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German Pages 172 [176] Year 1983
Wirtschaftsordnung Eine Einführung in Theorie und Politik
Von
Dr. Dietrich Schönwitz und
Dr. Hans-Jürgen Weber
R. Oldenbourg Verlag München Wien
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schönwitz, Dietrich: W i r t s c h a f t s o r d n u n g : e. E i n f ü h r u n g in Theorie u. Politik / von Dietrich S c h ö n w i t z u. Hans-Jürgen Weber. - München ; Wien : O l d e n b o u r g , 1983. ISBN 3 - 4 8 6 - 2 7 9 8 1 - 5 N E : Weber, Hans-Jürgen:
© 1 9 8 3 R. O l d e n b o u r g Verlag G m b H , München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die d a d u r c h begründeten R e c h t e , insbesondere die der Ü b e r s e t z u n g , des N a c h d r u c k s , der F u n k s e n d u n g , der Wiedergabe auf p h o t o m e c h a n i s c h e m oder ähnlichem Wege sowie der Speicherung u n d A u s w e r t u n g in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben auch bei auszugsweiser V e r w e r t u n g v o r b e h a l t e n . Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach § 5 4 Abs. 2 U r h . G . zu zahlende Vergütung zu e n t r i c h t e n , über deren Höhe der Verlag A u s k u n f t gibt. G e s a m t h e r s t e l l u n g : R. O l d e n b o u r g Graphische Betriebe G m b H , München
ISBN 3-486-27981-5
Vorwort Das Denken in Ordnungen hat in der deutschsprachigen Nationalökonomie Tradition . Vor allem im Zuge der Rezeption der prozeßpolitisch ausgerichteten Keynes'schen Einkommens- und Beschäftigungstheorie ist jedoch in den letzten beiden Jahrzehnten sowohl in der akademischen Lehre als auch in der Forschung die Beschäftigung mit wirtschaftsordnungspolitischen Fragestellungen zunächst stark zurückgegangen. Auch in der praktischen Wirtschaftspolitik stand nach der Aufbauphase der Bundesrepublik die Schaffung und Erweiterung eines ablaufpolitischen Instrumentariums im Vordergund. Gegenwärtig befinden wir uns in einer Phase, in der zur Bewältigung gravierender wirtschaftlicher Probleme in Wissenschaft und politischer Praxis zu einer wirtschaftsordnungspolitischen Neubesinnung aufgerufen wird. Mit dieser Einführung in wirtschaftsordnungstheoretische und wirtschaftsordnungspolitische Fragestellungen werden die Grundlagen für eine ordnungsbezogene Beurteilung wirtschaftlicher Probleme gelegt, indem • Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen identifiziert werden; • prägende Merkmale von Wirtschaftsordnungen herausgearbeitet und mit Bezug auf die Wirtschaftsordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erläutert werden; • Prinzipien, Bereiche und Aufgabenstellungen einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik behandelt werden. Ausführliche Literaturhinweise sowie Kontrollaufgaben sollen eine vertiefte Einarbeitung sowie ein gezieltes Weiterarbeiten ermöglichen. Reinhard Tietz, Universität Frankfurt, danken wir für die Förderung unserer Arbeit. Dank schulden wir auch unseren akademischen Lehrern, Heinz Lampert und Heinz Sauermann, die uns mit der Analyse wirtschaftstheoretischer und wirtschaftspolitischer Probleme vertraut gemacht haben. Frau Sigrid Manthey hat das Manuskript mit viel Geduld und mit großer Sorgfalt geschrieben. Hachenburg, Aschaffenburg, im Januar 1983 Dietrich Schönwitz
Hans-Jürgen Weber
Inhaltsverzeichnis Vorwort Verzeichnis der Übersichten
V X
Zur Bedeutung der Beschäftigung mit Wirtschaftsordnungen Literatur
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1. Kapitel: Die Grundbegriffe 1.1 Wirtschaftssystem und Wirtschaftsordnung 1.2 Abgrenzung gesellschaftlicher Teilsysteme 1.3 Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung 1.4 Kennzeichnung wirtschaftsordnungspolitischen Handelns 1.4.1 Systematik der Wirtschaftspolitik 1.4.2 Geschichtsphilosophische Bezüge Literatur Kontrollaufgaben
5 5 6 9 10 10 12 13 15
2. Kapitel: Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen . . . . 2.1 Wirtschaftsordnungen und menschliche Grundbedürfnisse 2.2 Geistige Grundlagen der Wirtschaftsordnungen 2.2.1 Die liberale Gesellschaftstheorie 2.2.2 Die marxistisch-leninistische Gesellschaftstheorie 2.3 Die Wirtschaftsverfassung, „Property Rights" und Kostenkalküle als Triebkräfte Literatur Kontrollaufgaben
17 17 19 19 22
3. Kapitel: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen 3.1 Bedeutung und Problematik der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen 3.1.1 Bedeutung der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie 3.1.2 Das Problem der Auswahl prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale 3.2 Ansätze zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen 3.2.1 Subjektivistische Ansätze: Spiethoff und Ritsehl 3.2.2 Die Gestaltidee des Wirtschaftssystems und die Idee der wirtschaftlichen Grundgestalten: Sombart und Seraphim 3.2.3 Unterscheidung von reinen Wirtschaftssystemen nach der Zahl der Planträger: Eucken 3.2.4 Neuere Ansätze: Differenzierung des methodischen Instrumentariums im Hinblick auf gemischte Wirtschaftsordnungen und auf Ordnungsfunktionen 3.3 Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen auf der Grundlage des menschlichen Bedürfnissystems
24 28 29 31 31 31 32 33 33 35 39 41 44
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Inhaltsverzeichnis
Literatur Kontrollaufgaben 4. Kapitel: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen . . . . 4.1 Die Wirtschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik 4.1.1 Die Konzeption: „Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus" 4.1.2 Prägende Merkmale der Wirtschaftsordnung 4.1.2.1 Eigentumsordnung und Koordination der Wirtschaftsprozesse 4.1.2.2 Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte 4.1.2.3 Art und Umfang der sozialpolitischen Korrekturmechanismen 4.1.3 Wirtschaftsordnung und Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik Literatur Kontrollaufgaben 4.2 Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland 4.2.1 Die Konzeption: „Soziale Marktwirtschaft" 4.2.2 Prägende Merkmale der Wirtschaftsordnung 4.2.2.1 Eigentumsordnung und Koordination der Wirtschaftsprozesse 4.2.2.2 Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte 4.2.2.3 Art und Umfang der sozialpolitischen Korrekturmechanismen 4.2.3 Wirtschaftsordnung und Grundgesetz Literatur Kontrollaufgaben 4.3 Zur Konvergenz der Wirtschaftsordnungen 4.3.1 Die Annäherungsthesen: Darstellung und Kritik 4.3.2 Konvergenz in der geschichtlichen Entwicklung? Bundesrepublik Deutschland - Deutsche Demokratische Republik Literatur Kontrollaufgaben 5. Kapitel: Grundzüge einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 5.1 Liberale Wirtschaftsordnungspolitik in der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung 5.2 Prinzipien liberaler Wirtschaftsordnungspolitik 5.2.1 Rationale Wirtschaftsordnungsgestaltung 5.2.2 Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen . . . . 5.2.3 Priorität der Wirtschaftsordnungspolitik 5.3 Zentrale Bereiche und Probleme der Wirtschaftsordnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 5.3.1 Die Wettbewerbsordnung im Spannungsfeld staatlicher Eingriffe in die Wirtschaftstätigkeit und fortgeschrittener Unternehmenskonzentration
46 47 49 49 49 56 56 66 71 73 75 76 77 78 85 85 95 101 106 107 109 109 109 112 114 115 117 117 120 120 121 127 128 128
Inhaltsverzeichnis
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5.3.1.1 Ausnahmebereiche, staatliche Regulierungen und staatliches Unternehmertum 129 5.3.1.2 Unternehmenskonzentration und Beziehungsgeflechte mit Konzentrationswirkungen 134 5.3.2 Mitbestimmungsordnung und Verteilungsansprüche bei knapper gewordenen Verteilungsspielräumen 138 5.3.3 Das Problem einer ordnungskonformen Sozialpolitik 142 5.4 Ausblick: Ordnungspolitische Neubesinnung 147 Literatur 150 Kontrollaufgaben 152 Personenregister
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Sachregister
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Zu den Autoren
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Verzeichnis der Übersichten 1. Beziehungen zwischen Wirtschaftssystem und politisch-administrativem System 2. Systematik der Wirtschaftspolitik 3. Grundbestandteile der Wirtschaft, Untermerkmale und Möglichkeiten ihrer Ausprägung nach Sombart 4. Wirtschaftsordnungsformen nach Sombart 5. Wirtschaftssysteme nach Eucken 6. Schema der Wirtschaftsordnungen nach Kloten 7. Funktionenfundiertes Schema der wirtschaftlichen Organisationsformen nach Lösch 8. Entwicklungsphasen zum Kommunismus in der UDSSR und in der D D R 9. Ausgangslage, Leitbildvorstellungen und Prinzipien der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus 10. Verfassungsmäßige Eigentumsbegriffe in der D D R 11. Entwicklung der Eigentumsformen im Produktionsmittelbereich in der Wirtschaft der D D R von 1952 bis 1979 12. Schematische Darstellung der Planungs- und Leitungsorganisation der Industrie in der D D R 13. Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung in der D D R auf der Grundlage der Fünfjahrpläne 1971-1975,1976-1980 und 1981-1985 . . 14. Vereinfachte Darstellung des Planungsprozesses zur Erstellung eines Jahresvolkswirtschaftsplanes 15. Marktmäßige Koordinierung 16. Träger und Organe der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 17. Mitbestimmung im Unternehmen nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 18. Organisation der Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland 19. Entwicklung der Sozialleistungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis 1980 20. Grade der Wettbewerbskonformität als Kriterium der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen 21. Umsatzentwicklung der Deutschen Bundespost und der im Jahre 1980 drei umsatzstärksten Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland 22. Der durchschnittliche Konzentrationsgrad (CR 1 0 ) in den Wirtschaftszweigen der Industrie von 1954 bis 1979 23. Personelle Verflechtungen der nach dem Konzernaußenumsatz größten Unternehmen in der Bundesrepublik im Jahr 1978
7 11 36 37 39 42 43 50 51 57 59 61 64 65 88 91 99 103 105 126 132 135 136
Zur Bedeutung der Beschäftigung mit Wirtschaftsordnungen Die Geschichte der Wirtschaftsordnungen der westlichen und östlichen Industrienationen sowie auch die Entwicklung der Wirtschaftsordnungen in den Ländern der Dritten Welt zeigt, daß immer wieder mehr oder weniger tiefgreifende Störungen der Wirtschaftsprozesse mit negativen sozialen und ökonomischen Folgen für die Wirtschaftssubjekte auftreten. Die Schwere und D a u e r der Folgen läßt solche Störungen aus der Sicht der Betroffenen zu Zukunftsproblemen werden. Ein Großteil der volkswirtschaftlichen Theoriegeschichte besteht aus Bemühungen, Lösungsmöglichkeiten zur Bewältigung von gravierenden Zukunftsproblemen zu erarbeiten. Diese Sichtweise läßt sich durch einige Beispiele belegen: • Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, die ihren Niederschlag unter anderem in Massenarbeitslosigkeit, Proletarisierung und Ausbeutung der Arbeitnehmer fand, war entscheidender Anstoß zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie. Diese Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie wurde von Karl Marx und Friedrich Engels als ein Versuch verstanden, den drängenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen des frühen Kapitalismus entgegenzutreten. • Die in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts vor allem durch Walter Eucken, Franz Böhm, Hans Großmann-Doerth und Alexander Rüstow begründete neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftskonzeption wurzelt nicht zuletzt auch in dem Bestreben, eine marktwirtschaftliche Alternative „mit wirksamen sozialen Sicherungen" (A. Müller-Armack, S. 20)1 zur marxistischen Wirtschaftsordnungskonzeption zu entwerfen. Sie mündet in das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft und damit in eine grundsätzlich anders geartete Konzeption zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte. • Die große Wirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen war das auslösende Moment der Keynes'schen Einkommens- und Beschäftigungstheorie und damit'Anlaß für die Begründung einer stabilitätspolitischen Verantwortung des Staates im Wege antizyklischer Haushaltspolitik. Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, daß gravierende gesamtwirtschaftliche Problemlagen zu Veränderungen beziehungsweise Modifikationen von Wirtschaftsordnungen führen können. Die grundlegende Bedeutung der näheren Auseinandersetzung mit den Konstruktionsprinzipien und Funktionsmechanismen von Wirtschaftsordnungen, die den Rahmen für den Ablauf der wirtschaftlichen Prozesse bilden, liegt nun darin, daß der Blick dafür geschärft wird, • in welchem Ausmaß bestimmte Probleme durch die jeweilige Wirtschaftsordnung verursacht werden, • ob die Probleme aus Abweichungen der real existierenden Ordnungen von deren Leitbild resultieren oder • ob es sich um ordnungsindifferente Störungen handelt. 1
Mittels der im Text gegebenen Kurzhinweise können die Literaturquellen in dem jeweiligen Verzeichnis nach den einzelnen Kapiteln und Abschnitten identifiziert werden.
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Zur Bedeutung der Beschäftigung mit Wirtschaftsordnungen
Eine solche Standortbestimmung ist angesichts eines konkurrierenden Theorie- und Ideologieangebots nicht nur für Wirtschaftswissenschaftler und Politiker von Bedeutung. Sie ist generell angebracht, weil eine kritische Distanz zu Veränderungen bestehender Wirtschaftsordnungen erforderlich ist. Das heißt, nur aus zwingenden Gründen sollten Problemlösungen in Betracht gezogen und befürwortet werden, die zu grundsätzlichen Änderungen bestehender Wirtschaftsordnungen führen. „Einmal haben sich historisch gewachsene Ordnungen in gewissem Maße bewährt, da sie aus Prozessen hervorgegangen sind, in denen verschiedene Lösungen zur Bewältigung anstehender Probleme erprobt wurden. Z u m anderen bedeutet jede Änderung, daß angesichts der Unsicherheit des menschlichen Wissens nicht kalkulierbare Risiken eingegangen werden müssen, die fernab von der ursprünglichen Intention der Befürworter liegen. ... Es ist aus diesen beiden Überlegungen heraus vernünftig, wichtige Institutionen einer Gesellschaft so zu sichern, daß sie nicht ,Opfer' jedes Änderungsverlangens werden können und deswegen vor die ,Reform' lange Prozesse des Ringens mit Argumenten zu setzen, in denen die verschiedensten Aspekte des jeweiligen Problems abgeklärt werden können." (Chr. Watrin, S. 74f.) Die Beschäftigung mit den geistigen Grundlagen von Wirtschaftsordnungen, mit den prägenden Ordnungsmerkmalen und deren Ausgestaltung sowie mit Prinzipien und zentralen Bereichen der Wirtschaftsordnungspolitik schafft für den von Watrtn angesprochenen Prozeß des Ringens mit Argumenten insofern eine entscheidende Voraussetzung, als die Urteilsfähigkeit, in welchem Maße „Wege aus der Gefahr" (E. Eppler) Wege zu einer neuen Wirtschaftsordnung sein müssen, gefördert wird. So gibt es einerseits Anhaltspunkte dafür, daß zentrale Zukunftsprobleme ordnungsindifferente Erscheinungen sind. Man kann nämlich sowohl in Marktwirtschaften als auch in sozialistischen Planwirtschaften, und somit unabhängig von der realisierten Wirtschaftsordnung, Grenzen des ökonomischen und sozialen Wachstums, knapper gewordene Verteilungsspielräume und - in Abhängigkeit vom Industrialisierungsgrad - Beeinträchtigungen der Lebensqualität durch Umweltbelastungen feststellen. Andererseits können bestimmte Zukunftsprobleme unserer marktwirtschaftlichen Ordnung auch darauf zurückgeführt werden, daß es im Sinne einer „Fassade der Begriffe" (L. Erhard, S. 146) zu Abweichungen zwischen gesellschaftlich anerkanntem Leitbild und der Realität gekommen ist. Hierfür ist neben der ausgeweiteten staatlichen Wirtschaftstätigkeit die in den westlichen Industrienationen fortgeschrittene wirtschaftliche Konzentration vor allem bei Großunternehmen deutlicher Beleg. Begründet werden die Divergenzen von Leitbild und wirtschaftlicher Wirklichkeit nicht durch eine prinzipiell mangelnde Umsetzbarkeit des marktwirtschaftlichen Leitbildes, sondern durch das Versäumnis, ordnungspolitische Konzeptionen für einzelne Bereiche marktwirtschaftlicher Gestaltung konsequent in der politischen Praxis umzusetzen beziehungsweise detailliert genug zu entwickeln. Neben der Schaffung der Grundlagen für eine ordnungstheoretische Problembeurteilung fördert die Beschäftigung mit Wirtschaftsordnungen ganz allgemein den Erkenntnisfortschritt: • Die Charakterisierung von Wirtschaftsordnungen erleichtert die Informationsauswertung und Informationsaufbereitung. Ohne eine Systematisierung von Wirtschaftsordnungen könnte die Fülle des heute angebotenen empirischen Materials über die einzelnen nationalen Wirtschaftsordnungen kaum ausgewertet und vergleichbar gemacht werden.
Zur Bedeutung der Beschäftigung mit Wirtschaftsordnungen
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• A u f der Grundlage wirtschaftsordnungstheoretischen Wissens ist es m ö g l i c h , zu b e u r t e i l e n , wie realitätsnah eine T h e o r i e ist. Man ist in der L a g e zu erkenn e n , o b die T h e o r i e den prägenden M e r k m a l e n der b e t r e f f e n d e n Wirtschaftso r d n u n g R e c h n u n g trägt. • Bei gleicher oder ähnlicher Ausprägung von konstitutiven Wirtschaftsordn u n g s m e r k m a l e n k ö n n e n für andere Volkswirtschaften entwickelte Erklärungen u n d Therapien begründet zur A n w e n d u n g auf die e i g e n e Wirtschaftsordnung übertragen w e r d e n .
Literatur E. Eppler: Wege aus der Gefahr, Reinbek bei Hamburg 1981. L. Erhard: Stile in der Wirtschaftspolitik - Ein Beitrag zur Überwindung einer unzureichenden Systematik, in: Wirtschaftspolitik. Wissenschaft und politische Aufgabe, hrsg. v. H. Körner u.a., Bern 1976, S. 145ff. O. Issing (Hrsg.): Zukunftsprobleme der Sozialen Marktwirtschaft, Berlin 1981. H. Lantpert unter Mitarbeit von D. Schönwitz: Volkswirtschaftliche Institutionen, München 1980. A . Müller-Armack: Die Wirtschaftsordnung, sozial gesehen. Denkschrift vom 1. Juli 1947, wiederabgedruckt in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, hrsg. v. W. Stützel, Chr. Watrin, H . Willgerodt und K. Hohmann, Stuttgart-New York 1981, S. 19ff. (Seitenangaben bei Zitaten im Text beziehen sich auf den Wiederabdruck). H. J. Thieme: Makroökonomische Instabilitäten. Erscheinungsformen, Ursachen und Konzepte ihrer Bekämpfung, in: B R D - D D R . Die Wirtschaftssysteme, hrsg. v. H. Hamel, 3. Aufl., München 1979, S. 212ff. Chr. Watrin: Zur Rolle organisierter und nicht organisierter Interessen in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Soziale Marktwirtschaft im Wandel, hrsg. v. E. Tuchtfeldt, Freiburg 1973, S. 69ff.
1. Kapitel Die Grundbegriffe 1.1 Wirtschaftssystem und Wirtschaftsordnung In der Literatur hat sich noch kein.einheitlicher Sprachgebrauch in bezug auf die Begriffe Wirtschaftssystem und Wirtschaftsordnung durchgesetzt. Vor allem im angelsächsischen Sprachraum werden diese Begriffe teilweise synonym verwendet. Demgegenüber wird in der deutschsprachigen Nationalökonomie vor allem im Anschluß an die Arbeiten Hensels und unter dem Einfluß von Gedankengängen der einzelne Wissenschaften übergreifenden Allgemeinen Systemtheorie zunehmend eine Differenzierung der Begriffe Wirtschaftsordnung und Wirtschaftssystem vertreten. Bei der Begriffsklärung sind zunächst folgende Tatbestände zu berücksichtigen: (1) Menschliches Handeln in den unterschiedlichsten Bereichen vollzieht sich aller Erfahrung nach geordnet und ist nur im Rahmen der jeweils geltenden Ordnung erklärbar. „Würden wir von oben die Erde betrachten und das erstaunliche Gewimmel von Menschen, die Verschiedenheit der Beschäftigungen, das Ineinandergreifen der Tätigkeiten, so wäre die erste Frage: im Rahmen welcher Ordnung vollzieht sich alles dieses? Eine solche Frage ist richtig gestellt. Wir können nichts Sinnvolles über alles das, was sich da unten abspielt, aussagen, wenn die Ordnung unbekannt bleibt." (W. Eucken, 1965, S. 50, Betonung im Original) (2) Der Nachweis einer gesonderten ökonomischen Leistung, einer spezifisch ökonomischen Funktion, ist Voraussetzung für die Abgrenzung wirtschaftlicher Ordnungen von anderen Ordnungen des menschlichen Handelns. „Aufgabe und Sinn des Wirtschaftens besteht angesichts der selbst in hochentwickelten Volkswirtschaften nach wie vor bestehenden Knappheit an Gütern zur Erreichung menschlicher Zwecke darin, einen nach Qualität und Dringlichkeit höchst vielgestaltigen Gegenwarts- und Zukunftsbedarf... mit den vorhandenen, im Vergleich zum Bedarf knappen Mitteln bestmöglich zu decken." (H. Lantpert, 1981, S. 22) (3) Das wirtschaftliche Geschehen ist mit dem Geschehen in allen Bereichen einer Gesellschaft eng verbunden. Diese Verflechtung ergibt sich nicht nur aus der „ökonomischen Bedingtheit aller Ziele der Daseinsgestaltung" (K. P. Hensel, 1975, S. 231), sondern auch aus der Bestimmtheit des Gestaltungsspielraumes bei der Errichtung einer Gesamtordnung der Wirtschaft durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie beispielsweise Mentalität und Bildungsstand der Bevölkerung. Wirtschaft ist somit immer verknüpft mit außerökonomischen Faktoren und durch diese auch in entscheidender Weise modifiziert. Mit Hilfe des Ansatzes der Allgemeinen Systemtheorie kann diesen drei Tatbeständen bei der Abgrenzung der Begriffe Wirtschaftssystem und Wirtschafts-
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1. Kap.: D i e Grundbegriffe
Ordnung Rechnung getragen werden. Unter Rückgriff auf die systemtheoretische Konzeption läßt sich der Begriff des Wirtschaftssystems nämlich als zielgerichtetes, offenes - d.h. mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen und mit der gesellschaftlichen Umwelt in Beziehung stehendes - System zur Minderung der Knappheit der Mittel durch Beschaffung, Bereitstellung und Verteilung von ökonomischen Gütern fassen. Betrachtet man die Anordnung der einzelnen Elemente innerhalb eines Systems, so kann man die jeweils vorliegende Art des Aufbaus als Ordnung bezeichnen. Diese Vorgehensweise führt zu einer Trennung zwischen Ordnung (Aufbau, Organisation) und Ablauf (Prozeß, Geschehen). Somit wird der Begriff des Systems weiter gefaßt als der Ordnungsbegriff: Unter den Begriff des Wirtschaftssystems ist die Wirtschaftsordnung einerseits und das wirtschaftliche Geschehen andererseits zu subsumieren. Die Wirtschaftsordnung erscheint als ein Teil der Organisation der Gesellschaft, als ein Gerüst, das den Rahmen für den Ablauf der Prozesse des zielgerichteten Wirtschaftssystems bildet. Mit diesem Ansatz werden über die Schaffung begrifflicher Klarheit hinaus Prioritäten für die Analyse und Beurteilung wirtschaftlicher Erfolge und Probleme gesetzt. Die Konsequenz daraus, daß die Wirtschaftsordnung als Rahmen für das wirtschaftliche Geschehen angesehen wird, ist, daß alle Wirtschaftssysteme eben weil das wirtschaftliche Geschehen ordnungsbedingt ist - zunächst als Ordnungssysteme zu deuten sind. Diese Ordnungsbedingtheit des wirtschaftlichen Geschehens ist Begründung für die große wissenschaftliche und praktische Bedeutung der Auseinandersetzung mit Wirtschaftsordnungen und mit wirtschaftsordnungspolitischen Prinzipien und Problemstellungen.
1.2 Abgrenzung gesellschaftlicher Teilsysteme Weil das wirtschaftliche Geschehen mit dem Geschehen in allen übrigen Bereichen der Gesellschaft eng verbunden ist, liegt es nahe, den Systemgedanken nicht nur zur Strukturierung des Wirtschaftssystems anzuwenden, sondern darüber hinaus die gesamte Gesellschaft als Gebilde vielfältig untereinander verflochtener sozialer Teilsysteme aufzufassen. Menschen können dabei als Systemelemente angesehen werden. Sie sind in diesem Gesellschaftssystem dann „mehrfunktionale Einheiten" (E. Heimann, S. 29), deren Aktivitäten über das wirtschaftliche System hinaus in andere Teilsysteme hineinreichen. In einer Mindestklassifikation kann man drei gesellschaftliche Teilsysteme unterscheiden: • das Wirtschaftssystem, • das politisch-administrative System und • das sozio-kulturelle System. Das Wirtschaftssystem stellt auf das Zusammenwirken der einzelnen Wirtschaftseinheiten zur Beschaffung, Bereitstellung und Verteilung von ökonomischen Gütern ab. Das politisch-administrative System ist dagegen ausgerichtet auf das auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen beruhende, planvolle Handeln staatlicher und anderer mit hoheitlicher Befugnis ausgestatteter Instanzen im Sinne leitender, für alle Gesellschaftsmitglieder verbindlicher Tätigkeiten, mit dem Ziel, eine bestimmte Gestaltung der Gesellschaft zu bewirken. Zwecksetzung von Ordnung und Geschehen des sozio-kulturellen Systems ist die Befriedigung
1. K a p . : D i e G r u n d b e g r i f f e
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der Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder nach kulturellen Werten, z . B . familiärer, künstlerischer, wissenschaftlicher oder religiöser Art. Diese Abgrenzung läßt zunächst den Eindruck einer völligen Getrenntheit der gesellschaftlichen Teilsysteme entstehen. Eine solche Vorstellung würde jedoch nicht der Realität entsprechen. Abgesehen davon, daß die Gesellschaftsmitglieder als „mehrfunktionale Einheiten" Verbindungen schaffen, kommt es bei der tatsächlichen Ausgestaltung der gesellschaftlichen Teilsysteme zu Überschneidungen. Dies sei am Beispiel der hier besonders relevanten Beziehungen zwischen Wirtschaftssystem und politisch-administrativem System erläutert (vgl. Übersicht 1). Ü b e r s i c h t 1: B e z i e h u n g e n zwischen W i r t s c h a f t s s y s t e m und politisch-administrativem
Sy-
stem Ordnungs-und prozeßbezogene Steuerleistungen
Beeinflussung politisch-administrativer Entscheidungen durch (organisierte) E l e m e n t e des Wirtschaftssystems
Nach der oben gegebenen Definition für das politisch-administrative System würde dessen zentrale Funktion in einer gleichsam „von außen" ausgeübten Steuerungsleistung bestehen. Im Rahmen dieser Steuerungsleistung ist es primäre und angesichts sich ändernder Umweltbedingungen ständig gestellte Aufgabe des politisch-administrativen Systems, der Wirtschaftsordnung eine bestimmte Gestalt zu geben und dafür zu sorgen, daß die Spielregeln der Ordnung eingehalten werden (ordnungsbezogene Steuerungsleistung). Falls das Wirtschaftssystem aus sich heraus, d.h. ohne staatliche Eingriffe, nicht die Erfüllung gesellschaftlich
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1. Kap.: D i e Grundbegriffe
anerkannter Zielvorstellungen gewährleistet, also ohne politisch-administrative Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens nicht „optimal" funktioniert, umfaßt die Steuerungsleistung darüber hinaus einen wirtschaftspolitischen Interventionismus (prozeßbezogene Steuerungsleistung). Solche staatlichen Maßnahmen sollen dann die Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele wie Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Wirtschaftswachstum sicherstellen. Ü b e r diese Form gleichsam von außen wahrgenommener ordnungs- und prozeßbezogener Steuerungsleistungen hinaus ist es jedoch denkbar, daß der Staat seine Steuerungsaufgabe in der Weise ausdehnt, daß durch das politisch-administrative System auch Wirtschaftssystemaufgaben selbst übernommen werden. Auch durch das politisch-administrative System werden ökonomische Güter beschafft, bereitgestellt und verteilt. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn durch den Staat knappe Güter wie Bildungsleistungen angeboten und mit Annahmezwang versehen werden (Schulpflicht), weil davon ausgegangen wird, daß die Gesellschaftsmitglieder aufgrund eigener Einsicht diese Güter nicht in dem Maße nachfragen oder anbieten würden, wie es zur Sicherung des Bestandes des Gemeinwesens oder zur Erfüllung von Gemeinwohlzielsetzungen erforderlich ist. Die Ausgestaltung von Maßnahmen der sozialen Sicherung (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung) als staatlich organisierte Zwangsversicherung und die hoheitliche Bereitstellung von Infrastrukturleistungen sind andere prägnante Beispiele für die Übernahme von Wirtschaftssystemaufgaben durch den Staat. Die durchgeführte Unterscheidung zwischen Wirtschaftssystem und politischadministrativem System wird dadurch jedoch nicht in Frage gestellt. Es wird vielmehr die Variabilität der Systemgrenzen, der Trennungslinie zwischen Staat und Wirtschaft deutlich. Das Ausmaß, in dem Wirtschaftssystemaktivitäten zu Teilaktivitäten des politisch-administrativen Systems werden, sich also das Wirtschaftssystem mit dem politisch-administrativen System überschneidet, ist eine Frage gesellschaftspolitischer Gestaltung. Zu Überschneidungen von Wirtschaftssystem und politisch-administrativem System kommt es auch dann, wenn politische Entscheidungsbefugnisse an Elemente des Wirtschaftssystems delegiert werden. Dies ist beispielsweise im Rahmen der kollektiven Lohnverhandlungen der Fall, wenn die Tarifautonomie - wie in der Bundesrepublik Deutschland - so ausgestaltet ist, daß die ausgehandelten Arbeitsbedingungen auch für Nicht-Organisierte als Mindestnormen verbindlich gemacht werden können. Die am weitesten gehende Überschneidung von Wirtschaftssystem und politischem System stellt der Extremfall einer politisch-administrativ absorbierten Wirtschaft dar. Die Wirtschaft „wird vom Staat vollkommen aufgesaugt. Er nimmt sie in sich auf, absorbiert sie ... Der Staat wird zum Wirtschaftsstaat, die Wirtschaft zur Staatswirtschaft... Der Staat steht nicht mehr außerhalb der Wirtschaft, weil er sie vollkommen in sich aufgenommen hat." (W. Meinhold, S. 74) In diesem Fall wäre das Wirtschaftssystem mit entsprechender Ausgestaltung seiner Bestandteile, z.B. als Regiebetriebe der öffentlichen Verwaltung, Element des politisch-administrativen Systems und damit ein System niederer Ordnung innerhalb des politisch-administrativen Systems. Neben der Bestimmung des Wirtschaftsablaufs und der Wirtschaftsordnung durch politische Einflüsse bestehen in umgekehrter Richtung Möglichkeiten der
1. Kap.: D i e Grundbegriffe
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Beeinflussung politisch-administrativer Entscheidungen durch (organisierte) Elemente des Wirtschaftssystems. Dieser Wirkungszusammenhang kann durch die jeweilige politische Konstitution verstärkt werden. So muß eine Regierung in einer Demokratie auf Wählerwünsche und Interessengruppen Rücksicht nehmen, weil sonst die Gefahr besteht, daß sie im Wettbewerb mit anderen Parteien abgewählt wird oder an Einfluß einbüßt. Es besteht deshalb in demokratischen Mehrparteiensystemen eine Tendenz, daß Regierungen die ihnen zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Instrumente auch mit dem Ziel einsetzen, wiedergewählt zu werden; mit der Folge, daß vor allem in Abhängigkeit von der Organisationsfähigkeit und vom Organisationsgrad der wirtschaftlichen Interessen die Möglichkeit einer „Steuerung" des politisch-administrativen Systems im Sinne von spezifischen wirtschaftlichen Interessen besteht. Daraus können sich Probleme bei der konsequenten Durchsetzung wirtschaftspolitischer Konzeptionen - insbesondere wirtschaftsordnungspolitischer Konzeptionen - ergeben (vgl. dazu Abschnitt 5.1).
1.3 Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung Wenn man die Aufgabe, der Wirtschaftsordnung eine bestimmte Gestalt zu geben und dafür zu sorgen, daß die Spielregeln des Systems eingehalten werden, als einen wesentlichen Bestandteil der politisch-administrativen Steuerungsleistung betrachtet, wird deutlich, daß die Ordnung der Wirtschaft auch als „rechtschöpferische Leistung" (F. Böhm) gesehen werden muß. Den rechtlichen Aspekten der Vermittlung von Beständigkeit im Wirtschaftsleben wird durch den Begriff der Wirtschaftsverfassung Rechnung getragen. Die Wirtschaftsverfassung stellt den Inbegriff der Normen dar, deren Zweck es ist, das rechtliche Verhalten von Einzelnen und Gruppen in einem bestimmten Sinn zu beeinflussen und das Zusammenwirken der wirtschaftlichen Einheiten untereinander zu ordnen. Die in der Staatsverfassung enthaltenen wirtschaftlich relevanten Normen können als Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne angesehen werden, während die rechtliche Ordnung der Wirtschaft als Komplex von ökonomisch relevanten Normen und Rechtsverhältnissen unterschiedlichen Ranges (Verfassungs-, Gesetzesoder Verordnungsrecht) als Wirtschaftsverfassung im weiteren Sinne bezeichnet werden kann. Somit werden die ökonomischen Gegebenheiten durch die Wirtschaftsverfassung mit konstituiert. Bezüglich des Verhältnisses von Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung gilt jedoch, daß die Wirtschaftsverfassung enger als die Wirtschaftsordnung ist, weil die Herrschaft des Rechts über die sozialen Zustände begrenzt ist. Diese Differenzierung ist besonders für liberale Gesellschaften von Bedeutung, in denen die Bildung „spontaner Ordnungen" als elementarer Bestandteil der Freiheit betrachtet wird. Solche spontanen beziehungsweise privaten Ordnungen sind allerdings keine der staatlichen Zuständigkeit völlig entzogene Bereiche. Es sind vielmehr Bereiche, in denen der Entwurf zwar dem Nächstbeteiligten überlassen wird, der Staat jedoch das Ergebnis durch ein mittelbares Regelungssystem steuert, das aus abstrakten und allgemeinen Verhaltensregeln besteht, die eine klarumrissene Privatsphäre für jeden einzelnen sichern. „Wenn
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1. Kap.: Die Grundbegriffe
eine Ordnung unter Menschen dadurch zustande kommt, daß sie untereinander nach eigener Initiative zusammenwirken können - wobei sie nur den Gesetzen unterworfen sind, die für sie alle gelten - , haben wir ein System der spontanen Ordnung in der Gesellschaft. Wir können dann sagen, daß die Bemühungen dieser Individuen koordiniert werden, indem sie ihre persönliche Initiative ausüben, und daß diese Selbstkoordination diese Freiheit aus sozialen Gründen rechtfertigt. - Wir nennen das Handien solcher Individuen frei, weil sie nicht durch einen besonderen Befehl bestimmt werden, weder von einem Vorgesetzten noch von einer öffentlichen Behörde; der Zwang dem sie ausgesetzt sind, ist unpersönlich und allgemein." (M. Polanyi, S. 159) Die Ursache für die Nichtidentität der Wirtschaftsverfassung mit der Wirtschaftsordnung kann sich jedoch nicht nur aus der „gewollten" Gewährung und Ausfüllung von Freiheitsspielräumen ergeben, sondern sie ist darüber hinaus in einem generellen Steuerungsdefizit des politisch-administrativen Systems begründet." Man kann zwar die Änderung von Systemstrukturen - zum Beispiel Verfassungen, Organisationsverhältnissen, Zugangsbedingungen - planen. D e r soziale Wandel aber, der sich im Zusammenspiel von System und Umwelt einstellt, entzieht sich der genauen Vorhersage und Kontrolle, und zwar deshalb, weil die Umwelt mitwirkt. So führt sozialer Wandel zu Ergebnissen, die man einerseits mitbewirkt hat und andererseits hinnehmen muß. Was man selbst gewollt hat, erscheint in den Resultaten dann als etwas, was man ertragen muß. Weil man die Verhältnisse ändern wollte, muß man sich ihnen umso mehr anpassen. Man braucht nur die Bildungsreform' in ihren Resultaten zu nennen, und ein Beispiel dafür wird jedermann vor Augen stehen." (N. Luhmann, S. 143)
1.4 Kennzeichnung wirtschaftsordnungspolitischen Handelns 1.4.1 Systematik der Wirtschaftspolitik Die Frage nach einer Systematik der Wirtschaftspolitik ist die Frage nach einer näheren Klassifizierung der Steuerungsleistung des politisch-administrativen Systems in bezug auf das Wirtschaftssystem. Diese Klassifikation kann an der in Abschnitt 1.2 getroffenen Unterscheidung einer ordnungsbezogenen und einer prozeßbezogenen Steuerungsleistung ansetzen. Wirtschaftspolitik umfaßt allgemein politisch-administratives Handeln, das auf das Wirtschaftssystem gerichtet ist und Veränderungen entweder herbeiführen oder verhindern soll. Ausgehend von der Unterscheidung in Ordnung und Ablauf kann man wirtschaftspolitisches Handeln in Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschaftsablaufpolitik unterteilen (vgl. Übersicht 2). Bei der Wirtschaftsablaufpolitik unterscheidet man zwischen globalem und strukturellem Vorgehen, weil Wirtschaftsablaufpolitik sowohl auf der Grundlage global ansetzender Mittel (Globalsteuerung zur Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Aggregate von Angebot und Nachfrage) als auch strukturell differenzierender Instrumente erfolgen kann. Während die Globalsteuerung auf die
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Übersicht 2: Systematik der Wirtschaftspolitik
quantitative Dimension von Angebot und Nachfrage ausgerichtet ist, werden von der strukturellen Ablaufpolitik qualitative und verteilungsbezogene Aspekte von Angebot und Nachfrage betont. Globalsteuerung wird beispielsweise betrieben, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage im Rahmen konjunkturpolitischer Zielsetzungen durch generelle Steuersenkungen angeregt werden soll. Die gezielte Umschulung und Fortbildung von Arbeitnehmern stellt eine qualitative Maßnahme der strukturellen Ablaufpolitik dar. Durch Beeinflussung der Qualität des Arbeitskräfteangebots soll erreicht werden, daß Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften nicht nur quantitativ übereinstimmen, sondern daß darüber hinaus die Art des Arbeitsangebots der Art der Arbeitsnachfrage entspricht. Mit Infrastrukturmaßnahmen zur Förderung der Industrieansiedlung in bestimmten Regionen des Wirtschaftsgebietes werden hingegen primär verteilungsbezogene und allokative Zielsetzungen verfolgt. Globale Ablaufpolitik ist in der Regel mit von außen wahrgenommenen Steuerungsleistungen des politisch-administrativen Systems vereinbar. Strukturelle Ablaufpolitik ist häufig - dies machen die vorstehenden Beispiele deutlich - mit der Übernahme von Wirtschaftssystemaufgaben durch den Staat, mit Überschneidungen von politisch-administrativem System und Wirtschaftssystem verbunden. Das ablaufpolitische Problem steht nicht unverbunden neben dem wirtschaftsordnungspolitischen Problem; es ist vielmehr Bestandteil der umfassenden Aufgabe, eine möglichst widerspruchsfreie Konzeption wirtschaftspolitischen Handelns zu entwerfen. Den Kern dieses Konzeptionsproblems bildet jedoch das ordnungspolitische Problem, weil: • mit den Wirtschaftsordnungsprinzipien die Ablaufpolitik hinsichtlich ihres „ordnungskonformen" Spielraumes festgelegt wird, so daß die Nachteile eines lediglich improvisierenden, punktuellen Interventionismus vermieden werden können; • die Wirtschaftsordnungspolitik unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Einordnung des Wirtschaftssystems ihre letztliche Rechtfertigung aus gesellschaftlichen Grundzielen wie zum Beispiel Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit erfährt und die politische Reaktion auf eine unzureichende
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1. Kap.: Die Grundbegriffe
Prozeßzielerfüllung somit stets unter den Nebenbedingungen der in der Gesellschaft bestehenden Grundwerte erfolgen muß. Die Unterscheidung von Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschaftablaufpolitik ist kritischen Einwänden ausgesetzt (vgl. H. Riese). Diese Kritik betont folgende beiden Gesichtspunkte: (1) Die Interdependenz von Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschaftsablaufpolitik in der Realität mache das Systematisierungsprinzip fragwürdig. (2) Die Gruppierung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums unter die Kategorien Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschftsablaufpolitik stelle einen Gegensatz zum Zweck-Mittel-Denken dar, weil dadurch Handlungsmöglichkeiten separiert werden, die gleiche Wirkungen haben können. Zu beobachtende Interdependenzen zwischen Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschaftsablaufpolitik in dem Sinne, daß ordnungspolitische Maßnahmen ablaufbeeinflussende Wirkungen haben und ablaufpolitische Handlungen ordnungsverändernde Wirkungen entfalten können, sprechen nicht grundlegend gegen das Systematisierungsprinzip. Ein hoher Grad an Interdependenzen ist generelles Merkmal entwickelter sozialer Systeme. Angesichts dieses Sachverhaltes auf Systematisierungen zu verzichten, hieße, von der Komplexität des sozialen Geschehens zu kapitulieren. Z u m zweitgenannten Einwand ist anzuführen, daß das Zweck-Mittel-Denken insofern zu differenzieren ist, als nicht nur Zwecke Gegenstand von Wertsetzungen sind, sondern auch die eingesetzten politischen Mittel wertmäßig nicht indifferent sind. Daraus ist zu schlußfolgern, daß unterschiedlich zu gewichtende Grundwertbezüge - wie im Fall der Wirtschaftsordnungspolitik und der Wirtschaftsablaufpolitik - die Separation dieser Handlungsmöglichkeiten selbst bei unterstellten gleichen Wirkungen rechtfertigen. Diese Gedankengänge münden letztlich auch in die Frage, ob es angesichts ablaufpolitischer Probleme vernünftig ist, die bestehende Wirtschaftsordnung zu verändern, statt eine Lösung der Probleme zunächst im Rahmen der realisierten Ordnung zu suchen. Es ist dies die Fragestellung nach der Zweckmäßigkeit des Prinzips der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen, die in Abschnitt 5.2.2 näher behandelt wird.
1.4.2 Geschichtsphilosophische Bezüge Der geschichtsphilosophische Bezug wirtschaftsordnungspolitischen Handelns besteht in der Frage nach der Freiheit der Gestaltung von Wirtschaftsordnungen. Freiheit zu alternativer wirtschaftsordnungspolitischer Gestaltung darf nicht mit Beliebigkeit solchen Handelns gleichgesetzt werden. Sie bedeutet vielmehr Freiheit der Entwicklung und Durchsetzung von Handlungsalternativen bei Orientierung an den naturgegebenen, technologischen und sozialen Möglichkeiten der Gestaltung des Wirtschaftslebens. Im Hinblick auf die Fragestellung nach der Freiheit der Gestaltung von Wirtschaftsordnungen lassen sich grundsätzlich zwei Denkstile unterscheiden: (1) das Denken in geschichtlichen Entwicklungsgesetzmäßigkeiten, das auf Aussagesysteme rekurriert, die den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung vorherbestimmen wollen;
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(2) das Denken in Ordnungen, dessen Grundannahme darin besteht, daß die Geltung einer bestimmten Wirtschaftsordnung auf politischen Entscheidungen beruht, die nicht durch ein wie immer beschaffenes geschichtliches Entwicklungsgesetz determiniert sind. Die Überzeugung, daß der Mensch nicht gegen die Geschichte handeln kann, wohl aber innerhalb des Spielraumes, der durch die treibenden historischen Kräfte festgelegt wird, ist wesentliche Ursache dafür, daß der Begriff „Wirtschaftspolitik" in den sozialistischen Gesellschaftssystemen Osteuropas zunächst selten gebraucht wurde. Er wird zunehmend verwendet, seitdem der (entwickelte) Sozialismus als eine „relativ selbständige sozialökonomische Formation in der historischen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus" (Autorenkollektiv, S. 188) begriffen wird und damit als eigenständiges Objekt des Entwurfs politischer Leitbildvorstellungen und Gestaltungsprinzipien anerkannt ist. Eucken hat zur „Geschichtsphilosophie der Zwangsläufigkeit" kritisch angemerkt, daß mit ihr eine der entscheidenden Tatsachen der Geschichte, nämlich die Einwirkung menschlichen Denkens auf das geschichtliche Werden, nicht ausreichend gewürdigt werde. (W. Eucken, 1968, S. 212) Im Rahmen der Wissenschaftsauffassung des Kritischen Rationalismus wurde diese Argumentationsweise präzisiert: • Jemand, der den Inhalt einer wissenschaftlichen Entdeckung vorhersagen möchte, müßte die Entdeckung selbst vorwegnehmen, so daß es schon logisch keine Theorie geben kann, die es erlaubt, den Inhalt einer echten Entdeckung vorherzusagen. • Weil der Gang der Geschichte durch wissenschaftliche Entdeckungen, durch Erkenntnisfortschritt also, stark beeinflußt wird, kann deshalb der Verlauf der Geschichte mit den Mitteln der Wissenschaft nicht vorhergesagt werden. • Auch der Fortschritt der Wissenschaft kann diese Unmöglichkeit nicht beseitigen, zumal er selbst wesentlicher Grund für die Unvorhersagbarkeit des Verlaufes der Geschichte ist. (vgl. H. Albert, S. 17f.; K. R. Popper, S. Xlf.) Nach dieser Auffassung besteht die Aufgabe des Denkens in Ordnungen und rationaler Argumentation in der Wirtschaftsordnungspolitik nicht darin, „... zu demonstrieren, daß man sich im Einklang mit dem Sinn der Geschichte, also gewissermaßen auf der Seite der siegreichen Kräfte - der Kinder des Lichts, nicht der Kinder der Finsternis - befindet, sondern darin, daß man versucht, in möglichst klarer Weise realisierbare Alternativen aufzuzeigen und auf ihre Vorzüge und Nachteile hinzuweisen. Nur auf dieser Grundlage scheint ... eine undogmatische Ordnungspolitik möglich zu sein." (H. Albert, S. 23)
Literatur H. Albert: Ordnung ohne Dogma. Wissenschaftliche Erkenntnis und ordnungspolitische Entscheidung, in: Wirtschaft und Gesellschaft. Ordnung ohne Dogma, hrsg. v. E . Arndt u.a., Tübingen 1975, S.3ff. Autorenkollektiv: Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der D D R , Berlin (Ost) 1969. F. Böhm: Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und als rechtschöpferische Leistung, Stuttgart-Berlin 1933.
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R. Ertel: Volkswirtschaftslehre. Einführung in die Denkweise und aktuelle Fragestellungen am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, München-Wien 1979. W. Eucken: Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl., Berlin 1965. W. Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., Tübingen-Zürich 1975. B. Chr. Funk: Über die Rolle der juristischen Verfassung als Freiheitsgarant, in: Z u r Theorie marktwirtschaftlicher Ordnungen, hrsg. v. E. Streißler und Chr. Watrin, Tübingen 1980, S. 446ff. G. Gutmann: Volkswirtschaftslehre. Eine ordnungstheoretische Einführung, Stuttgart u.a. 1981. E. Heimann: Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, Tübingen 1963. K. P. Hensel: Grundformen der Wirtschaftsordnung. Marktwirtschaft-Zentralverwaltungswirtschaft, 3. Aufl., München 1978. K. P. Hensel: Über die sozialwissenschaftliche Bestimmung von Wirtschaftssystemen, in: Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, hrsg. v. H. Sauermann und E.-J. Mestmäcker, Tübingen 1975, S. 227ff. K. O. Hondrich: Systemtheorie als Instrument der Gesellschaftsanalyse, in: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, hrsg. v. F. Maciejewski, Frankfurt 1973, S. 88ff. D. Karsten: Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsordnungstypus und Wirtschaftsgestalt. Ein Versuch zur Klärung der Begriffe, in: Schmollers Jahrbuch, 1968, S. 129ff. T. C. Koopmans und J. M. Montias: On the Description and Comparison of Economic Systems, in: Comparison of Economic Systems. Theoretical and Methodological Approaches, hrsg. v. A. Eckstein, Berkeley u.a. 1971, S. 27ff. H. Lantpert: Die Wirtschaftsordnung. Begriff, Funktionen und typologische Merkmale, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 1973, S. 393ff. H. Lantpert: Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., München-Wien 1981. H. Leipold: Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Vergleich, 2. Aufl., Stuttgart 1980. N. Luhmann: Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München-Wien 1981. N. Luhmann: Wirtschaft als soziales System, in: Systemanalyse in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, hrsg. v. K.-E. Schenk, Berlin 1971, S. 136ff. W. Meinhold: Volkswirtschaftspolitik. Theoretische Grundlagen der Allgemeinen Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., München 1970. M. Polanyi: The Logic of Liberty, London 1951. K. R. Popper: Das Elend des Historizismus, 3. Aufl., Tübingen 1971. H. Riese: Ordnungsidee und Ordnungspolitik. Kritik einer wirtschaftspolitischen Konzeption, in: Kyklos, 1972, S. 24ff. H. J. Thieme: Wirtschaftssysteme, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, München 1980, S. lff. E. Tuchtfeldt: Wirtschaftssysteme, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, hrsg. v. W. Albers u.a., Bd. 9, Stuttgart u.a. 1982, S. 326ff. G. Weippert: Instrumentale und kulturtheoretische Betrachtung der Wirtschaft, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 1950, S. 30ff. H. F. Zacher: Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, hrsg. v. H . Coing u.a., Karlsruhe 1965, S. 63ff.
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Kontrollaufgaben 1. Definieren Sie ausgehend von der Allgemeinen Systemtheorie den Begriff Wirtschaftsordnung! 2. Welche Konsequenz hat die Ordnungsbedingtheit des wirtschaftlichen Geschehens für die Analyse von Wirtschaftssystemen? 3. Weshalb sind Menschen als Elemente des Wirtschaftssystems mehrfunktionale Einheiten? 4. Aus welchen Gründen kommt es in der Realität zu Überschneidungen von politisch-administrativem System und Wirtschaftssystem? 5. Können Sie sich unter einer staatlich-absorbierten Wirtschaft etwas vorstellen? 6. Was versteht man unter spontanen Ordnungen? 7. „Durch die Einteilung wirtschaftspolitischen Handelns in Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschaftsablaufpolitik werden Handlungsmöglichkeiten separiert, die gleiche Wirkungen haben können." Ist dies ein berechtigter Einwand gegen die Unterscheidung von Wirtschaftsordnungspolitik und Wirtschaftsablaufpolitik? 8. Wodurch ist das Denken in Ordnungen charakterisiert? 9. Inwiefern wird im Rahmen der „Geschichtsphilosophie der Zwangsläufigkeit" die Bedeutung des Erkenntnisfortschritts für das geschichtliche Werden nicht ausreichend gewürdigt? 10. Wie ist nach der Wissenschaftsauffassung des Kritischen Rationalismus eine Wirtschaftsordnungspolitik ohne Dogma zu konzipieren?
2. Kapitel Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen 2.1 Wirtschaftsordnungen und menschliche Grundbedürfnisse Wenn man die Aussage Euckens, daß sich nichts Sinnvolles über das Wirtschaftsleben aussagen läßt, wenn die Ordnung unbekannt bleibt (vgl. W. Eucken, 1965, S. 50), zum Anlaß der näheren Auseinandersetzung mit Wirtschaftsordnungen nimmt, ergibt sich daraus nicht allein die Fragestellung nach der Art der Ordnung, nach der konkreten Ausgestaltung des Rahmens für den Ablauf der wirtschaftlichen Prozesse. Um den Anspruch, „Sinnvolles über das Wirtschaftsleben" auszusagen, erfüllen zu können, ist es darüber hinaus erforderlich, sich grundsätzlich mit der Problematik der Einflußfaktoren auf die Entwicklung von wirtschaftlichen Ordnungen zu befassen. Es ist dies die Frage danach, welche Triebkräfte in der geschichtlichen Entwicklung, d.h. über längere Zeiträume hinweg, dafür verantwortlich sind, daß sich Wirtschaftsordnungen in einer bestimmten Weise herausbilden. In diesem Abschnitt wird begründet, inwiefern menschliche Grundbedürfnisse als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen anzusehen sind. In den folgenden beiden Abschnitten werden gesellschaftstheoretische Grundlagen der Ordnungsgestaltung sowie Wirtschaftsverfassung, „Property Rights" und Kostenkalküle als Impulse zur Entwicklung von Wirtschaftsordnungen behandelt. Ansatzpunkt der Betrachtung von menschlichen Bedürfnissen als geschichtlich säkular wirkende Einflußfaktoren zur Herausbildung von Arten der Wirtschaftsordnung ist die Feststellung, daß der Mensch sich als bedürftiges Wesen in der Welt vorfindet. Indem das Lebewesen Mensch lernt, seine Umwelt zu beherrschen und für die Erfüllung seiner Bedürfnisse dienstbar zu machen, verfestigen sich die hinsichtlich der Bedürfnisbefriedigung geeigneten (funktionalen) Handlungsabläufe in Institutionen, die durch diese Normierung des Verhaltens Beständigkeit und Kontinuität erlangen. In dieser Perspektive sind die gesellschaftlichen Teilordnungen, also auch die Wirtschaftsordnung, stets in Bezug zum menschlichen Bedürfnissystem zu sehen und zu beurteilen. Zwei Zitate sollen diesen Ansatz verdeutlichen: • „Bei jeder Tätigkeit sehen wir, daß die Benutzung eines Dings als Teil eines technologisch, legal oder rituell bestimmten Verhaltens dem Menschen zur Befriedigung irgendeines Bedürfnisses verhilft." (B. Malinowski, S. 26) • „Erfordernisse und Bedürfnisse gehen immer in Richtung vom einzelnen Individuum oder den Gruppen, in denen sie sich zusammengeschlossen haben, zu der jeweiligen Organisationsform; sie sind die Richtlinien für deren ständige Entwicklung." (M. Th. Greven, S. 48f.)
