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German Pages 562 [560] Year 1980
Wirtschaft und Staat in Deutschland Band 3
INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSGESCHICHTE DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR
Wirtschaft und Staat in Deutschland Eine Wirtschaftsgeschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945 in drei Bänden
Herausgegeben von Helga Nussbaum und Lotte Zumpe
Band 3 Lotte Zumpe Wirtschaft und Staat in Deutschland 1933 bis 1945
Lotte Zumpe
mtM Zu den anhaltenden Bemühungen der KPD um die Bildung einer Einheitsfront: Ebenda, S. 20ff. 11 Ebenda, S. 33.
Faschistischen Diktatur und zentralstaatliche Leitung
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die Arbeitgeberverbände auf, in Anbetracht — wie verlautet wurde — der „grundlegenden Umbildung der deutschen Sozialverhältnisse und der deutschen Sozialordnung". 12 Die D A F wurde nun zum „Einheitsverband" aller „im Arbeitsleben stehenden Menschen ohne Unterschied ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung" erklärt. 13 Der „Führer des Reichsstandes der Deutschen Industrie", Krupp von Bohlen und Halbach, rief die industriellen Unternehmer auf, der DAF beizutreten und gab gleichzeitig seinen Eintritt bekannt. Für die „Regelung der Arbeitsbedingungen" kündigte man kurzfristig Maßnahmen an. Sie wurden im Januar 1934 mit dem berüchtigten „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" (AOG) realisiert, das die völlige Unterordnung der Arbeiter und Angestellten unter das Kommando der Unternehmer und Betriebsleiter legalisierte. Die DAF erhielt „Schulungsaufgaben" zugewiesen. 14 Ihre Funktion bestand vor allem darin, die Arbeiter nach Möglichkeit in dieses System zu integrieren. Die Mittel reichten von einigen Vergünstigungen und Zugeständnissen, die der proklamierten „Volksgemeinschaft" Glaubwürdigkeit verleihen sollten, bis zu Zwangsfunktionen im Sinne eines gesellschaftlich-organisatorischen Disziplinarzwanges. Die Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften jedoch gingen an sogenannte „Treuhänder der Arbeit", die von staatlicher Seite ernannt wurden und durchweg keine Arbeitervertreter waren. 15 Mit diesen Maßnahmen war ein bedeutender Teil der langjährigen Forderungen des Finanzkapitals, insbesondere aus der Montanindustrie, erfüllt. Wie sah nun die Entwicklung der Wirtschaft in dieser Zeit aus? Für den Herbst 1933 gab das Institut für Konjunkturforschung folgende Einschätzung der Wirtschaftslage: „Produktion undBeschäftigung und damit d a j Volkseinkommen sind in Deutschland weiter gestiegen. Gefördert wurde diese Bewegung von der öffentlichen Hand, die große Beträge für die Arbeitsbeschaffung eingesetzt hat. Die freien Kreditmärkte hätten die Finanzierung einer solchen Produktionssteigerung nicht erlaubt: Der Geldmarkt hat sich noch nicht genügend verflüssigt, Umsätze und Kurse an der Börse stagnieren, die Emissionstätigkeit ist gleich Null. Wenn trotzdem die Privatwirtschaft auch von sich aus Ersatzinvestitionen vorgenommen hat, so ist dies darauf zurückzuführen, daß der Status der Unternehmungen allmählich etwas liquider geworden ist und so erhöhte Selbstfinanzierung ermöglicht. Einer weiteren Ausdehnung der freien Unternehmertätigkeit wären allerdings verhältnismäßig enge Grenzen gesetzt, wenn nicht die neuerdings beschlossenen Maßnahmen die Kreditmärkte aus ihrer Erstarrung lösen würden." 1 6 Rundschreiben des Keicbsstandes derDeutscben Industrie, Nr. 501, in: Geschäftliche Mitteilungen für die Mitglieder des Reichsstandes der Deutschen Industrie (im folgenden: GM), 15. Jg., Nr. 20/1933, S. 167. 13 „Aufruf an alle schaffenden Deutschen zum Eintritt in die Deutsche Arbeitsfront", unterzeichnet vonLey, Seldte (RAM), Dr. Schmitt (RWM) und W. Keppler, „Beauftragter des Führers für Wirtschaftsfragen", ergänzt durch den Aufruf des Führers des „Reichsstandes der Deutschen Industrie", Krupp v. Bohlen und Halbach, zum Eintritt der Unternehmer in die DAF und der Mitteilung, daß er selbst seinen Eintritt bereits vollzogen habe. (Ebenda, S. 167f.) 14 „Aufruf an alle schaffenden Deutschen . . .", in: Ebenda, S. 167. 15 Das „Gesetz über Treuhänder der Arbeit" wurde am 19. 5. 1933 erlassen, es ordnete diesen alle Rechte für die Regelung der Arbeitsbedingungen zu — „bis zur Neuordnung der Sozialverfassung", — die bis dahin bei den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden gelegen hatten (Tarifvertragsordnung v. 1. März 1928, in: RGBl. 1. T., 1928, S. 47), ebenda, 1. T., 1933, S.285. - Verzeichnis der „Treuhänder der Arbeit", in: Reichsarbeitsblatt, 13. Jg. (N. F.), Nr. 21/1933, S. I 185f. - Nach Bracher/Sauer/Schulz wurden „fast durchgehend juristische Berater der Arbeitgeberverbände nun als beamtete Treuhänder" eingesetzt. (Bracher, Kar!Dietrich]Sauer, Wolfgangj SchulGerbard, a. a. O., S. 190. — Dazu auch Kap. 3, Abschnitt 4.) 16 Vierteljabrsbefte zur Konjunkturforschung, 8. Jg., T. A, Nr. 2/1933, S. 80. — Bezug genommen wird hier auf
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Der Kreditmarkt war nach wie vor noch nicht in Bewegung gekommen, die Wirtschaftskredite der Notenbanken lagen im September 1933 mit rd. 400 Mill. RM unter den entsprechenden Vorjahresziffern. Der Geldumlauf war zwar Ende September um 391 Mill. RM höher als zu Beginn des Jahres, aber immer noch um 127 Mill. RM geringer als zur gleichen Zeit im Vorjahr. Noch auffälliger war die Entwicklung an den Effektenmärkten: Die Kurse der Aktien und anderer Wertpapiere waren trotz anhaltender Steigerung der Produktion und der Gewinne seit Anfang Mai scharf gesunken und hatten sich erst Mitte September — offenbar im Zusammenhang mit dem zu erwartenden neuen Wirtschaftsprogramm — wieder etwas gefestigt. 17 Die Bewegungen am Kapital- und Währungsmarkt sind — das zeigt sich immer wieder sehr deutlich — wichtige Indikatoren für die im tiefsten Innern des kapitalistischen Systems vor sich gehenden Erschütterungen. Vertrauen oder Mißtrauen in die Entwicklung werden hier, wo das Risiko des plötzlichen Verlustes am größten ist, schneller als anderswo sichtbar. Die Lage im Herbst 1933 zeigt deutlich, daß von gefestigtem Vertrauen noch nicht zu sprechen war, die Geldgeber waren noch nicht bereit, ihr Geld im größeren Umfang langfristig anzulegen. Natürlich gab es viele Faktoren, die hier wirksam waren. Darauf wird im Zusammenhang mit der finanzwirtschaftlichen Entwicklung noch einzugehen sein. Hier geht es zunächst nur darum, wie es im Herbst 1933 mit der Stabilität des Naziregimes aussah, ob und welche Störungsfaktoren von dieser Seite her wirkten. Im politischen Bereich war im Herbst 1933 die künftige Regierungsstruktur im wesentlichen bereits ausgebildet. Das Mehrparteiensystem war beseitigt, die Arbeiterklasse war aller legalen Mittel zur politischen und betrieblichen Mitbestimmung beraubt, das Parlament war ausgeschaltet, die Länderparlamente gleichgeschaltet und die Länderregierungen ,, Reichsstatthaltern-" unterstellt, die nur der Zentralregierung verantwortlich waren. 18 Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" war auch die Verwaltungsbürokratie in das neue Regime eingebaut worden. 19 Die föderalistische Struktur der Weimarer Republik war einer Zentralisierung der Macht gewichen, wie sie bis dahin im Deutschen Reich noch nicht bestanden hatte. Sie erhielt durch das „Führerprinzip" eine ganz spezifische Ausprägung. 2 0 Mehr als 100 Konzentrationslager und ein schnell wachsender
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das am 20. September vor dem „Generalrat der Wirtschaft" verkündete neue Wirtschfeftsprogramm, das u. a. Maßnahmen zur „Lösung der Starre auf dem Geld- und Kapitalmarkt" vorsah. Ebenda, S. 112. — Der Aktienindex lag im September 1933 nur 4 Punkte über dem Stand vom Sept. 1932, hatte aber im Mai 1933 schön 22 Punkte darüber gelegen. Ebenso waren die Kurse der 6 Prozent Wertpapiere, insbesondere die der Gemeinden, erheblich gefallen. (Vgl. Anhangtabellen 9 bis 11, S. 443ff.) Mit dem „vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich", v. 31. 3. 1933, wurden die Länderparlamente, die der Kreise, Städte, Gemeinden aufgelöst und analog dem Mandatsverhältnis im Reichstag neu zusammengesetzt. Die Länderregierungen wurden unabhängig von den Parlamenten und von der Verfassung. (RGBl. 1. T., 1933, S. 153.) Mit dem „Zweiten Gesetz zur Gleichschaltung der Länder" v. 7. April 1933, wurden Reichsstatthalter über die Länderregierungen gesetzt, die „für die Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik zu sorgen" hatten. Sie waren völlig unabhängig von den Länderregierungen, konnten diese ernennen und absetzen, aber völlig abhängig vom Reichskanzler, der sie vorschlagen bzw. durch den Reichspräsidenten abberufen lassen konnte. (Ebenda, S. 173.) Vom 7. 4. 1933, ebenda, S. 175. — Verfügte, entgegen dem Rechtsanspruch der Beamten, vor allem die Entlassung aller „politisch Unzuverlässigen" und aller jüdischen Beamten. Diese gesetzlich sanktionierte Willkür war ein wesentliches Mittel, den Verwaltungsapparat zu „säubern". Das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" v. 30. 1. 1934 löste die Länderparlamente völlig auf, und am 14. 2. 1934 wurde auch der Reichsrat beseitigt. (Ebenda, 1. T., 1934, S. 75, 89.) Diese Entwicklung
Die Interessen des Monopolkapitals und die Nazipartei
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Polizeiapparat unterstützten den gesamten Prozeß der Machtkonzentration sehr nachhaltig. Da aber der Kapitalmarkt noch immer Unsicherheit signalisierte, mußte es offenbar noch Unsicherheitsfaktoren geben, die das Mißtrauen des Kapitals in die Stabilität des Regimes noch nicht völlig beseitigten. Daß hier tatsächlich eine enge Wechselbeziehung zwischen Ökonomik und Politik vorlag, wird aus einer Rede deutlich, die der Reichswirtschaftsminister Schmitt am 14. August auf dem „Kongreß der deutschen Arbeit am Rhein" in Köln gehalten hatte. In den „Geschäftlichen Mitteilungen" des Reichsstandes der Deutschen Industrie wurden die Ausführungen speziell zur Kreditlage wie folgt wiedergegeben: „Ein außerordentlich wichtiger Punkt für die organische Belebung unserer Wirtschaft ist die Frage des Geld- und Kapitalmarktes. E^er Kapitalmarkt ist nicht so kanpp, wie es scheint. Das Kapital ist vielmehr deshalb knapp, weil es sich nicht in Unternehmungen und in Aufträge, auch nicht in den Kapitalmarkt selbst hineintraut. Warum? Weil auch hier eine Unruhe herrscht durch die vielen theoretischen Diskussionen der Frage, .Zwangsweise Herabsetzung des Zinsfußes' und Gott weiß was alles. In dem Augenblick, wo wir den Glauben in unser Volk hineinbringen, daß eine Anlage in Deutschland nicht gefährdet ist, dann wird auch das Kapital der Sparer bereit sein, auf den Markt zu gehen, und dadurch wird automatisch der Zinsfuß herabgedrückt." 21 Die Parolen, mit denen die Nazipartei in den Jahren zuvor die bürgerlichen -Mittelschichten angelockt hatte, begannen gegen ihre Erfinder zu wirken. Es war an der Zeit, den Besen wieder zum Besen zu machen. Feder, der in seinem „Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft" die Abschaffung des Zinses propagiert und gefordert hatte, mußte nun auf dem 69. Deutschen Genossenschaftstag am 26. August widerrufen und erklären, daß diese Parole nicht die Aufhebung des Zinses beinhalte, sondern nur die Anerkennung ausdrücken wolle, daß das Primat der deutschen Arbeit, nicht aber dem Finanzkapital gehöre. 22 Der Kapitalmarkt ist ein besonders reagibler Bereich, aber er war zu dieser Zeit nicht der einzige, wo sich diese parteiideologische Widersprüchlichkeit in den wirtschaftlichen Abläufen bzw. für das Kapital störend und verunsichernd bemerkbar machte. Der Prozeß ihrer Ausmerzung war auch der Prozeß der weiteren Interessenverflechtung von faschistischer Staatsmacht und Finanzkapital; es war der Prozeß der Gleichschaltung der Mitgliedschaft auf die staatsmonopolistische Konzeption der Führungsspitze.
2. Die Durchsetzung der Interessen des Monopolkapitals in der Nazipartei Mit der Machtübertragung an Hitler hatten die Vertreter des Finanzkapitals zunächst nur eine Konzeption bestätigt, deren Realisierung sie wollten und erwarteten. In Anbetracht der gegebenen Umstände und Bedingungen mußte aber gerade das höchst unsicher erscheinen, denn es lag auf der Hand, daß die vielfach geweckten Erwartungen in den Mittelschichten ebenfalls nach Realisierung drängen würden, sobald die Nazipartei an der Macht setzte sich f o r t mit der Vereinigung der beiden obersten Staatsämter in der Person Hitlers nach dem Tode\ Hindenburgs. 21 GM, 15. Jg., Nr. 14/1933, S. 1 1 1 . 22
Ebenda, Nr. 17, S. 1 3 2 . - Siehe auch A n m . 67 in K a p . 1. — Feder war v o m 29. 6. 3 3 - 2 . 8. 34 Staatssekretär im R W M , am 16. 1 1 . 3 4 w u r d e er in den Ruhestand versetzt und spielte keine Rolle mehr. ( V g l . : ¥ actus,
Friedrich, Wirtschaft und Staat. Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland v o m 1 7 . Jahrhundert bis 1945, Boppard (Rhein) 1959, S. 2 3 1 . = Schriften des Bundesarchivs, 6.)
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war. Gleichermaßen war zu erwarten, daß die „alten Kämpfer" in der Parteihierarchie endlich auch an den großen und kleinen Fleischtöpfen der Macht Platz nehmen und ihre Ansprüche und Ideen verwirklichen wollten. Diese Entwicklung war vorauszusehen. Wenn sich also die namhaften Größen aus Industrie und Landwirtschaft, deren Interessen in so völligem Gegensatz zu dem standen, was hier in den Bereich der Verwirklichung drängen würde, was zudem an wirtschaftstheoretischen Eklektizismus verkündet worden war, so nachhaltig für Hitler verwendet hatten, mußte ihre Überzeugung von der realpolitischen Bedeutungslosigkeit dieser Bestrebungen und Theorien samt ihren Vertretern sehr groß gewesen sein. Schacht hatte in Hitler einen Mann erkannt, „mit dem man zusammenarbeiten könne", und er hatte sich darin nicht getäuscht. Sein maßloses Streben nach der Macht machte Hitler durchaus berechenbar, und er war klug genug zu wissen, daß es nur mit diesen Herren, nicht gegen sie ging. Der BRD-Historiker Petzina kennzeichnet die Situation 1933 so: „Das Dilemma des Regimes war offenkundig: Einerseits konnten die weitgespannten Wünsche einer sozialen Gruppe, die so eng wie der gewerbliche Mittelstand mit dem Aufstieg der NSDAP verknüpft war, nicht vollständig vernachlässigt werden; andererseits ließen sich die langfristigen Ziele der Politik Hitlers nur mit Förderung und Unterstützung der großen Industriekonzerne verwirklichen." 2 3 Es ist richtig: Hitler war mit der Verwirklichung seiner Pläne von den Konzernen abhängig, aber daß er sie verwirklichen konnte, war nur möglich, weil die Pläne und Interessen der Konzerne damit übereinstimmten. Deshalb hatten sie ihn an die Macht geschoben, deshalb blieben auch die Interessen der Anhängerschaft auf der Strecke, nicht die der Konzerne. Diese Übereinstimmung schloß Divergenzen und Widersprüche bei der Realisierung zwischen den Partnern nicht aus. Es lag völlig im Interesse der faschistischen Parteihierarchie, die unverhofft doch noch erlangte Regierungsposition um jeden Preis zu halten und auszubauen. 24 Was bei den einzelnen Vertretern darunter verstanden wurde, war, soweit es die Wirtschaft und ihre Behandlung betraf, höchst unterschiedlich und verschwommen. Aber während sich zahlreiche Instanzen aller Parteiebenen dem „Programm" entsprechend auf das „Wucherkapital" konzentrierten, worunter sie keineswegs nur Banken verstanden, und mittels Boykott, Einsetzung von Kommissaren und anderen Maßnahmen ihre neue Machtposition und ihre Interessen geltend machten 25 , hatte sich die Führungsspitze der Partei längst mit den Interessen der Banken und Industriekonzerne verbunden. Diese Haltung manifestierte sich sehr bald in zahlreichen Maßnahmen zur „Lösung" dieser Gegensätze. Am 16. Februar hatte das Präsidium des RDI in Anbetracht handels- und agrarpolitischer Forderungen der Landwirtschaft noch sehr zurückhaltend erklärt, „daß die Stellungnahme der Industrie auch gegenüber der neuen Regierung von ihren wirtschaftspolitischen Maßnahmen abhängig bleiben müsse", und es hatte die Auffassung vom Dezember 1932 erneut bekräftigt: „Es muß verlangt werden, daß das Steuer nicht schwankend, sondern fest, nicht im Zickzack-Kurs, sondern geradlinig, nicht abhängig von Sonderwünschen der Parteien und Interessengruppen, sondern abhängig nur von dem Blick auf das Ganze ge23
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Pet^ina, Dieter, Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte 1918 bis 1945, in: Deutsche Geschichte seit dem ersten Weltkrieg, Bd. 2, Stuttgart 1973, S. 759. Vgl. dazu: Goebbels, Joseph, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern, München 1934. Zur Organisation des Boykotts jüdischer Geschäfte und Warenhäuser am 1. 4. 1933: Goebbels, Joseph, a. a. O., S. 290ff. — Im Rahmen dieser Aktion wurde auch der langjährige Geschäftsführer des RDI, Kastl, zum Rücktritt gezwungen. {Bracher, Karl Dietricbj Sauer, WolfgangjSchulGerbari, a. a. O., S. 631.
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führt wird. Jede Regierung, die so handelt, kann der Unterstützung und aufbauenden Mitarbeit der Industrie gewiß sein." 2 6 Hitler legte schon am 20. Februar in einer geheimgehaltenen Zusammenkunft mit etwa 25 Vertretern des Finanzkapitals seinen „Blick auf das Ganze" offenbar sehr zufriedenstellend für diese dar, denn die von Schacht anschließend durchgeführte Sammlung für den Wahlfonds brachte drei — oder mehr — Millionen RM ein. 27 Krupp betonte in seiner Entgegnung wiederum, daß „es höchste Zeit sei, endlich einmal in Deutschland Klarheit in den innerpolitischen Fragen zu schaffen". 28 Noch am 23. März, als das Ermächtigungsgesetz angenommen war, bekundete das Präsidium des RDI seine Zustimmung zur politischen Entwicklung in einem Schreiben an Hitler. Es sah nunmehr „die Grundlage für ein stabiles Regierungsfundament geschaffen, und . . . die Störungen beseitigt, die sich aus den ständigen politischen Schwankungen der Vergangenheit ergeben und die wirtschaftliche Initiative stark gelähmt" haben. 29 Nun waren gerade die Störungen der Wirtschaft durch willkürliche Eingriffe seitens Hitlers Parteigefolgschaft, entsprechender Parteidienststellen und der mittelständischen Kampfbünde der Wirtschaft 1933 ganz erheblich. 30 Doch so sehr dadurch die Wirtschaft insgesamt verunsichert wurde, so wenig fühlten sich offenbar die Vertreter des Großkapitals ernsthaft beunruhigt. Über den „Kepplerkreis", insbesondere aber über Schacht, ihren eigentlichen Interessenvertreter 3 !, hatten sie direkte Verbindungen zu Hitler und im übrigen bildeten „die großen Namen Krupp, Siemens, Bosch, Borsig . . . einen Schutzring um die feste Burg der Industrie". 32 Rundschreiben Nr. 73. Präsidialsit^ung des Reicbsverbandes am 16. Februar 1933, in: GM, Nr. 5/1933, S. 27. An dem Treffen, das erst in den Nürnberger Prozeßverhandlungen bekannt wurde, nahmen, neben Hitler, Göring und Funk von Seiten der NSDAP, führende Vertreter der Montanindustrie, der chemischen und Elektroindustrie, der Textilindustrie und des Bankwesens teil, darunter: Krupp v. Bohlen-Halbach, Generaldirektor Vogler, v. Schnitzler (IG Farben), v. Schröder und Schacht, der eigentliche Vermittler dieser Zusammenkunft. „Hitler erklärte sein Programm in einer Rede, in der er, wie nur wenige Male zu Beginn seiner Reichskanzlerzeit, seine Absichten im Kampf um die totale Macht offen zu erkennen gab." (Bracher, Kar/Dietricb/Sauer, Wolfgang\Schul^ Gerbard, a.a.O., S.630.-IMG, Bd. 35, S. 42ff„ Dok. D- 203; Bd. 5, S. 177ff; Bd. 12, S. 497ff., 624f.; Bd. 19, S. 451; Bd. 32, S. 555f.; Bd. 36, S. 520ff.) 28 Notiz Krupps v. 23. Februar über seine Erwiderung, in: IMG, Bd. 35, S. 48, Dok. D- 204. 29 Das Schreiben wurde auch an den Vizekanzler (Papen), den RWM (Hugenberg), den RMdl (Frick), den RAM (Seldte) und den Reichsbankpräsidenten (Schacht) übermittelt. (Stellungnahme des Präsidiums des RDI zur politischen Entwicklung, in: GM, Nr. 7/1933, S. 45.) 30 „Nationalsozialistischer Kampfbund der gewerblichen Wirtschaft", 1932 als zentrale Mittelstandsorganisation der NSDAP unterstellt, Leiter: A. v. Renteln. Ordnete sich nach dem 30. Januar bald die mittelständischen Wirtschaftsorganisationen unter (Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels u. angeschlossene Verbände, Handwerkskammern, Innungen etc.), setzte Kommissare ein und „unerwünschte" Personen ab, griff in die Preisgestaltung, in den Geschäftsablauf von Betrieben ein u. a. m. Renteln arbeitete im engen Einverständnis mit Dr. Otto Wagener, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung (WPA) der NSDAP und Vertreter der Ständeideologie im Parteiapparat. Wagener war von Mai bis Juni 1933 „Reichskommissar der Wirtschaft", mit Ausnahme der Landwirtschaft, und als solcher zuständig für den RDI. (Ebenda, Nr. 9/1933, S. 61.) 31 Schacht war am 17. März zum Präsidenten der Reichsbank berufen worden. (Vgl. auch Helffericb, Emil, 1932—1946. Tatsachen, Jever (Oldb.) 1969, S. 20 iL-Voge/sang, Reinhard, Der Freundeskreis Himmler, Göttingen/Zürich/Frankfurt 1972, S. 53f.) 32 Aussage des Justitiars des RDI, Gustav Schwartz, v. 8. Feb. 1948, Vert. Dok — B (Bülow) 62, „Krupp Prozeß" (Fall 10). Zur Information über die „Nürnberger Nachfolgeprozesse" (Fall 1 — Fall 12), die nach dem Hauptkriegsverbrecherprozeß von den Vereinigten Staaten, ebenfalls in Nürnberg, gegen Vertreter 26
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Trotz allem war es keine widerspruchsfreie Entwicklung. Nur eben die Grundrichtung der Entwicklung ging nicht gegen die Industrie, sondern gegen die Kräfte in Hitlers Gefolgschaft, die den Kurswechsel nicht begreifen wollten. Die Wende in der offiziellen Parteipolitik zeichnete sich sehr bald ab. Nach der Konsolidierung der faschistischen Herrschaft als Einparteiensystem im Sommer 1933 wurden die Regulierungsversuche der ersten Monate zur strikten Ablehnung der diversen „Revolutionsvorstellungen", wie sie in der Mitgliederschaft vertreten und praktiziert wurden. Aus der Ablehnung wurde sehr bald ein scharfer Kampf. Der folgende Überblick gibt die wichtigsten Punkte dieser Entwicklung wieder und vermittelt zugleich auch einen Eindruck von den Vorgängen und den tiefen Auseinandersetzungen, die die Wandlung der faschistischen Partei von ihrer mittelständischen Orientierung zur staatsmonopolistisch orientierten Partei begleiteten.
3. Z u m Wechselverhältnis zwischen Staat, N S D A P und M o n o p o l e n Die folgende Zusammenstellung wird die Lage im Jahre 1933 innerhalb der Nazipartei lebendiger charakterisieren können, als es einer Darlegung der Ereignisse auf begrenztem Raum möglich ist. Es sind Maßnahmen, die seitens der Parteiführung angeordnet wurden, um bestimmte Praktiken ihrer Mitglieder und ihrer Anhängerschaft in der Wirtschaft zu unterbinden. In den Anordnungen spiegelt sich wider, worum es g i n g ; daß sie „von ganz oben" ausgingen, macht das Ausmaß der Aktionen deutlich; daß sie im zweiten Halbjahr zunehmend schärfer wurden, im Ton wie in der Strafandrohung, zeigt, wie tiefgehend diese Auseinandersetzungen innerhalb der Nazipartei waren. Die Daten wurden den „Geschäftlichen Mitteilungen an die Mitglieder des Reichsverbandes der Deutschen Industrie" (ab Juni 1933, Reichsstand der Deutschen Industrie) entnommen, wo sie zunächst unter anderem, ab Juli 1933 aber systematisch und laufend unter der Überschrift „Übersicht über die wirtschaftspolitischen Beschlüsse und Regierungserklärungen zur Beruhigung und Belebung der Wirtschaft" veröffentlicht wurden. 3 3 Die funktionelle Bedeutung dieses Verfahrens ist offensichtlich, ebenso die Anpassung der Naziführung an die Wünsche der Industrie, die sich ihrerseits bereitfand, die Anstrengungen ihrer „Partner" durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen. Zunächst also die Zusammenstellung, in die nur eine Auswahl aus den genannten Übersichten aufgenommen wurde: 25. April: Sämtlichen Parteidienststellen wird untersagt, selbständig Kommissare in irgendwelchen Betrieben einzusetzen. Das Recht zu solchen Maßnahmen wird allein dem zuständigen Verbindungsstab der NSDAP in Berlin vorbehalten. 34 von Wehrmacht, Wirtschaft, SS-Institutionen, Behörden etc. des faschistischen Deutschland durchgeführt wurden, siehe: Cspllek, Roswitha/Eicbho/tz, Dietrich, Die Nürnberger Nachfolgeprozesse als Quelle der Geschichtswissenschaft, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1966, T. 3, S. 219ff., insbes. 231—235. 33
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Die o. g. Übersicht erschien erstmalig (1. Folge) in: GM, Nr. 12/1933, S. 8 7 - 8 9 , für die Zeit vom 29. Juni bis 15. Juli 1933; 2. Folge (16. Juli—14. August), in: Ebenda, Nr. 14, S. 1 1 0 - 1 1 2 ; 3. Folge (15. A u g u s t 4. Oktober), in: Ebenda, Nr. 17, S. 1 3 2 - 1 3 5 ; 4. Folge (5. Oktober-14. November), in: Ebenda, Nr. 19, 5. 1 5 5 - 1 5 8 ; 5. Folge (15. November—22. Dezember), in: Ebenda, Nr. 21, S. 1 7 5 - 1 7 8 . Soweit die zusammengestellten Daten aus diesen Übersichten stammen, wird auf eine besondere Quellenangabe verzichtet. Maßgebend ist das angegebene Datum. Verfügung des Leiters des Verbindungsstabes der NSDAP v. 23. 4. 1933, abgedruckt in: Ebenda, Nr. 8, S. 51. — Am 27. 4. erfolgte eine ausführliche Bekanntmachung zu dieser Verfügung, unterzeichnet von O. Wagener, der Sachbearbeiter für Wirtschaftspolitik in diesem Verbindungsstab war. Ebenda. — Petzina,
Staat, NSDAP und Monopole
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8. Mai: Göring untersagt als Preußischer Ministerpräsident alle Eingriffe der Kampfbünde in die Wirtschaft und regelt in einem Runderlaß die Einsetzung und Tätigkeit von „Kommissaren z. b. V.", gleichzeitig enthebt er alle Kommissare, die nach diesen Vorschriften nicht mehr zulässig sind, ihrer Funktion. 35 13. Mai: Dem Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes wird durch O. Wagener strengstens untersagt, „die Einsetzung von Kommissaren, die Gleichschaltung in Verbänden und Betrieben, die Beseitigung und Ersetzung unerwünschter Personen, die unmittelbare Beeinflussung der Preisgestaltung und direkte Eingriffe in das Geschäftsleben" vorzunehmen. 36 16. Mai: Der NSBO-Leiter Schumann verbietet allen Mitgliedern, sich an Aktionen gegen Betriebsleitungen zu beteiligen. 37 Ende Mai: Durch O. Wagener werden „sämtliche Kampfbünde, die auf dem Gebiet der Wirtschaft gebildet worden sind", aufgelöst und alle Parteidienststellen gebeten, von diesen Kampfbünden eingesetzte Kommissare „den Gerichten auszuliefern". Der „amtlich gegründete" Kampfbund der gewerblichen Wirtschaft wird in den „Nationalsozialistischen Deutschen Wirtschaftsbund" umgebildet und der DAF unterstellt. Seine Aufgabe: die Erziehung zu einem Wirtschaftsdenken nach dem Grundsatz „Gemeinnutz vor Eigennutz"^ 4. Juli: Hitler verlangt, „die in den letzten Wochen beobachtete Sucht, überall Nachforschungen nach Vergehen aus früherer Zeit anzustellen, müsse aufhören (.verächtliches Angebertum'). Es dürfe bei den Führern der Wirtschaft auf keinen Fall ein Gefühl der Vogelfreiheit entstehen, weil dadurch die verantwortliche Leitung der wirtschaftlichen Unternehmungen gelähmt würde." 6. Juli: Hitler erklärt vor den Reichsstatthaltern, die Revolution sei beendet. Er wendet sich gegen die Absetzung von Wirtschaftlern, nur weil sie,keine Nationalsozialisten seien und macht die Reichsstatthalter dafür verantwortlich, „daß nicht irgendwelche Organisationen oder Parteistellen sich Regierungsbefugnisse anmaßten, wofür in Bezug auf die Wirtschaft nur der Reichswirtschaftsminister zuständig sei." 7. Juli: Der RAM erklärt im Einvernehmen mit dem RWM, daß für die Regelung der Arbeitsbedingungen allein die „Treuhänder der Arbeit" zuständig seien und die Bezirksleiter der DAF oder NSBO nicht eingreifen dürfen. 11. Juli: Rundschreiben des RMdl, Frick, an alle Reichsstatthalter und Landesregierungen über den „Abschluß der Deutschen Revolution". Unbefugte Eingriffe in die Wirtschaft werden als Sabotage bezeichnet und sollen mit den strengsten Mitteln geahndet werden. Die noch bestehenden Kommissariate sollen auf schnellstem Wege abgebaut werden. der sich auf Akten des BA Koblenz stützt, weist darauf hin, daß diesen Anordnungen entsprechende Interventionen Schachts bei Hitler vorausgegangen waren. (Pet^ina, Dieter, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, Stuttgart 1968, S. 21.) 35 Mitteilung und Auszüge, abgedruckt in: GM, Nr. 9/1933, S. 61 f. 36 Ebenda, S. 62. 37 Ebenda. 3 8 In der Anordnung heißt es: „Ich erhalte immer wieder Berichte, daß Gruppen von Parteigenossen und der Partei nahestehende Persönlichkeiten sich zusammenschließen, um als .Kampfbund' wilde Eingriffe in die Wirtschaft vorzunehmen. Sie setzen Preise fest, entfernen Persönlichkeiten aus ihrer Stellung, schließen einzelne Unternehmen und setzen Kommissare ein." (Abgedruckt in: Ebenda, Nr. 10, S. 71. — Für die folgenden Angaben vgl. Fn. 33.)
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12. Juli-. Hitler wendet sich vor den Gauleitern gegen „bürokratische Konstruktionen" und gegen die „Betriebsamkeit gewisser Organisationen" in der Wirtschaft. Er betont, das Wiederaufbauwerk könne nur durch industrielle Fähigkeiten zum Erfolg kommen. 13. Juli: RWM Schmitt stellt vor führenden Persönlichkeiten der Wirtschaft fest: Die Aufgaben der deutschen Wirtschaft können nur von dieser selbst gelöst werden, d. h. von den „aus ihr herausgewachsenen, verantwortlichen Führern". Der Staat solle verwalten, mit seiner Wirtschaftspolitik führen, aber nicht selbst wirtschaften. Der ständische Aufbau sei abgestoppt und zurückgestellt. 39 13. Juli: Die am 3. Mai für den RDI und die übrige gewerbliche Wirtschaft eingesetzten Wirtschaftskommissare O. Wagener und Möllers werden abberufen. Wagener wird auch als Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP abgesetzt, an seine Stelle tritt Keppler als Beauftragter Hitlers für Wirtschaftsfragen. Ihm werden außerdem alle wirtschaftspolitischen Einrichtungen der Partei unterstellt. 15. Juli: Ein „Generalrat der Wirtschaft" wird berufen, „zur Beratung der Reichsregierung in allen wirtschaftlichen Fragen (Industrievertreter: Carl Bosch, Böhringer, Diehn, Hackelsberger, v. Bohlen, v. Siemens, Thyssen und Vogler)." 17. Juli-. Goebbels spricht im Rundfunk zum Thema „Volk an der Arbeit". Er stellt fest, „Revolutionen seien nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck . . . Hitler habe die Revolution im richtigen Moment aufgefangen. Habe man die Gesetzmäßigkeit absolut in der Hand, dann habe der letzte Kommissar den Weg zu räumen." 19. Juli: Der bayerische Ministerpräsident erklärt anläßlich eines Empfanges der bayerischen Industrie, er werde „vor den strengsten Vergeltungsmaßregeln gegen unberechtigte Eingriffe in die Wirtschaft nicht zurückschrecken". 24. Juli: Das R W M erzwingt „die Niederlegung einer Reihe von Aufsichtsratsposten, die sich verschiedene Personen unter Bezugnahme auf angebliche parteiamtliche Weisungen verschafft haben. Die Bereinigung soll fortgesetzt werden". 28. Juli: Die NSBO-Leitung 'zieht alle „NSBO-Beauftragten für Konzerne, Behörden usw." zurück. 30. Juli: Im Erlaß des Preußischen Justizministers über die Zentralstaatsanwaltschaft werden unter den Sabotagedelikten am „nationalsozialistischen Aufbau" ausdrücklich auch die „unbefugten Eingriffe in die Wirtschaft" genannt. 8. August: Hess erläßt eine Parteiverfügung gegen unbefugte Eingriffe in die Wirtschaft und kündigt schärfstes Vorgehen gegen Zuwiderhandlungen an. — Ley gibt eine Verfügung über die „Neuordnung des Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes" heraus. Danach wird dieser aufgelöst und in die verschiedenen Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisationen „auseinandergegliedert". — Göring löst die preußische Hilfspolizei mit Wirkung vom 15. 8. auf. 9. August: Der preußische Innenminister weist die Gemeinden und Gemeindeverbände an, von jeder Einrichtung neuer wirtschaftlicher Betriebe etc. abzusehen, da der bestehende Umfang „in den Kreisen der Privatwirtschaft zu oft begründeten Klagen Anlaß gegeben habe". 14. August: R W M Schmitt wendet sich in einer großen Rede auf dem „Kongreß der deutschen Arbeit am Rhein" gegen alle Utopien und theoretischen Diskussionen in der Wirtschaft und betont die „wirtschaftliche Vernunft" als ausschlaggebendes Prinzip. Er verlangt, daß das „Führungsprinzip" als „die Anerkennung der Autorität" in der schärfsten 39
Zum „ständischen Aufbau der Wirtschaft", siehe Kap. 5. Abschnitt 1.
Staat, NSDAP und Monopole
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Weise proklamiert wird. „Wir müssen im Sinne des heutigen Reichs das Führerprinzip, das Verantwortlichkeitsprinzip, das Männerprinzip durchführen". 26. August: Feder, seit 29. Juni Staatssekretär im RWM, dementiert den finanzpolitischen Inhalt seiner Theorie von der Zinsknechtschaft. 1.—3. September: Hitler proklamiert auf dem Reichsparteitag das Recht auf Arbeitszuteilung als das einzige moralische Recht, das nur vom Staat zu fordern sei. „Der Gedanke des Privateigentums ist unzertrennlich verbunden mit der Überzeugung einer verschiedenartigen und verschiedenwertigen Leistungsfähigkeit des Menschen". 7. September-, Ley ordnet an, daß die NSBO sich von den Aufgaben des Arbeitsschutzes und des Arbeitsrechtes fernzuhalten habe, da diese der DAF unterstellt seien. 8. September-. Keppler wendet sich gegen „wilde Geldschöpfungen" seitens verschiedener Kreise und Organisationen, die dadurch die Krise zu beheben suchten („Schwundgeldsystem", „Ausgleichskassen" u. ä.). 12. September-. Der preußische Justizminister fordert erneut die schärfste Ahndung von „Aufbau-Sabotage". 14. September-. Die Einrichtung der „Wirtschaftsbeauftragten" bei den Parteidienststellen wird von Hess aufgehoben. 20. September: Auf der ersten Sitzung des Generalrates der Wirtschaft wird der neue Wirtschaftsplan bekannt gegeben. Hitler betont, die Wirtschaft müsse aus sich selbst heraus gesund werden, und Krupp verspricht bedingungslose Unterstützung der Regierung. 27. September: Erlaß des RWM zur „Arierfrage in der Wirtschaft". Eine Unterscheidung in „arische" und „nichtarische" Betriebe wird für nicht durchführbar erklärt. Boykotte „nichtarischer" Firmen werden wegen Störung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus abgelehnt.«) 28. September-. Schmitt wendet sich auf dem Allgemeinen Deutschen Bergmannstag in Essen gegen Eingriffe in die Wirtschaft aus „irgendwelchen gefühlsmäßigen Erwägungen" heraus. Er betont die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als erste Voraussetzung für die Gesundung der Wirtschaft. 8. Okiober: Der Treuhänder der Arbeit für Thüringen verbietet alle Maßnahmen zur Behinderung der Warenhäuser und ihres Geschäftsverkehrs wie „schwarze Listen, Inseratensperre, Behinderung der Kundschaft durch Posten, Flugblätter usw." 10. Oktober: W. Tengelmann wird als „Beauftragter des Preußischen Ministerpräsidenten für Wirtschaftsfragen" in das Preußische Staatsministerium berufen. 41 — Der Chef der Bayerischen Staatskanzlei wendet sich in einer Bekanntmachung gegen „Prangert^feln" u. ä., Versuche, „das Ansehen bestimmter Personen und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu schädigen". 21. Oktober: Presseveröffentlichung Kepplers über „Neue Wege im Handel". Er wendet sich gegen unbesonnene Maßnahmen, die zu Zusammenbrüchen und Kapitalverlusten führen müssen. — Erlaß des RAM, des RWM und des Preußischen Ministers des Innern mit der Ankündigung „schärfsten Vorgehens gegen Wirtschaftsstörer". 1. November: Hess wendet sich in einem Erlaß gegen „Übereifrige in der Partei". 40
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Anlaß für diese Erklärung waren die Reaktionen des Auslandes auf die Judenverfolgung in Deutschland, insbesondere auf die Boykottbewegung gegen deutsche Waren und die damit verbundenen handelspolitischen Auswirkungen. Die Tengelmanns besetzten einflußreiche Positionen insbesondere in der Montanindustrie des Ruhrgebietes.
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Die Festigung der politischen Macht des Faschismus
7. November: Ley wendet sich gegen „unbefugte Titelanmaßung von Parteigenossen", die als „Reichsleiter", „Reichsführer" etc. auftreten, ohne von Hitler dazu ernannt zu sein. 8. November: Hess ordnet an, „die Zeit des Feierns der nationalen Revolution und ihrer Führer (sei) als abgeschlossen zu betrachten". — Am 10. November dementiert er, daß „Nicht-Parteimitglieder als Deutsche zweiter Klasse" betrachtet würden. 20. November: Hess stellt in einer parteiamtlichen Erklärung fest, daß „Parteigenossen in staatlichem Amt sowie Parteidienststellen" nicht berechtigt sind, auf eigene Faust Verordnungen herauszugeben, die „1. ein Höchsteinkommen der Bevölkerung oder einzelner Bevölkerungsschichten festlegen, 2. das Doppelverdienertum regeln sollen, 3. der Bevölkerung zwangsweise Abgaben allgemeiner Art über die offiziellen Steuern hinaus auferlegen". 21. November: Öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses für das Bankenwesen. Schacht faßt das Ergebnis dahin zusammen, „daß die Totalverstaätlichung der Banken ziemlich einmütig abgelehnt werde. Aber die Wirtschaftspolitik der Banken könne nicht von der Wirtschaftspolitik des Staates abgehängt werden". 24. November: Schacht spricht vor der IHK Düsseldorf-Elberfeld über Exportfragen und die Notwendigkeit einer „gesunden Ausfuhr". 27. November: Gemeinsamer Aufruf von Ley, Seldte, Schmitt und Keppler zum Eintritt in die DAF. — Ley kündigt ein großes „Feierabend- und Freizeit-Werk" an, Motto: Kraft durch Freude. 28. November: Eine „grundsätzliche Aussprache im Reichswirtschaftsministerium über den ständischen Aufbau der Wirtschaft" findet statt. 29. November: R W M Schmitt wendet sich scharf gegen Preiserhöhungen für handwerkliche und sonstige gewerbliche Leistungen". 1. Dezember: Hess und Röhm werden als Reichsminister o. G. in das Kabinett aufgenommen. Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat wird erlassen. 2. Dezember: Einer Anordnung des Leiters des Organisationsamtes der DAF zufolge wird allen Dienststellen der NSDAP untersagt, in den Liquidationsprozeß der Arbeitgeberverbände einzugreifen. — Göring wird Chef der Geheimen Staatspolizei. 15. Dezember: Es wird u. a. ein Gesetz über die Schaffung einer Reichsstelle für die Devisenbewirtschaftung beschlossen, das die Abtrennung der Devisenbewirtschaftung vom Reichswirtschaftsministerium vorsieht. Die Entwicklung im zweiten Halbjahr 1933 ergibt für die Industrie folgendes Bild: Zuerst erfolgte die Regulierung „wilder Eingriffe" in die Wirtschaft und die Zerschlagung der mittelständischen Kampfbünde. Nach der Konsolidierung der politischen Machtverhältnisse zugunsten der Führerdiktatur Hitlers setzte auch die Konsolidierung der Machtverhältnisse in der Partei selbst ein. Soweit es das Verhältnis zur Wirtschaft betrifft, kam es zu einer ständigen Annäherung des Parteiapparates an die Interessen der Großindustrie. Mit dem „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" vom 1. Dezember 1933 wurde durch die Schaffung einer besonderen Partei- und SA-Gerichtsbarkeit die Disziplinierung der Mitgliedschaft, sicher auch im Interesse der Parteierhaltung, aus den Gerichten in den Parteiapparat selbst verlegt und der Dualismus zwischen Partei- und Staatsinteresse unterbunden, der in den verschiedenen Bestrebungen innerhalb der Partei zum Ausdruck gekommen war. 1 2 Damit war am Jahresende 1933 die Basis für die funktionelle Eingliederung der faschistischen Partei in das staatsmonopolistische System geschaffen. 42
Nicht ausreichend ist die Einschätzung dieses Gesetzes als Ausdruck persönlicher Ambitionen der Naziführer und ihrer Absicherung, in: Deutschland. 1933—1959, a. a. O., S. 97.
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Diese Entwicklung fand ihre Fortsetzung im Gehorsamsfetischismus der SS-Elite und in deren Funktionsbereichen, in denen staatliche und Parteifunktionen im besonderen Ausmaß institutionell zusammenwuchsen. Der RDI — vielmehr sein allmächtiges Präsidium — unterstützte die Anstrengungen der Naziführer durch verschiedene Maßnahmen, deren Wirkung ganz offenbar Parteischlagworte, wie etwa „Volksgemeinschaft", „Ständestaat" etc. nach außen hin und gegenüber der Nazianhängerschaft bekräftigen sollten. Sie dienten jedoch auch der Machtsicherung des Finanzkapitals, das sich im RDI-Präsidium konzentrierte und — worauf noch einzugehen ist — 1933 seine Position gegenüber den nichtmonopolisierten Unternehmerschichten sowie deren Verbänden noch stabilisieren mußte. 43 Hier soll diese Taktik nur durch einige Beispiele illustriert werden: Ende April: Die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ruft ihre Mitglieder auf, den 1. Mai als „Feiertag der Nationalen Arbeit" mit den „Arbeitnehmern" zusammen „in einer der örtlichen und betrieblichen Verhältnissen entsprechenden Form Ausdruck" zu geben. Der RDI schließt sich dem Aufruf an. 44 Ende J u n i : Der RDI und die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände schließen sich zum „Reichsstand der Deutschen Industrie" zusammen, ohne daß sich in den Machtverhältnissen innerhalb dieser Spitzenverbände etwas verändert. 45 Oktober: Der RDI ruft seine Mitglieder auf, sich am „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" zu beteiligen. 46 November: Die Auflösung der Arbeitgeberverbände wird beschlossen; der RDI ruft seine Mitglieder auf, der DAF beizutreten. 47 Die kooperative Aktion zwischen den Interessenvertretern des Kapitals und der Führerclique im Staatsapparat zur Manipulierung der Massen im Sinne der Zielsetzung des faschistischen deutschen Staates wurde durch ein dichtes Netz propagandistischer Einrichtungen, Aktivitäten etc. ergänzt 48 , denn die Propaganda, so hatte Hitler festgestellt, muß „immer mehr auf das Gefühl gerichtet sein und nur sehr bedingt auf den sogenannten Verstand." 49 Dazu ausführlich Kap. 5, Abschnitt 1. GM, Nr. 8/1933, S. 52. « Ebenda, Nr. 11, S. 77. «Ebenda, Nr. 17, S. 131. «Ebenda, Nr. 20, S. 167. 4 8 Dazu sehr ausführlich: Geschichte des zfetten Weltkrieges 1939—1945, in 12 Bänden, Bd. 1: Die Entstehung des Krieges. Der Kampf der fortschrittlichen Kräfte für die Erhaltung des Friedens, Berlin 1976, S. 206 bis 214. (Originalausgabe Moskau 1973). «• Hit/er, Adolf, Mein Kampf, 66. Aufl., München 1933, S. 197. 43 44
KAPITEL 3
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Die Forderung nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Überlegungen, welcher A r t sie sein sollten, w o sie anzusetzen sind, wie sie zu finanzieren wären und welche volkswirtschaftlichen Wirkungen bzw. Auswirkungen sie haben würden, waren bereits Mitte der zwanziger Jahre auf die Tagesordnung getreten. Es war eine Folge der permanent hohen Arbeitslosigkeit, die nicht nur sozial und politisch, sondern auch in wirtschaftstheoretischer Hinsicht als neues Phänomen zu neuen Fragestellungen zwang. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise machten diese Fragen zu einem Generalthema der Zeit. Das Charakteristikum dieser Diskussionen war die Unkenntnis der inneren Zusammenhänge der tatsächlichen wirtschaftlichen Abläufe, insbesondere ihrer inneren Dialektik, war die Hilflosigkeit und Unsicherheit der bürgerlichen Ökonomie, die mit den neuen Gegebenheiten nicht mehr fertig wurde. 1 Es war eine Zeit des Umdenkens und zweifellos auch eine Zeit neuer Erkenntnisse. 2 Die Frage, wie das Riesenheer der Arbeitslosen wieder beschäftigt, die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden kann, wurde allgemein mit der Forderung nach staatlichen Maßnahmen beantwortet. Dabei spielten auch die anhaltenden krisenhaften Erscheinungen am Weltmarkt eine Rolle, v o n dem im Unterschied zu 1926 beispielsweise keinerlei belebende Impulse ausgingen. So bestärkte sich überall die Überzeugung, daß eine konjunkturelle 1
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Grotkopp, während der Krise 1929/32 Schriftführer der „Studiengesellschaft für Geld- und Kreditwirtschaft", die, zur Gruppe der „Reformer" gehörend, mit einem eigenen Arbeitsbeschaffungsprogramm hervortrat, gibt eine sehr informative Darstellung dieser Diskussionen, wobei er allerdings das Arbeitsbeschaffungsprogramm der KPD vom Mai 1931 unterschlägt. (Vgl. Grotkopp, Wilhelm, Die große Krise, Düsseldorf 1954. — Geschichte der deutseben Arbeiterbewegung (im folgenden: GddA), Bd. 4, Berlin 1966, S. 290ff.; Dok. Nr. 79, S. 547-554.) Die Funktion der bürgerlichen ökonomischen Lehre ist unter staatsmonopolistischen Bedingungen eine zweifache: Neben ihrer apologetischen Funktion hat sie auch die Aufgabe, brauchbare Ergebnisse für die Wirtschaftslenkung zu liefern. ( M e i ß n e r , Herbert/Höhnisch, Alfred, Die Entwicklung der bürgerlichen politischen Ökonomie in der Periode des Kapitalismus, in: Wirtschaft und Staat im Imperialismus. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland, hg. v. Lotte Zumpe, Berlin 1976, S. 289 = Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, hg. v. Jürgen Kuczynski u. Hans Mottek, Bd. 9.) — Die Weltwirtschaftskrise von 1929/32 zwang mehr als jeder Zeitabschnitt vorher dazu, beiden Aufgaben gerecht zu werden. Grotkopp weist auf die Parallelität der Gedanken deutscher Ökonomen, insbesondere der „Reformer", mit denen von J. M. Keynes hin. Vgl. dazu seine Ausführungen über die „Neue Lehre". (Grotkopp, Wilhelm, a. a. O., S.240—262.)—Donner schrieb 1934 über Keynes: Er begründet „seine sensationelle Absage an den individualistischen Kapitalismus, an Freihandel und Allmacht privatwirtschaftlicher Rentabilitätsprinzipien, . . . mit dem Denkapparat der alten theoretischen National-
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
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Belebung der Wirtschaft zunächst nur vom Binnenmarkt ausgehen könne und müsse. 3 Hier Nachfrage zu erzeugen, sollte nun staatliche Aufgabe sein. Der Streit begann bei der Überlegung, wie dies geschehen sollte. Obwohl die staatliche Regulierungstätigkeit schon längst unentbehrlich war für die Kapitalverwertung, hatte sich erst jetzt, unter dem Druck der riesigen Arbeitslosigkeit, die Erkenntnis durchgesetzt, daß es ohne staatliche Eingriffe nicht mehr ging. 4 Mit den aktuellen Überlegungen zur Arbeitsbeschaffung verbanden sich deshalb auch konjunkturpolitische Überlegungen und Forderungen. Wie widersprüchlich, naiv — insbesondere unter den gegenwärtigen Erfahrungen der kaptalistischen Konjunkturpolitik ! — aber trotzdem auch mit einer tieferen Einsicht gepaart die Auffassungen in diesen Jahren waren, zeigt u. a. eine Schrift von O. Donner, Wagemann-Schüler und -Mitarbeiter, aus der einige Sätze zitiert werden sollen: „Welches sind aber die Maßstäbe, nach denen sich der Staat in seiner wirtschaftspolitischen Betätigung nun, nachdem seine Verpflichtung zur Regulierung auch der Wirtschaft anerkannt ist, zu richten hat? — A m vordringlichsten ist die Verpflichtung, die aus der Vergangenheit übernommenen Arbeitslosen wieder in den Produktionsprozeß einzugliedern und die Entstehung neuer Arbeitslosigkeit künftig zu verhindern. Das ist gleichbedeutend mit der Aufgabe, für einen stetigen Gang der Wirtschaft zu sorgen und Krisen auszuschließen. Vielleicht erscheint diese A u f gabe heute nicht mehr neu. Man soll aber nicht vergessen, daß die Zentralbanken noch vor ganz wenigen Jahren die Meinung, als ob sie auch Konjunkturpolitik zu treiben hätten, weit von sich wiesen, und daß auch heute noch dem Staat vielfach — nicht zuletzt von den Zentralbanken — geraten wird, seine gegenwärtige Rolle als Konjunkturfaktor nur als vorübergehend zu betrachten." 5 Ökonomie — den er allerdings beim heutigen Zustand der Dinge ansetzt, im Gegensatz zu jenen, die unentwegt die Wirklichkeit als für die Wirtschaftstheorie belanglos abtun und so argumentieren, als ob sie in Ricardianischen Zeiten lebten." (Donner, Otto, Geld und Konjunktur, Berlin 1934, S. 2.) 3 Die Auffassung, daß die Konjunktur nur noch über die Belebung der nationalen Wirtschaften herbeizuführen sei, war 1932/33 allgemein. (Dazu auch: Kuczjnskj, Thomas, Das Ende der Weltwirtschaftskrise 1932/33, Diss. Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner" Berlin 1972, S. 142) 4 Bemerkenswert hinsichtlich einer weitergreifenden Vorstellung ist die „Gemeinschaftsarbeit", ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, das von einer Reihe von Wissenschaftlern und Industriellen angefertigt und 1933 veröffentlicht wurde. Die Verfasser gehen in ihrer Vorbemerkung „grundsätzlich" davon aus, daß der „Ausgangspunkt für die Überlegungen . . . , die durch den Weltkrieg hervorgerufenen Änderungen der wirtschaftlichen Grundlagen" waren, und sie vertreten „den Standpunkt, daß das Problem der Arbeitsbeschaffung auch dann, wenn die Konjunktur sich auf stetig ansteigender Kurve bewegen würde, noch auf lange Zeit behandelt werden muß". (Arbeitsbeschaffung. Eine Gemeinschaftsarbeit, unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute bearb. v. Heinrich Dräger (u.a.), Berlin 1933, S. 1, 6.) — Zur Auffassung einer Reihe marxistischer Forscher, daß der staatsmonopolistische Kapitalismus mit der Weltwirtschaftskrise von 1929/32 als neue Etappe oder Phase des Imperialismus anzusetzen sei, ausführlicher: Bd. 1, Kap. 2, dieser Arbeit. 5 Donner, Otto, a. a. O., S. 11. — Nach der alten Vorstellung und Praxis stand die Konjunkturpolitik immer im Dienste der Währungspolitik. Der eigentliche Einbruch wurde durch die Pfundabwertung Englands (1931) verursacht. „Die Amerikaner aber waren die ersten, die die frühere Rangordnung bewußt umdrehten. Sie stellten die Währungspolitik in den Dienst der Konjunkturpolitik." (Ebenda, S. 40f.) — Das Umdenken bzw. den Ubergang von alten Vorstellungen zu ersten neuen Einsichten stellt Kroll am Beispiel Lautenbachs dar (Röpke hatte ihn den deutschen Keynes genannt); ebenso wird im Streit um den „Wagemann-Plan" deutlich, wie geld- und währungstheoretische Vorstellungen offenbar noch sehr unter dem Eindruck der großen Inflation gestanden haben. (Kroll, Gerbard, Von der Weltwirtschaftskrise zur Staatskonjunktur, Berlin 1958, S. 381 ff. — Vgl. auch: Landauer, Carl, Hände weg von der Währung, in:
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Die staatliche Arbeitsbeschaffung sollte als „Initialzündung" wirken und den wirtschaftlichen Kreislauf wieder „ankurbeln". 6 Dahinter stand die Erwartung, daß sich dann das Räderwerk des „Automatismus" wieder von selbst drehen würde. In einem Produktionssystem, „wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht" 7 , konnte sie diese ihr zugedachte Funktion, als „Initialzündung" zu wirken, jedoch nur auf der Basis funktionierender Kreditmärkte erfüllen. Die andauernde krisenhafte Erstarrung gerade dieses Teils der Wirtschaft rückte ihn deshalb auch stark in die allgemeine Diskussion. 8 Auch hier sollte es Sache des Staates sein, den Kreditmarkt wieder in Bewegung zu bringen, damit das steigende Angebot von Leihkapital auch den noch immer sehr hohen Zinssatz senkt 9 , wodurch die Kredite verbilligt und dadurch die Investitionstätigkeit sowie eben die Konjunktur angeregt werden würden. 10 So spielten auch die Summen, die der Staat aufzuwenden habe, um dieses Ergebnis zu bewirken, wie auch ihre Beschaffung eine wesentliche Rolle. Die sonst übliche Beschaffung „außerordentlicher" Staatsausgaben auf dem Kapitalmarkt durch Anleihen usw. schloß sich eben wegen des knappen Kapitalangebots und auch wegen der sehr hohen Zinsen aus. Der Staat sollte ja nicht das Kapitalangebot verringern, sondern vermehren, seine Aufgabe sollte darin bestehen, neue Kreditquellen zu erschließen. Finanzpolitisch erfolgte deshalb auch 1932 mit der Arbeitsbeschaffung der Übergang zu einem grundsätzlich neuen Prinzip der Haushaltspolitik, nämlich der Übergang vom Dcckungsprinzip zur Defizitfinanzierung. Es war der Übergang zu einer Kreditschöpfung des Staates, die durch nichts anderes gedeckt war als durch künftig zu erwartende Staatseinnahmen, d. h. also durch den Staatskredit. Die Auseinandersetzungen um diesen Weg waren von der Vorstellung geprägt, daß damit die Schleusen für eine hemmungslose Inflation geöffnet würden. Unter dem noch immer nachwirkenden Eindruck der großen Inflation der Nachkriegszeit wurde jedoch von einer solchen Entwicklung in Anbetracht der sozialökonomischen Auswirkungen der Krise eine äußerste Gefährdung der bourgeoisen Herrschaft befürchtet. Daß diese Gefahr nach der scharfen deflationistischen Entwicklung und den massenhaft brachliegenden Produktionskapazitäten zunächst nicht unmittelbar bestand, war eine Erfahrung, die erst gemacht wurde, nachdem dieser Weg eingeschlagen worden war. Den ersten Schritt in dieser neuen Richtung hatte das Kabinett Papen mit der Ausgabe Der deutsche Volkswirt, Berlin, 6. Jg., Nr. 17/1932, S. 551.-Ebenso: Stolper, Gustav, Deutsche Wirtschaft 1870-1940, Stuttgart 1950, S. 121f.) 6 Grotkopp verweist auf einen Artikel von Soudek vom Januar 1933, (in: Die Wirtschaftskurve) in dem festgestellt wird, „daß in konjunkturpolitischen Schriften vor dem Jahre 1930 nicht nur das Wort Ankurbelung fehlt, sondern auch jeder Ansatz zu einer Vorstellung, als ob sich die Wirtschaft aus der Lethargie der Depression durch irgendeinen politischen Akt herausreißen ließe." ( G r o t k o p p , Wilhelm, a. a. O. S. 124, Anm. 6.) 7 Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 3, in: MEW, Bd. 25, Berlin 1968, S. 534. 8 Vgl. dazu: Lantenbach, Wilhelm, Zins, Kredit und Produktion, hg. v. Wilhelm Stützer, mit einem Vorwort v. Wilhelm Röpke, Tübingen 1952•,Donner, Otto, a. a. O. 9 Dazu auch Marx über die Bewegung des Leihkapitals, ausgedrückt im Zinsfuß, im Verlauf des industriellen Zyklus. {Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 3, a. a. O., S. 532ff.) 10 Die bürgerliche Konjunkturforschung unterscheidet zwei prinzipielle Methoden der Nachfrageerzeugung, das von Aftalion entdeckte „ Akzeleratorprinzip", das von der Einkommenssteigerung über die Erhöhung der konsumtiven Nachfrage zur Neuinvestition, zur Mehrbeschäftigung usw. führt, und das von Kahn ausgearbeitete „Multiplikatorprinzip", das von der Investition ausgeht. (Dazu die kritische Einschätzung von: Kuczjnski, Thomas, a. a. O., S. 143f. - Vgl. auch: Kroll, Gerbard, a. a. O., S. 259ff.)
