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German Pages XVI, 244 [254] Year 2020
Karl-Heinz Fittkau Phil Heyna
Wirksames Führen in der Polizei Transformationale Führung – Chance auf ein modernes Führungsverständnis
Wirksames Führen in der Polizei
Karl-Heinz Fittkau · Phil Heyna
Wirksames Führen in der Polizei Transformationale Führung – Chance auf ein modernes Führungsverständnis
Karl-Heinz Fittkau FB Polizei & Sicherheitsmanagement Hochschule für Wirtschaft & Recht Berlin, Deutschland
Phil Heyna Raunheim, Deutschland
ISBN 978-3-658-30134-7 ISBN 978-3-658-30135-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Rolf-Guenther Hobbeling Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort
Der Zufall hat uns – einen ehemaligen Polizisten und derzeitigen Hochschullehrer für Führungslehre mit den Schwerpunkten Personalmanagement und Organisationsentwicklung sowie einen jungen Polizeipraktiker mit Erfahrungen in unterschiedlichen (Führungs-)Funktionen – zusammengeführt. Unser gemeinsames Interesse an der Personalführung im Allgemeinen und der Führung in der Polizei im Besonderen, die grundlegende Ansicht, dass die Mitarbeiter der Polizei es wert sind, gut geführt zu werden sowie die Idee, moderne, theoretische Erkenntnisse der allgemeinen Führungsforschung in die Organisation Polizei zu implementieren, führte im Folgenden zu einem anhaltenden und regen Gedankenaustausch. Vor dem Hintergrund des aktuell stattfindenden Diskurses um die Weiterentwicklung des derzeit gültigen Kooperativen Führungssystems (KFS) der Polizei beschlossen wir eine Kooperation mit dem Ziel, diesen Diskurs in der Polizei um ein theoretisch begründetes und empirisch überprüftes Führungskonzept zu erweitern. Ein solches Führungskonzept – so unsere Überlegung – hat dabei zwei Aspekte zu berücksichtigen: Einerseits muss dieses an die allgemeine führungswissenschaftliche Diskussion anknüpfen; andererseits muss dieses aber auch – und dies im besonderen Maße – Probleme der Polizei aufgreifen und Lösungsansätze dafür bieten. Hinsichtlich dieser relevanten Probleme sind unter anderem der potenziell hohe Anteil innerlich Gekündigter, die relativ niedrige Gesundheitsquote sowie die immer wieder auftretenden negativen Spillover-Effekte zu nennen. Ausgehend von diesen Überlegungen war es uns einerseits ein Anliegen, die unterschiedlichen Formen von Führung in Organisationen sowie die führungsspezifischen Besonderheiten der Polizei darzustellen, um den Beteiligten am Führungsprozess ein besseres Verständnis von Führung in der Polizei zu vermitteln und Raum für Selbstreflexion zu schaffen. Andererseits war es unser
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Vorwort
Bestreben, das Konzept der transformationalen Führung und dessen empirische Relevanz darzustellen und abzugleichen, ob dieses ein geeignetes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. Resultierend daraus präsentieren wir ein auf die Polizei angepasstes Führungskonzept, welches weitestgehend auf dem Konzept der transformationalen Führung basiert und welches wir Transformationales Personal führungsmodell der Polizei (TPFM) nennen. Wir hoffen, damit allen Mitarbeitern der Organisation – Geführten wie Führungskräften – Anregungen geben zu können, auf die allgemein bekannten Probleme innerhalb der Polizei angemessen reagieren zu können. Dieses Buch richtet sich im Wesentlichen an alle Angehörigen der Polizei. Diese umfassen unter anderem die Auszubildenden des mittleren Dienstes, die Studierenden der Bachelor-, Diplom- und Masterstudiengänge, Polizeipraktiker des mittleren, gehobenen und höheren Dienstes sowie Wissenschaftler und Lehrende an den Fachhochschulen und Ausbildungsstätten der Polizeien der Länder und des Bundes als auch der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) in Münster. Ferner richtet sich dieses Buch aber auch an Nicht-Polizisten, die ein allgemeines Interesse an der Thematik Führung in der Polizei haben. Diese Monografie ist unser erster Versuch, den Diskurs um die Aktualisierung des aktuellen Führungsverständnisses in der Polizei zu erweitern und zu bereichern. In diesem Zusammenhang bitten wir um eine kritische Auseinandersetzung mit unserem Buch sowie dessen Gedanken und Ideen. Über Feedback, seien es konstruktive Kritik, Ergänzungswünsche, Beispiele aus der (Führungs-) Praxis oder sonstige positive Rückmeldungen, würden wir uns freuen. Des Weiteren ein Hinweis zur Genderthematik: Natürlich ist uns bewusst, dass es auch Polizeivollzugsbeamtinnen, Mitarbeiterinnen und weibliche Führungskräfte gibt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir jedoch auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen und verwenden – hoffentlich im Sinne aller – das kürzere, generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten im Folgenden für alle (männlich/weiblich/divers) Geschlechter. Abschließend möchten wir uns an dieser Stelle bei allen Bekannten, Freunden und Kollegen bedanken, die einen Beitrag jeglicher Art zu diesem Buch geleistet haben. Bezüglich der konstruktiven fachlich-praktischen Hinweise möchten wir uns ferner bei Herrn LKD Olaf Berlin (Abteilungsleiter Staatsschutz und zugleich ständiger Abwesenheitsvertreter des Leiters LKA Brandenburg), Herrn KOR Christian Martin (Leiter Stabsbereich Kriminalitätsangelegenheiten im Behördenstab des Polizeipräsidiums Land Brandenburg) sowie Herrn PHK Matthias Hannemann (Dienstgruppenleiter bei der Autobahnpolizei des Landes
Vorwort
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Brandenburg) bedanken. Ein besonderer Dank gebührt auch unseren Frauen für Ihre Geduld, für das gewissenhafte Lektorat als auch für die mühselige Erstellung unserer Abbildungen. Ihr wart sehr geduldig und nachsichtig mit uns. Herrn Rolf-Günther Hobbeling vom Springer Gabler Verlag danken wir für die fortlaufend angenehme und professionelle Betreuung unseres Buchprojekts. Panketal Raunheim im März 2020
Prof. Dr. Dr. Karl-Heinz Fittkau Phil Heyna MPA