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Wenn menschliche Bedürfnisse als Richtlinien für die ständige Entwicklung von Wirtschaftsordnungen identifiziert werden, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, welcher Art die Bedürfnisse sind, die Menschen in bezug auf gesellschaftliche Ordnungen und damit auch in bezug auf die Wirtschaftsordnung artikulieren können. Das Bemühen um die Unterscheidung von menschlichen Bedürfnissen reicht bis in die Ursprünge der systematisch betriebenen Analyse des Wirtschaftens zurück. In der sozialwissenschaftlichen Literatur hat in diesem Zusammenhang das Konzept der „basic human needs" weite Verbreitung gefunden. Dieses Konzept geht auf Maslow zurück. Maslow unterscheidet folgende fünf menschliche Grundbedürfnisse: (1) Physiologische Bedürfnisse Physiologische Bedürfnisse sind Bedürfnisse, deren Befriedigung unmittelbar die Existenzerhaltung des Einzelnen sichert. Dazu gehören Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und Wärme. (2) Sicherheitsbedürfnisse Zu den Sicherheitsbedürfnissen zählen die Bedürfnisse nach Schutz vor Gefahren und nach einer vorhersehbaren, geordneten Welt, in der die kontinuierliche Befriedigung der grundlegenden menschlichen Bedürfnisse gewährleistet ist. Sie äußern sich nach Maslow beispielsweise in dem Wunsch nach einem sicheren Beruf, nach gesichertem Einkommen, nach einer Altersversorgung und nach einem Sparkonto. (3) Sozio-emotionale Bedürfnisse Mit dieser Kategorie sollen die Bedürfnisse des Menschen als gesellschaftliches Wesen erfaßt werden; also der Wunsch nach Zuneigung, Freundschaft, nach Gruppenzugehörigkeit - auch im Arbeitsleben - und nach Geselligkeit. (4) Bedürfnisse nach Ansehen Die Bedürfnisse nach Ansehen betreffen die Selbstachtung und die Achtung durch andere. Hierunter zählt Maslow auch den Wunsch nach Unabhängigkeit und Freiheit. (5) Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung Maslow definiert Selbstverwirklichung als „... fortschreitende Verwirklichung der Möglichkeiten, Fähigkeiten und Talente, als Erfüllung einer Mission oder einer Berufung, eines Geschicks, eines Schicksals, eines Auftrags, als bessere Kenntnis und A u f n a h m e der eigenen inneren Natur ..." (A. H. Maslow, 1973, S. 41) Als Beispiele werden schöpferische und künstlerische Bestrebungen genannt. Während es bei den physiologischen Bedürfnissen und bei den Sicherheitsbedürfnissen leicht fällt, Bezüge zum Wirtschaftssystem und zur Wirtschaftsordnung herzustellen, erscheint es möglicherweise ungewohnt sozio-emotionale Bedürfnisse, Bedürfnisse nach Ansehen und Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung als Richtlinien für die ständige Entwicklung von Wirtschaftsordnungen zu sehen. Dies ist jedoch Ausdruck einer ökonomistischen Verengung der Perspektive, bei der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nach ökonomischen Gütern in den Vordergrund der Auseinandersetzung mit Wirtschaftssystem und Wirtschaftsordnung tritt. Über die spezifisch ökonomische Problemstellung der bestmöglichen Minderung der Knappheit an Gütern hinaus werden auf der Grundlage des gesamten menschlichen Bedürfnissystems die Bezugspunkte gewonnen, mit deren Hilfe die Wirtschaftsordnung als gesellschaftliche Teilordnung begriffen und erfaßt werden kann, die nicht nur den „ökonomischen" Bedürfnissen der
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Menschen Rechnung zu tragen hat. In dieser Sichtweise sind z.B. im Rahmen der jeweiligen Wirtschaftsordnung bestehende Möglichkeiten der Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte Ordnungsmerkmale, die über die Befriedigung von physiologischen Bedürfnissen und Sicherheitsbedürfnissen hinausgehen. Mit der möglichst umfassenden Unterscheidung menschlicher Bedürfnisse werden nicht nur Einflußfaktoren auf die Entwicklung von Wirtschaftsordnungen näher spezifiziert. Mit Hilfe dieser Bedürfnisklassifikation können auch prägende Merkmale von Wirtschaftsordnungen begründet ausgewählt werden (vgl. Kapitel 3).
2.2 Geistige Grundlagen der Wirtschaftsordnungen Die konkrete Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen wird nicht nur individualistisch durch die Artikulation und das Wirken menschlicher Bedürfnisse im Zeitablauf bestimmt. Es kann nämlich durchaus Auffassungsunterschiede darüber geben, welche Bedürfnisarten mit welchem Gewicht als Richtlinien der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen Berücksichtigung finden sollen und wie bestimmte Bestandteile der Wirtschaftsordnung und die Wirtschaftsordnung insgesamt ausgestaltet sein müssen, damit den menschlichen Bedürfnissen optimal Rechnung getragen wird. Solche Auffassungsunterschiede bezüglich der anzustrebenden Ausprägung von Wirtschaftsordnungsbestandteilen, der „bedürfnisgerechten" Wirtschaftsordnung, sind letztlich in unterschiedlichen gesellschaftstheoretischen Konzeptionen verankert. Das bedeutet, daß „jenseits von Angebot und Nachfrage" jede Ordnung in geistigen, politischen und ethischen Überzeugungen ruht, die zum vollständigen Verständnis von Wirtschaftsordnungen Berücksichtigung finden müssen (W. Röpke). Zwei gesellschaftstheoretische Grundauffassungen haben seit der Industrialisierung einen bestimmenden Einfluß auf die Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ausgeübt: • die liberale Gesellschaftstheorie und • die marxistisch-leninistische Gesellschaftstheorie.
2.2.1 Die liberale Gesellschaftstheorie Charakteristisch für die liberale Gesellschaftstheorie als politisch-soziale Grundhaltung ist eine tiefverwurzelte Skepsis gegenüber Einrichtungen und Normen in Wirtschaft und Politik soweit sie nicht dem Bild einer auf individuelle Initiative und Selbstbestimmung sowie auf der Unverletzbarkeit des Privateigentums, speziell an Produktionsmitteln, gegründeten Wirtschaftsordnung entsprechen. Der Liberalismus entwickelte sich als Gegenbewegung zu dem fürstlichen Unterwerfungsanspruch des Absolutismus im 17. Jahrhundert zunächst in England. Sein zentrales Postulat besteht in der Grundannahme, daß die Menschen aufgrund eigener Einsicht in der Lage sind, ihr gesellschaftliches Zusammenleben in effizienter Weise zu ordnen. Die Präzisierung dieser Ausgangshypothese hin zu einer gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Konzeption ist maßgeblich mit den Namen
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John Locke (1632-1704), David Hume (1711-1776) und Adam Smith (1723-1790) verbunden, wobei insbesondere Adam Smith mit seinem Werk „Wealth of Nations" die Umsetzung des liberalen Programms auf wirtschaftliche Beziehungen leistete. Im Rahmen der wirtschaftspolitischen Konzeption, die sich aus dem Wirken und den Veröffentlichungen dieser Klassiker ableiten läßt, soll der Staat die institutionellen Bedingungen für ein funktionsfähiges System der spontanen Ordnung des Wirtschaftslebens schaffen. Er soll nur in Ausnahmefällen in die Selbstkoordiniening des Wirtschaftens eingreifen und allenfalls dann Wirtschaftssystemaufgaben übernehmen, wenn diese Aufgaben aufgrund mangelnder privatwirtschaftlicher Rentabilität von den Wirtschaftssubjekten selbst nicht übernommen werden. So hielt es Adam Smith für erforderlich, daß durch das politisch-administrative System öffentliche Einrichtungen geschaffen werden und öffentliche Arbeiten vollzogen werden, die der Privatinitiative deswegen nicht überlassen bleiben können, weil sie sich für einzelne Wirtschaftseinheiten nicht rentieren, für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems aber dennoch unerläßlich sind. Smith hat in diesem Zusammenhang auf Infrastrukturleistungen, wie Schiffahrtswege, Häfen und das Erziehungswesen hingewiesen. Die nach der Gesellschaftstheorie des Liberalismus anzustrebende Wirtschaftsordnung ist hinsichtlich ihrer Beziehungen zum politisch-administrativen System somit durch eine möglichst weitgehende Trennung von Staat und Wirtschaft charakterisiert. Überschneidungen von Wirtschaftssystem und politischadministrativem System sind so gering wie möglich zu halten, eben weil man davon überzeugt war, daß eine spontane, aufgrund autonom handelnder Individuen zustandekommende Ordnung nicht nur möglich, sondern auch produktiver ist, als eine zentral fürstlich oder kirchlich diktierte und kontrollierte gesetzte Ordnung. Es ist einsichtig, daß eine solche Konzeption innerhalb der spontanen Ordnung des Wirtschaftslebens besonderes Gewicht auf die Vermeidung von Zwangsverhältnissen zu legen hat. Dies umso mehr, als im Menschenbild des Liberalismus der Mensch als unvollkommenes Wesen erscheint, das als Träger unterschiedlicher Bedürfnisse primär an seine eigenen Interessen denkt und diese notfalls auch auf Kosten anderer zu realisieren sucht. Vor dem Hintergrund dieser Eigennutzvorstellung erscheint in liberaler Sicht eine Organisation des Wirtschaftslebens zweckmäßig, die durch ihren dezentralen Aufbau dauerhafte Machtpositionen zu vermeiden sucht und die den Menschen in seiner Unterhaltssicherung und Unterhaltsgestaltung auf persönliche Initiativen verweist. Die persönliche Initiative ist im Konzept der spontanen Ordnung des Wirtschaftslebens nicht nur ein Element der Freiheit, sondern sie hat darüber hinaus die Funktion eines sozialen Anpassungsmechanismus. Indem der Mensch zur Lebensführung auf persönliche Initiativen verwiesen wird, muß e r - s o die liberale Vorstellung-, um in einer dezentral organisierten Wirtschaft erfolgreich sein zu können, im Zusammenwirken und im Wettbewerb mit den Mitmenschen deren Interessen, Meinungen und Bewertungen berücksichtigen und sich an diese anpassen. Somit wird deutlich, daß die liberale Ordnungskonzeption durch das Bestreben geprägt wird, angesichts eigennütziger, unvollkommener Menschen einen Ordnungsmechanismus zu installieren, der aus sich heraus die Vermeidung von Machtmißbrauch garantiert.
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In diesem Sinne wird auch das private Eigentum nicht nur als Instrument, das über Anreizwirkungen den ökonomischen Wohlstand steigern soll, gesehen, sondern als Garant einer persönlichen Freiheitssphäre. Der Schutz des geschaffenen Eigentums wird mit dem Schutz der autonomen Lebensgestaltung identifiziert. Die klassisch liberale Sichtweise berücksichtigt in ihrer Ordnungskonzeption allerdings zu wenig, daß eine zunehmend ungleiche Verteilung privaten Eigentums aufgrund ungleicher materialer Startchancen der Wirtschatssubjekte bei formal gleichen Freiheitsrechten letztlich die autonome Lebensgestaltung gefährdet und zu Unterdrückungsverhältnissen im Wirtschaftssystem führen kann. In dem Bestreben, den Erwerbs- und Besitztrieb als Motor des ökonomischen Wohlstands einzusetzen und die Aktivitäten der „Tüchtigen" und „Fleißigen" so wenig wie möglich zu beschneiden, wurde ferner nicht deutlich genug gesehen, daß eine Wirtschaftsordnung, die den Einzelnen auf die persönliche Initiative verweist, zu sozialen Härten für noch nicht leistungsfähige, vorübergehend nicht Leistungsfähige und nicht mehr Leistungsfähige führen kann. Die vorstehend skizzierten wirtschaftsordnungsrelevanten Vorstellungen der liberalen Gesellschaftstheorie führten zur Konzeption einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Kennzeichen dieser Wirtschaftsordnung sind freie Märkte, deren Funktion in der bestmöglichen Beschaffung, Bereitstellung und Verteilung von Gütern besteht. Märkte, auf denen individuelle Anbieter und Nachfrager spontan zusammentreffen, stellen in Verbindung mit privatem Eigentum einen dezentralen Koordinierungsmechanismus dar (vgl. Abschnitt 4.2), • der es den Wirtschaftseinheiten ermöglichen soll, mit geringstmöglichen Informationsansprüchen an Einzelne effizient zu wirtschaften; • der über die individuellen Nutzenvorstellungen der Nachfrager und über das Gewinnstreben der Anbieter die Produktionsfaktoren in die Bereiche ihrer bestmöglichen Verwendung lenken soll; • der sowohl Anbieter als auch Nachfrager auf persönliche Initiativen, auf Wettbewerb, verweist, um am Markt konkurrenzfähig bleiben zu können und damit zum einen die Funktion eines Anpassungsmechanismus zur Ausschaltung einerseitiger Machtausübung erfüllen soll und zum anderen die Durchsetzung des technischen Fortschritts bei Produkten und Produktionsmethoden fördern soll. Die Übereinstimmung der Konzeption einer marktwirtschaftlich, wettbewerblichen Wirtschaftsordnung mit dem liberalen Gedankengut wird mit dem folgenden Zitat prägnant verdeutlicht. „Ein höheres Maß an Moral, als die Moral des Eigeninteresses, ist für eine funktionsfähige Marktwirtschaft nicht erforderlich, ... Durch das Zusammenwirken vieler in der Tauschgemeinschaft wirkt die Marktwirtschaft als gesellschaftlicher Regelmechanismus. ... Der liberale Theoretiker wird dabei betonen, daß dem Verlust an gestaltender Eingriffsmöglichkeit der hierarchischen Gesellschaft als möglichem Nachteil umgekehrt als großer Vorteil der Abbau der persönlichen Abhängigkeiten gegenübersteht, die mit einer hierarchischen Gesellschaft eben auch stets verbunden sein müssen. Entgegen verzerrender Behauptung ist Marktwirtschaft im historischen Vergleich eher eine machtnivellierende gesellschaftliche Organisationsform. Sie ist auf geordnete Freiheit ausgerichtet und tendiert, diese zu erhalten, ja zu fördern. Weil sie ein freiheitsfördernder Regelmechanismus ist, setzt Marktwirtschaft nicht nur keine gesellschaftsgestaltenden Fähigkeiten von Individuen voraus: sie macht darüber hinaus gesellschaftsgestaltenden Eingriff auch besonders schwierig. Ins Meta-
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physische und freilich auch kraß Übertreibende gewandt, besagt die liberale Theorie der Marktwirtschaft somit: Marktwirtschaft ist selbst unter Teufeln funktionsfähig." (E. Streißler, S. 4f., Betonungen im Original)
2.2.2 Die marxistisch-leninistische Gesellschaftstheorie Die auf Karl Marx (1818-1883), Friedrich Engels (1820-1895) und Wladimir I. Lenin (1870-1924) zurückgehende marxistisch-leninistische bzw. sozialistische Gesellschaftstheorie stellt demgegenüber hohe Anforderungen an Moral und gesellschaftsgestaltende Fähigkeiten der Wirtschaftssubjekte. Sie unterstellt diese Fähigkeiten bei einer Führungsschicht, der marxistisch-leninistischen Partei, die als „Vortrupp der Arbeiterklasse" begriffen wird. Ihr Wirken im Sinne des Gemeinwohls wird dabei vorausgesetzt. In Anlehnung an das vorstehende Zitat von Streißler könnte man - ebenfalls überspitzt - formulieren: Marxistisch-leninistische Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie ist unter Teufeln nicht in die Realität umsetzbar. Damit ist ein entscheidender Unterschied zwischen der liberalen und der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie angesprochen. Während in der liberalen Gesellschaftstheorie eine auf dezentralen Abstimmungs- und Anpassungsmechanismen aufbauende Wirtschaftsordnungskonzeption entwickelt wird, die gerade unter unvollkommenen, eigennützigen Menschen funktionsfähig sein soll, hat die marxistisch-leninistische Gesellschaftstheorie ein gemeinwohlorientiertes Menschenbild, auf das dann auch die Ordnungskonzeption zugeschnitten wird. Eine Zentralisierung der wirtschaftlichen Koordinierungsmechanismen erscheint unter dem Gesichtspunkt des Machtmißbrauchs dann nicht problematisch, wenn die Akteure Menschen sind, die ihre Lebensperspektive einzig und allein an den „gesellschaftlichen Interessen" ausrichten. Solche Menschen müssen als Wesen von hoher Moral betrachtet werden, denen Egoismus fremd ist. Dieses Menschenbild setzt den Glauben voraus, daß der Mensch ein in ständiger Entwicklung auf Vollkommenheit hin befindliches Wesen sei (vgl. H. Leipold, S. 47). Aus dem Umstand, daß ein solcher Menschentypus (noch) nicht mehrheitlich existiert, kann letztlich der Führungsanspruch der marxistisch-leninistischen Partei abgeleitet werden. „Der Kampf der Arbeiterklasse um den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus wird und kann nur dann in historisch kürzester Zeit erfolgreich sein, wenn der Arbeiterklasse auch weiterhin ihre als bewußter Vortrupp selbständig organisierte marxistisch-leninistische Partei voranschreitet." (W. Tippmann, S. 259) Allein dieser Führungsanspruch der marxistisch-leninistischen Partei, der man unterstellt, daß sie die historischen Notwendigkeiten erkannt hat, muß dazu führen, daß in der Ordnungskonzeption des Marxismus-Leninismus bis zur Realisierung des kommunistischen Idealzustandes, in dem der Staat überflüssig wird, eine Abgrenzung wirtschaftlicher und persönlicher Bereiche vom politischen Bereich nicht erstrebenswert erscheint. Die Konsequenz des Bestrebens zur Durchsetzung des Führungsanspruchs besteht in einer Hierarchisierung des Gesellschaftssystems und in einer weitgehenden Überschneidung von politisch-administrativem System und Wirtschaftssystem. Von Friedrich Engels wurde der gesellschaftsgestaltende Anspruch wie folgt formuliert: „Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige, bewußte Organisa-
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tion. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche ... Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit." (F. Engels, MEW, Bd. 19, S. 226) Im Sinne dieses gesellschaftsgestaltenden Anspruches wird gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln zum einen als notwendig erachtet, weil Ausbeutung und Unterdrückung durch Privateigentum vermieden werden sollen. Marx unterschied in historisch-entwicklungsorientierter Betrachtungsweise verschiedene Formen des Privateigentums, die für ihn alle notwendig mit Ausbeutung der Abhängigen durch die Eigentümer verbunden sind: • das Privateigentum der Sklavenhalter, • das Privateigentum der Feudalherren und • das Privateigentum der Produzenten (Kapitalisten). Das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln wird zum anderen auch deshalb verlangt, weil der Forderung nach einer ökonomisch sinnvollen und bewußten Planung und Lenkung der Produktivkräfte unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse nicht genügt werden könne. Damit sind die zur Ordnungsvorstellung des Liberalismus konträren Bestandteile einer sozialistischen Ordnung des Wirtschaftens aufgezeigt: An die Stelle des kapitalistischen Privateigentums tritt das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln und an die Stelle einer dezentralen, einzelwirtschaftlichen Planung des Wirtschaftsgeschehens tritt die gesamtwirtschaftliche, zentral koordinierte Planung und Lenkung der Wirtschaftsprozesse. Neben technischen Problemen der Realisierung einer effizienten zentral koordinierten Planung und Lenkung angesichts der Komplexität des wirtschaftlichen Geschehens besteht die entscheidende Problematik der Ordnungskonzeption der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie in ihrem idealisierenden Menschenbild, mit dessen Vollkommenheitsanspruch den Menschen letztlich eine objektive Zweckbestimmung unterstellt wird. Angesichts unvollkommener Menschen besteht jedoch die große Gefahr, daß zentrale Verfügungsgewalten, die im Vertrauen auf eine hohe Moral gewährt wurden, mißbraucht werden, um die eigenen, eben doch eigennützigen Interessen durchzusetzen. Dieses Problem wird in der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie dadurch verstärkt, daß - im Wissen um die (noch) bestehenden menschlichen Unzulänglichkeiten - eine Elite, die marxistisch-leninistische Partei, mit einem absoluten Führungsanspruch ausgestattet wird. Demzufolge kann der Interessenegoismus der Führungsschicht in dogmatischer Erscheinungsform auftreten, weil „Zirkelschlüsse" in der Weise ermöglicht werden, daß die Führenden den gesellschaftlichen Verhältnissen und den Individuen Wertungen und Verhaltensweisen, die mit ihren eigenen Interessen konform sind, einerseits unterlegen und andererseits mit dem Anspruch auf „absolute Geltung" wieder aus diesen herauslesen (E. Topitsch, S. 19f.).
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2.3 Die Wirtschaftsverfassung, „Property Rights" und Kostenkalküle als Triebkräfte Mit der Betrachtung der Wirtschaftsverfassung sowie von „Property Rights" und Kostenkalkülen als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen wird an begriffliche Differenzierungen angeknüpft, die im ersten Kapitel zur Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverfassung gemacht wurden. Ungeachtet des dort herausgestellten Sachverhaltes, daß die Wirtschaftsverfassung als rechtliche Dimension des Handlungsrahmens für wirtschaftliche Aktivitäten enger als die Wirtschaftsordnung ist, weil die Herrschaft des Rechts über die sozialen Zustände begrenzt ist, kann man im Hinblick auf das Problem der verfassungsrechtlichen Entscheidung über die Wirtschaftsordnung zunächst gedanklich drei mögliche Beziehungsverhältnisse unterscheiden: (1) Neutralität des Verfassungsrechts in bezug auf die Wirtschaftsordnung Dies würde bedeuten, daß sich aus der Verfassung eines Gemeinwesens überhaupt keine Rückschlüsse auf die Art der anzustrebenden Wirtschaftsordnung ziehen ließen. Es gäbe dann streng genommen keine Wirtschaftsverfassung im engeren Sinn als Zusammenfassung wirtschaftlich relevanter rechtlicher Normen von Verfassungsrang. Hierzu ist in Übereinstimmung mit Lantpert anzumerken, „... daß es eine wirtschaftspolitische Neutralität einer Staatsverfassung wegen der Interdependenz der Ordnungen nicht geben kann. Jede Aussage über menschliche Grundrechte und Grundfreiheiten enthält ausgesprochen oder unausgesprochen wirtschaftspolitische, insbesondere wirtschaftsordnungspolitische Konsequenzen ..." (H. Lampert, S. 100). (2) Festlegung des anzustrebenden Wirtschaftsordnungstyps durch die Staatsverfassung Dies ist das zur wirtschaftsordnungspolitischen Neutralität konträre, in der Realität aber durchaus vorstellbare Beziehungsverhältnis zwischen Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung. Mit der Staatsverfassung ist eine Entscheidung über die Art der zu realisierenden Wirtschaftsordnung gefallen. Die Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne läßt in dieser Hinsicht keine Gestaltungsspielräume und deklariert einen bestimmten Wirtschaftsordnungstypus als allein „verfassungskonform". (3) Festlegung von wirtschaftsordnungspolitischen Gestaltungsspielräumen durch die Staatsverfassung Durch die Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne wird mit der Formulierung von gesellschaftspolitischen Zielen und von Grundrechten der Entscheidungsspielraum für die zu verwirklichende Wirtschaftsordnung abgegrenzt. Welches der beiden letztgenannten Beziehungsverhältnisse im jeweiligen Gesellschaftssystem zu finden sein wird, ist nicht zuletzt auch eine Frage des geschichtsphilosophischen und gesellschaftstheoretischen Standortes. Insbesondere wenn man von der Zwangsläufigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung überzeugt ist und die Richtung dieser Entwicklung unumstößlich erkannt zu haben glaubt, liegt eine Festlegung des anzustrebenden Wirtschaftsordnungstyps durch die Staatsverfassung nahe. Steht jedoch nicht der Einklang mit dem „Sinn der Geschichte" im Vordergrund der Gesellschaftsgestaltung, sondern vielmehr die
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Überzeugung, daß es im Rahmen rationalen wirtschaftsordnungspolitischen Handelns darum geht, die jeweils bestmögliche Ordnungsform zu realisieren, wird eine zu große Präzision der verfassungsrechtlichen Grundsätze in bezug auf die Wirtschaftsordnung zu einem hemmenden Faktor des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts. Denn diese Präzisierung kann stets nur aufgrund eines bestimmten Wissenstandes erfolgen. Wird die Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne dagegen bewußt auf Grundwerte hin gestaltet, „... die vom Stand entwicklungsfähiger wissenschaftlicher Erkenntnisse unabhängig sind ...", stellt sie gerade dadurch, daß sie Spielräume bietet, eine echte Triebkraft der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen dar, indem von ihr Impulse ausgehen, „... die jeweils besten Methoden zu suchen, um den Grundwerten nach den Umständen der Zeit gerecht zu werden." (H. F. Zacher, S. 89) In diesem Sinne ist auch Böhm (S. 60) davon ausgegangen, „... daß im Rahmen einer bestimmten politischen Verfassung regelmäßig noch eine Auswahl zwischen anderen wirtschaftspolitischen Ordnungssystemen möglich bleibt, bei der dann die Rücksicht auf die praktisch beste und die technisch zweckmäßigste Aufgabenlösung der ausschlaggebende Entscheidungsgesichtspunkt ist." Mit der Theorie der Property Rights, die seit Beginn der 70er Jahre zunächst vor allem in der angloamerikanischen Literatur verstärkt diskutiert wird (vgl. A. Alchian und H. Demsetz sowie E. G. Furubotn und S. Pejovich) werden zusätzliche Akzente zur Konkretisierung des Einflusses rechtlicher und institutioneller Regelungen auf die Entwicklung von wirtschaftlichen Ordnungsgebilden gesetzt. D e r Begriff der Property Rights beinhaltet als wesentliche Komponente die rechtliche Gestaltung von Verfügungsverhältnissen, trägt darüber hinaus aber auch dem Umstand Rechnung, daß soziale und wirtschaftliche Verhältnisse nicht nur rechtlich faßbar sind, sondern zusätzlich von rechtlich nicht fixierten, gewachsenen Regeln, Institutionen und Sitten abhängen. Demzufolge können Eigentumsrechte im Sinne der Theorie der Property Rights umfassend als ökonomische und soziale Relationen definiert werden, die aus der Existenz von Gütern resultieren und sich auf den Gebrauch der Güter beziehen. Beispiele für Arten von Eigentumsrechten gemäß dieser abstrakten Definition sind (vgl. P. Weise, S. 131): • • • •
das das das das
Recht, Recht, Recht, Recht,
ein Gut zu gebrauchen; Erträge aus diesem Gut zu ziehen; Form und Substanz des Gutes zu verändern; das Gut an Andere zu übertragen.
Im Rahmen der Theorie der Property Rights wird die Auffassung vertreten, daß mit der Untersuchung von Einflußfaktoren auf die Ausgestaltung von Eigentumsrechten ein entscheidender Beitrag zur Erläuterung der historischen Entwicklung von Institutionen und von wirtschaftlichen Ordnungen geleistet werden kann. Als bedeutsame Einflußfaktoren auf die Definition und Umdefinition von Eigentumsrechten werden zwei Arten von Kosten identifiziert: (1) Transaktionskosten, die mit wirtschaftlichen Aktivitäten verbunden sind (Informationskosten, Kosten des Vertragsabschlusses, Transportkosten, Risikokosten, etc.); (2) Alternativkosten als Nutzenentgang, den ein nicht vollzogener institutioneller Wandel mit sich bringt (der Nutzenentgang der nicht gewählten Alternative bestimmt den Wert der gewählten Alternative).
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Die Vertreter der Theorie der Property Rights versuchen ihre auf ökonomischen Kategorien (Nutzen-Kosten-Überlegungen) aufbauende Theorie des institutionellen Wandels mit Hilfe von Beispielen aus der Wirtschaftsgeschichte zu belegen. In dem folgenden Literaturauszug wird das Zusammenspiel von Transaktionskosten- und Alternativkostenüberlegungen erkennbar: „Märkte entstanden zuerst zwischen Stämmen und nicht innerhalb von Stämmen. Ihre Entwicklung war eng geknüpft an technologische Neuerungen (Wagen, Schiff, Maße u.a.m.), die die Transaktionskosten senkten, und Veränderungen in den Eigentumsrechten, die Arbeitsteilung, Spezialisierung und Märkte, .attraktiv' machten: dadurch wurden Marktmechanismen kostengünstiger als andere Allokationsmechanismen und ersetzten diese teilweise. Zunächst gab es Märkte an festen Plätzen, die alle Schutz- und Dienstleistungen ... bereitstellten; es entstanden Städte, die oft wieder zerfielen. Der europäische Fernhandel beginnt um 1100; im 13. Jahrhundert entsteht der Großhandel, der auch außerhalb von Messeorten und Messezeiten tätig ist. Man kann zeigen, daß • Märkte historisch als Institutionen entstanden sind, die andere Organisationsmechanismen (Krieg, Raub, Konfiszierung, usw.) teilweise verdrängten, • diese Entwicklung zusammenfällt mit der Definition und Umdefinition von Eigentumsrechten." (P. Weise, S. 141, Betonungen in Original) Damit wird deutlich, daß mit der Theorie der Property Rights versucht wird, die Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung aus dem wechselseitigen Zusammenwirken von ökonomischen Interessen und Eigentumsrechten zu erklären. Als Nutzen-Kosten-Kalküle betonender Erklärungsansatz stellt sie ein ebenso ökonomistisches Erklärungsmuster dar, wie die in enger Beziehung zur Theorie der Property Rights stehenden Entwicklungen der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, eine ökonomische Theorie des institutionellen Wandels zu erarbeiten, die auf Gedankengängen von Ronald H. Coase zum „Wesen" der Unternehmung aufbaut (vgl. R. Richter). Bei diesem Ansatz wird insbesondere die Notwendigkeit der empirischen Begründung des Entstehens von wirtschaftlichen Institutionen betont. Während auch in der Theorie der Property Rights die institutionellen Regelungen selbst weiterhin eher als gegeben vorausgesetzt werden, besteht Coases lange Zeit unbeachtet gebliebener Beitrag in dem Versuch, das Zustandekommen von Alternativen zur Beschaffung, Bereitstellung und Verteilung von ökonomischen Gütern, deren Implementierung dann den institutionellen Wandel prägt, einer ökonomischen Analyse zugänglich zu machen. Die Institution Unternehmung soll erklärt und nicht als institutionelle Alternative „technologisch begründete Produktionsfunktion" vorausgesetzt werden. Ausgangspunkt von Coases Überlegungen ist dementsprechend, weshalb in einer arbeitsteiligen Wirtschaft, in der dezentralisierte wirtschaftliche Entscheidungen einer Koordination bedürfen, Transaktionen dem Marktmechanismus entzogen und stattdessen einer firmeninternen Koordination hierarchischer Art unterworfen werden. Die erkenntnisleitende Problemstellung lautet somit: Warum wird in einer arbeitsteiligen Wirtschaft die Koordination ökonomischer Aktivitäten nicht völlig dem Marktmechanismus überlassen, indem die laufende Zuordnung der Produktionsfaktoren zu Produktionsteams über wettbewerbliche Märkte erfolgt? Anders formuliert führt dies zu der Fragestellung: Warum gibt es nicht nur eine einzige Unternehmung und wie läßt sich die Existenz von Märkten begründen? Diese Fragen beinhalten einen zentralen wirtschaftsorganisatorischen Aspekt, indem darauf aufmerksam gemacht wird, daß die Abgrenzung von
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Markt und Unternehmung selbst eine erklärungsbedürftige Größe ist. „Die Theorie der Wirtschaftsorganisation hat sich fälschlicherweise auf die Frage beschränkt, welcher externe Koordinationsmechanismus (Markt, Plan, Verhandlung) Verwendung findet. Ebenso bedeutsam ist die Frage, wo die Grenze zwischen externen und internen Koordinationsmechanismen verläuft." (H. Hauser, S. 64f.) Die Antwort auf diese Frage wird von Coase mit Hilfe bekannter Konzepte der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse gesucht. Als Hauptgrund dafür, daß sich bei Bestehen von Märkten die Errichtung und Ausdehnung von Unternehmen „lohnt", wird der Umstand angeführt, daß die Marktkoordination mit spezifischen Kosten verbunden ist. Er begründet die Existenz solcher Kosten mit Transaktionsüberlegungen, die auch im Rahmen der Theorie der Property Rights angestellt werden. Als Transaktionskosten für Märkte werden genannt: • Kosten, die durch Such- und Informationsprozesse entstehen, • Kosten, die das Aushandeln, der Abschluß und die Durchsetzung von Verträgen mit sich bringen und • Kosten infolge von staatlich-abgabenmäßigen Belastungen der Markttransaktionen. Diesen Transaktionskosten für Märkte werden Organisationskosten für Unternehmungen gegenübergestellt, die mit dem Wachstum von Unternehmen als überproportional steigend betrachtet werden. Coase nennt für das überproportionale Ansteigen der Kosten der unternehmensinternen Koordination folgende Gründe: • Mit zunehmender Unternehmensgröße nimmt die Wahrscheinlichkeit unternehmerischer Fehlentscheidungen zu. • Unternehmenswachstum kann zu steigenden Faktorpreisen führen. • Mit zunehmender Zahl der zu koordinierenden Aktivitäten ergeben sich abnehmende Grenzerträge. Aufgrund der Existenz von Organisationskosten und Transaktionskosten schlußfolgert Coase ganz in der Tradition der klassischen Marginalanalyse, daß eine Unternehmung so lange wachsen wird, bis ihre Organisationskosten für die Einbeziehung einer weiteren Transaktion den Kosten der Abwicklung dieser Transaktion über den Markt entsprechen. Als Entscheidungsregel hat dieses Prinzip jedoch so lange Leerformelcharakter, wie keine konkreten Angaben über die Höhe der Transaktionskosten im Vergleich zu den Organisationskosten vorliegen und deren Bestimmungsfaktoren quantitativ nicht faßbar sind (vgl. E. Bössmann, S. 672). Hinzu kommt die stark vereinfachende Betrachtungsweise, die sich nicht nur in einer Reduktion der Koordinierungsformen auf die Gegensatzpaare Markt und Unternehmen niederschlägt, sondern auch darin, daß den Individuen ausschließlich auf Kostenkalküle ausgerichtete Verhaltensweisen unterstellt werden. Neuere wettbewerbstheoretische Untersuchungen belegen demgegenüber, daß bei der Unternehmensführung „klassische" ökonomische Rationalität nur eingeschränkt zum Tragen kommen kann und daß beim Wachstum der Unternehmung als Koalition unterschiedlicher Interessengruppen infolge der Durchsetzung spezifischer Managementinteressen - wie beispielsweise Prestigegesichtspunkte - Rentabilitätserwägungen auch aus der ersten Präferenz verdrängt werden können. „Die Dominanz des Wachstumsziels, für das das Management auch die anderen Koalitionäre weitgehend zu begeistern versteht, be-
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dingt im Hinblick auf die Wahl wettbewerbsbeschränkender Strategien eine starke Präferenz für Firmenkäufe und -Zusammenschlüsse ..." (W. Zohlnhöfer/H. Greiffenberg, S. 98). In die Sprache von Coase übersetzt bedeutet dies, daß eine managergeleitete Unternehmung aufgrund der starken Betonung des Wachstumsziels auch dann noch wachsen kann, wenn die Organisationskosten für Unternehmen die Transaktionskosten für Märkte übersteigen. Mit den Erklärungsmustern des Property Rights Ansatzes und den Ansätzen einer ökonomischen Theorie des institutionellen Wandels werden sicherlich bedeutsame Wirkungszusammenhänge für die Entwicklung von Wirtschaftsordnungen herausgestellt. Die historische Entwicklung von wirtschaftlichen Ordnungsgebilden ist jedoch stets vor dem Hintergrund des gesamten menschlichen Bedürfnissystems - und nicht nur der Bedürfnisse nach ökonomischen Gütern sowie der Verankerung von sozialen Ordnungen „jenseits von Angebot und Nachfrage" in gesellschaftstheoretischen Grundauffassungen zu sehen.
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S. Hefftner: A. H. Maslows Lehre von der Bedürfnishierarchie und Bedürfnisentwicklung. Überlegungen zu ihrem Inhalt und Erkenntniswert, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 1981, S. 479ff. K. O. Hondrich:Menschliche Bedürfnisse und soziale Steuerung. Eine Einführung in die Sozialwissenschaft mit einem Textanhang, Reinbek bei Hamburg 1975. H. Lantpert: Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., München-Wien 1981. H. Leipold: Gesellschaftstheoretische Fundierung der Wirtschaftssysteme, in: B R D - D D R . Die Wirtschaftssysteme, hrsg. v. H. Hamel, 3. Aufl., München 1979, S. 13ff. H. Leipold: Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Vergleich, 2. Aufl., Stuttgart 1980. W. I. Lenin: Werke, Berlin (Ost) 1959ff. B. Malinowski: Die Funktionaltheorie, in: B. Malinowski. Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsätze, Frankfurt 1975, S. 19ff. A . H. Maslow: Motivation und Personality, 2. Aufl., New York u.a. 1970. A . H. Maslow: Psychologie des Seins. Ein Entwurf, München 1973. K. Marx und F. Engels: Werke (MEW), Berlin (Ost) 1956ff. H. R. Peters: Politische Ökonomie des Marxismus. Anspruch und Wirklichkeit, Göttingen 1980. K . R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II. Hegel, Marx und die Folgen, 4. Aufl., München 1975. R. Richter (Hrsg.): Das Wesen der Unternehmung, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1981, S. 665ff. W. Röpke: Jenseits von Angebot und Nachfrage, 4. Aufl., Zürich 1966. A . Smith: Der Wohlstand der Nationen, München 1974. E. Streißler und Chr. Watrin (Hrsg.): Zur Theorie marktwirtschaftlicher Ordnungen, Tübingen 1980. W. Tippmann: Die Stellung der Gewerkschaften im System der Arbeiter- und Bauernmacht der D D R , in: Staat und Recht, 1961, Berlin (Ost), S. 255ff. E. Topitsch: Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, in: Logik der Sozialwissenschaften, hrsg. v. E. Topitsch, 7. Aufl., Köln-Berlin 1971, S. 17ff. H.-J. Wagener: Zur Analyse von Wirtschaftssystemen. Eine Einführung, Berlin-Heidelberg-New York 1979. P. Weise (unter Mitarbeit von H. Biehler u.a.): Neue MikroÖkonomie, Würzburg-Wien 1980. H. F. Zacher: Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, hrsg. v. H. Coing u.a., Karlsruhe 1965, S. 63ff. W. Zohlnhöfer und H. Greiffenberg: Neuere Entwicklungen in der Wettbewerbstheorie: Die Berücksichtigung organisationsstruktureller Aspekte, in: Handbuch des Wettbewerbs, hrsg. v. H. Cox u.a., München 1981, S. 79ff.
Kontrollaufgaben 1. Inwiefern kann durch die Betrachtung der menschlichen Bedürfnisse als Richtlinien für die ständige Entwicklung von Wirtschaftsordnungen eine ökonomistische Verengung des Denkens in Ordnungen vermieden werden? 2. Überlegen Sie, welche Bestandteile einer Wirtschaftsordnung Ihnen im Hinblick auf die Klassifikation menschlicher Grundbedürfnisse nach Maslow besonders wichtig erscheinen.
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3. „Marktwirtschaft ist selbst unter Teufeln funktionsfähig." (E. Streißler) Diskutieren Sie diese These! 4. Skizzieren Sie das Menschenbild der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie. 5. In welchem Verhältnis sollen politisch-administratives System und Wirtschaftssystem a) nach der liberalen Gesellschaftstheorie und b) nach der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie stehen? 6. Geben Sie einen Überblick über mögliche Bezüge zwischen Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung! 7. „Wirtschaftsverfassungen, die Spielräume bei der Verwirklichung von Wirtschaftsordnungen bieten, sind unabdingbare Voraussetzung einer rationalen Wirtschaftsordnungspolitik." Wie könnte man diese Auffassung begründen? 8. Erläutern Sie die Begriffe „Transaktionskosten", „Organisationskosten" und „Alternativkosten" und erörtern Sie die Bedeutung dieser Kostenkategorien für eine ökonomische Theorie des institutionellen Wandels.
3. Kapitel Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen 3.1 Bedeutung und Problematik der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen 3.1.1 Bedeutung der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie Bei der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen geht es darum, realisierte ökonomische Strukturen in ihrer Besonderheit zu identifizieren und diese gegebenenfalls von anderen Wirtschaftsordnungsgestalten abzugrenzen. In dem Bestreben, die Entwicklung ökonomischer Strukturen zu erklären und eine Theorie des institutionellen Wandels zu erarbeiten, das in der neueren wirtschaftswissenschaftlichen Forschung verstärkt festzustellen ist, darf der Beitrag der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie zur Erkenntnisgewinnung nicht unterbewertet werden, wenngleich der Vorwurf, daß man sich in der Wirtschaftsordnungstheorie zu lange auf die Identifikation des Ordnungsrahmens konzentrierte, nicht unberechtigt ist. Die zentrale Problemstellung der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie besteht darin, aussagefähige Kriterien und Schemata zur Charakterisierung von Wirtschaftsordnungen zu erarbeiten, indem aus der Vielzahl der ökonomischen Erscheinungen und Beeinflussungsfaktoren diejenigen Determinanten herausdestilliert werden, die eine Wirtschaftsordnung prägen. Im einzelnen kann die Bedeutung der Charakterisierung von Wirtschaftsordnungen wie folgt begründet werden: (1) Die Kennzeichnung von Wirtschaftsordnungen erleichtert die Informationsauswertung und Informationsaufbereitung. Ohne die Bestimmung von Wirtschaftsordnungen dürfte die Fülle der Informationen über die einzelnen nationalen Wirtschaftssysteme kaum effizient ausgewertet und vergleichbar gemacht werden können. (2) Ein weiterer erkenntnisfördernder Beitrag der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie ergibt sich aus der Ordnungsbedingtheit des wirtschaftlichen Geschehens. In diesem Sinne sind die Ordnungsbedingungen Verursachungsfaktoren für die Verhaltensweisen der Wirtschaftseinheiten und f ü r wirtschaftlich-soziale Prozesse. Ähnlich urteilt auch Schachtschabel (1964, S. 65). „Es ist ein entscheidendes Kriterium wissenschaftlicher Forschung, über die Komplexität des menschlichen Lebens mit seinen mannigfachen Verhältnissen und vielfältigen Bedingungen sowie seinen unterschiedlichen Erscheinungen und verschiedenartigen Vorgängen einen gesicherten Überblick zu erhalten und damit grundlegende Erkenntnisse zu gewinnen. Wo immer in wissenschaftlichen Bereichen dieses Ziel angestrebt wird, läßt sich nachweisen, daß auf der Grund-
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läge exakten methodischen Vorgehens in erster Linie der Versuch besteht, Einteilungen, Ordnungen oder Systeme mit entsprechend entwickelten Begründungen vorzulegen, die letztlich in instrumenteller Bedeutung sowohl der fundierten Erklärung als auch dem praktischen Handeln dienen." (3) Stellt man auf Wirtschaftssystemvergleiche ab, erfüllt die klassifikatorische Wirtschaftsordnungstheorie eine heuristische Funktion. Bei gleicher oder ähnlicher Ausprägung der konstitutiven Wirtschaftsordnungsmerkmale können für andere Volkswirtschaften entwickelte Hypothesen und wirtschaftspolitische Problemlösungen begründet auf das eigene Wirtschaftssystem übertragen werden. (4) Schließlich ist noch zu berücksichtigen, daß die Bestimmung von Wirtschaftsordnungen nicht nur das systematische Durchleuchten gegenwärtiger oder vergangener Wirtschaftsordnungen ermöglicht und die Hypothesenbildung auf der Grundlage solcher realisierter Wirtschaftsordnungen fördert. Durch die klassifikatorische Wirtschaftsordnungstheorie wird darüber hinaus der terminologische Rahmen für den Entwurf möglicher Wirtschaftsordnungsformen zur Verfügung gestellt, der durch die Frage nach realisierbaren Ausgestaltungen der prägenden Ordnungsmerkmale und ihrer Verträglichkeit miteinander ausgefüllt werden kann. Aufgrund der vier vorgenannten Funktionen kann die Aufgabenstellung der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie in Anlehnung an Leipold (S. 1) zusammenfassend wie folgt formuliert werden: „Gesucht wird also ein brauchbarer begrifflich-theoretischer Bezugsrahmen, der es ermöglicht, das Denken in komplexen gesellschaftlichen Systemen zu ordnen und konkrete systemanalytische und systemvergleichende Untersuchungen zu leiten." Die Ausführungen dieses 3. Kapitels gelten Versuchen, einen derartigen Bezugsrahmen zu entwickeln.
3.1.2 Das Problem der Auswahl prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale Die Fülle der Merkmale des Erkenntnisgegenstandes „Wirtschaftsordnungen" ist somit hinsichtlich des Erkenntniszieles „Klassifikation von Wirtschaftsordnungen" auf die prägenden (konstitutiven) Wirtschaftsordnungsmerkmale zu reduzieren. Das sich dabei ergebende Problem der Relevanz kann man im Anschluß an Suranyi-Unger (S. 50) anschaulich als ein Problem des „Navigierens" zwischen der „Szylla einer Oberflächlichkeit und der Charybdis einer uferlosen Sucht" nach prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen kennzeichnen. Bei dem Versuch des Herausdestillierens von konstitutiven Wirtschaftsordnungsmerkmalen entsteht also notwendig die Frage nach der Relevanz der herausgesuchten Merkmale in bezug auf ihren die Wirtschaftsordnung prägenden Charakter. „In jedem Fall sind aus der realen oder denkbaren Vielfalt durch Abstraktion Allgemeinbegriffe zu bilden. Gleich welcher Ansatz gewählt wird, immer wird die Frage nach den nicht objektivierbaren Sinnkriterien für die Abgrenzung der Typen, Systeme, Ordnungen voneinander eine Rolle spielen." (G. Hedtkamp, S. 99) Kriterien zur Klassifikation von Wirtschaftsordnungen, die man im Hinblick auf das zu lösende Problem auch als Relevanzkriterien bezeichnen kann, sind
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zwar nicht objektivierbar, da es sich um die Konstruktion von begrifflich-klassifikatorischen Schemata handelt. Wohl aber führt die Angabe von intersubjektiv nachvollziehbaren Regeln für Auswahlentscheidungen zu Klarheit darüber, warum ausgewählte Wirtschaftsordnungsmerkmale nach Ansicht des jeweiligen Forschers prägend sind. Seine Vorgehensweise wird dann rekonstruierbar und beurteilbar, wodurch eine Willkürlichkeit der Wahl konstitutiver Wirtschaftsordnungsmerkmale vermieden werden kann. Lehrbücher über „comparative economic systems", die vor allem im englischen Sprachraum in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreich erschienen sind, versuchen meist, die Schwierigkeiten der Klassifikation zu umgehen und beschränken sich häufig auf das, was Knirsch (vgl. S. 13) als „naiven Empirismus" bezeichnet, nämlich die detaillierte Beschreibung der Funktionsweisen von unterschiedlichen Anpassungs- bzw. Koordinationssystemen und deren institutionellen und organisatorischen Rahmen. Die nachfolgende Darstellung von Ansätzen zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen verschiedener Autoren erfolgt nicht chronologisch. Die Gruppierung der Ansätze wurde vielmehr nach der jeweiligen Behandlung des Relevanzproblems vorgenommen.
3.2 Ansätze zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen Um Unterschied zur empirisch-deskriptiv geprägten Ausrichtung auf „comparative economic systems" hat die klassifikatorische Frage nach prägenden bzw. konstitutiven Wirtschaftsordnungsmerkmalen in der deutschsprachigen Nationalökonomie Tradition. Sie ist b e r e i t s - w e n n auch nicht methodisch genug - Gegenstand der verschiedenen Wirtschaftsstufentheorien (vgl. G. Bäthge) und wurde von Sombart, dessen Ansatz in unmittelbarer und ausführlicher Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der Wirtschaftsstufentheoretiker entstand, mit Bezug auf alle Kulturwissenschaften und unter Betonung der geschichtssystematischen Aufgabenstellung wie folgt formuliert: „Aufgabe aller Kulturwissenschaften ist es ..., Mittel und Wege zu finden, die von ihnen bearbeiteten Kulturerscheinungen in ihrer geschichtlichen Besonderheit zu erfassen. Es gilt ein bestimmtes Kulturgebiet dadurch gleichsam wissenschaftsreif zu machen, daß man lernt, durch Heraushebung seiner historischen Konkretheit seine Stellung in der Geschichte zu bestimmen und es in seiner Eigenart von anderen Konkretisierungen derselben Kulturidee zu unterscheiden." (W. Sombart, 1927, S. 5)
3.2.1 Subjektivistische Ansätze: Spiethoff und Ritsehl Spiethoff geht von der Aufgabe aus, soviele Musterbeispiele wirtschaftlichen Zusammenlebens aufzustellen, daß sie in ihrer Gesamtheit die Verschiedenartigkeiten gesellschaftlich-wirtschaftlicher Gestaltung widerspiegeln. Diese Musterbeispiele wirtschaftlichen Zusammenlebens bezeichnet er als Wirtschaftsstile. Wirtschaftsstile werden von ihm näher als Inbegriffe der Merkmale definiert, die eine typische Ausprägung des Wirtschaftens zur Verkörperung bringen. Bezüglich
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der Auswahl der Merkmale gilt für ihn: „Was ,wichtig' und ,wesentlich' war, wird sich nie zwingend erweisen lassen, die Zahl der notwendigen Stile und die Bestimmung jedes Einzelnen wird immer weitgehend vom Urteil des Forschers abhängen ..." (A. Spiethoff, S. 57). Er vergleicht die Auswahl von prägenden Merkmalen mit der Tätigkeit eines Malers. Ebenso wie zwei Maler von demselben Gegenstand verschiedene Bilder liefern, entscheidet der jeweilige Forscher, welche Erscheinungen das Wesen der Wirtschaftsordnung ausmachen „... nach einer sinnvollen Vorstellung, die er sich vom Zusammenspiel der Erscheinungen, von der Verwertbarkeit des Einzelnen zur Erklärung des Ganzen, macht. Man wird trachten, mit einer möglichst geringen Zahl von Erscheinungen auszukommen und wird solche von ursächlicher Natur wählen, die andere bewirken." (A. Spiethoff, S. 60) Die Haltung Spiethoffs zur Auswahl prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale ist somit subjektivistisch geprägt. Nach Schachtschabel ist der subjektivistische Standpunkt in keiner anderen Typik „so klar, unverblümt und ungeniert" (1971, S. 16) ausgesprochen wie bei Spiethoff. Im einzelnen unterscheidet Spiethoff (S. 76f.) folgende Merkmale zur Bestimmung von Wirtschaftsstilen: I. Wirtschaftsgeist (1) Sittliche Zweckeinstellung: Das Reich Gottes wird erstrebt; wirtschaftliche Erfolge werden erstrebt als Zeichen göttlicher Erwählung; die Belange der Allgemeinheit werden als Richtschnur genommen; das höchste irdische Glück der Einzelnen wird erstrebt. (2) Die seelischen Antriebe zum wirtschaftlichen Handeln: Furcht vor Strafe, religiös-sittliche Beweggründe (Nächstenliebe, Pflichtgefühl, Trieb zum sittlichen Handeln), teilweise sittliche Beweggründe (Ehrgefühl, Drang zur Betätigung, Freude an der Arbeit), Streben nach dem eigenen wirtschaftlichen Vorteil, Persönlichkeitsdrang und Machtstreben. (3) Die geistige Einstellung: Gewohnheitsmäßige oder neuernde Einstellung. II. Natürliche und technische Grundlagen (4) Bevölkerungsdichte. (5) Natürliche Bevölkerungsbewegung: Stillstehend, langsam, mäßig, schnell wachsend. (6) Güterherstellung ohne und mit Arbeitsteilung. (7) Geistige und Handarbeit vereint oder geteilt. (8) Organische oder anorganisch-mechanische Durchführung der Technik. III. Gesellschaftsverfassung (9) Die Größe des wirtschaftlichen Gesellschaftskreises. (10) Das gesellschaftliche Verbundensein: Blutzusammenhang, Zwang, Vertrag. (11) Die gesellschaftliche Arbeitsteilung und gesellschaftliche Zusammensetzung. IV. Wirtschaftsverfassung (12) Eigentumsverfassung: Für Produktionsmittel, bei freiem Eigentum an Konsumgütern, entweder freies oder Staats- oder gesellschaftliches Eigentum; für Konsumgüter (und Produktionsmittel) gesellschaftliches Eigentum.
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(13) Verfassung der Gütererzeugung: Bedarfsdeckungswirtschaft (Erzeugung des Bedarfes unter einheitlicher Leitung); geregelte Markterzeugung (Gütererzeugung in Selbstwirtschaften unter Regelung der Erzeugung und der Preisbildung durch Organe aus Unternehmern, Arbeitern, Verbrauchern oder durch politische Organe); freie Markterzeugung (Gütererzeugung in Selbstwirtschaften frei nach der Marktlage). (14) Verteilungsverfassung: allgemeines Entgelt, geregeltes besonderes Entgelt, freies besonderes Entgelt, Nächstenliebe. (15) Arbeitsverfassung: genossenschaftlich, zwangsweise oder vertraglich herrschaftlich. V. Wirtschaftslauf (16) D e r Wirtschaftslauf: ständige Wirtschaft, fortschreitende Wirtschaft, Wirtschaftslauf im Wechsel von Aufschwung und Stockung. Bezüglich der näheren Erläuterung der von ihm herausgestellten Merkmale beschränkt sich Spiethoff im wesentlichen auf die wiedergegebene knappe Skizze seines Merkmalkatalogs. Auch die konkrete, eigenständige Festlegung von Wirtschaftsstilen führt er nicht durch. Als subjektivistisch ist auch die Einstellung Ritschl's zum Relevanzproblem zu beurteilen. Ritsehl greift in seiner strukturanalytischen Theorie der Wirtschaftsordnung hinsichtlich der Aufgabe, die großen Linien des „Gesamtgefüges der Wirtschaftsordnung" zu erkennen und damit konstitutive Ordnungsmerkmale zu gewinnen, auf die Fähigkeiten des Forschers zurück. „Dies vermag aber nur das geübte Auge des Forschers, der bereits weiß, was ein Wirtschaftssystem, eine Wirtschaftsordnung ist, und der eine anschauliche Vorstellung von den Gestaltungsformen bereits besitzt." (H. Ritsehl, 1950, S. 262) Der von Ritsehl im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften veröffentlichte Katalog von Prinzipien und Gestaltungsformen der Wirtschaftsordnung (1965, S. 193ff.) ist in der Aufzählung von Einzelmerkmalen außerordentlich differenziert (er umfaßt vier Druckseiten des Handwörterbuchs). Das Schema erinnert in seiner Grundstruktur jedoch an die von Spiethoff verwendeten fünf Merkmalgruppen. Sowohl für Spiethoff als auch für Ritsehl ist deshalb festzuhalten, daß sie aufgrund ihrer subjektivistischen Standpunkte keine intersubjektiv nachvollziehbaren und anwendbaren Regeln für die Auswahl von Merkmalen zur Bestimmung von Wirtschaftsordnungen angeben. Das Problem der Relevanz wird ganz in den Bereich der Fähigkeiten und der Urteilsfähigkeit des jeweiligen Forschers verwiesen.