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
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von Steuergutscheinen getan, die einen Vorgriff auf die Steuereinnahmen der folgenden fünf Jahre darstellten. 11 Das Kabinett Schleicher übernahm diese Aktion und erweiterte sie durch die Ausgabe von Arbeitsbeschaffungswechseln. Damit hatte es eine Kreditmethode eingeführt, die später von Schacht in einem weit größeren Umfange für die Rüstungsfinanzierung praktiziert wurde: „Die mit öffentlichen Arbeiten betrauten Unternehmen zogen sogenannte Arbeitsbeschaffungswechsel auf öffentliche Finanzinstitute. Die Wechsel waren prolongierbar, vom Reich garantiert und von der Reichsbank mit einer Rediskontzusage versehen. Sie konnten daher als erstklassige Papiere von Privatbanken diskontiert werden und erhöhten so den Geldumlauf." 12 Beide Maßnahmepakete, das der Regierung Papen und das „Sofort-Programm" von Schleicher/Gereke, wurden vom Kabinett Hitler übernommen, das überhaupt erst von den Auswirkungen profitierte. 13 Für die Regierung Hitler war eine erfolgreiche Arbeitsbeschaffung eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Absicherung ihrer Existenz. E s war nur ein Ausdruck für die sehr viel tiefer gehende Tatsache, daß die bourgeoise Herrschaft nur stabilisiert werden konnte, wenn es gelang, die Widersprüche zu dämpfen, die sich in der Krise so bedrohlich für diese verschärft hatten. Drei Schwerpunkte zeichnen sich in den entsprechenden Forderungen und Maßnahmen ab: 1. Die Arbeitslosigkeit sollte schnell ganz wesentlich verringert werden. Die Naziführung wußte genau, daß sie sich nur so den Masseneinfluß erhalten konnte, den sie für den Bestand ihrer Regierung und für die Lösung der ihr übertragenen Aufgaben benötigte. 2. Die Arbeitsbeschaffung sollte auch für die Industrie wirksam werden. Das heißt, sie durfte sich nicht in Maßnahmen erschöpfen, die vorwiegend auf manuelle Tätigkeiten und damit nur auf die schnelle zahlenmäßige Verringerung der Arbeitslosigkeit ausgerichtet waren. 3. Die Arbeitsbeschaffung sollte die Aufrüstung nicht beeinträchtigen und so weit wie möglich der Militarisierung der Volkswirtschaft dienen. Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung waren die Hauptkomplexe der staatsmonopolisti11
Mottek/Becker/Schröter schreiben dazu: „Das Bemerkenswerte an diesem Versuch waren nicht die Auswirkungen auf den Zyklus, die, wenn überhaupt vorhanden, jedenfalls sehr gering waren, bemerkenswert war vielmehr die Tatsache überhaupt, daß jetzt Steuererleichterungen... als Mittel der staatsmonopolistischen antizyklischen Regulierung eingeführt wurden." (Mottek, HansjBecker, Walter/Schröter,
Alfred,
Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß. Bd. 3 : Von der Zeit der Bismarckschen Reichsgründung 1871 bis zur Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus 1945, Berlin 1975, S. 147.) — Woytinsky berechnete die Mehrbeschäftigung auf höchstens eine Million Arbeiter, da aber gleichzeitig auch eine Lohnkürzung für die Arbeiter mit dieser Aktion verbunden war, die für den Binnenmarkt im Endresultat keine Kaufkraftsteigerung seitens der Arbeiterschaft erwarten ließ, kam er zu dem Schluß: „Es ist einfach unmöglich, die Wirtschaft dadurch anzukurbeln, daß eine dosierte Inflation zugunsten der Besitzenden mit der Fortsetzung der Deflation zuungunsten der Arbeitnehmer kombiniert wird." (Woytinsky, Wladimir, Das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung, in: Die Arbeit, 9. Jg., Nr. 10/1932, S. 587ff. - Vgl. auch: Kuc^ynski, Thomas, a. a. O., S. 170.) 12 Fischer, Wolfram, Deutsche Wirtschaftspolitik 1 9 1 8 - 1 9 4 5 , Opladen 1968, S. 58. 13
Der Umlauf von Steuergutscheinen betrug von September 1932 bis Ende März 1933 erst 472 Mill. RM und erreichte im März 1934 1,4 Mrd. RM, 1935 1,2 Mrd. RM und sank dann bis 1938 auf 300 Mill. RM ab. (Statisisches Jahrbuch für das Deutsche Reich (im folgenden: Statistisches Jahrbuch) 1935, S. 349; ebenda, 1936, S. 3 6 7 ; ebenda 1938, S. 399.) — Das „Sofort-Programm" war auf 500 Mill. RM angesetzt und wurde überhaupt erst unmittelbar vor dem Sturz Schleichers angenommen, kam also in seiner Wirkung überhaupt nur dem Hitlerkabinett zugute.
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Nussbaum/Zumpe, Bd. 3
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
sehen Konjunkturpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus in der Vorkriegszeit. Arbeitsbeschaffung, als gezieltes Regierungsprogramm mit einer bestimmten zeitlichen und sachlichen Bindung der dafür ausgesetzten staatlichen Mittel, diente, wie der Begriff schon sagt, primär der Verringerung der Arbeitslosigkeit bzw. der sozialökonomischen und politischen Spannungen, die sich daraus ergeben. Sie sollte aber auch, als „Initialzündung", den Anstoß für die allgemeine Belebung der Wirtschaft geben. (Wie die Entwicklung in den USA zeigt, blieb dort die Arbeitslosigkeit trotz riesiger Arbeitsbeschaffungsprogramme sehr hoch.) Die Aufrüstung Deutschlands war politisch gesehen die Vorbereitung des zweiten Weltkrieges, ökonomisch gesehen war es staatliche Investitionspolitik. Sie hatte, wie gezeigt wird, den Hauptanteil an der Beseitigung der Krisenauswirkungen bzw. an der konjunkturellen Entwicklung der Vorkriegszeit. Zwar gelang es mit Hilfe der Arbeitsbeschaffung einen schnellen Erfolg in der Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu erzielen, nachhaltiger war jedoch die Wirkung der Aufrüstung. Beide Prozesse sind jedoch nicht identisch. Die Aufrüstung war keine Arbeitsbeschaffung, sie war Kriegsvorbereitung. Als staatliche Investitionspolitik wirkte sie über die Belebung der Industrie auch auf die Verringerung der Arbeitslosigkeit ein. Insofern waren beide Prozesse in einigen Wirkungen ähnlich. Auch die Arbeitsbeschaffungswechsel und Steuergutscheine erfüllten eine bestimmte konjunkturpolitische Funktion bei der Auflockerung des Kreditmarktes, die dann von den Mefo-Wechseln verstärkt fortgesetzt wurde. Für die Gesamtentwicklung der ersten Jahre griffen beide Prozesse sehr eng ineinander. Die Arbeitsbeschaffungsprogramme der Regierung, der Reichsbahn und der Reichspost liefen bis 1935, mit Schwerpunkt 1933/ 34, während die Rüstungsproduktion 1933 vorbereitet und 1934 wirksam wurde und 1935 ihren ersten Höhepunkt erreichte. Die so schnell einsetzende konjunkturelle Belebung stieß jedoch bald auf Schwierigkeiten, die sich aus der weltwirtschaftlichen Entwicklung ergaben.
1. Gestörte weltwirtschaftliche Zusammenhänge — Konsequenzen Die faschistische Arbeitsbeschaffung setzte ein, als das Stadium der Krise auch weltwirtschaftlich überwunden war. Neben typischen Merkmalen der Belebung hielten sich aber auch weiterhin krisenhafte Erscheinungen, so daß die weltwirtschaftliche Entwicklung insgesamt eher stagnierte, als Auftriebsimpulse auszustrahlen. In der Literatur wurde dieser bis 1936/37 anhaltende Zustand als „Depression besonderer Art" charakterisiert. Dies bezog sich insbesondere auf die weltwirtschaftliche Verflechtung der kapitalistischen Wirtschaft. Die konjunkturelle Entwicklung ging ganz vorwiegend in den Binnenwirtschaften vor sich. Hier hing es von den weltwirtschaftlichen Verflechtungen der einzelnen Länder ab, welche Auswirkungen sich aus dieser Gesamtentwicklung ergaben. In der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands hatte sich im ersten Halbjahr 1933 der Aufwärtstrend des zweiten Halbjahres 1932 fortgesetzt. Die Arbeitslosenziffern lagen zwar im Januar/Februar 1933 wieder über der 6-Millionen-Grenze, doch die dann einsetzende Rückläufigkeit ging immer mehr über die des Vorjahres hinaus. Am jeweiligen Monatsende waren die Zahlen der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Arbeitslosen zunehmend geringer als am entsprechenden Monatsende des Vorjahres M Berechnet nach der amtlichen Statistik in: Ebenda, 1938, S. 3 7 1 ; siehe auch Anhangtabelle 8, S. 443.
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Weltwirtschaftliche Zusammenhänge
Ende Januar um 28000 Ende Februar um 127000 Ende März um 435000
Ende April um 408000 Ende Mai um 544000 Ende Juni um 619000
Trotzdem betrug der Anteil der Arbeitslosen im ersten Halbjahr noch immer rd. 43 Prozent; im Januar/Februar hatte er bei 50 Prozent gelegen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit war eine internationale Erscheinung, woraus sich bestimmte Rückschlüsse auf die trotz allem wirksame Kraft der spontanen Prozesse ziehen lassen. Das Institut für Konjunkturforschung kam im Herbst 1933 zu folgender Einschätzung: „Der entscheidende konjunkturelle Umschwung auf den Arbeitsmärkten der Welt ist um die Jahreswende 1932/33 eingetreten. In den meisten Ländern hat der konjunkturelle Rückgang der Arbeitslosigkeit in der Zeit von November 1932 bis Januar 1933 begonnen. Das gilt für die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien, um nur die wichtigsten Länder zu nennen. Vor dieser Zeit ist die Arbeitslosigkeit nur in Rumänien (seit April 1932), Lettland (Mai 1932), Australien (Mai 1932,) Japan (Juli 1932), Kanada (Juli 1932 )und Deutschland (August 1932) gesunken." 15 Noch immer keine entscheidenden Besserungen waren nach dieser Untersuchung in Österreich, Schweden, Norwegen, Jugoslawien, Polen, Neuseeland, in den Niederlanden, in der Schweiz und in der Tschechoslowakei zu verzeichnen. Am bemerkenswertesten ist aber wohl die Feststellung, daß bei dieser allgemeinen Entwicklung keine „eindeutige Kausalreihe zwischen Konjunkturpolitik und Arbeitsmarktentwicklung" nachweisbar war: „Länder, die den Gang der Dinge so gut wie ganz dem konjunkturellen Automatismus überlassen haben, stehen neben anderen, die auf vielen Gebieten durch große konjunkturpolitische Maßnahmen aktiv in den Wirtschaftsablauf eingegriffen haben." 16 Diese Einschätzung läßt die Schlußfolgerung zu, daß der Krisenmechanismus trotz seiner Disfunktionen offenbar doch noch stark genug war, sich in seiner allgemeinen Tendenz durchzusetzen, daß aber andererseits Faktoren wirksam sein mußten, die die konjunkturpolitischen Maßnahmen durchkreuzten und abschwächten 17 , ja, nach der Einschätzung des Instituts für Konjunkturforschung, sogar wirkungslos machten. Es könnte aber ebensogut geschlußfolgert werden, daß diese konjunkturpolitischen Maßnahmen, um die es dabei ging, nicht an der richtigen Stelle oder nicht in erforderlichem Umfange angesetzt waren und deshalb wirkungslos oder schwach bleiben mußten. Die weltwirtschaftliche Entwicklung war auch noch Mitte 1933 sehr widersprüchlich. 18 Zwar hatte sich die Weltindustrieproduktion trotz einiger Schwankungen auf dem Stand vom Herbst 1932 gehalten, auch zeigte sich allgemein eine stärkere Belebungstendenz im Pro15 16 17
18
5*
Vierteljabrsbefte zur Konjunkturforschung (im folgenden: VHKf), 8. Jg., T. A, Nr. 2/1933, S. 90. Ebenda, S. 90f. Eugen Varga schrieb 1934: „Der innere Mechanismus des Kapitalismus war wirksam genug, um den Tiefpunkt der Krise zu überwinden, den Übergang in die Depression und in einigen Ländern eine beschränkte Belebung hervorzurufen, er erweist sich aber nicht als wirksam genug, um einen echten Aufschwung . . . hervorzurufen." {Varga, Eugen, Die große Krise und ihre politischen Folgen. Wirtschaft und Politik 1928—1934, Moskau/Leningrad 1934, zit. nach: Kuczynski, Jürgen, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 15: Studien zur Geschichte der zyklischen Überproduktionskrisen in Deutschland 1918 bis 1945, Berlin 1963, S. 147.) Zur weltwirtschaftlichen Entwicklung die Berichte des Instituts für Konjunkturforschung in: VHKf., 8. Jg., T. A., Nr. 1/1933; ebenda, Nr. 2/1933. - Vgl. auch Anhangtabellen 1 (S. 439) und 12 (S. 445).
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
duktionsgüterbereich, was auf Ersatzinvestitionen schließen ließ. Doch es fehlten noch immer die Neuinvestitionen, wofür durch die noch immer stockende Kreditmarktlage auch keine ausreichenden Voraussetzungen gegeben waren. Die Relationen zwischen Einsatz und Ertrag, d. h. die Profitaussichten, waren für die Kapitalverwertung noch zu gering. Der Kreditmarkt befand sich auch weltwirtschaftlich noch immer in der Krise. Es fehlte der Kapitalstrom zwischen den Ländern, der zu einer Auflockerung der internationalen Kreditmärkte hätte führen können, und damit auch zur Belebung auf dem Weltmarkt, die neben der Kreditverbilligung und niedrigen Arbeitslöhnen am Ende der Krise gewöhnlich den Anreiz für die industrielle Investitionstätigkeit verursacht hatte. Die amerikanische Währungs- und Kreditkrise sowie die nachfolgende Dollarabwertung im Frühjahr 1933 hatten diese allgemein schon sehr zähflüssige Lage erneut verunsichert. Unsicherheit und Mißtrauen in die weitere Entwicklung waren offenbar noch immer eine Grundtendenz im Kapitalverhalten bzw. im Verhalten des „personifizierten Kapitals'', im Verhalten der Geldbesitzer.19 Die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems war offensichtlich. Der Krisenzyklus war in seiner Abfolge zwar noch erkennbar, doch er funktionierte nicht mehr in der gewohnten Weise. Das allein mochte schon Unsicherheit und Zurückhaltung in der Kapitaldisposition erzeugen. Eigentlich verstärkt wurde diese Verunsicherung aber durch den Umfang und die Tragweite der staatlichen Eingriffe in den Reproduktionsprozeß. Die hier wirksamen subjektiven Faktoren waren unberechenbarer als die spontan durch Zufall und Notwendigkeit gesteuerten ökonomischen Abläufe. Die Notwendigkeiten staatlicher Maßnahmen hatten sich zumeist schnell und überstürzend ergeben, sie waren insbesondere im internationalen Bereich so völlig unbeeinflußbar, daß die für jeden Reproduktionsprozeß notwendige Beständigkeit absolut fehlte. 20 Die anhaltende Schuldenkrise, durch die fallenden Preise und die Rückläufigkeit im Welthandel eher noch verstärkt als abgeschwächt, belastete die wirtschaftliche Belebung und bestärkte im Zusammenhang mit der allgemeinen Unsicherheit nach wie vor eine deflationistische Tendenz in den Kapitalbeziehungen. 21 Das Mißtrauen war allgemein, und es war insgesamt schwer zu sagen, was inzwischen Ursache und was Wirkung war. Die Belebung erstreckte sich in allen Ländern nur auf den Binnenmarkt, der Weltmarkt stagMarx zitiert in seinen Ausführungen über das zinstragende Kapital einen Bankier, der über die Verhaltensweise in der Krise ausgesagt hatte: „Wenn eine Panik herrscht, so fragt ein Geschäftsmann nicht, wie hoch er seine Banknoten anlegen kann . . . Ist er einmal unter dem Einfluß des Schreckens, so liegt ihm nichts an Gewinn oder Verlust; er bringt sich selbst in Sicherheit, die übrige Welt mag tun was sie will." Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 3, a. a. O., S. 452. — Zur Labilität des internationalen Kreditmarktes bereits zu Beginn der Krise: Siehe Bd. 2, Kap. 14, Abschnitt 3, dieser Arbeit. 20 „Von einer einheitlichen .Welthandelstendenz' kann zur Zeit kaum die Rede sein. Die von den einzelnen Ländern ausgehenden Sondereinflüsse (Währungsentwertung, Schuldenlage, handelspolitische Eingriffe usw.) sind so stark, daß sie alles andere überwiegen . . . Die zahllosen Hemmnisse, die in den letzten Jahren dem internationalen Austausch von Ware und Geld bereitet worden sind, zwingen die einzelnen Länder mehr denn je dazu, ihren konjunkturellen Weg auf eigene Faust zu suchen. Mit anderen Worten: Die .Stagnation' der Welthandelsumsätze im ganzen ist das Resultat einer Vielzahl zum Teil sehr heftiger Einzelschwankungen." VHKf, 8. Jg., T. A, Nr. 2/1933, S. 129. 21 In ihrer Übersicht über die Kreditwirtschaft stellt das IfK Mitte 1933 fest, „daß auf der Geldseite der Deflationsprozeß noch nicht abgeschlossen ist". Insbesondere werden zwei Formen genannt, wo die Deflation noch „mit unverminderter Schärfe" anhielt: der „Liquiditätsdrang der Banken" und der „Rückzahlungsdrang der Schuldner". Die deutsche Wirtschaft war zu diesem Zeitpunkt noch immer mit 10 Mrd. RM kurzfristigen Krediten belastet, die langfristig angelegt waren. — Dazu: Ebenda, Nr. 1/1933, S. 11 ff. 18
Weltwirtschaftliche Zusammenhänge
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nierte. Daraus mußte sich zwangsläufig eine Mobilisierung der nationalen Möglichkeiten ergeben, was auch nationalistischen Elementen einen entsprechenden Auftrieb gab. Die deutsche Entwicklung unterschied sich 1933 in ihrer Widersprüchlichkeit kaum von der internationalen Entwicklung (Vgl. Tabelle 6). Tabelle 6 Wirtschaftsiaten für 1932 und 1933 im I. Quartal I. Quartal
1932
1933
Auftragseingang (Juli 1924/Juni 1926= 100) Zahl der Beschäftigten (in 1000) Geleistete Arbeitsstunden (in v. H. d. Arbeitsstundenkapazität) Produktionsindex (1928=100) Wagengestellung (arbeitstäglich in 1000) Ausfuhr (in Mill. RM) Privatdiskont (% p. a.) Reagible Warenpreise (1913= 100) Industrielle Fertigwarenpreise (1913= 100)
52,2 11996 34,3
62,1 11738 34,5
Berechnet nach VHKf.,
62,0 93,8 536 6,57 51,6 122,7
63,5 91,6 387 3,88 53,6 112,3
1933, H. 1, T. A, S. 6.
Die Aufträge hatten zugenommen, die industrielle Produktion war gestiegen, die Zahl der Beschäftigten war geringer und die Arbeitstage waren länger geworden, d. h. die Arbeitsleistung war gestiegen. Die Transportleistung war zurückgegangen, der Export ebenfalls, die Rohstoffpreise hatten angezogen urid die industriellen Fertigwarenpreise sanken weiter ab. Vergleicht man nun die Produktion einiger Industriezweige, so ergibt sich eine schnellere Entwicklung in den Produktionsmittelzweigen, während sich im Durchschnitt die Belebung im Verbrauchsgüterbereich weniger kräftig auswirkte (Vgl. Tabelle 7). Tabelle 7 Die deutsche und die Weltindustrieproduktion 1932 und 1933 im I. und II. Quartal (1928=
Eisen Kraftfahrzeuge Kohle Textilien Produktionsgüter Verbrauchsgüter Quelle: VHKf.,
100)
deutsche Industrieprod. 1932/1 1933/11 1933/1
industrielle Weltprod. 1933/11 1932/1 1933/1
36,0 23,6 68,1 82,7 50,5 79,1
49,6 34,1 78,7 90,6 66,7 90,5
42,3 29,9 70,9 82,2 54,7 »78,1
52,2 65,3 69,7 86,7 56,9 85,8
44,7 34,3 74,8 93,5 64,5 88,4
54,1 60,0 70,1 104,7 72,2 101,4
1933, H. 2, T. A, S. 103.
Im Vergleich zur industriellen Weltproduktion war die deutsche Entwicklung im ersten Quartal etwas kräftiger, stimmte aber dann im zweiten Quartal wieder mit der internationalen Tendenz überein: Die industrielle Produktion stieg allgemein an. Eine ähnliche Ent-
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
wicklung ist auch festzustellen, wenn man die industriellen Hauptländer vergleicht. 22 Anders war dagegen die Entwicklung im Außenhandel, auch international. Während die Welthandelsumsätze im ersten Quartal 1933 mit 12 Prozent unter denen des ersten Quartals 1932 lagen, waren die deutschen Außenhandelsumsätze um 15 Prozent zurückgegangen. 23 Der deutsche Exportüberschuß betrug in den ersten Monaten 1933 durchschnittlich nur 44 Mill. RM. Dagegen war er im letzten Quartal 1932 noch fast doppelt so hoch gewesen. 24 Diese rückläufige Entwicklung verschärfte das Auslandsschuldenproblem und die Importbedingungen. Der deutsche Exportüberschuß lag wesentlich unter den Erfordernissen des Schuldendienstes. Um diesen Verpflichtungen nachkommen zu können, benötigte Deutschland einen jährlichen Aktivsaldo von ca. 900 Mill. RM in der Handelsbilanz. Im Gegensatz zur Entwicklung der Binnenmärkte wurden jedoch die Absatzhemmungen auf dem Weltmarkt eher größer als geringer. Zu den Valutaentwertungen insbesondere Englands und der USA und den zunehmenden Präferenzbindungen traten immer mehr auch Einfuhrkontingentierungen und -verböte, die die Konkurrenz erschwerten und verschärften. Für die deutsche Wirtschaft entwickelte sich daraus eine Lage, die vom IfK folgendermaßen — und wie die weitere Entwicklung zeigte, auch richtig — charakterisiert wurde: „1. Die hohe Auslandsverschuldung erfordert einen ständigen Ausfuhrüberschuß, der die Devisen für die Zahlungen liefern muß. 2. Eine etwaige Belebung der Weltwirtschaft wird — ehe sie die deutschen Ausfuhrmöglichkciten verbessert — die Rohstoffpreise steigen lassen. Damit wird die Handelsbilanz Deutschlands — selbst bei gleichbleibenden Außenhandelsmengen — devisenmäßig passiv werden. Zudem muß jede Belebung des Binnenmarktes zu einer mengenmäßigen Steigerung der Einfuhr und damit zu einer erhöhten Passivierung der Handelsbilanz führen. 3. Die dann auftretende Devisenknappheit zwingt entweder dazu, die Einfuhr an Rohstoffen zu drosseln und so eine Belebung der Industrie und damit die inländische Aufbringung der Zinsen zu erschweren oder den Transfer des Kapitaldienstes auf Auslandskredite zu beschränken." 25 Die Auslandsverschuldung war ein internationales, kein nur deutsches Problem, ebenso seine Verschärfung durch den Krisenverlauf. Ein gewisser Ausweg lag in der Einschränkung der größten Passivposten in der Devisenbilanz, d. h. Einschränkung der Einfuhr dort, wo Inlandserzeugung möglich war, oder aber Einstellung der Zinszahlungen, oder beides. Beide Wege waren von den Schuldnerländern in der Krise beschritten worden und sie waren am Ende der Krise noch immer aktuell. Importeinschränkungen zugunsten der Inlandserzeugung bzw. Veränderung der Importstruktur zugunsten unentbehrlicher Importe bei rückläufiger Exportmöglichkeit ergaben sich aber auch in allen Ländern aus dem Krisenverlauf überhaupt. Das hatte insbesondere in den Industrieländern Auswirkungen auf den Agrarmarkt, wo eine starke, staatlich geförderte Tendenz zur Selbstversorgung in Zuschußländern wie Deutschland und England hervortrat, was wiederum in Überschußländern wie den USA, Kanada, Brasilien zur Vernichtung von Überschüssen und vor allem zur staatlich geförderten Anpassung (d. h. Einschränkung) der Produktionskapazitäten an den sinkenden Bedarf führte. 26 22 Siehe Anhangtabelle 12, S.445. 23 VHKf., 8. Jg., T. A, Nr. 1/1933, S. 31. 24 Ebenda, S. 14f„ 33. 25 Ebenda, S. 35. 26 Zu den internationalen Entwicklungstendenzen in der Agrarpolitik: Ebenda, Nr. 2/1933, S. 107.
Weltwirtschaftliche Zusammenhänge
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Deutschland war rohstoff- und ernährungsmäßig Zuschußland. Unter den Bedingungen eines funktionierenden Weltmarktes hatten sich daraus keine Probleme ergeben. Das änderte sich nach dem ersten Weltkrieg. Die hohe Auslandsverschuldung und der ständige Importüberschuß hatten schon in den zwanziger Jahren die Forderung nach Einschränkung der Lebensmittelimporte zugunsten der Inlandserzeugung laut werden lassen. 27 In der Krise verstärkte sich diese Tendenz. Die deutsche Einfuhr von Nahrungs- und Genußmitteln sowie Rohstoffen für die Landwirtschaft (ohne Düngemittel) hatte im jeweils ersten Quartal der Jahre von 1928 bis 1933 die in Tabelle 8 ersichtliche Entwicklung genommen.2® Tabelle 8 Die deutsche Einfuhr von Nabrungs- und Genußmitteln sowie Rohstoffen für die Landwirtschaft insgesamt und nach der Erzeugungsmöglichkeit im Inland 1928-1933 (jeweils I. Quartal; in Mill. RM und%) Jan.—März
1928 1929 1930 1931 1932 1933 1
insgesamt
1508,2 1299,7 1506,4 1093,6 1027,2 1028,9
nicht im Inland erzeugbar
im Inland erzeugbar
Mill. RM 1
%
Mill. RM 1
%
549,8 550,6 624,9 529,0 479,7 517,2
36 42 41 48 47 50
958,4 749,1 881,5 564,6 547,5 511,7
64 58 59 52 53 50
Werte auf Preisgrundlage 1928 berechnet.
Quelle: VHKf,
1933, 8. Jg., H. 1, T. A, S. 35.
Der Anteil der im Inland erzeugbaren Produkte am Import war bereits in den Krisenjahren rückläufig geworden, das aber bei einem nachlassenden Bedarf an industriellen Rohstoffen! 1933 verschärfte sich die Lage insofern aufs neue, als sich mit der industriellen Binnenbelebung auch ein steigender Bedarf an industriellen Rohstoffen ankündigte. Es konnte bei den anhaltend rückläufigen Exportchancen nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Grenzen der Zahlungsbilanz als ein Hindernis erweisen mußten, das bei dem deutschen Devisenmangel nur mit grundlegenden staatsmonopolistischen Maßnahmen im Agrar- wie im Industriesektor zu überbrücken war. 29 Diese Frage spielte z. B. auch auf dem VII. Allgemeinen Deutschen Bankiertag zu Köln, 1928, eine Rolle. (Solmssen, Georg, Die Lage der Landwirtschaft und ihre Bedeutung für das Bankgewerbe, Berlin 1928, S. 8ff.). 28 Vgl. auch: VHKf, 8. Jg., T. A, Nr. 2/1933, S. 130: Die deutsche Einfuhr in den Monaten Januar bis Juli von 1928-1933. 2 9 Hier soll auf die gegenwärtige Währungs- und Devisenlage im EG-Bereich hingewiesen werden, wo vor allem Italien und Großbritannien schwerwiegende Zahlungsbilanzschwierigkeiten haben, die mit Hilfe des kapitalistischen Weltwährungsfonds erleichtert werden sollen. Im Vergleich zur Weltschuldensituation ab 1929/32 ein Beispiel für die Weiterentwicklung staatsmonopolistischer Einrichtungen auf internationaler 27
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
2. Die faschistische Arbeitsbeschaffung Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeitsbeschaffung waren für die Regierung Hitler sowohl dem Zeitpunkt nach, wie auch auf Grund der geleisteten Vorarbeiten, die nur übernommen zu werden brauchten, die allergünstigsten: das Krisentief war bereits im Herbst 1932 durchschritten, d. h. die spontanen Kräfte wirkten in Richtung Aufschwung. Das „Papen-Programm" vom 4. September 1932, das auch von der Regierung Schleicher übernommen worden war, lief bereits mit einem projektierten Umfang von zwei Milliarden RM Steuergutscheinen und das „Sofort-Programm" der Schleicher/Gereke-Regierung vom 28. Januar 1933, das öffentliche Arbeiten in Höhe von 500 Mill. RM vorsah, lag verabschiedet vor. Finanzwirtschaftlich waren damit schon die entscheidenden Schritte getan. Mit den Steuergutscheinen, insbesondere aber mit den Arbeitsbeschaffungswechseln des „Sofort-Programms", waren finanztechnische Mittel der staatlichen Kreditschöpfung entwickelt worden, die bereits alle Voraussetzungen für die geheime Rüstungsfinanzierung Schachts mitbrachten. Hitler wußte sehr gut, daß seine Position und der Masseneinfluß seiner Partei erst gesichert waren, wenn er einen schnellen und wesentlichen Erfolg bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit erzielen konnte. „Aus dem Gelingen der Arbeitsbeschaffung", so erklärte er am 6. Juli 1933 vor den Reichs Statthaltern, „werden wir die stärkte Autorität erhalten." 30 Insofern war der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit auch für ihn eine existenzielle Aufgabe. Er wurde mit großem propagandistischem Aufwand als „Arbeitsschlacht" geführt und schon zu einer Zeit, als diese Aufgabe noch gar nicht erfüllt war, zu einer Legende aufgebaut, in deren Mittelpunkt der Bau der Reichsautobahn stand. Am 1. Februar hatte Hitler in seiner Regierungserklärung verkündet, die Arbeitslosigkeit müsse „binnen vier Jahren" überwunden sein, und am 1. Mai kündigte er an: „Wir werden große öffentliche Programme noch in diesem Jahr zu verwirklichen uns bestreben, in erster Linie ein Riesenprogramm, das wir nicht der Nachwelt überlassen wollen, sondern das wir verwirklichen müssen, ein Programm, das viele Milliarden erfordert: dás Programm unseres Straßenneubaues. Eine gigantische Aufgabe, wir werden sie groß beginnen . . . und damit wird eine Serie öffentlicher Arbeiten eingeleitet, die zusammen mithelfen, die Arbeitslosenzahl immer mehr herunterzudrücken." 31 Der Autobahnbau wurde von der faschistischen Propaganda sehr schnell zum Inbegriff der Überwindung der Arbeitslosigkeit gemacht. Allein aber die Tatsache, daß Ende 1934 von diesem gesamten Unternehmen noch nicht einmal 100000 Arbeitskräfte beschäftigt wurden und daß auch in den kommenden Jahren das Beschäftigungsmaximum bei nur 130000 lag 32 , macht den Ebene bzw. für die Verstärkung der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, das immer stärkere „Krücken" für seine Erhaltung entwickeln muß. 30 Dokumente der deutseben Politik, Bd. 1: Die nationalsozialistische Revolution, hg. v. Paul Meier-Benneckenstein, Berlin 1935, S. 59; dazu auch die Antrittsrede des Reichswirtschaftsministers Schmitt v. 13. 7. 1933, in: ebenda, S. 205. Rauschning gegenüber erklärte Hitler: „Wir müssen die Arbeitslosen von der Straße wegbringen. Je schneller, desto wirksamer. Wir können uns den Luxus nicht leisten, lange zu warten." (Rausebning, Hermann, Gespräche mit Hitler. 1932-1934, Zürich/Wien/New York 1940, S. 99.) 31 Schultheis' Europäischer Geschiebt skatender, Jg. 1933, S. 116. — Dazu: Aufruf der Reichsregierung vom 1. Februar 1933 an das deutsche Volk, in: Deutscher Geschichtskalender, hg. v. Friedrich Purlitz u. Sigfrid H. Steinberg, 49. Jg., 1933, Abt. A : Deutschland, S. 6ff. 32 Dazu: Lärmer, Karl, Autobahnen im Dienste des faschistischen deutschen Imperialismus. Die Motive des
Faschistische Arbeitsbeschaffung
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Rang deutlich, den dieses Projekt, selbst unter Berücksichtigung seines Multiplikatoreffekts 33 , für die Wiedereingliederung von über 6 Millionen Arbeitslosen gehabt hat. Dagegen eigneten sich Neuartigkeit und Umfang des Projektes sehr gut für propagandistische Zwecke; mit ihm und in seinem Schatten gewissermaßen vollzog sich der Prozeß, dem die tatsächlich beseitigte Arbeitslosigkeit vor allem geschuldet war, die Aufrüstung. Es war schon vor 1933 kein Geheimnis in interessierten Kreisen, daß Hitler sich der Arbeitsbeschaffungsfrage nur unter dem Gesichtspunkt der Aufrüstung und des Autostraßenbaues angenommen hatte. 34 Dies ist auch bezeugt durch seine Ausführungen vom 3. Februar 1933 vor den Befehlshabern der Reichswehr, wo er Aufrüstung und Krieg, die „Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung", als das Ziel seiner Politik und das eigentliche Mittel zur Überwindung der Krisenauswirkungen proklamierte. 35 Bezeichnend ist auch die dabei getroffene Feststellung: „Gefährlichste Zeit ist die des Aufbaues der Wehrmacht." 3 6 Hitler befürchtete die Intervention der Großmächte, insbesondere die Frankreichs. Arbeitsbeschaffung war für Hitler Aufrüstung. Aufrüstung aber bedeutete in allererster Linie Aufträge und Arbeit für die Schwerindustrie, für die elektrotechnische und für die chemische Industrie. Hier deckten sich die Interessen zwischen Hitler und den Monopolherren völlig. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit ihren weitreichenden Eingriffen in die Finanzwirtschaft des Staates waren geeignet, das Steuer weitgehend unbemerkt auf den Rüstungskurs umzulegen. Bereits in der Ministerbesprechung vom 8. Februar hatte Hitler das Primat der Aufrüstung für alle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefordert: „Die nächsten fünf Jahre in Deutschland müßten der Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes gewidmet sein. Jede öffentlich geforderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme müsse unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden, ob sie notwendig sei vom Gesichtspunkt der Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes." 3 7 Schon am nächsten Tag präzisierte er auf einer Sitzung des Ausschusses der Reichsregierung für Arbeitsbeschaffung „die absolute Vorrangstellung der Interessen der Landesverteidigung bei der Vergebung öffentlicher Aufträge" noch ausführlicher: „Bei der Prüfung der Anträge der Länder, Gemeinden und sonstiger öffentlichen Körperschaften auf Zuweisung von Mitteln im Rahmen des Sofortprogrammes müßten alle Arbeiten ausgeschieden werden, die nicht unbedingt notwendig seien. Für die Wiederaufrüstung Deutschlands seien Milliarden-Beträge erforderAutobahnbaues im faschistischen Deutschland, Habil.-Schr. Dresden 1968, S. 120ff. — Derselbe, Autobahnen und staatsmonopolistischer Kapitalismus (1933 bis 1945), in: Wirtschaft und Staat im Imperialismus, a. a. O., S. 275. 33 Mitte 1935 wurde der unmittelbare Arbeitseinsatz bei dem Autobahnbau mit rd. 110000 Arbeitskräften und der mittelbare, bei den Zulieferindustrien, mit weiteren 140000 Arbeitskräften beziffert. (Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung im ersten Halbjahr 1935 (im folgenden: ERKA — Bericht), hg. v. d. Reichskredit-Gesellschaft AG, S. 9.) 34 Nach den Angaben Grotkopps hatte 1931/32 u. a. Keppler entsprechende vertrauliche Mitteilungen dazu über Unterredungen bei Hitler gemacht. ( C r o t h o p p , Wilhelm, a. a. O., S. 279.) 35 Handschriftliche Aufzeichnungen des Generalleutnants Liebmann, abgedruckt bei: Vogelsang, Thilo, Dokumentation zur Geschichte der Reichswehr, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2. Jg. 1954, S. 435; dazu auch: Bracher, Karl Dietrich)Sauer, WolfgangjSchulz, Gerbard, Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln/Opladen 1960, S. 748, Fn. 9. 36 Ebenda. 37 Aus der Niederschrift über die Ministerbesprechung v. 8. 2. 1933, zitiert nach: Ries, Bertbold, Die Finanzpolitik im Deutschen Reich von 1933-1935, Diss. Freiburg i. Br. 1964, S. 19.
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lieh . . . bei einer Kollision zwischen Anforderungen für die Wehrmacht und Anforderungen für andere Zwecke (hätten) die Interessen der Wehrmacht unter allen Umständen vorzugehen . . . Er halte die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Vergebung öffentlicher Aufträge für die geeignete Hilfsmaßnahme. Das 500-Mio-Programm sei das größte seiner Art und besonders geeignet, den Interessen der Wiederaufrüstung dienstbar gemacht zu werden. Es ermögliche am ehesten die Tarnung der Arbeiten für die Verbesserung der Landesverteidigung. Auf die Tarnung müsse man gerade in der nächsten Zukunft besonderen Wert legen, denn er sei überzeugt davon, daß gerade die Zeit zwischen der theoretischen Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands und der Wiedererreichung eines gewissen Rüstungsstandes die schwierigste und gefährlichste sein werde."38 Die Aufrüstung Deutschlands war keine Privatidee Hitlers, es war eine alte Forderung der Großindustrie, und sie lag im Rahmen ihres Kriegsprogrammes. Sie wurde nun für die schnelle Belebung der Wirtschaft verstärkt gefordert. Schacht, einflußreichster Interessenvertreter der Schwerindustrie in dieser Zeit, hatte sich deshalb auch sehr scharf gegen Arbeiten „wie Gräben ziehen, Sand karren und Wege beschottern" ausgesprochen, weil sie einer Ankurbelung der Wirtschaft nicht nennenswert dienlich seien aber Millionen verschlängen.39 Und in der Tat hätten diese Arbeiten, die in den Arbeitsbeschaffungsprogrammen vorgesehen waren, wie Meliorationsprogramme, Flußregulierungen, Hausreparaturen etc., für die Schwerindustrie kaum eine schnelle Besserung der Lage gebracht. Schacht vertrat in seiner Position die Rüstungsinteressen der Industrie, wie er ja auch die Finanzierung der Aufrüstung als Reichsbankpräsident ermöglichen half.40 Mit seiner Vermittlung „bemühten sich die Konzerne der Schwerindustrie um Aufträge des Reichswehrministeriums und empfahlen ihre Leistungsfähigkeit".41 Das Reichswehrministerium, im Interessenbündnis mit der Schwerindustrie, tat seinerseits alles für die Förderung wehrwichtiger Industrien.42 Auch die Minister des Kabinetts stimmten mit der Haltung Hitlers überein. Aus der Niederschrift einer Sitzung des Ausschusses der Reichsregierung für Arbeitsbeschaffung in der Reichskanzlei am 9. 2. 1933, zitiert nach: Ebenda, S. 20f. (Hervorhebung v. A. — L. Z.) 39 Aus der Rede Schachts auf der Generalversammlung der Reichsbank am 9. 4. 1933. (Scbultbess' Europäischer Gescbicbtskalender, Jg. 1933, S. 94.) —Schacht handelte dabei in völliger Übereinstimmung mit der Schwerindustrie. (Gossweiler, Kurt, Der Übergang von der Weltwirtschaftskrise zur Rüstungskonjunktur in Deutschland 1933 bis 1934, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1968, T. 2, S. 87.) 40 Schacht gab nach 1945 vor, ei „habe nie eine andere Aufrüstung im Auge gehabt als eine solche, die zur Verteidigung einet Neutralität Deutschlands oder zur Verteidigung im Falle eines Angriffskrieges dienen würde". (Schacht, Hjalmar, 76 Jahre meines Lebens, Bad Wörishofen 1953, S. 456.) — Wie unwahr seine Darstellungen sind, wird deutlich, wenn er behauptet, 1935 habe es noch keine Aufrüstung gegeben, aber mehr als die Hälfte der Arbeitslosen seien zu dieser Zeit bereits in der Produktion gewesen. „Sie können also nicht durch die Aufrüstung beschäftigt worden sein, weil diese noch gar nicht angelaufen war." (Derselbe, 1933. Wie eine Demokratie stirbt, Düsseldorf/ Wien 1968, S. 90.) 41Bracher, KarlDietricbjSauer, WolfgangjScbul^, Gerhard, a. a. O., S. 662; Schulz verweist hier auf ein persönliches Schreiben Flicks an Schacht v. 23. 11. 1933, wo er von einem Besuch bei Blomberg etc. berichtet. — Dazu auch eine „streng vertrauliche" Aktennotiz von O. Steinbrink für F. Flick v. 20. 8. 1934 über eine Unterredung mit General Liese und dessen Zusage über eine erhöhte Zuteilung von Rüstungsaufträgen für „Mittelstahl", (Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges, hg. u. eingel. v. Dietrich Eichholtz u. Wolfgang Schumann, Berlin 1969, S. 129f.). 42 Am 7. 3. 1933 schrieb Blomberg an den Reichsverkehrsminister, daß er „aus Gründen der Landesverteidigung neben dem ja dort bekannten Interesse an der Leistungsfähigkeit der Reichsbahn auch ein dringendes Interesse an der Erhaltung einer leistungsfähigen Kraftwagenindustrie habe". (Zitiert nach: Ries, Bertbold, 38
Faschistische Arbeitsbeschaffung
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Hilgenberg hatte im Juni 1933 auf der Weltwirtschaftskonferenz ein Memorandum vorgelegt, „das ein deutsches Kolonialreich in Afrika forderte, gleichzeitig Osteuropa bis zur Ukraine der deutschen Wirtschaftsexpansion zuordnete". 43 Der Fanatismus Hitlers in der Verfolgung seiner Rüstungsziele war offensichtlich und der Großindustrie nicht unbekannt, es war ein brauchbarer Fanatismus, brauchbar für deren Ziele und effektiv für die Profite der großen Konzerne. Jedoch ohne die fachmännische Unterstützung und Mitarbeit von Leuten wie Schacht und der dahinterstehenden Industrie hätte dieser Fanatismus nichts zuwege bringen können. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit war 1933 gleichermaßen eine politische wie eine ökonomische Notwendigkeit. Der wesentliche Punkt für die Stabilisierung des Regimes lag dabei in schnellen, sichtbaren Erfolgen. Diese wurden auch bis zum Sommer 1934 erzielt. Im folgenden soll deshalb die Entwicklung der Arbeitslosigkeit etwas genauer untersucht werden, und zwar im Zusammenhang mit den verschiedenen Arbeitsbeschaffungsprogrammen.
a) Die Entwicklung der
Arbeitslosigkeit
Für die Zeit vom 1. April 1933 bis zum 31. März 1934 berichtete die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: „Die Zahl der Arbeitslosen im Deutschen Reich sank von 5598855 am 31. März 1933 auf 2798324 am 31. März 1934, also um 2800531 oder die Hälfte (50,0 v. H.). Der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit, der am 31. Januar 1933 mit 6013612 schon niedriger lag und auch früher erreicht werden konnte als im Vorjahre, wurde am Schlüsse des Berichtsjahres (31. März 1934) um 3215288 unterschritten. . . . Im gleichen Zeitraum stieg auf der positiven Seite die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Angestellten nach der Krankenkassenmitgliederstatistik . . . um rd. 2494000 auf rd. 14687000." 4 4 Es dauerte dann mehr als zwei Jähre, bis die Arbeitslosenzahl vom 31. März 1934 wiederum halbiert war. Für den Zeitraum 1937/38, in ihrem zehnten Bericht, sah die Reichsanstalt jedoch „die bedeutsamste Tatsache" nicht mehr im „weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit, sondern die in ihrem Ausmaß weit darüber hinausgehende Zunahme der Beschäftigung . . . Vom Ende Januar 1933 bis Ende März 1938 nahm die Zahl der Arbeitslosen um rd. 5,5 Millionen ab, die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Angestellten stieg dagegen um rd. 7,3 Millionen an." 4 5 Damit war „der Stand der Höchstbeschäftigung der Vorkrisenzeit im Jahre 1929 bereits um 1052000 überschritten." 46 Der a. a. O., S. 35. — Vgl. auch Thomas, Georg, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918-1943/45), hg. v. Wolfgang Birkenfeld, Boppard (Rhein) 1966, S. 85.) 43 Bracher, Karl Dietrich)Sauer, WolfgangjSchulz, Gerbard, a. a. O., S. 212. 44 Sechster Bericht der Keicbsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. April 1933 bis zum 31. März W34 (im folgenden: Sechster Beriebt. . .), Berlin 1935, S. 1. - Der Begriff „Arbeitslose" umfaßt in den amtlichen Berichten alle bei den Arbeitsämtern gemeldeten arbeitsuchenden Personen ohne Arbeit, bis 30. 6. 1933 einschließlich der im Arbeitsdienst und im „Notwerk der deutschen Jugend" Beschäftigten, soweit letztere ein Arbeitsgesuch eingereicht hatten, sowie der Pflichtarbeiter. Nicht erfaßt sind die Notstands- und Fürsorgearbeiter, Arbeitsuchende in gekündigter und ungekündigter Stellung, die zum Stichtag kurzfristig Beschäftigten und nach dem 30. 6. 1933 auch nicht mehr die zum Arbeitsdienst eingezogenen Personen. 46 Zehnter Bericht der Keicbsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. April 1937 bis zw» 31. März W38 (im folgenden: Zehnter Bericht. . .) o. O., S. l f . « Ebenda, S. 3.
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
bereits 1936 fühlbar aufgetretene Facharbeitermangel hatte sich bedeutend verstärkt, was wiederum eine stärkere und immer weitergreifende Regulierung des Arbeitsmarktes nach sich gezogen hatte, die sich insbesondere auf die Beschränkung der Freizügigkeit von Facharbeitern der Mangelberufe konzentrierte 47 (Vgl. Tabelle 9). Tabelle 9 Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach den Jahresberichten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 31.1. 1933 bis Z"»> 31. 3. 1938 Stichtag
Arbeitslose
Index
Arbeitslose pro 1000 Einwohner
31.1. 31. III. 31. III. 31. III. 31. III. 31. III. 31. III, 31. III.
6013612 5598855 2798324 2349171 2401889 1937120 1245338 507649
100 93 47 39 40
92,2 85,9 42,9
1933 1933 1934 1935 1935* 1936 1937 1938
32 21 8
—
36,4 29,3 18,9 7,7
* einschl. Saargebiet
Zusammengestellt und berechnet nach: Berichte der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung versicherung.
und Arbeitslosen-
Sechster bis zehnter Bericht (v. 1. 4. 1933—31. 3. 1938).
Der schnellste Rückgang der Arbeitslosigkeit erfolgte von Januar 1933 bis zum 31. März 1934. Das Statistische Reichsamt konstatierte 1934 eine wirtschaftliche Aufwärtsbewegung, die im Unterschied zu den Jahren vorher von den Produktionsgüterindustrien getragen wurde. „Gegenüber dem Tiefstand im Jahre 1932 hat sich die Zahl der in der Industrie beschäftigten Arbeiter um 10 v. H. erhöht; stärker noch, um 15 v. H., ist die Zahl der geleisteten Stunden gestiegen. In den Produktionsgüterindustrien ist die Beschäftigung um 21 v. H. gestiegen, in den Verbrauchsgüterindustrien dagegen nur um 9 v. H." 4 8 Innerhalb der Produktionsgüterindustrien erfolgte die stärkste Steigerung im Fahrzeugbau, ihm folgte die Bauindustrie. „Von den Investitionsgüterindustrien ohne ausgeprägte Saisonbewegung haben vor allem die Grundstoffindustrie wie die Großeisenindustrie, die Eisengießereien, Nichteisenmetallhütten und Walzwerke ihre Erzeugung erhöht. Im Maschinenbau und in Teilen der Elektroindustrie ist die Zunahme geringer." 49 Nahezu unberührt von dieser Entwicklung war der Export geblieben, es war insgesamt — so wurde festgestellt — „das klare Bild eines auf die Binnenwirtschaft beschränkten mengenmäßigen Auftriebs der Produktion." 50 Die Anstöße für diese Entwicklung wurden allgemein in den ArbeitsbeschaffungsmaßEbenda, S. 2 1 f . — Vgl. dazu den Abschnitt über die Regulierung des Arbeitsmarktes: Kap. 3, Abschnitt 4. Industrielle Produktion. Sammlung von Ergebnissen der Produktions- und Vorratsstatistik bis Mitte 1934, bearb. im Statistischen Reichsamt, in: Sonderhefte zu Wirtschaft und Statistik, Nr. 13, S. 8. Ebenda, S. 9. » Ebenda, S. 10. 47
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Faschistische Arbeitsbeschaffung
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nahmen der Regierung gesehen. 51 A m 1. Juni 1933 waren mit dem Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit (Erstes Reinhardt-Programm) Schatzanweisungen bis zu einer Milliarde Reichsmark bereitgestellt worden, die insbesondere f ü r öffentliche Instandsetzungs- und Ergänzungsarbeiten an Verwaltungs- und Wohngebäuden, für Brückenbau und Flußregulierungen, für den Ausbau der Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, für Tiefbauarbeiten und für Siedlungszwecke eingesetzt werden sollten. 52 Dieses v o r allem zur Belebung der Bauwirtschaft dienende Programm wurde am 21. September 1933 durch das Zweite Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit (Zweites Reinhardt-Programm) erweitert, das nun dem privaten Hausbesitz „einen Betrag bis zu 500 Millionen Reichsmark f ü r . . . Instandsetzungs- und Ergänzungsarbeiten an Gebäuden, f ü r die Teilung v o n Wohungen und für den Umbau sonstiger Räume in Wohungen" zur Verfügung stellte. 53 Um dabei den Einsatz von Privatkapital anzuregen, wurden außerdem Zinsvergütungsscheine im Werte von 360 Mill. RM bereitgestellt. 54 Eine weitere Steigerung der öffentlichen Bautätigkeit erfolgte durch die Errichtung des Unternehmens „Reichsautobahnen". 55 Weiter kam hinzu der Ausbau der vorstädtischen Kleinsiedlung (83 Mill. RM Haushaltmittel), das Beschaffungsprogramm der Reichspost ( 1 1 1 Mill. RM) und das Beschaffungsprogramm der Reichsbahn (991 Mill. RM). 56 Insgesamt waren für die unmittelbare ArbeitsEbenda, S. 8. — Das Institut für Konjunkturforschung wies außerdem darauf hin, daß die Einzelhandelsumsätze im Frühjahr 1934 den Krisentiefpunkt höchstens 5 bis 6 v. H. überschritten hatten, was auf den großen Abstand zurückzuführen war, der zwischen der Entwicklung der Produktion und dem Arbeitseinkommen klaffte. (VHKf., 9. Jg., T. A, Nr. 1/1934, S. 5.). 52 Reichsgeset^blatt (im folgenden: RGB!), 1. T., S. 323. Die Bezeichnung „Reinhardt-Programm" erfolgte nach dem Staatssekretär Reinhardt im Finanzministerium. (Vgl. auch Krosigk, Lut^ Graf Schwerin v., Staatsbankrott. Finanzpolitik des Deutschen Reiches 1920—1945, Göttingen/Frankfurt/Zürich 1974, S. 198.) — Nach der Durchführungs-VO zu diesem Gesetz v. 28. 6.1933 konnten nur Arbeiten der öffentlichen Hand damit finanziert werden. (RGB/., 1. T., 1933, S. 425.) Mit dem Gesetz zur Änderung der VO des Reichspräsidenten über finanzielle Maßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffung v. 13. 7. 1933, wurde der zur Verfügung gestellte Betrag des Sofort-Programms (Schleicher/Gereke) von 500 auf 600 Mill. RM erhöht. (Ebenda, S. 464). Mit dem gleichen Tag wurde die Dienststelle des Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung aufgelöst, ebenso der beim Reichskommissar eingesetzte Ausschuß und alle Befugnisse auf den Reichsarbeitsminister übertragen. (Gesetz über die Regelung der Zuständigkeit auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffung v. 13.7.1933, in: Ebenda, S. 464.) 53 Ebenda, S. 651. — Zweck dieses Gesetzes war nach Hitler, „den Winter wirtschaftlich durchzuhalten und die Zahl der Beschäftigten auf dem jetzigen Stand zu halten. Alle Maßnahmen, die getroffen werden, seien daher in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbeschaffung zu betrachten". (Zitiert bei: Ries, 51
Berthold, a. a. O., S. 30.)