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2 Personalführung und transformationale Führung . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Personalführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1.1 Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1.2 Bedeutung der Personalführung in Organisationen. . . . . . . . 11 2.1.3 Entwicklung der Personalführungsforschung . . . . . . . . . . . . 12 2.2 Transformationale Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.1 Entstehung und theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2.2 Transaktionales und transformationales Führungsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.3 Full Range of Leadership Model. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2.4 Messbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.2.5 Lehr- und Lernbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3 Die Polizei in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.1 Organisation der Polizei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.1.1 Formale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1.2 Drei Seiten der Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.1.3 Politische Prozesse (Mikropolitik) in der Polizei . . . . . . . . . 62 3.1.4 Organisationssoziologische Problematiken der Polizei. . . . . 66 3.2 Führungsspezifische Besonderheiten der Polizei. . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.2.1 Das Berufsbeamtentum und der potenziell hohe Anteil innerlich Gekündigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.2.2 Polizei als „alarmistische Organisation“ mit Erschöpfungstendenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 IX
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Inhaltsverzeichnis
3.2.3 Prädominanz des Politischen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.4 Wertedivergenz und relativ geringe Einflussoffenheit gegenüber höheren Führungskräften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.2.5 Relativ niedrige Gesundheitsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.2.6 Gefahr von Overcommitment und negativem Spillover. . . . 82 3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei. . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.1 Entstehung und konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.2 Begriffsbestimmung und Führungsverständnis. . . . . . . . . . . 89 3.3.3 Implementierung des Kooperativen Führungssystems. . . . . 93 3.3.4 Schwächen des Kooperativen Führungssystems aus heutiger Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.3.5 Stärken des Kooperativen Führungssystems aus heutiger Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.4 Diskurs um die Weiterentwicklung des Kooperativen Führungssystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.4.1 Das Kooperative Führungssystem 2.0. . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.4.2 Das Polizeiliche Führungsmodell der transformationalen Kooperation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung. . . . . 111 4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung. . . . . . . . . . . . 113 4.1.1 Allgemeine Forschungserkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.1.2 Polizeispezifische Forschungserkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . 123 4.2 Studien zur Lehr- und Lernbarkeit transformationaler Führung. . . . 130 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5 Transformationale Führung als neues Führungsverständnis in der Polizei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1 Anforderungen an ein modernes Führungsverständnis. . . . . . . . . . . 136 5.2 Abdeckung der Anforderungen durch das Full Range of Leadership Model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.3 Notwendigkeit zur Anpassung des Full Range of Leadership Model. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Inhaltsverzeichnis
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 6.1 Führungsverständnis der Führungskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 6.1.1 Theoretisches Verständnis von Führung in Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 6.1.2 Verständnis von unmittelbarer Mitarbeiterführung. . . . . . . . 162 6.1.3 Zusammenfassung zum Führungsverständnis. . . . . . . . . . . . 174 6.2 Handlungsfelder der Führungskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6.2.1 Transaktionale Führungsverhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . 179 6.2.2 Transformationale Führungsverhaltensweisen. . . . . . . . . . . . 196 6.2.3 Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 6.2.4 Zusammenfassung zu den Handlungsfeldern . . . . . . . . . . . . 233 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 7 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Über die Autoren
Prof. Dr. Dr. Karl-Heinz Fittkau lehrt Führungslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Davor war er 37 Jahre Polizeibeamter und hat über viele Jahre als Beamter des höheren Dienstes größere Personalkörper geführt. Er ist Mitglied im Netzwerk Führungslehre der deutschen Polizei. Phil Heyna absolvierte 2014 den dreijährigen Studiengang für den gehobenen Polizeivollzugsdienst in der Bundespolizei. Seit 2014 ist er in der Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt. 2019 absolvierte er an der Universität Kassel den berufsbegleitenden Studiengang „Master of Public Administration“, in welchem er sich vertiefend mit der Thematik Personalführung in der Polizei auseinandersetzte.
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Abkürzungsverzeichnis
AAO Allgemeine Aufbauorganisation BAO Besondere Aufbauorganisation CR Contingent Reward DHPol Deutsche Hochschule der Polizei EBCG (FRONTEX) European Border and Coast Guard Agency EDEM Eine Skala zur Messung von Engagement und Demotivation FRLM Full Range of Leadership Model FRLP Full Range Leadership Program FVVB Fragebogen zur Vorgesetzten-Verhaltensbeschreibung GLOBE Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Program IC Individualized Consideration II Idealized Influence IIa Idealized Influence attributed IIb Idealized Influence behavior IM Inspirational Motivation INTERPOL International Criminal Police Organization IS Intellectual Stimulation KFS Kooperatives Führungssystem KFS 2.0 Kooperatives Führungssystem 2.0 MbE Management by Exception MbEa Management by Exception active MbEp Management by Exception passive MLQ Multifactor Leadership Questionnaire ODQ Organizational Description Questionnaire PDV Polizeidienstvorschrift XV
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Abkürzungsverzeichnis
PFM Polizeiliches Führungs-Modell PSE Skala zur Messung psychosomatischer Beschwerden im nichtklinischen Kontext TLI Transformational Leadership Inventory TPFM Transformationales Personalführungsmodell der Polizei UA FEK Unterausschuss Führung, Einsatz, Kriminalitätsbekämpfung
