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German Pages 237 [240] Year 1998
Energiewirtschaft Einführung in Theorie und Politik
Von
Dr. Ingo Hensing Universitätsprofessor
Dr. Wolfgang Pfaffenberger Universitätsprofessor
Dr. Wolfgang Ströbele
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Autoren Dr. Ingo Hensing, Berater, Α.Τ. Kearney, Management Consultants, Düsseldorf Prof. Dr. Wolfgang Pfaffenberger, Universitätsprofessor für Wirtschaftspolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Direktor des Bremer Energie-Instituts Prof. Dr. Wolfgang Ströbele, Universitätsprofessor für Wirtschaftstheorie an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hensing, Ingo: Energiewirtschaft : Einführung in Theorie und Politik / von Ingo Hensing ; Wolfgang Pfaffenberger; Wolfgang Ströbele. - 1. Aufl. München; Wien : Oldenbourg, 1998 ISBN 3-486-24315-2
© 1998 R. Oldenbourg Verlag Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-24315-2
Vorwort Energie ist eine fundamental wichtige Ressource aller Volkswirtschaften. In der modernen Industriegesellschaft hängen Produktion und viele für den Lebensstandard der Menschen wichtige Konsumbereiche von der ausreichenden Verfügbarkeit von Energie ab. Da über 90 % der derzeitigen Weltenergieversorgung auf Brennstoffen beruht, deren Vorrat zwar riesig, aber erschöpfbar ist, stellt sich die Frage nach der optimalen intertemporalen Allokation: Wieviel soll heute, wieviel morgen genutzt werden? Spätestens seit den Diskussionen zum „sauren Regen", dem katastrophalen Unfall von Tschernobyl und den langfristig prognostizierten Klimaveränderungen als Folge weiterer Nutzung von Verbrennungsprozessen hat auch eine breite Öffentlichkeit erkannt, daß ein großer Teil der Umweltprobleme direkt oder indirekt mit Energieumwandlungs- und -nutzungsprozessen verbunden ist. Alleine wegen dieser beiden Aspekte ist eine Beschäftigung mit energiewirtschaftlichen Themen höchst spannend. Hinzu kommt aus der wettbewerbstheoretischen Sicht, daß für die sogenannten leitungsgebundenen Energieträger ein „natürliches Monopol" vermutet wird, so daß Fragen der Regulierung und Ausgestaltung der energiepolitischen Rahmenbedingungen eine besondere Rolle spielen. Wir haben deshalb bei der Darstellung Wert darauf gelegt, neuere Entwicklungen auf den Teilmärkten für Energie darzustellen. Eine systematische und umfassende Darstellung aus energiewirtschaftlicher Sicht liegt bisher im deutschen Sprachraum nicht vor. Deshalb haben die drei Autoren, die bis in die erste Hälfte der neunziger Jahre am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Oldenburg gearbeitet haben, den Schritt zu diesem Buch gewagt. Ingo Hensing hat während seiner mehrjährigen Tätigkeit am Energiewirtschaftlichen Institut in Köln viele wertvolle Anregungen erhalten, die diesem Buch zugute kamen. Sein Dank hierfür gilt insbesondere Walter Schulz und C. Christian von Weizsäcker. Adressaten sind Studierende im Hauptstudium der Wirtschafts-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften und Praktiker aus Energieunternehmen, Verbänden oder Behörden, die einen Gesamtüberblick suchen. Einfache Grundlagenkenntnisse in Wirtschaftswissenschaften sind hinreichend, um das Buch zu benutzen. Jedes einzelne Kapitel hätte leicht auf das Doppelte des Umfangs ausgelegt werden können. Wir hoffen, daß unsere Auswahl und Schwerpunktsetzung durch die Leser akzeptiert wird. Verbesserungsvorschläge werden wir dankbar entgegennehmen. Wir danken allen, die Entwürfe kritisch gegengelesen haben, für die hilfreichen Hinweise, insbesondere Claudia Kemfert, Christoph Otte und Wolfgang Schulz. Christine Tapken gilt der Dank für die Erstellung der Druckvorlage. Unser besondere Dank gilt Heinz Welsch, der das Kapitel 15 verfaßt hat. Köln, Oldenburg/Bremen, Münster Ingo Hensing, Wolfgang Pfaffenberger, Wolfgang Ströbele.
Inhalt
VII
Inhaltsübersicht Teil I: Grundlagen
1
1. Einführung: Das Energieproblem
1
2. Die Energiebilanz
18
Teil II: Ressourcenökonomische Sicht
26
3. Energieträger als erschöpfbare Ressourcen
26
4. Energie und Umweltrestriktionen
40
Teil III: Energiemärkte
50
5. Stein- und Braunkohle
50
6. Erdöl
60
7. Erdgas
77
8. Urannutzung und Kernenergie
90
9. Erneuerbare Energie
104
10. Elektrizitätswirtschaft
111
11. Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
138
12. Börsenhandel mit Energieträgern
152
Teil IV: Energiepolitik
161
13. Zur Begründung von Energiepolitik
161
14. Energiepolitik in Deutschland und Europa
171
15. Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik
182
Mathematischer Anhang
195
16. Einführung in die dynamische Optimierung
195
17. Der optimale Kraftwerkspark
202
18. Literatur
209
Inhalt
IX
Inhalt Teil I: Grundlagen
1
1. Einführung: Das Energieproblem
1
1.1. Natürlicher und anthropogener Energieumsatz
2
1.2. Energie aus natur- und ingenieurwissenschaftlicher Sicht
3
1.2.1. Technische Dimension
3
1.2.2. Ökonomische Dimension
7
a) Sonnenenergie
8
b) Fossile Brennstoffe
8
c) Kernspaltung
9
1.3. Energie aus historischer Sicht
10
1.3.1. Allgemeine Entwicklung
10
1.3.2. Entwicklung in Deutschland
11
1.4. Energie aus ökonomischer Sicht
14
2. Die Energiebilanz
18
2.1. Struktur der Energiebilanz
18
2.2. Elemente der Energiebilanz
19
2.3. Aggregations- und Bewertungsprobleme
21
2.4. Deutsche Energiebilanz 1993
23
Teil II: Ressourcenökonomische Sicht
26
3. Energieträger als erschöpfbare Ressourcen
26
3.1. Erschöpfbare Ressourcen und Weltenergieversorgung
26
3.1.1. Einleitung
26
3.1.2. Ressourcenbasis, Exploration, Reserven
26
3.2. Das Hotelling-Modell der Ressourcen-Ökonomik
29
3.2.1. Intertemporale Allokation aus der Sicht des Ressourcenanbieters
29
3.2.2. Das Hotelling-Modell aus gesamtwirtschaftlicher Sicht
31
a) Das Konsummodell
31
b) Das Produktionsmodell
33
3.3. Energie als „wesentliche Ressource"
36
3.3.1. Berücksichtigung von Kapitalverschleiß
36
3.3.2. Substitutionselastizität σ < 1 für Energie
37
3.4. Mögliche Backstop-Techniken
37
χ
Inhalt
4. Energie und Umweltrestriktionen
40
4.1. Energie und Umwelteffekte
40
4.2. Klassische Schadstoffe und Vermeidungstechniken
41
4.3. Energie und Umwelt am Beispiel C 0 2
42
4.3.1. Der Treibhauseffekt
42
4.3.2. Realistische Ziele der Umweltpolitik für C 0 2
45
4.3.3. Das COi-Problem aus ressourcenökonomischer Sicht
47
Teil III: Energiemärkte
50
5. Stein- und Braunkohle
50
5.1. Reserven, Förderung und Verbrauch
50
5.1.1. Gegenstand
50
5.1.2. Reserven
50
5.1.3. Förderung, Umwandlung und Verbrauch
51
a) Förderung
51
b) Umwandlung und Verbrauch
52
5.2. Bestimmungsfaktoren der Kohlepreise
53
a) Determinanten der Preisbildung
53
b) Internationaler Steinkohlehandel
54
5.3. Kohlewirtschaft in Deutschland 5.3.1. Steinkohle
55 55
a) Förderung und Verbrauch
55
b) Finanzierung der deutschen Steinkohle
56
5.3.2. Braunkohle
57
6. Erdöl
60
6.1. Reserven, Förderung und Verbrauch
60
6.1.1. Gegenstand
60
6.1.2. Reserven
60
6.1.3. Förderung, Umwandlung und Verbrauch
61
a) Weltölförderung
61
b) Up- und downstream
62
c) Technische Aspekte der Mineralölverarbeitung
63
d) Ökonomische Grundlagen der Mineralölverarbeitung
64
6.2. Bestimmungsfaktoren der Ölpreise
65
6.2.1. Ölpreissprünge 1973, 1979 und 1985
65
6.2.2. Historische Entwicklung des Ölmarkts
66
6.2.3. Erklärungansätze der Ölpreisentwicklung
69
Inhalt 6.3. Mineralölwirtschaft in Deutschland
XI 73
6.3.1. Internationale Ölmärkte
73
6.3.2. Deutscher Ölmarkt
74
7. Erdgas
77
7.1. Reserven, Förderung und Verbrauch
77
7.1.1. Gegenstand
77
a) Abgrenzung
77
b) Historischer Überblick
77
c) Vergleich von Erdgas und Mineralöl
78
7.1.2. Reserven
79
7.1.3. Förderung, Umwandlung und Verbrauch
80
a) Förderung und Welthandel
80
b) Transporttechnik
80
c) Marktstruktur
81
d) Ausgestaltung internationaler Gasprojekte
82
e) Vertikale Integration
83
f) Vertragsausgestaltung 7.2. Bestimmungsfaktoren der Gaspreise 7.2.1. Anlegbarer Preis 7.2.2. Gas-zu-Gas-Wettbewerb 7.3. Gaswirtschaft in Deutschland
83 84 84 85 85
a) Historischer Überblick
85
b) Marktstufen
86
c) Demarkationsverträge und Konzessionsabgaben
87
d) Wettbewerbsfragen
88
8. Urannutzung und Kernenergie
90
8.1. Reserven, Förderung und Verbrauch
90
8.1.1. Gegenstand
90
a) Kernenergiegewinnung durch kontrollierte Kernspaltung
90
b) Geschichte der Kernenergienutzung
91
c) Kernenergie als integriertes System
92
8.1.2. Reserven
93
8.1.3. Förderung, Umwandlung und Verbrauch
93
a) Förderung und Umwandlung
93
b) Kernbrennstoffkreislauf
94
c) Verbrauch
97
XII
Inhalt
8.2. Bestimmungsfaktoren der Uranpreise
98
8.3. Kernenergiewirtschaft in Deutschland
99
a) Erzeugung
100
b) Kernbrennstoffkreislauf/Entsorgung
101
c) Kosten eines Kernenergieausstiegs
102
8.4. Umwelteffekte der Kernenergie
102
9. Erneuerbare Energie
104
9.1. Gegenstand
104
9.2. Potentiale
104
9.3. Kosten und Preise
106
9.4. Erneuerbare Energie in Deutschland
109
10. Elektrizitätswirtschaft
111
10.1. Merkmale des Stromsektors
111
10.2. Verbundvorteile bei Angebot und Nachfrage
113
10.2.1. Nachfrage
114
a) Bestimmungsfaktoren der Nachfrage
114
b) Die Jahresdauerlinie
116
10.2.2. Angebot
117
a) Erzeugungsalternativen
117
b) Größendegression
120
c) Kurzfristige Angebotsplanung
120
d) Langfristige Angebotsplanung
122
e) Kraft-Wärme-Kopplung
124
10.2.3. Verbund- und Verteilungsnetz 10.3. Koordination des Systems
126 127
10.3.1. Vom integrierten Monopol zum Wettbewerb
127
10.3.2. Wettbewerb durch Ausschreibung
130
10.3.3. Wettbewerb durch Netzzugang
130
10.3.4. Strombörse (Pool)
130
10.3.5. Preise
131
a) Erzeugung
131
b) Preise für Netzleistungen
131
10.4. Elektrizitätswirtschaft in Deutschland
132
10.4.1. Nachfrage
132
10.4.2. Angebot
134
10.4.3. Kosten und Preise
135
Inhalt
11. Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
XIII
138
11.1. Nachfrage nach Energiedienstleistungen
138
11.2. Industrie
141
11.3. Haushalte und Kleinverbraucher
143
11.4. Verkehr
145
11.5. Nationale und weltweite Energiebedarfsprognosen
148
12. Börsenhandel mit Energieträgern
152
12.1. Börsenhandel als Marktkonzept
152
12.1.1. Einführung
152
12.1.2. Charakterisierung von Börsenhandel
153
12.1.3. Terminkontrakthandel
153
a) Funktionsweise
153
b) Voraussetzungen
154
c) Transaktionsarten
155
12.1.4. Funktionen im Energiebereich 12.2. Charakterisierung nach Energieträgern 12.2.1. Mineralöl
156 157 157
a) Historische Entwicklung
157
b) Das „Brent-System"
158
12.2.2. Erdgas
158
12.2.3. Elektrizität
159
Teil IV: Energiepolitik
161
13. Zur Begründung von Energiepolitik
161
13.1. Verringerung der Substitutionskosten
162
13.1.1. Substitutions- und Transaktionskosten
162
13.1.2. Substitutionshemmnisse im Energiesektor
163
13.2. Wettbewerbsförderung
164
13.2.1. Energiewirtschaft und natürliches Monopol a) Definition b) Natürliches Monopol in der Stromerzeugung c) Netze und natürliches Monopol d) Verteilung und natürliches Monopol
164 164 165 166 167
13.2.2. Zugang zu Netzen
167
13.3. Infrastrukturbereitstellung
168
13.4. Regulierung der Umweltnutzung
169
13.5. Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung
169
13.6. Förderung der Integration
.169
XIV
Inhalt
14. Energiepolitik in Deutschland und Europa
171
14.1. Markt und Wettbewerb
171
14.1.1. Der Ordnungsrahmen in Deutschland
171
14.1.2. Die europäische Richtlinie
173
14.2. Abbau von Substitutionshemmnissen 14.2.1. Information und Beratung der Verbraucher
174 175
14.2.2. Finanzielle Zuschüsse und Steuererleichterungen
176
14.2.3. Ordnungsrechtliche Regelungen
176
a) Wärme als Nebenprodukt
176
b) Gebäudebereich
177
14.3. Förderung erneuerbarer Energie
180
15. Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik
182
15.1. Ökonomische Probleme der Klimaschutzpolitik
182
15.2. Gesamtwirtschaftliche Kosten der C0 2 -Minderung
183
15.2.1. Ansatzpunkte der COi-Minderung und gesamtwirtschaftlicher Kostenbegriff
183
15.2.2. Ansätze der Kostenschätzung und Bestimmungsgründe geschätzter Kosten 15.3. Internationale Klimaschutzabkommen
185 190
15.3.1. Kriterien zur Gestaltung internationaler COj-Abkommen
190
15.3.2. Ein C 0 2 - A b k o m m e n mit flexiblen Quoten
191
15.4. Klimaschutz und Primärenergieangebot
193
Mathematischer Anhang
195
16. Einführung in die dynamische Optimierung
195
16.1. Grundlagen
195
16.2. Ökonomische Spezialfälle
197
16.3. Anwendungsbeispiel
199
17. Der optimale Kraftwerkspark
202
17.1. Verwendete Symbole
202
17.2. Optimaler Kraftwerkspark bei gegebener Nachfrage
203
17.3. Optimaler Kraftwerkspark bei Least Cost Planning
204
17.4. Optimaler Kraftwerkspark und Umwelteffekte
205
17.4.1. Emissionssteuer
205
17.4.2. Emissionsbeschränkung
206
17.5. Optimaler Kraftwerkspark in einem regionalen Verbundsystem
207
17.6. Lösung und Ergebnisse
208
Inhalt
18. Literatur
XV
209
18.1. Statistiken
209
18.2. Literatur
211
18.3. Wichtige energiewirtschaftliche Zeitschriften
216
Index
218
Einführung: Das Energieproblem
1
Teil I: Grundlagen 1. Einführung: Das Energieproblem Energieökonomik befaßt sich mit einem zentralen Thema der Menschheitsgeschichte, ja des Lebens überhaupt. Leben bedeutet im Kern, dem ständig wirkenden Naturgesetz zum Einebnen von geordneten Strukturen entgegen zu wirken. Gebäude verrotten, Sandburgen werden glatt gespült, Gebirge werden abgetragen, Lebewesen sterben, ... - ohne Eingriffe und immer wieder neuen Aufbau geordneter Strukturen tendiert alles zu Gleichförmigkeit. Dies ist der Kern des Gesetzes von der Zunahme der Entropie (Gleichförmigkeit) in einem geschlossenen System. Die geordneten Strukturen von Gebirgen und Landschaften auf der Erde wie die Alpen oder der Himalaya sind durch Prozesse entstanden, die durch Reste einer Glut aus der Erdentstehungszeit angetrieben werden: Das nach wie vor extrem heiße Erdinnere sorgt für Bewegungen der Erdkruste, faltet sie auf, läßt anderswo Massen wieder versinken etc. In einigen Milliarden Jahren ist diese Glut so weit erkaltet, daß dann Erdbeben o.ä. aufhören werden. Die großräumigen Wasserbewegungen in den Weltmeeren als Aufeinanderfolge von Ebbe und Flut verdanken ihren Antrieb der Bewegungsenergie von Erde und Mond, die dadurch, praktisch kaum meßbar, über die Jahrtausende etwas langsamer werden (Gravitationsenergie). Daß überhaupt Leben und damit zumindest vorübergehend geordnete Strukturen auf der Erdoberfläche möglich wurden, verdanken wir vor allem einem riesigen, ständig vor sich hin explodierenden Fusionsreaktor, von dessen unvorstellbar großen Mengen an freigesetzter Energie ein winziger Bruchteil die Erde erreicht. Ohne die Sonnenenergie gäbe es kein Leben für Pflanzen und Tiere. Letztere arbeiten dem Entropieanstieg entgegen, indem sie in Nahrungsketten Energiespeicher der vorgelagerten Ebene nutzen und selbst verwerten. Am Beginn jeder Nahrungskette steht deshalb die Photosynthese von Algen, Gras, Getreide o.ä. In diesem Sinne lebt auch der rein fleischfressende Gepard indirekt von der Sonnenenergie, haben doch seine Beutetiere das Gras der Steppe oder Savanne genutzt. Dem Gefalle der Energienutzung entspricht dann auch der Befund, daß Fleischfresser in geringerer Zahl vorkommen (müssen) als ihre Beutetiere: Es muß mehr Antilopen geben als Geparden oder Löwen. Für das menschliche Leben und die Produktionsprozesse ist deshalb eine ausreichende Energieverfügbarkeit von größter Bedeutung. Insbesondere die industrielle Produktionsweise ist auf Energiequellen angewiesen. Auf Aluminiumbleche, Weihnachtsbäume oder Erdbeermarmelade kann die Menschheit zur Not verzichten: Energieressourcen sind hingegen absolut notwendig für die Aufrechterhaltung jeglicher Produktion und des Lebens schlechthin.
2
Grundlagen
1.1. Natürlicher und anthropogener Energieumsatz Menschliche Energienutzungen sind nur ein geringer Bruchteil der natürlichen Energieumsätze, die ständig im Bereich der Erde, ihrer Atmosphäre und auf der Erdoberfläche registriert werden können. Die Größenordnungen verdeutlicht die Abbildung 1.1.
erreichen, wird rund ein Drittel bereits vor dem Auftreffen auf die erdnahen Schichten der Atmosphäre reflektiert (Albedo).1 Rund zwei Drittel wandeln sich in Wärme um, indem sie Luft, Wasser oder Landmassen erwärmen. Unter den derzeitigen Bedingungen der Atmosphäre wird mit geringer Verzögerung diese Wärme wieder in das (beliebig) kalte Weltall zurückgestrahlt. Eine Größenordnung von 300 - 400 Mill. MW ( = 0,2 % der Sonneneinstrahlung) wird in Wind- und Wellenbewegungsenergie umgewandelt, 70 - 80 Mill.
Die Maßeinheit für die „Leistung" ist WATT. Zu den Energiemaßeinheiten vgl. Abschnitt 1.2.
Einführung: Das Energieproblem
3
M W durch Photosynthese in Pflanzen verschiedenster Art in Form von chemischer Energie als Stärke oder Holz o.a. gespeichert ( = 0,04 %). Der derzeitige zivilisatorische Energieumsatz der gesamten Menschheit beläuft sich auf rund 8 Mrd t ROE, was bei Gleichverteilung auf die 8760 Jahresstunden einer durchschnittlich beanspruchten Leistung von 11 Mill. MW, d.h. etwa 0,006 % der ständigen Sonnenenergieeinstrahlung entspricht. Der biologische Energiebedarf für die Menschen beträgt bei der derzeitigen Erdbevölkerung rund 0,6 - 0,7 Mill. M W , die durch Nahrungsmittel, d.h. letztlich aus Photosynthese gedeckt werden müssen. Daß die Landwirtschaft durch ihre direkte und indirekte Nahrungsmittelproduktion erheblich mehr als diese 0,6 M W bereitstellen muß, liegt an den unter energetischen Aspekten unbefriedigenden Wirkungsgraden der Erzeugung von großen Mengen tierischen Eiweißes für Fleischkonsum und ähnlicher „Verschwendung", wobei dieser Terminus lediglich nach thermodynamischen Aspekten greift. Die Erdoberfläche (samt den Bereichen 25 km oberhalb und 10 km unterhalb) ist somit unter Energieaspekten kein geschlossenes System, sondern weist eine Energiezufuhr von Sonne und in geringerem Ausmaß Erdwärme und umgewandelter Gravitationsenergie auf. Diese Energiezufuhr würde die Erde immer wärmer werden lassen, wenn sie sich nicht in einer Balance mit Wärmeabstrahlung ins kalte Weltall befände. Die anthropogene Energiezufuhr aus Verbrennungsprozessen, Kernspaltung u.a. erzeugt in den heutigen Größenordnungen keine globalen Wärmebalanceprobleme, sondern in ungünstigen Fällen eher lokale und regionale „Hitzeinseln", die in entsprechenden Wetterkonstellationen schlimmstenfalls Unwetter oder andere regionale Ereignisse wie Hagelschauer oder extreme Wärmetage beeinflussen können. Das Leben auf der Erdoberfläche wäre ohne eine gewisse Wärmeausgleichsfunktion im Tag-Nacht-Rhythmus nicht möglich. Da das Weltall extrem kalt ist, wären ohne eine abschirmende Atmosphäre die Nächte sehr kalt und auch im „Sommer" mit Frost verbunden, was der Vegetation schaden würde. Bei ungehinderter Sonneneinstrahlung wären umgekehrt die Tage sehr heiß. Zudem würden für das Leben gefährliche Bestandteile der Sonnenstrahlen ungefiltert und ungebremst zu Verbrennungen und Zellschäden führen. Die mit wenigen Kilometern Höhe sehr dünne Atmosphäre sowie die darüber liegenden Schichten geben somit eine für das Leben wünschenswerte Treibhaus-Konstellation. Seit einigen Jahren wird darüber diskutiert, inwieweit bestimmte Kuppelprodukte der Energieerzeugung dieses Gleichgewicht beeinträchtigen können. Auf diesen globalen Aspekt der Energieerzeugung wird in späteren Kapiteln separat eingegangen.
1.2. Energie aus natur- und ingenieurwissenschaftlicher Sicht 1.2.1. Technische Dimension Der Physiker bezeichnet Energie als Fähigkeit, (physikalisch) Arbeit zu leisten. Dies kann sich auf den atomaren oder molekularen Bereich beziehen (chemische Umwandlungen, Schmelzen o.a.), auf mechanische Arbeit wie das Heben einer Masse in den 3. Stock eines Gebäudes oder den Transport von Massen in endlicher Zeit von einem Ort zum anderen oder ganz einfach auf das Verändern von
4
Grundlagen
Temperaturen wie das Bereitstellen von warmem Wasser im Haushalt oder Prozeßwärme in der Industrie. Während es früher eine Vielzahl von Maßeinheiten für Energie gab, die zudem im amerikanischen und angelsächsischen Raum wieder anders aussahen als im kontinentaleuropäischen und bei Ingenieuren anders üblich waren als bei Physikern oder Energiewirtschaftlern, hat sich seit einigen Jahren die internationale Konvention mit der Maßeinheit Joule (J) durchgesetzt. Das Problem dieser Maßeinheit für den Energiewirtschaftler ist ihre für praktische Anwendungen ungünstige „Kleinheit": 1 J = 1 Watt-Sekunde = Arbeit, um einen Körper mit Masse 102 g um einen Meter (friktionslos) anzuheben (für Experten: Differenz der Höhenenergie bei Standardgravitationskraft). Da eine Stunde 3600 Sekunden hat, entspricht 1 kWh = 3600 J = 3,6 kJ. Wenn man bedenkt, daß ein normal elektrifizierter Haushalt in Deutschland rund 4000 kWh Stromverbrauch im Jahr aufweist, kommt man beim Rechnen mit J für Branchen oder die gesamte Volkswirtschaft sehr schnell in Milliarden J oder noch größere Zahlen, was die Einführung von Mega-, Giga-, u.ä. Skalen nahelegt. Es gelten die folgenden Skalen: Tabelle 1.1 : Abkürzungen für 10-er Potenzen = 10' 2
Kilo = Κ = Tausend
= 103
Tera = Τ = Billion
Mega = Μ = Million
= 106
Peta = Ρ = Billiarde = 10"
Giga = G = Milliarde = 109
Exa = Ε = Trillion = 1018
Die verschiedenen Formen der Energie können über die Wärmeäquivalente ineinander umgerechnet werden. Dies beruht auf dem Energiegesetz, daß sich jede Form von Energie in Wärme umwandeln läßt. Um den Energiegehalt eines Brennstoffs zu ermitteln, gibt es zwei verschiedene Konventionen. Beim sogenannten Brennwert (H0) wird die Verdampfungswärme von Wasserdampf, der beim Verbrennen mit entsteht, zum „reinen" Heizwert (Hu) hinzugerechnet. Da in den Statistiken H„ ausgewiesen wird, kann beispielsweise ein sogenannter Brennwertkessel einen rechnerischen „Wirkungsgrad" von über 100 % erzielen, was thermodynamisch unmöglich ist, hier aber aus der statistischen Konvention folgt. Bei mechanischen Energieträgern wie Wasser- oder Windenergie rechnet man bis 1995 als fiktiven Primärenergiegehalt diejenige Wärmemenge aus, die die entsprechende Strommenge in einem Wärmekraftwerk mit einer Dampfturbine benötigt hätte. Ebenso verfuhr man bei der Stromerzeugung in Kernkraftwerken. Daraus ergibt sich beispielsweise die Umrechnungstabelle für die gebräuchlichen Energieträger.
Einführung: Das Energieproblem
5
Tabelle 1.2 : Umrechnungsfaktoren f ü r E n e r g i e t r ä g e r 2 kJ 1 Kilojoule (kJ) 1 Kilocalorie (kcal) 1 Kilowattstunde (kWh)
_
kcal
kWh
kg SKE
kg RÖE
m 2 Erdgas
0,2388
0,000278
0,000034
0,000024
0,000032
0,001163
0,000143
0,0001
0,00013
0,123
0,086
0,113
4,1868 3.600
860
1 Steinkohleeinheit (SKE)
29.308
7.000
8,14
-
0,7
0,923
1 Rohöleinheit (RÖE)
41.868
10.000
11,63
1,428
.
1,319
31.736
7.580
8,816
1,083
0,758
-
1
1 m Erdgas
International gebräuchliche Energieeinheiten: 1 barrel (b) Öl = 159 1 Öl; 7,3 b = 1 t Öl Durchschnittswert 1 Mill, b/d (barrel pro Tag) = 50 Mill, t/a (Tonnen pro Jahr) Die statistische E r f a s s u n g des elektrischen S t r o m s ist dabei an zwei Stellen möglich: Für Strom als Endenergieträger kann man ermitteln, wieviel W ä r m e bei U m w a n d l u n g aus 1 k W h Strom zu gewinnen ist. Da bei Strom eine fast verlustfreie U m w a n d l u n g in W ä r m e technisch möglich ist, ist natürlich 1 k W h Strom mit 3600 kJ zu bewerten. In der Stromerzeugung kann man fragen, wieviel Energieträger (Kohle, Gas, ...) eingesetzt werden müssen, um 1 k W h zu erzeugen. Da der Wirkungsgrad eines W ä r m e k r a f t w e r k s mit einer D a m p f t u r b i n e derzeit bei 33 4 2 % liegt, ist dementsprechend Strom in dieser Betrachtung energetisch etwa um den Faktor 2,5 höher auszuweisen. Diese Kennzahl hängt aber offensichtlich von der technischen Effizienz des jeweiligen Kraftwerksparks einer Volkswirtschaft ab. Seit 1995 wird Kernenergiestrom mit d e m tatsächlichen Wirkungsgrad von 33 % zurück gerechnet, was seinen Beitrag zur „Primärenergie" statistisch erhöht). Wasserkraft- und Windenergiestrom werden mit 100 % als Primärenergie eingesetzt, was ihren Beitrag in der Primärenergiebilanz gegenüber der früheren Konvention entsprechend niedriger ausweist. Der erste H a u p t s a t z der T h e r m o d y n a m i k besagt nun, daß in einem geschlossenen System die Energiemenge nicht verändert werden kann, sondern lediglich zwischen verschiedenen Erscheinungsformen umgewandelt wird. D e m n a c h kann es eigentlich aus physikalischer Sicht keinen Energieverbrauch geben, sondern nur -Umwandlungen. Dies zeigt sich beispielsweise daran, daß das Wasser unterhalb der Niagara-Wasserfälle etwas wärmer ist als oberhalb: Die potentielle Energie der H ö h e hat sich (durch das Reiben und Aufeinanderschlagen der Wassermoleküle) in W ä r m e umgewandelt. Der zweite Hauptsatz der T h e r m o d y n a m i k besagt, daß tendenziell alle Energieformen in einem geschlossenen System (potentielle, kinetische Energie, Hochtemperaturwärme, ...) in „minderwertige", d.h. gleichförmig verteilte W ä r m e (etwa auf U m g e b u n g s t e m p e r a t u r ) umgewandelt werden. Sie verlieren somit ihre Fähigkeit, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten. In diesem Sinne und weil die Erde derartige „minderwertige" W ä r m e letztlich ständig ins Weltall abstrahlt, gibt
2
Die Zahlenangaben beziehen sich grundsätzlich auf den Heizwert (^„unterer Heizwert").
6
Grundlagen
es aus ökonomisch-technischer Sicht doch etwas wie Energieverbrauch: Verbraucht wird die qualitativ hochwertige Form von Energieträgern, die für Produktions- und Konsumprozesse benötigt wird. Da derzeit der größte Teil der Weltenergieversorgung auf V e r b r e n n u n g s p r o z e s s e n beruht, 3 bei denen zwei chemische Reaktionen dominieren, nämlich die (schnelle) Kohlenstoffoxidation und die (schnelle) Wasserstoffoxidation, sollen die Reaktionen (in gerundeten Zahlen) genauer betrachtet werden: 1 kg C
+ 2,7 kg 0 2
1 kg H , + 8,0 kg 0 2 - >
3,7 kg C 0 2 + 32,8 MJ 9,0 kg H 2 Q + 142,0 MJ
Wenn die unvermeidlichen Kuppelprodukte der Verbrennung Kohlendioxid bzw. Wasser beide harmlos wären, könnte man die Umweltaspekte der Verbrennungsprozesse vernachlässigen. Leider haben die Erkenntnisse der Klimaforschung über die letzten 20 Jahre sukzessive enthüllt, daß eine weitere Anreicherung der Erdatmosphäre mit C 0 2 langfristig das Weltklima negativ verändern kann. Auf diesen sogenannten Treibhauseffekt wird in den Kapiteln 4 und 15 gesondert eingegangen. Unter diesem Aspekt wären für Verbrennungsprozesse Energieträger auf der Basis Wasserstoff offensichtlich vorzuziehen, zumindest solche, die aus einer Mischung von Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen (Erdgas, Mineralöl). Noch besser wären Energieträger, die nicht auf Verbrennungsprozessen von Kohlenstoff basieren. Für zahlreiche heute wichtige Anwendungen stehen diese aber (noch) nicht in technisch-wirtschaftlich ausgereifter Form zur Verfügung, zumal die kohlenstoffhaltigen Energieträger mit niedrigen Förderkosten derzeit noch reichlich verfügbar sind. Andere Kuppelprodukte, die aus Umwandlungsprozessen chemisch verunreinigter Brennstoffe entstehen (z.B. schwefelhaltige Kohle oder Mineralöl) oder die in Reaktionen mit den anderen Bestandteilen der Luft (z.B. Umwandlung von Luftstickstoff in Stickoxide NO x ) erzeugt werden, können zumindest grundsätzlich durch geeignete Reinigungstechniken entweder im Verbrennungsprozeß selbst oder nachträglich im Abgas durch Filter oder Katalysatoren wieder eliminiert werden. Die Kohlenstoff- und Kohlenwasserstoffverbindungen der Lagerstätten, die von der Menschheit seit etwa knapp 300 Jahren für ihre kommerzielle Energieversorgung genutzt werden, sind zum größten Teil auf Lebensvorgänge früherer Jahrmillionen zurückzuführen: tierische und pflanzliche Überreste gespeicherter Sonnenenergie wurden unter günstigen Bedingungen vor dem Verrotten bewahrt und stehen deshalb heute zum Verbrennen zur Verfügung. Der Mensch als Lebewesen nimmt natürlich mit der Nahrung täglich in Pflanzen und Fleisch gespeicherte Sonnenenergie auf: Die Landwirtschaft, Jagd und Fischerei sind also unter energetischen Aspekten nichts weiter als Wirtschaftssektoren
3
Größenordnung 1994: Mineralöl 40 %, Erdgas 23 %, Kohle 27 %, Atomenergie 7 %, Wasserkraft 2,5 %. Quelle: BP Statistical Review of World Energy, London, June 1995, S. 34.
Einführung: Das Energieproblem
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zur Ernte und Umwandlung schmackhafter Formen von Sonnenenergie. Der tägliche biologische Nahrungs- d.h. Energiebedarf richtet sich im wesentlichen danach, welcher Energieverbrauch des Körpers unterstützt werden muß: Ein Hochleistungssportler oder Schwerarbeiter benötigt leicht über 4000 kcal pro Tag, ein Büromensch kommt gut mit 1500 - 2000 kcal aus, andernfalls speichert der Körper die überschüssige Energiezufuhr in Form von Fettzellen. Die technische Bereitstellung von Energie verlangt danach, einen Zustand (potentiell) hochwertiger Energie in einen Prozeß einzusetzen, einen möglichst großen Teil dieser Energie für gewünschte Zwecke zu nutzen und schließlich in einen Zustand minderwertiger Energie (Wärme auf oder nur geringfügig über Umgebungstemperatur) umzuwandeln. Der Autofahrer wandelt den Energiegehalt seines Benzintanks durch einen kontrollierten Explosionsprozeß im Motor in Bewegungsenergie um, wobei der Wirkungsgrad (Verhältnis von effektiv für den Transport genutzter Energie zu eingesetzter Energie) hier sehr niedrig ist. Am Ende ist neben der Fortbewegung die Energie in Wärme (Rollreibung der Reifen, Abwärme des Motors, die im Winter für Heizzwecke des Fahrzeugs teils mitgenutzt wird) umgewandelt worden.
1.2.2. Ökonomische Dimension Ob ein in der Natur vorhandener Stoff als Energieträger interessant ist, hängt also davon ab, ob die derzeitig beherrschbare und bekannte Technik einen nutzbaren energetischen Einsatz erlaubt: •
Ab 1709 waren Steinkohlevorräte als Energieträger für die Eisenverhüttung einsetzbar, nachdem A. Darby in Wales den ersten Hochofen mit dieser Technik gebaut hatte. Diese Technik löste die bis dahin dominierende Holzkohletechnik mit ihren negativen Auswirkungen auf die Wälder ab.
•
Die Erfindung des Otto- und des Dieselmotors schuf einen großen Einsatzbereich für das Mineralöl, das erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Leuchtmittel seinen Aufstieg als Energieträger begonnen hatte.
•
Erst die kontrollierte Kernspaltung in einem Atomreaktor, wie sie nach 1950 entwickelt wurde, machte das spaltbare Uran U235 zu einem energetisch nutzbaren Energieträger.
•
Der derzeitige Status der Kernfusionsforschung zeigt, daß ein im Labor für sehr kurze Zeit darstellbarer Prozeß noch lange nicht zu einem nutzbaren Energiesystem führen muß. Als großtechnisch nutzbare Energiesysteme stehen derzeit zur Verfügung:
•
Sonnenenergie mit ihren abgeleiteten Nutzungsformen Licht, Wind, Wasser, Biomassennutzung u.a.,
•
fossile Brennstoffe (Kohle, Mineralöl, Erdgas,...),
•
Kernspaltungsprozesse in Reaktoren auf Basis von Uran, Plutonium oder Thorium.
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Grundlagen
Jede dieser drei Möglichkeiten wird im folgenden näher betrachtet, da sie eigene Marktformen und Nutzungssysteme hervor bringen. Hier sollen lediglich in einer ersten Übersicht die Vor- und Nachteile der jeweiligen Systeme benannt werden. a ) Sonnenenergie Die Vorteile der Sonnenenergie: •
Eine thermische Umweltbelastung existiert nur im lokalen Maßstab.
•
Es besteht kein erhebliches Katastrophenrisiko.
•
Für die meisten Zwecke, insbesondere für Heizung und Warmwasserbereitung, ist Sonnenenergie sehr umweltfreundlich.
•
Sie ist als „Small scale technology" auch für die Dritte Welt interessant - zumal diese auch in für die Sonnenenergienutzung günstigen Klimazonen liegt. Die Nachteile der Sonnenenergie:
•
An einer Erntestelle auf der Erde steht sie in der direkten Nutzung nachts nicht zur Verfügung, d.h. es sind Speichertechnologien notwendig.
•
Sie ist geographisch und über die Jahreszeiten nicht gleichmäßig verteilt.
•
Wegen der geringen Energiedichte beansprucht sie große Landschaftsflächen und eventuell erhebliche Mengen an Material.
•
Die Produktpalette umfaßt bisher nur die Sekundärenergieformen W ä r m e und Strom.
b) Fossile Brennstoffe Die Vorteile der fossilen Brennstoffe: •
Sie sind sehr kostengünstig zu fördern.
•
Sie bieten eine relativ hohe Energiedichte pro Gewichts- oder Volumeneinheit, was für die Nutzung der Energie technische und wirtschaftliche Vorteile bringt. Ein Pkw mit einem spezifischen Verbrauch von 71/ 100 km kann ζ. B . mit einer Tankfüllung von 351 5 0 0 km fahren. Wäre die Energiedichte des Kraftstoffes niedriger, würde die Nutzlast des Fahrzeugs sinken oder die Tankintervalle würden kleiner. Beides würde die Nutzungskosten erhöhen.
•
In den meisten Verwendungsarten haben sie ein geringes Katastrophenrisiko.
•
Aus Mineralöl, Erdgas und Kohle lassen sich leicht Sekundärenergieträger herstellen, die ein sehr bequemes „handling" erlauben. Transport- und Lagerfähigkeit sind dann praktisch immer gegeben. Die Nachteile der fossilen Brennstoffe:
•
Da die Energie nur durch Verbrennungsprozesse frei wird, entsteht bei jeder Nutzung fossiler Brennstoffe C 0 2 .
•
Bei fehlenden Filteranlagen und/oder durch unsaubere Verbrennung sowie durch Verbrennungszusätze ist des weiteren eine Umweltbelastung durch S 0 2 , Stickoxide und Verbrennungsrückstände (Ruß) gegeben.
Einführung: Das Energieproblem •
9
Kostengünstige fossile Brennstoffe sind nur begrenzt verfügbar,
c) Kernspaltung Zur Kernspaltung benötigt man spaltbares Material, das in Kombination mit geeigneten anderen Materialien (Moderator, Kühlmittel, ...) eine kontrollierte und nutzbare Kettenreaktion erlaubt, wie z.B. das Uranisotop U235, Thorium oder Plutonium. Letzteres kommt in der Natur praktisch nicht vor, sondern entsteht erst in Kernreaktoren. In sogenannten Brütern soll es gezielt aus ansonsten „wertlosem" U238 erzeugt werden Die dominierenden Kernkraftwerke der heutigen Bauart sind die sogenannten Leichtwasserreaktoren, die angereichertes Uran mit einem erhöhten Anteil von U235 einsetzen. Das gesamte Energieerzeugungssystem besteht aus Aufbereitung, Anreicherung und Brennelementherstellung, Reaktorbetrieb und Entsorgung. Hier kommt eventuell das Wiederaufarbeiten abgebrannter Brennelemente als Zwischenstufe hinzu. Zusammenfassend seien die Vorteile der Kernenergie herausgestellt: •
Es entsteht keine unmittelbare Umweltbelastung durch C 0 2 bzw. SO2
•
Falls der Brutreaktor realisiert werden könnte, stünden der Menschheit für mindestens über tausend Jahre Energiequellen zur Verfügung.
•
Kernenergie führt zu einer Entlastung der Beanspruchung fossiler Brennstoffe.
•
Strom aus Kernenergie ist etwa konkurrenzfähig mit Kohlestrom zu erzeugen. Die Nachteile der Kernenergie:
•
Aufgrund ihres geringen thermischen Wirkungsgrads und ihrer Standortgebundenheit an Flüssen, wo das bei den heutigen Kühltechnologien notwendige Kühlwasser vorhanden ist, verursachen Kernkraftwerke regional konzentrierte Umweltbelastung durch Abwärme, die nur zu geringen Mengen für Heizzwecke genutzt werden kann.
•
Selbst wenn die Wahrscheinlichkeiten für katastrophale Unfälle statistisch für das einzelne Kraftwerk extrem klein sind, so weist eine Energieversorgung, die auf mehrere hundert oder Tausende von Kernkraftwerken baut, ein relativ hohes Betriebsrisiko auf. Die Folgen eines Unfalls oder im Kriegsfalle wären in dichtbesiedelten Gebieten sehr weitgehend.
•
Die Produktpalette umfaßt nur Wärme und Strom.
•
Technisches Know-how und materielle Abfallprodukte der Kernenergie lassen sich mit geringem Zusatzaufwand bzw. bei beabsichtigter schlechterer Stromerzeugung auch für militärische Zwecke nutzen
•
Radioaktive Umweltbelastung entsteht an mehreren Stellen des Systems, die beim einzelnen Kraftwerk gegenüber der natürlichen Radioaktivität nicht nennenswert ins Gewicht fällt, die jedoch in der Summe bei einer großtechnischen Energieversorgung nicht abschätzbar ist.
10
Grundlagen
•
Die endgültige gefahrlose Beseitigung der radioaktiven Abfälle über viele Jahrtausende stellt hohe Anforderungen an die Entsorgungsseite.
•
Die gesellschaftlichen Konsequenzen einer großtechnischen Energieversorgung durch Kernenergie können wegen der notwendigen Absicherung gegen militärischen Mißbrauch der Technik in Konflikt mit unserer im Grundgesetz verankerten Auffassung einer demokratischen Gesellschaft kommen.