Das von den Hausbesitzern über die staatlichen Zuschüsse hinaus eingesetzte Kapital wurde von der Regierung mit 4 Prozent verzinst. Die dafür ausgegebenen Zinsgutscheine unterschieden sich von den Steuergutscheinen nur durch ihre Zweckbindung. (Schiller, Karl, Arbeitsbeschaffung und Finanzordnung in Deutschland, Berlin 1936. S. 56.) 65 Gesetz v. 27. 6. 1933, in: RGBl., 2. T., 1933, S. 509. — Lärmer weist sehr richtig auf die schlechten Löhne und Arbeits- und Lebensbedingungen der Autobahnarbeiter hin. (Lärmer, Karl, Einige Dokumente zur Geschichte des faschistischen Reichsautobahnbaues, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1962, T. 1, S. 219ff.; Derselbe, Autobahnen im Dienste . . ., a. a. O., S. 126.) — Bis etwa 1935 hatte der Einsatz von menschlicher Arbeitskraft Vorrang, solange keine höheren Kosten dadurch entstanden, 1935 setzten Bestrebungen zur Verbesserung und für den verstärkten Einsatz der Straßenbautechnik ein. (Ebenda, S. 132ff.) 56 Schiller, Karl, a. a. O., S. 155. — Hinzu kommen außerdem noch 575 Mill. RM. die von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Mitfinanzierung von Notstandsarbeiten, für den Arbeitsdienst und für den Eigenheimbau eingesetzt worden sind. (Ebenda). 54
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Beschaffung ca. 5,4 Mrd. RM bereitgestellt worden, wovon Ende Mai 1934 schon 2,2 bis 2,4 Mrd. RM ausgezahlt worden waren. 57 Diese konzentrisch auf die Bauwirtschaft ausgerichteten zumeist sach- und termingebundenen Maßnahmen bewirkten, zusammen mit äußerst günstigen Witterungsbedingungen im Januar 1934, einen besonders raschen Rückgang der Arbeitslosenzahlen in der Bauindustrie. 58 Zur unmittelbaren Arbeitsbeschaffung durch öffentliche Arbeiten bzw. durch die Bereitstellung öffentlicher Mittel kam die mittelbare durch Steuergutscheine, gezielte Steuererleichterungen u. a. Maßnahmen. Neben dem auch durch die Hitler-Regierung fortgeführten Steuergutschein-Programm der Papen-Regierung mit 2 Mrd. RM ist vor allem das Kraftfahrzeugsteuergesetz vom 10. April 1933 zu nennen, das alle nach dem 31. März 1933 neu zugelassenen Kraftfahrzeuge und Krafträder von der Steuer befreite. 59 Die dadurch stimulierte Nachfrage führte zu einem sehr schnellen Aufschwung der Autoindustrie, die im April 1934 bereits den Höchststand der Produktion von 1928 überschritt. Nach der Industrieberichterstattung waren die Autofabriken in der gleichen Zeit zu 83 Prozent ausgelastet und erste Engpässe auf dem NE-Metallsektor kündigten sich an. Gleichzeitig war aber auch eine Steigerung des Autoexports zu verzeichnen. 60 Neben der Autoindustrie nahm auch die Rundfunkindustrie einen schnellen Aufschwung. Die Entwicklung des Volksempfängers VE 301 — unterstützt durch die demagogische Losung „Der Rundfunk gehört dem Volke" — brachte bereits 1933 eine Steigerung des Absatzes um 50 Prozent. Während die Produktion in der gesamten Industrie von März 1933 bis März 1934 um rd. 23 Prozent stieg, stieg sie „in in in in
der der der der
Funkindustrie Kraftfahrzeugindustrie Bauwirtschaft Hausratindustrie (geschätzt)
um um um um
280 v. 130 v. 76 v. 41 v.
H. H. H. H." 6 1
Stimulierend für die Bau- und Investitionstätigkeit sollte eine Reihe von Steuererleichterungen wirken, die für alle Ersatzbeschaffungen des gewerblichen und des landwirtschaftlichen Anlagekapitals witksam wurden, sofern sie nach dem 30. Juni 1933 und vor dem 1. Januar 1935 getätigt wurden. Das gleiche traf auch auf Instandsetzungsarbeiten an gewerblichen Gebäuden zu, während für neu errichtete Wohnhäuser, Kleinwohnungen und Eigenheime die Steuern erlassen wurden. 62 Das zweite Reinhardt-Programm brachte 57 KHK/., 9. Jg., T. A, Nr. 2\1934, S. 70. - Erbe kommt auf einen Betrag von 5050 Mill. RM (Erbe, Rene, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1933—1939 im Lichte der modernen Theorie, Zürich 1958, S. 183.) — Ries weist nach, daß aus dem Schleicher/Gereke-Programm 190 Mill. RM und aus dem 1. Reinhardt-Programm 22 Mill. JIM, also zusammen 212 Mill. RM direkt für Rüstungsausgaben verwendet wurden. (Ries, Bertbold, a. a. O., S. 28f.) 5 8 Nach dem Bericht der Reichsanstalt für 1933/34 standen die Haupt- und Nebenberufe des Baugewerbes mit einem Rückgang von durchweg über 70 Prozent an erster Stelle. (Sechster beriebt..., a. a. O., S. 8). 69 RGBl. 1. T. 1933, S. 192. — Das Änderungsgesetz v. 31. 5. 1933 dehnte die Steuerbefreiung durch eine einmalige Steuerablösung auch auf Kraftfahrzeuge aus, die vor dem 1. 4. 1933 zugelassen worden waren. (Ebenda, S. 192.) — Eine allgemeine Steuersenkung wurde jedoch nicht vorgenommen. «0 VHKf., 9. Jg., T. B, Nr. 2/1934, S. 122ff. - Dazu ausführlich: Kircbberg, Veter, Typisierung in der deutschen Kraftfahrzeugindustrie und der Generalbevollmächtigte für das Kraftfahrwesen, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1969, T. 2, S. 117ff. 61 Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung, 7. Jg., Nr. 12, 21. 3. 1934, S. 53; ebenda, 3. 5. 1934, S. 82. 62 Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit v. 1. 6. 1933, a. a. O., Abschn. II; Gesetz über Steuerer-
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außerdem noch einige steuerliche Erleichterungen für die Landwirtschaft. 63 Um die Arbeitsplätze in der Industrie stärker für Männer freizumachen, waren bereits im Mai 1933 steuerliche Vergünstigungen für Hausgehilfinnen erlassen worden. Im ersten ReinhardtProgramm wurde diese Maßnahme durch steuerliche Erleichterungen für die Einstellung von Hausgehilfinnen und durch die Gewährung von Ehestandsdarlehn erweitert. Die Gewährung der Darlehn hing davon ab, daß die Ehefrau auf ihre Berufstätigkeit verzichtete. 64 Nach den Angaben des Staatssekretärs Reinhardt sollen durch die steuerlichen Maßnahmen 1933 bis 1935 rd. 1,6 Mrd. RM in der Wirtschaft verblieben sein. 65 Das ist volkswirtschaftlich gesehen kein wesentlicher Betrag, auch dann nicht, wenn der Betrag für Steuergutscheine hinzugerechnet wird. Das gleiche ist von den Beträgen zu sagen, die für die unmittelbare Arbeitsbeschaffung eingesetzt worden sind. Erbe weist dies nach, indem er sie in Beziehung setzt zur jährlichen Differenz von 24,6 Mrd. RM, die zwischen Unter- und Vollbeschäftigungseinkommen bestand. Sie betrug das Vielfache dessen, was insgesamt bis Mitte 1935 im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsprogramme für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit vom Staat ausgegeben worden ist. 66 Diese Mittel allein hätten den konjunkturellen Aufschwung, wie er ab 1934 vor sich ging, nicht bewirken können. Man kann aber wohl schlußfolgern, insbesondere im Hinblick auf die Bauwirtschaft, daß die Maßnahmen ausreichten, um insbesondere im ersten Jahr einen größeren Rückgang in der Arbeitslosenentwicklung herbeizuführen. Gemessen an den Beträgen des Papen- und des Sofort-Programms hatte die HitlerRegierung sehr viel größere Beträge eingesetzt und vor allem gezieltere Maßnahmen eingeleitet. Sie hatte darüber hinaus 1933 und 1934 Einrichtungen geschaffen und erweitert, die ebenfalls zum Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen haben. Es handelt sich dabei um die Einrichtungen „Freiwilliger Arbeitsdienst", „Landhilfe", Notstands- und Fürsorgearbeit, in denen die Erfaßten nur mit einem Taschengeld für ihre Arbeit „entlohnt" wur-
leichterungen vom 15. 7.1933, in: RGB/. 1. T. 1933 S. 491; Zweites Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit v. 21. 9. 1933, a. a. O., Abschn. IV/V. 63 Ebenda, Abschn. II/III (Senkung der Grund- und Umsatzsteuer); Gesetz über Änderung der Arbeitslosenhilfe v. 22. 9. 1933, in: Ebenda, S. 656, befreite die Land- und Forstwirtschaft, die Binnen- und Küstenfischerei von der Arbeitslosenversicherung. 64 Gesetz zur Befreiung der Hausgehilfinnen von der Pflicht zur Arbeitslosenversicherung v. 12. 5. 1933, in: Ebenda:, S. 265; Herabsetzung der Beiträge zur Invalidenversicherung für Hausgehilfinnen, VO des RAM v. 16. 5. 1933, Keicbsarbeitsblatt, (im folgenden: RArb.B/.), 13. Jg. (N. F.), Nr. 16, 1933, 1. T., S. I 150; Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. 6. 1933, a. a. O., Abschn. IV: Überführung weiblicher Arbeitskräfte in die Hauswirtschaft; Abschn. V : Förderung der Eheschließungen. Das Ehestandsdarlehn wurde in Form von Bedarfsdeckungsscheinen ausgezahlt, die zum Kauf von Möbeln und Hausgerät berechtigten. — In diesem Zusammenhang ist noch auf eine Denkschrift zu verweisen, die am 20. 11. 1933 vom RAM und vom RWM herausgegeben wurde: Das Doppelverdienertum und seine Regelung. Hier wird Stellung gegen jegliche Maßnahmen seitens außerbetrieblicher Stellen genommen, der „ Kampf gegen das Doppelverdienertum" als unsozial bezeichnet und jegliche Entscheidung in dieser Richtung allein in die Hände der Unternehmer gelegt, die an einem Abbau der billigen weiblichen Arbeitskräfte gar nicht so sehr interessiert waren, (RArb. B/., 13. Jg. (N. F.), Nr. 33/1933, l . T . S . I295f.) Frankfurter Zeitung v. 17. 3. 1935. — Ries kommt mit seiner Berechnung auf 1,759 Mrd. RM. (Ries, Bertbold, a. a. O., S. 87f.) 66 Erbe, Rene, a. a. O., S. 184.
65
Ktisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
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den. 67 Nach dem Bericht des I f K waren „Ende März 1933 etwa 360000, Ende März 1934 dagegen über eine Million Menschen" in diesen Einrichtungen untergebracht. 68 Rechnet man die Zahl der Frauen hinzu, die auf Grund der Ehestandsdarlehnsbestimmungen aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden waren, dann dürfte mindestens eine Million Menschen anzunehmen sein, die v o m März 1933 bis März 1934 aus der Arbeitslosenstatistik ausschied, ohne einen Arbeitsplatz in der Wirtschaft einzunehmen. 69 Hinzuzurechnen sind außerdem noch die politischen Gefangenen in den Gefängnissen und neu errichteten Konzentrationslagern. 70 Außerdem muß auch berücksichtigt werden, daß die Reichswehr, die am 1. April 1933 noch eine Stärke von 1 0 2 5 0 0 Mann hatte, am 1. Oktober 1934 bereits auf 2 4 0 0 0 0 Mann angewachsen war. 7 1 Im April 1936 unterschritt die Zahl der erfaßten Arbeitslosen erstmals den Monatsdurchschnitt von 1929 und entsprechend war auch die Zahl der „zusätzlich" Beschäftigten zurückgegangen (Vgl. Tabelle 10). Tabelle 10 Die Entwicklung von Notstandsarbeit und Landhilfe April 19i4—April 1936 {in 1000 Pers.)
Notstandsarbeiter Landhelfer
April 1934
April 1935
April 1936
602 164
319 94
171 37
Zusammengestellt aus: Statistisches Jabrbucb 1935, S. 309; 1936, S. 325; 1937, S. 337. Der Facharbeitermangel begann wesentlicher zu werden als die Arbeitslosigkeit. Und so lag auch das Schwergewicht der Arbeitsmarktregulierung ab Herbst 1936 auf der „Lenkung und Sicherstellung des Facharbeiterbedarfs".
b) Kreditmarkt- und Investitionsentwicklung Der rückläufigen Entwicklung der Arbeitslosigkeit entsprach die Entwicklung der industriellen Produktion in Deutschland. Sie erreichte im März 1936 — im Monatsdurchschnitt Der „Freiwillige Arbeitsdienst" war im August 1931 gegründet worden. (RGB/. 1. T., 1933, S. 398); die „Landhilfe" wurde am 1. März 1933 eingerichtet (RArb.Bl. 13. Jg. (N. F.), 1933, S. I 77); Notstandsarbeiten waren die von der Reichsanstalt finanziell geförderten Arbeiten, für die Arbeitslosen- bzw. Fürsorgeunterstützung beziehende Arbeitslose eingesetzt wurden. Ihre Zahl stieg vom 30. 4. 1933 bis zum 31. 3. 1934 von 113852 auf 631436. (Sechster Bericht..., a. a. O., S. 36). - Petrick weist nach, daß gerade die Jugendlichen von dieser „Arbeitsbeschaffung für Taschengeld" betroffen waren und auf Grund einer Anordnung des Präsidenten der Reichsanstalt vom August 1934 systematisch zugunsten älterer Arbeiter von ihren Arbeitsplätzen entlassen und zum Land- oder Arbeitsdienst gedrängt wurde/i. Petrick, Fritz, Eine Untersuchung zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit unter der deutschen Jugend in den Jahren von 1933 bis 1935, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1967, T. 1, S. 294f. es VHKf., 9. Jg., T. A, Nr. 1/1934, S. 35. 69 Bis Ende 1934 wurden über 365000 Ehestandsdarlehn vergeben. (Völkischer Beobachter, 31. 1. 1935.) 70 Am 22. März 1933 erschien die erste offizielle Mitteilung über die Errichtung eines Konzentrationslagers (KZ Dachau). Im Laufe von 1933 wurden über 100 KZ errichtet und etwa 150000 Menschen verschleppt. {Deutsche Geschichte in Daten, Berlin 1967, S. 721.) 71 Deutschland im zweiten Weltkrieg, Bd. 1, Berlin 1974, S. 85. 67
Faschistische Arbeitsbeschaffung
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— wieder den Stand von 1928. In der Investitionsgüterindustrie war er bereits im April 1935 erreicht worden, 1936 lag der Monatsdurchschnitt schon 16,6 1937 28,1 und 1938 40,3 Prozent darüber, im April 1939 kletterte der Index auf 149,7 (1928= 100). Die Verbrauchsgüterindustrie, deren Produktionsrückgang in der Krise wesentlich geringer war als im übrigen Bereich, erreichte den Stand von 1928 erst im April 1937, 1938 lag sie im Monatsdurchschnitt mit nur 9,1 Prozent darüber und im April 1939 lag der Index bei 112,8.72 Diese Entwicklung zeigt bereits, daß eine spontan gesteuerte Konjunkturentwicklung nicht vorliegen konnte. Die Produktionsstatistik bot das Bild einer einseitig geförderten Wirtschaft. Diese Feststellung wird auch durch die Entwicklung des Kreditmarktes bestätigt. Die für die Funktion des Kapitalkreislaufs notwendige Auflockerung des Kreditmarktes war nicht eingetreten. Das IfK sprach Mitte 1934 von einer „Aufschwungsfinanzierung ohne Börse". 73 Die Produktionssteigerung und damit eben auch die ihr zugrunde liegenden Investitionen waren vorwiegend mit öffentlichen Mitteln bzw. mit Hilfe des Staatskredits kurzfristig über den Kreditmarkt finanziert worden. Das waren zunächst die Arbeitsbeschaffungswechsel, denen die berüchtigten Mefo-Wechsel bald in sehr viel höherer Auflage folgten. 74 Mit ihnen wurde das Angebot an kurzfristigen Krediten schnell erhöht, dagegen blieben langfristige Kredite knapp und — nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage — auch teuer. Der Zinssatz blieb hoch, ein wesentlicher Faktor für die geringe Entwicklung der privaten Investitionstätigkeit. Das hatte verschiedene Gründe, auf die bei der Behandlung der finanzwirtschaftlichen Entwicklung eingegangen wird. 75 Hier soll nur zum besseren Verständnis auf einige Wirkungen der beiden genannten (Staats-)Wechsel hingewiesen werden. - Von den 2,2 bis 2,4 Mrd. RM Arbeitsbeschaffungswechsel lagen etwa eine Mrd. RM bei der Reichsbank. Ihre Rediskontfähigkeit bei der Reichsbank, drei Monate Laufzeit und eine Verzinsung von vier bis viereinhalb Prozent waren eine außerordentliche Möglichkeit, Kapital zu vergleichsweise hohen Zinssätzen kurzfristig anzulegen. Es war ein sicheres Geschäft für die Banken. Solange sich nun diesen ausreichende Möglichkeit bot, ihr Geld in solchen Papieren anzulegen, die durch die Mefo-Wechsel noch um insgesamt 12 Mrd. RM vermehrt wurden, waren sie der Notwendigkeit enthoben, „um die Anlagen des Geldmarktes zu konkurrieren, d. h. die Zinssätze weiter herabzusetzen. Infolgedessen verflüssigt sich auch der Kapitalmarkt nicht." 76 Am deutlichsten trat die anhaltende Funktionsstörung des Kapitalmarktes bei den privaten Anleihen (Rentenpapieren), den Industrieobligationen und Pfandbriefen, hervor. Mitte 1934 war die „Effektivverzinsung der Industrieobligationen . . . so hoch (6,03% bis 6,87% im Mai), daß jegliche Neuemission von vornherein ausgeschlossen" war. 77 Auch am Pfandbriefmarkt blieb die Kursentwicklung schwach mit einer ständigen Tendenz zum Rückfall. 78 '2 Dazu Anhangtabelle 13, S. 445 f. 73 Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung 7. Jg., Nr. 25, 27. 6. 1934, S. 123. 74 Dazu Kapitel 3, Abschn. 3, über die Finanzierung von Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung. 75 Dazu Kapitel 10 über die finanzwirtschaftliche Entwicklung. 76 Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung, v. 27. 6. 1934, a. a. O., S. 123. 7 7 Ebenda, S. 124. — Industrieobligationen, als Schuldverschreibungen der begebenden Unternehmen, sind mit ihrem hohen Gläubigerschutz sicherer als Aktien. Insofern ist ihre Position am Kapitalmarkt ein Schlüsselwert für die Gesamtentwicklung der privaten Emissionen. 7 8 Ebenda, S. 124. — Im Vergleich zur Entwicklung von 1926/27, wo die Kurse der Pfandbriefe in 15 Monaten von rd. 75 Prozent auf rd. 98 Prozent gestiegen waren, brauchten sie diesmal 27 Monate, um von 67,5 Prozent auf nur 91 Prozent anzusteigen. (Ebenda). 6 Nussbaum/Zumpe. Bd. 3
74
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Die Arbeitsbeschaffungswechsel hatten also einerseits zur Belebung der Industrie und zum Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen, indem sie die erforderliche Liquidität des Kreditmarktes für kurzfristige (Betriebs-)Kredite herstellten. Durch ihre Ausstattung und ihre Menge machten sie andererseits das Geschäft der Banken mit langfristigen Krediten weniger interessant. Die kurzfristige oder schwebende Verschuldung des Staates auf dem Kreditmarkt nahm auch in den folgenden Jahren zu. 79 Wichtigstes Symptom dafür war das ununterbrochene Ansteigen des Wechselumlaufs, wobei die eigentlichen oder echten Handelswechsel kaum eine Rolle spielten. Steigend war auch der „Umlauf an unverzinslichen Schatzanweisungen, der von Mitte 1933 bis Mitte 1936 um rd. 1 Milliarde R M anstieg. Gegenüber diesen Formen der kurzfristigen Kreditinanspruchnahme traten alle bankmäßigen Formen zurück. Das Börsenkreditvolumen verharrte unverändert auf einem außerordentlichen Tiefstand. Auch im Bereich der normalen laufenden Bankkredite war keinerlei Aufstiegstendenz, vielmehr bis vor Jahresfrist (1935 — d. A.) eine stetige Schrumpfung, seitdem ein völliger Stillstand zu erkennen". 80 Von April 1933 bis April 1937 hatten die Wechselbestände an den deutschen Banken (Wechsel und Schatzwechsel zusammen) um rd. 7 Mrd. R M zugenommen. Sie lagen im April 1937 mit 7,6 Mrd. R M über dem Stand von 1928.81 Damit haben wir neben der einseitigen Entwicklung der Investitionsindustrie auch eine einseitige Entwicklung des Kreditmarktes festzustellen, die von allen einschlägigen Untersuchungen auf den dominierenden Umfang der öffentlichen Aufträge bzw. der staatlichen Wechsel zurückgeführt wurde. Hier ergibt sich ein unmittelbarer Bezug zwischen der Förderung der Investitions- und Produktionsgüterindustrie und der staatlichen Auftragspolitik. Ein weiterer Faktor für die spezifische industrielle Entwicklung waren auch die Investitionsverbote und -beschränkungen, die sich vor allem gegen Branchen der Verbrauchsgüterindustrie richteten oder aber Konzerninteressen schützten. Schon 1933, stärker noch 1934, wurden auf Grund des Zwangskartellgesetzes von 1933 Investitionsund Produktionsbeschränkungen und -verböte erlassen, deren Gültigkeit zum Teil bis 1935 und länger reichte. Danach war es u. a. für bestimmte Industriezweige oder für die Herstellung bestimmter Produkte verboten, ,,a) neue Unternehmungen zu errichten, b) den Geschäftsbetrieb bestehender Unternehmungen auf Herstellung der entsprechenden Produkte umzustellen, c) die Leistungsfähigkeit bestehender Unternehmungen zu steigern und stillgelegte Betriebe wieder in Betrieb zu nehmen". 82 Diese einer Arbeitsbeschaffung geradezu entgegengesetzte administrative Regulierung der Investitionsentwicklung erfolgte ab 1934/35 viel systematischer im Rahmen der Bestimmungen des „Neuen Plans". Diese Investitionslenkung mittels öffentlicher Aufträge, steuerpolitischer und gesetzlicher Maßnahmen spiegelte sich auch in der rasch steigenden Investitionsentwicklung wider. A m Wert der gesamten industriellen Bruttoproduktion gemessen, erreichte das InUnter „schwebender Schuld" wird die kurzfristige öffentliche Verschuldung verstanden, im Gegensatz zur langfristigen (fundierten) Staatsschuld. m ERKA-Bericbt Jahreswende 1936/37, S. 47. — Unverzinsliche Schatzanweisungen sind kurzfristige Schuldverschreibungen des Staates bzw. der öffentlichen Hand und werden von den Notenbanken wie Wechsel diskontiert, «l Ebenda, erstes Halbjahr 1937, S. 43. 82 Eine Zusammenstellung der'wichtigsten Fälle erfolgte, in: Ebenda, erstes Halbjahr 1934, S. 4f. — Unter anderem bezog sich diese Anordnung auf die Stickstoffindustrie (v. 24. 1. 1934), auf die Herstellung von Superphosphat (v. 29. 5. 1934). (Ebenda). 79
Faschistische Arbeitsbeschaffung
75
vestitionsvolumen bereits 1934 wieder den Anteil von 1928, obwohl das industrielle Bruttoprodukt dieses Jahres noch 40 Prozent unter dem v o n 1928 lag. Wertmäßig wurde das Investitionsvolumen von 1928 im Jahre 1936 überschritten. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß die Großhandelspreise für Industriegüter 1936 ca. 30 Prozent unter dem Stand von 1928 lagen (Vgl. Tabelle 11). Tabelle 11 Die Investitionsentwicklung
bis 1936 (in Mrd. RM) 1928
Investitionsvolumen Davon Ersatzinvestitionen Neuinvestitionen Wert d. ges. industr. Bruttoproduktion Anteil der Investitionen (%) Nationaleinkommen Anteil der Investitionen
(%)
1933
1934
1935
1936
13,675
5,060
8,185
11,600
13,800
6,700 6,975
5,810 -0,750
5,825 2,360
6,000 5,600
6,200 7,600
84,0
37,8
49,6
58,1
65,1
16,3 75,4
13,5 46,4
16,5 52,7
20,0 57,9
21,2 62,6
18,1
10,9
15,5
20,0
22,0
Zusammengestellt und berechnet nach ERKA-Bericbt zur Entwicklung im 1. Halbjahr 1937, S. 15; dasselbe zur Lage an der Jahreswende 1937/38, S. 6; dasselbe zur Entwicklung im 1. Halbjahr 1938, S. 7. Tabelle 11 Die Entwicklung in den einzelnen Investitionsbereicben bis 1936 (in Mrd. RM)
öffentl. Verwaltung, einschl. Verkehrs-, Kanal- u. Straßenbauten Wohnungsbau Elektrizitäts-, Gasu. Wasserversorgung Landwirtsch., Gartenbau, Forstwirtsch. Industrie* _ Handwerk, Handel u. sonst. Gruppen insgesamt
1928 Mrd. RM
%
1933 Mrd. RM
%
1934 Mrd. RM
%
1935 Mrd. RM
4,590 2,825
33 21
1,020
%
1936 Mrd. RM
%
2,180 0,875
43 17
4,050 1,350
49 16
6,450 1,575
56 14
7,600 1,900
55 14
8
0,200
4
0,290
4
0,390
3
0,500
4
0,945 2,615
7 19
0,600 0,555
12 11
0,725 1,070
9 13
0,775 1,660
7 14
0,850 2,100
6 15
1,680 13,675
12 100
0,650 5,060
13 100
0,700 8,185
9 100
0,750 11,600
6 100
0,850 13,800
6 100
* Die Differenzen zu den Summen in Tab. 13 efgeben sich aus den statistischen Berichtigungen im Statistischen Jahrbuch Quelle: siebe Tabelle 11. 6*
76
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Das Investitionsvolumen war schneller gewachsen als der Wert der industriellen Bruttoproduktion und das Nationaleinkommen, die 1936 noch ein Viertel bzw. ein Fünftel unter dem Stand von 1928 lagen. Untersucht man jedoch, wie sich das Investitionsvolumen auf die einzelnen volkswirtschaftlichen Bereiche verteilt, dann zeigt sich gegenüber 1928 doch eine sehr deutliche Strukturveränderung (Vgl. Tabelle 12). Der Anteil des öffentlichen Sektors an dem gesamten Investitionsvolumen war von einem Drittel 1928 auf mehr als die Hälfte im Jahre 1936 angewachsen. Alle übrigen Bereiche hatten ihre Anteile zum Teil drastisch verringert. Auch der Investitionsanteil der Industrie war noch geringer als 1928. Tabelle 13 zeigt die Verteilung auf die einzelnen Industriezweige. Das Verhältnis zwischen den Investitionen der Produktions- und Verbrauchsgüterindustrie veränderte sich von nahezu 2 : 1 im Jahre 1928 auf 3 : 1 im Jahre 1936. Von der rückläufigen Entwicklung war ganz besonders die Textilindustrie betroffen, die 1936 noch immer einem weitgehenden Investitionsverbot unterlag. 83 Die Produktionskapazität der gesamten Textilindustrie wurde 1936 zu 62,6 Prozent ausgelastet, die der Bekleidungsindustrie nur zu 53 Prozent, während der Produktionsindex, im Vergleich zu 1928 (=100), bei 98,5 lag. 84 Untersucht man jedoch die Entwicklung der Zellwolleproduktion, so zeigt sich, daß in diesem Bereich sehr stark investiert worden ist: 8 5 Die Produktion von Zellwolle betrug m m m m m m
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
1932 1933 1934 1935 1936 1937
1300 4000 7200 17200 42900 99400
t t t t t t
Deutschland nahm 1937 in der Weltproduktion von Zellwolle den ersten und in der Produktion von Kunstseide den dritten Platz ein, und zwar unter den Bedingungen einer außerhalb Deutschlands insgesamt stark angestiegenen Welterzeugung beider Produkte: bei Kunstseide von 216000 1 1932 auf 479000 1 1937 und bei Zellwolle in der gleichen Zeit von 9000 t auf 195000 t. 86 Bei den Produktionsgüterindustrien war die Anteilentwicklung dagegen sehr unterschiedlich. Während die Berg- und Hüttenindustrie 1936 ihren Anteil (an einer kleineren Gesamtinvestitionssumme!) nur in etwa wieder erreicht hatte, die Schwerindustrie für sich genommen sogar noch beträchtlich darunter lag, hatte die chemische Industrie ihren Anteil um mehr als drei Prozent vergrößert. Noch stärker, um mehr als sechs Prozent, war der Anteil der Konstruktionsindustrie gewachsen. Von einer allgemeinen Stimulierung der Investitionstätigkeit konnte auch hier nicht die Rede sein. In Anbetracht der überdimensionierten Produktionskapazität in der Schwerindustrie konnte sie auch gar nicht im Kapitalinteresse liegen, hier ging es zuerst einmal um die Auslastung der vorhandenen Kapazitäten. Die deutsche Stahlindustrie hatte im Herbst 1936 eine Produktionshöhe (im 83 Ebenda, erstes Halbjahr 1936, S. 20. - Faserstoff-VO v. 19. 7. 1934 (RGB/. 1. T., 1934, S. 713). 84 Ebenda, erstes Halbjahr 1937, S. 20. 85 Statistisches Jahrbuch 1938, S. 625. - Vgl. auch: ERKA-Bericht erstes Halbjahr 1937, S. 22. - Dazu auch Kapitel 8, Abschnitt 3. — Vgl. auch: Kehr/, Hans, Krisenmanager im Dritten Reich, Düsseldorf 1973, S. 89ff. 86 ERKA-Bericht erstes Halbjahr 1938, S. 17.
77
Faschistische Arbeitsbeschaffung
Tabelle 13 Anlageinvestitionen in der deutschen Industrie bis 1936 (in Mill. RM) 1928 RM I. Bergbau u. Hüttenind. 691 davon Schwerind. 570 II. Chem Ind. ohne Kaliind. 456 einschl. Treibstoffind. III. versch. Produktionsgüter davon Baugewerbe Baustoffind.
1933 RM
%
1934 RM
%
1935 RM
%
1936 RM
%
o/ /o
26,4
90
16,2
213
20,0
428
25,8
563
26,1
(21,8)
61
(10,9)
136
(12,7)
276
(16,7)
381
(17,7)
17,4
82
14,7
177
16,6
288
17,4
449
20,8
418
(15,9)
76
(13,7)
166
(15,6)
261
(15,8)
423
(19,6)
273
10,4
59
10,6
134
12,6
194
11,7
240
11,1
63
(2,4)
17
3,3)
56
(5,2)
74
(4,5)
98
(4,5)
108
(4,1)
17
(3,3)
29
(2,7)
58
(3,5)
71
(3,3)
11,4
78
14,0
183
17,2
333
20,1
385
(3,2)
26
(4.7)
39
(3,7)
73
(4,4)
88
(4,1)
(4,9)
32
(5.8)
74
(6,9)
114
(6,9)
151
(7,0)
(2,7)
45
(4,2)
98
(5,9)
97
(4,5)
IV. Konstruktionsindustrie 297 davon elektrotechn. 84 Ind. Masch, u. Appa128 ratebau AutoFahrradindustrie 60 V. Textilu. Bekleidungsind. 365 VI. Nahrungsu. Genußmittelind. 277 VII. verschiedene Konsumgüter 256 insgesamt 2615
(2,3)
15
17,8
14,0
107
19,2
153
14,4
154
9,3
201
9,3
10,6
87
15,6
123
11,5
154
9,3
174
8,1
9,8
54
9,7
84
7,7
107
6,4
147
6,8
100,0
557
100,0
1067
100,0
1658
100,0
2159
110,0
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
78 Fottsetzung Tabelle 13
1928 RM Produktionsgüter (I-IV) 1717 Verbrauchsgüter (V-VII) 898 in%derges. Inv. : Produktionsgüterindustrie Verbrauchsgüterindustrie
o/o
1933 RM
%
309
1934 rm
%
707
248
360
1935 rm
o/0
1936 RM
1243
1637
415
522
o/0
65,7
55,5
66,3
74,9
75,8
34,3
44,5
33,7
25,1
24,2
Zusammengestellt und berechnet nach: Statistisches Jahrbuch. . . 1938, S. 566; 1941/42, S. 612. Monatsdurchschnitt) v o n 1,72 Mill. t erreicht, das entsprach einer Kapazitätsausnutzung von 91,9 Prozent. 87 Dabei betrug die Jahresproduktion v o n Rohstahl 1936 mit 19,208 Mill. t das Dreifache der Jahresproduktion v o n 1932 (5,770 Mill. t) und lag mit 18 Prozent über dem Hochkonjunkturstand v o n 1929. 8 8 In der deutschen Maschinenindustrie hatten die Umsätze 1936 den Stand von 1928 wieder erreicht, während aber der Auftragseingang aus dem Ausland noch mit 37 Prozent unter dem Stand von 1928 lag, waren die Inlandsaufträge schon fast auf das Doppelte des entsprechenden Umfangs geklettert (Index: 194,8). 8 9 Die wirtschaftliche Entwicklung war auch 1936 eine ausgesprochene Binnenkonjunktur, die, wie an der Kreditmarktentwicklung abzulesen war, ganz überwiegend auf öffentlichen Aufträgen basierte.
c) Dftrcb Aufrüstung %ur Konjunktur Die ersten Jahre der faschistischen Herrschaft werden in der bürgerlichen Historiographie in der Regel in zwei Perioden geteilt: in eine Arbeitsbeschaffungs- und in eine Rüstungsperiode.9® Dementsprechend wird auch die Frage erörtert — da der Rückgang der ArbcitsEbenda, Jahreswende 19i6]i7, S. 15. Die englische Stahlproduktion hatte im September 1936 mit der Monatsproduktion von 1,06 Mill. t ebenfalls einen Höchststand und die volle Kapazitätsausnutzung erreicht. (Ebenda). 88 Statistisches Jahrbuch für die Bisen- und Stahlindustrie 1937, S. 9; Ebenda, 1933, S. 8. «9 ERKA-Bericht erstes Halbjahr 1937, S. 19. 90 In der bürgerlichen BRD-Historiographie wird die Tatsache, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ein Ergebnis der Aufrüstung war, kaum noch bestritten. Dagegen wird um den „Zeitpunkt" gestritten, wann die Rüstung einsetzte, d. h. es wird — stillschweigend oder ausdrücklich — eine Trennung in zwei Perioden vorgenommen. W. Grotkopp setzt ihn 1934/35 an, als „eine Fortsetzung und Verstärkung der Politik der Arbeitsbeschaffung." (Grotkopp, Wilhelm, a. a. O., S. 286 u. 288.) — G. Kroll setzt ihn „nicht vor dem Frühjahrl934" an, eine langsam anlaufende Rüstung, deren Ausgaben „frühestens" vom Herbst 1936 an „übermäßig hoch" waren. {Kroll, Gerbard, a. a. O., S. 562.) — R. Erbe nennt das „Jahr 1934, als die Rüstungsausgaben in großem Umfang einsetzten". {Erbe, René, a. a. O., S. 25.) — Ries trennt in eine Arbeitsbeschaffungsperiode und in eine Rüstungsperiode und setzt den „Beginn der eigentlichen Aufrüstung auf den 1.5.1934" fest. (Ries, Bertbold, a.a.O., S.53, 166f.) - Stucken, Rudolf (Deutsche Geld- und Kreditpolitik 1914-1963, 3. Aufl., Tübingen 1964) setzt den Zeitpunkt „Frühjahr 1935" an, bis dahin sei „der Aufwand für die Reichswehr ein verhältnismäßig 87
Faschistische Arbeitsbeschaffung
79
losigkeit besonders 1933/34 so auffallend stark war —, ob die Arbeitsbeschaffung allein, d. h. die Maßnahmen, die in den verschiedenen Programmen festgelegt waren, für eine Belebung ausgereicht hätte.91 Diese Betrachtung läßt die inneren Zusammenhänge weitgehend außer acht und geht vorwiegend von formalen Kriterien aus. Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung waren zwar zwei sachlich unterschiedliche Prozesse, aber ihre Aufgaben und Wirkungen griffen bereits 1933/34 so stark ineinander, daß für die Gesamtentwicklung eine Trennung kaum möglich ist. Die Investitionsentwicklung zeigt eindeutig den staatlichen Vorrang an, das gleiche Bild vermittelt die Entwicklung des Kreditmarktes. Da außerdem das Vertrauen bzw. das Mißtrauen des Kapitals in eine bestimmte Entwicklung nicht gerade eine untergeordnete Rolle spielt für die allgemeine Belebungstendenz, war es auch nicht die Arbeitsbeschaffung, die solches hätte erwecken können, sondern es war das Rüstungsgeschäft, das mit Sicherheit erwartet wurde. Eine „reine" Arbeitsbeschaffungsperiode hat es infolgedessen gar nicht gegeben. Die schnelle Reduzierung der Arbeitslosigkeit im Ablauf des ersten Jahres, auf die für solche Erörterungen gewöhnlich zurückgegriffen wird, war eine politisch zwingende Notwendigkeit für die Stabilisierung des Regimes — und damit für die Absicherung des Rüstungsprogramms. Aber auch ökonomisch bildete die Arbeitsbeschaffung eine Vorstufe für die Überleitung auf die Rüstungsproduktion.92 In bestimmten Bereichen, wie dem Ausbau der Infrastruktur, war die Arbeitsbeschaffung gleichermaßen auch wirtschaftliche Vorbereitung auf den Krieg. Trotzdem hatten die verschiedenen Programme zum großen Teil zivilen Charakter, das lag in der Sache selbst begründet. Wenn viele Arbeitslose schnell beschäftigt werden sollten, konnte es nur mit vorwiegend manueller Arbeit geschehen. Das wiederum war kein Prozeß, der die Investitionstätigkeit in der Großindustrie hätte anregen können. Diese Impulse kamen allein aus der Aufrüstung.911 bescheidener Posten im Reichshaushalt gewesen". (S. 147); Pettina, Dieter (Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte 1918 bis 1945, in: Deutsche Geschichte seit dem ersten Weltkrieg, Bd. 2, Stuttgart 1973) sieht eine „schon 1933 erkennbare Verknüpfung der Arbeitsbeschaffung mit der Aufrüstung". (S. 742); auch G. Schulz weist auf staatliche Aufträge hin, die bereits vor dem Herbst 1933 (Autobahnbau-Beginn) zur Förderung „militärischer Pro jekte" und der „geheimgehaltenen Aufrüstung "vergeben wurden. (Bracber, Karl DietricbjSauer, Wolfgang) Scbuk^, Gerbard, a. a. O., S. 662.) — W. Fischer wendet sich dagegen mit Nachdruck gegen eine solche Einteilung: „Hitlers Kriegspolitik ist nicht die spätere Pervertierung einer ursprünglich .guten', .positiven' oder .gerechtfertigten' Zielsetzung, sondern Ergebnis einer von Anfang an klaren .eiskalten Überlegung' . . .". (Fischer, Wolfram, a. a. O., S. 62f.) 9 1 Grotkopp, der in der staatlichen Kreditausweitung unter Schacht die Realisierung der „Neuen Lehre" (Reformer) sieht und anerkennt, bejaht die Frage, wobei er Rüstungsausgaben an sich als gerechtfertigte Staatsausgaben bezeichnet. (Grotkopp, Wilhelm, a. a. O., S. 284ff.) — Kroll hat „keine Zweifel darüber, daß es zumindest nicht der Rüstung bedurft hätte, um die Krise endgültig zu überwinden". {Kroll, Gerhard, a. a. O., S. 475). — Erbe verneint die konjunkturbelebende Wirkung der Programme, wie sie vorlagen, und vertritt die Auffassung, daß sie „durch verschiedene andere expansive Maßnahmen kredit- und fiskalpolitischer Natur (hätten) ergänzt werden müssen". In diesem Zusammenhang lehnt er auch jede „sinnvolle Beziehung" zwischen den Lehren von Keynes und der Schachtschen Politik ab. {Erbe, René, a. a. O., S. 184, 168 ff.) 92 Dieser 1933/34 notwendige Zusammenhang zwischen Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung wird auch in „Deutschland 1933—1939" hervorgehoben, allerdings allein unter dem Aspekt der politischen Stabilisierung. (Deutschland J933-J939, E. Paterna (u. a.), Berlin 1969, S. 55f.) - Zur Überleitung der betrieblichen Produktion auf Rüstungsaufträge 1933/34 am Beispiel der Dessauer Waggonfabrik : Brückner, Franz, Die Vorgeschichte des VEB Waggonbau Dessau von 1895 bis 1945, in : Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1962, T. 1, S. 189ff. 93 Daß die Arbeitsbeschaffungsprogramme tatsächlich nur eine temporäre Entlastung des Arbeitsmarktes
80
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Die staatlich geförderten Instandsetzungsarbeiten an Gebäuden, die Ersatzinvestitionen, Siedlungsbauten etc. und der Ausbau der Infrastruktur bewirkten eine auch regional sehr breit gefächerte und schnell wirksam werdende Belebung des Arbeitsmarktes. Die mittels der Arbeitsbeschaffungswechsel erreichte Lockerung des Kreditmarktes war eine wichtige Voraussetzung für die anlaufende wirtschaftliche Entwicklung. Als Vorläufer der MefoWechsel haben die Arbeitsbeschaffungswechsel den Weg für die geheime Rüstungsfinanzierung geebnet. Ob sie ohne diese Erfahrung sofort in diesem Umfang hätte aufgenommen werden können, muß dahingestellt bleiben. In Anbetracht der grundsätzlichen Wende in der Haushaltspolitik war es sicher eine wichtige Erfahrung zu wissen, welche Aufnahme diese neue Art Wechsel bei den Banken fanden und wie ihre Wirkung auf den Kreditmarkt war. Aus solchen Gründen kann man die Arbeitsbeschaffungsprogramme trotz ihrer zivilen Aufgaben als einen funktionellen Bestandteil der staatsmonopolistischen Konjunkturpolitik mittels Aufrüstung einordnen. An einem Beispiel aus der Flugzeugproduktion soll nun die Bedeutung der Rüstungsproduktion, sowie bereits ihre Planung, die eben nicht nur von Seiten des Staates ausging, für die konjunkturelle Belebung deutlich gemacht werden. 94 Tabelle 14 gibt folgende Zahlen für die deutsche Flugzeugproduktion: Tabelle 14 Deutsche Flugzeugproduktion Jahr
Kriegsflugzeuge
1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938
840 1823 2530 2651 3350
1939
4733
1931-1939 alle anderen
insgesamt
13 36 368 1128 1360 2582 2955 1885 3562
13 36 368 1968 3183 5112 5606 5235 8295
Quelle: Summary Report, The United States Strategie Bombing Survey (European War), abgedruckt bei: Kuczjtski, Jürgen, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 6, Berlin 1964, S. 84.
Kuczynski schreibt: „Alle entscheidenden Schritte in der Forcierung der Flugzeugproduktion waren bis 1935 getan." 9 5 Und es war in der Tat so. Das vorgelegte Tempo verrät eine bewirkten, nicht aber die eigentliche konjunkturelle Belebung, zeigte sich u. a. an der rückläufigen Entwicklung in den Berufsgruppen „Baugewerbe" und „Bauhilfsarbeiter". „In diesen Gruppen war am 31. März 1935 die Zahl der Arbeitslosen höher als am 31. März 1934, in der Berufsgruppe .Baugewerbe' sogar um 92,7 v. H." Als Grund wurde neben der winterlichen Saisonbewegung angegeben, daß „damals zahlreiche Maßnahmen der öffentlichen Arbeitsbeschaffung, die diesen Gruppen ganz besonders zugute kamen, zu Ende gegangen waren". {Achter Beriebt der Keicbsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. April 1935 bis zum 31. März 1936 (im folgenden: Achter Beriebt. . .) S. 11.) 94
Über die Bedeutung der Marinerüstung und die damit befaßten Konzerne schreibt sehr detailliert und informativ : Zimmer, Gerbard, Die Marinerüstung und die Rolle der Kriegsmarine innerhalb der aggressiven Außenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus (1933—1939), Diss. Berlin 1970, S. 89ff.
95
Kuczynski, Jürgen, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus (im folgenden: Lage der Arbeiter), Bd. 6 : Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1933 bis 1945, Berlin 1964, S. 84.
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vorbereitete Planung. „Von 1934 bis zum März 1935 entstanden bereits 20 Fliegerstaffeln, darunter vier Jagd-, sieben Bomber- und fünf Aufklärungsstaffeln." 9 6 A m 10. Juni 1^33 wurde auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses von Reichsfinanz-, Reichswehr- und Reichsluftfahrtministerium rückwirkend vom 1. April an die „Kasse L", der Geheimfonds zum Aufbau einer Luftwaffe, gegründet. Vorausgegangen war am 6. April 1933 eine Verhandlung zwischen Vertretern der Flugzeug- und der Großindustrie unter dem Vorsitz von F. Thyssen über den Aufbau einer Luftwaffe. 9 7 Vier Monate später, am 20. Oktober 1933 — einen Tag nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund —, rief Göring „die führenden Persönlichkeiten der einschlägigen deutschen Industrie" zu einer geheimen Sitzung nach Berlin. Außer den hohen Beamten des Ministeriums waren „nicht nur die Führer der Flugzeugwerke und des Motorenbaues, sondern auch die leitenden Herren der Industrie, die leichte und schwere Rohstoffe erzeugt und verarbeitet" anwesend. 98 Staatssekretär Milch, der diese Sitzung leitete, „wies nach, daß für Deutschland nunmehr der große Augenblick gekommen sei, in dem es gälte, den Aufbau der Luftflotte vorzunehmen". Göring, der „von der Versammlung mit erhobener Hand in feierlichem Schweigen begrüßt" worden war, führte aus, „er habe vom Führer den Auftrag erhalten, ,binnen einem Jabr die Wende in der Stellung Deutschlands auf dem Gebiet der Luftfahrt herbeizuführen". Der Rede Görings folgten dann „die sachlichen Bekanntgaben über die Eingliederung der einzelnen Firmen in den Gesamtrahmen des Planes" zur Realisierung dieses Auftrages, der nach ausführlichen Beratungen mit der Großindustrie zu diesem Zeitpunkt fertig vorlag. 9 9 Damit setzte ein intensiver Ausbau der Flugzeugindustrie ein, der in Dessau, dem Sitz des Junkerskonzerns 1 0 0 , zu folgender Entwicklung führte: Deutschland im ^weiten Weltkrieg, a. a. O., S. 86. Auszug aus dem Erlaß abgedruckt in: Anatomie des Krieges, a. a. O., S. 117. — Zur Verhandlung der Industrievertreter: Ebenda, S. 108f. 98 Koppenberg, Heinrieb, Die Entwicklung von „Dessau" im Jahre 1934, Dessau Anfang Januar 1935, vervielfältigtes Manuskript, Vorwort. — Koppenberg, Aufsichtsratsmitglied im Reichsverband der Automobilindustrie und ehemaliger Direktor des Flick-Konzerns, war im November 1933 vom Reichsluftfahrtministerium zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, Dessau, berufen worden. Er hatte an der Sitzung im RLM v. 20. 10. 1933 teilgenommen. (Ebenda, S. 1. — Dazu auch: Kadandt, Hans, Hugo Junkers. Ein Monopolkapitalist und korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1960, T. 1, S. 130; Handhe, Horst, Zur Rolle der Volkswagenpläne bei der faschistischen Kriegsvorbereitung in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1962, T. 1, S. 33ff.) 99 Ab 6. Mai 1933 beschäftigte sich Milch mit dem sogenannten „1000 Flugzeug-Programm", das die deutsche Lufthoheit begründen sollte. (Völker, Karl-HeinDie deutsche Luftwaffe 1933—1939, Stuttgart 1967, S. 26.) — Im August 1933 hatte Vogler (Vereinigte Stahlwerke) eine Besprechung zwischen Milch und Dr. Carl Krauch, IG Farben, vermittelt, die der Erörterung der deutschen Treibstoffbasis diente. Die dabei von Milch erbetene Denkschrift über die Ausbaumöglichkeiten der deutschen Treibstofferzeugung legte Krauch bereits Mitte September in Form eines „Vierjahresplanes" vor, nach dem die Produktion von 500000 t pro Jahr auf eine Kapazität von 1,8 Mill. t pro Jahr ausgebaut werden sollte. (Schreiben Voglers an Krauch v. 10. 8. 1933, Dok. NI-5930; Begleitbrief Krauchs zur Denkschrift an Milch, v. 14. 9. 1933 (die Denkschrift selbst liegt nicht mehr vor; Zusammenfassung des Inhalts im Begleitbrief), Dok. NI-4718, Fall VI (IG-Farben-Prozeß). - Auch: Birkenfeld, Wolfgang, Der synthetische Treibstoff 1933-1945, Göttingen/Berlin(West)/Frankfurt (Main) 1964, S. 62.) - „Ende September 1933 war der erste Rüstungsplan des Reichsluftfahrtministeriums zum Aufbau einer Luftflotte für die Zeit bis zum 1. Oktober 1935 ausgearbeitet." {Deutschland im %weiten Weltkrieg, Bd. 1, a. a. O., S. 86) 100 Die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG ging 1933 in staatliche Regie über. (Dazu: Kadandt, Hans, 96
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Das nur für Entwicklungs- und Kleinserienbau angelegte Werk erhielt für das Jahr 1934 „zum ersten Mal die Aufgabe gestellt, die J U 52 in Groß-Serien zu bauen. Gleichzeitig galt es . . . , neue Werke, die bisher noch niemals Flugzeuge gebaut hatten, wie die A T G in Leipzig und Blohm & Voss in Hamburg, anteilmäßig zu beschäftigen und dort die Fabrikation für Flugzeuge aufzuziehen. Am 13.12.1933 wurde das ABC-Programm mit 179 Flugzeugen für Jahresende 1934 festgelegt". 101 Neben diesem Auftrag liefen die alten Aufgaben weiter: „die Serienfertigung W 34 mit einer Ausbringung von 1 Flugzeug alle 5 Tage, die Fertigstellung der alten JU-52-Serie mit einer Ausbringung von 1 Flugzeug alle 7 Tage, die üblichen Ersatzteilaufträge und die Entwicklungsarbeiten." 102 Die Dezentralisierung der Produktion auf drei Baustellen für Fertigteile (A Dessau-Süd, B Leipzig, C Hamburg) bis zur Endmontage in den Junkerswerken selbst, war nicht nur die Voraussetzung für die Großserienproduktion, sie hatte ausdrücklich kriegswirtschaftlichen Charakter, 103 Ungefähr 3000 Einzelteile wurden zur Entlastung der Produktion in weiteren 60 Firmen untergebracht. Bereits 1934 wurden in den Junkerswerken selbst ca. 67 000 m 2 Fläche mit Hallenbauten u. ä. überbaut, darunter ein Heizkraftwerk mit einer Leistung von 4500 kW und 22 Mill. WE. 104 Die Zahl der Beschäftigten stieg bei den Flugzeugwerken (IFA) vom Oktober 1933 von 2200 auf 8900 im Dezember 1934, einschließlich der Motorenwerke (Jumo) auf 13 460, einschließlich der auswärtigen Baustellen in Hamburg und Leipzig betrug die Zahl 15933. 105 Durch die Übernahme verschiedener Fabriken in Halberstadt, Aschersleben, Staßfurt, Kothen, Halle, Gräfenhainichen und Jüterbog wurde der Einfluß der Junkerswerke auf die Wirtschaftslage im mitteldeutschen Raum erheblich ausgedehnt. 106 Der Monatsumsatz der IFA stieg von 916000 RM im Oktober 1933 auf 7446000 RM im September 1934. Das ist eine Steigerung um mehr als 800 Prozent. Der Umsatz an Flugzeugzellen stieg in der gleichen Zeit auf das Zehnfache. 107 Der Anteil der ABC-Produktion am monatlichen Umsatz war von 21 Prozent im Mai 1934 auf 75 Prozent im Dezember 1934 angestiegen. 108 Die Leistungskurve der Flugzeugproduktion in Dessau a. a. O., S. 124.) Dadurch war es möglich, die Konstruktionspläne der Junkerswerke auch in der übrigen Industrie zu verwerten. Koppenberg schreibt: „Für die folgende Zeit sollen auch noch die Dornier-Werke in Friedrichshafen und in Wismar zu den Firmen treten, denen wir in völlig uneigennütziger Weise unsere Konstruktionen zur Verfügung stellen, während alle die genannten Werke auch die Bau-Erlaubnis für unsere augenblicklich noch in der Entwicklung befindlichen Typen erhalten werden." ( K a p p e n b e r g Heinrieb, a. a. O., S. 6.) U" Ebenda, S. 25. «ß Ebenda, S. 26. 103 „Die Bedeutung der Werke für den Fall eines Krieges zwang zu sorgfältiger Berücksichtigung der Luftschutzforderungen. Es wurde deshalb . . . auf eine Zusammenfassung aller Arbeitsstätten an einem Ort... verzichtet und eine Dezentralisation auf fünf Städte vorgesehen." (Ebenda, S. 13) «M Ebenda, S. 8; Anlage S. 4. 105 Ebenda, S. 42; Anlage, S. 34. — Völker beziffert den Beschäftigtenstand in der Luftfahrtindustrie für Ende 1933 auf 20000. ('Völker, Karl-Heinz, a. a. O., S. 24.) — Thomas Kuczynski weist in seiner Untersuchung der Arbeitsbeschaffungsprogramme und ihrer Auswirkungen auf die konjunkturelle Belebung auf die Flugzeugproduktion hin, in der er, neben anderen Rüstungsindustrien, die eigentliche Ursache für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland sieht. ( K u c z y n s k i , Tbomas, a. a. O., S. 200.) 106 Koppenberg, Heinrieb, a. a. O., Anlage, S. 29. 107 „Der .Umsatz der Ifa' ist nicht exakt anzugeben, da auch heute noch nicht die Preise für die ABC-Maschinen festliegen." (Ebenda, S. 41; Anlage, S. 31.) — Die tatsächliche Leistung lag außerdem viel höher, da im Umsatz nur die ausgelieferten Maschinen erfaßt wurden, die Abholung der Maschinen aber viel langsamer ging als die Fertigstellung. (Ebenda, S. 43.) 108 Ebenda, Anlage, S. 31.
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wurde von Koppenberg Anfang Januar 1935 dargestellt (Vgl. Tabelle 15). Die Tabelle bezieht auch den Endzweck der ganzen Entwicklung, den „A-Fall", ein. 109 Tabelle 15 Steigerung der monatlichen Flugzeugausbringung bis %ur Höchstleistung auf den A-Fall 1933—1935 (Junkerswerke
Dessau)
monatliche Leistung IV. Quartal 1933 5 I. Quartal 1935 47
I. Quartal 1934 IV. Quartal 1934 7 36 IV. Quartal 1935 im A-Fall 48 100
Quelle: Koppenberg, Heinrieb, Die Entwicklung von „Dessau" im Jahre 1934, Dessau Anfang Januar 1935 (vervielf. MS), S. 40.