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Einleitung
Zusammenfassung
Das vorliegende Buch befasst sich mit der Beantwortung der Frage, ob das Konzept der transformationalen Führung in der Diktion nach Bernard M. Bass eine Chance auf ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. Dazu werden einleitend die Thematik Führung und transformationale Führung (Kap. 2) sowie die Organisation Polizei in Deutschland (Kap. 3) dargestellt. Anschließend wird in Kap. 4 der aktuelle Forschungsstand zur Wirksamkeit transformationaler Führung referiert, bevor in Kap. 5 diskutiert wird, ob das Konzept der transformationalen Führung dem Anforderungsprofil an ein modernes Führungsverständnis in der Polizei entspricht. In Kap. 6 werden die daraus resultierenden Erkenntnisse in ein eigenes Führungsmodell – das Transformationale Personalführungsmodell der Polizei (TPFM) – überführt. Ein Blick in die gängigen und zeitgenössischen Medien lässt den Eindruck entstehen, dass das Phänomen Führung nicht nur ein zentrales Thema, sondern auch ein zentrales Problem unserer Zeit ist. Dabei wird oft über fehlende Führung beziehungsweise einen Mangel an Führung oder vielmehr einen Mangel an richtiger Führung geklagt. Gerne wird schlechte Führung als ausschließliche Ursache für vorliegende Probleme ausgemacht und gute Führung dagegen als universelles Mittel der Problemlösung beworben (Lang und Rybnikova 2014, S. 5). Dem Phänomen Führung wird indes auch in der Polizei ein hoher Stellenwert beigemessen, da der Umgang und das Miteinander innerhalb der Polizei einen wesentlichen Einfluss auf das Auftreten von Polizeivollzugsbeamten, auf ihren Umgang mit den Bürgern und somit auf die Erfüllung ihrer anspruchsvollen Rolle im Bereich der inneren Sicherheit in Deutschland haben (Baadte 2018, S. 45; Vollmar et al. 2017, S. 11). Führung in der Polizei orientiert sich dabei an dem © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_1
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1 Einleitung
Kooperativen Führungssystem (KFS), welches seit 1982 das offizielle und gültige Führungssystem in der Polizei darstellt (Vollmar et al. 2017, S. 15). Aus heutiger Sicht hat das KFS entscheidend dazu beigetragen, das autoritäre Führungsverständnis der Polizei der Nachkriegszeit zugunsten eines kooperativen und partizipativen Führungsverständnisses abzulösen. Jedoch ist die Zeit darüber hinweggegangen, da sich zum einen die Polizei mit der Gesellschaft verändert hat und zum anderen mittlerweile neuere Erkenntnisse der Führungsforschung ein besseres Verständnis von Führung in Organisationen ermöglichen (Neidhardt 2017, S. 299). Bezüglich der fehlenden Aktualität und der daraus resultierenden, allmählichen Obsoleszenz des KFS gab es in den vergangenen Jahren einen zunehmend kritischen Diskurs in den polizeilichen Fachzeitschriften („Die Polizei“ und „Polizei & Wissenschaft“). Als Konsequenz dieses Diskurses wurden Vorschläge zur besseren beziehungsweise richtigen Nutzung des KFS sowie zur Ergänzung, Modernisierung und Weiterentwicklung unterbreitet (Neidhardt 2017, S. 303 f.). Ferner ist diesbezüglich anzuführen, dass zunehmend die Notwendigkeit eines Neubeginns gesehen wird, welcher sich in Form einer neuen, modernen Führungskonzeption darstellt (Neidhardt 2017, S. 335). Vor diesem Hintergrund befasst sich das vorliegende Buch mit der Frage, ob die transformationale Führung – einschließlich des dahinterstehenden Konzepts – eine Chance auf ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. Eine Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der transformationalen Führung ist dabei von besonderem Interesse, da dieses die jüngere Führungsforschung zweifellos nachhaltig – seit Mitte der 1980er Jahre – geprägt hat und derzeit als das innerhalb der Führungstheorie am häufigsten beforschte gilt (Weibler 2016, S. 339). Um diese leitende Frage adäquat zu beantworten, führt das vorliegende Buch eingangs in die theoretischen Grundlagen ein (Kap. 2). Diesbezüglich wird in Abschn. 2.1 zunächst die Begrifflichkeit Personalführung dargestellt und ihre Bedeutung innerhalb von Organisationen erläutert. Anschließend wird in Abschn. 2.2 das Konzept der transformationalen Führung in der Diktion nach Bernard M. Bass beschrieben. Im Folgenden wird in Kap. 3 die Polizei der Bundes republik Deutschland näher dargestellt. Dazu wird in Abschn. 3.1 die Organisation der Polizei erläutert, bevor in Abschn. 3.2 die führungsspezifischen Besonderheiten der Polizei erörtert werden. Folgend werden in Abschn. 3.3 das derzeit gültige Führungsverständnis der Polizei und in Abschn. 3.4 der Diskurs um die Weiterentwicklung des KFS veranschaulicht. In Kap. 4 wird anschließend der empirische Forschungsstand zur transformationalen Führung dargestellt. Diesbezüg lich wird in Abschn. 4.1 die Wirkung transformationaler Führung – differenziert nach allgemeinen und polizeispezifischen Erkenntnissen – auf unterschiedliche
Literatur
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Führungserfolgskriterien erläutert, bevor in Abschn. 4.2 die Lehr- und Lernbarkeit transformationaler Führung aufgezeigt wird. Alsdann wird in Kap. 5 diskutiert, ob das Konzept der transformationalen Führung, respektive das Full Range of Leadership Model eine Chance auf ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. Dazu wird in Abschn. 5.1 ein Anforderungsprofil an eine neue Führungskonzeption der Polizei skizziert. In Abschn. 5.2 wird kritisch dargestellt, welche dieser Anforderungen durch das Full Range of Leadership Model erfüllt werden und bei welchen Anforderungen ein Anpassungsbedarf des Full Range of Leadership Model vorliegt. Dieser festgestellte Anpassungsbedarf wird in Abschn. 5.3 skizziert und ist im Folgenden der Ausgangspunkt für das Transformationale Personalführungsmodell der Polizei (TPFM), welches in Kap. 6 vorgestellt wird. Einleitend wird diesbezüglich das grundlegende Führungsverständnis der Führungskraft erläutert, bevor anschließend das eigentliche Herzstück des TPFM – die Handlungsfelder der Führungskraft – ausgeführt wird. Abschließend wird in Kap. 7 ein Ausblick skizziert, welcher aufzeigen soll, wo künftige theoretische und empirische Arbeiten anschließen können und sollten.