1.3. Energie aus historischer Sicht 1.3.1. Allgemeine Entwicklung Seitdem die Menschen anfingen, kontrolliert das Feuer für Heizzwecke, zum Kochen und Braten und zur Verteidigung gegen angreifende Feinde einzusetzen, griffen sie auf Energieträger aus der Natur zurück. Die thermischen Energieanwendungen (Heizen, Kochen, Schmelzen von Erzen und Metallen) basierten zum größten Teil auf Holz und Holzkohle, mechanische Energie wurde anfangs ausschließlich durch tierische Zugkraft, dann aber auch zunehmend durch Wasserkraft oder Windenergie bereitgestellt. Weit bis in die Neuzeit lieferten vielfältige Formen der sogenannten regenerierbaren Energieressourcen (Biomasse als Futter für Tiere, Wind- und Wasserkraft für Mühlen und Pumpen, Tierdung als Brennstoff, Holz als Brennstoff) den Löwenanteil der Energieversorgung. Diese sogenannte nicht-kommerzielle Energie wurde und wird auch heute noch nur sehr begrenzt auf Märkten gehandelt; sie dient meistens der Eigenversorgung. In einigen Ländern der sogenannten Dritten Welt liefern diese nicht-kommerziellen Energieträger nach wie vor wichtige Beiträge zur Energieversorgung vor allem auf dem Lande. Dementsprechend sind die Energiestatistiken dieser Länder schwer zu interpretieren und mit denen der Industrieländer zu vergleichen. Die Energieversorgung der frühen Neuzeit auf der Basis der Holzkohle für industrielle Schmelzprozesse wurde zum Engpaßfaktor für technisch an sich mögliche Skalen Vergrößerungen: Die Hochöfen konnten nur in geringer Größe ( 3 - 4 m hoch und einfach ausgeführt) gebaut werden, da die jeweils umliegenden Wälder nur begrenzte Energielieferanten waren. Nach deren Abholzen mußten die Hochöfen aufgegeben und an anderer Stelle neu errichtet werden. Als Abraham Darby im Jahr 1709 in Wales zum ersten Mal einen größeren Hochofen mit Steinkohle beschickte und dieses Verfahren funktionierte, begann die industrielle Entwicklung in großem Stil: Der relative hohe Energiegehalt der Steinkohle, ihre anfangs einfache Förderung an den Taleinschnitten in Wales und größere Hochöfen ließen im 18. Jahrhundert eine Ausdehnung der Eisenproduktion zu, die vorher undenkbar erschien. Erst 1774 lieferten Experimente von Lavoisier in Paris die grundlegenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über Verbrennungsvorgänge. Als Brennstoff für Anwendungen im Haushalt dominierte lange Zeit Holz. Als Energielieferant für den Antrieb stationärer Kraftanwendungen diente bis zur Erfindung und technischen Ausreifung der Dampfmaschine in der ersten Hälfte des
Einführung: Das Energieproblem
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18. Jahrhunderts praktisch ausschließlich Wind- und Wasserkraft. 4 Es gab aber auch den Einsatz einer großen Zahl von Tieren beispielsweise für Pumpzwecke in Bergwerken u.a.. Kohlebefeuerte Dampfmaschinen wurden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend in Schiffen und Lokomotiven eingesetzt. Mobile Kraftanwendungen wurden nach wie vor auch durch tierische Zugkraft für Feldarbeiten oder Pferdekutschen erbracht. Erstaunlicherweise trugen diese Komponenten auf der Basis regenerierbarer Energieträger beispielsweise für das aufstrebende Industrieland USA noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über 50 % zur anthropogenen Energieversorgung bei. Nachdem die Steinkohle die Basis für die industrielle Entwicklung im 19. Jahrhundert gelegt hatte, 5 begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Siegeszug des neuen Energieträgers Mineralöl, der aufgrund seiner Handling-Vorteile und guten Energiedichte praktisch universell einsetzbar ist. Vor allem mit der Erfindung des Automobils wurde dem Mineralöl, das bis dahin vor allem als Petroleumersatz für Beleuchtungszwecke eingesetzt war, ein neuer riesiger Markt erschlossen. Später eroberte es auch als Heizöl Einsatzbereiche in der Wärmeerzeugung und in Kraftwerken. Während das Erdgas in den USA bereits nach dem 1. Weltkrieg erfolgreich eingesetzt wurde, kam es in Europa erst nach dem 2. Weltkrieg in großem Stil zum Zuge und verdrängte erfolgreich das bis dahin aus Kohle gewonnene (giftige) Stadtgas. Seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann zunächst in den Industrieländern die kommerzielle Nutzung der Atomenergie in verschiedenen Bauarten von Kernspaltungsreaktoren, von denen sich derzeit in den westlichen Staaten zwei Baulinien von sogenannten Leichtwasserreaktoren durchgesetzt haben. Andere Baulinien wie Gas-Graphit-Reaktoren (Großbritannien) oder Schwerwasserreaktoren (Kanada, Deutschland) oder verschiedene andere Typen aus der früheren Sowjetunion werden inzwischen nicht mehr weiter gebaut, sind aber noch teils in Betrieb.
1.3.2. Entwicklung in Deutschland Die deutsche Wirtschaftsgeschichte zeigt einen relativ späten Beginn der Industrialisierung. Das später so positiv bewertete Herkunftssiegel „Made in Germany" wurde j a ursprünglich auf Druck von Großbritannien als Schutz gegen die damals qualitativ unterlegene deutsche Konkurrenz eingeführt. Die Energiebasis der deutschen Wirtschaft war bis in die Jahre nach dem 2. Weltkrieg die deutsche Steinkohle - der Bergmann gehörte zu den bestbezahlten und angesehensten Beru-
4
Die erste Dampfmaschine für Produktionszwecke in Deutschland wurde 1785 in einem preußischen Bergwerk für die sogenannte Wasserhaltung, d.h. für Pumpzwecke, in Betrieb genommen. Die damalige Weltmacht Großbritannien förderte kurz vor dem 1. Weltkrieg jährlich über 200 Millionen Tonnen Steinkohle, um die Industrie, Dampfmaschinen der Kriegsflotte und Hausbrand mit Energie zu versorgen. Zum Vergleich: Deutschland fördert zur Zeit knapp unter 60 Millionen Tonnen. Steinkohle trug um 1900 etwa 90 % zur kommerziellen Energieversorgung der Welt mit insgesamt rund 760 Mill t SKE bei.
12
Grundlagen
fen der Arbeiterschaft. Einen großen Schub erfuhr die Industrialisierung in den Jahren nach der Bismarck'schen Reichsgründung 1871: Unter Kaiser Wilhelm II überholte die Wertschöpfung von Industrie und Handwerk die der Landwirtschaft, vervierfachte sich die Länge des Eisenbahnnetzes, die Roheisengewinnung stieg von 6,3 Millionen Tonnen im Jahr 1896 auf 17,9 Millionen Tonnen im Jahr 1912. Im gleichen Zeitabschnitt verdoppelte sich die Steinkohleförderung von 86 Millionen Tonnen auf 177, die Braunkohleförderung verdreifachte sich auf 82 Millionen Tonnen. Unternehmerpersönlichkeiten wie Abbe (Optik), Krupp (Eisen und Stahl), Siemens (Elektrotechnik), Rathenau (Elektrotechnik) etc. legten die Grundsteine für teils auch heute noch existierende Unternehmen mit großer Dynamik. Beleuchtung wurde durch Gaslampen erreicht, stationäre Kraft durch Dampfmaschinen. Primärbasis der Energieträger war Steinkohle, aus der in Kokereien das (giftige) Stadtgas für Beleuchtungs- und Kochzwecke gewonnen wurde, die auch direkt den Brennstoff für Dampfmaschinen und Industriefeuerungen lieferte. Die Erzeugung von Wärme für die Haushalte wurde entweder durch Holz (in Küchenherden oder Einzelöfen) oder Briketts oder Koks gesichert. Die gerade beginnende Motorisierung erreichte bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges in Deutschland nur bescheidene Dimensionen, so daß die Benzinversorgung nicht zum Problem wurde. Nachdem 1882 die erste elektrisch beleuchtete große Elektritzitäts-Ausstellung in München den Durchbruch der Glühlampen anzeigte, teilten sich Siemens und Rathenau (später: AEG) den kommenden großen Strommarkt in klassischer Duopol-Manier mit einer ΚΛ artell-Vereinbarung auf. Der Beginn der Elektrifizierung basierte zunächst auf zahlreichen Kleinstdampfmaschinen (Blockstationen mit Kolbentechnik) mit jeweils einem Generator zur Stromerzeugung und einem kleinen Netz für einige Häuserblocks in Berlin, wo zunächst Strom nur für Beleuchtungszwecke diente. Mit dem Übergang auf Elektromotoren und dem Bau der ersten elektrischen Straßenbahnen noch vor der Jahrhundertwende begann der Aufstieg einer großtechnischen Elektrizitätsversorgung. Technische Entwicklungssprünge wie die Einführung des Wechsel- und des Drehstroms mit der Möglichkeit, Strom bei hohen Spannungen fast verlustfrei über weite Entfernungen zu transportieren (1891 mit 16 kV-Leitung demonstriert), Übergang auf Dampfturbinen, härterer Wettbewerb im Kraftwerksbau und Realisierung von steigenden Skalenerträgen bei Kraftwerken und Netzen ließen die Stromerzeugung rasch anwachsen. 1898 wurde in Essen das RWE gegründet, das Strom auf der Basis von Dampf aus Kohle erzeugte und damit in Wettbewerb zu Dampfmaschinen der Industrie trat. Als das RWE in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Erzeugung des „schwarzen Stroms" (auf Kohlebasis) des Ruhrgebiets mit der des „weißen Stroms" (auf Wasserkraftbasis) aus den Laufwasserkraftwerken des Voralpengebietes kombinierte, waren Weichen für die Entstehung der sogenannten „Verbundunternehmen" (von denen es heute weniger als zehn in Deutschland gibt) gestellt worden. Kohle verlor immer mehr ihren direkten Absatz an die Endverbraucher: Stattdessen wurde sie umgewandelt und als Elektrizität oder Stadtgas an die Endabnehmer geliefert. Das Mineralöl begann in den zwanziger Jahren als Treibstoff
Einführung: Das Energieproblem
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für den wachsenden Individualverkehr bedeutend zu werden. Da Deutschland anders als im Falle von Braun- und Steinkohle nicht über wesentliche eigene Ölvorkommen verfügte, war das Deutsche Reich früh auf Mineralölimporte angewiesen. In der Zeit von 1933 bis 1945 versuchte das Deutsche Reich aus militärpolitischen Gründen, weitestgehend autark zu sein. Mit Herstellung von Treibstoff aus Kohle - was durch Hydrierverfahren technisch möglich ist und zuletzt bis in die neunziger Jahre hinein in der Zeit der Apartheid in Südafrika praktiziert wurde, um dem Ölboykott zu entgehen - wurde ein Ersatz für Ölimporte gefunden. Aus technischen Gründen erreichte dieses Kohlebenzin allerdings nicht die gleiche Qualität wie Treibstoff aus Mineralöl: Die geringere Klopffestigkeit des deutschen Synthetik-Flugbenzins gab später den englischen Jadgflugzeugen einen wichtigen Vorteil. Diese Abhängigkeit von der Treibstoffversorgung für eine bewegliche Kriegsführung bestimmte dann im Zweiten Weltkrieg auch immer wieder strategische Überlegungen der Wehrmacht wie den Angriff auf die Ölfelder des Kaukasus - der dann in der Katastrophe von Stalingrad endete. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte in der westdeutschen Energieversorgung anfangs noch die einheimische Steinkohle mit Fördermengen in einer Größenordnung von 150 Mill, t jährlich, ebenso in der ostdeutschen die Braunkohle. Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland wurden die Energiemärkte liberalisiert, und das billige Mineralöl verdrängte sukzessive die Steinkohle, so daß es bereits gegen Ende der fünfziger Jahre immer wieder zu Feierschichten im Bergbau und zum Beginn des Zechensterbens im Ruhrgebiet und Saarbergbau kam. Mit dem Vordringen des Erdgases seit der Mitte der sechziger Jahre und dem Ausbau der Atomenergie in der Stromerzeugung in den siebziger Jahren fächerte sich die deutsche Energieversorgungsbasis weiter auf. Seit einigen Jahren gibt es energiepolitische Unterstützung für die Nutzung regenerierbarer Energieträger wie Sonnen- oder Windenergie, die allerdings erst sehr bescheidene Beiträge zur Energieversorgung leisten. Die Strukturveränderungen in den Beiträgen der einzelnen Energieträger zum (west-)deutschen Primärenergieverbrauch zeigt die folgende Tabelle 1.3. Hinter diesen Strukturverschiebungen auf der Energieangebotsseite steht natürlich auch eine ähnlich starke Veränderung auf der Energienachfrageseite. War lange Zeit die Industrie das größte Aggregat für die Energienachfrage, so haben sich mit der zunehmenden Elektrifizierung der Haushalte, den ständig gestiegenen Wohnflächen bei fast vollständiger Ausbreitung von Zentralheizungen und der Motorisierung fast der gesamten Bevölkerung die Gewichte inzwischen verschoben: Die Energienachfrage im Verkehr und der Privaten Haushalte ist heute mindestens ebenso bedeutend wie die des verarbeitenden Gewerbes.
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Grundlagen
Tabelle 1.3 :Beiträge der Energieträger zur Primärenergieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950 Mineralöl
Steinkohle
Braunkohle
Naturgas "
Kern- Wasser- Son- Gesamt energie kraft2» stige 3)
ABL
%
%
%
%
%
%
%
1950
4,7
72,8
15,2
0,1
0,0
4,6
2,7
Mt SKE 135,5
1960
21,0
60,7
13,8
0,4
0,0
3,1
1,0
211,5
1970
53,1
28,8
9,1
5,4
0,6
2,5
0,5
336,8
1980
47,6
19,8
10,0
16,5
3,7
1,9
0,5
390,2
1990
40,9
18,9
8,2
17,7
12,0
1,2
1,0
392,2
1995
41,0
16,5
7,7
19,6
11,9
2,1
1,2
410,9
62,8
8,5
4,0
0,6
0,1
121,7
8,5
2,0
0,7
0,2
112,6
1995 36,2 3,5 22,2 0,0 37,8 1) Erdgas, Erdölgas, Grubengas und Klärgas 2) Einschließlich Außenhandelssaldo Strom 3) U.a. Brennholz, Brenntorf, Klärschlamm, Müll
-0,3
0,6
72,4
NBL 1980
17,3
6,7
1990
16,0
4,2
68,5
Die Abhängigkeit von Energieimporten und die Einbindung in die Weltmärkte machte sich bei den drei Ölpreiskrisen 1973/74, 1979 und 1985/86 heftig bemerkbar. Bei den beiden erstgenannten Krisen stiegen die Öl- und damit auch mit Verzögerung die Erdgaspreise drastisch an und sorgten für eine Verschlechterung der deutschen Terms-of-trade. Nach dem Dezember 1985 kam es zu einem starken Preisverfall für Mineralöl, was sich 1986 quasi als positives Konjunkturprogramm für die deutsche Volkswirtschaft auswirkte. Auf die aktuellen Probleme der deutschen Energiewirtschaft und -politik wird im Kapitel 14 gesondert eingegangen.
1.4. Energie aus ökonomischer Sicht Was aus ökonomischer Sicht, d.h. des Nutzers Sicht, an „Energie" interessant ist, ist die mit einem Energieträger in Kombination mit einer bestimmten Energieumwandlungs- und -nutzungstechnik erzielbare „Energiedienstleistung" bzw. „Nutzenergie". Die am Markt verfügbare und vom Nutzer letztlich gewählte Technik hängt neben den überhaupt denkbaren Substitutionsmöglichkeiten entscheidend von den relativen Preisen für Energieträger einerseits und für kapitalintensive Umwandlungs- und Nutzungssysteme andererseits ab. Die Nachfrage nach Energiedienstleistungen richtet sich auf: •
Bereitstellung von Niedertemperaturwärme (Heizung, Warmwasser u.ä.)
•
Bereitstellung von Hochtemperaturwärme vor allem für industrielle Prozesse (Eisenverhüttung, Metallschmelzen, ...)
•
elektrische und chemische Energie für Elektrolysen u.ä.
Einführung: Das Energieproblem
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•
Beleuchtung und Kommunikationstechniken (Glühbirnen, Leuchtstofflampen, Computer,...)
•
Antrieb von Fahrzeugen (Binnenschiff, Automobil, Lokomotive,...)
•
Antrieb von stationären Motoren (Kühlschrank, Maschinen in Handwerk und Industrie, ...)
Die Nachfrage nach Energieträgern ist somit eine abgeleitete Größe aus der Nachfrage nach den verschiedenen Formen von „Nutzenergie" und den dafür verfügbaren Produktionstechniken und deren Kosten. Die Substitutionsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Energieträgern einerseits und zwischen Energie und Kapital andererseits sind beispielsweise für die Bereitstellung von Wärme für ein Haus vielseitiger als bei der Kommunikationstechnik oder Beleuchtung, wo elektrischer Strom praktisch nicht substituierbar ist und auch nur in Grenzen durch Kapital ersetzt werden kann. Falls sich Energiepreise kurzfristig stark ändern - wie es beispielsweise 1973/74, 1979 und 1985/86 der Fall war, können Energieverbraucher wegen der Zeit für erforderliche Umstrukturierungen kurzfristig weniger elastisch reagieren als mittel· bis langfristig: Eine vor fünf Jahren installierte Heizungsanlage wird nicht kurzfristig wegen um 30 % gestiegener Heizölpreise ersetzt. Vielmehr erfolgt der Wechsel auf eine energiesparendere Technik bei der nächsten anstehenden Renovierung oder beim Defekt der Heizung. Die kurzfristige Preiselastizität der Nachfrage nach Energieträgern wird demnach deutlich niedriger sein als die längerfristige. Das potentielle Angebot an Energieträgern wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflußt, die grundsätzlich einer ökonomischen Analyse zugänglich sind: •
Wie teilt ein Besitzer eines gegebenen Vorrats an Energieressourcen die Förderung auf der Zeitachse auf? Dieses Problem der intertemporalen Allokation müssen beispielsweise Ölstaaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait über einen sehr langen Zeithorizont lösen. Ist deren Aufteilung kompatibel mit einer „gesellschaftlich erwünschten" Allokation? Offensichtlich kommen hier Fragen der Abdiskontierungsrate, der Unsicherheit über Verfügbarkeit und Kosten von Substitutstechniken, der Prognosen von Nachfragebedingungen u.ä. simultan zum Tragen.
•
Mit welchem Aufwand an Produktionsfaktoren lassen sich Reservenvergrößerungen durch Exploration und Neuerschließung von Feldern ereichen? Wieviel Forschungs- und Entwicklungsaufwand ist in die Entwicklung heute noch unrentabler, langfristig aber wichtiger Energieträger wie etwa Photovoltaik zu stecken ?
•
Welche Kosten durch Energienutzung werden vom jeweiligen Energieanbieter bzw. -nutzer getragen, welche auf Dritte abgewälzt? Da ein großer Teil der Umweltprobleme moderner Industriegesellschaften im Zusammenhang mit Energienutzungen entstehen ( C 0 2 , Stickoxide, Kohlenwasserstoffe, ...), haben umweltpolitische Rahmenbedingungen hier große Bedeutung.
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Grundlagen
Aus der Sicht der modernen Ressourcenökonomik stellt Energie einen „essentiellen Produktionsfaktor" dar, der nicht anhaltend durch andere Produktionsfaktoren ersetzt werden kann. 6 Da die derzeitigen Vorräte an fossilen Energieträgern absehbar groß genug sind, um eine Energieversorgung mindestens über die kommenden 100 - 250 Jahre sicher zu stellen, ist deshalb nach der sehr langfristigen Substitution durch quasi-unerschöpfliche Energieträger zu fragen. Die damit aufgeworfenen Fragen nach einem „optimalen" Übergang auf eine sogenannte Backstop-Technik sind einerseits für Planungsüberlegungen bereits mathematisch nicht-trivial, andererseits sind die institutionellen Aspekte j e nach Bedingungen für einen Wechsel auf ein neues Energiesystem (Erschöpfung konventioneller Energieträger, Umweltrestriktionen,...) sehr komplex. Die Energiemärkte sind unter mehreren Aspekten nicht mit dem Idealbild eines Marktes gemäß der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie vergleichbar. •
Die zeitliche Reichweite der abschließbaren Verträge deckt i.d.R. nicht die Lebensdauer eines Ressourcenvorrats ab. Egoismus und Risikoeinstellungen von Energieanbietern, Lagerhaltung als kurz- bis mittelfristige Puffer gegen unerwünschte Marktschwankungen, Handel mit Futures an Gas- und Ölbörsen etc. sind hier spannende Themen.
•
Die Kapitalbindungen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite sind häufig sehr spezifisch und haben lange Planungs- und Lebensdauern, was zu prekären Bindungen zwischen an einen Ort gebundenen Anbietern (z.B. aus einem Erdgasfeld) und wenigen speziellen Nachfragern (die eine 1000 km lange Pipeline zu diesem einen Erdgasfeld gebaut haben) führt. Die für eine Lösung derartig kniffliger Anreizprobleme möglichen Vertragstypen sind ein wichtiges Arbeitsgebiet für Juristen und Ökonomen.
•
Eine funktionierende Energieversorgung leistet unverzichtbare Vorleistungen für die gesamte Volkswirtschaft und ermöglicht damit erhebliche Renten an ganz anderer Stelle. Versorgungssicherheit ist deshalb ein eigenständiges Gut. Die Gesellschaft will beispielsweise in der Stromversorgung nicht nur das Gut „elektrische Arbeit" (kWh) beziehen, sondern diese Leistung ständig an den benötigten Stellen in der dann jeweils benötigten Höhe zur Verfügung haben. 7
•
Bei leitungsgebundenen Energieträgern (Elektrizität, Erdgas, Fernwärme) besteht zumindest auf einem relevanten Teilbereich (lokale Feinverteilung auf kommunaler Ebene) ein sogenanntes „natürliches Monopol", was staatliche Regulierung auf den Plan ruft. Die genaue Grenzziehung ist beispielsweise in der Stromversorgung, wo der Kraftwerkspark wohl kaum die Bedingungen für ein natürliches Monopol erfüllt, und in der Gaswirtschaft, wo regional bei zahlreichen Großabnehmern auch Parallelnetze sinnvoll sein können, ständig
6
Vgl. Kapitel 3.3. In zahlreichen armen Entwicklungsländern ist die nicht gesicherte Stromversorgung eines der großen Hindernisse für eine Entwicklung von Industrie und Handwerk, aber auch Krankenhäuser und Touristenhotels leiden darunter.
Einführung: Das Energieproblem
17
politisch umstritten und auch durch technische Veränderungen und Marktentwicklung variabel. Die Energiepolitik schafft deswegen nicht nur einen bestimmten Ordnungsrahmen für die Akteure auf den Energiemärkten, in dem die wettbewerbsrelevanten „Spielregeln", die umweltpolitischen Vorgaben u.ä. vorgegeben werden, sondern sie ist bei der Regulierung der Branchen mit leitungsgebundenen Energieträgern durch Investitionsaufsicht, Preisaufsicht etc. direkt involviert. In vielen Ländern ist zudem die Energieversorgung als quasi-öffentliche Aufgabe organisiert und soll der Industriepolitik, regionaler Beschäftigungspolitik oder anderen übergeordneten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen zuarbeiten. Deshalb reicht auch das institutionelle Spektrum von eher marktwirtschaftlichen Modellen mit Börsen (Strommarkt in Großbritannien, Gasmärkte in USA) bis hin zu staatlichen Monopolunternehmen (EDF in Frankreich, Strom- und Gasunternehmen in südostasiatischen Schwellenländern). Wegen der hohen Bedeutung von Energie als wichtigem Produktionsfaktor legen viele Länder ohne ausreichende eigene Energiebasis Wert auf eine breite Streuung ihrer Energieimporte und/oder eine hinreichend starke eigene Energieversorgung. Dem Ziel Versorgungsssicherheit werden dann sogar vorübergehende wirtschaftliche Nachteile an anderer Stelle untergeordnet. Besonders deutlich wird dieser Aspekt bei Ländern, die sich wirtschaftlichem Boykott aus politischen Gründen gegenüber sahen: Während der südafrikanischen Apartheid-Politik setzte das Land zu einem großen Teil auf die Herstellung von Benzin aus der einheimischen Kohle, um von Mineralölimporten, die nur unter Umgehung des Embargos möglich waren, weniger abhängig zu sein. Aufgabe des Energieökonomen ist somit einerseits die Analyse der marktspezifischen Strukturen auf Angebots- und Nachfrageseite, andererseits auch die Analyse und Kritik der konkreten energiepolitischen Interventionen unter Effizienzaspekten, zumal sich ja ursprünglich akzeptable Begründungen und die technischen Möglichkeiten für bestimmte Interventionen durch technischen Fortschritt, Aufkommen neuer Energiesysteme u.ä. verschieben können.
Literatur zu Kapitel 1. Bischoff/Gocht (1981), Heinloth (1983), Schiffer (1995)
18
Grundlagen
2. Die Energiebilanz Die statistische Erfassung der Energieströme einer Volkswirtschaft für eine vergangene Periode findet in der Energiebilanz statt. Sie ist das energieorientierte Pendant zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wo Entstehungs-, Verteilungs- und Verwendungsseite des Sozialprodukts beschrieben werden. Die offizielle Energiebilanz für Deutschland wird von der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen erstellt. Diese 1971 gegründete BGB-Gesellschaft ist ein Gremium, in dem alle überregionalen Fachverbände der Energieerzeuger und die wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die sich schwerpunktmäßig auf energiewirtschaftlichem Gebiet betätigen, zusammenarbeiten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Statistiken aus allen Gebieten der Energiewirtschaft nach einheitlichen Kriterien auszuwerten, Energiebilanzen zu erstellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Energiebilanzen werden aber auch von anderen Stellen (z.B. Bundesländer) für ihr jeweiliges Aufgabengebiet erstellt.
2.1. Struktur der Energiebilanz Im wesentlichen ist die sogenannte Energiebilanz einer Volkswirtschaft ein Input-Output-Schema zur Erfassung des Einsatzes und des Verbleibs von Energieprodukten in einer Periode. In den Spalten dieser Input-Output-Tabelle stehen die verschiedenen Energieträger in den verschiedensten Formen; in den Zeilen stehen die jeweiligen „Sektoren", die diese Energieträger beziehen und weiter verarbeiten, umwandeln und letztlich in „Nutzenergie" als letzte Stufe umformen. Die Energiebilanz hat drei Hauptteile: Primärenergiebilanz, Umwandlungsbilanz und Endenergieverbrauch (Tabelle 2.1). Zu der Primärenergiebilanz gehört zunächst der Sektor „Natur als Lieferant von Energieträgern" (Primärenergie) mit der Unterscheidung in in- und ausländische Gewinnung. Die räumliche Abgrenzung z.B. auf das Staatsgebiet „Deutschland" führt dazu, daß die Einfuhr von Energieträgern in bereits aufbereiteter Form (Sekundärenergie) separat aufgeführt werden muß: Superbenzin aus einer Rotterdamer Raffinierie ist für den deutschen Verbraucher verfügbar, ohne daß dafür Rohöl in einer Statistik auftaucht. Die Umwandlungsbilanz bildet die Umwandlungsprozesse von einer Energieform in die andere nach. Hierzu gehören z.B. Raffinerien zur Gewinnung von Mineralölprodukten aus Rohöl oder Kraftwerke, die aus Primärenergie elektrischen Strom erzeugen. Aufgrund der Thermodynamik gibt es Umwandlungsverluste, die in der Umwandlungsbilanz als Verbrauch in Energiegewinnung und -Umwandlung ausgewiesen sind. Die Endenergiebilanz zeigt dann, welcher volkswirtschaftliche Sektor (z.B. Haushalte, Industrie oder eine tiefere Gliederung) welchen Energieträger in welcher Menge bezogen hat.
Die Energiebilanz
19
Tabelle 2.1 : Aufbau einer Energiebilanz G e w i n n u n g im I n l a n d ( P r i m ä r e n e r g i e t r ä g e r ) + Einfuhr (Primär- und Sekundärenergieträger) + B e s t a n d s e n t n a h m e n ( P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r ) = E n e r g i e a u f k o m m e n im I n l a n d ( P r i m ä r - u n d S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r ) - A u s f u h r ( P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r ) - H o c h s e e b u n k e r u n g e n ( P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r )
^^B^standsaufstock^ = P r i m ä r e n e r g i e v e r b r a u c h im I n l a n d ( P r i m ä r e n e r g i e t r ä g e r aus i n l ä n d i s c h e r G e w i n n u n g s o w i e P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r aus E i n f u h r und B e s t ä n d e n ) - U m w a n d l u n g s e i n s a t z ( P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r ) + U m w a n d l u n g s a u s s t o ß ( P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r ) - V e r b r a u c h in d e r E n e r g i e g e w i n n u n g und in den U m w a n d l u n g s b e r e i c h e n ( P r i m ä r - und S e k u n d ä r e n e r g i e t r ä g e r )
^^^acke^jnc^eUun^sveriu^ = E n e r g i e a n g e b o t im I n l a n d n a c h U m w a n d l u n g s b i l a n z (Primär- und Sekundärenergieträger) - Nichtenergetischer Verbrauch + Statistische Differenzen = Endenergieverbrauch
Quelle: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen Streng genommen ist der Begriff „Energiebilanz" für Stromgrößen einer vergangenen Periode unsinnig, da sich der Terminus Bilanz auf Bestandsgrößen bezieht. Er hat sich jedoch im Sprachgebrauch ebenso wie die „Zahlungsbilanz" eingebürgert, so daß auch hier mit dem Terminus „Energiebilanz" weiter gearbeitet wird. Eine ädaquatere Darstellung ist das Flußdiagramm, das graphisch den Weg und die Zusammensetzung der Energieträgerflüsse zeigt. Es wird unmittelbar aus der Energiebilanz abgeleitet.
2.2. Elemente der Energiebilanz Im einzelnen setzen sich die Teile der Energiebilanz wie folgt zusammen, (a)
Primärenergiebilanz
Als Primärenergieträger werden in der Energiebilanz jeweils nach einheimischen Aufkommen und Importen unterschieden: •
Mineralöl
•
Steinkohle
•
Braunkohle
•
Erdgas
20
Grundlagen
•
Kernenergie
•
sonstige feste Brennstoffe (z.B. Hausmüll)
•
regenerative Energie (Wasserkraft, Windenergie, solare Wärme, solarer Strom u.a.)
(b)
Umwandlungssektor und Sekundärenergie
Die Umwandlungssektoren umfassen: •
Brikettfabriken (in denen z.B. Braunkohlebriketts für den Hausbrand hergestellt werden)
•
Kokereien und Ortsgaswerke
•
Heizwerke und Heizkraftwerke (letztere erzeugen Strom und Fernwärme)
•
sonstige Umwandlungsprozesse (Hochöfen,...)
•
Raffinerien
•
thermische Kraftwerke
•
Laufwasserkraftwerke
Die dort entstandenen Endenergieträger werden entweder exportiert, gebunkert, als „Nichtenergetischer Verbrauch" vor allem an die chemische Industrie geliefert oder einer inländischen Verwendung bei Endverbrauchern zugeführt. Beispiel für einen nichtenergetischen Verbrauch wäre das bei Raffination von Rohöl anfallende Bitumen, das als Teer für den Straßenbau Anwendung findet.
(c)
Endenergie
Als Endenergieträger dominieren vor allem: •
Kohle, die in den Alten Bundesländern zu rund 85 % an die Industrie geliefert wird,
•
Mineralölprodukte (Heizöl, Kerosin, Benzin,...) die vor allem zu Heizzwecken und an den Verkehr geliefert werden,
•
Gas, das in Deutschland jeweils etwa zu 40 % an die Industrie und die Haushalte abgegeben wird und zu 20 % an die sogenannten Kleinverbraucher geliefert wird und dort überwiegend in Wärmeprozessen genutzt wird,
•
elektrischer Strom, der als hochwertigste Energieform an alle Abnehmergruppen geht. Lediglich eine Größenordnung von 4 % des Stromverbrauchs ist dem Verkehr (Bundesbahn, Straßenbahnen, U-und S-Bahnen) zuzurechnen.
(d)
Nutzenergie
In den statistisch erfaßten Verbrauchsektoren Industrie (ohne die Energiesektoren) Verkehr, Haushalte und Kleinverbraucher (Gewerbe, Handel. Dienstleistungen 1 Staat, Landwirtschaft, militärische Einrichtungen, Handwerk) wird aus den Endenergieträgern durch Einsatz in eigenen Umwandlungsgeräten (Heizkessel, Auto-
Ab 1995 soll die bisherige Bezeichnung „Kleinverbraucher" durch diese drei Namen ersetzt werden.
Die Energiebilanz
21
motoren, elektrisch angetriebene stationäre Maschinen, Glühbirnen, Gasleuchten, ...) die sogenannte Nutzenergie produziert: •
Prozeßwärme wird vor allem in der Industrie benötigt (Schmelzen von Metallen, chemische Reaktionen,...),
•
Niedertemperaturwärme wird für die Bereitstellung von Brauchwasser und Raumwärme eingesetzt,
•
mechanische Energie wird als bewegliche und stationäre Krafterzeugung (Auto, Kühlschrank, Maschinen,...) aufgebracht,
•
Beleuchtung erfolgt heute fast zu 100 % durch elektrische Systeme,
•
Kommunikations- und EDV-Systeme funktionieren ebenfalls ausschließlich mit elektrischem Strom.
2.3. Aggregations- und Bewertungsprobleme Die Energiebilanz in der vorgestellten Form konzentriert sich auf die Darstellung des physischen Energieflusses und weniger auf die ökonomische Seite. So gibt es z.B. auf dem Weg von der Kohle zum Strom Umwandlungsverluste, so daß das Motiv dieser Umwandlung nur Uber die ökonomische Wertschöpfungskette verständlich ist. Der „edle" Endenergieträger Elektrizität stiftet beim Konsumenten mehr Nutzen als die für seine Gewinnung eingesetzte Kohle und der Nutzengewinn (ausgedrückt in der Zahlungsbereitschaft der Nachfrageseite) rechtfertigt die Umwandlungsverluste aus wirtschaftlicher Sicht. Es sind Konventionen nötig, um die Vergleichbarkeit der verschiedenen Energieträger überhaupt erst einmal herzustellen, da die verschiedenen Energieträger nebeneinanderstehen, wie z.B. Steinkohle, Steinkohlenbriketts, Braunkohle, Brennholz, Erdöl, Benzin, Flüssiggas, Uran oder Wasserkraft. Sie haben unterschiedliche Einheiten, wie z.B. Tonne (Gewichtseinheit), Kubikmeter (Volumeneinheit) oder Kilowattstunde (physikalische Arbeit). Alle diese Größen werden zusammengezählt und in der Summe als „Energieverbrauch im Inland" ausgewiesen. Hieraus ergeben sich zwei Fragen: (1) Ist es überhaupt sinnvoll, unterschiedliche Energieträger „auf einen gemeinsamen Nenner" zu.bringen und zum „Energieverbrauch" zu aggregieren? (2) Wie werden die verschiedenen Energieträger in der Energiebilanz gleichnamig und damit additionsfähig gemacht? Die erste Frage kann bejaht werden, da Substitutionsbeziehungen zwischen den Energieträgern existieren. Dies betrifft einmal die horizontale Aggregation in der Energiebilanz: Erdgas kann in bestimmten Anwendungen Steinkohle, Braunkohle oder Öl ersetzen. Unterschiedliche Energieträger können zur Deckung desselben Nutzenergie Verbrauchs (z.B. Wärme) dienen. Weil Energieträger ineinander umgewandelt werden können (z.B. Gewinnung von Elektrizität) ist es sinnvoll, Energieumwandlungsketten auch in vertikaler Sicht zu verfolgen und ggf. Umwandlungswirkungsgrade (z.B. in thermischen Kraftwerken) zu ermitteln. Im Umwandlungsbereich wird grundsätzlich nach dem Bruttoprinzip verbucht, d.h. Sekundärenergieträger, die noch einmal einer Umwandlung unterliegen (z.B. Heizöl in Kraftwerken), werden jeweils wieder in voller Höhe in Einsatz und
22
Grundlagen
Ausstoß erfaßt. Doppelzählungen werden durch entsprechende Additionen und Subtraktionen vermieden (s. Kapitel 2.4.) Die zweite Frage ist implizit schon in Kapitel 1.2. beantwortet worden: Für die Volumen und Gewichtsmaße eines Energieträgers wird der Heizwert bestimmt und dann ist eine einheitliche Umrechnung auf Energieeinheiten (Joule, Kalorie, SKE) möglich. Allerdings ist dies im Detail nicht so einfach, da sich z.B. der Heizwert von Steinkohle unterschiedlicher Fördergebiete unterscheidet. Hier sind also Referenzwerte notwendig (Tabelle 2.2). Tabelle 2.2 : Beispiele für Umrechnungsfaktoren in Deutschland Heizwert Energieträger
alle Länder
Einheit
(kJoulel neue Länder
Heizwert alle Länder
(kcal) neue Länder
Hei/wen alle Lander
ISKE-Fakuir) neue Länder
Steinkohlen
^
29761
24850
[7108]
[5935]
1.015
Steinkohlenkoks
kg
28650
28125
[6834]
[6717]
0.978
0.96
Steinkohlenbriketts
kg
31401
31401
[7500]
[7500]
1.071
1.071
Braunkohlen
kg
8481
8867
[2026]
[2118]
0.289
0.303
Braunkohlenbriketts
kg
19470
19407
[4650]
[4635]
0.664
0.662
Braunkohlenkoks
kg
29935
25854
[7150]
[6175]
1.021
0.882
Brennholz
k g ( l m ' = 0,7t)
14654
14654
[3500]
[35001
0.500
0.500
Brenntorf
kg
14235
14235
[3400]
[3400]
0.486
0.486
Erdöl (roh)
kg
42804
42416
[10224]
[10130]
1.459
1.447
Dieselkraftstoff
kg
42960
42960
[10260]
[10260]
1.466
1.466
Heizöl, leicht
kg
42733
42733
[10210]
[10210]
1.458
1.458
Heizöl, s c h w e r
kg
40614
40614
[9700]
[9700]
1.386
1.386
Flüssiggas
kg
45987
45987
[10980]
[10980]
1.569
1.569
Raffineriegas
kg λ m
46201
46201
[11030]
[11030]
1.576
1.576
31736
31736
[75801
[75801
1.083
1.083
(a) P r i m ä r e n e r g i e b i l a n z
kWh
9372
10878
[2245]
[2598]
0.320
0.371
(b) Umwandlungsbilanz
kWh
3600
3600
[860]
[860]
0.123
0.123
Erdgas
0.848
Elektr. S t r o m
Endenergiebilanz
Quelle: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (1997) Nicht für alle Anwendungen gibt es einen einheitlichen Umrechnungsmaßstab. Hierzu zählen z.B. der Außenhandel mit Strom, Wasserkraft, Kernenergie, Müll und Abhitze in der Stromerzeugung sowie Windenergie. Die Rückwärtsrechnung (z.B. zur Ermittlung des Primärenergiegehaltes eines Endenergieträgers wie elektrischer Strom) kann sich an der sogenannten Substitutionsmethode orientieren: Nach dieser wird Strom aus konventionellen Wärmekraftwerken ersetzt und die Bewertung erfolgt entsprechend der fiktiven Brennstoffersparnis. In der Endenergiebilanz wird dann der Strom entsprechend seinem Heizwert verrechnet. Die (international verbreitetere) Methode der Umrechnung mit dem tatsächlichen Wirkungsgrad stellt auf die tatsächlichen thermodynamischen Verhältnisse ab. So würde 1 kWh Kernenergiestrom oder Wasserkraftstrom nach der Substitutionsmethode mit einem durchschnittlichen Wirkungsgrad der übrigen fossilen Kraftwerke von 36 % auf 2,78 kWh Primärenergieeinsatz umgerechnet. Nach der Wirkungsgradmethode würde hingegen die tatsächliche thermodynamische InputOutput-Wirkung ermittelt: Da Kernkraftwerke wegen ihrer etwas geringeren Dampftemperatur einen thermischen Wirkungsgrad von lediglich 33 % aufweisen
23
Die Energiebilanz
und Wasser oder Winde auch ohne menschliche Nutzungssysteme ihre Energie verlieren würden und deshalb Wasser- und Windanlagen keine zurechenbaren Verluste aufweisen, verursacht nach dieser Methode 1 kWh Kernenergiestrom rund 3 kWh Primärenergieeinsatz und 1 kWh Wasserkraftstrom nur 1 kWh Primärenergieeinsatz. Bisher war in Deutschland die Substitutionsmethode üblich. Wegen der internationalen Kompatibilitätsaspekte wurde jedoch nach 1995 auf die Wirkungsgradmethode umgestellt. Dies ist bei der Beurteilung und Interpretation von Primärenergiezahlen zu berücksichtigen. Mit der zunehmenden Nutzung regenerierbarer Energiequellen (wie z.B. Umgebungswärme für Wärmepumpen) tauchen natürlich gravierende Abgrenzungsprobleme auf: Kann man die Umgebungswärme für eine Wärmepumpe noch zurückrechnen, so sind passive Solarnutzungen (z.B. durch Aufheizen eines verglasten Wintergartens, dessen Wärme dann zum Teil ins Haus geführt wird) nur noch willkürlich abzugrenzen.
2.4. Deutsche Energiebilanz 1993 Aufgrund des umfangreichen Datenmaterials (sowohl in der Erhebung als auch in der Auswertung) erscheinen die Energiebilanzen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen mit einer Zeitverzögerung von 3 bis 4 Jahren.
Tabelle 2.3: Energiebilanz für Deutschland 1993 (in 1000 t SKE) Stein- Braunkohle kohle
Rohöl
Erdölprod.
Gase
Strom
FernWasserKernkraft 1 enercie wärme
Son- Summe (MD stige
Gewinnung Inland Import (+) Expon(-) Lacerveriind.
59184 14558 2437 1666
66147 1618 548 432
4455 146118 1191 436
() 65265 20197 672
20069 71423 3355 -693
(1 10958 10730 0
5661 0 0 0
0 49099 0 0
0 0 0 (1
5269 0 87 0
161 359 39 3
Primärenergie Umwandlungseinsatz(-) UmwandIungsausstoü(+) Eigenverbrauch(-) Fatkcl-/Lenuncsvcrlusie( -)
72971 71051 14080 63 0
67649 66494 9684 608 0
87444 18538 21239 8831 964
228 630 64576 7293 2738
0 0 13901 365 1435
5182 3129 0 189 36
484 396 288 21 5
15937 956 -375 14*16
10231 181 0
80350 4245 -4186
54143 0 -2029 52114
5661 5661 0 0 0 0 0 0
49099 49099 0 0 0
Umwandlungsenergie Nichienerg. Vcrbrauch(-) Staust Differenzen
149818 45740 149818 31420 0 164258 3262 0 0 0 0 175316 0 24893 0 0 0 150423
0 0 0
12101 0 1
1828 0 0
350 30 -7
0
0 0 0 0
iL
12102 2318 0 9784 0
1828 493 0 1335 p
313
0 0 0
Endenerzie dann: Industrie Verkehr Ha ush alte/Klei η verbr. Militär
12522 10 1K89
1(105(1 3769 0 5936 345
0 0 0 (1
11250 86713 51048 1412
71919 30473 12 41434
22158 1842 28114 0
Iii. Quelle: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (1997)
83 89 140 2
Die deutsche Energiebilanz für 1993 ist in der Tabelle 2.3 dargestellt: Spalten und Zeilen sind aggregiert: So setzen sich z.B. die „Steinkohlen" aus Kohle, Koks, Briketts, Rohteer, Pech, Andere Kohlenwertstoffe und Rohbenzol zusammen. Ebenso wird bei der Umwandlung zwischen z.B. Kokereien, Raffinerien und verschiedenen Kraftwerken (Wasser, Kernenergie) unterschieden. In der Primärenergiebilanz wird Kernenergie vollständig importiert: Für Kernkraftwerke wird Uran benötigt, das in Deutschland zu 100% importiert wird. Erdölprodukte werden in Raffinerien gewonnen, erscheinen also erst in der Umwandlungsbilanz. Strom
24
Grundlagen
wird nur in der Primärenergiebilanz erfaßt, sofern er importiert bzw. exportiert wird. Die Umwandlungsbilanz folgt dem Bruttoprinzip: Von der Primärenergie wird der Umwandlungseinsatz abgezogen, der Umwandlungsausstoß addiert und Eigenverbrauch sowie Fackel- und Leitungsverluste subtrahiert. Hieraus ergibt sich das „Energieangebot im Inland nach Umwandlungsbilanz" (Umwandlungsenergie). Werden hiervon nichtenergetischer Verbrauch abgezogen sowie statistische Differenzen berücksichtigt, so erhält man den Endenergieverbrauch. Dieser wird in der Endenergiebilanz auf die verschiedenen Sektoren aufgeteilt, die zu Industrie, Verkehr, Haushalte/Kleinverbraucher und Militär aggregiert wurden. Unter „Sonstige" gehören feste Brennstoffe, wie Brennholz, Brenntorf sowie Klärschlamm, Müll u.a. Es ist klar, daß eine Energiebilanz grundsätzlich nicht besser sein kann, als die ihr zugrundeliegenden Statistiken. Im Detail können nur kommerziell gehandelte Energieströme erfaßt werden. Daher ist z.B. die Verwendung von (selbstgeschlagenem) Brennholz in privaten Haushalten eine statistische „Grauzone". Die Energiebilanz endet bei der Betrachtung der Endenergie. Energie wird jedoch letzlich im Hinblick auf bestimmte damit zu erbringende Nutzen eingesetzt. Die Transformation in Nutzenergie findet dabei im allgemeinen beim Letzverbraucher statt. Auch dabei gehen bestimmte Anteile verloren. Die Abbildung zeigt das Verhältnis von Primärenergie, Endenergie und Nutzenergie in Deutschland (ABL) 1993.