3.2.2 Die Gestaltidee des Wirtschaftssystems und die Idee der wirtschaftlichen Grundgestalten: Sombart und Seraphim Bei den Ansätzen von Sombart und Seraphim besteht in der methodischen Struktur der Vorgehensweise ein großes Maß an Übereinstimmung. Ausgangspunkt zum Nachweis prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale ist bei Sombart die Gestaltidee des Wirtschaftssystems, nach der das Wirtschaftssystem als Wirtschaftsweise erscheint, bei welcher die von ihm genannten Grundbestandteile der Wirtschaft - die Wirtschaftsgesinnung, die Ordnung und Organisation und die Techn i k - j e eine bestimmte Gestaltung aufweisen (vgl. Übersicht 3). Prägende Merk-
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male der Wirtschaftsordnung in der in dieser Arbeit gewählten Begriffsfassung sind bei Sombart Untermerkmale des Grundbestandteils „Ordnung und Organisation" (Ordnungsmerkmale im engeren Sinne), während die Grundbestandteile „Wirtschaftsgesinnung" und „Technik" insofern als Ordnungsmerkmale im weiteren Sinne anzusehen sind, als sie die Bedingungen und Grenzen für die Entstehung der „objektiven" Ordnung und Organisation charakterisieren sollen. Im Unterschied zu Spiethoff kommt Sombart zu einer recht differenzierten Abgrenzung von Wirtschaftsordnungsformen, die in Übersicht 4 wiedergegeben ist.
Übersicht 3: Grundbestandteile der Wirtschaft, Untermerkmale und Möglichkeiten ihrer Ausprägung nach Sombart Merkmale und Untermerkmale 1. Wirtschaftsgesinnung 1.1. Zweckeinstellung zum Wirtschaftsleben 1.2. Verhalten bei der Mittelwahl 1.3. Verhalten der einzelnen am Wirtschaftsleben beteiligten Personen zueinander 2. Ordnung und Organisation 2.1. Bindung der Wirtschaftssubjekte durch objektive Normen 2.2. Träger der wirtschaftlichen Initiative 2.3. Verteilung privatwirtschaftlicher Anordnungsbefugnisse 2.4. Grad der Arbeitsteilung 2.5. Ausrichtung der Güterproduktion 2.6. Gestaltung der Betriebsorganisation 3. Technik 3.1. geistige Struktur 3.2. dynamische Struktur 3.3. stoffliche Struktur
Möglichkeiten der Ausprägung Bedarfsdeckungsprinzip - Erwerbsprinzip Traditionalismus - Rationalismus Solidarismus - Individualismus
Gebundenheit - Freiheit Privatwirtschaft Gemeinwirtschaft Demokratie - Aristokratie Geschlossenheit - Offenheit Bedarfsdeckungswirtschaft Verkehrswirtschaft Individualbetriebe - gesellschaftliche Betriebe empirisch - wissenschaftlich stationär - revolutionär organisch - nichtorganisch
Seraphim verwendet den Ordnungsbegriff wirtschaftliche Grundgestalten. Wirtschaftliche Grundgestalten stellen bei ihm gedankliche Vereinfachungen dar, denen die jeweilige Wirklichkeit sozialökonomischer Mit- und Umweltbeziehungen zugrundeliegt. Die von Seraphim ausgewählten entscheidenden Merkmale innerhalb der Mitwelt- und Umweltbeziehungen lassen sich im wesentlichen auf die Sombart'schen Grundbestandteile der Wirtschaft reduzieren.
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
37
Übersicht 4: Wirtschaftsordnungsformen nach Sombart Sammelname
Ordnungsmerkmale i. w. S.
Ordnungsmerkmale i. e. S.
Lfd. Nr. 1
Ausprägung
Lfd. Nr. 1
Ausprägung
(a) Vorkapitalistische Wirtschaftssysteme
1.1.
Bedarfsdeckungsprinzip
2.1.
Gebundenheit
(aa) Wirtschaft in urwüchsigen Geschlechtsverbänden
1.1.
Bedarfsdeckungsprinzip Traditionalismus Solidarismus empirisch stationär organisch
2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
Gebundenheit Privatwirtschaft Demokratie Geschlossenheit Bedarfsdeckungswirtschaft
2.1.
Gebundenheit
1.2.
Bedarfsdeckungsprinzip Traditionalismus
2.2.
1.3. 3.1. 3.2.
Solidarismus empirisch stationär
2.3. 2.4. 2.5.
Privatwirtschaft/ Gemeinwirtschaft Demokratie Geschlossenheit Bedarfsdeckungswirtschaft
3.3.
organisch
2.6.
1.1.
2.1.
Gebundenheit
1.2. 1.3. 3.1. 3.2.
Bedarfsdeckungsprinzip Traditionalismus Solidarismus empirisch stationär
2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
3.3.
organisch
2.6.
Privatwirtschaft Aristokratie Offenheit Bedarfsdeckungswirtschaft gesellschaftliche Betriebe
1.1.
2.1.
Gebundenheit
1.2. 1.3. 3.1. 3.2.
Bedarfsdeckungsprinzip Traditionalismus Solidarismus empirisch stationär
2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
3.3.
organisch
2.6.
Privatwirtschaft Aristokratie Offenheit Bedarfsdeckungswirtschaft gesellschaftliche Betriebe/Individualbetriebe
1.1.
2.1.
Gebundenheit
1.2.
Bedarfsdeckungsprinzip Traditionalismus
2.2.
1.3. 3.1. 3.2. 3.3.
Solidarismus empirisch stationär organisch
2.3. 2.4. 2.5. 2.6.
Privatwirtschaft/ Gemeinwirtschaft Demokratie Offenheit Verkehrswirtschaft gesellschaftliche Betriebe/Individualbetriebe
(ab) Dorfwirtschaft
(ac) Oikenwirtschaft (Großsklavenwirtschaft)
(ad) Fronhofwirtschaft (Großhörigenwirtschaft)
(ae) Handwerk
1
1.2. 1.3. 3.1. 3.2. 3.3. 1.1.
2.6.
-
-
Die Numerierung der Wirtschaftsordnungsmerkmale erfolgt nach Übersicht 3.
38
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
Übersicht 4: (Fortsetzung) Sammelname
Ordnungsmerkmale i. w. S.
Ordnungsmerkmale i. e. S.
Lfd. Nr. 1
Ausprägung
Lfd. Nr. 1
Ausprägung
(b) kapitalistische Wirtschaftssysteme
1.1. 1.2. 1.3. 3.1. 3.2. 3.3.
Erwerbsprinzip Rationalismus Individualismus wissenschaftlich revolutionär nichtorganisch
2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6.
Freiheit Privatwirtschaft Aristokratie Offenheit Verkehrswirtschaft gesellschaftliche Betriebe/Individualbetriebe
(c) nachkapitalistische Wirtschaftssysteme (sozialistische Wirtschaftssysteme)
1.1.
2.1.
Gebundenheit
1.2. 1.3. 3.1. 3.2.
Bedarfsdeckungsprinzip Rationalismus Solidarismus wissenschaftlich revolutionär
2.2. 2.3. 2.4. 2.5.
Gemeinwirtschaft
3.3.
nichtorganisch
2.6.
1
-
Offenheit Bedarfsdeckungswirtschaft gesellschaftliche Betriebe
Die Numerierung der Wirtschaftsordnungsmerkmale erfolgt nach Übersicht 3.
Beiden Autoren geht es um das Erkennen sinnvoller Zusammenordnungen von Grundbestandteilen des Wirtschaftslebens, die in „unterschiedlicher Einzelgestaltung" die entscheidenden Ausprägungen des sozialökonomischen Lebens bestimmen. Die methodischen Äußerungen von Sombart und Seraphim zu dieser Aufgabenstellung sind nahezu gleichlautend (vgl. H.-J. Seraphim, S. 118; W. Sombart, 1927, S. 5). Seraphim stellt ausdrücklich fest, daß man sich über die methodischen Eigenarten der erstrebten Vereinfachung Klarheit verschaffen muß, weil damit im Zusammenhang die inhaltliche Auswahl des Darzustellenden stehe. E r beruft sich bei der Aufgabe des Forschers, zu wirtschaftlichen Grundgestalten zu gelangen, auf „erforschte Erfahrung" und auf die verstehende Methode, „... da nur diese es ermöglicht, im Rahmen des jeweiligen Sinnzusammenhanges der sozialökonomischen Gesamtsysteme Maßstäbe für die Auswahl zu lief e r n . " (H.-J. Seraphim, S. 60f.) Auch Sombart verweist auf das Verstehen, das die A u f g a b e zu erfüllen hat, „... das Verständnis der möglichen (potentiellen) Bestandteile des Wirtschaftssystems zu wecken. Diese sind in durchgängiger Allgemeinheit und Abstraktheit darzulegen." (W. Sombart, 1967, S. 106) In dem Maße, wie Kriterien zum Vollzug des Verstehens angebbar sind und angegeben werden, könnte man die verstehende Methode grundsätzlich als intersubjektiv anwendbare und nachprüfbare Regelung zur Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen betrachten. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch die nachstehende kritische Anmerkung gerechtfertigt, die analog auch auf die entsprechenden methodischen Ausführungen Seraphims anwendbar ist: „Sombart entwickelt die Lehre vom Verstehen durch Hinführung zu den einzelnen Gegenständen des Verstehens ... Was Verstehen ist, erfahren wir nie." (J. Tiburtius, S. 263)
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
39
3.2.3 Unterscheidung von reinen Wirtschaftssystemen nach der Zahl der Planträger: Eucken E u c k e n s klassifikatorischer Ansatz unterscheidet sich insofern deutlich v o n den bisher dargestellten Vorgehensweisen zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen, als das Merkmal „Zahl der selbständig planenden Wirtschaftseinheiten" an oberster Stelle seines Instrumentariums zur Bestimmung von Wirtschaftsordnungen steht und zur Unterscheidung der beiden Wirtschaftssysteme „zentralgeleitete Wirtschaft" und „Verkehrswirtschaft" führt. D i e Merkmalausprägung „monistisches Planen" kennzeichnet das Wirtschaftssystem der zentralgeleiteten Wirtschaft. D i e Merkmalausprägung „pluralistisches Planen" hingegen charakterisiert das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem „Verkehrswirtschaft". Innerhalb dieser gegensätzlichen Wirtschaftssysteme bildet E u c k e n anhand weiterer ausgewählter Merkmale (z.B. Art und W e i s e der Verteilung der Konsumgüter, Ausprägung der Marktformen) nachgeordnete Varianten (vgl. Übersicht 5). Übersicht 5: Wirtschaftssysteme nach Eucken Wirtschaftssysteme
I
Merkmal: Zahl der selbständig planenden Wirtschaftseinheiten
1 zentralgeleitete Wirtschaft
Merkmal: Bestehen eines besonderen Verwaltungsapparates
r
Zentralverwaltungswirtschaft
Eigenwirtschaft
7
1
3 Varianten nach dem Merkmal „Verteilung der Konsumgüter": 1. total zentralgeleitete Wirtschaft 2. zentralgeleitete Wirtschaft mit freiem Konsumguttausch 3. zentralgeleitete Wirtschaft mit freier Konsumwahl
Verkehrswirtschaft
Varianten nach zwei Merkmalen: Marktformen und Geldwirtschaft 1. Marktformen in den Ausprägungen - jeweils in Angebot und Nachfrage: a) Konkurrenz b) Teiloligopol c) Oligopol d) Teilmonopol e) Monopol - die 25 Marktformen auftretend in 4 Kombinationen: a) Angebot offen, Nachfrage offen b) Angebot offen, Nachfrage geschlossen c) Angebot geschlossen, Nachfrage o f f e n d) A n g e b o t geschlossen, Nachfrage geschl. - die 100 Ausprägungen nochmals unterteilt nach Bestehen oder Nichtbestehen einer öffentlich rechtlichen Festsetzung der Preise 2. Geldwirtschaft in den Ausprägungen - nach dem Merkmal, ob das Geld zugleich Recheneinheit ist oder nicht, 2 reine Hauptformen der Geldwirtschaft - nach dem Merkmal der Entstehung des Geldes 3 reine Geldsysteme: a) Sachgut wird zu Geld b) Geld entsteht als Gegenwert für Leistung c) Kreditgeber schaffen Geld
40
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
D e r Eucken'sche Systembegriff weicht von dem in dieser Arbeit verwendeten insofern ab, als er mit ihm ganz bewußt auf „reine Formen" abstellt. Sein Wirtschaftsordnungsbegriff bezeichnet dagegen die Mischformen der Realität. Die Wirtschaftssysteme sind somit in der methodischen Vorgehensweise Euckens gedankliche Konstruktionen - er verwendet für sie auch die Bezeichnung „Idealtypen" - , aus denen sich die realisierten Wirtschaftsordnungen zusammensetzen. „Nun aber sind in der geschichtlichen Wirklichkeit Elemente der Zentralverwaltungswirtschaft meist mit Elementen der Verkehrswirtschaft verschmolzen. Es werden etwa nur gewisse Agrarprodukte nach Weisungen einer Zentralverwaltung hergestellt und verteilt. Dann bilden die Preise der Verkehrswirtschaft eine gewisse Stütze für die Wirtschaftsrechnung. Um so fester ist diese Stütze, je weniger ,dominierend' die Elemente der Zentralverwaltungswirtschaft sind und je mehr sie gegenüber verkehrswirtschaftlichen Erscheinungen zurücktreten." (W. Eucken, S. 80) Eucken führt zu diesem Zusammenhang weiter aus: „Unter ,Verkehrswirtschaft' haben wir nicht etwa den Inbegriff der kapitalistischen' Wirtschaftsweise des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Im 19. Jahrhundert machten sich auch in den sogenannten .kapitalistischen' Ländern Elemente zentralgeleiteter Wirtschaft stark geltend." (S. 87) Er sieht realisierte Wirtschaftsordnungen als Mischungen reiner Wirtschaftssysteme. Die reinen Formen gewinnt er mit Hilfe der Methode der pointierend-hervorhebenden Abstraktion. „Bei der pointierend-hervorhebenden Abstraktion, deren volle Entfaltung erst der neuzeitlichen Wissenschaft gelang, erfolgt eine Steigerung der einzelnen Seiten eines konkreten Tatbestands und so die Gewinnung von reinen Formen ..." (S. 254) Bei näherer Analyse stößt man als Kern der Eucken'schen Methode zur Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen auf die Handlungsanweisungen • der genaueren Untersuchung von empirisch-geschichtlichen Einzeltatbeständen und • der gedanklichen Trennung von Merkmalmischungen als methodisches Rezept. Der sich in diesen Grundregeln bereits andeutende Mangel an intersubjektiv nachvollziehbaren Regeln für die Auswahl konstitutiver Wirtschaftsordnungsmerkmale wird durch v. Kempski bestätigt, wenn er allgemein feststellt, daß die „... ,pointierend-hervorhebende Abstraktion'... auf jeden Fall ein Prozeß (ist), der in die Psychologie, nicht in die Logik gehört." (J. v. Kempski, S. 122f.) Zieht man eine Zwischenbilanz des bisherigen Überblicks über Ansätze der deutschsprachigen klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie, ist es gerechtfertigt, festzustellen, daß in den bislang vorgestellten Ansätzen keine Auswahlkriterien im Sinne von intersubjektiv nachvollziehbaren und anwendbaren Regeln für die Selektion prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale angegeben werden. A n deren Stelle stehen (1) offener Subjektivismus bzw. der Rückgriff auf die Fähigkeiten des jeweiligen Forschers (Spiethoff, Ritsehl), (2) Verstehen (Sombart, Seraphim), (3) die kaum überprüfbare Methode der pointierend-hervorhebenden Abstraktion (Eucken).
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
41
3.2.4 Neuere Ansätze: Differenzierung des methodischen Instrumentariums im Hinblick auf gemischte Wirtschaftsordnungen und auf Ordnungsfunktionen Über die in den vorangegangenen Abschnitten erläuterten „traditionellen" Ansätze zur Klassifikation von Wirtschaftsordnungen hinaus finden sich in der Literatur eine Vielzahl von weiteren Versuchen, ein methodisches Instrumentarium zur Abgrenzung von Wirtschaftsordnungen zu erarbeiten (zu einem Überblick vgl. D. Schönwitz, S. 157ff.). Diese Ansätze gehen in der Angabe von Regeln für die Auswahl prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale häufig nicht über die „traditionellen" Ansätze hinaus. Man vermißt auch bei ihnen meist das Bemühen um eine differenzierte Angabe von Auswahlkriterien. Dies sei anhand von drei Formulierungen, mit denen die Auswahlentscheidung von Wirtschaftsordnungsmerkmalen jeweils näher gekennzeichnet wird, belegt: • „... soll versucht werden, die wesentlichen systemtypischen Merkmale einer Wirtschaftsordnung aufzuzeigen; es sei ausdrücklich betont, daß damit keine enumerative Aufzählung beabsichtigt ist, sondern daß es dem Verfasser darauf ankommt, Schwerpunkte zu setzen." (K. C. Thalheim, S. 332) • „Auf diese fünf Systemelemente, die fraglos als die wesentlichsten zu bezeichnen sind und infolgedessen auch schon in der bisherigen Konvergenz-Diskussion wiederholt besondere Beachtung gefunden haben, soll sich der von uns vorgesehene Vergleich beschränken." (K. Kieps, S. 134) • „Die vielen Faktoren, die eine Wirtschaftsordnung formen bzw. mitformen sind nicht alle gleichwertig. Jede Wirtschaftsordnung besteht aus konstitutiven Ordnungselementen, die sie in ihrem Kern prägen, und solchen Ordnungskomponenten, denen mehr oder weniger ergänzende Bedeutung zukommt." (H.-R. Peters, 1973, S. 60) Unabhängig von der Behandlung der Auswahlentscheidung und von eher technischen Unterschieden in einzelnen ausgewählten Ordnungsmerkmalen weisen neuere Ansätze zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen in der Regel die folgenden beiden Gemeinsamkeiten auf: (1) Während in dem Eucken'schen Ansatz im Prinzip eine Bipolarität des Ordnungsdenkens angelegt ist, die von Eucken selbst nicht durch eine differenzierte Erarbeitung „charakteristischer" Mischungen reiner Formen aufgehoben wird, versuchen die neueren Ansätze zur Klassifikation von Wirtschaftsordnungen die Spanne, die zwischen den beiden Polen „reine zentralgeleitete Wirtschaft" und „reine Verkehrswirtschaft" liegt, durch realisierte und realisierbare Wirtschaftsordnungsformen zu füllen, in denen sich bestimmte Ausprägungen konstitutiver Merkmale mischen. Kloten hat den Mangel der Eucken'schen Vorgehensweise, über Mischungsverhältnisse von marktkoordinierter Verkehrswirtschaft und plankoordinierter Zentralverwaltungswirtschaft wenig auszusagen, als erster zum Anlaß genommen, unter Rückgriff auf den Ansatz Euckens ein Schema von „gemischten" Wirtschaftsordnungen zu erarbeiten (vgl. Übersicht 6). Dieses Schema baut auf der Frage nach der Dominanz der öffentlichen oder der privaten Wirtschaftsführung auf. Es ist insofern besonders interessant, als es vom dualistischen Ansatz Euckens ausgehend die idealtypischen Systeme als Grenzfälle kennzeichnet (1.1. Reine Verkehrswirtschaft, 3.2. Reine zentralgeleitete Wirtschaft), zwischen denen sich nach der Intensität der politisch-administrativen Regulierung reale Wirtschaftsordnungen als Mischformen einordnen lassen.
42
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
Übersicht 6: Schema der Wirtschaftsordnungen nach Kloten 1. 1.1.
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Die Systeme der Verkehrswirtschaft (Primat der Koordination) Reine Verkehrswirtschaft (totale Koordination, keine Wirtschaftsbetätigung der öffentlichen Hand) 1.2. Realtypische Verkehrswirtschaft 1.2.1. Verkehrswirtschaft mit Steuern und Wahrnehmung allgemeiner c ^ , O J c .o öffentlicher Aufgaben c 1.2.2. Verkehrswirtschaft mit Marktordnung durch öffentlichen Verband > ra e Q. c (marktregelnde Eingriffe des öffentlichen Verbandes bei •3 'S VH Sj ot-. Orientierung an Konkurrenzwirtschaft) o -a o x> 3 Die Systeme der gelenkten Marktwirtschaft C/5 2. Tsi SO Marktwirtschaft mit Markteingriffen und Produktionslenkung 00 2.1. c c 2.2. o 3 Marktwirtschaft mit Markteingriffen, Produktionslenkung und 3 u x: Preisregulierung o :3 4-i -a in C3/ 3. Die Systeme der zentralgeleiteten Wirtschaft c « •C (Primat der Subordination) E •C O .c t/5 3.1. Realtypische zentralgeleitete Wirtschaft uc t» 3.1.1. Zentralgeleitete Wirtschaft mit geringen Sektoren privat3 > £ N wirtschaftlicher Güterherstellung in der konsumnahen Sphäre und mit freier Konsumwahl 3.1.2. Zentralgeleitete Wirtschaft mit freiem Konsumguttausch 3.2. Reine zentralgeleitete Wirtschaft (totale Subordination, keinerlei privatwirtschaftliche Betätigung)
&
(2) Verbunden mit dem Versuch, nicht in einem Dualismus des Ordnungsdenkens verhaftet zu bleiben, ist das Bestreben, bei den ausgewählten Wirtschaftsordnungsmerkmalen zu einer Skala von Merkmalausprägungen zu kommen (vgl. auch Übersicht 7). Darüber hinaus wird in einigen neueren klassifikatorischen Ansätzen das Bemühen deutlich, die Auswahlentscheidung für prägende Wirtschaftsordnungsmerkmale explizit und intersubjektiv nachvollziehbar zu begründen, indem die Frage nach den Funktionen der Wirtschaftsordnung gestellt wird (vgl. K. P. Hensel, 1970, 1975, 1978; H. Lampert; H . Leipold; D. Lösch). Die Funktionenfundierung bei der Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen ist bei Hensel noch vergleichsweise wenig differenziert.Hensel teilt die Vielfalt der Wirtschaftsordnungsmerkmale nach den Kriterien „konstitutiv" und „akzidentiell" ein. Nach seiner Auffassung sind als konstitutiv die Systeme der Planung der arbeitsteiligen Gesamtprozesse, also die Formen der Koordinierung des Wirtschaftsgeschehens, zu betrachten. Allen anderen Ordnungsmerkmalen ist akzidentieller Rang zuzuweisen. Hensel nennt als akzidentielle Wirtschaftsordnungsmerkmale unter anderem Eigentumsformen sowie Formen der Unternehmungen, der unternehmensinternen Willensbildung, der betrieblichen Ergebnisrechnung und der Geldversorgung. Die Konstitutivität der Planungssysteme ergibt sich für Hensel aus der Frage nach den konkreten Ordnungsfunktionen. Dabei konzentriert er sich auf die Funktion der Knappheitsminderung. Wenn Knappheit wirksam gemindert werden soll - so Hensels funktionsbezogene Begründung der Auswahlentscheidung - ist ein wirtschaftlicher Rechnungszusammenhang, ein koordinierendes Planungssystem unerläßlich.
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
43
Übersicht 7: Funktionenfundiertes Schema der wirtschaftlichen Organisationsformen nach Lösch Organisationsalternativen
Funktionen 1 Produktion
2
3
4
a u t o n o m e Pria u t o n o m e Prov o m S t a a t betrieteilautonome vatunternehb e n e Produkti- Produktionsein- duktionseinheionseinheiten h e i t e n in Staats- ten in Staats- o d e r m u n g e n mit eingeschränkter genossenschafteigentum lichem Eigentum Herrschaftsbefugnis der Eigentümer
Allokation
t o t a l e staatliche imperative P l a n u n g und Lenkung
kurzfristige Makrosteuerung
5 völlig a u t o n o m e Privatunternehmungen
von Fall zu Fall marktkonforme allokative Interventionen
ausschließlich marktmäßige Koordination
fiskalpolitische, dirigistische, Zentralplan und marktkonforme nicht m a r k t dirigistische Globalsteuerung konforme E i n g r i f f e bei Nichterfüllung Globalsteuerung der Pläne
Notenbankpolitik
laissezfaire
langfristige Makrosteuerung
gesamtgesamttotale imperative wirtschaftliche wirtschaftliche Struktur-und Entwicklungsindikative imperative planung Rahmenplanung Rahmenplanung und Investitionslenkung
indikative regionale u n d s e k t o r a l e Plan u n g u n d ex post Korrektur von Fehlentwicklungen
laissezfaire
Verteilung
d i r e k t e staatliche Lohnfestsetzung
staatliche L e n k u n g bei f r e i e r Konsum-und Arbeitsplatzwahl
wie 1, a b e r gek o p p e l t mit b e trieblichem Prämiensystem
t e i l w e i s e staatliche L e n k u n g , teilweise marktmäßige Allokation
w i e 4, zusätzlich R e d i s t r i b u t i o n s überbetriebliche m a ß n a h m e n und GewinnbeteiliSozialpolitik, gung, Mindest- Tarifautonomie löhne
keine Redistribution der marktmäßigen Verteilung
Quelle: D . L ö s c h , S. 107.
Bei Lösch wird die Funktionenfundierung erstmals als eigenständiger, methodischer Ansatz in die klassifikatorische Wirtschaftsordnungstheorie aufgenommen. Für ihn handelt es sich bei der Auswahl prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale darum, „... das Ordnungsproblem so zu strukturieren, d.h. diesystemkonstitutiven Funktionen einer modernen Industriegesellschaft, ausgehend vom postulierten Systemzweck, zu deduzieren und von daher die Frage aufzuwerfen, wie diese Funktionen institutionalisiert werden können, welche Wirtschaftssysteme also denkbar sind. Damit entfällt die willkürliche Wahl sogenannter ,systemkonstitutiver' Ordnungsmerkmale." (D. Lösch, S. 103) Lösch nennt ausgehend von der Verringerung der Knappheit der Mittel als primäre Wirtschaftssystemfunktion die „ökonomisch rationale Güterproduktion" und geht bis zu diesem Schritt nicht über Hensel hinaus. Die Erweiterung ergibt sich aus einer Aufspaltung der primären Wirtschaftssystemfunktion in die Grundfunktionen: (1) Produktion, (2) Allokation,
44
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
(3) kurzfristige MakroSteuerung, (4) langfristige MakroSteuerung,
(5) Verteilung. Lösch stellt in dem in Übersicht 7 wiedergegebenen Schema diesen fünf Grundfunktionen Organisationsalternativen beziehungsweise Merkmalausprägungen gegenüber. Problematisch ist bei Lösch die alleinige Ableitung von Grundfunktionen und damit auch die Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen aufgrund der auf die Knappheit der Mittel bezogenen primären Wirtschaftssystemfunktion „ökonomisch rationale Güterproduktion". Damit erfolgt auch bei diesem Ansatz eine ökonomistische Verengung der Perspektive, bei der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nach ökonomischen Gütern in den Vordergrund der Auseinandersetzung mit Wirtschaftsordnungen tritt. Dabei bezeichnet Ökonomismus eine Betrachtungsweise, nach der die Erscheinungsformen des wirtschaftlichen Lebens ausschließlich vom Standpunkt des Gewinns, der Produktivität, der Größe des Sozialprodukts oder des Konsums beurteilt werden (vgl. W. W. Engelhardt, S. 15). Demgegenüber wurde im zweiten Kapitel dieser Arbeit die Bedeutung des gesamten menschlichen Bedürfnissystems für die Herausbildung von Arten der Wirtschaftsordnung betont.
3.3 Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen auf der Grundlage des menschlichen B edürfnissy stems Durch den Rückgriff auf das menschliche Bedürfnissystem (vgl. Abschnitt 2.1.) wird die Funktionenfundierung bei der Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen auf eine breitere Basis gestellt. Ansatzpunkt der Betrachtung von menschlichen Bedürfnissen als Einflußfaktoren zur Herausbildung von Arten der Wirtschaftsordnung ist - wie bereits ausgeführt - die Feststellung, daß Institutionen als im Hinblick auf die Bedürfnisbefriedigung „verfestigte" Handlungsabläufe angesehen werden können, die durch eine Normierung des Verhaltens Beständigkeit und Kontinuität erlangt haben. Sieht man menschliche Bedürfnisse als Richtlinien für die Entwicklung von Wirtschaftsordnungen an, dann sind prägende Wirtschaftsordnungsmerkmale gemäß der Logik der funktionalen Vorgehensweise aufbauorganisatorische Konkretisierungen „funktionaler", d.h. zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse geeigneter, Handlungsabläufe. Die über die Begründung der Auswahlentscheidung hinausgehende Frage der konkreten Ausgestaltung prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale ist im Zusammenhang mit weiteren in Kapitel 2 als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen dargestellten Einflußfaktoren zu sehen. Durch die Festlegung von menschlichen Bedürfnissen als Bezugspunkte einer funktionenfundierten Auswahl wird damit eine intersubjektiv nachvollziehbare und nachprüfbare Regel für die Auswahl prägender Ordnungsmerkmale angegeben, die ganz im Sinne von Lösch die willkürliche Wahl konstitutiver Merkmale überwindet und darüber hinaus den Vorteil hat, nicht nur auf die Befriedigung ökonomischer Bedürfnisse im engeren Sinne abzustellen. Damit wird letztlich
3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
45
der Einordnung des Wirtschaftssystems in das Gesellschaftssystem und dem Umstand, daß Menschen im gesellschaftlichen Zusammenleben mehrfunktional zu sehen sind, Rechnung getragen. Die spezifisch ökonomische Aufgabe der bestmöglichen Knappheitsminderung, die letztlich das Wirtschaftssystem begründet, ist nämlich keine Rechtfertigung dafür, eine Prägung von Wirtschaftsordnungen allein aufgrund der Funktion „ökonomisch rationale Güterproduktion" zu erwarten. Auf diesen Gedankengang greift auch Lantpert (1981, S. 66) zurück, wenn er die Sozialordnung als „... die Gesamtheit der Institutionen und Normen zur Regelung der sozialen Stellung der Individuen und Gruppen in der Gesellschaft - soweit sie wirtschaftlich bedingt ist (z.B. durch Einkommen, Vermögen, Beruf) sowie zur Regelung der wirtschaftlich begründeten, sozialen Beziehungen zwischen Gesellschaftsmitgliedern (z.B. der Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehungen)" definiert und davon ausgeht, daß Wirtschaftsordnung und Sozialordnung in hohem Maße interdependent und in der Wirklichkeit überhaupt nicht voneinander getrennt sind: „Jeder Wirtschaftsordnung wohnt... ein bestimmter sozialer Grundgehalt inne, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse die soziale Stellung von Individuen und Gruppen nachhaltig prägen. Sozialer Status, soziale Stellung und soziale Sicherheit von Einzelnen und Gruppen hängen ... u.a. von der Einkommens- und Vermögensverteilung, von der Gleichheit bzw. Ungleichheit der Startchancen und den Möglichkeiten der individuellen Entscheidung ab. Der jeder Wirtschaftsordnung eigene soziale Grundgehalt kann ... mehr oder minder hoch sein. Beispielsweise war der soziale Grundgehalt der Wirtschaftsordnung der Industriegesellschaften des 19. Jahrhunderts sehr gering." (H. Lampert, 1981, S. 66f.) Die in Abschnitt 2.1 vorgestellte Fassung des Systems menschlicher Grundbedürfnisse durch Maslow macht deutlich, daß dieses als Bezugspunkt der Auswahlentscheidung mit Sicherheit nicht als Grundlage für eine mechanistische Entscheidungsregel dienen kann. Es verbleiben Entscheidungsspielräume, deren Nutzung jedoch - und das ist der entscheidende Vorteil gegenüber den behandelten traditionellen Ansätzen - intersubjektiv nachvollziehbar und diskutierbar ist. Vor dem Hintergrund des menschlichen Bedürfnissystems nach Maslow werden in Kapitel 4 für die Deutsche Demokratische Republik und für die Bundesrepublik Deutschland folgende prägende Merkmale der Wirtschaftsordnung hinsichtlich ihrer Ausgestaltung näher behandelt, um mit ihrer Hilfe die Realisierung der Leitbilder „Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus" und „Soziale Marktwirtschaft" näher zu kennzeichnen: (1) Eigentumsordnung und Koordination der Wirtschaftsprozesse, (2) Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte, (3) Art und Umfang der sozialpolitischen Korrekturmechanismen. Bei der Auswahl dieser prägenden Merkmale werden schöpferische und künstlerische Bestrebungen zur Selbstverwirklichung als für die Bestimmung von Wirtschaftsordnungen sekundär angesehen. Es wird davon ausgegangen, daß mit der Art der Eigentumsordnung und der Koordination der Wirtschaftsprozesse, mit institutionellen Regelungen zur Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte und mit Art und Umfang sozialpolitischer Korrekturmechanismen die Möglichkeiten zur Realisierung von physiologischen Bedürfnissen, von Sicherheitsbedürfnissen, von sozio-emotionalen Bedürfnissen und von Bedürfnissen nach Ansehen, Unabhängigkeit und Freiheit entscheidend festgelegt werden.
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3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
D i e Betrachtung von Bedürfnissen nach Selbstverwirklichung als eine Art „Restkategorie" in Z u s a m m e n h a n g mit der Charakterisierung von Wirtschaftsordnungen b e d e u t e t jedoch keine gänzliche Vernachlässigung dieser Kategorie. Vielmehr dürften Wirtschaftsordnungen, in d e n e n nicht nur die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse im Vordergrund steht, auch durch ein hohes innovatorisches und schöpferisches Potential gekennzeichnet sein, das seinerseits wiederum - und hier schließt sich gewissermaßen der Kreis - zu einer verbesserten Versorgung mit ö k o n o m i s c h e n Gütern beitragen kann. In diesem Sinne wurde auch von Müller-Armack eine Wirtschaftspolitik - und damit eine Ordnungsgestaltung - , die „jenseits des Ö k o n o m i s c h e n auf die vitale Einheit des Menschen gerichtet ist", als eine der wesentlichen Voraussetzungen dauerhaft effizienten Wirtschaftens angesehen: „Wir können diese Einheit der menschlichen U m w e l t nicht allein in der Familie, in Haus und Garten herstellen." ( A . Müller-Armack, S. 71)
Literatur G. Bäthge: Die logische Struktur der Wirtschaftsstufen. Wirklichkeit und Begriffsbild in den Stufentheorien, Meisenheim am Glan 1962. W. W. Engelhardt: Grundsätzliche Bemerkungen zur Ökonomisierung und zum Ökonomismus, in: Wirtschaftsstudium, 1976, S. 13ff. und S. 61ff. W. Eucken: Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl., Berlin u.a. 1965. G. Hedtkamp: Wirtschaftssysteme. Theorie und Vergleich, München 1974. K. P. Hensel: Das Verhältnis von Allokations- und Wirtschaftssystemen, in: Beiträge zum Vergleich der Wirtschaftssysteme, hrsg. v. E. Boettcher, Berlin 1970, S. 37ff. K. P. Hensel: Grundformen der Wirtschaftsordnung. Marktwirtschaft-Zentralverwaltungswirtschaft, 3. Aufl., München 1978. K. P. Hensel: Über die sozialwissenschaftliche Bestimmung von Wirtschaftssystemen, in: Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, hrsg. v. H. Sauermann und E.-J. Mestmäcker, Tübingen 1975, S. 227ff. J. v. Kempski: Zur Logik der Ordnungsbegriffe, besonders in den Sozialwissenschaften, in: Theorie und Realität, hrsg. v. H. Albert, 2. Aufl., Tübingen 1972, S. 115ff. K. Kieps: Theorie und Realität einer Annäherung der Wirtschaftssysteme, Zeitfragen der schweizerischen Wirtschaft und Politik, Nr. 98, Linz 1970. N. Kloten: Zur Typenlehre der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen, in: Ordo, 1955, S. 123ff. P. Knirsch: Bemerkungen zur Methodologie eines Vergleiches von Wirtschaftssystemen, in: Beiträge zum Vergleich der Wirtschaftssysteme, hrsg. v. E. Boettcher, Berlin 1970, S. 13ff. H. Lantpert: Die Wirtschaftsordnung. Begriff, Funktionen und typologische Merkmale, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 1973, S. 393ff. H. Lantpert: Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., München-Wien 1981. H. Leipold: Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Vergleich. Grundzüge einer Theorie der Wirtschaftssysteme, 2. Aufl., Stuttgart 1980. D. Lösch: Zur Ideologiekritik des traditionellen bipolaren Ordnungsdenkens, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 1975, S. 87ff. H. Möller: Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem und Wirtschaftsstil. Ein Vergleich der Auffassungen von W. Eucken, W. Sombart und A. Spiethoff, in: Schmollers Jahrbuch, 1940, S. 75ff. A. Müller-Armack: Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre Ergänzung durch das Leitbild einer neuen Gesellschaftspolitik, in: Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, hrsg. v. W. Stützel u.a., Stuttgart-New York 1981, S. 63ff.
3. K a p . : M e t h o d e n l e h r e d e r U n t e r s c h e i d u n g von Wirtschaftsordnungen
47
H . - R . Peters: Hauptsächliche D e t e r m i n a n t e n von W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n , in: Zeitschrift f ü r Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 1973, S. 385ff. H . - R . Peters: O r d n u n g s t h e o r e t i s c h e A n s ä t z e zur Typisierung u n v o l l k o m m e n e r Wirts c h a f t s o r d n u n g e n , in: H a m b u r g e r J a h r b u c h f ü r Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 1973, S. 47ff. H . - R . Peters: Typologie der Wirtschaftssysteme, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 1976, S. 398ff. H . Ritsehl: Wirtschaftsordnung, in: H a n d w ö r t e r b u c h der Sozialwissenschaften, B d . 12, hrsg. v. E . v. B e c k e r a t h u . a . , Stuttgart u . a . 1965, S. 189 ff. H. Ritsehl: W i r t s c h a f t s o r d n u n g u n d Wirtschaftspolitik, in: Weltwirtschaftliches A r c h i v , 1950, S. 218ff. H . - G . Schachtschabel: D i e sozialgeordnete Wirtschaft als Grundgestalt der G e g e n w a r t , in: M e t h o d e n und P r o b l e m e der Wirtschaftspolitik, hrsg. v. H . O h m , Berlin 1964, S. 65ff. H . - G . Schachtschabel (Hrsg.): Wirtschaftsstufen u n d W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n , D a r m s t a d t 1971. D . Schönwitz: Möglichkeiten und P r o b l e m e d e r Wirtschaftsordnungspolitik als Wissenschaft. E i n e U n t e r s u c h u n g u n t e r b e s o n d e r e r Berücksichtigung d e r B e s t i m m u n g von W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n , Diss. A u g s b u r g 1977. H.-J. Seraphim: T h e o r i e der Allgemeinen Volkswirtschaftspolitik, 2. A u f l . , G ö t t i n g e n 1963. W. Sombart: Die drei N a t i o n a l ö k o n o m i e n , 2. A u f l . , Berlin 1967. W . Sombart: Die O r d n u n g des Wirtschaftslebens, 2. A u f l . , Berlin 1927. A . Spiethoff: Die Allgemeine Volkswirtschaftslehre als geschichtliche T h e o r i e . D i e Wirtschaftsstile, in: Schmollers J a h r b u c h , 1932, S. 51ff. Th. Suranyi-Unger: P r o b l e m e einer K o o r d i n a t i o n d e r W i r t s c h a f t s f o r m e n , in: Weltwirtschaftliches Archiv, 1953, S. 47ff. K. C. Thalheim: Systemtypische M e r k m a l e von W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n , in: Sozialwissenschaftliche U n t e r s u c h u n g e n - G . A l b r e c h t zum 80. G e b u r t s t a g , hrsg. v. H. A r n d t , Berlin 1969, S. 329ff. J. Tiburtius: Z u m G e d e n k e n W e r n e r S o m b a r t s , in: Schmollers J a h r b u c h , 1964, S. 257ff. H.-J. Wagener: D a s Spektrum existierender W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n , in: Z u k u n f t s p r o b l e m e der Sozialen Marktwirtschaft, hrsg. v. O . Issing, Berlin 1981, S. 391 ff.
Kontrollaufgaben 1. Kennzeichnen Sie die Aufgabenstellung der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie und geben Sie einen Überblick über deren möglichen Beitrag zur ordnungstheoretischen und ordnungspolitischen Erkenntnisgewinnung. 2. Worin besteht der Vorteil von intersubjektiv nachvollziehbaren Regeln für die Auswahl von prägenden Wirtschaftsordnungsmerkmalen? 3. Spiethoff formuliert in bezug auf die Auswahl von Merkmalen zur Unterscheidung von Wirtschaftsstilen wie folgt: „Was ,wichtig' und ,wesentlich' war, wird sich nie zwingend erweisen lassen, die Zahl der notwendigen Stile und die Bestimmung jedes einzelnen wird immer weitgehend vom Urteil des Forschers abhängen ..." (S. 57) Diskutieren Sie diese Aussage! 4. Skizzieren Sie die methodische Vorgehensweise Euckens zur Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen. 5. Inwiefern führt die von Kloten gestellte Frage nach der Dominanz der öffentlichen oder der privaten Wirtschaftsführung über einen Dualismus des Ordnungsdenkens hinaus?
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3. Kap.: Methodenlehre der Unterscheidung von Wirtschaftsordnungen
6. Erläutern Sie Inhalt und Bedeutung der in der neueren Wirtschaftsordnungstheorie anzutreffenden Funktionenfundierung. 7. Was versteht man unter Ökonomismus und in welcher Weise findet diese Betrachtungsweise in der klassifikatorischen Wirtschaftsordnungstheorie ihren Niederschlag? 8. Begründen Sie die Auswahl der Merkmale „Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte" und „Art und Umfang sozialpolitischer Korrekturmechanismen" als prägende Wirtschaftsordnungsmerkmale unter Bezugnahme auf das menschliche Bedürfnissystem nach Maslow.
4. Kapitel Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen 4.1 Die Wirtschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik 4.1.1 Die Konzeption: „Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus" Es werden nunmehr real existierende Wirtschaftsordnungen behandelt. Mit der einleitenden Erörterung der Konzeption wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Gestaltung zunächst für die D D R und später für die Bundesrepublik Deutschland wird auf die im zweiten Kapitel behandelten geistigen Grundlagen als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen zurückgegriffen. In der D D R wird die Umsetzung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung als unabdingbare Voraussetzung für die umfassende Leitung der sozialistischen Gesellschaft und für deren weitere Formung angesehen. Anders formuliert: Menschliche Bedürfnisse sollen auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie in institutionelle Regelungen umgesetzt werden. Nach der offiziellen Ideologie befindet sich die D D R seit dem VII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Jahre 1967 in der Phase des Sozialismus, die auf dem für das Jahr 1962 postulierten „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse" aufbaut: • „Im Jahr 1962 wurde in der D D R der Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse erreicht. Damit waren wesentliche Aufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus durchgeführt. Gestützt auf die Arbeiterund Bauern-Macht hatten die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik in einem Land mit einer hoch entwickelten Industrie und einer intensiven Landwirtschaft solche politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen geschaffen, die es ein für allemal unmöglich machen, den Kapitalismus wiederherzustellen." (Autorenkollektiv, 1969, S. 176) • „Nachdem in der Deutschen Demokratischen Republik die sozialistischen Produktionsverhältnisse gesiegt haben ... besteht die Aufgabe, das wirtschaftliche System als Ganzes mit dem Blick auf die Vollendung der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu gestalten. Wir bezeichnen diesen Abschnitt als ,das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus'." (W. Ulbricht, S. 28) In Übersicht 8 wird deutlich, daß man sich in der D D R in der Festlegung von Entwicklungsphasen zur kommunistischen Gesellschaft nach der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus eng am sowjetischen Modell orientiert. Es ist daher berechtigt, davon auszugehen, daß die in der D D R vertretene Konzeption wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Gestaltung keine an den spezifischen Bedingungen der D D R orientierte Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
Übersicht 8: Entwicklungsphasen zum Kommunismus in der UDSSR und in der D D R Bezeichnung der Phase
UDSSR
DDR
I.
Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus: Aufbau der Grundlagen des Sozialismus
Abschluß Ende der 30er Jahre
Abschluß 1955
II.
Sozialismus 1. Vollendung des Aufbaus des Sozialismus und Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse 2. Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus
Abschluß 1959
Abschluß 1962
Seit Mitte der 60er Jahre
Seit 1967 (VII. Parteitag der SED)
III.
Kommunismus
Zeitpunkt offen Zeitpunkt offen
Lehre ist, sondern eine Übernahme der sowjetischen Konzeption (zum Wirtschaftssystem in der UDSSR vgl. G. Hedtkamp). Dies gilt auch für eine entscheidende Modifikation des marxistisch-leninistischen Entwicklungsdenkens, die Festlegung des Sozialismus als eine „relativ selbständige sozialökonomische Formation", die nicht den Charakter einer lediglich „kurzfristigen Übergangsphase" hat - auch wenn in der Begründung auf eigene praktische Erfahrungen zurückgegriffen wird: „Unsere praktischen Erfahrungen und unsere theoretischen Arbeiten auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaft haben uns zu der Erkenntnis geführt, daß es eine längere Zeitperiode in Anspruch nehmen wird, das entwikkelte System des Sozialismus zu gestalten ... deshalb sprechen wir davon, daß der Sozialismus eine relativ selbständige Gesellschaftsformation ist." (Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkommittee der SED, S. 75) Zwischen dem Abschluß der ersten Phase der Gestaltung des Sozialismus mit dem „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse" und dem öffentlich wahrnehmbar propagierten Beginn der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus liegen 5 Jahre (vgl. Übersicht 8). Diese Spanne wird mit „sorgfältiger Untersuchung der neuen Prozesse in der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse sowie der Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus" (Autorenkollektiv, 1969, S. 188) begründet. Einfacher formuliert kann man die nicht näher bezeichnete „Zwischenphase" auch als Zeitdauer für den Vollzug einer „konzeptionellen Wende" ansehen, die mit der parteitagsoffiziellen Festlegung endete, daß der Sozialismus eine nicht nur kurzfristige Gesellschaftsformation auf dem damit auch von der Ideologie her lang gewordenen Weg zum Kommunismus ist. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus hingegen sahen im Sozialismus ein eher kurzes Übergangsstadium, „... das nicht als selbständiges Objekt theoretischer Reflexion und politischer Aktion aufgefaßt wurd e . " (G. Frenzel u.a., Sp. 270f.) In Übersicht 9 wird das Szenarium der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in Ausgangslage, Leitbildvorstellungen und Prinzipien der Gestaltung strukturiert. Die Bestandteile des Szenariums werden im folgenden näher beschrieben.
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
Für die Ausgangslage der Gestaltung wird aufgrund des „Sieges der sozialistischen Produktionsverhältnisse in Stadt und Land" ein höheres Niveau der Einheit der Gesellschaft auf der Basis der Realisierung einer „nichtantagonistischen systemeigenen Klassenstruktur" postuliert. Als grundlegendes Element der sozialistischen Produktionsverhältnisse wird das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln betrachtet, das in allen Formen als gesellschaftliches Eigentum definiert wird. Mit der Realisierung der sozialistischen Produktionsverhältnisse sei die „Übereinstimmung von gesellschaftlicher Produktion und gesellschaftlicher Aneignung der Produktionsmittel und Produkte allumfassend hergestellt". Das bedeutet, daß man bei der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus von einer Beseitigung der Ausbeutung des Menschen im Rahmen einer „nichtantagonistischen" Gesellschaftsstruktur ausgeht. Daraus ergibt sich bereits ein entscheidendes Merkmal sozialistischer Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Phase des entwickelten Sozialismus. Eine auf Klassengegensätzen aufbauende Verteilungspolitik ist von der Definition der Ausgangslage her nicht erforderlich. Gegensätze zwischen gesellschaftlichen Klassen werden als überwunden betrachtet, wenngleich es Klassen als Arbeiterklasse, Bauernschaft und Intelligenz noch gibt (vgl. Autorenkollektiv, 1969, S. 188f.). Daraus folgt, daß als eine hauptsächliche Leitbildvorstellung der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus die weitere Annäherung der Klassen propagiert wird. „Auf politischem Gebiet ist der entwickelte Sozialismus durch ein höheres Niveau der sozialpolitischen Einheit der Gesellschaft gekennzeichnet ... In der Etappe des entwickelten Sozialismus besteht die Gesellschaft aus freundschaftlich verbundenen werktätigen Klassen und Schichten ... Die sich in der Gesellschaft vollziehenden Prozesse führen zur beschleunigten Annäherung aller Klassen und sozialen Schichten." (B. N. Topornim, S.18) Kennzeichnend ist jedoch, daß sich diese Annäherung im Zuge einer weiteren Stärkung der Autorität der Arbeiterklasse vollziehen soll. „Alle Werktätigen schließen sich noch enger um die führende soziale Kraft - die Arbeiterklasse - zusammen, deren Autorität in der Gesellschaft unter sozialistischen Bedingungen gestärkt wird. Die Arbeiterklasse ist nicht allein die zahlenmäßig stärkste Klasse, die in der Stadt und auf dem Lande weiter anwächst ... wesentlich ist, daß diese Klasse, die in den ersten Reihen der Kämpfer für Sozialismus und Kommunismus steht, rascher und aktiver auf die neuen Erscheinungen im gesellschaftlichen Leben reagiert und als Neuerer der Produktion sowie der sozialen Entwicklung auftritt." (B. N. Topornim, S. 18f.) Die Annäherung der Klassen, bei der die Arbeiterklasse als Orientierungsgröße dient, hat sich auch bei der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus - und dies ist eines der zentralen Prinzipien der Gesellschaftsgestaltung - unter dem Führungsmonopol der marxistisch-leninistischen Partei zu vollziehen. Annäherung an die Arbeiterklasse bedeutet nämlich gleichzeitig Annäherung an die Partei, die als „organisierter Vortrupp" der Arbeiterklasse gesehen wird. „Die Partei der Arbeiterklasse setzt ... nicht nur die Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung, sie ist als organisierter Vortrupp der fortgeschrittensten Klasse, der Arbeiterklasse, zugleich die soziale Hauptkraft, um alle Werktätigen der sozialistischen Gesellschaft im politischen und ökonomischen Kampf zur Erreichung des gesteckten Zieles und damit zur Wahrnehmung ihrer gemeinsamen Klasseninteressen allumfassend zu organisieren und zu mobilisie-
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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ren." (Autorenkollektiv, 1969, S. 195) Die S E D nimmt für sich in Anspruch, die „wahren Interessen" der Werktätigen zu kennen und diese Interessen bei der weiteren Gestaltung des Sozialismus zu verwirklichen. Dementsprechend handelt es sich bei der Leitbildvorstellung „Bestmögliche Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse durch optimal proportionale Entwicklung aller Wirtschaftszweige und Bereiche des gesellschaftlichen Lebens" um von der Partei „gesellschaftlich anerkannte", legitimierte Bedürfnisse. Diese Legitimierung von menschlichen Bedürfnissen im Zuge der Gestaltung von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen ist nach der Logik des Szenariums solange unabdingbar, wie eine weitere Leitbildvorstellung, die „Vertiefung des sozialistischen Bewußtseins und Herausbildung des allseitig entwickelten Menschen" nicht völlig realisiert ist. Denn erst der sozialistische Menschentypus ist wohl der, der von sich aus ausschließlich kollektiv „anerkennenswerte" und damit (bei knappen Mitteln) nicht explizit legitimierungsbedürftige Bedürfnisse äußert. Entsprechend wird es als qualitativ neue Aufgabe in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft angesehen, die Weltanschauung der fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse vor allem auch durch sozialistische Bildungs- und Jugendpolitik, bei der Massenorganisationen wie Gewerkschaften als „Transmissionsriemen" der Partei, als „Schulen des Kommunismus" eingesetzt werden, zur Anschauung der gesamten Gesellschaft zu machen. An dieser Stelle erweist sich sehr deutlich die Berechtigung der in Abschnitt 2.2 im Zusammenhang mit der Behandlung von gesellschaftstheoretischen Grundauffassungen als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen getroffenen Feststellungen. Geistige Grundlagen, in denen jede Ordnung verankert ist, enthalten nicht nur Vorstellungen darüber, wie bestimmte Bestandteile der Wirtschaftsordnung und die Wirtschaftsordnung insgesamt ausgestaltet sein müssen, damit menschlichen Bedürfnissen bestmöglich Rechnung getragen wird, sondern auch Vorstellungen darüber, welche Bedürfnisse mit welchem Gewicht als Richtlinien der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen Berücksichtigung finden sollen. Mit dem Komplex Bedürfnisbefriedigung und proportionale Entwicklung aller Wirtschaftszweige ist das Wirtschaftssystem angesprochen, das als „Kernstück" des entwickelten gesellschaftlichen Systems bezeichnet wird. Diese Bezeichnung darf allerdings nicht so interpretiert werden, daß innerhalb des Gesellschaftssystems eine deutliche Abgrenzung wirtschaftlicher und persönlicher Bereiche vom politisch-administrativen Bereich stattfinden soll. Politik und Wirtschaft bilden in der D D R vielmehr eine Einheit, die allerdings vom Primat der Politik und der führenden Rolle der SED bestimmt wird. Entsprechend umfaßt und absorbiert das politische System das Wirtschaftssystem. Die für die liberale Gesellschaftstheorie charakteristische Funktionentrennung zwischen dem wirtschaftlichen und dem politisch-administrativen System wird aufgehoben. Hinter der Leitbildvorstellung „volle Entfaltung der sozialistischen Demokratie" verbirgt sich eine angestrebte Vervollständigung dieser Durchdringung im Entwickelten gesellschaftlichen System des Sozialismus. „Die entwickelte sozialistische Gesellschaft ist durch die volle Entfaltung der sozialistischen Demokratie als einer wesentlichen Bedingung des weiteren gesellschaftlichen Fortschritts gekennzeichnet. Dies schließt die weitere Erhöhung der Rolle des sozialistischen Staates, der den Gesamtwillen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen repräsentiert und in seiner Leitungstätigkeit durchsetzt, wie auch die weitere Durchdringung aller Le-
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
bensbereiche der Gesellschaft durch die sozialistische Demokratie ein." (Autorenkollektiv, 1976, S. 67) Die Wirtschaftsordnung der D D R kann demzufolge nur unter Einbeziehung der politischen Institutionen und Entscheidungsstrukturen gekennzeichnet werden. Dies wird auch die konkrete Darstellung der prägenden Merkmale der Wirtschaftsordnung der D D R im nächsten Abschnitt erweisen. Bei der Gestaltung des ökonomischen Systems innerhalb des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus sollen neben dem Führungsmonopol der marxistisch-leninistischen Partei folgende Prinzipien gelten (vgl. auch H. Lampert und F. Schubert, S. 131f.):
(1) Demokratischer Zentralismus Das Prinzip des demokratischen Zentralismus beinhaltet die Forderung nach der Verbindung zentraler und verbindlicher Planung mit der Teilnahme der Werktätigen an der Planung und Leitung, mit der Planungs- und Leitungstätigkeit der sozialistischen Warenproduzenten und mit der eigenverantwortlichen Regelung des gesellschaftlichen Lebens. Der demokratische Zentralismus ist damit ein besonderes hierarchisches Prinzip, das sich auch in der Wählbarkeit der Organe der Staatsmacht und deren Rechenschaftspflicht gegenüber den Bürgern konkretisieren soll, das seine Grenze jedoch stets vor dem Hintergrund des Anspruchs auf zentrale und verbindliche Planung und der Verbindlichkeit der politisch-administrativen Regelungen von oben nach unten findet.