Die Auswirkung auf die übrige Industrie, insbesondere über die Materiallieferungen, wird nur angedeutet. Aber auch hier wird ersichtlich, wie radikal die Rüstungsaufträge die Produktionskapazitäten veränderten und zu Umstellungen und Ausbauten zwangen, die erst vorgenommen werden mußten. „Die Dürener Metallwerke zum Beispiel, seinerzeit die Firma für die Lieferung von Duralumin, hatten vor 1934 eine Jahresleistung von 150—200 t zur Befriedigung der gesamten deutschen Luftfahrt-Industrie zu bewältigen. Wir allein mußten zur Erfüllung des ABC-Programms von ihnen ab Dezember 1933 bis Januar 1935 eine Steigerung ihrer Produktion auf das etwa Zehnfache der bisherigen Leistung nur für die Befriedigung unseres Bedarfs verlangen. Ein noch krasseres Verhältnis bildeten unsere Forderungen, die wir auf Veranlassung des Amtes an die Vereinigten Leichtmetallwerke Bonn stellen mußten." 110 Der Multiplikatoreffekt nur dieses einen Werkes für die übrige Wirtschaft wird in den wenigen Angaben über das „Lieferanten-Netz" deutlich :„ Es handelte sich dabei um insgesamt 40 Werkstoff-Erzeuger, etwa 95 Fertigteile-Lieferanten und 40 unseren Werkstoff für Fertigteile verarbeitende Werke. . . Ein großes Maß von Arbeitsaufwand und Aufmerksamkeit erforderte die Heranbildung weiterer Lieferfirmen für Leichtmetall wegen seiner schwierigen Herstellung und unserer hohen Ansprüche, so zum Beispiel der Vereinigten Leichtmetallwerke Bonn, der Wieland-Werke, Ulm, der IG Farbenindustrie Bitterfeld und der Aluminium-Walzwerke in Wutöschingen. Für Stahlrohre mußten anstelle der schwedischen Lieferanten Uddeholm A. B. Mannesmann und Kronprinz treten." 111 Der am Jahresende 1934 „vorliegende Bestand an Inlandsaufträgen" — berichtet Koppenberg weiter — „stammt in erster Linie vom Amt (RLM — d. A.). Hier überwiegt das ABCProgramm mit 412 Maschinen samt Zubehör. Außer diesen dreimotorigen Flugzeugen wurden 69 Zellen der Type W 34 nebst Ersatzteilen bestellt. Von jeder der vier in der Entwicklung stehenden Maschinen hat das Amt die nötigen Versuchsmaschinen in Auftrag gegeben. Daneben erwartet die Lufthansa die Lieferung einiger kleiner Serien." 112 ios Das „Leistungsvermögen" der JUMO in Einheitsmotoren pro Monat stieg von 15 im 1. Quartal 1933 auf 90 im 4. Quartal. 1934, auf 210 im 4. Quartal 1935. Für 1937 sollten im „A-Fall" 600 pro Monat produziert werden können. (Ebenda, Anlage, S. 41.) — Der Begriff „A-Fall" war die Bezeichnung für den Mobilmachungs- oder Kriegsfall. "0 Ebenda, S. 36. «1 Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 39.
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In den Export waren 1934 26 Maschinen gegangen. Am 18.12. 1934 war mit der chinesischen Zentralregierung in Nanking ein Vertrag ratifiziert worden, der von 1935 bis 1937 Aufträge von insgesamt 10 Mill. RM (in Devisen) für die Junkerswerke vorsah und eine Drittel-Beteiligung an der neugegründeten „Chinesischen Flugzeuggeräte AG". Darüber hinaus wurden die Exportaussichten für 1935 als zufriedenstellend bezeichnet. 113 Die Rüstungsaufträge gewannen bereits 1934 einen bestimmenden Einfluß auf die gesamte Produktionsentwicklung. Wie bereits festgestellt, war der Anteil der öffentlichen an den gesamten Investitionen bereits bis 1936 auf die Hälfte angestiegen, gegenüber einem Drittel im Jahre 1928. Im Jahre 1934 betrugen die Rüstungsausgaben bereits das 2,5fache der übrigen öffentlichen Investitionen. 114 Zusammenfassend ist festzustellen : Mit der Arbeitsbeschaffung, die vorrangig auf dem Gebiet der Bauwirtschaft wirksam wurde, gelang es kurzfristig, eine schnelle Breitenwirkung für den Rückgang der Arbeitslosigkeit zu erzielen. In dieser Zeit war es möglich, nicht zuletzt auf Grund der umfangreichen Vorarbeit in der Weimarer Zeit, den Anlauf der Rüstungsproduktion zu organisieren, was am Beispiel der Flugzeugindustrie deutlich gemacht wurde. Bereits 1934 setzte die Wirkung der Rüstungsaufträge in der Industrie ein, die — im Unterschied zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen — vorrangig zur Beschäftigung der großen, stark rationalisierten Kapazitäten der monopolisierten Industriezweige führten. Beide Bewegungen zusammen — unterstützt auch von spontanen Faktoren — bestimmten die Entwicklung der Jahre 1933/34, die mit der Stabilisierung des Reproduktionsprozesses und seiner gesamtgesellschaftlichen Bedingungen abschlössen: Im Jahre 1934 kam es in der Industrie erstmals wieder zu einer erweiterten Reproduktion des angelegten Kapitals. 115 Das Rüstungsgeschäft war ein sicherer Markt ohne Risiko für die Großindustrie. Der Staat besaß das Abnehmermonopol, das ihm auch die mit einem Monopol verbundene Machtstellung im Reproduktionsprozeß verlieh. Auf dieser Grundlage vollzog sich „die Vereinigung der Riesenmacht des Kapitalismus mit der Riesenmacht des Staates zu einem einzigen Mechanismus", und es zeigte sich am Ergebnis dieser Entwicklung, „wie sich in der Epoche des Finanzkapitals private und staatliche Monopole miteinander verflechten und die einen wie die anderen in Wirklichkeit bloß einzelne Glieder in der Kette des imperialistischen Kampfes zwischen den größten Monopolisten um die Teilung der Welt sind". 116
3. Die Finanzierung v o n Arbeitsbeschaffung und A u f r ü s t u n g Wenn wir heute davon ausgehen, daß mit der öffentlichen Arbeitsbeschaffung am Ende der Weltwirtschaftskrise ein neuer Abschnitt in der staatsmonopolistischen Entwicklung begann, so gehört in Deutschland auch die Form der Finanzierung dazu ; sie stellte ebenfalls eine neue Qualität in der staatlichen Ausgabenpolitik dar und war der unmittelbare Vorläufer der Schachtschen Rüstungsfinanzierung, mit der dieses neue Prinzip vollständig übernommen wurde. «3 Ebenda, S. 39f. 114 Nach den Berechnungen von: Erbe, René, a. a. O., S. 26. 115 Nach den Berechnungen von Hoffmann betrugen die Defizitinvestitionen im Gewerbe 1933 noch immer insgesamt - 340 Mill. RM. (Vgl. Anhangtabelle 14, S. 447.) 116 Lenin, W. I., Werke, Bd. 24, Berlin 1959, S. 401 ; ebenda, Bd. 22, Berlin 1960, S. 255.
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Finanzierung
Das Finanzierungsproblem stellte sich 1932/33 (für die Arbeitsbeschaffung) und 1933/34 (für die Rüstung) etwa in der gleichen Weise auf Grund der Tatsache, daß die üblichen .staatlichen Finanzierungsquellen zur Beschaffung der erforderlichen Summen damals nicht ausreichten bzw. erst gar nicht in Anspruch genommen werden konnten (für die Aufrüstung u. a. auch aus Gründen der Geheimhaltung). Eine etatmäßige Beschaffung mit Hilfe von Steuererhöhungen schloß sich genau so aus wie eine Beschaffung mittels Anleihen. Steuererhöhungen lagen nicht im Interesse der Industrie, sie hätten die Krisenauswirkungen verschärft, und für die Aufnahme von Anleihen bot der Kapitalmarkt keine Möglichkeiten. 117 Der Weg führte über die Inanspruchnahme der Reichsbank. Hier waren nun durch das Bankgesetz von 1924 erhebliche Schranken errichtet worden. 118 Die Kredithergabe an das Reich war auf insgesamt 500 Mill. RM begrenzt. 1 ^ Das ebenfalls im Bankgesetz festgelegte Deckungssoll von 40 Prozent in Gold und Devisen für die umlaufende Geldmenge 120 erzeugte bei den ständig schwindenden Beständen eher eine Tendenz zur Verringerung statt zur Erweiterung der Geldmenge. In dieser Situation war die Bereitschaft des Reichsbankpräsidenten, Wege einzuschlagen, die um diese Schranken herumführten, von ausschlaggebender Bedeutung für die weitere Entwicklung. Diese Umgehung erfolgte durch einen „Kunstgriff", mit dem die Arbeitsbeschaffungswechsel (und dann die Rüstungswechsel) zu „guten" Handelswechseln gemacht wurden, wodurch sie nach den Bestimmungen des Bankgesetzes rediskontfähig waren. 121 Die Ablösung Luthers, der wenig Bereitschaft zeigte, dieses System ins Uferlose zu treiben, im März 1933 und die Berufung Schachts in dieses Amt öffneten die Tresore der Reichsbank für die geheime Rüstungsfinanzierung. Im Prinzip bestand kein Unterschied zwischen der Finanzierung der Arbeitsbeschaffung und der Finanzierung der Rüstung. Sie erfolgte mit Hilfe von Wechseln, die formell wie Handelswechsel ausgestattet, tatsächlich aber Finanzwechsel waren, hinter denen die Reichsgarantie stand. Das System war für beides tauglich, für Arbeitsbeschaffung und für Aufrüstung. Es lag im Ermessen des Reichsbankpräsidenten, ob die Reichsbank diesen „Kunstgriff" akzeptierte, in welchem Umfang und für welchen Zweck. Mit der Berufung Schachts in das Amt des Reichsbankpräsidenten stand ein Mann der Schwerindustrie an diesem in jener Zeit so außerordentlich wichtigem Schalthebel der Wirtschaftspolitik. Welches immer 117 D a z u a u c h : Erbe, René, a. a. O . , S . 4 2 f . — V g l . auch K a p . 3, A b s c h n i t t 1.
"
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R G B l . , 2. T . , 1924, S . 235, § 25. — D a s B a n k g e s e t z war im Z u s a m m e n h a n g mit d e m D a w e s - P l a n am 20. 8. 1924 erlassen w o r d e n ; es m a c h t e d i e R e i c h s b a n k u n a b h ä n g i g v o n der R e i c h s r e g i e r u n g u n d unterstellte sie internationaler A u f s i c h t . I m M ä r z 1930 ( H a a g e r A b k o m m e n ) w u r d e mit d e m Y o u n g - P l a n die internationale A u f s i c h t beseitigt, d . h. der d i e A u f s i c h t a u s ü b e n d e Generalrat bestand nur n o c h a u s deutschen Mitgliedern, gleichzeitig w u r d e d a s Reich erneut verpflichtet ( A n l a g e V z u m H a a g e r A b k o m m e n ) , d i e ü b r i g e n B e s t i m m u n g e n d e s B a n k g e s e t z e s beizubehalten. (Born,
Karl
Ericb,
D i e deutsche Bankenkrise
.1931, M ü n c h e n 1967, S. 2 8 f f . - A u c h B d . 2, K a p . 10, dieser A r b e i t ) . « 9 B a n k g e s e t z § 2 5 ( R G B l . , 2. T . , 1924, S. 235) legt einen Betriebskredit v o n 100 Mill. R M pro J a h r fest, rückzahlpflichtig im laufenden H a u s h a l t s j a h r ; d i e N o v e l l e z u m B a n k g e s e t z v . 8. 6 . 1926 ( E b e n d a , 2. T . , 1926, S. 355) ermöglicht z u d e m d i e D i s k o n t i e r u n g v o n 400 Mill. R M R e i c h s s c h a t z wechseln. ( D a z u K a p . 10, Abschnitt 2.) 12° D i e s e V e r p f l i c h t u n g war 1930 d u r c h d a s H a a g e r A b k o m m e n weiter ü b e r n o m m e n w o r d e n . 121 N a c h d e m B a n k g e s e t z (§ 2 1 ) w a r e n auch H a n d e l s w e c h s e l d e c k u n g s f ä h i g , d . h. d i e R B d u r f t e s o g e n a n n t e g u t e H a n d e l s w e c h s e l diskontieren. „ G u t e " H a n d e l s w e c h s e l hatten eine L a u f z e i t v o n 3 M o n a t e n u n d t r u g e n drei „ g u t e " Unterschriften. D i e dritte Unterschrift war eine K a n n - B e s t i m m u n g . W e n n der W e c h s e l bereits d u r c h 2 Unterschriften gesichert war, k o n n t e d i e R B d a v o n absehen. W e c h s e l mit 2 Unterschriften d u r f t e n j e d o c h nur e i n Drittel d e s i n s g e s a m t diskontierten W e c h s e l b e t r a g e s a u s m a c h e n .
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
die Pläne oder Ambitionen Hitlers waren, die Entscheidung über ihre Realisierung fiel zu allererst hier. Es war — wie die Geschichte zeigte — eine Entscheidung im Interesse der Rüstungsindustrie, und Hitler war ihr Handlanger, nicht umgekehrt. Das Wesentliche an diesem neuen Finanzierungssystem war der Schritt zur Defizitfinanzierung, eine Staatsverschuldung zu Lasten künftiger Staatseinnahmen. Neben einigen Steuererleichterungen waren es vor allem die Staatsaufträge, die das eigentliche Gewicht der antizyklischen Maßnahmen ausmachten. Ihre Finanzierung erfolgte mit Wechseln, wobei zu bemerken ist, daß das deutsche Wechselrecht äußerst streng war, im Kapitalinteresse natürlich, was sich ja auch im Manipulationsaufwand der Reichsbank zeigte. Da ein Wechsel eine gesetzlich festgelegte kurzfristige Laufzeit hat, wurde der Arbeitsbeschaffungswechsel „aufgespalten in ein Bündel von spätestens nach drei Monaten fälligen Wechseln, und die Einlösung der einzelnen Wechsel, mit Ausnahme des letzten, erfolgte dann nicht in der üblichen Weise durch Bezahlung der Wechselsumme, sondern durch Hingabe des nächsten Abschnittes des betreffenden Wechselbündels". 122 Damit wurde die Einlösungspflicht durch das Reich auf fünf Jahre hinausgeschoben und gleichzeitig die dem Wechsel eigene strenge Einlösungspflicht erhalten. Die kurzfristige Verschuldung wurde zu einer mittelfristigen Verschuldung manipuliert. In der gleichen Weise funktionierte der Mefo-Wechsel. Zu jedem Wechsel dieser Art gehörten eine auf fünf Jahre berechnete Anzahl von Prolongationsstücken, die immer nach Ablauf der jeweiligen Laufzeit an die Stelle des Prima-Wechsels traten.123 Während aber die Arbeitsbeschaffungswechsel noch auf öffentlich-rechtliche Kreditanstalten gezogen wurden, die immerhin eine gewisse Garantie für die übernommene Zahlungsverpflichtung bieten konnten 124 , wurden die Mefo-Wechsel auf die im August 1933 mit einem Betriebskapital von nur 1 Mill. RM gegründete „Metallurgische Forschungsgesellschaft m.b.H." (Mefo) gezogen, die ihren Sitz in Berlin hatte und keine andere Aufgabe erfüllte, als die eingereichten Wechsel der Rüstungsfirmen zu akzeptieren.125 Das Kapital der Mefo war zu vier gleichen Teilen (250000 RM) von den Konzernen Krupp AG, Siemens AG, Gutehoffnungshütte AG und Rheinmetall AG gezeichnet worden. Der Vorstand der Mefo wurde von je einem Vertreter der Reichsbank und des Reichswehrministeriums gebildet, das Personal bestand aus Angestellten der Reichsbank.126 Mit den Unterschriften des „ziehenden" Rüstungsbetriebes und der „bezogenen" Mefo entstanden Wechsel, die den Formvorschriften „guter Handelswechsel" entsprachen, indem sie zwei „gute" Unterschriften trugen, aber nie Handels- oder Warenwechsel waren. 127 Da die Mefo nur durch die hinter ihr stehende Reichsbank „gut" 122 Stucken, Rudolf, a. a. O., S. 123. 123 Dazu Albert, Ursula, Die deutsche Wiederaufrüstung der dreißiger Jahre als Teil der staatlichen Arbeitsbeschaffung und ihre Finanzierung durch das System der Mefowechsel, Diss. Nürnberg 1956, S. 34. — Stucken, Rudolf, a. a. O., S. 149. 124 Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG (öffa), Deutsche Bau- und Bodenbank AG, Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt, Deutsche Siedlungsbank, Deutsche Boden-Mittel-AG, Preußische Staatsbank, Berlin; Reichsbahn, Reichspost und das Unternehmen Autobahnbau hatten außerdem noch ihre eigenen Finanzierungsinstitute, die, wie die übrigen öffentlich-rechtlichen Banken auch, ebenfalls als Zwischen- oder Vorfinanzierer den Weg zum Geld der Reichsbank öffneten. (Schiller, Karl, a. a. O., Kapitel XV.) 125 Deutseber Reicbsan^eiger und Preußischer Staatsanzeiger, Berlin, Nr. 196, v. 23. 8. 1933. — Zum technischen Ablauf vgl. Albert Ursula, a. a. O., S. 30ff. !26 Ebenda, S. 30. 127 Da die Reichsbank nur eine begrenzte Menge Wechsel mit zwei Unterschriften diskontieren konnte
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Finanzierung
war, garantierte sich diese faktisch die Wechsel selbst, garantierte sie im Interesse der Industrie, die ebenfalls hinter der Mefo stand, aber auch im Interesse der Banken, die ihr Geld in solchen Wechseln anlegten. Bis März 1938 wurden allein auf diese Art insgesamt 12 Mrd. RM in die Aufrüstung gesteckt. Die Vorfinanzierung der Arbeitsbeschaffung und der geheimen Aufrüstung erfolgte durch eine kurzfristige Verschuldung des Reichs, die durch „Kunstgriffe" über fünf Jahre in der „Schwebe" gehalten werden sollte. Danach sollte die Tilgung erfolgen, die der Arbeitsbeschaffungsverschuldung — vom Reich aus gedeckt mit Arbeitsschatzanweisungen und Steuergutscheinen — ab 1935, die der Mefo-Wechsel — durch nichts als durch Reichsgarantie abgesichert — ab 1938. Erbe gibt eine Zusammenstellung über die kurzfristige Verschuldung des Reichs und ihre Entwicklung von 1933 bis 1938 (Vgl. Tabelle 16). Tabelle 16 Die schwebende Reicbsscbuld
1933-1938
(in Mill. RM pro 1933
1. Mefo-Wechsel a) Veränderung pro Jahr b) Stand Ende Jahr Arbeitsbeschaffungsschuld a) Veränderung pro Jahr b) Stand Ende Jahr Übrige schwebende Schulden a) Veränderung pro Jahr b) Stand Ende Jahr Total a) Veränderung pro Jahr b) Stand Ende Jahr
Fiskaljahr)
1934
1935
1936
1937
+ 2145 2145
+ 2715 4860
+4452 9312
+2688 12000
+ 1441 1441
+
-
-
367 760
-
385 375
+ 417 1514
+ 473 1987
+ 494 2481
-518 1963
-
38 1925
+ 4190 6115
+ 1858 2955
+ 2666 5621
+ 2847 8468
+ 3567 12035
+ 2265 14300
+ 3715 18015
48 1489
362 1127
1938
-
100 11900 -
375
Quelle: Erbe, René, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1933 bis 1939 im Lichte der modernen Theorie, Zürich 1948, S. 48f.
Die schwebende Reichsschuld hat sich von Anfang 1933 bis Ende 1938 um mehr als das lófache vergrößert. Sie stellte, wie später noch zu zeigen sein wird, nur einen Teil der gesamten Reichsschuld dar. In ihrer quantitativen Ausweitung war sie ein absolutes Novum in der Haushaltspolitik. Diese Vorfinanzierung war nichts anderes als eine totale Verschuldung des Reichs. Die schwebende Reichsschuld füllte zum allergrößten Teil die Kassen der Rüstungskonzerne. Für die konjunkturelle Entwicklung war der Effekt dieses schnell ansteigenden Wechselumlaufes unverkennbar. „Flüssige Geldmärkte bei zunehmendem Wechselumlauf. . . niedrige Zinssätze an den Geldmärkten und sinkende Renditensätze an den Kapitalmärkten" so kommentierte die Reichs-Kredit-Gesellschaft im ersten Halbjahr 1937 die Lage am deutschen Kreditmarkt. 128 Die Arbeitsbeschaffungs- und Rüstungswechsel waren durch ihre Rediskontfähigkeit eine höchst profitable und auch liquide Geldanlage, die mit vier •wurde die dritte Unterschrift von der in Personalunion mit der Mefo geführten „Handelsgesellschaft für Industrieerzeugnisse" (Hafi) geleistet. 12« ERKA-Bericbt erstes Halbjahr 1937, S. 42.
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
bis viereinhalb Prozent gut verzinst wurde. Im Frühjahr 1937 belief sich dieser Wechselbestand auf ca. 15 Mrd. R M ! Die Wechselbestände der deutschen Banken hatten sich Ende April 1936 mit 12074 Mill. RM gegenüber der gleichen Zeit 1928 (6421 Mill. RM) fast verdoppelt, sie lagen Ende April 1937 bereits bei 14027 Mill. RM. Dagegen lag der Geldumlauf Ende Mai 1937 mit 6830 Mill. RM nur um 1351 Mill. RM über dem Stand von Ende M a i 1933.129
Der staatliche Kredit war an die Stelle des privaten Kredits getreten, die staatliche Verschuldung an die Stelle der Unternehmensverschuldung. Das Kapitalrisiko war damit auf den Staat übergegangen. Der Profit aus diesem „Geschäft" floß in die Kassen der Rüstungsindustrie, die auch nach 1945 ihre Vorteile daraus wahren konnte.
4. Arbeitsmarktregulierung (1933 bis Herbst 1936) Die Regulierung des Arbeitsmarktes hatte schon in den Jahren der Weimarer Republik eine beträchtliche Rolle gespielt. 130 Unter dem faschistischen Regime erreichte sie jedoch bereits in der Vorkriegszeit ein Ausmaß, wie es nur in den letzten Jahren des ersten Weltkrieges erreicht worden war. Das „Militärzuchthaus für die Arbeiter", wie es Lenin nannte, wurde bis 1938 komplett errichtet. Es waren nicht nur aktuelle Triebkräfte, die dabei wirksam wurden, es war eine ganze Reihe alter, langjähriger Forderungen zur Entrechtung der Arbeiter, die von der Schwerindustrie, vom RDI, von den Junkern und ihren Verbänden erhoben worden waren und nun, mit Hilfe der Nazidiktatur, verwirklicht wurden. Dazu gehörte auch die Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933, die gleichzeitig eine Voraussetzung für die weitere Entwicklung war. Die an die Stelle der Gewerkschaften gesetzte Staatsorganisation DAF erhielt, obwohl sie voll in den Händen der Faschisten war, keinen Einfluß auf die Regelung der Arbeitsbedingungen. Alle Aufgaben dieser Art gingen an die mit dem Gesetz vom 19. 5. 1933 bestellten „Treuhänder der Arbeit". 131 Diese wurden für „größere Wirtschaftsgebiete" ernannt und waren „an Richtlinien und Weisungen der Reichsregierung gebunden". 132 Damit lag die Regelung von Tariffragen, insbesondere der Löhne, in den Händen von Staatsbeamten. 133 Bereits am 6. April 1933 war mit einem Rundschreiben des Reichsarbeitsministers ein allgemeiner Lohnstop verkündet worden. 134 Es gehörte zu den wichtigsten 129 Ebenda, S. 43. 1 3 0 Dazu Bd. 2, Kap. 12, dieser Arbeit. »31 RGB/., 1. T., 1933, S. 285. - Nach der Durchführungs-VO v. 13. 6. 1933 wurden 13 Wirtschaftsgebiete festgelegt. Ebenda, S. 368. 132 Gesetz über Treuhänder der Arbeit, in: Ebenda, 19. 5. 1933, §§ 1 und 4. 133 Nach der Mitteilung im Reicbsarbeitsblatt, T. 1, v. 25. 7. 1933 wurden ernannt für Ostpreußen: Hans Schreiber; Schlesien: Rechtsanwalt Dr. Leopold Nagel; Brandenburg: Johannes Engel; Pommern: Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz; Nordmark: Senator Dr. Völtzler; Niedersachsen: Bürgermeister Dr. Morkert; Westfalen: Dr. Josef Klein; Rheinland: Wilhelm Börger; Hessen: Handelskammerpräsident Dr. Lüer; Mitteldeutschland: Oberregierungsrat Dr. Wiesel; Sachsen: Ministerialrat Hoppe; Bayern: Heinrich Hortmann; Südwestdeutschland: Dr. Wilhelm Kimmich. R A r b . B l . 1933, S. 1185f.) - Mit dem Gesetz über die Übertragung der Restaufgaben der Schlichter auf die Treuhänder der Arbeit, v. 20. 7. 1933 (RGB/., 1. T., 1933, S. 520) waren diese uneingeschränkt für die Regelung der Arbeitsbedingungen zuständig. 134 Der Lohnstop wurde 1933 maßgeblich durch zwei Rundschreiben des RAM Seldte angeordnet: 1. Rundschr. v. 6. 4. 1933 betr. Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Übergangszeit zur Neuordnung der Ar-
Arbeitsmarktregulierung (1933 bis Herbst 1936)
89
Aufgaben der Treuhänder, die bestehenden Lohntarife unverändert zu erhalten. Die Entwicklung der Tariflöhne zeigt, daß diese Aufgabe genauestens erfüllt wurde. Die Tariflöhne stagnierten noch unter dem Niveau, das im Laufe der Krise dekretiert worden war. A n den steigenden Bruttowochenlöhnen ist die zunehmende Überstundenarbeit abzulesen, die Gesamtlohnsumme zeigt die steigende Beschäftigtenzahl (vgl. Tabelle 17). Tabelle 17 Die Lebnentwicklung 1932-1937 (1932= 100) Jahr
Tariflöhne
Bruttowochenlöhne
Gesamtlohnsumme
1932 1933 1934 1935 1936 1937
100 97 97 97 97 97
100 96 100 105 110 116
100 106 129 146 166 185
Quelle: Kuczjnski, Jürgen, Die Geschichte . .
Bd. 6, a. a. O., S. 157.
Der konjunkturelle Aufschwung dieser Jahre fand ohne steigende Löhne statt. 135 Die Beschäftigung hatte gegenüber 1932 folgendermaßen zugenommen (Vgl. Tabelle 18). Tabelle 18 Die BescbäftigungsentmckJung (1932= 100)
nach Berufs- und Wirtscbaftsgruppen
1932 und 1937
Gruppen
1932
1937
Arbeiter und Angestellte Arbeiter Angestellte Arbeiter in Fabriken, Bergbau und Baugewerbe Arbeiter in anderen Wirtschaftszweigen
100 100 100 100 100
148 160 127 179 122
Quelle: Kuczjnski, Jürgen, Die Geschichte . . . , Bd. 6, a. a. O., S. 154. beits- und Wirtschaftsverfassung, gerichtet an alle 9 zentralen „Arbeitgeberverbände" mit der Weisung, daß alle „in den Tarifverträgen getroffene(n) Regelung(en), soweit sich ihre Änderung nicht als unumgänglich notwendig erweist, zunächst aufrechtzuerhalten" sind. (RArb. Bl. 1. T., 1933, S. 106f.) — 2. Rundschr. v. 17.10.1933, mitunterzeichnet vom RWM Schmitt und Keppler, gerichtet an alle Treuhänder der Arbeit, betr. Innehaltung der lohnpolitischen Richtlinien, verweist ausdrücklich auf die „wesentliche Aufgabe der Treuhänder . . ., die vorhandenen Tarifverträge und insbesondere das Lohnniveau aufrechtzuerhalten". (Ebenda, S. 271.) — Das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" (AOG) vom 20. 1. 1934 (RGBl., 1. T„ 1934, S. 45ff.) ordnete mit § 72, Abs. 1 an, daß alle am 1. 12. 1933 geltenden Tarifverträge unverändert bis zum 30. 4. 1934 in Kraft bleiben, sofern nicht vom Treuhänder der Arbeit Änderungen usw. angeordnet werden. Mit der Anordnung über die Weitergeltung von Tarifverträgen als Tarifordnungen, vom 28. 3. 1934. wurde die Gültigkeit der laufenden Tarifvertrage und ihre Unveränderlichkeit auf unbegrenzte Zeit festgesetzt. (RArb.Bl., 1. T., 1934, S. 85). 135 Über die Lohnentwicklung in der Krise siehe Bd. 2, Kap. 17, Abschnitt 2, dieser Arbeit. 7
Nuisbaum/Zumpe, Bd. 3
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Die Aufstellung der geleisteten Arbeitsstunden zeigt deutlicher noch als die gungsentwicklung, welche Industriezweige am stärksten prosperierten und stärksten vom Lohnstop profitierten. Außerdem zeigt es sich auch hier, daß es wiegend die Arbeitsbeschaffungs-, sondern die Rüstungsaufträge waren, die schwung verursachten (Vgl. Tabelle 19).
Beschäftidamit am nicht vorden A u f -
Tabelle 19 Zahl der Arbeitsstunden in ausgewählten Industrien (1932— 100) Industrien
1929
Eisen- und Metallgewinnung Maschinenbau Fahrzeugbau Lederindustrie Holzverarbeitende Industrie Textilindustrie
1932
230 228 263 170 198 143
1937
100 100 100 100 100 100
1937 in % von 1929
280 327 402 156 184 133
122 143 153 92 93 93
Quelle: Kjtc^jnski, Jürgen, Die Geschichte . . ., Bd. 6, a. a. O., S. 154. Der Lohnstop konnte solange funktionieren, wie die industrielle Reservearmee den entsprechenden Konkurrenzdruck auf die Arbeiter erzeugte. In dem Maße aber, wie sie abgebaut wurde — und in bestimmten Fachberufen gab es bald Mangelerscheinungen —, trat der umgekehrte Fall ein, nämlich ein Konkurrenzdruck auf die Kapitalisten, der sich zwangsläufig in höheren Lohnangeboten, in Lohnzuschlägen u'. ä. Zugeständnissen äußerte. Tabelle 20 Das Volkseinkommen insgesamt und nach Einkommensgruppen Jahr
a 1929 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938
Kapitalvermögen * *
Lohn und Gehalt*
43,0 25,7 26,0
29,2 32,3 35,3 38,9 43,0
/o 56,7 56,9 55,8 55,3 54,6 53,5 52,7 52,3
1929, 1932—1958 (in Mrd. KM und in °/0 des VE)
unverteilte Gesellsch.gewinne***
/o
b 3,3 2,3 2,4 2,6 2,6 2,7 2,8 3,0
c 4,3 5,1 5,2 4,9 4,5 4,1 3,8 3,6
0,9 -0,5 0,2 0,7 1,4 2,3 3,0 3,9
Handel und Gewerbe0
A>
2,6 1,0 0,4 1,4 2,3 3,5 4,1 4,7
d 11,8 6,0 6,4 7,2 8,5 10,6 13,3 15,9
/o 15,5 13,3 13,8 13,7 14,4 16,2 18,0 19,4
VE insges. e 76,0 45,2 46,5 52,8 59,1 65,9 73,8 82,1
* einschließlich Beamte und leitende Angestellte ** Einkommen inländischer natürlicher Personen aus Dividenden, Zinsen, Gesellschaftsanteilen etc. *** Einkommen der privaten Körperschaften abzügl. ausgeschüttete Dividenden, Tantiemen usw. einschl. Körperschaftssteuer ° Einkommen der selbständigen Gewerbetreibenden und freien Berufe (ohne Gewinne der Erwerbsgesellschaften) Quelle: Statistisches Jahrbuch . . . 1938 u. 1941/42, Abschn. „Volkswirtschaftliche Bilanzen".
91
Arbeitsmarktregulierung (1933 bis Herbst 1936)
Abwanderungen nach besser bezahlten Arbeitsplätzen waren die Folge. 136 Insgesamt aber ergab sich daraus keine bessere Relation für den Anteil der Arbeiter am Volkseinkommen. Nach den Zahlen, die in den Statistischen Jahrbüchern zur volkswirtschaftlichen Bilanz ausgewiesen wurden, entwickelten sich die Einkommen, wie in Tabelle 20 ausgewiesen. Während das Volkseinkommen von 1933 bis 1938 im Durchschnitt pro Jahr um 10,6 Prozent anstieg, ging die Lohn- und Gehaltsquote (Anteil am VE) durchschnittlich um 0,7 Prozent pro Jahr zurück. Dagegen stieg der Anteil der „unverteilten Gesellschaftsgewinne", d. h. der Anteil der Profite, der in den Aktiengesellschaften verblieb, auf das Zwölffache. Zurück ging auch der Anteil des Einkommens aus Kapitalvermögen und hier spielt sicherlich das vielzitierte Dividendenbeschränkungsgesetz von 1934 eine Rolle. 137 Kuczynski weist mit Recht darauf hin, daß es sich bei diesem Gesetz, das so gern als Beweis für die antikapitalistische Einstellung der Faschisten angeführt wird, tatsächlich um eine Dividendenverteilung zugunsten der Kapitalgesellschaften handelte. 138 Die Entwicklung der unverteilten Gesellschaftsprofite beweist, daß es nicht ein kapitalfeindliches, sondern ein ausschließlich das Großkapital begünstigendes Gesetz war. Daß bei der bald auf hohen Touren laufenden Rüstungskonjunktur auch Handel und Gewerbe nicht zu kurz kamen, zeigt die Entwicklung in der Spalte d. Untersucht man die Entwicklung der Löhne und Gehälter getrennt, so ergibt sich folgendes Bild (Vgl. Tabelle 21). Tabelle 21 Arbeitslöhne und Angestelltengebälter 1929, 1932—1959 {nach der Kentenversicherungsstatistik ) und ihr Anteil am VEK (Quote) Jahr
1929 1932 1933 1934 1935*** 1936 1937 1938
Arbeitslöhne* Mrd. RM Index
Quote
Angestelltengehälter** Mrd. RM Index Quote
23,9 11,9 12,4 14,9 16,9 18,8 21,2 23,7
31,4 26,3 26,7 28,2 28,6 28,5 28,7 28,9
7,8 5,9 5,8 6,4 7,2 8,3 9,3 10,4
100 50 52 62 71 79 89 99
100 76 74 82 92 106 119 133
10,3 13,0 12,5 12,1 12,2 12,6 12,6 12,7
* Berechnet nach den Unterlagen der Invalidenversicherung, ohne Abzug der freiwillig Versicherten. ** Berechnet nach den Unterlagen der Angestelltenversicherung, seit 1. 1. 34 waren Monatsgehälter bis 600 RM versicherungspflichtig, vorher bis 700 RM. Die höheren Angestelltengehälter sind nicht erfaßt. *** Ab 1.4.1935 einschließlich Saargebiet. Berechnet nach : Statistisches Jahrbuch . .. 1938, S. 561 ; 1941/42, S. 605f. 136
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T
Kuczynski, Jürgen, Lage der Arbeiter, Bd. 6: a. a. O., S. 161. Kapitalanlagegesetz v. 29. 3. 1934 (RGBl., 1. T., 1934, S.295), abgelöst vom Anleihestockgesetz v. 4. 12. 1934 (Ebenda, S. 1222). Danach durfte die Dividendenausschüttung 6 Prozent nicht übersteigen. War die Dividende im Vorjahr höher als 6 Prozent gewesen, lag die Grenze bei 8 Prozent. (Vgl. auch : Stucken, Rudolf, a. a. O., S. 140f. - Ausführlicher dazu: Kap. 10, Abschnitt 1.) Kuczynski, Jürgen, Lage der Arbeiter, Bd. 6: a. a. O., S. 22.
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Erst 1938 erreicht die Gesamtlohnsumme annähernd wieder den Umfang von 1929, obwohl die Zahl der Arbeiter zugenommen hat. Der Anteil am VEK aber liegt noch immer mit 2,5 Prozent unter dem von 1929. Rein rechnerisch ergeben sich aus diesen 2,5 Prozent mehr als zwei Milliarden RM, die den Arbeitern allein im Jahre 1938 durch die Lohnregulierung entzogen wurden. Geht man aber davon aus, daß Handel, Gewerbe und Kapitalgesellschaften zusammengenommen ihren Anteil am VEK 1938 auf das Anderthalbfache gesteigert hatten (gegenüber 1929), dann würde sich hier — eine gleiche Steigerung für den Anteil der Arbeitslöhne angenommen — schon der Fehlbetrag von ca. 12 Milliarden R M für dieses eine Jahr ergeben. Wenn solche Rechnungen auch vereinfacht sind, so zeigen sie doch die ungefähren Proportionen auf, in denen sich die Ausbeutung unter den Bedingungen des Faschismus entwickelt hatte. 139 In der bürgerlichen Literatur wird der Lohnstop in der Regel als eine Folge der Preisregulierung hingestellt. Eine solche Darstellung folgt der damaligen Argumentation der faschistischen Regierung. „In den Augen der nationalsozialistischen Führung" — heißt es bei Erbe — „mußten d i e . . . Preisüberwachungsmaßnahmen notwendigerweise durch einen Lohnstop ergänzt werden, denn einerseits konnte man nicht die Preise am Steigen hindern, wenn man nicht auch das wesentlichste Kostenelement, die Löhne, tief hielt, und andererseits konnte man nicht die Löhne stabil halten, ohne auch so weit als möglich ein Ansteigen der Preise zu verhüten." 1 4 0 Stucken sieht in diesen Lohn-Preis-Regulierungen eine „Stabilisierung des Geldes von der Güterseite her", denn — so argumentiert er — „die Sicherung der Kaufkraft des Geldes mit diesen preisregelnden Maßnahmen (wäre) nicht zu schaffen gewesen, wenn regelmäßig wichtige Kostenelemente im Preis gçstiegen wären. Vor allem mußten auch die Löhne blockiert werden, zumindest Lohnsteigerungen verhindert werden." 1 4 1 Diese Argumentation klingt zwar logisch, nur — die Wirklichkeit war nicht so. In der Tat nahm die Preisregulierung einen gewichtigen Platz im gesamten Wirtschaftsablauf ein, doch die Lohnregulierung, die bereits Anfang April 1933 eingeleitet wurde, lag zeitlich vor der eigentlichen Einflußnahme auf die Preisentwicklung. Wie die Entwicklung der Anteile am VEK bereits zeigte, war die Preisregulierung generell kein Mittel einer Profitbeschneidung, wohl aber führte die Lohnregulierung zu einer einschneidenden Einschränkung der Arbeitseinkommen. Daß die Preisregulierung nicht automatisch im Sinne preissenkender Eingriffe zu verstehen ist, sondern vor allem preisstabilisierende Wirkung gehabt hat, zeigt die Übersicht für die „Länder stabiler Währung" (im Unterschied zu den „Abwertungsländern" Großbritannien, Schweden, Belgien, USA, Japan). (Vgl. Tabelle 22). Im Rahmen dieser noch am ehesten vergleichbaren Länder lag Deutschland mit seinen Preisen an der Spitze. Die Preispolitik hatte offenbar ein weiteres Absinken verhindert und 138
140
Vgl. dazu die Berechnung der Relativlöhne: Ebenda, S. 175f. — Charles Bettelheim vergleicht die Rüstungsausgaben mit der Gesamtsumme der Löhne und Gehälter: 1933 war diese mit 26 Mrd. RM 13mal höher als die Rüstungsausgaben 1933/34; 1938 betrug sie mit 42,7 Mrd. RM nur noch das Zweieinhalbfache der Rüstungsausgaben von 1938/39. (ßettelbeim, Charles, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, München 1974, S. 22. Originalausgabe: L'économie allemande sous le nazisme. Un aspect de la décadence du capitalisme, Paris 1971.) — Die KPD hatte bereits in ihrem Aufruf vom 30. Januar 1933 einen „schamlosen Raub der Löhne" prophezeit. (GddA, Bd. 5, a. a. O., S. 441.) Erbe, René, a. a. O., S. 88. — Grotkopp schreibt: Die „Politik der Preiskontrolle wurde durch die des Lohnstop ergänzt". ( G r o t k o p p , Wilhelm, a. a. O., S. 301). — Kroll spricht von einer auf „Lohnstabilisierung ausgerichteten Einkommenspolitik". {Kroll, Gerhard, a. a. O., S. 607). Stuckjen, Rudolf, a. a. O., S. 160.
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Arbeitsmarktregulierung (1933 bis Herbst 1936)
Tabelle 22 Großhandelspreise in Ländern stabiler Währung (auf alter Goldparität) (1913= 100) Länder
April 1933
April 1934
April 1935
April 1936
Prozentuale Veränderung April 1936 gegenüber April 1934 April 1935
Frankreich Niederlande Schweiz Deutschland
78.6 71.0 91.1 90.7
78,6 79,0 89,6 95,8
68,2 75,0 87,1 100,8
75,3 76,0 91,9 103,7
-4,2 -3,8 +2,6 +8,2
Quelle: ERKA-Bericbt
1. Halbjahr 1936, S. 68.
+ 10,4 + 1,3 + 5,5 + 2,9
ein Steigen der Preise zugelassen. 142 Auch die internationale Preisentwicklung unterstreicht diese Schlußfolgerung: Die Preisentwicklung an den Weltmärkten zeigte im ersten Halbjahr 1936 noch immer eine sinkende Tendenz für industrielle Fertigwaren. Nach den Berechnungen des Statistischen Reichsamtes waren die durchschnittlichen Ausfuhrwerte für Fertigwaren — als grober Welthandelsdurchschnitt errechnet — in dieser Zeit erneut um 4 Prozent gesunken. 1 4 3 Dagegen stiegen die Preise für Lebensmittel und industrielle Rohstoffe langsam an. In Deutschland aber waren die Großhandelspreise für Produktionsmittel vom April 1933 bis 1936 nur rund ein Prozent gefallen, die Großhandelspreise für industrielle Konsumgüter dagegen in der gleichen Zeit um 15 Prozent gestiegen. 144 Der Lohnstop steht am Anfang der Arbeitsmarktregulierung. Damit war eine alte und stets wiederholte Forderung der Unternehmer, insbesondere aus der Montanindustrie, erfüllt. 1 4 5 Kuczynski faßt das Ergebnis folgendermaßen zusammen: „Zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus gingen die Tariflöhne in einer Phase steigender Produktion zurück. Zum ersten Mal in den letzten hundert Jahren sanken während der Produktionssteigerung die Reallöhne ständig beschäftigter Arbeiter unter das Niveau der vorangehenden Wirtschaftskrise. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus sanken die Relativlöhne, erweiterte sich der Abgrund, der die Reichen von den Armen trennt, mit solcher Geschwindigkeit wie in den Jahren 1932 bis 1937 unter dem deutschen Faschismus." 146 Der wesentlichste Grund, weshalb den Arbeitern diese ihre tatsächliche Lage nicht im ganzen Ausmaß bewußt wurde, war der Rückgang der Arbeitslosigkeit. Nach der furchtbaren Not der Krisenjahre w o g diese Tatsache sehr schwer, so daß hinter ihr viele Nachteile zurücktraten. Das Naziregime nutzte diesen Umstand mit großem propagandistischem Aufwand. Damit verschleierte es den Tatbestand der staatlich gesicherten zusätzlichen Ausbeutung der Arbeiter mit gutem Erfolg. 142
Charles Bettelheim bezeichnet den Leitgedanken der Preispolitik als „Preisstabilisierung" und verweist darauf, daß hier die Naziregierung übernommen hat, was bereits am Beginn der Wirtschaftskrise ein-
geleitet worden war. (Bettelbeim, Charles, a. a. O., S. 172.) 143
ERKA-Bericbt erstes Halbjahr 1936, S. 68.
Ebenda, S. 70. Die Agrarpreise waren in der gleichen Zeit um rd. 28 Prozent gestiegen. (Ebenda). 1 4 6 Dazu Denkschriften des RDI v o n 1925 u. 1929, ausführlich bei Klein, Frits^ Zur Vorbereitung der faschistischen Diktatur durch die deutsche Großbourgeoisie (1929-1932), in: ZfG, 6/1953, S. 8 8 2 f f . I*6 Kuczynski, Jürgen, Lage der Arbeiter, Bd. 6: a. a. O., S. 176. Der Autor berechnet, daß die Relativlöhne, d. h. das Einkommen der Arbeiter, gemessen am Einkommen aller übrigen, von 1932 ( = 1 0 0 ) bis 1937 um rd. 50 Prozent gesunken ist.
144
94
Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Die Lohnregulierung war eine Maßnahme, die den Unternehmern insgesamt Vorteile brachte. Sie stellte auch nur einen Teil der umfassenden Arbeitsmarktregulierung dar. Der andere sehr viel spezifiziertere Teil umfaßte die „Arbeitskräftelenkung". In enger Verbindung damit erfolgte gleichzeitig eine Zentralisierung der Arbeitsvermittlung auf die Reichsanstalt f ü r Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Reichsanstalt), 147 die selbständig auf Weisung des Reichsarbeitsministcrs arbeitete und ihren Verwaltungsuntcrbau in den Arbeitsämtern hatte. Die ersten Gesetze und Maßnahmen zur staatlichen Lenkung der Arbeitskräfte wurden bereits 1934 erlassen und brachten erste partielle Einschränkungen der Freizügigkeit. Dem voraus ging 1933 der systematische Abbau der Arbeitervertretungen in den Betrieben und in den Arbeitsgerichten. 1 '' 8 Er endet mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" ( A O G ) v o m 20. 1. 1934, das „die Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft" deklarierte und dem Unternehmer alle Entscheidungsbefugnis „der Gefolgschaft gegenüber" zusprach. 149 Damit war das alte „Herr-im-Hause-Recht" der Unternehmer wieder hergestellt und die politische und soziale Entrechtung der Werktätigen vollendet. Das Gesetz regelte weiter endgültig den bis dahin vorläufigen Status der Treuhänder der Arbeit als allein zuständige Instanz für alle Fragen der Arbeitsbedingungen, Tarif- und Betriebsordnungen. 15 " Bereits damit waren die Grundlagen für das „Militärzuchthaus der Arbeiter" vollständig gelegt. Die Freizügigkeit der Arbeiter wurde Schritt für Schritt eingeschränkt. Bereits 1934 erfolgten erste Maßnahmen in dieser Richtung; und es verging kein Jahr, in dem nicht eine Diese Entwicklung wurde mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung v. 5. 11. 1935 abgeschlossen, das alle diese Funktionen der Reichsanstalt ausschließlich zuordnete. (RGBl., 1. T„ 1935, S. 1281.) 148 Das „Gesetz über Betriebsvertretungen und über wirtschaftliche Vereinigungen vom 4. April 1933" (Ebenda, 1. T., 1933, S. 161) setzte „die Wahlen zu den gesetzlichen Betriebsvertretungen bis längstens zum 30. September" d. J. aus und ordnete den Ausschluß von Mitgliedern an, „die in staats- oder wirtschaftsfeindlichem Sinne eingestellt sind" sowie die Ernennung von Ersatzmitgliedern durch die staatlichen Behörden. Es ermöglichte außerdem die Gleichstellung „anderer Vereinigungen" für die Prozeßvertretung vor den Arbeitsgerichten, was bereits im April/Mai 1933 zur Zulassung von NSBO, StahlhelmSelbsthilfe u. a. Vereinigungen führte. (Ebenda, S. 193; RArb.Bl., 1. T., 1933, S. 111; RGBl., 1. T., S. 282.) Auf Grund eines weiteren Gesetzes über die Beisitzer der Arbeitsgerichte etc. v. 18. 5. 1933 (Ebenda, S. 276) wurde es möglich, bis zur neuen Berufungszeit (1.1. 34) von den geltenden Vorschriften abzuweichen und Beisitzer, Richter etc. vorzeitig abzuberufen. Am 10. 4. 1934 wurde eine neue Fassung des Arbeitsgerichtsgesetzes veröffentlicht (Ebenda, 1. T., 1934, S. 319.) — Die bis zum 30. 9. ausgesetzten Betriebsvertretungswahlen wurden durch ein Änderungsgesetz v. 26. 9. 1933 (Ebenda, 1. T., 1933, S. 667) weiterhin bis zum 31. 12. 1933 ausgesetzt. — Carl Goerdeler, Reichskommissar für die Preisüberwachung und Interessenvertreter der Montanindustrie, hatte in einem Memorandum vom 7. 9. 1933 die endgültige Beseitigung des Betriebsrätegesetzes und ein neues Arbeitsgesetz gefordert, wobei er die Tarifverträge als „sinnlos" und den Achtstundentag als eine „Wahnsinnsvorstellung" bezeichnete. (Abgedruckt in: Anatomie des Krieges, a. a. O., S. 118ff.)
147
AOG, §§1 und 2. § 65 setzte alle Gesetze, VO und Besimmungen außer Kraft, die Betriebsvertretung und Mitsprache- oder Einspruchsrechte der Arbeiter in betrieblichen und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten usw. geregelt hatten. Die neuen „Vertrauensmänner" wurden vom „Führer des Betriebes" vorgeschlagen. § 9 (AOG). — Der RDI informierte seine Mitglieder in einer Sondernummer der GM vom 26. 1. 1934 über die damit eintretenden Veränderungen in der Betriebspraxis. (Abgedruckt irf: Anatomie des Krieges, a. a. O., S. 121 f.) AOG, §§ 18-25.
Arbeitsmarktregulierung (1933 bis Herbst 1936)
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Anzahl weiterer Gesetze und Verordnungen dazu erlassen wurden, so daß bis zum Beginn des Krieges die Verwaltung der Arbeitskraft total war.1"'1 Das „Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes" vom 15. Mai 1934 152 steht am Beginn der langen Reihe gesetzlicher Eingriffe in den Arbeitsmarkt, und es kennzeichnet auch den Schwerpunkt der ersten Jahre: die Versorgung der Landwirtschaft mit Arbeitskräften. Es leitete Maßnahmen in zwei Richtungen ein, erstens sperrte es für Arbeiter und Angestellte mit einem Jahreseinkommen bis zu 3600 RM den Zuzug in bestimmte „Bezirke mit hoher Arbeitslosigkeit", indem es die Zustimmung der Arbeitsämter voraussetzte, und zweitens liquidierte es die Freizügigkeit der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Beide Maßnahmen stehen im engen Zusammenhang und sind gleichzeitig auch für sich selbst von bestimmter Bedeutung. Von der ersten Maßnahme waren insgesamt Arbeiter und untere Angestelltenschichten betroffen, gleichzeitig aber auch vom Lande abwandernde Arbeitskräfte. Erlassen wurden Zuzugssperren für Berlin, Hamburg, Bremen und das Saargebiet, und zwar mit dem Hinweis auf die dort noch immer sehr hohe Arbeitslosigkeit. 153 Diese Städte waren Zentren der Arbeiterbewegung! Bei einem Reichsdurchschnitt von 42,9 Arbeitslosen auf 1000 Einwohnern am 31. 3. 1934 lag die Quote in Berlin bei 100,2 in Hamburg bei 95,7, in Bremen bei 76,4. Noch höher als in Berlin lagen die Quoten jedoch in Breslau (105,9), Plauen (124,2) und Solingen (103,8). Höher als in Bremen lagen sie in Dresden, Leipzig und Köln. 15 ' 1 Die Gründe für diese Maßnahmen lagen ganz eindeutig im politischen Bereich. Da der Zuzug auf Antrag des Betriebes und mit einer entsprechenden Genehmigung des Arbeitsamtes erfolgen durfte, entstand für den Arbeitskräftebedarf der Industrie kein Nachteil aus dieser Anordnung. Die Sicherung des Arbeitskräftebedarfs für die Landwirtschaft bzw. die Regulierung der Arbeitskräfteabwanderung aus der Landwirtschaft hatte sehr viel. grundsätzlichere Bedeutung für die gesamte Wirtschaft als die erste Maßnahmen, die zudem nur temporärer Natur war. Mit der auf Grund des Gesetzes vom 15. Mai erlassenen „Anordnung über die Beschränkung des Einsatzes landwirtschaftlicher Arbeitskräfte in nichtlandwirtschaftlichen Betrieben" vom 17. Mai 1934 155 sollte der Landwirtschaft eine „ausreichende Zahl von Arbeitskräften für die Durchführung der Erzcugungsschlacht" zugeführt werden. 156 Da die Wirkung offenbar nicht ausreichte, wurde bereits im Februar.1935 ein weiteres Gesetz erlassen, das die zwangsweise Rückführung von Arbeitskräften in die Landwirtschaft ermöglichte. 157 Diese Maßnahmen wurden ergänzt durch den organisierten Einsatz von Jugendlichen in der Landwirtschaft durch „Landhilfe" und Arbeitsdienst, Dazu Kap. 9, Abschnitt 3 c). m RGB/., 1. T„ S. 381. 153 Anordnung über die Regelung des Arbeitseinsatzes in der Stadtgemeinde Berlin. Vom 17. 5. 1934 (RArb.Bl., 1. T., 1934, S. 126f.). Die gleichen Anordnungen wurden am 30. 8. 1934 für Hamburg und Bremen (Ebenda, 1. T., S. 205f.) und am 1. März 1935 (Ebenda, 1. T., S. 64) für das Saargebiet erlassen. 154 Siebenter Beriebt der Reicbsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. April 1934 bis zum 31. März 1935, (im folgenden: Siebenter Beriebt. . .) S. 6. '55 RArb.Bl.1. T.,' 1934, S. 127f. 156 Siebenter Bericht. . ., a. a. O., S. 20. Gesetz zur Befriedigung des Bedarfs der Landwirtschaft an Arbeitskräften, vom 26. 2. 1935 (RGBl., 1. T., 1935, S. 130.) Die dazu ergangene Anordnung des Präsidenten der Reichsanstalt v. 29. 3. 1935 (RArb.Bl., 1. T., 1935, S: 120) ermöglichte die Rückführung aller Personen in die Landwirtschaft, die in der Zeit zwischen dem 1. 1. 1932 und 1. 4. 1935 zwei Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet hatten. 151
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
Im Interesse einer verstärkten Lenkung von Jugendlichen in die landwirtschaftliche Arbeit wurde zunächst auch das zweite wichtige Gesetz von 1934 genutzt, die sogenannte Verteilungsordnung. 158 Mit der Anordnung vom 28. 8. 1934 ermöglichte sie den zwangsweisen „Austausch von Arbeitsplätzen", der Jugendliche unter 25 Jahre betraf, die ihren Arbeitsplatz älteren Arbeitern freimachen mußten. 159 Damit war eine Genehmigungspflicht durch das Arbeitsamt für die Einstellung Jugendlicher verbunden. 160 Mit Hilfe dieser Verordnung wurden vom 1.10. 1934 bis Ende März 1935 insgesamt 12418 Jugendliche in der Landwirtschaft eingesetzt. 161 Auf Grund des Gesetzes vom Februar 1935 wurden vom April 1935 bis März 1936 „durch die Arbeitsämter insgesamt 15 684 (9781 männliche und 5903 weibliche) Entlassungen landwirtschaftlicher Arbeitskräfte aus nichtlandwirtschaftlichen Betrieben veranlaßt. Die Zustimmung zur Einstellung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte in nichtlandwirtschaftliche Betriebe . . . wurde in 16553 Fällen erteilt." 162 Die Zahlen beweisen, daß die Freizügigkeit, soweit sie im Kapitalinteresse lag, kaum eingeschränkt war: Der Zuzug vom Lande war größer als die zwangsweise Rückführung zum Land. Aber es war ein gelenkter Zu^ug, der die Umverteilung der Arbeitskräfte im Interesse der Rüstungsindustrie regulierte. Für die Landwirtschaft wurde auch die „abschreckende Wirkung" dieser Gesetze und Maßnahmen einkalkuliert, wodurch neben einer unkontrollierten auch eine massenhafte Abwanderung von Arbeitskräften verhindert werden sollte. Es ist bezeichnend für die spezifische Dringlichkeit, die der Landarbeiterfrage bereits in den ersten Jahren zugemessen wurde, daß nach Verfügungen, „die im Einvernehmen mit der politischen Polizei vom Bayerischen Innenministerium 1935/36 herausgegeben wurden", arbeitsvertragsbrüchige Landarbeiter ins KZ eingeliefert werden konnten. 163 Kuczynski sieht die Gründe dieser die Landwirte begünstigenden Maßnahmen in der Bedeutung der landwirtschaftlichen Produktion für die Kriegsvorbereitung. 164 Das ist ohne Zweifel richtig, aber diese Entwicklung ist nicht allein damit zu erklären. Auch hier mischten sich alte und zeitbedingte Bestrebungen mit denen einer gründlichen Kriegsvorbereitung. Eine zeitbedingte Motivation für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion („Erzeugungsschlacht") und die dafür erforderliche Bereitstellung von Arbeitskräften war die schlechte Devisenlage Deutschlands, die hier, wie auch in anderen Ländern, zu verstärkter Eigenproduktion zwang. Mit der radikalen Fesselung der Landarbeiter wurden aber auch alte Forderungen durchgesetzt, die seitens des „Bundes der Landwirte" Verordnung über die Verteilung von Arbeitskräften, v. 10. 8. 1934 (RArb.Bl., 1. T., 1934, S. 199) von Schacht als amtierendem R W M erlassen. Sie sprach dem Präsidenten der Reichsanstalt das alleinige Recht zu, „die Verteilung von Arbeitskräften, insbesondere ihren Austausch, zu regeln" (§ 1). § 2, der die Einwirkung „anderer Stellen" verbietet, worunter auch „das Verlangen nach Auskünften, insbesondere auf Grund von Fragebogen" verstanden wurde, richtete sich offensichtlich gegen die Einmischung von Partei- und DAF-Dienststellen. 159 Anordnung über die Verteilung von Arbeitskräften, v. 28. 8. 1934 (Ebenda, S. 202), Abschn. II. '«• Ebenda, Abschn. III.
