosigkeitsvoraussetzungen unterscheiden.141 Zum einen wäre die Tötung beim fehlenden ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen nach §§ 212, 211 StGB zu bestrafen, während die Tötung auf Verlangen eines dem 135 Dellingshausen, Sterbehilfe, S. 488: Eine Prozeduralisierung der Sterbehilfe „. . . erscheint geradezu makaber“. Duttge, NJW 2016, S. 125: „Ein solchermaßen ,institutionalisiertes Sterben‘ mag auf den ersten Blick abschrecken – die hohe Zahl ,unkontrollierter‘ Suizide und Suizidversuche sollte es aber noch mehr.“ 136 Vgl. Jox, in: Assistierter Suizid, S. 59. 137 Vgl. Borasio, Selbst bestimmt sterben, S. 103; Kuschel, Suizid, S. 140. 138 Vgl. Antoine, Sterbehilfe, S. 405. 139 Vgl. Jacob, Sterbehilfe, S. 295. 140 Verneinend Hohenstein, Einführung der aktiven Sterbehilfe, S. 136 f., weil niemand über den Lebenswert eines anderen entscheiden sollte. Dies verkennt aber, dass ein mutmaßlicher Willen nur angenommen werden sollte, wenn er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte festgestellt worden ist und dass im Zweifel das Prinzip in dubio pro vita gilt. Vgl. Lorenz, Sterbehilfe, S. 186 f. Dementsprechend sollte der mutmaßliche Wille – genauso wie beim Behandlungsverzicht – bei der aktiven Sterbehilfe wirken. 141 Art. 2 des luxemburgischen Gesetzes vom 16. März 2009 über Sterbehilfe und assistierten Suizid unterscheidet zwischen materiellen und formellen Bedingungen, nach dem nur die Nichterfüllung von materiellen Voraussetzungen strafbar ist.

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Erlaubnistatbestand nicht entsprechenden Patienten nach § 216 StGB bestraft werden sollte. Zum anderen könnte die Nichtbeachtung formeller Voraussetzungen entweder berufsrechtlich142 oder auch strafrechtlich durch einen eigenständigen abstrakten Gefährdungstatbestand behandelt werden.143 Angesichts der drohenden Gefahren und der mit der mangelnden zur Verfügung stehenden Daten zusammenhängenden Ungewissheit hinsichtlich der Gefahrprognose144 sollte der deutsche Gesetzgeber auch bei der Implementierung eines Sterbehilfesystems sorgfältig vorgehen. Dafür ist z. B. ein örtlich und zeitlich begrenztes experimentelles Sterbehilfegesetz denkbar145, dessen Dokumentierungs- und Anmeldepflichten die Erhebung und die Auswertung von Daten ermöglichen könnte.146 Letztlich wäre eine ausdrückliche Regelung der Tötungsfolgen bei medizinisch indizierten Palliativbehandlungen147 und eine Erklärung über das Verhältnis zwischen prozeduralen Normen und Behandlungsverzicht wünschenswert.148

B. Chile: Normative Sicherung der Patientenautonomie Komplizierter ist der Ausblick in Chile, wo erst im Jahr 2017 das absolute strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs – und nur in engen Gren142

Wie in Luxemburg vgl. Jacob, Sterbehilfe, S. 222. Saliger, Selbstbestimmung, S. 195 f. „. . . wäre auch eine eigenständige und geringfügigere Kriminalisierung formaler ärztlicher Pflichtverletzungen nach dem Vorbild von § 218c StGB denkbar.“ 144 Borasio, Selbst bestimmt sterben, S. 103; Taupitz, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, S. 15. Wie häufig in Deutschland Suizidbeihilfe tatsächlich praktiziert wird, ist jedoch nicht bekannt, da es hierzu weder eine offizielle Statistik noch eine repräsentative wissenschaftliche Erhebung gibt. In Bezug auf die Mangel an Untersuchungen von verdeckter aktiven Sterbehilfe und ihren Grund siehe Antoine, Sterbehilfe, S. 78; Hübner, Sterbehilfe, S. 103 f. 145 Vgl. Lindner, JZ 2006, S. 380 f. 146 Der Verfassungswidrigkeitsvorwurf liegt bei einer so (theoretisch) risikoöffnenden Regelung für das menschliche Leben auf der Hand. Mader, in: Gesetzgebungstheorie, S. 216 „Grundsätzlich ausgeschlossen sind natürlich insbesondere Versuche, die mit ernsthaften Gefährdungen des Lebens, der Gesundheit und der Menschenwürde des Einzelnen verbunden sind.“ [Hervorh. d. Verf.] Zu erwarten wäre der Vorwurf eines würdewidrigen Experiments mit Menschen. Aber – vorausgesetzt, dass hinreichende prozedurale Vorkehrungen vorgesehen sind – könnte nicht von einer ernsthaften Gefährdung des Lebens gesprochen werden. Vielmehr sollte das Gesetz darauf zielen, die plausibel aber oft als unkontrollierbar dargestellten Missbrauchsgefahren zu zerstreuen. Vgl. Feldmann, Tod und Gesellschaft, S. 174 f. Zur prinzipiellen Vereinbarkeit experimenteller Gesetzgebung mit der Menschenwürde siehe Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 241 ff. 147 Kuschel, Suizid, S. 147; Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 139; Sinn, SK-StGB, § 212 Rn. 61; Verrel, Gutachten zum 66. DJT. C 55. 148 Vgl. Kolb, Sterbehilfe, S. 163. 143