(2) Zentrale Stellung der Arbeit und Verteilung nach der Leistung Das Primat der Arbeit ergibt sich zum einen daraus, daß eine bestmögliche Befriedigung auch der materiellen Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder angestrebt wird, die den Einsatz aller arbeitsfähigen Gesellschaftsmitglieder erforderlich macht. Zum a n d e r e n - u n d hier wird wieder auf die geistigen Grundlagen der marxistisch-leninistischen Gesellschaftsgestaltung zurückgegriffen - wird, eben weil der kapitalistische Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung als beseitigt angesehen wird, der Arbeit im Sozialismus der Stellenwert eines „wahren Lebensbedürfnisses" zugewiesen. Arbeit wird nicht nur als Grundlage der materiellen Existenz, sondern auch und vor allem der Persönlichkeitsentfaltung angesehen. In enger Verbindung mit der zentralen Stellung der Arbeit steht der Grundsatz der Verteilung nach der Leistung, der in der Verfassung der D D R in Artikel 2 formuliert wird: „Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist für immer beseitigt. Was des Volkes Hände schaffen ist des Volkes eigen. Das sozialistische Prinzip Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung' wird verwirklicht." Die Bezeichnung dieses Prinzips als „sozialistisches Prinzip" suggeriert insbesondere eine nicht leistungsgerechte Verteilung im Kapitalismus. Die Abweichung vom kommunistischen Verteilungsprinzip „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" wird mit der Bedeutung der Arbeit für die gesellschaftliche Entwicklung begründet. „... denn solange die Arbeit entscheidende Grundlage des gesellschaftlichen Reichtums bleibt, kann nur nach dem Maß dieses Reichtums, eben nach der Arbeitsleistung angeeignet werden und noch nicht nach den Bedürfnissen." (Autorenkollektiv, 1969, S. 251).
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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(3) Nutzung der wissenschaftlich-technischen Revolution und Gesellschafts- und Wirtschaftsgestaltung auf der Grundlage des Systems ökonomischer Gesetze „Gesetze" tauchen in der DDR-Literatur in einer verwirrenden Vielzahl unterschiedlicher Formulierungen auf. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um empirisch überprüfbare Kausalbeziehungen, sondern um Aussagen, die häufig den Charakter von moralischen Normen und strukturellen Relationen haben. Da keine Einigkeit über Zahl und Abgrenzung der Inhalte der ökonomischen Gesetze besteht, seien hier in Anlehnung an Kruppa (S. 31) nur die wichtigsten Formulierungen zusammengefaßt: • Ökonomisches Grundgesetz des Sozialismus „Das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus besagt: ständige Erweiterung, Vervollkommnung und Intensivierung der sozialistischen Produktion und Reproduktion auf der Basis des wissenschaftlich-technischen Höchststandes zur Stärkung der sozialistischen Ordnung, der ständig besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger, der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen." (Autorenkollektiv, 1969, S. 237) Das ökonomische Grundgesetz ist damit das grundlegende „Bewegungsgesetz des Sozialismus". • Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft „In der sozialistischen Produktionsweise wirkt in enger Verbindung mit dem ökonomischen Grundgesetz das ökonomische Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft, das die Notwendigkeit der planmäßigen Leitung der Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes sowie ihrer Teilsysteme durch den sozialistischen Staat zum Ausdruck bringt und dabei auf die notwendige Dynamik und Proportionalität im Reproduktionsprozeß drängt, um die den Interessen der Werktätigen entsprechende Effektivität der gesellschaftlichen Arbeit zu erreichen. Die auf dem sozialistischen Eigentum beruhende Wirtschaft kann nicht anders existieren und funktionieren als durch das bewußte Handeln aller ihrer Produzenten und gesellschaftlichen Organe. Die sozialistische Wirtschaft ist Planwirtschaft." (Autorenkollektiv, 1969, S. 243) Mit dem „Gesetz" der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft soll also letztlich die Begründung der Planwirtschaft gegeben werden. • Gesetz der Verteilung der Einkommen nach der Leistung Dieses „Gesetz" wurde bereits im Zusammenhang mit dem Prinzip der zentralen Stellung der Arbeit und der Verteilung nach der Leistung erörtert. • Gesetz der Ökonomie der Zeit „In der sozialistischen Ökonomik kommt es darauf an, die gesellschaftlichen Bedürfnisse mit einem möglichst geringen und beständig zu minimierenden gesellschaftlichen Arbeitsaufwand zu befriedigen ..." (Autorenkollektiv, 1969, S. 238). Es wird somit von einer ständigen Steigerung der Arbeitsproduktivität im Zuge sozialistischer Produktionsverhältnisse und einer damit einhergehenden Zunahme der gesellschaftlich und individuell disponiblen Zeit ausgegangen. Die vorstehenden Zitate machen deutlich, daß das System ökonomischer Gesetze im Sozialismus mit einer wissenschaftlichen Theorie, die auf empirisch überprüfbaren Wenn-Dann-Aussagen aufbaut, nichts gemein hat. Vielmehr handelt es sich um „Pseudo-Theorien", deren Funktion „... nicht in der Erklärung bestimmter Vorgänge, sondern in ihrer Rechtfertigung, nicht in der Vorhersage
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
bestimmter Handlungskonsequenzen, sondern in der Vorentscheidung von Handlungen, nicht in der Beschreibung von Ereignissen, sondern in ihrer Bewertung" besteht. (H. Albert, S. 127) Insgesamt kann man sich bei dem Versuch, sich einen systematischen Überblick über die Prinzipien der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus zu verschaffen, des Eindrucks einer Mystifizierung nicht erwehren, der auch von Kruppa (S. 31) empfunden wird." Die SED mystifiziert ihre Politik gern und vielfältig mit formalen Eigenschaften wie Rationalität, Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Mit diesen Eigenschaften und den .ökonomischen Gesetzen' können nahezu alle Maßnahmen der Vergangenheit und Pläne für die Zukunft gerechtfertigt werden. Die Begriffe lassen sich wegen ihrer inhaltlichen Leere austauschen und leicht zur motivierenden Indoktrination verwenden. Im Falle des Systemerfolgs wird eine Entfaltung der ,Gesetze' behauptet, im Falle des Mißerfolges wird ihre Mißachtung den operativen Instanzen angelastet."
4.1.2 Prägende Merkmale der Wirtschaftsordnung 4.1.2.1 Eigentumsordnung und Koordination der Wirtschaftsprozesse Es wurde bereits ausgeführt, daß Ausgangslage der Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus die in der D D R bereits als vollzogen postulierte Realisierung sozialistischer Produktionsverhältnisse ist. Grundlegendes Element der sozialistischen Produktionsverhältnisse ist das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln, das in der geschichtlichen Abfolge das kapitalistische Privateigentum an Produktionsmitteln ablösen soll. Für die Vertreter der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie ist das Privateigentum an Produktionsmitteln „Quelle der Ausbeutung" und entscheidende Voraussetzung für den aus dem „kapitalistischen Grundwiderspruch" der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung resultierenden Klassenantagonismus. Das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln wird dagegen als Vorbedingung für ein menschliches Zusammenleben angesehen, das frei von Ausbeutung und Unterdrückung sei. Zu dieser Vorstellung ist anzumerken, daß wesentlich für die Beseitigung von gesellschaftlichen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen zunächst nicht der formale Akt der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Antwort auf die Frage „Wem gehören die Produktionsmittel?" ist. Vielmehr ist die Ausgestaltung der materialen Verfügungsverhältnisse (Wer verfügt über die Produktionsmittel?) von zentraler Bedeutung für gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse. Die Frage nach der Art der Ausübung der Verfügungsgewalt stellt sich in sozialistischen Gesellschaftssystemen in besonderem Maße, weil die führende Rolle der Partei eines der Prinzipien der Gestaltung des Sozialismus ist und weil demzufolge der absolute Führungs- und Verfügungsanspruch einer Elite in dogmatischer Erscheinungsform auftreten kann. Die Eigentumsordnung der D D R ist das Ergebnis einer seit 1945 konsequent und zielstrebig betriebenen Politik zur Verwirklichung sozialistischer Produktionsverhältnisse. Die hierbei eingesetzten Mittel waren vielfältig und reichten
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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von staatlichen B e t e i l i g u n g e n an Privatbetrieben s o w i e einer B o d e n r e f o r m und der V e r g e n o s s e n s c h a f t u n g der Landwirtschaft bis zur E n t e i g n u n g v o n Schlüsselindustrien, B a n k e n u n d Versicherungen s o w i e anderen individuellen E n t e i g nungsmaßnahmen. G e m ä ß Artikel 10 der Verfassung der D D R gibt es drei Varianten des sozialistischen E i g e n t u m s (vgl. Übersicht 10): • gesamtgesellschaftliches V o l k s e i g e n t u m , • genossenschaftliches Eigentum, • E i g e n t u m gesellschaftlicher Organisationen.
Übersicht 10: Verfassungsmäßige Eigentumsbegriffe in der D D R Begriff
Träger
Inhalt
1.1 Gesamt- Bodenschätze, Bergwerke, große Gewässer; größere Industriegesellbetriebe; Banken, Versicherunschaftgen, Verkehrswege, Transportliches mittel der Eisenbahn, SeeschiffVolkseigentum fahrt, Luftfahrt, Post- und Fernmeldewesen; volkseigene Güter
das gesamte Volk, das seine Eigentümerrechte durch den Staat wahrnimmt
Nutzung und Bewirtschaftung durch volkseigene Betriebe und staatliche Einrichtungen, Genossenschaften und gesellschaftliche Organisationen
1.2 Genossenschaftliches Eigentum
landwirtschaftliche, handwerkliche und sonstige sozialistische Genossenschaften
Nutzung, Bewirtschaftung, Verfügung (allgemeine Eigentümerbefugnisse)
Partei und andere sozialistische Massenorganisationen (z.B. Freier Deutscher Gewerkschaftsbund)
allgemeine Eigentümerbefugnisse; Befugnisse im Rahmen der Zweckbestimmung
1.
Gegenstand
Sozialistisches Eigentum
Geräte, Maschinen, Anlagen, Bauten, Tierbestände der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften; erzielte Arbeitsergebnisse und Erzeugnisse
1.3 Eigentum alle Gegenstände, ausgenommen geselldie ausschließlich dem Volksschaftlieigentum vorbehaltenen cher Organisationen 2.
Persönli- insbesondere Konsumgüter, jede natürliche ches Gegenstände des täglichen BePerson Eigentum darfs; auch Grundstücke und Gebäude, die der Befriedigung der Wohnbedürfnisse des Eigentümers und seiner Familie dienen
allgemeine Eigentümerbefugnisse; Befugnisse im Rahmen der Interessen der Gesellschaft
3.
Privateigentum
allgemeine Eigentümerbefugnisse; Nutzung muß jedoch gesellschaftlichem Interesse dienen
kleine Betriebe; gewerblich genutzte Grundstücke und Gebäude; Produktionsmittel, soweit nicht sozialistisches Eigentum
Quelle: A . Kruppa, S. 135.
Kleinunternehmer, Gewerbetreibende, Handwerker
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
Das gesamtgesellschaftliche Eigentum gilt, da es den stärksten Grad der Vergesellschaftung aufweist, als „höchste Form des Eigentums", zu deren Gunsten langfristig die vom Vergesellschaftungsgrad her niedere Form des genossenschaftlichen Eigentums verschwinden wird. Träger des gesamtgesellschaftlichen Eigentums ist demgemäß das gesamte Volk, das die Eigentümerrechte (Verfügung) durch den Staat unter Führung der SED wahrnimmt. Das genossenschaftliche Eigentum besteht als Eigentum von Kollektiven insbesondere bei landwirtschaftlichen und handwerklichen Genossenschaften. Träger des Eigentums gesellschaftlicher Organisationen sind die Parteiorganisationen und andere sozialistische Massenorganisationen; Objekte dieser Eigentumsvariante sind insbesondere Verlagsbetriebe sowie soziale und kulturelle Einrichtungen. Daneben kennt die Verfassung der D D R auch persönliches Eigentum an Gegenständen des täglichen Bedarfs und an Grundstücken und Gebäuden, die der Befriedigung der Wohnbedürfnisse des Eigentümers und seiner Familie dienen. Artikel 14 der Verfassung der D D R ermöglicht darüber hinaus Privateigentum an kleinen Handwerksbetrieben und Gewerbebetrieben, sofern deren Nutzung dem gesamtgesellschafltichen Interesse dient. Übersicht 11 gibt, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, einen Überblick über die Entwicklung der produktionsrelevanten Eigentumsformen in der Wirtschaft der D D R von 1952 bis 1979. Die Tabelle macht deutlich, daß infolge der seit den Ursprüngen der Gestaltung des Wirtschaftssystems der D D R betriebenen Politik zur Verwirklichung sozialistischer Produktionsverhältnisse eine Vorrangstellung des sozialistischen Eigentums als Grundlage der weiteren Gestaltung des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus besteht. Während 1952 erst über die Hälfte der Beschäftigten in gesamtgesellschaftlichen oder genossenschaftlichen Eigentumsformen tätig waren, ist dieser Anteil inzwischen auf rund 95% gesteigert worden. Dabei besteht ein Übergewicht des gesamtgesellschaftlichen Eigentums, dem zu Beginn der 80-iger Jahre nahezu 80% der Beschäftigten zugeordnet sind. Schwerpunkt des genossenschaftlichen Eigentums ist die Landwirtschaft. Eine besondere Übergangsform auf dem Weg zum sozialistischen Eigentum ist die Variante des halbstaatlichen Eigentums. Dabei handelt es sich um private Betriebe, an denen sich der Staat finanziell beteiligt. Während die Gründung von halbstaatlichen Betrieben zunächst durch eine Vielzahl von Präferenzen begünstigt wurde (Steuersätze, Zuteilung von Material, Kapitalbereitstellung), setzte ab etwa 1971 in großem Ausmaß eine Umwandlung der halbstaatlichen Betriebe in gesamtgesellschaftliches Eigentum (Volkseigene Betriebe) ein. Im Jahr 1979 betrug der Anteil der Beschäftigten in halbstaatlichen Betrieben nur noch 0,6%. Innerhalb der Wirtschaftszweige besteht Privateigentum in nennenswertem Ausmaß vor allem im Handwerk, im Einzelhandel und im Gaststättengewerbe. Handwerkliche Leistungen werden in der D D R zu 60% (1979) von privaten Betrieben erbracht. Damit ist das Handwerk der einzige Wirtschaftszweig in der D D R , in dem sich das Eigentum an Produktionsmitteln und die formale Verfügungsgewalt überwiegend in privater Hand befindet. Es zeigt sich somit, daß der „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse" nicht auf einer völligen Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln aufbaut. Allerdings ist gesamtwirtschaftlich eine ausgesprochene Dominanz des sozialistischen Eigentums zu konstatieren - mit entsprechender materialer Ein-
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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Übersicht 11: Entwicklung der Eigentumsformen im Produktionsmittelbereich in der Wirtschaft der D D R (gemessen an der Zahl der Beschäftigten in v. H.) 1 100% 90% —
80% 70% —
60% —
50% —
40%
30% —
20% 10% —
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Quelle: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 1978, S. 37; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost), div. Jahrgänge.
bindungswirkung von Privatbetrieben in das Zentralplanungssystem. Man nimmt in der D D R offenbar Relikte einer von der Ideologie her überkommenen Eigentumsform bewußt in Kauf, um unter gegebenen gesellschaftlichen Umständen und bei gegebenem Entwicklungsstand der Planungstechnologie die Effizienz des Systems zu erhalten. Denn gerade der Handwerksbereich ist wegen des besonderen Grades an Unvorhersehbarkeit der Leistungsinanspruchnahme und der erforderlichen Flexibilität der Leistungserstellung besonders schwierig in ein Zentralplanungssystem zu integrieren. Der mit der volkswirtschaftlichen Planungs- und Leitungsorganisation in der D D R verbundene Anspruch besteht darin, eine Wirtschaftsordnung zu verwirklichen, in der die Koordination der Wirtschaftsprozesse nicht nur innerhalb von einzelwirtschaftlichen Einheiten nach dem hierarchischen Prinzip erfolgt (in der D D R gilt das Prinzip der Einzelleitung von betrieblichen Einheiten durch den Di1
1952 bis 1960 gesamtgesellschaftliches Volkseigentum einschl. Eigentum gesellschaftlicher Organisationen, wie der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, dessen Umfang jedoch bedeutungslos blieb.
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
rektor), sondern in der auch die Interaktionen zwischen Wirtschaftseinheiten durch vertikal-hierarchische Über- und Unterordnungsverhältnisse gekennzeichnet sind. Das hierarchische Prinzip mit entsprechenden aufbauorganisatorischen Konkretisierungen prägt damit sowohl intraorganisational als auch interorganisational die Wirtschaftsordnung der D D R . In der Planungs- und Leitungsorganisation der D D R wurden in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreiche Änderungen durchgeführt, die von der systemvergleichenden Analyse stets in die beiden Rubriken „mehr Dezentralisierung" oder „Rezentralisierung" eingeordnet werden. Reformmaßnahmen wie das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung" aus dem Jahr 1963 und das „Ökonomische System des Sozialismus" von 1967 ließen in der Literatur gar die Frage „Sozialistische Marktwirtschaft in der D D R ? " erwägenswert erscheinen (vgl. H. Hamel, 1975). Allen Reformmaßnahmen im Planungs- und Leitungssystem der D D R war und ist jedoch - solange die ideologischen Grundlagen unverändert gelten - das Bemühen gemein, die Domirtanz der hierarchischen Koordinierung und das System der zentralen Planung und Lenkung nicht etwa durch ein neues System, z.B. eine gelenkte Marktwirtschaft mit Markteingriffen, Produktionslenkung und Preisregulierung, abzulösen. Durch institutionelle und prozessuale Veränderungen, die - wie die 1966 eingeführte Produktionsfondsabgabe als Form eines Zinses auf das eingesetzte Kapital - als „ökonomische Hebel" wirken, soll lediglich die Effizienz des hierarchischen Systems verbessert werden. „Reformen des Lenkungsmechanismus wurden vorgenommen, um die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Systemmanager wirkungsvoller zu realisieren, um das Planungssystem effizienter zu machen, nicht aber um anderen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, anderen Prioritäten Raum zu geben." (H.-J. Wagener, S. 400) Rezentralisierungstendenzen der jüngsten Vergangenheit werden dadurch begünstigt, daß in der D D R die Betriebskonzentration stark zugenommen hat. In diesem Zusammenhang ist auch die zunächst als Auflockerung der zentralen Planung über die Gewährung von mehr Selbständigkeit gedachte Kombinatsreform von 1979 zu sehen. Mit ihr wurden die eher konzernartigen Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) durch eher Trusts gleichende Kombinate abgelöst, wodurch auch eine Reduzierung der volkswirtschaftlichen Leitungsstufen erreicht werden sollte. Hierarchien lassen sich in Anlehnung an Schenk (1981, S. 70ff.) durch die Merkmale Regieebene, Managementebene und ausführende Ebene kennzeichnen. Wendet man diese prinzipiell für alle Hierarchien gültige Unterscheidung auf die Planungs- und Leitungsorganisation der Industrie in der D D R an, läßt sich diese wie in Übersicht 12 stark vereinfacht und auf die wesentlichsten Bezüge reduziert darstellen. In Übersicht 12 wird verdeutlicht, daß Kombinate, die durch den fusionsartigen Zusammenschluß einzelner Volkseigener Betriebe (VEB) entstehen, in volkswirtschaftlicher Perspektive eine institutionelle Klammer zwischen der Managementebene und der ausführenden Ebene darstellen. Kombinate werden von einem Generaldirektor geleitet, der den Weisungen des Ministers unterworfen ist, seinerseits aber gegenüber den Direktoren der einzelnen Kombinatsbetriebe weisungsberechtigt ist. Indem von den Kombinaten neben einer Beschleunigung des technischen Fortschritts und der Durchsetzung von Rationalisierungserfol-
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Übersicht 12: Schematische Darstellung der Planungs- und Leitungsorganisation der Industrie in der D D R
Anweisungsbeziehungen Informationsbeziehungen zur Überwachung der Zielverwirklichung Regieebene: Zielfestlegung für die gesamte Organisation; Zielkonkretisierung zur Beauftragung und Überwachung der Leitungsorgane auf der Managementebene. Managementebene: Meldung der Zielrealisierung an die Regieebene; Aufträge und Anweisungen an die ausführenden Organe auf der Grundlage einer noch weitergehenden Konkretisierung der Ziele von der Regieebene; Überwachung der Zielverwirklichung. Ausführende Ebene: Empfänger von Anweisungen, die sich auf konkrete Aktivitäten beziehen; Meldung der Zielrealisierung. Quelle: Eigene Darstellung; zur allgemeinen Kennzeichnung der Hierarchieebenen vgl. K.-E. Schenk, 1981, S. 71f.
gen eine bessere Lösung der Zulieferprobleme durch Angliederung geeigneter Betriebe erwartet wird, handelt es sich bei der Kombinatsreform von 1979 auch um eine bewußte Förderung der vertikalen Betriebsintegration. „Über die Angliederung von Zulieferbetrieben soll ein Teil der bisher zweigübergreifenden Koordinierungsaufgaben eingespart werden, und von der Konzentrierung von Kapazitäten erhofft man sich deutliche Leistungssteigerungen." (M. Melzer, S. 364) Seit Jahresanfang 1980 gibt es in der Industrie und Bauindustrie der D D R 129 den Ministerien direkt unterstellte Kombinate, in denen etwa 90% der Beschäftigten dieser Bereiche tätig sind. Die Kombinate der Industrie erzeugten 1979 etwa 90% der gesamten Industrieproduktion.
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Obwohl der Generaldirektor eines Kombinats nach der Konzeption dieser sozialistischen Trusts ein „Beauftrager des Ministers" und zugleich ein „Unternehmer" sein soll, bestehen nach dem Durchgriffsprinzip nach wie vor - auch dies ist ein Indiz dafür, daß der Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit von Wirtschaftseinheiten in der D D R vor dem Hintergrund des Führungsanspruchs der Partei enge Grenzen gesetzt sind - weitreichende Durchgriffsrechte der Ministerien auf die ausführende Ebene. Wagener spricht in diesem Zusammenhang vom Typus der „aufgeklärten, direktiven Planung" (S. 401). Diese Durchgriffsrechte werden seit Anfang 1982 wieder verstärkt praktiziert. Die Kombinatsreform erhält dadurch einen ambivalenten Charakter: Ursprünglich als Maßnahme zur Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch Gewährung größerer Eigenständigkeit gedacht, erleichtert sie über die Reduktion der Leitungsstufen und die Z u n a h m e der Betriebskonzentration Rezentralisierungsmaßnahmen, die ihren Anlaß in gravierenden wirtschaftlichen Problemen, insbesondere Wachstumsproblemen der D D R haben. Neben dem Durchgriffsprinzip, das den zentralen Anspruch der Planung und Leitung unterstreicht, erfolgt die aufbauorganisatorische Strukturierung der Managementebene nach dem Produktionsprinzip und nach dem Territorialprinzip. Das Produktionsprinzip beinhaltet eine branchen- bzw. wirtschaftszweigbezogene Bildung und Zuordnung von Institutionen. Nach dem Territorialprinzip erfolgt die Bildung und Zuordnung von Instititionen nach regionalen und lokalen Gesichtspunkten. Zu dem Bereich der territorial geleiteten Wirtschaft gehören vor allem Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, der Leichtindustrie und der örtlichen Versorgungswirtschaft. D e r im vorangegangenen Abschnitt im Zusammenhang mit der Konzeption des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus hervorgehobene Tatbestand, daß die Wirtschaftsordnung der D D R nur unter Einbeziehung der politischen Institutionen und Entscheidungsstrukturen gekennzeichnet werden kann, weil eine staatliche Bestimmung des wirtschaftlichen Geschehens vorliegt, kommt in Übersicht 12 deutlich zum Ausdruck. Die Ministerien (Produktionsministerien, die für einzelne Industriezweige gebildet werden; Branchenministerien für den nichtindustriellen Bereich; Ministerien für besondere Aufgaben wie Wissenschaft und Technik, Wasserwirtschaft, Materialwirtschaft und Außenhandel) sind als oberste Organe der Managementebene eingeordnet und stellen die Verbindung zur Regieebene mit den höchsten politisch-administrativen Gremien der D D R her. Auf der Regieebene ist der Ministerrat der D D R das Bindeglied zwischen den Spitzengremien der Partei- und Staatsführung (Politbüro und Zentralkomitee der SED; Staatsrat und Volkskammer) und den Organen der Managementebene und der ausführenden Ebene. Gutmann (S. 119) umschreibt die Aufgabenstellung des Ministerrats wie folgt: „Entsprechend den geltenden gesetzlichen Bestimmungen leitet der Ministerrat die Volkswirtschaft gemäß den Direktiven der Partei. Er soll die Kombinate, die volkseigenen Betriebe und die übrigen ihm nachgeordneten wirtschaftsleitenden Einrichtungen zu möglichst optimaler Nutzung der vorhandenen Produktionsmittel, zur Kostensenkung und zur Qualitätserhöhung veranlassen. Der Ministerrat ist außerdem verantwortlich dafür, daß die Langfristpläne, die Fünfjahrpläne, die Jahresvolkswirtschaftspläne und auch die Staatshaushaltspläne rechtzeitig ausgearbeitet werden. Er berät und bestätigt die Entwürfe der Gesetze über die eben genannten Pläne und legt diese dann der
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Volkskammer zur Beschlußfassung vor." Dabei ist die Staatliche Plankommission als „ökonomischer Generalstab" des Ministerrats das maßgebliche Organ der Regieebene, das über die menschlichen und technischen Ressourcen zur Abwicklung der zentralen Planung und zur laufenden Kontrolle der Plandurchführung verfügt. Im einzelnen hat die Staatliche Plankommission als Planungsbürokratie fünf wesentliche Aufgaben: (1) Vorbereitung und Entwurf der langfristigen Pläne, Fünfjahrpläne und Jahresvolkswirtschaftspläne und Begründung der Planung gegenüber dem Ministerrat; (2) Ausarbeitung von Prognosen über grundlegende wirtschaftliche Prozesse; (3) Kontrolle und Analyse der Wirtschaftsentwicklung hinsichtlich der Planzielverwirklichung als Grundlage für interventionistische Maßnahmen während der Plandurchführung; (4) Planung und Leitung der Standortverteilung der Produktivkräfte in Zusammenarbeit mit regionalen Organen; (5) Erprobung und Verbesserung der Planungsverfahren und Planungsinstrumente. Nach dem zeitlichen Horizont kann man in der D D R folgende Planarten unterscheiden: • Langfristige Planung: vorausschauende Analyse und Festlegung der Hauptrichtungen und grundlegenden Proportionen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren; • Fünfjahrpläne: enthalten hauptsächlich aggregierte Wachstumsziele für fünf Jahre und Mittel zu ihrer Realisierung (Übersicht 13 gibt einen Überblick über bedeutsame Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung im Rahmen von Fünfjahrplänen); • Jahresvolkswirtschaftspläne: Präzisierung der im Fünfjahrplan erfaßten Grundrichtung der Wirtschaftsentfaltung. Jahrespläne der Volkswirtschaft stellen das als Gesetz verbindliche wirtschaftliche Programm für ein Jahr dar. In den Jahresplänen erfolgt eine mikroökonomische Detaillierung der Plankennziffern. Für die Wirtschaftseinheiten der ausführenden Ebene werden konkrete Plankennziffern u.a. über Produktion, Absatz, Export, Rationalisierung, Investitionen, Materialwirtschaft, Arbeitskräfte, Lohn, Finanzen und Prämien vorgegeben. In Übersicht 14 ist der Prozeß zur Erstellung eines Jahresvolkswirtschaftsplanes vereinfacht wiedergegeben. Der institutionalisierte Planungsprozeß wird als „Hin- und Her-System" bezeichnet und als Verwirklichung des Prinzips des demokratischen Zentralismus gesehen. Er endet mit „von oben" als Gesetz verbindlich vorgegebenen Planauflagen. Auch der Umstand, daß sowohl die jährlichen Volkswirtschaftspläne als auch die Fünfjahrpläne als Gesetz verbindlich gemacht werden, belegt sehr deutlich die politisch-administrative Absorption der Wirtschaft der D D R . Auf allen Ebenen der Planungs- und Leitungshierarchie wird die Bilanzierungsmethode zur Ermittlung und Kontrolle der finanziellen und materiellen Proportionen der Pläne angewendet. Vorgesehen sind etwa 5000 Einzelbilanzen, die den bilanzierenden Organen
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• Ministerrat (ca. 300 Staatsbilanzen), • Staatliche Plankommission (ca. 500 zentrale Material-, Ausrüstungs- und Konsumbilanzen), • Ministerien (ca. 1000 Sortimentsbilanzen) und • Kombinate sowie Betriebe (ca. 2800 Sortimentsbilanzen) zugeordnet sind. Übersicht 13: Indikatoren der wirtschaftlichen Entwicklung in der D D R auf der Grundlage der Fünfjahrpläne 1971-1975, 1976-1980 und 1981-1985 (jahresdurchschnittliche Zuwachsraten in %)
Indikatoren Prod. Nationaleinkommen Industr. Warenproduktion Bauindustr. Bruttoprod. Landw. Bruttoproduktion (inkl. Forstwirtschaft) Gesamtinvestitionen Berufstätige Arbeitsproduktivität 2 Industrie Bauwesen Einzelhandelsumsatz Wohnungsbau, Neubauten Nettogeldeinnahme der Bevölkerung Durchschnittlicher Monatsverdienst der Arbeiter und Angestellten Außenhandelsumsatz 3 Export Import
IV.FJP (1971-1975) Ist
V.FJP (1976-1980) Soll Ist
5,2 6,4 7,3
5,0 6,0 5,0
7,9 4,1 0,5 5,5 5,7 5,0 5,0 7,8 5,2
3,7 5,7 0,9
3,5 13,2 12,8 14,1
4,1 4,9
VI.FJP 1 (1981-1985) Soll 5,1-5,4 5,1-5,4 3,4-3,7
3,9
5,4 5,1 4,0
4,0
5,1-5,4 5,1-5,4 3,5-3,7 3,7-4,1
4,0
3,6
3,7-4,1
3,3
3,0 10,0
6,3
5,1
8,5
1
Direktive zum FJP (Fünfjahrplan). Bruttoproduktion je Beschäftigten. 3 Einschl. innerdeutscher Handel. Quelle: B. Plötz, S. 291.
2
Damit deutet sich sowohl prozessual als auch instrumental und institutionell der riesige Planungsaufwand zur Realisierung einer zentralen Planung an. Die hervorstechenden Anwendungsprobleme eines solchen Systems sind • • • •
die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität, die begrenzte Prognostizierbarkeit wirtschaftlicher Entwicklungen, die begrenzte Anpassungsflexibilität bei unerwarteten Entwicklungen und das Problem der Motivation zur bedarfsgerechten Leistungserstellung. Diese Probleme werden in den folgenden Literaturauszügen beleuchtet:
(1) „In Ergänzung zur Ordnung der Planung und der Rahmenrichtlinien wurden uns (das Beispiel bezieht sich auf den Jahresplanentwurf eines volkseigenen Betriebes; d.V.) zweigspezifische Regelungen und eine Einreichungsordnung von
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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; Inhaltlich umfaßt die Eigentumsgarantie sowohl das persönliche (Konsumt i o n - ) Eigentum als auch das Produktionsmitteleigentum. Namentlich für das Eigentum an Produktionsmitteln reicht es gemäß der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik jedoch nicht aus, es nur in der Funktion eines Elements der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen zu sehen. Insbesondere das Produktionsmitteleigentum ist Eigentum mit sozialem Bezug und sozialer Funktion, d.h. daß die „Nutzung und Verfügung in diesem Fall nicht lediglich innerhalb der Sphäre des Eigentümers bleiben, sondern Belange anderer Rechtsgenossen berühren, die auf die Nutzung des Eigentumsobjektes angewiesen sind." (BVerfG E 50, 290 (340f.)) Diese gesellschaftliche Funktion des Eigentums findet ihren Ausdruck in der Sozialbindung des Eigentums gemäß Artikel 14 Abs. 2 G G , in dem Umstand, daß Inhalt und Grenzen des Eigentums durch Gesetz festgelegt werden können (Artikel 14 Abs. 1, Satz 2 G G ) und in der Möglichkeit der Enteignung nach Artikel 14 Abs. 3 G G . Sozialpflichtigkeit und Enteignung sind dabei an das „Wohl der Allgemeinheit" gebunden. „Die Beschränkbarkeit des Eigentums vollzieht sich demgemäß stufenförmig: Von der Sozialbindung bis zur Enteignung. Nach dem Erfordernis des jeweils geringstmöglichen (mildesten) Eingriffs steuert das Prinzip des Übermaßverbots auch die Stufenfolge legitimer Eingriffe in das Eigentum. 1
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, Ausgabe 50, S. 339ff. (hier S. 339ff.).
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
Bei d e r inhaltlichen Konkretisierung des ,Wohls der Allgemeinheit' spielen vor allem verfassungsrechtliche Schutzgüter eine maßgebende Rolle. So hat das Bundesverfassungsgericht auf die Rechte und Freiheiten Dritter und zum anderen auf die (allgemeinen) Prinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit als verfassungsunmittelbare Grundlagen konkretisierter Gemeinwohlentscheidungen im Rahmen des Artikel 14 G G hingewiesen." ( R . Scholz, S. 144, Betonung im Original) Zusätzlich und mit Bezug auf bedeutsame volkswirtschaftliche Ressourcen ermöglicht Artikel 15 G G die Ü b e r f ü h r u n g von G r u n d und B o d e n , Naturschätzen und Produktionsmitteln zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum o d e r in andere Formen der Gemeinwirtschaft. Insgesamt wird damit erkennbar, daß in der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik ein Spannungsverhältnis zwischen verbürgtem freiheitlichem Eigentumsrecht und geforderter Sozialgerechtigkeit der Eigentumsordnung besteht. Festlegung von Inhalt u n d Grenzen des Eigentums durch den Gesetzgeber müssen zu Lasten des einen und zu Gunsten des anderen Prinzips gehen. Nach herrschender verfassungsrechtlicher Lehrmeinung darf jedoch keiner der beiden Pole bedeutungslos werden, obwohl Gewichtsverlagerungen grundsätzlich nach beiden Seiten möglich sind. In diesem Z u s a m m e n h a n g ist auch die Mitbestimmung der A r b e i t n e h m e r als Entscheidungsbeteiligung von Wirtschaftssubjekten und damit als Begrenzung der freien Verfügung über Eigentum von Bedeutung (vgl. Abschnitt 4.2.2.2). Mit der auf privatem Eigentum b e r u h e n d e n Eigentumsordnung ist der G r u n d stein f ü r eine dezentrale wettbewerbliche Koordination der wirtschaftlichen Prozesse gelegt. Man kann in Anlehnung an v. Hayek (1976, S. 103ff.) als primäre technologische Problemstellung der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten die Verwertung des Wissens in der Wirtschaftsgesellschaft sehen. Mit dieser A k zentsetzung wird an die Ausführungen zu den Problemen der Realisierung einer Zentralverwaltungswirtschaft angeknüpft: die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität der Wirtschaftssubjekte, die begrenzte Prognostizierbarkeit wirtschaftlicher Entwicklungen, die begrenzte Flexibilität zentraler Leitung bei unerwarteten Entwicklungen und die Schwierigkeit der Motivation zur bedarfsgerechten Leistungserstellung bei mangelnden persönlichen Anreizen. Die Problematik der Verwertung von Wissen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in arbeitsteilig organisierten, hochspezialisierten Volkswirtschaften verdeutlicht der nachstehende Literaturauszug. „An diesem Prozeß sind Millionen von Arbeitskräften, H u n d e r t t a u s e n d e von Betrieben, Millionen von privaten und (unter Einschluß der G e m e i n d e n ) Tausende von öffentlichen Haushalten beteiligt. Es ist ein simples G e b o t der Vernunft, der Rationalität diesen Wirtschaftsprozeß so zu organisieren, daß die täglich millionenfach ablaufenden wirtschaftlichen Transaktionen, d.h. die Käufe und V e r k ä u f e von Gütern und Dienstleistungen, schnell, möglichst reibungslos und effizient Zustandekommen und abgewickelt werden k ö n n e n . " (H. Lampert/D. Schönwitz, S. 6) W ä h r e n d in dem Anspruch der zentralen Verwertung von Wissen und den daraus resultierenden e n o r m e n Anforderungen an die Informationsverarbeitungskapazität eines der gravierendsten Anwendungsprobleme der Verwirklichung einer effizienten Zentralverwaltungswirtschaft besteht, werden durch das Marktund Preissystem die Anforderungen an das Wissen einzelner Wirtschaftssubjekte zur (dezentralen) Steuerung des wirtschaftlichen Geschehens drastisch reduziert.
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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„Wir müssen das Preissystem als einen ... Mechanismus zur Vermittlung von Informationen ansehen, wenn wir seine wirkliche Funktion verstehen wollen ... Das Bedeutungsvollste an diesem System ist die Wirtschaftlichkeit, mit der es das Wissen ausnutzt, d.h. wie wenig die einzelnen Teilnehmer zu wissen brauchen, um die richtige Handlung vornehmen zu können. In abgekürzter Form, durch eine Art von Symbol wird nur die wesentlichste Information weitergegeben und zwar nur an die, welche es angeht. Es ist nicht nur ein Gleichnis, wenn man das Preissystem als eine Art von Maschinerie zur Registrierung von Veränderungen bezeichnet, oder als ein System von Fernvermittlung, das die einzelnen Produzenten instandsetzt, nur mit Hilfe von Beobachtung von ein paar Zeigern, so wie etwa ein Techniker die Zeiger von ein paar Zifferblättern beobachtet, ihre Tätigkeit an Änderungen anzupassen, von denen sie nie mehr zu wissen brauchen, als sich in der Preisbewegung widerspiegelt." (F. A . v. Hayek, 1976, S. 115) Die Koordinierung über Preisbildung und Märkte als ökonomische Orte des Tausches ist somit als ein Informations- und Steuerungssystem zu betrachten, das das Problem lösen soll, den Wirtschaftssubjekten genau die Informationen zu vermitteln, die sie brauchen, um individuelle Entscheidungen und Verhaltensweisen in den Gesamtzusammenhang sich ständig ändernder wirtschaftlicher Größen einzuordnen. Dabei wird die Aufgabenstellung „Wieviel Kenntnis muß das Wirtschaftssubjekt besitzen, um erfolgreich agieren zu können?" bei der marktwirtschaftlichen Koordinierung durch die Gestaltungsmaxime „Zusammenfassung von Steuerungsinformationen so wenig wie möglich, um detaillierte Kenntnisse, die die Wirtschaftssubjekte über ihre unmittelbare Umgebung haben, bestmöglich nutzen zu können" beantwortet. Im Marktmechanismus ist also eine dezentrale Verwertung von Wissen mit geringstmöglichen Informationsansprüchen an Einzelne angelegt. Hierzu nochmals - weil sehr prägnant - eine Stellungnahme v. Hayeks, die aus einer berühmt gewordenen Vorlesung an der Universität Princeton im Jahr 1946 stammt: „Das ganze funktioniert als ein Markt nicht weil irgendeines seiner Mitglieder das ganze Feld überblickt, sondern weil der begrenzte Gesichtskreis des Einzelnen den des Anderen genügend überschneidet, daß durch viele Zwischenglieder die relevante Information allen übermittelt wird. Die bloße Tatsache, daß es für j edes Gut einen Preis gibt - oder eigentlich daß die örtlichen Preise untereinander in einem Zusammenhang stehen, der durch die Kosten des Transportnetzes etc. bestimmt ist - bringt die Lösung zustande, zu der (was gerade denkbar, aber nicht praktisch möglich ist) ein Einzelner gekommen wäre, der all die Informationen besessen hätte, die in Wirklichkeit unter alle an dem Prozeß beteiligten Menschen verteilt sind." (F. A. v. Hayek, 1976, S. 114f., Betonungen im Original). Märkte sind das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage in bezug auf Güter, die aus der Sicht der Nachfrager geeignet sind, ein Bedürfnis in gleicher Weise zu befriedigen. Die spezielle Eigenart der Bereitstellung von Koordinierungs- und Steuerungsinformationen durch Märkte und der dynamische marktwirtschaftliche Wettbewerbsprozeß lassen sich näher anhand der folgenden Preisfunktionen verdeutlichen: • • • •
Ausschaltfunktion, Barometerfunktion, Lenkungsfunktion und Ausweitungfunktion.
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
In Übersicht 15 wird das marktmäßige Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage durch die Angebotsfunktion A A und die Nachfragefunktion N N dargestellt. Die Kurven verlaufen „normal", d.h. es wird davon ausgegangen, daß mit steigenden Preisen mehr angeboten und weniger nachgefragt wird und daß mit sinkenden Preisen weniger angeboten und m e h r nachgefragt wird. Der Preis Po und die abgesetzte bzw. nachgefragte Menge x 0 stellen die Gleichgewichtskonstellation dar, die sich aus dem Schnittpunkt C 0 von Angebotsfunktion A A und Nachfragefunktion N N ergibt. Diese Gleichgewichtskonstellation ist die einzige Situation, bei der die angebotene Menge gleich der nachgefragten Menge ist, bei der also weder ein Angebotsüberschuß (p > p 0 ) noch ein Nachfrageüberschuß (p < po) besteht. D i e marktwirtschaftliche Koordinierung tendiert bei ungehinderter Preisbildung zum Gleichgewichtspreis p 0 , weil auftretende Angebots- oder Nachfrageüberschüsse Signale sind, die entsprechende Preis- und Mengenreaktionen auslösen.
Übersicht 15: Marktmäßige Koordinierung Preis(p)
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Menge (x)
Beim Gleichgewichtspreis p 0 werden diejenigen Anbieter vom Markt ausgeschlossen, die aufgrund ihrer Produktionskosten zum Preis p 0 nicht anbieten können (Teil der Angebotskurve AA oberhalb von C 0 ); die Ausschaltfunktion des Preises bewirkt in bezug auf die Nachfrager, daß diejenigen Nachfrager nicht zum Zuge kommen, die nur einen niedrigeren Preis als p 0 bezahlen können oder wollen (Teil der Nachfragekurve NN unterhalb von C 0 ).
4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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Die Preisfunktionen Barometerfunktion, Lenkungsfunktion und Ausweitungsfunktion sind im Zusammenhang zu sehen und begründen in ihrem Zusammenwirken den marktwirtschaftlich-dynamischen Wettbewerbsprozeß. Einem Barometer gleich spiegelt der (Gleichgewichts-) Preis sich ändernde Nachfrageund Angebotskonstellationen wider. So wird in Übersicht 15 von einer Rechtsverschiebung der Nachfragefunktion auf N ' N ' ausgegangen. Das bedeutet, daß zu jedem möglichen Preis eine größere Menge nachgefragt wird. Diese Änderung der Nachfragekonstellation kann auf eine Erhöhung des verfügbaren Einkommens, auf Präferenzänderungen oder auf Preisveränderungen bei anderen Gütern zurückgeführt werden. Sie führt dazu, daß gemäß der Angebotsfunktion der im Markt befindlichen Anbieter der Gleichgewichtspreis von p 0 auf pj steigt. Vorausgesetzt, daß sich die Kostenverläufe der etablierten Anbieter nicht ändern, entstehen gegenüber der ursprünglichen Situation zunächst Zusatzgewinne. Unterstellt man gewinnorientiert handelnde, dynamische Unternehmer, signalisiert die Information „Preiserhöhung aufgrund veränderter Nachfragekonstellation" gegenüber anderen Produktionsmöglichkeiten verbesserte Gewinnerwartungen, die potentielle Wettbewerber anlocken. Strömen neue Wettbewerber auf den Markt, werden Produktionsfaktoren in die Bereiche der Produktion gelenkt (Lenkungsfunktion), wo die Verdienstmöglichkeiten am günstigsten sind und ihr Einsatz insofern dringlich ist, als er durch Veränderungen der Nachfragebedingungen hervorgerufen wird. Dadurch kommt die Ausweitungsfunktion zum Tragen, indem durch Marktzutritt neuer und durch Erweiterung der Produktion etablierter Anbieter das mengenmäßige Angebot erhöht wird. Dies wirkt sich in der graphischen Darstellung der Übersicht 15 in einer Rechtsverschiebung der Angebotsfunktion auf A ' A ' aus, d.h. zu jedem möglichen Preis wird eine größere Menge angeboten. Die Folge ist eine neue Gleichgewichtssituation p 2 , x 2 , die gegenüber der Ausgangssituation p 0 , x0 eine bessere Marktversorgung (x 2 > x 0 ) bedeutet. Der ursprünglichen Preissteigerung auf pj wird also durch den Marktzutritt entgegengewirkt; entstandene Zusatzgewinne werden dadurch wieder reduziert. Das Marktsystem als Informations- und Koordinationssystem soll somit dazu führen, daß die Produktionsfaktoren in die Bereiche der dringlichsten und damit aus der Sicht der Nachfrager bestmöglichen Verwendung gelenkt werden und daß über den Wettbewerbsdruck eine Marktversorgung zu möglichst niedrigen Preisen gewährleistet wird. Da der in den Grundzügen als Resultat des Zusammenwirkens der Preisfunktionen dargestellte Wettbewerbsprozeß über Marktzutritt die Positionen von etablierten Anbietern gefährdet und damit Unternehmensrisiken schafft, wird in der Realität marktwirtschaftlicher Ordnungen der von Eucken (S. 31) so eindringlich formulierte „Trieb zur Beseitigung von Konkurrenz und zur Erwerbung von Monopolstellungen" bestehen. Es gehört deshalb zu den vorrangigen Aufgaben der Ordnungsgestaltung, Regelungen zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs vorzusehen. Entscheidender Bestandteil der Wirtschaftsverfassung im weiteren Sinne (Gesamtheit der Normen des Verfassung-, Gesetzes- oder Verordnungsrechts mit ökonomischer Relevanz) ist dementsprechend das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Mit dem G W B , das aus dem Jahr 1957 stammt und seitdem mehrfach novelliert wurde, hat der Gesetzgeber die wirtschaftsordnungspolitische Entscheidung für eine Wettbewerbsordnung konkretisiert. Das G W B sieht zur Erhaltung der Funk-
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tionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Wettbewerbsprozesses folgende wesentliche Maßnahmebereiche vor: • allgemeine Verbote vertraglicher und nicht vertraglicher wettbewerbsbeschränkender Absprachen und Praktiken; • Verbot diskriminierender Verhaltensweisen und Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen mit dem Ziel, eine Ausbeutung oder Behinderung der Marktteilnehmer insbesondere durch markt- und ressourcenmächtige Unternehmen zu verhindern; • Zusammenschlußkontrolle, mit der das Entstehen oder die Verstärkung marktbeherrschender Stellungen im Wege externen Unternehmenswachstums, d.h. durch den Zusammenschluß von Unternehmen, unterbunden werden soll. Trotzdem ist es in der Bundesrepublik Deutschland - dies ist eines der entscheidenden Zukunftsprobleme der Sozialen Marktwirtschaft - auf der Grundlage wirtschaftlicher Macht zu Abweichungen zwischen marktwirtschaftlichem Modell und der Realität gekommen. Diese Problematik wird eigenständig in Kapitel 5 behandelt. Über die wettbewerbsordnende Problemstellung hinaus kann man allgemein sagen, daß ein nicht störungsfreies Funktionieren marktwirtschaftlicher Ordnungen im Hinblick auf die Erfüllung gesellschaftlich anerkannter Ziele, wie neben der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beispielsweise die im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz) festgelegten Ziele Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, wirtschaftliches Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht, wirtschaftspolitische Steuerungsleistungen begründet. Daraus resultiert ein System von Trägern und in der Vorbereitungs-, Durchführungs- und Kontrollphase politischer Steuerungsleistungen tätig werdenden Organen der Wirtschaftspolitik, das in Übersicht 16 für die Bundesrepublik Deutschland synoptisch wiedergegeben ist. Grundsätzlich ist nach dem Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft - im Gegensatz zur Konzeption des Entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus - eine weitestgehende Trennung von Staat und Wirtschaft zur Ermöglichung „spontaner Ordnungen" anzustreben. In liberaler Perspektive ist deshalb wirtschaftsordnungspolitischen Steuerungsleistungen gegenüber (fallweisen) prozeßpolitischen Interventionen der Vorzug zu geben. Vor allem ist die über reine ordnungs- oder prozeßpolitische Steuerungsleistungen hinausgehende Übernahme von Wirtschaftssystemaktivitäten durch staatliche Institutionen in marktwirtschaftlichen Ordnungen besonders zu legitimieren. Die Rolle des Staates im Rahmen der marktwirtschaftlichen Koordinierung ist auf die eines „Ausfallgaranten" zu beschränken, der stets den Nachweis für die Notwendigkeit sowohl von Steuerungsleistungen als auch von eigenen Wirtschaftssystemaktivitäten zu erbringen hat. Die Übernahme von Wirtschaftssystemaktivitäten durch staatliche Institutionen wird unterschiedlich begründet: (1) Kollektivgüter Es gibt bestimmte Güter, bei deren Erstellung das marktwirtschaftliche Prinzip „versagt", weil die essentiellen Voraussetzungen der marktwirtschaftlichen Koordinierung nicht vorliegen. Unverzichtbare Voraussetzungen der marktwirtschaftlichen Koordinierung sind die Rivalität in der Leistungsinanspruchnahme
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Quelle: H. Lampert/D. Schönwitz, S. 24.
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und die Ausschließbarkeit Anderer von der Leistungsinanspruchnahme. Wenn es z.B. entweder überhaupt nicht möglich oder nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht durchsetzbar ist, andere Wirtschaftssubjekte von einer bestimmten Leistung auszuschließen, ist davon auszugehen, daß eigennützig handelnde Wirtschaftssubjekte diese Güter nicht unter Aufwendung von Geld oder sonstigen Mitteln nachfragen. Solche Güter stellen dann Kollektivgüter dar. Typische Wirtschaftsbereiche mit Kollektivgutcharakter sind die innere und äußere Sicherheit sowie die Erstellung von Infrastruktur, insbesondere der Straßenbau. Gerade am Beispiel des Straßenbaus läßt sich jedoch zeigen, daß bei der Abgrenzung von Kollektivgütern Spielräume bestehen. Während beim Stadt- und Landstraßenbau der Kollektivgutcharakter deutlich zutage tritt, weil es i. d. R . unmöglich sein dürfte, in jedem Falle aber unwirtschaftlich wäre, das Ausschlußprinzip durch die Kontrolle aller Zugangsmöglichkeiten durchzusetzen, ist dies bei Autobahnen weniger eindeutig. Die Kontrolle der Leistungsinanspruchnahme ist dort infolge der begrenzten Zahl von Zufahrten durchaus (wirtschaftlich) durchsetzbar. So werden Autobahnen im Ausland teilweise nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben. (2) Meritorische Güter Meritorische Güter können zwar grundsätzlich über den Markt angeboten werden, es wird bei diesen Gütern jedoch davon ausgegangen, daß die einzelnen Wirtschaftssubjekte den Nutzen dieser Güter für sich nicht in ausreichendem Maße erkennen, um diese in genügendem Ausmaß freiwillig zu erwerben. Wichtige Beispiele für meritorische Güter, bei denen auch der mit dieser Kategorie öffentlicher Güter z. T. verbundene Annahmezwang erkennbar wird, sind der Bildungsbereich und der Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung. Bei der Bestimmung des Spektrums meritorischer Güter bestehen gegenüber den Kollektivgütern noch weitergehende Spielräume, die wesentlich davon abhängen, in welchem Maße in einem Gemeinwesen auf die Fähigkeit der Wirtschaftssubjekte vertraut wird, „über den Tag hinaus" zu denken und auch Leistungen zu erwerben, die sich - wie Bildung und soziale Sicherung - erst nach längeren Zeiträumen auszahlen. (3) Monopolgüter Monopolgüter sind Produkte oder Dienstleistungen, für die angenommen wird, daß sie - wenn sie privatwirtschaftlich bereitgestellt würden - keinem ausreichenden Wettbewerbsdruck durch andere private Anbieter unterliegen würden, so daß zu befürchten ist, daß der Unternehmer seine Machtstellung zur Realisierung nachhaltiger Monopolgewinne ausnutzen würde. In der Bundesrepublik sind Post, Eisenbahnwesen sowie die leitungsgebundene Versorgungswirtschaft, d.h. Strom- und Gasversorgung sowie Wasserwirtschaft, typische Beispiele für Bereiche, in denen man sich für die Verstaatlichung bzw. für eine starke staatliche Reglementierung entschieden hat. Der Umstand, daß in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in anderen westlichen Industrienationen der Umfang und der Inhalt solcher staatlich regulierten Monopolbereiche nicht unumstritten ist, zeigt, daß auch der Kreis der Monopolgüter offenbar nicht „naturgemäß" vorgegeben ist und daß diejenigen, die für eine Reprivatisierung staatlicher Dienste und eine Entregulierung eintreten, der Auffassung sind, daß der Staat seinen Einflußbereich zu weit ausgedehnt hat.
