Wirtschaften - ein sittliches Gebot im Verständnis von Johannes Messner [1 ed.] 9783428508587, 9783428108589

In der Wirtschaft gelebte Sittlichkeit, für Ethos in einer globalen Welt, dazu braucht die Menschheit ethische Orientier

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German Pages 209 Year 2003

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Wirtschaften - ein sittliches Gebot im Verständnis von Johannes Messner [1 ed.]
 9783428508587, 9783428108589

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RUDOLF WEILER (Hrsg.)

Wirtschaften ein sittliches Gebot im Verständnis von Johannes Messner

Sozialwissenschaftliche Schriften Heft 39

Wirtschaften ein sittliches Gebot im Verständnis von Johannes Messner

Herausgegeben von

Rudolf Weiler

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4808 ISBN 3-428- 10858-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort Mit dieser Publikation des 6. Internationalen Symposions der JohannesMessner-Gesellschaften "im Gedenken an Johannes Messner" in Wien und Japan kann die Publikation einer Reihe von Symposien beim Verlag Duncker & Humblot in Berlin fortgesetzt werden. In Wien wurde 1993 mit dem Thema "Die Einheit der Kulturethik in vielen Ethosformen" begonnen (hrsg. von Werner Freistetter und Rudolf Weiler 1993). Mit dem Thema "Das Gemeinwohl in einer sich verändernden Welt" fand die Fortsetzung 1995 in Nagoya/Japan statt. Zwei Jahre später konnte das Problem der "Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung" in Brixen, nahe der Tiroler Heimat von Johannes Messner, behandelt werden (hrsg. von Rudolf Weiler und Akira Mizunami bei Duncker & Humblot, Berlin 1999). Das nächste Internationale Symposion fand 1999 in Wien statt zum Thema "Völkerrechtsordnung und Völkerrechtsethik" (hrsg. von Rudolf Weiler bei Duncker & Humblot, Berlin 2000). Schon beim Einstieg in die Symposienreihe und deren Publikation wurde die Sicht auf den Pluralismus der Weltkulturen und den Universalismus der Kulturen gelenkt. Deren Einheit in einer sich verändernden Welt zeigte sich bei der Fortsetzung der Symposien in Japan unter dem Gemeinwohlbegriff, wie er für die menschliche Gesellschaft insgesamt als Ordnungsziel in der Naturrechtsethik Messners herausgestellt wird. Das folgende Symposion widmete sich dann genauer der Frage der sozialen Ordnung im menschlichen Gesellschaftsleben. Der Gesellschaftszweck der Gemeinschaftsbildung des Menschen gliedert alle gesellschaftlichen Einheiten, von der kleinsten, von Ehe und Familie bis, zur Menschheit unter Bindung des Gerechtigkeitsstrebens der Einzelmenschen auf die Gemeinwohlordnung in Ermöglichung und Erfüllung der Tugend der Gerechtigkeit. Von der einzelmenschlichen Gerechtigkeitsebene (do, ut des!) bis zur sozialen Gerechtigkeit auf allen Ebenen der Gesellschaft und ihres Gemeinwohls. Das Gemeinwohl wurde von Johannes Messner als "allseitige Erfüllung der Gerechtigkeit" auch bestimmt. Ein weiteres Symposion der Johannes-Messner-Gesellschaft in Wien 1997 (unter dem Titel "Johannes Messner - ein Pionier der Institutionenund Systemethik", hrsg. von Wolfgang Schmitz beim Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2000 erschienen) widmete sich bereits der Habilitationsschrift von Johannes Messner aus 1927 zum Thema "Sozialökonomik und Sozialethik"

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Vorwort

Es war ja das große Verdienst Johannes Messners, mit diesem Werk den Beginn seines Schaffens als Universitätslehrer das Verhältnis der Nationalökonomie oder Volkswirtschaftslehre zur Sozialethik und Wirtschaftsethik zu klären. Ein wichtiger Teil seiner Forschungsarbeit galt ja bekanntlich der Wirtschaftsethik und der Einbringung der Ergebnisse der Ökonomik in die Gesellschaftslehre, im engeren Sinn der Wirtschaftsethik und besonders der Katholischen Soziallehre. Mit dem letzten Internationalen Symposion 2001 in Wien zum Thema "Wirtschaften - ein sittliches Gebot im Verständnis von Johannes Messner" wird die Sicht des sittlichen Werterahmens der Wirtschaft in Zusammenhang mit der ökonomischen Bewertung des individuellen und gesellschaftlichen menschlichen Lebens gestellt. Die Figur des "homo oeconomicus" begleitete die neuzeitliche Volkswirtschaftslehre in verschiedenen Formulierungen bis zum Gedanken des "homo culturalis" mit dem Ziel eines Maßstabes für die Wirtschafts- und Profitrechnung. Die Gleichsetzung mit oder die Differenz zu sittlichen Postulaten und deren Einbringung in die Wirtschaftsordnung bildet auch den Gegenstand der hier publizierten Referate. Die Grundlage sollte die lebenslang von Johannes Messner versuchte Zusammenführung des menschlichen und gesellschaftlichen Wirkens in der Wirtschaft auf der Basis eines sozialen Humanismus zeigen. Das Symposion konnte am letzten Tag im Stift Heiligenkreuz, dem altehrwürdigen Kloster des Zisterzienserordens beendet werden. Nach dem Empfang dort durch den hochwürdigsten Herm Abt Mag. Dkfm. Gregor Henckel-Dommermarck OCist und der Führung durch das Kloster konnte bei der Mitfeier bei der abendlichen Vesper das alte "ora et labora" erlebt werden als Zeichen einer Werte- und Lebensordnung für Mensch und Gesellschaft in Wirtschaft und Leben. Die Publikation folgt in der Reihenfolge der Vorträge dem Symposion beginnend mit einer Einführung in das Thema von R. Weiler sowie den Vorträgen des ersten Tages von W. Schmitz, "Erfolgreich Wirtschaften ein sittliches Postulat"; K. H. Peschke, "Wertmaßstäbe der Wirtschaft in christlicher Sicht"; H. Yamada, "Für eine Kulturethik im 21. Jahrhundert"; E. H. Prat de Ia Riba, "Kultur des Geldes - die vielen Gesichter der Ökonomie"; J. M. Schnarrer, "Die Renaissance des Wertbegriffes und das Problem der Armut in der Wirtschaftsphilosophie bei Amartya Sen" und H. Prybil, "Sozialpartnerschaft als Voraussetzung erfolgreichen Wirtschaftens". Mit M. Masuda, "Die Gestaltung des Unternehmerbildes in der katholischen Soziallehre"; J. H. Pichler, "Ethik und ökonomische Doktrin" und T. Inoki, "Private, Public and Common" wurde am zweiten Tag der wissenschaftliche Teil abgeschlossen. Ergänzend hinzugefügt wird dieser Publika-

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Vorwort

tion der Diskussionsbeitrag von E. Fröhlich und der Symposionsbericht von P. Gastberger/ R. Weiler sowie die Referenten- und Teilnehmerliste. Die Herausgeber bedanken sich beim Verlag für die jahrelange Zusammenarbeit zur Publikation der Symposien Wien, Februar 2002

Werner Freistetter Rudolf Weiler

Eröffnungsrede Seit dem 1. Internationalen Johannes-Messner-Symposion, das 1991 in Wien-Neuwaldegg stattgefunden hat, waren Freunde aus Japan immer präsent, nachfolgend immer auch als Vortragende, 1995 waren sie selbst Gastgeber in Nagoya, Japan, gewesen. Zu nennen war unter den Teilnehmern aus Japan besonders Prof. Dr. Akira Mizunami von der Staatsuniversität in Fukuoka, dem wir auch die 1. und dann die 2. verbesserte Ausgabe von Messners Hauptwerk, "Das Naturrecht", in japanischer Sprache, Tokio 1998, verdanken. Mitgeholfen hat Prof. Dr. Hideshi Yamada, Sekretär der japanischen Johannes-Messner-Gesellschaft, Prof. am Institut für Sozialethik an der Kath. Universität der SVD in Nagoya; er war übrigens für ein Jahr von seiner Universität als Gastprofessor zur Mitarbeit an die Kath.-Theol. Fak./Institut für Ethik und Sozialwissenschaften der Univ. Wien 1995/96 entsandt gewesen. Prof. Mizunami ist dritter Träger der Johannes Messner-Medaille nach Landeshauptmann-Stellvertreter Prof. Dr. Fritz Prior und Vizekanzler a. D. Dr. Alois Mock; der letzte und vierte Träger dieser Medaille ist Präsident des Bundesrates i. R.o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Herbert Schambeck. Im Gedenken an den Terroranschlag vom 11 . Sept. in den USA macht derzeit das Wort die Runde, hier ginge es nicht um den sogenannten Kampf der Kulturen nach Huntington, vielmehr gehe es um den Kampf der Kultur in unserer interkulturellen und interreligiösen Gesellschaft heute. Es kann in der menschheitlichen Gesellschaft doch nur eine universelle Kultur geben! Ganz aktuell ist also wieder Johannes Messners Ansatz mit einer universellen Ethik, die über den Ethosformen steht im Sinne seines universellen Sozial-Humanismus, nämlich auf der Basis des Naturrechts, als sittlichem Naturgesetz. Das 6. Internationale Johannes-Messner-Symposion .,im Gedenken an Johannes-Messner" widmet sich diesmal besonders seinem sozialwirtschaftlichen Denken an den Menschen in der Wirtschaftsgesellschaft mit dem auf den ökonomischen Erfolg ausgerichteten Sozialzweck, orientiert an sozialem Realismus und Humanismus im Lichte der Vernunft und der christlichen Offenbarung. Wir danken Herrn Generaldirektor der "Erste Bank", Dr. Andreas Treichl und der "Ersten" für den schönen Tagungsraum hier am Schubertring in Wien. In der Tagungsmappe, die uns Herr Hans Gärtner, mit seinem Helfer Kollegen Neugschwantner, als für die Organisation Beauftragter zusammengestellt hat, finden Sie alles für die Organisation Nötige. Rudolf Weiler Präsident der Johannes-Messner-Gesellschaft

Inhaltsverzeichnis Rudolf Weiler Wirtschaftsethik- Teil der Sozialethik. Einleitungsvortrag............. . . .

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Wolfgang Schmitz Erfolgreich Wirtschaften - ein sittliches Postulat. Messners Sozialrealismus zur notwendigen Korrektur von traditionellen und sachkundigen Sozialvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Karl-Heinz Peschke Wertmaßstäbe der Wirtschaft im Dialog mit Joh. Messner und der christlichen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Hideshi Yamada Für eine Kulturethik im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Enrique H. Prat de Ia Riba Die Kultur des Geldes - Die vielen Gesichter der Ökonomie. . . . . . . . . . . . . . 75 Johannes Michael Schnarrer Armut, Freiheit und humane Fähigkeiten-Ethik in der Wirtschaftsphilosophie. Eine Expertise neuerer Strömungen in der Wirtschaftsethik unter besonderer Berücksichtigung der Ansätze von Amartya Sen. . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Herbert Pribyl Sozialpartnerschaft als Voraussetzung erfolgreichen Wirtschaftens ......... 145 Masakatsu Masuda Die Gestaltung des Unternehmerbildes in der katholischen Soziallehre .. . . . 163 J. Hanns Piehier Ethik und ökonomische Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Takenori /noki Private, Public and Common - Problems in Democracy and Market Economy . ... . ..... . . ... . ... ... ... .. . ... . . ... . . . ... .. . . . ............. . . .. 185 Erwin Fröhlich Der "homo oeconomicus" und die Ganzheitslehre bei Johannes Messner . . . 195 Petra Gastberger/Rudolf Weiler Symposionsbericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Teilnehmerliste . . . .. ... ...... ... .. .. .. . ... . ........ . ... . . .. .. .. ....... .. 208

Wirtschaftsethik- Teil der Sozialethik Einleitungsvortrag Von Rudolf Weiler

"In oeconomicis oeconomice", so lautet die klassische Formel. Das sagt auch der ethische Imperativ: "Wirtschafte wirtschaftlich!" Der Senior der Österreichischen Sozialethiker und Mitglied der Päpstlichen Sozialakademie, P. Johannes Schasching SJ, pflegt zu sagen: Wirtschaft sei wirtschaftlich zu wirtschaften und brauche Einbindung in ethische Regeln, denn menschliches Wirtschaften sei ohne Werte nicht möglich. 1 Dieser Imperativ spricht den Menschen in der Wirtschaftsgesellschaft an. Wer ist dieser Mensch, der in der Wirtschaftsgesellschaft nicht bloß agiert, sondern auch gesellschaftlich miteinander kooperiert? Sicherlich zuerst jeder einzelne Mensch als Person und Subjekt. Die Wirtschaftsgesellschaft kann jedoch auch als Ganzes mit Teilen betrachtet werden. Wie kann die Wirtschaft nun über die einzelnen Menschen hinaus betrachtet werden und wie kann die Wirtschaftsgesellschaft selbst als Subjekt und ebenso ihre einzelnen und gesellschaftlichen Glieder als Subjekte dieser Kooperation, beruhend auf den vielen Interaktionen als Summe ihrer Teile, letztlich der vielen einzelnen, zu ihrem Recht kommen? Voraussetzungen dazu sind Maßstäbe, eben Werte für jeden und für alle. Aber wie werden so verstandene soziale Werte gemessen und wie und wo spielt sich das Messen in der Sozialwirtschaft oder in der Sozialökonomie ab? Gelingt es vielleicht durch "Heiligsprechung" des Marktes oder anders durch seine "Entsakralisierung", womöglich durch seine Abschaffung?2 Zeitgeschichtlich ist es das Verdienst des schottischen Ethikers Adam Smith, mit seinem politökonomischen Werk (Wealth of nations, Der Wohlstand der Nationen, Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen) und seines Ansatzes in individuellem Selbstinteresse und individueller Freiheit in der Wirtschaftsgesellschaft, allerdings unter Voraussetzung einer Ethik, nämlich seiner Sympathieethik. In diesem Werk tritt das Denkmodell 1 So seine letzte Wortmeldung im Dr. Karl-Kummer-Institut in Wien laut Zeitschr. ZeitZeichen 8-9/2001, S. 3. 2 Vgl. den Artikel von Peter Pawlowsky in der Wiener Kirchenzeitung vom 6.11. 02. 200 l, Der "heilige" Markt.

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Rudolf Weiler

des wirtschaftenden Menschen auf, übrigens nur ein einziges Mal namentlich als "homo oeconomicus". 3 Johannes Messner sah schon in seiner Habilitationsschrift "Sozialökonomie und Sozialethik" aus 1927 (2. Auf!. 1929)4 darin eine "idealtypische Konstruktion", die nur dazu diene, "die wirtschaftliche Sphäre als Formalobjekt der Sozialökonomik" abzugrenzen, also ein "Denkmodell der Theorie", wie er schreibt, aber keine "Überbewertung des Materiellen, des Selbstinteresses im Sinne des Individualismus" (S. 36). So wäre das Wirtschaften des Individuums "rationelles Verfahren mit Sachen" und daraus auch das wirtschaftliche Prinzip - hier eben als Sparprinzip! - sowohl ein ökonomisch theoretisches wie ebenso ein eminent ethisches Prinzip. Umgang mit wirtschaftlichen Gütern, Messner nannte darunter besonders den Produktionsfaktor Arbeit, kann daher auch, wenn "falsch verstandenes Rentabilitätinteresse und Gewinnstreben" vorläge "geradezu unwirtschaftlich" (S. 37) werden. Arbeit als menschliches Schaffen sei nicht nur ein wirtschaftliches Gut. Der "homo oeconomicus", nur als das einzelne wirtschaftliche Subjekt im Denkmodell gedacht, sei damit aber nicht schon Subjekt der Wirtschaft, nämlich in der Sozialwirtschaft und ihres Sozialzwecks! Denn Sozialwirtschaft wäre hier nur im Modell gedacht als das Ineinandergreifen wirtschaftender Subjekte als Einzelwesen, nicht als gesellschaftliche Einheit mit eigenem Sozialzweck, nämlich dem Gemeinwohl. Die Güter in der Sozialwirtschaft kommen so erst in Blick auf das Gemeinwohl für die Gesellschaft als Ganzes in Sicht. Ethische Aufgabe ist es, weiter nach Johannes Messner, auf die faktische Solidarität der realen einzelnen Subjekte, also der einzelnen Menschen, in der Wirtschaftsgesellschaft zur Solidarität als Pflicht für das Gemeinwohl zu verweisen und sich dabei nicht bloß nach dem sogenannten Gesetz der "Grenzmoral" allein den egoistischen Individuen zu unterwerfen. Daher kann - vom Individualismus her gedacht - nicht von Verabsolutierung des Individuums wie ebenso - vom Kollektivismus her gedacht - nicht von einer Verabsolutierung der Gesellschaft gesprochen werden. Der reale einzelne ist auch Glied der Gesellschaft, gehört ihr in ethischer personaler So3 Der Mensch würde in seiner Erwerbstätigkeit wie auch in vielen anderen Fällen "von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat. So in der deutschen Ausgabe von Horst Claus Recktenwald, München 1974, S. 371. 4 Vgl. den Artikel Rudolf Weiler, Messners Weg in der Grundlegung einer systematischen Wirtschaftsethik zur Grundlegung des Verhältnisses der Ethik zu den Sozialwissenschaften. Kritische Bemerkungen zum Begriff "Institutionen" bzw. "Systemethik", in: Wolfgang Schmitz (Hrsg.), Johannes Messner - Ein Pionier der Institutionen- und Systemethik, Berlin 1999, S. 9-17.

Einleitungsvortrag

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lidarität, aber nicht als bloßer Teil einer organisch vorgestellten Ganzheit an. Die menschliche Gesellschaft zeigt sich sittlich sozial verpflichtet zur Solidarität. 5 So nämlich kommt zur praktizierten ökonomischen Sicht vom Individuum her die ethische Pflicht jedes einzelnen hinzu, den Sozialprinzipien entsprechend nach dem allgemeinen menschlichen Sozial- und Rechtsgewissen zu handeln. 6 Der heutige Zugang zu Wert- und Sinnfragen ist jedoch nicht nur in der Ökonomie vom philosophischen Individualismus dominiert. Solche Fragen werden allein mit empirisch-analytischen Methoden zu beantworten versucht.7 Die "Public choice" Schule versucht z. B. mit ihrem Modell des Wirtschaftens auch öffentliche Entscheidungen als politisches Handeln politischer Institutionen allein ausreichend zu erklären. Soziale Handlungstheorie und Institutionenlehre werden damit auf den methodologischen Individualismus des Mainstreams der Ökonomie zurückverwiesen. Die Grundannahme ist, die Teilnahme am politischen Prozeß geschieht wie auf dem Markt des Wirtschaftslebens allein aus Selbstinteresse und wird durch Anreiz desselben gesteuert. Der politische Prozeß in Sicht auf den Staatsapparat, Interessengruppen und kollektive Entscheidungsmechanismen sei daher selten von Gemeinwohl bestimmt. Der "egoistische Mensch" erwarte sich dann von der Politik - insbesondere im Wahlkampf - eben Versprechungen vom "wohltätigen Staat". In der Praxis ließe sich für das Gemeinwohl aber mittels der ökonomischen Analyse in Sicht auf den Markt nichts tun. Soziales Recht und soziale Reform finden keine Ressourcen, sie seien der individuellen Nächstenliebe überlassen. Ohne sozialethische Orientierung in der Gesellschaft (Solidarität, Gemeinwohl-, Subsidiaritäts-, Freiheitsprinzip!) bliebe nur der kollektive Staat. Hier wäre aber über die Wege zur sozialen Gerechtigkeit nachzudenken. Wird das wirtschaftende Individuum methodisch allein in den Vordergrund gestellt, genügen auch die Hinweise auf die in der Gesellschaft wirkenden Interessenverbände nicht, da sie wiederum nur von ihren Selbstinteressen ohne Gemeinwohlorientierung bestimmt gesehen würden.

5 Ich verweise hier gerne auf den Artikel von Hanns Pichler, eines Vortragenden unseres Symposions, den er in Nummer 1 der Zeitschrift für Ganzheitsforschung (45. Jg. -Wien 112001 , S. 3-13) unter dem Titel: "Ganzheitliche Gesellschaftslehre oder vom Vorrang des , Politischen' " publiziert hat. 6 Vgl. Rudolf Weiler, Sozial- und Rechtsgewissen als Wegweisung und Herausforderung, in: Rudolf Weiler, Akira Mizunami (Hrsg.), Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung. Die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung, Berlin 1999, s. 103-119. 7 Vgl. Gerhard Kalb, Die Geschichtsvergessenheit der Volkswirtschaftslehre und ihre Folgen, in: Die neue Ordnung 55. Jg., H. 3, Juni 2001, S. 209- 215.

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Rudolf Weiler

Sittliche Wahrheit und wirtschaftliche Richtigkeit stehen in Bezug auf die Gesellschaft unter eigenem methodischem Anspruch ihrer jeweiligen Wissenschaften, nämlich hier der Wirtschaftsethik als Teil der Sozialethik und der Volkswirtschaftslehre oder Sozialökonomik als Sozialwissenschaft. Wirtschaftsethik ist nicht nur als angewandte Ethik (Applied Ethics)8 wie im Schlepptau der Ökonomie zu verstehen, sondern geht als eigene philosophische Wissenschaft und Teil der Sozialethik gemeinsam mit der Individualethik aus der sittlichen Natur des Menschen hervor. Sozialethik und Individualethik haben ihr gemeinsames Fundament in der allgemeinen Ethik, im Naturrecht als Grundordnung für Mensch und Gesellschaft. Die Wirtschaft und ihre Lehre, und zwar die Ökonomik und die Wirtschaftsethik als Sozialethik, haben einen gemeinsamen Zweck, dem sie jeweils dienen, den Sozialzweck der Wirtschaft, eben der Volkswirtschaft oder Sozialwirtschaft Auf diesem Sozialzweck ist die Ökonomie wesentlich ausgerichtet, auch als moderne Wissenschaft heute, die zu ihrer Analyse der Wirklichkeit sich des Modells des Menschen als "homo oeconomicus", traditionell in verschiedenem Verständnis zwar, aber immer noch häufig, bedient.9 Sie richtet sich praktisch in ihren Gesetzmäßigkeilen auf das Verhalten der Menschen als Individuen, um das ökonomisch Richtige zu finden. Die Sozialethik kann aber "nur aufgrund einer Analyse der Sozialwirtschaft, ihrer Funktionen und Institutionen zu einer ethischen Bewertung derselben gelangen". 10 Die ethische Bewertung ist dann der Sozialethik und in engerem Sinn der Wirtschaftsethik aufgegeben. Die Analyse ist der Ökonomie mit ihren Methoden anvertraut. In diesem Sinne sei nach Johannes Messner die Ökonomik Hilfswissenschaft der Sozialethik. In der Bewertung ist also die Mit- und Zusammenarbeit der Ökonomik mit der Sozialethik und deren Einsichten aus Prinzipien und letzten Gründen nötig. Beide Wissenschaften sind Sozialwissenschaften mit den ihnen entsprechenden Methoden und Erkenntnismöglichkeiten. Die Ökonomik man denke an Richtungen unter Vorgabe der "Wertfreiheit" (Max Weber) hat die Aufgabe, das gemäß dem Sozialzweck der Wirtschaft Richtige mittels ihrer Methoden und Voraussetzungen herauszuarbeiten, das somit nach 8 Siehe Robert Heeger, What is Meant by "The Turn to Applied Ethics": "But as soon as one considers some moot points, e. g. the roJe of the ethicist or that of moral rules and principles, the answer is still open. Those who are doing applied ethics will have to give the answer themselves, because they have to make up their minds about the moot points, in: Robert Heeger und Theo van Willigenburg (eds.), The Turn to Applied Ethics, Den Haag 1993, (S. 9-16) 16. 9 Vgl. Herbert Matis, "Die soziale Dimension des Menschen und die moderne Nationalökonomie", in: Enrique H. Prat, Ökonomie, Ethik und Menschenbild, Wien 1993, s. 30-51. 10 Johannes Messner, Das Naturrecht, Berlin 7 1984, S. 987.