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zen149 – gelockert wurde und Zwangsbehandlungen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung immer noch gebilligt sind. Angesichts eines solchen Ausblicks der grundrechtlichen Freiheiten, wäre es naiv, an die zeitnahe permissive Regulierung aktiver Sterbehilfeformen zu denken. Dringend notwendig ist jedenfalls eine Veränderung der Gesetzgebung zur Patientenautonomie hinsichtlich ärztlicher Behandlungen, welche die Selbstbestimmung von Patienten anerkennt und Verhaltens- und Rechtssicherheit für Ärzte schafft. Dafür ist aber zunächst eine Veränderung des Verfassungs- und Strafrechtsdenkens notwendig, da sonst gesetzliche Reformen ins Leere laufen, weil sich die Rechtsprechung durch den Rückgriff auf das allgewaltige Grundrecht auf Leben über jedes einfache Gesetz hinwegsetzen kann. Das heutige Verständnis des Grundrechts auf Leben lässt wie die Diskussion des GüPR zeigt kaum Raum für eine Gesetzesreform, was folglich der erste zu diskutierende Punkt sein sollte. Die daraus folgenden fast uneingeschränkten Restriktionen von „Lebensverfügungen“ aller Art erscheinen weder (verfassungs-)rechtlich vertretbar noch gesundheitspolitisch sinnvoll, da eine so unklare Rechtslage dem Patienten jedes Recht in Bezug auf sein Lebensende einschränkt und ihn ärztlicher Willkür aussetzt. Vorausgesetzt, dass sich eine freiheitliche Konzeption der grundrechtlichen Garantien durchsetzt, sollte der erste Schritt sein, eine entsprechende gesetzliche Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zu schaffen, welche die Letztentscheidung über eine ärztliche Behandlung dem aufgeklärten Patientenwillen überlässt und ärztliche Unterlassungsstrafbarkeitsrisiken beseitigt. Dazu sollten Patientenverfügungen und das Institut des mutmaßlichen Patientenwillens rechtlich anerkannt und prozeduralisiert werden. Idealerweise sollte ein Gesamtsystem des Sterbehilferechts geschafft werden, welches nicht nur den Behandlungsverzicht berücksichtigt, sondern auch die aktive Beteiligung an dem Sterben von Patienten regelt. Hierfür gilt auch, was oben in Bezug auf Deutschland erörtert worden ist. Ob das chilenische Gesundheitswesen die notwendige institutionelle und ökonomische Robustheit besitzt, um solche gesetzliche Reformen in sicherer Weise durchführen zu können, ist am Beispiel der Implementierung des neuen Gesetzes über Schwangerschaftsabbruch zu bezweifeln.150 149 Das Gesetz Nr. 21.030 vom 3. September 2017 erlaubt den Schwangerschaftsabbruch nur bei Vergewaltigung, Lebensgefahr für die Mutter und tödlichen Erkrankungen des Fötus. 150 Ein Beispiel davon zeigt sich beim ersten relevanten Fall nach dem Erlass des Schwangerschaftsabbruchsgesetzes, in dem eine Dreizehnjährige nach einer Vergewaltigung schwanger wurde. Der Schwangerschaftsabbruch konnte in der Region nicht durchgeführt werden, denn weder ein Protokoll dafür noch die für die Vakuumaspiration notwendigen Geräte waren vorhanden, sodass das Mädchen nach Santiago verlegt werden sollte. Siehe http://www.elmostrador.cl/noticias/2017/11/11/caso-de-violacion-