Siebenter Beriebt. ... a. a. O., S. 23. Achter Bericht. . ., a. a. O., S. 24. '63 Bros^at, Martin, Nationalsozialistische 161
Konzentrationslager 1933—1945, in: Anatomie des SS-Staates, Bd. 2, Freiburg (Breisgau) 1965, S. 83. — Zur wirtschaftlichen Funktion der SS vgl.: Zumpe, hotte. Die Textilbetriebe der SS im Konzentrationslager Ravensbrück. Eine Studie über ökonomische Funktion und wirtschaftliche Tätigkeit der SS, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1969, T. 1, S. 16ff. ,6i Kaezjnjki, Jürgen, Lage der Arbeiter, Bd. 1 6 : Studien zur Geschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1918 bis 1945, Berlin 1963, S. 148.
Arbeitsmarktregulierung (1933 bis Herbst 1936)
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(BdL) schon vor dem ersten Weltkrieg erhoben worden waren, in dieser Schärfe aber nie durchgesetzt werden konnten. 165 Die Bedeutung der „Verteilungsordnung" erstreckte sich aber auch — und später vor allem — auf die Industrie. Am 29. 12. 1934 wurde — von dieser ausgehend — mit der „Anordnung über den Arbeitseinsatz von gelernten Metallarbeitern" zum ersten Mal die Freizügigkeit einer industriellen Berufsgruppe eingeschränkt. 166 Nach amtlichen Verlautbarungen sollte damit einer „ungeregelten Abwanderung von Metallfacharbeitern" entgegengetreten werden. 167 Das zuständige Arbeitsamt hatte nach dieser Anordnung die Zustimmung zur Abwanderung zu versagen, wenn diese „zu einer Beeinträchtigung der Wirtschaftlichkeit des Betriebes oder zu einer sozial und beruflich unerwünschten Störung der Zusammensetzung der Gefolgschaft des Betriebes" führte. 168 Die Funktion dieser Anordnung lag eindeutig in der Sicherung der Rüstungsproduktion, in der Sicherung von „Ruhe und Ordnung" und der Profitinteressen der Rüstungskonzerne. Der Staat hatte eine neue Funktion übernommen, er sicherte die Arbeitskräftezufuhr bzw. das Arbeitskräftepotential dieser Unternehmen. Eine Entwicklung, die sich mit aus der Tatsache ergab, daß der Lohn nicht mehr selbsttätiger Regulator der Arbeitskräfteverteilung in der Wirtschaft war. Die Zahl der arbeitslosen Metallarbeiter war am 31. 1. 1933 mit 927456 am höchsten von allen Berufsgruppen gewesen, und sie hatte auch die stärkste absolute Abnahme in den folgenden Jahren zu verzeichnen (Vgl. Tabelle 23). Tabelle 23 Arbeitslose in den Berufsgruppen der Eisen- und Metaller^eugung usw. 1933—1938 Stichtag
absolut
Index
31. 31. 31. 31. 31. 31.
927456 417287 276802 181132 84851 30078
100 45 30 20 9 3
1. 3. 3. 3. 3. 3.
1933 1934 1935 1936 1937 1938
Abnahme in % von Jahr zu Jahr -
55 34 35 53 65
Zusammengestellt und berechnet nach: Siebenter bis zehnter Bericht.. ., a. a. O., Tab. Die Arbeitslosen nach Berufsgruppen.
Trotz allem geben die Zahlen noch keinen Anhaltspunkt für eine allgemeine Knappheit an Metallfacharbeitern im Zeitabschnitt 1934/35, was den Schluß um so eher zuläßt, daß es Mangelerscheinungen in den Bereichen großer schwerindustrieller Komplexe waren, die zur Einengung der Freizügigkeit dieser Berufsgruppen führte. Das Jahr 1935 brachte zwei weitere Maßnahmen für eine genaue Erfassung und „LenDer BdL hatte schon 1893 ein Gesetz gegen den Kontraktbruch von Landarbeitern gefordert. Dazu ausführlicher : Bd. 1, Kap. 7, Abschnitt 4, dieser Arbeit; Rieger, Arnim, Die Landflucht und ihre Bekämpfung unter besonderer Berücksichtigung der ländlichen Arbeiterfrage, Berlin 1914, S. 40f.; hier wird die Verschärfung der Strafen gegen kontraktbrüchige Landarbeiter gefordert, dazu ein strenges, polizeilich kontrolliertes Meldewesen über den Zu- und Abgang von Landarbeitern etc. «¡6 RArb.Bl., 1. T„ 1935, S. 12. Achter Beriebt. . ., a. a. O., S. 20. 168 Anordnung über den Arbeitseinsatz von gelernten Metallarbeitern, § 2, Abschn. 3, zitiert nach: Ebenda. 165
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Krisenauswirkungen, Arbeitsbeschaffung und Aufrüstung
kung" der Arbeitskräfte: die Einführung des Arbeitsbuches und die endgültige Zentralisierung des „Arbeitseinsatzes" bei der Reichsanstalt. 169 Damit wurde jeder Werktätige karteimäßig erfaßt und einer zentralen Lenkungsinstitution unterstellt. „Das Arbeitsbuch" — so heißt es im Bericht der Reichsanstalt — „ermöglicht den Dienststellen der Reichsanstalt einen fortlaufenden Gesamtüberblick über alle Arbeiter und so gut wie alle Angestellten, über ihren beruflichen Werdegang, ihre Ausbildung und Fähigkeiten, über Alter und Familienstand, über die Betriebszugehörigkeit und den Wechsel von Arbeitsstätten und Beruf, wie er bisher weder auf Grund der Berufs- oder Betriebszählungen noch auf Grund der beruflichen Aufgliederung der Arbeitslosen- oder der Krankenkassenmitgliederstatistik gewonnen werden konnte. Ein solcher Gesamtüberblick vermittelt insbesondere auch wertvolle Erkenntnisse über die Beschäftigungslage in den einzelnen Berufen. Er erleichtert gegebenenfalls die Entscheidung über Art und Umfang der Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um u. a. den Zudrang zu überfüllten Berufen einzudämmen, der Landflucht oder dem Facharbeitermangel entgegenzuwirken oder die Schwarzarbeit zu bekämpfen." 170 Mit diesen Maßnahmen war der Arbeitsmarkt voll administrationsfähig. Er war funktionell den staatsmonopolistischen Bedürfnissen angepaßt und für den Kriegsfall vorbereitet. Am 1. Oktober 1936 waren bereits 20 Mill. Arbeitsbücher ausgestellt. 171 Ab 1. September 1936 wurde die Arbeitsbuchpflicht für alle Arbeiter, Angestellten, Lehrlinge und Volontäre eingeführt. 172 Die allgemeine Arbeitsdienstpflicht vervollständigte den Zwang, dem die Werktätigen unterlagen, und sie kennzeichnet auch den Übergang zur Militarisierung des Arbeitsmarktes. 173 1936 erreichte die deutsche Industrie im Durchschnitt wieder den Produktionsstand des Hochkonjunkturjahres 1928. Die Stabilisierung des Reproduktionsprozesses, die Überwindung der schweren Krisenauswirkungen, war damit abgeschlossen. Im Jahre 1936 erfolgte auch der Übergang zur direkten Kriegsvorbereitung. Die Einführung der Arbeitsbuchpflicht fiel unmittelbar in die Zeit des Übergangs zur Vierjahresplanpolitik, die auf dem Arbeitsmarkt schnell zu tiefgreifenden Maßnahmen führte. Der enge Bezug zwischen Kriegsvorbereitung und Arbeitsmarkt war jedoch schon 1935 offensichtlich geworden: Das „Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuches" erschien einen knappen Monat vor dem „Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht". 174 1936 war etwa folgende Situation auf dem Arbeitsmarkt entstanden: Die industrielle Reservearmee war in ihrer „stockenden" Form weitgehend aufgebraucht und in ihrer „latenten" Form durch die Bindung der Landbevölkerung an die Scholle gestört^ sie war auch in ihrer „fließenden" Form kaum noch existent. 175 Der Übergang zur Vollbeschäftigung bei einer auf vollen Touren laufenden Produktion verschärfte nun die Konkurrenz der Unternehmer um die Arbeitskräfte. Im Herbst 1936 begann auch auf dem Arbeitsmarkt ein neuer Abschnitt seiner staatsmonopolistischen Regulierung. »09 Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuches, v. 26. 2. 1935 (RGBL, 1. T., 1935, S. 311.) - Gesetz über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung, v. 5. 11. 1935. (Ebenda, S. 1281). 170 Achter Bericht. . ., a. a. O., S. 21. 171 Neunter Beriebt der Reicbsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. April 1936 bis Kum 31. März 1937, S. 28. 172 Fünfte VO zur Durchführung des Gesetzes über die Einführung eines Arbeitsbuches, v. 7. 8. 1936. (RGBl., 1. T„ 1936, S. 632.) 173 Reichsarbeitsdienstgesetz, v. 26. 6. 1935. (Ebenda, 1. T., 1935, S. 769.) Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht, v. 16. 3. 1935. (Ebenda, S. 37.) S. 263.) — Die Bestrebungen scheiterten offenbar, weil sie im Gegensatz zum kapitalistischen Interesse an der freien Verfügbarkeit des Bodens standen. Erst in der Weltwirtschaftskrise änderte sich die Gewichtung der relevanten Interessen.
35
36 37
RGBl. 1. T., 1933, S. 63. RGBl., 1. T., 1933, S. 331. — Melzer, der sich schwerpunktmäßig auf die Zeit ab 1939 konzentriert, sieht ebenfalls einen realen ökonomischen Zusammenhang zwischen dem Schuldenregelungs- und dem Erb-
hofgesetz, ohne ihn näher auszuführen. (Melker, Rolf, a. a. O., S. 14.)
Das Reichserbhofgesetz und die Verschuldung der Landwirtschaft
107
gegliedert wurde, und das „Gesetz zur Neubildung deutschen Bauerntums" vom 14. 7. 1933 38, das die faschistische Variante des Reichssiedlungsgesetzes vom 11. 8. 1919 war, auf dem es auch basierte. Was hatte es nun mit der landwirtschaftlichen Verschuldung auf sich? Vor dem ersten Weltkrieg war die Landwirtschaft mit etwa 17,5 Mrd. Mark Schulden belastet, die im Verlauf der Inflation weitgehend abgedeckt wurden. Die Neuverschuldung betrug am 1. 7.1931 12,4 Mrd. RM. 39 Der Zinssatz war mit 8 Prozent etwa doppelt so hoch wie vor dem Krieg, die Zinsleistung, vor dem Krieg 750 Mill. Mark, betrug über eine Milliarde RM. Verschärft wurde dieses Problem durch die im Vergleich zu den industriellen Preisen sehr viel stärker gesunkenen Agrarpreise. Im Vergleich zur Vorkriegszeit war der Preisstand für Agrarprodukte schon in den zwanziger Jahren niedriger geblieben als der für industrielle Waren, die die Landwirtschaft benötigt. 40 Diese Preisschere hatte sich immer mehr geöffnet (Vgl. Tabelle 24). Tabelle 24 Entwicklung der Preise für Agrarprodukte und industrielle Fertigwaren 1927-1933 (1913=100)
1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933
Agrarprodukte
ind. Fertigwaren
138 134 130 113 104 91 87
147 159 157 150 136 118 113
Quelle: VHKf., 9. Jg., 1934, H. 1, T. A, S. 27. Tabelle 25 Verkaufserlöse und Zinsbelastung der deutschen Landwirtschaft 1925/26—1932/33 Wirtsch. jähr
Gesamtschulden*
Zinslast*
Verkaufserlöse
Mrd. RM 1925/26 1928/29 1929/30 1930/31 1931/32 1932/33
8,0 10,8 11,4 11,9 12,4 11,7
0,61 0,92 0,95 0,95 1,01 0,85
8,0 10,2 9,9 8,7 7,4 6,5
Zinslast in v . H. der Verkaufserl. 7,6 9,1 9,6 10,9 13,7 13,2
* ohne Renten und Altenteile.
QueUe: VHKf,
9. Jg. 1934, H. 1, T. A, S. 25.
RGBl., 1. T., 1933, S. 517. 39 Hausbofer, Hein%, a. a. O., S. 253. 38
Helga Nussbaum stellt in ihrer Untersuchung fest, daß bis zum ersten Weltkrieg (1895/99—1910/13) die Preisschere zugunsten der Landwirtschaft geöffnet blieb; die Agrarpreise stiegen schneller als die Industriepreise (Siehe Bd. 1, Kap. 7, Abschnitt 2, dieser Arbeit.). 8«
108
Der Reichsnährstand
Im Januar 1933 lag dieser Index für Agrarprodukte bei 81 Punkten/' 1 Stellt man nun die Verkaufserlöse und die Zinsbelastung der Landwirtschaft zusammen, so ergibt sich das durch Tabelle 25 dargestellte Bild. Es war nicht die Verschuldung an sich, sondern die fallenden Agrarpreise machten in der Landwirtschaft die Schulden zum Kardinalproblem sowie die Tatsache, daß die Verschuldung zu 60 Prozent aus kurzfristigen Personalkrediten — oft langfristig angelegt — und nur zu 40 Prozent aus langfristigen Hypothekarkrediten bestand. 42 Verschärfend wirkte sich zudem die Situation des knappen Geldes am Kreditmarkt aus, die es nicht oder kaum ermöglichte, fällige Kredite durch neue Kredite abzudecken. Das IfK gibt eine sehr aufschlußreiche Zusammenfassung für die Entwicklung dieser Zeit in der Landwirtschaft: „Die Landwirte trachteten danach, durch Produktionserhöhungen den Preisfall nach Möglichkeit auszugleichen. Sie verwendeten daher alle Roheinnahmen für die unbedingt zum laufenden Betrieb erforderlichen Aufwendungen, wie Löhne, Düngemittel, Maschinen, Reparaturen, Futtermittel, Saatgut, Telefon u. a. m. Es folgten die Ausgaben für dringende Ersatzinvestitionen, Feuerversicherungen, Landwirtschaftskammerbeiträge u. a. m. Zuletzt kamen Pachten, Steuern und Zinsen. Auf der anderen Seite versuchten die Banken durch Subhastation zu retten, was zu retten war. Die zwangsversteigerte Fläche stieg daher im Jahre 1931 und zahlenmäßig insbesondere auch im Jahr 1932 außerordentlich stark. Das Ergebnis der Zwangsversteigerungen gestaltete sich immer ungünstiger, vor allem für die letzten Kreditgeber. Im Jahr 1932 fielen bei den Subhastationen neben sämtlichen Personalkreditgläubigern auch die letzten Hypothekarbesitzer teilweise aus, wurden doch im Jahr 1932 bei Zwangsversteigerungen nur rd. 60 v. H. der hypothekarischen (!) Verschuldung erzielt." 43 Vierzig Prozent der Hypothekenschuld und sämtliche Personalkredite hatten sich bei den versteigerten Höfen in Nichts aufgelöst. Das bedeutete unter den gegebenen Bedingungen zunächst rein rechnerisch, aber potentiell doch sehr real, daß Dreiviertel der gesamten Schuldsumme, also ca. 9. Mrd. RM, für die Gläubiger in absoluter Gefahr waren. Die immer rascher anwachsende Zahl der Versteigerungen senkte zudem die Erlöse immer schneller, so daß eine beschleunigte Eskalation dieser Zustände bald zur Katastrophe für das ganze System zu werden drohte. Preisstürze, „Verschleuderung der Konkursmasse", noch geringere Abdeckung der Schulden, Produktionsausfälle, Verringerung des Lebensmittelaufkommens bei zunehmender Devisenknappheit, Verschärfung der sozialen Widersprüche, das war die logische Kette der zu erwartenden Entwicklung, der spontane Prozeß. 44 Diese Entwicklung konnte nur noch mit einer staatlichen „Gegenregulierung" abgestoppt werden. Neben der Preispolitik, die zum Komplex der sogenannten Marktordnung gehört, wurde eine Stabilisierung der Schuldverhältnisse durchgeführt, die den Banken das Geld und den Bauern die Höfe sicherte, damit aber auch die Nahrungsmittelproduktion, welche im Interesse der Zahlungsbilanz gar nicht hoch genug sein konnte. Dem Vollstreckungsschutz folgte das Schuldenreglungsgesetz. Von 1933 bis 1936 flössen von Seiten des Staates 650 Mill. RM zur Umschuldung in die Landwirtschaft. „Bis 1933 waren 51 Prozent der Mittel (453,6 Mill. RM — d. A.) auf die 6,7 Prozent aller Fälle in den Betriebsgrößen über « VHKf., 9. Jg., T. A., Nr. 1/1934, S. 27. - Zur Entwicklung der Landwirtschaft zwischen 1924 und 1932: Siehe Bd. 2, Kap. 11 u. 16, dieser Arbeit. « Hausbofer, Heinz, a- a- O., S. 253. «3 VHKf., 9. Jg., T. A, Nr. 1/1934, S. 25. 44 Einen großartigen Einblick in die Situation auf dem Lande gibt Hans Fallada in seinem Buch „Bauern, Bonzen und Bomben", Berlin 1932.
Das Reichserbhofgesetz und die Verschuldung der Landwirtschaft
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100 Hektar vergeben worden. Nahezu derselbe Satz (50,6 Prozent) ergibt sich ab 1933 für die 7,1 Prozent in Größenklassen über 125 Hektar,. . . Auf die 26 Prozent in Größenklassen bis 7,5 Hektar entfielen nur 6,5 Prozent der Mittel. Die außerordentliche Begünstigung der Großgrundbesitzer und die Benachteiligung der Kleinen zeigt sich noch deutlicher darin, daß die Zahl der entschuldeten Betriebe ab 125 Hektar nahezu 9 Prozent der Gesamtzahl der Betriebe in den Größenklassen ab 100 Hektar ausmacht,'die Zahl der Entschuldeten in der Größe bis zu 7,5 Hektar aber nur 0,6 Prozent der Betriebe in den Größenklassen bis 5 Hektar. Auch von den Erbhofgrößen (7,5 bis 125 Hektar) waren nur etwa 2 Prozent in die Entschuldung einbezogen. Die Entschuldungskredite erreichten in den Kleinbetrieben im Durchschnitt nur rund 3200 Mark, in den Erbhofgrößen 8600 Mark, in den Betrieben über 125 Hektar aber 95000, in denen über 500 Hektar sogar 178000 Mark.'"' 5 Gemessen an der tatsächlichen Verschuldung der Landwirtschaft, waren auch 650 Mill. RM nicht viel, schon gar nicht, wenn der Löwenanteil in die großen Güter floß. Das Schwergewicht des Gesetzes lag deshalb auch auf der Schuldenreglung. Durch die zwangsweise Zwischenschaltung von Kreditinstituten wurden die Schulden konsolidiert, das heißt sie blieben bestehen, nur die Bedingungen wurden vereinheitlicht und erleichtert. 46 Im Wirtschaftsbericht der Reichs-Kredit-Gesellschaft für die Jahreswende 1938/39 heißt es deshalb auch: „Die Verschuldung der Landwirtschaft hat sich nach den Erhebungen der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt während der letzten Jahre im Vergleich zu anderen Wirtschaftsgruppen verhältnismäßig wenig vermindert, nämlich von rd. 11,8 Mrd. RM 1932 auf rd. 11,1 Mrd. RM 1936/37. Sehr viel stärker sind die Zinslasten zurückgegangen. Diese machten im Jahre 1937/38 nur noch 5,9% der Verkaufserlöse aus gegenüber 13,3% im Wirtschaftsjahr 1932/33." 47 Die Schuldenlast der Erbhöfe wurde nur im verhältnismäßig geringen Umfang aus dem Entschuldungsfonds abgedeckt. Neben der Konsolidierung erfolgte ihre eigentliche Entlastung auf Grund des Erbhofgesetzes durch die Enterbung aller Kinder und Geschwister des Bauern bis auf den „Anerben", der den Hof übernahm. 48 Dadurch wurde eine ständige Quelle neuer Verschuldungen verstopft. Das heißt nichts anderes, als daß die Schuldenlast der Erbhöfe — das IfK schätzte sie auf ca. 6 Mrd. RM — mit auf Kosten der enterbten Bauernkinder stabilisiert worden ist. Die Unteilbarkeit dieser Höfe, der Belastungsstop und damit verbunden auch die begrenzte Möglichkeit neuer Kreditaufnahme wirkten ebenfalls in dieser Richtung, nämlich die alten Schulden abzusichern und keine neue Verschuldung zuzulassen, d. h. den Gläubigern die Milliarden zu retten. In diesem Zusammenhang läßt sich auch die enge Verbindung erklären, die insbesondere zwischen den landwirtschaftlichen Kreditbanken und dem Reichsnährstand bestand: ca. 80 Prozent der Verwaltungs- und 46 46
47
48
Helling, Gertrud, a. a. O., S. 26. § 14 des Schuldenregelungsgesetzes; die Zinsen wurden einheitlich auf 4,5 Prozent festgesetzt. — Der Reichsnährstand sah es, nach der Aussage einer seiner Funktionäre, „als seine besondere Aufgabe an, den Schuldner zur Rückzahlung der Kredite, die ihm zum Ausbau und zur Verbesserung des Betriebes gewährt sind, auch mit einschneidenden Maßnahmen anzuhalten". (Zitiert bei: Meyer, Konrad, Gefüge und Ordnung der deutschen Landwirtschaft, Berlin 1939, S. 566.) Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung %ur Jahreswende 1938/39 (im folgenden: EKKA-Bericbf) S. 48. — Kroll behauptet, daß die Gläubiger durchdas Erbhofgesetz „entschädigungslos enteignet" worden seien. {Kroll, Gerhard, a. a. O., S. 530.) — Der Bericht der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt widerlegt diese Behauptung. §§ 19—21 des Erbhofgesetzes. — Der Hoferbe hatte nur die vage Verpflichtung, seinen Geschwistern eine Ausbildung nach den finanziellen Möglichkeiten zu geben und im Notfall „Heimflucht" zu gewähren.
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Der Reichsnährstand
Aufsichtsratsmitglieder dieser Banken hatten ebenfalls Ämter und Funktionen im Reichsnährstand. 49 Dem Erbhofbauern blieb, neben einigen Steuervergünstigungen, die Arbeitskraft seiner Geschwister, die auf Grund der Arbeitsmarktregulierung nur sehr schwer aus der Landarbeit ausscheiden konnten. Nach der Berechnung von Hoeft beschäftigten die Höfe von 10 bis 100 ha 1933 53,5 Prozent der ständigen und 48 Prozent der nicht ständigen Landarbeiter. 50 Demnach kam die Fesselung der Landarbeiter an die Scholle auch den Erbhöfen zugute. Trotz der Nachteile, die den verschiedenen bäuerlichen Familienmitgliedern aus dem Erbhofgesetz erwuchsen, hatte dieses im politisch-ideologischem Bereich eine erhebliche pro-staatliche Wirkung. Das dürfte vorwiegend dem starken traditionellen hofverbundenen bäuerlichen Denken zuzuschreiben sein, vor allem aber dem Umstand, daß es gelang, die Massenversteigerung der Höfe zu stoppen. Die faschistische Propaganda nutzte dies auch weidlich für ihre Zwecke aus. Durch die Herausnahme eines so großen Bodenareals aus dem kapitalistischen Markt — die Erbhöfc umfaßten am 31. 12. 1937 eine Fläche von mehr als 16 Mill. ha — kam es folgerichtig auch zu einem Ansteigen der Bodenpreise, die in den Jahren 1926/28 auf etwa die Hälfte der Vorkriegszeit gefallen waren. Helling berechnet „sehr vorsichtig" eine Steigerung von mindestens „33 bis 50 Prozent über den Stand vor dem ersten Weltkrieg". 5 1 Diese Entwicklung kam in erster Linie den großen Gütern über 100 ha zugute, die 1939 nur 0,6 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe ausmachten, aber 17,6 Prozent der Betriebsfläche auf sich konzentrierten. 52 Das Erbhofgesetz war mit seinem feudal wirkenden Anstrich in Wirklichkeit ein sehr durchdachtes Instrument zur Sicherung und Wahrung aktueller und alter Kapital- und Junkerinteressen. Es sicherte nicht nur die Kapitalinteressen der Banken in der Landwirtschaft, es regulierte auch die sozialökonomischen Auswirkungen der Krise in diesem Bereich, es setzte außerdem die alte strukturerhaltende Bodeneigentumspolitik des deutschen Imperialismus fort, die schon Ende des 19. Jh. zu beobachten war und im ersten Band beschrieben wurde. Auch in dieser Hinsicht erfüllte das Erbhofgesetz staatsmonopolistische Funktionen — im Zusammenhang mit der Preispolitik, auf die noch einzugehen ist —, die sich nach erprobter Weise im ideologischen Breich, in „Staatstreue" niederschlugen und damit auch in der Bereitschaft, für diesen Staat in den Krieg zu ziehen. Wenn sich das faschistische Regime mit diesem Gesetz u. a. ihren Massenanhang auf dem Lande sicherte, so sicherte es damit auch die alten Ziele der landwirtschaftlichen Strukturpolitik des deutschen Imperialismus. Diese Wirkung wurde noch durch das „Gesetz zur Neubildung deutschen Bauerntums" ergänzt. Die radikale Enterbung der Kinder und Geschwister des Erbhofbauern machte ganz offenbar ein „Ersatzangebot" zur Abschwächung der damit verbundenen Wirkung erforderlich. Dafür reichte die mit blut- und bodenständischen Phrasen und Eliteprädikaten angereicherte ideologische Manipulation wohl doch nicht aus. 53 Deshalb war es sicher kein « Herfertb, Wilhelm, a. a. O., S. 182. - Dr. H. Heinrich, Mitglied des Reichserbhofgerichtes, war MdAR der Deutschen Industriebank. (Ebenda, S. 181. — Vgl. auch Fn. 46.) 50 Hoeft, Klaus-Dieter, a. a. O., S. 54. 51 Helling, Gertrud, a. a. O., S. 28. 52 Die Betriebs^äblung 1939 nach Landesbauer nscbaften, hg. y. Reichsnährstand, H. 1, o. O. u. J., S. 3. 53 In der Präambel des Erbhofgesetzes wurde „das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes" bezeichnet. Der Erbhofbauer durfte sich Bauer nennen, alle anderen waren (nur) Landwirte, (§ 11, Abs. 2). Diese elitär aufgemachte Form wurde dadurch verfestigt, daß der Erbhofbauer einen „arischen Nachweis"
Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft
111
Zufall, daß die Zentralisierung aller Siedlungsaktivitäten auf das Reich durch das Gesetz zur Neubildung deutschen Bauerntums vor dem Erbhofgesetz durchgeführt wurde. Die Auswahl der Siedler, bald „Wehrbauern" genannt, lag von da an völlig in den Händen der faschistischen Staatsmacht. Bevorzugt wurden Mitglieder der SS, SA, der Wehrmacht und der Polizei. Die enterbten, aber doch „rassisch vollwertigen" Brüder und Söhne der Erbhofbauern wurden auf diese Weise zum Reservoir insbesondere für die SS, wie ja überhaupt eine überaus enge personelle Verflechtung zwischen dem Reichsnährstand und insbesondere dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS bestand. 54 Da bereits ab Oktober 1934 „Siedlungen in noch nicht zum Reich gehörenden Ostgebieten vorgesehen" wurden 5 5 , war die ideologische Ausrichtung aller Siedlungsinteressenten auf einen künftigen Eroberungskrieg eng damit verbunden. Nicht wenige sind diesen Weg gegangen, und das versprochene Land war schließlich ein Grab „im Osten". Daß die ideologische Kriegsvorbereitung ein Hauptinhalt der ganzen Siedlungspfopaganda war, geht aus der rückläufigen Entwicklung der Siedlungstätigkeit zwischen 1933 und 1939 hervor. 1933 und 1934 lag die Zahl der Neubauernstellen noch bei fast 5000, 1939 (damaliges Reichsgebiet) waren nur noch 846 Neubauernstellen errichtet worden. 56 Die Durchschnittsgröße der Siedlerstellen (1919—1932 ca. 10,5 ha) lag 1934 bei 15 und 1939 bei 22,6 ha, der Anteil der Stellen mit mehr als 20 ha (1919-1932 8,5 Prozent) betrug 1934, bereits 17,3 und 1939 39,5 Prozent. 5 ? Die Siedlungstätigkeit hatte im Faschismus eine klare Tendenz zur Förderung der größeren Höfe. 58
2. Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft durch die faschistische Marktordnung Ein zweiter Schwerpunktkomplex des Reichsnährstandes war die sogenannte Marktordnung. Unter diesem Begriff wurde die staatlich gelenkte Preispolitik für Agrarprodukte zusammengefaßt. Sie erfolgte auf der Grundlage einer umfassenden Zwangskartellierung der Nahrungsmittelproduzenten, einschließlich des Handels. Die organisatorischen Formen waren nach fachlichen, vertikalen und regionalen Gesichtspunkten gegliederte Marktverbände, Hauptvereinigungen und wirtschaftliche Vereinigungen, die 1935 dem Reichsnährstand als Hauptabteilung III unterstellt wurden. 59 bis zum Jahre 1800 erbringen mußte (§ 13), womit auch die „SS-Fähigkeit" seiner Brüder und Söhne nachgewiesen war. 54 Dazu ausführliche Belege — auch bereits für den Aufbau des agrarpolitischen Amtes der NSDAP vor 1933 bei: Herfertb, Wilhelm, a. a. O., S. 62f., 179f. u. a. 55 Schult^-Klinken, Karl-Rolf, Preußische und deutsche Ostsiedlungspolitik von 1886 bis 1945; ihre Zielvorstellungen, Entwicklungsphasen und Ergebnisse, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Frankfurt (Main), Nr. 2/1973, S. 208. 56 Statistisches Jahrbuch für das DeutscbeKeicb (im folgenden : Statistisches Jahrbuch), 1941/42, S. 113. 57 Helling, Gertrud, a. a. O., S. 23. — Vgl. auch: Die Bauernsiedlung im Jahre 1937. Vorläufiges Ergebnis der Reichssiedlungsstatistik, in : Wirtschaft und Statistik, Nr. 9/1938, S. 365 ff. 58 1937 wurden „in Gebieten mit stark zersplitterten oder sonst unzweckmäßig verteiltem Grundbesitz . . . durch die Landeskulturbehörden Umlegungen durchgeführt. In den Umlegungsverfahren wird die Zahl der Besitzgrundstücke vermindert, eine betriebswirtschaftlich günstigere Abgrenzung der Parzellen vorgenommen" etc. (Die Umlegungen landwirtschaftlichen Grundbesitzes im Jahre 1937, in: Ebenda, S. 793.) 59 Nach H. Reischle, Spitzenfunktionär des Reichsnährstandes, bestand die Funktion dieser Unterstellung lediglich in einer Vereinheitlichung der „Personal-, Verwaltungs- und Haushaltgebarung" und der „gemeinsamen Aufgaben", wie „Marktbeobachtung (Statistik), die Gestaltung des Marktrechtes, die Ge-
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Der Reichsnährstand
Die Anfänge dieser preispolitischen Regulierung lagen bereits in den ersten Jahren der Weltwirtschaftskrise. Das lag daran, daß die Agrarkrise bereits etwa 1927/28 mit einem Absinken insbesondere der Preise am Weltweizenmarkt einsetzte und in den Jahren 1930/31, 1931/32 und 1932/33 durch sehr gute Ernten einerseits und einen stark rückgängigen Weltzuschußbedarf andererseits besonders verschärft wurde. 60 Das Maisgesetz vom 26. 3. 1930 61 und das Milchgesetz vom 31. 7. 1930 62 wurden die beiden Grundmodelle, nach denen ab 1933/34 der gesamte Nahrungsmittelbereich, einschließlich dem Nahrungsmittelimport, organisiert und reguliert wurde. 63
a) Die Reichsstellen Durch das Maisgesetz war 1930 eine „Reichsstelle" geschaffen worden, die ein staatliches Monopol für die gesamte Maiseinfuhr und den Maishandel erhielt. Sie setzte die Einfuhrmenge fest, und die Importeure mußten ihre Ware zuerst der Reichsstelle anbieten. Übernahm diese die Ware, war damit die Einfuhr genehmigt. Ebenso mußte auch der im Lande für den Markt produzierte Mais zuerst der Reichsstelle angeboten werden. Bei der Weitergabe an den Handel (oder der Rückübergabe an den Importeur, Produzenten etc.) erhob die Reichsstelle einen Monopolzuschlag und bestimmte so den Marktpreis. 64 Diese Einrichtung war im Interesse der deutschen Getreide-Futtermittelproduzenten entstanden zum Schutz gegen die Konkurrenz des sehr viel billigeren Maises. Der Weltmarktpreis für Mais war von 1928 bis 1930 um rd. 40 Prozent abgesunken und eine Zollerhöhung aus handelsvertraglichen Gründen nicht möglich. Mit Hilfe der Reichsstelle konnte nun der Inlandspreis für Mais den übrigen Futtermittelpreisen und der jeweiligen Lage am Futtermittelmarkt nach Bedarf angeglichen werden. Diese Verfahrensweise erwies sich als sehr viel elastischer als die Zollpolitik. Das Maismonopol war zum Nachteil der Veredlungswirtschaft und zum Vorteil der Futtermittelproduzenten errichtet worden. In dieses Monopol wurden bald auch andere Futtermittelprodukte wie Hirse, Reis etc. einbezogen. Das Maismonopol wurde 1933 von der faschistischen Regierung übernommen und sehr staltung des Marktausgleichs". Die Hauptabt. III hatte „kein unmittelbares Eingriffsrecht in die Marktgestaltung", wie überhaupt „die Selbstverantwortlichkeit der Marktverbände unberührt" blieb.
Hermann, Die Entwicklung
(Reiscble,
der Marktordnung des Reichsnährstandes in den Jahren 1935/36, in: Jahrbuch
der nationalsozialistischen Wirtschaft, München 1937, S. 2 1 8 f . ) 60
Der Weltmarktpreis f ü r Weizen (Hamburg, Barusso eif) sank v o n seinem höchsten Stand 1926 ( = 100) bis 1930 auf 63 Punkte, 1931 = 37, 1 9 3 2 = 3 6 , 1933 = 28. Der Weltzuschußbedarf (Verschiffungen) lag 1928/29 bei 25,1 Mill. t, 1930/31 bei 22,4 Mill. t, 1931/32 bei 21,7 Mill. t 1932/33 bei 17,2 Mill. t und 1933/34 bei etwa 14,2 Mill. t. (Berechnet nach:
«» RGB/.,
VHKf., 9. Jg.,
T. B, Nr. 1/1934, S. 8.)
1. T., 1930, S. 88, dazu die V O v o m 1 1 . 12. 1930 (Ebenda, S. 627), v o m 23. 3., 5. 7., 23. 12. 1932.
(Ebenda, 1. T., 1932), S. 163, 347, 575.) 62 Ebenda, 1. T., 1930, S. 4 2 1 . 63
K r o l l weist richtig auf die Tatsache hin, daß auch hier „der Nationalsozialismus . . . unmittelbar an die Wirtschaftspolitik der Weimarer Republik anknüpfen " konnte, o h n e daraus prinzipiellere Schlüsse zu ziehen.
{Kroll, Gerbard,
a. a. O., S. 525.) — Der Westberliner Agrarhistoriker Horst Gries will darin nur
einen „Vorboten der nationalsozialistischen Marktordnung" sehen, weil darin kein „System", keine „Weltanschauung" gelegen habe, sie seien nur „als vorübergehende Abwehrreaktionen der Wirtschaftskrise" zu verstehen. Entsprechend dürftig im Ergebnis fällt auch sein Artikel aus mit dem anspruchsvollen Titel:
Gries, Horst, Der
Reichsnährstand — Organ berufsständischer Selbstverwaltung oder Instru-
ment staatlicher Wirtschaftslenkung? i n : Zeitschrift f ü r Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Frankfurt (Main), Nr. 2/1973, S. 2 1 6 f f . ) 64
Dazu: Bd. 2, Kap. 16, Abschnitt 3, dieser Arbeit.
Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft
113
bald zu einem ganzen System ausgebaut. Im März 1933 wurden auch Ölsämereien, Ölfrüchte und Ölkuchen dem Maismonopol unterstellt. 65 Ende Mai 1933 wurde die Reichsmaisstelle in „Reichsstelle für Getreide, Futtermittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse" umbenannt. Ihr wurden dazu die Aufgaben der „Deutschen Getreide-HandelsGesellschaft" übertragen, die 1926 zur Stützung des Roggenpreises gegründet worden war und mit der Zeit ihre Tätigkeit auf den gesamten Getreidemarkt ausgedehnt hatte. 66 Mit der Umbenennung der Maisstelle war der gesamte Import der unterstellten Produkte und der inländische Handel mit diesen vom Staat monopolisiert. Die Funktionsweise blieb die gleiche, wie sie für die Maisstelle beschrieben wurde. Insgesamt wurden sechs Reichsstellen im Nahrungsmittelbereich gebildet, deren Aufgabe offiziell darin bestand, „die Lebensmitteleinfuhr nach Herkunft, Menge, Zeit und Preis den deutschen Bedürfnissen anzupassen". 67 Ebenfalls 1933 wurde die „Reichsstelle für Milcherzeugnisse, Öle und Fette" errichtet 68 , Anfang 1934 die „Reichsstelle für Eier" 6 9 , im April 1934 die „Reichsstelle für Tiere und tierische Erzeugnisse" 70 . Etwas später folgte dann noch die Reichsstelle für Garten- und Weinbauerzeugnisse" 71 und im Krieg die „Reichsstelle für Fische". 72 Die Reichsstellen waren staatliche Einrichtungen, sie unterstanden dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, ihre Finanzierung erfolgte durch die erheblichen Einnahmen, die sie in Form von Gebühren .Monopolzuschlägen usw. bei der Bewirtschaftung der ihnen unterstellten Waren erzielten. 73 Ihre Leiter wurden vom Reichsnerährungsminister in der Regel auf Vorschlag des Reichsnährstandes berufen. Die Funktionsweise dieser Reichsstellen unterschied sich prinzipiell nicht von der der alten Reichsmaisstelle. Alle ihnen unterstellten Waren mußten, bevor sie in den Handel gebracht wurden, grundsätzlich dort angeboten werden. Für die Inlandsproduktion wurde in der Regel ein Übernahmeschein-Verfahren angewendet, das über örtliche oder regionale 65
66
Zweite VO des Reichspräsidenten zur Förderung der Verwendung inländischer tierischer Fette und inländischer Futtermittel v. 23. 3. 1933, Art. 6, Ausdehnung des Maisgesetzes auf Ölfrüchte, ölsämereien und Ölkuchen. (RGB/., 1. T., 1933, S. 145.) Gesetz über Umwandlung der Reichsmaisstelle v. 30. 5. 1933. In: Ebenda, S. 313f. — Mit der Übernahme der Deutschen Getreide-Handelsgesellschaft (DHG) war eine gewisse Kontinuität zur Reichsgetreidestelle im ersten Weltkrieg hergestellt, indem damit auch ein Sonderkredit von 30 Mill. RM (zu besonders niedrigem Zinssatz) mit übernommen wurde, den diese aus den Mitteln der alten Reichsgetreidestelle vom Staat erhalten hatte. (Mebrens, Bernhard, a. a. O., S. 42.) - Zur Tätigkeit der D H G : Bd. 2, Kap. 16, Abschnitt 3, dieser Arbeit.
67
Mebrens, Bernhard, a. a. O., S. 39. Die Reichsstelle wurde zunächst nur für Öle und Fette errichtet, auf Grund der „Zweiten VO des Reichspräsidenten . . .", RGBl., 1. T., 1933, S. 143f„ Art. 1, Verkehr mit ö l e n und Fetten, und der VO über denVerkehr mit Ölen und Fetten v. 4. 4. 1933. In: Ebenda, S. 167f. Die Ausdehnung auf Milcherzeugnisse erfolgte durch das Gesetz über den Verkehr mit Milcherzeugnissen v. 20.12.1933. In: Ebenda, S. 1093f. 69 Gesetz über den Verkehr mit Eiern v. 20. 12. 1933. In: Ebenda, S. 1094f. Die Errichtung der Reichsstelle erfolgte durch die VO v. 21.12.1933. In: Ebenda, S. 1104ff.
68
70
Gesetz über den Verkehr mit Tieren und tierischen Erzeugnissen v. 23. 3. 1934. In: Ebenda, 1. T., 1934, S. 224; VO v. 24. 3.1934. In: Ebenda S. 228. 71 Gesetz über den Verkehr mit Garten- und Weinbauerzeugnissen v. 30. 9.1936 und VO vom gleichen Tage. In: Ebenda, 1. T., 1936, S. 854. " VO über die Errichtung einer Reichsstelle für Fische v. 18. 11. 1940. In: Ebenda, 1. T., 1940, S. 1517. 73 Mebrens, Bernhard, a. a. O., S. 42.
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Der Reichsnähtstand
Stellen der Marktverbände etc. abgewickelt wurde. Die hierbei erhobenen „Gebühren" waren niedriger als die bei der Einfuhr erhobenen „Unterschiedsbeträge". Für den Verbraucher ergab sich daraus, daß er auf alle durch diese Reichsstellen laufenden Waren eine indirekte Steuer zahlte. Nach dem Gesetz flössen die Überschüsse der Reicbsstellen der Reichskasse zu, sie konnten aber im Einvernehmen zwischen Reichsernährungs- und Reichswirtschaftsminister nach entsprechenden Anweisungen für die „Verwirklichung der landwirtschaftlichen Marktordnung" verwendet werden. Zum System dieser Marktordnung gehörten die Reichsstellen nur indirekt, obwohl ihre Existenz eine Voraussetzung für deren Funktionieren war. Sie hatten „störende Weltmarkteinflüsse" abzuschirmen, das heißt sie wirkten wie ein Schleusensystem, durch das die einfließende Menge möglichst genau nach dem jeweiligen Bedarf reguliert und die niedrigen Weltmarktpreise auf das Inlandsniveau gehoben wurden. Zollpolitische Bindungen wurden dadurch nicht berührt. Die Reichsstellen besaßen auf Grund ihrer Vollmachten und ihres Überblickes eine große Elastizität für Reaktionen auf die jeweiligen Ausfuhrbedingungen der einzelnen Länder, auf die laufenden Weltmarktnotierungen und auf die Angebotsschwankungen des deutschen Marktes. Sie konnten außerdem die Lenkung der Importe auf bestimmte Länder vornehmen. Folgendes Beispiel macht die Arbeitsweise etwas deutlich: Die wöchentliche dänische Butternotierung — für Deutschland Weltmarktpreis — schwankte 1936 zwischen 165 und 240 Kronen je dz, die dänische Ausfuhrabgabe für Exporte nach Deutschland zwischen 0 und 30 Kronen und der „Unterschiedsbetrag", den die Reichsstelle erhob, bewegte sich je nach dem zwischen 54 und 85 Kronen. Danach lag im groben Durchschnitt der dänische Ausfuhrpreis für Deutschland 1936 bei 210 Kronen je dz und der Monopolzuschlag bei 70 Kronen. 74 Ein rundes Drittel des Ausfuhrpreises war von der Reichsstelle aufgeschlagen und kassiert worden. Mit diesem System war es möglich, daß in Deutschland nach dem amtlichen Preisindex die aus der Landwirtschaft zum Verkauf gelangenden Waren vom April 1933 bis April 1935 um rd. 36 Prozent und bis April 1936 noch einmal um 8,3 Prozent anstiegen und damit ganz wesentlich über dem Weltmarktpreisniveau für Agrarprodukte lagen. 75 In diesem Zusammenhang ist zu vermerken, daß die Weltmarktpreise dieser Jahre ihre alte Bedeutung verloren hatten. Sie galten — wie das IfK 1934 feststellte — im allgemeinen nur noch „fob Exporthafen oder ctf Importhafen. In den einzelnen Nationalwirtschaften dagegen liegen die Preise infolge von Zöllen, Verwendungsvorschriften, Kontingenten usw. wesentlich über dem Weltmarktniveau. Hiervon machen selbst Exportländer keine Ausnahme" — heißt es weiter —, „da sich die Regierungen auch in diesen Ländern bemühen, die Inlandspreise durch Zuschüsse an die Farmer, garantierte Preise, Exportprämien usw. hoch zu halten". 76 Die Reichsstellen hatten neben der Markt- und Preisregulierung die Aufgabe der Vorratsbildung, und hier lag ihre große — wie es im faschistischen Deutschland hieß — wehrwirtschaftliche Bedeutung. Die Mittel dafür wurden aus den laufenden und hohen Einnahmen dieser Einrichtungen bereitgestellt. Im Unterschied zur alten Reichsmaisstelle war es ihnen erlaubt, selbst Einfuhrgeschäfte zu tätigen, was durch den Überblick, den sie über die Preisbewegung des Weltmarktes hatten, für diese Vorratsbildung von erheblicher Bedeutung 7/< 75
76
Berechnet nach Anhangtabelle 16, S. 448. ERKA-Bericbt erstes Halbjahr 1936, S. 27. — Herferth vergleicht die Agrarpreise im Faschismus nur mit denen von 1928 u. 1929/30 in Deutschland und stellt kritisch fest, daß dieses Niveau nicht wieder erreicht wurde. Da er die Weltmarktpreise außer acht läßt, übersieht er, daß die deutschen Agrarpreise der dreißiger Jahre nicht nur darüber, sondern erheblich höher lagen. {Herferth, Wilhelm, a. a. O., S. 91, 258.) VHKf., 9. Jg., T. B, Nr. 1/1934, S. 8.
Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft
115
war. Zunächst lag ihre vorrangige Aufgabe jedoch auch mit in der Überwindung der Krisenauswirkungen im Agrarbereich. Durch die Regulierung der Importe nach Preis und Menge spielten sie auch für den Ausgleich der Zahlungsbilanz eine bestimmte Rolle. Mit den Reichsstellen wurden zudem Forderungen erfüllt, die vom Bund der Landwirte schon vor dem ersten Weltkrieg erhoben worden waren. Eine ihrer Hauptforderungen war die Errichtung eines staatlichen Getreidemonopols, dessen Funktion darin bestehen sollte, den Ausgleich zum Weltmarktpreisniveau herzustellen und Vorratshaltung zu betreiben. 77 Trotz allem ist es unabweisbar, daß der Aspekt der Kriegsvorbereitung und die Kriegserfahrungen einen ganz wesentlichen Einfluß auf diese Entwicklung hatten. Deshalb gingen auch die Stabilisierungsmaßnahmen, die in Anbetracht der schweren Krisenauswirkungen durchaus ihr eigenes Gewicht hatten, mehr oder minder nahtlos in die Kriegsvorbereitung über.
b) Die Marktverbände Mit der Zwangskartellierung des gesamten Nahrungsmittelsektors wurde ein Bereich erfaßt, dessen niederer Konzentrationsgrad eine selbständige Monopolisierung kaum ermöglichte und der infolgedessen, im Vergleich zum Konzentrationsgrad der Industrie, einen großen „Nachholebedarf" hatte. In der Landwirtschaft, dem Hauptproduzenten dieses volkswirtschaftlichen Sektors, war schon seit der Jahrhundertwende die Konzentrationsbewegung mit Hilfe staatsmonopolistischer Maßnahmen abgebremst worden, was nicht ohne Auswirkungen auf die Konzentrationsbewegung des verarbeitenden Bereichs geblieben war. Die Weltwirtschaftskrise hatte durch den rapiden Preisabfall der Agrarprodukte die Widersprüche, die sich aus dieser ungleichen Entwicklung ohnehin ergaben, erheblich verschärft. Der hohe Kostenaufwand der stark zersplitterten Produktion wurde durch die Preise nicht mehr abgedeckt. Die angestaute Konzentrationsbewegung setzte sich nun mit der steigenden Zahl von Konkursen durch, mit erheblichen ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen. Während nun mit der Schuldenregulierung und dem Erbhofgesetz die Konzentrationsbewegung in der Landwirtschaft und ihre sozialökonomischen Auswirkungen wieder abgestoppt worden waren, wurden die Auswirkungen der Splitterproduktion im Kostenbereich durch die Zwangskartellierung des gesamten Nahrungsmittelsektors reguliert, wobei der Konzentrationsprozeß im Verarbeitungsbereich weiterging, nur entsprechend gelenkt durch die Kartellfestlegungen. Die hier gebildeten Marktverbände hatten ihren Mitgliedern gegenüber weitgehende Vollmachten: Sie konnten u. a. „die Erzeugung, die Ablieferung, den Absatz, die Verarbeitung, die Verwendung und die Verteilung regeln, Vorschriften über Lieferung, Verpackung, Versand, Lagerung, Kennzeichnung und Güteanforderungen erlassen, Verkaufs-, Verrechnungs- und Zahlungsbedingungen festsetzen, den Arbeitsumfang und den Ausnutzungsgrad der verarbeitenden Betriebe regeln, Mindestumsatzmengen festsetzen und volkswirtschaftlich unnötige Betriebe dauernd oder vorübergehend stillegen, die Neuerrichtung, die Wiederaufnahme und die Erweiterung der Leistungsfähigkeit vonBetrieben untersagen, wenn sie z. B. bestehende Betriebe gefährde(te)n, Abnahme-, Verarbeitungs- und Einlagerungspflichten auferlegen, zur Deckung ihrer Aufwendungen Umlagen und Gebühren und zur Bildung von Ausgleichsstocks Aasgleichsabgaben erheben, Preise und Preisspannen festsetzen usw.". 78 Dazu: Bd. 1, Kap. 7, dieser Arbeit. '8 Mtbrens, Bernhard, a. a. O., S. 28.
77
116
Der Reichsnährstand
Die gesetzliche Grundlage für dieses umfassende Eingriffsrecht war das Reichsnährstandsgesetz, das dem Reichsminister für Ernährung ähnliche Vollmachten erteilte, wie sie der Reichswirtschaftsminister mit dem Gesetz zur Errichtung von Zwangskartellen vom 15. 7. 193379 besaß. Die einschlägigen Paragraphen beider Gesetze waren sachlich völlig identisch.80 Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft war ermächtigt, „zur Regelung der Erzeugung, des Absatzes sowie der Preise und Preisspannen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen Gruppen und Angehörige des Reichsnährstandes und sonstige Unternehmen und Einrichtungen, die landwirtschaftliche Erzeugnisse herstellen oder vertreiben, zusammen(zu)schließen oder an bestehende derartige Zusammenschlüsse a b z u schließen, wenn der Zusammenschluß oder Anschluß unter Würdigung der Belange der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls geboten" erschienen.81 Zuwiderhandlungen sollten mit Gefängnis und mit Geldstrafen bis zu 100000 RM geahndet werden.82 In der Regel wurden die einzelnen Branchen vom Ausgangsprodukt her zu Hauptvereinigungen (HV) zusammengeschlossen, die in regionale Wirtschaftsverbände aufgegliedert waren. So umfaßte z. B. die Hauptvereinigung der deutschen Milchwirtschaft 18 Milchwirtschaftsverbände, in denen insgesamt 3 Millionen Milcherzeuger, 8097 Molkereien und Käsereien, 98 Schmelzkäsehersteller, 87 Dauermilcherzeuger, 30000 Milch- und Sahneverteiler und 100000 Butter- und Käseverteiler zusammengefaßt waren.83 Aus dieser Aufzählung geht schon der vertikale Aufbau dieser Hauptvereinigung hervor, der auch für alle anderen typisch war. Sie bestanden alle aus der Erzeuger-, der Verarbeiter- und der Verteilergruppe. Daneben gab es noch „Wirtschaftliche Vereinigungen", die auf Grund schon vorher bestehender Kartellabsprachen eine gewisse Selbständigkeit behielten und in der Regel horizontal gegliedert waren. Sie wurden im Laufe der Zeit zumeist den Hauptvereinigungen eingegliedert. Die Entwicklungstendenz dieser Marktverbände war, insbesondere im Kriege, stark zentralistisch. Als diese Zusammenschlüsse 1935 als „Selbstverwaltungsorgane" dem Reichsnährstand unterstellt wurden, existierten folgende Verbände: 8 '' 1. Hauptvereinigung der deutschen Milchwirtschaft (27. 3. 34) 2. Hauptvereinigung der deutschen Kartoffelwirtschaft (20. 4. 34) 3. Hauptvereinigung der deutschen Eierwirtschaft (3. 5. 34) 4. Hauptvereinigung der deutschen Viehwirtschaft (9. 6. 34) 5. Hauptvereinigung der deutschen Getreidewirtschaft (14. 7. 34) 6. Hauptvereinigung der deutschen Zuckerwirtschäft (10. 11. 34) 7. Hauptvereinigung der deutschen Garten- und Weinbauwirtschaft (27. 2. 35) 8. Hauptvereinigung der deutschen Fischwirtschaft (1.4. 35) 9. Hauptvereinigung der deutschen Brauwirtschaft (18. 4. 35) Im Verlauf eines Jahres war die gesamte Nahrungsmittelwirtschaft in neun Hauptvereinigungen zusammengeschlossen worden. Daneben gab es noch die Wirtschaftlichen Vereinigungen der Roggen- und Weizenmühlen, der deutschen Süßwarenwirtschaft, der Mischfuttermittelhersteller und der Margarine- und Kunstspeisefett-Industrie. ™ RGB/., 1. T., 1933, S.488. 8 0 Die einschlägigen Paragraphen des Reichsnährstandsgesetzes für die Zwangskartellierung der Nahrungsmittelwirtschaft sind die §§ 2—4, 6 u. 9. Sie entsprechen sachlich den §§ 1, Abs. 1; 3, Abs. 1 u. 6 des Zwangskartellgesetzes. 8 1 § 3 des Reichsnährstandsgesetzes. 82 Ebenda, § 9. 83 Herferth, Wilhelm, a. a. O., S. 252 b. 8-5 Mehrens, Bernhard, a. a. O., S. 13. — Das in Klammern gesetzte Datum ist das Gründungsdatum der HV.