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Zusammenfassend kann man zur Frage des Ausmaßes staatlicher Wirtschaftsaktivitäten festhalten, daß - weil wirklich eindeutige Kriterien für die Bestimmung von Kollektivgütern, meritorischen Gütern und Monopolgütern fehlen die Gefahr besteht, daß es zu weitergehenden Überschneidungen zwischen Staat und Wirtschaft kommt, als es nach dem Leitbild einer schwergewichtig marktwirtschaftlich-dezentral gesteuerten Wirtschaft zweckmäßig ist. Ein gutes Fallbeispiel hierfür ist das 1981 veröffentlichte 9. Sondergutachten der deutschen Monopolkommission, die sich als Beratungsgremium und Hilfsorgan der Wirtschaftspolitik mit der Rolle der Deutschen Bundespost im Fernmeldewesen auseinandergesetzt hat. Der Post wird in diesem Gutachten ein Expansionsdrang in privatwirtschaftlich gestaltbare Bereiche nachgewiesen. Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, daß durchaus Möglichkeiten bestehen, im Fernmeldebereich mehr Wettbewerb einzuführen (vgl. zu diesem Fallbeispiel auch Abschnitt 5.3.2.1). Die nähere Betrachtung der Träger und Organe der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik gemäß Übersicht 16 zeigt als hervorstechende Besonderheiten den föderativen Aufbau der staatlichen Träger und Organe der Wirtschaftspolitik nach den Ebenen Bund, Länder und Kommunen sowie eine hervorgehobene Stellung der Deutschen Bundesbank (vgl. zum folgenden H . Lampert/D. Schönwitz, S. 23ff.). Die Deutsche Bundesbank ist ein in seiner Bedeutung neben die Bundesregierung zu stellender Träger der Wirtschaftspolitik, indem sie mit Hilfe der ihr nach dem Gesetz über die Deutsche Bundesbank zustehenden währungspolitischen Befugnisse den Geldumlauf und die Kreditversorgung der Wirtschaft zu regeln hat, wobei sie dem Ziel der Währungssicherung verpflichtet ist. Die Bedeutung der Bundesbank für die Sicherung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft ergibt sich daraus, daß eine zieladäquate Geld- und Kreditversorgung zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung für Wachstum, für konjunkturelle, beschäftigungspolitische und geldpolitische Stabilität ist. Mit ihrer Unabhängigkeit von anderen wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern stellt die Bundesbank ein Gegengewicht gegen eine wirtschaftspolitische Übermacht des Staates dar. Vor allem ist sie ein Gegengewicht gegen die Versuchung von Regierungen, bestimmte wirtschaftspolitische Ziele auf Kosten der Geldwertstabilität anzustreben. Weit geringer als das Gewicht der Träger der zentralstaatlichen Ebene ist das Gewicht der Länderparlamente und der Länderregierungen sowie der Kommunalparlamente, deren Kompetenzen als Träger der Wirtschaftspolitik sich auf die nicht vom Bund abgedeckten Aufgaben oder auf ihnen übertragene Bereiche erstrecken. Die Länderparlamente sind im Bereich der Landessteuern rechtlich und de facto autonom, in den Bereichen der Landesplanung und Infrastrukturinvestitionen sind sie rechtlich autonom, tatsächlich aber auf die Kooperation mit dem Bund angewiesen. Die Gemeinden haben vor allem als Träger der Regionalpolitik, der Stadtentwicklungspolitik und der Sozialhilfepolitik Bedeutung. In Übersicht 16 sind die Organe der Wirtschaftspolitik, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung und der Umsetzung sowie Kontrolle von politischen Entscheidungen tätig werden, in staatliche, halbstaatliche und in Hilfsorgane untergliedert.
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Staatliche Organe der Wirtschaftspolitik sind • die Exekutivorgane des Bundes nach Artikel 86 G G , zu denen die bundeseigene Verwaltung (z.B. die Bundesfinanzverwaltung), bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts (z.B. die Bundesanstalt für Arbeit) und selbständige Bundesoberbehörden (z.B. das Bundeskartellamt, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen) gehören; • die Länderregierungen und nachgeordnete Verwaltungen, die die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit (Artikel 83 G G ) oder im Auftrag des Bundes (Artikel 85 G G ) auszuführen haben. Wenngleich diese Organe auch eng definierte Entscheidungsbefugnisse haben - w i e z.B. das Bundeskartellamt im Rahmen der Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Befugnis, über die Zulassung bestimmter Kartelle und Unternehmenszusammenschlüsse zu entscheiden - , sind sie hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisse nach Bedeutung und Umfang doch nicht mit den Trägern der Wirtschaftspolitik vergleichbar. Sie haben vielmehr gesetzlich definierte Aufgaben wahrzunehmen: Einmal im Zusammenhang mit der Vorbereitung wirtschaftspolitischer Maßnahmen - Datenerhebung, Datenauswertung und Abgabe von Stellungnahmen - , zum anderen bei der Durchführung von Gesetzen und bei der Überwachung ihrer Einhaltung. Der Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf verschiedenen Ebenen, insbesondere auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene dienen drei Koordinierungsorgane, • die Konzertierte Aktion, • der Finanzplanungsrat und • der Konjunkturrat für die öffentliche Hand. In der Konzertierten Aktion, an der Vertreter der Bundesregierung, der Länder, der Gemeinden, der Gewerkschaften, der Unternehmerverbände, der Bundesbank und des Sachverständigenrates teilgenommen haben, sollen Orientierungsdaten für ein aufeinander abgestimmtes Verhalten der Gebietskörperschaften , der Bundesbank, der Gewerkschaften und der Unternehmensverbände erarbeitet werden. Im Juli 1977 haben sich die Vertreter der Gewerkschaften als Reaktion auf die Verfassungsbeschwerde von Arbeitgeberverbänden und Unternehmen gegen das Mitbestimmungsgesetz von 1976 aus der Konzertierten Aktion zurückgezogen. D e m Finanzplanungsrat gehören der Bundesfinanzminister als Vorsitzender, der Bundeswirtschaftsminister, die Länderfinanzminister sowie vier Vertreter der Gemeinden und der Gemeindeverbände an. Er hat die Aufgabe, durch die Entwicklung einer einheitlichen Planungssystematik, durch die Ermittlung einheitlicher und vergleichbarer volks- und finanzwirtschaftlicher Maßnahmen und durch die Erarbeitung von Aufgabenschwerpunkten Empfehlungen für die Koordination der Finanzplanung in den Gebietskörperschaften auszusprechen. D e r Konjunkturrat für die öffentliche Hand setzt sich aus dem Bundeswirtschaftsminister als Vorsitzendem, dem Bundesfinanzminister, je einem Vertreter der elf Bundesländer und vier Vertretern der Gemeinden und Gemeindeverbände zusammen. E r soll alle zur Erleichterung der Ziele des Stabilitätsgesetzes erforderlichen konjunkturpolitischen Maßnahmen und die Möglichkeiten der Dek-
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kung des Kreditbedarfs der öffentlichen Haushalte erörtern sowie als beratendes Organ an der Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden mitwirken. Die halbstaatlichen Träger und Organe der Wirtschaftspolitik sind einmal die mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten, als Träger mittelbarer Staatsverwaltung fungierenden Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und Landwirtschaftskammern zu nennen. Ihre hoheitlichen Befugnisse erstrekken sich vor allem auf die Schlichtung von Wettbewerbsstreitigkeiten, auf die Erstellung von Sachverständigengutachten und auf die Mitwirkung am beruflichen Ausbildungs- und Prüfungswesens. Das wirtschaftspolitische Gewicht der Kammern besteht insbesondere in ihrer in Form von Stellungnahmen und Vorschlägen ausgeübten Einflußnahme im Vorfeld des politischen Entscheidungsprozesses. Umgekehrt können die Kammern die Durchführung der getroffenen wirtschaftspolitischen Entscheidungen durch Information und Aufklärung ihrer Mitglieder erleichtern. Halbstaatliche Träger und Organe der Wirtschaftspolitik sind auch die Arbeitgebervereinigungen und die Gewerkschaften. Sie sind in ihrer Eigenschaft als autonome Tarifvertragsparteien Träger der Tarifpolitik auf den Arbeitsmärkten und vereinbaren autonom, d.h. ohne verbindliche staatliche Einflußnahme, die Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus zählen die Gewerkschaften, wie im nächsten Abschnitt dargestellt wird, zu den Trägern der Entscheidungsbeteiligung der Arbeitnehmer. Außerdem sind sie, ebenso wie die Arbeitgeberverbände, in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherung vertreten, also Träger der Selbstverwaltung sozialer Angelegenheiten. Hilfsorgane der Wirtschaftspolitik sind wissenschaftliche Beratungsgremien, die Bundesanstalten mit Sonderaufgaben sowie auch die Wirtschaftsverbände. Die Wirtschaftsverbände haben in der pluralistischen Mehrparteiendemokratie der Bundesrepublik nicht nur die Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder im Willensbildungsprozeß geltend zu machen. Sie erfüllen vielmehr gegenüber den Trägern der Wirtschaftspolitik in der Vorbereitungsphase politischer Entscheidungen mit ihren sachkundigen Interessenvertretern wichtige Informationsfunktionen, die sie dann auch in der Durchführungsphase der Wirtschaftspolitik gegenüber ihren Mitgliedern wahrnehmen. Insgesamt zeigt die Charakterisierung der Koordination der Wirtschaftsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland, daß es äußerst lückenhaft wäre, diese nur als das Ergebnis des spontanen Zusammenwirkens von privaten Wirtschaftseinheiten über Märkte zu begreifen. Geprägt wird die Koordination der Wirtschaftsprozesse auch durch eine komplexe Organisationsstruktur von politischadministrativen Trägern und Organen, die gegenüber dem Wirtschaftssystem zum einen Beratungs- und Steuerungsleistungen erbringen und zum anderen für den Vollzug staatlicher Wirtschaftssystemaktivitäten durch Beschaffung, Bereitstellung und Verteilung von Kollektivgüten, von meritorischen Gütern und von Monopolgütern sorgen. 4.2.2.2 Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte Die Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte am Marktgeschehen ist Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, die auf der Koordinierung wirtschaftlicher Aktivitäten durch souverän agierende Anbieter und
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Nachfrager aufbaut. Die Institution des Privateigentums und die damit verbundenen privaten Verfügungsrechte werfen darüber hinaus die Frage nach der Beteiligung von Nicht-Produktionsmitteleigentümern an Verfügungsentscheidungen auf. Diese Entscheidungsbeteiligung wird unter dem Stichwort Mitbestimmung der Arbeitnehmer diskutiert und ist in ihrer Art und in ihrem Ausmaß in der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht unumstritten. Die Argumentationsebenen bei der Auseinandersetzung mit dieser Problematik sind unterschiedlich, treten aber in ihrer Verschiedenheit nicht immer deutlich zutage: * (1) Eine erste Argumentationsebene bezieht sich auf Gesichtspunkte der ökonomischen Effizienz. Es sind dies durchaus kontroverse Auseinandersetzungen mit den (erwarteten) volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Realisierung von Entscheidungsbeteiligung, in denen z.B. die Frage aufgeworfen wird, o b sich die „Leitungspartizipation der Arbeiter mit Funktionsmängeln des Marktes (Marktversagen) rechtfertigen'" (D. Schmidtchen, S. 191) läßt und in denen auch die Argumente für eine Entscheidungsbeteiligung auf der Ebene der ökonomischen Effizienz gesucht werden. So wird die Hypothese aufgestellt, daß durch die Institution der Mitbestimmung „innerorganisatorisches Planversagen" in der modernen hierarchischen Großunternehmung neutralisiert werden könne (vgl. J. Backhaus, S. 213). (2) Die zweite Argumentationsebene ist gesellschaftstheoretischer Art. Auf dieser Ebene geht es um das im vorangegangenen Abschnitt bereits skizzierte Spannungsverhältnis zwischen verbürgtem freiheitlichem Eigentumsrecht und geforderter Sozialgerechtigkeit der Eigentumsordnung. Entscheidungsbeteiligung bzw. Leitungspartizipation der Arbeitnehmer ist in diesem Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Begrenzung der freien Verfügung über Eigentum zu diskutieren. Betrachtet man menschliche Bedürfnisse als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen, dann ist Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte nicht nur wirtschaftssystembezogen-instrumental zu beurteilen, sondern darüberhinaus als Eigenwert anzusehen, indem durch die Institutionalisierung von Mechanismen der Entscheidungsbeteiligung in einer Wirtschaftsordnung „mehr oder weniger" einem menschlichen Grundbedürfnis Rechnung getragen wird. Die Formulierung „mehr oder weniger" deutet an, daß auch der eigenwertorientierte Ansatz die Fragestellung nach Art und Umfang der Entscheidungsbeteiligung ermöglicht. Nur sind, wenn man Entscheidungsbeteiligung als mit dem menschlichen Bedürfnissystem korrespondierend sieht, Argumente pro und contra Mitbestimmung nicht ausschließlich auf der Ebene der ökonomischen Effizienz, sondern auch auf der gesellschaftstheoretischen Argumentationsebene zu suchen. Allerdings müssen wirtschaftliche Gesichtspunkte in jedem Fall und unabhängig von bestimmten wirtschaftlichen Entwicklungen insoweit in die Betrachtung einbezogen werden, als Entscheidungsbeteiligung nicht zur Wettbewerbs- und Funktionsunfähigkeit der Wirtschaftseinheiten und damit zur Gefährdung der spezifisch-ökonomischen Funktion führen darf. Inwieweit eine Minderung der ökonomischen Effizienz und Beeinträchtigung des Wettbewerbsprozesses in konkreten geschichtlichen Situationen Anlaß sein können, Entscheidungsbeteiligung nur in einem reduzierten Ausmaß zu praktizieren bzw. zu modifizieren, bedarf der situationsbezogenen Erörterung und der Abwägung mit anderen gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Zielen. Für die Bundesrepu-
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blik und für die Realisierung des Leitbildes der Sozialen Marktwirtschaft ist festzuhalten, daß nach weitverbreiteter Ansicht Mitsprache und Mitentscheidungsrechte aller Wirtschaftssubjekte begrüßt werden: „Der Meinungsstreit geht also nicht um das ob, sondern um Art und Umfang der Mitbestimmung." (W. Hamm, S. 263) Wenn man die Interdependenz der gesellschaftlichen Teilordnungen berücksichtigt und wenn man die enge Verwandtschaft der Konstruktionsideen von Sozialer Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie in Rechnung stellt, dann kann Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt werden. Institutionell ist Entscheidungsbeteiligung der Arbeitnehmer als Merkmal der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht in • der Mitbestimmung im Betrieb, • der Mitbestimmung im Unternehmen und • der überbetrieblichen, gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung. Diese drei Gestaltungsbereiche werden näher ausgeführt. (1) Mitbestimmung im Betrieb Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb ist der spezifische Bereich der Entscheidungsbeteiligung, der vor allem auf unmittelbar mit dem Beschäftigungsverhältnis verbundene Belange abstellt: die Entscheidungsbeteiligung am Arbeitsplatz, in der Arbeitsgruppe, für einen Betrieb sowie für mehrere Betriebe eines Gesamtunternehmens. Inhaltlich geht es darum, daß die Arbeitnehmer an den sie betreffenden Entscheidungen, beispielsweise über die Entlohnungsgrundsätze und Urlaubsregelungen, über Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen, über die betriebliche Organisation, über technische Veränderungen, über Betriebsverlagerungen, Betriebserweiterungen und Betriebsstillegungen beteiligt werden und diese Entscheidungen im Wege der Mitwirkung beeinflussen können. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 (das erste Betriebsverfassungsgesetz wurde 1952 verabschiedet) ist das „Grundgesetz" der betrieblichen Mitbestimmung im privatwirtschaftlichen Bereich. Für die Verwaltungen und Betriebe der öffentlichen Hand gilt vor allem wegen der besonderen Grundsätze des Berufsbeamtentums, die eine besondere Stellung des öffentlichen Arbeitgebers bei der Einstellung, Beförderung und Entlassung im öffentlichen Dienst zur Folge haben, das Bundespersonalvertretungsgesetz aus dem Jahr 1974 (Erstfassung 1955) und entsprechende Personalvertretungsgesetze der föderativen Einheiten. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz sind in allen Privatbetrieben mit mindestens 5 ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern Betriebsräte zu wählen, für die das Grundprinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Arbeitgeberseite gilt. Lampert (1980, S. 327) bewertet das Betriebsverfassungsgesetz als „eine breite und tragfähige Grundlage für die Wahrung und Sicherung der Arbeitnehmerinteressen und der Menschenwürde im Betrieb" und unterscheidet sechs verschiedene Qualitäten von Entscheidungsbeteiligung, die im Betriebsverfassungsgesetz enthalten sind: • Mitwirkungs- und Mitspracherechte 1. Informationsrechte als Grundlage für die Wahrnehmung der Befugnisse des Betriebsrates;
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2. Anhörungsrechte, die sicherstellen, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat schon in einem frühen Stadium des Entscheidungsprozesses hinzuzieht; 3. Beratungsrechte, die mehr noch als Anhörungsrechte dem Arbeitgeber die Pflicht auferlegen, sich auf Einwendungen des Betriebsrats einzustellen; 4. Initiativ- und Vorschlagsrechte, die den Betriebsrat berechtigen, vom Arbeitgeber bestimmte Handlungen oder Unterlassungen zu verlangen; • Mitbestimmungsrechte 5. Einspruchsrechte, die verhindern sollen, daß bestimmte Entscheidungen gegen den Willen des Betriebsrats getroffen werden können; 6. Zustimmungsrechte, die den Abschluß des Entscheidungsprozesses von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig machen. (2) Mitbestimmung im Unternehmen Mitbestimmung im Unternehmen ist in ihren konkreten Auswirkungen nicht immer eindeutig von der Mitbestimmung im Betrieb abzugrenzen. Sie bezieht sich auf das Recht der Arbeitnehmer an Entscheidungen der leitenden Unternehmensorgane mitzuwirken. Für die Mitbestimmung im Unternehmen sind in der Bundesrepublik Deutschland neben der im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Drittel-Beteiligung von Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten von bestimmten Kapitalgesellschaften, die als Mindestregelung weiter gilt, zwei Gesetze maßgebend: • Die Montan-Mitbestimmung sieht bereits seit 1951 für Kapitalgesellschaften des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie mit mehr als 1000 Beschäftigten die paritätische Mitbestimmung vor, bei der Pattsituationen im Aufsichtsrat durch einen sogenannten neutralen Mann aufgelöst werden können, der weder im Unternehmen tätig noch an ihm wirtschaftlich interessiert sein darf und nicht gegen die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestellt werden kann. Bei Dissenz wird die Entscheidung also durch einen „Dritten", der nicht Partei sein soll, herbeigeführt. • Das Mitbestimmungsgesetz von 1976, das alle Kapitalgesellschaften, die mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen, erfaßt, ist demgegenüber weniger weitgehend. Der Anteilseignerseite wird nach diesem Gesetz faktisch ein Übergewicht zuerkannt. Bei paritätischer Besetzung der Aufsichtsräte mit Arbeitnehmervertretern und Kapitalvertretern (vgl. dazu Übersicht 17) fehlt nach dieser Mitbestimmungsregelung der neutrale Dritte. Der Aufsichtsratsvorsitzende und sein Stellvertreter werden vom Aufsichtsrat mit 2/3 Mehrheit gewählt. Wird die 2/3-Mehrheit auch nur für einen der beiden zu wählenden nicht erreicht, so wählen die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner aus ihrer Mitte den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer aus ihrer Mitte den Stellvertreter. Der Aufsichtsratsvorsitzende hat bei Abstimmungen in Pattsituationen eine personengebundene Zweitstimme, die - da nach dieser Konstruktion der Aufsichtsratsvorsitzende mit hoher Wahrscheinlichkeit der Kapitalseite zuzurechnen ist - das Patt zu Gunsten der Kapitaleigener auflösen dürfte. Die Einführung des leitenden Angestellten auf der Arbeitnehmerseite sowie das Fehlen eines besonderen Bestellungsmodus des Arbeitsdirektors im Vorstand sind weitere wesentliche Abweichungen der Mitbestimmungsregelung 1976 von der Montan-Mitbestimmung, die das Gewicht der Arbeitgeberseite eher verstärken (zu Einzelheiten siehe Bundesminister für Arbeit- und Sozialordnung (Hrsg.), S. 9ff. und S. 95ff.).
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Übersicht 17: Mitbestimmung im Unternehmen nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 G R U N D M O D E L L : Unternehmen mit mehr als 20.000 Arbeitnehmern
BELEGSCHAFT
n
WAHLMÄNNER GREMIUM (auf Wunsch der Belegschaft Urwahl)
V AUFSICHTSRAT 10 A R B E I T N E H M E R VERTRETER
10 K A P I T A L VERTRETER
davon 7 Unternehmensangehörige darunter mindestens 1 Arbeiter 1 Angestellter 1 leitender Angestellter 3 Gewerkschaftsvertreter
VORSTAND Arbeitsdirektor (ohne besonderen Bestellungsmodus)
HAUPTVERSAMMLUNG
'—
AKTIONARE
Quelle: Bundesminister für Arbeit- und Sozialordnung (Hrsg.): Mitbestimmung, Bonn 1976, S. 29.
Gerade diese nicht völlig paritätische Mitbestimmung hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in seinem Mitbestimmungsurteil vom 1. März 1979 für vereinbar mit der Eigentumsgarantie des Artikel 14 G G erklärt. Da die Argumentationsweise des Bundesverfassungsgerichts von zentraler wirtschaftsordnungspolitischer Bedeutung ist, indem eine sehr weitreichende Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte unabhängig von ihrer vermögensrechtlichen Stellung wirtschaftsverfassungsmäßig legitimiert wird, sollen tragende Gedanken des Urteil in bezug auf die Eigentumsgarantie kurz skizziert werden: • Die Befugnisse des Gesetzgebers zur Schrankenbestimmung des Eigentums sind um so weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einer sozialen Funktion steht, weil dann die Rücksichtnahme auf den Nichteigentümer geboten ist, der seinerseits zu seiner Freiheitssicherung und verantwortlichen Lebensgestaltung der Nutzung des Eigentumsobjektes bedarf.
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• Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 bezieht sich auf Kapitalgesellschaften und damit auf Gesellschaften, in denen die Eigentümerfunktion von der Geschäftsführungsfunktion i. d. R. getrennt zu sehen ist (Anteilseigentum). Der Anteilseigner vermag mit seinem Eigentum nur mittelbar über die Organe der Gesellschaft zu wirken, und die vermögensrechtliche Haftung bezieht sich auf einen eingegrenzten Teil seiner Vermögenssphäre. Die tatsächliche Tragweite der Befugnis der Anteilseigner weist nach den einzelnen Gesellschaftsformen erhebliche Variationsbreiten auf. • Das Anteilseigentum hat jedoch einen bedeutenden sozialen Bezug. Es bedarf zu seiner Nutzung immer der Mitwirkung der Arbeitnehmer. Die Ausübung der Verfügungsbefugnis durch den Eigentümer kann sich auf deren Daseinsgrundlage auswirken und berührt damit die Grundrechtssphäre der Arbeitnehmer. Die Mitbestimmung im Unternehmen beeinflußt zu einem nicht unwesentlichen Teil die Bedingungen, unter denen die Arbeitnehmer ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit wahrnehmen. • Der Gesetzgeber hat sich mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 in den Grenzen verfassungsmäßig zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gehalten. Gegen den Willen der Anteilseigner kann nicht über das im Unternehmen investierte Kapital entschieden werden. Sie verlieren nicht die Kontrolle über die Führungsauswahl im Unternehmen. Ihnen bleibt das letzte Entscheidungsrecht belassen. • Soweit es wegen der Änderung der Organisation und des Verfahrens der Willensbildung im Unternehmen durch die Mitbestimmungsgesetzgebung zu Erschwerungen des unternehmerischen Entscheidungsprozesses kommt, bleiben sie im Rahmen der erhöhten Sozialbindung des Eigentums und entsprechen dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit. Falls es dennoch zu gravierenden Beeinträchtigungen der Funktionsfähgikeit der Unternehmen kommen sollte, was nach den Entscheidungsgrundlagen des Gesetzgebers zunächst nicht zu erwarten ist, ist der Gesetzgeber zur Korrektur verpflichtet. Enscheidungsbeteiligung darf also, so kann man das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes generell und losgelöst vom Mitbestimmungsgesetz 1976 interpretieren, nicht zu gravierenden Funktionsmängeln im Wirtschaftssystem führen. Ökonomische Funktionserschwernisse durch Entscheidungsbeteiligung sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. (3) Überbetriebliche, gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung Die überbetriebliche, gesamtwirtschaftliche Entscheidungsbeteiligung ist das Recht der Arbeitnehmer, an Entscheidungen mitzuwirken, die außerhalb von einzelnen Betrieben und Unternehmen getroffen werden. Sie ist in der Bundesrepublik in den vielfältigsten Erscheinungsformen institutionalisiert. Als wichtige Beispiele sind die Mitbestimmung in den Selbstverwaltungseinrichtungen der sozialen Sicherung, die Mitbestimmung in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sowie die Mitbestimmung im Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung zu nennen. Im Zusammenhang mit der überbetrieblichen, gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung ist auch die Entscheidungsbeteiligung im Rahmen der Tarifautonomie zu sehen. Hierbei treten die Gewerkschaften, mehr noch als bei den anderen Formen der Mitbestimmung in den Vordergrund.
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Nach dem Tarifvertragsgesetz beinhaltet die Tarifautonomie das Recht der Gewerkschaften, mit den Arbeitgeberverbänden in freier Vereinbarung als Mindestnormen bindende Arbeitsvertragsinhalte zu regeln. Diese Mindestnormen können vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auf Antrag einer der tarifschließenden Parteien in der Weise für allgemeinverbindlich erklärt werden, daß auch solche Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Wirkungen des Tarifvertrages unterworfen werden, die nicht zu den vertragschließenden Parteien gehören, aber unter den räumlichen, fachlichen und betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. In Abschnitt 4.1.2.2 wurde herausgearbeitet, daß die Gewerkschaften in der D D R die Rolle eines Ordnungsfaktors und nicht die einer Gegenmacht spielen. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Gewerkschaften, die im Gegensatz zur D D R als Einzelgewerkschaften innerhalb der gewerkschaftlichen Organisationsstruktur und gegenüber dem politisch-administrativen System unabhängig sind, zwar auch Ordnungsfaktor. Sie sind dies um so mehr, je mehr sie sich - insbesondere in wirtschaftlichen Krisensituationen - in gesamtwirtschaftlicher Verantwortung stehend begreifen. Sie sind aber ebenfalls Gegenmacht, deren eigenständige Interessenartikulation auch in Konfliktfällen institutionell abgesichert ist. Der Arbeitskampf (Streik) ist als ultima ratio der Interessendurchsetzung anerkannt und es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine staatlich verbindliche Zwangsschlichtung wie in der Weimarer Zeit. Insgesamt kann man wohl Lampert (1980, S. 327) zustimmen, der konstatiert, daß es kein Land der Welt gibt, das so weitreichende Entscheidungsbeteiligungsrechte verwirklicht hat, wie die Bundesrepublik Deutschland. Insofern ist die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ganz wesentlich auch eine durch Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte, die von ihrer vermögensrechtlichen Stellung her a priori nicht zur unternehmerischen Entscheidung prädestiniert sind, modifizierte Marktwirtschaft. Mit einer solchen Ordnung ist die Möglichkeit, Interessen und Verteilungsansprüchen Nachdruck zu verleihen, sehr weitgehend realisiert, was bei knapper werdenden Verteilungsspielräumen zu nachhaltigen Problemen führen kann. 4.2.2.3 Art und Umfang der sozialpolitischen Korrekturmechanismen Während politische Handlungen zur Gestaltung der Lebenslage gesellschaftlich als schwach und schutzbedürftig angesehener Personenmehrheiten in der D D R erst relativ spät mit einem offiziell legitimierten Selbstverständnis versehen wurden, ist Sozialpolitik einer der integralen Bestandteile der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft. Wie bereits an früherer Stelle erwähnt, definierte MüllerArmack in einer ersten Annäherung aus dem Jahr 1947 Soziale Marktwirtschaft als Marktwirtschaft mit „wirksamen sozialen Sicherungen" (1947, S. 20). Allerdings wurde dann versäumt, hinreichend differenzierte konzeptionelle Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie auf dem Neoliberalismus aufbauend sozialpolitische Korrekturmechanismen als die Markt- und Wettbewerbsordnung modifizierendes Element zu gestalten sind. So berechtigt und wichtig die in frühen Schriften häufig geäußerte Mahnung ist, daß eine gesunde Sozialpolitik einer gesunden Volkswirtschaft bedarf und daß „... eine gesunde Volkswirtschaft nicht denkbar (sei), wenn sich nicht das Erwerbsinteresse des Einzelnen in Verbindung mit eigener Verantwortung, mit eigener Initiative auswirken kann ..." (A. Weber, 1931, S. 366), eine Konzeption der Sozialpolitik im eigentlichen Sinne wird
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damit nicht gegeben. Allenfalls ist der Grundstein für ein Ziel-Mittel-System sozialpolitischer Handlungen und Institutionen gelegt. Stützet (vgl. S. 25ff.) geht sogar soweit, in bezug auf die sozialpolitischen Korrekturmechanismen in der Bundesrepublik von einer „Sozialpolitik ohne Ordnungs-Konzeption" zu sprechen. Dies ist ein Verdikt, das im Hinblick auf Bemühungen auch der wissenschaftlichen Sozialpolitik inhaltliche Konkretisierungen sozialpolitischen Handelns vorzunehmen, in dieser Absolutheit nicht gerechtfertigt ist. Berechtigt ist jedoch die Feststellung, daß über dem Bestreben sowohl der wissenschaftlichen als auch der praktischen Sozialpolitik, erkannten gesellschaftlichen Schwächen in zunehmendem Umfang zu begegnen, die Maßnahmen zu wenig unter dem Blickwinkel der möglichst weitgehenden Verträglichkeit mit der dezentral wettbewerblichen Ordnung analysiert wurden. Mit der Folge, daß häufig sozialpolitische Maßnahmen ergriffen wurden, die als Eingriffe von der Seite des Marktes und der Preise her als Produzentensubventionen (z.B. Subventionen an Krankenhäuser) oder als Beschränkungen der Vertragsfreiheit (z.B. Mietrecht) geeignet sind, die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsprozesses nachhaltig zu mindern, obwohl es andere wirksame und eher wettbewerbskonforme Maßnahmen gegeben hätte. Nur aufgrund des Mankos an ordnungspolitischem Bewußtsein bei der Gestaltung sozialpolitischer Korrekturmechanismen ist es zu erklären, daß in der Bundesrepublik das Prinzip des offenen interpersonellen Finanzausgleichs, d.h. der Unterstützung gesellschaftlich Schwacher von der Einkommensseite her, nicht deutlicher im Vordergrund steht. Mit der Verankerung des Sozialstaatsprinzips im Grundgesetz (Artikel 20 und 28) wird der Gesetzgeber verfassungsrechtlich zu sozialpolitischen Aktivitäten verpflichtet. Soziale Unterschiede sollen auf der Grundlage der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit gestaltet werden, Lasten sollen möglichst gleichmäßig verteilt werden, erträgliche Lebenssituationen sollen für alle garantiert werden und Abhängigkeiten sind abzubauen. Die entscheidende Handlungsmaxime der Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland wurde in der Regierungserklärung aus dem Jahr 1961 wie folgt formuliert: „Die Sozialpolitik darf nicht Selbstzweck sein, sie ist aber überall dort berechtigt, wo die Verhältnisse es erfordern. Sie hat dem Menschen bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit zu dienen und soll ihm helfen, die Lebensziele zu bewältigen. Was der Mensch für sich und die Seinen aus eigener Kraft leisten kann, bedarf nicht der gesetzlichen Regelung. Die Bundesregierung wird daher bei allen sozialen Maßnahmen auch Bedacht darauf nehmen, daß die Eigenverantwortung des Menschen gestärkt und seine persönliche Freiheit nicht gemindert wird." In dieser Handlungsmaxime kommt das Subsidiaritätsprinzip als vorrangiges Gestaltungsprinzip der Sozialpolitik gemäß der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft deutlich zum Ausdruck. Es entspricht dem Subsidiaritätsprinzip, • daß in der Bundesrepublik das Prinzip der einkommensgrenzenbezogenen Pflichtversicherung gilt, d.h. daß von bestimmten Einkommensgrenzen an die Fähigkeiten zur Selbstvorsorge unterstellt wird und • daß sozialpolitisch wirksame Maßnahmen nicht ausschließlich durch den Staat organisiert werden. Soziale Hilfen werden auch durch private Versicherungsträger, durch Unternehmen für ihre Beschäftigten und durch Verbände und Vereinigungen bereitgestellt.
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Übersicht 18: Organisation der Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland Versicherung szweig
Träger der Versicherung
Versicherungsfälle
Leistungsarten
Krankenversicherung
Krankenkassen
Krankheit, Entbindung, Tod
Gesundheitsvorsorge, Rehabilitation, Krankenhilfe, Mutterschaftshilfe, Sterbegeld
Unfallversicherung
Berufsgenossenschaften, Eigenunfallversicherungen
Arbeitsunfall einschl. Wegeunfall, Berufskrankheit
Unfallverhütung, Rehabilitation, Renten an Verletzte und Hinterbliebene
Renten versieh, der Arbeiter einschl. Handwerkerversicherung
Landesversicherungsanstalten, Seekasse, Bundesbahn-Vers.-Anstalt
Berufs-, Erwerbsunfähigkeit, Alter, Tod
Rentenversich. der Angestellten
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
M a ß n a h m e n zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit („Rehabilitation"), Renten an Versicherte wegen Berufs-, E r werbsunfähigkeit, Alter und Renten an Hinterbliebene (Witwen, Waisen, Witwer, Geschiedene)
Knappschaftliche Bundesknappschaft Rentenversicherung
verminderte bergmännische Berufsfähigkeit
Arbeitslosenversicherung
Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitsämter)
Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Betriebsstillegung
Berufsberatung, Arbeitsvermittlung, Berufsbildungsförderung, Rehabilitation, Arbeitslosengeld, -hilfe, Kurzarbeitergeld, Verhüt. u. Beseitig, v. Arbeitslosigkeit
Altershilfe für Landwirte
Landwirtschaftliche Alterskassen
Erwerbsunfähigkeit, Alter, Tod
Rehabilitation, Altersgeld an Versicherte und Witwen bzw. Witwer
Quelle: R . Peterhoff, S. 304. W ä h r e n d in der D D R d i e zentrale Plan- u n d S t e u e r b a r k e i t a u c h sozialpolitischer M a ß n a h m e n durch e i n f u n k t i o n a l s o w e n i g w i e m ö g l i c h d i f f e r e n z i e r t e s Sys t e m der T r ä g e r v o n Sozialpolitik g e w ä h r l e i s t e t w e r d e n soll, ist für d i e B u n d e s r e publik e i n e a u s g e p r ä g t e Trägervielfalt k e n n z e i c h n e n d . Ü b e r s i c h t 18 m a c h t d i e s für d e n B e r e i c h der s o z i a l e n S i c h e r u n g d e u t l i c h , d . h . für d e n B e r e i c h der Sozialpolitik, in d e m e s u m die S i c h e r u n g des „ N o r m a l b ü r g e r s " g e g e n „ N o r m a l r i s i k e n " w i e K r a n k h e i t , U n f a l l , M u t t e r s c h a f t , Invalidität, A l t e r u n d A r b e i t s l o s i g k e i t g e h t . V o n Kritikern d e s S y s t e m s der s o z i a l e n S i c h e r u n g wird a n g e m e r k t , • d a ß a u s der V i e l z a h l m ö g l i c h e r z u s t ä n d i g e r T r ä g e r K o m p e t e n z ü b e r s c h n e i d u n gen resultieren,
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
• daß das System unüberischtlich und nur von Experten durchschaubar ist und • daß sich demzufolge Benachteiligungen sowie Ungleichbehandlungen gleicher oder ähnlicher Tatbestände ergeben können. Hinzu kommt, daß die schichtenorientierte Differenzierung des Trägersystems nicht mehr zeitgemäß ist. „Die Schichtenorientierung zeigt sich darin, daß das System in der Altersversorgung, in der Invaliditätsversorgung und in der Krankenversicherung sowohl auf der Beitragsseite als auch insbesondere auf der Leistungsseite zwischen Beamten, Angestellten, Arbeitern in der gewerblichen Wirtschaft und Bergarbeitern, Handwerkern, Landwirten und anderen Selbständigen differenziert, während die Aufgaben der sozialen Sicherung nicht mehr schichtenspezifisch, nicht einmal mehr arbeitnehmergebunden sind." (H. Lampert, 1980, S. 281f.) Sozialpolitische Korrekturmechanismen in der D D R sind schwergewichtig arbeitskräftepotentialorientiert. Staatliche Sozialpolitik in der Bundesrepublik ist so Lantpert - „normalbürgerorientiert", „... wenngleich auch ein Trend zur Verstärkung sozialpolitischer Hilfen für gleichsam konstitutionell' wirtschaftlich und sozial Schwache - Kinder, geistig Behinderte, körperlich Behinderte, sozial Labile, physisch und psychisch Leistungsschwache, nichterwerbstätige Hausfrauen usw. - erkennbar ist" (1980, S. 487). Die Ausrichtung auf den Normalbürger bedeutet, daß nicht wie in der D D R der erwerbstätige Normalbürger im Vordergrund steht, sondern daß sozialpolitische Korrekturmechanismen nachdrücklich auch auf den nicht mehr zum Erwerbstätigenpotential gehörenden Normalbürger zugeschnitten sind. Sehr deutlich wird dies durch das Prinzip der dynamischen Rente, für das es in der D D R kein Äquivalent gibt. Seit der Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 wird die Höhe der Neurenten im Grundsatz nach der Höhe des Arbeitsverdienstes und der Dauer der Versicherung bemessen. Gleichzeitig wurde durch die Rentenreform des Jahres 1957 sichergestellt, daß die Höhe der bestehenden Renten (Bestandsrenten) gemäß dem Wachstum der Entgelte der in der Rentenversicherung Versicherten angepaßt wird. Damit wurde vor allem beabsichtigt, die Rentner an der Erhöhung des Lebensstandards als Folge des wirtschaftlichen Wachstums angemessen zu beteiligen. „Der Bezieher von Rente soll auch als Rentner den Lebensstandard beibehalten können, den ein Arbeitnehmer hat, der in einem ähnlichen Beruf weiter tätig ist." (H. Winterstein, S. 44) In der Dynamisierung der Neurenten und in der regelmäßigen Anpassung der Bestandsrenten spiegelt sich beispielhaft die die gesamte Sozialpolitik in der Bundesrepublik prägende Tendenz wider, nicht mehr nur Schutzpolitik zur Sicherung von Mindestlebensbedingungen zu sein, sondern darüber hinaus in der Ausgestaltung bestimmter sozialpolitischer Maßnahmen auf eine Erhaltung der Stellung im sozialen Gefüge abzustellen. Zusätzlich manifestiert sich in der Rentenversicherung eine weitere Tendenz der bundesdeutschen Sozialpolitik: die permanente Ausweitung des sozialen Schutzes und Ausgleichs im Hinblick auf die in das System einbezogenen Personengruppen. So wurde im Zuge der Rentenreform des Jahres 1972 die Rentenversicherung für Hausfrauen und für Selbständige geöffnet. Insgesamt ist die Sozialpolitik über eine Schutzpolitik, die zunächst eine Politik zur „Sicherung eines Existenzminimums" war und dann im Rahmen der Schutzpolitik zunehmend zu einer Politik mit dem Ziel „Erhaltung der Stellung im Sozialgefüge" wurde, hinausgewachsen. Sozialpolitik ist heute in der Bundesrepublik auch Ausgleichspolitik mit gesellschaftsgestaltendem Anspruch.
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Dabei sind als Bereiche dieser „neueren" Sozialpolitik die Familienpolitik, die Wohnungsbaupotitik, die Fort- und Ausbildungspolitik, die Vermögenspolitik und die Mittelstandspolitik in den Vordergrund getreten (vgl. H . Lampert, 1975, Sp. 2391). Übersicht 19: Entwicklung der Sozialleistungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis 1980 Jahr Bruttosozial- Veränd. produkt zu gegen Marktpreisen Vorjahr Mill. D M 1960 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 19801
303000 458200 487400 493 700 535 200 597700 679 000 756000 827200 920100 986900 1034900 1 125 000 1 197200 1287500 1395 000 1494000
v.H. -
51,2 6,4 1,3 8,4 11,7 13,6 11,3 9,4 11,2 7,3 4,9 8,7 6,4 7,5 8,3 7,1
Wohnbevölkerung
Sozialleistungen
Tausend
Mill. D M
55433 59012 59638 59 873 60184 60848 60651 61302 61672 61976 62054 61829 61531 61400 61327 61359 61350
62772 112 679 124 651 133376 141813 153587 174736 198786 223 960 252634 288937 330288 354947 380605 403 479 425 090 449472
Veränd. Sozialgegen leiVorjahr stungsquote 2 v.H. v.H.
_ 79,5 10,6 7,0 6,3 8,3 13,8 13,8 12,7 12,8 14,4 14,3 7,5 7,2 6,0 5,4 5,7
20,7 24,6 25,6 27,0 26,5 25,7 25,7 26,3 27,1 27,5 29,3 31,9 31,6 31,8 31,3 30,5 30,1
Sozialleistungen pro Kopf DM 1132 1909 2090 2228 2356 2524 2 881 3 243 3 631 4076 4656 5 342 5 769 6199 6579 6928 7326
1
Vorläufiges Ergebnis. Anteil der Sozialleistungen am Bruttosozialprodukt in v. H. Quelle: H.-L. Dornbusch, S. 1486; eigene Berechnungen.
2
Die skizzierten Ausweitungstendenzen der Sozialpolitik in der Bundesrepublik führten zu dem in Übersicht 19 dokumentierten starken Anstieg der Sozialleistungen seit 1960. Unter Sozialleistungen fallen in der Übersicht nicht nur • die Sozialversicherungsleistungen, sondern auch • Leistungen der Arbeitgeber (Entgeltfortzahlung, vertragliche freiwillige Arbeitgeberleistungen) , • Entschädigungen für Kriegsopfer, • soziale Hilfen (Sozialhilfe, Jugendhilfe, Ausbildungsförderung, Wohngeld, öffentlicher Gesundheitsdienst, Vermögensbildung) und • indirekte Leistungen wie Steuerermäßigungen und Vergünstigungen im Wohnungswesen, soweit sie quantifizierbar sind. Seit 1960 lagen die Zuwachsraten der so definierten Sozialleistungen in der Mehrzahl der Fälle über denen des Bruttosozialproduktes zu Marktpreisen. Daraus ergab sich ein Anstieg der Sozialleistungsquote als Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen von 21% im Jahr 1960 auf 30% im Jahr 1980; die Sozialleistungen pro Kopf der Bevölkerung haben sich infolgedessen in diesen zwei Jahrzehnten mehr als versechsfacht.
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, (1) daß sozialpolitische Korrekturmechanismen als prägendes Merkmal der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland tendenziell „normalbürgerorientiert" sind; (2) daß sozialpolitische Maßnahmen sich in Art und Umfang nicht mehr nur an dem Ziel der Sicherung eines Existenzminimus orientieren, sondern schwergewichtig an dem Ziel der Erhaltung der Stellung im Sozialgefüge und darüber hinaus ein gesellschaftsgestaltender Ausgleichsanspruch erhoben wird; (3) daß ein Trend zur Verstärkung der Hilfen für „konstitutionell" wirtschaftlich schwache Personenmehrheiten besteht; (4) daß bei der Ausgestaltung sozialpolitischer Korrekturmechanismen wirtschaftsordnungspolitischen Überlegungen, d.h. der Erarbeitung einer wettbewerbskonformen Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft, zu wenig Beachtung geschenkt wurde. 4.2.3 Wirtschaftsordnung und Grundgesetz D e r Begriff „Soziale Marktwirtschaft" ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht verankert. Das Grundgesetz ist nach herrschender Lehrmeinung „offen" formuliert, d.h. im Grundgesetz ist nicht - wie in der Verfassung der D D R - eine prinzipiell geschlossene Wirtschaftsordnungsvorstellung zum verbindlichen Ordnungskonzept erhoben worden. Diese Nicht-Determiniertheit entspricht der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft als offene Lebensordnung. Sie wurde durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1954 wie folgt formuliert: „Die gegenwärtige Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist eine nach dem Grundgesetz mögliche, keineswegs aber die allein mögliche Ordnung." (BVerfG E 4, 7 (17f.)) Die Gestaltungsfähigkeit aufgrund des Grundgesetzes wurde durch das Bundesverfassungsgericht erneut mehr als zwei Jahrzehnte später anläßlich seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes 1976 bestätigt. Das Grundgesetz gilt danach als wirtschaftsordnungspolitisch insoweit „offen", als „... der Gesetzgeber ... jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen darf, sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet." (BVerfGE 50, 290 (338)) Mit der zuletzt zitierten Äußerung wird deutlich, daß Offenheit nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes nicht „Beliebigkeit" der wirtschaftsordnungpolitischen Gestaltung bedeutet. „Die grundgesetzliche Wirtschaftsverfassung versteht sich in diesem Sinne als ein bewegliches, offenes System, das in bestimmten Grundpositionen auf definitiven Verfassungsentscheidungen beruht, das in deren Rahmen aber dem Gesetzgeber und seinem wirtschaftspolitischen Zweckmäßigkeitsentscheid vertraut." (R. Scholz, S. 86f.) Das bedeutet, daß durch das Grundgesetz eine Festlegung von wirtschaftsordnungspolitischen Gestaltungsspielräumen erfolgt ist, wobei die wichtigsten Begrenzungen der wirtschaftsordnungspolitischen Gestaltung in den Grundrechten sowie in den Verfassungsprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Sozialstaatlichkeit liegen. Damit ist durch das Grundgesetz der Entscheidungsspielraum für eine Wirtschaftsordnung insofern abgegrenzt, als es marktwirtschaftliche Ordnungen ausschließt, die den sozialstaatlichen Zielsetzungen des Grundgesetzes (Artikel 20 und Artikel 28) nicht Rechnung tragen können, aber auch zentralverwaltungswirtschaftliche
4. K a p . : K e n n z e i c h n u n g real existierender W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n
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Ordnungen, die die individuellen Freiheitsverbürgungen des Grundgesetzes (freie Entfaltung der Persönlichkeit g e m ä ß Artikel 2, Vereinigungsfreiheit gem ä ß A r t i k e l 9, F r e i z ü g i g k e i t g e m ä ß A r t i k e l 11, F r e i h e i t d e r W a h l v o n B e r u f , A r b e i t s p l a t z u n d A u s b i l d u n g s s t ä t t e g e m ä ß A r t i k e l 12 u n d G e w ä h r l e i s t u n g v o n E i g e n t u m n a c h A r t i k e l 14) n i c h t g a r a n t i e r e n k ö n n e n . D e r V o r t e i l d i e s e r O f f e n h e i t - d i e s sei n o c h m a l s h e r v o r g e h o b e n - b e s t e h t darin, d a ß g e r a d e d a d u r c h , d a ß d a s G r u n d g e s e t z S p i e l r ä u m e w i r t s c h a f t s o r d n u n g s politischer Gestaltung zuläßt, die Wirtschaftsverfassung eine echte Triebkraft d e r E n t w i c k l u n g v o n W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n d a r s t e l l t , i n d e m v o n ihr I m p u l s e ausgehen, die jeweils besten M e t h o d e n zu suchen, um den Grundrechten nach den jeweiligen U m s t ä n d e n wissenschaftlicher und praktischer Einsicht bestmöglich gerecht zu werden.
Literatur E. Arndt: W i r t s c h a f t s o r d n u n g und Ordnungspolitik im W a n d e l . Liberalismus, Neoliberalismus, Z u k u n f t der Marktwirtschaft, in: Wirtschaft und Gesellschaft - O r d n u n g o h n e D o g m a , hrsg. v. E . A r n d t u . a . , T ü b i n g e n 1975, S. 57ff. J. Backhaus: Die Funktionsfähigkeit d e r mitbestimmten G r o ß u n t e r n e h m u n g , in: Zuk u n f t s p r o b l e m e der Sozialen Marktwirtschaft, hrsg. v. O . Issing, Berlin 1981, S. 213ff. R . Blum: Soziale Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitik zwischen Neoliberalismus u n d O r d o liberalismus, T ü b i n g e n 1969. F. Böhm: Die O r d n u n g der Wirtschaft als geschichtliche A u f g a b e u n d als rechtschöpferische Leistung, Stuttgart-Berlin 1937. W. Bohling (Hrsg.): Wirtschaftsordnung und G r u n d g e s e t z , Stuttgart-New York 1981. A . Bohnet und U . Knapp: Auffassungen des Liberalismus ü b e r Stellung und A u f g a b e n des Staates im System kapitalistischer M a r k t w i r t s c h a f t e n , in: Wirtschaftsstudium, 1977,1: S. 357ff., II: S. 409ff. K. Borchardt: Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in heutiger Sicht, in: Z u k u n f t s p r o b l e m e der Sozialen Marktwirtschaft, hrsg. v. O . Issing, Berlin 1981, S. 33f. Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ( H r s g . ) : M i t b e s t i m m u n g , B o n n 1976. H.-L. Dornbusch: Die sozialstaatliche Belastung in d e r Bundesrepublik seit 1960, in: Versicherungswirtschaft, 1981, S. 1486ff. L. Erhard und A . Müller-Armack: Soziale Marktwirtschaft, F r a n k f u r t 1972. W. Eucken: G r u n d s ä t z e der Wirtschaftspolitik, 5. A u f l . , T ü b i n g e n - Z ü r i c h 1975. E. Gaugier: Mitbestimmung I: im Betrieb, in: H a n d w ö r t e r b u c h d e r Wirtschaftswissenschaft, B d . 5, hrsg. v. W . Albers u . a . , Stuttgart u . a . 1980, S. 251ff. H . Giersch: Allgemeine Wirtschaftspolitik. G r u n d l a g e n , W i e s b a d e n 1961. G. Gutmann: Volkswirtschaftslehre. Eine ordnungstheoretische E i n f ü h r u n g , Stuttgart u.a. 1981. W. Hamm: Mitbestimmung II: im U n t e r n e h m e n , in: H a n d w ö r t e r b u c h der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 5, hrsg. v. W . Albers u . a . , Stuttgart u.a. 1980, S. 261 ff. H . - H . Hartwich: G r u n d g e s e t z und W i r t s c h a f t s o r d n u n g , in: A u s Politik und Zeitgeschichte, 1980/B4, S. 3ff. F. A . v. Hayek: D i e Verfassung d e r Freiheit, T ü b i n g e n 1971. F. A . v. Hayek: G r u n d s ä t z e einer liberalen W i r t s c h a f t s o r d n u n g , in: Freiburger S t u d i e n , G e s a m m e l t e A u f s ä t z e , Tübingen 1969, S. 108ff. F. A . v. Hayek: Individualismus und wirtschaftliche O r d n u n g , Salzburg 1976. Chr. Heusgen: Ludwig E r h a r d s L e h r e von der Sozialen Marktwirtschaft. U r s p r ü n g e , Kerngehalt, W a n d l u n g e n , Bern-Stuttgart 1981. G . Kleinhenz und H. Lantpert: Zwei J a h r z e h n t e Sozialpolitik in der B R D , in: O r d o , 1971, S. 103ff.
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
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zur Sozialen Marktwirtschaft, hrsg. v. W. Stützel, Chr. Watrin, H. Willgerodt und K. Hohmann, Stuttgart-New York 1981, S. 361ff. (Seitenangaben bei Zitaten im Text beziehen sich auf den Wiederabdruck). H. Winterstein: Das System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1980.
Kontrollaufgaben 1. Kennzeichnen Sie die geistigen Grundlagen der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft. 2. „Die Konstruktionsprinzipien der parlamentarischen Demokratie sind in wesentlichen Punkten die gleichen wie die der Sozialen Marktwirtschaft." Diskutieren Sie diese These und gehen Sie dabei auf den Begriff Wettbewerbsgesellschaft ein. 3. Erläutern Sie die Grundprinzipien der Eigentumsordnung der Bundesrepublik Deutschland. 4. Inwiefern stellt das Preissystem einen Mechanismus zur Vermittlung von Informationen dar und welche Funktionen werden durch den Preismechanismus bei der dezentralen Koordinierung wirtschaftlicher Aktivitäten erfüllt? 5. Bei der Koordination der Wirtschaftsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland wird eine möglichst weitgehende Trennung von Staat und Wirtschaft angestrebt. a) Wie läßt sich dennoch die Übernahme von Wirtschaftssystemaufgaben durch das politisch-administrative System begründen? b) Führen die von Ihnen genannten Begründungen zu einer eindeutigen Aufgabenverteilung zwischen Staat und privater Wirtschaft? 6. Geben Sie einen Überblick über die Gestaltungsbereiche der Entscheidungsbeteiligung der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland. 7. Was versteht man unter dem Subsidiaritätsprinzip sozialpolitischer Handlungen? 8. Skizzieren Sie für Art und Umfang sozialpolitischer Korrekturmechanismen wesentliche Entwicklungstendenzen der Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. 9. Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung. Ein vergleichender Überblick der Bezüge auf der Grundlage der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.