Literatur Baadte, T. (2018). Systemisches Führen in der Polizei. Möglichkeiten und Grenzen systemischer Interventionen im Spannungsfeld zwischen Organisation und Führungskraft. Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft. Lang, R., & Rybnikova, I. (2014). Vorwort. In R. Lang & I. Rybnikova (Hrsg.), Aktuelle Führungstheorien und -konzepte (S. 5–7). Wiesbaden: Springer. Neidhardt, K. (2017). Anforderungen an eine moderne Führungskonzeption der Polizei. In J. Stierle, D. Wehe, & H. Siller (Hrsg.), Handbuch Polizeimanagement. Polizeipolitik – Polizeiwissenschaft – Polizeipraxis (S. 299–339). Wiesbaden: Springer. Vollmar, K. & Fischbach, A., & Lichtenthaler, P. W. (2017). Kooperative Führung in der Polizei. Vom verordneten Führungsgrundsatz zum beobachtbaren Führungskonzept. In A. Fischbach, P. W. Lichtenthaler, J. Boltz, & B. Werdes (Hrsg.), Erfolgreiches Personalmanagement in der Polizei (S. 11‒37). Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft. Weibler, J. (2016). Personalführung. München: Vahlen.
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Personalführung und transformationale Führung
Zusammenfassung
Führung ist ein universelles, zu allen Zeiten und in allen menschlichen Gesellschaften beobachtbares soziales Phänomen, welches seit Langem – aufgrund der hohen Bedeutung, welche der Personalführung bei der Erreichung der Organisationsziele beigemessen wird – aus der Perspektive verschiedener Wissenschaften intensiv beforscht wird. In diesem Kontext wird die transformationale Führung in der Diktion nach Bernard M. Bass, welche als einflussreiches Konstrukt des new leadership paradigm gilt, detaillierter dargestellt. In diesem Zusammenhang werden ferner das Full Range of Leadership Model sowie der Augmentationseffekt näher erläutert. Abschließend wird dieses Kapitel mit Ausführungen zur Messbarkeit sowie Lehr- und Lernbarkeit transformationaler Führung abgeschlossen. Im nachfolgenden Kapitel werden zunächst die Begrifflichkeiten Personalführung (Abschn. 2.1) und transformationale Führung (Abschn. 2.2) dargestellt. Diesbezüglich wird einleitend erläutert, was Personalführung ist (Abschn. 2.1.1) und welche Bedeutung sie in Organisationen hat (Abschn. 2.1.2), bevor die Entwicklung der Personalführungsforschung (Abschn. 2.1.3) skizziert wird. Daran anknüpfend wird die transformationale Führung in der Diktion nach Bernard M. Bass, welche als einflussreiches Konstrukt des new leadership paradigm gilt, detaillierter dargestellt. Dahingehend werden zunächst die Entstehung sowie die theoretischen Grundlagen (Abschn. 2.2.1) erläutert, bevor zwischen transaktionalem und transformationalem Führungsverhalten (Abschn. 2.2.2) differenziert wird. Anschließend wird das Full Range of Leadership Model (Abschn. 2.2.3) dargestellt und es werden Aussagen zur Messbarkeit (Abschn. 2.2.4) sowie Lehr- und Lernbarkeit (Abschn. 2.2.5) transformationaler Führung getroffen. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_2
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2 Personalführung und transformationale Führung
2.1 Personalführung Führung ist eine zentrale Thematik und zeitgleich eine zentrale Problematik unserer Zeit (Lang und Rybnikova 2014a, S. 5). Sie ist ein universelles, zu allen Zeiten und in allen menschlichen Gesellschaften beobachtbares, soziales Phänomen und findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen (einzelne Personen, Personengruppen, soziale Gebilde) sowie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern (Familie, Militär, Politik, Schule, Wirtschaft) statt und erfüllt maßgeblich die Funktionen der Koordination, Orientierung und Verhaltenssteuerung (Neidhardt 2017, S. 300; Weibler 2016, S. 9 f.; Wunderer 2011, S. 4). Führung wird indes meist mit der direkten Führung beziehungsweise der „face-to-face“-Beziehung zwischen der Führungskraft und dem geführten Mitarbeiter assoziiert, welche auch als „Führung durch Menschen“ (Rosenstiel 2014a, S. 4), als „direkte, personal-interaktive Menschenführung“ (Wunderer 2011, S. 12) oder schlicht als „Personalführung“ (Weibler 2016, S. 88) bezeichnet wird (Neidhardt 2017, S. 301; Weibler 2016, S. 88). Durch den Terminus Personalführung ist weiterhin eine Entscheidung für die organisationale Betrachtung der Führung gefallen. Personalführung ist – im Gegensatz zur allgemeineren Menschenführung, welche auf alle Kontexte der Führung angewendet werden kann – auf Organisationen1 bezogen (Deeg 2010, S. 93; Weibler 2016, S. 84). Im Folgenden wird demnach die in Organisationen stattfindende Personalführung näher betrachtet und es wird beleuchtet, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen.
2.1.1 Begriffsbestimmung „Jeder, der Mitarbeiter führt, weiß was Führung ist. Allerdings wird das Selbstverständliche häufig wenig reflektiert, da Selbstverständliches meist wenig Bedachtes ist.“ - Lutz von Rosenstiel (2014a, S. 3)
Im Kontext des vorstehenden Zitats von Lutz von Rosenstiel erscheint es lohnend und nützlich, den Begriff „Führung“ näher zu erläutern, da es den Allermeisten heutzutage große Schwierigkeiten bereitet, den Begriff abschließend und exakt zu definieren (Fraude 2015, S. 11). Zunächst kann festgehalten werden, dass es für
1Die
Begrifflichkeit Organisation wird in Abschn. 3.1 näher erläutert.
2.1 Personalführung
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die Begrifflichkeit Führung bis heute keine einheitliche und allgemein anerkannte Definition gibt (Dörr 2006, S. 7; Köhn 2010, S. 6; Seidensticker 2017, S. 13; Vollmar et al. 2017, S. 14). Stattdessen bieten Literatur und Wissenschaft aufgrund der unterschiedlichen Disziplinen und Vorstellungen ihrer Vertreter eine Vielzahl von verschiedenen Führungsdefinitionen an (Dörr 2006, S. 7; Uhlendorff und Jäger 2011, S. 22). Obwohl eine Vielzahl von Führungsdefinitionen vorliegt, weisen die meisten (modernen) Definitionen von Personalführung einige gemeinsame Komponenten auf, die als zentral für das Phänomen bewertet werden können. Es scheint daher, dass Personalführung • • • •
Ein Prozess ist, Die Beeinflussung anderer Personen anstrebt, In Gruppen stattfindet und Die Erreichung von gemeinsamen Zielen beinhaltet (Northouse 2019, S. 5; Walenta 2012, S. 496 zit. in Blessin und Wick 2017, S. 30).