Energiebilanz
Umwandlungsverluste und Eigenverbrauch
35% Verluste
Abbildung 2.1: Primärenergie, Endenergie und Nutzenergie Quelle: R W E Energie AG: Energieflußbild der Bundesrepublik Deutschland 1993
Die Energiebilanz
25
Die Erfassung und sektorale Feingliederung der Energieeinsätze, - Umwandlungen und schließlich endgültigen Verwendungen in einer Volkswirtschaft wird für eine zurückliegende Periode in einer Energiebilanz ausgewiesen. Während die Energiebilanzen in den OECD-Ländern inzwischen einen vergleichbaren hohen Standard aufweisen, sind Energiebilanzen für Länder der Dritten Welt oftmals statistisch unvollständig und nicht vergleichbar gut erstellt.
Literatur zu Kapitel 2. Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (laufend)
26
Ressourcenökonomische Sicht
Teil II: Ressourcenökonomische Sicht 3. Energieträger als erschöpfbare Ressourcen 3.1. Erschöpfbare Ressourcen und Weltenergieversorgung 3.1.1. Einleitung Wie bereits im Kapitel 1. verdeutlicht wurde, basiert seit ein bis zwei Jahrhunderten ein großer Teil der Weltenergieversorgung auf der Verbrennung fossiler Energieträger. Diese sind nach menschlichen Zeithorizonten praktisch nicht regenerierbar. Da sie auch nicht rezyklierbar sind, werden sie durch Verbrennung „echt" verbraucht und landen nach ihrer Nutzung als wertlose Wärme im Weltall. Auch wenn das Spektrum dieser Energieträger bezüglich •
Förder-, Aufbereitungs- und Transportkosten,
•
Leichtigkeit des Handlings in verschiedenen Prozessen,
•
Umwelteffekten (Schwefelgehalt, C0 2 -Emissionen,...)
sehr unterschiedlich ist, soll im folgenden Kapitel ausschließlich für analytische Vereinfachungszwecke von einem einheitlichen fossilen Energieträger (der abkürzend beispielsweise „Öl" genannt wird) ausgegangen werden. Dies erlaubt relativ einfache formale Strukturierungen intertemporaler Allokationsprobleme und das Aufzeigen von Schlüsselargumenten aus der Ressourcenökonomik mit Anwendung auf das Energieproblem. Die intertemporale Allokationsaufgabe für erschöpfbare Ressourcen kann in einem Lehrbuch schrittweise in zwei Modelltypen entwickelt werden. Das einfachere dieser Modelle wird dann später verwendet, um analytisch zu zeigen, wie sich eine zusätzliche Umweltrestriktion (beispielsweise für den Klimaschadstoff C 0 2 ) auf die Gleichgewichtslösung auswirkt. 3.1.2. Ressourcenbasis, Exploration, Reserven Die Ausstattung einer Volkswirtschaft mit natürlichen Ressourcen eines bestimmten Typs wird durch •
geologische Gegebenheiten (natürliche Anordnung von potentiell ressourcenhaltigen Schichten bestimmter Mächtigkeit),
•
technische Möglichkeiten (Explorationstechniken, Förder- und Aufbereitungstechniken, Transportmöglichkeiten zu den Orten der Nachfrage)
•
ökonomische Bewertungen (Förder- und Transportkosten in Relation zum erzielbaren Preis)
bestimmt. Selbst wenn grundsätzlich eine geologisch vorhandene Ressource ab einem geeigneten Preis nutzbar sein kann, werden bei ungünstigen Bedingungen dennoch technische und ökonomische Argumente gegen eine Nutzung in absehbarer Zukunft sprechen können: Nicht jede vorhandene Ressource stellt aus ökonomischer Sicht eine nutzbare Größe dar.
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
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Beispiel: Die Steinkohle des Ruhrgebietes und in England liegt in geologisch ähnlichen Schichten, die von Deutschland aus nach Nordwesten immer tiefer tauchend unter dem Ärmelkanal hindurch nach England reichen und dort wieder an die Oberfläche kommen. Da die Kohle unterhalb der Niederlande in Tiefen von weit mehr als 2000 - 3000 m liegt, gilt sie bei den heutigen Fördertechniken als nicht förderbar.
Zum zweiten ist die Information über irgendwo auf der Welt verfügbare Ressourcen selbst nicht kostenlos zu erhalten. Solange ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft über ausreichende Ressourcen für die nächsten 30 - 40 Jahre verfügt, kann eine zusätzliche Explorationstätigkeit, die heute bspw. mehrere hundert Millionen D M kostet, nicht gerechtfertigt werden, wenn die zusätzlich gefundenen Ressourcen nicht deutlich kostengünstiger zu fördern sind oder eine sehr viel größere als die bisher verfügbare Lagerstätte mit Exportmöglichkeiten gefunden wird. Als Ressourcenbasis bezeichnet man deshalb eine Größe, die auf geologischen Schätzungen basiert: Analogieschlüsse über das Vorhandensein geeigneter geologischer Formationen dienen als Grundlage für eine begründete „Daumenschätzung", welche Ressourcen zusätzlich vermutet werden können. Sowohl der Grad an Gewißheit über die tatsächliche Größe eines Feldes als auch dessen Förderkosten können hierbei sehr vage abgeschätzt werden. Als Reserven gelten hingegen die nachgewiesenen und bei den heutigen Größenordnungen von Energiepreisen wirtschaftlich gewinnbaren Energieträger. Dazu gehören die bereits fördernden Gebiete genauso wie durch Exploration mehr oder weniger zuverlässig erkundete, aber bisher noch nicht fördernde Bereiche. Da bezüglich -
der Wirtschaftlichkeit (Förder- und Transportkosten) und
-
der Sicherheit der heutigen Information (Größe des Fördergebiets, Explorationsbohrungen, Vermutungen)
zwei Dimensionen von Ressourcenverfügbarkeit ins Spiel kommen, wird die Abstufung im sogenannten McKelvey-Diagramm verdeutlicht. Daraus ergeben sich durch Gegenüberstellen der bekannten und wirtschaftlich gewinnbaren Reserven und der laufenden Jahresförderung zwei wichtige Kennzahlen für die Ressourcenökonomen: Die statische Reichweite gibt an, in wieviel Jahren bei konstanter Förderung die Reserven aufgebraucht sein werden. Diese Kennzahl ist durchaus sinnvoll für ein einzelnes Feld, aber weniger aussagefähig in einem Umfeld mit Neuerschließungen und/oder im Zeitablauf veränderlicher Förderung. Kennzahlen zur dynamischen Reichweite geben an, wann mit einer Ressourcenverknappung zu rechnen ist, wenn eine bestimmte Rate der Neuerschließung konfrontiert wird mit einer mit konstanter Wachstumsrate ansteigenden Förderung.
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Ressourcenökonomische Sicht
Ausmaß an Ungewißheit sicher bekannt
verläßlich geschätzt
vermutet
bei heutigen
Reserven
Preisen wirtschaftlich bei höheren als heutigen
Ressourcenbasis
Preisen gewinnbar
Kosten für
\
τ Förderung und Transport
Abbildung 3.1: McKelvey-Diagramm zur Ressourcenbasis Die Explorationsaktivitäten unterliegen nun selbst einem komplexen ökonomischen Kalkül: Je nach derzeitiger Ressourcenausstattung der Energiegesellschaft, Wettbewerbsdruck, anderen günstigen Beschaffungsmöglichkeiten beispielsweise auf Spot-Märkten, Preis- und Nachfrageprognosen, aber auch in Abhängigkeit vom Zinssatz lohnt es sich unterschiedlich, in die riskante Explorationsaktivität zu gehen. Jedes „trockene Bohrloch" oder jede unerwartet teurer werdende Erkundung trägt heute sicher zu einem schlechten Betriebsergebnis bei, während die erhofften positiven Erträge in der Zukunft nur vage abgeschätzt werden können. Da zudem für ein einzelnes Feld aus technischen und wirtschaftlichen Gründen auch eine relativ enge Bandbreite von Förderung in Relation zum vorhandenen Vorkommen sinnvoll sein kann, ist sogar die Erschließung und Aufnahme der Förderung in bereits bekannten Gebieten eine ökonomische Optimierungsaufgabe.
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
29
3.2. Das Hotelling-Modell der Ressourcen-Ökonomik 3.2.1. Intertemporale Allokation aus der Sicht des Ressourcenanbieters Die Theorie der Preisbildung für fossile Brennstoffe ist ein eigenes komplexes Gebiet. 1 Im folgenden sollen in einem sehr einfachen Modellrahmen einige grundlegende analytische Besonderheiten für die Ökonomik erschöpfbarer natürlicher Ressourcen betrachtet werden. Dazu werden einige drastische Vereinfachungen als Annahmen unterstellt: Der Ressourcenvorrat sei zum heutigen Zeitpunkt perfekt bekannt, die Extraktionskosten seien Null, die Nachfragefunktion sei für heute und alle zukünftigen Perioden bekannt, und es können bereits für die Zukunft perfekte Terminverträge abgeschlossen werden. Aus der Sicht des einzelnen Unternehmens sei der Marktzinssatz r, exogen gegeben. Wiederum zur Vereinfachung unterstellen wir einen durchgehend konstanten Zinssatz r. Wenn es zahlreiche Unternehmen als Anbieter der Ressource gibt, so daß jeder einzelne den Marktpreis ρ für eine Ressourceneinheit als gegeben ansehen muß, ist zu fragen, in welcher Periode das einzelne Unternehmen seine möglichen Fördermengen auf den Markt bringt. Wenn man eine beliebige (kurze) Periode [t, t,] betrachtet, hat das einzelne Unternehmen die jeweilige Alternative, eine Einheit zu fördern oder noch im Vorrat zu belassen. Bei Förderung und Verkauf erzielt es den Preis p , . Auf den heutigen Zeitpunkt abdiskontiert erzielt diese Einheit also den Gegenwartswert p 0 = e " · pt. Sollte es Perioden τι,τ 2 , ... in der Zukunft geben, in denen der Barwert einer verkauften Einheit größer ist als p 0 , so würde jedes einzelne Unternehmen seine Förderung in diese Perioden τ verlagern wollen mit der Konsequenz, daß der bis dahin angesetzte Preis p, fallen würde. Umgekehrt würde in Perioden mit einem Preis, dessen Barwert niedriger ist als po, das Angebot abgezogen, so daß dort der Preis ansteigen müßte. Als Gleichgewichtslösung kann somit nur ein Preispfad resultieren, der in jedem Zeitpunkt den gleichen Gegenwartswert p 0 für jede Einheit erzielt. Dies bedeutet aber, daß ein Gleichgewichtspreispfad die Gleichung (3.1)
p t = po · e
r1
erfüllen muß. Dies stellt aus der Sicht des einzelnen Ressourcenanbieters, der seinen Vorrat wie einen Vermögensgegenstand betrachtet, sicher, daß er eine normale Verzinsung erhält: Eine Einheit in situ (in der Lagerstätte) verzinst sich durch die Höherbewertung in der Zeit. Zu Ehren des Ökonomen Hotelling wird Gleichung (3.1), die einen möglichen Gleichgewichtspreispfad für eine erschöpfbare natürliche Ressource beschreibt, auch Hotelling-Regel genannt. Das Niveau des Anfangspreises p0 wird aus den Nachfragebedingungen und der Reservengröße bestimmt: Da über den gesamten Planungszeitraum jeder Ressourcenanbieter seine Vorratsmenge verkaufen will, gehen in p 0 Parameter wie Preiselastizität der Nachfrage, Wachstumsrate der Nachfrage in der Zukunft und lang-
Zur Grundlagentheorie vgl. Ströbele (1987).
30
Ressourcenökonomische Sicht
fristige Substitutionsmöglichkeiten (durch Übergang auf perfekte Ressourcensubstitute wodurch eine Preisobergrenze gesetzt wird) ein. Wenn beispielsweise die für alle Zeiten konstante Nachfragefunktion isoelastisch ist, also lautet (3.2)
q = p"a,
dann ist bei gegebenem Ressourcenbestand So die Bestandserschöpfungsbedingung (3.3)
J q ' dt = S 0 ο
nur erfüllt, wenn gilt
(3.4)
Jp,
dt = p 0 ~ a · J e ' r a dt = S 0 .
Dies verlangt:
(3.5)
p0 =
1
Offensichtlich ist hier der Gleichgewichtspreispfad in seiner „Steilheit" durch den Zinssatz r bestimmt, in seinem Niveau durch den Zinssatz und die Preiselastizität der Nachfrage und die Reservengröße. Auch wenn dieses Basismodell drastisch vereinfacht ist, so zeigt es doch zwei wichtige Punkte: Obwohl die Ressource keinerlei Extraktionskosten aufweist, erzielt sie aufgrund ihrer natürlichen Knappheit einen positiven Preis, und dieser Preis steigt (zumindest in einer langfristigen Gleichgewichtsbetrachtung) mit dem jeweiligen Marktzinssatz an. In der Realität der Energiemärkte wird diese perfekte Gleichgewichtslösung allerdings überlagert durch die folgenden Einflußfaktoren: •
tatsächliche Unmöglichkeit, künftige Nachfrager realiter durch geeeignete Verträge am heutigen Marktgeschehen zu beteiligen,
•
Exploration und Reservenvergrößerungen in Abhängigkeit vom Ressourcenpreis,
•
unvollkommene Kapitalmärkte, die eine Vorfinanzierung zukünftiger Öleinnahmen nicht wie im Modell erlauben und deswegen einen Ressourcenanbieter zu einem kurzfristig unelastischen Angebotsverhalten zwingen können,
•
Unsicherheit über die langfristigen Backstop-Parameter k, bei denen eine erhebliche Streubreite der Prognosen anzusetzen ist,
•
Marktstrukturen mit oligopolistischem Kern und wettbewerblichem Rand und unterschiedliche Interessenlagen der einzelnen Ressourcenanbieter lassen das
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
31
einfache Modell nicht anwendbar werden (High- versus Low Absorber im 01markt, bewußte Inkaufnahme ineffizienter Lösungen wegen regionalpolitischer Zielsetzungen in den Industriestaaten). Trotz dieser Umsetzungsprobleme für die ressourcenökonomischen Idealkonzepte auf realen Ressourcenmärkten kann man approximativ davon ausgehen, daß die wohlverstandenen Eigeninteressen der Ressourcenanbieter, die zumindest mittel- bis längerfristig eine „Verzinsung" des Wertes ihrer Reserven erreichen wollen, zumindest einen einigermaßen „ähnlichen" Pfad generieren wie in dieser Modell-Logik.
3.2.2. Das Hotelling-Modell aus gesamtwirtschaftlicher Sicht Als Einstieg soll zunächst die Hotelling-Logik für eine nicht-erneuerbare Ressource als langfristiges Gleichgewichtskonzept in einem gesamtwirtschaftlichen Optimierungsansatz abgeleitet werden. Auch dies dient weniger zur Beschreibung realer Vorgänge, sondern soll als „Labor" für grundsätzliche Elemente der Allokationstheorie für erschöpfbare natürliche Ressourcen dienen. Die Modellierung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird ein reines Konsummodell (I), dann ein Modell mit Produktion (II) vorgestellt. Im Konsummodell findet die Abdiskontierung zwischen den einzelnen Perioden alleine wegen der Zeitpräferenzrate statt, im Produktionsmodell ist hierfür ein Zinssatz, der sich aus der Grenzproduktivität des Kapitals bestimmt, verantwortlich.
a) Das Konsummodell Aus einem Ressourcenbestand mit zum Zeitpunkt t=0 bekannter Größe S („Öl") wird laufend eine Förderung C entnommen, die auf dem Umweg über einen nicht weiter modellierten Produktions- und Umwandlungssektor einen Nutzen U stiftet. Die Förderkosten für C werden der Einfachheit halber mit NULL angenommen." Alternativ kann diese kostenlos zu fördernde Ressource auch durch ein Substitut Ζ ersetzt werden, das zwar unbegrenzt zur Verfügung steht, allerdings konstante Produktionskosten k > 0 pro Einheit aufweist: Ein fiktiver Ressourcenmanager stehe damit vor dem Problem, über einen unendlichen Zeithorizont das „Wohlbefinden" der Menschheit zu maximieren. Er löst dann eine Aufgabe der folgenden Art:
(3.6)
6
max.je'
' [u(C + Z)-k
Z}it
ο (3.7)
2
NB.
S — —C
Ressourcenbestand
S0 > 0
gegeben, S > 0
Dies ist beispielsweise für Erdöl aus dem Nahen Osten keine unzulässige Approximation: Bei einem Marktpreis von rund 20 $/bl machen die Förderkosten häufig nicht einmal 10 % des Verkaufspreises aus.
32
Ressourcenökonomische Sicht k > 0
gegebene Backstopkosten („Leasing-Modell")
Mit dem Ansatz der Hamilton-Funktion lassen sich die notwendigen Bedingungen für eine Optimallösung ermitteln: Η = e_8t (3.8)
f- = a
[U(C + Z ) - k Z ] - ^ V U ' ( C + Z) = μ
.R «δι δΗ ,, . s: ., R .. R .. R e · es = - μ +δ μ : μ = μ0 Randbedingung ( Τ = arg [μ κ (ί> = k] ):
S t
C
κ
e
ST = Ο,βγ
= k
Wie aus den notwendigen Bedingungen für ein Nutzenmaximum hervorgeht, gibt es zwei Phasen der Ressourcennutzung: •
In der ersten Phase (I) auf dem Intervall [0 , T] wird der Ressourcenvorrat geleert. Der Schattenpreis (Knappheitspreis der Ressource „an sich") μ κ ist gleich dem Grenznutzen 3 und steigt über der Zeitachse mit der Abdiskontierungsrate δ an: Der Barwert des Grenznutzens jeder marginalen Öleinheit wird dadurch gleich. Offensichtlich ist dies eine notwendige Bedingung für intertemporale Effizienz (in dieser Modellwelt): Andernfalls könnte man durch eine Umallokation einer marginalen Einheit Öl (z.B. aus einer Periode mit Barwert des Grenznutzens kleiner als dem ansonsten gleichen Barwert in einige andere Perioden) das Nutzenintegral erhöhen. Grundsätzlich gibt es zunächst unendlich viele derartige Hotelling-Pfade: μο ist j a noch nicht bestimmt. Das Niveau dieses Pfades wird aber eindeutig dadurch festgelegt, daß der Ressourcenvorrat S genau dann geleert sein muß, wenn der Schattenpreis für Öl die Backstopkosten erreicht: Ein weiterer Anstieg des Ölpreises über k hinaus (bei S T > 0) wäre ineffizient, ein Sprung des Ölpreises (Su = 0 für U < T) könnte nutzensteigernd durch Umallokation vermieden werden, was dann einen höheren Anfangspreis erfordert.
3
Preis = Grenznutzen ist j a eine wohlbekannte mikroökonomische Optimalbedingung.
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
33
U'(C+Z)
Abbildung 3.1: Preispfad mit Übergang auf eine Backstop-Technik ohne C 0 2 Restriktion •
In der Phase II hat die Gesellschaft den Wechsel auf die unbegrenzt verfügbare Backstop-Technik vollzogen: Die Randbedingung U'[C] = μ κ ( Τ ) = k gilt jetzt für alle t > T.
Insbesondere zeigt das Modell, daß selbst bei Extraktionskosten von N U L L für die Ressource Öl ein positiver Gleichgewichtspreis resultieren muß. Ein Marktpreis bei Extraktionskosten nahe N U L L deutet also nicht notwendigerweise auf das Ausüben von Monopol- oder Kartellmacht hin, sondern ist zwingend Bestandteil einer gesellschaftlichen Optimallösung für erschöpfbare natürliche Ressourcen.
b) Das Produktionsmodell Das obige einfache Konsummodell benutzte „Energie" als Inputfaktor direkt in der Nutzenfunktion. Für eine auch wirtschaftspolitisch differenziertere Betrachtung ist eine explizite Berücksichtigung des Produktionssektors vorteilhafter. Dann ist Energie nicht mehr direkt konsumierbar, sondern wird als Input in einem Produktionsprozeß, in dem beispielsweise auch Sachkapital Κ eingesetzt wird, modelliert. Das Konsumgut C wird jetzt in einem Produktionsprozeß mit den Inputfaktoren Kapital [K] und Energie [R] erzeugt. Der Kapitalstock kann durch Konsumverzicht, d.h. Nettoinvestitionen, erhöht werden. Der Ressourcenvorrat S wird durch Abbau um R pro Periode verringert. Dadurch ergibt sich folgendes neue Modell mit zwei Bewegungsgleichungen für die Zustandsvariablen Κ und S:
34
(3.9)
Ressourcenökonomische Sicht
max i V *
U(C,)dt
Jo (3.10)
NB:
Κ = F(K,R) - C
S S =-R Ko, 0 gegeben;
C >0, R >0, Κ >0; S >0.
Die zugehörige Hamiltonfunktion H* = H e 8 ' ergibt sich zu:
H* = U(C) + λ • [F(K,R)-C] - μ R Die notwendigen Bedingungen für ein Nutzenmaximum ergeben (für die Kontrollvariablen C und R): 5H* (3.11) — — = 0 :
U'(C) = λ
DC
3H * —— = 0 : dR
λ · F r = μ , woraus in Wachstumsraten
folgt:
λ + F r = |i 3H* - — = - λ + δλ = λ Ρ κ ; d. h. λ = δ - F K 9K κ κ —
= - μ + δμ = 0; d. h. μ = δ
9S
Umformungen ergeben unter Verwendung der letzten drei Gleichungen: FR - μ - λ - δ - δ + F,, = FK HINWEIS: Da die Maximierungsbedingung bezüglich C für diese Ableitung bislang nicht benutzt wurde, spielt also die spezielle Form der Zielfunktion (die nur von C beliebig abhängt!) keine Rolle. Die Effizienzregel I für die Nutzung einer erschöpfbaren natürlichen Ressource lautet somit: (3.12)
FR = FK
(Hotelling-Regel)
Dies entspricht der oben abgeleiteten Marktlösung: Aus der Sicht des einzelnen Ressourcenanbieters ist der Marktzinssatz durch die Grenzproduktivität des Kapitals FK gegeben. Der erzielbare Preis für den Produktionsfaktor „Öl" entspricht FR, und dieser steigt im Zeitablauf mit der Wachstumsrate FK an. Natürlich muß über den gesamten Zeithorizont auch der verfügbare Ressourcenbestand vollständig genutzt werden - ansonsten würde auf ewig auf Konsummöglichkeiten verzichtet. Die Effizienzregel II lautet deshalb
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
(3.13)
\R,dt
= S0
35
(volle Bestandsnutzung)
ο Auch diese Bedingung wurde bei der Diskussion der perfekten Marktlösung als realisierbar und wichtig für die Gleichgewichtslösung benutzt. Die gesamtwirtschaftlich optimale Lösung würde bei perfekten Märkten realisiert werden können. Eine ständige Steigerung der Grenzproduktivität von Energieressourcen (FR) gemäß der Hotelling-Regel ist offensichtlich nur bei anhaltender Substitution von Energie durch Kapital möglich.
Bei gegebenem Ko beginnt die Gesellschaft beispielsweise mit ROA (wie dies festgelegt wird, wird später gezeigt) und fixiert damit ein f — ] • Damit ist das V R JOA Substitutionstempo und somit
über die Hotelling-Regel vorgegeben, usw.
Das Niveau (und damit RoA) des Optimalpfades hängt zum einen von der Zielfunktion, zum anderen von der Bestandsgröße S 0 ab. Würde die Gesellschaft beispielsweise versuchen, mit R0B zu starten, so würde sie beim Durchrechnen des resultierenden Pfades feststellen, daß J Rtdt > S 0 , was natürlich zu vorzeitiger Reso sourcenerschöpfung führt. RoA ist also dasjenige R 0 , das gerade die Bestandserschöpfungsbedingung auf dem Optimalpfad erfüllt. Offensichtlich wird die produktive Bestandsgröße Κ in der Abbildung 3.2 durch Investitionen vergrößert, die Bestandsgröße S wird durch Ressourcenentnahme immer kleiner. Die Substitutionsmöglichkeiten zwischen Κ und R sind von entscheidender Bedeutung, ob (ohne ein perfektes Substitut) überhaupt über einen
36
Ressourcenökonomische Sicht
unendlichen Zeithorizont ein Überleben möglich ist. In der Ressourcenökonomik konnte gezeigt werden, daß die Grenze zwischen langfristigem Zusammenbruch und „ewiger Substitution in die Ecke der Produktionsfunktion" durch die Höhe der Substitutionselastizität σ bestimmt wird. Bewegt man sich (in erster Annäherung und für den relevanten Bereich, wo die Substitution schwierig wird) in der Klasse der CES-Funktionen, so ist σ = 1 (d.h. Cobb-Douglas-Produktionsfunktion) der kritische Grenzfall.
3.3. Energie als „wesentliche Ressource" 3.3.1. Berücksichtigung von Kapitalverschleiß Der Einfachheit halber sei angenommen, daß Kapitalgüter mit einer konstanten Rate γ > 0 verschleißen. Damit ergibt sich jetzt die Nettogrenzproduktivität des Kapitals zu FK - γ , und die Hotelling-Regel wird zu (3.14)
Fr=Fk-7.
Κ
Ko
o
/
^
Ro
R
Abb. 3.3: Substitutionsgrenze bei positiven Abschreibungen Gemäß dieser Regel muß F R ständig steigen, FK hingegen fallen. Dem Rückgang von FK sind allerdings Grenzen gesetzt. Der Substitutionsprozeß findet eine Obergrenze bei einer Kapital-Ressourcen-Intensität xD = (K/R) D , für die die Nettoproduktivität FK - Υ gerade Null wird. Jede zusätzliche Investition würde bei dieser Kapitalintensität gerade so viel an Mehrproduktion erlauben, daß der Verschleiß dieser Maschinen und Gebäude gerade ausgeglichen werden könnte: Für zusätzlichen Konsum bliebe nichts mehr übrig. Wenn K/R langfristig einen endlichen Wert nicht überschreiten kann, dann bewirkt ein endlicher Ressourcenbestand unter plausiblen Annahmen über die Produktionsfunktionen, daß insgesamt nur eine endliche Menge Brutto-Sozialprodukt produziert werden kann. Wenn aber eine nach oben beschränkte Gesamtprodukt!-
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
37
on über einen unendlichen Zeithorizont zu verteilen ist, ist ein Überleben nicht mehr möglich.
3.3.2. Substitutionselastizität σ < 1 für Energie Im Abschnitt 3.2.2. wurde bereits auf hinreichend „schöne" Substitutionsmöglichkeiten als zusätzliche Bedingung für die Existenz von Optimalpfaden hingewiesen. Es gilt nun jedoch für die Ressource „Energie" aufgrund technischer und naturwissenschaftlicher A-priori-Informationen, daß die Substitutionselastizität σ zumindest für hohe K/R-Werte kleiner als Eins wird, so daß die Substitutionsstrategie in die Ecken der Produktionsfunktion für den Produktionsfaktor „Energie" versagen muß.
Wenn Energieressourcen ausschließlich aus begrenzten nicht-regenerierbaren Beständen verfügbar sind (Öl, Gas, Kohle, Uran in Leichtwasserreaktoren, ...), so wird damit der langfristige Zusammenbruch des Produktionsprozesses unvermeidlich: Energie ist somit eine „essentielle Ressource".
3.4. Mögliche Backstop-Techniken Nach den bisherigen Analysen haben potentielle Backstop-Techniken im Energiebereich für die langfristigen Perspektiven und für das optimale Niveau von Energiepreisen in der Phase I eine erhebliche Bedeutung. Als Kandidaten für eine Backstop-Technik im Energiebereich kommen beim heutigen Wissensstand in Frage: •
Nutzung der Sonnenenergie in ihren verschiedensten Formen: Angesichts der Notwendigkeit, für industrielle Zwecke und für den Verkehr geeignete hochkonzentrierte Energieträger bereitzustellen, ist dafür nach heutigem Wissensstand eine Wasserstofftechnik als Sekundärenergieträger erforderlich. Wasser
38
Ressourcenökonomische Sicht wird dazu beispielsweise durch photovoltaisch gewonnenen elektrischen Strom zerlegt. Der Wasserstoff kann dann für Fahrzeugantrieb oder für industrielle Zwecke genutzt werden.
•
Kernspaltungssysteme auf der Basis von Brutreaktoren oder Leichtwasserreaktoren mit Urangewinnung aus d e m Meerwasser. Auch wenn derartige Systeme keine echten Backstop-Techniken sind, könnte die Menschheit immerhin mehrere Jahrhunderte auf der Basis dieser Techniken Energie in hinreichender Menge gewinnen. Auch hierfür wäre als geeigneter Sekundärenergieträger Wasserstoff bereitzustellen.
•
Kernfusion, die den Vorteil hätte, auf praktisch unbegrenzte Ressourcenvorräte zurückzugreifen, deren großtechnische Realisierung und Kostenparameter jedoch noch völlig ungewiß sind.
Alle diese Backstop-Techniken basieren nicht auf der Verbrennung von Kohlenstoff, sind also unter den Aspekten des Klimaschutzes vorteilhaft. Obwohl also für keinen der drei genannten Βackstop-Kandidaten einigermaßen abschätzbare Kosten für ein großtechnisches System verfügbar sind, werden in zahlreichen Modellrechnungen (beispielsweise zum Klimaschutzproblem) bestimmte als sicher angenommene Kostenschätzungen (für das Jahr 2100) zugrunde gelegt, die dann die Nutzen- und Kostenkalkulationen für die Phase I (mit Nutzung fossiler Energieträger) entscheidend mitbestimmen. Unterstellt man hingegen, daß die Kosten einer künftig wichtigen BackstopTechnik heute nicht mit Sicherheit bekannt sind, sondern stattdessen bestenfalls eine Verteilung möglicher Kosten geschätzt werden kann, dann entsteht das leider unvermeidliche Problem, daß die Zukunftsplanungen einen Lotteriecharakter haben. Wenn die Gesellschaft und die Energieunternehmen jeweils risikoneutral sind, unterscheiden sich die Marktergebnisse nicht voneinander. Sollten jedoch die Verbraucher Sorge vor einer doch ungünstig „teuren" Backstop haben und die Energieanbieter die umgekehrte Sorge vor einer ungünstig „billigen" Backstop (was bei Offenbarwerden den Preis ihrer Ressourcen gegenüber der Erwartungswertkalkulation nach unten drückt), käme j e nach den Möglichkeiten, die Risikoaversion in den Märkten sichtbar zu machen, eventuell kein gesellschaftlicher Optimalpfad zustande: Die Verbraucher würden sich aus Vorsorgegründen höhere Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen wünschen als von den Energieunternehmen realisiert werden. Wenn die Kosten für die Backstop durch gezielte F&E-Anstrengungen, die heute beispielsweise in der Solar- oder Windenergieentwicklung getätigt werden, auf einem sinkenden Pfad sind, so sorgt dies nicht dafür, daß die BackstopTechnik (und damit diejenigen, die die F&E-Aufwendungen getätigt haben) profitabel in den Markt kommt, sondern primär senkt dies den Gleichgewichtspfad für die fossilen Brennstoffe. Die Kosten für einen privatwirtschaftlichen F&EErfolg bleiben also beim Unternehmen, der ökonomische Vorteil landet beim Energieverbraucher, der heute günstiger Öl und Gas einkaufen kann. Deswegen würde tendenziell zuwenig F&E-Einsatz für die langfristig wichtige Backstop betrieben, was staatliche Forschungsunterstützung (die beispielsweise aus einer Öl- und Gassteuer finanziert wird) in diesem Gebiet nahelegt.
Energieträger als erschöpfbare Resourcen
39
Das obige Modell unterstellt zudem einen abrupten Regimewechsel von einer Ölphase auf die ausschließliche Backstop-Nutzung danach. Dies setzt voraus, daß die zugehörige Energieinfrastruktur mit Transport-, Speicher- und Umwandlungseinrichtungen bei den Endenergienutzern unverändert übernommen werden kann. Realiter dürfte wegen zumindest in einigen Bereichen unterschiedlichen technischen Lösungen ohne nachträgliche Umrüstungsmöglichkeit der zugehörigen Einrichtungen ein schrittweiser Übergang über mehrere Jahrzehnte zu erwarten sein.
Literatur zu Kapitel 3. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Hannover (1995), Ströbele (1987)
40
Ressourcenökonomische Sicht
4. Energie und Umweltrestriktionen 4.1. Energie und Umwelteffekte Die im Zusammenhang mit der Nutzung von Energieträgern auftretenden Emissionen und andere Umweltbeeinträchtigungen lassen sich nicht allein oder vorrangig anhand der entstehenden Effekte bei der Nutzung der Sekundärenergieträger beurteilen. Vielmehr müssen die vorgelagerten Förder-, Transport- und Umwandlungsstufen in die Betrachtung einbezogen werden. Erst ein Vergleich der Umweltwirkungen von der Gewinnungsstelle bis zur schließlichen Endnutzung im Sinne einer möglichst vollständigen Prozeßkette erlaubt eine angemessene Bewertung. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: Das Beispiel zeigt den direkten, indirekten und gesamten Energieeinsatz sowie die zugehörigen Emissionen von C 0 2 im Vergleich einer Erdgasheizung und einer Elektrospeicherheizung. Während der direkte Verbrauch bei der Erdgasheizung größer ist und auch die Emissionen am Einsatzort anfallen, ist der Energieverbrauch bei der Stromheizung insgesamt aufgrund der hohen Umwandlungsverluste im Kraftwerk erheblich höher. Auch fallen dort die Emissionen an. Insgesamt ist dadurch die Erdgasheizung bezogen auf die gleiche Nutzenergie erheblich günstiger im Hinblick auf Energieeinsatz und Emissionen von CO2 Solche Rechnungen erfordern allerdings ein Modell zur Strukturierung der vielfältigen indirekten Effekte. Bei der dargestellten Rechnung ist z.B. der eingesetzte Strom mit den Einsatzverhältnissen des durchschnittlichen Kraftwerkspark der Bundesrepublik bewertet. 1 Tabelle 4.1: Prozeßkettenvergleich von Heizsystemen
Bezogen auf 1 MWh Nutzenergie System
Dire 21
109
Erneuerbare Energie
9.4. Erneuerbare Energie in Deutschland Tabelle 9.4 zeigt die Beiträge der verschiedenen erneuerbaren Energieträger zur Primärenergie in Deutschland im Jahre 1994. In den letzten Jahren hat insbesondere die Windenergie eine stürmische Aufwärtsentwicklung erfahren. Bisher ist die hauptsächliche Quelle für erneuerbare Energie die Wasserkraft. Insgesamt werden zur Zeit durch erneuerbare Energie etwa 2,4 Prozent des gesamten Primärenergieverbrauchs abgedeckt. Tabelle 9.4: Beitrag erneuerbarer Energie zur Primärenergie, Deutschland 1994 Erneuerbare Energie
1994 PJ
Wasserkraft
176,00
Brennholz
47,00
Klärschlamm, Müll
92,00
Klärgas
13,00
Wind
13,40
Photovoltaik
0,04
Insgesamt
341,44 Zum Vergleich 14084,00 Primärenergieverbrauch gesamt (inkl. Windenergie u. Photovoltaik) Quelle: Eigene Berechnung nach BMWi, Energiedaten '96 Die Umrechnung auf Primärenergie erfolgte entsprechend der Methodik der Energiebilanz. Vgl. dazu Kapitel 2.(Substitutionsmethode: Nach dieser wird Strom aus konventionellen Wärmekraftwerken ersetzt und die Bewertung erfolgt entsprechend der fiktiven Brennstoffersparnis.) Zukünftige Beiträge werden höher sein. Dies hängt einmal von der Entwicklung der Kosten für die Umwandlungssysteme ab und zum anderen von der Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. (Vgl. hierzu Kap. 14). Die Tabelle 9.5 zeigt das Potential verschiedener erneuerbarer Energiequellen. Für die Photovoltaik sind hier die technischen Potentiale angegeben. Wieviel davon realisiert werden kann, hängt in starkem Maße von der Entwicklung der Kosten ab. Darüberhinaus ist das Potential aus Gründen der Stochastik des Energieflusses und der Nutzungskonkurrenz der benötigten Flächen nur teilweise realisierbar. Alle erneuerbaren Energiequellen helfen Umweltbelastungen aus herkömmlichem Energieverbrauch zu vermeiden. Soweit erneuerbare Energie nicht ohnehin wirtschaftlich ist und einer besonderen Förderung bedarf, bildet der Gesichtspunkt
110
Energiemärkte
der vermiedenen Umweltbelastungen ein wichtiges Kriterium für die Allokation von Fördermitteln. Die effektivste Vermeidung von Umweltbelastungen wird erreicht, wenn in die erneuerbaren Energien mit der höchsten Kosteneffizienz investiert wird. Dies sind zur Zeit Windenergie und Biomassenutzung.
Tabelle 9.5: Potentiale erneuerbarer Energie in Deutschland Potential
Erläuterung
TWh Wind
22 Windgeschwindigkeit >=5,5m/s
Wasserkraft (Zubau)
2,7 Kleinwasserkraftanlagen
Photovoltaik Dachnutzung
138 technisches Potential
Photovoltaik Freiflächen
606 technisches Potential
Solare Nahwärme
32 ausschöpfbar bis 2020
Feste Biomasse
67 vor allem Reststroh/-holz
Hinweis: Die Daten können nicht aggregiert werden, da sich die Nutzungen teilweise wechselseitig ausschließen Quelle: Diekmann u.a. (1995)
Literatur zu Kapitel 9. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (1989), Diekmann (1995), Kaltschmitt, Wiese (1995), Wagner u.a. (1997)
u.a.
Elektrizitätswirtschaft
111
10. Elektrizitätswirtschaft 10.1. Merkmale des Stromsektors Primärenergie (fossile Brennstoffe, Uran, Wind, Sonne etc.) kann mit Hilfe eines je nach eingesetztem Energieträger spezifischen Umwandlungsprozesses in Elektrizität (Sekundärenergie) verwandelt werden. Diese wird dann statt der originären Energie Verbrauchern für bestimmte Einsatzzwecke zur Verfügung gestellt. Dies setzt ein Verteilungsnetz voraus, aus dem die Verbraucher die von ihnen gewünschte Energiemenge beziehen können. In einem entwickelten Stromsystem ist dieses Netz so eng geknüpft, daß praktisch überall Strom für Produktions- und Konsumzwecke verfügbar ist. Da Verbraucher also aus einem solchen Netz und nicht direkt aus einem Kraftwerk bedient werden, ist Strom in doppelter Hinsicht ein Kuppelprodukt: •
Physikalisch gesehen fließt der Strom in einem Netz immer automatisch von Generatoren zu den Punkten im Netz, wo Strom entnommen wird (Lastsenken). Soweit sich der Netzzustand über die Zeit ändert, kann daher auch der einen bestimmten Verbraucher bedienende Generator laufend wechseln. Es ist daher unmöglich, einem Verbraucher einen bestimmten Generator zuzuordnen. Verbraucher beziehen also ein Mischprodukt aus der Generatoraktivität aller verschiedenen Generatoren, die ein Netz beliefern.
•
Die Verbraucher beziehen über das Netz die Ware Elektrizität. Diese besteht aber aus dem eigentlichen Produkt der Energieumwandlung Strom und der Transportleistung des Netzes. Die Netze werden dabei nach Spannungsstufen voneinander abgegrenzt. Dabei unterscheidet man das Verbundnetz auf hoher Spannungsstufe, das den Ausgleich der Generatorleistung in Bezug auf die Nachfrage herbeiführen soll und die Verteilungsnetze, die zu den einzelnen Endverbrauchern führen.
Diese technische Struktur ist nicht mit den wirtschaftlichen Vorgängen gleichzusetzen. Zwischen der physischen Verteilung des Stroms über die Netze und dem wirtschaftlichen Vorgang des Verkaufens muß daher unterschieden werden. Das Stromsystem besteht so aus den Teilsystemen Erzeugung, Transport- und Verbundnetz, Verteilung (im physischen Sinne) und Verkauf (im wirtschaftlichen Sinne) (vgl. Abbildung 10.1).
Energiemärkte
112
Das stromwirtschaftliche System
Erzeugung Verbund/ Transport
Verteilung Verkauf Abbildung 10.1: Das stromwirtschaftliche System
Aus dieser Struktur ergeben sich die Besonderheiten dieses Sektors, die für die wirtschaftliche Organisation von Bedeutung sind: •
Die Ware Strom ist netzgebunden. Die Verfügbarkeit von Strom für den Verbraucher setzt also ein spezifisches Transport- und Verteilungsnetz voraus. Dies erschwert die auf anderen Märkten mögliche Arbitrage (Preisangleichung) oder macht sie unmöglich. Denn auf anderen Märkten ohne spezifisches Transportsystem können örtliche Preisdifferenzen zusätzliche Angebote hervorrufen, die tendenziell zu einer Angleichung der Preisdifferenzen führen.
•
Verteilungs- und Transportnetze unterliegen weitgehend den Bedingungen eines natürlichen Monopols Ein einzelnes integriertes Netz kann technisch kostengünstiger betrieben werden, als mehrere konkurrierende Netze, wenn die Betreiber sich wie wettbewerbsorientierte Akteure verhalten. Da aufgrund der Konstellation hierzu primär kein Anreiz besteht, müssen solche Anreize durch politische Regulierung geschaffen werden.
•
Produktion und Verbrauch von Strom müssen gleichzeitig stattfinden, da eine Entkoppelung von Erzeugung und Verbrauch über die Bildung von Lagern praktisch nicht möglich ist. Auch andere Produkte sind in ähnlicher Weise zeitabhängig wie zum Beispiel Leistungen der Telekommunikationsnetze oder ein Linienflug zu einer bestimmten Uhrzeit. All solche Systeme bedürfen eines Rationierungsmechanismus, der ein Überschießen der Nachfrage über das Angebot verhindert. Beim Telefon ertönt das Besetztzeichen, wenn keine Leitung
Das natürliche Monopol wird ausführlich in Kapitel 13. behandelt.
Elektrizitätswirtschaft
113
frei ist, Flüge, Eisenbahnplätze und Hotelzimmer müssen im Voraus gebucht werden und werden möglicherweise auch teurer angeboten, wenn es zu einem Engpaß kommt. Bei Strom wurde traditionell aus der Zeitgleichheit von Angebot und Nachfrage und der technischen Notwendigkeit, Netzzusammenbrüche durch Übernutzung verhindern zu müssen, gefolgert, daß die Angebotskapazitäten von Netzen und Kraftwerken so großzügig zu bemessen sind, daß Engpässe sehr unwahrscheinlich werden. Die oben genannten Rationierungsmechanismen kommen jedoch entsprechend angepaßt auch im Stromsektor in Frage. •
Die Verfügbarkeit der Ware „Strom" ist die Voraussetzung für die Nutzung einer Reihe von darauf basierenden Gütern und Leistungen grundlegender Art (z.B. elektrisches Licht). Im Kernbereich des Strommarktes besteht nur eine geringe oder gar keine Substitutionsmöglichkeit.
Diese Merkmale bilden die Grundlage für die Besonderheiten in der Entwicklung der Stromwirtschaft. Die geringen Substitutionsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem durch die Ware Strom ermöglichten Systemzugang zu vielen Verbrauchersystemen erklären den hohen Grad von politischer Interventionsbereitschaft in das elektrizitätswirtschaftliche System, die in vielen Ländern zu beobachten ist. Bei einer privatwirtschaftlichen Entwicklung des Stromsektors ist es wahrscheinlich, daß bestimmte Gebiete von den Unternehmen nicht erschlossen werden, wenn diese eine geringe Nachfragedichte aufweisen, weil die hohen Anfangsinvestitionen in das Verteilungsnetz als zu riskant betrachtet werden. Dieser Zustand ist für die betroffene Bevölkerung ebenso unbefriedigend wie für die Anbieter von elektrizitätsanwendenden Produkten. In der Entwicklung der Stromwirtschaft kam es daher oft zur Herausbildung von geschlossenen Versorgungsgebieten, die für den privaten Investor das Investitionsrisiko vermindern und häufig mit der Erschließungspflicht für bisher nicht erschlossene Gebiete verbunden wurden. Historisch kam es auch oft zu einer direkten Übernahme von Versorgungsgebieten durch Gemeinden, weil Unternehmen die Erschließung nicht vornehmen wollten oder nicht befriedigend durchführten. In gewisser Weise wurde also in dieser Entwicklungsphase Elektrizität als „meritorisches" G u t 2 aufgefaßt, dessen allgemeine Verfügbarkeit über eine besondere staatliche Einflußnahme gesichert werden sollte.