4.3 Zur Konvergenz der Wirtschaftsordnungen 4.3.1 Die Annäherungsthesen: Darstellung und Kritik Mit der Fragestellung nach einer wie immer gearteten Annäherung der realisierten Wirtschaftsordnungen im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung ist das Denken in geschichtlichen Entwicklungsgesetzmäßigkeiten bzw. in Entwicklungstendenzen angesprochen. Von diesem Gedankengut, das auf eine Vorbestimmung des Ganges der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung abstellt, ist ganz zentral die marxistisch-leninistische Gesellschaftstheorie ge-
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4. Kap.: Kennzeichnung real existierender Wirtschaftsordnungen
prägt. Gerade am Beispiel der marxistisch-leninistischen Entwicklungsvorstellung, die aufgrund von systemimmanenten Widersprüchen eine Veränderung aller wirtschaftlichen Ordnungen in Richtung auf den Sozialismus bzw. Kommunismus annimmt, läßt sich die entscheidende Konsequenz des Entwicklungsdenkens aufzeigen: Mit ihm kann die Einwirkung menschlichen (innovativen) Handelns auf das geschichtliche Werden nicht ausreichend gewürdigt werden. Diese Konsequenz findet ihren Niederschlag darin, daß ursprünglich nicht Vorhergesehenes nachträglich begründet, legitimiert werden muß. Ein bedeutsamer Fall für eine nachträglich gelieferte Begründung und für eine ganz wesentliche Modifikation des marxistisch-leninistischen Entwicklungskonzepts wurde mit der Festlegung des (entwickelten) Sozialismus als „relativ selbständige sozialökonomische Formation" bereits angesprochen. Eine andere bedeutsame Modifikation wurde gleichsam auf der „anderen Seite" notwendig, weil auch der Kapitalismus nicht so schnell niedergeht, wie zunächst erwartet wurde. Auch diese nachträglich gelieferte Begründung für eine zunächst so nicht prophezeite Entwicklung läuft auf eine „selbständige sozialökonomische Formation" von relativer Dauer hinaus. Es handelt sich dabei um die These vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, nach der der Verfall des Kapitalismus dadurch wesentlich verzögert werde, daß es den Großunternehmen, den Monopolen, gelungen sei, sich mit der Staatsgewalt zu „verbünden". „Seit etwa Mitte der Fünfziger Jahre kann deshalb davon gesprochen werden, daß in den imperialistischen Hauptländern der vollständige Übergang zum staatsmonopolistischen Kapitalismus vollzogen ist. Er wurde zur bestimmenden Entwicklungsform der kapitalistischen Gesellschaft; alle grundlegenden Prozesse dieser Gesellschaft - die kapitalistische Ausbeutung, Forschung und Entwicklung, Investitionen, Außenwirtschaft und Internationalisierung der Produktion - können nur noch staatsmonopolistisch betrieben werden. Nur mit Hilfe dieser Verschmelzung ist das Monopolkapital in der Lage, die Arbeiterklasse so niederzuhalten, daß der historisch notwendige Übergang zum Sozialismus wesentlich verzögert wird. Nur durch die Verschmelzung von Monopolen und Staat kann das Monopolkapital seine aggressive Politik zur Erweiterung seines Machtbereichs betreiben. In dieser Verschmelzung von Monopolen und Staat besitzt der kapitalistische Staat eine relative Eigenständigkeit. Diese Eigenständigkeit beruht darauf, daß die gesellschaftliche Leitungs- und Regulierungsmöglichkeit des Staates im staatsmonopolistischen Kapitalismus sich vorrangig an den politischen Zielen des Monopolkapitals ... orientiert." (Autorenkollektiv, S. 449) Die Ursache für die zunächst so nicht erwartete Stockung im Rahmen der Annäherung wird also dies ist der Kern der These vom staatsmonopolistischen Kapitalismus - in einem wirtschaftlich absorbierten Staat gesucht. Annäherung der Wirtschaftsordnungen wurde in den bisher skizzierten Aussagen einseitig als eine Entwicklung in nur eine Richtung gesehen. Für „westliche Varianten" (vgl. E. Tuchtfeldt, 1982, S. 347) des einseitigen Annäherungsdenkens nimmt die Entwicklung gegenüber der „östlichen Variante" einen ganz anderen Verlauf. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf die Auffassung Rostows zu den Stadien wirtschaftlichen Wachstums verwiesen. In dieser Auffassung wird zwischen menschlichen Grundbedürfnissen als Triebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen und der Ausgestaltung von wirtschaftlichen Insitutionen ein inhaltlich präformierter Zusammenhang hergestellt. Im Zuge des fortschreitenden Industrialisierungsprozesses, im Zeitalter des Massenkon-
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sums und der Befriedigung grundlegender physiologischer Bedürfnisse entstehe auch in hierarchisch-autoritär geprägten Ordnungen der Drang nach Befriedigung „höherwertiger" Grundbedürfnisse, vor allem nach der Befriedigung des Bedürfnisses nach mehr individueller Freiheit. So plausibel dieser Gedankengang klingen mag, eben weil - wie auch im zweiten Kapitel herausgestellt menschliche Grundbedürfnisse alsTriebkräfte der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen zu sehen sind, so ist doch darauf zu verweisen, daß bei der Konkretisierung dessen, was man unter „individueller Freiheit" und unter Freiheit allgemein versteht, durchaus Auffassungsunterschiede bestehen können. So können einerseits Privateigentum und dezentrale Marktkoordinierung als Vorbedingung für die autonome Lebensgestaltung und für die Verwirklichung individueller Freiheit angesehen werden, andererseits kann „demokratischer Zentralismus" und „Vergesellschaftung der Produktionsmittel" als Voraussetzung für Freiheit im Sinne der „Emanzipation der arbeitenden Klassen" (Karl Marx) betrachtet werden. Individuelle Freiheit im letzteren Sinne ist Freiheit des Individuums vor etwas, der Ausbeutung nämlich, individuelle Freiheit im ersteren Sinne ist Freiheit für etwas, für selbstverantwortliche Lebensgestaltung. Letztlich muß also berücksichtigt werden, daß - wie bereits betont - die konkrete Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen nicht nur individualistisch durch die Artikulation und das Wirken menschlicher Bedürfnisse im Zeitablauf bestimmt wird, sondern daß es in gesellschaftstheoretischen Grundauffassungen verankerte Auffassungsunterschiede darüber geben kann, • wie die Wirtschaftsordnung auszugestalten ist, damit menschlichen Bedürfnissen optimal Rechnung getragen wird und • welche Bedürfnisarten mit welchem Gewicht und Inhalt als Richtlinien der Entwicklung von Wirtschaftsordnungen Berücksichtigung finden sollen. Diese Einwendungen gelten im Prinzip auch gegen die konstruktivistische Konvergenzthese Tinbergens. Die Verwurzelung wirtschaftlicher Ordnungen in geistigen, politischen und ethischen Überzeugungen „jenseits von Angebot und Nachfrage" (W. Röpke) kann nämlich auch die Durchsetzung ökonomischer Rationalität in Frage stellen. Die Konvergenzthese Tinbergens wird von der Auffassung bestimmt, daß es wohlfahrtstheoretisch gesehen die „optimale" Wirtschaftsordnung gibt. Tinbergen formuliert dies wie folgt: „Man kann, wenn man die Wohlfahrtstheorie benutzt, die mathematischen Gleichungen für das Optimum aufstellen. Man kann versuchen, eine solche Ordnung durch eine Reihe von Institutionen zu definieren, deren Wirksamkeit diesen Gleichungen des Optimums entspricht. Dann hat man eine optimale Wirtschaftsordnung entdeckt oder sogar die optimale Wirtschaftsordnung überhaupt. Das ist der Kern des Problems." (1973, S. 220, Betonung im Original) Vom praxeologischen Standpunkt her ist gegen diese Aussage zunächst einzuwenden, daß - unabhängig wie man die Mathematisierung in den Wirtschaftswissenschaften beurteilt - die ökonometrisch fundierte Wohlfahrtstheorie nicht den Detaillierungsgrad erreicht hat und auf absehbare Zeit erreichen wird, um Handlungsanweisungen vorzugeben, an Hand derer man konkret genug den „optimalen" Ordnungsrahmen bestimmen kann. Zentraler ist jedoch die Auseinandersetzung mit der Auffassung Tinbergens, daß es in der geschichtlichen Entwicklung notwendig zu einer „echten" zweiseitigen Annäherung (Konvergenz), zu einer Mischung von Ordnungen kommen werde, da sich auf Dauer das „Beste aus beiden Welten" durchsetze. Die Entwicklung wird also auf ein Optimum hin an-
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genommen - dies ist das konstruktivistische Element der These Tinbergens - und dieses Optimum wird von ihm als „Synthese zwischen gewissen kommunistischen und gewissen westlichen Ideen" gesehen. Die optimale Wirtschaftsordnung ist also eine gemischte Wirtschaftsordnung, die Markt und Plan als prägende Merkmale beinhaltet. Bereits heute sind die entwickelten Industrienationen des Westens gemischte Wirtschaftsordnungen. Sie stellen umso mehr gemischte Wirtschaftsordnungen dar, j e weiter man die Begriffe „Plan" und „Planungstechnik" dehnt. Dennoch bestehen gravierende Unterschiede der realisierten Ordnungen in West und Ost. Damit stellt sich erneut die Frage nach den Restriktionen, die infolge gesellschaftstheoretischer Grundlagen auf der Ebene der Ziele im Hinblick auf die von Tinbergen auf der Ebene der Mittel postulierte Entwicklung bestehen. Auch Tinbergen sieht, daß in der Realität erhebliche Unterschiede zwischen der zentralen Planung sozialistischer und den wirtschaftspolitischen Steuerungsaktivitäten und Eingriffen durch Übernahme von Wirtschaftssystemaufgaben in westlichen Staaten bestehen. Er sieht auch die bisherige prägende Bedeutung der geistigen Grundlagen einer Gesellschaftsordnung. Er relativiert diese Bedeutung jedoch für die Zukunft. „Sicherlich haben aber in der Vergangenheit auch andere Faktoren eine Rolle gespielt. Kann aber deshalb bezweifelt werden, daß ökonomische Erwägungen sowohl für die Kommunisten als auch für, sagen wir, die Amerikaner von Bedeutung sind." (J. Tinbergen, 1963, S. 17). Darüber hinaus behauptet Tinbergen für die Ebene der Ziele ein zunehmendes Gewicht des wohlfahrtstheoretisch-ökonometrisch faßbaren Wohlstandszieles. Die Ziele in Ost und West würden sich annähern, indem alte, ideologisch bestimmte Ziele an Bedeutung verlieren und einem anderen Ziel Platz machen würden: Der „Wohlstand des ganzen Volkes" werde überall immer mehr zum erklärten Ziel der Ordnungsgestaltung. Tinbergen geht also letztlich von einer Dominanz des Ökonomischen gegenüber ideologischen, gesellschaftstheoretischen Grundlagen aus. Ganz konkret und frei von spekulativen Aussagen kann man die Frage, ob und in welchem Ausmaß ökonomische Erwägungen gesellschaftstheoretische Grundauffassungen relativieren und ideologische Positionen an Bedeutung verlieren, am Beispiel der bisherigen Entwicklung der Bundesrepublik und der D D R behandeln.
4.3.2 Konvergenz in der geschichtlichen Entwicklung? Bundesrepublik Deutschland - Deutsche Demokratische Republik Vergleicht man die in diesem Kapitel ausführlich dargestellten Konzeptionen der Wirtschaftsordnungsgestaltung in der D D R und in der Bundesrepublik, das „Entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus" und die „Soziale Marktwirtschaft", kann man eindeutig feststellen, daß eine Annäherung auf der Ebene der gesellschaftlichen Ziele in dem von Tinbergen propagierten Sinn für beide deutsche Staaten zumindest bisher nicht stattgefunden hat. Die Konzeptionen sind in völlig konträren ideologischen Grundlagen verwurzelt - mit den entsprechenden Konsequenzen für Leitbildvorstellungen und Prinzipien der Wirtschaftsordnungsgestaltung . Auf der Ebene der Mittel ist das wirtschaftspolitische Instrumentarium in der Bundesrepublik gewiß im Verlauf der über 30 Jahre ihres Bestehens beträchtlich
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erweitert worden. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch an die im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967 (Stabilitätsgesetz) kodifizierte Globalsteuerung als Versuch, den staatlichen Instanzen ohne größere zeitliche Verzögerungen einsetzbare Instrumente zur Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageaggregate an die Hand zu geben. Gerade unter dem Gesichtspunkt, daß Soziale Marktwirtschaft eine „offene" Ordnungskonzeption darstellt, erscheint es jedoch als zu restriktiv, mit der Schaffung des Eingriffsinstrumentariums des Stabilitätsgesetzes das Experiment „Soziale Marktwirtschaft" als beendet anzusehen (vgl. zu dieser Sichtweise E. Tuchtfeldt, 1981). Angemessener ist es, im Sinne von Müller-Armack von einer spezifischen Phase der Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft zu sprechen und dabei davon auszugehen, daß, so „... wie wir die Wettbewerbsordnung im Sinne von Franz Böhm zu einer öffentlichen Aufgabe gemacht h a b e n , . . . auch die Konjunkturpolitik zum legitimen Glied unserer Gesellschaftspolitik werden (sollte)." (A. Müller-Armack, S. 71) Soziale Marktwirtschaft bedeutet eben „sozial modifizierte" Marktwirtschaft mit auch prozeßpolitischen Aufgabenzuweisungen an das politisch-administrative System. Märkte prägen nach wie vor die Koordinierung der wirtschaftlichen Aktivitäten in der Bundesrepublik, auch wenn sie an Funktionsfähigkeit durch ein Zuviel an staatlicher Regulierung aber auch durch privatwirtschaftliche Vermachtung eingebüßt haben. Im übrigen zeigt die wirtschaftspolitische Debatte der jünsten Vergangenheit, daß Entwicklungen zu mehr Markt und Wettbewerb sowie Forderungen nach einer Entregulierung wirtschaftlicher Aktivitäten durchaus mit dem Anspruch auf politische Umsetzung zu diskutieren sind. Die Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Gutachten der deutschen Monopolkommission legen hiervon Zeugnis ab. Auch dies widerspricht der Konvergenzthese Tinbergens. Die Wirtschaftspolitik der D D R ist auf der instrumenteilen Ebene ebenfalls durch zahlreiche Änderungen ordnungs- und prozeßpolitischer Art im Zeitablauf gekennzeichnet. Man spricht in der westlichen DDR-Forschung dehalb auch von einem „Zyklus der Reformen", von sich ablösenden Phasen der Zentralisierung, Dezentralisierung und Rezentralisierung. Teilweise wurde im Zuge von Dezentralisierungstendenzen sogar die Grenze der Reformierung des administrativ zentralverwaltungswirtschaftlichen Systems als überschritten angesehen und von einer Transformation zu Gunsten einer sozialistischen Marktwirtschaft ausgegangen. Solche Auffassungen gehen in der Beurteilung der Tragweite von Dezentralisierungsmaßnahmen in der D D R zu weit. In diesem Zusammenhang hat Wagener angemerkt, daß Reformen des Lenkungsmechanismus vorgenommen wurden, um die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Systemmanager wirkungsvoller zu realisieren, um das Planungssystem effizienter zu machen, nicht aber um anderen wirtschaftspolitischen Vorstellungen, anderen Prioritäten Raum zu geben (vgl. 1981, S. 400). Die jüngste Entwicklung in der D D R ist durch eine verstärkte Rezentralisierung und durch verstärkt praktizierte Durchgriffsrechte der zentralen Instanzen von oben nach unten gekennzeichnet und fügt sich damit ebenfalls nicht in die Konvergenzvorstellungen. Man kann für die D D R also nicht einmal im Bereich der Instrumente von Annäherungstendenzen sprechen. Das Hin- und Her wirtschaftspolitischer Experimente zur Effizienzsteigerung des Systems ist ideologisch ganz klar durch den verfassungsmäßigen Auftrag, eine sozialistische Planwirtschaft zu realisieren, begrenzt.
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Als Resultat der Betrachtung der Entwicklung von D D R und Bundesrepublik bleibt in Übereinstimmung mit Wagener (1979, S. 262) festzuhalten, „... daß Konvergenz im Sinne einer Bewegung auf ein singuläres, eindeutig spezifiziertes Optimalsystem sich nicht als Grundströmung der historischen Entwicklung abzeichnet. Effizienz, Stabilität und Gleichheit sind zweifellos zentrale reformauslösende Faktoren, deren reformbestimmende Kräfte jedoch weniger durch ein generelles Rationalitätspostulat vermittelt werden als durch gesellschaftliche Auseinandersetzungen." Dies gilt auch für die Entwicklung wirtschaftlicher Ordnungsstrukturen in anderen Ländern. Dort wo die Systeme tatsächlich einander ähnlicher geworden sind - so auch Hedtkamp (S. 310) - , hatten die Reformen in ihrer Reichweite ideologische Restriktionen. Die Frage, was geschehen wird, wenn gesellschaftstheoretische Grundlagen einmal wegfallen und durch „neue" Ideologien ersetzt werden sollten, ist wissenschaftlich nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten. Erfahrungen mit Ländern, die in ihrer Wirtschaftsordnung in diesem Jahrhundert auf der Grundlage einer Neuinterpretation ideologischer Positionen - wie beispielsweise Jugoslawien (vgl. B. Horvat/D. Savin) - weitreichende Reformen durchgemacht haben, lassen vermuten, daß auch für diesen Fall die Konvergenzthese Tinbergens zu eng angelegt ist. Das Modell der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung ist in mancher Hinsicht stärker dezentralisiert gedacht als die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft und es ist als Mischform zwischen Markt und Plan hinsichtlich seiner prägenden Merkmale gewiß nicht ausreichend charakterisiert.
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Kontrollaufgaben I . J o h n K e n n e t h G a l b r a i t h stellt in s e i n e m W e r k „ D i e M o d e r n e I n d u s t r i e g e s e l l schaft" (Zürich 1968) die H y p o t h e s e auf, d a ß die I d e o l o g i e keinen entscheid e n d e n E i n f l u ß m e h r auf d i e G r u n d s t r u k t u r e n d e s W i r t s c h a f t e n s a u s ü b e . D i s k u t i e r e n Sie diese T h e s e ! 2. M a n k a n n d i e A n n ä h e r u n g s t h e s e n in A n l e h n u n g an T u c h t f e l d t ( 1 9 8 2 ) in w e s t liche, östliche und konstruktivistische Varianten unterscheiden. Skizzieren Sie die Inhalte. 3. I n w i e f e r n g e h t J a n T i n b e r g e n in s e i n e r K o n v e r g e n z t h e s e letztlich v o n e i n e r D o m i n a n z d e s Ö k o n o m i s c h e n aus? 4. K o n v e r g e n z d e r W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n w i r d im H i n b l i c k auf d i e E b e n e d e r Z i e l e und hinsichtlich der E b e n e der Mittel diskutiert. K e n n z e i c h n e n Sie diese b e i d e n E b e n e n .
5. Kapitel Grundzüge einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 5.1 Liberale Wirtschaftsordnungspolitik in der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung Im ersten Kapitel wurden ordnungsbezogene und prozeßbezogene Steuerungsleistungen des politisch-administrativen Systems unterschieden. Von dieser Einordnung wirtschaftsordnungspolitischen Handelns ausgehend, erfolgt in diesem Kapitel insofern eine Beschränkung, als Grundzüge einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik zur Realisierung der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft zum Gegenstand der Ausführungen gemacht werden. Die Zielsetzung einer so verstandenen, sozial geprägten liberalen Wirtschaftsordnungspolitik kann anknüpfend daran, daß die Soziale Marktwirtschaft eine offene Lebensordnung darstellt, wie folgt formuliert werden: (1) Liberale Wirtschaftsordnungspolitik hat dazu beizutragen, daß die bestehenden wirtschaftlichen Ordnungsstrukturen ständig im Lichte neuer Ideen und Erkenntnisse überprüft werden. (2) Liberale Wirtschaftsordnungspolitik stellt einen ordnungsbezogenen Suchprozeß zur Realisierung, Einhaltung und gegebenenfalls besseren Verwirklichung der grundlegenden Normen rechtsstaatlich gesicherte individuelle Freiheit, soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit dar. Eine derart „dynamische" Wirtschaftsordnungspolitik, die eine Wandelbarkeit des Ordnungsrahmens nicht ausschließt, sofern die Verwirklichung liberal interpretierter Grundwerte und menschlicher Bedürfnisse gewährleistet ist, wird auch noch in der Gegenwart häufig dadurch erschwert, daß Wirtschaftsordnungen in der wissenschaftlichen Diskussion wie Selbstzwecke eingeführt und wie letzte Ziele erörtert werden. „Von den Ordnungsinstrumenten gilt... noch mehr als von anderen Mitteln der Wirtschaftspolitik, daß ihnen oft ein Eigenwert beigemessen wird, der auch auf einem Vorurteil über ihre vielfach kaum im voraus bekannte Wirkungsweise beruhen kann. Deshalb werden Ordnungsformen oft wie Selbstzwecke behandelt und wie Ziele verteidigt, vielleicht gar ohne Rücksicht auf die Umstände, in denen sie zur Anwendung gelangen sollen." (G. Gäfgen, S. 60) Es ist dies letztlich eine Dogmatisierung der wissenschaftlichen wirtschaftsordnungspolitischen Debatte, die nach Herder-Dorneich (S. 176) zu einer statischen Wirtschaftsordnungspolitik führt, die im Gegensatz zur Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft als offene Lebensordnung steht. „Ist die gerechte Ordnung nämlich einmal verwirklicht, so gilt es, sie zu erhalten, zu konservieren. Auch Konservieren verlangt ständige Bemühung. Das zu Konservierende jedoch bleibt statisch."
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Die Tendenz zur Dogmatisierung im Rahmen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Wirtschaftsordnungspolitik steht auch im Zusammenhang mit deren Entwicklungsstand, der in dem vorstehenden Zitat nach Gäfgen angedeutet wird und den Hensel (1962, S. 3f.) - sicherlich im Prinzip auch noch heute zutreffend - explizit in der Weise kennzeichnete, daß „... man ... nicht sagen (könne), daß ein gesicherter Grundbestand ordnungstheoretischer Einsichten gedankliches Gemeingut der Nationalökonomen wäre." Lösch hat in diesem Zusammenhang die Hypothese eines Zirkels der Dogmatisierung der Wirtschaftsordnungsdebatte aufgestellt (vgl. 1975, S. 89f.). Dieser Zirkel ergebe sich daraus, daß der Entwicklungsstand ordnungstheoretischer und ordnungspolitischer Einsichten über Vorurteile bezüglich der oft kaum im voraus bekannten Wirkungsweise von Ordnungsinstrumenten der Dogmatisierung Vorschub leiste, während umgekehrt die Dogmatisierung wieder den Erkenntnisfortschritt behindere. Liberale Wirtschaftsordnungspolitik stößt jedoch nicht nur in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung selbst auf Hindernisse, sondern auch in der politischen Debatte. Gemeint ist damit nicht nur die aus einer Dogmatisierung resultierende Konsequenz der Beeinträchtigung der Produktion instrumental verwertbarer Erkenntnisse. Darüber hinaus ergeben sich durchaus eigenständige Probleme bei der wirtschaftsordnungspolitischen Entscheidungsfindung sowie bei der Durchsetzung wirtschaftsordnungspolitischer Handlungen und Gestaltungsmaximen. „Jene, denen es um Ordnungspolitik zu tun ist, müssen erkennen, daß es keineswegs selbstverständlich ist, vielleicht nicht einmal wahrscheinlich ist, daß sich der Staat als Hüter der Ordnung versteht. Entsprechend reicht es nicht mehr, sich Gedanken über das ordnungspolitisch Gebotene zu machen; es ist auch zu fragen, ob und wie das Gefundene über den Prozeß der politischen Willensbildung zum handlungsorientierten Richtmaß der Politik werden kann." (G. Kirsch, S. 256) Solche durchsetzungsorientierten Fragestellungen wurden noch von Eucken (vgl. 1965, S. 128ff.), aber auch von Böhm (vgl. 1973, S. 20) in einer seiner letzten Veröffentlichungen als der Ökonomie nicht zuzurechnende Aspekte in den Datenkranz der wissenschaftlichen Wirtschaftspolitik verwiesen. Letzteres ist umso erstaunlicher, als gerade Eucken einen für die politische Durchsetzung der Wirtschaftsordnungspolitik durchaus zentralen Gedanken in den Mittelpunkt seiner wirtschaftsordnungspolitischen Überlegungen gestellt hat. Indem Eucken davon ausging, daß den Wirtschaftssubjekten ein „tiefer Trieb zur Beseitigung von Konkurrenz und zur Erwerbung von Monopolstellungen innewohne" und aus der so begründeten Gefahr der Selbstzerstörung einer sich überlassenen freiheitlichen Ordnung die Forderung vor allem nach einer konsequenten Wettbewerbspolitik ableitete, hat er im Grundsatz auch die Begründung für die besondere Schwierigkeit der Durchsetzung einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik unter bestimmten Bedingungen geliefert. Diese Bedingungen sind: • Die prinzipielle Bejahung eine Wirtschaftsordnung, die auf der Grundlage individueller Freiheit den Menschen in seiner Unterhaltssicherung und Unterhaltsgestaltung vorrangig auf persönliche Initiativen und auf im Wettbewerb mit anderen erzielte leistungsabhängige Einkommen verweist. • Es besteht die Möglichkeit, den Politikern für die Durchführung politischer Handlungen Kosten (Wählerstimmenentzug) aufzuerlegen, weil Wettbewerb zwischen den politischen Entscheidungsträgern vorgesehen ist.
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• Im wesentlichen in Abhängigkeit von der Organisationsfähigkeit und damit vom Organisationsgrad lassen sich spezifische Interessen gegenüber dem politisch-administrativen System durchsetzen. Diese drei Bedingungen kennzeichnen Wettbewerbsgesellschaften, bei denen das Prinzip des Wettbewerbs nicht nur in der wirtschaftlichen Ordnung, sondern auch im politisch-administrativen Bereich (parlamentarische Demokratie) von prägender Bedeutung ist und in denen Interessenverbände als gesellschaftliche Gruppen, die sich zur Verfolgung bestimmter Zwecke organisieren, bestimmende Kräfte der politischen Willensbildung darstellen - Bedingungen also, die für die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zutreffen. Liegt diese Bedingungskonstellation vor, ist es nicht einzusehen, daß der „Trieb zur Beseitigung von Konkurrenz" als Abmilderung bzw. Abkopplung von der Leistungsabhängigkeit sich nur innerhalb des Wirtschaftssystems auswirken sollte und nicht auch gegenüber dem politisch-administrativen System durchschlagen könnte, indem versucht wird, gegenüber diesem Sondervorteile im Sinne der jeweiligen Partikularinteressen durchzusetzen. In der Bundesrepublik Deutschland ist der lange Zeit wirksame Widerstand gegen das auf der Grundlage des neoliberalen Gedankenguts formulierte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen deutlicher Hinweis auf das Wirken derartiger politischer Einflußmöglichkeiten (vgl. J. Huffschmid, S. 143ff.). Andere, ebenso gravierende Einflußnahmen - z . B . bei der Ausgestaltung der Sozialordnung - sind im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung hinzugekommen. Kirsch thematisiert die Einführung und Erhaltung einer liberalen Ordnung unter den vorgenannten drei Bedingungen und argumentiert auf allgemeingültige Wirkungszusammenhänge abstellend wie folgt: (1) Man kann davon ausgehen, daß die Gesellschaftsmitglieder aus Eigeninteresse an einer leistungsbezogenen Lösung des wirtschaftlichen Ordnungsproblems interessiert sind, weil sie nicht die Opfer von Übergriffen werden wollen, die Stärkere gegen sie unternehmen könnten. (2) Das schließt aber nicht aus - und dies korrespondiert mit dem Eucken'schen Postulat - daß alle Gesellschaftsmitglieder auch den Wunsch haben, wenn sie in einer Position der Stärke sind, andere ihrem Zugriff auszusetzen, die Verteilung also durch Macht nicht aber durch Leistung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. (3) Wenn die Politiker eine auf Wettbewerb und leistungsabhängige Einkommen gegründete Ordnung anbieten, werden eigennützig handelnde Menschen gemäß ihren Einflußmöglichkeiten versuchen, für sich Ausnahmeregelungen durchzusetzen. „Wenn j eder - zu Recht oder zu Unrecht - davon ausgeht, daß die für ihn allemal nützliche Ordnung auch zustande kommt, wenn er auf Sonderregelungen für sich besteht, wird er nicht bereit sein, den politischen Unternehmer für etwas anderes als für die ihm gewährten Sonderregelungen zu honorieren ... Trotz des Nutzens, den der Einzelne aus dem Bestand der Ordnung ziehen kann, ist er nicht (mehr) bereit, die Schöpfer dieser Ordnung zu entlohnen; als Leistungen wird er ihnen nur anerkennen und honorieren, daß sie ihn vom Zwang der allgemeinen Regel ausgenommen haben ...; die Ordnung interessiert den Einzelnen besonders in dem Maße wie sie für ihn nicht gilt." (G. Kirsch, S. 262, Betonung im Original)
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Mit dieser Argumentationsweise werden ganz eindeutig vom liberalen Menschenbild des eigennützig handelnden, unvollkommenen Menschen ausgehend wesentliche Begründungen dafür geliefert, • daß konsequente liberale Ordnungsgestaltung sich als Gegenstand erweist, der nur schwer in die Politik eingebracht werden kann; • daß es zu Versäumnissen, ordnungspolitische Konzeptionen in der Praxis umzusetzen, kommen kann und • daß demzufolge auch bei prinzipiell möglicher Umsetzbarkeit des Leitbildes nicht nur kurzfristig Abweichungen zwischen gesellschaftlich anerkanntem Leitbild und der Realität bestehen können. Es bleibt abzuwarten, ob sich die darauf aufbauende (pessimistische) These bestätigt, daß eine Renaissance der Wirtschaftsordnungspolitik immer dann zu erwarten ist, wenn die Aushöhlung der Wirtschaftsordnung durch Einräumung von Sondervorteilen soweit fortgeschritten ist, daß die dadurch entstehenden Kosten der Unwägbarkeit aufgrund wirtschaftlicher Unordnung für den Einzelnen den Nutzen der Erlangung weiterer Sondervorteile überschreiten. „Die gesellschaftliche Unordnung wäre so die notwendige Voraussetzung der Ordnungspolitik, und: das Absinken der Ordnungspolitik auf der politischen Prioritätenliste wäre in der Ordnung selbst angelegt." (G. Kirsch, S. 275) D e r Einsatz wirtschaftspolitischer Berater, Aufklärungsarbeit und eine größere Transparenz der wirtschaftsordnungspolitischen Debatte, zu der auch ein entsprechendes Gewicht der Behandlung volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Institutionen im Lehrbetrieb des Faches Wirtschaftswissenschaften gehört, mag zwar ein Weg sein, einem solchen „Zyklus" zu begegnen. Dem steht jedoch erschwerend entgegen, daß das Ordnungsdenken ein Denken in übergreifenden Zusammenhängen ist, dessen Nachvollzug und Durchsetzung recht große Anforderungen an den Zeithorizont des Einzelnen stellt. Die „Vorteile" von interventionistischen Ordnungsverstößen und Ausnahmeregelungen werden unmittelbar und kurzfristig spürbar, während die Vorteile einer Ordnung erst über eine längere Zeitdauer erkennbar werden.
5.2 Prinzipien liberaler Wirtschaftsordnungspolitik 5.2.1 Rationale Wirtschaftsordnungsgestaltung Während bisher Überlegungen zur Behandlung einer liberal ausgerichteten Wirtschaftsordnungspolitik in Wissenschaft und politischer Praxis im Vordergrund standen, geht es mit der folgenden Erörterung der Prinzipien liberaler Wirtschaftsordnungspolitik darum, grundlegende Kriterien herauszuarbeiten, die beim Vollzug wirtschaftsordnungspolitischer Handlungen vernünftigerweise zu beachten sind. Allein der Umstand, daß Soziale Marktwirtschaft als offene Lebensordnung zu sehen ist und daß liberale Wirtschaftsordnungspolitik auf dieser Grundlage als Suchprozeß zur Realisierung, Einhaltung und gegebenenfalls besseren Verwirklichung der grundlegenden liberalen Normen nach den jeweiligen Umständen
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der Zeit gekennzeichnet werden kann, bedingt, daß liberales Denken in Ordnungen auf der Grundannahme basiert, daß die Geltung einer bestimmten Wirtschaftsordnung auf politischen Entscheidungen beruht, die nicht durch Entwicklungsgesetzmäßigkeiten festgelegt sind. Liberale Wirtschaftsordnungspolitik betrachtet die Ordnung des Wirtschaftslebens zwar als abhängig von grundlegenden Normen, aber nicht als eindeutig durch diese determiniert - eben weil jegliches menschliches Wissen unsicher ist. Dieser Grundsatz hat in der Bundesrepublik seinen Ausdruck darin gefunden, daß durch das Grundgesetz nicht ein ganz bestimmter Wirtschaftsordnungstyp vorgeschrieben wird, sondern daß auf der Grundlage verbürgter Normen ordnungspolitische Gestaltungsspielräume offenstehen. Rationale Argumentation im Rahmen liberaler Wirtschaftsordnungspolitik bedeutet damit nicht, den Nachweis zu erbringen, daß man sich im Einklang mit dem Sinn der Geschichte befindet, sondern daß es darum geht, im Hinblick auf die Zielsetzung der Ordnungspolitik realisierbare Alternativen aufzuzeigen und gegebenenfalls umzusetzen (vgl. H. Albert). Eine so verstandene „vernünftige" Argumentation muß aber bedeuten, daß eine Ideologisierung der Ordnungspolitischen Debatte in dem Sinne, daß - wie im vorgegangenen Abschnitt bereits ausgeführt - wirtschaftliche Ordnungen als Selbstzwecke behandelt werden, nicht zulässig ist. Das Prinzip rationaler Wirtschaftsordnungsgestaltung beinhaltet somit drei Grundsätze: (1) Wirtschaftsordnungen dürfen nicht vom Bezugspunkt unbedingter Entwicklungsgesetzmäßigkeiten beurteilt werden, sondern sind daraufhin zu überprüfen, ob sie gegenwärtig eine Form annehmen, die mit der Verwirklichung der grundlegenden liberalen Normen vereinbar ist. (2) Die Wirtschaftsordnungsgestaltung hat insofern offen zu sein, als Wirtschaftsordnungen nicht wie Selbstzwecke behandelt werden dürfen. (3) Die Reform ohne Gewaltanwendung wird zum Grundsatz erhoben. Darüber hinaus wird das Interesse einer Gesellschaft an der Beibehaltung einer bewährten Ordnung respektiert. Es besteht keine ständige wirtschaftsordnungspolitische Pflicht zur Revision, sondern anerkannt wird die Revidierbarkeit wirtschaftlicher Ordnungskonzeptionen und -strukturen nach einem Prozeß sorgfältiger und kritischer Prüfung.
5.2.2 Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen Von den vorstehend genannten drei Grundsätzen rationaler Wirtschaftsordnungsgestaltung ausgehend ist auch das Prinzip der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen zu beurteilen. Für kritische Beobachter der wissenschaftlichen und praktischen Wirtschaftsordnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist dieses Prinzip und das in ihm enthaltene Plädoyer für die Orientierung an einer ordnungspolitischen Grundentscheidung häufig sichtbarer Beleg für die Ideologisierung der ordnungspolitischen Debatte und damit für die „Nicht-Rationalität" der liberalen Wirtschaftsordnungspolitik. Im folgenden wird gezeigt, daß das Prinzip der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer
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Handlungen - interpretiert als Prinzip der Vorrangigkeit ordnungskonformer politischer Handlungen - keineswegs im Widerspruch zu den Grundsätzen rationaler Wirtschaftsordnungspolitik stehen muß und daß seine Einordnung und Nutzung als Dogmatisierungsprinzip auf einer Fehlinterpretation beruht. Die Fragestellung nach der Einheitlichkeit und inneren Widerspruchslosigkeit wirtschaftspolitischer Eingriffe ist eine Fragestellung, die vor allem in der deutschsprachigen Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen der Wirtschaftspolitik seit Anfang dieses Jahrhunderts immer wieder behandelt wurde. Bei dieser Erörterung haben sich zwei verschiedene Verständnisse von Konformität bzw. Inkonformität politischer Handlungen herauskristallisiert: die Zielkonformität und die Ordnungskonformität. Zielkonform sind wirtschaftspolitische Maßnahmen, wenn sie zur Verwirklichung gesetzter Ziele geeignet erscheinen. Ordnungskonform sind politische Handlungen dann, wenn sie nicht nur zielkonform sondern darüber hinaus der angestrebten Wirtschaftsordnung gemäß sind, wenn sie sich also in den Rahmen einer wirtschaftsordnungspolitischen Grundentscheidung einordnen lassen und entweder die bestehende Ordnung nicht umgestalten oder sie näher an das unterstellte Leitbild heranbringen. Die Zielkonformität steht dann im Vordergrund, wenn Gesellschafts- und Ordnungsgestaltung vorwiegend technisch als Organisationsproblem gesehen wird. Allein der Risikoaspekt gesellschaftsgestaltenden Handelns stellt jedoch die Auffassung in Frage, die Aufgabe der rationalen Gestaltung der Wirtschaftsordnung ausschließlich in Analogie zu einem Organisationsproblem zu sehen, „... das prinzipiell in der gleichen Weise theoretisch angegangen und praktisch gelöst werden muß, wie z.B. die betriebswirtschaftliche Organisationslehre das Problem der optimalen Unternehmensorganisation behandelt." (D. Lösch, 1975, S. 102) Zwar zielt das Problem der Gestaltung von Wirtschaftsordnungen auf die Strukturierung von Systemen zur Erfüllung von Daueraufgaben, wie auch in der Betriebswirtschaftslehre das Organisationsproblem allgemein definiert wird. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung nicht kalkulierbarer Risiken im gesellschaftlichen Raum sind jedoch bei der Gesellschaftsgestaltung strategische Gesichtspunkte besonders zu berücksichtigen, die bei der einzelwirtschaftlichen Gestaltung von Organisationseinheiten nicht so stark in den Vordergrund treten. In diesem Sinne betont Watrin, daß bei der Revision von gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen angesichts der Unsicherheit des menschlichen Wissens nicht kalkulierbare Risiken eingegangen werden müssen. Es ist deshalb seiner Auffassung nach nur vernünftig vor die Reform „... Prozesse des Ringens mit Argumenten zu setzen, in denen die verschiedensten Aspekte des jeweiligen Problems abgeklärt werden können." (Chr. Watrin, S. 74f.) Von diesem Gedankengang ausgehend erschließt sich die Bedeutung des Prinzips der Vorrangigkeit der Ordnungskonformität als Strategie zur Vermeidung nicht kalkulierbarer Risiken in einem Bereich, in dem „inhärente Komplexität von organisierter A r t " (F. A . v. Hayek, S. 21) besteht. So verstandene Ordnungskonformität führt zwar insoweit zu Stetigkeit der Wirtschaftspolitik, als die Wirtschaftspolitik aus einer Konzeption der Ordnung des Wirtschaftsystems hervorgehen soll und sich nicht punktuell interventionistisch von den alltäglichen Erfordernissen einmal hierhin, einmal dorthin leiten lassen soll. Sie muß jedoch nicht notwendig zu einer statischen, konservierenden Wirtschaftsordnungspolitik führen, wenn man die Orientierung an einer wirtschaftsordnungspolitischen Grundentscheidung als ein Prinzip ansieht, durch das bestimmte politische Handlungs-
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alternativen hervorgehoben werden, das jedoch bei besonderen Umständen, bei denen die Lösung von nach den bestehenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht tolerierbaren Problemen ordnungskonform nicht mehr möglich ist, durchbrochen werden kann. Diese Sichtweise ist in neoliberal orientierten Veröffentlichungen zum Konformitätsproblem nicht immer deutlich genug formuliert worden, so daß einer dogmatischen Auslegung des Prinzips der Ordnungskonformität dadurch möglicherweise Vorschub geleistet wurde. Sie wird jedoch durch die nachstehende Feststellung Hensels, der als Schüler Euckens ganz eindeutig in neoliberaler Tradition steht, bestätigt: „Eine grundsatzorientierte Wirtschaftspolitik g e h t . . . von einem Leibild des Aufbaus der Gesamtordnung aus. Sie wird jede neue Maßnahme an dieser ordnungspolitischen Gesamtentscheidung ausrichten. Dies wird jedoch in dem Bewußtsein geschehen, daß es sich um Lebensordnungen handelt, und so wird sie stets bereit sein, besonderen Umständen mit besonderen Regelungen gerecht zu werden. Gleichwohl besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer grundsatzorientierten Wirtschaftspolitik und einer wirtschaftlichen Ordnungspolitik des ,goldenen Mittelwegs'... Es bedeutet etwas wesentlich anderes, ob man den Gedanken des Mittelweges zum Prinzip erhebt, oder ob sich ein Mischungsverhältnis von Formelementen bei grundsätzlicher Orientierung aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen aus der Anpassung an besondere Umstände des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ergibt." (1959, S. 34ff.) Mit der Fassung des Konformitätsprinzips als Vorrangigkeitsprinzip wird die von Blum geäußerte Befürchtung entkräftet, daß das Konformitätspostulat sich über eine zu restriktiv interpretierte Forderung nach Ordnungskonformität politischer Aktivitäten und eine damit verbundene „Tendenz zur Konservierung bestehender Herrschafts- und Besitzstrukturen" als potentielle Verstärkung oder gar Ursache revolutionärer Entwicklungen im Sozialgeschehen erweisen könnte. Revolutionäre Veränderungen als „Notwehr" eines durch Ordnungskonformität nicht von grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüchen befreiten sozialen Systems (vgl. R. Blum, S. 137) sind allenfalls als Folge statischer Wirtschaftsordnungspolitik denkbar. Statische Wirtschaftsordnungspolitik ist aber nicht notwendig die Konsequenz der Beachtung des Prinzips der Vorrangigkeit ordnungskonformer politischer Handlungen. Postuliert wird vielmehr - als Gebot der Vernunft angesichts der Unsicherheit des menschlichen Wissens und der Risikobehaftetheit der Gesellschaftsgestaltung - eine kritische Distanz zu Veränderungen der Wettbewerbsordnung, die ordnungsinkonforme Maßnahmen und die Revidierbarkeit nach sorgfältiger Prüfung und intensiver Diskussion nicht ausschließt. Es ist nun noch die Frage nach der inhaltlichen Fassung des Prinzips der Ordnungskonformität einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik zu beantworten. Dabei ist an der angestrebten Wirtschaftsordnung anzusetzen. Die Ausführungen in Kapitel 4 haben deutlich gemacht, daß politisch-administrative Steuerungsleistungen, staatliche Wirtschaftssystemaktivitäten (Kollektivgüter, meritorische Güter, Monopolgüter), Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte und sozialpolitische Korrekturmechanismen auch konzeptionell eine sozial modifizierte, liberale Wirtschaftsordnung prägen. Im Hinblick auf eine so charakterisierte, nicht nur durch Märkte geprägte Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsordnungskonzeption erscheint das Kriterium der Marktkonformität als inhaltliche Fassung des Prinzips der Ordnungskonformität nicht umfassend genug.
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Das Kriterium der Marktkonformität wird traditionell in der Weise formuliert, daß Interventionen als konform bezeichnet werden, die den Preismechanismus nicht aufheben, sondern sich ihm als neue „Daten" einordnen. Nicht konform sind dann solche Maßnahmen, die den Preismechanismus lahmlegen. Marktkonforme Maßnahmen setzen nach dieser Formulierung nicht unmittelbar an den Variablen des Marktprozesses an, den Preisen und Mengen also, sondern verändern die Bedingungen, unter denen sich die Tauschprozesse vollziehen. So wären beispielsweise Importkontingente marktinkonform, da die aufgrund von Preisentwicklungen der Importgüter normalerweise erfolgenden Mengenreaktionen der Importeure durch staatliche Maßnahmen unterbunden werden und so die Selbststeuerung des Marktes, die auf dem Zusammenspiel von Preis- und Mengenreaktionen beruht, aufgehoben wird. Die vorstehend skizzierte Begriffsfassung der Marktkonformität geht auf eine Unterscheidung in konforme und inkonforme Mittel der Wirtschaftspolitik zurück, die zuerst von Röpke vorgenommen wurde, von dem auch das nachstehende Beispiel für eine marktkonforme Maßnahme stammt: Schutzzölle sind marktkonform, da eine durch sie verursachte Preisbelastung „... vom Handel so assimiliert wird, wie z.B. eine die Transportkosten erhöhende Verkehrserschwerung, ihm im übrigen aber die volle Freiheit läßt und den regulierenden Einfluß der Preisbildung nicht außer Kraft setzt." (W. Röpke, S. 260) Gutmann (S. 142, Betonungen im Original) begründet, warum das Kriterium der Marktkonformität als inhaltliche Fassung des Prinzips der Ordnungskonformität im Hinblick auf eine sozial modifizierte Ordnungsgestaltung zu eng angelegt ist. „Der Geltungsbereich des Satzes von der Marktkonformität erstreckt sich unmittelbar auf jenen Bereich der Wirtschaft, in dem der Preismechanismus Angebot und Nachfrage von Produkten und den Einsatz von Produktionsfaktoren lenkt. Legt man den Begriff der Marktkonformität eng aus ..., dann ist sie nicht brauchbar zur Beurteilung jener wirtschaftspolitischen Maßnahmen, mit denen nicht unmittelbar in das Preisbildungsgeschehen eingegriffen wird, sondern in jene Regeln des Rechts und der Konvention und in jene Ordnungsformelemente, die zusammengenommen die bestehende Wirtschaftsordnung ausmachen. Ob die Verstaatlichung oder die Reprivatisierung eines Unternehmens oder die Einführung von Mitbestimmungsrechten für die Belegschaft ordnungskonform sind oder nicht, bleibt nach dem Kriterium der Marktkonformität offen. Das Kriterium der Marktkonformität bedarf daher der Erweiterung." Die Kritik an der Verwendbarkeit des Kriteriums der Marktkonformität hat zu einer Erweiterung der Auslegung des Konformitätsmaßstabes liberaler Ordnungsgestaltung in der Weise geführt, daß die Wettbewerbskonformität als Kriterium für Ordnungskonformität vorgeschlagen wird (zu einem knappen dogmengeschichtlichen Überblick siehe B. Steinmann, S. 419ff.). Die Orientierung wirtschaftspolitischer Eingriffe am Kriterium der Wettbewerbskonformität verlangt, daß wirtschaftspolitische Maßnahmen die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs nicht gefährden. Im Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs wird der Wettbewerbsprozeß entweder • als Instrument zur bestmöglichen Erfüllung bestimmter gesamtwirtschaftlicher Funktionen angesehen oder • als Institution zur Sicherung größtmöglicher Freiheitsspielräume aller am Wettbewerbsprozeß beteiligten Wirtschaftssubjekte betrachtet.
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Die Vertreter der eher instrumentalen Betrachtungsweise leiten zunächst gesamtwirtschaftliche Ziele ab. Es ist die Aufgabe des Wettbewerbsprozesses, diese Ziele zu erreichen. Kantzenbach (S. 12ff.) faßt sie zu fünf gesamtwirtschaftlichen Funktionen des Wettbewerbs (Wettbewerbsfunktionen) zusammen: (1) die funktionale Einkommensverteilung nach der Marktleistung; (2) die Zusammensetzung und Verteilung des Angebots an Waren und Dienstleistungen nach den Käuferpräferenzen; (3) die Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre produktivsten Verwendungen; (4) die laufende flexible Anpassung der Produktion und der Produktionskapazität an die sich ständig ändernden Marktdaten; (5) die Beschleunigung des technischen Fortschritts. Es wird erwartet, daß die fünf gesamtwirtschaftlichen Funktionen bestmöglich erreicht werden, wenn der Wettbewerb funktioniert. So soll der Wettbewerb die ihm übertragenen Aufgaben dadurch erfüllen, daß er bei erwünschtem Verhalten der Marktteilnehmer diesen Vorteile (zum Beispiel in Form von Gewinnen und Umsatzsteigerungen) in Aussicht stellt, dagegen bei Fehlverhalten im Sinne der Wettbewerbsfunktionen mit dem Ausscheiden aus dem Markt gerechnet werden muß. Nach instrumentaler Sicht sind wirtschaftspolitische Eingriffe nur dann wettbewerbskonform, wenn sie mit den vorgenannten Wettbewerbsfunktionen vereinbar sind. Für die Vertreter der eher institutionalen Betrachtungsweise ist der Wettbewerb funktionsfähig, wenn er allen Marktbeteiligten bestimmte Freiheits- und Handlungsspielräume eröffnet (vgl. E. Hoppmann, S. 23f.). Danach ist Wettbewerb gekennzeichnet durch • die Freiheit der Unternehmer zu Wettbewerbsvorstoß und -reaktion; • die Freiheit der Verbraucher zur Wahl zwischen alternativen Gütern; • die Freiheit der Beschäftigten zur Wahl des Arbeitsplatzes. Wettbewerb wird als Institution gesehen, durch die die freiheitlichen wirtschaftlichen Wahlhandlungen aller einzelnen Marktteilnehmer geordnet und koordiniert werden. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des einen soll durch den Ordnungsrahmen nur dort beschränkt werden, wo die Handlungsfreiheit anderer eingeengt wird. Die dauerhafte Ausübung von Macht ist nur dann möglich, wenn der Wettbewerb nicht mehr funktioniert. Wettbewerbssichernde Eingriffe wirtschaftspolitischer Instanzen sind in dieser Betrachtungsweise darauf gerichtet, wettbewerblich nicht abbaubare Macht und Ausbeutung im Wirtschaftsgeschehen zu reduzieren bzw. zu verhindern und damit auch die Verhaltensspielräume bisher benachteiligter Wirtschaftssubjekte zu erweitern. Wettbewerb und Wettbewerbskonformität bedeuten die „Abwesenheit von Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit" (E. Hoppmann, S. 23). Auf einer frühen Einteilung Thalheims (S. 583ff.) aufbauend wurde von Gutmann eine Abstufung der Grade der Wettbewerbskonformität als Kriterium der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen entwickelt, die in Übersicht 20 zusammengefaßt ist. In diese Skala lassen sich auch sozialpolitisch motivierte Eingriffe nach dem Grad ihrer Wettbewerbskonformität einordnen. So wären sozialpolitische Korrekturmechanismen, die sich am Subsidiaritätsprinzip orientieren und den Menschen damit in seiner Unterhaltssicherung und Unterhaltsgestaltung vorrangig auf persönliche Initiativen und auf im Wettbewerb mit anderen erzielte leistungsabhängige Einkommen verweisen, als wettbe-
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w e r b s a d ä q u a t e M a ß n a h m e n einzustufen, w e n n sie als M a ß n a h m e n d e s o f f e n e n i n t e r p e r s o n e l l e n Finanzausgleichs zur U n t e r s t ü t z u n g gesellschaftlich S c h w a c h e r v o n d e r E i n k o m m e n s s e i t e h e r konzipiert sind. Übersicht 20: Grade der Wettbewerbskonformität als Kriterium der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen Grade der Wettbewerbskonformität I.
Erläuterung und Beispiele
Wettbewerbskonforme Maßnahmen 1. Wettbewerbsnotwendige Maßnahmen
Maßnahmen der Wirtschaftspolitik zur Ermöglichung von Wettbewerbsprozessen (Schaffung einer dezentralen Entscheidungsstruktur; Einführung von Vertragsfreiheit; Einrichtung von Märkten; Verbote von Kartellbildungen und anderer Formen privater Behinderungen der Wettbewerbsfunktionen). Maßnahmen zur Verminderung oder Ausschaltung von 2. WettbewerbsFriktionen und Hemmungen im Wettbewerbsprozeß fördernde (Erhöhung der Mobilität der Produktionsfaktoren; InflaMaßnahmen tionsbekämpfung durch klassische Instrumente der Notenbankpolitik; die Wettbewerbsfähigkeit und die Eigeninitiative stärkende Maßnahmen zur Förderung der Gründung selbständiger Existenzen). Eingriffe der Wirtschaftspolitik, durch welche sich Ziele 3. Wettbewerbsadäquate Maßnahmen erreichen lassen, die ohne diese speziellen Eingriffe durch den Marktprozeß allein nicht erreichbar wären (regionaler Finanzausgleich zur Nivellierung räumlicher Kaufkraftgefälle; subsidiär orientierte sozialpolitische Maßnahmen des offenen interpersonellen Finanzausgeleichs für gesellschaftlich Schwache). II. Wettbewerbsinkonforme Maßnahmen 4. Wettbewerbsinadäquate Maßnahmen 5. Wettbewerbsaufhebende Maßnahmen
Maßnahmen, die für einzelne Bereiche der Volkswirtschaft die Funktionsweise des Wettbewerbsprozesses mindern, ohne ihn durch die einzelne Maßnahme selbst generell zu beseitigen (Subventionierung einzelner Branchen zwecks temporärer Strukturkonservierung). Maßnahmen, die die Grundlagen des Wettbewerbsprozesses in einzelnen Bereichen der Wirtschaft oder in ihrer Gesamtheit beseitigen (Kontingentierung von Angebotsund Nachfragemengen; staatliche Festsetzung von Preisen).
Quelle: G. Gutmann, S. 191f., ergänzt durch eigene Beispiele.
U m M i ß v e r s t ä n d n i s s e zu v e r m e i d e n , sei n o c h m a l s a u s d r ü c k l i c h b e t o n t , d a ß die F r a g e , ob auch wettbewerbsinkonforme M a ß n a h m e n e r g r i f f e n w e r d e n sollen, nach den j e w e i l i g e n gesellschaftlichen Z i e l s e t z u n g e n , nach d e n U m s t ä n d e n d e r Z e i t u n d n a c h e i n e m P r o z e ß kritischer P r ü f u n g u n d D i s k u s s i o n zu e n t s c h e i d e n ist, w o b e i es als e i n e V e r n u n f t r e g e l a n z u s e h e n ist, z u n ä c h s t zu p r ü f e n , o b a n s t e h e n d e P r o b l e m e a u c h w e t t b e w e r b s k o n f o r m gelöst w e r d e n k ö n n e n .
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5.2.3 Priorität der Wirtschaftsordnungspolitik Das Prinzip der Priorität der Wirtschaftsordnungspolitik gegenüber globalen und strukturellen ablaufpolitischen Steuerungsleistungen läßt sich auf die Ursprungsgedanken der liberalen Gesellschaftstheorie zurückführen, die auf eine Trennung von Staat und Wirtschaft und auf eine Selbstkoordinierung der Wirtschaftssubjekte im Rahmen spontaner Ordnungen abstellen. Danach müssen prozeßpolitische Interventionen als Eingriffe in die spontane Selbstkoordinierung gewertet werden. Während in den Anfängen des Liberalismus zur Gewährleistung der Selbstkoordinierung des Wirtschaftens lediglich eine überwiegend passiv konzipierte Ordnungspolitik als zulässig erachtet und eine Ausschließlichkeit der so verstandenen Wirtschaftsordnungspolitik propagiert wurde, erweiterte sich im Zuge der ideengeschichtlichen Entwicklung die Perspektive in bezug auf die Zulässigkeit wirtschaftspolitischer Steuerungsleistungen. Ein Markstein in dieser Entwicklung ist die von der neoliberalen Schule in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts erhobene Forderung nach einem starken Staat, der der Gefahr der aktiv betriebenen Ordnungszerstörung durch eigennützig handelnde Wirtschaftssubjekte durch aktive Ordnungspolitik, insbesondere Wettbewerbspolitik, zu begegnen hat. Hinzugekommen ist die Erkenntnis, deutlich erkennbar in den Schriften der „politischen Umsetzer" der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack, daß zur Erreichung gesellschaftlich anerkannter wirtschafts- und sozialpolitischer Ziele auch prozeßpolitische Maßnahmen erforderlich sind. Dieser Sachverhalt begründet im Zusammenhang mit dem auch im Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft angelegten Streben nach einer möglichst weitgehenden Trennung von Staat und Wirtschaft eine echte Priorität (und nicht eine Ausschließlichkeit) der Wirtschaftsordnungspolitik. Aktive Wirtschaftsordnungspolitik zur Realisierung einer liberalen Normen entsprechenden sozialen Wirtschaftsordnung ist konzeptionell voll legitimiert. Ablaufpolitik ist nur soweit zu betreiben, wie die Verwirklichung wirtschafts- und sozialpolitischer Ziele anderweitig nicht zu erreichen ist, wobei - dies haben die Ausführungen des vorangegangenen Abschnittes gezeigt - zunächst zu prüfen ist, ob anstehende Probleme wettbewerbskonform gelöst werden können. Die Einhaltung der Prinzipien der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen und der Priorität der Wirtschaftsordnungspolitik stellt eine gewisse Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik sicher. Damit ist ein Aspekt angesprochen, der von neoliberalen Theoretikern als sehr bedeutsam für die Verwirklichung einer auf persönlichen Initiativen, Leistungsabhängigkeit und Wettbewerb gründenden Wirtschaftsordnung gehalten wird (vgl. E. Hoppmann, S. 29f.). Persönliche Initiative und Leistungsbereitschaft wird nämlich gefördert,wenn jeder Einzelne weiß, mit welchen Umständen seiner Umgebung er als gesicherte Daten rechnen kann. Eucken hat von diesem Gedankengang ausgehend die Konstanz der Wirtschaftspolitik - im Sinne einer rationalen Wirtschaftsordnungspolitik zu interpretieren als Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik - als ein Kernprinzip neoliberaler Wirtschaftsordnungsgestaltung abgeleitet. Er begründet dies wie folgt: „Eine gewisse Konstanz der Wirtschaftspolitik ist nötig, damit eine ausreichende Investitionstätigkeit in Gang kommt." Bei mangelnder Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik würde den Wirtschaftsplänen „... die zeitliche Tiefe fehlen, die nötig ist, um den modernen industriellen Produktionsapparat auszubau-
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en und zu erhalten ... Konstanz ist ein zentrales Erfordernis der Wirtschaftspolitik der Wettbewerbsordnung. Die Wirtschaftspolitik stelle einen brauchbaren wirtschaftsverfassungsrechtlichen Rahmen für den Wirtschaftsprozeß her; an diesem Rahmen halte sie beharrlich fest und ändere nur mit Vorsicht." (1975, S. 288f.)