117
Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft
Die Hauptvereinigungen hatten ihr Modell im Milchgesetz von 1930, das eine neue Form staatlicher Regulierungstätigkeit im Nahrungsmittelsektor einleitete. Stellvertretend für die übrigen Zusammenschlüsse soll deshalb die Entwicklung im Bereich der Milchwirtschaft in ihren volkswirtschaftlichen Zusammenhängen etwas eingehender beleuchtet werden. Das Gesetz gab mit seinem § 38, dem sogenannten Zusammenschlußparagraphen, den „obersten Landesbehörden . . . nach Anhörung der gesetzlichen Berufsvertretungen der beteiligten Wirtschaftsgruppen" das Recht, „Erzeugerbetriebe sowie Milch bearbeitende und verarbeitende Betriebe zur Regelung der Verwertung von Milch und Milcherzeugnissen zusammenzuschließen". 85 Diese Zusammenschlüsse waren berechtigt, unter Mitwirkung von Preisausschüssen, in denen Erzeuger und Verbraucher vertreten sein sollten, Preise festzulegen. Das Gesetz war zum Schutze der inländischen Milcherzeugung erlassen worden, denn die Butter-Großhandelspreise waren von 1929 bis 1930 national und international um ca. 20 Prozent gefallen. 86 Daß das Gesetz daraufhin mit einem so einschneidenden Paragraphen versehen wurde, zeugt von der katastrophalen Lage, in der sich die deutschen Milchproduzenten bereits dadurch befanden. Betroffen waren in erster Linie die Betriebsgrößen bis 20 ha LN, in denen 64 Prozent aller Milchkühe gehalten wurden. Hier zeigt sich bereits die Unrentabilität der deutschen Milchproduktion, die vorwiegend im Klein- und Mittelbetrieb angesiedelt war. Sie war gleichermaßen das Ergebnis der landwirtschaftlichen Strukturpolitik des deutschen Imperialismus (Vgl. Tabelle 26). Tabelle 26 Anzahl der Kühe in den verschiedenen Größenklasse in ha LN 0,5- 2 2- 5 5 - 20 20-100 über 100 gesamt
Anteil an der Gesamtzahl der Betriebe in %
Größenklassen der LN (1933/34) Anteil an der gesamten LN ¡n%
Anteil an der gesamten Kuhhaltung absolut in %
27,4 25,8 35,1 10,6 1,1
3,3 8,9 34,7 33,2 19,9
533435 1628341 4202418 2703636 840534
5,4 16,4 42,4 27,3 8,5
100,0
100,0
9908346
100,0
Zusammengestellt und berechnet nach: Statistisches
Jahrbuch . . . 1935, S. 70/71 u. 100.
In 88,3 Prozent aller Betriebe mit 46,9 Prozent der LN wurden 64,2 Prozent aller Kühe gehalten. Sie lieferten 58 Prozent der Milch, die aus inländischer Produktion auf den Markt kam, die Betriebe zwischen 20 und 100 haLN lieferten 30 Prozent und die Betriebe über lOOhaLN 12 Prozent. 87 Diese Milchmarktsituation betraf in erster Linie die kleinen und Mittelbetriebe. Deshalb wurde das Milchgesetz auch sehr schnell und weitestgehend im süddeutschen 85 Milchgesetz, RGBl. 1. T., 1930, S. 421, § 38. 86 Berechnet nach den Angaben bei: Pucbert, Bertbold, Deutschlands Außenwirtschaftsbeziehungen von 1918—1939 unter besonderer Berücksichtigung von Aspekten des staatsmonopolistischen Kapitalismus (MS), S. 120. 87 Berechnet nach Angaben bei: Herfertb, Wilhelm, a. a. O., S. 247.
118
Der Reichsnähtstand
Raum, insbesondere in Württemberg und Baden angewendet. 88 Der Kern des Milchgesetzes bestand darin, die Rentabilität der Milchwirtschaft mittels einer Durchrationalisierung wieder herzustellen bzw. zu heben, denn annähernd die Hälfte der gesamten Milcherzeugung wurde als Werk- oder Industriemilch an diesen Bereich abgesetzt. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte aber dann die Lage der Milchwirtschaft noch von einer anderen Seite her in ganz besonderem Maße: Das deutsche Zollsystem für agrarische Produkte war insbesondere für Getreide seit langem protekitonistisch ausgebaut, während die Veredlungswirtschaft sehr viel mehr mit den Bewegungen des Weltmarktes konfrontiert war. Die fallenden Futtermittelpreise hatten deshalb auch schnell zu einer verstärkten Einfuhr und einer rückläufigen Eigenproduktion wie auch zu einem rückläufigen Verbrauch an einheimischen Futtermitteln geführt. Das Maisgesetz war die Reaktion darauf. Weitgehend frei oder gering verzollt blieb aber die Einfuhr von Ölen, Ölfrüchten und Fetten. Zu Ölkuchen verarbeitet waren sie kostengünstiges billiges Kraftfuttermittel für die Steigerung der Milchproduktion 89 , die von den Erzeugern zur Kompensierung der sinkenden Preise angestrebt wurde. Aber die abgepreßten Öle waren gleichermaßen kostengünstige und billige Grundprodukte für die zudem hochmonopolisierte Margarineproduktion. Die Margarine hatte sich in der Krise zum schärfsten Konkurrenten der Butter entwickelt. Diese Entwicklung, die nicht auf Deutschland beschränkt war und in Europa noch durch den verstärkten Import neuseeländischer Butter (England, Ottawa-Verträge) verschärft wurde, führte zur Entstehung eines „Butterberges" und zum weiteren rasanten Abfall der Butterpreise. Damit verschärfte sich die katastrophale Lage der deutschen Milchwirtschaft immer mehr. Anfang 1933 war der Margarinepreis im Einzelhandel bis auf 25 Pfennige pro halbes Kilo abgesunken und die Butterpreise mußten bis auf 46 Prozent des Standes von 1928 nachgeben. 90 Hier zeigte sich der Widerspruch zwischen dem niederen Konzentrationsgrad im Agrarbereich und dem hohen Konzentrationsgrad in der Industrie ganz konkret am Beispiel der unrentablen Milchproduktion in der Landwirtschaft und der hochmonopolisierten Margarineproduktion. Die schnell sinkenden Preise am Weltagrarmarkt hatten die Auswirkungen besonders zugespitzt. Die Milchproduktion geriet völlig außer Konkurrenz. 88 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe, die daraus eine Haupteinnahme bezogen, waren auf das Härteste betroffen. Hinzu kam nun noch das landwirtschaftliche Verschuldungs- und Kreditproblem. Die „Ordnung der Milchwirtschaft", deren enger Zusammenhang mit dem „Fettproblem" mehr als deutlich geworden war, erfolgte nun auf zwei Wegen: über die Regulierung dieses sogenannten Fettproblems, das wesentlich aus dem unterschiedlichen Konzentrationsgrad resultierte, und über die Zwangskartellierung der gesamten Milchwirtschaft. 1933 wurde ein sogenannter Fettplan entwickelt, der v. Rohr zugeschrieben wird. Dessen Kernstück bestand in der Kontingentierung der Margarineproduktion einschließlich auch der Produktion von Kunstspeisefett, Speiseöl, Pflanzenfett und gehärtetem Tran sowie in einer Fettsteuer, die auf alle kontingentierten Fette erhoben wurde. 9 1 Neben der Regulierung der Margarineproduktion, die bereits im März 1933 im wesentlichen Nach der Betriebszählung von 1933 lagen in Württemberg 95,2 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in den Betriebsgrößenklassen von 0,5—20 ha, in Baden waren es 96,4 Prozent. (Statistisches Jahrbuch 1938, S. 82. - Vgl. auch die Darstellung bei: Mehrens, Bernhard, a. a. O., S. 19ff.) 8 9 Die deutsche Milchproduktion stieg von 1930 (21,7 Mrd. Liter) bis 1932 (23,5 Mrd. Liter) um 1,8 Mrd. Liter, {Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung, 7. Jg., Nr. 20-21/1934, S. 100.) » VHKf. 9. Jg., T. A, Nr. 3/1934, S. 122. 91 VO und zweite VO des Reichspräsidenten zur Förderung der Verwendung inländischer tierischer Fette v. 23.12.1932 u. v. 23. 3.1933. - Dazu auch: Mebrens, Bernhard, a. a. O., S. 231ff. 88
Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft
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erfolgte, und entsprechenden Zollerhöhungen 92 , wurde im April 1933 die Reichsstelle für Öle und Fette errichtet, die nun auch von der Einfuhrseite her Verbrauch und Preise regulierte. Die Milchwirtschaft war der erste Zweig der Ernährungswirtschaft, der — noch auf Grund des Milchgesetzes — unter der faschistischen Regierung zusammengeschlossen wurde. Einige Änderungen des Milchgesetzes gingen dem jedoch voraus : 93 Die Befugnis des § 38 wurde von den Landesbehörden auf den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft übertragen, der sie delegieren konnte, die Anhörung der Berufsvertretungen fiel weg, der Milchhandel wurde ebenfalls mit in die Zwangskartellierungsbefugnis einbezogen. Beibehalten wurde das Recht dieser Kartelle, Preise und Handelsspannen festzusetzen, auch weiterhin unter der Mitwirkung von Preisausschüssen. Am 31. 7. 1933 wurde der Gutsbesitzer Freiherr v. Kanne 94 zum Reichskommissar für die Milchwirtschaft ernannt. Mit den Befugnissen des § 38 ausgestattet, kartellierte er die gesamte Milchwirtschaft. Diese Entwicklung fand mit der „VO über den Zusammenschluß der Milchwirtschaften" v. 27. 3. 1934 seinen Abschluß. 95 Bereits Ende 1933 waren die Milcherzeugnisse der Reichsstelle für Öle und Fette unterstellt worden, so daß auch der einschlägige Import kontrolliert und der Binnenmarktlage angepaßt werden konnte. Auf diese Weise wurden die deutschen Preise von der Entwicklung am Weltmarkt getrennt und auf ein Festpreis-Niveau stabilisiert, das den Erzeugern eine gewisse Rentabilität sicherte, aber keine Gefahr für den Lohnstop in der Industrie darstellte.96 Verkürzt wurde dagegen die Bearbeitungs- und Handelsspanne, also die Differenz zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreis, wodurch ein starker Druck auf die Kostengestaltung erzeugt wurde. Daraus wiederum ergab sich — nach dem Gesetz des Durchschnittsprofits — ein starker Antrieb für den Konzentrationsprozeß im milchverarbeitenden Bereich. Diese mittels des § 38 ohnehin angestrebte Entwicklung wurde durch die bereits genannten Abänderungen des Milchgesetzes besonders beschleunigt, das nun nach dem „Führerprinzip" ohne Rücksicht auf regionale Interessen im gesamten Reich einheitlich durchgesetzt werden konnte.97 Die Zweite VO . . . v. 23. 3. 1933, a. a. O., Art. 1, 3—6; VO über die gewerbsmäßige Herstellung von Erzeugnissen der Margarinefabriken und Ölmühlen v. 23. 3. 1933 (RGB/. 1. T., 1933, S. 145); VO über Zollerhöhungen v. 23.3.1933 (Ebenda, S. 146.) 93 Gesetz zur Änderung des Milchgesetzes v. 11. 5. 1933, Ebenda S. 261; Zweites Gesetz zur Änderung des Milchgesetzes v. 20.7.1933. (Ebenda, S. 527.) 94 Bernd Freiherr v. Kanne, Gutsbesitzer, Reichskommissar für die Vieh-, Milch- und Fettwirtschaft (bis zum 17. 4. 1935), Verwaltungsamtsführer des Reichsnährstandes, Mitglied des Siedlungsausschusses, Sonderbeauftragter für Schafzucht, Mitglied des Verwaltungsrats der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt, Reichskommissar für die Marktordnung, SS-Brigadeführer im SS-Rasse- u. Siedlungshauptamt und Chef des SS-Sippenamtes. (Nach den Ermittlungen von: Herfertb, Wilhelm, a. a. O., S. 171.) as RGB/. 1. T., 1934, S. 259. 96 Auf diesen Zusammenhang weist Niehaus 1939 hin, wenn auch entsprechend demagogisch verdreht, in: Gefüge und Ordnung der deutseben Landwirtschaft, als Gemeinschaftsarbeit des Forschungsdienstes hg. u. bearb. v. Konrad Meyer, Berlin 1939, S. 124. — Ausführlich über die Preispolitik in der Landwirtschaft, auch in der Vorkriegszeit, Hanau, Arthur/Plate, Roderich, Die deutsche landwirtschaftliche Preis- und Marktpolitik im Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. W . A b e l u. G. Franz = Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 28. 97 Mehrens schreibt über die Tätigkeit des Reichskommissars für die Milchwirtschaft betr. § 38: „Gestützt auf solche außergewöhnlichen gesetzlichen Machtmittel, die eine schlagartige Verwirklichung aller Pläne ohne lange Verhandlungen und ohne Hemmungen und Gegenwirkungen ermöglichten, baute dieser in kurzer Zeit eine das ganze Reich umfassende Organisation der Milchwirtschaft a u f . . . " usw. {Mehrens, Bernhard, a. a. O., S. 23.) 92
120
Der Reichsnährstand
Rationalisierung der Milchwirtschaft erfolgte auf Kosten der kleinen Verarbeitungsbetriebe und der kleinen Händler. 98 Die Zahlen in Tabelle 27 geben einen Überblick über die Konzentration in der Molkereiwirtschaft (vgl. Tabelle 27). Tabelle 27 Der Kon%entrationspro%eß in der Molkereiwirtschaft. anfallspro Tag. 1954-1936,1938.
Molkereien nach den Größenklassen des durchschnittlichen
Jahr
weniger als 500 kg
5001000 kg
über 10002000 kg
über 20005000 kg
über 500010000 kg
1934 1935* 1936 1938*
1320 1272 822 1000
1955 2004 1632 1669
2216 2176 1928 1918
2196 2195 2172 2111
1084 1174 1300 1371
über 1000020000 kg
über 2000050000 kg
über 50000 kg
Betriebe insgesamt
461 565 697 845
143 188 279 356
25 38 45 61
9400 9612 8875 9331
1934 1935* 1936 1938*
Milcb-
* beeinflußt durch Anschluß Saargebiet bzw. Österreich. Zusammengestellt nach: Statistisches Jahrbuch . .. 1936, 1937, 1938, 1939/40, Abschnitt Molkereiwirtschaft. Die Hauptvereinigungen der übrigen ernährungswirtschaftlichen Zweige waren alle nach dem gleichen vertikalen Prinzip aufgebaut und arbeiteten etwa in der gleichen Weise mit Festpreisen für Erzeuger und Verbraucher und der Rationalisierung des dazwischen liegenden Bereiches, wozu die Aufteilung der Märkte, der Einzugs- und Lieferbereiche, Kontingentierungen, Qualitäts- und Verarbeitungsvorschriften, Schließung kleiner Betriebe, Ausbau großer Betriebe, Vorratshaltungen, Prämiensysteme zur Förderung bestimmter Produkte u. a. Maßnahmen gehörten. Sie waren an bestimmte staatlich vorgegebene Rahmen- und Normenvorschriften gebunden, ansonsten aber funktionierten sie nach den Grundsätzen der Profitproduktion. 9 9 Mit der Bildung der Hauptvereinigungen war eine Zwangskartellierung erfolgt. Diese Kartelle waren, wenn auch mit dem Charakter eines Das Prinzip wird sehr klar bei Gebhard/Merkel formuliert: „Eine Spannenverkürzung aber setzt wiederum voraus, daß die städtische Milchverteilung nicht von einer Unzahl schwacher Zweigbetriebe, sondern von einer mäßigen Zahl gesunder Betriebe, deren Generalunkosten durch entsprechende Ausnutzung der Kapazität niedrig gehalten sind, durchgeführt wird." {Gebhard/Merkel, Das Recht der landwirtschaftlichen Marktordnung, Gesetze, Verordnungen und Durchführungsbestimmungen mit systematischen Erläuterungen, München/Berlin 1937, S. IV, 9.) 99 Leiter der HV Milchwirtschaft und der HV Viehwirtschaft war Wilhelm Küper, Bauer, MdAR der Ostpreußischen Fleischwarenwerke AG, später auch Leiter der Hauptabt. III im Reichsnährstand. Leiter der HV der deutschen Getreidewirtschaft war Kurt Zschirnt, MdAR der Getreide-Kreditbank AG, Berlin. Die HV Kartoffelwirtschaft wurde von Hecht geleitet. Die Hechts aber saßen stark im süddeutschen Speditions- und Lagerhausgewerbe. Die Beispiele lassen sich fortsetzen, sie zeigen die enge Kapitalverflechtung zwischen den Hauptvereinigungen und der übrigen Wirtschaft. Führer durch die Behörden und Organisationen, Berlin, und Adreßbuch der Direktoren und Aufsicbtsräte, jeweilige Jg.) 98
Die Zwangskartellierung der Nahrungsgüterwirtschaft
121
Monopols versehen, keine „privaten" Monopole, sie waren über die Reichskommissare und ab 1935 über den Reichsnährstand wie mit einer Nabelschnur mit dem Staat verbunden. Es waren staatsmonopolistische Einrichtungen im eigentlichen Sinne. Der damit staatlicherseits eingeleitete Konzentrationsprozeß förderte innerhalb dieser Hauptvereinigungen die Kapitalkonzentration ganz erheblich, indem die größeren Betriebe die kleineren nun „programmäßig" schluckten, wodurch die „privatmonopolistische" Entwicklung ebenfalls stark gefördert wurde. Der Reichsnährstand war ein typisches Beispiel für das enge Zusammenwirken von Monopolkapital, Großgrundbesitz, Staat und Partei. Marktordnung und Erbhofgesetz verkörpern in besonders drastischer und anschaulicher Weise die Grundlinie der gesamten Wirtschaftsentwicklung im faschistischen Deutschland, wie sie zum Teil auch schon in der Arbeitsmarktregulierung deutlich wurde. Sie waren sowohl das Ergebnis alter Forderungen der Großgrundbesitzer, die deren Organisationen schon im 19. Jahrhundert erhoben hatten, wie auch akuter, tiefgehender Widersprüche und sozialökonomischer Auswirkungen, die insbesondere durch die Agrar- und Wirtschaftskrise verschärft worden waren, wie auch der planenden Vorbereitung eines neuen Krieges, die auf den Erfahrungen des ersten Weltkrieges aufbaute. Wenn wiederholt festgestellt wurde, daß das faschistische Regime — und hier ist immer die staatsmonopolistische Interessenverflechtung von Finanzkapital, Großgrundbesitzern und faschistischer Staats- und Parteiführung gemeint — die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise für die Vorbereitung des zweiten Weltkrieges nutzte, so wurde dies an beiden Beispielen konkret nachgewiesen. Natürlich ging es zunächst um die Stabilisierung der landwirtschaftlichen Produktion wie auch der politischen Verhältnisse auf dem Land. Allein die Tatsache, daß alle Länder der kapitalistischen Welt, auch die großen imperialistischen Staaten, in diesen Jahren zu starken Regulierungsmaßnahmen im Bereich der Agrarproduktion und des agrarischen Ex- und Imports übergegangen waren, zeigt, daß starke allgemeinwirksame Triebkräfte vorhanden waren. In den Einfuhrländern waren es Maßnahmen zur Forcierung der Selbstversorgung und zur Reduzierung des Imports (genau das waren die Funktionen der Marktordnung), in den Ausfuhrländern zur Reduzierung der Anbaufläche und zur Forcierung des Exports. In allen Ländern gab es Maßnahmen zur Stützung der Agrarpreise, war die landwirtschaftliche Verschuldung Objekt staatlicher Regulierungsmaßnahmen usw. usf. Insofern gibt es viele Ähnlichkeiten in der deutschen und in der Entwicklung anderer Länder; und insofern gibt es auch keinen eigentlichen Bruch in der deutschen Landwirtschaftspolitik ab 1933.100 Das faschistische Regime ermöglichte eine besonders schnelle und rakidale Realisierung bereits laufender oder vorbereiteter Maßnahmen: Es existierte die Reichsmaisstelle und es existierten Milchwirtschaftsverbände, damit lagen bereits organisatorische Erfahrungen vor, es existierte außerdem der v. Rohr'sche „Fettplan", zumal das Butter-MargarineProblem von allen Butter produzierenden Ländern wie Holland, Dänemark und anderen heiß diskutiert wurde. Auch die unrentable Struktur in der deutschen Veredlungswirtschaft war schon in den zwanziger Jahren Gegenstand umfangreicher Untersuchungen gewesen, die schließlich u. a. zum Milchgesetz von 1930 geführt hatten. Dies alles erklärt die Schnelligkeit, mit der 1933/34 schon die ausschlaggebenden Schritte getan werden konnten, zumal ja die Verhältnisse in der Landwirtschaft Maßnahmen auf jeden Fall dringend erforderlich machten. Neben allen Erfahrungen und Vorarbeiten lagen 100 Dazu die Polemik Herferths gegen die Auffassung von der Kontinuität in der Agrarpolitik vor und nach
1933. (Herfertb, Wilhelm, a. a. O. S. 78f.) 9
NuMbaum/Zumpe, B. 3
122
Der Reichsnährstand
aber auch die Erfahrungen des Weltkrieges vor, die ebenfalls in das Ergebnis einflössen. Die starke zentralistische Ausrichtung der verschiedensten Organisationsformen, wie der Reichsnährstand mit seinem Verwaltungsunterbau bis zum Ortsbauernführer, die Reichsstellen, die Hauptvereinigungen der verschiedenen Wirtschaftszweige, ermöglichte nicht nur eine umfassende ernährungswirtschaftlicheKriegsplanung und -Vorbereitung, sie erwies sich auch ohne wesentliche Abänderung absolut tauglich für die Kriegswirtschaft.
KAPITEL 5
Die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft"
Langsamer als im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft vollzog sich die Zwangsorganisierung des gewerblichen Bereichs, obwohl die Forderung nach einer Reorganisation der Unternehmerverbände auf Seiten des von Krupp vertretenen RDI-Präsidiums sofort erhoben worden war. 1 Nach verschiedenen Ansätzen im Jahre 1933, die unter dem Vorzeichen eines „ständischen" Aufbaus der Wirtschaft standen, erschien am 27. Februar 1934 das „Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft". 2 Ausschlaggebend für die schließliche Organisation wurde jedoch erst die Durchführungverordnung vom 27. November 1934.3 Mit dieser Verordnung verschwanden die ständischen Bestrebungen endgültig von der Bühne. Das Kernstück der neuen Struktur war die „organische" Verbindung der alten Unternehmerverbände mit der öffentlich-rechtlichen Vertretung der Wirtschaft, die bis dahin allein von den Industrie- und Handelskammern (IHK) wahrgenommen wurde, zu einer einheitlichen, fachlich und regional gegliederten Organisation mit nunmehr halbstaatlichem Charakter. Der eigentliche Aufbau, die Ein- und Durchgliederung der fachlichen und regionalen Unternehmerverbände (gewissermaßen die Rationalisierung der alten Struktur) sowie die Bildung von Wirtschaftsbezirken und Wirtschaftskammern etc. erfolgte 1935.4 In diesem Jahr erfolgte auch der „organische" Aufbau des Verkehrswesens.5 Mit dem sogenannten Reformerlaß des Reichswirtschaftsministers von 1936, der eine stärkere Konzentration im regionalen (Wirtschaftskammer-)Bereich anordnete und u. a. auch die Doppelmitgliedschaft in den Fachverbänden genauer regelte, kann der Aufbau im wesentlichen als abgeschlossen angesehen werden. Die mit dem Erlaß ausgesprochene Forderung, auch im Fachgruppenbereich weiter zu rationalisieren, wurde 1
2 3
4
5
9*
Der Bankier v. Schroeder, in dessen Haus das Treffen Hitler/Papen am 4. Januar 1933 stattgefunden hatte, nannte 1947 diese Forderung unter den Hauptpunkten, die von der Regierung Hitler realisiert werden sollten. (Dok. abgedruckt in: Geschichte der deutseben Arbeiterbewegung, Bd. 4, Berlin 1966, S. 604ff.) Keicbsgeset^blatt(im folgenden: RGB/.) 1. T., 1934, S. 185f. VO zur Durchführung des Gesetzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft. Vom 27.11.1934, in: Ebenda; S. 1193. Die Reichsgruppe Industrie wurde durch AO des RWM vom 12. 1. 1935 gebildet. Guth, Karl, Die Reichsgruppe Industrie, Berlin 1941, S. 14f.) Guth war Geschäftsführer der Reichsgruppe Industrie. — Die Wirtschaftsbezirke und Wirtschaftskammern wurden durch AO des RWM v. 14. 3.1935 gebildet. — Vgl. auch: Der Aufbau der Organisation der gewerblichen Wirtschaft, in: Jahrbuch der nationalsozialistischen Wirtschaft, München 1937, S. 544ff. 2. DVO zum Wirtschaftsaufbaugesetz v. 25. 9. 1935, betr. den organischen Aufbau des Verkehrs. In: RGBl., 1. T„ 1935, S. 1169.
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Die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft"
von der Reichsgruppe Handel noch 1936, von der Reichsgruppe Industrie vor allem 1938/39 durchgesetzt. 6 Zeitlich erfolgte die faschistische Umwandlung der gewerblichen Wirtschaftsverbände also erst, als die Organisation der Ernährungswirtschaft schon im großen und ganzen abgeschlossen war. Anders als in der Nahrungsgüterproduktion war in der Industrie, die den Kernbereich für die Organisation der gewerblichen Wirtschaft bildete, der Konzentrationsgrad sehr hoch und das Monopolkapital besaß im RDI, wo es das Präsidium beherrschte, ein starkes Instrument für die Realisierung seiner Interessen. Doch die Vielgestaltigkeit der Unternehmerverbände, die zwar dem RDI angeschlossen waren, aber doch ihre Eigenständigkeit besaßen, zumal diese Vielgestaltigkeit nur ein Ausdruck der hochspezialisierten industriellen Produktion war, bot auch der nichtmonopolisierten Industrie entsprechende Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen. Stand die Markt- und Preisregulierung im Mittelpunkt der Marktordnung des Reichsnährstandes, so wurden gerade solche Funktionen ausdrücklich von der neuen Organisation der gewerblichen Wirtschaft getrennt. Der Kampf um die Herrschaft im Unternehmerverbandswesen war zunächst wesentlich ein Kampf um die Stabilisierung der Preise, und das war Kampf um Monopolprofite, denn die nichtgebundenen Preise waren sehr viel stärker gefallen als die Monopolpreise. Die nichtmonopolisierte Industrie dagegen versuchte alles, ihre Preise wieder hochzutreiben, wofür sie offenbar sehr stark die „ständische" Bewegung für Verbandsneugründungen nutzte, die tatsächlich verkappte Preiskartelle waren. Diese zu unterbinden bzw. rückgängig zu machen, das war eine wesentliche Funktion der neuen Zwangsstruktur und des neuen Kartellgesetzes, das vom RDI-Präsidium inspiriert und ausgearbeitet wurde. Die sehr viel kompliziertere Struktur der Industrie war ein wesentlicher Grund für die relativ langsame und in der konzeptionellen Durchführung auch nicht widerspruchsfreie Entwicklung der gewerblichen Organisation der Wirtschaft. Im Endergebnis jedoch hatte sich das Monopolkapital in der Reichsgruppe Industrie ein Lenkungsinstrument geschaffen, mit dem sie maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung nahm und das im Krieg dann auch offiziell mit dem allmächtigen Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion zusammenwuchs. 1. V o m „ständischen A u f b a u " zur staatsmonopolistischen Organisation der W i r t schaft Untersucht man die Bestrebungen für eine Umorganisation der Wirtschaft bzw. der Unternehmerverbände, dann hat es 1933 zwei sich im grundsätzlichen scharf unterscheidende Interessengruppen gegeben, die neue Organisationsformen angestrebt und gefordert haben: klein- und mittelbürgerliche Kräfte einerseits und Vertreter des Monopolkapitals andererseits. Die Zielvorstellungen waren entsprechend grundverschieden. Es waren keine neuen Forderungen, die dabei erhoben wurden, die Wirtschaftskrise hatte sie jedoch im besonderen Maße aktiviert. Es war zweifellos ein Ausdruck der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, daß die Diskussion um „das Ende der liberalistischen Periode des Kapitalismus", die Suche nach „neuen Formen", in dieser Zeit besonders hohe Wellen schlug. 7 Während die einen nun Lösungen durch einen Rückfall in eine vorkapitalistische « Erlaß des Reichs- und Preußischen Wirtscbaftsministers v. 7. Juli 1936 - Nr. IV 18651/36 - , betreffend die Reform der Organisation der gewerblichen Wirtschaft, in.-. Ministerialblatt für Wirtschaft, hg. v. Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministerium, Ausg. A, 37. Jg., Nr. 3/1937, v. 3. 2. 1937, S. 29ff. 7 Vgl. dazu die einschlägige Literatur dieser Zeit, z. B. : Fried, Ferdinand, Das Ende des Kapitalismus, Jena 1931.
Vom „ständischen Aufbau" zur staatsmonopolistischen Organisation der Wirtschaft
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Ständebildung anstrebten, forderten die anderen die Anpassung der Wirtschaftsorganisation an die Strukturen des Monopolkapitals, was auf eine Rationalisierung des Unternehmerverbandwesens unter dem Kommando des Monopolkapitals hinauslief. Die Forderung nach einer ständisch gegliederten Wirtschaft als „neue Wirtschaftsform" wurde insbesondere von mittelständisch orientierten Kreisen erhoben. O. Spann, einer der namhaftesten Ständeideologen, hatte das Anliegen dieser Richtung bereits 1923 formuliert: „Indem jeder Einzelne in einem Ganzen, dem Stande, eingegliedert sich findet, ist er auch in dem Getriebe der Wirtschaft und des Lebens aufgehoben, behütet, von der Ganzheit des Standes und seinen äußeren und inneren Kräften getragen und gestärkt." 8 Die Auswirkungen des kapitalistischen Differenzierungsprozesses, der Konzentrations- und Zentralisationsbewegung des Kapitals, waren die wesentlichsten Triebkräfte dieser Richtung. Entsprechend wurde sie auch von den Schichten vertreten, die sich in ihrer Existenz durch diese Entwicklungsprozesse bedroht sahen. Die NSDAP hatte sich zunächst instinktsicher an diese Schichten gewendet und in ihrem Programm „die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seine Erhaltung" sowie die „Bildung von Stände-und Berufskammern" versprochen. 9 1933 erwarteten ihre klein- und mittelbürgerlichen Wählermassen die Erfüllung dieser Versprechen. Da sie ihre Interessenvertreter auch in den höheren Führungsschichten der Nazipartei hatten, war diese Forderung gleichfalls auch Gegenstand innerer Gruppenkämpfe, die allemal Kämpfe um einflußreiche Positionen waren. Eine besondere Rolle spielten hierbei die Ständevertreter in der Naziführung, O. Wagener und A. v. Renteln. 10 Nach dem Machtantritt Hitlers wurde der seit Dezember 1932 durch v. Renteln geführte „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes" zur führenden Kraft der ständischen Bewegung in der Wirtschaft. Bereits im März/ April gelang es ihm, die Führungspositionen in den Spitzenverbänden des Einzelhandels (Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels) und des Handwerks (Reichsverband des deutschen Handwerks) zu besetzen. 11 Unter diesem Einfluß etablierte sich am 3. Mai der „Reichsstand des deutschen Handwerks" und einen Tag später der „Reichsstand des deutschen Handels". In beiden Gremien, die ohne gesetzlichen Rückhalt, nur unter dem Einfluß des Kampfbundes entstanden waren, wurde v. Renteln zum „Führer" gewählt. 12 Nachdem der Kampfbund auch bei der personellen Gleichschaltung der Industrie- und Handelskammern seinen Einfluß hatte maßgeblich steigern können, wurde v. Renteln am 12. Mai zum Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages ernannt 13 , eine Position, die bereits einen wesentlichen Einfluß auf den industriellen Bereich sicherte. Damit waren eine Reihe von Tatsachen geschaffen worden, die nach dem Willen der Spann, Otbmar, Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft, Leipzig 1923. S. 243. 9 Aus den Punkten 16 und 25 des Programms der NSDAP. 10 v. Renteln war ein enger Mitarbeiter Otto Wageners, beide hatten vor 1933 zum engsten Kreis Hitlers gehört und waren in der Führungsspitze die Träger und Vertreter der Propaganda für eine ständische Neuordnung der Wirtschaft. (Vgl.: Ejemvein-Rothe, Ingeborg, Die Unternehmerverbände von 1933 bis 1945, Berlin(-West) 1965, S. 25f., 191 - Bracher, Karl Dietrich!Sauer, Wo!fgangj Schulz, Gerbard, Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln/Opladen 1960, S. 637. — Gretkopp, Wilhelm, Die große Krise, Düsseldorf 1954, S. 280. 1 1 Dazu: Ohlsen, Manfred, „Ständischer Aufbau" und Monopole 1933/34, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Nr. 1/1974, S. 33.' ¡2 Ebenda, S. 37. 13 Ebenda. 8
126
Die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft"
Ständevertreter die Grundlage für eine ständische Ordnung bilden sollten, in die sich dann — so glaubten sie — die Industrie hätte einfügen müssen. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Einfluß auf große Teile der nichtmonopolisierten Unternehmerschichten. Unzufrieden mit der monopolistischen Führung des RDI, wo sie ihre Interessen nicht angemessen vertreten sahen, glaubten sie in der Ständebewegung offenbar eine tragfähige Basis für ihre Bestrebungen gefunden zu haben. In den dem RDI angeschlossenen Unternehmerverbänden wurde die Unzufriedenheit mit dem RDI immer offener ausgesprochen. Ohlsen stellt dazu fest: „Es waren vor allem solche Mitgliederverbände, in denen das kleine und mittlere Unternehmertum dominierte. Aber auch in vielen anderen Mitgliederverbänden, deren Verbandsführungen vom Monopolkapital und der nichtmonopolistischen Großbourgeoisie beherrscht wurden, trat die Unzufriedenheit kleiner und mittlerer Unternehmer mit den Verbandsführungen offen zutage. In Verkennung der wirklichen politischen Situation glaubten sie, wie die kleinbürgerlichen Gewerbetreibenden, der besonderen Förderung der faschistischen Führung sicher zu sein. Mit der Schaffung des Reichskommissariats für den gewerblichen Mittelstand, zu dessen Leiter der Syndikus der Handwerkskammer Hannover, E. Wienbeck, ernannt wurde, setzte deshalb im März 1933 eine regelrechte ,Flucht in den Mittelstand' ein." 14 Bereits im Februar hatte der „Reichsbund der Deutschen Metallwaren-Industrie" einen Antrag an das RWM gerichtet, den Geschäftsbereich des „in Aussicht genommenen Staatssekretärs für das Handwerk und den Mittelstand" (dann Reichskommissar für den Mittelstand — L. Z.) auch auf die Industrie auszudehnen. In der Vorstandssitzung des RDI vom 17. Februar zur Rede gestellt, erklärte der Vorsitzende des Reichsbundes, der Antrag habe „die Absicht verfolgt zu bekunden, daß nicht nur das Handwerk und der Einzelhandel, sondern auch die Fertigwarenindustrie zum Mittelstand gehören". 15 Dieser Versuch, sich von der Führung durch den RDI zu separieren, blieb offenbar kein Einzelfall, wie u. a. aus der Entschließung des RDI-Präsidiums vom 6. April 1933 zu entnehmen ist. Neben der Mitteilung, daß nunmehr in Zusammenarbeit mit der Regierung und „im 'Einvernehmen mit allen zuständigen Ressortministern" ein Ausschuß gebildet worden sei „zur Vereinfachung und Umgestaltung der Organisationen" , wird schließlich sehr eindeutig festgestellt: „Sonderaktionen dagegen sind seitens aller industriellen Organisationen abzulehnen."16 Das Monopolkapital, als die fortgeschrittenste Form des Kapitalverhältnisses 17 , mußte seiner Natur gemäß grundsätzlich gegen eine Wirtschaftsorganisation nach ständischen Prinzipien sein, da es sich nicht selbst in Frage stellen kann.18 Schließlich sollte diese Orga14
15
16 17
18
Ebenda, S. 33f. — Vgl. auch: Facius, Friedrich, Wirtschaft und Staat. Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945, Boppard (Rhein) 1959, S. 132 = Schriften des Bundesarchivs, 6. Geschäftliche Mitteilungen für die Mitglieder des Keicbsverbandes der Deutseben Industrie (im folgenden: GM), Nr. 5/1933, v. 28. 2. 1933, S. 27f. — Der Reichsbund wurde beauftragt, den Antrag zurückzuziehen, anderenfalls der Vorstand des RDI beim RWM dagegen Stellung nehmen wollte. (Ebenda, S. 28.) Ebenda, Nr. 8/1933, v. 29. 4. 1933, S. 52. (Hervorhebungen im Text.) In seiner Auseinandersetzung mit P. Kijewski stellt Lenin fest: „. . . kein Marxist wird vergessen, daß der Kapitalismus im Vergleich zum Feudalismus und der Imperialismus im Vergleich zum vormonopolistischen Kapitalismus progressiv ist." (Lenin, (F. I., Werke, Bd. 23, Berlin 1957, S. 57.) Ohlsen führt die Gegnerschaft des Monopolkapitals gegen ständische Bestrebungen auf die „Erfordernisse des staatsmonopolistischen Systems des Faschismus und seiner Aufgabenstellung für die Vorbereitung und Durchführung des Krieges" zurück, weil sie dafür „hinderlich" waren, was ohne Zweifel sehr eng gesehen ist. (Ohlsen, Manfred, a. a. O., S. 31.) — Das Monopolkapital (und nicht nur das deutsche) wäre
Vom „ständischen Aufbau" zur staatsmonopolitischen Organisation der Wirtschaft
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nisation nichts anderes bezwecken, als eine Konservierung der gegebenen Verhältnisse, d. h. ein Abstoppen des Konzentrationsprozesses des Kapitals. Wenn dies auch reine Utopie war, so hätte eine wirtschaftspolitische Konzeption dieser Art zumindest temporär eine Einengung der Bewegung und damit auch der Macht des Monopolkapitals mit sich bringen können. Auf beiden Seiten war der Kampf um die ausschlaggebende Position außerordentlich hart. Der dieser Auffassung innewohnenden Tendenz zur Zersplitterung des gewerblich/industriellen Bereichs, zur Abkapslung in „Stände", die zudem noch das Gewicht der großen Zahl füt sich gehabt hätten, stand das Interesse des Monopolkapitals entgegen, das für seine Reproduktionsbedingungen, für die Sicherung von Monopolprofiten, nach der uneingeschränkten Macht über alles Kapital strebt. 19 Mit der Gründung des RDI hatte sich das Monopolkapital, nicht zuletzt durch seine finanziellen Beiträge, eine starke Machtposition im unternehmerischen Verbandswesen geschaffen und konnte von dieser Plattform aus maßgeblichen Einfluß auf die Wirtschaftspolitik der Weimarer Zeit nehmen. Trotzdem boten die Vielzahl der Verbände und das parlamentarische Prinzip noch genügend Spielraum für die Realisierung auch anderer Interessen. Am 1. November 1932 gehörten dem RDI an: „29 Fachgruppen mit über 1500 Fachverbänden; 22 landschaftliche Verbände, unter denen der Verband Sächsischer Industrieller und der Langnamverein besonders hervorragten ; 28 örtliche und allgemeine Verbände, z. B. der Gesamtverband Deutscher Metallindustrieller und der Zweckverband Nordwcstdeutscher Wirtschaftsvertretungen; 64 Industrie- und Handelskammern". 20 Mehr als 1600 Interessenverbände waren im RDI zusammengeschlossen. Krupp, der seit Herbst 1931 an der Spitze des RDI stand, erklärte anläßlich der konstituierenden Sitzung des Ausschusses für allgemeine Wirtschafts- und Sozialpolitik (Reichsstand der Deutschen Industrie) am 18. Oktober 1933 das Interesse der durch ihn vertretenen Kräfte hinsichtlich des Verbandswesens folgendermaßen: „Anknüpfend an Wünsche und Pläne, die ich schon bei der Übernahme des Amtes des Vorsitzenden des Reichsverbandes der Deutschen Industrie hegte und auch ausgesprochen habe, habe ich am 3. Mai die Richtlinien für die Umgestaltung und Vereinfachung des industriellen Verbandswesens bekanntgegeben. Dabei setze ich mir zum Ziele, die mir übertragene Vollmacht dazu zu benutzen, um einmal auf dem Gebiete der industriellen Verbandsorganisation das wirtschaftlich Gegebene mit dem politisch Notwendigen abzustimmen und ferner die neue Organisation in volle Übereinstimmung mit den politischen Zielen der Reichsregierung zu bringen und sie zugleich so rationell und schlagkräftig zu gestalten, daß sie, der großen Bedeutung der Industrie entsprechend, ein wirksames Instrument der industriellen Wirtschaft. . . sein kann." 2 1 In einem Schreiben an Hitler vom 25. 4. 1933 hatte Krupp sehr deutlich erklärt: „Es hieße die Aufgabe der Reorganisation des Verbandswesens zu eng auffassen, wenn ich dabei
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auch ohne Faschismus gegen jede ständische Bestrebung aufgetreten, wenn sie sich ernsthaft hätte etablieren können, aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Kapitalbewegung. Vgl. dazu Marx über die Bildung von Monopolprofiten: Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 3, in: MEW, Bd. 25, Berlin 1968, S. 869. Cutb, Karl, Die Reichsgruppe Industrie, a. a. O., S. 19. Die Industrie im neuen Ketek. Tätigkeitsbericht des Reichsstandes der Deutschen Industrie (wirtschaftspolitische Abteilung) für die Zeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober 1933, hg. v. d. Wirtschaftspolitischen Abteilung, o. 0 . 1 9 3 3 , S. 9.
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Die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft"
lediglich an einen Neuaufbau des Reichsverbandes der Deutschen Industrie denken •würde." 22 Während sich die ständisch orientierten Kräfte auf nachgeordnete Führer stützten und durch „wilde Aktionen" fertige Tatsachen zu schaffen suchten, spannten die monopolistischen und großbourgeoisen Kräfte des RDI, die über den Kepplerkreis und Schacht die unmittelbare Verbindung zu Hitler hatten, die Führungsspitze in ihr Interessenjoch ein. Die folgenden Ereignisse und Daten sprechen eine deutliche Sprache. Am 27. März 1933 war in einer Besprechung zwischen führenden Vertretern des RDI und der Regierung der Beschluß gefaßt worden, einen Ausschuß zu bilden, der die Regierung bei der „Vereinfachung und Umgestaltung der Organisationen" beraten sollte.23 In der Präsidialsitzung vom 6. April wurde Krupp zum „alleinigen Bevollmächtigten für alle . . . zu führenden Verhandlungen und zu treffenden Entscheidungen" in Fragen „Reorganisation der Wirtschaft" ernannt und beauftragt, „die notwendige Fühlung mit dem Herrn Reichskanzler, der Reichsregierung und deren Beauftragten zu halten".24 Am 23. und 27. April untersagte die Parteiführung allen ihren Dienststellen eigenmächtige Eingriffe in die Wirtschaft und in „die Umbildung der Führung der wirtschaftlichen Verbände und Vereinigungen". 25 Zusammen mit der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände rief der RDI dann am 29. April die Unternehmer auf, „dem Feiertag der nationalen Arbeit... in einer . . . entsprechenden Form Ausdruck " zu geben. 26 In einer am 3. Mai erfolgten Besprechung bestätigte Hitler — selbstverständlich für die ministeriellen Instanzen — die alleinige Vollmacht Krupps für alle Reorganisationsfragen. 27 Noch am selben Tage veröffentlichte der RDI eine Erklärung, in der es hieß: „In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der nationalen Regierung und zugleich im Interesse einer — künftig jede Einfeldktion ausschaltenden — gleichmäßigen und straffen Durchführung der vor dem Keicbsverband liegenden Aufgaben wird für die Gesamtorganisation der industriellen Verbände der Führergedanke . . . verwirklicht." 28 Damit war die Entscheidung gegen alle Dezentralisations- und Separationstendenzen im RDI gefallen. Die immer drastischere Einschränkung des Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand und seine schließliche Auflösung am 8. August 1933 zeigt, wie brüchig die Grundlage war, auf der offenbar doch ein erheblicher Teil der nichtmonopolisierten Unternehmer versucht hatte, seine eigenen Interessen gegen die der monopolistischen Führung des RDI durchzusetzen. Die weitere „Reorganisation der Wirtschaft" spielte sich im Interessenbereich der Monopolgruppierungen ab. Die Wirtschaftsminister Schmitt und — nach ihm — Schacht setzten mit staatlicher Vollmacht Monopolinteressen durch. Zuvor erhielt die ständische Bewegung noch ein Staatsbegräbnis erster Klasse, als sich der RDI nach dem Zusammenschluß mit Dok. D-157, in: Der Vro^eß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem InternationalenMilitärgericbtshof Nürnberg, 14. November 1945 - 1. Oktober 1946 (amtlicher Text in deutscher Sprache), Nürnberg 1947-1949, Bd. 35, S. 26 (Hervorhebung durch d. A. — L. Z.) 23 GM, Nr. 8/1933, v. 29.4.1933, S. 51 f., lfd. Nr. 144, 146. - Vgl. auch Darstellung in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland 1830-1945, Bd. 2, Leipzig 1970, S. 611f. M GM, Nr. 8/1933, v. 29. 4.1933, S. 52, lfd. Nr. 146. 25 Abgedruckt in: ebenda, S. 51, lfd. Nr. 144, mit einer Stellungnahme des RDI, indem die für den 3. Mai vorgesehene Unterredung Krupp/Hitler bekanntgegeben und die Verbände ersucht werden, „von Einzelmaßnahmen abzusehen". — Vgl. weiter Kap. 2, Abschnitt 3. » GM, Nr. 8/1933, v. 29.4.1933, S. 52, lfd. Nr. 145. 27 Vgl. dazu -.Deutschland 1933-1939, E. Paterna (u. a.), Berlin 1969, S. 101 u.Fn. 117. 28 GM, Nr. 9/1933, v. 17. 5. 1933, S. 63, lfd. Nr. 180. (Hervorhebung v. A. - L . Z.) 22
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der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände am 19. Juni 1933 zum „Reichsstand der Industrie" deklarierte. 29 Am 6. Juli erklärte Hitler „die nationalsozialistische Revolution" für beendet, ausdrücklich im Interesse der Wirtschaft. Einen Tag später verfügte RWM Schmitt die einstweilige Einstellung des ständischen Aufbaus auf industriellem Gebiet. 30 Das Kräfteverhältnis hatte sich zugunsten des Monopolkapitals stabilisiert, die ständische Bewegung war ausgehöhlt und nur noch eine Attrappe zur Beruhigung ihrer Anhänger.
2. Der „organische" A u f b a u der Wirtschaft Am 27. Februar 1934 wurde das Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der Wirtschaft erlassen, das dem R W M die Befugnis gab, „Wirtschaftsverbände als alleinige Vertretungen ihres Wirtschaftszweiges anzuerkennen, Wirtschaftsverbände zu errichten, aufzulösen oder zu vereinigen, Satzungen und Gesellschaftsverträge von Wirtschaftsverbänden zu ändern und zu ergänzen, insbesondere den Führergrundsatz einzuführen, Unternehmer und Unternehmungen an Wirtschaftsverbände anzuschließen, die Führer von Wirtschaftsverbänden zu bestellen und abzuberufen". 31 Als Wirtschaftsverbände galten „solche Verbände und Vereinigungen von Verbänden, denen die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange von Unternehmern und Unternehmungen obliegt". 32 Damit hatte der R W M die uneingeschränkte Vollmacht erhalten für die Rationalisierung des Verbandswesens, das nunmehr „organisch" aufgebaut werden sollte. In der Begründung des Gesetzes wurde jeglicher Zusammenhang mit einem ständischen Aufbau zurückgewiesen: „Bei dem vorliegenden Gesetz handelt es sich nicht um Durchführungsmaßnahmen für einen ständischen Aufbau der deutschen Wirtschaft, sondern lediglich um Maßnahmen, die vorbereitend einen organischen Aufbau der deutschen Wirtschaft zum Ziele haben. Wie der ständische Aufbau der Wirtschaft auch aussehen mag, seine Voraussetzung ist immer eine straffe, einheitlich und organisch durchgeführte Organisierung der Wirtschaft." 3 3 Die vom R W M Schmitt am 13. März bekanntgegebene Organisationsstruktur sah eine Gliederung der Wirtschaft in zwölf Hauptgruppen vor — als dreizehnte kam die Energiewirtschaft hinzu —, von denen sieben für die verschiedenen Industriezweige und fünf für die übrigen nichtlandwirtschaftlichen Wirtschaftszeige eingeteilt waren. 34 Über diesen Ebenda, Nr. 11/1933, v. 28. 6. 1933, S. 77, 86. - Am 1. 6. 1933 war unter der Leitung von M. Frauendorfer bei der Reichsleitung in München ein „Amt für ständischen Aufbau der NSDAP" gebildet worden. (Ohlsen, Manfred, a. a. O., S. 39.) — Zur „planmäßigen Vorbereitung" des ständischen Aufbaus wurden am 25. 7.1933 „Landesleiter für ständischen Aufbau" ernannt, die in Verbindung mit dem Amt allein zuständig für diese Fragen sein sollten. Begründet wurde die Maßnahme damit, „daß der Gedanke des ständischen Aufbaus von unberufenen Elementen als Deckmantel benutzt wurde, um durch Bildung von wirtschaftlichen Organisationen Sonderinteressen zu verfolgen". (GM, Nr. 14/1933, v. 21. 8. 1933, S. 110, lfd. Nr. 324.) 30 Dazu: Oblsen, Manfred, a. a. O., S. 41. 31 Jahrbuch der nationalsozialistischen Wirtschaft, München 1937, S. 545 — § 1 des Wirtschaftsaufbaugesetzes, a. a. O. 32 Ebenda. 33 Zitiert nach: Oblsen, Manfred, a. a. O., S. 45. 34 Nach Facius war G. Feder der Initiator dieses Strukturplans. (Vactus, Friedrieb, a. a. O., S. 144.) EsenweinRothe folgt dieser Darstellung nicht. (Esenreein-Rotbe, Ingeborg, a. a. O., S. 44.) — Folgende Hauptgruppen 29
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Hauptgruppen, die sich in Fach- und Fachuntcrgruppen gliederten und zu deren Leitern namhafte Kapitalisten berufen wurden, stand ein „Führer der Wirtschaft", der die Gesamtorganisation durchführen sollte. 35 In dieser fachlich-vertikal gegliederten Struktur fehlte die regionale Vertretung, die ansonsten durch regionale Verbände, insbesondere aber durch das Kammersystem wahrgenommen worden war, wobei gerade in den Kammern die kleineren Unternehmer sehr oft eine starke Stellung hatten.36 Die Erklärungen für diese Entwicklung sind unterschiedlich, aber deshalb nicht unbedingt widersprechend, sie sind vor allem lückenhaft und es fehlt eine Untersuchung der ökonomischen Zusammenhänge. Mit dieser Organisationsstruktur war die Stellung des RDI als zentrale Vertretungskörperschaft der Industrie beseitigt. Führer der Wirtschaft war mit Ph. Keßler ein Vertreter der Elektroindustrie geworden. Dieser Aufbau, der zudem die Zwangsmitgliedschaft für waren vorgesehen: I Bergbau, Eisen- und Metallgewinnung, II Maschinenbau, Elektrotechnik, Optik, Feinmechanik, III Eisen-, Blech- u. Metallwarenindustrie, IV Steine und Erden, Holz-, Bau-, Glas- u. keramische Industrie, V Chemische, Papier- u. Papier verarbeitende Industrie, VI Leder-, Textil- u. Bekleidungsindustrie, VII Nahrungsmittelindustrie, VIII Handwerk, IX Handel, X Banken, XI Versicherungen, XII Verkehrswesen, (XIII Energiewirtschaft — kam später hinzu). (Vgl. dazu: Deutschland von 1933-1919, a. a. O., S. 101 u. Fn. 119.). 35
Zum „Führer der Wirtschaft" wurde Philipp Keßler berufen, Vorsitzender des Reichsfachverbandes der elektrotechnischen Industrie EV, Berlin; VdV der Bergmann Elektrizitäts-Werke AG., Berlin. — Leiter der industriellen Hauptgruppen wurden Rudolf Blobm, (Hg. II), Hamburgischer Staatsrat, pers. haft. Gesellschafter der Blohm & Voss, Komm. G. a. A. Hamburg, MdAR Germanischer Lloyd, Berlin; Gottfried Dierig (Hg. VI), MdV der Christian Dierig AG, Langenbielau u. MdAR in sieben großen Textilunternehmen; Krupp v. Sohlen md Halbacb (Hg. I); Albert Piet^scb (Hg. V), 1934 Präsident d. Handelskammer München, Obering. u. ehemals selbst. Unternehmer f. chem.-techn. Erzeugnisse, seit 1925 Mitgl. d. N S D A P und Wirtschaftsfachmann im Stab Hess; Bruno Scbeiler (Hg. VII), Brauereidirektor, Dortmunder Union Brauerei A G . ; Reinbold Thiel (Hg. III), Fabr.besitzet Gebrüder Thiel, G m b H , Ruhla und MdAR der Gothaer Waggonfabrik A.-G., Gotha; Eugen Vogler (Hg. IV), Regierungsbaumeister, V d V d . Hochtief A G für Hoch- u. Tiefbauten vorm. Gebt. Helfmann, Essen, VdAR von fünf (vorwieg. Bau-Unternehmen u. MdAR der Gesellschaft für Teerstraßenbau m. b. H., Essen. — Außer in den Hg. I u. V blieb die Leitung unverändert bis zur Auflösung dieser Hauptgruppen 1938. — Hg. I übernahm Ernst Poensgen, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke A G Düsseldorf u. vielfaches MdAR insbes. in Konzernen der Schwerindustrie; Hg. V : Bernhard Pfoiinbauer, Dir. der Chem. Fabrik E. Merck, Darmstadt. (Angaben nach: Adreßbuch der Direktoren und Aufsichtsräte, Bd. 1,1934; Reicbsgruppe Industrie, 1.1.1936, Verzeichnis; Verzeichnis der Mitglieder der Reicbswirtscbaftskammer und deren Untergliederungen, hg. v. d. RWK, Stand: Febr. 1936, Berlin 1936; Esenwein-Rotbe, ingeborg, a. a. O., S. 190; Deutschland von 1931-1939, a. a. O., S. 101.)
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Ohlsen, der sehr eingehend den Gegensatz der kleinen und mittleren Unternehmer 1933/34 zum Monopolkapital untersucht hat, sieht einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des Gesetzerlasses und der sehr starken Opposition nichtmonopolisierter Unternehmer insbesondere in den sächsischen Industrieund Handelskammern. Der Widerstand gegen die Einstellung des ständischen Aufbaus durch den RWM führte schließlich zur Auflösung des Verbandes Sächsischer Industrieller am 13. 2. 1934 durch die IHK, weil dessen Vorstand „besonders die Interessen des Großkapitals der Leicht- und Fertigwarenindustrie vertrat". Es bedurfte erst des Eingreifens des RWM Schmitt, der die Auflösung auf Intervention des RDI untersagte. ([Ohlsen, Manfred, a. a. O., S. 45.) — Es liegt nahe, daß solche und ähnliche Vorfälle für die Ausschaltung der regionalen Vertretungen im Organisationsschema von Schmitt mitbestimmend waren. — Dazu auch: Deutschland von 1933—1939, a. a. O., S. 102. — Die Vorgeschichte der Entwicklung in Sachsen betr.: Schwar^bacb, Helmut, Die Differenzen zwischen dem Verband Sächsischer Industrieller und dem Reichsverband der deutschen Industrie 1931, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1971, T. 3, S. 75 ff.