Einleitungsvortrag

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dem jeweiligen Erkenntnisstand sozialwirtschaftlich Richtige! Dieses entspricht der "Natur der Sache" - hier wäre zu verweisen auf die relative Autonomie der irdischen Wirklichkeiten! - die sich als das dem Menschen Gemäße erschließen läßt. Die Sachrichtigkeit ist immer unter den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen in Sicht und Geltung der sittlichen Prinzipien im ethischen Urteil zu beachten. 11 Ethische Urteile sind immer unter Anwendung der Prinzipien und der Sicht auf die "Natur der Sache" in den Fragen der Sozialwirtschaft, also im sozial verantworteten und nicht allein im individuellen Urteil zu finden und zu fassen. Sie ergeben sich aus einem Obersatz, der durch Einsicht in Gründe gewonnen wurde und aus der Analyse der Wirklichkeiten, die zum sittlichen Urteil führen. Das kann in der Praxis nur gemäß der "Natur der Sache" geschehen. Die Sozialethik hat dabei eine doppelte Beschränkung in ihrer Erkenntnisarbeit zu beachten: Sie kann keine Fragen ausschließlich ökonomischer Natur beantworten, aber auch keine technisch-organisatorischen Fragen des sozialwirtschaftlichen Prozesses. Sie kann aber die Prinzipien und deren Geltung unter den heutigen Bedingungen als ethische Voraussetzungen in den theoretischen Diskurs der Sozialwissenschaften einbringen. 12 Bei diesem Diskurs der Sozialwisssenschaften bleiben die mit empirischen Methoden ausgerichteten Wissenschaften "Hilfswissenschaften". In diesen haben die philosophischen Disziplinen, wie hier die Ethik, Sozialethik und speziell die Wirtschaftsethik, ihre Prinzipien einzubringen, ohne damit zu verlangen, die "ökonomische Logik" zu durchbrechen oder "Wirtschaft durch Moral" zu ersetzen. 13 11 Vgl. Herbert Schambeck, Zur Lehre von der Gerechtigkeit und der Natur der Sache bei Johannes Messner, in: Rudolf Weiler und Akira Mizunami (Hrsg.), Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung, Berlin 1999, S. 153-161. 12 Vgl. J. Messner, Das Naturrecht, a.a.O., S. 986. 13 Vgl. Kar! Homann, Marktwirtschaft und Ethik. Ihre Neubestimmung ihres Verhältnisses, in: zur debatte, Nr. 3/2001, S. (1-3) 1. In einer Besprechung von Gerd Roellecke zum "Handbuch der Wirtschaftsethik" (Hrsg. von Wilhelm Korff u. a., Güthersloh 1999) in der FAZ vom 30. November 1999, Seite L23, unter dem Titel "Leichter Freunde gewinnen" heißt es treffend: "Der Münchener Ökonom Karl Homann sieht zwischen Ethik und Ökonomik keinen prinzipiellen Unterschied mehr, weil beide darauf zielten, die Individuen zu einem vernünftigen Handeln ,anzureizen'. Die Gegensätzlichkeit dieser Ansätze macht verständlich, warum Niklas Luhmann meinte, daß Wirtschaftsethik ,zu der Sorte von Erscheinungen gehört wie auch die Staatsräson oder die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheimhalten müssen, daß sie gar nicht existieren. ' " Interessant an dieser Besprechung ist weiters, daß die Unternehmensethik die Frage nach der Ethik vereinfache, indem von der gesamtgesellschaftlichen zur Perspektive des Handelnden gewechselt werde. 2 Weiler

Rudolf Weiler

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Diese Prinzipien verlangen von der Ökonomik als Lehre von der Sozialwirtschaft und ihrem Sozialzweck in der Pflege ihrer Wissenschaft den Menschen vermittels der Wirtschaft nicht auf den "homo oeconomicus" zu reduzieren. Der sozialwirtschaftliche Prozeß mit seinem Sozialzweck muß demgemäß im Blick auf die volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiteil vom Gemeinwohl her untersucht werden. Insofern zitiert Homann in seinem o. a. Vortrag die Einleitung von Wilhelm Korff aus dem Handbuch der Wirtschaftsethik zu Recht, daß das Eigeninteresse als individuelles Vorteilsstreben durchaus als Maßeinheit in der Ökonomik dienen könne. Das muß aber keineswegs gegen die traditionelle Ethik im Gebrauch durch die Wirtschaftsethik verstanden werden. Nur als "Letztbegründung" der Moral würde sie die Sicht auf das Gemeinwohl in der Sozialethik verstellen. Das bedeutet aber den Hinweis, daß die sogenannte Diskursethik heute keinen Ersatz oder den Verzicht auf Ethik und sozialethische Prinzipien in der Volkswirtschaft bedeuten kann. Der vormalige deutsche Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, schreibt in einem Artikel 14 in diesem Zusammenhang von der Gefahr, "Gerechtigkeit zu einem Regelwerk zu verflüchtigen". Er sieht diese Gefahr im Entwurf des Programms der neuen Sozialen Marktwirtschaft der CDU gegeben: "Gerechtigkeit ,setzt Regeln voraus . .. diese Regeln reichen von der Verfassung über die Rechtsordnung bis hin zu kulturellen und sozialen Gewohnheiten.' ... Gerechtigkeit ist die Quelle von Verfassung und Rechtsordnung . . . nicht umgekehrt." Blüm argumentiert im Sinne der christlichen Soziallehre für das suum cuique als Kernsatz der großen abendländischen Gerechtigkeitsphilosophie und folgert daraus, der Mensch erscheint in der Gesellschaft damit mit Individualität und Sozialität, also in naturrechtliehen Gegenseitigkeitsbeziehungen. Damit ergäbe sich die Grundlage zu "Solidarität" und die Abwendung der "Falle des Individualismus" in der Marktwirtschaft. Nach Blüm stehen im Sinne der Gerechtigkeit über den Marktkräften "die übergeordneten Ideen des Gemeinwohls" zu ihrer Disziplinierung, solange nämlich noch "der Mensch als zoon politic6n über sein Zusammenleben nachdenkt". Abschließend sei auf die Einteilung von Johannes Messner in der Gesellschaftsethik15 hingewiesen, daß es in der Vergesellschaftung des Menschen naturnotwendige Gesellschaften und ebenso freie Gesellschaften gibt, die ebenso immer im Sinne des Sozialzwecks - im freien Ermessen des Menschen liegen. "Die Geschichtlichkeit und Entwicklungsbedingtheit der Vergesellschaftungsformen zu sehen und zu beachten, sowohl der naturnotwendigen - die Familie oder der Staat sind hierunter gemeint - wie der freien, 14 15

Vgl. FAZ vom 5. September 2001, Nr. 206, S. 12. Vgl. Johannes Messner, Das Naturrecht, a.a.O., II. Buch, S. 529 ff.

Einleitungsvortrag

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ist eines der Grundaxiome der Naturrechts/ehre." Zwei Folgerungen knüpfen sich nach Johannes Messner an diese Einteilung unmittelbar an. Die erste: "daß geschichtlich bedingte Ordnungen nicht in die allgemein gültige naturrechtliche Ordnung hineingelesen werden dürfen; ... Die zweite Folgerung: Mit dem Entstehen neuer Vergesellschaftungsformen erwächst der Naturrechtslehre die Aufgabe, aus den allgemeinen naturrechtliehen Prinzipien die konkreten Gerechtigkeitsimperative zu entwickeln, die sich für die neuen Formen der Natur der Sache nach ... ergeben." 16 Messner spricht hier auch von Gerechtigkeitsimperativen, die sich als "werdendes Naturrecht" etwa in der "weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft" von heute herausbildeten. 17 Der Sozialzweck aller gesellschaftlichen Einheiten und deren Bestimmung durch Gemeinwohl, Solidarität und Subsidiarität sind der freien Willkür des Menschen entzogen. Es ist aber der Freiheit des Menschen überlassen, nach seinem Ermessen auch "freie Gesellschaften" zu bilden neben den in der Natur des Menschen im Sozialzweck gelegenen. Das heißt, der Sozialzweck der Volkswirtschaft und ihrer Glieder beruht zwar vielfach auf dem individuellen Vorteilsstreben, ist aber besonders für die naturgemäß notwendigen Gemeinschaftsbildungen des Menschen, z. B. im Staat oder sogar in der Menschheit als ganzer - Globalisierung der Weltwirtschaft! nicht dem individualistischen Denken überlassen, sondern erfordert die Anwendung und Begrenzung durch das Naturrecht im Sinne der Sozialprinzipien.

Johannes Messner, a.a.O., S. 531 f. In diesem Zusammenhang wäre die Bedeutung des Gemeinwohlgedankens zu erfassen, besonders das Buch von Johannes Messner, "Das Gemeinwohl, Idee, Wirklichkeit, Aufgaben", 2. wesentl. erweiterte Aufl., Osnabrück 1968. Hervorgehoben wird von uns das Kapitel "Das Gemeinwohl in seinen Dimensionen" (S. 103245) sowie der Schlußabschnitt "Nach dem Zweiten Weltkrieg" (S. 254-258). 16 17

2*

Erfolgreich Wirtschaften - ein sittliches Postulat Messners Sozialrealismus zur notwendigen Korrektur von traditionellen und sachunkundigen Sozialvorstellungen Von Wolfgang Schmitz I. Der homo oeconomicus - ein sittliches Postulat Johannes Messner (JM) weist schon in seiner Habilitationsschrift' nach, daß die Verpflichtung zu einem erfolgreichen Wirtschaften ein ethisches Postulat ist. Das ist damit der Ausgangspunkt seiner systematischen Wirtschaftsethik, die er in dieser Publikation grundlegen wollte. Der homo oeconomicus (economical man) diene "nur dazu, die wirtschaftliche Sphäre als Formalobjekt der Sozialökonomik abzugrenzen, daß also der economical man für die Theorie nur ein Denkbehelf, eine fiktive Konstruktion ist, um die Theorie überhaupt zu ermöglichen. Als solche bedeutet die Isolierung des Wirtschaftlichen weder eine Überbewertung des Materiellen im Sinne des Egoismus, noch eine Bevorrechtung des Individuums gegenüber der Gesellschaft im Sinne des Individualismus, sondern Wirtschaft ist einfach das rationale Verfahren mit Sachen." Allein mit der Besinnung der sozialökonomischen Theorie auf den logischen Charakter ihrer Hilfskonstruktion des homo oeconomicus sei auch der Vorwurf der Unmoralität ihr gegenüber mehr und mehr verstummt. Er erinnerte daran, daß schon vor ihm darauf hingewiesen wurde, "daß das wirtschaftliche Prinzip eigentlich ein eminent ethisches Prinzip sei, nichts anderes sagend als das Sparprinzip" 2 . So wird dem Begriffe "Wirtschaft" (die) allein mögliche Bedeutung zurückgegeben: "daß Wirtschaften nämlich nichts anderes bedeutet als ein der vernünftigen Menschennatur entsprechendes Verfahren mit Gütern." So bestimmt, verschwinde im Begriff des homo oeconomicus nicht nur der Gegensatz zur Ethik, sondern er trifft sich vielmehr mit dem ethischen Begriffe des wirtschaftlichen Handelns, "er ist ethisches Postulat". 1 J. Messner, Sozialökonomik und Sozialethik (S. u. S.), Paderborn 1. Aufl. 1927, 2. Aufl. 1929. 2 Ch. Perin, Über den Reichtum, Deutsche Übersetzung Regensburg 1866, Bd. I, passim, den JM zustimmend in S. u. S. zitiert.

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Wolfgang Schmitz

Es sei ganz unrichtig, wenn man der Theorie deshalb Individualismus vorwirft, weil sie vom homo oeconomicus als einzelnem Wirtschaftssubjekt ausgeht. Denn tatsächlich tue dies die recht verstandene und sich selbst recht verstehende Theorie gar nicht in dem Sinne, wie es ihr vorgeworfen wird, vielmehr liegt es heute methodologisch völlig offen, daß für die Theorie der Sozialwirtschaft überhaupt kein Weg von der Analyse der Einzelwirtschaft (allein?) zu den volkswirtschaftlichen Problemen führt, sondern daß nur das Ineinandergreifen der Einzelwirtschaften, das ja die Sozialwirtschaft ausmacht, ihr Formalobjekt ist, also die Stellung der Einzelwirtschaft innerhalb der Sozialwirtschaft oder - H. Pesch zitierend - "der Mensch inmitten der Gesellschaft". Tatsächlich würden so beide Fehler umgangen: die Verabsolutierung des Individuums und die Verabsolutierung der Gesellschaft. 3 Was besagt das Postulat des homo oeconomicus? Der Begriff des wirtschaftlichen Handeins bedeutet nach JM "nichts anderes ... als ein der vernünftigen Menschennatur entsprechendes Verfahren mit Gütern". (S. 37, Hervorhebung durch WS) Daß die Untersuchung des ethischen Charakters des wirtschaftlichen Erfolgs wieder überaus aktuell geworden ist, zeigt die Anzahl der neueren Literatur auf diesem Gebiet, wie sie aus dem Anhang hervorgeht.

II. Was ist für JM ein vernünftiges Verhalten des Menschen, das seinem Umgang mit Gütern seiner Natur entspricht? Das Wirtschaften der Menschen ist dadurch charakterisiert, daß seinen an sich unbeschränkten Bedürfnissen nur knappe Güter (Waren und Dienstleistungen) zu ihrer Befriedigung gegenüberstehen. Dazu kommt noch, daß die Güter im globalen Rahmen einer global wachsenden und in ihren Bedürfnissen immer anspruchsvolleren Bevölkerung gegenüberstehen. Was gebietet die Vernunft angesichts dieses Verhältnisses? Die Vernunft verlangt, die Knappheit der Güter möglichst zu verringern, d. h. die Güter möglichst zu vermehren und/oder Bemühungen, gegebene Bedürfnisse mit einem geringeren Aufwand von knappen Gütern zu befriedigen oder mit einer gegebenen Menge knapper Güter möglichst viele individuale und soziale (d.i. gesellschaftliche) Bedürfnisse zu befriedigen. JM definiert "Wirtschaft als die bestmögliche Verwendung der knappen Mittel im Dienste der mit den existentiellen Zwecken gestellten Aufgabe". (NR, S. 982 f.). Und JM setzt dem hinzu, daß Wirtschaften tatsächlich "nicht nur darin (besteht), einfach Güter zu produzieren und sie so oder so dem Konsum zuzuführen, sondern 3 Alle bisherigen Bezugnahmen auf JM, S. u. S., S. 36--38 (Hervorhebungen von W.S.)

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mit den knappen Arbeitskräften und Natur- und Kapitalgütern die reichste Bedarfsdeckung zu erzielen. Die Sozialwirtschaft ist in diesem Sinne in der Tat ihrem ganzen Grundwesen nach auf die optimale soziale Wohlfahrt ausgerichtet. " 4 Eine solche optimale soziale Ordnung ist ohne erfolgreiches Wirtschaften nicht möglich! Die Löhne müssen daher sowohl als Preis für geleistete Arbeit und in ihrer Funktion als Geldbasis der kaufkräftigen Nachfrage gesehen werden, wenn der Wohlstand vergrößert werden soll. Das heißt, daß auch die Wirtschaftspolitik in der Schaffung der Rahmenbedingungen für das Wirtschaften des Einzelnen durch den Staat erfolgreich sein muß. Dieser Fortschritt wird bei knappen Produktionsfaktoren (d. s. menschliche Arbeit, Sachinvestitionen, knappe Rohstoffe und Halbfabrikate, Kapitalgüter, Know-how, Information) im Verhältnis ihres sinkenden Einsatzes zum Produktionsergebnis als wachsende Produktivität, d.h. als Produktivität der Arbeit, des Kapitaleinsatzes, des Bodens usw. bezeichnet. Die Steigerung der Produktivität kann durch Steigerung der individuellen Tugend (des Fleißes, der Verantwortungsbereitschaft und mittels individueller Neuerungen der Technik durch einzelne Unternehmerpersönlichkeiten oder sozial durch die Teilnahme am kommerziellen und technologischen Entwicklungsprozeß erreicht werden. Die Hebung dieser Individualethik ist das Ergebnis der Erziehung, von der Selbsterziehung bis zur Erziehung in Institutionen wie Elternhaus, Schule und nicht zuletzt auch der Kirchen. Zur Individualethik zählt auch die Reduktion von Bedürfnissen, die für die existentiellen Zwecke entbehrlich sind. - Die Sozialethik muß aber die individuellen Entscheidungen der Konsumenten zur Kenntnis nehmen. Nach JM spielt der Konsument auch bei der Bestimmung der für die Bemessung des Lohnes maßgeblich entscheidende Produktivität die zentrale Rolle: "Die Natur des Arbeitsverhältnisses ist dadurch gekennzeichnet, daß die abhängige Arbeit 1. Beteiligung an der sozialwirtschaftlichen Kooperation ist; 2. diese Beteiligung aufgrund eines Arbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfolgt. Die Folgen dieses Doppelcharakters der abhängigen Arbeit sind, daß das Arbeitsentgelt für den Arbeiter Einkommen, aber für den Arbeitgeber Kostenbestandteil ist. Beide Seiten sind unzertrennlich miteinander verbunden: Als Kostenbestandteil ist die Arbeit für den Unternehmer Produktionsfaktor, dessen Wert er nach seiner Produktivität in Rechnung setzen muß; 4 JM, Wirtschaftstheorie oder Wohlfahrtstheorie? In: E. Lagler/J. Messner (Hg.) Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Ordnung, Festschrift zum 70. Geburtstag von Ferdinand Degenfeld-Schonburg, Wien 1952, S. I 00.

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diese Produktivität begründet andererseits das Ausmaß des Lohnanteils am Leistungserfolg der vereinten Produktionsfaktoren, das suum5 der Arbeit. Wir sagen: Der Arbeitgeber muß den Wert des Produktionsfaktors Arbeit nach seiner Produktivität einschätzen; denn er muß seinen Aufwand dafür aus den Preisen zurückgewinnen (!, WS), die er durch den Absatz der produzierten Waren erzielt. Nicht der Arbeitgeber urteilt daher letztlich über die Produktivität der von ihm eingesetzten Arbeit, sondern der Konsument, der durch die Bezahlung der geforderten Warenpreise über die Produktivität der aufgewandten Produktionsfaktoren entscheidet. 6 Der Lohn stellt sich als der Preis für den Produktionsfaktor Arbeit dar; soweit er der Produktivität der aufgewandten Arbeit in der ihren Zweck erfüllenden Sozialwirtschaft entspricht, ist es der sozialwirtschaftlich richtige Lohn. Diesen sozialwirtschaftlichen Zusammenhängen war zunächst nachzugehen, weil die Erarbeitung der naturrechtliehen Gerechtigkeitsprinzipien immer von der "Natur der Sache" geleitet sein muß. Der "Natur der Sache" wird durch die Erkenntnisse der Institutionen- und der Systemeethik erkannt, und aufgrund der Institutionen- und Systemeethik ordnungspolitisch umgesetzt. Diesen sozialwirtschaftlichen Zusammenhängen sah sich JM gezwungen nachzugehen. Die sozialen (= gesellschaftlichen) Leistungen werden dadurch erbracht, daß sich die teilnehmenden Menschen gesellschaftlichen Institutionen unterworfen haben (freiwillig oder unter Zwang), deren Regeln die gewünschten Entscheidungen bewirken sollen. Die Institution des Betriebs bewirkt die bestmögliche Kombination der Produktionsfaktoren zwecks bestmöglicher Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. Die Institution des Haushalts dient den Bemühungen, mittels eines gegebenen Einkommens möglichst viele Bedürfnisse der einzelnen Menschen möglichst gut zu befriedigen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Institutionen obliegen für den Betrieb der Betriebswirtschaftslehre und für die Haushalte der Hauswirtschaftslehre und (bei öffentlichen Haushalten) der Finanzwissenschaft. 5 Gemeint ist das scholastische suum cuique, d.h. jedem das Seine, d.h. was ihm naturrechtlich zusteht. 6 Der Konsument entscheidet daher genau genommen nicht über die Produktivität der Arbeit, sondern über die Produktivität aller aufgewandten Produktionsfaktoren zusammen. JM sieht offenbar die Verbindung zwischen der Entscheidung des Konsumenten durch Bereitschaft zur Zahlung des Kaufpreises und der Festsetzung des Lohnes durch den Arbeitgeber durch die Natur der Sache bestimmt, wie sich aus den "sozialwirtschaftlichen" Zusammenhängen ergibt. Unter "Sozialwirtschaft" versteht JM, wie eben gezeigt, die Wirtschaft, die ihren Zweck nach Maßgabe der existentiellen Zwecke aller Menschen zum Erfolg hat. - Es ist für JM charakteristisch, daß er diese Frage unter dem Stichwort "Lohngerechtigkeit" behandelt (NR s. 1038 ff.).

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Der Umgang mit diesen Gütern muß daher im Interesse der Teilnahme aller Menschen daran schon aus ethischen Gründen vernünftig, d.h. rational vor sich gehen. III. Sozialethik durch Institutionen und Systeme7 Unter wirtschaftlicher Vernunft wird der Einsatz von Institutionen verstanden, denen Messner im Naturrecht (NR) soziale Funktionen zuspricht. Da hier sozial nicht als Gegenpol zu asozial gemeint sein kann (da soziale Funktionen dann eine Tautologie wären), kann mit sozial hier nur (als Gegenpol zu individual) gesellschaftlich gemeint sein. Unter Funktion in der Gesellschaft wird eine positive Leistung unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Erhaltung eines sozialen Systems verstanden. 8 Diese sozialen Funktionen sieht Messner vor allem in den Funktionen des Wettbewerbes, des Geldes und des Kapitals, der Preise, des Gewinns und des Zinses. IV. Die sozialen Funktionen des Wettbewerbs, des Geldes und des Kapitals, des Gewinnes und des Zinses bei J. M. /.Als soziale Funktionen des Wettbewerbsmarktes nennt JM folgende:

a) Der Markt gehört zu den stärksten gesellschaftsbildenden Kräften. Der Wesensgrund der Gesellschaft ist die gegenseitige Abhängigkeit der Einzelmenschen bei der Erfüllung der ihnen mit den existentiellen Zwecken gestellten Lebens- und Kulturaufgaben. Weil mit dem Eigeninteresse verknüpft, kommt diesen Kräften in der Sozialwirtschaft eine besondere Wirksamkeit zu (S. 990 ff.). b) Der Markt übt die weitere Sozialfunktion der Wirtschaftslenkung aus. Er wirkt darauf hin, daß die Ressourcen aller Art (Boden, Kapital, Arbeit usw.) zu Produktionszwecken zur bestmöglichen Deckung des Lebensund Kulturbedarfes der Wirtschaftsgesellschaft dienen. Mit der genialen Entdeckung des schottischen Moralphilosophen Adam Smith, daß der Wettbewerb bewirkt, daß die Verfolgung der Eigeninteressen zum Reich-

7 Näher ausgeführt in: Wolfgang Schmitz (Hrsg.), Johannes Messner - ein Pionier der Institutionen- und Systemethik. Beiträge zum Symposium der JohannesMessner-Gesellschaft zur Neuherausgabe seiner Habilitationsschrift: Sozialökonomik und Sozialethik - Studie zur Grundlegung einer systematischen Wirtschaftsethik, Paderbom 1927, Berlin 1999. 8 Stichwort Funktion, in: Großer Brockhaus, 17. völlig neu bearb. Aufl. Wiesbaden 1968, 6. Bd, Sp. 681.

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turn der Nation (zum Allgemeininteresse und Gemeinwohl) führt, hat er damit die Wirtschaftswissenschaften begründet. c) Eine weitere Sozialfunktion ist der Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt (z. B. Höchstmaß an Mobilität und Innovationen, Zwang zu produktiven Investitionen und Rationalisierungen). Der Manchester-Liberalismus hat den homo oeconomicus als Idealtypus des reinen Wirtschaftsmenschen interpretiert. Wirtschaftliche Vernunft wurde mit wirtschaftlichem Interesse identifiziert (NR S. 993), das die Freiheit und das wirtschaftspolitische Prinzip des Laissez-faire, das die Freiheit zum alleinigen Ordnungsprinzip der Sozialwirtschaft macht (in Verbindung mit der Idee der "Harmonie der Interessen" Kap. 22). Die Folgen sind: Krisen und Arbeitslosigkeit. Messner hingegen: "Der homo oeconomicus muß aus seiner auch die Personenwürde umfassenden ganzen Vernunftnatur verstanden werden. Und nicht bloß als wirtschaftlicher Kalkulationsmechanismus. Und in der Wirtschaftsordnung selbst muß die Einhaltung der im Gemeinwohl gelegenen Institutionen gesichert werden; nur dann kann der Markt seine Sozialfunktion in einem Höchstmaß erfüllen." (NR S. 993 f.) Die Gesamtheit dieser Institutionen, die die Institution Wettbewerb mit vielen Wirkungszusammenhängen umgibt, wird heute als "die Rahmenbedingungen" bezeichnet. Einen Wettbewerb ohne Rahmenbedingungen gibt es nicht. Die den Wettbewerb umgebenden Rahmenbedingungen möglichst lückenlos und widerspruchsfrei zu gestalten, ist der Gegenstand der Ordnungstheorie der Sozialwissenschaften und der Ordnungspolitik, vor allem des Staates, sei es als souveräner Staat für den nationalen Bereich oder als Völkerrechtssubjekt im internationalen Bereich. Die Sozialfunktion einer Institution muß durch die Sozialfunktion der anderen dem Gemeinwohl dienlichen Institutionen ermöglicht werden (S. 995). Der Wettbewerbsmarkt ist allein auf die Deckung der mit Kaufkraft ausgestatteten Nachfrage abgestellt. Daher JM: "Der Oberherr der Sozialwirtschaft ist der Konsument. " (S. 998, Hervorhebung durch W.S.) Die Sozialfunktion des Wettbewerbs liegt auch darin, daß der Markt Regeln für die sozialwirtschaftliche Kooperation setzt. Das Verhältnis der verfügbaren Ressourcen und den daraus erzeugten Gütern und Leistungen ist die sozialwirtschaftliche Produktivität (S. 1001). Diese ist das Verhältnis des Aufwandes an diesen Mitteln für den erreichten Zweck. Der Wettbewerb zwingt zur Steigerung der Produktivität aller Mittel (Produktionsfaktoren). Der Wettbewerb zwingt schließlich dazu, daß "der Mensch in den Mittelpunkt der Sozialwirtschaft" gestellt wird (S. 1001). Der Wettbewerb räumt durch seine Preisbildung den Markt (keine unabsetzbaren Überschüsse zu diesen Preisen). Der Wettbewerb befriedigt alle aufgrund seiner Preise noch nachfragenden Bedürfnisse (das ist der sog. "Grenznutzen"). Der Wettbe-

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werb hat mit wachsender sachlicher und räumlicher Ausdehnung vom lokalen Markt über den nationalen, regionalen zum globalen Markt daher eine wachsende soziale Funktion. 2. Die soziale Funktion des Geldes

Das Geld hat vier Funktionen (S. 1010 ff.): - Tauschmittel, - Wertmaß, - Wertspeicherung (Wertaufbewahrungsmittel), - Rechenmittel (Recheneinheit). Ohne Erfüllung dieser Funktionen durch die Institution Geld gäbe es weder eine vernünftige Betriebs- oder Haushaltsführung noch eine wirtschaftliche Arbeitsteilung noch ein effektives Zusammenwirken aller wirtschaftlichen Institutionen und Systeme. Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Funktionen durch das Geld: - Es muß so ausreichend vorhanden sein, daß alle potentiellen Tauschvorgänge auch stattfinden können ("ausreichend" heißt: in Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit). - Es muß so knapp sein, daß das Geld seine vier Funktionen erfüllen kann. Sowohl Inflation wie auch Deflation bewirken Fehlsteuerungen im ökonomischen Prozeß. - Es muß gegen andere Währungen frei austauschbar (konvertibel) sein. Es muß damit auch seine global zu leistenden Funktionen erfüllen.