Weibler definiert – im Kontext der bereits vorliegenden Führungsdefinitionen – Personalführung wie folgt:
Definition Führung „Führung heißt, andere durch eigenes, sozial akzeptiertes Verhalten so zu beeinflussen, dass dies bei den Beeinflussten mittelbar oder unmittelbar ein intendiertes Verhalten bewirkt.“ (Weibler 2016, S. 22) Betrachtet man das bei dem Begriff Personalführung Zugrundeliegende, ist in der Regel eine Führungsbeziehung erkennbar, welche sich im Allgemeinen durch eine simple Grundstruktur (siehe Abb. 2.1) auszeichnet: Eine Führungskraft und
Führungssituation Führungsverhalten Führungskraft
Mitarbeiter
Führungserfolg
soziale Interaktion
Abb. 2.1 Grundstruktur einer Führungsbeziehung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Nerdinger 2019, S. 97; Rosenstiel 2014a, S. 8; Weibler 2016, S. 27))
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2 Personalführung und transformationale Führung
ein oder mehrere Mitarbeiter interagieren in einer spezifischen Führungssituation. Die Interaktion der Führungskraft ist ein Versuch der zielbezogenen Einflussnahme und wirkt auf einen oder mehrere Geführte. Das anschließende Verhalten der/des Mitarbeiter/s, welches aus dieser Interaktion mit Blick auf die Intention der Einflussnahme resultiert, bezeichnet man als Führungserfolg (Nerdinger 2019, S. 96 f.; Weibler 2016, S. 26). Die Ziele der versuchten Einflussnahme durch die Führungskraft folgen dabei in der Regel den jeweiligen Zielen der Organisation, in welcher geführt wird. Daraus lässt sich ableiten, woran der Erfolg von Führung gemessen werden kann. Die übergeordnete Frage „wofür wird geführt?“ lässt sich dabei in zwei untergeordnete Fragen „für wen wird geführt?“ und „für was wird geführt?“ differenzieren (Blessin und Wick 2017, S. 235; Nerdinger 2019, S. 96). Für wen geführt wird, ist in der Regel klar: Führung soll einen Beitrag zum Erfolg der Organisation leisten – erfolgreich ist eine Organisation, wenn ihre Ziele erreicht oder sogar übertroffen werden. Führungskräfte sollen mit ihren nachgeordneten Mitarbeitern zum Erreichen der Organisationsziele beitragen und dafür sorgen, dass diese so viel leisten, wie zum Erreichen der jeweiligen Ziele mindestens notwendig ist. Führungserfolg zeigt sich dementsprechend zum einen an der Leistung der Mitarbeiter (Nerdinger 2019, S. 96). Die Frage „für was wird geführt?“ ist dahingehend zu betrachten, welche (ungewollten) Nebenfolgen Führung zeigt. Dies erfordert, sich der Konsequenzen des eigenen Handelns sowie auch der Folgen für die Mitarbeiter bewusst zu sein: Führung soll demnach nicht nur den Zielen der Organisation dienen, sondern auch Humanziele verfolgen, also den einzelnen Organisationsmitgliedern nutzen. Führungserfolg zeigt sich demnach zum anderen an der allgemeinen Zufriedenheit beziehungsweise an dem Wohlbefinden der Mitarbeiter (Nerdinger 2019, S. 96). Die Erfassung des Führungserfolgs kann auf drei Ebenen erfolgen: Beim Einzelnen, bei der Personengruppe und bei der Organisation (Weibler 2016, S. 62). Messung von Führungserfolgskriterien Gegenwärtig lassen sich in der Wissenschaft und Praxis weit über 1000 verwendete Führungserfolgskriterien aufzeigen (Rosenstiel 2014a, S. 5). Die Messung der verschiedenen Führungserfolgskriterien kann nach Lehner objektiv mittels direkter und indirekter Ergebnismaße (Effizienzdimension) sowie subjektiv anhand von Wahrnehmungsmaßen (Humandimension) realisiert werden. Zu den objektiv messbaren, direkten Führungserfolgskriterien zählen unter anderem „harte“ Faktoren wie Gewinn und Rentabilität. Objektiv messbare indirekte Führungserfolgskriterien umfassen beispielsweise den Aufstieg einer Führungskraft sowie die Fluktuation und Krankenstände der jeweiligen nachgeordneten Mitarbeiter. Subjektive Führungserfolgskriterien werden zumeist mittels Fragebögen (Selbst- oder Fremdeinschätzung) erhoben und umfassen beispielsweise Faktoren wie Zufriedenheit der Geführten mit der Führungskraft oder das Ausmaß der Kohäsion einer Gruppe (1995, Sp. 552 f.; Sturm et al. 2011, S. 89 f.).