10.2. Verbundvorteile bei Angebot und Nachfrage Die Belastung eines Stromnetzes durch die Nachfrageseite bzw. der Beitrag eines Generators zur Angebotsseite wird zu einem Zeitpunkt in Kilowatt oder einem Vielfachen davon gemessen. Die notwendige Zeitgleichheit von Angebot und Nachfrage bedingt, daß die verfügbare Leistung der Generatoren und der Netzein-
Gut, dem ein öffentlicher Charakter zugemessen wird, ohne daß es die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes aufweist.
114
Energiemärkte
heiten stets mindestens genauso groß ist, wie die jeweilig nachgefragte Leistung. Tatsächlich ist aber aus Sicherheitsgründen immer eine gewisse Reservekapazität erforderlich, um unvorhergesehene Ausfälle von Erzeugungseinheiten ausgleichen zu können. Die in einen bestimmten Zeitraum von einem Verbraucher in Anspruch genommene elektrische Energie, die sogenannte „Arbeit", wird in Kilowattstunden oder einem Vielfachen davon gemessen. 3 Wegen des Eigenverbrauchs der Kraftwerke und den Netz- und Umspannungsverlusten ist die für den Verbrauch verfügbare Energie (Nettostromverbrauch) immer kleiner als die erzeugte Energie (Bruttostromerzeugung).
10.2.1. Nachfrage a) Bestimmungsfaktoren der Nachfrage Die Nachfrage der Verbraucher ergibt sich aus den bei ihnen installierten Geräten, deren Aufnahmekapazität und deren Betriebsweise. Die durch einen einzelnen Nachfrager verursachte Netzbelastung ergibt sich dann als Resultante aus der Gesamtzahl der bei ihm betriebenen Einrichtungen und deren Intensität. Typischerweise weist die von einem Verbraucher nachgefragte Leistung eine hohe Schwankungsbreite auf. Die Abbildung 10.2 zeigt beispielhaft den typischen Tagesverlauf bei einem Haushaltsverbraucher. Die Verbrauchsintensität schwankt mit den durch den Lebensrhythmus bedingten tageszeitlichen Aktivitäten. Besonders hohe Spitzen ergeben sich, wenn kurzzeitig alle Verbraucher eingeschaltet sind. Nachfrageverlauf Konsument
Abbildung 10.2: Nachfrageverlauf eines Konsumenten
3
Zu den Energieeinheiten vgl. Kapitel 1.2.
Elektrizitäts Wirtschaft
115
Wenn man sich gedanklich vorstellt, daß ein einzelner Verbraucher auch durch einen einzelnen Generator bedient wird, so müßte dieser Generator eine große Bandbreite unterschiedlicher Nachfragesituationen sehr flexibel bedienen können, und gleichzeitig wäre die Auslastung dieses Generators sehr niedrig, weil die Spitze des Verbrauchs im Verhältnis zum Durchschnitt sehr groß ist. Mehrere Verbraucher können jedoch über ein Netz gemeinsam von einem Generator versorgt werden. Durch kleine zeitliche Verschiebungen bei ansonsten ähnlicher Nachfragecharakteristik kommt bereits ein sehr viel ausgewogeneres Nachfrageprofil zustande, wie Abbildung 10.3 zeigt. Auch dieses weist noch Schwankungen auf, wie sie z.B. durch den typischen Tag-Nachtrhythmus etc. verursacht sind. Durch die gemeinsame Versorgung werden jedoch die kurzfristigen starken Schwankungen der einzelnen Verbraucher bereits erheblich ausgeglichen. Werden nun weitere Verbraucher mit anderem Zeitprofil (Produktions- und Dienstleistungsbetriebe) über das gleiche Netz versorgt, so wird das Nachfrageprofil insgesamt noch ausgeglichener.
Abbildung 10.3: Nachfrageverlauf Haushalte im Netz Aus der Möglichkeit der gemeinsamen Versorgung ergibt sich damit ein spezifisches Optimierungsproblem: Eine Zusammenfassung von Verbrauchern in einem Netz erhöht die Netzkosten, verringert aber die Kosten der bereitzustellenden Kraftwerkskapazität und des Kraftwerksbetriebs. Die optimale Struktur ist diejenige, bei der die Gesamtkosten aus Netz- und Erzeugungseinheiten am geringsten werden. In der historischen Entwicklung der Stromwirtschaft hat die Möglichkeit, mittels größerer Erzeugungseinheiten und einem Netzverbund der Verbraucher die Nachfrage zusammenzufassen, zu einer starken Zentralisierung der Funktionen des Systems geführt. Auch eine Dezentralisierung kann aber wirtschaftlich vernünftig sein, wenn einzelne kleinere Stromerzeugungseinheiten jeweils einen bestimmten Teil der örtlichen Last abdecken und aus dem größeren Netzverbund nur noch ein
Energiemärkte
116
Teil der Nachfrage bezogen wird. In diesem Fall können Netzkosten gespart werden, da die Netze kleiner dimensioniert werden können.
b) Die Jahresdauerlinie Für die Analyse des Lastverlaufs wird die zu einzelnen Zeitpunkten gemessene Nachfrage für ein Jahr zusammengefaßt. Die einzelnen Meßpunkte werden nach der Höhe der Nachfrage sortiert und in einem Diagramm über der Zeit dargestellt (Jahresdauerlinie). Daraus läßt sich unmittelbar ablesen, welche Leistung für welche Zeit bereitgehalten werden muß. Die Höhe der Nachfrage wird Lastbereichen zugeordnet. In der Abbildung 10.4 wird die höchste Nachfrage bis zu einer Dauer von 1500h als Spitzenlast bezeichnet. Hierfür sind etwa 10% der Kapazität erforderlich. Nachfrage im Bereich bis zu 4000h wird als Mittellast bezeichnet. Hierfür sind weitere 23% erforderlich. Der Rest bis zur Gesamtdauer des Jahres von 8760 h wird als Grundlast bezeichnet und erfordert etwa zwei Drittel der Kapazität. J e steiler die Jahresdauerlinie verläuft, um so ungleichmäßiger ist die Auslastung der Kapazitäten, die für die Abdeckung der Nachfrage eingesetzt werden müssen. Die aus der Struktur der Stromverbraucher resultierende Jahresdauerlinie hat wegen der unterschiedlichen Auslastung der Kapazitäten wirtschaftliche Konsequenzen. Entweder kann die Kostenstruktur der Erzeugung in Bezug auf eine gegebene Nachfrage optimiert werden, oder es kann versucht werden, durch Beeinflussung der Verbraucher die Lastkurve besser an die Gegebenheiten der Erzeugung anzupassen (Lastmanagement). Jahresdauerlinie
»
Spitzenlast
70 60
40 30 20
0
1000
2000
3000
4000
5000 h
Abbildung 10.4: Jahresdauerlinie und Lastbereiche
6000
7000
B000
Elektrizitätswirtschaft
117
10.2.2. Angebot a) Erzeugungsalternativen Für die Umwandlung von Primärenergie in Elektrizität steht eine große Zahl unterschiedlicher Typen von Generatoren zur Verfügung. Heute werden überwiegend Wärmekraftwerke eingesetzt. Bei diesen wird mit Hilfe der Verbrennung fossiler Energieträger oder der Kernspaltung Wärme erzeugt und damit Dampf hergestellt. Dieser treibt über eine Turbine den Generator an. Das Verhältnis der eingesetzten Primärenergie zur erzeugten Elektrizität ist bei diesem Prozeß relativ niedrig (maximal etwa 5 0 %, faktisch 35 bis 4 0 %). Bei diesem Prozeß entsteht als Kuppelprodukt für die Stromerzeugung nicht einsetzbare Abwärme. Sofern diese für bestimmte Wärmezwecke eingesetzt werden kann (Kraft-Wärme-Kopplung), kann die Energieausnutzung erheblich verbessert werden. Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen werden für die Herstellung industrieller Prozeßwärme und für die Erzeugung von Raumwärme eingesetzt. Wenn die Wärme nicht nur punktuell eingesetzt werden soll, ist ein Wärmeverteilungssystem erforderlich. (Siehe auch e) unten S. 124). Die Kraftwerksalternativen unterscheiden sich nach der Höhe der spezifischen Investitionen, dem zu erreichenden Wirkungsgrad bei der Umwandlung der Energie und den für die eingesetzten Energieträger aufzuwendenden Kosten. Letztere sind u.a. vom Preis des jeweilig eingesetzten Energieträgers abhängig. Darüber hinaus sind die Kosten der Entsorgung von Reststoffen und möglicherweise Kosten für Umweltschutzmaßnahmen zu berücksichtigen. Vergleicht man unterschiedliche Alternativen, so sind nur solche von Interesse, bei denen das Verhältnis der Kapitalkosten (I) umgekehrt zum Verhältnis der Brennstoffkosten (b) ist also: Ii > I 2 > I3 und b] < b 2 < b 3 usw. Auf der Grundlage der vorzunehmenden Investition I können die jährlichen Kapitalkosten mithilfe eines Annuitätsfaktors α berechnet werden. Vereinfachend können auch andere Fixkostenbestandteile wie z.B. Wartung, Reparatur und Personal in diesen Faktor aufgenommen werden. Die Gesamtkosten pro Jahr in Abhängigkeit von der Produktion können dann mit folgender Funktion beschrieben werden. Aus Gründen der Vergleichbarkeit werden die Kosten auf ein Kilowatt Leistung bezogen, so daß die Auslastung des Kraftwerks durch die Zeit dargestellt werden kann. Κ = α / , + blxl
mit
K = Jahreskosten, b= Brennstoffkosten/h I = Investition pro kW, oc= Annuitätenfaktor χ = Nutzungsdauer des Kraftwerks in h
Diese Kostenkurven sind beispielhaft in Abbildung 10.5 dargestellt. Das Diagramm zeigt die Kostenkurven von drei verschiedenen Kraftwerken anhand stilisierter Kostendaten. Das kapitalintensivste Kraftwerk ist das Kernkraftwerk, es
118
Energiemärkte
folgt das Kohlekraftwerk, und das Gaskraftwerk weist die niedrigsten Kapitalkosten auf. Die Kapitalkosten sind unabhängig von der Einsatzdauer und werden auf der Kostenachse aufgetragen. Der Achsenabschnitt stellt also die jedes Jahr unabhängig vom Kraftwerkseinsatz anfallenden Kosten dar. Die Kostenkurven steigen dann mit der Höhe der variablen Kosten pro Zeiteinheit (im wesentlichen Brennstoffkosten) an. Die Steigung der Kostenkurven entspricht also der Höhe dieser variablen Kosten. Im Diagramm ist angenommen, daß die Brennstoffkosten bei Kernenergie am niedrigsten und bei Gas am höchsten sind. Der Vergleich der Kraftwerksalternativen ergibt für jede Alternative einen wirtschaftlichen Einsatzbereich, so ist das Erdgaskraftwerk bis zu einer Auslastung von t] Stunden günstiger als das Kraftwerk mit Importkohle usw. Eine solche Analyse ergibt einen an die Kostenparameter angepaßten Kraftwerkspark, bei dem die Fiktion zugrunde gelegt wird, als müßten alle Kraftwerke zum gleichen Zeitpunkt neu gebaut werden. Aufgrund der langen Lebensdauer der Kraftwerke ist ein historisch gewachsener Kraftwerkspark niemals so zusammengesetzt. Bei der Planung müssen also zusätzlich Überlegungen über das Anderungsrisiko bestimmter Kostenparameter angestellt werden. Solche Überlegungen können dazu führen, Varianten mit höheren Kosten aber geringerem Änderungsrisiko den Vorzug zu geben. (Beispiel: Einsatz von Braunkohle in Deutschland).
Ein besonderes Problem weisen bestimmte regenerative Energieträger (REG) auf. Während die Verfügbarkeit herkömmlicher Kraftwerke mit ihrer Kapazität zu bestimmten Zeitpunkten eingeplant werden kann und nur ein gewisses technisches Risiko des Ausfalls des Kraftwerks besteht, das durch Reservehaltung ausgeglichen werden kann, sind bestimmte erneuerbare Energieträger in ihrer Verfügbarkeit von natürlichen Faktoren abhängig (Sonne, Wind etc.) und können daher nicht fest zu bestimmten Zeitpunkten eingeplant werden. Solche Kraftwerke bedürfen
119
Elektrizitätswirtschaft
daher einer zusätzlichen Absicherung durch eine einplanbare Kapazität, wenn ihr Angebot im Hinblick auf ein zeitliches Nachfrageprofil verfügbar gemacht werden soll. Bei solchen Kraftwerken sind die variablen Kosten vernachlässigbar klein. Der wesentliche Kostenblock besteht aus den Investitionskosten zu Anfang und den Fixkosten für die Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit.
DWkW
Kosten mit R E G
600
Fossile Energie
Backup
200 REG
0 0
SOO
1000
1500
2000
2500
3000
3500
4000
4500
Abbildung 10.6: Kosten mit REG In der Abbildung 10.6 sind als Beispiel die Stromerzeugungskosten einer Windkraftanlage einbezogen. Da die Auslastung dieser Anlage nicht planmäßig gewählt werden kann, sondern von den Naturbedingungen des Standortes vorgegeben ist und da auf der anderen Seite die variablen Kosten als Null angesehen werden können, werden die Kosten als Parallele zur Zeitachse eingezeichnet. Die Kosten des zusätzlichen Backup-Kraftwerks sind in der Abbildung darübergelegt. Während der durch die punktierte Linie symbolisierten Zeit kann die erneuerbare Anlage Energie produzieren (bis 2000h). Während dieser Zeit treten also keine Brennstoffkosten in der Backup-Anlage auf. Danach muß die Backup-Anlage eingesetzt werden, so daß deren Kostenfunktion jetzt ansteigt. Im Vergleich zur Abbildung 10.5 beginnen die variablen Kosten also erst vom Nullpunkt aus verschoben um die maximale Auslastungszeit der erneuerbaren Anlage. Welche Anlage als Backup-Anlage in Frage kommt, läßt sich am besten im Rahmen einer wirtschaftlichen Optimierung des Gesamtsystems klären.
Energiemärkte
120 b) Größendegression
Historisch sind die Kosten konventioneller Anlagen zur Stromerzeugung mit der Entwicklung der Größe des Strommarktes stark gesunken, da es möglich war, die spezifischen Kosten pro kW-Leistung mit dem Wachstum der Anlagen zu senken. Aus dem Größenvorteil ergibt sich dann auch wieder ein Anreiz zum Verbundbetrieb. Hier ist wieder der Optimierungsgedanke des vorigen Abschnittes anzuwenden: Ergibt sich noch ein wirtschaftlicher Vorteil, wenn eine Anlage vergrößert wird und damit im größeren Umfang Netzkosten anfallen?
c) Kurzfristige Angebotsplanung Kurzfristig steht der Kraftwerkspark unabhängig davon zur Verfügung, ob seine Struktur kostenoptimal ist. Da sich die Preise der Energieträger und Kraftwerke und die technischen Möglichkeiten ständig ändern, ist es wahrscheinlich, daß ein Teil der vorhandenen Kraftwerke nicht mehr so gebaut würde, wie er realisiert ist. Die kurzfristige Angebotsplanung muß von diesem Kraftwerkspark ausgehen. Die Kraftwerke können nach ihren variablen Kosten angeordnet werden (merit order). Die Gesamtkosten sind dann am niedrigsten, wenn im Hinblick auf eine gegebene Nachfrage die Kraftwerke mit den niedrigsten variablen Kosten eingesetzt werden, (vgl. Abbildung 10.7). In der Abbildung ist die Nachfrage so hoch, daß Kernkraftwerk und Kohlekraftwerk eingesetzt werden. Die Systemgrenzkosten ergeben sich dann aus den Zuwachskosten einer zusätzlichen kWh und sind hier daher durch die variablen Kosten des Kohlekraftwerks bestimmt. Die Grenzkosten aller Kraftwerke ergeben die Angebotsfunktion, die typischerweise treppenartig ansteigt. gegebene Nachfrage
Angebotsfunktion(Grenzkosten)
-•Systemgrenzkosten •
Gaskraftwerk Kohlekraftwerk Kernkraftwerk
Leistung
Abbildung 10.7: Merit order
kW
Elektrizitätswirtschaft
121
werden. Dies erfordert bei unabhängigen Unternehmen die Möglichkeit eines kurzfristigen Handels mit Strom. Jeder Anbieter kann dann vergleichen, ob die Erzeugung aus der eigenen Anlage oder der Kauf von einem anderen Anbieter kostengünstiger ist4. Ein entwickeltes System für den Stromhandel kann man auch als Pool bezeichnen. Im reformierten englischen System der Elektrizitätswirtschaft stellt der Pool den Marktplatz des Systems dar, auf dem sich die kurzfristigen Preise herausbilden können. Diese werden in halbstündigen Intervallen gebildet. Die Abbildung 10.8 zeigt die durchschnittlichen Poolpreise des Februars 1997 nach der Tageszeit. Durchschnittliche Poolpreise und Nachfrage Februar 1997
Nachfrage {MW) . 45000
P'eis (uMWh| 60 r
•
Pool Einkaufspreis 30 4
Abbildung 10.8: Pool Preise und Nachfrage in England im Februar 1997 Quelle: Power in Europe Werden die Preise nach den Grenzkosten gebildet, so ist nicht sichergestellt, daß alle Betreiber ihre vollen Kosten decken können. Dem kann durch einen Zuschlag (häufig einen Festbetrag) Rechnung getragen werden. Der Zuschlag kann auch von der Auslastung des Systems abhängig gemacht werden, um einen Anreiz für Kraftwerksneubauten auszulösen. d) Langfristige Angebotsplanung Angesichts der langen Lebensdauer von Kraftwerken kann man davon ausgehen, daß der tatsächliche Kraftwerkspark nie einem theoretisch optimalen Kraftwerkspark Entspricht.
4
Vgl. dazu auch Kapitel 12. zum Börsenhandel.
5
Ein Modell des optimalen Kraftwerksparks wird in Kapitel 17 dargestellt.
122
Energiemärkte
Jahresdauerlinie
Abbildung 10.9: Optimaler Kraftwerkspark Dies gilt, wenn man realistischer Weise unterstellt, daß sich durch technischen Fortschritt, veränderte gesellschaftliche Anforderungen und Veränderungen der Brennstoffpreise die Kostenfunktionen über die Zeit verändern und sich damit der tatsächliche Kraftwerkspark, der aus Einschätzungen und Rahmenbedingungen der Vergangenheit entstanden ist, vom optimalen entfernt, der heute realisiert würde. Zur Ermittlung des optimalen Kraftwerksparks können Optimierungsmodelle herangezogen werden. Ein solches Modell wird im Anhang dargestellt. Wir zeigen
123
Elektrizitätswirtschaft
hier eine vereinfachte grafische Lösung. Diese ergibt sich aus der Kombination der Jahresdauerlinie (Nachfrageseite) mit dem Kostendiagramm (Angebotsseite). In der Abbildung schneidet die Kostenkurve des Gaskraftwerks bei etwa 3200h die Kostenkurve des Kohlekraftwerks. Es ist daher in dem Beispiel wirtschaftlich, für die Nachfrage mit einer Benutzungsdauer unterhalb 3200h/a Gaskraftwerke vorzusehen und den weiteren Bedarf mit Strom aus Kohlekraftwerken zu decken. Der Schnittpunkt der Kostenkurve wird auf die Jahresdauerlinie übertragen und zeigt dann, welche Kapazitäten der einzelnen Kraftwerke erforderlich werden.
e) Kraft-Wärme-Kopplung Bei der Erzeugung von Elektrizität in Dampfturbinen, Gasturbinen oder motorgetriebenen Generatoren fällt als Kuppelprodukt Abwärme an. Diese kann durch Kühlvorrichtungen beseitigt werden. Alternativ kann die Abwärme als Prozeßoder Heizwärme im Niedertemperaturbereich eingesetzt werden. Wird die Abwärme genutzt, so verbessert sich die Energiebilanz des Gesamtprozesses. Wirtschaftlich betrachtet entstehen zusätzliche Erlöse durch die wirtschaftliche Verwertung der Wärme. Aufgrund der Dichte des Stromnetzes ist die Standortwahl für Erzeugungsanlagen von Elektrizität kleinräumig betrachtet unabhängig vom Standort der Stromverbraucher. Die Kosten des Baus und der Unterhaltung von Wärmenetzen sind dagegen im Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Wärme (bewertet mit heutigen Energiepreisen) relativ hoch. Aus diesem Grunde müssen Anlagen für die gekoppelte Erzeugung von Wärme und Strom möglichst verbrauchsnah errichtet werden, da sonst die hohen Wärmenetzkosten den wirtschaftlichen Vorteil aus dem zusätzlichen Erlös für die Wärme übersteigen können. Man unterscheidet zwischen Nah Wärmesystemen, bei denen nur eine kleinräumige Wärmeverteilung stattfindet (ζ. B. industrielle Stromerzeugungsanlagen, Anlagen zur Versorgung größerer öffentlicher Gebäude wie Krankenhäuser. Schwimmbäder etc.) und Fernwärmesystemen, bei denen Stadtteile oder ganze Städte durch ein Wärmenetz mit insbesondere Heizenergie versorgt werden. Wärme aus dem Wärmenetz steht in unmittelbarer wirtschaftlicher Konkurrenz mit der Eigenerzeugung von Wärme beim Verbraucher aus unterschiedlichen Energiequellen. Daraus ergibt sich cjer „anlegbare Preis" für die Energielieferung aus dem Vergleich alternativer Wäritiebereitstellungskosten bei Eigenerzeugung der Wärme bzw. bei Bezug aus dem Netz. Unter Wettbewerbsbedingungen kann der Preis für den Bezug von Wärme aus dem Netz nicht höher liegen als die Eigenerzeugungskosten (vgl. Formel 10.1).
(10.1) (Pwärmenetz + f Netz ) - ( ^B
:t ff
~
h
f Heizung
)
Ρ = Preis; f = Fixkosten, η = Wirkungsgrad Der Preis für den Wärmebezug aus dem Netz ist abhängig von den Energiekosten der im Netz bereitgestellten Wärme, den Kapitalkosten für die Erzeugung der Wärme sowie den Kosten des Netzes. Aufgrund der Kraft-Wärme-Kopplung
124
Energiemärkte
(KWK) sind die Energiekosten relativ niedrig, das gleiche gilt für die zusätzlichen Investitionsaufwendungen, um die Wärme auszukoppeln. Die Netzkosten sind sehr stark abhängig von der Energiedichte in dem jeweiligen Netz. Die Kosten pro Einheit fallen mit der Wärmemenge, die durch ein gegebenes Netz verteilt wird. Da es sich bei Wärmenetzen um langlebige Investitionen handelt, besteht unter Wettbewerbsbedingungen keine starke Neigung, in solche Netze zu investieren, wenn die Erschließung der entsprechenden Nachfragepotentiale lange Zeit in Anspruch nehmen wird, weil das Investitionsrisiko in dieser Aufbauphase sehr hoch ist. Wärmenetze sind daher insbesondere in solchen Ländern verbreitet, wo der institutionelle Rahmen dies begünstigt hat (Beispiel skandinavische Länder) oder von vornherein eine Anschlußpflicht vorgesehen wurde (osteuropäische Länder, Rußland). Auch spielt der klimabedingte Wärmebedarf eine Rolle. Die Erzeugung von Wärme in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kann j e nach Einsatzzweck sehr unterschiedlich erfolgen. Im Prinzip läßt sich für den Wärmebedarf eine ähnliche Analyse durchführen, wie sie für die Stromnachfrage oben dargestellt wurde. Im allgemeinen wird die Jahresdauerlinie des Wärmebedarfs mit der des Strombedarfs nicht übereinstimmen. Daraus können unterschiedliche Strategien abgeleitet werden: a.
Die Stromerzeugung folgt der Wärmeerzeugung. Wenn mit der KWKAnlage vorrangig die Wärme bedient werden soll, und der Strom als Nebenprodukt in ein Netz eingespeist wird oder einen Teil des Eigenbedarfs abdecken soll, sind die Anlagen technisch anders auszulegen als wenn das vorrangige Ziel die Stromerzeugung ist und die Wärme als Nebenprodukt auftritt. Grundsätzlich werden Anlagen mit einer festen Koppelung von Strom und Wärme eingesetzt. Ein Wärmespeicher kann dazu verhelfen, Erzeugung und Verbrauch von Wärme kurzfristig zu entkoppeln und kann die Möglichkeit schaffen, kurzfristig den Betrieb am Strombedarf zu orientieren.
b.
Die Wärmeerzeugung folgt der Stromerzeugung. In diesem Fall kommen eher Anlagen mit einem variablen Erzeugungsverhältnis von Strom und Wärme in Frage.
Kraft-Wärme-Kopplung in Deutschland Die Tabelle 10.1 zeigt den Anteil der Fernwärme an der Wärmeversorgung nach Einsatzbereichen und die Tabelle 10.2 den Anteil der fernwärmebeheizten Wohnungen. In den alten Bundesländern werden nur 8 % der Wohnungen über ein Wärmenetz beheizt und dies sind knapp 5 % der bei den Haushalten für Raumwärme eingesetzten Endenergie. (Typischerweise werden kleinere städtische Wohnungen und nicht Einfamilienhäuser mit Fernwärme versorgt).
Elektrizitätswirtschaft
125
Tabelle 10.1: Anteil der Fernwärme an der Wärmeversorgung (ABL) 1993 Industrie Alle Sektoren Haushalte Kleinverbrauch Prozeßwärme
2,1%
3,3%
4,0%
1,4%
Raumwärme
6,5%
4,6%
10,4%
9,3%
Quelle: RWE Energie AG: Energieflußbild der Bundesrepublik Deutschland Tabelle 10.2: Anteil der fernwärmebeheizten Wohnungen 1995 ABL
8%
NBL
25%
Quelle: ESSO Tabelle 10.3 zeigt die Struktur der Fernwärmeerzeugung im Jahre 1995. Der Anteil aus Kraft-Wärme-Kopplung bei der Fernwärme liegt in den alten Bundesländern höher als in den neuen Bundesländern. In der ehemaligen DDR war der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Fernwärme relativ niedrig, in den letzten Jahren ist er erheblich angestiegen, hat aber noch nicht das westdeutsche Niveau erreicht. Insgesamt findet bisher nur ein geringer Teil der Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung statt. Inwieweit sich dies in Zukunft ändern wird, hängt einmal von der Ausgestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen im Rahmen der Marktöffnung und zum anderen von der Entwicklung der technischen Möglichkeiten bei der Kraft-Wärme-Kopplung (kostengünstige GuD-Anlagen, Brennstoffzellen etc.) ab. Tabelle 10.3: Daten zur Fernwärme 1995 Einheit Anschlußwert
GJ/s
Wärmeengpaßleistung
NBL D gesamt
ABL 43,1
12,5
55,6
36,9
12,2
49,1
davon: Heizkraftwerke
21,1
6,1
27,2
Heizwerke
15,8
6,1
21,9
Netzeinspeisung
TWh
68,7
97,7
29,0
davon: Heizkraftwerke
46,2
11,8
58,0
Heizwerke
13,4
12,1
25,6
9,1
5,0
14,1
Fremdbezug elektr. Nennleistung
GW
8,2
1,5
9,7
Stromerzeugung aus KWK
TWh
16,8
3,8
20,6
Quelle: Die Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik (1995) 10.2.3. Verbund- und Verteilungsnetz Die Abbildung 10.10 zeigt schematisch die Struktur eines Verbundsystems. Die Kraftwerke Α, Β und C sind durch Hochspannungsleitungen miteinander vernetzt. An bestimmten Stellen wird aus diesem Netz Strom entnommen, durch Transformatoren auf eine niedrigere Spannung gebracht und in die Verteilungsnetze I, II
126
Energiemärkte
und III eingespeist. Dort werden die Stromverbraucher dann mit diesem Strom beliefert.
Abbildung 10.10: Schema Verbundnetz Der Verbund der verschiedenen Kraftwerke sorgt dafür, daß •
die Größendegressionsvorteile der Kraftwerke ausgenutzt werden können,
•
Lastspitzen der jeweiligen örtlichen Verteilungssysteme, die die Kapazität des örtlichen Kraftwerks überschreiten würden, im Gesamtsystem abgefangen werden können (Pool-Funktion) und
•
mögliche Ausfälle einzelner Kraftwerke des Systems durch die anderen kompensiert werden können.
Je größer das Verbundsystem, um so kleiner wird die Rolle des einzelnen Generators in Bezug auf die Last des Gesamtsystems und um so sicherer kann das System betrieben werden. Der Verbundbetrieb mehrerer Anlagen senkt also einerseits die Erzeugungskosten und erhöht andererseits durch Pooling die Versorgungssicherheit.
10.3. Koordination des Systems 10.3.1. Vom integrierten Monopol zum Wettbewerb Wie eingangs betont, kommt es für die Analyse des Stromsystems darauf an, zwischen der physischen Struktur (Energiefluß) und der wirtschaftlichen Struktur (Verträge und Vereinbarungen) zu unterscheiden. Im Systems kommt es darauf an, die zum System gehörenden Erzeugungseinheiten mit den Transporteinheiten so zu kombinieren, daß die Nachfrage der Verbraucher an ihren jeweiligen Verbrauch-
Elektrizitäts Wirtschaft
127
Sorten gedeckt werden kann. Das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch kann aufgrund des Netzverbundes nicht alleine durch bilaterale Verträge zwischen Erzeugern und Verbrauchern entstehen. Vielmehr muß eine Koordination zwischen allen Erzeugern, die in das Netz einspeisen, und den Verbrauchswünschen stattfinden, wobei auch die regionale Verfügbarkeit von Kraftwerken und Netzeinheiten zu beachten ist. Am Strommarkt ist daher ein Koordinator erforderlich. Dieser wird auch als Lastverteiler bezeichnet. Die Beziehungen zwischen den Einheiten des Systems können sehr unterschiedlich geregelt werden. Heute geht man davon aus, daß zwischen den Anbietern Wettbewerb herrschen sollte, weil dieser besser als eine regulierende Aufsicht dafür sorgen kann, daß Kosten- und Innovationsdruck herrscht. Wettbewerb impliziert aber essentiell freie bilaterale Verträge zwischen Herstellern und Abnehmern sowie Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher. Wie kann dies im Stromsystem bei Netzverbund realisiert werden? Traditionell hat oft die Integration der physischen Einheiten des Systems die Organisationsform bestimmt. Im integrierten Monopol (Abbildung 10.11) werden alle verschiedenen Systemfunktionen innerhalb eines Unternehmens wahrgenommen, das Kraftwerke betreibt, über ein Hochspannungsnetz verfügt, das Verteilungsnetze zu den Endverbraucher betreibt und schließlich auch den Verkauf (Einzelhandel) durchführt. Im integrierten Monopol wird der Lastverteiler stets die Kraftwerke mit den günstigsten Grenzkosten zuschalten (vgl. Abb. 10.7). Es ist jedoch nicht sichergestellt, daß eine gesamtwirtschaftlich optimale Lösung entsteht, wenn mehrere integrierte Monopolunternehmen nebeneinander - jeweils zuständig für ein bestimmtes Gebiet - Elektrizität produzieren und verteilen. Die unterschiedliche Ausstattung mit Kraftwerken und der unterschiedliche Verlauf der Nachfrage bei verschiedenen Unternehmen führt nur dann zu der kostengünstigen Lösung, wenn die Entscheidung über den Kraftwerkseinsatz für das gesamte Gebiet vorgenommen wird. Abbildung 10.12 zeigt eine Situation, bei der der zweite Anbieter den Einsatz eines kostengünstigeren Kraftwerks ausweiten kann, wenn dafür der erste Anbieter den Einsatz des teureren Kraftwerks entsprechend zurückfährt. Diese Situation ist zwar für beide Seiten vorteilhaft (Handelsvorteil in der Abbildung), kann jedoch nur realisiert werden, wenn über den Netzverbund hinaus Koordinierungsmechanismen existieren, durch die laufend eine entsprechende Abstimmung herbeigeführt wird und die damit verbundenen wirtschaftlichen Abrechnungen vorgenommen werden. Dies setzt voraus, daß der Vorteil aus dem Handel über die Grenzen des eigenen Versorgungsgebietes hinaus für beide Seiten fühlbar wird, da sonst kein Anreiz besteht, in diesen Handel einzutreten.
128
Energiemärkte
Eine mögliche Lösung dieses Problems kann darin bestehen, ein integriertes Monopol für ein gesamtes großes Gebiet zu schaffen und innerhalb dieses Gebiets die Koordination der Anlagen nach Kostengesichtspunkten zu betreiben. Aus diesem Gedanken erklärt sich die zentralistische Struktur, die früher in vielen Ländern die normale Form der Elektrizitätsversorgung gewesen ist (Großbritanien, osteuropäische Länder, Rußland, heute noch: Frankreich). Angesichts der geringen Substitutionskonkurrenz in einem großen Teil des Strommarktes besteht jedoch für das integrierte Monopol nur ein teil weiser Anreiz, sich um Kostensenkung zu bemühen. Auch eine staatliche Regulierung solcher integrierten Monopole, wie sie allgemein üblich ist, bildet nur einen unvollkommenen Ersatz für einen echten Wettbewerbsprozeß, weil die mit der Regulierung verbundenen Informationsprobleme, die Regulierungskosten und auch die Begrenztheit der möglichen Regulierungsmethoden in der Realität nur unvollkommen zu dem gewünschten Ergebnis führen können. Ein integriertes Monopol mit der Zuständigkeit für ein bestimmtes abgegrenztes Gebiet, kann in der Regel nur entstehen, wenn die Wettbewerbsgesetzgebung des entsprechenden Landes dies ausdrücklich zuläßt, da Gebietsabsprachen im allgemeinen auf Grund der Wettbewerbsregeln nicht zulässig sind. Während früher solche Ausnahmen gewährt wurden, weil die Stromversorgung als natürliches Monopol angesehen wurde, zeigt sich heute bei differenzierter Betrachtung, daß nur das Netz diese Eigenschaft aufweist. Ein Wettbewerb in Teilbereichen des Sektors ist also möglich. Im folgenden werden verschiedene Varianten der Ausgestaltung von Wettbewerb erläutert.
129
Elektrizitäts Wirtschaft
Zweiseitiger Austausch 1 Gegebene Nachfrage
Α
Gegebene Nachfrage
Gas
Hand^lsvorteil ν Kohle
Kernen. Kohle
•
Erzeuger Α
— >
Erzeuger Β
Leistung kW
Abbildung 10.12: Handelsvorteil zwischen zwei Anbietern
10.3.2. Wettbewerb durch Ausschreibung Liegt in einem Versorgungsgebiet ein Kapazitätsbedarf vor, so kann verlangt werden, daß vor dem Bau neuer Anlagen eine Ausschreibung stattfindet. Möglicherweise kann ein Bewerber mit vorhandenen eigenen oder anderweitig neu zu bauenden Kapazitäten die Anforderung der Ausschreibung besser erfüllen als das ausschreibende Unternehmen selbst. In den USA wurde mit Hilfe von Ausschreibungsverfahren dafür gesorgt, daß die festen Versorgungsgebiete dadurch aufgelockert wurden, daß ortsfremde Unternehmen in das Angebot in einem Versorgungsgebiet einbezogen wurden.
10.3.3. Wettbewerb durch Netzzugang Bei freiem Netzzugang können Verbraucher Strom von einem Erzeuger außerhalb des Versorgungsgebiet beziehen, in dem sie ansässig sind. Die Eröffnung des Netzzugangs ist also ein Teilmoment einer vertikalen Desintegration. Da der nicht (mehr) von dem gebietszuständigen Unternehmen versorgte Abnehmer dennoch aber dessen Netzdienstleistungen in Anspruch nehmen muß, weil nur dieses Netz in diesem Gebiet existiert, setzt der Netzzugang voraus, daß eine Einigung über die Bedingungen der Netznutzung herbeigeführt wird. Dies kann durch vertragliche Vereinbarung oder durch staatliche oder quasi staatliche Regelung geschehen. Ein freier Netzzugang in größerem Umfang ist nur möglich, wenn aufgrund eines Netztarifs für die Nachfrageseite eine hohe Transparenz im Hinblick auf die Kosten der Netznutzung besteht. Verhandelter Netzzugang auf Vertragsbasis ist daher nur als eine erste Stufe der vertikalen Desintegration anzusehen.
Energiemärkte
130
10.3.4. Strombörse (Pool) Eine weitergehende vertikale Desintegration kann zu einem offenen Stromhandelssystem führen. 6 An die Stelle von zweiseitigen Verträgen zwischen einem Erzeuger und einem Verbraucher wie beim Netzzugang tritt hier ein allgemeiner Spotmarkt. Die Koordination zwischen Angebot und Nachfrage findet zu festgelegten zeitlichen Intervallen ähnlich wie an einem Finanzmarkt statt. Im britischen Pool koordiniert der Pool die Kraftwerksangebote selbst im Hinblick auf die Nachfrage, während im skandinavischen Pool (Nordpool) auch Verbraucher oder Händler direkt an die Börse gehen können. In beiden Ländern besteht ein einheitliches Hochspannungstransportnetz, daß bei der Reform des Sektors jeweils aus dem staatlichen System herausgelöst wurde. Soweit wie in Deutschland mehrere private Unternehmen den Verbundbetrieb im Hochspannungsnetz betreiben, ist eine enge Kooperation sowohl hinsichtlich der technischen Abläufe wie hinsichtlich der wirtschaftlichen Verrechnungsmodalitäten notwendig, damit auch in einem solchen System der Handel stattfinden kann. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu der Tatsache, daß die gleichen Unternehmen als Eigentümer von Kraftwerken Konkurrenten sind.
10.3.5. Preise a) Erzeugung Da die relative Knappheit von Strom mit dem jeweiligen Belastungszustand des Netzes über die Zeit variiert, müssen Preise, die den Verbraucher über die jeweilige Knappheitssituation informieren sollen, zeitvariabel sein. Zeitvariable Verbraucherpreise können grundsätzlich auch in geschlossenen Versorgungsgebieten eingesetzt werden. Wie weit sie praktikabel sind, hängt im wesentlichen von der relativen Bedeutung der damit verbundenen Informations- und Transaktionskosten ab. Bei kleinen Verbrauchern sind diese Kosten derzeit noch zu hoch. Es ist jedoch möglich, den Grundgedanken der Zeitvariabilität der Preise auch in vereinfachte Tarifmodelle zu übernehmen, um tageszeit- und jahreszeitbedingte Lastschwankungen zum Ausdruck zu bringen. Zeitabhängige Preisbildung wird in der einen oder anderen Form fast überall praktiziert. Im allgemeinen geschieht dies jedoch nicht in der Form eines in festgelegten Zeitintervallen schwankenden Preises, sondern in Form von zweigliedrigen Tarifen, die mit einem Preisbestandteil die nachgefragte Spitzenlast (in kW) bewerten und mit einem zweiten Preisbestandteil die nachgefragte Energie (in kWh) differenziert nach einigen Preisperioden zugrunde legen. Die Anreizwirkungen solcher Preissysteme sind denen echter zeitvariabler Preise ähnlich, so daß sie aufgrund der geringen Transaktionskosten bei Abnehmern einen vernünftigen Kompromiß darstellen können, wenn nicht häufig auch vorzufindende institutionelle Differenzierungen (Haushalte, Gewerbe, Landwirtschaft etc.) zu willkürlichen Verzerrungen führen.
6
Zum Handel vgl. auch Kapitel 12.
131
Elektrizitätswirtschaft
Bei einer Marktöffnung sind weitgehende Differenzierungen zu erwarten, da die Form der Tarife selbst zumindest in der Übergangsphase Verkaufsargument sein kann.
b) Preise für Netzleistungen In einer ersten Näherung können Preise für Netzleistungen gebildet werden, indem die zu einem Netzabschnitt gehörenden Komponenten (Leitungen, Transformatoren etc.) erfaßt werden und deren Kapital- und Betriebskosten zusammengestellt werden. Weiterhin ist der in diesem Netzabschnitt zu erwartende Netzverlust ("Energieaufwand" zum Transport des Stroms) zu berücksichtigen. Auf der Basis der Kostenerfassung und der Kapazität des Netzsystems können dann die Kosten für eine Leistungseinheit (kW) ermittelt werden. Die Tabelle 10.4 zeigt ein Beispiel für Netzpreise. Es handelt sich um den Netztarif der Energieversorgung Oslo (Netz), das für bestimmte Verbrauchsfälle berechnet wurde. Tabelle 10.4: Netzpreise Oslo Energie Gewerbe berechnet für 100 kW, 5000h
Preis
Mittelspannung (33 - 132 kV)
0,8Pf/kWh
Mittelspannung (11 kV)
1,6 Pf/kWh
Niederspannung (230 V)
2,5 Pf/kWh
Haushalt (230V, 3000 kWh/a)
6,5 Pf/kWh
Quelle: Eigene Berechnung nach dem Tarif vom 1.7.97
10.4. Elektrizitätswirtschaft in Deutschland 10.4.1. Nachfrage Aufgrund der kostenintensiven Umwandlung einerseits und den flexiblen Einsatzmöglichkeiten andererseits ist Elektrizität eine hochwertige Energieform.
% Sektor
Prozeßwärme Raumwärme
%
TWh Kraft
Licht Gesamt
Anteil
25,1
0,5
68,5
5,9
165
43,7
Verkehr
0,0
6,7
86,7
6,7
12
3,2
Haushalt
35,8
21,6
33,6
9,0
109
28,8
Kleinverbrauch
23,0
10,6
44,2
22,1
92
24,3
Gesamt %
26,9
9,2
53,1
10,8
378
100,0
Industrie
Quelle: R W E Ene rgie AG: Energieflußbild der Bundesrepublik Deutschland 1993 Tabelle 10.5 zeigt die Anwendungsgebiete der Elektrizität in den verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaft. Die wichtigste Anwendungsform für Elektrizität sind die Kraftantriebe mit mehr als der Hälfte des Gesamteinsatzes, das zweit-
Energiemärkte
132
wichtigste Einsatzgebiet ist die Erzeugung von Prozeßwärme bei Industrie, Haushalten und Kleinverbrauchern, es folgt der Stromeinsatz für die Beleuchtung und schließlich der Einsatz für die Raumwärme. Letztere wird überwiegend in Form von Speicherheizungen eingesetzt. Energetisch ist der Einsatz von Strom für Raumheizung an sich nicht sinnvoll, weil der hohe Abwärmeverlust bei der Stromerzeugung bei einer direkten Erzeugung der Wärme vermieden werden kann. Dies drückt sich auch in den Heizungskosten aus. Speicherheizungen werden jedoch in den Schwachlastzeiten des Stromsystems aufgefüllt und geben die Heizenergie zur Bedarfszeit an die Räume ab. Aufgrund dieser zeitlichen Entkopplung kann Elektrizität für Speicherheizungen zu niedrigeren Preisen geliefert werden als für andere Anwendungen. Bis in die Mitte der 80er Jahre ist der Stromverbrauch schneller gestiegen als das Bruttoinlandsprodukt. Seitdem hat sich der Trend umgekehrt, d. h. der für eine Einheit Bruttoinlandsprodukt aufzuwendende Stromeinsatz ist seit dieser Zeit gesunken (vgl. dazu Abbildung 10.13). In diesem Befund drückt sich eine veränderte Struktur der volkswirtschaftlichen Nachfrage einerseits und ein effektiverer Energieeinsatz andererseits aus. Während früher der Stromverbrauch der Industrie dominierte, hat seit Anfang der 70er Jahre der Verbrauch der anderen Bereiche (Kleinverbrauch und Haushalt) stark zugenommen. Fast unbedeutend ist der Stromverbrauch des Verkehrssektors (elektrische Bahnen). Vergleiche hierzu auch Abbildung 10.14.