3. Die sozialen Funktionen des Kapitals (als Geld- und Sachkapital) Das Kapital hat als Sachkapital die unersetzliche Aufgabe, die Produktivität der menschlichen Arbeit zu steigern und als Geldkapital die dazu notwendige Finanzierung fruchtbar (d.h. Zinsen bringend oder als Gewinnbeteiligung) zu machen. Der freie Kapitalmarkt ist damit für JM das .,Herzstück der Marktwirtschaft" (NR S. 1020, Hervorhebung W.S.), Adolf Weber zitierend. Kapital (Sach- und Geldkapital) muß überall angeboten und überall nachgefragt werden können, sodaß die vorhandenen Waren, Dienstleistungen und Kapitalgüter prinzipiell für alle Menschen zugänglich sind.

Alle diese Sozialfunktionen werden kraft der Regeln bewirkt, die die dazu dienenden genannten Institutionen ausmachen. Diese zu erkennen, ist Auf-

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gabe der Sozialwissenschaften und sie zu realisieren, ist Aufgabe einer gut beratenen Wirtschafts- und (einschließlich Sozial-)Politik. Analog zu diesen sozialen Funktionen läßt sich auch eine soziale Funktion des Gewinnes und des Zinses ableiten, die beide für manche Sozialethiker immer wieder Gegenstand ihrer leidenschaftlichen Kritik gewesen sind bzw. immer noch sind. 4. Die sozialen Funktionen des Gewinnes

Die Sozialfunktion des Gewinnes ist demnach - ein Zeichen dafür, daß - gemessen am Wert des gesamten Mitteleinsatzes gegenüber dem Wert der gesamten kaufkräftigen Nachfrage danach, ein Mehrwert geschaffen wurde und damit - ein Anreiz für den Wirtschaftenden zum erfolgreichen Wirtschaften gegeben wird. 5. Die sozialen Funktionen des Zinses

Das Geld dient zur Rechenbarkeit für alle ökonomischen Werte, der nachfragenden Bedürfnisse und des verfügbaren Angebotes in Form von Preisen. Der Preis für geborgtes Geld ist der Zins. Der Zins hat wie jeder Preis die aktuelle Nachfrage nach einer Ware oder Dienstleistung auszudrücken und das aktuelle Angebot zur Befriedigung derselben zu lenken. Die Institution der Zinsen dient wie jeder Preis zur Lenkung der Nachfrage (auch im Sinn einer Beschränkung) und zur Vergrößerung des Angebotes (als Anreiz zu dessen Erhöhung). Gemeinsam ist allen diesen Funktionen, daß sie ein erfolgreiches Wirtschaften zur Folge haben.

V. Dieser Theorie von JM steht immer noch eine Sozialauffassung entgegen, die das Prinzip der ausreichenden Sachkundigkeit JMs nicht beachtet Beispiele für ein grundsätzliches Unverständnis gegenüber den von J.M. zur Problemlösung empfohlenen sozialen Funktionen von Wettbewerb, Geld und Kapital, Gewinn und Zins lassen eine Durchsicht einschlägiger Dokumente der kirchlichen Sozialverkündigung bzw. der Meinung prominenter Sprecher der Seelsorge erkennen. Am 15.12.1999 forderte ein prominenter und an sich sehr angesehener Theologe "Sensibilität für die Gewalt der Logik des Marktes". Heutzutage

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stehe Politik weithin unter der Geißel der Ökonomie und Technik und "sogenannter Sachzwänge". Zahllose Menschen würden dabei marginalisiert und in ihrem Leiden einfach vergessen. 9 Hier liegt ein offenbar ganz tief verwurzeltes Mißverständnis vor. Beim sogenannten Sachzwang geht es nicht um den Zwang von Sachen über Anliegen der Menschen, sondern um die "Natur der Sache", die durch das Verhalten der Menschen gegeben ist. 10 Diese ergibt sich nämlich aus dem regelmäßig zu beobachtenden Verhalten der Menschen aufgrund ihrer menschlichen Natur. Der Begriff der Natur der Sache umschließt die Natur des Menschen, seine natürlichen Fähigkeiten, Triebe, Willensziele usw. Seine Beschränkungen ergeben dann u. a. auch die eigenartige Sachgesetzlichkeit, die den einzelnen Tätigkeitsbereichen und Gemeinschaften der Menschen eigen ist. Das bestätigt JM "auch als seine Anschauung", glaubt jedoch, mit seiner Analyse der menschlichen Natur gezeigt zu haben, daß in diesem selbst die Seinsordnung (Triebnatur, Wertstreben) und die Rechtseinsicht (Gewissenseinsicht, Werteinsicht) noch ursprünglicher und unmittelbarer, zu innerst und unlöslich verbunden sind, nämlich erlebt und erkannt z. B. in der gesellschaftlichen "Grundsituation" der Familiengemeinschaft Ohne diesen Zusammenhang von Seinsordnung und Wertordnung ist nur die Begründung der Werteinsicht auf Fühlen möglich und bleibt dann die Gerechtigkeit ohne objektive Kriterien und sachlichen Maßstab (NR, S. 334 f.). Ergo: Die Berufung auf den "Sachzwang" ist also mit der christlichen Vorstellung einer "Ordnung des menschlichen Zusammenlebens" identisch! Unter den Sachzwängen sind also alle "Zwänge" auf den Willen der einzelnen Beteiligten zu verstehen, die in den Regelsätzen aller Institutionen ihren Ausdruck finden, die die Menschen entwickelt haben, um ihr Verhalten nach der Logik dieser Regeln problemlösend zu richten. Der Sachzwang ist daher ein Druck auf alle, die erfolgreich und damit sittlich verantwortbar handeln wollen und kein "sog. Sachzwang", wie ihn oft solche bezeichnen, die glauben, sittlich handeln hieße dem Sachzwang zu widerstehen statt ihm zu folgen! Ein Beispiel dafür, daß z. B. die Erzielung von Gewinn nur unter kritischer Sicht behandelt wird: "Das eigentliche Ziel der Wirtschaft besteht weder in der vermehrten Produktion als solcher, noch in der Erzielung von Gewinn oder Ausübung von Macht (?), sondern im Dienst am Menschen und zwar am ganzen Menschen im Hinblick auf seine materiellen BedürfSiehe KATHPRESS-Tagesdienst Nr. 288, vom 16.12.1999, S. 12. Vgl. H. Schambeck, Zur Natur der Sache - siehe in: J. M. Schnarrer: Norm und Naturrecht verstehen, Peter Lang Verlag 1999. 9

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nisse, aber ebenso auf das, was er für sein geistiges, sittliches, spirituelles und religiöses Leben benötigt. Das gilt ausdrücklich für alle Menschen und für jeden einzelnen ... ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel der Wirtschaft" (Sozialhirtenbrief der katholischen Bischöfe Österreichs vom 15. Mai 1990 11 ). Wie soll der einzelne Unternehmer, der die Aufgabe hat, die knappen Güter so zu kombinieren, daß daraus möglichst viele Güter entstehen und die Knappheit möglichst überwunden wird (ohne daß sie als objektiver und subjektiver Begriff jemals gänzlich überwunden werden kann, es sei denn in Form nicht mehr absetzbarer Produktionsüberschüsse), ohne durch Gewinnchancen dazu veranlaßt zu werden noch durch Gewinnerzielung einen Maßstab zu haben, der ihm anzeigt, wie weit ihm diese Kombination gelungen ist! Unabsetzbare Produktionsüberschüsse z. B., die nicht durch nicht Vorausschaubare Ursachen verursacht sind, sind Vergeudung von Produktionsfaktoren, sind also erfolgloses Wirtschaften, welches sich als "negativer" Gewinn niederschlägt. Die Betonung, daß der Dienst am Menschen nicht nur seine materiellen, sondern ebenso seine geistigen, sittlichen, spirituellen und religiösen Bedürfnisse umfaßt, zeigt, daß die Autoren dieser Mahnung mit der Wissenschaft der Ökonomie wenig vertraut sind. Diese nämlich betrachtet alle diese Bedürfnisse des Menschen als subjektive Bedürfnisse, die auf entsprechende Angebote zu ihrer Befriedigung warten. Die Österreichische Grenznutzenschule hat diese als "subjektive Werte" der Nachfragenden mit subjektiv unterschiedlicher Bereitschaft bezeichnet, die dafür verlangten Preise zu bezahlen. Die Tauschpartner tauschen nicht Gleiches gegen Gleiches -da könnten sie gleich auf diesen Tausch verzichten! -ein Tausch kommt nur dann zustande, wenn jeder der Beteiligten daraus gewinnt, d. h. etwas hingibt, was ihm weniger wert ist als das, was er dafür erhält. Daß der Mensch "Urheber, Mittelpunkt und Ziel der Wirtschaft ist", stimmt sicher, um als Grundlage für die drei Folgerungen zu dienen, die der Sozialhirtenbrief der Österreichischen Bischöfe von 1990 daran knüpft, reicht aber nicht zur Beschreibung der zentralen Position "des Menschen" in der Wirtschaft. Versteht man unter Wirtschaft die Gesamtheit aller Tätigkeiten, die auf eine optimale Kombination knapper Güter gerichtet ist, dann ist das Ziel die Befriedigung der individuellen Nachfrage "des Menschen" in seiner Funktion als Konsument. Seine Verpflichtung zum erfolgreichen Wirtschaften betrifft seinen Haushalt als den Umgang mit knappem Einkommen. Die Verpflichtung betrifft "den" Menschen als Unternehmer oder als Arbeitnehmer in Produktion von Waren oder Dienstleistungen oder als 11 Herausgegeben vom Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz, Wien 1990.

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Unternehmer oder als Arbeitnehmer oder als Konsument in der Verfügung über sein Einkommen; oder als Unternehmer, Arbeitnehmer oder Konsument als Investor oder Sparer. Für die Gesamtorientierung des Wirtschaftssystems sind diese verschiedenen Funktionen des Menschen nicht gleichrangig: JM spricht von einer "Oberherrschaft des Konsumenten" Die Gegenüberstellung von "Gewinnerzielen" und "Dienst am Menschen" ist also keine wirkliche Alternative, sondern eine begriffliche Tautologie. Sie muß dem einzelnen Wirtschaftenden gar nicht zu Bewußtsein kommen und sein Gewissen daher in keiner Weise belasten. Die große Entdeckung Adam Smith' ist es ja gerade gewesen, aufzuzeigen, daß der Metzger seine Würste nicht aus Liebe zum Kunden produziert, sondern weil er damit seinen Lebensunterhalt bestreiten will. Der Umstand, daß trotz dieser naturnotwendig egoistischen Haltung in Form der allgemeinen Wohlstandssteigerung gleichzeitig "Gemeinwohl" entstanden ist, ist nicht den wirtschaftenden Menschen, sondern der Rahmenbedingung zu danken, unter welcher diese Menschen agieren, nämlich dem Wettbewerbsmarkt Mit dieser - für viele heute noch überraschenden Erkenntnis - hat die wissenschaftliche Disziplin der Ökonomik ihren Anfang genommen. In einem prominenten Dokument der Sozialverkündigung wird behauptet: "Im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens steht der Mensch, und zwar der Mensch in seiner Funktion als arbeitender."

JM hingegen argumentiert: "Der Zweck der Sozialwirtschaft ist die allseitige reichere und bessere Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse" (NR SS. 987 u. 1001). Im Mittelpunkt (Ziel) des wirtschaftlichen Geschehens steht daher der Mensch in seiner Funktion als Konsument... . Der ganze Mensch mit allen ihm in seiner menschlichen und gesellschaftlichen Natur vorgezeichneten existentiellen Zwecken ist für den Begriff des Sozialzweckes der Wirtschaft und der sozialwirtschaftlichen Produktivität bestimmend (NR 1003). Die Rentabilität eines Unternehmens ist die Voraussetzung für die sozialwirtschaftliche Produktivität (NR 1007). Sie wird daher zu einer sozialethischen Verpflichtung, weil unrentable Unternehmen eine Schädigung oder Belastung für die Volkswirtschaft (z. B. durch Vergeudung) sowie den Verlust der Arbeitsplätze für die Beschäftigten verursachen; außerdem aber zu einer individualethischen Verpflichtung, weil ein Unternehmer nur nach dem Prinzip der Rentabilität bestehen und für sich Einkommen zu schaffen vermag. Immer aber bleibt die Rentabilität an das Prinzip der sozialwirtschaftlichen Produktivität gebunden (NR S. 1008). Der Forderung nach rationalem, d.h. erfolgreichem Einsatz (z. B. zur Hebung der Produktivität!) unterliegt der Unternehmer nicht nur gegenüber

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dem unselbständigen Mitarbeiter, sondern auch gegenüber dem eingesetzten Kapital. Zusammenfassend sagt NR (S. 54 f.): "Wer irgend mit Gütern von Gott dem Herrn reichlicher bedacht wurde, seien es leibliche und äußere, seien es geistige Güter, der hat den Überfluß zu dem Zweck erhalten, daß er ihn zu seinem eigenen wahren Besten und zum Besten der Mitmenschen wie ein Diener der göttlichen Vorsehung benütze. Ist es nicht folgerichtig, wenn wir annehmen, daß die Verwendung seines Könnens zum Besten der Mitmenschen auch die Pflicht umfaßt, dieses Können dadurch zum Besten aller Mitmenschen zu verwenden, daß er beim Einsatz seines Eigentums (am Sach- und Geldkapital) und deren Kombination so erfolgreich ist, daß er daraus Wertzuwächse (im Rahmen des Wirtschaftswachstums) für sich und damit für das gesamte Volkseinkommen erwirtschaftet. Nach der Nennung der Dienste der Gesetzgebung, deren Rechtsprechung, der Verwaltung und der Gewerbetreibenden am Gemeinwohl, sagt der Papst: "Allerdings besteht das Gemeinwohl vor allem in der Pflege von Rechtschaffenheit und der Tugend, und es gehört zum Begriff sozialer Wohlfahrt, daß er die Menschen besser mache." (Zif. 27, S. 61) Nach JM aber genügt die Rechenschaft und Tugend jedes einzelnen der am z. B. Wirtschaftsprozeß Beteiligten für das Gemeinwohl nicht. Ohne die sozialen Funktionen der Institutionen wie z. B. Wettbewerbsmarkt, der Geld- und Kapitalordnung, Gewinn und Zins auf den verschiedenen Ebenen der Produktions- und der Einkommensverteilung könnte kein Gemeinwohl, verstanden als Rahmenbedingungen 12 für den Lemprozeß zu seiner Herstellung, zustande kommen. In der mangelnden Berücksichtigung der Institutionen (Sozialethik) gegenüber der Erkenntnis der großen Bedeutung der Tugendhaftigkeit (Individualethik) dürfte eine auch heute noch verbreitete Schwäche der kirchlichen Sozialverkündigung liegen. 13 Dies ist historisch bedingt. In der kirchlichen Sozialverkündigung ging es nicht um Anweisungen wie z. B. ein maximaler Gewinn wohl zustande kommen kann (z. B. durch mehr Wettbewerb, produktionssteigemde Innovationen, verbessertes Knowhow, solide Marktforschung usw.). Es ging der Kirche ausschließlich um Vermeidung negativer Auswirkungen der wirtVgl. JM: "Das Gemeinwohl. Idee, Wirklichkeit, Aufgaben, Osnabrück 2/1968 ... ". Vgl. z.B. W. Schmitz, Soziale Gerechtigkeit als Gerechtigkeit nicht durch Tugendhaftigkeit, sondern durch Institutionen, in: R. Weiler/ A. Mizunami (Hg.), Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung, Die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung, Berlin 1999, S. 11-34. Mein Beitrag zu diesem Symposium der Johannes-Messner-Gesellschaft in Brixen 1997 war durch seinen Untertitel bestimmt. 12

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schaftliehen Entwicklung auf das individuelle Seelenheil der betroffenen Menschen. "Die Kompetenz der Bischöfe scheint (nach diesen Klärungen) eine unterschiedliche zu sein. Für die Wert- und Grundorientierung wird der christliche Glaube und das christliche Ethos in Anspruch genommen. . . . Seit über hundert Jahren ist es im Selbstbewußtsein der Kirche unstrittig, daß ethisch bedeutsame Aussagen zu Politik, zur Gesellschaft und zur Wirtschaft zur Lehraufgabe der Kirche gehören. Für die Wege der Verwirklichung besitzt die Kirche jedoch keine eigene Kompetenz". Diese Unterscheidung und damit Trennung der jeweils zuständigen Kompetenz zeigt ein zunehmendes Selbstbewußtsein bzw. eine Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge und läßt in Zukunft eine weitere derartige Entwicklung erwarten. So hat z. B. der katholische Sozialethiker Manfred Spieker in seiner Stellungnahme zum Gemeinsamen Wort der römisch-katholischen Bischöfe und der Evangelischen Kirchen Deutschlands "Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" (1997) - obwohl es nach einem langen Prozeß der Diskussion und Meinungsbildung unter Fachleuten und Kirchfunktionären veröffentlicht worden ist - folgendes Resümee gezogen: "Was ist zu kritisieren? Weniger verschiedene Gewichtungen bei einzelnen Therapievorschlägen, bei denen das Papier entgegen der Ankündigung im Vorwort doch detaillierte politische oder ökonomische Empfehlungen abgibt und der Christ bei gleicher Gewissenhaftigkeit seines Glaubens auch zu ganz anderen Urteilen kommen mag, als vielmehr Verzerrungen wichtiger Leitlinien der christlichen Gesellschaftslehre. Dies gilt vor allem für die Erörterung der Probleme des Sozialstaates." 14

VI. Die christlich-humanitäre Pflicht, erfolgreich zu leben • Pflicht zur Fortsetzung eines einmal gewährten Lebens, • Pflicht zur Aufrechterhaltung, Wiederherstellung und präventivem Schutz der eigenen Gesundheit, • Pflicht zur Schaffung jener Umstände, die materielles und geistiges Leben im Dienst seiner selbst und möglichst vieler anderer möglich zu machen bzw. zu verbessern, darunter auch eine rationale Verwertung seiner Verfügung über knappe Güter (Waren und Dienstleistungen) durch optimale Kombination knapper Güter, die wirtschaftlichen Erfolg zum Aus14 M. Spieker, in: Die neue Ordnung, Heft 2-1997, S. 112-121; zitiert von H. J. Türk, Kirchliche Anfragen und Antworten zu den sozialen Problemen der Gegenwart, in: Die Neue Ordnung, Heft l-2000; S. 36 ff.

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druck bringen und man unter Wirtschaften den verantwortlichen Umgang mit knappen Gütern versteht (JM).

Die Verpflichtung in diesem Sinne eifolgreich zu leben als christliches Gebot (Macht euch die Erde untertan, Gen. 1,28). Wenn jemand wirtschaftet, dann hat er als Produzent nicht nur irgendeine Kombination knapper Waren und Dienstleistungen im Sinn oder möchte als Verantwortlicher für einen Haushalt nicht irgendeine Disposition über Einkommen treffen, dann möchte er damit die gegebene Knappheit durch Schaffung neuer Werte verringern und mit gegebenen Einkommen möglichst viele Bedürfnisse befriedigen. Je mehr ihnen dies in jedem dieser beiden Bereiche gelingt, desto erfolgreicher haben sie gewirtschaftet. Verantwortliches Wirtschaften ist daher ein erfolgreiches Wirtschaften. Das selbe hat Oswald von Nell-Breuning gemeint, als er einmal sagte, das ökonomische Prinzip, nach dem man mit knappen Ressourcen rational, also nicht verschwenderisch umgehen müsse, sei in Wirklichkeit ein ethisches Prinzip. Das hat das Institut der Deutschen Wirtschaft bei der Verleihung des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik in Köln im Jahre 1998 in Erinnerung gerufen und dem Motto "Ökonomie als ethisches Prinzip" unterstellt. 15 Trotz dieser offenbar doch sehr einleuchtenden Sicht werden nicht selten Ethik und Ökonomie als inkompatible Gegensätze verstanden, nicht zuletzt von den Kirchen. Der Marktwirtschaft mangele es an Moral, heißt es dann. Die Schlagworte zum vermeintlichen Beweis sind zahlreich: Die Rede ist von Arbeitsplatzabbau bei steigenden Unternehmensgewinnen im Zeichen des Shareholder-Value, Armut und Ungleichheit im Zuge der Globalisierung, von Turbo- und Casino-Kapitalismus durch skrupellose Finanzjongleure und allmächtige Hedge-Fonds, von Kapitalismus pur, von sozialer Kälte, vom totalen Markt, vom Terror der Ökonomie oder vom Imperialismus des Ökonomischen. Samuel Gompers, Präsident einer OS-Gewerkschaft, meinte hingegen einmal sogar: "Das größte Verbrechen des Unternehmers ist es, keine Gewinne zu machen."

15 Institut der deutschen Wirtschaft (Hg.); Ökonomie als ethisches Prinzip; Köln 2000; s. 11.

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VII. Von der Unentbehrlichkeit der Sozialökonomik für die Sozialethik bei JM zu den Iusta Autonomia des Zweiten Vatikanums Ist die heutige Sicht der Gesellschaft, nicht als Masse von Individuen, sondern als Zusammenleben der vielen einzelnen Menschen in Systemen, Subsystemen und Institutionen nicht ein erfolgversprechender Weg, Gesellschaft schlechthin als Arbeitsteilung zwischen solchen Einheiten zu begreifen und damit Sozial- und Solidaritätsbewußtsein wieder neu zu wecken? Und zeigt das nicht auch die hilfreiche Tragweite, die unterschiedlichen Dimensionen von Individualethik und Sozialethik (im Wege der Funktion der Institutionen) verständlich zu machen? Johannes Messner hat an die auch damals schon innerhalb der Kirche entwickelte Vorstellung der relativen Autonomie der Kulturbereiche angeknüpft, die zwar auch in der kurz nach seiner Habilitationsschrift erschienenen Enzyklika Quadragesimo anno (1931) zum Ausdruck gekommen ist, aber doch erst dann im Zweiten Vatikanischen Konzil (1965) mit der ausdrücklichen Anerkennung der " richtigen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten" voll und ganz kirchenamtlich akzeptiert worden ist. Diese besagt, "daß die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaft ihre eigenen Gesetze und Werte haben." Diese Eigengesetzlichkeit und diese ihre eigenen Ordnungen ("das ihnen eigene Gute"!) muß der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methoden achten (Gaudium et spes, 36). Die Bedeutung dieses Schrittes hat Anton Losinger in einer sehr gründlichen Studie zu diesem "Schlüsselbegriff des II. Vatikanischen Konzils" 16 gut herausgearbeitet: "Die allgemeine Reflexion des Prinzips ,rechte Autonomie der irdischen Wirklichkeiten' wie sie in Artikel 36 theologisch-systematisch entfaltet ist, korrespondiert in der Gesamtkonzeption des Textes inhaltlich mit der konkreten Anwendung dieses Prinzips auf die in der Konstitution diskutierten Sachgebiete: Autonomie der Politik (Art. 43; 76), Autonomie der Wissenschaft und Kultur (Art. 36; 59), Autonomie der Kunst (Art. 62) und der Wirtschaft (Art. 64) und markiert in einer für die Methodik bisheriger konziliarer Dokumente absolut ungewöhnlichen Weise eine neue, inhaltlich auf die konkreten Problemgebiete der ,heutigen Welt' bezogene ,pastorale' Stellungnahme der Kirche." (S. 13 f.) Die heute oft erschreckende Uninformiertheit und Leichtfertigkeit, mit der häufig gerade bewundernswert sozial Engagierte mit schwierigen gesellschaftlichen Problemen umgehen, legt es nahe, ein weiteres Grundprinzip deutlicher als bisher herauszustellen: Den (nur scheinbar so selbstverständ16 A. Losinger, "Iusta autonomia." Studie zu einem Schlüsselbegriff des Il. Vatikanischen Konzils, Paderbom 1989.

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liehen) Grundsatz, daß man über Probleme kein Urteil fallen und zu ihrer Lösung keine Vorschläge machen soll, die man nicht ausreichend versteht. Der Vorschlag, neben den bisher im historischen Lernprozeß entwickelten Prinzipien der Personalität, der Solidarität, der Subsidiarität, des Gemeinwohls und der Partizipation, das Prinzip der ausreichenden Sachkenntnis auch als ein grundlegendes Prinzip anzuerkennen, welches - wie im Falle der bisher genannten Prinzipien - ebenfalls ein unentbehrlicher Ausgangspunkt (und daher ein "Prinzip"!) 17 ist. Dieser Vorschlag ist auch schon auf positiven Widerhall gestoßen. 18 Die Erkenntnis Johannes Messners über die Unentbehrlichkeit der Sozialökonomik für die Sozialethik und über die Notwendigkeit der Kenntnis der richtigen Eigengesetzlichkeiten der einzelnen Kulturbereiche sind auch die Wurzeln des Prinzips der ausreichenden Sachkenntnis (der ausreichenden Informiertheit). Den Vorrang des ausreichenden guten Wissens vor dem guten (ethischen) Wollen hatte schon Aristoteles in die einsichtigen Worte gekleidet: "Wer einen Knoten lösen will, muß wissen, wie er geknüpft wurde." 19 Die von Messner postulierte tragende Bedeutung der analytischen Wissenschaften für die Sozialethik hat vor mehr als 70 Jahren vorweggenommen, was heute zu den jüngsten Ergebnissen dieses Forschungsbereiches gezählt wird: Die ökonomische Analyse und die Moralphilosophie (synonym mit philosophischer Ethik) zeigt nicht nur, wie die Kenntnis der Moralphilosophie die ökonomische Analyse verbessern kann, sondern auch wie die Moralphilosophie gewinnen kann, wenn sie sich auf die Einsichten und analytischen Instrumente der Wirtschaftswissenschaften stützt.