2.1 Personalführung
9
Abgrenzend dazu lassen sich, wenn man Organisationen als relativen Bezugsrahmen wählt, aber auch Führungsformen vorstellen, die gleichermaßen dazu geeignet sind, das Verhalten ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Sie verfolgen zeitgleich denselben Zweck wie die direkte Führung, gehen dabei jedoch durchweg anders vor (Neidhardt 2017, S. 300 f.; Weibler 2016, S. 88). Diese alternative Form der Führung wird als „Führung durch Strukturen“ (Rosenstiel 2014a, S. 3 f.), als „indirekte, strukturell-systemische Führung“ (Wunderer 2011, S. 12) oder als „kontextuelle Führung“ (Weibler 2016, S. 88) bezeichnet (Neidhardt 2017, S. 301). Die direkte und indirekte Führung unterscheiden sich dabei jedoch hinsichtlich ihrer Grundannahme von Steuerung erheblich (siehe Tab. 2.1): Organisationen und ihre Regelungen sind – im Gegensatz zur Personalführung – nicht an bestimmte Organisationsmitglieder gebunden und vermögen über lange Zeiträume zu bestehen. Ihre Regelungswirkung geht dabei über einzelne Personen und Situationen hinaus. Die Personalführung hingegen ist an konkrete Organisationsmitglieder gebunden und muss flexibel auf unterschiedliche Situationen reagieren, um erwünschte Zustände zu erreichen beziehungsweise unerwünschte Zustände zu vermeiden (Weibler 2016, S. 85). Tab. 2.1 Verhaltensbeeinflussung durch Organisation und Personalführung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Weibler 2016, S. 85)) Differenzierungsmerkmal
Organisation
Personalführung
Steuerungsart
• Situative Verhaltens• Präsituative Verhaltenssteuerung steuerung • Steuerung über den Einzel- • Zeitnahe, auf den jeweiligen Einzelfall fall hinaus für eine Vielzahl bezogene Steuerung unter von Fällen • Lang andauernde Gültigkeit Berücksichtigung der vorliegenden Bedingungen
Steuerungsobjekt
• Mitglieder der Organisation • Mitglieder der Organisation und ihr Verund ihr Verhalten • Unabhängig von Individuen halten ichtet sich auf konkrete • Bezieht sich auf Positionen • R Personen und ihr tatsächoder Stellen und das liches Verhalten diesbezügliche erwartete Verhalten
Steuerungsmittel
• Aufgaben, Regeln, Verfahren • Führungskraft-Mitarbeiter• Abstrakte und unpersönliche Verhalten • Konkrete und persönliche Ausgestaltung Ausgestaltung • Auf eine Vielzahl nicht • Auf genau bestimmte bekannter Adressaten Adressaten gerichtet gerichtet
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2 Personalführung und transformationale Führung
Die unterschiedlichen Verfahren kontextueller Führung haben gemeinsam, dass sie sich auf eine Personenmehrheit (im Extremfall auf sämtliche Organisationsmitglieder) beziehen und ihren Einfluss unabhängig von der Personalführung entfalten. Die kontextuelle Führung, welche durch zentrale Instanzen (Organisations-/Personalleitung) einer Organisation initiiert und implementiert wird, läuft dagegen deutlich anonymer und unmerklicher ab als die Personalführung (Weibler 2016, S. 88 f.). Die indirekte Führung wird in Organisationen durch sogenannte Medien entpersonalisierter Führung (siehe Tab. 2.2) vollzogen. Diese sind Technologie (beispielsweise Arbeitszeiterfassungssysteme), Bürokratie (Vorstrukturierung durch generelle Formulare, Regeln, Verfahren), Differenzierung (Sammelbezeichnung für eine status- und positionsbezogene Unterscheidung der Mitarbeiter) und Kultur (Organisationskultur, ungeschriebener Verhaltenskodex) (Weibler 2016, S. 89–91). Indirekte Führung (Führung durch die Organisation) und direkte Führung (Personalführung) können demnach als zwei unterschiedliche Versuche der zielgerichteten Einflussnahme auf das Verhalten der Organisationsmitglieder angesehen werden, die sich ihrem Wesen nach jedoch vollkommen unterscheiden (Weibler 2016, S. 85). Tab. 2.2 Medien entpersonalisierter Führung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Weibler 2016, S. 89–91)) Führungsmedium
Beschreibung
Technologie
• Beinhaltet maschinell geregelte Arbeitsprozesse, welche die Mitarbeiter zur korrekten Ausführung ihrer Arbeit anhalten (beispielsweise Fließbandarbeit oder Arbeitszeiterfassungssysteme)
Bürokratie
• Sämtliche Arbeitsgänge – sofern möglich – werden durch generelle Formulare, Regeln und Verfahren vorstrukturiert • Mitarbeitern wird vorgegeben, wie sie sich zu verhalten haben, um eine ordnungsgemäße Aufgabenerledigung zu gewährleisten
Differenzierung
•H erausbildung einer Hierarchie beziehungsweise von unterschiedlichen hierarchischen Positionen • Ermöglicht die materielle und soziale Steigerung des Einzelnen •M itarbeiter konkurrieren um die knappen Aufstiegschancen und richten ihr Verhalten selbst so aus, wie es aus der Sicht der Führungskraft erwünscht ist
Kultur
• Bildet die allgemeinen Werthaltungen und die daraus abgeleiteten Handlungsweisen ab, die die Organisationsprozesse in charakteristischer Weise prägen • Wirkt als ungeschriebener Verhaltenskodex auf die Mitarbeiter ein • Die beeinflussende Kraft sind die gemeinsamen Werte
2.1 Personalführung