Stromverbrauch je Einheit BIP
kWh/TDM
BIP in Preisen von 1991
175.000 170.000 165.000 160.000
\
Γ^
\J
Λ
155.000 150.000 I1Ö.UUU
1973
197B
1983
1988
1993
Abbildung 10.13: Stromverbrauch j e Einheit Bruttoinlandsprodukt ( A B L ) Quelle: Jahresberichte „Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland"
E l e k t r i z i t ä t s Wirtschaft
133
Stromverbrauch nach Sektoren
GWh
450000 400000 350000 300000 250000 200000 150000 100000 50000
o 1950
— 1955
1960
1965
1970 ,_J975
Jch·
1980
19Θ5
1990
1995
Abbildung 10.14: Stromverbrauch der Sektoren, bis 1990 ABL, danach D gesamt Quelle: Jahresberichte „Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland"
10.4.2. Angebot Die Abbildung 10.15 zeigt die Kraft Werkskapazitäten nach Energieträgern. Bis in die 70er Jahre war Kohle die dominante Energie für die Stromerzeugung. Es folgte dann ein Ausbau von Kraftwerken auf der Basis von Erdöl oder Erdgas und schließlich der Ausbau der Kernenergie. Aufgrund der steigenden Ölpreise in den 70er Jahren wurden die Öl- und Gaskraftwerke jedoch nur in geringem Umfang eingesetzt. Dies ist auch heute noch der Fall. Die
Tabelle 10.6 zeigt die Struktur der Stromerzeugung nach Energieträgern in den alten Bundesländern im Jahre 1990 und Gesamtdeutschland 1995. Kohle trug in der Struktur der alten Bundesländer etwa 50 % bei, Kernenergie ein Drittel und der Rest verteilt sich auf die anderen Erzeugungsmöglichkeiten. Durch die Vereinigung hat sich der Anteil der Kohle aufgrund der Braunkohlekraftwerke in den neuen Bundesländern noch weiter erhöht.
Energiemärkte
m
Der Kraftwerkspark
140000
120000 100000 80000 60000 40000
20000
Abbildung 10.15: Der Kraftwerkspark, bis 1990 ABL, danach D gesamt Quelle: Jahresberichte „Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland"
Tabelle 10.6: Struktur der Bruttostromerzeugung nach Energieträgern ABL 1990
D 1995
Steinkohle
31%
27%
Braunkohle
18%
28%
Heizöl
2%
1%
Erdgas
8%
7%
Sonstige Brennstoffe
3%
3%
Kernenergie
33%
29%
Wasserkraft
4%
5%
Gesamt %
100%
100%
Gesamt TWh
449,5
529,9
Quelle: Energiedaten '96
Elektrizitätswirtschaft
135
10.4.3. Kosten und Preise Angesichts der zweigliedrigen Tarife für Strom mit einem Festbestandteil und einem variablen Bestandteil können Preise nur bei definiertem Anwendungsfall verglichen werden. Einen Maßstab für die gesamte Preisentwicklung bildet der durchschnittliche Erlös der EVU aus dem Absatz von Elektrizität. Dieser ist in Abbildung 10.17 in konstanten Preisen von 1991 ausgedrückt und für den Zeitraum von 1950 bis 1995 dargestellt. Für die Anfangsphase der Bundesrepublik war ein starker Fall der realen Preise für Strom charakteristisch. Dieser erklärt sich aus der Kostensenkung durch größere Kraftwerkseinheiten und der besseren Energieausnutzung in den neueren Kraftwerken. Mitte der 70er Jahre kam es aufgrund der starken Ölpreisveränderungen zu einer kleinen Erhöhung der Strompreise, eine weitere stärkere Preiserhöhung folgte in den 80er Jahren bedingt durch die Kosten von zusätzlichen Umweltschutzmaßnahmen und den Ausbau der kapitalintensiven Kernkraftwerke. Seit Mitte der 80er Jahre sind die durchschnittlichen Strompreise kontinuierlich gefallen. An diesen Preissenkungen haben alle Kundengruppen wenn auch in teilweise unterschiedlichem Ausmaß - partizipiert.
Stromerlös in Preisen von 1991
Abbildung 10.17: Entwicklung des Stromerlöses in Preisen von 1991 (ABL) Quelle: Eigene Berechnung auf der Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und den Jahresberichten „Elektrizitätswirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland" Verglichen mit anderen europäischen Ländern sind die Strompreise in Deutschland für größere Industrieverbraucher besonders hoch. (Vgl. hierzu Abbildung 10.18). Insgesamt erfolgt in Deutschland die Stromerzeugung derzeit durch •
Verbundunternehmen und deren Tochtergesellschaften,
•
selbständige Stadtwerke, die zumindest einen Teil ihres Strombedarfs in eigenen Kraftwerken erzeugen. Da die Städte gleichzeitig oft gute Bedingungen für Fernwärmeversorgung aufweisen, betreiben diese Stadtwerke oft auch ihre Kraftwerke mit nachgeschalteter Wärmenutzung (sogenannte Kraft-WärmeKopplung), wodurch sich bei hohen Wärmepreisen (am Heizölpreis angelehnt)
Energiemärkte
136
eine günstige Mischkalkulation für die Stromerzeugung ergibt, die dann sogar mit den Kosten aus Fremdbezug aus Großkraftwerken der Verbundunternehmen konkurrieren kann, •
die Deutsche Bahn AG, die über ihren Fahrdraht j a ein eigenes Netz mit einer besonderen Sorte Strom (Drehstrom) betreibt (1,2 % der deutschen Erzeugung),
•
industrielle Eigenerzeuger (12,2 %), die eigene kleine und mittlere Kraftwerke oftmals mit kostengünstiger Kraft-Wärme-Kopplung betreiben und früher sogar größere Mengen Überschußstrom in das öffentliche Netz einspeisten,
•
kleinere Eigenerzeuger, die Überschußmengen in das öffentliche Stromnetz einspeisen und dieses umgekehrt oft als Reserve für eigene Lastspitzen benötigen. I n d u s t r i e s t r o m p r e i s e 1996
1312-
11 -
10-
£ β
6 5 London
Kopenhagen
Rotterdam
Paris
Mailand
Düsseldorf
Qu««·: VIK 1996, S. 21/22
Abbildung 10.18: Industriestrompreise im Vergleich Quelle: VIK 1996 Die institutionelle Gliederung und Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Ebenen läßt sich also wie in der folgenden Tabelle 10.3 darstellen. Die Veränderung des Ordnungsrahmens (vgl. dazu Kapitel 13 und 14) der Energieversorgung wird längerfristig auch diese Strukturen ändern.
137
Elektrizitätswirtschaft Tab. 10.3: Arbeitsteilung in der Elektrizitätswirtschaft Unternehmenstyp Verbundunternehmen
typische
Aktivitäten
Betrieb des Verbundnetzes Betrieb von Großkraftwerken Stromhandel (auch international) Belieferung von (Groß-)Kunden
Regionale Unternehmen
Verteilung von Strom in der Fläche Erzeugung in geringem Umfang
Stadtwerke Typ A
Betrieb von Klein-, Mittel- und Großkraftwerken (oft mit KWK) Verteilung an Endabnehmer
Stadtwerke Typ Β
Bezug von Strom von Verbundunternehmen Verteilung an Endabnehmer
Literatur zu Kapitel 10. Einhorn/ Siddiqi (1996), Klopfer/ Schulz (1993), Pfaffenberger (1993), Schulz (1997)
138
Energiemärkte
11. Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen 11.1. Nachfrage nach Energiedienstleistungen Die Nachfrage nach Energieträgern ist am besten aus einer produktionstheoretischen Sicht zu verstehen. Kommerzielle Energie kann nicht direkt konsumiert werden (außer als Nahrungsmittel, wobei aber in den industrialisierten Volkswirtschaften inzwischen die reine Hungerdeckung nicht mehr die dominierende Rolle spielt). Die typischen Energieeinsätze werden getätigt, um bestimmte Energiedienstleistungen zu produzieren: •
Die Bereitstellung eines warmen Raums kann entweder mit Hilfe von sehr viel Brennstoff in einer primitiven Feuerstätte mit geringem Wirkungsgrad in einem undichten Gebäude mit schlecht gedämmten Wänden und Fenstern erfolgen (K/E „niedrig"). Oder es kann der gleiche warme Raum durch Einsatz von wenig Brennstoff in einem Brennwertkessel, der auch die Verdunstungswärme im Abgas nutzt, in einem Gebäude mit guter Wärmedämmung und dichten Fenstern mit Luftaustausch mit Wärmerückgewinnung erfolgen (K/E „hoch").
•
Die Erzeugung hoher Temperaturen zur Schmelze von Eisenerz oder Herbeiführung chemischer Reaktionen kann ebenfalls durch verschiedene Techniken erfolgen, die jeweils unterschiedlich viel Brennstoff für die vergleichbare Reaktion benötigen.
•
Die Ermöglichung von Mobilität für Güter oder Personen, d.h. Transportleistungen, kann grundsätzlich über verschiedene technische Systeme erfolgen: Der Transport eines Menschen im Nahbereich kann mit dem Fahrrad erfolgen (Energiequelle: Biomasse = Nahrung), im ländlichen Bereich eher mit einem Pkw, wobei dort unterschiedlichste Techniken (Benzin, Diesel) mit unterschiedlichem Energieverbrauch pro 100 km einsetzbar sind, zwischen Städten mit Eisenbahnsystemen, die j e nach Besetzung mit Passagieren und Energiequelle (Elektrolok, Diesellok) sehr unterschiedliche spezifische Energieverbrauchswerte aufweisen etc.
•
Die Erzeugung von mechanischer Kraft, d.h. Antrieb von stationären Motoren, geschieht heute aufgrund der regeltechnischen Vorteile praktisch ausschließlich mit Elektromotoren. Diese laufen in großen Aggregaten der Industrie genauso wie in kleinen Haushaltsmaschinen oder Kühlgeräten. Wieviel mechanische Kraft beispielsweise für Kühlzwecke benötigt wird, hängt wiederum von der Dämmung des Kühlgerätes und dem Umgebungsmedium ab, in das die Innenwärme gepumpt werden muß: Eine Gefriertruhe im Keller benötigt nur die Hälfte des Stromeinsatzes gegenüber einer Gefrierkombination, die in einer Einbauküche neben dem Backofen installiert ist.
•
Die K o m m u n i k a t i o n s t e c h n i k e n basieren heute praktisch ausschließlich auf elektrischen Systemen: Telefon, Radio oder Computernetze ermöglichen Kommunikation mit sehr geringem energetischen Aufwand.
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen •
139
Der Stromverbrauch für Beleuchtung ist von der gewünschten Helligkeit einerseits und den technischen Produktionsmöglichkeiten für Licht andererseits abhängig (Glühbirne, Leuchtstofflampe, Lichtreflektion,...).
Am Beispiel der Heizung eines Raumes sollen die ökonomischen Argumente aus der MikroÖkonomie hier die Nachfrage nach Energieträgern herleiten: Κ r
24' 21° Ε Abbildung 11.1: Unterschiedliche Techniken zur Bereitstellung der Dienstleistung „warmer R a u m " In der Abbildung verdeutlicht das Isoquantenschema die verschiedenen Raumtemperaturen in einem Wohn- oder Büroraum. Es gibt eine Isoquante für die Raumtemperatur 21° und eine für 24°. Wenn die Personen eines Haushalts bisher bei niedrigen Energiepreisen und einem Lebensstil mit leichter Bekleidung zu Hause gerne 24° Raumtemperatur realisierten, operieren sie im Punkt Po als Minimalkostenkombination in der „Haushaltsproduktionsfunktion für die Energiedienstleistung". Der Kapitaleinsatz ist Ko, der laufende Energieeinsatz E 0 . Die Gesamtkosten belaufen sich auf Qo/A. Steigen jetzt die Energiepreise an, so löst dies zwei Effekte aus: Die neue Minimalkostenkombination wandert bei gleicher nachgefragter Raumtemperatur nach P)', und gleichzeitig ist der Haushalt jetzt wegen der dann auf Q i ' / A gestiegenen Kosten bereit, mit einer etwas geringeren Raumtemperatur auszukommen. Im neuen Punkt P) muß zwar öfter ein Pullover zu Hause angezogen werden. Der Verlust an Bequemlichkeit wird aber durch die gegenüber Q' niedrigeren Kosten im Punkt P) ausgeglichen. Dennoch muß der Haushalt in diesem Beispiel anstelle der bisherigen Kosten Qo/A nunmehr ein Energiebudget von Qi/A aufbringen, wenn er die neue Technik
140
Energiem ärkte
installiert hat. Trotz der abgesenkten Raumtemperatur muß er also auf Käufe anderer Güter wie Möbel, Restaurationsbesuche, ... verzichten. Natürlich erfordern diese Umstellungsprozesse auch Zeit, da beispielsweise eine neue Heizungsanlage installiert oder Fenster erneuert werden müsseng. Auf vergleichbare Kosten wie in Pi kommt der Haushalt bei Weiternutzung der bisherigen Kapitalgüter KQ nur dann, wenn er eine Raumtemperatur von etwa 19° in Kauf nimmt. Offensichtlich kommt es bei jeder einzelnen energetischen Dienstleistung auf die technischen Substitutionsmöglichkeiten an, wie leicht auf geänderte Energiepreise mit einer neuen Technik reagiert werden kann. Als zweites ist nach den institutionellen Regelungen zur Umsetzung der Minimalkostenkombination zu fragen: Der Heizenergieverbrauch einer Mietwohnung kann durch Nutzungsverhalten des Mieters (Raumtemperatur, Lüftungsgewohnheiten, ...) und durch Investitionen des Hausbesitzers (Heizungstechnik. Wärmedämmung von Wänden und Fenstern, ...) beeinflußt werden. Das sogenannte Mieter-Vermieter-Dilemma ist allerdings nur begrenzt auflösbar. Entscheidet der Haushalt über die Technik und die Nutzung (Raumtemperatur) selbst, so ist die Lösung einfacher. Steht ein Haushalt beispielsweise beim Neubau eines Hauses (Anschaffung langlebiger energieverbrauchender Geräte) vor der optimalen Festlegung der richtigen Technik, so muß er zur Bestimmung der (langfristigen) Minimalkostenkombination folgende Überlegungen anstellen: •
Welche Mehr- oder Minderkosten hat er bei der Neuinstallierung verschiedener technischer Lösungen jeweils ex ante und ex post: Brennwert- versus Standardkessel, normale versus extra dicke Wärmedämmung, Mehrfachverglasung mit Sonnenenergienutzung versus normale Thermopenverglasung etc. ?
•
Erwartet er konstante oder real fallende Energiepreise, so wird eine Festlegung der optimalen Technik anders ausfallen, als wenn er von real steigenden Energiepreisen ausgeht. Geht er von einigermaßen konstanten Energiepreisen über die nächsten 10-15 Jahre aus, rechnet aber danach mit steigenden Preisen, so wird er bei denjenigen Komponenten sicherheitshalber hoch vorhalten, bei denen eine spätere Umrüstung sehr aufwendig ist: Die Wand mit der Dämmung soll über 80 Jahre halten, während der Heizungskessel vielleicht ohnehin in 15 - 20 Jahren zu erneuern sein wird.
Im Idealfall installiert er heute diejenige Technik, die bei der bestmöglichen Abschätzung zukünftiger Preisentwicklungen die Barwerte der Kosten aus verschiedenen Komponenten (Kapitalgüter, die in einem bestimmten Rhythmus zu ersetzen sind, Wartungs- und Reparaturkosten, Brennstoffeinsatz) minimiert. Offensichtlich spielen dabei neben dem Zeithorizont des Investors auch Zinssätze und steuerliche Aspekte wie Abschreibungsmöglichkeiten u.ä. eine wichtige Rolle. Ein großes Problem der Ermittlung der Minimalkostenkombination in den jeweiligen Anwendungsbereichen besteht für die vielen Energienutzer darin, daß sie nur sehr unvollkommen über die erforderlichen Informationen verfügen. Angesichts der vielen „kleinen" Anwendungsbereiche beispielsweise in einem Haushalt (Kraft für Küchenmaschinen, Kühlgeräte, Strom für Kochen, Beleuchtung, ...) und geringem technischen Verständnis sind Haushalte oftmals überfordert, die
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
141
Vielzahl der technischen Möglichkeiten zu optimieren. Wenn dieses Informationsproblem nicht vorläge, hätten beispielsweise Tiefkühlgeräte mit Stromkosten von 200 DM jährlich keine Marktchancen gegen gleich gute Geräte mit nur 100 DM Stromkosten p.a., selbst wenn letztere 150 - 200 DM in der Anschaffung teurer sind: Bereits nach 2 Jahren Betriebszeit hat das etwas teurere Gerät durch den geringeren Stromverbrauch seine höheren Investitionskosten „eingespielt". Bei einer Lebensdauer derartiger Geräte von 10 - 15 Jahren ist offensichtlich das „energiefressende" Gerät unwirtschaftlich. Dort wo die Energiekosten einen relativ hohen Anteil an den Gesamtproduktionskosten ausmachen, also etwa in der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie oder im Umwandlungsbereich (Raffinerien, Kraftwerke, ...), lohnen sich natürlich Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in den jeweiligen Unternehmen besonders, um durch bessere Techniken die spezifischen Energieverbrauchswerte zu verringern. Hinter makroökonomischen Kennzahlen des Energiebedarfs wie Primärenergieverbrauch pro Einwohner oder Stromverbrauch/Kopf stehen also eventuell relativ feine Einzelkomponenten, deren Struktur sich im Zeitablauf stark verschiebt. So lag im Jahr 1994 der Energieverbrauch pro Kopf in den Alten Bundesländern bei 181 GJ, in den Neuen Ländern bei 134 GJ (nach einem Höchstwert von 229 GJ im Jahr 1988 in der damaligen DDR). Im folgenden sollen die jeweiligen Bestimmungsfaktoren der Energienachfrage für die großen Sektoren genauer betrachtet werden. Damit wird dann die Grundlage für die Erstellung und Beurteilung von Prognosemodellen für den Energieverbrauch gelegt.
11.2. Industrie Der Anteil der Industrie am gesamten Endenergieverbrauch ist in den Alten Bundesländern in den letzten 25 Jahren deutlich zurückgegangen: Er beträgt heute nur noch rund 28 %, was auch für den Anteil der Industrie am Endenergieverbrauch für Gesamtdeutschland gilt. Der spezifische Energiebedarf der Industrie unterscheidet sich sehr stark danach, welche Branchenmischung vorherrscht. Wenn man davon ausgeht, daß im verarbeitenden Gewerbe auch bezüglich Energie die Minimalkostenkombination angestrebt wird, so realisiert jede Industriegruppe den für sie spezifischen Energie- und Kapitaleinsatz jeweils getrennt für die industriellen Einsatzbereiche Prozeßwärme, Niedertemperaturwärme, Antrieb, sonstige elektrische Anwendungen. Ein erheblicher Teil der Veränderungen des industriellen Energieverbrauchs läßt sich dann aus drei Komponenten erklären: •
Veränderungen der relativen Preise, beispielsweise nach den beiden Ölpreiserhöhungen 1973/74 und 1979 bewirken Substitutionen zwischen Energieträgern und zwischen Energie und Sachkapital.
•
Entwicklung neuer Techniken, die in den einzelnen Branchen unterschiedlich zum Zuge kommen können. Eine „Querschnittstechnik" wie Elektromotoren mit besserer Steuerung und Regelung kann in allen Branchen eingesetzt wer-
142
Energiemärkte
den. während ein besseres Elektrolyseverfahren nur in wenigen Bereichen zum Einsatz kommt. •
Veränderung der Beiträge der einzelnen Branchen zur Gesamtproduktion der Industrie, d.h. innerindustrieller Strukturwandel führt zur Umgewichtung der unterschiedlich energieintensiven Bereiche. Im Jahr 1990 ergaben sich die folgenden spezifischen Energieeinsätze in den Industriebereichen, die nicht nur eine erhebliche Streuung im Energiebedarf pro DM Wertschöpfung anzeigen, sondern auch starke Unterschiede in den jeweils eingesetzten Brennstoffen.
Tabelle 11.1: Spezifischer Energieverbrauch in ausgewählten Industriegruppen Strom SteinBraunMineralöl Erdgas kohle kohle und und andeKoks und sonstige re Gase Briketts
Summe
kg SKE/1000 DM Steine und Erden Eisen & Stahl NE-Metalle
54
401
424
136
1213
121
289
484
99
76
70
102
583
4
66
39
5
30
Chemie
28
18
23
92
82
243
Zellstoff, Papier
91
42
100
191
218
642
1
1
7
11
12
32
Maschinenbau Fahrzeugbau
1
4
4
14
18
41
Glas, Feinkeramik
0
0
65
209
60
334
Textil
6
4
31
67
46
154
Nahrungs- & Genußmittel Gesamt
4
4
25
38
20
91
23
6
15
43
33
120
Quelle: VIK, Statistik der Energiewirtschaft 1991/92, Tafel 24. Wenn somit eine sektoral differenzierte Wachstumsprognose für den Industriebereich erstellt wird - beispielsweise im Rahmen eines dynamischen InputOutput-Modells - dann läßt sich alleine aus den resultierenden sektoralen Verschiebungen eine Energiebedarfsabschätzung für die Industrie erstellen. Wenn man derartige Analysen um Prognosen über mögliche relative Preisänderungen der Energieträger (wobei der Stromsektor als Umwandlungsbereich eigenständig zu modellieren ist) und die dadurch ausgelösten Technikwechsel bei heute bekannten Techniken ergänzt bzw. eine Abschätzung aus Brancheninformationen über absehbare technische Fortschrittsraten vorliegt, dann kann die Energiebedarfsprognose für den Industriebereich erstellt werden. Alleine unter einer ceteris-paribus-Annahme würde beispielsweise eine Wachstumsprognose, die für Eisen und Stahl und NE-Metalle eine Stagnation, für Maschinen- und Fahrzeugbau hingegen ein kräftiges Wachstum vorhersagt, zu einer
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
143
Senkung des spezifischen Energiebedarfs der gesamten Industrie kommen. Ebenso lassen sich dann aus den Umgewichtungen der jeweiligen Energieträger auch die geänderten Beiträge von Steinkohle oder Strom prognostizieren. Die Reaktionsmöglichkeiten auf geänderte relative Preise der Energieträger sind ebenfalls innerhalb der einzelnen Industriebranchen sehr unterschiedlich: Während manche Industriebetriebe Feuerungsanlagen für Kessel oder andere Prozeßwärme von vorne herein bivalent ausgelegt haben, d.h. mit mindestens zwei verschiedenen Brennstoffsorten betreiben können, sind zumindest kurz- bis mittelfristig in den weniger energieintensiven Bereichen nur geringe Substitutionsmöglichkeiten gegeben. Dies läßt sich beispielhaft an der Industriegruppe „Gewinnung von Steine und Erden" ablesen, die vor 1980 rund 200 kg SKE / 1000 DM Wertschöpfung als Mineralöl einsetzte. Nach dem starken Preisanstieg für Öl im Jahr 1979 sank dieser Wert auf unter 80 kg SKE. Als Folge der stark verteuerten Mineralölprodukte wechselte ein großer Teil der Unternehmen sehr schnell auf Steinkohle (Importkohle), was den spezifischen Energieeinsatz dieses Energieträgers im Jahr 1983 auf den fünffachen Wert gegenüber 1979 brachte.
11.3. Haushalte und Kleinverbraucher In früheren Energiestatistiken wurden die Bereiche Haushalte und Kleinverbraucher nicht getrennt ausgewiesen. Heute erfolgt zwar eine getrennte Erhebung, dennoch sind die Bedarfsstrukturen durchaus ähnlich: Eine Bank oder eine Tankstelle benötigen den größten Teil ihrer Energie für Heizungszwecke, Beleuchtung und für den Antrieb diverser elektrischer Geräte. Jedoch ist der Sektor Kleinverbrauch sehr heterogen, denn er umfaßt energieintensive Produktionsstätten (z.B. Bäckereien) ebenso wie Dienstleistungen mit wenig Energieeinsatz. In den Alten Bundesländern liegt der Anteil der Haushalte am gesamten Endenergieverbrauch seit fast 20 Jahren bei rund 26 - 27 %, der Anteil der Kleinverbraucher bei 16 9L Seit der Wiedervereinigung liegen diese Anteile für ganz Deutschland bei rund 27 % bzw. 17 %. Hinter diesen scheinbar stabilen aggregierten Strukturparametern liegt aber ein erheblicher Wandel in den Beiträgen der einzelnen Anwendungsbereiche: Während der Heiz- und Warmwasserenergiebedarf durch Einsparmaßnahmen nach 1973/74 rückläufig war, stieg der Stromverbrauch der Haushalte in den Alten Bundesländern durch die weiter wachsende Elektrifizierung bis zum Jahr 1987 stark an, stagniert aber seither auf einem konstanten Niveau von rund 100 TWh jährlich. Das Hinzukommen von 16 Millionen Deutschen nach der Wiedervereinigung ließ den Haushaltsstromverbrauch auf jetzt rund 125 TWh ansteigen. Die schrittweise energetische Sanierung der Wohnungen in den Neuen Bundesländern wird den derzeit noch überdurchschnittlich hohen Heizenergiebedarf pro qm Wohnfläche zukünftig zurückgehen lassen. Daß der Energieverbrauch der Haushalte in den Neuen Bundesländern 1994 mit 41,8 GJ deutlich niedriger lag als in den Alten Bundesländern (73 GJ), ist auf die geringere Wohnfläche pro Haushalt zurückzuführen. Für die Zukunft sind dort zwei gegenläufige Trends zu erwarten: Steigende Wohnflächen lassen c.p. den Heizenergiebedarf steigen, die technische Effizienzsteigerung ihn eher sinken.
144
Energiemärkte
Für die Prognose des Energiebedarfs für Heizung und Warmwasserbereitung der Haushalte differenziert man heute relativ fein nach Wohnungsgröße und -typ, d.h. Ein- bzw. Zweifamilienhaus oder Geschoßwohnung und oft auch noch nach Altersklassen der Gebäude, da diese Merkmale erheblich den Heizenergiebedarf seitens der Technik festlegen. Aus Zu- und Abgangsmodellen für den Wohnungsbestand, der durchschnittlichen Wohnungsgröße für die verschiedenen Haushaltsgruppen, absehbaren technischen Veränderungen für Neubauten (z.B. neue Wärmeschutzverordnung ab 1996) läßt sich der Heizenergiebedarf über 1 0 - 1 5 Jahre im Durchschnitt gut prognostizieren. Natürlich muß dieser mittlere Bedarf in den einzelnen Jahren um jahreszeitliche Temperaturschwankungen gegenüber dem langjährigen Mittel bereinigt werden. Dazu benutzt man die Jahresgradtagzahlen oder Monatsgradtagzahlen, mit denen der Energieverbrauch eines vergangenen Jahres aufgrund der tatsächlichen Temperatur - beispielsweise in einem extrem kalten oder milden Winter - auf eine durchschnittliche Trendgröße umgerechnet werden kann. Diese Gradtagzahlen' stellen die Wetterämter zur Verfügung. In Wintermonaten rechnet man bei einer um 1 °C kälteren Außentemperatur mit einem höheren Heizenergieverbrauch von 5 - 6 %. Der Haushalts-Stromverbrauch wird prognostiziert, indem die voraussichtliche Geräteausstattung für einzelne Klassen von Haushalten (berufstätige Singles, Familien mit Kindern, Rentner, ...) in Abhängigkeit der demographischen Entwicklung und der abgeschätzten Einkommensentwicklung betrachtet wird und die absehbare technische Effizienzsteigerung aus neueren Produktinformationen verwendet wird. Da die Ausstattung mit jedem Gerät gemäß einer Sättigungskurve abgeschätzt werden kann, läßt sich aus den Vergangenheitsdaten des Stromverbrauchs eine Aufteilung auf die Bedarfsbeiträge der einzelnen Geräte abschätzen. Zusammen mit den veränderten spezifischen Stromverbrauchswerten neuer Geräte kann dann mit diesen Datengrundlagen wiederum eine relativ gute Prognose erstellt werden. Für die meisten Prognosen aus einer „Geräteüberlebensfunktion" stellt sich das Phänomen, daß sehr viele scheinbare Ersatzbeschaffungen lediglich dazu führen, daß das bisherige Altgerät an anderer Stelle weiter betrieben wird und damit länger als erwartet zum Stromverbrauch beiträgt (zweiter Kühlschrank für Getränke im Keller, Kühlschrank in der Studentenbude eines Kindes u.a.). Für den Bereich der Kleinverbraucher wird mit Prognosen über Arbeitsplätze, Geräteausstattung, zukünftige Produktion u.ä. versucht, den künftigen Bedarf an Heizenergie bzw. Strom abzuschätzen. Oft wird auch nach Einsatzbereichen für Prozeßwärme (Handwerksbetriebe wie Bäckereien) und Niedertemperaturwärme (Heizung, Warmwasser) auf feiner sektoraler Ebene differenziert.
Abweichung der Außentemperatur (Mittelwert über 24 h) von einer als normal angesetzten Innentemperatur multipliziert mit der Zahl der Tage.
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
145
11.4. Verkehr Der Verkehrssektor wies 1993 in Gesamtdeutschland einen Endenergieverbrauch von 76,5 Mio t SKE aus, von denen statistisch lediglich 0,1 Mio t SKE als Raumwärme eingesetzt wurden: Die Beheizung von Bahnhöfen oder U-Bahn-Stationen zählt beim Energieverbrauch des Verkehrs mit. Von den 76,5 Mio t SKE, die tatsächlich für den Antrieb mobiler Fahrzeuge eingesetzt wurden, stammen 1,5 Mio t SKE aus elektrischem Strom (Bundesbahn, Straßen- und U-Bahnen u.ä.). Die 75 Mio t SKE, die für Dieselmotoren in Lkw, Pkw, Schiffsmotoren u.ä., als Benzin in Pkw-Otto-Motoren oder Kerosin in Flugzeugturbinen eingesetzt wurden, wurden praktisch ausschließlich aus Mineralöl hergestellt. In irgendeiner direkten oder indirekten Form läßt sich der Energieverbrauch im Verkehr auf die Produktion von Transportleistungen von Menschen oder Gütern zurückführen. Innerhalb der verschiedenen großen Verbrauchssektoren der Energiebilanzen ist der Verkehrssektor der wichtigste Bereich mit anhaltendem Verbrauchswachstum in den letzten 25 Jahren: Dementsprechend hat er seinen Anteil am Endenergieverbrauch von 18 % im Jahr 1973 auf heute über 28 % gesteigert. Da in diesem Zeitraum zwei sehr starke Preissprünge nach oben (1973 und 1979) sowie ein heftiger Preisabsturz (Dezember 1985) zu verzeichnen waren, deutet dieser Befund darauf hin, daß Mobilität sowohl für das produzierende Gewerbe als auch für berufsbedingte Anforderungen sowie für Freizeitgestaltung von Haushalten (Ferienreisen, Wochenendausflüge, ...) ein superiores Gut ist, das im Zuge des Wirtschaftswachstums überproportional nachgefragt wird. Eine Prognose für die Energieverbrauchsentwicklung im Verkehr muß somit zunächst die Mobilitäts- und Transportnachfrage und deren Aufteilung auf die einzelnen Transportsysteme (Modal split) abschätzen. Die jeweils wirtschaftlich vorteilhafteste Lösung läßt sich nicht einfach nach dem Kalkül: „Minimiere die gesamtwirtschaftlichen Transportkosten" ermitteln. Transportvorgänge finden wechselnd über verschiedene Distanzen, für verschiedene Zwecke und häufig mit ein und demselben Fahrzeug, das nur unterschiedlich genutzt wird, statt. Ein Pkw kann in einem Monat 15-mal zur Fahrt zum Arbeitsplatz für eine Person dienen, mehrfach durch zwei Personen für Einkaufs- und Freizeitzwecke eingesetzt und schließlich für eine Familie mit zwei Kindern für die Urlaubsfahrt mit viel Gepäck beladen werden. Ob Substitutionsmöglichkeiten zwischen Verkehrsträgern bestehen, ist jeweils örtlich höchst unterschiedlich. Die Entscheidung für die Anschaffung eines bestimmten Fahrzeugtyps wird neben den jeweils benötigten Spitzenlasten für das Fahrzeug (Urlaubsfahrt, Belieferung einer Baustelle, ...) auch durch Merkmale wie Komfort, Sicherheit, Prestige u.ä. bestimmt. Eine Minimierung der Summe aus Treibstoff- und Kapitalkosten für eine gegebene Transportleistung (Personenkilometer. Tonnenkilometer) ist ohne die Berücksichtigung des Zusatznutzens oder persönlicher Mindeststandards für Komfort oder Sicherheit irrelevant. Nicht nur der Modal-split, sondern auch die eventuell mögliche Wahl innerhalb eines Typs von Verkehrsträgern ist in einem zweiten Schritt von den Kostenparametern für die Nutzung der Transportsysteme abhängig. Dazu gehören nicht nur die Kapital- und spezifischen Treibstoffkosten - die sich auch im Preis einer
146
Energiemärkte
produzierten Leistung wie eines Mallorca-Fluges niederschlagen, sondern auch die eventuell direkt oder indirekt zu entrichtenden Beiträge für die Nutzung einer Verkehrsinfrastruktur: Der Urlauber in südeuropäischen Ländern entrichtet diese direkt an den Maut-Stationen der Autobahnen, der Autofahrer in Deutschland bezahlt sie in Form der Mineralölsteuer an der Tankstelle. Derzeit wird noch keine Abgas-Abgabe erhoben, aber auch diese Nutzung von Umweltmedien kann eines Tages kostenrelevant für den einzelnen Entscheider sein. Mit der Differenzierung der Kraftfahrzeugsteuer nach Schadstofftypen ist bereits ein erster Schritt dazu getan. Die Anforderungen an Komfort (individuelle Beweglichkeit, Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Flexibilität in der Nutzung) und Sicherheit können ein und dasselbe Verkehrsmittel zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich vorteilhaft erscheinen lassen. Dies liegt daran, daß jedes Verkehrsmittel komplementär ein Netz für die Nutzung benötigt, und in Deutschland zeigen die meisten derartigen Netze derzeit immer wieder Anzeichen massiver Überlastung. Insbesondere, wenn das gleiche Netz parallel für verschiedene Transportanforderungen genutzt wird (Pkw auf Urlaubsfahrt konkurriert mit Lkw mit einem Gütertransport um Raum auf der Autobahn), können eventuell nur noch staatliche Eingriffe (Sonntagsfahrverbot für Lkw in den Sommermonaten, Zuteilungsmechanismen für Start- und Landerechte auf Großflughäfen, ...) ein Funktionieren der Verkehrsnetze gewährleisten. Solange also Verkehrsnetze noch unterhalb ihrer Maximalkapazität beansprucht werden, wird die Verkehrsnachfrage und die benutzten Verkehrsmittel relativ einfach durch Fortschreiben von Vergangenheitswerten zu prognostizieren sein. Treten allerdings wiederholt Überlastungen („Staus", d.h. Start- oder Landeverzögerungen, Wartezeiten vor Engpässen, ...) auf, so werden eventuell Umsteigereaktionen auf das nächstgünstige - jetzt aber die Komfort- oder Mobilitätsrestriktionen besser erfüllende - Verkehrsmittel ausgelöst: Wer dreimal einen Termin in Bonn kaum einhalten konnte, weil der Stau am Kölner Ring zu stark war, fährt irgendwann mit der Deutschen Bahn, auch wenn diese Variante am Abfahrtsort diverse Unbequemlichkeiten mit sich bringt. Eine Verteuerung von Energiepreisen wirkt sehr unterschiedlich auf die Kosten der einzelnen Verkehrssysteme. Da auch hier die jeweils installierten Antriebssysteme nicht kurzfristig ausgetauscht werden können, sind die kurzfristigen Effekte deutlich gravierender als die längerfristigen. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Motortechnik fällt i.d.R. beim Neuwagenkauf, so daß die zu diesem Zeitpunkt herrschenden Treibstoffpreise (und eventuell die kurzfristigen Erwartungen) die Entscheidung bestimmen. Die Hersteller planen natürlich längerfristig, können aber auch nicht „gegen den Markt" agieren. Die jeweiligen spezifischen Verbrauchssenkungen bei den verschiedenen Motoren wurden dann auch zumindest nach 1986, als die Benzinpreise deutlich gefallen waren, durch höhere PSZahlen und etwas schwerere und größere Fahrzeuge sowie durch Umwelt- und Sicherheitsstandards wieder kompensiert. So ist beispielsweise der durchschnittliche Treibstoffverbrauch der gesamten PkW-Flotte in Deutschland von rund 11 1/100 km im Jahr 1980 auf heute 9,8 1 /100 km gesunken, wobei die technischen Möglichkeiten zur Verbrauchsreduzierung derzeit längst noch nicht ausgeschöpft sind. Aber selbst wenn bis zum Jahr 2000 das berühmte Drei-Liter-Auto auf dem
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
147
Markt wäre und zudem in großen Stückzahlen verkauft würde, so setzte sich die Flotte des Jahres 2 0 0 5 nach wie vor aus einer Mischung alter Fahrzeuge, neuer größerer Fahrzeuge und dem Drei-Liter-Auto zusammen, so daß der Durchschnittsverbrauch auch unter diesen optimistischen Annahmen kaum unter 7 - 8 1/100 km liegen dürfte. Im Straßenverkehr lastet heute eine erhebliche Steuer auf den Treibstoffen. A u f den eigentlichen Produzentenpreis und die Mineralölsteuer wird zusätzlich die 15%-Mehrwertsteuer erhoben. Die Größenordnungen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre verdeutlicht die Abbildung 11.2.
Zusammensetzung des Tankstellenpreises
Mehrwertsteuer
Rohöl und Verarbeitung 22%
Abgaben 65%
Abbildung 11.2: Rohstoff-, Verarbeitungs- und Vertriebskosten in Relation zu staatlichen A b g a b e n für Benzin Die Mineralölsteuer kann methodisch als eine Art „Straßenbenutzungsgebühr" betrachtet werden, deren Steuersatz einen Rabatt für Vielfahrer und schwere Fahrzeuge enthält: Lastkraftwagen und Pkws von Vielfahrern sind i.d.R. mit Dieselmotoren ausgerüstet. Diesel hat gegenüber anderen Kraftstoffen eine deutlich geringere Steuerbelastung. Dies führt zu einem hohen Sockeleffekt der Mengensteuer im Endverbraucherpreis, so daß eine angenommene prozentuale Verteuerung von Mineralöl um χ % etwa zu χ % höherem Heizölpreis führt, aber zu einer prozentual deutlich geringeren Benzinpreiserhöhung als χ %. Deshalb wirkt eine Verteuerung der Mineralölpreise um beispielsweise 10% deutlich unterproportional auf den Benzinpreis, der lediglich um ca. 2 - 2,5% ansteigt. Berücksichtigt man noch die kurzfristig geringe Preiselastizität der Nachfrage, so wird die Problematik deutlich, wenn über preisliche Impulse eine Verringerung des Treibstoffeinsatzes angestrebt werden soll.
148
Energiemärkte
11.5. Nationale und weltweite Energiebedarfsprognosen Sowohl auf nationaler Ebene als auch in weltweiter Betrachtung werden regelmäßig Energiebedarfsprognosen erstellt. Auch wenn die Erfahrungen mit der Treffsicherheit derartiger Rechnungen zumindest für die letzten 25 Jahre eher ernüchternd sind, so sind Szenarien-Rechnungen im Sinne von „Wenn-dann-Aussagen" nützlich, um bestimmte Bandbreiten zukünftiger Entwicklungen auf ihre Implikationen für Kraftwerkskapazitäten oder Verbrauchsmengen an Öl und Gas abzuschätzen. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Analyse-Techniken für Energiebedarfsschätzungen (siehe auch Abbildung 11.3): •
Die sogenannte Bottom-up Methode analysiert auf mikroökonomischer Ebene die Technikwahlmöglichkeiten sehr fein. In Abhängigkeit unterstellter zukünftiger Energiepreise (seitens des Marktes oder über politische Interventionen, d.h. Steuern oder Subventionen, als Prognosewerte vorgegeben) wird dann die bestmögliche Technik in der Zukunft eingesetzt, woraus ein notwendiger Energieeinsatz zur Erzeugung bestimmter Energiedienstleistungen resultiert.
•
Die sogenannte Top-down Methode geht von sektoral gegliederten- aber hoch aggregierten Wachstumsmodellen aus. Der jeweilige sektorale Energiebedarf ist aus Vergangenheitsdaten an ökonomische oder demographische Kennzahlen gekoppelt, woraus sich dann mit Hilfe makroökonomischer aggregierter Produktionsfunktionen der künftige (sektorale) Energiebedarf ergibt.
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
149
Offensichtlich haben die beiden Methoden einen systematischen Verzerrungseffekt der ermittelten Bedarfswerte: Die Bottom-up Modelle unterstellen eine sofortige Technikanpassung an geänderte Faktorpreise und ignorieren Umstellungskosten, Trägheiten, unvollkommene Informationen und nicht gut abbildbare Einflußgrößen wie Bequemlichkeit oder Nebennutzen durch Image bei bestimmten Formen der Energienutzung: Im Ergebnis sind derartige Rechnungen tendenziell zu optimistisch bezüglich der erreichbaren Energieeinsparungen. Nach der Logik dieser Modellierung ist es „irrational", ein Mobilitätsbedürfnis anstelle mit einem Golf TDI mit einem BMW 700 zu befriedigen. Die Top-down Rechnungen schleppen bereits aus ihrer Kalibrierung mit Vergangenheitsdaten die unvollkommenen und teils ineffizienten Strukturen der Vergangenheit mit sich und schreiben sie als verlängerten Fingerabdruck in die Zukunft weiter fort. Da damit tendenziell die Energiebedarfswerte zu hoch ausgewiesen werden, arbeitet dieser Ansatz heute mit einem durch den Modellierer exogen einzubringenden autonomen energiesparenden technischen Fortschritt , der absehbare Verbesserungen gegenüber den vergangenen Strukturen einfangen soll. Große Modellierungsarbeiten versuchen inzwischen eine Synthese beider Konzepte, was aber nicht einfach lösbar ist. Die Perspektiv-Rechnungen für das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) wurden in den letzten Jahren regelmäßig durch die Firma PROGNOS in Basel erstellt. Das jüngste PROGNOS-Gutachten „Die Energiemärkte Deutschlands im zusammenwachsenden Europa - Perspektiven bis zum Jahr 2020" vom Dezember 1995 listet die Rahmenbedingungen der erwarteten künftigen Entwicklung auf. Vom Ansatz her gehört es zu den Top-down Modellen. Als wichtigste gesamtwirtschaftliche Bestimmungsgrößen gehen die Bevölkerungsentwicklung und das voraussichtliche Wirtschaftswachstum, das sektoral aufgegliedert geschätzt wird, in die Rechnungen ein. In den Kernaussagen lautet die Prognose: •
Der Primärenergieverbrauch in Deutschland wird etwa bis zum Jahr 2020 stagnieren. Innerhalb der verschiedenen Energieträger wird Erdgas seinen Anteil zu Lasten der übrigen fossilen Energieträger und der Kernenergie steigern.
•
Die regenerativen Energieträger werden vor allem in der Stromerzeugung einen etwas höheren Beitrag leisten: ihr Anteil am Primärenergieverbrauch bleibt aber gering.
•
Die Energiepreise bleiben zumindest bis zum Jahr 2010 real auf etwa dem heutigen Niveau.
•
Durch steigende Nachfrage nach Energiedienstleistungen steigt zwar der Energieverbrauch c.p. Dieser Effekt wird jedoch durch die rückläufige Energienachfrage infolge von Effizienzsteigerungen bei Heizungsanlagen, Geräten und Motoren, bessere Wärmedämmung von Gebäuden etc. ausgeglichen.
Englisch: Autonomous Energy Efficiency Improvement (AEEI).
150 •
Energiemärkte Die „klassischen" Schadstoffe aus der Energienutzung gehen bis zum Jahr 2020 deutlich zurück. Die bislang öffentlich erklärte angestrebte Reduzierung für CO2 wird hingegen nicht erreicht.
Tabelle 11.2: Endenergieverbrauchsprognose nach Verwendungssektoren, in PJ
Deutschland
1992
2000
2005
2010
Industrie
2560
2458
2512
2588
Haushalte
2389
2510
2463
2383
Kleinverbraucher
1531
1615
1620
1640
Verkehr
2522
2969
3001
2986
72
68
64
61
9074
9620
9661
9657
militär. Stellen
Summe Quelle: P R O G N O S , 1995
Dieser Endenergieverbrauch wird dann zurückgerechnet auf einen entsprechenden Primärenergieverbrauch. Hier wird mit einem komplexen Umwandlungsbereich die Stromerzeugung, der Raffineriebereich u.ä. abgebildet, um auf den zugehörigen Primärenergieverbrauch zu kommen. Die Zahlen für die jeweiligen Energieträger im Jahr 2010 sind in der folgenden Tabelle 11.3 ausgewiesen. Tabelle 11.3: Primärenergieverbrauch nach Energieträgern (in PJ) in Deutschland im Jahr 2010 Alte Bundesländer
Neue Bundesländer
Gesamtdeutschland
Gesamtdeutschland 1992
2010 Steinkohle
1940
136
2076
2196
Braunkohle
835
697
1532
2176
übrige feste Brennstoffe Mineralöl /-produkte
183
32
215
133
4903
904
5807
5628
Erdgas
2626
535
3160
2375
19
2
20
36
216 173
-60 2
157 175
-53 163
1299
0
1299
1496
12193
2248
14441
14150
sonstige Gase Importsaldo Strom Wasserkraft / regenerative Energien Kernenergie
Summe Q u e l l e : PROGNOS, 1995
Im Kern läuft damit die Erwartung für die künftigen 15 Jahre etwa auf eine Stagnation des Primärenergieverbrauchs hinaus. Aus der Tabelle wird ebenfalls deutlich, wie sehr die politischen Rahmenbedingungen in dem Gutachten durchschla-
Sektorale Energienachfrage und -bedarfsprognosen
151
gen: Der Einsatz von Kernenergie oder von Steinkohle ist natürlich in Grenzen durch die Politik bestimmbar.