17 W. Schmitz, Das Prinzip der ausreichenden Sachkenntnis. Voraussetzung für die gesellschaftsgestaltende Kraft der Kirche, in: Gesellschaft und Politik, Zeitschrift für soziales und wirtschaftliches Engagement (Zeitschrift des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform - Dr. Karl Kummer-Institut) 4/92; S. 17-19; Ders. Das Prinzip der ausreichenden Sachkenntnis. Grundlegende Anmerkungen zum Konsultationsprozeß der Kirchen, in: BKU-Rundbrief (des Bundes Katholischer Unternehmer), Köln 111997; S. 15. 18 So z.B. in: V. Zsifkovits, Wirtschaft ohne Moral? Innsbruck, Wien 1994; s. 23 f. 19 Aristoteles, Metaphysik.

Erfolgreich Wirtschaften - ein sittliches Postulat

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Neuere Literatur zum Thema Peter L. Berger (ed.): The Capalist spirit: toward a religious ethic of wealth creation, ICS Press San Francisco 1990.

Fortschritt als Aufgabe. Für nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist ein gerüttelt Maß an Strukturwandel unvermeidlich/Immer wieder eine Neue Ökonomie entstehen lassen. Von Herbert Giersch, in: FAZ Nr. 303, vom 30. Dez. 2000; S. 15. Freiheit als das Recht zur langfristigen Bindung (an Regeln - Institutionen). Der Vorrang und Vorbehalt des Vernünftigen. Von Prof. Dr. Paul Kirchhof, in FAZ Nr. 303, vom 30. Dez. 2000; S. 8. Fromm und erfolgreich? Werteorientierte Unternehmungsführung. Verlag Herder 2000. Chiara Lubich: Die Welt wird eins, Franca Zambonini im Gespräch mit der GründeTin der Fokolar-Bewegung, Neue Stadt - Verlag München/Zürich/Wien 3. Aufl. 1998. (plus Kathpress Tagesdienst, Nr. 172, vom 28.7.2000, S. 10).

Ökonomie als ethisches Prinzip. Motto, welches das Institut der Deutschen Wirtschaft bei der Verleihung des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik in Köln im Jahre 1998 in Erinnerung gerufen. Institut der Deutschen Wirtschaft (Hg.): Ökonomie als ethisches Prinzip, Köln 2000, S. 11 .

Wertmaßstäbe der Wirtschaft im Dialog mit Job. Messner und der christlichen Theologie Von Karl-Heinz Peschke

Die Wirtschaft ist von grundlegender Bedeutung für die materiellen Bedingungen des menschlichen Lebens. Unvermeidlich wirft sie als solche wichtige soziale und ethische Fragen auf. Die Wirtschaft ist "einer der wichtigsten Bereiche" - schreiben die US-amerikanischen Bischöfe in ihrem Pastoralbrief zu dieser Frage - "in denen wir unseren Glauben leben, unseren Nächsten lieben, der Versuchung widerstehen, Gottes Schöpfungsplan erfüllen und unsere Heiligung vollenden". 1 Viele Männer und Frauen üben sie aus in der Fabrik, auf dem Feld, im Büro oder Geschäft, und alle sind von ihr abhängig. Das Leben ist sehr weitgehend von den vielen Weisen der wirtschaftlichen Tätigkeit betroffen. Die mit ihr zusammenhängenden Fragen haben Bedeutung für alle von uns. Die klassische Definition der Wissenschaft von der Wirtschaft ist "das Studium der Allokation knapper Ressourcen zur Erzielung alternativer Zwecke". Doch nicht jegliche Zwecke sind rechtens Gegenstand wirtschaftlichen Handelns, etwa Pornographie oder Produktion von Drogen. Hier kommen moralische Bewertungen ins Spiel. Nicht zuletzt zeigt sich bei den Vertretern der Wirtschaftswissenschaften selbst ein zunehmendes Bewußtsein, daß auch dieser Bereich menschlichen Handeins der ethischen Orientierung bedarf. Dieser Forderung trägt Johannes Messner Rechnung, wenn er Wirtschaft definiert als die "bestmögliche Verwendung der knappen Mittel im Dienste der mit den existentiellen Zwecken gestellten Aufgaben"? Die Wirtschaft ist danach an eine Ordnung von übergeordneten Zwecken verwiesen, die zu erreichen sind. Insofern Messner diese Zwecke in der Natur des Menschen vorgezeichnet sieht, nennt er sie existentielle Zwecke. Darauf ist später nochmals zurückzukommen. Wertmaßstäbe sind Kriterien, die der wirtschaftlichen Tätigkeit ihre grundlegende Orientierung geben. Wert im umfassendsten Sinn ist eine Realität, deren Existenz, Erhaltung, Erwerb oder Förderung wünschenswert 1 Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von Amerika: Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle (Bonn 1986. Stimmen der Weltkirche 26), Einführung Nr. 6. 2 Das Naturrecht (Berlin 7 1984), 982 f.

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erscheint, die also ein Gut darstellt. 3 Wertmaßstäbe jedoch ergeben sich aus jenen Werten, die Zwecke und Ziele des Handeins identifizieren. Sie werden zu Orientierungsstandards und wirken normierend für die Personen, die sich zu ihnen bekennen und unter ihnen handeln. Höchste Werte haben entsprechend den Charakter von obersten Zwecken und Zielen. 4 Als Wert gilt aber auch, was im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel nützlich ist. Letztere Art von Werten werden als Dienstwerte bezeichnet (etwa materieller Besitz) gegenüber den Zielen des Strebens, die als Selbstwerte bezeichnet werden (etwa die Entfaltung der Person, Wissen, Tugenden wie Wahrhaftigkeit). Dabei werden die höheren Werte zu Kriterien des angemessenen Gebrauchs und der sinnvollen Verwirklichung der untergeordneten Werte. Eine andere Einteilung unterscheidet zwischen Urwerten und abhängigen Werten. 5 Die Urwerte ergeben sich aus den menschlichen Urbedürfnissen, wie Lebenserhaltung, Fortpflanzung, Schutz vor Gefahren. Abhängige Werte demgegenüber sind jene, die bei der Verwirklichung der höheren Ziele lediglich behilflich sind, wie Besitz und Wissen, Institutionen und Ämter. 6 Die erstge3 "Der Wert als philosophischer Begriff wird als das bestimmt, was erstrebenswert, liebenswert ist (oder ein Objekt dazu macht), was der Anerkennung, Bewunderung würdig ist, wodurch Hochschätzung oder Achtung bewirkt werden, oder als das, was im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel nützlich ist" (Art. "Wert" in Herders Theologisches Lexikon, Bd. 8, hg. von Karl Rahner, Freiburg 1973, 159). 4 Siehe Art. "Wert" in Staatslexikon, Bd. 5, Freiburg 7 1989, 964. 5 Siehe dazu die beachtenswerte Studie von Walter Holzhausen, Woran soll ich mich halten? Auf der Suche nach verbindlichen Werten (Mainz 1997), 47-80. Zu den Urwerten gehören nach dem Autor Erhaltung der Gruppe, Eingebundenheit in die Familie/Gruppe, Freundschaft und Kameradschaft, erste kultische Werte. Abhängige Werte andererseits sind hierarchische Strukturen, Wohnstätte, Hausrat, Waffen und Schmuck, Sitten und Gebräuche, kultische Geräte usw. Selbstverwirklichung rechnet der Autor nicht zu den Urwerten, sondern zu den Kultur- und Zivilisationswerten, zu denen weiters soziale Gerechtigkeit, Gesundheit, Naturschutz usw. gehören (siehe S. 51). 6 Erwähnung verdient auch die Diskussion über die Grundwerte. Sie hat ihren Ursprung im Godesberger Programm der SPD von 1959, wo der Ausdruck zum ersten Mal vorkommt. Grundwerte benennen wesentliche Grundlagen und Grundbedingungen menschlichen Zusammenlebens. Die am häufigsten genannten Grundwerte sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Doch werden unterschiedlich noch viele andere genannt: als Grundwerte ethischer Natur werden genannt: Würde der menschlichen Person, Solidarität, Gemeinwohl, Subsidiarität, Ehe und Familie, Gut und Ehre des Menschen, Liebe, Wahrheit, Schönheit, Treue, Frieden; als Grundwerte rechtlicher Natur werden aufgeführt: Menschenwürde, Toleranz, Demokratie, Menschenrechte, Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, die Gewaltenteilung, Gleichheit und andere. Siehe hierzu die Monographie von Gottlieb Brunner, Grundwerte als Fundament der pluralistischen Gesellschaft. Eine Untersuchung der Positionen von Kirchen, Parteien und Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland (Freiburg 1989), hier besonders 112 f., 118 und 122. Die Aufzählung zeigt, daß der Begriff nicht präzise Konturen hat und sehr verschiedenen Interpretationen unterliegt.

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nannte Einteilung von Selbstwerten und Dienstwerten ist in der Tat nicht völlig eindeutig. Denn grundlegende Werte, die unter einer Rücksicht als Selbstwerte erscheinen, können unter einer anderen Rücksicht selbst wieder Dienstwerte sein, wie z. B. das Wissen oder die Tugend. Absoluter Selbstwert ist nur die letzte Bestimmung und das letzte Ziel des Menschen. Das ist zugleich das letzte Kriterium für die rechte Wahl und die sinnvolle Verwirklichung aller anderen Werte. Der Beitrag legt zuerst einige Reflexionen über unzulängliche Auffassungen vom Sinn der Wirtschaft vor. Daran schließen sich Überlegungen zu den Nahzielen der Wirtschaft an, die da sind: die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse, das Gemeinwohl und die existentiellen Zwecke. Eine Frage von grundlegendem Gewicht betrifft das letzte Ziel als den höchsten Wertmaßstab des rechten Handelns. Den Abschluß bilden Gedanken zur Wegweisung durch die Führung von Gottes Geist. Besondere Aufmerksamkeit soll im Kontext dieses Symposions dem Beitrag Johannes Messners zu den hier zu behandelnden Fragen geschenkt werden. I. Unzulängliche Auffassungen und Theorien

Wirtschaftswissenschaftler haben häufig ethische Überlegungen im Bereich ihrer Wissenschaft als unerwünschte Eindringlinge und Usurpatoren zurückgewiesen. Die Wirtschaftswissenschaft, so sagen sie, ist eine Wissenschaft eigenen Rechtes, genau wie die Biologie oder die Medizin. Ihre Aufgabe ist das Studium der Gesetze, die eine optimale Mittelkombination zur Maximierung der Erträge bei minimaler Nutzung knapper Ressourcen ermöglichen. Bei der Lösung dieser Aufgabe hat die Wirtschaftswissenschaft ihre eigene wissenschaftliche Autonomie und ist unabhängig von moralischen Rücksichten. Tatsächlich spricht das II. Vatikanum von den "arteigenen Verfahrensweisen und Gesetzmäßigkeiten" der wirtschaftlichen Tätigkeit.7 Bei der Erforschung und Erarbeitung dieser Methoden und Gesetzmäßigkeiten kann die Wirtschaftswissenschaft Autonomie beanspruchen. Die richtige Anwendung dieser Gesetzmäßigkeilen auf die Herstellung eines bestimmten Produktes ist keine Frage der Moral, sondern der technischen Kompetenz und des Sachverstandes. Wenn diese Kompetenz eine moralische Dimension hat, dann besteht sie in der Forderung, daß die für die Wirtschaft Verantwortlichen über das bestmögliche Fachwissen verfügen. 8 7

Pastoralkonstitution Die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et Spes),

Nr. 64.

8 Wolfgang Schmitz spricht vom "Prinzip der ausreichenden Sachkenntnis", das die anderen für die Ordnung der Gesellschaft grundlegenden Prinzipien der Solidari-

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Es darf jedoch nicht - wie Messner feststellt - zu einer "Verabsolutierung der Eigenzwecke (der Eigengesetzlichkeit) einzelner Kulturgebiete" kommen, wie denen der Technik oder Wirtschaft. "Die Vollwirklichkeit der Kultur ist [.. .] durch die Bindung an die sittliche Wertordnung bedingt". 9 Persönliche Verantwortung fließt auch in die Wahl des herzustellenden Produktes ein. Zugegeben, wenn die Wahl des Produktes getroffen ist, finden die Gesetze wirtschaftlicher Tätigkeit unabhängig von moralischen Rücksichten Anwendung. Aber ein Unternehmer kann frei wählen zwischen der Produktion guter Unterhaltung oder Pornographie, dem Verkauf von Drogen oder Medikamenten, beschönigender Werbung für ambivalente Produkte (etwa Zigaretten) oder sachgerechte Information. Das ist eine freie, moralische Entscheidung, für die eine Person verantwortlich ist. Meistens jedoch ist das zur Produktion auserwählte Produkt nützlich und der Gemeinschaft dienlich. Schließlich ist die Mehrzahl der Verbraucher nur an solchen Produkten interessiert. Der Unternehmer soll sie gleichzeitig preisgünstig und gewinnbringend herstellen; preisgünstig, damit möglichst viele Menschen sie kaufen können; gewinnbringend, damit das Unternehmen überleben und weiter wachsen kann. In einem gewissen Sinne ist also der Gewinn das Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit. Für den wirtschaftlichen Liberalismus ist die Maximierung des Gewinns sogar das oberste Ziel erfolgreicher Unternehmensführung. Die Wirtschaftswissenschaften lehren die Methoden und Gesetze, nach denen man dieses Ziel erreicht, und dies - dem liberalen Kapitalismus zufolge unbeeinflußt von anderen, der Wirtschaft externen Werten. Wirtschaft muß autonom ihren eigenen Gesetzen folgen. Doch ohne es recht zu merken, haben die nüchternen Vertreter des Kapitalismus eine utilitaristische Ideologie zu ihrem Wertsystem gemacht mit all den Aporien und Defiziten eines derartigen Systems. Gewinnmaximierung als höchstes Kriterium bietet keine Schranke gegen die Produktion von schädlichen Produkten wie den oben erwähnten. Sie ist "keine Garantie dafür, daß gute Ware zu guten Bedingungen geliefert wird". 10 Und bei einem Überangebot an Arbeit vermag sie keinen gerechten Lohn zu sichern. Die Kirche - und viele andere mit ihr - hat das Theorem abgelehnt, wonach die fundamentale Sinnhaftigkeit wirtschaftlicher Tätigkeit "in Erzielung von Gewinn oder Ausübung von Macht" besteht. 11 Wenn auch ein Untät, Subsidiarität und des Gemeinwohls ergänzen müsse ("Die Unentbehrlichkeit der Sozialökonomik für die Sozialethik", in Johannes Messner- ein Pionier der Institutionen und Systemethik, hg. von demselben. Berlin 1999, 92). 9 Die Soziale Frage (lnnsbruck 6 1956), 661. 10 Peter lnhoffen, "Wahre und falsche Bedürfnisse", in Vom Ethos zur Ethik (Grazer Theologische Studien Bd. 22, 1999), 389-407, hier 392. 11 Die Kirche in der Welt von heute, a. a. 0. Nr. 64.

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ternehmen, um zu überleben und sich zu entwickeln, gewinnbringend arbeiten muß und wenn auch das Streben nach einem angemessenen Gewinn legitim bleibt, kann der Gewinn nur ein Sekundärzweck des Unternehmens sein. Wäre er sein primärer Zweck, so würde er unvermeidlich viel Mißbrauch und Ungerechtigkeiten im Gefolge haben, wie es die Erfahrung reichlich belegt. 12 Güter sollen nicht nur gewinnbringend, sondern auch preiswert hergestellt werden, so wurde oben bemerkt, und das, damit möglichst viele Menschen sie erwerben können. Diese Forderung führte zu dem Grundsatz der Maximierung des Sozialproduktes (einschließlich der Löhne und Einkommen), der gleichermaßen von Formen des Sozialismus wie vom Liberalismus aufgestellt wird. Diesem Grundsatz zufolge ist nur jene wirtschaftliche Betätigung ökonomisch sinnvoll, die den höchsten wirtschaftlichen Ertrag erbringt. Aber auch ein solches Ziel ist als letzte Sinngebung der Wirtschaft fragwürdig. "Wenn die Maximierung des Sozialproduktes zu einer Gefahrdung höherer Kulturwerte führt, so ist sie eben nicht mehr sinnvoll." 13 Die Erwerbsarbeit von Müttern kleiner Kinder vergrößert zwar das quantifizierbare Sozialprodukt, doch geschieht das auf Kosten wichtiger immaterieller Werte. Ebenso wird die durchlaufende Produktion an Sonntagen das Sozialprodukt erhöhen, aber auch hier auf Kosten des immateriellen Wertes der Sonntagsheiligung. Produktion ungeachtet der Folgen für die Umwelt verbilligt und mehrt zwar die Wirtschaftsgüter, aber mit Verlusten für das Gemeinwohl auf weite Sicht. Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Ziel der Wirtschaft weder in bloßem Profit noch in der Maximierung des Sozialproduktes oder der materiellen Wohlfahrt möglichst vieler Menschen besteht. Es sind dies Kriterien einer utilitaristischen Denkart, die einer gründlichen Prüfung im Lichte der Forderungen einer universalen Gerechtigkeit und des christlichen Glaubens nicht standhalten.

12 Ein Beispiel für einen derartigen Mißbrauch ist der Skandal von 1988 um die Ablagerung giftiger Abfallstoffe aus Europa in afrikanischen Ländern, die dafür nicht vorbereitet waren, die sie aber unter dem Druck finanzieller Sorgen z. T. zu dem lächerlichen Preis von $ 2,5 pro Tonne übernahmen. Einige der Abfallstoffe sind hochgiftig für Mensch und Natur und fordern für ihre Neutralisierung enorme Summen. 13 P. H. Werhahn, Die moralische Bewältigung des wirtschaftlichen Fortschritts (Köln 1964), 5.

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II. Befriedigung der materiellen Bedürfnisse und Gemeinwohl

Für die katholische Soziallehre ist es eindeutig, daß die Wirtschaft im Dienste des Menschen stehen muß und nicht umgekehrt der Mensch im Dienste der Wirtschaft. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt: "Die fundamentale Zweckbestimmung dieses Produktionsprozesses besteht [. . .] im Dienst am Menschen, und zwar am ganzen Menschen im Hinblick auf seine materiellen Bedürfnisse, aber ebenso auch auf das, was er für sein geistiges, sittliches, spirituelles und religiöses Leben benötigt. Das gilt ausdrücklich für alle Menschen und für jeden einzelnen, für jede Gruppe, für Menschen jeder Rasse und jeden Erdteils.'d 4 Die amerikanischen Bischöfe greifen diesen Gedanken mit der prägnanten, kategorischen Aussage auf: "Wir beurteilen jedes Wirtschaftssystem danach, was es für die Menschen leistet und an ihnen bewirkt und wie es die Teilnahme aller an ihm ermöglicht. Die Wirtschaft muß dem Menschen dienen und nicht umgekehrt." 15 Insofern die Wirtschaft anderen, höheren Zielen dient, ist sie "weder das einzige noch das höchste Ziel des Menschen und der Gesellschaft. Sie muß sich vielmehr in die «rechte Stufenordnung der Ziele» an der ihr zukommenden Stelle einordnen"16. Höher stehen die Würde und die Freiheit des Menschen, kulturelle Werte, Religion und Sittlichkeit und Gottes universaler Plan für die Welt. Der unmittelbare Zweck der Wirtschaft ist die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen: die Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Wohnung, Transport, Werkzeugen, Maschinen usw., und zwar auf einer stabilen und dauerhaften Basis. Aber auch nicht-materielle Güter werden von der Wirtschaft bereitgestellt, z. B. Informationen durch die Massenmedien und Rechtsberatung durch Anwaltskanzleien. In allen Fällen geht es in der Wirtschaft um die Befriedigung der zeitlichen Bedürfnisse des Menschen. Dieses Ziel ist auf eine Weise anzustreben, die es allen Menschen ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben zu leben. Damit stellt sich die Frage, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht und welche Bedürfnisse es verdienen, befriedigt zu werden. Ein Leben in Drogenabhängigkeit ist nicht menschenwürdig, und das Verlangen nach harten Drogen ist kein Bedürfnis, das Befriedigung verdient. Die Antwort auf diese Frage trägt auch dazu bei, das Wesen der wahren Ziele der Wirtschaft zu definieren. Die Kirche in der Welt von heute, Nr. 64. Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von Amerika: Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle, Einführung Nr. 13. 16 J. Kard. Höffner, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik (Bonn 1985), 26; s. ebenso Johannes XXIII., Materet magistra, 1961 , Nr. 246. 14 15

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Das II. Vatikanische Konzil wurde bereits bezüglich seiner Forderung zitiert, daß die Zweckbestimmung des Produktionsprozesses der Dienst am Menschen ist, im Hinblick auf seine "materiellen Bedürfnisse, aber ebenso auch auf das, was er für sein geistiges, sittliches, spirituelles und religiöses Leben benötigt." 17 Eine Wirtschaft im Dienste der wahren Bedürfnisse der Menschen ist eine Wirtschaft im Dienste des Gemeinwohls. Alle wirtschaftlichen Unternehmungen müssen auf die eine oder andere Weise zur Verwirklichung dieses Zweckes als ihrem übergeordneten Ziel beitragen. Das Gemeinwohl ist als die Summe jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens beschrieben worden, die den Menschen gestatten, ihre eigene Vervollkommnung und die ihnen gesetzten Ziele ungehinderter und voller zu erreichen. 18 Bei solchen, dem Leben der Bürger förderlichen Bedingungen denkt man spontan an Schulen, Hospitäler, soziale Einrichtungen, die Energieversorgung, das Straßennetz usw. Doch darf der Fortschritt nicht zu sehr in Institutionen, Organisationen und Technik gesehen werden. Das Gemeinwohl besteht letztlich in Gütern und Werten, die in den Mitgliedern der Gesellschaft zur Verwirklichung kommen. Echter Fortschritt besteht vor allem in größerer materieller Sicherheit, einer gesunden physischen und geistigen Verfassung der Gesamtgesellschaft, einer angemessenen Bildung und Ausbildung ihrer Glieder, Arbeitsplätzen für alle, günstigen Bedingungen des religiösen und kulturellen Lebens, sozialer Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit der Menschen. Auch diese in den Gliedern der Gesellschaft verwirklichten Güter und Werte gehören zu den Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die es den Menschen ermöglichen, ihre Vervollkommnung und die ihnen gesetzten Ziele besser zu erreichen. "Dienst an der Allgemeinheit und Verantwortlichkeit in diesem Sinne" ist für J. Messner eine sozialethische Pflicht des Unternehmers. "Denn darüber besteht heute wohl keine Meinungsverschiedenheit mehr, daß die ausschließliche Verfolgung der privatwirtschaftliehen Rentabilitätsinteressen durchaus sich nicht deckt mit der volkswirtschaftlichen optimalen Produktivität. Schon die Unzulässigkeit eines Raubbaues an den Gütern der Natur, auch wenn sie in Privatbesitz sind, erhält aus diesem Gesichtspunkt des Dienstes an der Allgemeinheit eine Beschränkung [... ]; noch mehr ist vom Gesichtspunkt des Dienstes an der Allgemeinheit der Raubbau an den Arbeitskräften abzuweisen." 19 Es gibt eine ethische Verpflichtung des Eigentums. "Konnte aus der liberalen Doktrin das Recht des Eigentums in ein absolut freies Recht der Verwendung umgedeutet werden und in der Wirklichkeit dementsprechend der Besitz mißbraucht werden, so muß die sittli17

18 19

Die Kirche in der Welt von heute, Nr. 64. Siehe Die Kirche in der Welt von heute, Nr. 74. J. Messner, Sozialökonomik und Sozialethik (Paderbom 1927), 65.

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ehe Gemeinschaftsverpflichtung des Eigentums von der Sozialethik gezeigt, klar und tief ins Sozialbewußtsein eingesenkt und so in der Wirklichkeit der Wirtschaft zur Geltung gebracht werden. " 20 Messner folgert daraus insbesondere die Pflicht des Besitzes, durch Schaffung von Arbeitsgelegenheiten dem Gemeinwohl zu dienen. Das Gemeinwohl darf ferner nicht nur in kurzfristigen Vorteilen für die lebende Generation gesehen werden, sondern schließt auch die Zukunft der Gesellschaft mit ein. Deshalb muß die Wirtschaft auch die Folgen ihrer Tätigkeit für die Umwelt mit berücksichtigen, wie eben von Messner angesprochen. Raubbau darf dabei nicht nur im eigenen Land untersagt sein, er ist es ebenso bei den Partnern im Ausland. Es gibt ein Weltgemeinwohl, das uns alle veranlassen muß, diese Erde als Wohnstatt für die Menschheit zu erhalten und darüber hinaus das Wohl der Menschen auch jenseits der eigenen Landesgrenzen zu fördern. Bedürfnisse, die mit dem Gemeinwohl in Konflikt stehen, dürfen von der Wirtschaft nicht befriedigt werden. Erst recht dürfen sie nicht aus Gewinnsucht künstlich geschaffen werden. 111. Die existentiellen Zwecke Das Gemeinwohl soll den Menschen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen, denen sie selbst nicht oder nicht gut genug nachkommen können. Seine Funktion ist deshalb subsidiär und komplementär. Daraus folgt, daß das Gemeinwohl kein Selbstzweck ist. Es steht im Dienste noch höherer Ziele. Für Johannes Messner sind diese höheren Ziele die existentiellen Zwecke der Menschen. "Das Gemeinwohl [besteht] in der Hilfe für alle Gesellschaftsglieder bei der Erfüllung der ihnen durch die existentiellen Zwecke zugewiesenen Lebensaufgaben."21 Diese Zwecke sind folglich auch die höheren Ziele wirtschaftlicher Tätigkeit. Sie sind nach Messner die folgenden? 2 - Selbsterhaltung, einschließlich körperlicher Unversehrtheil und gesellschaftlicher Achtung; - Selbstvervollkommnung, einschließlich der Erweiterung des Wissens und der Verbesserung der Lebensbedingungen; - Fortpflanzung durch Paarung und Kindererziehung; - wohlwollende Anteilnahme an der Wohlfahrt der Mitmenschen; - gesellschaftliche Verbindung zur Förderung des allgemeinen Nutzens;

20 21 22

Ebd. 67.