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alle Unternehmen vorsah und weitgehend v o n der alten Verbandsstruktur abrückte, war im Grunde sehr viel radikaler als die v o m R D I im Sommer 1933 entwickelten Vorstellungen, die nach Abstrich der ständischen Attribute dann auch ganz wesentlich in die v o n Schacht 1934/35 verwirklichte Struktur eingingen. 3 7 Andererseits war gerade durch die Beseitigung der RDI-Spitze u n d die Aufteilung der Industrie in sieben Hauptgruppen eine Dezentralisierung bewirkt worden, die wie ein Rückschritt z u m vorherigen Stand der D i n g e erscheint, oder auch — das Gegenteil — als ein Schritt zur verstärkten staatlichen L e n k u n g der Wirtschaft gedeutet werden kann. D i e zentrale Spitze wäre in diesem Falle der R W M gewesen, der nicht nur die Industrie, sondern auch die übrigen gewerblichen Z w e i g e in einer Hand zusammengefaßt hätte. 3 8 Wie weit die v o n Schmitt damit angestrebte „straffe Lenkung" v o n oben nach unten mit der v o n der Schwerindustrie geforderten Selbstverwaltung der Industrie harmoniert hätte, muß dahingestellt bleiben. Mit der Schwerindustrie war auch die Reichswehrführung g e g e n diese Aufgliederung. 3 9 D i e v o n Schacht verwirklichte Organisation der Wirtschaft beseitigte die Zersplitterung der Industrie in sieben Gruppen durch ihre Zusammenfassung in der Reichsgruppe In37
Unter Leitung von Dr. Brandl (Gelsenkirchener Bergwerks AG) war für die Vorbereitung des ständischen Aufbaus ein Ausschuß gebildet worden, der Mitte Mai 1933 die Arbeit aufnahm. Das Ergebnis waren 1. ein Organisationsschema für die Industrie, es sah „Land-Wirtschaftskammern" als regionale und „Reichsfachstände" als fachliche Vertretungen vor, an der Spitze den „Reichsstand der Industrie" und eine „Reichswirtschaftskammer"; 2. Richtlinien für den berufsständiseben Aufbau des Reichsstandes der Industrie, nach denen Unternehmer, Arbeiter und Angestellte eingegliedert werden sollten; 3. „ein Vorschlag für einen Gesetzentwurf über den berufsständischen Aufbau der Industrie". Der Abschluß dieser Arbeit erfolgte mit der Bildung des „Reichsstandes der Industrie" am 19. 6. 1933. (Die Industrie im neuen Reicb, a. a. O., S. 15 f.) 38 Bracher/Sauer/Schulz sehen eine offensichtliche Annäherung von „Konzernorganisation und Wirtschaftsverbandsorganisation". Sie verweisen auch auf die Tatsache, daß der zum „Reichsstand der Deutschen Industrie" umbenannte RDI — wie auch die anderen Unternehmerverbände — ihre Tätigkeit in alter Weise fortsetzten. (Bracher, Kar!Dietrich!Sauer, WolfgangjSchulz, Gerbard, a. a. O., S. 652f.) — I. Esenwein-Rothe vertritt ebenfalls die These von der offensichtlichen Prägung des Schmitt'sehen Modells durch die Konzernorganisation. (Esenwein-Rotbe, Ingeborg, a. a. O., S. 40.) 39 Krupp hatte in seinem Brief an Hitler vom 25. 4. 1933, a. a. O-, ganz besonderen Wert auf die „lebendige, wirtschaftliche Selbstverwaltung auf der Grundlage der schöpferischen Kräfte der Einzelpersönlichkeit" gelegt. — Esenwein-Rothe betont den Widerstand der Reichswehrführung gegen das Schmitt'sche Modell, wobei sie sich auf A. Schweitzer stützt. (Esenwein-Rotbe, Ingeborg, a. a. O., S. 46 u. 65.) — Georg Thomas, seinerzeit Chef des Stabes des Heereswaffenamtes, geht in seiner „Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918—1943/45)" (hg. v. Wolfgang Birkenfeld, Boppard a. Rhein 1966) nicht auf diese Frage ein, obwohl nach der Darstellung A. Schweitzers eine von Thomas angefertigte Denkschrift v. 20. 6. 1934 wesentlichen Einfluß auf die Entscheidung Hitlers gegen Schmitt und für Schacht gehabt haben soll. (Schweitzer, Arthur, Die wirtschaftliche Wiederaufrüstung Deutschlands von 1934—1936, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 114, 1958, S. 42.) — Diese Erklärung allein befriedigt nicht, da es Schmitt gerade auf eine „straffe vertikale Gliederung" ankam, was auch durch die fachliche Ausklammerung der regionalen Vertretung deutlich wird. Dagegen ist bemerkenswert, daß in allen einschlägigen Verlautbarungen des RDI und auch des RWM Schacht die „größtmögliche Förderung des kleineren und mittleren Unternehmertums" immer wieder betont und auch gefordert wird. (Zitiert aus einer Ansprache Krupps vom 18.10.1933, in -.Die Industrie im neuen Reicb, a.a.O., S. 12.) Es liegt nahe, daß es nicht auf eine radikale Ausgliederung der Vertretungen der unzufriedenen kleinen und mittleren Unternehmer ankommen konnte, die die vorhandenen Spannungen noch vergrößert hätte, sondern auf einen Kompromiß, der die Führung des Großkapitals sicherte, aber auch den anderen Teilen der Unternehmerbourgeoisie gewisse Rechte zugestand. Dies mußte durchaus auch im Interesse der militärischen Ziele liegen.
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dustrie, in die der „Reichsstand Reichsverband der Deutschen Industrie" — so hieß es in der Verfügung — am 12. Januar 1935 überführt wurde. 4 0 Aus den Hauptgruppen Handel, Handwerk, Banken, Versicherungen, Energiewirtschaft wurden Reichsgruppen. Das Verkehrsgewerbe wurde eigenständig organisiert. Die sieben Hauptgruppen der Industrie blieben bis 1938 als Untergliederung der Reichsgruppe bestehen, hatten aber keine besondere Bedeutung. Eigentliche fachliche Führungsorgane wurden die Wirtschaftsgruppen, in die alle Reichsgruppen unterteilt waren. 4 1 Sie untergliederten sich nach dem Grad der Arbeitsteilung und Spezialisierung der einzelnen Industriezweige in Fach- und Fachuntergruppen. 42 Die Namen der Wirtschaftsgruppen waren zum größten Teil nur andere Bezeichnungen für die alten Verbände. 43 Neben der fachlichen stand die regionale Gliederung, die in Wirtschaftskammern zusammengefaßt wurde. Zu diesem Zweck wurden „14 Wirtschaftsbezirke gebildet. Zwischen diesen und anderen Gebietseinheiten — Reichstreuhänderbezirken, Landesarbeitsamtsbezirken, Wehrkreisen mit Wehrwirtschaftsinspektionen und dergleichen — (bestanden) . . . weitgehende Übereinstimmungen oder Annäherungen". 44 Mitglieder der Wirtschaftskammern waren die im Wirtschaftsbezirk bestehenden fachlichen Gruppen, die Industrieund Handelskammern, die Handwerkskammern und die Organisation des Verkehrsgewerbes. Entsprechend bestand in den Wirtschaftskammern eine Industrieabteilung 45 , eine Handelsabteilung, eine IHK-Abteilung und eine Handwerkskammerabteilung, verschiedentlich auch Energiewirtschaftsabteilungen. Diese Abteilungen wiederum faßten die « AO d. RWM v. 12. 1. 1935, abgedruckt in: Gutb, Karl, a. a. O., S. 14f. Die Reichsgruppe Handwerk wich im Aufbau ab, sie gliederte sich in 53 Reichsinnungsverbände, zusammen mit dem Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag, der Spitzenorganisation der Handwerks- und Gewerbekammern (regionale Vertretung), bildete sie den Reichsstand des deutschen Handwerks. An dessen Spitze stand der Reichshandwerksmeister, der in den Wirtschaftsbezirken von dem Landeshandwerksmeistern vertreten wurde. (Vgl. dazu: Jabrbucb der nationalsozialistischen Wirtschaft, a. a. O., S. 557ff.) ® Die Wirtschaftsgruppen konnten sich auch bezirklich untergliedern, „wenn ein zwingendes wirtschaftliches Bedürfnis" bestand, ebenso die Fach- und Fachuntergruppen. (Ebenda, S. 545.) — Mit am stärksten war die Wirtschaftsgruppe Textilindustrie gegliedert, sie hatte 24 Bezirksgruppen, -Untergruppen und Zweigstellen und gliederte sich in 13 Fachgruppen, 49 Fachuntergruppen, 14 Fach- und Fachunterabteilungen und 32 Bezirksgruppen von Fach- und Fachuntergruppen. Mit am geringsten war die Wigr. Luftfahrtindustrie gegliedert, die nur 4 Fachabteilungen hatte: Flugzeugbau, Flugmotorenbau, Luftfahrtausrüstung, Luftschiffbau. (Gliederung der Reicbsgruppe Industrie, 3. Ausg. April 1941, Berlin, S. 15 u. 109.) ö In die Wirtschaftsgruppe (Wigr.) Bergbau ging die Fachgruppe Bergbau beim RDI ein; in die Wigr. Eisenschaffende Industrie der Verein Deutscher Eisen- und Stahl-Industrieller und die Fachgruppe Eisen schaffende Industrie beim RDI; in die Wigr. Metallindustrie der Metallbund, der Zentralverband der Deutschen Metallwalzwerks- und Hüttenindustrie; in die Wigr. Maschinenbau der Verein Deutscher MaschinenbauAnstalten; in die Wigr. Elektroindustrie der Zentralverband (dann:) Reichsfachverband der Deutschen elektrotechnischen Industrie; in die Wigr. Holzverarbeitende Industrie der Wirtschaftsverband der Deutschen Holzindustrie in die Wigr. Chemische Industrie der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands. Nur wenige Wigr., wie z. B. die Kraftstoffind., waren neue Zusammenfassungen. (Nach: Gutb, Karl, a. a. O., S. 37f.) 41
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Piet^scb, Albert, Die Organisation der gewerblichen Wirtschaft, Berlin 1938, S. 18. — Es gab insgesamt 18 Wirtschaftskammern, da in 4 Bezirken zwei Wirtschaftskammern gebildet worden waren. Mit dem Reformerlaß vom 7. 7. 1936 waren die Bezirksgruppen der Reichsgruppe Industrie in Industrieabteilungen der Wirtschaftskammern umgebildet worden. — In die Industrieabteilungen waren die regionalen Unternehmerverbände eingegliedert worden. {Gutb, Karl, a. a. O., S. 37.)
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einschlägigen Gliederungen des Bezirks zusammen und vertraten regionale Interessen. Als Spitze dieses ganzen Mammutbaues war die Reichswirtschaftskammer eingerichtet worden, die nun die sechs Reichsgruppen, die 18 Wirtschaftskammern, die 90 IHK sowie die 59 Handwerkskammern und die Organisation des Verkehrsgewerbes zusammenfaßte.46 Die bedeutendste Gliederung war die Reichsgruppe Industrie. An ihrer Spitze stand nach anfänglichem Wechsel ab 1938 Wilhelm Zangen, Generaldirektor der MannesmannRöhren-Werke.47 In 31 Wirtschaftsgruppen und 18,1939 26 Industrieabteilungen gegliedert, unterstand ihr die gesamte Industrie. Die Bestrebungen der RDI-Führung waren erfüllt. Statt ca. 1600 Verbänden, die auf Grund freiwilliger Vereinbarungen und als selbständige Organisationen zusammenarbeiteten, umfaßte die Reichsgruppe nach dem Stand vom Juni 1939 insgesamt 827 Gliederungen, die in 530 Geschäftsstellen verwaltet wurden. 48 Zwangsmitgliedschaft und Führerprinzip vervollständigten das Ergebnis. Da die Mitgliedschaft in den Fachverbänden durch die Produktion bestimmt wurde, war es insbesondere den Konzernen möglich, ihre Interessen in mehreren Gruppierungen zu vertreten. 49 Die Reichsgruppe war den Wirtschaftsgruppen übergeordnet, diese wieder den Fachgruppen und die Fachgruppen den Fachuntergruppen. Auf Grund dieses Überordnungsverhältnisses waren die Leiter der Gruppen „im Rahmen ihrer Aufgaben befugt, ihren nachgeordneten Gruppen Weisungen zu erteilen und von ihnen Auskünfte einzufordern". 50 Die Leiter wurden vom Reichswirtschaftsminister (Reichs- und Wirtschaftsgruppen) und vom Leiter der Reichsgruppe (Fach- und -Untergruppen) ernannt. Sie waren ehrenamtlich tätig, d. h. sie blieben dabei aktive Unternehmer oder Manager. An der Spitze der Gruppen standen namhafte Kapitalisten. 51 Es ist bezeichnend für den Wert dieser Funktionen, daß z. B. der Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG, Dr.-Ing. Ernst Poensgen, in Personalunion folgende Funktionen ausübte: Leiter der Hauptgruppe I, Leiter der Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie, Leiter der Bezirksgruppe Nordwest dieser Wirtschaftsgruppe, Leiter der Industrieabteilung der Wirtschaftskammer Düsseldorf, Mitglied des Beirates und des Großen Beirates der Reichsgruppe Industrie.52 46 Dazu: Piet^scb, Albert, a. a. O., S. 19. — Leiter der Reichswirtschaftskammer wurde zunächst Ewald Hecker, Präsident der IHK Hannover u. VdAR der Ilseder Hütte, Peine, sowie mehrfaches MdAR verschiedener Kapitalgesellschaften. Ab 1936 übernahm A. Pietzsch die Leitung der RWK. 47 Erster Leiter war für wenige Monate E. Hecker, ihm folgte Ernst Trendelenburg, Staatssekretär im RWM von 1923 bis 1932, VdAR der Reichs-Kredit-Gesellschaft AG, der Vereinigten Industrie-Unternehmungen AG. 1936 übernahm G. Dierig bis 1938 die Leitung. 48 Gliederung der Keicbsgruppe Industrie, 2. Ausg., Juni 1939, Leipzig 1939, S. 6. — Zu dieser Zeit hatte die Reichsgruppe Industrie 23 Industrieabteilungen mit 51 Zweig- und Nebenstellen, 31 Wirtschaftsgruppen mit 162 Fachgruppen, 143 Fachuntergruppen und 417 Bezirksgruppen, Zweigstellen und Bezirksfachgemeinschaften der Wirtschaftsgruppen, Fachgruppen u. Fachuntergruppen. 1938/39 waren durch „Organisationsvereinfachung" die 7 Hauptgruppen 72 Fachgruppen und 323 Fachuntergruppen aufgelöst worden, dagegen hatten sich die bezirklichen Gliederungen seit 1938 (durch die Besetzung von Österreich u. Teilen der CSR) um 184 vermehrt. (Ebenda). 4 9 Die Mitgliedschaft in den Wirtschaftsgruppen war nach der Produktion festgelegt. Ein Unternehmen, das in mehreren Produktionszweigen tätig.war, war Hauptmitgjied in der Wigr., die dem Schwergewicht der Produktion entsprach, und Facbmitglied in den übrigen Wigr. bzw. Listenmitglied, wenn es sich nur um eine unbedeutende Nebenproduktion handelte. (Nach dem Reformerlaß v. 7. 7. 1936, a. a. O.) 60 Gutb, Karl, a. a. O., S. 32. 51 Vgl. Anlage-Dok. Nr. 1, Verzeichnis der Leiter der Wigr. usw. der Reichsgruppe Industrie (Anhang, Abschn. 2). 52 Gliederung der Keicbsgruppe Industrie, 1. Ausgabe 1936; 2. Ausgabe 1939; 3. Ausgabe 1941.
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Die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft
Die „Organisation der Wirtschaft" (OGW) arbeitete nach dem Prinzip der „Selbstverwaltung" s3, und sie waren als „verlängerter Arm des Staates" tätig. 54 Das heißt, ihre Leitung lag nach wie vor fest in den Händen der Unternehmer bzw. Konzernmanager, die nun auch staatliche Vollmachten besaßen, was sich in der Ausweitung der Funktionen ausdrückte. Zu den alten Verbandsaufgaben waren neue Aufgaben hinzugekommen, vor allem im Rahmen der Devisen- und Materialbewirtschaftung, der Rohstoffzuteilung, der Rationalisierung im Kostenbereich der Betriebe (Vereinheitlichung der Buchführung, Einführung neuer Techniken), der Kartellaufsicht und nicht zuletzt der Bereitstellung einer ausführlichen Wirtschaftsstatistik, die für die Rüstungsplanung, für die „wehrwirtschaftliche" Planung und für die Vierjahresplanung von erheblicher Bedeutung war. 55 Die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft", wie sie von Schacht nach den Vorstellungen des RDI-Präsidiums verwirklicht wurde und wie sie auch am Ende aller Auseinandersetzungen und Bestrebungen stand, war die Umwandlung der alten Unternehmerverbände in staatsmonopolistische Organe, in denen sich monopolistische und staatliche Regulierung direkt verbanden. Durchgesetzt hatten sich die Kräfte, die, 1933 von Krupp und ab Mitte 1934 von Schacht vertreten, eine Rationalisierung des Verbandswesens gefordert hatten. Bei dieser ganzen Entwicklung, bei der schließlichen Ausformung der Struktur sowie der übertragenen Aufgaben haben neben den verschiedensten Bestrebungen auch die Auswirkungen der Krise eine wesentliche Rolle gespielt. Auf einige Zusammenhänge soll im folgenden eingegangen werden. Zu den verschiedenen grundsätzlichen Faktoren jedoch, die diese Entwicklung und das Resultat letztendlich beeinflußt haben, gehörten immer wieder die Erfahrungen des ersten Weltkrieges und die Vorbereitung der Wirtschaft auf einen neuen Krieg. 56
3. Das Zwangskartellgesetz von 1933 Die Gesetze zur Errichtung von Zwangskartellen vom 15. Juli 1933 waren in direkter Zusammenarbeit zwischen RDI und RWM auf der Grundlage von Vorgaben entstanden, die der Kartell-Ausschuß des RDI unmittelbar zuvor ausgearbeitet hatte. Dieser Ausschuß war eigens neu gegründet worden, hatte am 14. Juni 1933 seine Arbeit aufgenommen und bereits am 4. Juli dem Reichswirtschaftsminister „Richtsätze für eine neue Kartellgesetzgebung" vorgelegt. Dieser erklärte sich nach der Darstellung des RDI „mit diesen Richtsätzen einverstanden und beauftragte sein Ministerium, unverzüglich eine neue Kartellgesetzgebung auf dieser Grundlage auszuarbeiten. Bereits am 15. Juli d. J. erfolgte die Ver3 Guth, Kar/, a. a. O., S. 30. * Ebenda, S. 31 (Hervorhebung im Text.) s Die Arbeiten auf statistischem Gebiet waren so umfangreich, daß 1938 die bis dahin vom Statistischen Reichsamt durchgeführte Industrieberichterstattung auf die Wirtschaftsgruppen überging. Die DAF übertrug ihre Arbeitszeitstatistik ebenfalls auf die Reichsgruppe Industrie. Fachliche Statistiken wurden von den Wirtschaftsgruppen und Fachgruppen, allgemeinere oder regionale durch die Industrieabt. der Wirtschaftskammern bearbeitet. (Vgl. ebenda, S. 48f.; Esemvein-Retbe, Ingeborg, a. a. O., S. 88f.). 66 1937 hatte Schacht in einem Schreiben an den Leiter der RWK, A. Pietzsch, die verstärkte Einbeziehung der OGW in die wehrwirtschaftlichen Vorbereitungen des Krieges angeordnet. (Abgedruckt in: Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges, hg. u. eingel. v. Dietrich Eichholtz u. Wolfgang Schumann, Berlin 1969, S. 157f.)
Das Zwangskartellgesetz von 1933
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kündung und Inkraftsetzung dieser neuen Gesetze".57 Der Reichswirtschaftsminister erhielt weitreichende Vollmachten. Er konnte „unter bestimmten Voraussetzungen die Errichtung neuer Unternehmungen, die Erweiterung des Geschäftsbetriebes oder der Leistungsfähigkeit bestehender Unternehmungen für eine bestimmte Zeit. . . (verbieten) oder von einer Einwilligung abhängig (machen). Auch der Umfang der Betriebsausnutzung . . . (konnte) geregelt werden. . . . Schließlich . . . (hatte) sich der Reichswirtschaftsminister unmittelbar das Recht vorbehalten, Verträge oder Beschlüsse ganz oder teilweise für nichtig zu erklären", was zuvor nur über das Kartellgericht möglich war. 58 Es waren im Grunde drei Maßnahmepakete, die in diesem Gesetz vereinigt waren: Erstens konnte der Reichswirtschaftsminister durch Investitions- und entsprechende Verbote — die in der Praxis auch eine lange Liste ergeben haben 59 — den Zuwachs von Kapazität dort verhindern, wo er nicht erwünscht war. Zweitens war er durch sein direktes Eingriffsrecht in bestehende Kartellabsprachen befugt, bestehende Kartelle einzuschränken oder auch aufzulösen. Drittens gab das Gesetz die Handhabe Zu Zwangszusammenschlüssen bzw. zu Zwangsanschlüssen von Außenseitern.60 Diese nach den Richtsätzen des RDI angehäuften Vollmachten in der Hand des Reichswirtschaftsministers räumten diesem weitgehende Eingriffsrechte in die Profitbedingungen des Kapitals ein. Was konnte zu dieser Entwicklung geführt haben? Hier ist es nur möglich, auf einige Zusammenhänge hinzuweisen. Das Interesse an einer Lenkung der Kapazitätsentwicklung in der Industrie bzw., wie es in der Textilindustrie lange geschah, an der Regulierung des Ausnutzungsgrades vorhandener Kapazitäten ist unschwer aus der Situation zu erklären. Die Kapazitäten der Industrie hatten schon in den zwanziger Jahren nicht mehr ausgelastet werden können und die Krise hatte diese Situation noch verschärft. Hinzu kam dann die Devisenknappheit, die eine Regulierung schon 1931 erforderlich gemacht hatte, was sich aber — wie noch ausgeführt wird — mit der unterschiedlich verlaufenden binnen- und außenwirtschaftlichen Entwicklung schon 1932 als unzureichend erwies. Die Textilindustrie importierte 90 bis 100 Prozent ihres Rohstoffbedarfs und beanspruchte etwa die Hälfte des gesamten Devisenbedarfs für Rohstoffe. Die Vollmachten des Reichswirtschaftsministers sollten eindeutig dazu dienen, die Errichtung neuer Produktionskapazitäten und,damit auch die Entstehung neuer Konkurrenzbedingungen gegebenenfalls zu verhindern sowie in bestimmten Bereichen — und hier war vor allem die Textilindustrie betroffen — den Ausnutzungsgrad vorhandener Kapazitäten und so den Rohstoffverbrauch zu regulieren. Die Eingriffsrechte in Kartellabsprachen etc. sind ohne Zweifel komplizierter zu deuten. Sie hängen aber offensichtlich mit Bestrebungen zusammen, die in der nichtmonopolisierten Industrie, verbunden mit Dezentralisierungstendenzen sofort 1933 hervortraten, zumeist unter dem Banner der „ständischen Vertretung", deren realer Kern jedoch nicht selten Preisabsprachen und neue Kartelle waren. So heißt es z. B. in einer Darstellung zur EntDie Industrie im neuen Reich, a. a. O., S. 44. Ebenda. 59 Auf Grund § 5 der Zwangskartell-VO waren z. B. nach dem Stand v. 31. 1. 1937 noch immer 33 Gewerbe betroffen, deren „Errichtung, Wiedereröffnung oder Erweiterung verboten oder von einer Einwilligung abhängig" war. (Vgl. Jahrbuch der nationalsozialistischen Wirtschaft, a. a. O., S. 554f.) — Daneben gab es noch die generelle Regelung der „Spinnstoffwirtschaft", die durch die Faserstoffverordnung v. 19. 7. 1934 (RGBl., 1. T., 1934, S. 713) und ab 6. 12. 1935 durch das Spinnstoffgesetz (Ebenda, 1. T., 1935, S. 1411) hinsichtlich Auslastung, Rohstoffverbrauch etc. reguliert wurde. 60 Gesetz über Änderung der Kartellverordnung v. 15. 7. 1933. (Ebenda, 1. T., 1933, S. 487), Gesetz übet die Errichtung von Zwangskartellen v. 15. 7. 1933. (Ebenda, S. 488).
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wicklung der Unternehmerverbände im Jahre 1933: „Soweit die Untergliederungen in Frage kamen, waren besonders in der Industrie Fachverbände aller Art und vor allem auch sehr viele marktordnende Verbände (Kartelle) unter Berufung auf den ständischen Aufbau fester zusammengeschlossen oder auch neu gebildet worden und überall in der Form von .Fachschaften', .Reichsfachgruppen', .Reichsfachschaften' usw. an die Öffentlichkeit getreten. Diese Fachschaften setzten sich ebenfalls einheitlich aus Unternehmern zusammen, und ihre praktische Tätigkeit beschränkte sich zunächst nur zu oft auf die Festsetzung möglichst hoher und auskömmlicher Verbandspreise."61 Hier wird eine Entwicklung aufgezeigt, die nicht im Interesse des RDI lag, weder die Dezentralisierungsbewegung, noch die schnelle Preiserhöhung. Im Tätigkeitsbericht des Reichsstandes der Deutschen Industrie für die Zeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober 1933 heißt es zur Preisentwicklung: Es „ergaben sich in letzter Zeit zahlreiche 'Beschwerden über untragbare Preiserhöhungen durch Kartelle. Der Reichswirtschaftsminister hatte Veranlassung, in einem besonderen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Schreiben an die Spitzenverbände vom 30. August d. J. auf diese Vorgänge hinzuweisen".62 Die Grundsatzhaltung des Präsidiums zur Preisentwicklung wurde dabei folgendermaßen formuliert: „So sehr es im Interesse von Gesamtwirtschaft und Gemeinwohl liegen muß, geordnete und gesicherte Zustände auch in der Industrie herbeizuführen, die eine Erhaltung und Gesundung der Betriebe gestatten, so ist es andererseits nicht möglich, derartig große Ziele von heute auf morgen zu erreichen. Wenn eine Industrie in den letzten Krisenjahren unter ständigem Preisverfall zu leiden hatte, ist es nicht angängig, einen solchen Preisverfall von Jahren in Monaten auszugleichen. Aus Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls und auch vom Standpunkt der betreffenden Industrien aus ist deshalb größte Vorsicht in der Preisstellung geboten. Nach wie vor muß das Streben darauf gerichtet sein, eine Rentabilität in erster Linie durch eine Senkung der selbst zu bestimmenden und der von außen dem Betrieb auferlegten Kosten zu erreichen. Jede Erhöhung der Preise muß auf die Kaufkraft der Abnehmer und die Gesamtwirtschaft sowie das Gemeinwohl Rücksicht nehmen." 63 Wie bereits gezeigt, lag das deutsche Preisniveau im Vergleich zum Weltmarkt und auch verglichen mit anderen kapitalistischen Ländern relativ hoch. Wirft man einen Blick auf die Tabelle 27 a Die Entwicklung der deutschen Großhandelspreise Jahr
1928 1932 1933
1928-1933 (1928= 100)
insgesamt
ind. Rohstoffe und Halbwaren insEisenMetalle Texgesamt rohst. außer tilien Eisen
Häute Leder
ind. Fertigwaren insProd. gesamt mittel
Konsumgüter
100 69,0 66,6
100 66,1 65,9
100 39,9 39,3
100 74,3 71,1
100 67,2 63,9
Berechnet nach: ERKA-Bericbt,
100 80,6 79,5
100 47,6 48,2
100 39,3 40,8
100 86,4 83,4
erstes Halbjahr 1934, S. 32.
Bardej, Emil, Die Neuordnung der Industrie innerhalb der Organisation der gewerblichen Wirtschaft, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 142, Jena 1935, S. 317. 62 Die Industrie im neuen Reich, a. a. O., S. 46 (Hervorhebung im Text.) 63 Ebenda, S. 45f. 61
Das Zwangskartellgesetz von 1933
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Entwicklung der deutschen Großhandelspreise, so zeigt es sich, daß die Preise für Eisenrohstoffe und Eisen sowie für Produktionsmittel in der Krise am wenigsten nachgegeben hatten (Vgl. Tabelle 27 a). Das Interesse an Preissteigerungen war sicher überall dort sehr stark, wo die Preise am stärksten gefallen waren. Da es zwischen den Unternehmerverbänden und den Kartellen keine grundsätzliche Trennung gab, insbesondere Fachverbände sehr oft auch Kartellfunktionen hatten, verband sich mit der ständischen Bewegung offensichtlich auch das Bestreben, über entsprechende Absprachen zu höheren Preisen zu gelangen. Damit verstärkte sich wiederum die Dezentralisierungsbewegung im RDI. Statt einer Vereinheitlichung, wie sie vom Präsidium angestrebt wurde, entstanden offenbar noch mehr Verbände. Der RDI hatte Mitte 1933 seine Mitgliederverbände nicht in der Hand, das wurde bereits dargelegt. Die Neubildung von Kartellen in der Form neuer Fachverbände usw. zu unterbinden, das mag ein wesentlicher Grund für das Gesetz und auch für die Eile gewesen sein, mit der es vorgeschlagen und verabschiedet wurde. Aber der RDI hatte auch kein Interesse an allzustarken Auftriebstendenzen in der Preisentwicklung. Unter den Gründen, die hierbei eine Rolle spielten, stand der Lohnstop sicher mit an erster Stelle. Wie die Entwicklung der Preisbewegung bis 1939 zeigt, ebenso alle Maßnahmen, die für diesen Bereich ergriffen wurden, ist auf eine Stabilisierung des Preisniveaus hingearbeitet worden. 64 Der Reichswirtschaftsminister übte die Kartellaufsicht bis 1936 aus. Für die neuen Wirtschaftverbände waren „bis zum Erlaß anderweitiger Anordnungen marktregelnde Maßnahmen" grundsätzlich untersagt. 65 Diese kamen mit dem Erlaß des R W M vom 12. November 1936, der die „Organisation der gewerblichen Wirtschaft" den Kartellen überordnete und die Übertragung der Kartellaufsicht auf die Reichswirtschaftskammer, die Reichsgruppen Industrie und Handel sowie auf die Wirtschaftsgruppen und -kammern anordnete. Die Wirtschaftsgruppen wurden verpflichtet, Kartellverzeichnisse zu führen, und erhielten dazu das Recht, „von ihren Mitgliedern und deren marktregelnden Verbänden, soweit diese Verbände dem deutschen Recht unterstehen, Auskünfte darüber (zu)verlangen, welche marktregelnden Vereinbarungen im einzelnen bestehen, welche Mitglieder den einzelnen Vereinbarungen angehören und welche Vertragspflichten den Mitgliedern daraus erwachsen". 66 Die Reichswirtschaftskammer sowie die Reichsgruppen Industrie und Handel erhielten das Recht, an allen Sitzungen teilzunehmen, auf denen marktregelnde Maßnahmen besprochen, vorbereitet oder abgeschlossen wurden, und Einspruch dagegen zu erheben, wenn die Absprachen ihren Vorstellungen zuwiderliefen. Mit diesem Erlaß erhielten die Wirtschaftsgruppen außerdem die Aufgabe, „Anträge auf Errichtung von Zwangskartellen und Erlaß von Errichtungs- und Erweiterangsverboten" vorzuprüfen und mit ihrer Stellungnahme dem R W M zur Entscheidung vorzulegen. 67 Damit waren die Vollmachten, die das Präsidium des RDI Mitte 1933 dem Reichswirtschaftsminister mit dem Kartellgesetz eingeräumt hatte, wieder in die Hände der Kapitalst Dazu Kap. 9 Abschnitt 3 b). 65 Dazu „Reformerlaß" v. 7. 7. 1936, a. a. O., S. 34. - Die OGW hatte nur die Aufgabe, ihre Mitglieder in Kartellfragen zu betreuen. (Ebenda). — Im Erlaß des RWM v. 12. 11. 1936, der die „Zusammenarbeit mit der Organisation der gewerblichen Wirtschaft und ihr Verhältnis zu marktregelnden Verbänden" regelte, wurde festgestellt, daß eine Aufhebung des Verbots „marktregelndet Maßnahmen" für die OGW bald zur Durchkartellierung der Wirtschaft führen würde, wodurch es nicht mehr möglich sein, „Löhne und Preise in der gegenwärtigen Höhe und in ihrem Verhältnis zueinander zu erhalten". (Ebenda, S. 37). 66 Ebenda. 6 7 Ebenda. 10
Nussbanm/Zumpe, Bd. 3
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Vertreter zurückgelegt worden. Inzwischen hatten sich die Machtverhältnisse in den Unternehmerverbänden stabilisiert, die „ständische Bewegung" hatte ausgespielt, und die Vertreter des Großkapitals hielten alle entscheidenden Positionen in ihren Händen. Es wäre dem Reichsverband bzw. Reichsstand der Deutschen Industrie 1933/34 nicht möglich gewesen, sich eine solche Machtfülle anzueignen. In dieser Zeit war die Unruhe und Unzufriedenheit noch zu groß, die sich gegen die Konzernvertreter im RDI-Präsidium bzw. in den Leitungen der großen Unternehmerverbände richtete. So war der Reichswirtschaftsminister die geeignete Instanz, die Konkurrenzbedingungen, insbesondere in der Kapazitäts- und Preisentwicklung, aber auch in der Kartellentwicklung überhaupt, wie sie sich im Zusammenhang mit den ständischen Bestrebungen ergab, im Interesse des Großkapitals und der Aufrüstung zu regulieren. Mit dem Erlaß vom November 1936 kontrollierten die Spitzengremien der Wirtschaftsverbände die gesamten Kartelle und Kartellabsprachen und entschieden mit ihren Stellungnahmen für oder gegen eine Entwicklung bzw. modifizierten sie in ihrem Interesse. 68 Der Reichswirtschaftsminister garantierte mit seiner staatlichen Vollmacht und mit seiner Entscheidung, daß die Entwicklung dann tatsächlich auch in den vorgegebenen Bahnen ablief bzw. das Gesamtinteresse des Kapitals gewahrt blieb.
4. Überwachungs- und Prüfungsstellen für den Außenhandel Die fachliche Durchgliederung der Wirtschaftsverbände und ihr „organischer" Zusammenschluß mit dem Kammersystem erfolgte in einer Zeit, als auch die außenwirtschaftlichen Beziehungen durch den sogenannten Neuen Plan umfassend reguliert wurden. Wesentliche Bestandteile dieses neuen Systems von Maßnahmen waren einmal die mittels Devisenbewirtschaftung ausgeübte Importkontrolle und die Bewirtschaftung der Rohstoffe und zweitens die gezielte Exportförderung. Die Devisen- und Rohstoffbewirtschaftung oblag eigens dafür eingerichteten Überwachungsstellen, die 1939 in Reichsstellen umbenannt wurden 69 , während für die Exportkontrolle 1935 Prüfungsstellen eingerichtet wurden. Beide Einrichtungen sollten zur Verbesserung der Devisenbilanz beitragen. Die Devisenbewirtschaftung war bereits mit der Notverordnung vom 1. 8. 1931 eingeführt worden 70 , als nach dem großen Bankenkrach die Abforderung der Kredite vom Ausland enorm verstärkt wurde und der deutsche Devisenbestand rapide abnahm. Sämtliche Devisengeschäfte, Forderungen in Devisen, Verfügungen über Devisen etc. wurden damit der Reichsbank unterstellt und von ihr überwacht. „Ihr unmittelbarer Zweck" — schreibt Puchert über die Notverordnung — „war die Verhinderung oder zumindest Behinderung eines weiteren Abzugs ausländischer Kredite sowie der Kapitalflucht. Zugleich wirkte sich die Einführung der Devisenzwangsbewirtschaftung auf den deutschen Außenhandel „Die Selbstverwaltung der Wirtschaft soll sich mit dafür verantwortlich fühlen, daß die marktregelnden Verbände sich bei allen ihren Maßnahmen in Übereinstimmung mit der wirtschaftspolitischen Linie der Reichsregierung halten. Marktregelnden Verbänden kann eine auf das Gesamtwohl abgestellte Regelung des Marktes in geeigneten Fällen überlassen werden, dagegen ist eine Verfolgung eigennütziger Bestrebungen unter allen Umständen zu verhindern." (Ebenda.) Lenin, W. /., Werke, Bd. 22, a. a. O., S. 244. — Zur Bedeutung des Kapitalexports, seine Einordnung in die Außenwirtschaftsbeziehungen, im Verhältnis zum Warenexport, Ntssbaum, Helga, Außenhandelsverflechtung . . . , a. a. O., S. 33ff.
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hohen Schutzzollmauern, Sicherung von ausländischen Rohstoffquellen durch Kauf oder Kapitalbeteiligung, Errichtung von Produktionsstätten, Tochtergesellschaften etc. und Einflußnahme überhaupt auf die Regierungen und auf die politische Entwicklung in schwächeren Ländern durch ökonomische Mittel und Machtstellungen, alles dies sind Gründe, weshalb der Kapitalexport besonders kennzeichnend für das imperialistische Stadium des Kapitalismus ist. In den zwanziger Jahren hatte Deutschland mehr Kapital importiert als exportiert, es war zu einem großen Schuldnerland geworden. „Von der Weltfinanzkrise bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges waren die internationalen kapitalistischen Kreditbeziehungen desorganisiert und die Voraussetzungen für größere Leihkapitalexporte nicht mehr gegeben." 8 1 Nach einer zusammenfassenden Untersuchung von H. Radandt hatten die ausländischen Kapitalanlagen der vier imperialistischen Hauptländer 2wischen 1929 und 1938 bis auf Deutschland eine rückläufige Entwicklung. 8 2 Im März 1931, noch vor Ausbruch der Finanzkrise, waren große Mengen deutschen Kapitals in die Schweiz gebracht und dort über die Gründung von Holdinggesellschaften den deutschen Konzernen wieder zugänglich gemacht worden. 8 3 Für die Zeit des Faschismus ist exaktes Material zum Kapitalexport kaum vorhanden. Alle Angaben dazu beruhen auf Schätzungen. J . Kuczynski schätzt den deutschen Kapitalexport von 1933 bis 1939 auf fünf Mrd. RM. 8 4 Nach Erhebungen und Berechnungen in der BRD wurden die deutschen Auslandsanlagen für das Jahr 1938 auf 15 bis 20 Mrd. R M geschätzt. 85 Für die Interessen des deutschen Monopolkapitals gab es allein schon auf Grund der Rohstofflage und des allgemeinen Zollkrieges Faktoren genug, die dem Kapitalexport eine große Bedeutung für die Repr : oduktions- und Profitbedingungen zuwiesen. Andererseits waren die anhaltend deflationistischen Tendenzen in den internationalen Kapitalbeziehungen, wie überhaupt die deutsche Verschuldung keine optimale Vorbedingung für einen offenen bzw. offiziellen Kapit3lexport. Ergänzt oder erschwert wurden diese Bedingungen durch die starke Regulierung des Kapitalmarktes in Deutschland und natürlich durch die zentralisierte Bewirtschaftung des. gesamten Außenhandels, die einen Kapitalexport über Warenlieferungen äußerst erschwerte. 86 Trotzdem' wurde auch hier, insbesondere mit Hilfe des Lieferantenkredits, Kapitalexport vorgenommen; in der Hauptsache war es aber viel mehr Kapitalabwanderung. Der Devisenerlös aus Warenlieferungen verblieb im Ausland. In Anbetracht der deutschen Devisenknappheit wurde diese „Kapitalflucht" sofort in die Devisenbewirtschaftung einbezogen. Die Reichsregierung hatte 1931 im Zusammenhang mit der Devisenbewirtschaftung entsprechende Maßnahmen ergriffen, so daß die Kapitalwanderung nach dem Auslande Neblí, Katja, Zur Bewegung der Kapitalesporte des deutschen Imperialismus, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1963, T. 4, S. 79. 82 Radandt, Hans, Zum Kapitalexport der imperialistischen Hauptländer bis 1945, in: Ebenda 1971, T. 4, S. 51. — Für Deutschland werden die Avslaridskapitalanlagen für 1929 mit 10 und für 1938 mit 20 Mrd. RM angegeben. (Ebenda) 83 Neb/s, Katja, a. a. O., S. 79. 84 Kuczynski, Jürgen, Lage der Arbeiter, Bd. 6: a. a. O., S. 25. — Dazu auch: Politische Ökonomie des beutigen Monopolkapitalismus, Berlin 1972, S. 536; hier wird der Kapitalexport Deutschlands für 1938 auf nur eine Mrd. Dollar geschätzt. 85 Enzyklopädisches Lexikon für das Geld-, Rank- und Börsemvesen, Bd. 1, Frankfurt (Main) 1957, S. 119ff. Auch: Neils, Katja, a. a. O., S. 76. 86 Zu den verschiedenen Förthen des Kapitalexports: Radandt, Hans, Zum K a p i t a l e x p o r t . . a . a. O., S. 39f. 81
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Der „ N e u e Plan"
seitdem erschwert war. 87 Trotzdem war sie offenbar auch in der ersten Hälfte von 1932 noch nicht unbedeutend, den immerhin „hielt es der Reichswirtschaftsminister Ende Mai 1932 für nötig anzuordnen, daß Abwanderungsanträge deutscher Firmen ihm persönlich vorzulegen seien, und die Devisenkontrolle in solchen Fällen in verschärfter Form durchgeführt werden solle". 88 Die anhaltende Devisenknappheit und die Verpflichtungen im Auslandsschuldendienst verstärkten diese 1931 eingeschlagene Entwicklung nach 1933 noch mehr. Mit den Maßnahmen zur Hinderung der Kapitalabwanderung, die nach 1933 besonders von jüdischen Unternehmern im Zusammenhang mit ihrer Auswanderung angestrebt wurde, verband sich zwangsläufig auch die Regulierung des echten Kapitalexports. Beides ist insofern gar nicht zu trennen. Mit dem sogenannten „Volksverratsgesetz" vom 12. Juni 1933 setzte die Regierung Hitler die Anstrengungen ihrer Vorgänger gegen die „Kapitalflucht" fort: Die Unternehmen wurden verpflichtet, ihre im Ausland befindlichen Vermögenswerte und ihre Devisenbestände anzuzeigen. 89 1936 wurde der Transfer von Kapital ins Ausland als Wirtschaftssabotage deklariert und mit der Todesstrafe und dem Vermögensentzug bedroht. 90 Der Anzeige- und Anbletungspflicht von Auslandswerten bzw. Devisen folgte ebenfalls 1936 der Depotzwang von ausländischen Wertpapieren. Alle natürlichen und juristischen Personen mit inländischem Wohnsitz sowie alle Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes wurden verpflichtet, ihre ausländischen Wertpapiere in das Depot einer Devisenbank einzulegen. 91 Die Einführung des Depotzwanges veranlaßte viele Besitzer von solchen Wertpapieren, sie zu verkaufen. „Kurshalbierungen waren keine Seltenheit. Das überreichliche Angebot fand zu solchen Preisen gern Aufnahme, wenn bei keinem anderen, so bei der Reichsbank, für die diese Papiere Devisenwert hatten . . . Im November wurde dann zunächst die variable Notierung dieser Papiere eingestellt, und vom März 1937 an blieben die Auslandswerte ohne jede Börsennotiz. Der Veräußerungswert für ihre Besitzer konnte von da an nicht mehr leicht festgestellt werden. Aber es blieb die Möglichkeit, die Auslandswerte an die Reichsbank oder eine Devisenbank zu veräußern und zu Preisen; die von diesen Stellen für angemessen gehalten werden, sind solche Auslandswerte dem Publikum weiter abgenommen worden. Ein erheblicher Teil des privaten Besitzes an AuslandBwerten dürfte so den Weg zur öffentlichen Hand gegangen sein." 9 2 Die Verschärfung der Anzeigepflicht und ihre Ausdehnung auf so gut wie alle Auslandswertpapiere im Sep» V O über den Verkehr mit ausländischen Zahlungsmitteln v. 15. 7. 1931 (RGB/., 1. T., 1931, S. 366ff.); N o t - V O gegen Kapital- und Steuerflucht v . 18. 7 . 1 9 3 1 (ebenda, S. 373—376); V O über die Devisenbewirtschaftung v. 1. 8. 1931 (ebenda, S. 4 2 1 - 4 2 5 ) und Durchführungs-VO v. 27. 8. 1931 (ebenda, S. 461ff.). V g l . auch -.Bora, Karl Erich, D i e deutsche Bankenkrise 1931, a. a. O., S. 120f. 88 Pucbtrl, ßertbold, Deutschlands Außenwirtschaftsbeziehungen . . ., a. a. O., S. 152. «9 Gesetz gegen Verrat der deutschen Volkswirtschaft v. 12. 6 . 1 9 3 3 . (RGB/., 1. T . , 1933, S . 360.) *> Gesetz gegen Wirtschaftssabotage v. 1. 12. 1936 (Ebenda, 1. T., 1936, S. 999), § 1, Abs. 1. - Ebenfalls Gesetz über die Devisenbewirtschaftung v. 4. 2. 1935 (Ebenda, 1. T . , 1935, S. 105) und Änderungsgesetz v. 1. 12. 1936 (Ebenda, 1. T., 1936, S. 1000), das besonders die Vorschriften des Devisengesetzes gegen Kapitalflucht verschärft. M § 1 der 7. D V O zum Gesetz über die Devisenbewirtschaftung v. 19. 11. 1936 (Ebenda, S. 946). D i e Liste der depotpflichtigen Wertpapiere, die zunächst durch § 2 1 , Abs. 2 u. 3 des Devisengesetzes bezeichnet waren, konnte durch die Reichsstelle f ü r Devisenbewirtschaftung durch Anordnung im Reichsanzeiger auch auf andere Wertpapiere ausgedehnt werden, was auch geschah. D i e Anzeigepflicht wurde schon im September 1937 durch d i e l O . D V O z u m Devisengesetz auf alle ausländischen Wertpapiere mit unbedeutenden Ausnahmen ausgedehnt. (Ebenda, 1. T., 1037, S. 1018f.) M Der deutsche Volkswirt, 12. J g . N r . 1/1937.
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tember 1937 forcierte die dargestellte Entwicklung weiter. Der „Volkswirt" kommentierte: „ . . . die psychologische Wirkung der neuen Anzeigepflicht — deren Dringlichkeit durch scharfe Strafbestimmungen unterstrichen wird — wird wiederum die sein, daß sich das Publikum mehr oder weniger leichten Herzens von solchen Besitztiteln zu trennen sucht." 93 Diese indirekt gelenkte Konzentration von ausländischen Wertpapieren in den Händen des Staates wurde 1938 durch direkten Raub ergänzt, als der jüdischen Bevölkerung nach der „Reichskristallnacht" eine „Kontribution" von einer Milliarde RM auferlegt wurde. Auf Betreiben Görings wurden diese Auslandswerte als „Devisenreserve" für den Import eingesetzt. Hierüber kam es zwischen ihm und Schacht zu scharfen Auseinandersetzungen, die endgültig zu dessen Ausscheiden aus der Wirtschaftspolitik führten. 94 Unter den dargestellten Bedingungen, die durch die Kontrolle des gesamten Außenhandels ergänzt wurde, ist ein umfangreicher Kapitalexport kaum denkbar. Puchert neigt zu der Auffassung, die m. E. der Realität am nächsten kommt, daß „in den Jahren 1933 bis zum Frühjahr 1938 von deutschem Kapitalexport fast nur in der Form langfristigen Lieferantenkredits" gesprochen werden könne und andere Formen kaum eine Rolle gespielt haben, „ökonomisches und politisches Interesse führender Monopole und ihres Staates bestand offenbar vornehmlich und nachdrücklich hinsichtlich der südosteuropäischen Länder, die im kommenden Krieg das sichere Hinterland der deutschen Kriegswirtschaft bilden sollten. Doch scheint auch in dieser Richtung der tatsächliche Kapitalexport (immer von langfristigen Lieferantenkrediten abgesehen) in der Summe nicht groß gewesen zu sein, weil die deutsche Kapitalkraft der der Konkurrenzländer unterlegen war und weil sie auch vom Kapitalbedarf des forciert aufrüstenden Deutschlands selbst absorbiert wurde." 95 Auch Radandt, als ausgezeichneter Kenner der Materie, kann für den südosteuropäischen Raum nur allgemein feststellen: „In diesen Ländern begannen die Interessen der IG Farben als Warenexporteur gegenüber denen als Kapitalexporteur zurückzutreten." 96 Und auch dabei bezieht er noch die ersten Kriegsjahre mit ein. Vorstellbar sind gleichermaßen Kapitalexportinteressen in Richtung Südamerika, doch auch dafür fehlen exakte Anhaltspunkte. Wenn man auch annehmen kann, daß mit den wenigen bekannten Beispielen der tatsächliche Umfang des Kapitalexports nicht erschöpft ist, so spricht doch auch die Tatsache, daß so wenig bekannt ist, für eine nicht allzu große Aktivität. Es ist in der Tat zweifelhaft, daß sich die deutschen Kapitalanlagen im Ausland, die sich nach der Aufstellung von Radandt von 1924 bis 1929 von fünf auf zehn Mrd. RM vergrößert hatten, von 1929 bis 1938 verdoppeln konnten.97 Es scheint, daß schon nicht die deutschen Bedingungen allzu große Möglichkeiten zugelassen haben, aber auch die internationalen Bedingungen sprechen wenig dafür. Auf jeden Fall ist dies ein Gebiet, das mehr als manches andere vorwiegend weiße Flecken aufweist und der weiteren Forschung bedarf. 93 94
95
96 97
Ebenda. Schreiben von Schacht an Göring v. 5. 8.1937, Dok. EC—497, Antwort Görings an Schacht v. 22. 8.1937, Dok. EC - 493, in: IMG, Bd. 36, S. 549ff. u. S. 567ff„ insbes. S. 574f. u. 552ff. - Schacht, Hjalmar, 76 Jahre meines Lebens, a. a. O., S. 467ff. — Dazu auch Kap. 10, Abschnitt 3. Pucbert, Bertbold, Einige Überlegungen zum deutschen Kapitalexport 1933 bis 1939, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1976, T. 3, S. 87. Radandt, Hans, Die IG Farbenindustrie AG und Südosteuropa bis 1938, a. a. O., S. 164. Zur Thematik entsprechend: Pucbert, Bertbold, Einige Überlegungen . . ., a. a. O., S. 79ff.
KAPITEL 7
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
Ein Schwergewicht des „Neuen Plans" lag auf der außenwirtschaftlichen Regulierung, auf der Angleichung von Handels- und Zahlungsbilanz. Da ein erheblicher Teil des Imports aus Agrarprodukten bestand, wurde in der Landwirtschaft eine verstärkte Eigenproduktion von Rohstoffen und Nahrungsmitteln angestrebt. Der Düngereinsatz übertraf schon im Landwirtschaftsjahr 1934/35 den Höchststand aller Nachkriegsjahre (vgl. Tabelle 44). Tabelle 44 Der deutsche Verbrauch an Kunstdünger (Reingehalt in 1000 t )
1924/25-1936/37
Düngejahr
Stickstoff Phosphor- Kali säure
1924/25 1926/27 1928/29 1930/31 1932/33 1933/34 1934/35 1935/36 1936/37
340 400 432 355 353 382 425 491 570
371 487 531 474 399 462 542 636 944
663 715 764 688 616 714 817 944 957
Zusammengestellt aus EKKA-Bericbt erstes Halbjahr 1936, S. 23; Deutsche Wirtschaftspakten Sonderbeilage zu „Wirtschaft und Statistik", 18. Jg., Nr. 9/1938, S. 4.
1928 bis 1937,
Auch der Landmaschineneinsatz stieg schnell an. Der Tiefstand des Inlandsabsatzes hatte im Jahre 1932 bei rd. 80 Mill. RM gelegen, 1935 waren bereits für rd. 200 Mill. RM landwirtschaftliche Maschinen gekauft worden, das entsprach den Jahren 1928/29, die bis dahin als die besten Absatzjahre der Nachkriegszeit gegolten hatten. Da seitdem die Landmaschinenpreise um rd. 20 Prozent niedriger lagen und die technische Verbesserung weitergeführt worden war, wurde die Leistungsfähigkeit entsprechend höher eingeschätzt. 1 Trotzdem waren die Ernteerträge auf Grund der schlechten Erntejahre 1934 bis 1936 hinter den Erträgen von 1932 und besonders 1933 zurückgeblieben (vgl. Tabelle 45). 1
Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung im ersten Halbjahr 1936 (im folgenden: ERKA — Bericht...), v. d. Reichskredit-Gesellschaft AG, o. O., S. 23; Ebenda, zur Jahreswende 1936/37, a. a. O., S. 28.
hg.
183
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan'
Tabelle 45 Deutsche Ernteerträge 1932-1936 (in 10001)
Brotgetreide Futtergetreide Kartoffeln
1932
1933
1934
1935
1936
13522 10517 47016
14492 11133 44071
12284 9332 46299
12268 9719 41016
11909 9956 46324
Zusammengestellt aus ERKA-Bericbt
zur Jahreswende 1936/37, S. 24; dasselbe
1937/38, S. 25.
Im Landwirtschaftsjahr (1. August bis 31. Juli) 1933/34 benötigte Deutschland auf Grund der guten Ernte nur einen Einfuhrüberschuß für Brot- und Futtergetreide von 2000001, 1934/35 dagegen 1,87 Mill. t. Da seit 1934 die Weltmarktpreise für Agrarprodukte außerdem stetig gestiegen waren, wuchs auch der dafür benötigte Devisenbetrag stärker an. 2 Die deutsche Abhängigkeit von der Fetteinfuhr betrug rd. 50 Pro2ent. Der Anteil der ernährungswirtschaftlichen Güter an der Gesamteinfuhr war von 1928 bis 1935 von 41 auf 35 Prozent zurückgegangen; absolut gesehen, also volumenmäßig, betrug der Rückgang jedoch ca. 36 Prozent. In der gleichen Zeit hatte die Bevölkerung um 2,5 Millionen zugenommen. Gründe für diese Importeinschränkung lagen u. a. auch in einer restriktiven Devisenzuteilung für die Ernährungswirtschaft. Im Zusammenhang mit den schlechten Ernten mußten daraus bald Versorgungsschwierigkeiten entstehen. Sie traten 1935 in der Brotgetreideversorgung ein. Schacht hatte offenbar eine stärkere Entlastung der Devisenbilanz durch die Landwirtschaft erwartet und führte den beträchtlichen Ernteausfall wesentlich auf falsche Regulierung zurück. 3 Seine Weigerung, größere Devisenbeträge für zusätzliche Brotgetreideeinfuhren zur Verfügung zu stellen, führte im Herbst 1935 zu schweren Auseinandersetzungen in der Führungsspitze des Regimes. Hitler beauftragte Göring mit der Entscheidung im Streit zwischen Schacht und Darre. Das Regime konnte sich nicht schon so früh eine Rationierung der Brot- und Fettversorgung erlauben, die bei einer Verweigerung zusätzlicher Einfuhren unumgänglich gewesen wäre. Göring entschied für die Forderung Darres, gegen Schacht. Daß dies eine politische Entscheidung war, bedarf keiner Erläuterung. Zu fragen ist jedoch, warum Schacht nicht dazu bereit war. Denn so wie Göring — gleich Schacht — für die Bevorzugung der Rüstungsindustrie in der Devisenzuteilung war, so war Schacht — genau wie Göring — an der Stabilität des faschistischen Systems interessiert. Die Gründe der Auseinandersetzung lagen deshalb auch tiefer, die „Brotkrise" von 1935 war nur ein Anlaß, der den ohnehin schon lockeren Stein ins Rollen brachte. Es ging im Grunde um konzeptionelle Fragen der Rüstungspolitik. Schacht hatte die Rüstung, die natürlich der aggressiven Zielsetzung des Monopolkapitals diente, gleichermaßen als Konjunkturfaktor eingesetzt und damit eine Wirtschaftspolitik eingeleitet, die nach dem zweiten Weltkrieg zur allgemeinen Praxis der imperialistischen Länder wurde. Es war deshalb auch ohne wesentliche Bedeutung, ob durch die verschiedenen staatsmonopolistischen Maßnahmen nun die Rüstung begünstigt oder die Konjunktur gefördert wurde. Beides lief auf das gleiche hinaus, beides sicherte wieder 2 Ebenda, erstes 3
Halbjahr
1936, a. a. O., S. 27. - Vgl. auch Anhangtabelle 21, S. 450 f f .
Schacht warf Darre in einem Schreiben vom 24. 3. 1936 „bürokratische Fehlsteuerung von Produktion und Absatz vor, die zu einer Verringerung des inländischen Angebots gegenüber früheren Jahren geführt habe". (Pet^ina, Dieter, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan (im folgenden: Autarkiepolitik), Stuttgart 1968, S. 31f.)