Literatur zu Kapitel 11. Prognos(1995)
152
Energiemärkte
12. Börsenhandel mit Energieträgern 12.1. Börsenhandel als Marktkonzept 12.1.1. Einführung Börsen sind im übertragenen Sinne Plätze, an denen zu bekannten Konditionen (Öffnungszeiten, zugelassene Teilnehmer, sonstige Spielregeln,...), standardisierte Geschäfte (Aktien, Waren bestimmter Qualität,...) getätigt werden. Sind bestimmte Voraussetzungen erfüllt, tragen sie dazu bei, Transaktionskosten zu senken. Die Kenntnis über Ort (Straße, Haus), Zeit, Handelsgegenstand (z.B. Aktien, Kupfer) und sonstige Bedingungen (Teilnehmerkreis, Bonität) erspart so z.B. Such-, Informations- und sonstige Prüfungen. Weiterhin sind Börsen Plätze, an denen Angebot und Nachfrage zusammentreffen und im Sinne einer Markträumung Gleichgewichtspreise ermittelt werden. Eine Betrachtung von Energiemärkten umfaßt also neben den Spezifika des Energieträgers (z.B. Kohle, Öl), der Angebots-, Umwandlungs- und Nachfrageseite auch die Koordinierungsmechanismen. Obwohl das Konzept einer Börse zu einem der grundlegendsten der Ökonomie gehört, bedeutet die Verbindung mit der Energiewirtschaft eine erhebliche Zäsur gegenüber den bisherigen Vorstellungen. Börsenhandel kann nicht verordnet werden; er bildet sich heraus, wenn die Marktteilnehmer ihn wünschen und seine Vorteile sehen. Ansonsten wird ein solcher Markt niemals die notwendige Liquidität erlangen. In der Energiewirtschaft galt lange Zeit die Vorstellung, ein besonderes Gut anzubieten. So versuchten z.B. die „Sieben Schwestern" mit ihrer Preisabsprache schwer überschaubare, kurzfristige Marktmechanismen und deren Preisschwankungen auszuschalten. Noch offenkundiger wird diese Aussage bei den leitungsgebundenen Energieträgern. Um Versorgungssicherheit und einen Ausbau von Elektrizitäts- und Gasinfrastruktur zu gewährleisteten, wurden wettbewerbliche Ausnahmebereiche geschaffen. Die Frage nach dem Verhältnis von Versorgungssicherheit und Wettbewerb wird momentan bei diesen Energieträgern einer Neubewertung unterzogen. Die Ölindustrie hatte die Lektion, ein „normales Gut" zu handeln, schon in den siebziger Jahren lernen müssen. Den Anstoß gab die Änderung der Besitzverhältnisse durch die Enteignung der internationalen Ölkonzerne in den OPEC-Staaten. Innerhalb kürzester Zeit mußte sich der Handel völlig neu strukturieren. Es kamen neue Akteure, Preisbildungsmechanismen und Risiken auf die Branche zu, die darauf mit einer Änderung ihrer Handelsformen reagieren mußte. Die Antwort war ein System von Spot- und börslichem sowie außerbörslichem Terminhandel verbunden mit einer Flexibilisierung des klassischen Langfristvertrages. Bei den leitungsgebundenen Energieträgern Elektrizität und Erdgas ist der gesetzte Ordnungsrahmen für die konkrete Ausgestaltung des Handels verantwortlich. Beispiele wie die USA, Großbritannien oder Norwegen zeigen, daß nicht die Spezifika eines Gutes für den Handel allein verantwortlich sind, sondern sich dieser bei Setzen entsprechender Rahmenbedingungen anpaßt. Vorausgesetzt werden muß auf jeden Fall ein gewisses Maß von vertikaler Disintegration, um die
Börsenhandel mit Energieträgern
153
Netzleistungen, die häufig ein natürliches Monopol darstellen, einem breiten Kreis von Akteuren zur Verfügung zu stellen. 12.1.2. Charakterisierung von Börsenhandel Es ist sinnvoll, „Börsenhandel" in einer erweiterten Form als Synonym für die neueren, eher kurzfristig marktbezogen ausgerichteten Transaktionen zu verwenden, die bewußt dem traditionell langfristig ausgerichteten Denken der Energiewirtschaft gegenübergestellt werden. Je nach Zeithorizont können verschiedene Formen von Transaktionen unterschieden werden. Spotgeschäfte stehen für das direkte unmittelbare Geschäft Ware gegen Geld, während dagegen die Termingeschäfte die Vereinbarung der Geschäftskonditionen (heute) und die (mögliche) Abwicklung der Transaktion (in der Zukunft) trennen. Dabei wird bei (einfachen, außerbörslichen) Termingeschäften (forward trading) individuell zwischen zwei Parteien die zukünftige Lieferung einer Ware bezüglich Qualität und Quantität zu einem in der Gegenwart ausgehandelten Preis vereinbart. Aus dem einfachen Terminhandel können bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Terminkontraktmärkte (futures markets) entstehen. Gegenstand dieser Märkte ist der börsliche Handel von standardisierten Terminkontrakten (futures), die Quantität, Qualität sowie Übergabezeitpunkt des in die Zukunft verlagerten Kassawareaustausches beschreiben. Analog dem (außerbörslichen) Terminhandel verpflichtet sich eine Partei zur (zukünftigen) Lieferung, die andere zur Entgegennahme der Ware. Der Preis (Terminkurs) wird durch das freie Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage in einem detailliert festgelegten Auktionsverfahren (Parkett· oder Computerhandel) ermittelt. Terminkontrakt und (einfacher) Terminhandel gehören in die Kategorie der unbedingten Termingeschäfte. Sie sind grundsätzlich auf den späteren Austausch der Ware konzipiert. Dagegen räumen bedingte Termingeschäfte einer von beiden Parteien das Recht ein, später zu entscheiden, ob ein Austausch gewünscht wird. Zu diesen Geschäften gehören in erster Linie Optionen, die börslich oder außerbörslich (OTC: over the counter) auf Ware oder Terminkontrakte gehandelt werden. Swaps werden üblicherweise nicht zu den eher eine Verrechnungstechnik, bei der ein vorgesehen ist. Aufgrund ihrer zunehmenden ren sie jedoch auch zu den neueren "Börsenhandel" im weitesten Sinn.
Termingeschäften gezählt. Sie sind Austausch Ware gegen Geld nicht Bedeutung im Energiehandel gehöHandelsformen und damit zum
12.1.3. Terminkontrakthandel Bei den derzeit existierenden Börsen im Energiebereich handelt es sich vorwiegend um Terminkontraktmärkte, d.h. um Börsen, an denen Preisrisiken gehandelt werden. a) Funktionsweise Im Mittelpunkt steht die Börse, an der nur zugelassene Teilnehmer handeln dürfen. Dritte müssen dann über diese gehen. Die Futures sind standardisiert bezüg-
154
Energiemärkte
lieh Menge, Qualität und Zeitpunkt ihrer Übergabe (Termin). Angenommen jemand verkauft im Januar einen Juli-Futures für Heizöl an der Londoner Ölbörse IPE. Damit wird die Verpflichtung eingegangen, zu dem am Kauftag notierten Kurs im Juli zu liefern. So verpflichtet sich z.B. der Verkäufer eines JuliKontraktes für Heizöl an der Londoner Ölbörse (IPE) im Juli, d.h. nach Ablauf des Termins, die im Futures beschriebene Qualität zum Preis des Kauftages (im Januar) zu liefern. Es kann nur dann einen Verkäufer geben, wenn ihm eine Kaufpartei gegenübersteht. Dabei kennen sich beide nicht persönlich, da bei jedem Geschäft die Börse als dritte Partei zwischengeschaltet ist. Üblicherweise wird die Kauf- oder Verkaufposition nicht bis zum Termin gehalten, sondern zuvor durch Eingehen eines entsprechenden Gegengeschäftes glattgestellt. Lediglich 1-3% aller Futures-Positionen führen zum Austausch von Ware. Damit dient eine Terminkontraktbörse weniger dem Handel mit Energie, sondern vielmehr dem mit Energiepreisrisiken. Bei Eingehen einer Kauf- bzw. Verkaufposition ist nicht der gesamte Betrag zu zahlen. Vielmehr verlangt die Börse finanzielle Sicherheiten zwischen 5-10% des zugrundeliegenden Warenwertes, die dann allerdings an die aktuelle Preisentwicklung angepaßt werden: Sinkt z.B. der Börsenkurs, müssen die Verkäufer ihre Sicherheiten aufstocken, da von ihnen eine Glattstellung mit Kauf erwartet wird. Dieses System der finanziellen Sicherheit bedeutet eine erhebliche Hebelwirkung, da mit dem gleichen finanziellen Einsatz gegenüber dem reinen Spotengagement „auf dem Papier" erheblich mehr Ware bewegt werden kann. Noch deutlicher wird dieser Effekt, wenn Optionen auf Futures gehandelt werden. Bei einer Sicherheit von 10%, ist nur ein Einsatz von 1% nötig, um 100% Kassaware umzusetzen. Oder anders herum: Mit nur 1 $ kann jetzt für 100 $ Öl auf dem Markt bewegt werden („paper barrels"). Dieses System hat Auswirkungen auf die Art der Informationsverarbeitung, Preisbildung und Handelsformen.
b) Voraussetzungen Für Terminbörsen werden üblicherweise drei Voraussetzungen genannt: •
Es existiert ein volumenmäßig bedeutender Spothandel auf einem wettbewerbsintensiven Markt. Hier wird deutlich, warum sich erst die Besitzverhältnisse im Ölmarkt ändern mußten bzw. eine Änderung des Ordnungsrahmens für leitungsgebundene Energieträger Voraussetzung ist. Spothandel bedeutet den direkten und kurzfristigen Wettbewerb eines Gutes untereinander.
•
Der Spotpreis weist im Zeitablauf stärkere Schwankungen auf, so daß ein Bedürfnis zur Preisabsicherung besteht. Es ist z.B. gar nicht so einfach, den aktuellen Preis auf dem Rotterdamer Spotmarkt für Rohöl zu ermitteln. Diese Aufgabe übernehmen professionelle Informationsagenturen (Petroleum Argus, Reuters,...). Diese Schwankungen sind der Grund, warum es einen Terminhandel für Mineralöl gibt, das eine hohe Knappheitsrente als Bestandteil seines Preises hat, während die langfristige Grenzkostenpreisbildung bei Steinkohle keine Anreize für diese Form des Handels bietet.
•
Im Futures muß ein anerkannter Standard beschrieben sein. Auch hier gibt es zahlreiche Probleme zu lösen. So unterscheiden sich z.B. die Rohöle oder
Börsenhandel mit Energieträgern
155
Erdgase verschiedener Felder erheblich voneinander. Bei Mineralöl lautet die Antwort der Märkte wie folgt: Es wird eine Sorte für den Börsenhandel genommen und dieser bildet die Referenz für die anderen. Aus ökonomischer Sicht gibt es also einen impliziten Markt für die gehandelte Sorte und damit verbundene explizite Märkte für die anderen. Eine solche Konstruktion hilft, Transaktionskosten zu minimieren. Früher wurde auch noch Speicherfähigkeit verlangt. Allerdings gibt es mittlerweile Futures auf Frischeier und Lebendvieh, so daß die nicht vorhandene Lagerfähigkeit von Elektrizität einen Terminhandel nicht von vorneherein ausschließt.
c) Transaktionsarten Auf Terminbörsen gibt es eine Vielzahl von Transaktionsarten, von denen hier die vier wichtigsten Grundformen aufgezählt werden. Hedging (hedge: sichern) beinhaltet vereinfacht den Erwerb bzw. Verkauf von Futures in direktem Bezug zu einer gehaltenen oder erwarteten Kassaposition. Betont man das Sicherungsmotiv, so steht dem Terminkontrakt jeweils eine entgegengesetzte Kassaposition gegenüber. Dabei kann der Terminkontraktmarkt als temporäres Substitut für die warenbezogene Leistung dienen. In ihrer weitesten Definition umfaßt Spekulation jede durch Gewinnstreben motivierte Ausnutzung erwarteter zeitlicher Preisunterschiede für ein bestimmtes Gut. Auf einer Terminbörse hält ein Spekulant eine offene Terminposition mit dem ausschließlichen Ziel der Gewinnerzielung (z.B. heute kaufen, morgen verkaufen), ohne über eine entsprechende Kassaposition zu verfügen. Spekulation ist hier aber systemimmanent notwendig. Dem Markt wird Liquidität zugeführt; andernfalls wäre u.U. eine problemlose Glattstellung nicht möglich. Solange der Spekulant mit den anderen Marktteilnehmern in einen Wettbewerb um die beste Information tritt, ist die Spekulation unproblematisch. Sie kann aber dann zum Problem werden, wenn sie einen Markt dominiert und sich letztlich nur noch selbst erwartet. Arbitrage beinhaltet das risikolose Ausnutzen von Unterschieden zwischen Kassa- und Terminkontraktpreisen bzw. zwischen identischen Kontrakten verschiedener Börsenplätze. Wirtschaftlich erfüllt sie die Funktion, verschiedene Märkte zeitlich und räumlich zu koordinieren und eine weitgehende Preisangleichung zu bewirken. Beispiel: Im Juli kostet Rohöl auf dem Spotmarkt 18 $/bl, der Terminkurs für den darauffolgenden September ist aktuell mit 20,5 $/bl notiert, während die Lagerhaltungskosten für einen Monat sich nur bei 2 $/bl bewegen. Jetzt würde die folgende zeitliche Arbitrage stattfinden. Im Rahmen eines cashand-carry-Geschäfts würde Rohöl auf dem Spotmarkt gekauft und simultan per Termin weiterverkauft werden, um den Arbitragegewinn von 0,5 $/bl zu realisieren. Allerdings würden jetzt der Spotpreis (Kaufdruck) steigen und der Terminkurs (Verkaufdruck) sinken, bis die Differenz (Spread) zwischen ihnen im Gleichgewicht den Lagerhaltungskosten entspricht. Spreading stellt die Preisbeziehungen zwischen gleichen, aber unterschiedlich terminierten Kontrakten (intracommodity spreading) oder zwischen solchen ver-
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Energiemärkte
schiedener, aber untereinander substituierbarer Produkte (z.B. Heizöl, Gas) mit gleicher Fälligkeit (intercommodity spreading) her.
12.1.4. Funktionen im Energiebereich Von seiner Konzeption ist der Terminhandel zunächst ein Handel auf Preisrisiken. Risiken gibt es in jeder Ökonomie, und sie müssen von einer Partei getragen werden. Übliche Antworten waren und sind die Lagerhaltung im Öl- oder Gasbereich oder das Reservekraftwerk (bzw. der Reservevertrag) bei einem Stromanbieter. Im regulierten Versorgungsmonopol wurde die Sicherheit von den Kunden bezahlt. Dagegen ist ein Terminhandel ein expliziter, transparenter Markt für Sicherheitsleistungen. Er bietet die Möglichkeit, das Risiko auf diejenigen Parteien zu übertragen, die hierzu auch bereit sind. Eine weitere Funktion liegt in der Preistransparenz. Zwar sind Terminkurse prinzipiell zukunftsorientiert, wobei die Prognosefahigkeit eher begrenzt ist, es gibt jedoch auch immer einen Preis für den im nächsten Monat fälligen Kontrakt (nearby futures). Dieser Preis signalisiert die ökonomische Knappheit des nächsten Monats und kann jederzeit (z.B. per Computer) abgerufen werden. Er kann daher auch als aktueller Preis verwandt werden, während z.B. die Befragung von Marktteilnehmern tendenziell vergangenheitsorientiert ist. Die Erfahrung wettbewerblicher Energiemärkte zeigt, daß Langfristverträge an Bedeutung verlieren. Zwar gibt es sie immer noch, allerdings beschreiben sie ein physisches Lieferverhältnis, während die Preise sich an den laufenden Notierungen orientieren. Selbstverständlich gibt es im klassischen Langfristvertrag häufig auch komplizierte Preisgleitklausuren bzw. die Möglichkeit zur Nachverhandlung, allerdings wird dieser intransparente, individuelle Mechanismus bei Wettbewerb durch den Markt ersetzt. Darüberhinaus entwickeln diese Börsen auch eine erhebliche Eigendynamik. Es fließt Liquidität in die Märkte, die wiederum neue Liquidität, Akteure und Handelsformen mit sich bringt. Der Wettbewerbsdruck verschärft sich, wobei aber immer die Entwicklungslinie klar sein muß: Erst muß ein intensiver direkter Wettbewerb existieren, bevor sich überhaupt eine Börse mit ihrer Eigendynamik entwickeln kann, wobei dieser Prozeß auch kein Automatismus ist. Daher steht im Energiebereich die Börse erst am Ende, nicht aber am Anfang der Entwicklung. Probleme können auftreten, wenn die Börse gegenüber den fundamentalen Marktkonstellationen dominiert und u.U. falsche Preissignale aussendet. Allerdings zerstört der kurzfristige Handel nicht zwingend die gewachsenen Langfristbeziehungen, sondern er trennt nur die physische (warenbezogene) und monetäre Seite. Die Beispiele auf den internationalen Ölmärkten oder dem englischen Pool für Elektrizität zeigen, daß sich um die Börse herum wieder neue Formen entwickeln, die den spezifischen Bedürfnissen der Marktteilnehmer bzw. der Industrie entsprechen. Eine davon sind Swaps oder contracts for differences, wie das folgende Beispiel zeigt. Ein nicht-integrierter amerikanischer Ölproduzent fördert vierteljährlich 1 Mill bl. Er möchte sich gegen das Risiko fallender Rohölpreise absichern und wünscht als Kalkulationsgrundlage 20 $/bl. Findet er eine Gegenseite (Käufer oder z.B.
Börsenhandel mit Energieträgern
157
Bank als Makler), die ebenfalls 20 $/bl als Planungsgrundlage akzeptiert, ist folgender Deal sinnvoll. Sinkt der 3-Monats-Durchschnitt der Notierungen unter 20 $/bl, so gleicht der Käufer, der jetzt das Rohöl billig auf den Spotmärkten einkauft, den Verkäufer mit der Differenz aus. Umgekehrt veräußert bei Preisen über 20 $/bl der Verkäufer sein Öl auf dem Spotmarkt und überweist die Differenz zu 20 $/bl an seine Swap-Gegenpartei, so daß diese ebenfalls in die Lage versetzt wird, Rohöl zu netto 20 $/bl zu kaufen. Überdenkt man diese Konstruktion, so wird klar, daß beiden Seiten für die Dauer des Vertrages 20 $/bl garantiert sind und man diese Konstruktion durchaus mit einem langfristigen Vertrag bei Preisbindung vergleichen kann. Allerdings signalisieren die Preise jetzt die tatsächliche ökonomische Knappheit und allen Akteuren steht eine Vielzahl von Handlungsoptionen offen. Es verwundert daher nicht, daß z.B. auf dem deregulierten britischen Strommarkt contracts for differences mit einer Laufzeit über bis zu 20 Jahren gehandelt werden.
12.2. Charakterisierung nach Energieträgern 12.2.1. Mineralöl a) Historische Entwicklung Zur Zeit der „Seven Sisters" gab es keinen Anreiz, kurzfristig zu handeln. In Europa gab es allerdings schon in den 1960er Jahren einen Spotmarkt in Form eines Residualmarktes für überschüssige Raffinerieprodukte der großen Ölkonzerne, die dann an die kleineren, nicht integrierten Gesellschaften verkauft wurden. Mit der Enteignung setzte dann erstmalig ein kurzfristiger Handel mit Rohöl ein. In dieser Phase wurden an den Spotmärkten lediglich 5% der Weltförderung gehandelt, jedoch bestimmten die Notierungen die Preise. Solche Marginalmärkte neigen zu Überreaktionen, wie der „zweite Ölpreissprung" 1979/80 bewies. Danach entwickelten sich die Spotmärkte zu Hauptmärkten, an denen bis zu 50% der geförderten Mengen gehandelt wurden. Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre gibt es ein enges Zusammenwirken der Marktformen (börslicher) Terminkontrakthandel, (außerbörslicher) Terminhandel, Spothandel sowie sonstige Finanzinstrumente (Swaps, OTC-Optionen, Optionen auf Futures,...;. Nachdem es diverse Anläufe gab, setzte sich der Futures-Handel erst 1978 in den USA an der N e w York Mercantile Exchange ( N Y M E X ) mit einem Futures für Heizöl durch. Zuvor war die Zeit noch nicht reif bzw. die Industrie lehnte die neuen Instrumente ab. Danach folgten weitere Produkte (Rohöl, Benzin,...) und auch andere Börsenplätze: In Europa eröffneten 1981 die in London ansässige
International Petroleum Exchange (IPE), in Süd-Ost-Asien 1983 die Singapore International Monetary Exchange (SIMEX) den Terminhandel mit Rohöl und Mineralölprodukten. Weitere Versuche scheiterten bisher, so daß aus Transaktionskostengründen ein Markt pro geographischer Region (Nordamerika, Europa, pazifisches Asien) plausibel erscheint. Mittlerweile übersteigen die an diesen Märkten gehandelten Volumina (paper barrel) die realen Fördermengen um ein Vielfaches. Daneben gibt es eine Vielzahl außerbörslichen Handels (z.B. auf andere diverse Rohölsorten oder Swaps für Kerosin in Asien)
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Energiemärkte
b) Das „Brent-System" Brent ist eine Rohölsorte aus der Nordseeförderung, von der vergleichsweise wenig gefördert wird, deren Preis jedoch als weltweite Referenz im Mineralölbereich dient. Insgesamt besteht das Brent-System aus den Elementen „Rotterdamer Spotmarkt", Londoner IPE und Nordseeöl-Terminhandel. Ein „Rotterdamer Spotmarkt" vergleichbar dem samstäglichen Wochenmarkt für Gemüse und Fleisch existiert in dieser Form nicht. Die Bezeichnung steht vielmehr stellvertretend für den kurzfristigen Handel in ganz Nordwesteuropa. Zwar ist ein Großteil der ölspezifischen Infrastruktur (Raffinerien, Lager, Terminals,...) in der Region Amsterdam-Rotterdam-Antwerpen (ARA) konzentriert, die Akteure agieren praktisch aber mittels Informationstechnologien (Telefon, Fax, Mail,...) von der ganzen Welt aus. Der Handel zerfällt in die Bereiche des Nordseegeschäfts mit den großen Tankern (Cargo-Handel) und den kleineren Flußschiffen auf der Rheinschiene (Barges-Handel). Der (außerbörsliche) Terminhandel in der Nordsee bezieht sich auf die Tanker und steht aufgrund der großen Volumina (500000 bl) nur zahlungskräftigen Akteuren offen, während die Futures an der IPE wesentlich kleiner sind (z.B. 1000 bl) und sich somit auch für ein breiteres Publikum (z.B. kleinere Ölgesellschaften, Ölmakler und -händler, Fonds, Banken, Kleinanleger....) eignen, was auch die hohe Liquidität von Terminbörsen erklärt. Das Zusammenwirken kann jetzt wie folgt beschrieben werden: •
Die physischen Mengen werden über den Spotmarkt erfaßt. Seine Preisschwankungen geben den Anlaß zur Absicherung. Dabei umfaßt der Spotpreis als Index alle Tanker, die in den nächsten zwei Wochen in A R A anlanden werden.
•
Größere Akteure sind auf dem (außerbörslichen) Terminhandel aktiv. Er bietet Spekulations- und Sicherungsmöglichkeiten.
•
Ein breiteres Publikum ist an der IPE. Deren Futures sehen zum Teil gar keine physische Übergabe mehr vor, sondern lediglich eine Verrechnung mit den Spotnotierungen.
Spotmarkt und Börse des „Brent-Systems" stellen somit eine Preistransparenz her, die anderen Märkten und Regionen als Referenz dient.
12.2.2. Erdgas 1985 wurde der Ordnungsrahmen im US-amerikanischem Gasmarkt geändert und ein Durchleitungsregime (open access) eingeführt. Es entwickelte sich ein kurzfristiger Spothandel mit Preisschwankungen, und über den (außerbörslichen) Terminhandel entstand das Bedürfnis zur standardisierten Preisabsicherung. Aufgrund ihres mittlerweile im Ölgeschäft erworbenen Know-hows bot die N Y M E X 1990 einen Futures auf Gas, der sehr gut angenommen wurde. Auf die Leitungsgebundenheit wurde wie folgt reagiert: In den USA gibt es Knotenpunkte für Gaspipelines (Hubs), an denen sich Großhandelsmärkte herausgebildet hatten. Die Standardisierung der Futures (Qualität, Übergabemodalitäten,...) orientierte sich daher an einem solchen Hub.
Börsenhandel mit Energieträgern
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Der europäische Gasmarkt kann nur sehr bedingt mit dem nordamerikanischen Gasmarkt verglichen werden. In Nordamerika gibt es eine Vielzahl von Produzenten, parallelen Pipelines sowie kaum Außenhandel. Dagegen ist Westeuropa auf Importe angewiesen, und die Flußrichtung des Gas in den Pipelines war bisher klar determiniert und der Wettbewerb auf der Fernhandelsstufe stark eingeschränkt. Allerdings wird auch hier der Ordnungsrahmen geändert, und es ist zu erwarten, daß zukünftig insbesondere günstiges Erdgas aus der Nordsee und Rußland angeboten wird. Diese Überschußmengen werden auf dem Markt erscheinen und Druck auf die Preise der Langfristverträge ausüben. Zusammen mit den Änderungen des Ordnungsrahmens ist ein Spotmarkt denkbar. Für eine mögliche Terminbörse bietet die IPE analog der N Y M E X die besten Voraussetzungen. In Großbritannien gibt es bereits einen Spotmarkt für Erdgas, und London ist einer der bedeutendsten Finanzplätze des Kontinents.
12.2.3. Elektrizität Bei der Umgestaltung der Elektrizitätswirtschaft nehmen in Europa England (britisch-walisischer Pool und Norwegen (freiwilliger Pool) eine Vorreiterrolle ein. Ebenfalls weit vorangeschritten ist der Umgestaltungsprozeß in den USA, wo es seit 1995 einen Futures-Handel für Elektrizität an der New Yorker N Y M E X gibt. Ein Pool-System wie das englisch-walisische Modell führt zu Preisschwankungen und damit zu Anreizen der Preisabsicherung. Dabei werden von einzelnen Kraftwerken für jede halbe Stunde Angebote abgegeben, die Nachfrage geschätzt und so im Rahmen einer angebotsseitigen Auktion der Gleichgewichtspreis (system marginal price) ermittelt. Mit der Einführung dieses Systems 1990 wurde in England zunächst die gesamte erwarte Ausbringungsmenge durch contracts for differences gesichert. Schon bald darauf wurde allerdings realisiert, daß wegen des Umfangs dieser Verträge für die Unternehmen kein „fine tuning" für ein effizientes Management der Poolpreisschwankungen möglich war. Die Einführung von electricity forward agreements (EFA) als Vertragsform für standardisierte OTCGeschäfte schuf einen zwar außerbörslichen, aber hoch standardisierten Terminhandel als spezifische Antwort der Elektrizitätswirtschaft. Die Weiterentwicklung zur Futures-Börse wird von Transaktionskostenabschätzungen abhängen. Die Standardisierung erwies sich dabei nicht als problematisch, da das PoolModell einen unabhängigen Netzbetreiber voraussetzt, dessen Spezifikationen für die Einspeisungen bindend sind und die übernommen werden können. Ein Problem könnte allerdings in der Gestaltung der physischen Übergabe bei Eintreten der Fälligkeit liegen. Obwohl der Handel mit Strompreisrisiken und nicht mit Strom die Funktion dieser Märkte ist, müssen hier befriedigende Lösungen gefunden werden. In England (und Norwegen) wird daher die Trennung von monetärer und physikalischer Seite bis zuletzt aufrechterhalten, und es findet lediglich eine Verrechnung auf Basis von Terminkurs und Poolpreis statt. In den USA ist alleine aufgrund der geographischen Größe des Stromsystems das Punktmodell eines nationalen Pools nicht anwendbar. Dort haben sich regional differenzierte Großhandelsmärkte (wholesale markets) - aber auch regionale Pools - herausgebildet, und der Futures an der N Y M E X sieht physische Übergabe gemäß den üblichen Konditionen vor.
160
Energiemärkte
Literatur zu Kapitel 12. Hensing (1994), Neuendorff (1996)
Zur Begründung von Energiepolitik
161
Teil IV: Energiepolitik 13. Zur Begründung von Energiepolitik Grundsätzlich gilt im Rahmen der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik ebenso wie in der Europäischen Union, daß Wirtschaftsprozesse dezentral privat organisiert werden sollen. Dieses Vorrangprinzip der Märkte verlangt für Ausnahmen oder staatliche Interventionen eine besondere Begründung. Soweit in bestimmten Bereichen nicht davon ausgegangen werden kann, daß Märkte für ein hinreichendes Angebot von Gütern und Leistungen sorgen werden, ist eine Begründung für einen Staatseingriff gegeben („eingeschränkte Marktfähigkeit"). In der wirtschaftspolitischen Literatur wird „Marktversagen" gern und häufig als Begründung für wirtschaftspolitische Eingriffe herangezogen. Für die Analyse spezifischer wirtschaftspolitischer Handlungsbereiche muß man jedoch genau betrachten, ob und wie überhaupt Marktversagen gegeben ist, weil bei flexiblen institutionellen Gestaltungsmöglichkeiten im allgemeinen die Marktfähigkeit erbracht werden kann. Für den Bereich der Energiewirtschaft Iäßt sich feststellen, daß die Marktfähigkeit der verschiedenen Produkte und Leistungen weitestgehend gegeben ist, auch wenn viele besondere Probleme auftreten, die sich aus der Tatsache ergeben, daß im Rahmen der leitungsgebundenen Energieversorgung viele Nutzer durch die Verteilung der Leistungen über ein Netz indirekt miteinander verbunden sind und damit ihr Verhalten auf engere Weise miteinander interagiert als dies auf vielen anderen Märkten der Fall ist. Dies stellt jedoch nicht die Marktfähigkeit dieser Güter in Frage, sondern wirft die Frage auf, ob sich eine dieser Problemstellung angemessene Vertrags- und Preisgestaltung quasi von alleine herstellt oder durch besondere staatliche Regulierung und Intervention herbeigeführt werden muß (Ordnungspolitik). Im folgenden haben wir sechs verschiedene Begründungen für wirtschaftspolitische Eingriffe zusammengestellt (vgl. Abbildung 13.1), die im wesentlichen auf der theoretischen Arbeit von Streit basieren. 1 Dieser Ansatz geht davon aus, daß eine Marktwirtschaft durch Koordinations- und Transaktionskosten gekennzeichnet ist, die aus dem Wunsch der Akteure entspringen, ihre in die Zukunft gerichteten Handlungen, die immer und logisch notwendig bei unvollkommener Information stattfinden müssen, gegen Informations- und Kostenrisiken abzusichern.
1
Streit, 1991.
162
Energiepolitik
13.1.1. Substitutions- und Transaktionskosten Märkte sind durch dezentrale Eigensteuerung der Akteure gekennzeichnet. Dabei orientieren sie sich am Eigeninteresse und ihren individuellen Erwartungen. Der Vorteil einer solchen Entscheidungsstruktur liegt in ihrer hohen Anpassungsflexibilität. Dennoch gibt es auf Märkten niemals eine vollständige Anpassung aller Akteure im „Gleichgewicht", weil Märkte sich aufgrund der Heterogenität der Akteure und deren Erwartungen in einem Prozeß permanenter Veränderung befinden, denn alle Akteure besitzen nur unvollständige Informationen. Weiterhin sind wirtschaftliche Strukturen durch einen hohen Grad von Vernetzung gekennzeichnet, die in vielfältigen Formen spezifischer Vereinbarungen zum Ausdruck kommt. Daraus ergeben sich zwingend Abhängigkeiten der Akteure voneinander. Aus all diesen Gründen werden nicht alle Möglichkeiten der Neuorientierung der Produktstruktur und des Faktoreinsatzes bei den Wirtschaftseinheiten genutzt. Es ergeben sich vielmehr Veränderungshemmnisse („Substitutionshemmnisse"), die in vielfältiger Weise den Marktmechanismus in seiner Wirkung retardieren können. Auch spielt in diesem Zusammenhang das Phänomen Macht und Abhängigkeit eine große Rolle, das keineswegs auf marktbeherrschende Positionen beschränkt ist, sondern ein inhärentes Merkmal von Vereinbarungen auf der Basis der Spezialisierung und Arbeitsteilung darstellt. Jede länger andauernde erfolgreiche wirtschaftliche Situation führt bei den Beteiligten zu einem gewissen Maß an Zufriedenheit, die den Wunsch nach Aufrechterhaltung der Strukturen erzeugt. Daraus kann sich eine Verzögerung oder sogar Verhinderung von strukturell notwendigen Veränderungsprozessen ergeben. Auf spezialisierten Märkten mit hohem Abhängigkeitsgrad ergeben sich hier auch Verkettungseffekte. Eine marktorientierte Wirtschaftspolitik soll solche strukturellen Anpassungshemmnisse verringern helfen. Wirtschaftspolitische Aufgabe ist
Zur Begründung von Energiepolitik
163
dann, den Wandel von Produkt- und Faktoreinsatzstrukturen zu unterstützen. Dazu kommen je nach Sachbereich unterschiedliche Instrumente in Frage.
13.1.2. Substitutionshemmnisse im Energiesektor Besondere Hemmnisse sind im Energiesektor in sachlicher Hinsicht bei der sogenannten Energieeinsparung und in zeitlicher Hinsicht bei der Ressourcenproblematik (vgl. Kapitel 3) festzustellen. Aus technologieorientierten Untersuchungen ist bekannt, daß in vielen Anwendungsbereichen von Energie nicht das optimale Einsatzverhältnis von Energie und Kapital realisiert wird, viele Wirtschaftssubjekte nicht über hinreichende Informationen verfügen und es an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt, weil technischorganisatorische Barrieren gegeben sind. Dabei sind die Energiesysteme technisch gut funktionsfähig, so daß ein hohes Maß an technischer Zufriedenheit gewährleistet ist. Auf der anderen Seite finden wir auf vielen Energiemärkten eine monopolartige Stellung von Anbietern. Dies verhindert nun eine wirksame Konkurrenz zwischen Mitteln zur Energieeffizienzsteigerung auf der einen Seite und dem Kauf von Energieträgern oder Energiedienstleistungen auf der anderen Seite. Daraus resultiert die wirtschaftspolitische Aufgabe der Förderung der Energieeffizienz bzw. des Abbaus von Hemmnissen, die sich einer Effizienzverbesserung in den W e g stellen. Aus der Ressourcenproblematik ergibt sich die Anforderung an die Politik, durch Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen den langfristig notwendigen Übergang zu Backstop-Techniken vorzubereiten. Weiterhin sind Markteinführungsprogramme für neue Technologien gestaltbar. Wie bei allen strukturpolitischen Maßnahmen besteht allerdings das Problem der richtigen mengenmäßigen und vor allem zeitlichen Dosierung. Wie oben gezeigt wurde, ist die Verfügbarkeitsgrenze von Energieressourcen weniger bindend als die Folgeprobleme für die Umwelt aus dem Einsatz fossiler Energie (vgl. Kapitel 4). Die Regulierung der Umweltnutzung kann sich jedoch gerade der Mittel zur Förderung der Substitution bedienen, die auch für die Angebotsseite von Energie von Bedeutung sind. Für die Politik ist gerade die Umweltrestriktion eine große Herausforderung: Die Entwicklung industrieller Volkswirtschaften basiert auf der Zufuhr von Energie aus Beständen der Natur. Mithilfe dieses Rückgriffs wird innerhalb der Gesellschaft der Verteilungskonflikt entschärft, weil die potentiellen zukünftigen Nutzer der Bestandsressourcen nicht an den Entscheidungen beteiligt sind: „Diktatur der Gegenwart über die Zukunft" (Georgescu-Roegen). Der Zeithorizont des theoretischen Modells der Ressourcennutzung (Kapitel 3) und der Zeithorizont der realen Politik klaffen weit auseinander. Nachhaltige Entwicklung setzt voraus, daß die gegenwärtige Generation zukünftigen Generationen für die Bestandsentnahme eine Kompensation für die verbrauchten Ressourcen bereitstellt, indem sie in Backstop-Systeme investiert. Hier stellt sich dann weniger die Frage nach der Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus als vielmehr die Frage, ob das politische System in der Lage ist, die Aufgabe der Koordinierung der unterschiedlichen Zukunftsvisionen in der Gesellschaft im Hinblick auf gemeinsame Zielvorstellungen zu leisten. Es spricht
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Energiepolitik
vieles dafür, daß für die Aufgabe der langfristigen Zielfindung eine institutionelle Struktur fehlt. Diese müßte die Aufgabe leisten, in offener Weise auf die Zusammenführung unterschiedlicher Zukunftsvisionen im Hinblick auf die energiepolitische Prioritätensetzung hinzuwirken. In einer puristischen Sicht der Marktwirtschaft kommt die Koordinationsaufgabe von Politik nicht vor. Dabei sind ihre Chancen wirtschaftlich besser als die kurzfristiger Intervention: Eine kurzfristige Koordinierung von Interessengruppen muß immer davon ausgehen, daß diese Gruppen aufgrund ihrer bereits getätigten Investitionen in die Soft- und Hardware geplanter Projekte das staatliche Forum als Basis für ihre Absatzinteressen verstehen. Langfristig ist die Flexibilität dagegen weit höher, da nur in geringerem Umfang bereits Vorleistungen getätigt sind.
13.2. Wettbewerbsförderung Wettbewerb muß als ein autonomer Prozeß gesehen werden, da im Wettbewerb ständig neue Ziele und damit verbundene Erfüllungsmöglichkeiten entstehen. Eine Selbststeuerung von Teilbereichen von Wirtschaft und Gesellschaft ist damit gleichbedeutend mit der Anerkennung der Tatsache, daß Planungsvorgaben für die Entwicklung nicht gemacht werden können, da für den Wettbewerbsprozeß offen bleibt, wohin die Reise gehen wird. Somit besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach gesellschaftspolitischer Gestaltung einerseits und der logisch zwingenden Autonomie von Wettbewerbsprozessen. Die damit verbundene fundamentale gesellschaftspolitische Frage kann hier nicht ausführlich dargestellt werden. Die Anerkennung der Autonomie des Wettbewerbs erfordert jedoch nicht logisch zwingend den Verzicht auf gesellschaftspolitische Gestaltung, da gestaltbar ist, für welche Lebensbereiche das Wettbewerbsprinzip zugrunde gelegt werden soll. In der Vergangenheit war Wettbewerb in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft durch den staatlichen Ordnungsrahmen weitgehend ausgeschlossen. Wettbewerbspolitische Fragen resultieren im Energiesektor heute einmal aus dem natürlichen Monopol bestimmter Teilbereiche und zum anderen aus der Vernetzung mit physischen Transportsystemen (Pipelines, Gasleitungen, Stromleitungen) und den damit verbundenen Zugangsproblemen. Wir behandeln zunächst das natürliche Monopol.
13.2.1. Energiewirtschaft und natürliches Monopol a) Definition Die Notwendigkeit besonderer Marktregelungen für die leitungsgebundene Energiewirtschaft wird häufig mit dem natürlichen Monopol begründet. Im folgenden Abschnitt geben wir eine kurze Begriffsbestimmung des natürlichen Monopols und stellen dann die Frage, ob, und wenn ja, in welchen Bereichen der Energieversorgung das natürliche Monopol gegeben ist. Unter einem natürlichen Monopol versteht man eine Marktsituation, in der ein einzelner Anbieter den gesamten Markt zu geringeren Kosten beliefern kann als mehrere Anbieter.
Zur Begründung von Energiepolitik
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Dies kann bei einem Einproduktunternehmen auf steigenden Skalenerträgen beruhen, bei Mehrproduktunternehmen können auch economies of scope (Vorteile aus dem Querverbund) vorliegen, schließlich können auch Unteilbarkeiten in der Produktionstechnik die Ursache sein. Früher verband man häufig mit dem natürlichen Monopol die Vorstellung von sinkenden Durchschnittskosten bei steigender Produktion. Heute weiß man, daß für die Begründung eines natürlichen Monopols sinkende Durchschnittskosten nicht unbedingt vorausgesetzt werden müssen. Es reicht, wenn die Kosten subadditiv sind. Als subadditiv bezeichnet man eine Kostenfunktion, wenn
v .-=1
y
«=i
für alle m q\...,qa
mit
Y^q'^q 1=1
C = Kosten q = Produktion Historisch gesehen setzt die Entstehung natürlicher Monopole i.a. zunächst steigende Skalenerträge in der Produktion voraus. Wenn die Technik weiter entwikkelt ist als der Markt, führt dies dazu, daß ein einzelner Anbieter das Marktvolumen am kostengünstigsten befriedigen kann. Wenn steigende Skalenerträge (bzw. sinkende Durchschnittskosten) jedoch nicht dauerhaft anhalten, kann der Markt bei laufender Vergrößerung der Nachfrage von alleine aus dem natürlichen Monopol herauswachsen. Historisch ergeben sich damit drei Phasen: 1.
Sinkende Durchschnittskosten und eine Marktgröße, die vor dem Minimum der Erzeugungskosten eines einzelnen Anbieters liegt (striktes natürliches Monopol).
2.
Subadditive Kosten bei einer Marktgröße, die über der Produktionsmenge des Kostenminimums liegt.
3.
Herauswachsen des Marktes aus dem natürlichen Monopol durch Vergrößerung des Marktvolumens im Verhältnis zur Produktionsmenge des Kostenminimums.
b) Natürliches Monopol in der Stromerzeugung Es besteht kein Zweifel daran, daß in der Entwicklung der Stromerzeugung ein erheblicher Kostendegressionseffekt mit der Anlagengröße verbunden war. Eingesetzt wird jedoch bei einem Erzeuger nicht ein einzelnes Kraftwerk, sondern ein Kraftwerkspark. Dieser Kraftwerkspark muß die verschiedenen einzusetzenden Aggregate im Hinblick auf die Struktur der Nachfrage optimieren. Aus der Realisierung eines optimalen Kraftwerksparks auch im Hinblick auf die oben angesprochenen Probleme der Reservehaltung etc. folgen weitere Größendegressionseffekte. In verschiedenen Untersuchungen wurde versucht, die Größe eines Kraftwerksparks zu schätzen, bei dem die Größenvorteile ausgelaufen sind. Das Fazit
166
Energiepolitik
dieser Untersuchungen lautet, daß die Stromversorgung sich heute im dritten Bereich befindet. Dabei muß auch berücksichtigt werden, daß aufgrund des vorhandenen Verbundsystems Größenvorteile der Erzeugung auch von solchen Unternehmen mit realisiert werden können, die relativ zur wie auch immer festgestellten Mindestgröße „zu klein" sind.
c) Netze und natürliches Monopol Ein Netzsystem stellt für seine Teilnehmer eine Reihe von Leistungen zur Verfügung, die sich für diese kostensenkend auswirken. Von der wirtschaftlichen Logik her sind zwei verschiedene Wirkungen des Verbundnetzes zu unterscheiden: Wirkungen, die sich durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen ergeben (Spitzenausgleich, Reservehaltung, Qualitätssicherung etc.). Wirkungen, die sich aus dem Einsatz des Verbundnetzes als Transportmedium ergeben. Bei den Wirkungen der ersten Art fällt es schwer, sie mit der Vorstellung einer Variierung von Kosten- und Produktionsmengen zu verbinden. Das Verbundnetz ähnelt eher einer Infrastruktureinrichtung, die für die Beteiligten den Charakter eines öffentlichen Gutes hat 2 . In dieser Hinsicht ist das Verbundnetz ein interessantes ökonomisches Phänomen: Denn in vielen Ländern hat sich dieses System privatwirtschaftlich durch Vereinbarungen der Beteiligten und durch Kooperation herausgebildet und nicht durch politische Intervention. Während man gemeinhin für öffentliche Güter Marktversagen unterstellt, ist dies offensichtlich hier nicht der Fall. Der Grund liegt darin, daß der öffentliche Charakter des Gutes Verbundnetz nur für die eng begrenzte Öffentlichkeit der Teilnehmer am System gegeben ist, die die Spielregeln des Systems auch selber bestimmen („Clubgut"). Herrscht darüberhinaus beim Transport Substitutionswettbewerb wie etwa in der Mineralölindustrie (Transport per Schiff, Bahn, L K W möglich), so wird die Bedeutung des natürlichen Monopols der Netze weiter reduziert. Die Bewertung sieht bei der Transportfunktion von Gas- und Stromnetz anders aus. Bis zur Kapazitätsgrenze einer Leitung sind die Kosten für den Transport stark fallend. Bleiben die Anforderungen innerhalb der Kapazität einer Leitung, so sind die Grenzkosten (abgesehen vom geringen Netzverlust 3 ) praktisch gleich Null. Ein natürliches Monopol wird man daher in der Regel unterstellen können. Eine bessere Ausnutzung des Netzes steigert die volkswirtschaftliche Effizienz. Bei vertikaler Integration liegt sie aber nur im Interesse des Netzbetreibers, wenn er durch sein Netz den Absatz seiner eigenen Erzeugung steigern kann. Dagegen besteht kaum Interesse, die Auslastung des Netzes durch Durchleitung anderer
2
Öffentliche Güter sind dadurch charakterisiert, daß die Nutzung durch einen Verbraucher die durch weitere nicht ausschließt (bei privaten Gütern dagegen gilt das s.g. Ausschlußprinzip) und die Verbraucher nicht miteinander um die Nutzung rivalisieren.