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Ein relativ aktueller Entwurf zur Reform des chilenischen Strafgesetzbuches zeigt151, dass die chilenische Rechtswissenschaft die Augen auf das deutsche Regelungsmodell richtet, was alle die hier bezeichneten Probleme mit sich bringen würde und folglich nicht ratsam wäre. Das aktuelle deutsche Sterbehilferecht sollte nicht akritisch als Vorbild angenommen werden, weil seine fragmentierte und lückenhafte Annäherung zur Sterbehilfeproblematik fern von einer optimalen Lösung bleibt. Genauso wie in Deutschland ist in Chile zu erwarten, dass sich in den kommenden Jahren die Sterbehilfeproblematik zuspitzen wird.152 Eine Übertragung der deutschen Regelung würde wahrscheinlich mehr Schaden als Nutzen bringen, da eine allgemeine Freistellung der Suizidbeihilfe – angesichts der mangelhaften Unterlassungsdogmatik und der herrschenden rein objektiven Auffassung des Grundrechts auf Leben – eine enorme Rechts- und Verhaltensunsicherheit für Patienten und Ärzte mit sich bringen würde. Wie gesagt, mag das Eigenverantwortlichkeitsprinzip die Rechtslage in Deutschland dogmatisch erklären, es kann aber nicht als geeignete Basis zur Kriminalpolitik angewendet werden, da es sich im Sterbehilfebereich nicht um ein Zurechnungsproblem, sondern um Lebensschutz handelt. Ein anderer Gesetzentwurf aus 2005 sieht im Art. 83 chStGB einen privilegierten Tatbestand der Tötung auf Verlangen vor und stellt im Art. 84 chStGB die Suizidbeihilfe unter eine geringere Strafe.153 Die Perpetuierung des aktuellen allumfassend verbietenden Sterbehilferechts wäre auch abzuraten. Chile sollte stattdessen ein eigenes Modell schaffen, welches die idiosynkratischen und institutionellen Einzelheiten des Landes bezüglich der Patientenautonomie und Lebensbeendigungsfragen berücksichtigt. Dafür ist jedoch zunächst eine Veränderung des gesamten Rechtsdenkens und die Analyse der nationalen medizinischen Wirklichkeit und des Dunkelfeldes der Sterbehilfepraxis erforderlich. Weder in der sachbezogenen rechtlichen noch in der medizinischen Literatur lassen sich empirische Informationen über die Sterbehilfepraxis oder ihren Regelungsbedarf finden. Einige Ereignisse schließen es aber aus, dass das Problem nicht existiert. 2014 verstarb der 89-jährige chilenische Arzt Manuel Almeyda Medina zu Hause durch freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, da nach chilenischem Recht jede Art von aktiver Sterbehilfeleistung strafbar ist.154 a-nina-de-13-anos-deja-en-evidencia-las-fallas-en-aplicacion-de-la-ley-de-aborto/ (Stand 16.12.2017) 151 Gesetzentwurf Nr. 9.274-07 (Senat) vom 10. März 2014, S. 64. Art. 216 stellt die Tötung auf Verlangen unter Strafe und Art. 217 sieht die Straflosigkeit der Suizidbeihilfe bzw. Nichthinderung eines Suizids vor. 152 Carrasco Meza/Crispi Galleguillos, Rev Med Chile 2016, S. 1598 ff. 153 Siehe Matus Acuña/Hernández Basualto, in: Política Criminal Nr. 1, D1, S. 21. 154 Almeyda/Carvajal, in: Rev Chil Salud Pública 2014; Vol. 18 (2), S. 206; http:// www.uchile.cl/noticias/105319/historia-de-una-lucha-por-el-derecho-a-morir (22.11.2017).

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Kurz vor seinem Suizid schrieb Almeyda Medina dem Präsidenten der chilenischen Ärztekammer, um zur Debatte der Lebensbeendigung in Chile aufzurufen.155 Im Jahr 2015 bat die 14-jährige chilenische Valentina Maureira Riquelme, die an Mukoviszidose litt, die Präsidentin, um die Erlaubnis getötet zu werden.156 In jüngster Zeit hat sich ein ähnlicher Fall zugetragen: Eine 19-Jährige (Paula Díaz Ahumada), die an einer immer noch nicht diagnostizierten aber äußerst schmerzhaften Krankheit leidet, bat die Präsidentin, um eine Erlaubnis getötet zu werden.157 Darüber hinaus zeigen nationale Umfragen aus den Jahren 2010, 2011, 2013, dass die Mehrheit der Bevölkerung (70 %, 61,7 % und 60,8 %) dem Sterbepatienten ein Recht zugesteht, einen assistierten Tod bzw. Euthanasie zu erhalten.158 Die letzte Umfrage über das Thema zeigt, dass 68 % der Bevölkerung „mit der Euthanasie einverstanden ist“.159 Genauso wie in Deutschland sollte sich die Debatte in Chile entideologisieren, sodass sie rationell weitergeführt werden kann und die Gefahren und Möglichkeiten einer gesetzlichen Regelung der Beteiligung an der Verwirklichung von Sterbewünschen erörtert werden können.