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2.1.2 Bedeutung der Personalführung in Organisationen Dahingehend bleibt jedoch die Frage offen, warum die direkte neben der indirekten Führung in Organisationen überhaupt notwendig ist, da Organisationen mit ihren Strukturen und organisationalen Regelungen genauso versuchen, einen reibungslosen Ablauf zur Erreichung der Organisationsziele zu gewährleisten (Weibler 2016, S. 86). Personalführung kann in Organisationen im Folgenden nur von Bedeutung sein, wenn der organisationsseitige Versuch der Einflussnahme auf die Mitarbeiter nicht in vollem Umfang (Kosten, Qualität, Zeit) gelingt. Dies ist jedoch alltäglich der Fall und hat verschiedene Gründe, welche als grundlegende Probleme der organisationalen Steuerungslogik bezeichnet werden können (Weibler 2016, S. 86). Organisationen stehen dementsprechend vor der Problematik, zu jedem Zeitpunkt zu wenig zu wissen, um alle Konsequenzen, die sich aus ihrer Umgebung ergeben, rechtzeitig und im Vorfeld bestimmen zu können. Weiterhin ist es für sie nahezu unmöglich, für alle Eventualitäten bereits im Vorfeld Vorkehrungen zu treffen, weswegen ihre Regelungen und Strukturen immer bis zu einem gewissen Grad unvollkommen bleiben. Des Weiteren sind sie sowohl den Leistungsschwankungen der Mitarbeiter als auch ihrer Eigenwilligkeit und Eigensinnigkeit ausgesetzt. Individuelle Ziele der Mitarbeiter können dahingehend – kurzzeitig oder systematisch – die Organisationsziele behindern oder gar annihilieren. Alsdann sind Organisationen soziale Gebilde, in denen verschiedene Persönlichkeiten über einen längeren Zeitraum aufeinandertreffen und miteinander arbeiten (müssen) – dies bleibt nicht ohne Spannungen und Konflikte (Weibler 2016, S. 86). Diese Probleme der organisationalen Steuerungslogik zeigen, dass der Alltag einer Organisation nicht allein durch organisatorische Mittel aufgefangen werden kann und Personalführung dementsprechend einen festen Platz in Organisationen haben muss (Weibler 2016, S. 86). Bezugnehmend auf den betrachteten organisationalen Kontext ließe sich also ausführen, dass Personalführung insbesondere dort vorkommt, wo organisationale Regelungen nicht (mehr) greifen. Dies hat Luhmann und Türk dazu bewegt, die Personalführung als „Lückenbüßer der Organisation“ zu betiteln, die erst dann zum Einsatz kommt, wenn organisationale Versuche der Verhaltenssteuerung nicht in erwartetem Maß wirken (Blessin und Wick 2017, S. 229; Weibler 2016, S. 86 f.). Abgrenzend zu der organisationalen Sichtweise wird heutzutage jedoch deutlich, dass eine erfolgreiche Personalführung ein wichtiger strategischer Erfolgsfaktor der Organisationsführung ist und somit einen entscheidenden Einfluss auf die Erreichung der Organisationsziele und damit auch auf den Organisationserfolg insgesamt ausübt. Personalführung, respektive die Führungskraft als
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2 Personalführung und transformationale Führung
Person, ist weit mehr als der „Lückenbüßer der Organisation“, welche nur im Ausnahmefall eingreifen soll. Sie ist stets sowohl in ihrer fachlichen als auch in ihrer zwischenmenschlichen Kompetenz gefragt und gefordert – als Berater bei fachlichen und zwischenmenschlichen Frage- und Problemstellungen, als Vorbild sowie als diejenige, die Aufgaben für die Entwicklung eines jeden Einzelnen in ihrer Gruppe erfüllt und die sich für zwischenmenschliche Beziehungen verantwortlich weiß (Domsch und Regnet 2014, S. V; Sturm et al. 2011, S. 88). Ferner weiß es jeder, der die Praxis kennt: Auch, wenn organisationsseitige Vorschriften noch so eng erscheinen und Ausnahmen bis in das kleinste Detail durch Sondervorschriften geregelt sind, so sind es Menschen und in diesem Kontext insbesondere Führungskräfte, die ausmachen, wie die bürokratischen Vorgaben der Organisation in gelebte Realität umgesetzt werden. Des Öfteren wird es demnach an der Führungskraft liegen, ob trotz der beziehungsweise mit den vorliegenden Vorschriften kreativ und flexibel gearbeitet oder lediglich „Dienst nach Vorschrift“ geleistet wird. Das Verhalten der Führungskraft und insbesondere ihre Art, Ziele zu verdeutlichen, Mitarbeiter zu motivieren, Aufgaben zu koordinieren und Ergebnisse zu kontrollieren, wird zum vordringlichen Bestandteil der Führung (Rosenstiel 2014a, S. 4). Zusammenfassend kann daher – hinsichtlich der Bedeutung der Personalführung in Organisationen – festgestellt werden, dass „in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, innerhalb derer in den Organisationen die Aufgaben zunehmend komplexer werden, [..] der Führung eine hohe Bedeutung zu [kommt].“ (Rosenstiel 2014b, S. 47) und „die Bedeutung der Mitarbeiterführung […] sowohl bei Managern als auch bei Wissenschaftlern unbestritten zu sein [scheint].“ (Fraude 2015, S. V).
2.1.3 Entwicklung der Personalführungsforschung Aufgrund der hohen Bedeutung, welche der Personalführung bei der Erreichung der Organisationsziele beigemessen wird, verwundert es nicht, dass dieser Bereich seit Langem aus der Perspektive verschiedener Wissenschaften intensiv beforscht wird (Nerdinger 2019, S. 96; Sturm et al. 2011, S. 88). Die hohe Aufmerksamkeit, welche der Personalführung zuteilwurde, führte dazu, dass es mittlerweile eine große Bandbreite unterschiedlicher theoretischer Ansätze gibt, welche versuchen, die Komplexität des Führungsprozesses darzustellen (Northouse 2019, S. 1). Im Laufe der Zeit wurde es dementsprechend immer aufwändiger und komplexer, die Ergebnisse der Führungsforschung zum einen nur zu überblicken und sie zum anderen theoretisch einzuordnen und dabei ihre praktische Bedeutung angemessen zu bewerten (Nerdinger 2019, S. 96).
2.1 Personalführung
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Verwendung des Theoriebegriffs Beachtenswert dabei ist, dass der Theoriebegriff so weit gefasst wird, wie in der Führungsforschung selbst. Ansätze, Konzeptionen, Modelle, Theoreme und Theorien werden hier sehr uneinheitlich verwendet (Walter 2011, S. 273; Weibler 2016, S. 97).