184
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
hohe Profite, beides diente letztendlich der Kriegsvorbereitung. Zwei grundsätzliche Probleme standen bei der Durchführung dieser „Konjunkturpolitik" im Vordergrund: die Rohstoffversorgung und die Finanzierung der Rüstung und ihrer Voraussetzungen. Da auf letzteres im Zusammenhang eingegangen wird, soll hier die Rohstoffversorgung in seiner Bedeutung für die binnenwirtschaftliche Entwicklung unter dem „Neuen Plan" behandelt werden. Als grundlegende Voraussetzung für die Produktion war die kontinuierliche Rohstoffzufuhr auch Voraussetzung für die Aufrüstung und damit für die Kriegsplanung. Ihre wirtschaftspolitische Regulierung wurde infolgedessen immer mit „wehrwirtschaftlichen" 4 Überlegungen und Programmen verbunden. Bei den verschiedenen Auffassungen, die sich schon 1934 für die mögliche Überwindung des Rohstoffengpasses entwickelten, spielten deshalb die militärischen Aspekte immer eine entscheidende und unterscheidende Rolle. Man kann die erörterten Möglichkeiten in drei Gruppen zusammenfassen: Steigerung der verfügbaren Rohstoffmenge a) durch Steigerung der Deviseneinnahmen mittels verstärktem Export, b) durch Steigerung der Eigenproduktion von vorhandenen bzw. anbaufähigen Rohstoffen, c) durch die forcierte Entwicklung von Substituten und ihre schnelle Einführung in die Produktion. Es waren keine Entweder-Oder-Vorschläge, sondern zunächst eine Reihe wirtschaftspolitischer Möglichkeiten, mit deren Realisierung der Staat der neuen Aufgabe gerecht werden sollte, für die Bereitstellung der %ur Produktion erforderlichen Rohstoffe sorgen. Der Punkt, wo sie zur Konzeption wurden, war die Behandlung des Kostenfaktors, das sogenannte Wirtschaftlichkeitsprinzip, oder anders ausgedrückt: die Kapitalverwertung, der Profit. Dieses Prinzip trat zurück, wenn es sich um militärische Erfordernisse der Rohstoffversorgung handelte, denn dann war der Staat dafür verantwortlich und mußte auch die Kosten tragen. Die Frage, um die es also im Grunde ging, bestand darin, in welchem Umfang der Staat bereit — und nach Schacht — imstande war, die unproduktiven Kosten beim Auf- und Ausbau der eigenen Rohstoffbasis zu übernehmen, oder: in welchem Umfang „wehrwirtschaftlichen" Notwendigkeiten dabei die Priorität eingeräumt werden sollte. Die Reichswehr hatte schon 1930 Forderungen nach dem Ausbau der deutschen Rohstoffbasis gestellt, wobei vor allem Wert auf die Gummi- und Treibstoffproduktion und auf die Roheisenerzeugung gelegt worden war. 5 Schacht war ein energischer Vertreter der Exportkonzeption, die er binnenwirtschaftlich in dem Grundsatz formulierte, nichts selbst zu produzieren, was billiger eingekauft werden kann. Die im Verhältnis zur Vorkriegszeit enorm niedrigen Weltmarktpreise für industrielle Rohstoffe waren dafür eine gute Unterstützung, grenzten aber auch die Rentabilität der eigenen Produktion von Rohstoffen sehr ein. (Zu teure Rohstoffe lagen nicht im Interesse der Exportindustrie, die damit ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt, Der Begriff „Wehrwirtschaft" wurde im Reichskriegsministerium des faschistischen deutschen Staates entwickelt, als spezifische Verallgemeinerung der Erfahrungen des ersten Weltkrieges für die Vorbereitung eines neuen Krieges. Thomas, Chef des „Wehrwirtschaftswesens" im militärischen Führungsstab, definierte den Begriff wie folgt: er „umfaßt einmal die technisch-wirtschaftlichen Vorbereitungsmaßnahmen der Wirtschaft für einen Krieg und als Vorbereitung hierzu die Beeinflussung der Friedenswirtschaft im wehrhaften Sinne durch die Träger der Landesverteidigung. Er umfaßt außerdem die Lehre von der wirtschaftlichen Wehrkraft des eigenen Landes und der anderen Staaten, sowie die Lehre von den Zusammenhängen, die zwischen Wirtschaft und militärischer Wehrkraft sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht bestehn". (Thomas, Georg, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918-1943/45), hg. v. Wolfgang Birkenfeld, Boppard (Rhein) 1966, S. 51.) 5 Ebenda, S. 95. 4
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
185
eingeschränkt sah.) Diese Konzeption war nur solange haltbar, wie der Exporterlös den Inlandsbedarf an Importrohstoffen in etwa abdecken konnte. Mit dem Übergang zur offenen Aufrüstung im Jahre 1935, die die Produktion wieder auf den Stand von 1928 brachte, wurde deshalb auch der Zeitpunkt schnell erreicht, wo dieses Verhältnis nicht mehr übereinstimmte, da zudem die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt schneller anstiegen als die Fertigwarenpreise. A u f Grund seiner wirtschaftlichen Machtposition konnte Schacht seine Konzeption durchsetzen, mit der er auch die Interessen der exportorientierten Schwerindustrie vertrat. Aber auch die anderen Auffassungen fanden bereits in dieser Zeit ihre Vertretung. I m November 1934 hatte Hitler seinem Wirtschaftsbeauftragten Keppler die Sondervollmacht erteilt, „alle diejenigen wirtschaftlichen Maßnahmen durchzuführen, welche in Anbetracht der Devisenlage erforderlich sind, um ausländische Rohstoffe durch solche aus inländischer Erzeugung zu ersetzen". 6 Keppler bildete einen sogenannten „Sonderstab" von ca. 25 Mitarbeitern, die jeweils bestimmte Rohstoffengpässe bearbeiteten. Zu den ersten Mitarbeitern gehörten der spätere Generaldirektor des Reichswerke-Konzerns, Paul Pleiger, dem die Untersuchung der Eisenerzversorgung übertragen wurde, und Hans Kehrl, zuständig für Faserstoffe, der schließlich unter Speer Spitzenmanager in der Kriegsrohstoffwirtschaft wurde. Diese Dienststelle, allgemein als „Büro Keppler" bezeichnet, war unabhängig v o m Reichswirtschaftsminister. Durch seinen Leiter war es de facto eine Parteieinrichtung. Keppler war von Haus aus an der Rohstoffversorgung interessiert. Als Ingenieur ging es ihm um neue technische Lösungen und offenbar weniger um die wirtschaftliche Seite der Verfahren. O b es allerdings haltbar ist, den Gegensatz zwischen Schacht und Keppler darauf zu reduzieren, daß Schacht nur wirtschaftliche Gesichtspunkte gelten ließ und Keppler dagegen alles nur „wehrwirtschaftlichen" Überlegungen unterordnete 7 , ist sehr zu bezweifeln. Schachts Konzept schloß kriegsvorbereitende Überlegungen und Maßnahmen absolut ein. Die Rohstoffversorgung hatte nicht nur militärische oder nur wirtschaftliche Bedeutung. Sie war auch von hoher politischer Relevanz. Die schlechte Rohstoffversorgung der Textilindustrie zum Beispiel schuf sehr viel Unruhe und Empörung, so daß die Naziführung auch aus solchen Gründen an einer Entschärfung der Lage interessiert sein mußte. Das allgemeine Interesse, das diese Frage auf sich zog, war mit Sicherheit sehr vielschichtig begründet. Eine Reduzierung dieser Problematik auf nur wirtschaftliche Aspekte trifft infolgedessen den Kern der Sache auch nicht ausreichend. Die Gegensätze zwischen Schacht und Keppler brachen erst Ende 1935 auf, als die Frage, wie weit militärische Interessen Priorität vor wirtschaftlichen Überlegungen haben sollen, zusammen mit der Frage des Rüstungstempos zum grundsätzlichen Streitpunkt der staatlichen Schuldenpolitik wurden. E s spricht vieles dafür, daß es Schacht selbst war, der diesen Rohstoffauftrag an Keppler lancierte. Wahrscheinlich um entsprechenden Forderungen aus dem Parteiapparat Genüge zu tun und sie so unter Kontrolle zu haben, aber auch in der Gewißheit seiner starken Position, seiner Unentbehrlichkeit für Hitler, die es ihm ermöglichte, jede nicht genehme Entwicklung in der Wirtschaft zu unterbinden. 8 Die Entscheidung über die staatliche 6
7
8
Erlaß Hitlers v. 13. 11. 1934, zitiert bei: Riedel, Matthias, Eisen und Kohle für das Dritte Reich. Paul Pleigers Stellung in der NS-Wirtschaft, Göttingen/Frankfurt/Zürich 1973, S. 21. Petzina stellt diesen Gegensatz heraus, womit schon die „ Unterordnungsthese" im Ansatz begründet wird. {Petzina, Dieter, Autarkiepolitik, a. a. O., S. 25.) Keppler und Reichsbankdirektor Puhl sagten beide in Nürnberg aus, daß Schacht Hitler diesen Vorschlag gemacht habe. (Fall 11, Protokoll, S. 5705, 19326.) — Konzeptionell wenig interessant war der von R W M
13
Nussbaum/Zumpe, Bd. 3
186
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
Finanzierung wirtschaftlicher Projekte lag letztendlich bei ihm, und daran war auch Keppler mit seinem Büro gebunden. Konzeptionell jedoch war das „Büro Keppler" ein Vorläufer der Vierjahresplanpolitik, in deren Administration es auch aufging. Schacht stand den wehrwirtschaftlichen Überlegungen und Planung der Reichswehrführung keineswegs ablehnend gegenüber, Arbeiten dieser Art waren nachweisbar auch ein Bestandteil seiner Aufrüstungspolitik. 9 An seiner Gründung der Braunkohle-Benzin AG (Brabag), die er gegen den Willen der Braunkohle-Konzerne durchsetzte, zeigte es sich, mit welcher Konsequenz er Aufgaben dieser Art durchzusetzen bereit war. Dieses Beispiel zeigt aber auch, daß für Schacht die Finanzierung immer ein besonderes Anliegen blieb. Die Brabag-Gründung wurde zu einem Modellfall für die kooperative Finanzierung solcher Projekte durch den Staat und die Konzerne. Die Besonderheit lag in der Sicherung der Profite für die Konzerne durch den Staat. Schacht schuf damit neue Möglichkeiten, die unter dem Vierjahresplan weiter ausgeschöpft wurden.
1. Pflichtgemeinschaft und Staatsgarantie als kooperative Finanzierung „wehrwirtschaftlicher" Investitionen Am 21. September 1934 hatte Schacht in einer Sitzung mit den Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden der größeren Braunkohlengesellschaften von diesen die Errichtung einer Aktiengesellschaft gefordert, die auf der Braunkohlengrundlage Hydrierungsanlagen mit einer Jahresleistung von 400000 bis 500000 t Benzin errichten und betreiben sollte. Den Kapitalbedarf setzte er mit 250 bis 300 Mill. RM an, die von sämtlichen Braunkohlengesellschaften mit einer Jahresleistung von über 100000 t anteilmäßig erbracht werden sollten. Dafür bot er die Garantie, daß das Reich die Produktion zu einem Preis abzunehmen bereit sei, „der eine Verzinsung und Abschreibung des aufgewendeten Kapitals ermögliche". 10 Die anwesenden Kapitalvertreter lehnten diese Forderung mit der Begründung ab, die synthetische Benzinproduktion sei zu teuer und auch ihre Perspektive zu ungewiß. 1 1 Daraufhin setzte Schacht die Gründung auf gesetzlichem Wege durch: Am 28. September 1934 Schmitt im Sommer 1934 eingesetzte Rohstoffkommissar Dr. Pupe, ein Hüttenfachmann (Witkowitzer Berg- und Hüttenwerke), im Amt bis 1937, der wenig effektiv wurde, da Schacht über die Devisenverteilung und die Überwachungsstellen den gesamten Komplex beherrschte. (Dazu Facius, Friedrich, Wirtschaft und Staat. Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945, Boppart (Rhein) 1959, S. 151 = Schriften des Bundesarchivs, 6; auch: Riedel, Matthias a. a. O., S. 17f.; Pet^ina, Dieter, Autarkiepolitik, a. a.O., S. 24.) 9 Dazu auch die Stellungnahme Schachts zur Vorbereitung von Bezugsscheinen für den Mobilmachungsfall v. 18. 10. 1935. (Anatomie des Krieges. Neue Dokumente über die Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges, hg. u. eingel. v. Dietrich Eichholtz u. Wolfgang Schumann, Berlin, 1969, Dok. 41, S. 134f.) ™ Birkenfeld, Wolfgang, Der synthetische Treibstoff 1933—1945, Göttingen/Berlin/Frankfurt (Main) 1964, S. 37. 11
Ebenda, S. 38. — Der Weltmarktpreis für Mineralöl war bis 1931 auf 5,2 Pfg. pro Liter gefallen (gegenüber 15,4 Pfg. 1925), was wahrscheinlich zu der drastischen Erhöhung der Mineralölzölle geführt hat, zum Schutz der deutschen Mineralölerzeugung, deren Gestehungskosten von Birkenfeld mit 18—20 Pfg. pro Liter (1931) berechnet werden. (Ebenda, S. 18, 234.) — 1934 lagen die Großhandelspreise für Erdöl in den USA bei 3,38 RM für 100 1, für Benzin bei 3 RM, im Sept. 1934 bei 2,82 RM für 100 1. {Statistisches Jabrbuchfür das Deutsche Reich (im folgenden: Statistisches Jahrbuch) 1935, S. 163.)
Die Finanzierung „wehrwirtschaftlicher" Investitionen
187
erließ er eine Verordnung über die Errichtung von Pflichtgemeinschaften in der Braunkohlenwirtschaft. 12 In der Durchführungsverordnung vom 23. Oktober 1934 wurde die Errichtung einer Pflichtgemeinschaft festgelegt, deren Mitglieder vom Reichswirtschaftsminister berufen werden sollten, was auch umgehend geschah. 13 „Durch Erlaß des Reichswirtschaftsministers vom 25. Oktober 1934 wurden vorbehaltlich weiterer Anschlüsse zehn Unternehmen zur .Pflichtgemeinschaft der Braunkohlenindustrie' zusammengeschlossen, und zwar: IG Farbenindustrie, Ilse-Bergbau-AG, Deutsche Erdöl-Aktiengesellschaft, Werschen-Weißenfelser Braunkohlen-AG, Braunkohlen- und Brikettindustrie AGBubiag, Aktiengesellschaft Sächsische Werke, Elektrowerke Aktiengesellschaft, Rheinische Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation, Mitteldeutsche Stahlwerke AG, Anhaltische Kohlenwerke A G 14 Durch diese „Pflichtgemeinschaft", die einem staatlichen Zwang zur Investition gleichkam, erfolgte dann am 26. Oktober die Gründung der Brabag. Im Aufsichtsrat saßen Vertreter der Gründerfirmen, den Vorsitz erhielt Keppler; in den Vorstand wurden Dr. Krauch (IG Farben), Dr. Koppenberg (Junkers-Flugzeugwerke AG, Mitteldeutsche Stahlwerke AG), General a. D. v. VollardBockelberg (vormaliger Leiter desHeereswaffenamtes) und der Neffe Kepplers, Kranefuß (SS-Hauptsturmführer und quasi Sekretär des Himmlerkreises), berufen. Ein Reichskommissar (Reichsbankdirektor Dr. Deumer) war mit der Leitung der Pflichtgemeinschaft beauftragt und mit weitgehenden Befugnissen für die Überwachung der Brabag ausgestattet. 15 Von den insgesamt vier Werken nahmen die ersten drei schon 1936 die Produktion auf, das vierte folgte 1938. Produziert wurde auf der Grundlage eines Lizenzvertrages mit der IG Farben, die allein aus dem ersten Werk der Brabag schon mehr als eine Million RM Lizenzeinnahmen pro Jahr bezog. 16 Mit der Brabag war ein staatsmonopolistisches Unternehmen ganz spezifischer Art entstanden. Entgegen seinem sonst vertretenen Prinzip hatte sich Schacht für ein unrentables Verfahren entschieden und dabei nicht einmal das von der Braunkohlenindustrie entwickelte Schwelverfahren bevorzugt. Ein rentables Verfahren wäre der Import gewesen. Da die angeordneten Investitionen frühestens 1936 erste Ergebnisse bringen konnten, lag die Motivation eindeutig in rüstungswirtschaftlichen Überlegungen und Planungen. Der Treibstoff- wie auch der Gummibedarf der Wehrmacht gehörten zu den strategischen Fragen der deutschen Kriegsplanung. Es waren jedoch völlig neue Gebiete, für die keine Erfahrungen aus dem ersten Weltkrieg vorlagen, da Heeresmotorisierung und Luftrüstung erst ein Ergebnis der seitdem erfolgten wissenschaftlich-technischen Entwicklung waren. Aus der Unkenntnis, welchcn Umfang der Kriegsbedarf auf diesen Gebieten an12 Reichsgesetzblatt (im folgenden: RGB/.) 1. T., S. 863f. 13 Erste VO zur Durchführung der VO über die Errichtung wirtschaftlicher Pflichtgemeinschaften in der Braunkohlenwirtschaft, v. 23. 10. 1934 (Ebenda, 1. T., 1934, S. 1068.) § 1, Abs. 3: „Zweck der Pflichtgemeinschaft ist die Finanzierung einer Aktiengesellschaft. . . Gegenstand dieser Aktiengesellschaft ist die Herstellung von Treibstoffen und Schmierölen unter Verwendung von Braunkohle und die Errichtung solcher Anlagen . . .". M Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 40. Adreßbuch der Direktoren und Aufsichtsräte 1937, Bd. 2, S. 228. - Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 40ff. Vogelsang, Reinhard, Der Freundeskreis Himmler, Göttingen/Zürich/Frankfurt 1972, S. 56ff. — RGBl., 1. T., 1934, S. 1068, §2. Der Reichskommissar berief die Mitglieder des Aufsichtsrates und konnte sie auch abberufen. (§ 4 der DVO, ebenda.). 16 Dit Werke entstanden in der Reihenfolge: Böhlen, Magdeburg, Ruhland (nach Fischer-Tropsch-Verfahren) und Zeitz. 13*
188
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
nehmen könnte, resultierten auch unterschiedliche Vorstellungen dafür, welchen Umfang der Bau entsprechender Produktionsanlagen annehmen soll. Damit wiederum hing auch die unterschiedliche Haltung zu den Kosten dieser Produktion zusammen, sowohl auf seiten der Industrie wie auch auf Seiten des Reichswirtschaftsministeriums und auch der Wehrmacht, da keiner genau wußte, welche Kapazitäten erforderlich, welche überflüssig sein würden. Die Erörterung des Treibstoffbedarfs, seine Planung und Absicherung war deshalb ein ständiger Streitpunkt zwischen den verschiedenen Interessenten, nahm aber auch sofort einen erstrangigen Platz ein. 1931 und 1932 hatte der Verbrauch von Treibstoffen in Deutschland bei zwei Millionen Tonnen gelegen, wovon nur ca. ein Viertel aus der deutschen Produktion kam. 17 Im Zusammenhang mit dem Kabinettsbeschluß über den Bau von Autobahnen vom 23. Juni 1933 hatte die Regierung eine grundlegende Umgestaltung der Mineralöl- und Treibstoffwirtschaft gefordert, die im wesentlichen auf der Grundlage deutscher Bodenschätze erfolgen sollte. Von einer am 9. Mai 1933 gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Erdölforschung", zu deren Gründern der Altnazi Gottfried Feder gehörte, war im Mai 1933 ein Plan an Hitler herangetragen worden, der die Steigerung der einheimischen Förderung vorsah. Außerdem sollten an die Stelle der Benzinimporte aus den U S A Rohölimporte treten, um deren Weiterverarbeitung in Deutschland sogleich auch der Arbeitsbeschaffung dienlich zu machen. Dieser Plan „stieß jedoch von vornherein auf den Widerstand der deutschen Produzenten. Im weiteren Verlauf wurde er auch aufgegeben, und zwar zugunsten des Hydrierverfahrens der IG-Farbenindustrie." 1 8 Die bereits seit 1932 laufenden Verhandlungen zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der I G Farbenindustrie über den Ausbau der synthetischen Treibstofferzeugung im Leunawerk ( I G Farben) wurden 1933 weitergeführt. Sie fanden am 14. Dezember 1933 ihren Abschluß in einem Vertrag — auch als Feder-Bosch-Abkommen bezeichnet —, der das Ammoniakwerk Merseburg verpflichtete, „seine Anlagen zur Erzeugung synthetischen Benzins so zu vergrößern, daß bis zum 31. Dezember 1935 eine Produktion von mindestens 300000 Tonnen, höchstens 350000 Tonnen, auf das Jahr berechnet, erreicht wurde". 1 9 Das Reich verpflichtete sich dagegen zur Preis- und Absatzgarantie für die Produktion. Der Gestehungspreis wurde für das erste Vertragsjahr mit 25 R M pro 100 kg Benzin festgelegt 2 0 , das war mehr als das DreiV Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 218, Übersicht Nr. 2. « E b e n d a , S.24f. 13
Ebenda, S. 28 (Wiedergabe des § 1, Abs. 1 des Vertrags, Dok. NI-881). -
Für das Hydrierverfahren
konnten die stillgelegten Apparaturen der Stickstoffsynthese eingesetzt werden. — Der Vertrag wurde für das Reich vom RM der Finanzen, Graf Schwerin v. Krosigk und dem Staatssekretär im RWM, Feder, für die IG Farben vom Vorsitzenden des Vorstandes, Geh. Rat Dr. Carl Bosch, und seinem Nachfolger Dr. Hermann Schmitz unterzeichnet. (Ebenda, S. 28 f.) 20
Die Garantieleistung des Reiches bestand darin, daß es den Unterschiedsbetrag zu 25 RM bezahlen mußte, wenn das Ammoniakwerk diesen Betrag (netto) im Vertrieb nicht erzielte. Dafür mußte das Werk jeden Erlös, der über den vereinbarten Garantiepreis hinausging, an das Reich abführen. Nach den Ermittlungen von Birkenfeld zahlte das Reich zunächst 5 Mill. RM an die IG Farben, erhielt aber ab 1936 bis zum Ablauf des Vertrages 1944 über 90 Mill. RM aus diesem Vertrag von den I G Farben. Birkenfeld leitet daraus einen Nachteil oder Verlust für die IG Farben ab, übersieht aber, daß dieses Geld nicht von der IG kam, sondern vom Verbraucher auf Grund überhöhter Benzinpreise. (Ebenda, S. 32f.) — Die Absatzgarantie spielte keine besondere Rolle, weil die IG Farben seit 1927 einen Vertriebsvertrag für Leunabenzin mit ihrer Tochtergesellschaft, Deutsche Gasolin AG, hatte, an der auch die beiden Erdölkonzerne Standard Oil Company of New Jersey und Royal Dutch Shell beteiligt waren, mit denen seit 1929 ebenfalls Absatzvereinbarungen liefen. (Ebenda, S. 29.).
Die Finanzierung „wehrwirtschaftlicher" Investitionen
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fache des Weltmarktpreises. Die besondere Bedeutung dieses Vertrags lag auf Seiten des Reichs in der Garantieleistung. Es war eine neue Form der staatlichen Unterstützung; der Staat übernahm das Risiko für eine Produktion, deren Profitaussichten ungewiß waren und deren Kosten hoch über dem Weltmarktniveau lagen; gleichzeitig war damit die Produktionsbasis für ein strategisch wichtiges Produkt vergrößert worden. Für die IG Farben lag die Bedeutung darin, daß es eine neue Produktion mit hohen Entwicklungs- und Produktionskosten ohne weiteres Risiko im großtechnischen Verfahren weiterentwickeln konnte, trotzdem die Weltmarktpreise von Benzin weit darunter lagen. (Hier dürften auch Gründe dafür liegen, weshalb Schacht bei der Brabag-Gründung nicht noch ein zweites unrentables Verfahren einführte, sondern mit seiner Entscheidung die weitere Erprobung und Entwicklung des bereits mit Reichsgarantie laufenden IG-Verfahrens förderte.) Eine einkalkulierte Gewinnspanne und eine hohe Amortisationsrate für das eingesetzte Kapital waren mit der Preisgarantie vertraglich gesichert. Das Gesetz, das diese Garantieleistung legalisierte, erschien erst ein Jahr später, als die Brabag zur Debatte stand, mit deutlichem Bezug auf den Benzinvertrag, denn es trat rückwirkend ab 1. Dezember 1933 in Kraft. 21 Birkenfeld will diesen Vertrag, der immerhin die Ausgangsbasis für die deutsche synthetische Benzinerzeugung schuf, weder in die Wiederaufrüstung noch in rüstungswirtschaftliche Überlegungen eingeordnet wissen, weil „eine unmittelbare Einflußnahme des Reichswehrministers oder wehrwirtschaftlicher Instanzen (nicht) nachweisbar, noch nach Beurteilung der Quellenlage anzunehmen" sei. Er meint, eine „gerechte Einordnung" müsse ihn in den Kreis der Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung stellen. 22 Es ist schwer ersichtlich, wie eine solche Auffassung ernsthaft vertreten werden kann. Weder 1932 noch 1933 konnte die tatsächliche weltwirtschaftliche Entwicklung vorausgesehen werden. Nach aller Erfahrung war anzunehmen, daß sich der Welthandel bald wieder belebt. Unter diesen Bedingungen aber wäre der Aufbau einer Produktion, die auf Grund ihrer Kostenbasis überhaupt keine Aussicht auf Weltmarktfähigkeit hatte, auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine volkswirtschaftliche Unsinnigkeit gewesen. Gerade wegen der weit überhöhten Kosten wird diese frühe staatliche Förderung der synthetischen Benzinerzeugung nur unter rüstungswirtschaftlichen Gesichtspunkten verständlich. 23 Und eben auf dieser Linie liegt auch Schachts Gründung der Brabag. Deshalb kann auch die angespannte Devisenlage kaum als Motivation herangezogen werden, zumal eine schnelle Auswirkung auf die Devisenbilanz gar nicht möglich war. Darauf wäre es aber angekommen, wenn die Deviseneinsparung als ausschlaggebendes Motiv angenommen wird. Sicher war die Steigerung der Eigenproduktion auch eine Entlastung für die künftige Devisenbilanz, da mit der Zahl der zugelassenen Autos auch der Benzinverbrauch schnell anstieg, aber billige Importmöglichkeiten aus Gründen der Devisenknappheit durch teure Eigenproduktion zu ersetzen, wie es Birkenfeld unterstellt 24 , das lag ganz gewiß nicht auf der „Exportlinie", die von Schacht, aber auch von Schmitt vertreten wurde. Hier konnten nur Motive wirksam sein, die von Rentabilitätskriterien unabhängig waren. Gesetz über die Übernahme von Garantien zum Ausbau der Rohstoffwirtschaft. Vom 13. 12. 1934' (RGB/., 1. T., 1934, S. 1253.) Der Reichsminister der Finanzen wurde damit ermächtigt, „zum Ausbau der deutschen Rohstoffwirtschaft Garantien zu übernehmen" (§ 1). Rückwirkung (§ 5). 22 Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 31. 23 Ein analoges Beispiel dürfte die staatliche Stützung der Mansfeld AG sein, deren Kupferproduktion aus wehrwirtschaftlichen Gründen bereits in den zwanziger Jahren staatlich gestützt wurde. (Radandt, Hans, Kriegsverbrecherkonzern Mansfeld, Berlin 1957, S. 123ff.) 24 Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 50. 21
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Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
Die Gründung der Brabag bewegte sich offensichtlich noch im allgemeinen Einverständnis, wofür die Heranziehung Kepplers und Kranefuß' spricht. Auffallend ist die Eile, mit der Schacht die Gründung durchzog. Für mögliche Zusammenhänge dürfte es wesentlich sein, daß in eben dieser Zeit die ersten „ A-Fall-Planungen" auf dem Gebiet der Mineralölversorgung stattfanden 25 und daß außerdem von Seiten der Wehrmacht immer nachdrücklicher die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung für die wirtschaftliche Kriegsvorbereitung gestellt wurde, wobei auch die organisatorische Führung geklärt werden sollte. Verlangt wurde die Schaffung und Besetzung einer ganz zentralen Position mit sehr weitgehenden Vollmachten im Bereich der Wirtschaft und dies nicht erst für den Kriegsfall, sondern schon für die Vorbereitung des Krieges. Wenn Schacht seine Konzeption weiter durchsetzen wollte, so mußte er auch dieses Heft in die Hand bekommen. Mit der Brabag-Gründung hat er ohne Zweifel den Beweis für seine Eignung geliefert. Am 26. Februar 1935 verfügte ein Regierungserlaß den offiziellen Aufbau der deutschen Luftwaffe, am 16. März erfolgte mit dem „Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht" die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und am 21. Mai 1935 wurde das (geheime) Reichsverteidigungsgesetz beschlossen; Schacht wurde als „Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft" berufen und erhielt die Aufgabe, die „wirtschaftlichen Vorbereitungen für den Kriegsfall" zu leiten. 26 Damit hatte er alle zentralen Weisungsbefugnisse für die Wirtschaft in seiner Hand vereinigt. 27 Unter Schacht wurde die Treibstoffversorgung im Rahmen der Kriegsvorbereitung in drei Richtungen bearbeitet: Aufbau einer synthetischen Erzeugung, Errichtung von Großtanklagern, Förderung der einheimischen Mineralölgewinnung. Neben dem Ausbau der Leunawerke (IG Farben) und dem Aufbau der Brabag erfolgte 1935 noch der Aufbau eines Werkes durch die Preußische Bergwerksgesellschaft Hibernia: die Hydrierwerk Scholven AG. 28 Alle drei Unternehmen hatten Garantieverträge mit dem Reich. Insgesamt war eine k Die IG Farben war maßgebend an diesen Planungen beteiligt. (Ebenda, S. 55.) — In den heftigen Auseinandersetzungen um den Bau der Brabag-Werke, in denen die Braunkohlenindustrie versuchte, doch noch das von ihr bevorzugte Schwelverfahren durchzusetzen, entschied schließlich das Reichswehrministerium (Oberst Thomas) zugunsten eines schnellen Aufbaus von Hydrierwerken. Thomas begründete die Forderung mit der Motorisierung der Reichswehr. (Ebenda, S. 44.) 26 Dazu: Thomas, Georg, a. a. O., S. 75, 69f. — Das Reichsverteidigungsgesetz wurde geheim gehalten und sollte erst im Kriegsfall veröffentlicht werden, trat aber mit seinen Bestimmungen sofort für die Kriegsvorbereitung in Kraft. (Abgedruckt als Dok. PS-2261, in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, 14. November 1945—1. Oktober 1946 (amtlicher Text in deutscher Sprache), Nürnberg 1947-1949 (im folgenden: IMG) Bd. 30, S. 60ff.(Ab 4. 9. 1938: Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft). Ausführlicher: Bartbel, Heinz• Zur Politik der rüstungswirtschaftlichen Führungsorgane des deutschen Finanz- und Rüstungskapitals beim Aufbau der faschistischen Wehr- und Kriegswirtschaft in den Jahren 1933 bis 1939, Diss. Karl-Marx-Universität Leipzig, 1962, S. 43ff.) — Ebenfalls am 21. Mai 1935 hatte Hitler im Reichstag ein neues „Friedensprogramm" verkündet. (Vgl. auch: Deutschland im zweiten Weltkrieg, Bd. 1, Berlin 1974, S. 86.) 27 Schacht besaß als GBW „Weisungsrecht gegenüber allen mit Wirtschaftsfragen befaßten Ministerien . . . Er war für die Vorbereitung aller wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen zuständig mit Ausnahme der Rüstungsindustrie, deren Vorbereitung durch das OKW erfolgen sollte". Thomas, Chef der Dienststelle Wehrwirtschafts- und Waffenwesen im Reichskriegsministerium, beklagte diese Lösung, weil die Wirtschaft dadurch „in zwei Teile geschnitten" worden und die Abgrenzung in der Praxis völlig unklar geblieben sei. Thomas, Georg, a. a. O., S. 71.) 28 Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 48ff. 25
Die Finanzierung „wehrwirtschaftlicher" Investitionen
191
Neukapazität von rd. 9 0 0 0 0 0 t Treibstoff pro Jahr projektiert und errichtet worden, das entsprach der achtfachen Produktion von Leuna im Jahre 1933. 2 9 Für die Vorratshaltung hatte Schacht 1934 die „Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH." (Wifo) gegründet, deren Anliegen im Gcsellschaftsvertrag ebenso verharmlost wurde, wie das der Mefo, tatsächlich diente sie der „Überwindung von Engpässen in der kriegswirtschaftlichen Versorgung", wozu neben der Errichtung von Bereitschaftsanlagen auch die Vorratshaltung gehörte. 30 Die Großtanklager der W i f o wurden vor allen Dingen mit Flugbenzin und hochwertigen Schmierölen gefüllt. Die Erdölförderung stieg von 1933 bis 1937 fast auf das Doppelte, gegenüber 1928 jedoch fast auf das Fünffache 3 1 (vgl. Tabelle 46). Tabelle 46 Die deutsche Erdölförderung 1928, 1932-1939 (1933= 100) Jahr
t
Index
Jahr
t
Index
Jahr
t
Index
1928 1932 1933
92023 229855 237511
39 97 100
1934 1935 1936
314626 427362 444663
132 180 187
1937 1938* 1939*
452017 609033 884949
191 256 372
* mit Österreich Zusammengestellt und berechnet nach Birkenfeld, Göttingen/Berlin/Frankfurt(Main) 1964, S. 217.
Wolfgang, a. a. O., Der synthetische Treibstoff. 1933—1945,
Der Gesamtverbrauch an Mineralölerzeugnissen lag 1936 bei 4,6 Mill. Tonnen, die Produktion aus inländischen Rohstoffen lieferte 1,5 Mill. Tonnen. Aber auch noch 1938 war das Verhältnis nicht grundlegend anders: einem Verbrauch von 6,2 Mill. Tonnen stand eine Eigenproduktion von 2,4 Mill. Tonnen gegenüber. Dagegen lag die Einfuhr von Mineralölen 1936 bei 4,2 und 1938 bei rd. 5 Mill. Tonnen. 32 Die Abhängigkeit v o m Mineralölimport war nach wie v o r sehr hoch geblieben. Aus der eigenen Produktion wurden 1937/38, als die von Schacht eingeleiteten Maßnahmen voll zur Wirkung kamen, rd. 40 Prozent des Verbrauchs abgedeckt. 33 Die Produktion von Leuna-Benzin betrug 1933 108498 t. (Ebenda, S. 226.) — Trotzdem war nach einer Aufstellung von März 1936 der voraussichtliche Mobilmachungs-Bedarf für 1938 für Fahrzeug- und Flugmotorentreibstoffe nur mit rd. 60 Prozent aus der eigenen Erzeugung gedeckt. (Dok. PS-1301, 23 Stücke aus den Akten des Chefs des Wehrwirtschaftsstabes (General Thomas) btr. Kriegsvorbereitung auf wirtschaftlichem Gebiet und Rüstungsfragen aus der Zeit bis zum 1. März 1939, in: IMG, Bd. 27, S. 132.). 30 Die Vorbereitung der wirtschaftlichen Mobilmachung durch den GBW. Stand Ende Dezember 1937, s-78 f f - ) Dok. EC-258, in: IMG, Bd. 36, S. 256f. - Vgl. auch : Bartbel, Heinz, a- a31 Dazu auch: Kaspar, Hanns-Heinz, Die Mineralölpolitik des deutschen Faschismus und der Erdölbergbau in Deutschland 1933 bis 1945, in: Beiträge zur Geschichte der Produktivkräfte, Bd. 11, Leipzig 1976, S. 44 = Freiberger Forschungshefte D 101. 32 Vgl. dazu Anhangtabelle 18, S. 449 und Birkenfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 218f. Übersicht 3 u. 4. 33 Birkenfeld hat folgende Zahlen für Verbrauch und Eigenproduktion (in 1000 t) zusammengestellt:
29
1934
1935
1936
1937
1938
Mineralölerzeugnisse Verbrauch: 3295 3835 Eigenproduktion 1038 1286 Birhcnfeld, Wolfgang, a. a. O., S. 218 f.
4590 1545
5080 2105
6150 2373
192
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
An der Planung des Treibstoffbedarfs entwickelten sich aus bereits dargelegten Gründen die Widersprüche zwischen den verschiedenen Konzeptionen und Interessengruppen in den Führungsgremien im besonderen Maße. Bereits im Mai 1935 war es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reichswirtschafts- und dem Reichskriegsministerium gekommen. 34 Letzteres sah seinen Mobilmachungs-Bedarf nicht ausreichend berücksichtigt und verlangte eine stärkere Steigerung der Eigenproduktion, als sie Schacht vorsah. Blomberg versuchte deshalb, die Position Schachts auf diesem Gebiet abzuschwächen, indem er die Einsetzung eines Treibstoffkommissars forderte. Da aber auch Göring an dieser Frage stark interessiert war und diese Position an sich ziehen wollte, bewirkte die Konkurrenz zwischen ihm und Blomberg zunächst ein gewisses Patt, das Schacht zugute kam. 35 Doch bereits im Frühjahr 1936 verschärfte sich die Lage in der Treibstoffversorgung erneut, und zwar auf Grund von Einfuhrschwierigkeiten 36 , so daß der Druck auf die Schacht'sche Konzeption und.Position immer stärker wurde. Das Treibstoffproblem verband sich mit einem allgemeinen Rohstoffvorratsdefizit, das auf Grund des verdoppelten Aufrüstungstempos im Jahre 1935 ebenfalls im Frühjahr 1936 die Lage verschärfte und zu einer Umgruppierung in der wirtschaftspolitischen Kommandozentrale führte.
2. Die deutsche Eisenerzversorgung und die Differenzierung der Interessenlage in der M o n o p o l g r u p p e Kohle/Eisen/Stahl Mit seiner Exportkonzeption vertrat Schacht die Interessen der Schwerindustrie, was sich nicht zuletzt in der Investitionsbewegung bis 1935 widerspiegelt. Die Industrieproduktion hatte im vierten Quartal dieses Jahres den Stand von 1928 wieder erreicht, und zwar ausschließlich auf Grund der schnellen Entwicklung in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie. Der Anteil der Investitionen am Nationaleinkommen betrug 1935 20 Prozent (1928 waren es 18,1 Prozent), davon bestritt die öffentliche Hand allein 56 Prozent (gegenüber 33 Prozent 1928). Die Industrie jedoch lag mit 14 Prozent noch fünf Punkte unter ihrem Anteil von 1928. Insgesamt war der Anteil der Ersatzinvestitionen mit 52 Prozent so hoch, wie 1928 etwa der Anteil der Neuinvestitionen. 37 Berücksichtigt man, daß die 34
35
36
37
Das Reichswehrministerium war mit der Verkündung der Wehrpflicht am 16. 3. 1935 in Reichskriegsministerium umbenannt worden. Blomberg hatte am 3. 6. 35 ein Schreiben an Schacht gerichtet, in dem er den Ausbau der Mineralölerzeugung mit allen Mitteln und in allen Zweigen forderte und für die Durchführung dieser Aufgabe einen Treibstoff-Kommissar neu eingesetzt wissen wollte. Schacht lehnte in der folgenden Auseinandersetzung mit der Begründung ab, daß die eingeleiteten Maßnahmen den Friedensbedarf fast voll abdecken würden und erreichte eine Zurückstellung neuer Planungen bis Mitte 1936, nicht zuletzt auf Grund der Interventionen Görings, die Blomberg noch veranlaßten, auf Seiten Schachts zu stehen. ( B i r k e n f e l d , Wolfgang, a. a. O., S. 55f. — Petzina, Dieter, Autarkiepolitik, a. a. O., S. 37ff.) — Eichholtz weist darauf hin, daß Krauch (IG Farben) schon 1933 in einer Denkschrift für Milch die Einsetzung eines Treibstoffkommissars gefordert hatte. ( E i c b b o l t D i e t r i c h , Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939—1945, Bd. 1: 1939-1941, Berlin 1969, S. 40.) Die UdSSR hatte 1936 ein ölausfuhrverbot beschlossen. Rumänien hatte zur gleichen Zeit die Preise erhöht und eine Bezahlung in Bardevisen oder in Mark gefordert. Aus beiden Ländern wurden 1935 ca. 30 Prozent der deutschen Einfuhr gedeckt. (Dok. PS-1301, in: IMG, Bd. 27, S. 129f. - Bartbel, Heinz, a. a. O., S. 84f. - Anhangtabelle 18, S. 449.) Vgl. dazu die Tabellen 11—13 über die Investitionsentwicklung bis 1936. (S. 75, 77.)
Die deutsche Eisenerzversorgung
193
Arbeitsstundenkapazität der Industrie vor der Krise nur zu zwei Dritteln ausgelastet war, so werden schon Motive deutlich für die zurückhaltende Investitionstätigkeit der Industrie, zumal mit dem erreichten Stand von 1928 auch 1935 noch nicht von einer Auslastung der vorhandenen Kapazität gesprochen werden konnte. Der Staat hatte den ganz überwiegenden Anteil an der Investitionstätigkeit übernommen, hatte damit aber auch seine Einflußmöglichkeiten auf die Lenkung der Investitionen, die er schon über das Zwangskartellgesetz direkt geltend machen konnte, entsprechend weiter ausgebaut. Wenn also die Tendenz zur Ersatzinvestition stärker war als zur Neuinvestition, so dürfte nicht nur das Verhalten der Industrie, sondern auch die Konzeption der staatlichen Lenkung dafür verantwortlich gewesen sein. Neuinvestition ist Kapazitätserweiterung. Die Kapazität und ihre Auslastung aber stehen im engsten Zusammenhang mit der Kosten- und Exportlage, mit dem „Wirtschaftslichkeitsprinzip" also, das Schacht vertrat und das auch von der Industrie vertreten wurde, soweit es um die Investition des eigenen Kapitals ging. Daß hier Differenzen auftreten konnten, zeigt der Fall Brabag, er zeigt aber auch, daß der Staat (also hier Schacht) im Rahmen seiner Aufgabe, Gesamtinteressen des Monopolkapitals durchzusetzen, die Grundsätze der Kapitalverwertung nicht außer acht ließ. Der Ausbau der Treibstoffproduktion berührte nicht die Kosten und Preise des Exports, er erfolgte für den inneren Bedarf und Verbrauch. Anders war dies bei der Eisenerzversorgung, die bei der hohen Exportabhängigkeit der Eisen- und Stahlindustrie sowie der weiterverarbeitenden Zweige unmittelbar in die Zusammenhänge Kapazität — Kosten — Export hineinführte. So ist es auch nicht verwunderlich, daß sich hier, nicht in der Treibstofffrage, die Differenzen und Gegensätze am schärfsten entwickelten, sowohl zwischen Schacht und Keppler/ Göring als auch in der Gruppe Kohle/Eisen/Stahl selbst und schließlich zwischen der Eisen/Stahlindustrie und Schacht, der damit seine eigentliche Basis verlor und als Reichswirtschaftsminister zurücktrat. Da sich gerade im Zusammenhang mit der Eisenerzversorgung wesentliche Entwicklungslinien und Zusammenhänge im staatsmonopolistischen Gefüge bis 1936/37 nachzeichnen lassen, soll sie im folgenden etwas ausführlicher dargestellt werden. Es ist eine Vielzahl von Faktoren, die das Gruppeninteresse bestimmter Monopole begründet, das sich dann in politische Aktivität und Einflußnahme auf den Staatsapparat umsetzt. Dabei spielen Kapitalinteressen ohne Frage eine vorrangige Rolle. 38 Kapitalinteressen waren es auch, die im Zusammenhang mit der Eisenerzversorgung einen Teil der Kohle/Eisen/Stahl-Gruppe veranlaßten, den aggressiven Autarkiekurs des Vierjahresplans zu unterstützen. Ob der andere Teil darum weniger aggressiv war, bleibt zu bezweifeln, denn immerhin gehörten die Vereinigten Stahlwerke dazu, deren Spitzenmanager Vogler, Thyssen und Poensgen, schon vor 1933 zu den stärksten Befürwortern Hitlers gehört hatten. Eisenerze wurden vor der Krise zu ca. 70 Prozent eingeführt, während Eisenwaren im Export mit an erster Stelle gestanden und mehr Devisen eingebracht hatten, als für die Einfuhr der Erze benötigt wurden. 1927, für die Eisenindustrie ein Jahr sehr guten Geschäftsganges, lag ihr Exportanteil bei 27 Prozent. 39 Die Exportabhängigkeit war infolgedessen sehr hoch, insofern mußte auch das Interesse an der Exportförderung hoch sein, Über die Entstehung monopolistischer Gruppierungen und die dabei wirksamen Faktoren vgl. Schröter, Alfred. Einige methodologische Fragen der Entstehung und Entwicklung monopolistischer Gruppierungen in Deutschland, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1966, T. 4, S. 126—140. 39 Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung (im folgenden: VHKf), 3. Jg., T. A, Nr. 3/1928, S. 33f. 38
194
Entwicklungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
zumal nach der Krise die Positionen auf dem Weltmarkt scharf umkämpft waren. Trotz aller Schwierigkeiten in der Rohstoff- und Devisenlage war die Eisen/Stahlindustrie deshalb auch nicht bereit, zwecks Einsparung von Devisen die deutsche Eisenerzförderung, die 1932 auf 20 Prozent des Standes von 1927 zurückgegangen war, vorrangig zu steigern und Importe stärker einzusparen. 1934 waren erst 65 Prozent der Förderleistung von 1927 erreicht (vgl. Tabelle 47). Tabelle 47 Förderung und Import von Eisenerzen 1927—1936 (in 10001) Jahr
Förderung
Import
insgesamt Importanteil (%)
1927 1928 1929 1932 1933 1934 1935 1936
6625,5 6475,0 6373,7 1339,8 2592,0 4343,2 6043,5 7570,4
17408,8 13794,5 16952,8 3451,6 4571,6 8264,6 14061,1 18469,3
24034,3 20269,5 23326,5 4791,4 7163,6 12607,8 20104,6 25939,7
72,4 68,0 72,7 72,0 63,8 65,6 69,9 71,2
Zusammengestellt und berechnet nach Statistisches Jahrbuch ... 1928, S. 108, 208; 1930, S. 214; 1935, S. 128, 217; Statistisches Jahrbuch für die Eisen- und Stahlindustrie 1937, S. 2, 22f.
Mit nur geringen Schwankungen hatte die Eisen/Stahlindustrie an „ihrem" Importanteil festgehalten. Das hatte ohne Zweifel viele Gründe, eine wesentliche Rolle spielte jedoch die Qualität der deutschen Eisenerze. Der Anteil der inländischen Erze an der Roheisengewinnung lag im Durchschnitt bei 15 Prozent, 85 Prozent waren Importerze.40 Deutschland hatte insgesamt keine gute Eisenerzbasis. Die Vorräte wurden 1934 in der 1. Reihe auf rd. 375 Mill. t, in der 2. Reihe auf rd. 346 Mill. t und in der 3. Reihe als „sehr erheblich" eingeschätzt.41 Der Eisen-Gehalt war mit durchschnittlich 34 Prozent nur etwa halb so hoch, wie z. B. der des Schwedenerzes.42 Der Einsatz von Koks, Transportraum, Hochofenkapazität und Arbeitskraft war infolgedessen für die Verhüttung deutscher Erze entsprechend hoch. Je höher deshalb der Anteil deutscher Erze am Schmelzprozeß war, desto höher lagen die Kosten pro Tonne Roheisen bzw. entsprechend geringer war die Effektivität. Als Keppler im November 1934 sein Büro für die „Sonderaufgabe deutsche Rohstoffe" einrichtete und die Forderung nach einer verstärkten deutschen Erzförderung zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machte, hatte sich die Eisenwarenausfuhr gegenüber JahresEbenda, 9. Jg., T. B, Nr. 2/1934, S. 118. - Vgl. auch Anteile des Metallgehaltes inländischer Erzförderung an der Hüttenproduktion und am Rohmetallverbrauch 1927—1932, in: Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung, 1. Jg., Nr. 7/1934, S. 36. 41 Statistisches Jahrbuch für die Eisen- und Stahlindustrie 1936, S. 1. — 1. Reihe = ohne weiteres verwendungsfähige Erze; 2. Reihe = der ersten Reihe qualitativ gleichwertige Erze, deren Gewinnung bei normaler Wirtschaftslage jedoch Erschwernisse entgegenstehen; 3. Reihe = vorläufig nicht verwendbare Eisenerze. (Ebenda). 42 Ebenda, S. 4. — Wilbelmus, Wolfgang, Die Bedeutung des schwedischen Eisenerzes für die faschistische Kriegswirtschaft, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1973, T. 4, S. 39.
40
Die deutsche Eisenerzversorgung
195
beginn gerade fühlbar gebessert/'3 Das IfK führte diese Entwicklung auf drei „wesentliche Ursachen" zurück: „1. in den konjunkturell fortgeschrittenen Ländern ist der Eisenverbrauch und damit die Eiseneinfuhr gestiegen; 2. die Erhöhung der internationalen Eisenpreise seit Bestehen der IREG (Internationale Rohstahl-Export-Gemeinschaft) hat es den deutschen Werken ermöglicht, wieder mit zunehmenden Mengen auf dem Weltmarkt zu erscheinen; 3. Verrechnungsverträge und Kompensationsabkommen, in beschränktem Umfang wohl auch das Zusatzausfuhrverfahren, erleichterten den deutschen Eisenexport soweit, daß die deutschen Werke die ihnen in der IREG zugestandene Quote in dem Ende Juni 1934 zu Ende gehenden Geschäftsjahr beträchtlich überschreiten konnten." 44 Zur Kostengestaltung wurde festgestellt: „Die internationalen Eisenpreise haben sich gegenüber dem Tiefpunkt um durchschnittlich etwa 20 Gold-sh je t erhöht; annähernd so groß dürfte auch die Erlösbesserung zu schätzen sein. Der Richtpreis für Stabeisen fob Antwerpen liegt gegenwärtig schätzungsweise bei 63 RM je t. Dieser Preis deckt an sich wohl kaum die Selbstkosten der deutschen Werke. Tatsächlich steht jedoch die Wettbewerbslage der deutschen Eisenindustrie unter anderen Gesetzen, seitdem durch Steigerung des Inlandsabsatzes und Erhöhung der Kapazitätsausnutzung die fixen Kosten je Tonne beträchtlich gesunken sein dürften. Die Betriebe können demnach gegenwärtig ndch mit Vorteil exportieren, wenn der auf den Auslandsmärkten erzielte Erlös die proportionalen Kosten deckt." 45 Keppler hatte sich schon seit Beginn des Jahres 1934 mit der Eisenerzlage beschäftigt, insbesondere mit der Verwertung süddeutscher Doggererze, an denen vor allem die Gutehoffnungshütte AG, die Röchling'schen Eisen- und Stahlwerke und die Neunkircher Eisenwerke AG interessiert waren. Im November 1934 übertrug er diese Aufgabe Paul Pleiger, Maschinenbauingenieur, Maschinenfabrikant und Gauwirtschaftsberater in Westfalen-Süd. Damit gab es drei zentrale Einrichtungen,, die Einfluß auf die Eisenerzförderung nahmen: die Bergbauabteilung im RWM unter Oberberghauptmann Schlattmann, die Überwachungsstelle für Eisen und Stahl und das „Büro Keppler". Eine vierte, wenn auch offenbar weitgehend einflußlose Instanz war der noch von Schmitt eingesetzte Rohstoffkommissar (RWM). Dieser Ämterwirrwarr war eine typische Erscheinung im Staatsapparat Nazideutschlands, der das Anwachsen der Bürokratie zusätzlich förderte. Sehr intensiv war auch die Preußische Geologische Landesanstalt auf dem Gebiet der mineralischen Rohstoffe tätig. Durch das Gesetz über die Durchforschung des Reichsgebietes nach nutzbaren Lagerstätten (Lagerstättengesetz) vom 4. Dezember 1934 war sie vom Reichswirtschaftsminister zur zentralen Einrichtung für diese Aufgabe ernannt worden.46 Sic war zwar dem RWM unterstellt, neigte aber in ihren konzeptionellen Auffassun43
44
Die Eisenausfuhr lag im Oktober 1934 arbeitstäglich um 1000t höher als zu Anfang des Jahres: 6000 bis 6500 t gegenüber 5 0 0 0 - 5 5 0 0 t. ( V H K f 9 . Jg., T. B, Nr. 4/1934, S. 311, 313.). Ebenda, S. 313. — Die IREG wurde im Frühjahr 1933 gegründet und hat nach der Feststellung der Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie im Juni 1936 „der gegenwärtigen Konjunktur manche Förderung von der Seite des besser geordneten und gefestigten Weltmarkts" zuteil werden lassen. ( Reichert, S. W., Die Tätigkeit der Wirtschaftsgruppe und die Lage der Eisen- und Stahlindustrie, in: Bericht über die Mitgliederversammlung der Wirtschaftsgruppe eisenschaffende Industrie in Berlin am 9. Juni 1936, S. 16.)
« VHKf., 9. Jg., T. B, Nr. 4/1934, S. 313f. - Im Frühjahr 1934 hatte das I f K festgestellt, daß die Großeisenindustrie mit 58,7 Prozent aller verfügbaren Arbeitsplätze ausgenutzt und damit der Punkt erreicht sei, wo „eine rentable Produktion beginnt". (Ebenda, T. B, H. 1/1934, S. 18.) 46 RGB/. 1. T., S. 1223, § 1, Abs. 3. Durch dieses Gesetz wurden sämtliche „geophysikalischen Untersuchungen zur Erforschung des Untergrundes" melde- und berichtspflichtig gemacht (§ 3). Die Preußische Geo-
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Entwickungsprobleme unter dem „Neuen Plan"
gen hinsichtlich des verstärkten Abbaus deutscher Erze sehr stark der Keppler'schen Auffassung zu, so daß es hier zu einer engen Zusammenarbeit kam. 47 Die besten Lagerstätten befanden sich in den Händen der großen Konzerne, die bei den niedrigen Weltmarktpreisen und der inzwischen wieder günstigen Exportentwicklung kein Interesse an einem verstärkten Abbau deutscher Erze zeigten. Von Seiten der Preußischen Geologischen Landesanstalt, die für einen verstärkten Abbau eintrat, wurde deshalb empfohlen, daß das Reich — „in enger Fühlungnahme mit der Industrie" — selbständig vorgehen müsse, wofür insbesondere die Großlagerstätten bei Salzgitter und in Baden (Doggererze) vorgeschlagen wurden. 48 Es handelte sich bei beiden Großlagerstätten um saure Erze mit geringem Eisen- und besonders hohem Kieselsäuregehalt. Eine Verhüttung nach dem üblichen Hochofenverfahren war nach den Grundsätzen der Kapitalverwertung unprofitabel, weil die sauren Bestandteile durch einen besonders hohen Kalksteinzuschlag abgesättigt werden mußten, wodurch wiederum der Koksverbrauch anstieg und die Hochofenleistung absank. „Trotzdem interessierte sich die Hüttenindustrie, als das Deutsche Reich durch den Versailler Vertrag die Minette verloren hatte, auch für diese minderwertigen Erze. Wie die Lothringer Eisenerzlager nahezu über Nacht wirtschaftlich interessant geworden waren, nachdem Thomas ein Verfahren entwickelt hatte, das es ermöglichte, phosphorreiches Roheisen im basischen Futter des Konverters zu Stahl zu Verblasen, so war es ja nicht ausgeschlossen, daß der Fortschritt der Eisenhüttentechnik eines Tages auch die wirtschaftliche Verwertung der sauren Erze zuließ. Für diesen Fall wollten mehrere Hüttenwerke rechtzeitig gerüstet sein, und deshalb sicherten sie sich den Besitz umfangreicher Felder." 49 Im Salzgittergebiet hatten sich vor allem die Gründerwerke der Vereinigten Stahlwerke AG, die Hoesch-Köln Neuessen AG und später auch die Fried Krupp AG Felder gesichert, „zumal die Reichsregierung Entschädigungen für den lothringischen Besitz zahlte, die für den Ausbau vorhandener und die Erschließung neuer Lagerstätten verwandt werden sollten". 50 Von 1919 bis zur Weltwirtschaftskrise waren von diesen Gesellschaften Versuche für die großindustrielle Verwertung der Salzgittererze durchgeführt worden, ohne daß ein brauchbares logische Landesanstalt hatte schon im ersten Weltkrieg Gutachten für die Kriegsrohstoffabteilung erstattet und verfügte über „einen Stab von Geologen und Bergleuten, ein umfassendes Montan- und Bohrarchiv, Institute für Erze, Nichterze (Kohle, Salz, Erdöl), Steine und Erden, umfangreiche Sammlungen von Lagerstättenkarten, -Chroniken und -Statistiken, mit neuesten Hilfsmitteln ausgestattete chemische Laboratorien und besondere Untersuchungsstellen für Kohlepetrographie, Salzgesteine und Erdölgeologie". Riedel, Matthias, a. a. O., S. 25.) 47 Der Präsident der Preußischen Geologischen Landesanstalt, Prof. v. Seidlitz, hatte die Einrichtung einer Zentralstelle für Rohstofffragen in der Reichskanzlei als eine „unbedingte Notwendigkeit" bezeichnet, da wenig befriedigende Zustände auf dem Gebiet der Unterstützung des deutschen Erzbergbaues herrschten und viele Reichs-, Landes- und Parteistellen hineinredeten, denen der Überblick über die Gesamtlage im Reich völligfehle. (Aus einem Schreiben v. Seidlitz an Keppler v. 3.11. 34, wiedergegeben: Ebenda) U
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