3
Bei Stromnetzen kann der Netzverlust bei steigender Inanspruchnahme sogar rückläufig sein.
Zur Begründung von Energiepolitik
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Erzeuger zu verbessern, die zu Lasten des eigenen Marktanteils geht. Eine vertikale Integration steht hier also der Effizienzverbesserung im Wege.
d) Verteilung und natürliches Monopol Für den Transport von Strom, Gas und Fernwärme bis zum Endverbraucher sind spezielle Einrichtungen erforderlich, die nur zum Transport dieser Ware geeignet sind. Es handelt sich hier i.a. um den Fall des klassischen natürlichen Monopols. Im Bereich der Verteilung müssen also besondere Vorkehrungen getroffen werden, um einen monopolistischen Preismißbrauch zu verhindern.
13.2.2. Zugang zu Netzen In wesentlichen Teilen des leitungsgebundenen Energiesektors ist bisher Wettbewerb im weiteren Sinne nicht zugelassen. Die strategischen Aktionsparameter der Unternehmen, Investitionen und Preise, unterliegen einer staatlichen Aufsicht oder sind zumindest nur eingeschränkt autonom einsetzbar. Entstanden sind diese Festlegungen in einer Entwicklungsphase dieser Wirtschaftsbereiche, in der ein allgemeiner Zugang zu diesen Netzen für die Bevölkerung ermöglicht werden sollte. Der Ausschluß von Wettbewerb durch die staatliche Absicherung örtlicher oder regionaler Monopole galt als notwendig, um den flächendeckenden Zugang für die Bevölkerung zu ermöglichen. Der Zugang zum Netz galt insbesondere bei Elektrizität als eine Art Infrastruktur. Die Abgrenzung von Infrastrukturgütern von anderen enthält jedoch einen großen Beliebigkeitsspielraum. Die Leistungen der leitungsgebundenen Energieversorgung sind zu geringen Kosten gut individuell abgrenzbar und erfüllen damit die Voraussetzungen eines privaten Gutes. Der Infrastrukturcharakter besteht daher nicht in der öffentlichen Guteigenschaft, sondern in der Bedeutung, die der Zugang zu der Energieleitung für damit verbundene andere wirtschaftliche Leistungen besitzt. Zum anderen hängt die Beurteilung von der Verfügbarkeit von Substitutgütern ab. Bei der leitungsgebundenen Energieversorgung ist im wesentlichen die Elektrizität in vielen Anwendungsbereichen ohne Substitut. Die staatlich gesicherte Monopolstellung bedeutet, daß in weitgehendem Umfang auf die Vorteile einer inneren Koordination dieses Sektors durch Preissignale verzichtet werden muß. Dies ist aber überhaupt nicht notwendig, um den infrastrukturähnlichen Charakter zumindest der Ware Elektrizität zu sichern. Der Verzicht auf den Preis als Koordinationsfaktor und das hohe Maß an Absatzsicherheit, von dem die Unternehmen ausgehen können, führen dazu, daß der Innovationsdruck, der sich aus dieser institutionellen Struktur ergibt, relativ niedrig ist. Damit ist aber auch die Funktionstüchtigkeit des wirtschaftspolitischen Eingriffes mit der Außerkraftsetzung der normalen Wettbewerbsmechanismen in Frage gestellt: Zwar kann mit den gewählten Instrumenten die flächendeckende Bereitstellung infrastrukturähnlicher Leistungen gesichert werden, nicht gesichert ist jedoch die Anpassungsfähigkeit dieses Systems an neuere Entwicklungen. Dies ist nur zu gewährleisten, wenn ein Ordnungsrahmen gewählt wird, innerhalb dessen den Preisen eine größere Koordinationsaufgabe zukommt, was andererseits einen höheren Grad von Autonomie von Anbietern und Verbrauchern
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Energiepolitik
voraussetzt. Auch die dauerhafte Durchsetzung der infrastrukturpolitischen Zielsetzungen, die in diesem Sektor eine Rolle spielen können, erfordert also eine Marktöffnung in diesem Bereich. Das häufig in der Literatur vorgefundene Argument, der Infrastrukturcharakter der Leistungen dieses Sektors würde Marktlösungen ausschließen, erweist sich damit als Trugschluß. Damit wird auch die Konkurrenz zwischen Energiesubstituten und Energieträgern im Sinne einer Energieeffizienzverbesserung auf eine bessere Grundlage gestellt. Derzeit setzen die Regulierer große Hoffnungen auf regulatorische Auflagen zur Unterstützung der Energieeinsparung („Demand Side Management"). Die Erfahrungen mit diesen Konzepten aus den USA sind jedoch nicht überzeugend. Eine Marktöffnung im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung könnte im Zusammenhang mit der Verbesserung der rechtlichen Infrastrukturen hier bessere Wirkungen entfalten, weil sie das Entstehen neuer Märkte für Energiedienstleistungen begünstigen würde. Dienstleistungsanbieter können in einem offenen Markt Energie, Kapital und andere Produktionsfaktoren zu Energiedienstleistungen kombinieren und verkaufen, ohne durch das Monopol von Energieanbietern behindert zu werden.
13.3. Infrastrukturbereitstellung Wie oben gezeigt wurde, kann die Bereitstellung von Energieleistungen in einem gewissen Maß als Teil der volkswirtschaftlichen Infrastruktur betrachtet werden. Andererseits verlangen alle Energiemärkte eigenständige Infrastrukturen (im materiellen Sinne) für ihre Funktionsfähigkeit. Zum Teil sind diese Infrastrukturen sehr spezifisch (Öl-, Gas- und Stromtransportleitungen etc.). Bei einem hohen Grad von Spezifik sind auch spezifische Institutionen erforderlich, die die Bereitstellung und Nutzung dieser Infrastrukturen innerhalb der Sektoren regeln und einen ökonomischen Umgang damit ermöglichen. In der marktorientierten Mineralölwirtschaft in Deutschland haben sich dafür kooperative Lösungen (gemeinsame Nutzung von Pipelines etc.) herausgebildet, während für die leitungsgebundene Energiewirtschaft eine hochgradige vertikale Integration charakteristisch ist. In diesem Bereich bedeutet das. daß die Infrastruktur des Systems für bestimmte Teilregionen im allgemeinen im Eigentum eines einzelnen Unternehmens liegt. Die vom Gesetzgeber eigentlich für den Endverbrauchsbereich konstruierte regionale Monopolstellung (allein versorgendes Energieversorgungsunternehmen) hat sich damit aber auf das gesamte System ausgeweitet und insbesondere auch die Infrastrukturen des Systems mit einbezogen. Im Ergebnis hat sich damit ein System herausgebildet, das auf der Basis der vom Gesetzgeber gewollten Alleinversorgung auch die vom Endverbraucher entfernten Strukturen des Systems nach dem Prinzip des Regionalmonopols aufgebaut hat. Dies ist mit den wettbewerbspolitischen Zielen nicht vereinbar. Ohne einen Eingriff in gewachsene Unternehmensstrukturen sind aber durchaus Veränderungen möglich, wenn einheitliche Zugangsregelungen für die Infrastrukturen der leitungsgebundenen Systeme geschaffen werden und für diese nach allgemeinen Regeln Preise für die Inanspruchnahme von Netzleistungen definiert werden.
Zur Begründung von Energiepolitik
169
Hierzu bedarf es einer rechtlichen Infrastruktur, die allerdings nicht zwingend vom Staat bereitzustellen ist.
13.4. Regulierung der Umweltnutzung Das Marktversagen im Bereich der Umweltgüter ist in der Literatur sehr intensiv diskutiert worden. Diese Frage ist für den Energiebereich von besonders großer Bedeutung, weil ein erheblicher Teil, insbesondere der luftbezogenen Emissionen bei der Umwandlung von Energie in Nutzenergieleistungen oder Sekundärenergieträger anfällt. Grundsätzlich bestehen hier aber keine anderen Eingriffskriterien als für andere Sektoren, so daß eine spezifische Begründung für diesen Sektor nicht geliefert werden muß. Häufig wird die Frage gestellt, ob eine wettbewerbliche Öffnung wie oben angesprochen nicht im Sinne der Umweltziele kontraproduktiv ist. Insbesondere wird unterstellt, daß in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft tätige Unternehmen aufgrund ihrer regionalen Monopolstellung mehr Aufwand in Richtung Umweltschutz treiben können, da sie die dafür anfallenden Mehrkosten an ihre Abnehmer weitergeben können. Zweifellos muß die Umweltpolitik im Hinblick auf eine Öffnung der Energiemärkte umgestaltet werden. Bisher hat sie sich im wesentlichen des Mittels der Umweltstandards bedient, wobei den Unternehmen angesichts der Primärenergieeinsatzgebote (Kohlevorrang) wenig Spielraum blieb, diese Standards möglichst kostengünstig zu erfüllen, denn dies hätte eine freie Primärenergieträgerwahl vorausgesetzt. Bei der Regulierung der Umweltnutzung muß jedoch berücksichtigt werden, daß umweltgünstige Lösungen eine Resultante von Entscheidungen von sowohl der Angebots- wie der Nachfragseite darstellen. Die bessere Lösung kann daher nur gefunden werden, wenn hier ein offener Suchprozeß möglich ist.
13.5. Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung Generelle wirtschaftspolitische Aufgabe ist es, die Weiterentwicklung der Volkswirtschaft zu fördern. Dies geschieht einerseits durch die Förderung des Wettbewerbs, andererseits durch Bereitstellung von Mitteln für Bereiche, in denen eine gewisse Zukunftsrendite zu erwarten ist, aber nicht mit hinreichenden privatwirtschaftlichen Impulsen gerechnet wird. Im Energiesektor handelt es sich dabei in erster Linie um die Sicherung der Verfügbarkeit von Ressourcen auch in der Zukunft. Wir sind oben bereits darauf eingegangen.
13.6. Förderung der Integration Die bisher behandelten Eingriffskriterien liegen auf der Sachebene der Analyse des Wirtschaftsprozesses und der Möglichkeiten seiner Beeinflussung. Auf der anderen Seite müssen diese Sachebenen mit dem Prozeß der politischen Willensbildung und der in diesem Prozeß stattfindenden Wahrnehmung und Wertung vermittelt werden. Diese Aufgabe ist in den letzten Jahren auch unter dem Stichwort "Sozialverträglichkeit" behandelt worden, wobei darunter sowohl
170
Energiepolitik
die Akzeptanz bei der Bevölkerung gefaßt wird wie auch die Akzeptabilität unter Zugrundelegung einer normativen Betrachtung. Wir sind bei der Behandlung der Zukunftsprobleme oben darauf eingegangen. Auf die Energieproblematik bezogen ist Sozialverträglichkeit kaum in operation a l Kriterien zu fassen, wie sich daran zeigen läßt, daß Akzeptanz und Akzeptabilität zwischen Ländern erheblich variieren. Es erscheint deshalb richtig, den Gedanken der Sozialverträglichkeit als Notwendigkeit einer Politikkoordination im oben dargestellten Sinne zu verstehen.
Literatur zu Kapitel 13. Ewers (1996), Pfaffenberger (1997), Richter (1996), Streit (1991), Stützel (1972), Willliamson (1990)
Energiepolitik in Deutschland und Europa
171
14. Energiepolitik in Deutschland und Europa 14.1. Markt und Wettbewerb 14.1.1. Der Ordnungsrahmen in Deutschland Im Bereich der leitungsgebundenen Energie gilt bisher ein besonderer Ordnungsrahmen, der in seinem Kern in den 30iger Jahren entwickelt wurde. Damaliges Ziel war die Verbesserung der Effizienz der Energieversorgung durch eine einheitliche Struktur und die Verhinderung konkurrierender Angebote. Kernelemente dieser Ordnung sind: •
Allein Versorgung durch ein Unternehmen für ein Versorgungsgebiet und Absicherung dieser Gebiete durch vertragliche Vereinbarungen zwischen potentiellen Konkurrenten (Demarkation),
•
kommunale Einflußnahme auf die Energieversorgung durch Vergabe von Alleinkonzessionen an Unternehmen auf der Grundlage des kommunalen Wegerechts (Konzessionsvertrag). In diesem Zusammenhang zahlen die Unternehmen an die Kommune für die Nutzung der Wege eine Konzessionsabgabe,
•
Versorgung zu einheitlichen Tarifen in jedem Versorgungsgebiet mit staatlicher Aufsicht bei Strom, die durch die Länder ausgeübt wird,
•
staatliche Investitionsaufsicht durch die Länder.
Relevant ist dieser Ordnungsrahmen in der Stromversorgung (vgl. Kap. 10), da bei Erdgas und Fernwärme grundsätzlich Substitutionskonkurrenz herrscht (vgl. Kap. 7). Alleinversorgung durch ein Unternehmen in einem Versorgungsgebiet ist an sich im Wirtschaftssystem der Bundesrepublik nicht möglich, da das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vertragliche Vereinbarungen zum Ausschluß von Wettbewerb verbietet. (Zu den allgemeinen Grundlagen von Wettbewerb siehe Kap. 13). Dem wurde durch eine besondere Ausnahmebestimmung in § 103 G W B Rechnung getragen. Über eine dem Grundgedanken des G W B (Wettbewerb) entsprechende Ausgestaltung des Ordnungsrahmens der leitungsgebundenen Energiewirtschaft wird seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vor 40 Jahren diskutiert. Die Möglichkeiten einer wettbewerblichen Öffnung bei Strom und Gas werden in Kap. 7 und j 0 diskutiert. Da nur die Verteilung an Endverbraucher ein monopolistischer Bereich ist, müssen in diesem Bereich die Verbraucher durch staatliche Regulierung vor einem potentiellen Mißbrauch des Monopols geschützt werden. Eine Öffnung der Märkte setzt dann eine Trennung der verschiedenen Leistungen voraus, die zusammen ein Energieprodukt konstituieren (z.B. Erzeugung, Transport, Verteilung bei Strom). Angesichts des hohen Grades vertikaler Integration in der deutschen Energiewirtschaft ist die vertikale Trennung der Produkte und eine eigenständige Preisbildung für die einzelnen Teilleistungen schwierig zu bewerkstelligen. Im Allgemeinen geht man in Netzindustrieen davon aus, daß der monopolistische Bereich (Netz und Verteilung) mit Hilfe expliziter Regelungen geöffnet werden muß, wenn eine wettbewerbliche Struktur gewünscht ist. Dies wird in Deutschland z.Zt. kontrovers diskutiert. Eine solche
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Energiepolitik
Regelung soll nicht zum Ziel haben, integrierte Produkte zu verhindern. Auf vielen Märkten gibt es Anbieter, die verschiedene Produkte zu einem kombinierten Produkt verbinden und Verbrauchern anbieten (Beispiel Pauschalreise als Kombiprodukt aus Flug. Transfer, Hotel, Besichtigungen etc.). essentiell ist vielmehr, daß Verbraucher die Möglichkeit haben, die Kombination der Teilleistungen nach ihren eigenen Bedürfnissen selbst zu vollziehen. Wenn diese Möglichkeit gegeben ist, so entsteht automatisch für den Verbraucher die Möglichkeit des Vergleichs integriert angebotener Leistungen und der Teilleistungen. Dies führt zu einem Wettbewerbsdruck zunächst im Hinblick auf die integriert angebotenen Leistungen und bei weiterentwickeltem Markt auch in umgekehrter Richtung. Eine Marktöffnung im deutschen Stromsystem muß zunächst die Kompetenzverteilung im Rahmen der föderalen Staatsverfassung beachten. Darüber hinaus sind weitgehende Veränderungen nur möglich, wenn in Eigentumsrechte eingegriffen würde (institutionelle Trennung von Netz und Erzeugung), die der deutschen wirtschaftspolitischen Tradition nicht entsprechen. Der Reformgesetzentwurf der Bundesregierung vom Herbst 1996 versucht dem durch folgende Reformelemente Rechnung zu tragen: •
Abschaffung der Ausnahmemöglichkeiten des §103 GWB für die leitungsgebundene Energieversorgung,
•
Abschaffung der Ausschließlichkeit von Konzessionsverträgen. Die Gemeinden schließen weiter Konzessionsverträge ab, aber müssen mehr als ein Unternehmen konzessionieren, sofern dafür Nachfrage besteht.
•
Beseitigung der Investitionsgenehmigung für Kraftwerke und Leitungen (freier Kraftwerks- und Leitungsbau).'
Bei der Veränderung in Deutschland steht also zunächst die Deregulierung, d.h. der Abbau der staatlichen Vorschriften im Vordergrund, die bisher zu einem Ausschluß von Wettbewerb geführt haben. Umstritten ist die explizite Regelung der Zugangsmöglichkeiten zu den Netzen. Während einerseits argumentiert wird, hierfür reiche nach Abschaffung der Ausnahmemöglichkeit von §103 der Mißbrauchstatbestand des G W B aus, wird dagegen eingewandt, daß eine individuelle und einzelfallbezogene Durchsetzung von Zugangsrechten zu hohe Transaktionskosten aufweist, große Diskriminierungsspielräume ermöglicht und die Einführung von Wettbewerb retardiert. Tatsächlich ist eine allgemeine Verfügbarkeit der Netze synonym mit der Existenz allgemeiner Spielregeln. Im allgemeinen wird in netzgebundenen Industrien mit vergleichbaren Strukturen davon ausgegangen, daß die Setzung solcher Spielregeln staatliche Aufgabe ist. Die Preisregulierung für Netzdienstleistungen ist allerdings nicht trivial, da wie oben ausgeführt - Netzbenutzung und Erzeugung in gewissem Maße technisch integriert sind. Im Netz eines einzigen Eigentümers ist daher der Ausgleich viel
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Energiewirtschatftsrechts vom 23.3.1997, Deutscher Bundetag Drucksache 13/7274
Energiepolitik in Deutschland und Europa
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einfacher als bei einem Verbund verschiedener Netze und Erzeugungsanlagen. 2 Für die Zukunft liegt also die Aufgabe der Ordnungspolitik darin, den Prozeß der Herausbildung von Preisen für Netzdienstleistungen zu verfolgen und evtl. auch hier gestaltend einzugreifen. Nur wenn ein offener Zugang zu den Netzen durch die in den Verhandlungsprozessen entstehenden Bedingungen ermöglicht wird, ist mit nennenswertem Wettbewerb in Deutschland zu rechnen.
14.1.2. Die europäische Richtlinie Die Gestaltung der Marktbedingungen für leitungsgebundene Energie wird u.a. auch von der europäischen Richtlinie für den Strommarkt geprägt, die im Februar 1997 in Kraft trat. 3 Die Marktordnung der Stromwirtschaft ist in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union recht unterschiedlich. Die Bandbreite reicht heute von der zentralistisch-staatlichen Organisationsform in Frankreich bis zum liberalisierten Modell in Großbritannien. In den meisten Ländern liegen Mischmodelle vor. jedoch sind geschlossene Versorgungsgebiete und häufig auch vertikal integrierte Unternehmen in den meisten Ländern die Grundlage der Organisation der leitungsgebundenen Energie. Die Europäische Kommission als supranationale Einrichtung hat sich die Aufgabe gestellt, aufbauend auf diesen heterogenen Strukturen einen Vorschlag zu entwickeln, der in Richtung einer Angleichung der Verhältnisse wirken kann, ohne in die durch nationales Recht und nationale politische Institutionen geschützten Belange hineinzureichen. Dabei ist die Kompetenzabgrenzung durchaus nicht unstrittig. Die Kommission stützt sich auf das dem Europäischen Vertrag zugrunde liegende Wettbewerbsgebot, das sie auf die Besonderheiten der leitungsgebundenen Energieversorgung übertragen möchte. In jüngerer Zeit wird andererseits die nationale Autonomie in der Gestaltung von Wettbewerbsausnahmebereichen stärker betont. Insbesondere schützt der Art 90, 2 EGV besondere nationale Regulierungen von Wirtschaftsbereichen, bei denen dies im allgemeinen Interesse liegt. Eine Vereinheitlichung, die in die inneren Strukturen der einzelnen Länder hineinreicht, ist dann allerdings ausgeschlossen. Die Bausteine der Reform sind: i)
Liberalisierung des Kraftwerks- und Leitungsbaus Dies ist die Voraussetzung für die Schaffung von Erzeugerwettbewerb. Freier Kraftwerksbau ermöglicht den Marktzugang gebietsfremder oder bisher branchenfremder Akteure und freiere Leitungsbau ermöglicht Anbietern oder
2
Vgl. Shuttleworth, a.a.O., und Westre, E.: Transmission Pricing in Norway, in: Einhorn, M., Siddiqui, R.: Electricity Transmission Pricing and Technology, a.a.O., 229 - 238.
3
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 30.1.97.
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Energiepolitik Verbrauchern von Elektrizität eigenständige Netzzugänge und erhöht damit die Möglichkeiten der Aushandlung von Durchleitungsverträgen.
ii)
Unbundling Vertikal integrierte Unternehmen sollen ihre Erzeugungs-, Transport/ V e r b u n d - und Verteilungsaktivitäten trennen. D a eine volle eigentumsmäßige Trennung durch die Kommission nicht vorgeschrieben werden kann, wird eine getrennte Rechnungslegung der verschiedenen Abteilungen vertikal integrierter Unternehmen verlangt. Mithilfe des „unbundling" soll erreicht werden, daß die Kosten der Netz- und Verteilungsaktivitäten sichtbar von den Erzeugungskosten getrennt werden können, u m eine höhere Transparenz bei der B e r e c h n u n g von Preisen für Netz- und Verteilungsdienstleistungen zu erzielen.
iii)
Netzbetreiber Für Versorgungsgebiete sollen für das Übertragungs- und Verteilungsnetz Netzbetreiber benannt werden. Die Netzbetreiber haben die Aufgabe, in d e m jeweiligen Gebiet den Netzbetrieb sicherzustellen, die Koordination mit anderen Netzen durchzuführen, den Kraftwerkseinsatz nach Kostenminimierungsregeln festzulegen und den Netzzugang Dritter zu ermöglichen.
iv) Netzzugang Dritter Stromverteiler und bestimmte Stromverbraucher sollen den direkten Z u g a n g zum Netz erhalten, um sich den f ü r sie günstigsten Lieferanten aussuchen zu können. Mit d e m Netzzugang für Verteiler entsteht wie in den U S A ein Großhandelsmarkt, mit d e m Netzzugang Dritter (Verbraucher) entstehen Elemente eines Verbrauchermarktes für Strom. Die Bedingungen des Netzzugangs sollen dabei zwischen den Parteien ausgehandelt werden, wobei allg e m e i n e Regeln zu beachten sind. Der Konflikt zwischen Ländern mit einer zentralistischen Organisation und solchen, die eine M a r k t ö f f n u n g vorsehen, soll durch das „single buyer Konzept" gelöst werden. Spezifizierte Großkunden sollen danach das Recht zum Einkauf außerhalb der Grenzen des Versorgungsgebietes haben. Die Abwicklung erfolgt j e d o c h durch das einheitliche Versorgungsunternehmen (single buyer), das die Vorteile des Bezugs an den Verbraucher weitergeben soll. Angesichts der geringen Transparenz von Preisen und Kosten bei einem einheitlichen M o n o p o l verfügt das Zentralmonopol dabei über deutlich mehr Aktionsparameter zur Verhinderung von echtem Wettbewerb als einzelne disintegrierte Unternehmen in einem offeneren Markt. Daher wird in diesem Fall die Veröffentlichung allgemein gültiger Netzpreise vorgeschrieben.
14.2. Abbau von Substitutionshemmnissen Staatliche M a ß n a h m e n mit d e m Ziel der Energieeinsparung wurden in Deutschland, wie in anderen Industrieländern auch, zunächst als Reaktion auf die Ölpreiskrise zu Beginn der 70er Jahre ergriffen. So stammt das Energieeinsparungsgesetz aus d e m Jahr 1976. Da sich das Ressourcenproblem aber als nicht so dramatisch wie damals befürchtet, erwiesen hat, wird Energieeinsparung und rationelle Ener-
Energiepolitik in Deutschland und Europa
175
gienutzung heute v.a. unter Klimaschutzgesichtspunkten als eine mögliche vielversprechende C0 2 -Reduktionsstrategie gesehen. Die deutsche Energieeffizienzpolitik war von Anfang an marktwirtschaftlich orientiert, die entscheidenden Impulse für die Beeinflussung des Konsumentenverhaltens sollten von den Energiepreisen ausgehen. Nach dem Ölpreisverfall 1985/86 konnten die Energiepreise diese ihnen von der Politik zugedachte Anreizfunktion jedoch nicht mehr ausfüllen. Die Rentabilität von Energieeffizienzinvestitionen verschlechterte sich. Dies führte dazu, daß staatliche Maßnahmen im Hinblick auf das Energieeinsparungsziel an Bedeutung gewannen. Konkret bedient sich die Energieeffizienzpolitik der folgenden Instrumente:
14.2.1. Information und Beratung der Verbraucher Hinter diesem Oberbegriff verbergen sich eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, von denen hier einige beispielhaft angeführt werden sollen 4 : •
Beratung über sparsame und rationelle Energieverwendung durch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft
•
Vor-Ort-Beratung zur sparsamen und rationellen Energieverwendung in Wohngebäuden
•
Förderung von Energiesparberatungen in kleinen und mittleren Unternehmen
Im Bereich der Haushaltsgeräte ist seit dem 02.07.1997 das sogenannte Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG) 5 in Kraft. Es dient der Umsetzung zweier EG-Richtlinien 6 und gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, mittels Rechtsverordnungen bei Haushaltsgeräten die Angabe des spezifischen Energieverbrauchs vorzuschreiben und Höchstwerte für den Energieverbrauch festzulegen.
4
Vgl. Klimaschutz in Deutschland - Erster Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, Bonn 1994
5
Gesetz zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Energieeinsparung bei Haushaltsgeräten (Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz - EnVKG), BGBl. I 1997, S. 1632
6
Richtlinie 92/75/EWG des Rates vom 22. September 1992 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch Haushaltsgeräte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen. ABl. EG Nr. L 297/16-19 und Richtlinie 96/57/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. September 1996 über Anforderungen im Hinblick auf die Energieeffizienz von Elektrischen Haushaltskühl- und -gefriergeräten und entsprechenden Kombinationen, ABl. EG Nr. L 236/36-43
176
Energiepolitik
14.2.2. Finanzielle Zuschüsse und Steuererleichterungen Die staatlichen Finanzierungshilfen konzentrieren sich zur Zeit auf die neuen Bundesländer, da man sich dort mit diesem Mitteleinsatz einen höheren Einspareffekt erhofft als bei einer Verwendung im alten Bundesgebiet. Zu diesem Maßnahmenpaket gehören u.a. zinsgünstige Darlehen aus dem Wohnraummodernisierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und dem ERPEnergiesparprogramm. Das Fördergebietsgesetz 7 honoriert Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an Gebäuden in den neuen Bundesländern durch die Einräumung von Sonderabschreibungen bzw. die Möglichkeit, die Modernisierungsaufwendungen wie Sonderausgaben geltend machen zu können. Ein Schwerpunkt in den vergangenen Jahren war das Bund-Länder-FernwärmeSanierungsprogramm mit einem Volumen von 1,2 Mrd. DM. Mit Hilfe dieser Förderung, die sich v.a. auf Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen konzentrierte, sollte der mit 23 % relativ hohe Anteil der Fernwärme am Raumwärmemarkt in den neuen Ländern stabilisiert werden 8 .
14.2.3. Ordnungsrechtliche Regelungen Neben den bisher genannten eher „weichen" Instrumenten wurden in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland aber auch einige Effizienzstandards verbindlich per Rechtsverordnung festgeschrieben. Dies geschah allerdings bisher nur in zwei Teilbereichen, nämlich bei der Nutzung des Nebenproduktes Wärme und im Gebäudebereich.
a) Wärme als Nebenprodukt Bei vielen technischen Prozessen entsteht als ein Nebenprodukt Wärme, die nicht wieder direkt genutzt werden kann und daher häufig an die Umgebung abgegeben wird. Das Bundesimmissionsschutzgesetz 9 verpflichtet nun die Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen, diese Wärme entweder selbst zu nutzen oder an Dritte zur Nutzung abzugeben, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Nach § 5 Abs. 2 BImSchG soll diese Wärmenutzung durch eine Rechtsverordnung geregelt werden. Ein Kabinettsbeschluß vom 07.11.1990 über den Erlaß einer solchen allgemeinen Wärmenutzungsverordnung ist bisher aber noch nicht umgesetzt worden. Lediglich für Abfallverbrennungsanlagen existiert zur Zeit eine solche Vorgabe, in der festgelegt ist, daß Wärme, die nicht selbst genutzt oder an
7
Neufassung Fördergebietsgesetz. BGBl. I 1993. S. 1654
8
Vgl. Klimaschutz und Energiepolitik Dokumentation Nr. 359, Bonn 1994
9
Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundesimmissionsschutzgesetz - BImSchG) vom 15. März 1974 i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990, BGBl. I 1990, S. 880, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. April 1997, BGBl. I 1997, S. 805 ; zur Wärmenutzung siehe § 5 Abs. 1 Pkt. 4 BImSchG
-eine
nüchterne
Bilanz-,
BMWi-
Energiepolitik in Deutschland und Europa
177
Dritte abgegeben wird, zur Stromerzeugung eingesetzt werden muß, wenn eine elektrische Leistung von mehr als 500 kW möglich ist 10 .
b) Gebäudebereich Seit dem Beginn der Energieeffizienzpolitik in den 70er Jahren bildet die Reduzierung des Energieverbrauchs im Raumwärmesektor einen (ordnungsrechtlichen) Schwerpunkt. Die gesetzliche Grundlage hierfür ist das bereits angesprochene Energieeinsparungsgesetz 1 1 . Auf dessen Basis existieren zur Zeit drei Rechtsverordnungen, durch die verschiedene Ansatzpunkte für Energieeinsparungen realisiert werden: •
Wärmeschutzverordnung 1 2
•
Heizungsanlagenverordnung 1 3
•
Heizkostenverordnung 1 4
Die grundsätzlich marktorientierte Ausrichtung der Energieeffizienzpolitik zeigt sich hier darin, daß alle in diesen Rechtsverordnungen aufgestellten Anforderungen "wirtschaftlich vertretbar" sein müssen. Dies ist laut EnEG der Fall, wenn sich die Aufwendungen innerhalb der üblichen Nutzungsdauer durch die resultierenden Energieeinsparungen amortisieren 15 . Aufgrund der Temperaturdifferenz zwischen Gebäudeinnerem und Umgebung kommt es während der Heizperiode zu Transmissionswärmeverlusten durch die Außenbauteile und zu Lüftungswärmeverlusten. Die WärmeschutzV zielt auf die Begrenzung des Jahres-Heizwärmebedarfs bei Neubauten und bei bestimmten baulichen Veränderungen an bestehenden Gebäuden. Dies geschieht über die Festlegung von Standards zur Verminderung der Transmissionswärmeverluste. Da
10
Siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe - 17. BImSchV) vom 23. November 1990, BGBl. I 1990, S. 2545, ber. S. 2832 ; zur Wärmenutzung siehe § 8 17. BImSchV
11
Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden (Energieeinsparungsgesetz EnEG) vom 22. Juli 1976, BGBl. I 1976, S. 1873, geändert durch Erstes Gesetz zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes vom 20.06.1980, BGBl. I 1980, S. 701 Verordnung über einen energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden (Wärmeschutzverordnung - WärmeschutzV) vom 16. August 1994. BGBl. I 1994, S. 2121 Verordnung über energiesparende Anforderungen an heizungstechnische Anlagen und Brauchwasseranlagen (Heizungsanlagenverordnung - HeizAnlV) vom 22. März 1994, BGBl. I 1994, S. 613
14
Verordnung über die verbrauchsabhängige Abrechnung der Heiz- und Warmwasserkosten (Verordnung über Heizkostenabrechnung - HeizkostenV) vom 20. Januar 1989, BGBl. I 1989, S. 116
15
§ 5 Abs. 1 EnEG
178
Energiepolitik
der Gebäudenutzer i.d.R. nicht energiesparend lüftet, kann der Einbau mechanischer Lüftungsanlagen zu einer Reduzierung der Lüftungswärmeverluste beitragen. Solche Anlagen erfüllen zur Zeit allerdings noch nicht das o.g. "Wirtschaftlichkeitsgebot" des § 5 EnEG und sind daher auch nicht verbindlich vorgeschrieben. Bei einer freiwilligen Installation wird der sich ergebende reduzierte Lüftungswärmebedarf aber derart berücksichtigt, daß die Anforderungen an den baulichen Wärmeschutz entsprechend gelockert werden 16 . Der durchschnittliche Heizenergiebedarf für den Gesamtgebäudebestand in Deutschland beträgt 220 kWh/a pro m 2 Nutzfläche. Gebäude, die nach der alten WärmeschutzV errichtet wurden, weisen einen Verbrauch zwischen 80 und 190 kWh/m 2 *a auf. Nach der Novelle 1994 ist nur noch ein maximaler JahresHeizwärmebedarf zwischen 54 und 100 kWh/m 2 *a erlaubt 17 . Die WärmeschutzV dient auch der Umsetzung der Art. 2 und 5 der sogenannten SA VE-Richtlinie der EG 1 S . Dabei entspricht der in § 12 WärmeschutzV vorgeschriebene Wärmebedarfsausweis dem in der Richtlinie geforderten Energieausweis für Gebäude, der die energiebezogenen Merkmale eines Gebäudes beschreiben und potentielle Nutzer informieren soll 19 . Der Energieverbrauch hängt natürlich nicht nur von der ergriffenen Wärmeschutzmaßnahmen ab, sondern auch vom Wirkungsgrad des Heizungssystems. Bei der Bereitstellung von Nutzwärme für die Raumheizung treten -wie bei jedem anderen wärmetechnischen Prozeß auch- gewisse Umwandlungsverluste auf, und zwar Abgas-, Strahlungs- und Betriebsbereitstellungsverluste am Heizkessel und Transportverluste am Verteilsystem zwischen Kessel und Heizkörper. Zur Begrenzung dieser Verluste müssen heizungstechnische Anlagen in Deutschland bestimmte, in der Heizungsanlagenverordnung (HeizAnlV) festgelegte Anforderungen erfüllen 2 0 . Durch die letzte Novelle dieser Verordnung wurde die sogenannte Wirkungsgradrichtlinie der EG 2 1 in deutsches Recht umgesetzt. 16
Zu Ziel und Inhalt der WärmeschutzV siehe auch Amtliche Begründung zur Wärmeschutzverordnung, Bundesratsdrucksache 345/93
17
Anlage 1 Ziffer 1.0 WärmeschutzV
18
Richtlinie 93/76/EWG des Rates vom 13. September 1993 zur Begrenzung der Kohlendioxidemissionen durch eine effizientere Energienutzung, ABl. EG Nr. L 237/28-30
19
Zu Inhalt und Gestaltung des Wärmebedarfsausweises siehe auch Allgemeine VerwaltungsVorschrift zu § 12 der Wärmeschutzverordnung (AVV Wärmebedarfsausweis) vom 20. Dezember 1994, Bundesanzeiger vom 28.12.1994
20
Die Begrenzung der Abgasverluste wird dabei in §§ 11 und 23 der 1. BImSchV (Kleinfeuerungsanlagenverordnung) geregelt.
21
Richtlinie 92/42/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 über die Wirkungsgrade von mit flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen beschickten neuen Warmwasserheizkesseln, ABl. EG Nr. L 167/17-28, ber. ABl. EG Nr. L 195/32, geändert durch Art. 12 der Richtlinie 93/68/EWG des Rates vom 22. Juli 1993, ABl. EG Nr. L 220/19-20
Energiepolitik in Deutschland und Europa
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Aufgrund der in Deutschland herrschenden klimatischen Verhältnisse werden Heizungsanlagen während der Heizperiode fast ausschließlich in Teillast gefahren. Die HeizAnlV schreibt daher vor, daß ab dem 01.01.1998 grundsätzlich nur noch Niedertemperatur- oder Brennwertkessel, die in diesem Auslastungsbereich Wirkungsgradvorteile gegenüber konventionellen Kesseln besitzen, in Betrieb genommen werden dürfen. Da diese Kessel bestimmte Anforderungen an die Kamine stellen, sind bei älteren Gebäuden in Ausnahmefällen auch noch Standardheizkessel zulässig. Altanlagen, die vor dem Inkrafttreten der ersten HeizAnlV 1978 installiert wurden, sind i.d.R. erheblich überdimensioniert und haben das Ende ihrer rechnerischen Nutzungsdauer bereits erreicht. Diese Anlagen mußten in den vergangenen Jahren bzw. müssen bis zum 31.12.1997 (je nach Alter und Größe) an den tatsächlichen Wärmebedarf angepaßt werden. Ebenfalls bis spätestens Ende 1997 müssen alle Zentralheizungen mit modernen Regelungsanlagen, die eine Steuerung in Abhängigkeit von Außentemperatur und Zeit gestatten, und alle Heizkörper mit Thermostatventilen ausgerüstet sein. Durch die bereits erwähnte SAVE-Richtlinie der EG von 1993 werden die Mitgliedsstaaten u.a. verpflichtet, für eine verbrauchsabhängige Abrechnung der Kosten für Heizung, Klimatisierung und Warmwasserbereitung zu sorgen. In Deutschland wurde diese Abrechnungsmethode aber bereits 1981 durch die HeizkostenV verbindlich vorgeschrieben. Ziel dieser Verordnung ist es, ohne großen Investitionsaufwand über Verhaltensänderungen der Gebäudenutzer eine Reduzierung des Energieverbrauchs zu erreichen. Zu diesem Zweck müssen zwischen 50 und 70 % der Betriebskosten der Heizungs- bzw. Warmwasseranlage nach dem erfaßten Verbrauch abgerechnet werden. Die übrigen Kosten werden dann nach der Wohn- oder Nutzfläche oder nach dem umbauten Raum verteilt. Der Anwendungsbereich der HeizkostenV erstreckt sich dabei auch auf die Direktabrechnung zwischen Wärme- bzw. Warmwasserlieferant und Nutzer, unabhängig davon, ob es sich um Direkt-, Nah- oder Fernwärme- bzw. Warmwasserlieferungen handelt. Die Tatsache, daß der einzelne Nutzer nun ein ökonomisches Interesse daran hat, sich möglichst energiesparend zu verhalten, hat zu einem Energieverbrauchsrückgang von 15 % geführt. Über die hier beschriebenen Maßnahmen der staatlichen Energieeffizienzpolitik in Deutschland hinaus, bestehen nach Auffassung der EG noch weitere Einsparpotentiale. Deutschland ist aufgefordert, die Anwendung der Drittfinanzierung von Investitionen in eine effiziente Energienutzung im öffentlichen Sektor und die Erstellung von Energiebilanzen in Unternehmen mit hohem Energieverbrauch zu fördern 2 2 .
22
Vgl. Art. 4 und 7 der SAVE-Richtlinie
180
Energiepolitik
14.3. Förderung erneuerbarer Energie Eine der energiepolitischen Innovationen der letzten Jahre war die Verabschiedung des Einspeisegesetzes für erneuerbare Energie. Dieses Gesetz sieht einen Einspeisezwang für bestimmte definierte Energieprodukte auf der Basis erneuerbarer Energie zu gesetzlich festgelegten Mindestpreisen vor, die erheblich über dem Marktwert der Energie liegen. Zum Einkauf verpflichtet sind die örtlichen oder regionalen EVU, in deren Versorgungsgebiet die erneuerbare Energie anfällt. Im Bereich der regenerativen Energie sind Entwicklungsimpulse notwendig, um die Produktentwicklung und Markteinführung zu verstärken. Langfristig kommt dies allen Energieverbrauchern zugute, da rechtzeitig Substitute für fossile Energieträger entwickelt werden. Auf der anderen Seite ist das Gesetz sicherlich eine ordnungspolitische Fehlkonstruktion. 1. Da die erneuerbaren Energien, die durch das Gesetz gefördert werden sollen, entsprechend ihrem natürlichen Vorkommen (wie bei Wasserkraft und Wind etc.) regional ungleich verteilt sind, werden die Strombezieher derjenigen Regionen am stärksten belastet, in denen die Einspeisung am höchsten ist. Die Verringerung der Umweltbelastung, die allen zugute kommt, wird also von den Strombeziehern der erneuerbaren Energieträger bezahlt. Dies ist sicherlich eine falsche Anreizkonstruktion. Das Verursacherprinzip der Umweltpolitik wird hier auf den Kopf gestellt. 2. Die im Gesetz vorgesehenen festen Einspeisevergütungen sind willkürlich festgesetzte Subventionen. Häufig wird zu ihrer Begründung darauf verwiesen, daß konventionelle Energieträger mit ihren externen Kosten belastet werden müßten, um einen fairen Vergleich zwischen konventioneller und alternativer Energie durchführen zu können. Dieser Gedanke ist zwar richtig, läßt sich aber auf das Einspeisegesetz nicht anwenden. Die externen Kosten einer aus fossiler Energie erzeugten Kilowattstunde sind völlig unabhängig davon, von welcher erneuerbaren Energie sie ersetzt werden. Insofern sind nicht die externen Kosten der konventionellen Energie der Maßstab für die Einspeisevergütung, vielmehr wurden hier Beträge festgelegt, die als ausreichend erachtet wurden, um bestimmten Optionen erneuerbarer Energie eine wirtschaftliche Basis zu geben. Gerade aufgrund der Wirksamkeit des Gesetzes selbst haben sich die Marktbedingungen, z.B. bei der Windenergie, verändert. Es erscheint daher nicht angemessen, daß der Gesetzgeber Einspeisebeträge festsetzt, die diese Marktverhältnisse nicht widerspiegeln können. Es ist bekannt, daß festgelegte Subventionen bei Herstellern von Anlagen und Anbietern von Energie zu einer Preisdifferenzierung führen können, die die Kosten an dem festgelegten Preis orientiert. Notwendig ist daher, die Einspeisevergütung zu dynamisieren, dies kann auch durch Ausschreibungsverfahren geschehen. In diesem Zusammenhang ist die in Großbritannien geübte Praxis von hohem Interesse. Bei einer wettbewerblichen Öffnung des Strommarktes wirken regional ungleiche Kosten für die Einspeisung erneuerbarer Energie Wettbewerbs verzerrend.