J. Messner,

Ebd. 42.

Das Naturrecht, 1984, 195; vgl. 189 f.

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- die Kenntnis und Verehrung Gottes und Vereinigung mit ihm; oder Messners Formulierung hier etwas erweiternd - Hingabe an das Gute in seiner absoluten, transzendenten Form (darin eingeschlossen die Verehrung Gottes). Messner legt hier einen bedeutsamen Katalog grundlegender Zwecke und Werte der menschlichen Existenz vor. Die Bedeutung dieses Katalogs liegt darin, "daß in den «existentiellen Zwecken» eine unverkürzte Sicht der universal gültigen, d. h. natürlichen Dimensionen des Menschlichen vorgegeben ist", die einen "unverrückbaren Orientierungsrahmen" für das menschliche Handeln bilden. 23 Zu Recht ist Messner überzeugt, daß diese Aufstellung mit allgemeiner Zustimmung rechnen kann. Die existentiellen Zwecke finden sich in der Natur des Menschen vorgezeichnet und gründen in ihr. Sie sind beständige Formen der Erfahrungswelt und des sittlichen Bewußtseins der Menschen, mögen auch im einzelnen die Akzente verschieden gesetzt werden. Sofern es sich allerdings bei den existentiellen Zwecken um mehrere unterschiedliche Zwecke handelt, können Situationen entstehen, in denen zwei oder mehrere von ihnen kollidieren, aber nur einer erfüllt werden kann. So mag z.B. der existentielle Zweck der Selbsterhaltung in einer Situation der nationalen Verteidigung in Konflikt mit der Förderung des allgemeinen Nutzens geraten; der Zweck der Selbstentfaltung (etwa im beruflichen Bereich) kann mit der Verantwortung für die Erziehung der Kinder kollidieren; das Gut der Ehe kann zum Hindernis für die Sorge um das geistige und materielle Wohl der Mitmenschen werden. Wie können solche Konflikte gelöst werden? Nach welchem Kriterium werden die Prioritäten der verschiedenen Zwecke geordnet? Nach Messner ist in diesem Fall der in einem Zweck verkörperte höhere Wert vorzuziehen. 24 Doch welcher ist der jeweils höhere Wert, etwa bei der Alternative Selbsterhaltung/Selbstentfaltung gegenüber dem Gemeinwohl oder der Alternative Fortpflanzung durch Gründung einer Familie gegenüber dem zölibatären Stand? Hier bleiben Fragen offen. Es bedarf eines entscheidenden letzten Wertmaßstabes, an Hand dessen im Falle von Wert23 Ingeborg Gabriel, "Eigeninteresse und Moral", in Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?, hg. von W. Schmitz und R. Weiler (Berlin 1994), 105122, hier 116. Der Artikel bietet eine ausgewogene Darstellung zur Frage. 24 J. Messner, Das Naturrecht, 1984, 53. Messner bietet in diesem Zusammenhang noch andere Hinweise zur Lösung von Pflichtenkollisionen, bei denen es aber nicht um den Verzicht auf einen der existentiellen Zwecke überhaupt geht, sondern um die zeitlich vorrangige Erfüllung eines Zweckes gegenüber einem anderen (z. B. notwendige Erholung gegenüber weiterer Arbeit, welche später wieder aufgenommen werden kann), oder um die Unterlassung nur einer bestimmten Erfüllungsweise eines existentiellen Zweckes (z. B. Unterlassung eines Gottesdienstes um der Pflege eines kranken Kindes willen), ohne daß damit der betreffende existentielle Zweck (die Gottesverehrung) insgesamt beeinträchtigt wird.

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konflikten eine Entscheidung getroffen werden kann. Und dieser Wertmaßstab kann nur einer sein, da im Falle von zwei höchsten Wertmaßstäben es wiederum an einem Kriterium zur Entscheidung von Kollisionen zwischen den beiden Werten fehlen würde. Messner räumt der Selbstvervollkommnung oder Selbstverwirklichung verbunden mit dem des Eigeninteresses einen sehr bedeutenden Platz ein. Dem sei im folgenden nachgegangen.

IV. Selbstverwirklichung als fundamentaler existentieller Zweck

Selbstverwirklichung, Selbstvervollkommnung, Selbstentfaltung ist einer der existentiellen Zwecke. Es ist einer unter mehreren. Häufig wird ihm unter den anderen Zwecken ein bevorzugter Platz eingeräumt. Auch verschiedene Aussagen Messners rücken ihn in die Nähe eines höchsten Zwekkes des menschlichen Strebens. Mit der Verantwortung des Menschen für seine Selbstverwirklichung - so schreibt Messner in der Kulturethik ( 1954) - "besitzt der Mensch die ihn [...] auszeichnende Stellung eines Selbstzwecks, eine Stellung, die ihm auch zukommt in der ganzen Erstreckung seines Seins durch alle gesellschaftlichen Bereiche hin. Der Mensch ist von der Gesellschaft bei der Erfüllung der ihm als Persönlichkeit gestellten Aufgaben abhängig, jedoch als Aufgaben der Persönlichkeit kann er sie nur in Selbstbestimmung und daher in Selbstverantwortung erfüllen, so daß der Gesellschaft nur eine Hilfestellung zukommen kann"?5 Selbstverwirklichung ist "die schöpferische Draufgabe" des Menschen, heißt es an anderer Stelle in der Kulturethik. 26 Selbstverwirklichung ist die Wurzel der menschlichen Uranlage des Interesses, so im Katholischen Soziallexikon von 1980.27 Entsprechend muß die Auslegung der Grundwerte "mit dem Blick auf das erfolgen, was der Mensch für seine Selbstverwirklichung braucht, nämlich welche seelischen und leiblichen, geistigen und kulturellen Bedürfnisse befriedigt werden müssen". 28 Zu wiederholten Malen erkennt Messner der menschlichen Person Selbstzweck zu?9 Dem entspricht, wenn "die Menschenwürde als Höchstwert und Maßstab für die Ge25 J. Messner, Kulturethik (lnnsbruck 1954, Nachdruck Wien/München 2001), 177 f. So auch S. 334: eine Ethik der Kultur habe "im Eigenwert der sittlichen Persönlichkeit ihr oberstes Gesetz zu sehen". 26 Ebd. 218. 27 "Das Interesse als Uranlage des Menschen, wirksam unter den jeweiligen gesellschaftlichen Voraussetzungen, hat seine Wurzel darin, daß der Mensch wie alle Lebewesen nach Selbstverwirklichung strebt [... ] Weil mit der Selbstverwirklichung verbunden, ist die ursprünglichste Äußerung des Interesses die Selbstliebe" (Artikel "Interesse", Katholisches Soziallexikon, hg. von A. Klose, W. Mantl und V. Zsifkovits. Innsbruck 1980, 2. Auf!., 1190-1200, hier 1193). 28 Kurz gefaßte christliche Soziallehre (Wien 1979), 21.

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staltung der gesellschaftlichen Lebensordnungen" wie auch der persönlichen Lebensordnungen angesehen wird?0 Wohl ist sich Messner der bleibenden Vieldeutigkeit des Begriffes der Menschenwürde bewußt. Wenn die Menschenwürde nicht sittlich und damit metaphysisch verbürgt verstanden wird, "wird die Geschichte des menschlichen Geistes um eine Phrase reicher sein, die die Enttäuschung einer großen Hoffnung der Menschheit bezeugen wird"?' Ebenso offensichtlich ist es denn auch für Messner, daß der Mensch nicht nur als Individuum existiert, sondern seine volle Entfaltung nur in der Gesellschaft findet. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum - so ebenfalls in der Kulturethik -, "die Humanitätsidee ohne Einbeziehung der gesellschaftlichen Seite des Menschen fassen zu wollen"? 2 Wenn Messner im Eigeninteresse eine Uranlage des Menschen sieht, so weiß er doch um die Notwendigkeit, dieses Interesse aus den Grenzen eines engen Egoismus herauszuholen. Die unterschiedlichen Interessen der Menschen erfordern ein Prinzip der Ordnung, und das ist nur "durch die Norm des Gemeinwohls gegeben, die konkret die Norm der allseitigen Gerechtigkeit ist"? 3 "Schließlich besitzt das Wohl der Gemeinschaft einen solchen Vorrang über das Wohl des Einzelnen, daß von diesem, wenn notwendig, das Opfer von Gut und Leben für die Gemeinschaft gefordert sein kann. " 34 Das Gemeinwohl kann dann von Messner sogar als der "höchste Wert unter allen der Natur des Menschen unmittelbar zugeordneten Werten" bezeichnet werden. Dieser Wertrang kommt dem Gemeinwohl zu, weil "alle übrigen Lebenswerte des Menschen" davon abhängen, daß eine Gesellschaft derart geordnet ist, daß die "Grundforderungen des Gemeinwohls" verwirklicht sind. 35 Es läßt sich nicht verkennen, daß die Darlegungen Messners eine gewisse Unklarheit über die Rangordnung von Selbstverwirklichung und Gemeinwohl belassen und daß wichtige Fragen offen bleiben. 36 Insgesamt scheint der stärkere Akzent bei Messner auf der Selbstverwirklichung als 29 Kulturethik, a. a. 0. 178; "Wie unterscheidet sich christliches und Marxsches Menschenbild?", Internat. kath. Zeitschrift 5 (1976), 368; "Was ist Menschenwürde?", Internat. kath. Zeitschrift 6 (1977), 238. 30 Ethik und Gesellschaft. Aufsätze 1965-1974 (Köln 1975), 13-30, hier 29. "Darauf, daß dem Menschen [.. .] eine Selbstverwirklichung durch Selbstbestimmung und Selbstverantwortung aufgetragen ist, beruht seine Würde" (16). 31 Das Gemeinwohl (Osnabrück 1962), 62. 32 Kulturethik, a. a. 0. 469. 33 Katholisches Soziallexikon, 2 1980, 1195. 34 Das Naturrecht, 1984, 23. Der Text findet sich in einem gewissen Sinne programmatisch auf der ersten Seite des I. Buches, der Grundlegung. 35 "Das Gemeinwohl der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft", in L. Bossle und K. Bonkosch (Hg.), Kreativität des Handelns. Vom Ingenium des Unternehmers (Würzburg 1978), 31-46, hier 34.

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höchstem Wert zu liegen, eine bei ihm durchgängig immer wiederkehrende Wertung. Sie ist besonders charakteristisch für die Kulturethik (die insbesondere der Persönlichkeitsethik gewidmet ist), dagegen weniger ausgeprägt in dem Naturrecht (das sich primär mit der Gesellschaftsethik befaßt). Wenn jedoch die Selbstverwirklichung der höchste Wert wäre, wie könnte dann unter Umständen das Opfer von Gut und Leben für die Gemeinschaft gefordert werden - wie Messner selbst einräumt? Hier wird das Gemeinwohl zum übergeordneten Zweck. Auch unter anderer Rücksicht wird eine Berücksichtigung des Gemeinwohls als eines eigenständigen Werts erwartet. "Der Mensch wird heute nicht mehr nur nach dem beurteilt, was er für sich schafft, sondern auch nach dem, was er für andere erreicht", schreibt Ernst Plesser. Das gilt auch für den Bereich der Wirtschaft, wo "sich die Anforderungen an die Unternehmensleitung nicht mehr auf den Nachweis des wirtschaftlichen Erfolgs beschränken, sondern daß die Übereinstimmung von wirtschaftlicher Tätigkeit mit den Normen und Werten der jeweiligen Gesellschaft in den Vordergrund Unternehmerischen Handels gerückt ist". 37 Dennoch kann auf der anderen Seite der Mensch nicht schlechthin den Interessen des Gemeinwohls unterworfen sein und ihnen geopfert werden. Er ist nicht einfach eine Funktion des Gemeinwohls und ein Rädchen in dessen Getriebe. Er besitzt dem Gemeinwohl gegenüber ebenfalls einen eigenständigen Wert. Es verdient Beachtung und darf nicht übersehen werden, daß sowohl die Selbstverwirklichung wie die Förderung des allgemeinen Nutzens gleicherweise zu den existentiellen Zwecken gehören. Von allen existentiellen Zwecken gilt, daß sie Interessen des Menschen darstellen. Es ist durchaus richtig, daß der Mensch immer aus den Interessen handelt, wie sie sich in den existentiellen Zwecken vorgezeichnet finden. Unter ihnen ist die Selbstverwirklichung zweifellos einer, aber doch nur einer unter anderen. Es ist darum eine Engführung, die Interessen mit dem Eigeninteresse (enthalten nur in den zwei ersten existentiellen Zwecken) in eins zu setzen. Auch die anderen existentiellen Zwecke gehören dazu, und diese weisen über das eigene Selbst hinaus. 38 36 Zu diesem Schluß kommt auch W. Schmitz in seinem Beitrag "Eigeninteresse - Gruppeninteresse - Gesamtinteresse", in Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?, hg. von W. Schmitz und R. Weiler (Berlin 1994), 92. 37 Ernst H. Plesser, "Grundwerte und Wirtschaftsordnung", in Werte - Rechte Normen, hg. von Ansgar Paus (Graz 1979), 341-371; hier 350 und 367. 38 Dem Interesse als Motiv des menschlichen Handeins im allgemeinen und des Handeins im sozialethischen Bereich im besonderen ist die instruktive Monographie gewidmet: Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?, hg. von W. Schmitz und R. Weiler (Berlin 1994).

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Auf die Frage der rechten Werthierarchie zurückkommend, ergibt sich diese aus dem letzten Ziel des Menschen. Weder die Selbstverwirklichung noch der allgemeine Nutzen sind die absolut höchsten Werte, sondern beide stehen im Dienste eines höheren Zieles. Unter den existentiellen Zwecken steht bei Messner an letzter Stelle die Verehrung Gottes und die Vereinigung mit ihm. Der Zweck wurde in diesem Beitrag etwas erweitert zu Hingabe an das Gute in seiner absoluten, transzendenten Form. Die folgenden Überlegungen zum letzten Ziel des Menschen können als eine Entfaltung dieses Zweckes gelten.

V. Das letzte Ziel als höchster Wertmaßstab Neuere ethische Diskussionen schenken der Frage nach dem Sinn der Existenz wachsende Aufmerksamkeit. In jede ethische Reflexion geht eine ganz bestimmte Zielvorstellung sinnvollen Lebens als grundlegende Orientierung ein?9 Auch Papst Johannes Paul II. betont die fundamentale Wichtigkeit eines korrekten Verständnisses vom letzten Sinn des Lebens. "Den letzten Sinn des Lebens und seine Grundwerte wieder zu erfassen, das ist die große Aufgabe, die sich heute für die Erneuerung der Gesellschaft stellt. Nur das Wissen um den Vorrang dieser Werte erlaubt dem Menschen, die ihm an die Hand gegebenen, ungeheueren Möglichkeiten in einer solchen Weise zu nutzen, daß sie der wahren Förderung der menschlichen Person dienen. " 40 Das gilt auch für die Wirtschaft. Auch für sie kann der letzte Zweck kein anderer sein als das letzte Ziel des menschlichen Lebens überhaupt. Welcher Art ist das letzte Ziel nach der Heiligen Schrift und in der theologischen Reflexion? 1. Das letzte Ziel nach der Hl. Schrift Nach dem Alten Testament ist das letzte Ziel des Menschen Gottes Lob und Preis. Die Menschen, wie alle Geschöpfe überhaupt, sind dazu berufen, Gott durch ihr Wort und ihr Sein zu verherrlichen. Sonne, Mond und Sterne, Meere, Land und Berge, Pflanzen und Tiere, die Menschen und alle Nationen werden aufgefordert, sich im Lobpreis Gottes zu vereinigen.41 Im Buch Genesis erhält der Mensch des weiteren den Auftrag, die Erde in seine Obhut zu nehmen, sie zu bebauen und zu hüten (Gen 1,28 und 39 Für eine ausführliche Darstellung des letzten Ziels und der verschiedenen Auffassungen dazu siehe K.-H. Peschke, Christliche Ethik. Grundlegungen der Moraltheologie (Trier 1997), 22-58. 40 Apostolisches Schreiben Familiaris Consortio (1981), Nr. 8. 41 Zum Beispiel Psalm 96; 145; 148; 150; Jes 42,10-12; 43,7; Jer 13,16; Mal 2,2. 4*

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2,15). Er soll die Welt entfalten und gestalten nach dem Beispiel Gottes, ihres Schöpfers, und in Zusammenarbeit mit ihm. Denn immer noch wartet die Welt auf eine letzte Vollendung und Umgestaltung, die Gott in einer künftigen Zeit bewirken wird. 42 Steht in diesen Aussagen Gottes Ehre und Werk im Zentrum, so rückt in anderen Texten das Heil des Menschen als ein höchster Wert in den Vordergrund. Gott ist Retter und Heil für sein Volk. Das Heil wird oft in der Befreiung aus zeitlicher Bedrängnis gesehen, 43 es ist aber auch eine religiöse Verheißung. Gott wird das Haus Israel von allen Makeln reinigen, indem er ihm die Gabe seines Geistes schenkt (Ez 11,19 f.; 36,26 f.). Er wird kommen, um sein Volk und die ganze Erde in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu emeuem. 44 In einer anderen Wendung wird die Gottverbundenheit als höchstes Ziel des sittlichen Tuns angesehen. Wichtiger als alle individuellen Güter ist die Kenntnis Gottes und die Freundschaft mit ihm. 45 Die Auffassung des Neuen Testaments vom Sinn des menschlichen Lebens und der Geschichte greift die Überlieferungen des Alten Testaments auf und fügt weitere Sichtweisen hinzu. Die Verherrlichung des Vaters im Himmel ist ein wichtiges Anliegen Jesu wie auch der frühen Kirche. 46 In wiederholten Preisungen sprechen die Briefe der Apostel die Einladung aus: "Unserem Gott und Vater sei die Ehre in alle Ewigkeit."47 Charakteristische Beschreibung des letzten Zieles in den Evangelien ist Jesu Verkündigung vom Gottesreich. Das Bild beinhaltet, daß Gottes Wille die höchste und letzte Autorität für den Menschen ist und daß in der Erfüllung dieses Willens das Heil des Menschen wie der gesamten Schöpfung liegt. Das Gottesreich ist der kostbare Schatz und die wertvolle Perle, für die der Mensch bereit sein muß, alles andere einzusetzen (Mt 13,44-46).48 Das 42 "Schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemand mehr in den Sinn" (Jes 65,17; vgl. 66,22). 43 2 Sam 22,3.47 f.; Ps 35,26 f.; 62,6; Jes 63,8 f.; Jer 31,7-9; Hos 13,4. 44 Ps 67,2 f.; 96; Jes 45,7 f.; 49,6.8; 52,7-10; 61,10 f. 45 In diesem Wissen betet der Psalmist: "Ein einziger Tag in den Vorhöfen deines Heiligtums ist besser als tausend andere. Lieber an der Schwelle stehen im Haus meines Gottes als wohnen in den Zelten der Frevler" (Ps 84,11); auch Ps 25,4 f.; 27,4; 63,2-5; 84,2-5; Jer 9,22 f .. 46 Joh 8,49 f.; 15,8; 17,4; vgl. Lk 2,14. 47 Phil4,20; 1 Kor 10,31; Eph 3,20 f.; 1 Tim 1,17; Jud 25. 48 "Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben", betont Jesus in der Bergpredigt (Mt 6,33; vgl. 25,1-12.31-46; Mk 1,15; Lk 12,29-32; 18,28-30). Die Urkirche kennt ebenfalls das Motiv des Gottesreiches (Apg 14,22; 28,23; Röm 14,17; 2 Thess 1,5; Offb 11, 15), aber der Nachdruck liegt bei ihr auf der Erwartung der Wiederkunft des Herrn zum letzten Gericht und zur Vollendung aller Dinge in seinem ewigen

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Buch der Offenbarung zeichnet das Bild vom neuen Jerusalem, dessen Erscheinen den Kampf der Kinder Gottes mit den Mächten des Bösen belohnen und krönen wird. Es hat kosmischen Charakter und wird auch beschrieben als "ein neuer Himmel und eine neue Erde" (Offb 21,1). Das Gut des Heils in seiner religiösen Dimension nimmt im Neuen Testament einen zentralen Platz ein. Jesus ist gekommen, um zu retten, was verloren war; um die Welt zu retten und nicht um sie zu richten. 49 Die Apostel haben bei ihrer Predigt kein anderes Anliegen als das Heil von Juden und Heiden;50 denn Gott will das Heil aller Menschen (1 Tim 2,4; 4,10). Ein anderes Bild für die gleiche Gabe ist das des ewigen Lebens. Frucht der Bekehrung ist des Menschen Heiligung und das ewige Leben. 51 Die Beschreibungen des letzten Zieles durch die Hl. Schrift, nämlich Gottes Verherrlichung, sein Reich, der neue Himmel und die neue Erde, das Heil und die Gemeinschaft mit Gott, sind zweifellos bildhaft und in gewisser Weise unbestimmt. Dennoch enthalten die Aussagen der Hl. Schrift einige grundlegende Einsichten zu diesem Ziel. Erstens ist die Schöpfung nicht das Produkt eines blinden Schicksals. Sie ist vielmehr das Werk eines weisen und vorausschauenden Schöpfers, der sie nach einem geordneten Plan und mit einem umfassenden Ziel strukturiert hat, das sich in einem Prozeß stetiger Entfaltung verwirklicht. Zweitens kreist das Endziel nicht nur um die Vollkommenheit und das Glück des Einzelnen, auch nicht bloß um das Wohlergehen von einzelnen Gruppen; es umfaßt vielmehr die Menschheit als ganze und darüber hinaus die Gesamtheit der Schöpfung; es ist von universaler und kosmischer Natur. Drittens ist dieses Ziel innerlich mit den göttlichen Wirklichkeiten verbunden und daher letztlich religiösen und nicht profanen Charakters; es gipfelt in dem von Gott gewährten Heil und in der Gemeinschaft mit ihm.

2. Das letzte Ziel in theologischer Reflexion Grundlegende Gedanken zum letzten Sinn des Lebens finden sich im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65). 52 Die Christen - so führt das Reich, die den Gläubigen nicht unvorbereitet antreffen darf (1 Kor 1,7 f.; Phil 1,911; 1 Thess 3,12 f.; 5,23; Jak 5,7 f.; 1 Petr 4,7). 49 Lk 1,68- 71.77; 2,30; 19,9 f. ; Job 3,17; 6,39 f.; 12,47. 50 Apg 13,26.47; 28,28; l Kor 9,22 f.; 10,33. 51 Mt 19,28 f.; Mk 10,29 f.; Job 3,16; 5,24; 10,9 f.; Röm 6,22; 1 Tim 6,12. Das Heil des Menschen wird noch in vielen anderen Begriffen und Bildern beschrieben, z.B. als Trost, Lohn, Friede, Gerechtigkeit Gottes, Befreiung, Gotteskindschaft, Schau Gottes. 52 Siehe besonders die Pastoralkonstitution Die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et Spes), Nr. 33- 39.

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Konzil aus - sollen auf ihrer Pilgerschaft zur himmlischen Vaterstadt das suchen und nach dem sinnen, was oben ist. Denn das Menschliche ist letztlich "auf das Göttliche hingeordnet und ihm untergeordnet [... ], das Sichtbare auf das Unsichtbare, die Tätigkeit auf die Beschauung, das Gegenwärtige auf die künftige Stadt, die wir suchen. " 53 Die Berufung der Christen zur Gemeinschaft mit Gott und zu seiner Verehrung durch Gebet und Gottesdienst mindert indessen keineswegs das Gewicht ihrer Verpflichtung, bei der Entwicklung dieser Welt mitzuwirken, zum irdischen Fortschritt beizutragen und sich für die Vervollkommnung der Schöpfung einzusetzen. In Bezug auf die irdische Welt wird Gottes Ehre durch die Entfaltung des Schöpfungswerkes und die Verwirklichung des göttlichen Planes in der Geschichte erfüllt. Ein jeder kann, wenn auch jeweils innerhalb seines bescheidenen Rahmens, einen Beitrag zur Gestaltung dieses Werkes leisten. Das gilt selbst für das gewöhnliche alltägliche Tun, wo Menschen beim Erwerb des Lebensunterhalts für sich und ihre Familie ihre Tätigkeit so ausüben, daß sie ein entsprechender Dienst für die Gemeinschaft ist. Sie dürfen überzeugt sein, "daß sie durch ihre Arbeit das Werk des Schöpfers weiterentwickeln, daß sie für die Wohlfahrt ihrer Brüder sorgen und durch ihre persönliche Bemühung zur geschichtlichen Erfüllung des göttlichen Planes beitragen". 54 Die Entfaltung von Gottes Schöpfung verwirklicht sich in verschiedenen Bereichen. Der Mensch ist gerufen, durch sein Wirken die Möglichkeiten der Erde zu erschließen und die Natur zu entfalten. "Wenn nämlich der Mensch mit seiner Handarbeit oder mit Hilfe der Technik die Erde bebaut, damit sie Frucht bringe und eine würdige Wohnstätte für die gesamte menschliche Familie werde [... ], dann führt er den schon am Anfang der Zeiten kundgemachten Auftrag Gottes aus, sich die Erde untertan zu machen und die Schöpfung zu vollenden. "55 Zugleich ist ihm aufgetragen, die naturgegebene Umwelt zu behüten und sie vor Schaden zu bewahren. Er trägt Verantwortung für sie. Ebenso hat der Mensch die Aufgabe, sich selbst zu erhalten und zu entfalten. "So wie das menschliche Schaffen aus dem Menschen hervorgeht, so ist es auch auf den Menschen hingeordnet. Durch sein Werk formt der Mensch nämlich nicht nur die Dinge und die Gesellschaft um, sondern vervollkommnet er auch sich selbst. Er lernt vieles, entwickelt seine Fähigkeiten, überschreitet sich und wächst über sich empor. Ein Wachstum dieser Art ist, richtig verstanden, mehr wert als zusammengeraffter äußerer Reichtum. " 56 Die Gesellschaft muß dem Menschen in der Aufgabe beistehen, ein 53 54

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Konstitution über die heilige Liturgie (Sacrosanctum Concilium), Nr. 2. Die Kirche in der Welt von heute, Nr. 34; auch 67. Ebd. Nr. 57.