5.3 Zentrale Bereiche und Probleme der Wirtschaftsordnungspolitik in der Bundesrepublik 5.3.1 Die Wettbewerbsordnung im Spannungsfeld staatlicher Eingriffe in die Wirtschaftstätigkeit und fortgeschrittener Unternehmenskonzentration Mit der Schaffung einer wettbewerblich dezentral koordinierten Wirtschaft soll weitgehend die Bildung dauerhafter wirtschaftlicher Übermacht Einzelner oder gesellschaftlicher Gruppen unterbunden und damit die Freiheitsspielräume aller Beteiligten am wirtschaftsgeschehen gesichert werden. Das politisch-administrative System hat nach neoliberaler Auffassung die Aufgabe, die Wettbewerbsordnung aktiv zu gestalten und ständig vor den Interessenegoismen unvollkommener und eigennützig handelnder Menschen zu schützen. „Eine marktwirtschaftliche Organisation des gesellschaftlichen Wirtschaftens wird erst durch staatliches Handeln etabliert und stabilisiert." (Wissenschaftlicher Beirat, 1979, Tz. 17) Überall dort, wo der Wettbewerb unvollkommen funktioniert, wo er nicht (mehr) imstande ist, die Wettbewerbsfunktionen hinreichend zu erfüllen, müssen demzufolge staatliche Instanzen steuernd und gestaltend tätig werden. Mit der 1957 erfolgten Verabschiedung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (G WB) wurde der gesetzliche Rahmen für die wettbewerblich organisierte Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland konkretisiert. Die Weiterentwicklung des damit geschaffenen Ordnungsrahmens spiegelt sich in den inzwischen mehrfach erfolgten Novellierungen des G W B wider. Die erklärte Zielsetzung dieser Novellen war jeweils die Anpassung des geltenden Wettbewerbsrechtes an veränderte Verhältnisse sowie die Verbesserung des wettbewerbspolitischen Instrumentariums (vgl. Bundestagsdrucksache 231/78, S. 12). Es ist jedoch insgesamt nicht gelungen, mit dem G W B und seinen Fortschreibungen Abweichungen zwischen dem Leitbild einer dezentralen und auf spontane Initiativen gründenden Wettbewerbsordnung und der Realität zu verhindern oder zu beseitigen. Dies liegt vor allem daran, • daß weite Bereiche der deutschen Wirtschaft ganz oder teilweise aus der bestehenden Wettbewerbsordnung herausgenommen sind (Ausnahmebereiche im GWB) und daß auf vielen Märkten Wettbewerbsbeeinflussungen und Wettbewerbsbeschränkungen durch staatliche Regulierungen, staatliche Monopolstellungen und staatliches Unternehmertum auftreten; • daß weder das Instrument der Zusammenschlußkontrolle (§§ 23ff. GWB) dem fortgeschrittenen Stand der Unternehmenskonzentration wirksam hat entgegenwirken können, noch sich das Instrument der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen (§ 22 GWB), vor allem wegen der Schwie-
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rigkeit mißbräuchliches Verhalten durch Bezugnahme auf als-ob-WettbewerbHypothesen und Vergleichsmarktkonzepte nachzuweisen, als wirkungsvoll erwiesen hat (vgl. H.-J. Bunte, S. 95ff. und S. 123ff.). 5.3.1.1 Ausnahmebereiche, staatliche Regulierungen und staatliches Unternehmertum Nach der deutschen Wettbewerbsordnung sollen durch Wettbewerb geordnete Märkte die Regel bilden. Ausnahmen werden jedoch nach dem G W B in verhältnismäßig großer Zahl zugelassen. Zu diesen Ausnahmebereichen zählen: • die leitungsgebundene Versorgungswirtschaft (Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwirtschaft), • der Kohle-und Stahlbereich, • der Bankensektor, • das Versicherungswesen, • die Landwirtschaft. Die völlige oder teilweise Freistellung dieser volkswirtschaftlich bedeutsamen Wirtschaftsbereiche von Regelungen des GWB wird mit technischen oder wirtschaftlichen Besonderheiten begründet. „Es wird vorgetragen, unter Wettbewerbsbedingungen würden in diesen Wirtschaftsbereichen aufgrund ihrer Besonderheit nachteilige Entwicklungen, z.B. Versorgungslücken, eintreten, die im Interesse der Allgemeinheit nicht hingenommen werden könnten." (B. Breuel, S. 651) Nach den Prinzipien liberaler Wirtschaftsordnungsgestaltung dürfen solche Ausnahmen nur dann zugelassen werden, wenn wirklich triftige Gründe vorliegen und die nachteiligen Auswirkungen für die Allgemeinheit zweifelsfrei belegbar sind. In jedem Falle müssen sie regelmäßig überprüft werden, um die Notwendigkeit und Berechtigung der Herausnahme aus der Wettbewerbsordnung zu rechtfertigen. Die damit verbundenen Fragestellungen und Probleme sollen am Beispiel der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft, insbesondere der Energieversorgung, aufgezeigt werden. Die in den §§1,15 und 18 G W B vorgesehenen Verbote wettbewerbsbeschränkender Absprachen finden nach § 103 G W B auf eine Reihe, für die leitungsgebundene Versorgungswirtschaft typische wettbewerbsbeschränkende Verträge keine Anwendung. Es handelt sich dabei um eine Freistellung von Konzessionsverträgen, Demarkationsverträgen und Verbundverträgen der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft vom generellen Kartellverbot. Solche Verträge, die lediglich bei der Kartellbehörde anzumelden sind, ermöglichen die Eliminierung brancheninternen Wettbewerbs über • Ausschließlichkeitsklauseln in mit den Gebietskörperschaften über die Benutzung ihrer Wege und Straßen zur Verlegung von Leitungen geschlossenen Verträgen (Konzessionsverträge); • die Aufteilung von Versorgungsgebieten im Wege von Gebietskartellen (Demarkationsverträge) ; • gemeinsame Absatzsyndikate, z.B. Lieferung von Energie an eine gemeinsame Tochter (Verbundverträge). Von der Möglichkeit, solche Verträge abzuschließen, wird in großem Ausmaß Gebrauch gemacht; bis 1980 wurden bei der Kartellbehörde rund 50000 derartiger Verträge und Vertragsänderungen angemeldet.
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Durch die Freistellung von wettbewerbsbeschränkenden Verträgen werden in der Versorgungswirtschaft somit faktisch Gebietsmonopole zugelassen. Die marktwirtschaftliche Koordinierung der Entscheidungsprozesse wird zugunsten regionaler Monopolstellungen aufgegeben und der Wettbewerb wird in seinen leistungsfördernden Wirkungen beeinträchtigt. Bei der Schaffung des G WB ging der Gesetzgeber davon aus, daß nur ein Leitungsweg zu jedem Abnehmer wirtschaftlich vertretbar sei und nur die Gewährleistung einer kontinuierlichen Abnahme der Erzeugung eine rationelle Produktion zu angemessenen Preisen sichern könne (vgl. Bundestagsdrucksache II/l 158, S. 57). Die Freistellung der leitungsgebunden Versorgungswirtschaft wurde somit mit den Eigenarten von Erzeugung und Verbrauch und „Marktversagen" in bezug auf diese Eigenarten begründet (vgl. Monopolkommission, 1976, Tz. 702ff.): • Weiträumige Verteilernetze seien wegen der Leitungsgebundenheit des Transports zur Versorgung der Verbraucher erforderlich. • Die außerordentlich hohe Kapitalintensität der Netze und Kraftwerke erfordere eine Vermeidung von Doppelinvestitionen, die Sicherung des Auslastungsgrades und den Verbundbetrieb. • Die langen Ausreifungszeiten von Investitionen in diesem Bereich müßten auf langfristigen Entscheidungen beruhen, die sich nicht an kurzfristigen Marktsignalen orientieren könnten. Die Freistellungsregelung wurde jedoch ausdrücklich als vorläufig betrachtet. Sie sollte durch eine als vordringlich angesehene Regelung der Wettbewerbsverhältnisse im Wege eines besonderen Energiewirtschaftsgesetzes ersetzt werden. Inzwischen sind seit Inkrafttreten des GWB über 25 Jahre vergangen und die zunächst als vorläufig betrachtete Regelung ist zur Dauerregelung und zu Gewohnheitsrecht geworden. Im Zuge der Novellierungen des GWB unterstellte man die Unternehmen der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft lediglich einer Mißbrauchsaufsicht nach § 104 GWB, die allerdings in ihrer Wirksamkeit nach den bisherigen Erfahrungen ebenso begrenzt zu sehen ist, wie die allgemeine Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen nach § 22 G W B (vgl. auch H.-J. Bunte, S. 142ff.). Dafür, daß die geltend gemachten technisch-ökonomischen Besonderheiten nicht die Behandlung der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft als Ausnahmebereich in der bisherigen Form rechtfertigen, sprechen folgende Argumente: (1) Die Leitungsgebundenheit des Transportnetzes begründet keine Freistellung vom Wettbewerb. Herrscht Wettbewerb, dann wird der Bau einer neuen Leitung als Investitionsentscheidung unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten getroffen. Doppelleitungen werden nur dann gebaut, wenn sie wirtschaftlich sinnvoll sind und zur Verbesserung der Versorgung führen. Das Problem der Doppelleitungen könnte darüber hinaus durch die technisch mögliche Öffnung der Netze für Durchleitungen weitgehend entfallen (vgl. V. Emmerich, S. 65ff.). (2) Die Rückführung der Versorgungswirtschaft in die Wettbewerbsordnung behindert nicht die notwendigen Investitionen. Auf den Energiemärkten sind die Investitionsbedingungen gegenüber anderen kapitalintensiven Wirtschaftsbereichen nicht ungünstiger, zumal durch Baukostenzuschüsse, Zuschüsse zu den Kosten der Hausanschlüsse und Grundge-
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bühren, die unabhängig von A b n a h m e m e n g e n gezahlt werden, Fixkostenbestandteile auf die A b n e h m e r übertragen werden können. Selbst wenn bei einzelnen Versorgungsunternehmen im W e t t b e w e r b mit Newcomern durch eine Zun a h m e des Risikos die Investitionsbereitschaft gemindert würde, werden die ausfallenden Investitionen durch den eindringenden Konkurrenten mehr als kompensiert. D a n n trägt gerade der Wettbewerb dazu bei, die knappen Ressourcen in die besten Verwendungen zu lenken, die erstarrten Strukturen aufzulockern und die Versorgungssicherheit mit Energie zu vergrößern. (3) Die zu erwartende Wettbewerbsintensität wird nicht die Versorgungssicherheit gefährden. G e r a d e die langen Ausreifungszeiten f ü r Investitionen werden Randbedingungen schaffen, bei denen alle Marktteilnehmer daran interessiert sind, durch eigenes Verhalten im Wettbewerbsgeschehen nicht zu große Unsicherheit zu schaffen, um das Risiko langfristiger Kapitalbindungen nicht zu e r h ö h e n . G e r a d e heute sind negative ökonomische Wirkungen einer Beibehaltung des Ausnahmebereiches in der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft verstärkt zu beachten. Die Entwicklungen neuer Technologien, die Erschließung neuer Energiequellen und die Nutzung aller Möglichkeiten zur Einsparung von Energie gehören zu den Zukunftsaufgaben unserer Wirtschaftsordnung. Ein wichtiger Schritt zur Lösung dieser Aufgaben könnte darin bestehen, auf allen Energiemärkten den W e t t b e w e r b zu fördern. Emmerich (S. 114) kommt in einer Untersuchung über die wettbewerbspolitische Berechtigung des kartellrechtlichen Ausnahmebereichs zu folgendem Urteil: „Die Anpassung der U n t e r n e h m e n an die sich unaufhörlich verändernden M a r k t d a t e n , die Entwicklung und Durchsetzung neuer Technologien und damit das wirtschaftliche Wachstum werden nämlich immer noch am meisten gefördert, wenn auf möglichst vielen Märkten möglichst viel W e t t b e w e r b herrscht. Es liegt nichts dafür vor, daß es ausgerechnet auf den Energiemärkten anders sein sollte." In vergleichbarer Weise sind die Besonderheiten in den anderen genannten Ausnahmebereichen im Hinblick auf ihre Berechtigung kritisch zu prüfen. Die bisherigen E r f a h r u n g e n mit wettbewerblich organisierten Märkten begründen die Erwartung, daß mehr W e t t b e w e r b auch in diesen Bereichen nicht nur möglich ist, sondern auch zu einer besseren und flexibleren Marktversorgung führen würde. Schon vor dem Hintergrund der Ausnahmebereiche zeigt sich die G e f a h r , daß als vorläufig gedachte Markteingriffe angesichts langwieriger Entscheidungsprozesse in bürokratischen Verwaltungen und unter dem Druck spezifischer Interessen zur Dauerlösung und zu Gewohnheitsrecht werden. Diese Beharrungstendenz einmal geschaffener und f ü r bestimmte G r u p p e n vorteilhafter Regelungen ist auch im Z u s a m m e n h a n g mit staatlichem U n t e r n e h m e r t u m , staatlichen Monopolstellungen und staatlichen Regulierungen zu erkennen, verbunden mit einer in den letzten Jahrzehnten zu beobachtenden Ausweitungstendenz staatlicher Wirtschaftssystemaktivitäten. D a r a u s können sich weitergehende Überschneidungen von Staat und Wirtschaft ergeben, als es nach den Gundsätzen liberaler Ordnungsgestaltung und nach dem Leitbild einer schwergewichtig marktwirtschaftlich-dezentral gesteuerten Wirtschaft zweckmäßig ist. Im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs grundsätzlich kritisch zu betrachten sind staatliche Wirtschaftssystemaktivitäten und Regulierungen,
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• wenn sie staatliche Monopolstellungen begründen; • wenn der Staat, z.B. durch Beteiligungserwerb, unternehmerisch tätig wird; • wenn nicht mehr der Wettbewerb, sondern staatliche Regulierung gegebenenfalls in Verbindung mit privatwirtschaftlicher Regulierung die Ordnung ganzer Wirtschaftsbereiche prägen, wie am Beispiel der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft bereits gezeigt wurde. Die Rolle der Deutschen Bundespost im Fernmeldewesen bildet ein sehr anschauliches Fallbeispiel für die ordnungspolitische Problematik staatlicher Monopolstellungen. Nach dem Gesetz über Fernmeldeanlagen (Fernmeldeanlagengesetz) steht dem Bund das ausschließliche Recht zu, Fernmeldeanlagen zu errichten und zu betreiben. Dieses Recht wird vom Bundesminister für das Postund Fernmeldewesen ausgeübt. Der Begriff der Fernmeldeanlage wird von der Bundespost extensiv ausgelegt. Er umfaßt neben Telegraphen-, Fernsprech- und Funkanlagen auch alle sonstigen Anlagen, die zur Aussendung von Informationen und zu deren Reproduktion an einem anderen Ort geeignet sind. Damit wird ein Regulierungsanspruch auch im Hinblick auf neue Medien wie Telekommunikationsdienste und Datenfernübertragung erhoben. Die von der Bundespost in Anspruch genommene Regelungsbefugnis findet ihren Niederschlag in einer Reihe von Rechtsverordnungen seitens des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, mit denen insbesondere die Bedingungen und Gebühren zur Benutzung der Endeinrichtungen im Fernmeldewesen festgelegt werden. Übersicht 21: Umsatzentwicklung der Deutschen Bundespost und der im Jahre 1980 drei umsatzstärksten Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland (in Mio. DM) Jahr
Post
VEBAAG
DaimlerBenz A G
Volkswagenwerk AG
1972 1974 1976 1978 1980
19654 24954 29664 33766 37504
9659 16740 25 584 28839 41954
10950 13 535 18387 20 624 26486
12357 13 740 16811 22161 25 930
Quelle: Monopolkommission, 1981, Tz. 52 sowie Monopolkommission, 1982, Tz. 364 und 384.
Auf der Grundlage des Fernmeldemonopols hat sich die Deutsche Bundespost zu einem der größten Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland entwikkelt. Aus Übersicht 21 wird ersichtlich, daß der Umsatz der Deutschen Bundespost im Jahr 1980 rund 38 Milliarden D M betragen hat. Davon entfallen mehr als zwei Drittel auf den Fernmeldebereich. Nicht allein aus der Größe der Deutschen Bundespost, ihrem wirtschaftlichen Ressourcenpotential und aus der Ausübung hoheitlich-regulierender Funktionen erwachsen der Bundespost Wettbewerbsvorteile gegenüber privaten Konkurrenten. Vorteil entstehen auch aus unterschiedlichen Wettbewerbsvoraussetzungen gegenüber der Privatwirtschaft, die sich durch folgende Merkmale kennzeichnen lassen: • eingeschränktes Unternehmerrisiko, • verminderte persönliche Haftung, • bessere Finanzierungsmöglichkeiten,
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• Wegfall des Konkursrisikos, • Steuerprivilegien. „Öffentliche Unternehmen sind im Gegensatz zu privaten Konkurrenten nicht zur Gewinnzielung gezwungen oder der Konkursgefahr ausgesetzt..., denn staatliche Unternehmen können in der Regel mit staatlichen Subventionen zur Abdeckung ihrer Verluste rechnen. Darüber hinaus kann die Deutsche Bundespost als Monopolist ihre Einnahmen durch eine kostendeckende Gebührenpolitik ausgabedeckend gestalten. Nicht Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, sondern gebührenpolitische Überlegungen, die nicht immer von Kostengesichtspunkten geleitet werden." (Wirtschaftministerkonferenz, S. 17) Hinzu kommt, daß die Bundespost Steuervorteile gegenüber den privaten Konkurrenten besitzt. Sie zahlt weder Gewinn- noch Kapitalertrags-, Gewerbe- und Umsatzsteuer. Ordnungs- und wettbewerbspolitische Probleme resultieren darüber hinaus aus • der Ausübung von Nachfragemacht im Beschaffungsbereich, • der Durchsetzung technischer Gerätestandards, • der Festlegung von Anschluß- und Benutzungsbedingungen. Als Nachfrager nach Fernmeldegeräten bedient sich die Bundespost eines besonderen Ausschreibungsverfahrens. Dieses ist in der Regel nicht offen, sondern nur einem begrenzten Kreis von Anbietern zugänglich. Die Marktanteile dieser Anbieterunternehmen sind nur in engen Grenzen variierbar. Die wettbewerbsschädlichen Wirkungen der Nachfragemacht im Beschaffungsbereich zeigen sich • in der Marktverengung auf der Anbieterseite, • im Nachlassen des Konkurrenzdrucks zwischen den Anbietern, • im Aufbau von Marktzutrittsschranken für bisher unbeteiligte Unternehmen und • im monopolistischen Durchsetzen des niedrigsten Preisangebots der beschränkten Ausschreibung für das gesamte vergebene Auftragsvolumen (monopsonistische Preisbildung). Als Anbieter läßt die Post im Bereich der Nebenstelltentelefonanlagen andere Anbieter zu. Sie übernimmt dabei jedoch die Preisführerschaft, weil den übrigen Anbietern ein Konkurrieren gegen die Post als aussichtslos erscheint. Sie passen daher ihre Angebotspreise den von der Post erhobenen Gebührensätzen an. Ein letztes Beispiel: Im Bereich der Fernschreibgeräte tritt die Post selbst nicht als Anbieter auf. Sie läßt jedoch nur zwei Gerätetypen zu. Die Gründe dafür liegen vor allem darin, daß sich die Bundespost das Wartungsmonopol vorbehalten hat, denn die Beschränkung der Typenanzahl dient der Rationalisierung der Wartungsdienstleistungen. Die Folge ist eine fühlbare Beschränkung des Anbieterwettbewerbs, weil die alleinige Zulassung baugleicher Gerätetypen für andere potentielle Anbieter Zugangsbeschränkungen schafft. Die Entwicklung elektronischer Kommunikationstechniken ist - wie das Beispiel USA zeigt - soweit fortgeschritten, daß durchaus eine Vielzahl von Lösungen für mit dem Leitungsnetz vereinbare Fernschreibgeräte entwickelt wurden und werden. Solange jedoch aus Gründen bürokratischer Marktregelungen potentiellen Herstellern solcher Geräte der Marktzutritt verwehrt wird, kommen innovative Lösungen nicht zum Einsatz. Das Entwicklungsinteresse der am Markt beteiligten Unternehmen wird
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nicht gefördert. Langfristig besteht die Gefahr, daß dadurch der technische Fortschritt behindert wird, der Anschluß an den internationalen Standard der Technik verlorengeht und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit in einem zukunftsträchtigen Wirtschaftszweig eingebüßt wird. Diese wenigen Beispiele verdeutlichen die von staatlichen Monopolstellungen ausgehenden negativen Wirkungen auf den Wettbewerb. Es liegt daher nahe, zu fordern, „... daß im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich einem funktionsfähigen Wettbewerbsprozeß Vorrang einzuräumen ist vor jeder A r t staatlicher Planung und Regulierung. Die Notwendigkeit, einzelne Wirtschaftsbereiche dem Einfluß des Wettbewerbs zu entziehen und einer staatlichen Regulierung zu unterwerfen, bedarf einer ständigen Überprüfung und Rechtfertigung." (Monopolkommission, 1981, Tz. 19, Betonung im Original) Auf das Fernmeldemonopol umgesetzt bedeutet dies, • daß die Betätigung der Deutschen Bundespost nicht zur Verdrängung wirtschaftlicher Aktivitäten von Privaten führen und die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte nicht beeinträchtigt werden darf; • daß in der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit bei der Prüfung und Festlegung technischer Standards gemäß dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs vorgegangen wird und die Betätigung einer Vielzahl konkurrierender Unternehmungen zumindest auf den Märkten für Fernmeldeanlagen gesichert werden sollte. Die vorgenannten Argumente in bezug auf die wettbewerbsgefährdende Wirkung staatlicher Monopolstellungen sind im Prinzip auch auf staatliches Unternehmertum generell übertragbar. Auch wenn der Staat als privater Unternehmer auftritt, indem er qualifizierte Kapitalbeteiligungen an privatrechtlich organisierten Unternehmen hält, sind Wettbewerbsverzerrungen und Marktstörungen zu befürchten, weil • derartige Unternehmen sich z.B. über staatliche Auftragsvergaben und bevorzugten Zugang zu Finanzierungsquellen Vorteile im Wettbewerb eröffnen können; • über die Kapitalbeteiligung und über personelle Präsenz in den Unternehmensorganen politisch-administrative Lenkung auch gegen die Lenkungsfunktion des Marktmechanismus durchgesetzt werden kann, was bei daraus möglicherweise resultierenden Unternehmensverlusten neuen Interventionsbedarf herausfordert. Qualifizierte Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand an privatrechtlich organisierten Unternehmen bilden nicht die Ausnahme. Im Jahr 1980 befanden sich acht Unternehmen aus dem Kreis der nach der Wertschöpfung hundert größten Konzerne der Bundesrepublik mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand (vgl. Monopolkommission, 1982, Tz. 439). 5.3.1.2 Unternehmenskonzentration und Beziehungsgeflechte mit Konzentrationswirkungen Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs wird nicht allein durch ausgeweitete staatliche Eingriffe in die Wirtschaftstätigkeit gefährdet, sondern auch durch die in der Bundesrepublik festzustellende fortgeschrittene Unternehmenskonzentration und das damit einhergehende Ausmaß privater wirtschaftlicher Macht. Als
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Folge der Konzentration entstehen verfestigte wirtschaftliche Machtstrukturen. Diese begrenzen die Möglichkeiten einer privatwirtschaftlichen, spontanen Ordnungsgestaltung, indem die Handlungsspielräume der kleineren Marktteilnehmer beschnitten werden. Im allgemeinen versteht man unter Konzentration die Zusammenballung wirtschaftlicher Merkmale auf wenige Merkmalsträger. Konzentrationsprozesse können sich in unterschiedlichen Dimensionen vollziehen. Die horizontale Unternehmenskonzentration wird erhöht, wenn sich Unternehmen zusammenschließen, die auf dem gleichen Markt tätig sind. Erfolgt der Zusammenschluß zwischen Unternehmen, die auf vor- und nachgelagerten Produktionsstufen tätig sind, zwischen denen also potentielle Käufer-Verkäufer Beziehungen existieren, erhöht sich die vertikale Unternehmenskonzentration. Alle anderen, nicht in diese beiden Kategorien einordenbaren Unternehmenszusammenschlüsse erhöhen die konglomerate Unternehmenskonzentration. Dem Bundeskartellamt sind seit Bestehen der Zusammenschlußkontrolle (1973) bis 1980 insgesamt 3575 Zusammenschlüsse angezeigt worden. Von dieser Gesamtzahl entfallen 67% auf horizontale Zusammenschlüsse, 19% auf vertikale Zusammenschlüsse und 14% auf konglomerate Zusammenschlüsse, wobei eine Tendenz zur Steigerung des Anteils vertikaler und konglomerater Zusammenschlüsse festzustellen ist (vgl. Bericht des Bundeskartellamtes, S. 152).
Übersicht 22: D e r durchschnittliche Konzentrationsgrad (CR,;,) in den Wirtschaftszweigen der Industrie von 1954 bis 1979 Jahr
CR10
1954 1960 1968 1970 1973 1975 1977 1979
31,1 33,5 38,5 40,9 41,8 42,3 43,7 43,6
Quelle: M o n o p o l k o m m i s s i o n , 1980, Tz. 246 u n d M o n o p o l k o m m i s s i o n , 1982, Tz. 344.
Die Monopolkommission soll als Hilfsorgan der Wirtschaftspolitik regelmäßig „...den jeweiligen Stand der Unternehmenskonzentration sowie deren absehbare Entwicklung unter wirtschafts-, insbesondere wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten beurteilen" (§ 24b Abs. 3 G W B ) . Sie erstellt zu diesem Zweck in ihren zweijährig erscheinenden Hauptgutachten eine Konzentrationsstatistik für die Bundesrepublik. Dabei werden vor allem auf den Umsatz bezogene Konzentrationskoeffizienten (CR-Werte) als Konzentrationsmaße verwendet. Mit dem CR N -Wert wird der Anteil der kumulierten Umsätze der N größten Unternehmen eines Wirtschaftszweiges am Gesamtumsatz des Wirtschaftszweiges gemessen. Die Monopolkommission gelangt auf der Grundlage solcher CR-Werte zu dem Ergebnis, daß die Unternehmeskonzentration in den Wirtschaftszweigen der Industrie zwischen 1954 und 1977 stetig fortgeschritten ist und sich seit 1977 auf hohem Niveau zu stabilisieren scheint.
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Aus Übersicht 22 geht hervor, daß im Durchschnitt aller 33 Wirtschaftszweige des Produzierenden Gewerbes die zehn größten Unternehmen 1979 43,6% des Umsatzes auf sich vereinten; davon entfallen auf die jeweils 3 größten Unternehmen eines Wirtschaftszweiges im Durchschnitt aller Wirtschaftszweige 27,9% des Gesamtumsatzes. Bereits diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der bestehenden Unternehmenskonzentration und weisen auf die Gefahren der Vermachtung und Verkrustung der Marktstrukturen hin. Ferner bestehen - wie neuere empirische Untersuchungen belegen - über das durch die bisherige Konzentrationsmessung vermittelte Bild der Unternehmenskonzentration hinaus Beziehungsgeflechte mit konzentrationsähnlichen Wirkungen. Bedeutsame Erscheinungsformen solcher interorganisationalen Beziehungsgeflechte sind personelle Verflechtungen zwischen Unternehmen über Mehrfachmitgliedschaften in Organen der Geschäftsführung und -kontrolle sowie kapitalmäßige Verbindungen (Beteiligungen) über die Konzernbildung hinaus, wie beispielsweise indirekte kapitalmäßige Verflechtungen über Drittunternehmen (vgl. dazu und zum Folgenden D. Schönwitz und H.-J. Weber). Übersicht 23: Personelle Verflechtungen der nach dem Konzernaußenumsatz größten Unt e r n e h m e n in der Bundesrepublik im Jahr 1978 D i e . . . größten Unternehmen 3 10 25 50 84 1
Zahl der direkten personellen Verflechtungen
Zahl der indirekten personellen Verflechtungen
gesamt
pro Unternehmen
gesamt
pro U n t e r n e h m e n
101 320 571 851 1228
33,7 32,0 22,8 17,0 14,6
1230 3930 7037 10822 15642
410,0 393,0 281,5 216,4 186,2
1
V o n den h u n d e r t nach dem Konzernaußenumsatz im J a h r 1978 größten U n t e r n e h m e n konnte nur für 90 U n t e r n e h m e n die Besetzung der geschäftsführenden und -kontrollierenden Organe ermittelt werden. Von diesen 90 Unternehmen besitzen 6 keine personellen Verflechtungen, so daß 84 Unternehmen in der größten Klasse verbleiben. Quelle: D. Schönwitz u n d H.-J. Weber, S. 58 u n d S. 76.
Übersicht 23 gibt einen Gesamtüberblick über die Zahl der personellen Verflechtungen der größten Konzerne in der Bundesrepublik im Jahr 1978. Als personelle Verflechtungen wurden für das Jahr 1978 Verbindungen zwischen den Konzernobergesellschaften erfaßt, die durch personengleiche Besetzung der Aufsichtsräte und Vorstände (oder vergleichbarer Gremien) zustande kommen. Zwei Unternehmen sind direkt miteinander verflochten, wenn ein Aufsichtsratsoder Vorstandsmitglied gleichzeitig in einem zweiten Unternehmen tätig ist. Indirekte personelle Verflechtungen liegen vor, wenn leitende Personen in Gremien dritter Unternehmen zusammenarbeiten. Auch über Kapitalbeteiligungen an Drittunternehmen besteht zwischen den größten Konzernen der Bundesrepublik ein dichtgeknüpftes Beziehungsnetz. So wurden von der Monopolkommission (vgl. 1980, Tz. 373) unter den ausgewiesenen Kapitalbeteiligungen der hundert nach dem Konzernaußenumsatz des Jahres
5. Kap.: Grundzüge einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik in der B R D
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1978 größten Unternehmen 332 Gemeinschaftsunternehmen, d.h. Unternehmen, an denen mindestens zwei Unternehmen aus dem Kreis der hundert größten Konzerne beteiligt sind, registriert. Die ermittelten Strukturmuster personeller und kapitalmäßiger Beziehungsgeflechte sprechen dafür, • daß beim Aufbau dieser das Marktsystem überlagernden Verflechtungen Unternehmensstrategien von Bedeutung sind und • daß beim Einsatz personeller und kapitalmäßiger Verflechtungen als unternehmenspolitische Aktionsparameter auch wettbewerbsbeeinflussende Absichten in das einzelwirtschaftliche Kalkül eingehen. Es zeigt sich, daß infolge von interorganisationalen Verflechtungen zusätzlich zum Marktsystem nicht nur in bezug auf Wettbewerber - also horizontal - ein höherer Grad an Organisiertheit besteht, als ihn die herkömmliche Konzentrationsstatistik ausweisen kann. Zusätzlich werden vertikale Käufer-Verkäufer Beziehungen durch organisatorische Elemente überlagert, die sich selbst bei formal weiterbestehenden Marktbeziehungen als Kontaktmöglichkeiten zwischen Unternehmen erweisen. Es ist dies ein Zustand, für den eine durch die amerikanische Regierung eingesetzte Untersuchungskommission in den USA bei vergleichbaren (personellen) Verflechtungen die Frage aufgeworfen hat, ob nicht bereits eine privatwirtschaftliche Regulierung der Wirtschaftsprozesse („private government") eingetreten sei (vgl. Subcommittee, S. 283). Insgesamt wird unter Berücksichtigung der die traditionelle Konzentrationsmessung erweiternden Erfassung von Beziehungsgeflechten zusätzlich zum Marktsystem (vgl. D. Schönwitz) ein Ausmaß an Organisiertheit der wirtschaftlichen Prozesse sichtbar, das deutlich auf Diskrepanzen zwischen dem ordnungspolitischen Leitbild einer primär wettbewerblichen Wirtschaft und der Realität hinweist. Ein hoher Organisationsgrad, der auf die Realisierung bestimmter Interessen zugeschnitten ist, stellt aber nicht nur die „spontane Ordnung" des Marktmechanismus in Frage, sondern beeinflußt auch das Funktionieren des politisch-administrativen Systems. In diesem Sinne stellen wirtschaftliche Macht und interorganisationale Beziehungen ein Potential dar, das abgestimmte politische Einflußmöglichkeiten eröffnet und insofern die mit dem marktwirtschaftlichen Leitbild auch angestrebte möglichst weitgehende Trennung von Staat und Wirtschaft gefährdet. Bestehende Diskrepanzen zwischen ordnungspolitischem Leitbild und der Realität legen die Frage nach der Notwendigkeit ordnungsverändernder politischer Handlungen nahe. In diese Richtung zielen, obwohl sie als ultima ratio der Mißbrauchsaufsicht nach dem GWB primär an wettbewerbspolitischen Zielen und nicht an der Verwirklichung eines ordnungspolitischen Leitbildes orientiert sind, letztlich auch die Entflechtungsvorschläge der Monopolkommission (vgl. Monopolkommission, 1980, Tz. 662ff.). Die Monopolkommission sieht die Unternehmensentflechtung als Instrument, um Lücken bei der Kontrolle des Konzentrationsprozesses nachträglich und einzelfallbezogen zu schließen. Sie schlägt damit eine ursächliche Therapie in Fällen extrem wettbewerbswidriger Marktstrukturen vor, indem durch konsequente Wettbewerbspolitik die Rahmenbedingungen eines funktionsfähigen Wettbewerbs wiederhergestellt werden und damit ein anhaltender staatlicher Kontrollund Regulierungsbedarf entfällt.
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Vor diesem Hintergrund ist die Möglichkeit, den Folgen wirtschaftlicher Machtzusammenballungen durch eine strikte, gemeinwohlorientierte Kontrolle entgegenzuwirken, zu beurteilen. Eine solche Kontrolle wäre, wenn sie wirksam sein soll, als ständige Verhaltenskontrolle zu konzipieren. Man würde damit ein Mittel der Wettbewerbspolitik zum Prinzip erheben, das in einer freiheitlichen Ordnung allenfalls die Ausnahme, ein Notbehelf sein kann, weil nach liberalem Ordnungsdenken eine dauernde Einmischung des Staates in die Privatwirtschaft über verhaltensorientierte Maßnahmen nach Möglichkeit zu vermeiden ist. Abgesehen davon gelten in bezug auf die Wirksamkeit derartiger Kontrollen nach wie vor die schon zu einem recht frühen Zeitpunkt geäußerten Gedanken Böhms (1933, Wiederabdruck 1981, S. 36f.): Die Berechtigung einer mit Privilegien und Monopolverleihungen arbeitenden Wirtschaftsverfassung ist entscheidend davon abhängig, daß die Rechtsordnung wirksame Gegengewichte gegen die „Überwucherung des Ertragsstrebens" bereithält. „Daraus ergibt sich aber, daß nur ein solcher Staat die moralische Befugnis zur Errichtung einer Wirtschaftsverfassung dieser Art besitzt, der sich entweder in der Lage fühlt, eine berufsständisch verfaßte Wirtschaft mit zureichender Autorität und wirtschaftspolitischer Einsicht zu lenken, oder dessen politisches und bürgerliches Innenleben auf solcher Höhe steht, daß der Versuch asozialen Verhaltens privilegierter Gruppen und Personen an der Kraft der öffentlichen Meinung, an der Kultur der sozialen, politischen und religiösen Traditionen Schiffbruch erleiden muß." Die Wirtschaftsgeschichte lehrt jedoch - so Böhm daß im Grunde alle Privilegiensysteme daran gescheitert sind, „... daß die Privilegierten der Auflage sozialen Verhaltens nicht nur für ihre Person nicht nachzukommen pflegen, sondern es ihnen meistens auch noch gelang, die Staatsgewalt an ihrer asozialen Ausbeutungs- und Gewinnpolitik zu interessieren." Diese Gedanken Böhms sind in ihrer Diktion sicherlich vor dem Hintergrund spezieller politischer Erfahrungen und - nicht explizit formulierter - Befürchtungen zu sehen. Gleichwohl sind sie in ihren Grundzügen auch heute noch aktuell und richtungsweisend für eine Wirtschaftsordnungs- und Wettbewerbspolitik, die sich mit einem im Durchschnitt hohen Stand der Unternehmenskonzentration und mit Unternehmensstrategien konfrontiert sieht, die über die Entfaltung von Beziehungsgeflechten zusätzlich zum Marktsystem Konzentrationswirkungen haben. 5.3.2 Mitbestimmungsordnung und Verteilungsansprüche bei knapper gewordenen Verteilungsspielräumen Man kann sowohl in den entwickelten Industrienationen, die auf der wettbewerblich-marktwirtschaftlichen Koordinierung der wirtschaftlichen Aktivitäten aufbauen, als auch in sozialistischen Planwirtschaften Grenzen des ökonomischen und sozialen Wachstums, knapper gewordene Verteilungsspielräume und Beeinträchtigungen der Lebensqualität durch Umweltbelastungen feststellen. Bisherige systemvergleichende Untersuchungen zeigen, daß - obwohl es Unterschiede gibt, die sich vor allem aufgrund unterschiedlicher Industriestrukturen, geographischer Besonderheiten, der Gütersortimente, der Verkehrssituation und anderer Faktoren ergeben - unabhängig von der spezifischen Organisation der Wirtschaftssysteme bei einem vergleichbaren Industrialisierungsgrad auch vergleichbare Umwelt- und Ressourcenbelastungen auftreten (vgl. H. Leipold, S. 201).
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Bei der Erörterung der prägenden Merkmate der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland wurde herausgearbeitet, daß die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ganz wesentlich eine durch Entscheidungsbeteiligung der Wirtschaftssubjekte, die von ihrer vermögensrechtlichen Stellung a priori nicht zur unternehmerisch-dispositiven Entscheidung prädestiniert sind, modifizierte Marktwirtschaft ist. Mit einer solchen Wirtschaftsordnung ist die Möglichkeit, Interessen und Verteilungsansprüchen Nachdruck zu verleihen, sehr weitgehend verwirklicht. Dies kann bei anhaltender wirtschaftlicher Wachstumsschwäche, und zwar unabhängig davon, in welchem Ausmaß diese durch systemindifferente Einflußfaktoren und/oder durch Abweichungen vom Leitbild der Wirtschaftsordnung (wie beispielsweise eine Lähmung der privaten Initiative durch fortgeschrittene staatliche Regulierung oder durch sozialstaatliche Belastungen der Einkünfte) verursacht wird, zu Funktions- und Bestandsproblemen für die Ordnung führen und Stagnationstendenzen verstärken. In dem Maße, wie unterschiedliche Interessen und Ansprüche einzelner und gesellschaftlicher Gruppen infolge einer wachstumsbedingten Begrenzung der Verteilungsspielräume immer weniger gleichzeitig und nicht ohne fühlbare Abstriche von den ursprünglichen Forderungen durchgesetzt werden können, steigt tendenziell das Konfliktpotential in einer auf freiheitlicher Interessenartikulation aufbauenden Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. Bei marktwirtschaftlicher Koordinierung spiegelt der Preismechanismus wirtschaftliche Verteilungs- und Nachfrageansprüche wider. Wenn die Ansprüche, die letztlich auf den Märkten zur Geltung kommen, insgesamt das verfügbare reale Angebot übersteigen, setzen bei ungehinderter Preisbildung Ausgleichsprozesse ein, die zu Preissteigerungen führen, wodurch die Ansprüche auf das real Verwirklichbare reduziert werden. Auf diese Weise werden in einer Marktwirtschaft die durch Entscheidungsbeteiligung und die Mitbestimmungsordnung - z.B. im Rahmen der Tarifautonomie - gestützten Verteilungsansprüche einer scheinbaren, d.h. nominalen Lösung zugeführt. Damit ist ein entscheidendes Funktionsproblem marktwirtschaftlicher-pluralistischer Ordnungen angesprochen, das in der neueren Literatur unter dem Begriff Anspruchsinflation diskutiert wird. Der Preisniveauanstieg ist nach dem Erklärungsmuster der Anspruchsinflation auch Resultat der institutionell abgesicherten Interessenartikulation und Interessendurchsetzung innerhalb des Wirtschaftssystems und gegenüber dem politischadministrativen System. Grundannahme dieses sozioökonomischen Ansatzes ist es, daß gesellschaftliche Gruppen im Wege von Entscheidungsbeteiligung und Mitbestimmungsregelungen über die Möglichkeit verfügen, aktiv das ihnen zufließende Einkommen und damit ihren Anteil am gesamtwirtschaftlichen Produktionsergebnis zu beeinflussen. Dabei wird von folgender Hypothese ausgegangen: „Sobald sich organisierte Gruppen, die mit Machtmitteln ausgestattet sind, zur Durchsetzung individueller Interessen einschalten, kann mit größerem Erfolg jene Strategie verfolgt werden, die anstatt auf Leistungssteigerung vermehrt auf die unmittelbare Beanspruchung eines größeren Anteils am Gesamtergebnis gerichtet ist." (J. Klaus) Eine solche Strategie wirft bei Wachstumsschwäche und knapper gewordenen Verteilungsspielräumen - eine Situation, die für die Bundesrepublik Deutschland und die meisten anderen vergleichbaren Industrieländer in der ersten Hälfte der achtziger Jahre kennzeichnend ist - besondere Probleme auf.
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Es ist zu fragen, ob durch Verteilungsansprüche verursachte geamtwirtschaftliche Funktionsprobleme im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung lösbar sind. Die Tarifpolitik der Gewerkschaften vor allem seit Anfang der achtziger Jahre zeigt zunächst, daß diese auch gesamtwirtschaftliche Aspekte in ihre Überlegungen einbeziehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Gewerkschaften sich in Rezessionsphasen insbesondere wegen der lohnkostenbedingten Gefährdung von Arbeitsplätzen in einer relativ schwachen Verhandlungsposition befinden und sich dem Druck der öffentlichen Meinung nicht gänzlich entziehen können. Auf der anderen Seite stehen die Gewerkschaften mit ihren Funktionären unter dem Druck der durch sie repräsentierten Interessen, die das gesamtwirtschaftliche Interesse zwar möglicherweise anerkennen, aber nicht unbedingt dafür zahlen wollen. Auch hier kommt wieder ein Sachverhalt zum Tragen, der im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Durchsetzung einer liberalen Wirtschaftsordnungspolitik bereits erörtert wurde. - Wenn einzelne oder gesellschaftliche Gruppen davon ausgehen, daß das gesamtwirtschaftliche, übergeordnete Interesse auch realisiert werden kann, wenn Sonderregelungen durchgesetzt werden können, werden sie nicht bereit sein, ihre Vertreter für etwas anderes als für die durchgesetzten Sonderregelungen zu honorieren. Die Gewerkschaftsführung befindet sich insofern - selbst wenn sie sich in gesamtwirtschaftlicher Verantwortung stehend begreift - in einer wenig stabilen, konfliktträchtigen Dilemmasituation zwischen Verteilungsanspruch und stabilitätskonformer Verhaltensweise. Für eine solche Dilemmasituation kann angenommen werden, daß gesamtwirtschaftliches Verantwortungsbewußtsein auch aus partikularer Perspektive dann zu einer Richtlinie des Handelns wird, wenn die gesamtwirtschaftlichen Funktionsprobleme, vor allem Arbeitslosigkeit und Geldentwertung, so weit fortgeschritten sind, daß infolge der Durchsetzung weiterer Sondervorteile auch individuell spürbar mehr Kosten als Nutzen erwartet werden. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten 1981/82 (Ziff. 335ff.; hier Ziff. 337f.) einen Vorschlag aufgegriffen, der geeignet ist, der geschilderten Dilemmasituation dauerhaft zu begegnen, indem über eine breiter gestreute Beteiligung am unternehmerischen Risikokapital das Zusammenwirken der Interessen gefördert werden soll. „Gewerkschaften und Arbeitgeber sollten sich im Rahmen der Tarifautonomie darauf einigen, daß das vorrangige Ziel der kommenden Jahre darin besteht, mehr als eine Million Arbeitsplätze zu schaffen. Es wäre ein Konsens darüber anzustreben, daß für eine Reihe von Jahren der volkswirtschaftliche Produktivitätsfortschritt für diese Aufgabe genutzt werden soll. Bei der Tariflohnpolitik würde dann die Sicherung der Reallöhne im Vordergrund stehen. Durch geeignete Vereinbarungen zur Gewinn- und Vermögensbeteiligung breiter Schichten der Arbeitnehmer wäre anzustreben, daß sich dabei die Einkommens- und Vermögensverteilung nicht strukturell zu Lasten der Arbeitnehmer verschiebt... Eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den Unternehmensgewinnen und der Kapitalbildung, die zur Lösung der Beschäftigungsprobleme erforderlich sind, müßte ein tragendes Element der grundsätzlichen Verständigung sein." Dieser Vorschlag zu einer Ergänzung der Tariflohnpolitik durch Gewinn- und Vermögensbeteiligungsregelungen ist ordnungskonform, da er bestehende Mechanismen der Entscheidungsbeteiligung, insbesondere die Tarifautonomie, nicht in Frage stellt. Die Argumentationsweise des Sachverständigenrates macht deutlich, daß
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das Thema einer breiter gestreuten Vermögensbildung nicht nur ein Thema für „Schönwetterzeiten" ist, das bei Wachstumsschwäche keine politische Priorität beanspruchen kann. Zur Abmilderung von Interessenkonflikten und als Regelung zur Integration divergierender Interessen über eine Beteiligung am unternehmerischen Risikokapital ist Gewinn- und Vermögensbeteiligung gerade auch in Zeiten der Wachstumsschwäche wirtschaftsordnungspolitisch bedenkenswert. In diesem Sinne sieht auch Kieps (S. 384) in der Vermögensbildung und in der Risikokapitalbeteiligung einen „Weg aus der stabilitäts- und verteilungspolitischen Sackgasse" und plädiert für eine dezentralisierte, ordnungskonforme Lösung, bei der die Initiative zur organisatorischen Ausgestaltung von den Tarifvertragsparteien ausgehen sollte. „Eine dezentralisierte vermögenswirksame Tarifpolitik führt nicht nur zu einer relativ klaren Beziehung zwischen Leistung und Entgelt... Mit ihr eröffnet sich vielmehr auch die Möglichkeit, zu einer unter den gegebenen sozioökonomischen und politischen Bedingungen optimalen Kombination von Barlohnpolitik und vermögenswirksamen Leistungen zu gelangen. Das dementsprechende Grundkonzept, dessen Konkretisierung den Tarifpartnern vorbehalten bleiben sollte, um damit einem rationalen Tarifautonomie-Verständnis Rechnung zu tragen, besteht in Anknüpfung an das lohnpolitische Revisionsklauselkonzept in einem Zwei Phasen/Zwei Stufen-System, bei dem in der zweiten Phase auf dezentralisierter Ebene auch über vermögenswirksame Leistungen und deren Anlage zu verhandeln ist." Mit dem Revisionsklauselkonzept in der Lohnpolitik ist die Idee gemeint, Tariflohnpolitik zweidimensional als „Ex-ante-Lohnpolitik" und als „Ex-postLohnpolitik" zu betreiben. Die Ex-ante-Lohnpolitik ist eine relativ vorsichtige, an der Produktivitäts- und der Lebenshaltungskostenentwicklung orientierte Politik, die das laufende, frei disponible Arbeitseinkommen sichert. Eine derartige Strategie wird kombiniert mit einer Ex-post-Lohnpolitik, die die verteilungspolitischen Ergebnisse durch Gewinn- und Vermögensbeteiligung korrigiert (vgl. H. Lampert und D. Schönwitz, Sp. 1500). Von der mit der Vermögensbildung erreichten breiter gestreuten Beteiligung am Unternehmenskapital und damit auch an den Unternehmenserträgen und am Unternehmensrisiko ist eine Reduktion des gesellschaftlichen Konfliktpotentials bei knapper gewordenen Verteilungsspielräumen zu erwarten. Der unmittelbare Beitrag des Staates zu einer breiter gestreuten Vermögensbildung könnte in einer Ausrichtung eventueller staatlicher Förderungsmaßnahmen auf die Sachvermögens- insbesondere Risikokapitalbeteiligung bestehen. Auf einer durch Gewinn- und Vermögensbeteiligung geschaffenen dauerhaften integrativen Basis aufbauend könnte darüber hinaus eine Wiederbelebung des Koordinierungsdenkens auf wirtschaftspolitischer Ebene - z.B. im Rahmen der Konzertierten Aktion (vgl. Abschnitt 4.2.2.1) - den Versuch, Verteilungskonflikte wirtschaftsordnungskonform zu kanalisieren, institutionell abstützen. Zumindest würde eine Konzertierte Aktion als gesamtwirtschaftlich orientierte Verhaltensabstimmung auch in lohnpolitischen Fragen dann unter wesentlich günstigeren Randbedingungen agieren als in den sechziger und siebziger Jahren, weil die verteilungspolitischen Risiken einer stabilitätskonformen Ex-ante-Lohnpolitik durch eine Ex-post-Lohnpolitik der Gewinn- und Vermögensbeteiligung aufgefangen werden könnten.
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5.3.3 Das Problem einer ordnungskonformen Sozialpolitik Mit der Artikulation von Verteilungsansprüchen in enger Verbindung steht auch das Problem einer wirtschaftsordnungskonformen Sozialpolitik. Allein die geschilderten Ausweitungstendenzen der Sozialpolitik und die starke Zunahme der Sozialleistungen (vgl. Ubersicht 19) sind hierfür deutlicher Beleg. Zwischen 1960 und 1980 haben sich die Sozialleistungen pro Kopf der Bevölkerung mehr als versechsfacht, was sich in einer starken Ausweitung der Abgabenbelastung durch Steuern und Sozialabgaben widerspiegelt. Damit hat der nicht zuletzt aus Verteilungsansprüchen der durch die Belastungsquoten Betroffenen resultierende Sozialstaat individuell Schwellenwerte der Fühlbarkeit erreicht, die die Grundvoraussetzungen seines Funktionierens gefährden. „Die Ausweitung der sozialversicherten Personenkreise und der Leistungen nach Art und H ö h e haben die Sozialleistungsquoten ... so stark steigen lassen ..., daß sich immer dringlicher die Frage stellt, wie weit die individuellen Einkommen mit Sozialabgaben und Steuern noch belastet werden können, ohne daß die Leistungsbereitschaft reduziert wird, ohne daß Abgaben und Steuern hinterzogen werden und ohne daß die einzelnen versuchen, entgegen dem Solidaritätsgedanken aus dem Sozialleistungssystem ein maximales Äquivalent herauszuziehen." (H. Lampert, S. 74) Abgesehen davon, daß die Aufrechterhaltung und wirtschaftliche Absicherung hoher Sozialleistungsvolumina in Zeiten der Wachstumsschwäche zu einem gravierenden Problem wird, würde ein immer größere Ausmaße annehmendes Ausweichen der Wirtschaftssubjekte in nicht durch Steuern und Abgaben erfaßte Bereiche die Konzeption der Ordnung selbst in Frage stellen. In dem Maße, wie die Wirtschaftssubjekte einkommenschaffende Aktivitäten der Erfassung durch die staatlichen Behörden und damit letztlich der Verrechnung über legitime Märkte entziehen, verliert die „offizielle" Ordnung für den einzelnen an Anziehungs- und Überzeugungskraft. Er sieht sich dauerhaft gegenüber denjenigen im Nachteil, die die Ordnung umgehen. Schätzungen geben Anhaltspunkte dafür, daß die sogenannte Schattenwirtschaft als Gesamtheit jener ökonomischen Aktivitäten, die nach herrschender Konvention im Sozialprodukt ausgewiesen werden sollten, es aber nicht sind, in der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren zugenommen hat (vgl. B. S. Frey, H. Weck und W. W. Pommerehne). Das Problem einer ordnungskonformen Sozialpolitik stellt sich damit nicht nur grundsätzlich, weil bei der Ausgestaltung sozialpolitischer Korrekturmechanismen wirtschaftsordnungspolitischen Überlegungen zu wenig Beachtung geschenkt wurde, sondern auch aus konkretem Anlaß, • weil das in den sechziger und siebziger Jahren stark ausgeweitete Sozialleitungssystem bei anhaltend niedrigen wirtschaftlichen Wachstumsraten an die Grenzen der Finanzierbarkeit stößt; • weil die hohen Soziallastquoten Anlaß für ein Ausweichen der Wirtschaftssubjekte in Bereiche der Schattenwirtschaft und für eine Beeinträchtigung privater Initiativen zu sein scheinen, womit die Grundlagen der Ordnung selbst desavoiert würden. Prinzipiell sind Ansatzpunkte der Problemlösung - wenn man die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft als Leitbild der Gesellschaftsgestaltung akzeptiert
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- darin zu suchen, so weit wie möglich Widersprüche zu beseitigen, die zwischen den Regeln des marktwirtschaftlich - wettbewerblichen Bereichs und denen des sozialen Bereichs der Wirtschaft bestehen. Das Prinzip der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen ist auch auf die Ausgestaltung sozialpolitischer Korrekturmechanismen anzuwenden, d.h. die Verwirklichung sozialpolitischer Ziele hat nach Maßgabe der Vorrangigkeit wettbewerbskonformer Maßnahmen zu erfolgen. Gerade wenn man sich auf die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft beruft, ist jedoch darauf zu achten, daß mit dem Argument der Wettbewerbskonformität Sozialpolitik als prägendes Merkmal der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik zur Verwirklichung von sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit nicht zur Disposition gestellt wird. Deutsche staatliche Sozialpolitik ist seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert als Schutzpolitik zur Existenzminimumsicherung in der Bundesrepublik zu einer Politik mit gesellschaftsgestaltendem Anspruch und dem Ziel der Erhaltung der Stellung im Sozialgefüge geworden. Es ist dies ein Entwicklungsstand, der das spezifisch „Soziale" in der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft konkretisiert. Ein wirtschaftsordnungskonformer Umbau des Systems sozialpolitischer Korrekturmechanismen könnte jedoch dazu führen, daß der Sozialstaat billiger und leistungsfähiger zugleich wird, ohne damit die spezifisch soziale Komponente als prägendes Merkmal der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik in Frage zu stellen. Diese These soll anhand dreier möglicher Ansatzpunkte einer wettbewerbskonformen Sozialpolitik in der Bundesrepublik untermauert werden: (1) Sozialpolitische Korrekturmechanismen sind so zu konstruieren, daß eigennützig handelnde Menschen möglichst wenig Schaden anrichten können (Eigennutzansatz der Sozialpolitik). (2) Nach dem liberalen Grundsatz der möglichst weitgehenden Trennung von Staat und Wirtschaft ist im Bereich sozialer Leistungen privater Initiative gegenüber staatlicher Regulierung prinzipiell der Vorzug zu geben (Entregulierungsansatz der Sozialpolitik). (3) Mit möglichst weitgehend als subsidiäre Leistungen des offenen interpersonellen Finanzausgleichs ausgestalteten sozialpolitischen Maßnahmen können Folgeinterventionen und Folgekosten vermieden werden, die nicht wettbewerbskonforme Maßnahmen mit sich bringen (Konformitätsansatz der Sozialpolitik i.e.S.). Der Eigennutzansatz der Sozialpolitik führt auf einen grundlegenden Konstruktionsgedanken marktwirtschaftlicher Ordnungen zurück, auf die liberale Forderung, gesellschaftliche Ordnungsgebilde stets so zu konstruieren, daß sie selbst unter eigennützig handelnden Menschen funktionsfähig sind (vgl. Abschnitt 2.2.1). Sozialpolitische Korrekturmechanismen haben sich in der Bundesrepublik jedoch zunehmend so entwickelt, als ob Menschen in der Inanspruchnahme sozialer Leistungen und Dienste mehrheitlich gemeinwohlorientiert handeln würden. Dies ist zum einen in der Ausgestaltung einzelner sozialpolitischer Maßnahmen begründet, zum anderen aber auch in der an früherer Stelle skizzierten Unübersichtlichkeit des gesamten Sozialleistungssystems. „Lange Zeit lobte man die Marktwirtschaft als das System, das den Unternehmer prämiiert, der erstens die Bedarfe der Verbraucher am besten vorauszuschätzen vermochte, der zweitens seinen Betrieb am sparsamsten zu organisieren und der drittens die jeweils zukunftsträchtigsten Verfahren aufzuspüren vermochte. Man lobte weiter
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die Marktwirtschaft als das System, das den Arbeiter und Angestellten prämiiert, der sich auch den neuen technologischen Herausforderungen am besten gewachsen zeigt. Inzwischen droht aus dieser Marktwirtschaft wegen der ... Unübersichtlichkeit der Sozialmaßnahmen ein System zu werden, das dem die höchsten Prämien zuschanzt, der sich durch den Dschungel der sozial wohlgemeinten Sondergesetze am fleißigsten durcharbeitet und sie am raffiniertesten auszunutzen versteht." (W. Stützel, 1980, S. 453, Betonungen im Original) Man überfordert also den im Prinzip eigennützig handelnden und zur Verwirklichung des Eigennutzes auch Ordnungsgefärdungen in Kauf nehmenden Menschen, wenn man ihm institutionell nicht ausreichend kontrollierte Handlungsmöglichkeiten einräumt, wenn man nicht versucht, auch im sozialpolitischen Bereich einen Ordnungsmechanismus zu installieren, der aus sich heraus auf die Vermeidung von Anspruchsmißbräuchen hinwirkt. Ein wichtiger Ansatzpunkt hierzu wäre es, mehr Transparenz dadurch herzustellen, daß Differenzierungen des Sozialleistungssystems dort abgeschafft werden, wo sie - wie bei der Schichtenorientierung der sozialen Sicherung - nach der Art der Leistungen nicht erforderlich sind und im übrigen nur unnötige Verwaltungskosten verursachen. Ein wirksamer eigennutzorientierter Anpassungsmechanismus könnte im sozialpolitischen Bereich dadurch geschaffen werden, daß sozialpolitische Leistungskategorien daraufhin überprüft werden, in welchem Ausmaß bei der Leistungsinanspruchnahme eine individuell spürbare Beteiligung des Leistungsempfängers an den Kosten der Leistungserstellung (Selbstbeteiligung) verwirklicht werden kann. Der Entregulierungsansatz der Sozialpolitik beinhaltet die Aufforderung zu einer konsequenten Überprüfung der Notwendigkeit staatlicher Organisation und staatlicher Bereitstellung sozialer Leistungen. Dabei ist zu bedenken, daß nach liberal-wettbewerblicher Vorstellung staatliche Wirtschaftssystemaktivitäten, d.h. Überschneidungen von Staat und Wirtschaft, die Ausnahme bilden sollten und stets der besonderen Begründung bedürfen, warum diese Aktivitäten nicht der privaten Initiative überlassen werden können. Die Notwendigkeit staatlicher Wirtschaftssystemaktivitäten im sozialen Bereich erscheint nicht immer zureichend begründet. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Ausgestaltung von Maßnahmen der sozialen Sicherung (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung) traditionell ein Beispiel für die Übernahme von Wirtschaftssystemaktivitäten durch den Staat. Notwendig ist bei begrenztem Zeithorizont der Wirtschaftssubjekte zwar ein gesetzlich-meritorischer Zwang zur sozialen Sicherung im Sinne einer Steuerungsleistung, aber damit ist noch nicht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Institution „Sozialversicherung" des bestehenden Ausmaßes begründet. Auch in diesem Bereich könnte, wie in anderen staatlich regulierten Bereichen (vgl. Abschnitt 5.3.1.1) über mehr individuelle Vorsorge, über mehr private Initiative sowie mehr spontane Ordnung und damit über die Wettbewerbsfunktionen die Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Abschließend ist als dritter Ansatzpunkt einer wettbewerbskonformen Sozialpolitik noch der Konformitätsansatz der Sozialpolitik i.e.S. zu behandeln. Dieser Ansatz steht in bezug auf institutionelle Konsequenzen in enger Verbindung mit dem Entregulierungsansatz der Sozialpolitik.