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Vgl. Almeyda/Carvajal, in: Rev Chil Salud Pública 2014; Vol. 18 (2), S. 208. http://www.dw.com/de/trost-statt-sterbehilfe/a-18287227 (22.11.2017). 157 http://www.elmostrador.cl/noticias/pais/2018/02/06/paula-quiere-morir-las-razo nes-de-una-joven-que-pide-la-eutanasia/(25.02.2018). 158 http://www.icso.cl/noticias/encuesta-udp-conoce-la-opinion-de-los-chilenos-sobrela-eutanasia/(22.11.2017). 159 http://www.cadem.cl/wp-content/uploads/2018/02/Track-PP-213-Feb_S2-VF.pdf 25.02.2018). 156

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Sachverzeichnis Es wurden auch die Fußnoten berücksichtigt. Akzessorietät 39, 71, 125, 150, 152 ff., 185 f. Allgemeine Handlungsfreiheit 35 ff., 40 f., 120, 177 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 35, 177, 185 Angehörige 48, 76 f., 79, 101 f. Angemessenheit 41, 43 Anstiftung 54 ff., 77, 156, 180, 187 Artifizielle Beschleunigung des Todes 138 ff., 149, 159, 162 f. Arzt-Patienten-Verhältnis 68, 78, 97, 99, 104, 165 Aufgedrängter Grundrechtsschutz 30 Ausdrücklichkeit 57, 180 Außergewöhnliche Maßnahme 128, 138 f., 141 ff., 163 Autonomie 34, 41, 51, 54, 72, 99, 116 ff., 122, 124, 126 ff., 137, 159, 163, 165, 196 f. Behandlungsverweigerung 47 f., 80, 93, 95 f., 102, 106 f., 117, 118, 128, 136 ff., 159, 163, 166, 183, 185, 187, 194 Behandlungsverzicht 46 ff., 73, 81, 92 ff., 102 ff., 116, 118, 128 ff., 139 ff., 162 ff., 176, 183 ff., 197 f. Beihilfe 32 f., 38 ff., 49 ff., 60 ff., 80 ff., 98, 103 ff., 124 f., 129, 133, 138, 147, 149 ff., 178 ff., 185 ff., 198 Bestimmt-worden-Sein 53, 56 Betäubungsmittel 104 f., 171, 186 Doppelsuizid 66 Doppelwirkungslehre 88, 161

EGMR 37, 61 Einverständnis 56, 100, 102, 106, 136, 161, 164, 180, 187, 194 Einwilligung 46 f., 53 ff., 62 f., 82 ff., 92 ff., 124, 129, 133 ff., 144 ff., 158, 161, 165 ff., 179 ff., 187 Einwilligungslösung 63 f., 92 Einwilligungssperre 59, 84, 95, 98 f., 101 Einwilligungsunfähigkeit 47, 106, 134, 145, 166, 169, 184, 189 Entkriminalisierung 42, 45 Entscheidungsunfähigkeit 48, 101, 165 ff., 184, 187 Erforderlichkeit 41, 43, 85, 88, 91, 179 Ernstlichkeit 57 ff., 63, 180 Euthanasie 125 ff., 145 ff., 158, 160 ff., 164 ff., 179, 199 Exkulpationslösung 62 f. Extremfall 44 f., 107, 179, 187, 190 Freiverantwortlichkeit 39, 46, 51, 58, 62 ff., 81 f., 104, 157, 170, 181, 186, 191 Garantenstellung 58, 78 ff., 94 ff., 104, 107, 134 ff., 157, 164 f., 168, 170, 183 f., 186 Geeignetheit 40, 43, 179 Gefahr 31, 39 f., 42 ff., 50 ff., 65, 71 f., 76, 78, 80, 85 f., 89, 91, 106 f., 135, 166, 179 ff., 196 f., 199. Gesetzgeberischer Spielraum 31, 38, 41, 44 f., 106, 137, 164, 178, 179, 181, 184, 185, 191, 195 Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit 35, 44