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menschenwürdiges Leben zu führen, seine Fähigkeiten zu entwickeln und zur vollen menschlichen Würde heranzureifen. Die soziale Ordnung muß sich dauernd am Wohl des Einzelnen orientieren. Das aber bedeutet gleichzeitig, daß ein jeder nicht nur um seine eigene Selbstentfaltung besorgt sein darf, sondern auch die des anderen berücksichtigen und fördern muß. Zum Einsatz für den Fortschritt der Welt gehört die Beteiligung am Leben der sozialen Gruppen. Den Menschen ist die Förderung des Prozesses einer gesunden Sozialisierung im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bereich aufgetragen, und das sowohl im nationalen Bereich als auch auf der Ebene der Menschheit als ganzer. "Diese Solidarität muß stetig wachsen bis zu jenem Tag, an dem sie vollendet sein wird und die aus Gnade geretteten Menschen als eine von Gott und Christus, ihrem Bruder, geliebte Familie Gott vollkommen verherrlichen werden."57 Neben der transzendenten Dimension des Heiles muß auch dessen zeitliche Dimension Berücksichtigung finden. Die Mitwirkung an der Weiterentfaltung der Schöpfung darf nicht einseitig als evolutionärer Fortschritt verstanden werden, dem unter Umständen Personenwürde und Wohlfahrt des Menschen geopfert werden. Papst Paul VI. stellt fest, daß die Kirche die Pflicht hat, die Befreiung von Millionen menschlicher Wesen zu verkünden, "die Pflicht zu helfen, daß diese Befreiung Wirklichkeit wird, für sie Zeugnis zu geben und mitzuwirken, damit sie ganzheitlich erfolgt". 58 Diese Befreiung begreift die Überwindung von allem ein, was die Menschen unterdrückt, wie Hunger, chronische Krankheit, Analphabetismus, Armut, Ungerechtigkeiten in den internationalen Beziehungen und Situationen des NeoKolonialismus.59 Befreiung und Heil sind somit eng miteinander verbunden. Sie sind aber nicht in eins zu setzen. So mahnt der Papst zugleich an, daß "es für die Ankunft des Reiches Gottes nicht genügt, die Befreiung herbeizuführen sowie Wohlstand und Fortschritt zu verwirklichen". 60 Auch die besten Strukturen bleiben unwirksam und werden bald unmenschlich, wenn 56 57

Ebd. Nr. 35. Ebd. Nr. 32; auch Nr. 24.

58 Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute Evangelii Nuntiandi, 1975, Nr. 30; siehe auch den gesamten Kontext Nr. 30--39. 59 Hier fügt sich die Aufgabe der "Bewältigung des Leidens" und der "Verminderung und Vermeidung von Unrecht und Leid" ein, die für lngeborg Gabriel das "Letztkriterium christlicher Ethik" ist ("Der Beitrag der Religionen zu einem Weltethos", in Geglaubt habe ich, deshalb habe ich geredet, FS für Andreas Bsteh, hg. von A. T. Khoury und G. Vanoni, Würzburg 1998, 123 f.). Es bleibt aber doch zu ergänzen, daß neben diesem negativen Kriterium die Hl. Schrift auch die positiven Kriterien der Verherrlichung Gottes, der Auferbauung seines Reiches und des neuen Lebens kennt. 60 Evangelii Nuntiandi, Nr. 35.

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jene, die in ihnen leben, keine Bekehrung des Herzens erfahren und sich nicht von der Selbstsucht der Sünde befreien.61 Die Darlegungen kurz zusammengefaßt, besteht also der umfassende Sinn des menschlichen Lebens in der Verherrlichung Gottes und der Verwirklichung seines Schöpferplanes für die Welt. Darin einbegriffen sind als grundlegende Teilziele: (1) die Dienstbarmachung der Erde, ihre Erhaltung und Entfaltung; (2) die Erhaltung und Entfaltung der menschlichen Person (der eigenen wie der des Nächsten); (3) die Förderung des Gemeinwohls und der Solidarität der Menschheitsfamilie insgesamt, was die Befreiung von Strukturen des Mangels und des Unrechts einschließt. Selbst wenn für Nicht-Gläubige die Rede von Gottes Verherrlichung und von dem ewigen Heil wenig oder nichts bedeutet, werden sie doch der Konkretisierung dieser Begriffe im Sinne der weiteren Entfaltung des Schöpfungswerkes und der angeführten Teilziele zustimmen können wie auch der Forderung nach der Befreiung des Menschen von allem, was ihn an der Verwirklichung dieser Aufgaben behindert. Der Inhalt dieser Ziele und Aufgaben wird von den Menschen in weitem Maße geteilt. Es ist freilich einzuräumen, daß die hier vorgelegten Ziele und Aufgaben menschlichen Wirkens nur einen Rahmen bilden, innerhalb dessen selbst für jene, die den Glauben an den einen Schöpfergott teilen, wiederholt unterschiedliche sittliche Optionen möglich erscheinen (wie etwa hinsichtlich der Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie oder des Einsatzes der Gentechnik). Wir sind uns darüber im Klaren - schreiben die amerikanischen Bischöfe in ihrem Pastoralbrief zur Wirtschaft, "daß der Schritt vom Grundsatz zur politischen Anwendung komplex und schwierig ist". Die ethischen Werte und Ziele "müssen in Wechselwirkung treten mit empirischen Daten, mit historischen, sozialen und politischen Gegebenheiten und auch mit dem Wettbewerb um begrenzt vorhandene Ressourcen". 62 Die Richtigkeit des konkreten Urteils in Fragen der Wirtschaft hängt deshalb nicht nur von der moralischen Kraft der Grundsätze, sondern auch von der Genauigkeit der Information des Urteilenden ab. Und in der Auswertung der Daten sind mitunter verschiedene Interpretationen möglich. Dennoch bieten die genannten Ziele eine Orientierung, die eine wesentliche Hilfe darstellt für eine grundsätzliche Einsicht in das, was rechtens ist, und für ein vernünftiges Urteil. 61 Heil ist das "große Gottesgeschenk, das in der Befreiung von allem besteht, was den Menschen niederdrückt, vor allem aber in der Befreiung von der Sünde und vom Bösen, in der Freude, Gott zu erkennen und von ihm erkannt zu werden, ihn zu schauen und ihm anzugehören" (Evangelii Nuntiandi, Nr. 9). 62 Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von Amerika, Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle, Nr. 134.

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VI. Wegweisung des Herzens und Führung durch Gottes Geist Die konkrete Natur und Gestalt des letzten Zieles der menschlichen Geschichte und der Schöpfung ist den Menschen nicht bekannt, sondern nur Gott allein. "Wüßten wir den Sinn des Lebens, so gäbe es keine Diskussion über Werte und Maßstäbe, ließe sich die Frage nach dem Gut und Böse und nach der rechten Lebensausrichtung verhältnismäßig einfach beantworten. Die oberste Sinngebung würde dann den Inhalt aller ihr untergeordneten Werthierarchien eindeutig bestimmen, und wir würden unser Verhalten gerne diesen abgesicherten Werten anpassen. Dabei ist mit dem Sinn des Lebens hier ein festumrissenes und endgültiges Ziel des menschlichen Lebens gemeint."63 Nur soviel kann gesagt werden, daß die Welt und ihre Erscheinungen von einer Macht höher als sie selbst geschaffen sein muß und daß die von uns beobachtete Evolution des Lebens von dieser Macht in eine aus unserer Sicht offene und unbekannte Zukunft gelenkt ist. Jedes Leben ist von einer höchsten Schöpferhand gewollt. Einem jeden ist von dieser Schöpferhand die kreative Bewältigung der ihm gestellten Aufgabe zugewiesen. Bei der Erfüllung dieser ihm vom Leben gestellten Aufgabe ist der Mensch frei, seine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, andererseits bleibt er jedoch an gewisse ihm von der Natur vorgegebene Bedürfnisse (bzw. Urwerte) gebunden, die es zu befriedigen gilt. Sehen wir den Sinn des Lebens nicht als eine fest umrissene Zielsetzung an, die in einer näheren oder ferneren Zukunft zu verwirklichen ist, sondern als eine ständige Aufgabe - führt Walter Holzhausen aus -, "so gelangen wir damit zu einer Definition dieses Sinns, die einsichtig und lebensnah ist. Ja, die in gewisser Hinsicht mit der christlichen Formulierung des Sinns des Lebens übereinstimmt. Denn auch dort wird dieser nicht als ein im irdischen Leben erreichbares bestimmtes Ziel, sondern als Berufung gesehen, nämlich den Willen Gottes zu tun. " 64 Die Welt gleicht einem Bauwerk, das im Werden begriffen und dessen endgültiger Plan nur dem Bauherrn bekannt ist. Der Bauherr ist Gott. Er weist einem jeden den Beitrag zu, den er zu dem Werk der Schöpfung leisten soll. Es obliegt dem Menschen, sich für die Stimme des Herzens oder Gewissens offen zu halten, durch die Gottes Geist ihn führt und zu ihm spricht. Durch seine Eingebungen bewegt Gott Männer und Frauen immer von neuem, den Weg zu wählen, den sie nach seiner Absicht gehen sollen, wo die Einsichten der Vernunft ihre Grenzen finden.

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W. Holzhausen, Woran soll ich mich halten?, a. a.O. 172. Ebd.

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Das II. Vatikanische Konzil ist davon überzeugt, daß im Volke Gottes eine unmittelbare Führung durch den Geist vorhanden ist. Es ist sich daher der Notwendigkeit bewußt, für seine Einsprechungen offen zu sein, um damit Einsichten zu gewinnen, die die Vernunft allein nicht erreichen kann. "Im Glauben daran, daß es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. " 65 Christus ist in den Herzen der Menschen am Werk "durch die Kraft seines Geistes". Er belebt, reinigt und stärkt jene selbstlosen Bestrebungen, durch die die Menschheitsfamilie sich bemüht, ihr eigenes Leben humaner zu gestalten, die Schöpfung zu vervollkommnen und die kommende Zeit vorzubereiten.66 Diese Führung wird nicht nur den Christen allein geschenkt, obwohl diese "als Erstlingsgabe den Geist haben" (Röm 8,23). Die Gnade ist in den Herzen aller Menschen guten Willens am Werk, denn "da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, daß der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein".67 Diese Aussage des Konzils spricht die wichtige Überzeugung aus, daß alle Menschen beim Leben nach ihrer Berufung die Führung des Hl. Geistes empfangen, wenn auch in unterschiedlicher Unmittelbarkeit und Klarheit. Literatur Brunner, Gottlieb: Grundwerte als Fundament der pluralistischen Gesellschaft. Eine Untersuchung der Positionen von Kirchen, Parteien und Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg 1989.

Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten von Amerika: Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle, Bonn 1986 (Stimmen der Weltkirche 26). Gabriel, Ingeborg: "Eigeninteresse und Moral", in Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?, hg. von W. Schmitz und R. Weiler, Berlin 1994, 105122. Gorscheneck, Günter (Hg.): Grundwerte in Staat und Gesellschaft, München 3 1997. Höffner, Joseph Kard.: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik, Bonn 1985. Holzhausen, Walter: Woran soll ich mich halten? Auf der Suche nach verbindlichen Werten, Mainz 1997. 65 66 67

Die Kirche in der Welt von heute, Nr. 11.

Ebd. Nr. 38. Ebd. Nr. 22.

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lnhoffen, Peter: "Wahre und falsche Bedürfnisse", in Vom Ethos zur Ethik, Grazer Theologische Studien Bd. 22, 1999. Messner, Johannes: Sozialökonomik und Sozialethik, Paderbom 1927, Nachdruck in Ausgewählte Werke Bd. 2: Frühschriften, Wien/München 2002.

-

Kulturethik, Innsbruck 1954, Nachdruck Ausgewählte Werke Bd. I, Wien/München 2001.

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Die Soziale Frage, Innsbruck 6 1956.

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Das Gemeinwohl, Osnabrück 1962.

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Das Naturrecht, Innsbruck, 6 1966, unveränd. Nachdruck Berlin 7 1984.

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Ethik und Gesellschaft. Aufsätze 1965-1974, Köln 1975.

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Kurz gefaßte christliche Soziallehre, Wien 1979.

Nacke, Bemhard/Köster, Markus/Nacke, Stefan (Hg.): Eine neue christliche Sozialverkündigung. Das Sozialwort der Kirchen und die Grundsatzprogramme von Parteien und DGB. Ein Quellenband, Würzburg 1998.

Pastoralkonstitution: Die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et Spes, 1965), in Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg 1987, bes. Nr. 33-39 und 63-73. Paul VI.: Apostolisches Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute Evangelii Nuntiandi, Bonn 1975 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 2). Paus, Ansgar (Hg.): Werte, Rechte, Normen, Graz/Kevelaer 1979. Peschke, Kari-Heinz: Wirtschaft aus christlicher Sicht (Edition Ordo Socialis), Trier 1992.

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Christliche Ethik. Grundlegungen der Moraltheologie, Trier 1997.

Plesser, Ernst H.: "Grundwerte und Wirtschaftsordnung", in Werte, Rechte, Normen, hg. von Ansgar Paus, Graz/Kevelaer 1979, 341-371. Schmitz, Wolfgang (Hg.): Johannes Messner - ein Pionier der Institutionen und Systemethik, Berlin 1999. Schmitz, Wolfgang/Weiler, Rudolf (Hg.): Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?, Berlin 1994. Schnarrer, Johannes Michael: "Die «existentiellen Zwecke» als Schlüsselbegriff naturrechtlicher Aussagen bei Johannes Messner." Zeitschrift für Ganzheitsforschung 45 (2001), 125-154.

Texte zur katholischen Soziallehre. Die sozialen Rundschreiben der Päpste und andere kirchliche Dokumente, hg. v. Bundesverband der KAB, Bornheim/Kevelaer 8 1992. Weiler, Rudolf: Wirtschaftsethik, Graz 1993. Werhahn, Peter H.: Die moralische Bewältigung des wirtschaftlichen Fortschritts, Köln 1964. Zsifkovits, Valentin: Demokratie braucht Werte, Münster 1998.

Für eine Kulturethik im 21. Jahrhundert Von Hideshi Yamada

Vorbemerkung

Es hat keine Zeit und keine Gesellschaft gegeben, in der sich der Mensch mit seiner zu lösenden sozialen bzw. kulturellen, daher menschlichen Frage, nicht konfrontiert gesehen hätte. Unsere Zeit und Gesellschaft werden sicher auch keine Ausnahme bilden. 1 Dieses Referat soll etliche derzeitige kulturethische Fragen aufgreifen, um damit einige, sinnvolle Impulse zu weiteren Überlegungen zu geben und darüber nachzudenken. Unser Gedankengang wird in concreto so sein. Zum einen: Es scheint mir wohl angebracht zu sein, zunächst, wenn auch nicht ausführlich, doch Grundsätzliches in bezug auf die naturrechtliche Kulturethik zu beschreiben. Dann werden wir auf einige konkrete kulturethische Fragen der Gegenwart zu sprechen kommen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung Japans. Das Beispiel wird sicherlich auch zu unserem gemeinsamen Verständnis über das in diesem Symposium aufgegriffene Thema "Wirtschaften ein sittliches Gebot im Verständnis von Johannes Messner" zwar nicht direkt, doch einigermaßen beitragen. Schließlich soll, wenn uns überhaupt möglich, die weitere Entwicklung der Messnersehen Naturrechtsethik und Kulturethik angestrebt werden. I. Grundsätzliches zur naturrechtliehen Kulturethik: Neuer Entwurf der Kulturethik durch Johannes Messner

Es war Johannes Messner bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer ein Anliegen, der Wahrheit zu dienen einerseits und von der Tatsache selbst auszugehen andererseits. Dabei hat immer für ihn sebstverständlich sein tiefer Glaube eine große Rolle gespielt. 2 Er wollte aber auch in einer "Krise der Ethik" und für die mit der metaphysisch-deduktiven Denkweise, 1 Siehe z.B. Johannes Messner, Das Naturrecht, 5. Aufl., 1966, Kap. 57 und J. Messner, Das Gemeinwohl, 2. Aufl., 1968, S. 121. 2 Siehe Senta Reichenphader, Johannes Messner als Seelsorger, in: Das Neue Naturrecht, hrsg. von A. Klose, H. Schamheck u. R. Weiler, 1985. Diese Festschrift

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mit der die Theologie oft arbeitet, nicht ganz vertrauten Leute eine möglichst umfassend von der Erfahrung ausgehende grundsätzliche Kulturethik anbieten. 3 Deshalb möchte ich mich hier in diesem Referat nur darauf beschränken, die wissenschaftliche Seite seiner Lehre zu behandeln. Bei der Frage nach der Ordnung der Gesellschaft als Inbegriff von Rechten und Rechtspflichten bemüht man sich nicht zu Umecht, "die Natur der Gesellschaft zu ergründen, die Gesetze ihres Seins, ihres Lebens und ihrer Tätigkeit aufzufinden". 4 Um diese Frage beantworten zu können, muß man jedoch schon eine vorgefaßte Antwort auf die Frage nach dem Menschen haben. Denn jeder Sozialwissenschaft und Sozialethik muß eine bestimmte Auffassung vom Menschen zugrundeliegen. Daher kann jeder Wissenschaftler nicht umhin, über seine Anthropologie klare Rechenschaft abzulegen. All das führt uns zur Aufgabe, uns mit dem Wesen und der Natur des Menschen zu beschäftigen. Also die zentrale, unausweichliche Frage: Was ist der Mensch? Seit der griechischen Antike pflegt man oft zu sagen, der Mensch sei animal rationale, vernünftiges Tier, oder vernunftbegabtes Tier. Diese Begriffsbestimmung ist als solche zwar nicht falsch, sie hat uns aber irreführenderweise Veranlassung gegeben, den Menschen allzu abstrakt und einseitig zu verstehen. 5 Abstrakt, weil der Mensch von seinen Mitmenschen abstrahiert, als Individuum verstanden wird, schließlich mit einer sozusagen statischen, rationalistischen Auffassung vom Menschen. Um die Jahrhundertwende sind mit guten Gründen Gegenströmungen gegen den rationalistischen Begriff erschienen. Man kann sofort den Darwinismus, den dialektischen Materialismus, den Pragmatismus, die Psychoanalyse von Siegmund Freud, die Bewegung des Existentialismus, usw. nennen. 6 Dem Entstehen

bietet uns gute Artikel, die auf eigene Art das Wichtige bzw. das Attraktive der von Messner dargebotenen Kulturethik beschreiben. 3 Johannes Messner, Kulturethik, 1954, Vorwort und Kap. 45. Man liest auf Seite 7: "Die erste Aufgabe ist demnach, diese Tatsache als Erfahrungstatsachen festzustellen, den gegebenen Sachverhalt zu priifen und möglichst genau zu umschreiben." 4 J. Messner, Das Naturrecht, S. 23. 5 In diesem Sinne meidet Messner später z. B. in seinem Naturrecht den Terminus "wesenhafte Lebenszwecke", der in seiner Kulturethik noch Verwendung findet, und er benutzt statt dessen "die existentiellen Lebenszwecke des Menschen". Vgl. J. Messner, Das Naturrecht, S. 45 f. Auf Seite 46 heißt es: "Tatsächlich hat der Mensch die wesenhafte Naturordnung im einzelmenschlichen und gesellschaftlichen Leben nicht nur als abstraktes Vernunftwesen, sondern immer auch als konkretes Geschichtswesen zu verwirklichen, d.h. in der Bedingtheit seiner Existenz durch die geschichtlichen Verhältnisse, die Umstände, die Situation." 6 J. Messner, Das Naturrecht, Kap. 2 und Kulturethik, S. 334 u.a.

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solcher sozusagen dynamischen Auffassungen soll der Rationalismus selbst zugeschrieben werden. Welchen Weg müßten wir dann beschreiten, um den Menschen in seiner konkreten Realität zu begreifen? Ein ideologiefreies Denken dürfte wohl schon bereit sein, die Tatsache anzunehmen, daß der Mensch nie ein in sich fertiges Sein ist, wie der Rationalismus geträumt hat, sondern ein in der Urgemeinschaft der Familie zum Menschen wachsendes und dazu verpflichtetes Wesen. 7 Der Mensch ist, um es mit einem Wort zu sagen, Kulturwesen. Er kann sich als Schöpfer und Geschöpf der Kultur bezeichnen.8 Freilich kann der Mensch in der Regel vernunftgemäß handeln. Das bedeutet, daß dem vernunftgemäßen Handeln das Vernunftgesetz, das man auch als Naturgesetz bezeichnen kann, zugrunde liegt. Eines läßt sich dabei nicht leugnen, nämlich: niemand besitzt von Geburt an solche Vorschriften. Es müssen alle Regeln, auf welche Weise auch immer, erlernt und erworben werden. In diesem Zusammenhang weist Rudolf Weiler zutreffend auf die relevante Stelle aus der Kulturethik von Johannes Messner hin, daß sittliche Wahrheiten und Prinzipien mit den übrigen Wertprinzipien der Kultur, in die der Mensch hineingeboren wird, "vermittelt" werden.9 Was ist denn die Kultur? Welche Bedeutung hat sie aufzuweisen? Dank der Kultur, die über unzählbare Generationen als soziales Erbe weiter überliefert worden ist, hat der Mensch tatsächlich unvergleichbar mehr Fortschritte machen können als alle anderen Lebewesen. Das Tier "findet immer die durch seine physische Natur bedingte und bestimmte gleiche Ausgangslage für seine Vollentfaltung vor". 10 Anders der Mensch. Kultur ist deshalb eben das, was den Menschen zum Menschen macht. Mit anderen Worten, Kultur ist "das, worin der Mensch die Vollentfaltung des wahrhaft Menschlichen findet". 11 Bei Messner handelt es sich in bezug auf die Kultur immer um das wahrhaft Menschliche und seine Vollentfaltung, also nicht nur um das Ontologische, sondern vielmehr um das Sittliche und das Persönliche. Nach einer sorgfaltigen Untersuchung kommt er zur ethischen Definition der Kultur. Sie ist .,die gesellschaftlich-geschichtliche Fonn der Lebensentfaltung eines Volkes als Ganzheit mit dem Grundziel der Persön7 Ich habe einst vorn Menschen als staatsbezogenem Familienwesen gesprochen. Vgl. Hideshi Yarnada, Philosophische Überlegungen über die Menschenrechte, in: R. Weiler (Hrsg.), Völkerrechtsordnung und Völkerrechtsethik, S. 125 ff. 8 Michael Landmann, Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart, Walter de Gruyter, 4. Auf!., 1976. 9 Rudolf Weiler, Die Menschheit in vielen Ethosformen und Kulturen vor der Frage nach der sittlichen Ordnung, in: W. Freistetter u. R. Weiler (Hrsg.), Die Einheit der Kulturethik in vielen Ethosforrnen, S. 40. 10 J. Messner, Kulturethik, S. 346. 11 J. Messner, Kulturethik, S. 336. Kursive im Original gesperrt.

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lichkeitsentfaltung seiner Glieder durch Anteilnahme an dieser Lebensentfaltung auf den einzelnen Lebensgebieten" .12 Messner sieht daher die Aufgabe in der Untersuchung der kulturellen Fragen im Grundriß, und zwar unter ethischem Aspekt, aber nie will er Kultursoziologie oder Kulturphilosophie treiben. 13 Ich möchte hier eine ausführliche, doch in diesem Zusammenhang sehr treffende Darstellung von Professor Weiler 14 anführen. Kulturethik befaßt sich zwar mit allen Lebensäußerungen und Lebensbereichen des Menschen, ist aber nicht einfach eine Verdoppelung der gewohnten Unterteilung der Ethik in ihre Teilbereiche. Die Kultur als Spezifikum der Ethik ist für Messner durch drei Wesenszüge differenziert: als Lebensform, als Lebensordnung und als Aufgabe oder Weg. Unter Lebensform erschließt sich für ihn in Verbindung mit der Tradition gesellschaftlicher Wirklichkeit der anthropologische Grund von Mensch und Gesellschaft und demnach von Ethos und Recht und der religiösen Bestimmung von Mensch und Gesellschaft. Kultur heißt immer auch Ordnung im Sinne von Einheit und Gesetzmäßigkeit, die sich an der sittlichen Wertordnung ausweisen müsse. Kultur als Aufgabe von diesem Wertgrund und -gesetz aus stellt den Menschen vor Entscheidungen, bringt Dynamik, um weiterzukommen, und steht zwischen Tragik und Hoffnung im kulturellen Wandel. Bei der Untersuchung der Kulturfrage scheint es von großer Wichtigkeit zu sein, die Grundtatsache als feststehend zu erkennen, daß die Menschen kulturelle Werte in gesellschaftlicher Verbundenheit schaffen, wie Alfred Klose ganz deutlich erklärt. 15 Der Mensch ist in der Tat sowohl Individualals auch Sozialwesen. Wenn dem so ist, und eben weil dem so ist, ist es für den Menschen möglich gewesen und wird es so bleiben, in der Kulturgemeinschaft erst durch Kommunikation und Kooperation 16 ein menschenwürdiges Leben zu führen. Um die Implikation des oben Gesagten zu verdeutlichen, werden wir im folgenden Kapitel zunächst auf die sogenannte Theorie der sozialen Rolle und die damit eng verbundene der Sozialisation eingehen und uns damit in naturrechtlicher kritischer Sicht auseinandersetzen.