Energiepolitik in Deutschland und Europa
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Darüber hinaus gibt es in diesem Fall keinen Alleinversorger mehr, der die Abnahmepflicht hat. Es liegt deshalb nahe, die Einspeisepilicht an das Verteilungsnetz zu binden und die Förderbeträge regional gleichmäßig durch einen Aufschlag auf die Preise der Netzleistungen zu erheben. Ein weitergehender konsequenterer Weg würde aus einem vollständigen Rückzug des Staates aus der Detailregulierung bestehen. In diesem Fall müßten den Stromkäufern Mengenauflagen für den Einsatz erneuerbarer Energie gemacht werden. Analog zu einem Markt für Umweltzertifikate könnten die Unternehmen diese Quoten untereinander handeln. Damit würde sichergestellt, daß die Quoten kostengünstig da erfüllt werden, wo die technisch / natürlichen Bedingungen am günstigsten sind.
Literatur zu Kapitel 14. Jarras (1996), Schulz (1997)
182
Energiepolitik
15. Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik *} 15.1. Ökonomische Probleme der Klimaschutzpolitik Unter den verschiedenen klimarelevanten Gasen (sogenannten Treibhausgasen) wird dem Kohlendioxid ( C 0 2 ) ein Anteil von rund 50 bis 70 Prozent an der für das nächste Jahrhundert erwarteten Klimaänderung zugeschrieben. 1 Das vermutlich zweitwichtigste Treibhausgas ist Methan, das überwiegend aus dem Reisanbau und der Viehhaltung, hauptsächlich in Ländern der Dritten Welt, herrührt. Weitere Treibhausgase sind Lachgas und die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Für die praktische Klimaschutzpolitik ist C 0 2 von ausschlaggebender Bedeutung, und zwar einerseits wegen seines hohen Anteils an der Klimaänderung und andererseits, weil eine deutliche Rückführung der Methanemissionen von den betreffenden Ländern schwerlich gefordert werden kann. Da die C0 2 -Freisetzung zu rund drei Vierteln aus der Nutzung fossiler Brennstoffe herrührt, hat der Klimaschutz ausserordentlich große Implikationen für die Energiewirtschaft und dürfte, wenn er ernst genommen wird, zu einer der bedeutendsten Determinanten langfristiger Energiepolitik werden. Die C0 2 -Konzentration in der Erdatmosphäre hat in den letzten 150 Jahren durch menschliche Aktivität um rund 30 Prozent zugenommen. Von dieser Zunahme entfallen beinahe zwei Drittel auf die letzten 40 Jahre. Wenn sich der derzeitige Anstieg der Emissionen fortsetzt, wird eine Verdoppelung der Konzentration innerhalb der nächsten 100 Jahre erwartet. Als Folge einer solchen C 0 2 Verdoppelung wird mit einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1 - 3,5 °C, einem Anstieg des Meeresspiegels um 15 - 95 cm sowie einer Verschiebung der Klimazonen gerechnet. Wegen dieser erwarteten Folgen wird von naturwissenschaftlicher Seite auf längere Sicht eine drastische Rückführung der Emissionen empfohlen. Allerdings stößt eine deutliche C0 2 -Minderung auf zwei grundlegende Schwierigkeiten, die das C 0 2 - P r o b l e m von vielen anderen Umweltproblemen unterscheiden: •
Es gibt keine in großem Maßstab praktikable Filtertechnologie für C 0 2 . Deshalb erfordert die Emissionsminderung eine proportionale Rückführung der fossilen Energienutzung. Als Folge einer solchen Rückführung wird mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Kosten gerechnet.
•
Die C 0 2 - M i n d e r u n g ist ein globales öffentliches Gut, d.h. alle Nationen (mit möglicherweise wenigen Ausnahmen) haben einen Nutzen davon, und niemand kann von diesem Nutzen ausgeschlossen werden. Dies impliziert die von öffentlichen Gütern bekannte Trittbrettfahrerproblematik, daß jeder vom Klimaschutz profitieren, aber niemand dazu beitragen möchte.
Dies Kapitel wurde von Heinz Welsch verfaßt. 1
Der Anteil hängt davon ab, ob man den kurz- oder den langfristigen Effekt der verschiedenen Treibhausgase auf die Strahlungsbilanz der Erde betrachtet.
Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik
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Die mutmaßlichen ökonomischen Kosten der C0 2 -Minderung in Verbindung mit der Trittbrettfahrerproblematik bedeuten, daß eine ausreichende C 0 2 Minderung auf nicht-kooperativer Basis unwahrscheinlich ist. Vielmehr kann man zeigen, daß bei positiven Minderungskosten ein Land, das seine Emissionen mindert, damit für andere Länder einen Anreiz schafft, ihre Emissionen zu steigern. Deshalb ist ein kooperatives Vorgehen erforderlich, bei dem die einzelnen Länder ein Abkommen schließen, das die zulässigen Emissionen bzw. erforderlichen Emissionsminderungen der verschiedenen Parteien festlegt. Die Wirksamkeit eines solchen Vorgehens ist jedoch teilweise von der Reaktion der Primärenergieanbieter abhängig. Im folgenden werden die beiden wesentlichen ökonomischen Aspekte der Klimaschutzpolitik, nämlich die mutmaßlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten der C 0 2 - M i n d e r u n g und die Probleme internationaler Klimaschutzabkommen im einzelnen diskutiert. Anschließend wird der Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Primärenergieangebot kurz betrachtet.
15.2. Gesamtwirtschaftliche Kosten der C02-Minderung 15.2.1. Ansatzpunkte der C02-Minderung und gesamtwirtschaftlicher Kostenbegriff Maßnahmen zur C 0 2 - M i n d e r u n g können an mehreren Stufen im Energienutzungsprozess ansetzen. Solche Maßnahmen sind jeweils mit unterschiedlichen Kosten verbunden, so daß die gesamtwirtschaftlichen Kosten der C 0 2 - M i n d e r u n g nicht nur vom Ausmaß der Minderung abhängen, sondern auch vom gewählten Maßnahmenmix. Die möglichen Ansatzpunkte der C 0 2 - M i n d e r u n g kann man systematisieren, indem man die folgende Zerlegung des gesamtwirtschaftlichen energiebedingten C0 2 -Ausstoßes in seine Determinanten betrachtet: C 0 2 = CO 2 /C * C/PEV * PEV/EEV * EEV/NEV * NEV/BIP * BIP. Die verwendeten Symbole sind wie folgt definiert: C = Kohlenstoffmenge, PEV = Primärenergieverbrauch, EEV = Endenergieverbrauch, NEV = Nutzenergieverbrauch, BIP = Bruttoinlandsprodukt. Offenbar stellt jeder der in dieser Formel auftretenden Ausdrücke einen potentiellen Ansatzpunkt für die C 0 2 - M i n d e r u n g dar. Dabei hat allerdings der Quotient C 0 2 / C kaum eine praktische klimapolitische Relevanz, da das Herausfiltern von C 0 2 an der Quelle in großem Maßstab als nicht ökonomisch durchführbar anzusehen ist. Deshalb ist von einem proportionalen Zusammenhang zwischen dem energiebedingten C 0 2 - A u s s t o ß und dem Kohlenstoffgehalt der Energieträger auszugehen. Der Quotient C/PEV repräsentiert die Kohlenstoffintensität des Primärenergieverbrauchs. Dieser hängt vom Primärenergiemix ab, d.h. insbesondere vom Anteil der kohlenstoff-freien regenerativen Energien und der Kernenergie sowie vom Einsatzverhältnis der einzelnen fossilen Energieträger, die ja einen unterschiedlichen Kohlenstoffgehalt aufweisen. Demnach bewirkt eine Brennstoffsubstitution
184
Energiepolitik
zugunsten kohlenstoff-freier oder kohlenstoff-armer Energieträger eine Verminderung der Kohlenstoffintensität und cet. par. einen Rückgang der C0 2 -Emissionen. Neben der Brennstoffsubstitution können die C0 2 -Emissionen durch Energieeinsparung, d.h. verminderten Primärenergieeinsatz, reduziert werden. Dies kann gemäß obiger Formel auf verschiedene Weise geschehen. Die erste diesbezügliche Möglichkeit ist eine Erhöhung des Umwandlungswirkungsgrades, d.h. eine Senkung von PEV/EEV. Weltweit entstammen rund 30 Prozent der C0 2 -Emissionen dem Energieumwandlungs- und Verteilungssektor (Bolin 1997). Dort kann eine starke Emissionsminderung durch Ersatz der bestehenden Anlagen erzielt werden. Beispielsweise haben die derzeitig effizientesten Kohle- und Gaskraftwerke einen Wirkungsgrad von 45 bzw. 52 Prozent, während der weltweite Durchschnittswirkungsgrad der Stromerzeugung nur rund 30 Prozent beträgt. Die zweite Möglichkeit ist die Erhöhung der Endenergieeffizienz, d.h. Senkung von E E V / N E V . Dies kann zum Beispiel im Raumwärmebereich durch verbesserte Heizkessel (z.B. Übergang auf Brennwerttechnik) erfolgen. Im industriellen Sektor würde es beispielsweise darum gehen, den Energieeinsatz zur Bereitstellung einer gegebenen Antriebskraft zu reduzieren. Weiterhin kann Energieeinsparung dadurch erreicht werden, daß die Nutzenergieeffizienz erhöht, d.h. der Nutzenergieeinsatz bei unverändertem gesamtwirtschaftlichen Aktivitätsniveau (NEV/BIP) reduziert wird. Dies ist etwa durch erhöhte Wärmedämmung bei Gebäuden oder dadurch möglich, daß der Transport von Gütern und Personen zu Kommunikationszwecken durch Telekommunikation ersetzt wird. Darüber hinaus hängt der Nutzenergiebedarf zur Erzeugung eines gegebenen Bruttoinlandsprodukts von dessen Zusammensetzung ab. So ist die Herstellung von Gemälden oder handgeknüpften Teppichen typischerweise weniger energieintensiv als die Stahlerzeugung. Charakteristisch für die Energieeinsparung im bisher dargestellten Sinne ist, daß sie im allgemeinen mit einer Faktorsubstitution einhergeht, d.h. es wird mehr Kapital und/oder Arbeit eingesetzt, um den reduzierten Energieeinsatz zu kompensieren und ein gegebenes gesamtwirtschaftliches Aktivitätsniveau aufrecht zu erhalten. Nur wenn es nicht in ausreichendem Maße gelingt, zusätzlichen Kapitalund/oder Arbeitseinsatz zu mobilisieren, und wenn Brennstoffsubstitution an technische, ökonomische oder politische Grenzen stößt, impliziert die C 0 2 Minderung einen Rückgang des BIP. Ein solcher BIP-Rückgang ist das gängige Maß für die gesamtwirtschaftlichen Kosten der C0 2 -Minderung. Wie hoch diese sind, hängt einerseits von den Möglichkeiten der Brennstoff- und Faktorsubstitution ab und andererseits von der institutionellen Ausgestaltung der Klimaschutzpolitik. Da die gesamtwirtschaftlichen Minderungskosten bei einer ineffizienten Ausgestaltung der Politik beliebig hoch sein können, wird bei Abschätzungen der Minderungskosten stets unterstellt, daß kostenwirksame Politikinstrumente eingesetzt werden, also solche, bei denen die Erreichung eines vorgegebenen Minderungszieles mit den geringstmöglichen gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden ist. Der Begriff der gesamtwirtschaftlichen Minderungskosten bezeichnet also die minimalen gesamtwirtschaftlichen
Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik
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Kosten, die aufgewendet werden müssen, um ein vorgegebenes Minderungsziel zu erreichen. Eine solche gesamtwirtschaftliche Kostenminimierung setzt voraus, daß durch die Politikinstrumente Anreize geschaffen werden, primär solche Einzelmaßnahmen der Emissionsminderung zu ergreifen, die jeweils besonders kostengünstig sind. Insbesondere müssen die verschiedenen Formen der Brennstoff- und Faktorsubstitution nach dem Kriterium der jeweiligen Kostengünstigkeit ausgewählt werden. Aus der Theorie der Umweltpolitik ist bekannt, daß Emissionssteuern oder handelbare Emissionszertifikate die gewünschte Eigenschaft der Kostenwirksamkeit haben. Darüber hinaus sind diese Instrumente im Fall der C 0 2 - M i n d e r u n g auch besonders praktikabel. Dies hat zwei Gründe. Einerseits bedarf es bei C 0 2 (wie auch bei anderen Klimagasen) keiner räumlichen Differenzierung der Steuer bzw. der Zertifikate, da die Immissionswirkung (d.h. Klimawirksamkeit) von C 0 2 unabhängig vom Ursprungsort ist. Andererseits gibt es, wie oben bemerkt, für C 0 2 keine praktikable Filtertechnologie, so daß die Emissionen proportional zum Kohlenstoffgehalt der Brennstoffe sind. Dies bedeutet, daß für die Abrechnung der Steuern bzw. Zertifikatsgebühren keine Messung der C0 2 -Emissionen an der Quelle erforderlich ist, sondern es genügt, den Primärenergieeinsatz, differenziert nach dem jeweiligen Kohlenstoffgehalt, zu erfassen.
15.2.2. Ansätze der Kostenschätzung und Bestimmungsgründe geschätzter Kosten Für die Abschätzung der C0 2 -Minderungskosten im dargestellten Sinne sind zwei Ansätze gebräuchlich, die bottom-up- und die top-down-Methode. Die bottom-up-Methode geht aus von einer Bestandsaufnahme der Technologien, die zur Befriedigung bestimmter Nutzenergiebedürfnisse (Licht, Kraft, Wärme, Kühlung etc.) verfügbar sind und berechnet den kostenminimalen Technologiemix bei Vorgabe eines bestimmten Nutzenergie-Bedarfsprofils und eventueller Nebenbedingungen. Kosten der Emissionsminderung lassen sich mit dieser Methode dadurch ermitteln, daß die Berechnung einmal ohne und einmal mit einer Nebenbedingung hinsichtlich der Emissionen durchgeführt wird und die resultierenden Systemkosten miteinander verglichen werden. Derartige bottom-upAnalysen sind in der Praxis im allgemeinen auf die sektorale Ebene beschränkt und können deshalb gesamtwirtschaftliche oder gar internationale Rückkoppelungen nicht berücksichtigen. Dies bedeutet insbesondere, daß in solchen Modellen ein Großteil der Preise exogen bleibt. Aus diesen Gründen sind reine bottom-upModelle zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Kosten der Emissionsminderung nur bedingt geeignet. Darüber hinaus basiert die Methode auf einem relativ engen Kostenbegriff, der etwa Transaktionskosten, Bequemlichkeitsvorteile und andere subjektive Bestimmungsgründe der Technologiewahl vernachlässigt. Die top-down-Methode ist demgegenüber weniger gut technologisch fundiert, bietet aber den Vorteil, sich auf beobachtetes Verhalten zu stützen, durch welches sich auch Determinanten der Technologiewahl offenbaren, die von Kosten im engeren Sinne unabhängig sind. Das Energiesystem wird dabei durch relativ ag-
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gregierte (d.h. im allgemeinen sektorale) Energienachfrageund angebotsfunktionen beschrieben. Deren Parameter werden, wie auch die übrigen Modellparameter, anhand historischer Daten geschätzt bzw. kalibriert. Eine bei der Analyse von C0 2 -Minderungspolitiken weithin eingesetzte Variante des top-down-Ansatzes sind die sogenannten berechenbaren Allgemeinen Gleichgewichtsmodelle. Diese erlauben es, sektoral differenziert die Mengen-, Preis- und Einkommensvariablen in einer Volkswirtschaft oder in mehreren interdependenten Volkswirtschaften unter Beachtung ihrer Wechselwirkungen konsistent und theoretisch fundiert zu bestimmen. Mögliche Beschränkungen der Emissionen gehen in diese Modelle als exogener Input ein. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten der CCVMinderung werden bestimmt als Änderungen des BIP infolge der Emissionsbeschränkuhg, relativ zum BIP in einem sogenannten Basisfall, in dem die Emissionen keiner Beschränkung unterliegen. Dabei wird zum Zweck der Kostenschätzung vorausgesetzt, daß die Klimaschutzpolitik kostenwirksame Instrumente (Emissionssteuern oder handelbare Zertifikate) einsetzt. Allerdings ist es auch möglich, die BIP-Änderungen zu ermitteln, die bei Einsatz anderer Instrumente eintreten und dadurch die mit diesen Instrumenten verbundenen Zusatzkosten zu identifizieren. Die Zahl der mit diesen oder ähnlichen Methoden vorgenommenen Abschätzungen von COi-Minderungskosten beträgt inzwischen mehrere Hundert. Dabei handelt es sich um Berechnungen für einzelne oder mehrere Volkswirtschaften oder aber auch für die gesamte Welt (unter der Voraussetzung, daß alle Länder sich an der COj-Minderung beteiligen). Ohne in die numerischen Einzelheiten zu gehen, kann festgestellt werden, daß die Schätzungen trotz grundsätzlich ähnlicher Methoden teilweise weit voneinander abweichen. Dies hat teilweise zu der Ansicht geführt, derartige Analysen trügen wenig zur Klärung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimaschutzes bei. Es ist jedoch möglich, abweichende Kostenschätzungen auf eine Reihe von nicht allzu vielen Schlüsselannahmen zurückzuführen. Die individuelle Beurteilung von Schätzergebnissen hängt dann davon ab, ob man diese Annahmen teilt. Die wesentlichen ergebnisrelevanten Annahmen können (unter Vernachlässigung modellierungstechnischer Details), eingeteilt werden in solche hinsichtlich (a) der energiewirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bei Verzicht auf Klimaschutzmaßnahmen (sogenanntes baseline-Szenario oder Basisfall) und (b) der Art der betrachteten Klimaschutzpolitik (policy-Szenario). Diese Faktoren sollen nun erörtert werden. Zur Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Kosten der Klimaschutzpolitik muß die ökonomische Entwicklung im allgemeinen mehrere Jahrzehnte in die Zukunft projiziert werden. Dabei ist es von großer Bedeutung, ob im baselineSzenario die Ökonomie effizient arbeitet, oder ob angenommen wird, daß ein unausgeschöpftes Effizienzpotential (efficiency· gap) vorliegt. 2 Die letztere An2
Unausgeschöpfte Effizienzpotentiale liegen dann vor, wenn mit gegebener und vollständig genutzter Inputausstattung ein größerer Output erzeugt werden
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nähme ist charakteristisch für die erwähnten bottom-up-Modelle, die deshalb typischerweise zu dem Ergebnis kommen, es sei ein gewisses Maß von Klimaschutz nicht nur ohne wirtschaftliche Einbußen, sondern sogar mit einem 'Gewinn' möglich (no-regret-Strategien). Demgegenüber gehen die bottom-upModelle vielfach von der Voraussetzung einer im weiteren Sinne (d.h. unter Berücksichtigung von Transaktionskosten) effizienten Wirtschaft aus. so daß es keine no-regret-Strategien gibt. Dies vernachlässigt Marktunvollkommenheiten (beispielsweise Energiesubventionen oder Informationsdefizite hinsichtlich energiesparender Techniken;, die dazu führen können, daß der beobachtete Energieeinsatz in ineffizienter Weise überhöht ist. Eine andere Frage bezieht sich darauf, ob im baseline-Szenario von ausgelasteten Kapazitäten ausgegangen wird oder nicht. Wie oben dargestellt, ist (bei effizienter Faktornutzung) Energieeinsparung ohne Outputrückgang nur dann möglich, wenn Energie durch verstärkten Einsatz anderer Faktoren ersetzt werden kann. Ist das baseline-Szenario durch Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren gekennzeichnet, muß ein Rückgang des Energieeinsatzes zwangsläufig zu einem Rückgang des Output führen. Dies gilt insbesondere für den Faktor Arbeit. Deshalb sind Annahmen über den Arbeitsmarkt von ausschlaggebender Bedeutung für die geschätzten Minderungskosten: Je eher durch eine Klimaschutzpolitik zusätzlicher Arbeitseinsatz mobilisiert werden kann, um so geringer sind (cet. par. ) die Emissionsminderungskosten. Eine weitere wichtige Determinante der Minderungskosten ist die Emissionsentwicklung im baseline-Szenario. Diese ist deshalb von großer Bedeutung, weil Minderungsziele im allgemeinen als Reduktionen relativ zu historischen Emissionen formuliert sind. Je stärker die Emissionen in der baseline ansteigen, um so stärker ist die Reduktion relativ zur baseline, die erforderlich ist, um den historisch 'verankerten' Zielwert zu erreichen, und um so höher sind die Kosten. Die baseline-Entwicklung der Emissionen ist eine abgeleitete Größe, die von mehreren grundlegenderen Annahmen abhängt. Dies sind zum einen die Annahmen, die das Outputwachstum der Ökonomie steuern, also im wesentlichen das Wachstum der Erwerbsbevölkerung und der totalen Faktorproduktivität. Ein höheres Outputwachstum führt bei gleichen sonstigen Bedingungen zu mehr Energieeinsatz und mehr Emissionen. Zu den 'sonstigen' Bedingungen, die den Energieeinsatz beeinflussen, gehören die Energiepreise, die Entwicklung des 'autonomen' energiesparenden technischen Fortschritts und der Strukturwandel, d.h. die Änderung des Anteils energieintensiver und weniger energieintensiver Produkte am gesamtwirtschaftlichen Output. Diese Faktoren bestimmen die volkswirtschaftliche Energieintensität, d.h. das Verhältnis von Energieeinsatz zu Output. Historisch gesehen hat die weltweite Energieintensität im Durchschnitt um etwa 0,5-1 Prozent jährlich abgenommen, wobei die Ansichten darüber auseinandergehen, welchen Anteil die genannten
kann als tatsächlich erzeugt wird. Dies ist nicht zu verwechseln mit der später betrachteten Frage, ob ein größerer Output deshalb erzeugt werden kann, weil die Inputausstattung nur unvollständig genutzt wird.
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Faktoren an dieser Entwicklung haben. Insbesondere ist das Konzept des 'autonomen' energiesparenden technischen Fortschritts umstritten. Diesbezüglich wird teilweise die Ansicht vertreten, energiesparender technischer Fortschritt entwikkele sich nicht autonom, sondern sei weitgehend preisinduziert (Hogan und Jorgenson 1991). Ebenso ist es beim Strukturwandel unklar, inwieweit Änderungen der relativen Preise dabei eine Rolle gespielt haben. Diese Unsicherheiten hinsichtlich der Erklärung historischer Beobachtungen schlagen sich nieder in einem breiten Spektrum von Annahmen über die zukünftige Entwicklung der Energieintensität und daraus resultierenden Projektionen der baseline-Emissionen. Darüber hinaus haben Annahmen über die Preisreagibilität der Energieintensität aber auch einen Einfluß darauf, wie flexibel die Wirtschaft auf Maßnahmen der Klimaschutzpolitik, die ja über die Veränderung relativer Preise wirkt, reagiert, und wie hoch demnach die Minderungskosten sind. Neben den Annahmen des baseline-Szenarios hängen die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Klimaschutzpolitik von ihrer Ausgestaltung ab. Um die Vergleichbarkeit von Kostenschätzungen nicht unnötig zu erschweren, sollte von effizienten (marktwirtschaftlichen) Politikinstrumenten ausgegangen werden (außer wenn der Untersuchungszweck in der Identifizierung der Zusatzkosten ineffizienter Instrumente liegt). Aber auch in diesem Fall gibt es eine Reihe von Ausgestaltungsalternativen, die für die resultierenden Kosten relevant sind. In dieser Hinsicht hat es sich herausgestellt, daß im Falle marktwirtschaftlicher Instrumente der Einkommenskreislauf eine außerordentlich große Bedeutung hat. Wenn Emissionsminderung durch eine Emissionssteuer oder durch die Versteigerung handelbarer Zertifikate angestrebt wird, entstehen dem Staat Einnahmen, die in irgendeiner Weise verwendet werden müssen. Grundsätzliche Möglichkeiten der Aufkommensverwendung sind (i) die Erhöhung der Staatsausgaben, (ii) die Konsolidierung des Staatshaushalts, (iii) die Reduzierung von Faktorsteuern (auf Kapital und/oder Arbeit) und (iv) die Reduzierung von Einkommens- oder Konsumsteuern. Die Varianten (i) und (ii) genießen dabei im allgemeinen weniger Beachtung, da sie dem weithin akzeptierten Postulat der Aufkommensneutralität widersprechen. Bei Simulationsrechnungen mit der Variante (iv) ergibt sich regelmäßig ein Rückgang des BIP infolge des Klimaschutzes. Bei Variante (iii), und zwar insbesondere im Fall einer Rücknahme der Belastung des Faktors Arbeit, kann es zu einem Anstieg der Beschäftigung und, wenn dieser stark genug ist, um den reduzierten Energieeinsatz zu kompensieren, einem Anstieg des BIP kommen. Ob dies der Fall ist, hängt von der Verfassung des Arbeitsmarktes ab. Wenn Vollbeschäftigung unterstellt wird, kann die Beschäftigung definitionsgemäß nicht ansteigen. In diesem Fall kommt die Arbeitskostenentlastung vollständig den Arbeitnehmern in Form höherer Löhne zugute. Bei Unterbeschäftigung hängt das Ergebnis davon ab, wie stark die Lohnforderungen auf einen Beschäftigungsanstieg reagieren. Je stärker die Lohnforderungen bei Beschäftigungszunahme ansteigen, desto geringer fällt die Beschäftigungszunahme letztlich aus. Die Aussage, daß bei einer geeigneten Ausgestaltung der Klimaschutzpolitik keine gesamtwirtschaftlichen Kosten entstehen, sondern ein gesamtwirtschaftlicher 'Gewinn' (in Form höherer Beschäftigung und eventuell eines höheren BIP),
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wird als Hypothese der doppelten Dividende bezeichnet, da in diesem Fall die Umweltentlastung (erste Dividende) mit ökonomischen Vorteilen (zweite Dividende) einhergeht. Wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, hängt die Gültigkeit dieser Hypothese entscheidend von der Arbeitsmarktmodellierung ab. Generell kann allerdings gesagt werden, daß die Chancen, eine C 0 2 - M i n d e r u n g ohne Outputverlust zu erreichen, mit dem Ausmaß der angestrebten C 0 2 - M i n d e r u n g abnehmen, und zwar einfach deshalb, weil bei stärkerer Energieeinsparung mehr Arbeit erforderlich ist, um die Energie zu substituieren. Dies bedeutet, daß auch und gerade bei guten Substitutionsmöglichkeiten ab einem bestimmten Punkt die Kapazitätsschranken wirksam werden. Eine weitere mögliche Determinante der gesamtwirtschaftlichen Minderungskosten ist die internationale Einbettung der Minderungspolitik. Diesbezüglich wird vielfach behauptet, daß einseitige Klimaschutzmaßnahmen eines Landes oder einer Gruppe von Ländern dessen bzw. deren internationale Wettbewerbsfähigkeit mindern, da sie die Produktionskosten erhöhen. Aus den Ausführungen zur Aufkommensverwendung einer Klimaschutzsteuer geht aber hervor, daß dies nicht pauschal behauptet werden kann. Wenn das Aufkommen zur Rückführung der Arbeitskosten eingesetzt wird und keine Vollbeschäftigung herrscht, kann sich ein Rückgang der Produktionskosten der arbeitsintensiven Güter ergeben, dem ein Kostenanstieg bei den energieintensiven Gütern gegenübersteht. Eine Aussage über die 'gesamtwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit' ist daraus α priori schwer ableitbar. Zusätzlich darf ein bestimmter Aspekt der internationalen Einbettung nicht übersehen werden: Für ein Land, bei dem fossile Energieträger einen großen Anteil an den Importen haben, führt C0 2 -Minderung zwangsläufig in einem ersten Schritt zu einer Verbesserung der Leistungsbilanz, was vielfach mit einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gleichgesetzt wird. Langfristig wird dies jedoch durch eine Aufwertung der betreffenden Währung kompensiert, wodurch die Exporte abnehmen. Dies kann nun wiederum als eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit gedeutet werden, ist aber tatsächlich nur die Kehrseite der reduzierten Importe. Diese Überlegungen zeigen, daß die Aussage, einseitige Klimaschutzmaßnahmen beeinträchtigten die internationale Wettbewerbsfähigkeit, einer genauen Prüfung bedarf, und zwar insbesondere in Hinblick darauf, was mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit eigentlich gemeint ist. Ferner ist zu beachten, daß. wenn Klimaschutz gesamtwirtschaftliche Kosten verursacht und mehrere Länder solche Maßnahmen ergreifen, diese Kosten sich wegen des internationalen Konjunkturzusammenhangs wechselseitig verstärken. Es ist somit keineswegs offensichtlich, daß einseitige Maßnahmen zu höheren gesamtwirtschaftlichen Kosten führen müssen als gemeinsame Maßnahmen mehrerer Länder. Klar ist allerdings, daß dem Klimaschutz mit einseitigen Maßnahmen wenig gedient ist, und zwar nicht nur wegen des geringen Anteils der meisten einzelnen Länder am Treibhauseffekt, sondern auch deshalb, weil einseitige Maßnahmen dazu führen, daß emissionsintensive Aktivitäten ins Ausland abwandern (sogenannter leakage-Effekt).
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Deshalb sollen nun die Probleme internationaler Klimaschutzabkommen betrachtet werden.
15.3. Internationale Klimaschutzabkommen 15.3.1. Kriterien zur Gestaltung internationaler C02-Abkommen Wie bei allen internationalen Umweltschutzabkommen stellen sich auch bei einem COi-Abkommen Probleme der Effizienz und der Gerechtigkeit. Dabei bedeutet Effizienz, daß die Gesamtkosten der Erreichung eines bestimmten Minderungszieles minimiert werden sollen. Demgegenüber ist das Kriterium der Gerechtigkeit wesentlich weniger wohldefiniert, bezieht sich aber offensichtlich im Gegensatz zur Effizienz nicht auf das Niveau der Kosten, sondern auf ihre Verteilung. Eine Formel zur Aufteilung der C0 2 -Minderungspflichten, die als ineffizient und ungerecht empfunden wird, dürfte wenig Motivation zur Teilnahme an einem entsprechenden Abkommen bieten. Das Kriterium der Effizienz bedeutet, daß die Grenzkosten der Emissionsminderung in allen Ländern gleich sein sollen. Durch diese Bedingung wird bei vorgegebenem Gesamt-Minderungsziel die Aufteilung der Minderungspflichten vollständig charakterisiert. Dies hat die problematische Konsequenz, daß eine effiziente Aufteilung der Minderungspflichten allenfalls zufällig mit den bestehenden Vorstellungen von Gerechtigkeit übereinstimmen wird. Aus praktischer Sicht kommt hinzu, daß die Grenzkosten der Emissionsminderung (wie aus dem vorhergehenden Abschnitt folgt) äußerst schwierig zu ermitteln sind. Hinsichtlich der Gerechtigkeit kursiert eine Reihe von Quotierungsschlüsseln, die alle durch bestimmte normative Argumente begründet werden können. Hierzu gehören beispielsweise die Formeln: •
Zulässige Emissionen proportional zur Bevölkerungszahl. Dies ist natürlich gleichbedeutend mit dem Prinzip gleicher Emissionsrechte pro Kopf.
•
Zulässige Emissionen proportional zu derzeitigen Emissionen. Dies bedeutet, daß alle Länder ihre Emissionen um den selben Prozentsatz reduzieren sollen.
•
Emissionsminderung proportional zur derzeitigen Emissionsintensität des BIP.
Das Problem dieser und anderer vorgeschlagener Quotierungsschlüssel ist, daß wahrscheinlich in Anbetracht der Ausgangslage kein einziger Vorschlag allgemeine Zustimmung findet. Man kann diese These verdeutlichen, indem man sich historische Pro-KopfEmissionen und Emissionsintensitäten vor Augen hält:
Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik
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Tabelle 15.1: CO-. Indikatoren USA
BRD
Japan
Indien
C02/Kopf(t)
19,7
11,7
7,5
0,7
C 0 2 / B I P (t/1000$)
1,2
0,9
0,5
2,0
Quelle: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Schutz der Erde, Bericht der Enquete Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre", Bonn 1991; Stat. Jahrbuch; eigene Berechnungen Diese Beispiele zeigen, daß ein Übergang auf gleiche Pro-Kopf-Werte beispielsweise für die USA, aber auch für Deutschland, kurz- bis mittelfristig nicht zu erreichen ist, für ein Land wie Indien aber durchaus akzeptabel (da nicht bindend) sein könnte. Andererseits wäre eine Angleichung der COj-Intensität gerade für viele Länder der Dritten Welt, wie Indien, problematisch. Zusätzlich zur Schwierigkeit, ein bestimmtes akzeptables Quotierungsschema zu finden, besteht ein generelles Problem fester Quotensysteme darin, daß sie im allgemeinen ineffizient sind, weil sie allenfalls zufällig einen Ausgleich der Grenzkosten herbeiführen. Bei festen Quotensystemen, d.h. solchen, bei denen die Länder an feste Emissionsgrenzen gebunden sind, besteht also ein Konflikt zwischen Effizienz und Gerechtigkeit. Dieser Konflikt besteht nicht bei den sogenannten flexiblen Quoten. Es handelt sich dabei um Systeme, bei denen Quoten entweder direkt handelbar sind (was dem Modell der handelbaren Zertifikate entspricht) oder bei denen Quotenüberschreitungen bzw. -unterschreitungen zu Ausgleichszahlungen an einen Fonds führen. Gemeinsam ist den flexiblen Quoten, daß sie nach einem beliebigen Schlüssel, der als gerecht empfunden wird, zugeteilt werden können. Durch den Handelsmechanismus erfolgt dann, gemäß dem Coase-Theorem, eine freiwillige Reallokation derart, daß die Grenzkosten der Emissionsminderung in allen Ländern angeglichen werden. Bei flexiblen Quoten ergibt sich demnach unabhängig von der (Primär-) Allokation der Emissionsrechte eine effiziente (Sekundär-)Allokation der tatsächlichen Emissionen. Dadurch erübrigt es sich auch, zur Erreichung einer effizienten Allokation die Grenzkosten der Emissionsminderung in den einzelnen Ländern ex ante zu bestimmen.
15.3.2. Ein C0 2 -Abkommen mit flexiblen Quoten Die Möglichkeit, durch flexible Quoten den Konflikt zwischen Effizienz und Gerechtigkeit aufzulösen, ist allgemein bekannt. Es bleibt aber noch die Frage nach einer möglichst akzeptablen Primärallokation, denn diese hat zwar keinen Einfluß auf die Gesamtkosten, bestimmt aber deren Verteilung. Bei der Allokation der Emissionsrechte kommt es offenbar darauf an, eine abrupte Änderung des Status Quo, der j a durch eine erhebliche Spannweite der ProKopf-Emissionen und der Emissionsintensität des Sozialprodukts gekennzeichnet ist, zu vermeiden. Andererseits kann man sich der Vorstellung, daß langfristig alle Menschen dasselbe Recht auf C0 2 -Emission haben, schwerlich entziehen. Deshalb bietet es sich an, einen Zeitpfad für die Emissionsrechte zu definieren, der
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einen graduellen Übergang von der Ist-Situation zum einheitlichen Emissionsrecht pro Kopf gewährleistet. Konkret kann man sich beispielsweise vorstellen, daß die Übergangsfrist fünfzig Jahre beträgt (von Weizsäcker 1991). Die einheitliche Kopf-Quote, die in fünfzig Jahren gelten soll, erhält man dann, indem man einen sinnvollen Zielwert der weltweiten Emissionen (beispielsweise fünfzig Prozent der heutigen Emissionen) durch die heute erwartete Weltbevölkerung dividiert. 3 Die Kopf-Quoten für die Übergangszeit ergeben sich durch linearen Übergang von den heutigen Ist-Werten der Pro-Kopf-Emission auf die einheitliche Kopf-Quote. Durch ein solches Arrangement erreicht man eine graduelle Verschärfung der weltweiten Emissionsbegrenzung und eine graduelle Angleichung der KopfQuoten. Hierdurch erhalten Länder mit hohen Pro-Kopf-Emissionen eine Anpassungsfrist. Eine solche Quotenregelung impliziert per se nicht, daß es sich um flexible Quoten handelt. Flexibilität bekommt das Arrangement dadurch, daß die Länder sich verpflichten, bei Quotenüberschreitungen eine Gebühr an einen internationalen Fonds zu zahlen, während sie bei Unterschreitung eine entsprechende Prämie erhalten. 4 Dabei gibt es einen einheitlichen Gebühren- bzw. Prämiensatz pro Tonne C 0 2 , der im Zeitablauf derart angepaßt wird, daß die angestrebte globale Emissionsbegrenzung im Durchschnitt über die Zeit näherungsweise eingehalten wird."1 Dieser Gebühren- bzw. Prämiensatz kann als ein Weltmarktpreis für CO? angesehen werden. Er sorgt dafür, daß das Grenzprodukt der Emissionen (das ja den Grenzkosten der EmissionsniHiiieru/ig entspricht) in allen Ländern angeglichen wird, so daß sich eine effiziente Allokation der Emissionen auf die Länder ergibt. Wird dieser Preis als Grundlage nationaler CCK-Steuern genommen, ergibt sich auch eine effiziente Allokation der Emissionen auf die einzelnen Aktivitäten innerhalb der Länder. Als eine interessante Eigenschaft eines solchen nennen, daß es den Ländern der Dritten Welt einen zu beteiligen. Dies liegt daran, daß diese Länder Quoten nicht ausschöpfen werden und deshalb bei
Abkommens ist weiterhin zu besonderen Anreiz bietet sich in der näheren Zukunft ihre Beteiligung an einem solchen
J
Hierdurch werden unerwünschte Anreize zum Bevölkerungswachstum mieden.
4
Es handelt sich bei diesem Ansatz um ein Hybrid aus Mengen- und Preissteuerung, das ungewöhnlich erscheint. Man muß sich aber klar machen, daß keine Mengensteuerung ohne - im allgemeinen finanzielle - Sanktionen auskommt, um gewollte oder ungewollte Überschreitungen zu ahnden. Derartige finanzielle Sanktionen haben sich auch bei anderen internationalen Abkommen durchgesetzt, beispielsweise zur Durchsetzung der finanzpolitischen Konvergenzkriterien in der EU.
?
Ein solches Vorgehen ist für Treibhausgase ausreichend, da es bei diesen nicht auf die Emissionen in einzelnen Jahren ankommt.
ver-
Klimaschutz als Determinante langfristiger Energiepolitik
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Abkommen in den Genuß von Prämienzahlungen kommen. Ein solcher Anreiz ist deshalb wichtig, weil diese Länder ohne Beteiligung an einem C 0 2 - A b k o m m e n durch ihre wachsenden Emissionen längerfristig alle eventuellen Bemühungen der heutigen Industrieländer um C0 2 -Begrenzung in Frage stellen.
15.4. Klimaschutz und Primärenergieangebot Das reichliche Angebot an fossilen Energieträgern führt unter den bestehenden Wettbewerbsverhältnissen auf dem Weltenergiemarkt zu derzeit und vermutlich auf absehbare Zeit niedrigen Preisen. Dies bedeutet, daß der von den Energiepreisen ausgehende Anreiz zur Energieeinsparung und zur Entwicklung neuer energiesparender Techniken wenig ausgeprägt ist. Deshalb ist davon auszugehen, daß ohne C0 2 -Minderungspolitik die Emissionen relativ stark steigen und die Folgen einer Rückführung der Emissionen auf historische Niveaus (oder Bruchteile davon) entsprechend gravierend sein werden. Betrachtet man die aus naturwissenschaftlicher Sicht vorgeschlagenen Höchstmengen für C0 2 -Emissionen in Relation zu den derzeit nachgewiesenen Reserven und in den kommenden Jahrzehnten durch Exploration vermutlich hinzukommenden Vorräten an fossilen Energieträgern, so zeigt sich, daß diese Vorräte in den nächsten ein bis zwei Jahrhunderten aus Klimaschutzgründen nicht aufgebraucht werden dürfen (siehe Abschnitt 4.3.2). Dies bedeutet, daß die Anbieter fossiler Energieträger durch die Klimaschutzpolitik eine teilweise Entwertung ihrer Vorräte erleiden. Unter der Voraussetzung, daß die heutigen Wettbewerbsverhältnisse bestehen bleiben, würde sich dies in einem Rückgang der Produzentenpreise, die ja wesentlich von der Nachfrage abhängen, äußern. Ein solches Szenario hat verschiedene Implikationen. Zum einen bedeutet es, daß eine C0 2 -Steuer zur Durchsetzung eines vorgegebenen Minderungsziels höher ausfallen müßte, um die Konsumentenpreise auf das aus Klimaschutzgründen gewünschte Niveau anzuheben. Demnach wären die Steuereinnahmen entsprechend höher, wobei ein Teil der Steuerlast durch die Energieanbieter (in Form niedrigerer Produzentenpreise) getragen würde. Eine zweite Implikation tritt auf, wenn die C0 2 -Minderungspolitik nur von einer Teilmenge der emittierenden Länder betrieben wird. In diesem Fall würden wegen der niedrigeren Preise die Emissionen in den Ländern, die sich nicht an der C 0 2 Minderung beteiligen, steigen (Böhm 1993). Diese Effekte setzen natürlich voraus, daß es in Zukunft bei dem intensiven Wettbewerb auf den Weltenergiemärkten bleibt. Es ist jedoch auch möglich, daß bestimmte Anbieter (z.B. von Kohle) dem durch eine C0 2 -Minderungspolitik ausgelösten Preisdruck nicht standhalten und dauerhaft aus dem Markt ausscheiden. In diesem Fall könnte sich ein Anbieterkartell bilden, so daß zumindest der Preisrückgang für die verbleibenden Marktteilnehmer gedämpft werden kann. Darüber hinaus ist es sogar denkbar, daß eine wiedervereinigte O P E C eine C 0 2 Steuer durch höhere Preise vorwegzunehmen versucht (Ströbele 1994). Auch wenn es nicht zu einer derartigen durchgängigen Anhebung der Preise kommt, besteht im Fall eines kartellierten Angebotes die Möglichkeit der Preisdiskriminierung: Bei einer genügend hohen C0 2 -Steuer kann ein Anbieterkartell
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Energiepolitik
(innerhalb bestimmter Grenzen, die durch die Notwendigkeit definiert sind, Arbitrage zu verhindern) von Nicht-Teilnehmern an einer CC>2-Minderungspolitik einen höheren Preis verlangen als von Teilnehmerländern, und dieser Preis kann unter bestimmten Bedingungen höher sein, als der Preis ohne Klimaschutzpolitk. Dies wäre eine Möglichkeit für die Anbieterländer, ihre Verluste zu begrenzen. Die Interaktion von Klimaschutzpolitik und Primärenergieangebot ist also eine komplexe Frage. Auch wenn endgültige Aussagen hierzu nicht vorliegen, zeigt die Vielfalt der angedeuteten Möglichkeiten, daß die Primärenergieanbieter eine wesentliche Rolle bei einer eventuellen COi-Minderungspolitik spielen.
Literatur zu Kapitel 15. Böhm (1993), Bolin (1997), Hogan, Jorgenson (1991), Ströbele (1994), von Weizsäcker (1991), Welsch (1994), Welsch (1996a), Welsch (1996b)
Einführung in die dynamische Optimierung
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Mathematischer Anhang 16. Einführung in die dynamische Optimierung
(Maximumprinzip) 16.1. Grundlagen Optimale Entscheidungen über der Zeitachse zu untersuchen ist ein wesentlicher Baustein ökonomischer Modellierung. Gerade im Energiebereich und für die Ökonomik erschöpfbarer natürlicher Ressourcen geht es selten um eine kurzfristig „bestmögliche" Lösung, sondern fast immer um das Finden einer eine langfristig „besten" Strategie": Für Saudi-Arabien oder ein Erdgasunternehmen sind Entscheidungen über einen Zeithorizont von einem Jahr i.d.R. wenig interessant. Die formalen Anforderungen zur Analyse derartiger dynamischer Optimierungsprobleme lassen sich beliebig komplex entwickeln: Zufallseinflüsse oder komplizierte spieltheoretische Wechselwirkungen mit Entscheidungen anderer Akteure führen zu äußerst schwierigen mathematischen Methoden. Das Basiskonzept für alle fortgeschrittenen Methoden ist das sogenannte Pontryaginsche Maximumprinzip, benannt nach dem russischen Mathematiker. Zum einen ist eine ökonomische Interpretation hier gut möglich, zum anderen wird dieses Verfahren gerade in der Theorie intertemporaler Allokation in der ökonomischen Fachliteratur häufig benutzt. Das Maximumprinzip ist eine dynamische Verallgemeinerung der statischen Lagrange-Methode. Ebenso wie dort soll im folgenden lediglich das Handwerkszeug für die ökonomische Anwendung erläutert werden. Die dynamische Optimierungsaufgabe lautet: Suche das Maximum von J (als Integral über die Zeit), wobei (16.1)
max u
J(u(t),t0,tl)
=
I(x,u,t)dt
+
F(JC,
,fj)