Sachverzeichnis Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit 34, 48, 96, 165, 167, 176 f., 179, 185, 187 Grundrecht auf Leben 33 f., 36 Grundrechte 29 – Leistungsfunktion 29 – Objektive Wertordnung 30 Grundrechtsbeeinträchtigung 31 Indisponibilität 49 Krankenhausentlassung 137, 139, 148 f., 163, 165 Kriminalisierungsgebot 38 Lex artis 161, 164, 168 f., 182 Menschenwürde 32, 34, 36, 45 f., 48, 50, 52, 91, 105, 113 f., 118 f., 122 ff., 158, 162, 176 Mord 52, 54 ff., 73, 130, 180 Nichthinderung eines Suizids 59, 65 f., 77 f., 157, 170, 183, 191, 198 Notstand 80, 84 ff., 88, 90 ff., 187 Opferverlangen 42, 50 ff., 55 f., 86, 158, 180, 187 Palliativbehandlung 45, 85 ff., 160 ff., 176, 179, 181 ff., 188, 196 Parrizid 131 Patiententestament 165 ff., 187 Patientenverfügung 60, 101 ff., 165, 169, 197 Patientenvertreter 101, 166 ff., 184 Pflicht zum Leben 34, 106, 159, 185 Privatsphäre 35, 120 ff., 158, 175, 177 Prozeduralisierung 40, 43, 48, 101, 106, 184, 188 f., 192, 195 ff. Rechtfertigung 31 Rechtssicherheit 63 f., 83, 90, 92, 100, 172, 183, 197

221

Schutzpflicht 30, 33 f., 37 ff., 42, 44, 46 ff., 53, 106 f., 112, 115, 117 ff., 125, 128, 158, 177 ff., 186, 191, 195 Selbstbestimmung 32, 34, 36, 47 f., 52, 59, 71, 79, 84, 97, 100, 107, 127, 158, 165, 177, 183, 197 Sterbeentschluss 34, 39 f., 60, 62, 83, 94, 105, 107, 178, 181 Sterbehilfe – aktive Sterbehilfe 44, 84, 106, 125, 176, 180, 189, 194 – indirekte Sterbehilfe 45 ff., 73, 76, 86 ff., 107, 160 ff., 179, 182 – passive Sterbehilfe 92 ff., 128 ff., 147, 162 ff., 187 – Sterbehilfeverbot 32 – verfassungsrechtliche Perspektive 29 ff. Sterbenlassen 99 f. Sterbepatient 40, 137 ff., 147, 162 f., 194 Strafbarkeitsrisiko 41, 72, 76, 79, 96, 103 f., 107, 137, 147, 186, 197 Suizid – freiverantwortlich 36, 39, 47, 62, 68, 77 ff., 118 – Suizidrecht 33 – Suizidunfähigkeit 39, 44, 74, 85, 159, 178, 181 – Suizidverbot 32, 36 – unfrei 30, 38, 65 ff., 79, 81 f., 125, 181, 185 – verfassungsrechtliche Perspektive 36 ff. Suizidbeihilfe – Abgrenzung zwischen Tötungsdelikten und Suizidbeihilfe 66 – geschäftsmäßig 40, 70 ff., 75, 103, 106, 185 – Suizidbeihilfedogmatik 60 ff. – Suizidbeihilfeverbot 38 ff., 50, 52 Suizidforschung 64, 79 Tabu 43, 50, 190

222

Sachverzeichnis

Tatherrschaft 43, 65 ff., 78 ff., 98, 187, 193 Teilnahme 54, 59, 61 f., 67, 71, 77, 79, 81 f., 103, 186 Tötung auf Verlangen 151, 159, 171, 179 ff., 187 ff., 191, 193, 195, 198 – Abgrenzung zwischen Tötungsdelikten und Suizidbeihilfe 66 – Strafrechtlicher Rahmen 49 ff., 83 ff., 133 – Verfassungsrechtliche Perspektive 41 ff. Unantastbarkeit 33, 35. 50 Unglücksfall 65, 81 f. Unheilbare Krankheit 36, 64, 78, 93, 158, 193 f. Unrecht 42, 49 ff., 55, 70 ff., 152 ff.

Unterlassen 46, 58 ff., 65 ff., 73, 77 ff., 88, 92 ff., 117, 134 ff., 140 ff., 154, 157, 163 f., 170, 179, 183 f., 187 Unterlassene Hilfeleistung 81 f., 135 f., 157 Verfassungsmäßigkeit 38, 40 ff., 113 Verfügbarkeit 34, 42, 49, 54, 71, 105 f., 113, 115 f., 119, 124, 126, 128, 133, 153 f., 158, 162 f., 170 f., 178 ff., 182, 186 Verhältnismäßigkeit 31, 35, 39 ff., 47, 113, 134, 145, 164, 179, 181 f. Vernünftigkeit 58, 183, 193 f. Willensbildung 56, 58, 64, 71, 181 Zwangsbehandlung 48, 59, 94, 99 f., 117, 142, 144, 149, 163, 171, 176, 179, 183, 197