12 J. Messner, Kulturethik, S. 343. J. Messner, Ethik, S. 152. Siehe auch Rudolf Weiler, Die Menschheit in vielen Ethosformen und Kulturen vor der Frage nach der sittlichen Ordnung, S. 41. 13 J. Messner, Kulturethik, S. 343 f. 14 R. Weiler, Die Menschheit in vielen Ethosformen und Kulturen vor der Frage nach der sittlichen Ordnung, S. 42. 15 Alfred Klose, Kulturethik- ein Grundanliegen von Johannes Messner, in: W. Freistetter u. R. Weiler (Hrsg.), Die Einheit der Kulturethik in vielen Ethosformen, s. 11. 16 Über die Implikation von Kommunikation und Kooperation vgl. die fünfte Auflage von Messner, Das Naturrecht, S. 153-155 (erstmals hinzugefügte Ausführung).

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II. Kulturethik und sozialer Wandel: Kritische Bemerkungen über die Theorie der sozialen Rolle sowie die der Sozialisation und die Gegenwart der Kulturethik Der Mensch hat, um zur Vollentfaltung der in seiner Natur vorgezeichneten Lebenszwecke bzw. existentiellen Zwecke zu gelangen, durch seinen Glückstrieb gedrängt, in die Kooperation mit seinen Gesellschaftsgliedern zu treten. Was die gesellschaftliche Kooperation und Kommunikation angeht, wählt Messner eher den ontologischen, metaphysischen Weg. Das ist mit ein gutes Zeugnis dafür, daß er kein Nur-Empiriker ist. Nicht nur wegen seiner Bedürftigkeit und Mangelhaftigkeit, sondern vielmehr kraft seiner Fähigkeit kann der Mensch mit Geist und Körper in ungeteilter Einheit auf Ergänzung und daher auf Gesellschaftlichkeit hin angelegt, in die gesellschaftliche Kooperation mit seinen Artgenossen eintreten. 17 Jeder hat als Person seine eigene Individualität, die weder mit der eines anderen einfach vergleichbar noch durch die eines anderen ersetzbar ist. "Vermöge dieser Ungleichkeil der Kräfte ihrer individuellen Natur und der Gleichheit der ihrer wesenhaften Natur eigenen Zwecke sind die Menschen darauf angelegt, ihre Kräfte und Fähigkeiten zu vereinigen, um durch Kooperation und Kommunikation zu der an diese Zwecke gebundenen vollmenschlichen Existenz zu gelangen.'" 8 Messner zählt die gesellschaftliche Kooperation neben dem Glückstrieb zu den Grundkräften des Gemeinwohls. 19 Das Gemeinwohl ist etwas Neues, das durch die gesellschaftliche Kooperation zur Existenz gelangt, und "das ungleich mehr ist als nur die Summe dessen, was die einzelnen für sich erreichen könnten". 20 Wir haben festgestellt, daß für die Selbstverwirklichung des Einzelmenschen das Zusammenwirken aller Gemeinschaftsmitglieder und das daraus entstehende Gemeinwohl unerläßlich sind. Denn erst durch Teilhabe am Gemeinwohl wird dem einzelnen die Möglichkeit gegeben, sein Potentielles zu entfalten. Im Verlauf der Zeit, also mit dem Heranwachsen seiner Vernunft, gelangt der Mensch zur Einsicht, was nützlich und notwendig ist für das Zusammenleben in Frieden und Ordnung, wie sich der Mensch verhalten soll und so weiter. Wie schon gesagt, besitzt niemand von Geburt an die in seiner Gemeinschaft geltenden Vorschriften. Es müssen alle Regeln, auf welche Weise auch immer, erlernt und erworben werden. Auf welche Weise dann? Wir haben auch gesehen, daß sittliche Wahrheiten und Prinzi17 Hideshi Yamada, Gemeinwohl und Gerechtigkeit in der Entwicklung, in: R. Weiler u. A. Mizunami (Hrsg.), Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung. Die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung, S. 46 ff. 18 J. Messner, Das Naturrecht, S. 153. 19 Vgl. J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 56. 20 J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 113. 5 Weiler

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pien mit den übrigen Wertprinzipien der Kutur "vermittelt" werden. Können solche Wahrheiten denn auf die universale Geltung Anspruch erheben? Solche Fragen sind auch mit dem Gemeinwohl und seiner Verwirklichung eng verbunden. Nun ist hier der Ort, wo von der oben schon angedeuteten Rollentheorie und der Sozialisation die Rede ist. Im Prozeß der Gemeinwohlverwirklichung ist dem Berufe immer eine große Bedeutung zugekommen. Nach Messner bezeichnet der Beruf "eine dauernde einzelmenschliche Leistung in der gesellschaftlichen Kooperation mit der Beteiligung an deren Ertrag als Einkommen"? 1 Mit dem Begriff des Berufes hat der Begriff "soziale Rolle" zwar Berührungspunkte, aber der letztere, der als wertneutraler soziologischer Begriff entstanden ist, ist selbstverständlich verschieden von dem ersteren. Der erstere "gehört der Sozialethik an als Wissenschaft von der rechten Ordnung des gesellschaftlichen Lebens nach Maßgabe der Prinzipien der Sittlichkeit und Gerechtigkeit".22 Es gibt natürlich auch Soziologen wie Ralf Darendorf, die sich der Natur der soziologischen Methode und daher ihrer Begrenztheit genau bewußt sind. Leider gibt es auch Soziologen, die es nicht sind, nämlich: jene, "die von der menschlichen Persönlichkeit als einem Aggregat von Rollen sprechen". 23 Sie sollten sich eigentlich wohl Soziologisten nennen. In Verbindung mit der sozialen Rolle ist auch der Begriff "Sozialisation" oder "Sozialisierung" oder "Vergesellschaftung", wenn man will, nochmaliger Überlegung wert. 24 Es scheint um so dringender zu sein, als sie eng mit der Persönlichkeit sowie mit dem Gewissen zusammenhängt. Im Prozeß der Sozialisation wird das Muster der Wertorientierung (pattem of value-orientation) im Einzelnen durch Verallgemeinerung, Nachahmung und Identifikation verinnerlicht, so daß der fundamentale Charakter des Einzelnen gebildet wird, und daß auf seiner Basis anschließend eine umstandsgebundene Spezifizierung der Rollenorientierungen (situational specification of roleorientations) erfogt. Auf diese Weise sollen die Gesellschaftmitglieder die Grundwerteorientierung der Gesellschaft annehmen und sie bekommen die Fähigkeit, ihr eigenes Verhalten den Rollenerwartungen (role expectations) anzupassen. So gesehen, stellt die Sozialisation nichts anderes als den Erwerbungsprozeß der Verhaltenskultur dar. Dieser Prozeß bildet in anderer Hinsicht die Formung der Persönlichkeit mit der Folge, daß die verinnerlichten sozialen Normen die Inhalte des Gewissens ausmachen. Um den aus der J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 64. J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 65. 23 J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 67. 24 Die folgende Darstellung über die Sozialisation verdanke ich hauptsächlich den im Literaturverzeichnis genannten zwei Büchern von Prof. Aomi und dem Lexikon der Soziologie, Kobundo-Verlag, 1988. Kritische Bemerkungen kommen aber von mir aus. 21

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fehlerhaften, ungenügenden Sozialisation entstehenden abweichenden Verhalten (deviant behaviors) vorzubeugen, braucht man Sanktionen: Mittel, "wodurch die Erfüllung der Rollenerwartung garantiert wird"?5 Unter solche Mittel fallen Gesetz und Recht, quasi-rechtliche Institutionen sowie Vorschriften über Rollenerwartungen durch öffentliche Institutionen, Standesorganisationen, Betriebe, Parteien usw., die auch als "soziale Kontrolle" bezeichnet werden. Unter diesem Begriff versteht man verschiedenes. Laut Messner sieht Georges Gurvitch "das Wesen der sozialen Kontrolle in den kulturellen Lebensformen, die den Gesellschaftsgliedern und Gruppen die Überwindung von Konflikten ermöglicht und zum Gleichgewicht der im Gesellschaftsprozeß sich auswirkenden Kräfte führt"? 6 Und kein anderes ist das Gemeinwohl als die "Gleichgewichtslage im Gegeneinander der Interessen innerhalb einer Gesellschaft". 27 Hier möchte ich nun eine typisch-soziologische Interpretation über das Gewissen vorstellen, um daran das ans Licht zu bringen, was zu korrigieren ist. Prof. Saburo Yasuda (geb. 1925), einer der Vertreter der Soziologie in Japan, äußert sich über die Sozialisation wie folgt: 28 Sozialisation heißt im Grund genommen der Prozeß des Heranwachsens eines Menschen zum Sozialwesen. Sozialisation im weiteren Sinne kann mit "Enkulturation" bezeichnet werden, indem einer sich die der betreffenden Gesellschaft eigene Verhaltenskultur aneignet. Auf der anderen Seite besagt sie im engeren Sinne die Integration des Ichs, indem einer die sozialen Normen verinnerlicht. Die zweite erwähnte Sozialisation hat es mit dem Gewissen zu tun. Die völlig verinnerlichten sozialen Normen treten sofort dann als Hemmungskraft auf und werden als solche erfahren, wenn gegen die Normen gehandelt wird. Also bekommt das Gewissen bei ihm die Bedeutung einer "inneren Sanktion". Dagegen bleiben die Normen, die noch nicht völlig verinnerlicht werden, "äußere Sanktionen". Das Gewissen besteht deshalb nach seinem Begriff in der vollzogenen Sozialisation. Er stellt fest: "Es ist falsch, das Merkmal der Moral oder des Gewissens für naturgewachsen oder angeboren zu halten, im Gegensatz zu den sozial und willentlich geformten Gesetzen. Moral ist eine Art Verhaltenskultur, die unter den Stämmen sowie den Völkern unterschiedlich erscheint. Wenn sie bei uns genug verinnerlicht ist, stellt sie das Gewissen dar."29 Mit der Erklärung kann man der totalen Wirklichkeit des Gewissens nicht gerecht werden. Das Gewissen nur als Hemmungskraft zu verstehen übersieht die Tatsache, daß die Hemmung und Wamung, die wir 25 26 27 28 29

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J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 71. J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 71 f. J. Messner, Das Gemeinwohl, S. 72. Saburo Yasuda (Hrsg.), Fundamentalsoziologie 1. Bd: Soziales Verhalten. S. Yasuda (Hrsg.), Fundamentalsoziologie l. Bd: Soziales Verhalten, S. 66.

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als typisches Gewissen erfahren, schon etwas Positives voraussetzen. 30 Überdies führt die Erklärung zum Wertrelativismus, der a Ia Iongue das Scheitern des Gemeinwohls herbeiführt und schließlich auf die Vollendung der Menschennatur sich negativ auswirkt. Mehr sollte im Hinblick auf die Sozialisation und Gewissen gesprochen werden. Aber ich sehe mich genötigt, langsam auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen. In bezug auf die gegenwärtige Lage in Japan können mehrere bedenkliche Probleme genannt werden, also soziale Fragen vom heutigen Japan. Einer spricht von der zunehmenden Zahl des jugendlichen Verbrechens. Ein anderer beschwert sich über die Beschäftigung und den Arbeitsplatz. Man erhebt jetzt überall die Stimme, die Reform der Struktur sei notwendig, vor allem die Reform der Regierung und der ihr verwandten Institutionen. Deregulation gehe vor. Die Regulation sei ein Übel. Dort wird alles, wie mir scheint, ziemlich vereinfacht und direkt zum Schluß geführt, den man will. Das Schulwesen bietet uns auch Fragen. Wir haben auch eine Bevölkerungsfrage. "Language cleansing" herrscht auch hier und da. Die freie Meinungsäußerung scheint dadurch bedroht. Als Schlüsselworte kommen Menschenrechte, Gleichheit sowie Partnerschaft der beiden Geschlechter, die Würde des Individuums und andere mehr vor. Ich muß auch eigentlich dafür sein und ich bin's. Nur die oben als Beispiel genannten Worte benutzt man häufig, um die Meinung der anderen von Anfang an zu verneinen. Da spielen die Worte offensichtlich eine ideologische Rolle. Feminismus in Japan ist meines Erachtens eher einseitig eingestellt. Er spricht für die Frauen, das ist ohne Zweifel richtig, insofern die benachteiligten Frauen betroffen sind. In der Tat bringt der Feminismus aber gegen seinen guten Willen, das möchte ich glauben, die Störung des Bundes von Mann und Frau und schließlich der Familie mit sich. Den Feministen, wie mir scheint, geht ihre Ideologie über alles. Globalisierung oder Globalisation gelten als Modeworte. Es gibt viel Richtiges daran, doch auch nicht weniger Mißverständliches. Das ist genauso der Fall bei der Behauptung des sogenannten Multikulturalismus. Akio Sawada, Historiker, äußert sich zu dieser Bewegung wie folgt: "Der Mulikulturalismus von Bedeutung ist derjenige, der im Hinblick auf die Fragen des Wesens des Menschen, des Seins oder Nichtseins des Menschen und auf die die Grundrechte von Familie und Staat betreffenden Fragen den auf dem Naturrecht gründenden Konsens voraussetzt, im Hinblick auf die sonstigen wie z. B. Volkstracht, Volkskunst, Volksliteratur tolerant ist, und der deshalb Relativität zuläßt. Der unsinnige Multikulturalismus ist derjenige, der den weltanschaulichen Relativismus hinnimmt, der sinnvolle Mul-

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J. Messner, Kulturethik, S. 15 f.

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tikulturalismus dagegen setzt die universale Wahrheit in bezug auf die Menschennatur voraus. " 31

111. Für eine Kulturethik im 21. Jahrhundert: Kulturethik soll in einer sich wandelnden Welt an der Wirklichkeit des Menschen und seinen Verhältnissen immer erneut geprüft und weiter entwickelt werden Was sind denn die Merkmale der gegenwärtigen Gesellschaft? Man könnte wohl verschiedene Kennzeichen angeben. Einer spricht von der "Massengesellschaft",32 ein anderer von der Gesellschaft der "technologischen Zusammenhänge". 33 Die Massengesellschaft ist nach Prof. Mizunami nicht bloß ein Aggregat von Einzelmenschen, die sich individualisieren und an ihrer Persönlichkeit einbüßen. Sie ist auch eine Gesellschaft entarteter Form. Das behauptet er in Anlehnung an die Metaphysik von Jacques Maritain und die Kulturethik von Johannes Messner. 34 Maritain unterscheidet zwischen der Individualität und der Personalität sowie zwischen der konzeptionellen und der naturhaften (konnaturalen) Erkenntnis. Individualität und Personalität, diese beiden machen ja die ganze Person aus. Und der Mensch als Person ist Existenz. Das heißt: Jeder bewegt sich während seines Lebens zwischen den Gegenpolen Individualität und Personalität. Seine Existenzweise hat er sich selbst jeweils zu bestimmen. Erst wenn und insofern als ein großer Teil der Gesellschaftsglieder zum Individualitätspol tatsächlich geneigt haben, hat die sogenannte Massengesellschaft in der Geschichte entstehen können. Das geschah in Europa Mitte 19. Jahrhundert. Das Entstehen der Massengesellschaft hat der totalitären Gesellschaft und den von Faschismus, Nationalsozialismus sowie Marxismus dirigierten Staaten den Weg gebahnt. Um die Massengesellschaft zu überwinden, wäre es wohl unerläßlich, daß ein jeder seinen modus existendi (seine Existenzweise) radikal verändert?5 "Der dritte Weg der christli31 Akio Sawada, Von Sinn und Unsinn der multikulturellen Bewegung, in: Institut für Sozialethik an der Nanzan Universität (Hrsg.), Gesellschaft und Ethik, Nr. 10, 2001, s. 139. 32 Akira Mizunami, Massengesellschaft aus der Sicht von Johannes Messner, in: R. Weiler u. A. Mizunami (Hrsg.), Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung. Die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung. 33 Tornonabu Imamichi, Eco-Ethica. Eine Einführung. 34 A. Mizunami, Massengesellschaft aus der Sicht von Johannes Messner, S. 164 f. und A. Mizunami, Modeme Gesellschaft und die christliche Soziallehre. Zur Erläuterung der Naturrechtsethik von Johannes Messner, in: Hiroshi Takahashi (Hrsg.), Modeme Gesellschaft und die christliche Soziallehre, S. 47 ff. 35 Vgl. Erich Fromm, Haben oder Sein.

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eben Ethik, zum Unterschied des liberalen und totalitären Staates, muß der Weg der Personalisierung des wesenhaften Seins jeder Person sein. " 36 Prof. Tornonabu Imamichi, Metaphysiker und Ästhetiker, schlägt schon seit Mitte der sechziger Jahre die "Eco-ethica" vor. Dieses neue Gebiet soll seit den siebziger Jahren internationale Anerkennung gefunden haben. Die Eco-ethica heißt eine neue Ethik in einem neuen Lebensraum des Menschen. Das Wort "eco" stammt aus dem griechischen "oikos", das sowohl Haus als auch Lebensraum bedeutet. lmamichi benutzt es im zweiten Sinne. Die Öko-ethik, ab jetzt verwende ich lieber dieses eingedeutschte Wort, ist weder die Ethik vom Haus noch die vom Staate, sondern die Ethik der gegenwärtigen Welt mit einer technologisierten Umwelt im Vergleich zur bisherigen Ethik mit einer natürlichen Umwelt. lmamichi stellt dann eine grundsätzliche Frage: ist es nicht so, daß die technischen Zusammenhänge bzw. die hochtechnologisierte Umwelt uns zu einer neuen Lebensweise, zumindest zur Neubesinnung der Moral zwingen? Führen sie uns vielleicht zur Renovierung der Prinzipien des Handelns? Ein kleines Beispiel. Wir genießen heutzutage ein sehr dichtes Verkehrsnetz, sei es V-Bahnnetz oder Autobahnen sowie Straßen und Gassen. Beim Autofahren werden von allen Verkehrsteilnehmern, und sogar von Fußgängern die Verhaltensweisen gefordert, die den Verkehrsregeln entsprechen. Sonst würden leicht Stockungen und Unfälle passieren. Als man einst keine oder wenige Autos hatte, brauchte man selbstverständlich solche Regeln nicht. Die neu entstandene Lage forderte die dafür geeigneten Regeln. Sie mögen zwar ursprünglich nicht ethischer, sondern nur technischer Art sein. Sie werden aber, einmal eingeführt, uns unentbehrlich für das tägliche Leben. Noch genauer gesagt, den Regeln zu folgen wird uns Pflicht. Imarnichi macht uns auf die über alte Moral hinausgehende Frage aufmerksam: Die traditionelle Moral sei ethica ad faciem, die das Verhalten dort regelte, wo sich der Wahrnehmensraum mit dem Verhaltensraum fast deckte. Wenn die technologischen Zusammenhänge zur Umwelt hinzukämen, könne man nicht mehr mit der alten Moral allein auskommen. Natürlich verliere die ethica ad faeiern im Alltagsleben nicht an Bedeutung. Nur ebenso wahr sei, daß ein Zusatzbegriff wie Öko-ethik oder unter welchem Namen auch immer, der herkömmlichen Ethik hinzuzufügen sei. 37 Ethik und Moral werden am deutlichsten mit Aretologie, Tugendkatalog, charakterisiert. Denn die Tugenden stellen ein konkretes Bild einer Ethik dar. So scheint es mir angebracht zu sein, die Aretologie beider Ethiken zu vergleichen. Im Konfuzianismus werden Liebe ({- ), Gerechtigkeit(~). Anstand(Jiit), Wissen (od. Weisheit) und Treue(9@f) als Kardinaltugenden bekannt. Aristoteles gibt Gerechtigkeit, Tapferkeit, Wissen und Maßhalten als 36 37

A. Mizunami, Massengesellschaft aus der Sicht von Johannes Messner, S. 166. Tomonobu Imamichi, Eco-Ethica. Eine Einführung, S. 66 f.

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Kardinaltugenden an. Christliche Ethik kennt fides, spes und amor. Was zeigt uns die Öko-ethik? Blicken wir im voraus nur kurz auf die Schöpfungsgeschichte der Tugenden zurück. Andreia, virtus, Tapferkeit ist eine weltweit bekannte Tugend. Virtus stammt aus vir; d. i. Mann. Männer hatten gegen die Angreifer zu kämpfen und ihre Gemeinschaft zu verteidigen. Tapferkeit hatte somit ursprünglich mit dem Mann und mit der Qualität des Mannes zu tun. Sie bekam aber im Verlauf der Zeit eine vertiefte neue Bedeutung; nämlich geistige Bedeutung im Falle des Widerstands gegen das Unrecht der Regierung, im Falle des Martyriums usw. Demut und Bescheidenheit, diese Tugend wurde im Christentum ge- und erfunden. Sie bezeichnet die Einstellung des Bettlers im Gegensatz zu megalopsychia. Das ist ein epochemachendes Ereignis gewesen. Nehmen wir die Tugend "Verantwortung". Sie ist auch relativ neuen Datums, obwohl sie heute so geläufig ist, daß man kaum eine Ahnung davon hat. Die genannten Beispiele sollen zum Verständnis beitragen, daß selbst die uns sehr bekannten und notwendigen Tugenden einmal geschaffen wurden. Nun wieder die Frage: Welche neue Tugenden bietet uns die Öko-ethik an? Das ist eigentlich die Herausforderung und Aufgabe, die uns wohl im 21. Jahrhundert beschäftigen muß. Einige voraussichtliche Tugenden seien genannt. Philoxenia: Liebe dem Fremden gegenüber, eine Art der Nächstenliebe. Wie oben schon angedeutet, decken sich Wahrnehmens-und Verhaltensraum heutzutage nicht ganz. Diese Tugend kann eventuell mit der Fernliebe bezeichnet werden. Pünktlichkeit bzw. Genauigkeit: Wir in entwickelten Ländern zumindest leben in einer dicht technologisierten Welt. Selbst ein falscher Knopfdruck kann unserem Leben großen Schaden bringen. Universalität bzw. Internationalität: Wir leben auf einem gemeinsamen Planet und haben eine erdgroße Umwelt. Mehr als je müssen wir in Solidarität füreinander eintreten. Dazu wäre auch eine neue Tugend erforderlich, nämlich eine fremde Sprache zu beherrschen. Wieder in bezug auf das Japan der Gegenwart. Japan hat seine sozialen Fragen. Einige Beispiele habe ich schon oben genannt. Sie sind kultureller Natur. Und mir scheint, als ob die heutigen Menschen sich öfter denn je am Modell einer Maschine messen wollten. Ist das nicht eine verkehrte Denkweise, die vielleicht unter den sogenannten entwickelten Industrieländern Verbreitung findet? Schlußbemerkung

In diesem Referat wurde zunächst darauf abgezielt, mit einer Einführung der neu von Johannes Messner vorgeschlagenen naturrechtliehen Kulturethik beginnend, auf die Bedeutung der Kultur hinzuweisen. Dabei haben wir auch der Wichtigkeit "der Vollentfaltung des wahrhaft Menschlichen"

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Aufmerksamkeit geschenkt. Dann hatten wir uns mit der Rollentheorie und einigen damit verbundenen Begriffen auseinanderzusetzen. Denn es sieht mir so aus, als ob man behaupten wolle, es sei möglich und sogar notwendig, über die ganz menschlichen Fragen auch wertneutral anband der soziologischen Methode zu verhandeln. Der Mensch ist aber mehr, als die Soziologie uns lehrt. Uns geht es immer darum, die ganze Wirklichkeit möglichst genau aufzufassen. Für das unvoreingenommene Auge ist es Tatsache, daß der Mensch immer in all seiner Geschichte vielleicht nicht um das Ganze, so doch um den Kern der Menschennatur gewußt hat. Sonst hätten die Menschen bis heute nicht das verhältnismäßig friedliche Zusammenleben führen können. Eine Grundveranlagung zur Kenntnis von sittlichen sowie rechtlichen Prinzipien war und ist immer schon da. Wichtig wäre, daß der Mensch diese Anlage so gut wie möglich verwirklichen kann. Die objektive Ordnung der Werte zu bejahen, ist Voraussetzung für das Streben, die Menschenselbstverwirklichung zu erlangen. Das geschieht wohl am besten in der Familiengemeinschaft In diesem Sinne kommt der Familie, in welcher Gestalt auch immer, dauernde große Bedeutung zu. Müssen wir nicht noch einmal der Stellung der Familie im menschlichen Leben gerecht werden und jede mögliche Unterstützung leisten? Ich stimme Weiler völlig zu, wenn er sagt: "Der Ausfall einer naturrechtliehen Familienkultur bzw. deren Erneuerung erscheint so als der kritische Punkt gesellschaftlicher Kultur überhaupt, also auch heute. " 38 Ohne Zweifel ist und bleibt die Öko-ethik im 21. Jahrhundert eine Herausforderung. Die Tugenden, ob alt oder neu, müssen auf jeden Fall auf dasselbe hinauskommen: der Vervollkommnung des wahrhaft Menschlichen zu dienen. Literaturverzeichnis

Deutsche und englische Literatur Wemer Freistetter/Rudolf Weiler (Hrsg.): Die Einheit der Kulturethik in vielen Ethosformen, Duncker u. Humblot, 1993. Anthony Giddens: Socio1ogy, 3rd ed., Polity Press, 1997.

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The Third Way and its Critics, 2000.

Alfred Klose!Herbert Schambeck/Rudolf Weiler (Hrsg.): Das Neue Naturrecht, Die Erneuerung der Naturrechtslehre durch Johannes Messner. Gedächtnisschrift für Johannes Messner, Duncker u. Humblot, 1985. 38 Rudolf Weiler, Herausforderung Naturrecht. Beiträge zur Erneuerung und Anwendung des Naturrechts in der Ethik, S. 621. Vgl. auch S. 91, wo es heißt: "Der erste Ort, wo dem Menschen das Grunderlebnis des Rechts widerfährt, ist die Familie."

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Johannes Messner: Kulturethik mit Grundlegung durch Prinzipienethik und Persönlichkeitsethik, Tyrolia-Verlag, 1954. -

Ethik. Kompendium der Gesamtethik, Tyrolia-Verlag, 1955.

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Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, Tyrolia-Verlag, 5. Auf!., 1966 (Duncker u. Humblot, 7. Auf!., 1984).