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In der Bundesrepublik Deutschland ist es im Zuge der Gestaltung sozialpolitischer Korrekturmechanismen zu einer Mischung von Typen sozialpolitischer Eingriffe gekommen, die unterschiedlich wettbewerbskonform sind. Stützel (vgl. 1980, S. 451) unterscheidet drei Grundtypen: • Produzentensubventionen Es handelt sich dabei um staatliche Subventionen an natürliche oder juristische Personen, die als Anbieter von Leistungen und Diensten fungieren, die aus sozialpolitischer Perspektive förderungswürdig erscheinen (z.B. Objekt-Förderung des Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln, Subventionen an Krankenhäuser). • Beschränkungen der Freiheit, Angebots- und Nachfragekonditionen zu vereinbaren Solche Beschränkungen der Vertragsfreiheit, insbesondere der freien Preisvereinbarung, stellen Eingriffe in das ungehinderte Wirken von Angebot und Nachfrage dar (z.B. Mietrecht, Kündigungsschutzregelungen bei Arbeitsverträgen). • Offener interpersoneller Finanzausgleich Systeme des offenen interpersonellen Finanzausgleichs stellen darauf ab, aus sozialpolitischer Sicht nicht ausreichende Einkommen durch staatliche finanzielle Transfers auszugleichen, die die Besserverdienenden aufzubringen haben (z.B. Mietbeihilfen; aber auch finanzielle Transfers zur sozialen Sicherung). Sowohl Produzentensubventionen als auch Beschränkungen der Freiheit, Angebots- und Nachfragekonditionen zu vereinbaren, sind nach dem Grad der Wettbewerbskonformität als wettbewerbsinkonforme Maßnahmen zu bezeichnen (vgl. Übersicht 20). Produzentensubventionen sind wettbewerbsinadäquate Maßnahmen, die für einzelne Bereiche die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsprozesses mindern, ohne ihn durch die einzelne Maßnahme selbst generell zu beseitigen. Die Folge solcher Interventionen ist häufig eine Konservierung ökonomisch nicht effizienter Strukturen. Stützel (1980, S. 452) gibt hierfür ein anschauliches, realitätsbezogenes Beispiel: „Um Bedürftigen Sozialwohnungen für 3,50 D M je Quadratmeter anbieten zu können, hat Saarbrücken 1977 einem Produzenten ... die Differenz zur Kostenmiete in Höhe von 14 DM je Quadratmeter und Monat bezahlt, das sind bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung 1050 DM pro Monat. Z u r gleichen Zeit wurden Wohnungen in dieser Größe in besten Wohnlagen zu Mieten von 500 bis 800 DM angeboten. Da der Mieter in den städtischen Sozialwohnungen bei einer 100-qm-Wohnung ohnehin 350 D M bezahlen muß, wären über eine Direktzahlung an den Mieter in Form von Mietbeihilfen nur 150 bis 450 DM pro Monat benötigt worden, um denselben sozialen Effekt zu erzielen, der bei einer Produzenten-Subvention monatlich 1050 DM kostet." Hinzu kommt, daß sozial motivierte Produzentensubventionen häufig mit bürokratieaufwendigen Folgeinterventionen und Folgekosten verbunden sind, damit sichergestellt werden kann, daß die mit öffentlichen Mitteln geförderten Leistungen auch tatsächlich dem zu begünstigenden Personenkreis zugute kommen. Sozialpolitische Beschränkungen der Freiheit, Angebots- und Nachfragekonditionen zu vereinbaren, sind partiell wettbewerbsaufhebende Maßnahmen. Daß derartige Beschränkungen der Vertragsfreiheit die Grundlagen des
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Wettbewerbsprozesses in der Wirtschaft beseitigen und infolge wirtschaftlicher Anpassungsprozesse sogar sozial negative Wirkungen haben können, kann am Beispiel des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer gezeigt werden. Soltwedel kommt in einer Untersuchung über unerwünschte Marktergebnisse durch sozialpolitische Eingriffe zu der Schlußfolgerung, daß Arbeitskräfte durch Kündigungsschutzregelungen in ihren Wettbewerbschancen auf dem Arbeitsmarkt behindert werden können. Der Schutz des Arbeitskräftebestandes erhöht die Beschäftigungskosten der Unternehmen dadurch, daß sie ökonomisch ineffiziente Situationen für eine mehr oder minder lange Übergangszeit aufrechterhalten müssen, wodurch Substitutionsprozesse in Form erhöhten Kapitaleinsatzes angeregt werden. „Die Erfahrung zeigt, daß das Potential für Innovationen im Produktionsprozeß gerade bei solchen Tätigkeiten am größten ist, die von vergleichsweise wenig qualifizierten Arbeitskräften ausgeführt werden. Durch den Kündigungsschutz sind die Chancen für Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt nicht besser, sondern auf Dauer schlechter geworden. Dies fällt um so mehr ins Gewicht, als Unternehmen aus Effizienzgründen bestrebt sind, unternehmensinterne Arbeitsmärkte zu bilden. Die Kündigungsschutzgesetze verstärken die Segmentierung, Arbeitsplätze qualifizierter Arbeitskräfte werden sicherer, die Arbeitsplätze für Unqualifizierte hingegen knapper." (R. Soltwedel, S. 85) Somit würden durch Beschränkungen der Arbeitsvertragsfreiheit nichtwettbewerbsfähige „Problemgruppen" produziert, die - einmal arbeitslos geworden - es besonders schwer haben, eine neue Beschäftigung zu finden und soziale Folgekosten mit sich bringen. Das, was Soltwedel als Bildung von unternehmensinternen Arbeits„märkten" bezeichnet, ist im Prinzip nichts anderes als die Verdrängung von wettbewerblich geprägten Arbeitsangebot-Arbeitsnachfrage-Beziehungen durch hierarchisch organisierte unternehmensbezogene Qualifizierungs- und Ausschreibungsverfahren. Aus dem bisher Ausgeführten kann man die Schlußfolgerung ziehen, als einzig wettbewerbskonforme, genauer: wettbewerbsadäquate, Maßnahme der drei Grundtypen „Produzentensubventionen", „Beschränkungen der Freiheit, Angebots- und Nachfragekonditionen zu vereinbaren", und „offener interpersoneller Finanzausgleich" wo immer es geht, den offenen interpersonellen Finanzausgleich zu wählen, um Widersprüche abzubauen, die zwischen den Regeln des marktwirtschaftlich-wettbewerblichen Bereichs und denen des sozialen Bereichs der Wirtschaft auftreten können. Der offene interpersonelle Finanzausgleich ist entsprechend dem Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip auszugestalten und könnte als umfassendes sozialpolitisches Prinzip an der Steuerpolitik ansetzen. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Steuerpolitik als Instrument des offenen interpersonellen Finanzausgleichs wurde von Milton Friedman der Vorschlag gemacht, eine negative Einkommensteuer einzuführen. Die Realisierung dieses Vorschlages würde ganz im Sinne des Entregulierungsansatzes der Sozialpolitik viel institutionellen Aufwand und viele staatliche Einflußnahmen überflüssig und das System sozialpolitischer Korrekturmechanismen wesentlich transparenter machen. Mit einer negativen Einkommensteuer würde darauf abgestellt, den Bedürftigen bei einem festzulegenden Verhältnis zwischen Einkommen und nachgewiesenen Belastungen finanzielle Mittel zuzuteilen. Dadurch könnte (1) durchgängig eine Beziehung der Höhe der finanziellen Transfers zur persönlichen Einkommens- und Belastungssituation hergestellt werden, so daß
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• bei der Zuteilung von Mitteln nicht nur der jeweilige Belastungstatbestand von Bedeutung ist, sondern auch das persönliche Einkommen, • unterschiedliche Belastungstatbestände bei einer Person nur in dem Maße transfererhöhend wirken, wie das Verhältnis zwischen Einkommen und nachgewiesenen Belastungen verschlechtert wird (Vermeidung unbegründeter Kumulationen); (2) den Begünstigten von ihrem Einkommen her geholfen werden, statt durch wettbewerbsinkonforme Eingriffe in den Markt und in die Vertragsfreiheit Folgekosten und Folgeinterventionen heraufzubeschwören. In diesem Abschnitt konnten Anhaltspunkte einer wirtschaftsordnungskonformen Sozialpolitik aufgezeigt werden. Die Entwicklung einer umfassenden Konzeption wettbewerbskonformer Sozialpolitik, die konkret und detailliert Richtschnur des Umbaus des Systems sozialpolitischer Korrekturmechanismen unter Wahrung ihrer prägenden Bedeutung für die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland sein könnte, steht bisher noch aus.
5.4 Ausblick: Ordnungspolitische Neubesinnung Die Ausführungen zu den zentralen Bereichen und Problemen der Wirtschaftsordnungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland und die in den vorangegangenen Abschnitten angeführten Beispiele haben deutlich gemacht, daß Diskrepanzen zwischen dem Leitbild einer primär wettbewerblich-dezentral gesteuerten, sozial modifizierten Wirtschaft und der Realität bestehen. Diese Diskrepanzen finden ihren Ausdruck in (1) staatlicher Wirtschaftstätigkeit und staatlicher Regulierung in Sektoren, die durchaus wettbewerblich organisiert werden könnten; (2) fortgeschrittener Unternehmenskonzentration, wodurch strukturelle Bedingungen geschaffen werden, die über die dauerhafte Ausübung wirtschaftlicher Macht die Möglichkeit zur spontanen Ordnung des Wirtschaftsgeschehens und die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs in Frage stellen; (3) interorganisationalen (personellen und kapitalmäßigen) Beziehungsgeflechten zusätzlich zum Marktsystem, die im Sinne einer privatwirtschaftlichen Regulierung des Wirtschaftsgeschehens abgestimmte Einflußmöglichkeiten vor allem von Großunternehmen sowohl innerhalb des Wirtschaftssystems als auch gegenüber dem politisch-administrativen System eröffnen; (4) sozialpolitischen Korrekturmechanismen als Mischung von Typen sozialpolitischer Maßnahmen, bei deren Ausgestaltung und Zusammenstellung das Prinzip der Wirtschaftsordnungskonformität (Wettbewerbskonformität) nicht genügend beachtet wurde. Fragt man nach den Ursachen für diese Entwicklung, ist zunächst daran zu erinnern, daß die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in entscheidenden Punkten nicht immer praxeologisch umsetzbar gefaßt ist. Dies ist sicherlich auch im Zusammenhang damit zu sehen, daß Soziale Marktwirtschaft den Entwurf für eine offene Lebensordnung darstellt. Die Konsequenz der nicht exakten Festlegung ist jedoch, daß einzelne politische Gestaltungshandlungen, wirtschaftliche Aktivitäten und Entwicklungen sich in ihrer Gesamtheit zu qualitativen Fehlent-
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Wicklungen summieren können. Die Gestaltung sozialpolitischer Korrekturmechanismen ist hierfür deutlicher Beleg. Eine weitere Begründung für Abweichungen zwischen dem Leitbild der Wirtschaftsgestaltung und der wirtschaftlichen Wirklichkeit ist darin zu sehen, daß konsequente liberale Wirtschaftsordnungsgestaltung sich angesichts eigennützig handelnder Wirtschaftssubjekte und Politiker als Gegenstand erweist, der nur schwer in die Politik pluralistischer Demokratien eingebracht werden kann. Das Ordnungsdenken ist ein Denken in übergreifenden Zusammenhängen, dessen Nachvollzug und Durchsetzung recht große Anforderungen an den Zeithorizont des einzelnen stellt. Die „Vorteile" von interventionistischen Ordnungsverstößen und Ausnahmeregelungen werden unmittelbar und kurzfristig spürbar, während die Vorteile konsequenter Ordnungsgestaltung erst über längere Zeiträume erkennbar werden. Entsprechend ist der Erwartungshorizont konkurrierender Politiker und Parteien bezüglich der Popularität und Wählerstimmenwirksamkeit ihrer Maßnahmen strukturiert. Hinzu kommt eine dritte, dogmengeschichtliche Begründung. Im Zuge der Adaption der Keynes'schen Einkommens- und Beschäftigungstheorie und in Verbindung mit dem groß angelegten Versuch, Schwankungen in der Auslastung des volkswirtschaftlichen Produktionspotentials und Gleichgewichtszuständen bei Unterbeschäftigung durch eine Globalsteuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageaggregate und einen Ausbau des prozeßpolitischen Instrumentariums zu begegnen, ging das Interesse an ordnungstheoretischen und ordnungspolitischen Fragestellungen auch in der deutschsprachigen Nationalökonomie in den sechziger und siebziger Jahren zunächst deutlich zurück. Erst seit Ende der siebziger Jahre ist eine Renaissance ordnungspolitischen Denkens festzustellen. Diese Entwicklung entspringt nicht lediglich akademischem Interesse, sondern sie ist auch der Versuch, institutionell begründete Antworten auf aktuelle wirtschaftliche Problemlagen zu finden. Wissenschaft und Praxis sind aufgerufen, in Zukunft verstärkt wettbewerbskonforme Konzeptionen zur Aufgabenverteilung zwischen Markt und hierarchisch-bürokratischer Lenkung, zur Bewältigung wirtschaftlicher Macht unter Berücksichtigung von gegebenenfalls vorhandenen Effizienzvorteilen der Größe und zur Lösung des Balanceaktes zwischen Markt und Sozialpolitik, zwischen wirtschaftlicher Freiheit und sozialen Zielen zu erarbeiten und zu diskutieren. Die Tendenz zu einer in liberalem Gedankengut verwurzelten ordnungspolitischen Neubesinnung kommt gegenwärtig deutlich zum einen in Forderungen nach einer angebotsorientierten Wirtschaftpolitik und zum anderen in ersten tastenden Versuchen, neben Markt und Staat Spielräume für private Initiative und privates Engagement auszuloten, zum Ausdruck. Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ist als Konzept zu werten, gesamtwirtschaftlichen Problemen nicht durch eine schwergewichtige Ausrichtung auf die Beeinflussung gesamtwirtschaftlicher Nachfrageaggregate zu begegnen, sondern eine grundlegende Verbesserung der Konstitution der Wirtschaft durch (Neu)Gestaltung der Angebotsbedingungen zu erreichen. In der Bundesrepublik wird eine solche wirtschaftspolitische Schwerpunktsetzung prononciert vor allem durch den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium (vgl. 1981, S. 19ff.) und durch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vertreten. Der Sachverständigenrat hat in seinem
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Jahresgutachten 1981/82 (vgl. Ziff. 300ff.) Grundsätze einer angebotsorientierten Politik aus dem Jahr 1976 erneut aufgegriffen und spezifiziert. Darin werden neben anderen folgende, ordnungspolitisch bedeutsame Programmpunkte als Forderungen an die politisch-administrativen Entscheidungsträger aufgestellt: • unnötige Hemmnisse wirtschaftlicher Aktivitäten wegräumen; • durch mehr Konstanz der Wirtschaftspolitik und Zurückhaltung bei Eingriffen in den Markt Risiken senken; • Reserven an privater Risikobereitschaft mobilisieren helfen, insbesondere die Neigung zur Eigenkapitalanlage sowie die Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern fördern; • die wirtschaftliche Dynamik von unten stärken, insbesondere die Chancen zur Gründung selbständiger Existenzen sowie die Entwicklungsmöglichkeiten kleiner und mittelgroßer Unternehmen verbessern; • den Wettbewerb scharf halten, Subventionen und Schutzmaßnahmen, die den Strukturwandel hemmen, abbauen. Ansätze, eine Fortschreibung der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft als offene Lebensordnung durch eine konzeptionelle Einbindung von institutionellen Möglichkeiten privater Initiative und privaten Engagements neben Markt und Staat zu diskutieren, stellen demgegenüber den Versuch dar, bewußt neue Wege der Wirtschaftsordnungspolitik zu beschreiten. Sie münden in die noch zögernd gegebene Empfehlung, „... die Entfaltung von kleineren Kollektiven im Umfeld zwischen staatlicher und marktlicher Allokation (gemeint sind Selbsthilfeinitiativen und Formen der unmittelbaren menschlichen Begegnung im Wirtschaftgeschehen; d. V.) nicht administrativ zu behindern, allgemeine Vorurteile über sie abbauen zu helfen und ihnen etwas zuzutrauen." (G. Kirsch, K. Mackscheidt, Ph. Herder-Dorneich und W. Dettling, S. 64). Verwiesen wird in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die Förderung von lokalen Initiativgruppen im Zusammenhang mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Wohnungsbau und Stadterneuerung. Solche Denkansätze müssen nicht im Gegensatz zur traditional liberal ausgerichteten angebotsorientierten Wirtschaftspolitik stehen. Sie ergänzen diese, indem mit der Erörterung von kleineren Kollektiven organisatorische Alternativen zur Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik von unten aufgezeigt werden. Ihr gemeinsamer Nenner ist Entregulierungsdenken und die Forderung, große Organisationen und Einflußzonen infolge von personellen und kapitalmäßigen Beziehungsgeflechten nicht weiter auszubauen sowie der schematisierenden Allzuständigkeit von Großkollektiven Einhalt zu gebieten. Insgesamt wird mit einer derart erweiterten Diskussion jedoch ordnungspolitisches Neuland betreten (vgl. W. Dettling (Hrsg.)). Helmut Hesse (in: O. Issing (Hrsg.), S. 3f. bzw. S. 7) hat in seiner Begrüßungsansprache zur Tagung des Vereins für Socialpolitik im Jahr 1980 über Zukunftsprobleme der Sozialen Marktwirtschaft als wesentliches Ziel der Tagung genannt, „... die Einsicht in die Notwendigkeit zu erhöhen, ordnungspolitische Probleme wieder verstärkt in Forschung und Lehre zu behandeln ..." Gleichzeitig weist er auf noch bestehende Grenzen der wissenschaftlichen wirtschaftsordnungspolitischen Erkenntnisgewinnung hin. Seine Worte seien als Schlußwort und als Anregung für weiteres Arbeiten an das Ende dieser Einführung über Wirtschaftsordnungen und Wirtschaftsordnungspolitik gestellt: „Auf der einen Seite wird unser Vorwissen nicht immer ausreichen. Vielleicht schlägt auf uns zurück, daß wir in unseren Lehrbüchern der Ordnungstheorie nur
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einen sehr b e s c h e i d e n e n Platz eingeräumt haben und daß die Lehrpläne der H o c h s c h u l e n ein ausreichendes Studium ordnungspolitischer Grundprobleme nicht immer vorsehen. Hat nicht auch eine zu große Zahl von uns die innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung erreichten Vorteile als zu selbstverständlich erachtet und deshalb die Notwendigkeit übersehen, ihr ein dauerhaftes wissenschaftliches Interesse entgegenzubringen und an ihrer Fortentwicklung ständig mitzuarbeiten? A u f der anderen Seite könnte sich bis in unsere wissenschaftliche Diskussion hinein der Tatbestand erschwerend auswirken, der politische Auseinandersetzungen in der B e v ö l k e r u n g gelegentlich kennzeichnet: D i e Neigung nämlich, statt des besseren A r g u m e n t s die bessere Gesinnung hervorzukehren und sie gegen oder für die Soziale Marktwirtschaft ins Feld zu führen. Sollte sich diese Vermutung als richtig erweisen, wird es um so notwendiger sein, ordnungspolitischen Problemen größeres Gewicht bei wissenschaftlichen Arbeiten einzuräumen ..."
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Kontrollaufgaben 1. Widerspricht das Prinzip der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen der Forderung nach einer Wirtschaftsordnungspolitik ohne Dogma? Begründen Sie Ihre Stellungnahme. 2. „Es ist damit zu rechnen, daß in vielen Fällen die Menge jener Instrumente zur Erreichung eines wirtschaftspolitischen Ziels oder Zielbündels, die ordnungskonform sind, nur eine Teilmenge jener Mittel ist, die im Hinblick auf das gleiche Zielbündel durch Zielkonformität ausgezeichnet sind." (G. Gutmann, S. 139, Betonungen im Original) Erläutern Sie diese Aussage! 3. Erörtern Sie, warum es zweckmäßig ist, statt „Marktkonformität" das Kriterium der „Wettbewerbskonformität" zur Beurteilung der Ordnungskonformität wirtschaftspolitischer Handlungen in der Bundesrepublik Deutschland zu verwenden. 4. Prüfen Sie die Argumente, die für die Behandlung der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft als Ausnahmebereich im G W B vorgebracht werden, auf ihre Stichhaltigkeit. 5. Diskutieren Sie die Wettbewerbsvorteile, die ein staatlicher Monopolist wie die Deutsche Bundespost gegenüber privaten Unternehmen hat. 6. Was versteht man unter interorganisationalen Beziehungen und weshalb sind solche Beziehungsgeflechte für eine Beurteilung der wirtschaftlichen Konzentration von Bedeutung? 7. Worin besteht der ordnungspolitische Beitrag einer breit gestreuten Beteiligung der Wirtschaftssubjekte an unternehmerischem Risikokapital? 8. Man kann folgende drei Typen sozialpolitischer Maßnahmen unterscheiden: Produzentensubventionen, Beschränkungen der Vertragsfreiheit und offener interpersoneller Finanzausgleich. a) Kennzeichnen Sie diese Maßnahmen. b) Geben Sie Beispiele an. c) Beurteilen Sie die Maßnahmetypen nach der Wettbewerbskonformität.
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9. „Eine Renaissance der Wirtschaftsordnungspolitik ist immer dann zu erwarten, wenn die Aushöhlung der Wirtschaftsordnung durch Einräumung von Sondervorteilen so weit fortgeschritten ist, daß die dadurch entstehenden Kosten der Unwägbarkeit aufgrund wirtschaftlicher Unordnung für den Einzelnen den Nutzen der Erlangung weiterer Sondervorteile überschreiten." Diskutieren Sie diese These!
Personenregister
Albers, W. 14, 75, 76, 107, 108,114, 150, 151, 154 Albert, H. 13, 46, 56, 75,121,150 Alchian, A. 25,28 Alexejew, G. 69, 75 Arndt, E. 13, 79, 107, 150 Arndt, H. 47 Backhaus, J. 96, 107 Bäthge, G. 33,46 Behr, W. 74, 75 Beckerath, E. v. 47 Biehler, H. 29 Blaich, F. 28, 114 Blum, R. 107, 123, 150 Boese, F. 108 Boettcher, E. 46, 114 Böhm, F. 1,9,13,25,28,79,107,113,118, 138,150 Bössmann, E. 27, 28 Bohling, W. 107 Bohnet, A. 73, 75, 107 Borchardt, K. 78, 84, 107 Boulding, K. E. 28 Breuel, B. 129, 150 Bundeskartellamt 135, 150 Bunte, H.-J. 129, 130, 150 Cassel, D. 108 C o a s e , R . H . 26, 27,28 Coina, H. 14, 29 Cox, H. 29 Demsetz, H. 25, 28 Dettling, W. 149, 150, 151 Dopfer, K. 114 Dornbusch, H.-L. 105,107 Eckstein, A. 14 Ehrlicher, W. 150 Eichhorn, W. 75 Emmerich, V. 130,131,150 Engelhardt, W. W. 28, 44, 46 Engels, F. 1,22, 23,28, 29 Eppler, E. 2, 3 Erhard, L. 2, 3, 79, 80, 82, 83, 84,107,127 Ertel, R. 14
Eucken, W. 1, 5,13,14,17, 28, 39, 40, 41, 46, 47, 79, 81, 82, 84, 89, 107,118, 119, 123, 127, 150 Frenzel, G. 50, 75 Frey, B. S. 142, 150 Friedman, M. 146 Funk, B. Chr. 14, 28 Furubotn, E. G. 25, 28 Gäfgen, G. 117,118, 150 Galbraith, J. K. 115 Gaugier, E. 107 Giersch, H. 28,79, 107 Greiffenberg, H. 28, 29 Greven, M. Th. 17, 28 Großmann-Doerth, H. 1, 79 Gutmann, G. 14,62,75,107,124,126,150, 152 Hamel, H. 3, 29, 60, 75, 76, 108, 114, 151 Hamm, W. 97,107 Hartwich, H.-H. 107 Hauser, H. 28 Hayek, F. A. v. 28,80,81,86,87,107,122, 150 Hedtkamp, G. 32, 46, 50, 75, 114 Hefftner, S. 29 Heimann, E. 6, 14 Hensel, K. P. 5, 14, 42, 43, 46,118, 123, 150, 151 Herder-Dorneich, Ph. 117, 149, 151 Herzog, R. 108, 151 Hesse, H. 149 Heusgen, Chr. 107 Hohmann, K. 3,108,109,114,115, 150 Hondrich, K. O. 14, 29 Hoppmann, E. 125, 127, 151 Horvat, B. 114 Huffschmid, J. 119,151 Hume, D. 20 Issing, O. 3, 47, 76,107,108, 115, 149,151 Iwanow, J. 69, 75
156
Personenregister
Kantzenbach, E. 125, 151 Karsten, D. 14 Kempski, J. v. 40,46 Kernig, C. D. 75 Keynes, J. M. 1, 148 Kirsch, G. 118, 119,120,149, 151 Kissel, R. F. 73,75 Klaus, J. 139,151 Kleinhenz, G. 71,75, 107 Kieps, K. 41, 46,114, 141,151 Kloten.N. 41,42, 46,47 Knapp, U. 107 Knauff, R. 66, 76 Knirsch, P. 33,46 Koopmans, T. C. 14 Körner, H. 3 Krüper, M. 151 Kruppa, A. 55, 56, 57, 76 Kunst, H. 108, 151 Lampert, H. V, 3, 5,14, 24, 29, 42, 45, 46, 54, 71, 73, 75, 76, 84, 86, 91, 93, 97,101, 104, 105, 107, 108,141, 142, 151, 154 Leipold, H. 14,22,29,32,42,46,66,75,76, 114,138,151 Lenin, W. I. 22, 29 Locke, J. 20 Lösch, D. 42, 43, 44, 46,118, 122, 151 Luhmann, N. 10, 14 Lührs, G. 151
Maciejewski, F. 14 Mackscheidt, K. 149,151 Malinowski, B. 17, 29 Marx, K. 1,20,23,29, 111 Maslow, A. H. 18,29,45,48 Meinhold, H. 75,108 Meinhold, W. 8, 14 Melzer, M. 61, 76 Mestmäcker, E.-J. 14, 46,108 Meyer, G. 67, 68, 76 Möller, H. 46 Monopolkommission 93,108, 113, 130, 132, 134, 135, 136, 137, 151 Montias, J. M. 14 Müller, G. 108 Müller, J. 151 Müller-Armack, A. 1, 3, 46, 79, 80, 82, 83, 84, 101, 107, 108,113,114,127 Muhs, K. 152 Ohm, H. 47
Pejovich, S. 25, 28 Peterhoff, R. 76,103,108 Peters, H.-R. 29,41,47, 114 Plötz, P. 64, 76 Polanyi, M. 10,14 Pommerehne, W. W. 142,150 Popper, K. R. 13, 14, 29, 68, 76 Prosi, G. 108 Richter, R. 26, 28, 29 Riese, H. 12,14 Ritsehl, H. 33, 35, 40, 47 Robert, R. 108 Röpke, W. 19, 29,111,115,124,151 Rostow,W. W. 110,115 Rüstow, A. 1,79 Rytlewski, R. 76 Sachverständigenrat 113, 140, 148, 151 Sanmann, H. 76 Sauermann, H. V, 14, 46, 108 Savin, D. 114 Schachtschabel, H.-G. 31, 34, 47,108 Schenk, K. E. 14, 60, 61, 74, 76, 77 Schlecht, O. 78, 108 Schmidtchen, D. 96, 108 Schneemelcher, W. 108, 151 Schönwitz, D. 3, 41, 47, 86, 91, 93, 108, 136, 137,141, 151,154 Scholz, R. 86,106,108 Schubert, F. 54,71,73,76 Schwegmann, K. 69, 76 Seraphim, H.-J. 35, 36, 38, 40, 47, 151 Skolda, J. 75 Smith, A. 20, 29 Soltwedel, R. 146, 151 Sombart, W. 33, 35, 36, 37, 38, 40, 47 Spiethoff, A. 33, 34, 35, 36, 40, 47 Steinmann, B. 124,151 Stigler, G. J. 28 Streißler, E. 14, 22, 29, 30, 84, 108 Stützel, W. 3, 46, 102,108,109, 114,115, 144,145,150,151 Suranyi-Unger, Th. 32, 47 Teichmann, U. 75 Thalheim, K. C. 41, 47, 125,152 Thieme, H. J. 3, 14 Tiburtius, J. 38, 47 Tietz, R. V, 154 Timmermann, M. 28 Tinbergen, J. 111, 112, 114,115 Tippmann, W. 22, 29, 76
Personenregister Topitsch,E. 23,29,75,76 Topornim, B. M. 52, 76 Tuchtfeldt, E. 3,14,110,113,115, 152 Ulbricht, W. 49, 76 Vogelsang, I. 151 Wagener, H.-J. 29,47,60,62,76,113,114, 115 Wahl, G. 66 Watrin, Chr. 2,3,14,28,29,80,81,84,108, 109, 114,115, 122,150,152
157
Weber, A. 101,108 Weber, H.-J. 136,151,154 Weck, H. 142,150 Weippert, G. 14 Weise, P. 25, 26, 29 Willgerodt.H. 3',108, 109,114,115,150 Winterstein, H. 104,109 Wissenschaftlicher Beirat 128,148,152
Zacher, H. F. 14, 25, 29 Zohlnhöfer, W. 28, 29
Sachregister
Absolutismus 19, 80 Abstraktion, pointierend hervorhebende 40 Alternativkosten 25f. Anspruchsinflation 139 Arbeiterklasse 51 ff. Arbeiterselbstverwaltung, jugoslawische 114 Arbeitsdirektor 98f. Arbeitsgesetzbuch, der D D R 70 Arbeitsmarkt - Problemgruppen 146 - Segmentierung 146 - unternehmensinterne 146 Ausbeutung 1, 23, 52, 54, 56, 66, 71, 78f., 81f., 110 Bedürfnisse - im Sozialismus 52f. - nach Ansehen 18 - nach Selbstverwirklichung 18 - nach Sicherheit 18 - physiologische 18 - sozio-emotionale 18 Betriebsrat 97 Betriebsverfassungsgesetz 97 Bewußtsein, sozialistisches 51 Beziehungen, interorganisationale 134ff., 147 Bildungspolitik 84 Bildungsreform 10 Bundeskartellamt 91, 94, 135, 150 Bundespersonalvertretungsgesetz 97 Demarkationsverträge 129f. Demokratischer Zentralismus 51, 54, 67ff. Denken - in geschichtlichen Entwicklungsgesetzmäßigkeiten 12ff., 24f., 49f. - i n Ordnungen 13, 80f., 109f., 121, 148 Deutsche Bundesbank 91, 93 Deutsche Bundespost 132ff. Durchgriffsprinzip 61f. Eigennutzvorstellung 20ff., 75, 81, 119, 143f. Eigentumsgarantie 85, 99f.
Eigentumsrechte siehe Porperty Rights Einkommensteuer, negative 146 Enteignung 81, 85f. Entflechtung 137 Entregulierung 92, 143ff., 149 Entwicklungsgesetz 13, 23, 49 Fernmeldemonopol 132ff. Finanzausgleich, offener interpersoneller 102, 145ff. Finanzplanungsrat 91, 94 formierte Gesellschaft 82 Freiburger Schule 79 Freier Deutscher Gewerkschaftsbund ( F D G B ) 69 Freiheit - der Berufs- und Arbeitsplatzwahl 81 - der Konsumwahl 81 - der unternehmerischen Betätigung 81 - d e r Vertragsgestaltung 102,145f. -individuelle 9, 19ff., 80ff., 107, 111 - rechtsstaatlich gesicherte 80f. Führungsmonopol der Partei 22f., 51 ff. Fünfjahrpläne 62ff. Gebietsmonopole 130 Gemeinschaftsunternehmen 136 Gerechtigkeit, soziale 81ff. Geschichtsphilosophie 12f., 19ff. Gesellschaftstheorie - als Triebkraft der Ordnungsentwicklung 19ff. - l i b e r a l e 1, 19ff. 78ff. - marxistisch-leninistische 1, 22ff., 49ff. - n e o l i b e r a l e 1, 78ff., 101, 127 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 89,128ff. Gewerkschaften 53, 91, 95 - Organisation in der D D R 69f. - Rolle im Sozialismus 68ff. - Rolle in der Bundesrepublik 100f., 140f. -Transmissionsfunktion 53, 68f. Gleichgewichtspreis 88f. Globalsteuerung 10f., 113,148 Grundbedürfnisse, menschliche 17ff., 20 - als Triebkräfte der Ordnungsentwicklung 17ff., 28, 44ff., llOf.
160
Sachregister
- Klassifikation nach Maslow 18 Grundentscheidung, ordnungspolitische 122f. Grundgehalt, sozialer 45 Grundgestalten, wirtschaftliche 36ff. Grundwerte 12, 80ff., 107 Grundwiderspruch, kapitalistischer 54, 56 Infrastrukturmaßnahmen 11, 20 Initiative, persönliche 10,19ff., 81f., 101, 127, 148f. institutioneller Wandel, Determinanten 24ff. Interdependenz der Ordnungen 84, 97 Interessengruppen 9, 82, 119,131,139ff. Interventionismus - p u n k t u e l l e r 11, 81, 90,122 -wirtschaftspolitischer 8, 120, 131, 148 Jahresvolkswirtschaftspläne 62ff. - Planbilanzen 63f. - Plankennziffern 63f. - Planungsaufwand 64ff. - Planungsprobleme 64ff. - Planungsprozeß 64f. Kapitalismus 1, 19ff., 40, 49, 78, 81 - staatsmonopolistischer 110 Klassenstruktur - antagonistische 56 - nichtantagonistische 51f., 67, 71 Kollektivgüter 90ff., 123 Kollektivverträge 70 Kombinate 60ff. Kombinatsreform 60ff. Kommunismus 22f. - Entwicklungsphasen 49f. Konjunkturrat 91,94f. Konvergenztheorie 109ff. - konstruktivistische l l l f . - östliche Variante 110 - westliche Variante llOff. Konzentration - in der D D R 62 -wirtschaftliche 2,128ff., 135f. Konzentrationskoeffizienten 135 Konzertierte Aktion 91, 94, 141 Konzessionsverträge 129f. Koordinierung - d e z e n t r a l e 21, 26, 78ff., 83, 86ff., 95,111 - marktmäßige 21, 27, 83 - unternehmensinterne 27 - z e n t r a l e 21f., 54, 59ff.,74 Kritischer Rationalismus 13
Langfristige Planung 62f. Leistungsprinzip 51, 54f., 71, 119 Liberalismus 19ff., 78ff. Lohnpolitik 140f. - ex ante 141 - ex post 141 - Revisionsklauselkonzept 141 - und Risikokapitalbeteiligung 140f., 149 Macht, ökonomische 79, 81, 83, 89f., 92f., 110,119,128ff., 134ff. Märkte 21, 26 - als Informations- und Steuerungssystem 86ff. Marginalanalyse 27 Marktkonformität 123f. Marktwirtschaft - freie l , 3 9 f f . , 78, 81 - gelenkte 42 - S o z i a l e 1, 78ff., 101, 106, 112f., 117ff., 147f. - sozialistische 60,113 Marktzutritt 133f. Marxismus-Leninismus 22ff., 49ff., 109f. Mehrparteiensysteme, demokratische 9, 84f., 97, 118ff. Menschenbild - eigennutzorientiertes 20ff., 27,75,78,128 - gemeinwohlorientiertes 22ff., 68 - im Liberalismus 20ff., 128 - im Marxismus-Leninismus 22f. meritorische Güter 92,123 Ministerrat 61ff. Mißbrauchsaufsicht 90, 128ff. Mitbestimmung 86ff., 94, 96ff., 124,138ff. - im Betrieb 97ff. - im Montanbereich 98 - im Unternehmen 97ff. - paritätische 98 - überbetriebliche, gesamtwirtschaftliche 97, 100f., 140f. Mitbestimmungsgesetz 98ff., 106 Mitbestimmungsurteil 99f. Monopolgüter 92f., 123 Monopolkommission 91, 93,108,113,130, 132, 134ff., 151 Nachfragemacht 133 Neoliberalismus 78ff., 101,127 Nutzen-Kosten-Überlegungen 24, 26 Ökonomische Gesetze im Sozialismus 5 lff. - als Pseudotheorien 55f. - Grundgesetz 55
Sachregister - proportionale Entwicklung 55 - Ökonomie der Zeit 55 - Verteilung nach der Leistung 55 ökonomische Hebel 60 Ökonomisches System - der Planung und Leitung 60 - des Sozialismus 60 Ökonomismus 18f., 44, 96 Ordnungsdenken, Dualismus 41f. Ordnungsfunktionen 41ff. Ordnungskonformität l l f . , 102,121ff. Ordnungsmerkmale, prägende (konstitutive) 31ff., 44ff. Ordoliberalismus 79 Organisationskosten 27 Parteienwettbewerb 9, 74f., 84,118ff., 148 personelle Verflechtungen 136f., 147 Planung - dezentrale 23 - monistische 39 - pluralistische 39 - zentrale 23 politisch-administratives System, Steuerungsleistungen 7ff., l l f . politische Entscheidungsbefugnisse 7ff. Preisführerschaft 133 Preisfunktionen 87ff., 124 - Ausschaltfunktion 87f., 90ff. - Ausweitungsfunktion 87ff. - Barometerfunktion 87ff. - Lenkungsfunktion 87ff. Primat der Arbeit 51, 54, 71 Primat der Politik 53 Prinzip der Ordnungskonformität l l f . , 102, 121ff. Privateigentum - als Garant der Freiheit 21, 81, 85 - an Produktionsmitteln 19, 23, 56 - der Feudalherren 23 - der Skalvenhalter 23 - in der Bundesrepublik 85f., 96, 99 - in der D D R 57ff. -Unverletzbarkeit 19, 21 Produktionsprinzip 61f. Produktionsverhältnisse, sozialistische 49ff. Produzentensubventionen 1 0 2 , 1 4 5 Property Rights 17, 25f. Recht auf Arbeit 72 Regulierung -privatwirtschaftliche 137,147 - staatliche 128ff.
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Relevanzkriterien, intersubjektiv nachvollziehbare 32ff., 43ff. Rente, dynamische 104 Reprivatisierung 92, 124 Sachverständigenrat 91, 113, 140, 148, 151 Schattenwirtschaft 142 Selbstbeteiligung 144 Selbthilfeinitiativen 149 Selbstkoordination 10, 20, 39ff., 86ff., 127 Sicherheit, soziale 81ff. Sozialbindung des Eigentums 85, 100, 124 Soziale Frage 1, 45, 78f., 82 Soziale Marktwirtschaft 1, 78ff., 101,106, 112f., 117ff., 147f Soziale Sicherung in der Bundesrepublik 102ff., 144 - Leistungsstruktur 104ff. - Organisation 102ff. - Schutztatbestände 71f. Soziale Sicherung in der D D R 71ff. - Leistungsstruktur 72f. - Organisation 72f. - Schutztatbestände 71f. Sozialismus 22f.,49f. - bürokratischer 68, 74 - Entwickeltes gesellschaftliches System 13, 49ff., 112f. - Gestaltungsprinzipien 50ff. - Leitbildvorstellungen 50ff. - ökonomische Gesetze 51 - real existierender 67f., 74 sozialistische Demokratie 51, 53f., 67f. sozialistisches Eigentum 23, 52, 56ff. - genossenschaftliches 57ff. - gesamtgesellschaftliches 57ff. - gesellschaftlicher Organisationen 58 - halbstaatliches 57ff. - i n der D D R 56ff. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ( S E D ) 49ff. - Politbüro 61f. - Zentralkomitee 61f. Sozialleistungen 104f., 142f. Sozialordnung 45, 71ff., 142ff. Sozialpolitik - a l s Ausgleichspolitik 104f., 143 - a l s Schutzpolitik 104, 143 - Arbeitskräftepotentialorientierung 72f. - Eigennutzansatz 143ff. - Entregulierungsansatz 143ff. - in der Bundesrepublik 101 ff., 142ff. - i n der D D R 7 1 f f . -Normalbürgerorientierung 71,104ff. -Ordnungskonformität 101f., 106, 142ff.
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Sachregister
Sozialstaat 81f., 86, 102,106,142ff. Staat - Übernahme von Wirtschaftssystemaufgaben 8,11, 20, 90ff., 112f., 128ff., 144 -wirtschaftlich absorbierter 110,137 staatliche Monopolstellungen 128, 132ff. Staatliche Plankommission 61, 63 staatliche Regulierungen 128ff., 147 staatliches Unternehmertum 128,134 Stabilisierungspolitik 1, 90, 93, 113,148 Stabilitätsgesetz 90, 113 Steuerungsleistungen - ordnungsbezogene 7f. - prozeßbezogene 8f. Subsidiaritätsprinzip 82,102,146 Systeme, gesellschaftliche 6ff., 67f. - politisch-administratives 6ff. - sozio-kulturelles 6ff. - wirtschaftliches 5ff. - Überschneidungen 7ff., l l f . , 20, 22, 54f., 131,144
Tarifautonomie 100f., 139ff. Tarifvertragsgesetz 100 Territorialprinzip 61f. Toleranzprinzip 84f. Transaktionskosten 25ff. Trennung von Staat und Wirtschaft 20, 82ff., 90,95, 127, 131, 144 Triebkräfte der Ordnungsentwicklung - Gesellschaftstheorien 19ff., 49ff., 112 - Kostenkalküle 25ff. - menschliche Grundbedürfnisse 17ff., 44ff., 49, 96, 110 - Property Rights 25ff. - Wirtschaftsverfassung 24f., 106f.
Umweltbelastungen 2, 138 Unternehmenskonzentration 128ff., 147 - horizontale 135f. - konglomerate 135 - vertikale 135 Unternehmenszusammenschlüsse 27f., 60ff., 90,128ff.
Verbundverträge 129f. Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) 60ff. Verflechtungen - kapitalmäßige 136f., 147 - personelle 136f., 147 Vergleichsmarktkonzept 129
Verhaltenskontrolle, ständige 138 Verkehrswirtschaft 39ff. Versorgungsstaat 82 Versorgungswirtschaft, leitungsgebundene 129ff. Verstehende Methode 38 Verteilungsansprüche 139ff. Verteilungspolitik 84,139ff. Verteilungsspielräume - im Kommunismus 54 - im Sozialismus 54f., 138 - in der Marktwirtschaft 101,138ff. Volkseigener Betrieb (VEB) 58, 60ff. Vollbeschäftigungspolitik 84
Währungsreform 79 Wartungsmonopol 133 Weltwirtschaftskrise 1, 78 Wettbewerb 119,149 - als-ob-Hypothese 129 - funktionsfähiger 83, 89f., 124f., 130ff., 147 - institutionale Betrachtungsweise 125 - instrumentale Betrachtungsweise 125 Wettbewerbsfunktionen 87ff., 125 Wettbewerbsgesellschaften 84, 89,119f. Wettbewerbskonformität 124ff., 145, 147 - Grade der 126 Wettbewerbsordnung 128ff. - Ausnahmebereiche 128f. Wettbewerbspolitik 79, 83,118, 128ff. Wettbewerbsprozeß 88f. Wirtschaft, staatlich absorbierte 8, 22, 53, 62 wirtschaftliches Geschehen, Ordnungsbedingtheit 5 f . , 3 1 Wirtschaftsablaufpolitik 10ff., 113,127,148 - g l o b a l 11 - strukturell 11 Wirtschaftsgesinnung 35f. Wirtschaftsordnungen - als rechtschöpferische Leistung 9f., 79 - akzidentelle Merkmale 42 - Bedeutung l f f . - Begriff 5ff. - der Bundesrepublik 77ff. - der D D R 49ff. - der UdSSR 49f. - Funktionen 41ff. - geistige Grundlagen 17, 19ff., 49ff. - gemischte 41ff., 11 lff. - gesetzte 20 - Gestaltungsfreiheit 10, 12f., 24f., 73f., 106f., 121,148f.
Sachregister - gewachsene 2 - Konvergenz 109ff. - Leitbild l , 4 9 f f . , 6 7 f . , 7 8 f f . - offene 78ff., 106, 117ff., 147 - real existierende 49ff., 77ff. - spontane 9f., 20, 78ff., 90, 95, 137f. - Triebkräfte der Entwicklung 17ff. - Zukunftsprobleme 1, 77, 149 Wirtschaftsordnungen, prägende Merkmale 1, 19, 31ff., 44ff., 56ff. - Eigentumsordnung 45, 56ff., 85f. - Entscheidungsbeteiligung 45, 66f., 95ff., 123,139 - Koordination der Wirtschaftsprozesse 45, 59ff., 86ff., 123f. - sozialpolitische Korrekturmechanismen 45, 71ff., lOlff., 123, 142ff. Wirtschaftsordnungspolitik 1, lOff., 117ff. - Bereiche 128ff. - Dogmatisierung 117f., 121ff. - durchsetzungsorientierte Fragestellungen 117ff., 148 -dynamische 117ff. - geschichtsphilosophische Bezüge 12ff. - Grundwertbezug l l f . , 25 - in der Bundesrepublik 117ff. - Konzeptionen 2, 9, 11, 19, 49ff., 78ff., 117ff., 127 - l i b e r a l e 117ff. - Neubesinnung 147ff. - Prinzipien 120ff. - Priorität 127f. - r a t i o n a l e 13, 25, 120f. - s t a t i s c h e 117f., 123 Wirtschaftsordnungstheorie - Annäherungsthesen 109ff. - der Property Rights 25ff. - der Transaktionskostenökonomie 25ff. - institutioneller Wandel 24ff., 74f. - klassifikatorische 31ff. - liberale 19ff. - marxistisch-leninistische 22f. -neoliberale 78ff., 127 - strukturanalytische 35 Wirtschaftsordnungstheorie, klassifikatorische - Ansatz nach Eucken 39ff. - Ansatz nach Kloten 41ff. - Ansatz nach Ritsehl 34f. - Ansatz nach Seraphim 36ff.
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- Ansatz nach Sombart 35ff. - Ansatz nach Spiethoff 33f. - Bedeutung 31f. - funktionenfundierte Ansätze 42ff. - heuristische Funktion 32 - subjektivistische Ansätze 33ff. - traditionelle Ansätze 33ff. Wirtschaftspolitik - A b l a u f p o l i t i k lOff., 113, 127,148 - angebotsorientierte 148f. - Interdependenzen l l f . -nachfrageorientierte 1, 113, 148 - O r d n u n g s k o n f o r m i t ä t l l f . , 102, 121ff. - Organe 90ff. - Systematik lOf. - Träger 90ff. -vorhersehbarkeit 81,122f., 127f., 149 Wirtschaftszweige, proportionale Entwicklung 51, 53, 55 Wirtschaftsstile 33ff. Wirtschaftsverfassung 9f., 17, 24, 85 - im engeren Sinne 9f. - im weiteren Sinne 9f. - und Wirtschaftsordnung 24f., 73ff., 106f., 121 Wirtschaftssysteme - Begriff 5ff. - Element 9 - gemischte 39ff. -gesellschaftliche Einordnung5ff., 11 - Gestaltidee 36ff. - reine 39ff. - verkehrswirtschaftliche 39f. - zentralgeleitete 39ff. Wohlfahrtstheorie l l l f .
Zentralgeleitete Wirtschaft 39f., 41f., 74f. - Hierarchieebenen 60ff., 74f. - Planarten 63ff. - Plankennziffern 63ff. - Planungsaufwand 64ff. - Planungsprinzipien 59ff. - Planungsprozeß 64f. - Planungs- und Leitungsorganisation 59ff. Zentralverwaltungswirtschaft 54ff., 86 Ziele, wirtschaftspolitische 8, 79ff., 90,112 Zielkonformität 122 Zusammenschlußkontrolle 90,128 Zweck-Mittel-Denken 12
Zu den Autoren Dietrich Schönwitz, geb. 1947, Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität zu Köln; 1977 Dr. rer. pol.; 1973 bis 1978 Assistent am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre IV der Universität Augsburg; 1978 bis 1980 Mitarbeiter bei der deutschen Monopolkommission; seit 1980 Beamter der Deutschen Bundesbank. Veröffentlichungen: Der Wandel der sektoralen und beruflichen Beschäftigungsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, in: Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftswissenschaftliches Seminar, Bd. 7, hrsg. v. H. Lampert, Stuttgart New York 1979, S. 52 ff.; Aggregierte Unternehmenskonzentration und privatwirtschaftliche Wirtschaftslenkung, in: Konjunkturpolitik - Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung, 1981, S. 311 ff.; Unternehmenskonzentration, Personelle Verflechtungen und Wettbewerb, Baden-Baden 1982 (zus. mit H.-J. Weber); Interorganisationale Beziehungen und Wirtschaftsordnung, in: Wirtschaftsdienst, 1982, S. 504 ff. (zus. mit H.-J. Weber); Ansatzpunkte einer erweiterten Erfassung der Unternehmenskonzentration, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1983, S. 21 ff.; weitere Schriften und Aufsätze zur Wettbewerbstheorie, insbes. Konzentrationsforschung, sowie zur Wirtschaftsordnungstheorie und -politik. Hans-Jürgen Weber, geb. 1945, Studium der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Frankfurt; 1975 Dr. rer. pol.; 1970 bis 1977 Assistent an verschiedenen volkswirtschaftlichen Lehrstühlen an der Universität Frankfurt; 1978 bis 1980 Mitarbeiter bei der deutschen Monopolkommission; seit 1980 Beamter der Deutschen Bundesbank; seit 1975 Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt. Veröffentlichungen: Theoretische und experimentelle Bausteine der Verhandlungsforschung, Tübingen 1976; Theory of Adaptation of Aspiration Levels in a Bilateral Decision Setting, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1976, S. 582 ff.; Abgestimmtes Verhalten und Parallelverhalten auf dem oligopolitischen Markt, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1977, S. 245 ff.; Experimentelle Wirtschaftsforschung, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 4, hrsg. v. W. Albers u.a., Stuttgart u.a. 1980, S. 518 ff. (zus. mit R. Tietz); Unternehmenskonzentration, Personelle Verflechtungen und Wettbewerb, Baden-Baden 1982 (zus. mit D. Schönwitz); weitere Aufsätze zur verhaltensorientierten Entscheidungstheorie sowie zur Wettbewerbstheorie und -politik.