-

Das Gemeinwohl. Idee, Wirklichkeit, Aufgaben, 2. Auf!., 1968,

Akira Mizunami!Wolfgang Schmitz (Hrsg.): Das Gemeinwohl in einer sich verändernden Welt, 2. verbesserte Auf!., 1998. Wolfgang Schmitz/Rudolf Weiler (Hrsg.): Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?, Duncker u. Humblot, 1994. Rudolf Weiler: Herausforderung Naturrecht. Beiträge zur Erneuerung und Anwendung des Naturrechts in der Ethik, Austria Medienservice, 1996. -

(Hrsg.): Völkerrechtsordnung und Völkerrechtsethik, Duncker u. Humblot, 2000.

Rudolf Weiler/Akira Mizunami (Hrsg.): Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung. Die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung, Duncker u. Humblot, 1999.

Japanische Literatur Junichi Aomi: Grundzüge der Rechtsphilosophie, Kobundo-Verlag, 2. wesentlich erweiterte Auf!., 1989. -

Recht und Gesellschaft. Eine neue Einführung in die Rechtswissenschaft, Chuokouronsha-Verlag, 1967.

Tomonobu Imamichi: Über die Liebe, Kodansha-Verlag, 1972. -

Eco-Ethica. Eine Einführung, Kodansha-Verlag, 1990.

Takashi Mochidzuki: Einführung in die Familiensoziologie. Ehe und Familie, Baifukan-Verlag, 1996. Hiroshi Takahashi (Hrsg.): Modeme Gesellschaft und die christliche Soziallehre, 1998 Saburo Yasuda (Hrsg.): Fundamentalsoziologie 1. Band: Soziales Verhalten, ToyoKeizai-Sinpou-Sha-Verlag, 1980.

Die Kultur des Geldes Die vielen Gesichter des Ökonomismus Von Enrique H. Prat de la Riba

I. Das Böckenförde-Paradox

Laut Böckenförde lebt der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann 1 • Dahrendorf hat diese These das Böckenförde-Paradox benannt und - abgesehen von anderen Nuancen wie folgt formuliert: "Demokratie und Marktwirtschaft sind weder imstande, die notwendigen sozialen Bindungen zu stiften, noch war das je ihre Absicht" 2 . Das Paradox, das auf einer Vielzahl von theoretischen Überlegungen und empirischen Beobachtungen beruht, ist ganz sicher nicht unbedeutend, obwohl es von nicht wenigen liberalen Denkern mit guten Argumenten bestritten wird. Denn über die Zukunft des liberalen Staates wird man sich jeweils radikal andere Vorstellungen machen müssen, je nachdem wie man zu dieser These stehe. Dieser Beitrag soll zunächst mit Hilfe einer Reflexion über den Zusammenhang zwischen einer so banalen Nebensächlichkeit, wie es das Geld ist, und der Freiheit die These Böckenfördes argumentativ unterstützen, um daraus einige Schlüsse zu ziehen. Oft und gerne wird behauptet, daß das Geld die meistgeschätzte Nebensächlichkeit der Welt sei. Diejenigen, die Geld haben, können es sich leisten, ständig nur indirekt an das Geld zu denken: sie sprechen von Aktien, von Investitionen, von neuen Märkten, von Anschaffungen, von honorarpflichtigen Leistungen, von Zinsen, von Renditen, von Dividenden, von Beteiligungen, von Opernpremieren, von neuen Häusern, von Kunstsammlungen usw. Allen diesen Dingen gemeinsam ist das "nebensächliche" Geld, in dem sich alles ausdrücken läßt. In der modernen Geldwirtschaft sind alle 1 Böckenförde, E. W.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1991, 112. 2 Dahrendorf, R.: Freiheit und soziale Bindungen. Anmerkungen zur Struktur einer Argumentation. In: Michalski, Ch. (Hrsg.): Die Liberale Gesellschaft. KlettCotta, Stuttgart, 1993, 12. 3 Ist die These richtig, wird man nicht so sehr darauf achten müssen, die liberale Idee so getreu wie möglich zu realisieren, sondern man wird vielmehr Korrektive suchen, die die sozialen Bindungen erhalten, bzw. andere Ideen entwickeln müssen, die das Ideal der Freiheit in angemessener Weise realisieren lassen.

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diese Dinge de facto wahres Geld4 , und wenn sie nicht Geld wären, dann wären sie kaum mehr ein Thema. Diejenigen, die Geld haben, brauchen nicht darüber zu sprechen, weil sie es eben haben. Diejenigen, die keines haben, können nicht anders, als direkt an das Geld zu denken: sie brauchen nur etwas davon, um primäre Bedürfnisse abzudecken. Es gibt auch eine dritte Gruppe von Menschen, die nicht an die Nebensächlichkeit Geld denken muß. Das sind alle jene, die jemanden haben, der für sie an das Geld denkt. Hier soll nicht suggeriert werden, daß der Mensch nur mit Dingen zu tun hat, die sich in Geld ausdrücken lassen, doch kann man davon ausgehen, daß immer mehr Bereiche der menschlichen Lebenswelt vom Phänomen der voranschreitenden Monetarisierung erlaßt werden.

II. Zum Postulat der Neutralität des Geldes Seit 1921 Jassen jahraus jahrein tausendewohlhabende Festspielgäste vor der Hauptfassade des Salzburger Doms folgende Worte, die Hugo v. Hofmannsthai in dem Mysterienstück "Jedermann" einem Schuldknecht in den Mund gelegt hat, auf sich wirken: "Geld ist nicht so wie andre War', Ist ein verflucht und zaubrisch Wesen, Wer seine Hand ausreckt darnach, Nimmt an der Seele Schaden und Schmach, Davon er nimmer wird genesen. Des Satans Fangnetz in der Welt Hat keinen andem Nam' als Geld"

Aus dem Roman des großen irischen Satirikers George Bernard Shaw "Die törichte Heirat" ("The irrational Knot") stammt das Diktum: "Geld ist in der Tat das Wichtigste auf der Welt; und jede vernünftige und erfolgreiche, persönliche und nationale Moral sollte diese Tatsache zur Grundlage haben". Mit Goethes "Faust", Cervantes "Don Quichote", Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" etc. könnte die Reihe literarischer Kunstwerke aller Epochen und Stilrichtungen, die das Geld und seine diabolischen Eigenschaften thematisieren, fortgesetzt werden. Die Weltliteratur zeigt auf eindrucksvolle Weise auf, wie mächtig der Einfluß des Geldes in allen Bereichen des Menschlichen werden kann und es tatsächlich auch ist. Auch die Philosophen, die klassischen wie die modernen (z. B. Aristoteles, Augustinus, Thomas v. Aquin, Luther, Melanchthon, Bodin, Locke, Montesquieu, Horne, Kant, Marx, Simmel, Luhmann, Matthieu und Polo), haben immer wieder darauf hingewiesen, daß das Geld etwas Besonderes 4

201.

Luhmann, N.: "Die Wirtschaft der Gesellschaft", Suhrkamp, Frankfurt, 1989,

Die Kultur des Geldes - Die vielen Gesichter der Ökonomie

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an sich hat und daß es speziell mit den Beziehungen des Menschen zum Geld eine besondere Bewandtnis auf sich habe. Demgegenüber wird in den Modellen, sowohl in den klassischen wie auch in der heute vorherrschenden neoklassischen Wirtschaftstheorie die Neutralität des Geldes postuliert: Das Geld sei ein Instrument zur Erleichterung der Tauschbeziehungen, es habe nur die Funktion des "großen Rades", das alle Umsätze erleichtere, sie aber nicht wirklich beeinflusse. Obwohl mit dem Postulat die ethische Neutralität des Geldes nicht direkt angesprochen wird, muß man sich dringend die Frage nach den zivilisatorischen und ethischen Konsequenzen der erwähnten Theorien stellen, zumal sie von einer ausgesprochen wirklichkeitsfremden, aber anthropologisch höchstrelevanten Prämisse ausgehen. In der modernen Gesellschaft ist das Geld in der Tat ein Steuerungswerkzeug ersten Ranges 5 . Sollen wir diese gewichtigen Stimmen der Weltliteratur und der Philosophie also weitherhin übergehen? Wollen wir ihnen gar eine gewisse Rationalität absprechen? Wollen wir nur der Wirtschaftswissenschaft allein eine kanonisierte wissenschaftliche Rationalität zugestehen, welche ihr die Legitimation verleiht, über Geld kompetent nachzudenken? 111. Geld, Symbol der Freiheit

Die ethische Relevanz des Geldes wird deutlich, wenn man den Zusammenhang zwischen ihm und dem zentralen Begriff der Ethik, nämlich der menschlichen Freiheit, anthropologisch beleuchtet. Man muß dabei von den grundlegenden Prämissen ausgehen, die sich aus der. leibseelischen Beschaffenheit des Menschen und der spezifischen Struktur des menschlichen Strebevermögens ableiten. Ohne näher darauf einzugehen, genügt es, zwei wesentliche Gedanken zu skizzieren, die zum anthropologischen mainstream gehören: erstens, daß die leibseelische Beschaffenheit des Menschen eine Zweckordnung im Strebevermögen bedingt, deren Einhaltung für die Sinnerfüllung des Lebens entscheidend sein dürfte, zweitens, daß jede Handlung des Menschen letztlich nach Sinnerfüllung strebt, und daß die Freiheit dabei eine ganz große Rolle spielt, denn Sinntindung setzt letztlich auf jeden Fall Selbstbestimmung voraus6 . Die individuelle Freiheit ist heute in jeder Weltanschauung und Ideologie tatsächlich ein prioritäres Ideal: Alle sollen frei sein. Wer es noch nicht ist, 5 Siehe dazu die Kritik der Berliner Schule an diesen Theorien in Stadermann, H. J./Steiger, 0.: Der Stand und die nächste Zukunft der Geldforschung. Festschrift für Hajo Riese zum 60. Geburtstag, Duncker und Humblot, Berlin, 1993 und auch Stadermann, H.-J.: Geldwirtschaft und Geldpolitik, Gabler, Wiesbaden, 1994, 14--54. 6 Needleman, J.: Geld und Sinn des Lebens, Insel Verlag, Frankfurt, 1993.

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soll sofort befreit werden. Jeder soll frei von Schmerz, frei von Krankheit, frei von Belastungen, frei von Sorgen, frei von Einschränkungen und frei von Bindungen sein. Andererseits wollen wir auch stets frei disponieren, frei auswählen können und dürfen, alle Optionen offen haben und über alles nur denkbar Mögliche verfügen können. Eine solche, heute allgemein vertretene Freiheitsauffassung hat die zwei Dimensionen, nämlich die Autonomie - maximale Selbstbestimmung bzw. minimale Fremdbestimmung und die Wahlfreiheit auf eine Freiheit des Habens reduziert: Frei sein heißt haben können. Der Zusammenhang zwischen Geld und Autonomie ist eindeutig. In seinem umfassenden Werk "Philosophie des Geldes", hat Simmel das Geld als den Träger der individuellen Freiheit bezeichnet, weil es dadurch möglich geworden ist, persönliche Beziehungen immer mehr zu verdinglichen und zu entpersonalisieren und dadurch immer größere Freiheitsräume für den Menschen zu schaffen. Die Entwicklung der Geldwirtschaft - als eine andere Seite der arbeitsteiligen Wirtschaft - war in den letzten vier Jahrhunderten ein immer schneller werdender Überführungsprozeß von wertorientierten persönlichen Bindungen in eher wertneutrale, monetäre und wettbewerbliehe Beziehungen. Die stark persönlichen Bindungen unter den Menschen haben sich immer mehr in eine Vielzahl von sachlichen und funktionellen Abhängigkeiten aufgelöst. Dies ist nach Lübbe wesentlich in den Modemisierungsvorgängen: "Modemisierung - das ist, unter anderem und nicht zuletzt, ein Vorgang ständig sich ausweitender räumlicher und regionaler, auch sozialer wechselseitiger Abhängigkeiten"7 . Obwohl sich im Zuge dieses Vorgangs die Abhängigkeit des Menschen von anderen vervielfacht hat, sind die neuen Abhängigkeiten von einer ganz anderen Beschaffenheit als jene der persönlichen Bindung. "Ist Freiheit die Unabhängigkeit von dem Willen anderer überhaupt, so beginnt sie mit der Unabhängigkeit von dem Willen bestimmter anderer"8 . Geldbeziehungen sind also - nach Simmel - Träger der individuellen Freiheit, weil sie an keinen bestimmten Partner gebunden sind; die Beziehungssubjekte sind austauschbar. Halten wir also fest: Geld schafft individuelle Freiheit. Die Freiheit des Habens ist an die Machbarkeit, d. h. an den technischen Fortschritt gekoppelt. Seit dem Beginn des naturwissenschaftlichen Zeitalters ist der Mensch ständig bemüht, das machbar zu machen, was noch nicht machbar ist, er will die Natur beherrschen, um freier zu sein. Der technische Fortschritt der letzten Jahrhunderte und ganz besonders jener der letzten Jahrzehnte war ein schwindelerregender Wettlauf um die Machbar7 Lübbe, H.: Selbstbestimmung. Moralische Konsequenzen eines modernen Anspruchs in: VCL- Die Österreichische höhere Schule. Heft 3, 49, Jahrgang 1997, 3. 8 Simmel, G.: Philosophie des Geldes, Duncker und Humblot, Leipzig, 1907, (1989, 400).

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keit. Aber je mehr möglich wird, umso mehr will jeder haben. Dennoch bleiben unsere Möglichkeiten begrenzt. Einerseits können wir die nicht-reproduzierbaren Ressourcen nicht vermehren, andererseits haben wir zu wenig Zeit, um alles zu tun, was für uns möglich wäre. Die Hauptressource eines jeden Individuums, die Zeit, kann nicht ausgedehnt werden. Der Mensch steht vor einer paradoxen Situation: Auf der einen Seite sieht er seine Freiheit durch die Machbarkeit immer besser realisierbar, auf der anderen hindert ihn die Zeitknappheit, alle machbaren und verfügbaren Optionen zu nutzen. Wie kann man diesen Widerspruch lösen? Wenigstens teilweise mit Geld! Man braucht nicht viel von Ökonomie zu verstehen, um festzustellen, daß Knappheit ökonomisch Kosten verursacht. Kosten werden mit Geldeinheiten gemessen und bestimmen den Preis. Die knappen Güter und Leistungen werden uns über den Markt angeboten. Und der Markt mit seinen Mechanismen (z. B. Werbung) redet uns ständig ein, daß wir die Dinge alle brauchen, je mehr, desto besser. D. h. je mehr Geld jemand hat, desto mehr Optionen kann er wahrnehmen. Außerdem können wir mit Geld Zeit gewinnen: Geld ist Zeit und Zeit ist Geld. Die Klagen über den Mangel an Zeit rühren daher, daß wir zuwenig Zeit haben, um alles zu tun, was wir tun könnten, denn die Anzahl der Optionen, die uns zur Verfügung stehen (z. B. Reisen rund um die Welt, Urlaub auf den Karibischen Inseln, Safari für jeden u. dgl.), wächst viel rascher als das Ausmaß der Zeit, die wir zu deren Realisierung benötigen würden. Und die Erfahrung, daß Zeit knapp ist, wird natürlich mit der Menge der gegebenen Möglichkeiten, sie zu nützen, intensiver, d.h. mit der Zunahme von verfügbaren und attraktiven Optionen, also Dingen, die die Menschen begehren9 . Mit Geld kann man Zeit sparen. Wer sich Flugreisen oder gar einen Privatjet mit Piloten leisten kann, wird mehr Optionen wahrnehmen können als jemand, der zu Fuß geht oder den Zug nehmen muß. Je mehr Geld ich habe, umso mehr Machbares steht mir zur Verfügung, umso freier bin ich also. Somit wird Geld zur Voraussetzung, ja zum Symbol der Verwirklichung von Freiheit. Je mehr Geld ich habe, umso weniger bin ich in meinen Dispositionen konditioniert und umso mehr kann ich mich frei verwirklichen. Wer mehr Geld hat, kann mehr machen. Geld wird zum Symbol der Freiheit: Je mehr Geld, desto mehr Freiheit. Das ist der Leitgedanke des Ökonomismus unserer Zeit! 10 9 Lübbe, H.: Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart. Springer Verlag, Berlin, 1992, 343-344 und Maquard, 0.: Zeit und Endlichkeit. Gedanken über die temporale Entzweiung des Lebens. Information Philosophie 511992, SS 610. 10 Prat, E.: Ökonomische und nicht-ökonomische Faktoren der ökologischen Krise, in: E. Prat (Hrsg.): "Kurswechsel oder Untergang", Peter Lang Verlag, Frankfurt, 1995, 65 ff.

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IV. Der Ökonomismus: Das Geld und die Vorrangstellung der Wirtschaft in der Gesellschaft Es ist eine Tatsache, daß die Wirtschaft in der modernen demokratischen und pluralistischen Gesellschaft eine Vorrangstellung gegenüber den anderen Bereichen errungen hat. Dieses Phänomen hat Johannes Paul II. mit dem Namen "Ökonomismus" bezeichnet11 . Ökonomismus steht für jene Betrachtungsweise der Wirklichkeit, welche die ökonomischen Aspekte ganz stark in den Vordergrund rückt und allen anderen Aspekten der Wirklichkeit nur mehr eine untergeordnete Rolle zuweist. Die Realität wird auf die ökonomisch relevanten und daher auch materiellen und meßbaren Dimensionen reduziert 12. Das Phänomen des Ökonomismus ist mit dem Rollenwandel des Geldes in der Gesellschaft einhergegangen. Das Geld wurde nicht zu einem Kommunikationsmittel unter vielen anderen, sondern zum universellen Kommunikationsmittel. Aber Kommunikation ist das Tragende und Konstitutive in der Gesellschaft. Ohne Kommunikation gäbe es nur Individuen. Erst durch Kommunikation werden die Individuen zu einem strukturierten Kollektiv, zur Gesellschaft. Und worin besteht das Wesen der Kommunikation?: in Verständigung und Vermittlung, d. h. die Kommunikation besteht in der Übertragung von Informationen. Und hier liegt der Konkurrenzvorteil der Wirtschaft. Ihre Sprache, nämlich das Geld, ist, wie erwähnt, in ihrer Einfachheit, Allgemeinheit und Universalität nahezu unschlagbar. Die faktische Überlegenheit des Geldes gegenüber den anderen gesellschaftlichen Werten hat Simmel schon vor 97 Jahren gesehen. Das zum Endzweck gewordene Geld läßt jene Güter, die an sich nicht ökonomischer Natur sind, nicht "als ihm koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen, sondern in dem es dies tut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu Mitteln für sich herabzudrücken" 13 . Das Geld als Sprache hat weder innerhalb noch außerhalb der Wirtschaft einen Konkurrenten. Es gibt keine Sprache, - weder im Bereich der Religion, der Kunst, der Freizeit u. dgl. - welche eine solche Allgemeinheit, Einfachheit und gleichzeitig Beliebtheit wie das Geld hat. Diese Tatsache hat wahrscheinlich zur Vorrangstellung der Wirtschaft in der Gesellschaft entscheidend beigetragen. Johannes Paul 11.: Laborern exercens, Nr. 13. Prat, E.: Ökonomische und nicht-ökonomische Faktoren der ökologischen Krise, in: E. Prat (Hrsg.): "Kurswechsel oder Untergang", Peter Lang Verlag, Frankfurt, 1995, 65 ff. 13 Simmel, G.: Philosophie des Geldes, Duncker und Humblot, Leipzig, 1907, 246. 11

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In diesem Zusammenhang erhält die Kritik der Kommunitaristen 14 und anderer Denker 15 an der Vorrangstellung von Freiheit bzw. Recht vor dem Guten 16, wie sie vom philosophischen und politischen Liberalismus zumeist vertreten wird, eine besondere Relevanz. Mit der Feststellung, daß es im Pluralismus keinen Konsens darüber geben kann, was das Gute im Einzelfall ist, entziehen sich solche Liberalismen dogmatisch der Überprüfung ihres eigenen Anspruchs, die Freiheit zu garantieren. Denn, wird kein Maßstab für das vom Freisein selbst unabhängigen Guten zugelassen, so können die freien Entscheidungen keine andere Qualifikation haben als eben frei, weniger frei oder unfrei zu sein. Dies läßt aber eine Unterscheidung zwischen der wirklich und der illusorisch bzw. nur scheinbar freien Handlung nicht mehr zu. Diese Unterscheidung setzt die Anerkennung eines Maßstabes für das Gute voraus, das sich weder mit dem Konsensergebnis einer kollektiven Entscheidung noch mit dem aktuellen Wollen der Einzelnen decken muß. Dieser Mangel an einer qualitativen Unterscheidung erlaubt der Geldwirtschaft, den einfachen Grundsatz der Quantität "mehr ist besser" durchzusetzen, der zum Hauptgesetz der Chrematistik führt: "Je mehr Geld ich habe, umso besser (bzw. freier) bin ich". V. Die sozialethische Betrachtung: Die systembedingte Verkehrung der Werte Ein strukturelles ethisches Defizit?

Luhmann hat anband seiner Systemtheorie gezeigt, wohin die Geldwirtschaft geführt hat, obwohl er dabei keine moralisierenden Absichten hatte: Sie ist an und in sich eine immerwährende Stärkung der materialistischen Orientierung des Systems, die alle anderen regulativen Mechanismen verblassen läßt. Das Geld wird zum Ziel des Wirtschaftens, ja des Handeins des Menschen überhaupt 17 . Darin liegt die Verkehrung: Das Mittel aller Mittel wird zum Ziel. Vor dieser Verkehrung, die das Wesen der Chrematistik ausmacht, hatte schon Aristoteles 18 gewarnt, indem er letztere von der Ökonomik stark abgrenzte. Jahrhundertelang galt diese Sicht der Dinge als überholt. Nicht viel anders ist es bei Simmel nachzulesen: "Niemals ist ein Objekt, das seinen Wert ausschließlich seiner Mittlerqualität, seiner Umsetz14 Sande!, M. J.: Liberalismus oder Republikanismus. Von der Notwendigkeit der Bürgertugend. Passagen Verlag, Wien 1995, 15 ff. 15 Macintyre, A.: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Campus Verlag, Frankfurt, 1987, 326 ff. 16 Diese Thesen der modernen Liberalen verschiedener Prägung sind bereits in den Gedanken von Hobbes, T. De Cive II, 12, I und Leviathan, I, VI, 3/4 5, beinhaltet. 17 Luhmann, N.: Die Wirtschaft der Gesellschaft, 240 ff. 18 Aristoteles: Politik I, 1257 und 1258.

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barkeit in definitivere Werte verdankt, so gründlich und rückhaltlos zu einer psychologischen Absolutheit des Wertes, einem das praktische Bewußtsein ganz ausfüllenden Endzweck aufgewachsen. ( ... ) Indem sein Wert als Mittel steigt, steigt sein Wert als Mittel, und zwar so hoch, daß es als Wert schlechthin gilt und das Zweckbewußtsein an ihm definitiv haltmacht Die innere Polarität im Wesen des Geldes: das absolute Mittel zu sein und eben dadurch psychologisch für die meisten Menschen zum absoluten Zweck zu werden, macht es in eigentümlicher Weise zu einem Sinnbild, in dem die großen Regulative des praktischen Lebens gleichsam erstarrt sind" 19. Auch Habermas interpretiert die fortschreitende Monetarisierung ehemals persönlicher Beziehungen als eine Verdinglichung, Entfremdung oder "Kolonialisierung der Lebenswelt".Z0 Daß wir im Kommunikationszeitalter leben ist ein Gemeinplatz. Weniger bedacht wird die Tatsache, daß das Kommunikationsmedium Nummer I die Wirtschaft geworden ist und das Geld das allgemeinste Kommunikationsmittel oder eine universale Sprache ist, die alles und jedes übersetzt. Die Kommunikationsrevolution könnte also in Wirklichkeit zu einer chrematistischen Revolution werden, in der die zentrale Stellung des Geldes so sehr gestärkt wird, daß es zu einem absoluten Ziel avanciert. Wie Simmel bereits prophezeit hat, wird Geld zum Wert Nummer 1 eines solchen Systems. Daraus könnte sich folgende sozialethische Schlußfolgerung ergeben: Unser Geldwirtschaftssystem bedingt eine immanente Verkehrung der Werte. Das heißt, Bildung, Erziehung, Gesundheit, Religion, Institutionen, Sprache, mit einem Wort alles in der Gesellschaft ist von dieser Verkehrung verseucht. Der Spruch Wittgensteins: "die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenze meiner Welt"21 , der den engen Zusammenhang zwischen Kommunikation, Sprache und Weltbild beleuchtet, erklärt auch die Systemimmanenz dieser Werteverkehrung. Die Sprache, in der wir denken und kommunizieren, spiegelt also die Welt, die wir vernehmen wider. Wenn dies so ist, dann zeigt eine kritische Reflexion über die heutige Geld-Sprache, daß wir uns in einem materialistisch durchsetzten Umfeld bewegen, das sich stark unserer eigentlichen anthropologischen Beschaffenheit (Geist-Leib-Natur) und daher der Zweckordnung unserer Natur entgegenstellt und uns folglich tendenziell zu persönlichen, aber auch strukturell stark bedingten ethischen Defiziten (kleinere, größere und mittlere Skandale, wobei das, was heute normal ist, vor vierzig Jahren ein Skandal gewesen wäre!) führt. 19 Simmel, G.: Philosophie des Geldes, Duncker und Humblot, Leipzig, 1907, 234 (1989, 298). 20 Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns, 1975, Suhrkamptaschenbuch, Frankfurt, 2. Band, 522. 21 Wittgenstein, L.: Tractatus logico-philosophicus, 5.6.

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Es ist das eine immanente Verkehrung der Werte, nicht weil das System die persönliche Freiheit aufhebt, indem es ein bestimmtes Verhalten aufzwingt, sondern weil im systemkonformen Verhalten der Mensch der Illusion verf