Angesichts der Vielzahl von Führungstheorien haben mehrere Wissenschaftler den Versuch unternommen, die verschiedenen theoretischen Ansätze zusammenzufassen und zu klassifizieren (Köhn 2010, S. 6). Obwohl es keine einheitliche und lineare Klassifizierung beziehungsweise Einordnung von Führungstheorien gibt (Neidhardt 2017, S. 308), können die theoretisch-konzeptionellen Ansätze der Personalführung anhand ihrer Strukturkerne unterschieden werden (Blessin und Wick 2017, S. 44; Stock-Homburg 2013, S. 457). Die Entwicklung der Personalführungsforschung lässt sich daher im Kern anhand nachfolgender simplifizierter Darstellung beschreiben: In dem Zeitraum von 1900 bis zum Ende der 1940er Jahre standen eigenschafts- beziehungsweise trait-theoretische Ansätze und damit die Persönlichkeit der Führungskraft im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses (Dörr 2006, S. 9; Felfe 2005, S. 18). Führungsansätze, die sich auf die eigenschaftsorientierte Perspektive konzentrieren, identifizieren Persönlichkeitsmerkmale einer Führungskraft als einzige Einflussgrößen des Führungserfolgs. Weitere Faktoren wie beispielsweise Merkmale der geführten Mitarbeiter, situative Bedingungen oder die Veränderungen von Eigenschaften im Führungsverhalten (Führungsstile) werden nicht weiter berücksichtigt. Im Zentrum des Interesses dieser Ansätze steht daher die Beantwortung der Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale erfolgreiche Führungskräfte charakterisieren. Die Kausalrichtung dieser Ansätze ist dabei einseitig und eindeutig: Wer bestimmte Persönlichkeitseigenschaften hat, wird eine erfolgreiche Führungskraft sein (Blessin und Wick 2017, S. 44; Stock-Homburg 2013, S. 457). Die nachfolgende Führungsforschung konzentrierte sich anschließend in den 1950er bis Ende der 1960er Jahre auf das Verhalten der Führungskraft und ihre Führungsstile (Dörr 2006, S. 9; Felfe 2005, S. 18; Fraude 2015, S. 16). Die klassischen verhaltensorientierten Führungsansätze verfolgen dabei den Ansatz, dass ein bestimmtes Muster von Verhaltensweisen als Führungsstil einen Führungserfolg herbeiführt. Der jeweilige Führungsstil stellt dabei ein Verhaltensmuster dar, welches allein der Führungskraft zugerechnet wird. Dabei wirkt die Führungskraft auf den geführten Mitarbeiter ein, während dieser lediglich eine inaktive und passive Rolle in der Führungsbeziehung einnimmt (Blessin und Wick 2017, S. 44; Stock-Homburg 2013, S. 457).
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2 Personalführung und transformationale Führung
In der anschließenden Führungsforschung standen bis zum Anfang der 1980er Jahre situative beziehungsweise kontingenztheoretische Führungsansätze im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses (Dörr 2006, S. 9; Felfe 2005, S. 18). In den situativen beziehungsweise kontingenztheoretischen Ansätzen wird dabei unterstellt, dass die Führungsstil-Erfolg-Beziehung durch situative Umstände moderiert wird. Dies bedeutet, dass ein spezifischer Führungsstil je nach Umständen – beispielsweise Aufgabeninhalt oder -struktur, Motivation oder Qualifikation des Mitarbeiters – negativ, niedrig oder hoch positiv mit dem Führungserfolg zusammenhängen kann. Der jeweilige Führungsstil kann erfolgreich sein, sofern er in der passenden und richtigen Situation durch die Führungskraft praktiziert wird (Blessin und Wick 2017, S. 45). Veränderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontextes (Stichworte: Wertewandel, Entwicklung und Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien, Akademisierung der Mitarbeiter und zunehmende Internationalisierung sowie Globalisierung) sowie eine gewisse Stagnation der zu dieser Zeit dominierenden Ansätze führten dazu, dass in den 1970er und 1980er Jahren neue Führungstheorien entstanden und sich ein „Paradigmenwechsel“ hin zu zahlreichen Ansätzen der charismatischen Führung vollzog (Dörr 2006, S. 9; Felfe 2006a, S. 164; Lang und Rybnikova 2014b, S. 16–19; S tock-Homburg 2013, S. 457). Bezugnehmend auf die charismatische und transformationale Führung spricht die Literatur häufig, insbesondere zur bewussten Abgrenzung dieser Forschungsrichtung zu der „traditionellen“ Führungsforschung, vom new leadership paradigm2 beziehungsweise dem new leadership approach (Felfe 2005, S. 18; Weibler 2016, S. 339).
Klassifizierung von Führungstheorien Abgrenzend zu der hier vor-
gestellten viergeteilten Klassifizierung von theoretischen Ansätzen muss an dieser Stelle jedoch betont werden, dass diese nicht als vollständig betrachtet werden kann, da in ihr systematisch beispielsweise attributionstheoretische und systemtheoretische Ansätze ausgeblendet werden. Die Ansätze des new leadership approach eint die Frage, wie es Führungskräften gelingen kann, so zu führen, dass herausragende Leistungen erzielt
2In
diesem Kontext verwendet House, abgrenzend dazu, die Bezeichnung der „neocharismatischen“ Führungstheorien (Lang 2014, S. 90).
2.1 Personalführung
15
Tab. 2.3 Gegenüberstellung von Management und Leadership. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Bennis und Nanus 1985 zit. in Felfe 2005, S. 20; Blessin und Wick 2017, S. 116 f.; Kotter 1990, S. 3–8 zit. in Northouse 2019, S. 13; Zaleznik 1992, S. 1)) Differenzierungsmerkmal
Management
Leadership
Rolle
• Funktionär • „Kopie“ • „Guter Soldat“
• Visionär • „Original“ • Persönlichkeit
Prioritäten
• Die Dinge richtig tun • Die richtigen Dinge tun • Fragt nach wie und bis wann • Fragt nach was und warum
Perspektive
• Kurzfristige Erfolge
• Langfristiges Denken
Fokus auf..
• Akzeptanz und Fortsetzung des Status quo • Die Administration • Strukturen und Systeme
• Herausforderung und Entwicklung des Status quo • Die Innovation • Menschen und Vertrauen
Handlungsstrategien
• Verlass auf Kontrolle • Verwaltung von Ressourcen • Erstellung von Programmen und Zeitplänen • Durchführung korrigierender Eingriffe in Abläufe • Entwicklung von Anreizsystemen
• Kreierung und Implementierung von Neuem • Entwicklung von Teams und Visionen • Darstellung des großen Ganzen • Befähigung von Mitarbeitern
werden können (Dörr 2006, S. 11; Felfe 2005, S. 18). Zaleznik hat 1977 vor diesem Hintergrund und der Frage, wie zunehmende Veränderungen erfolgreich bewältigt werden können, zwischen zwei Führungsstrategien unterschieden, hinter welchen zwei verschiedene Typen von Führungskräften stehen: Manager und Leader. Beide Typen von Führungskräften unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Einstellungen, Handlungsstrategien, Rollen und Ziele (siehe Tab. 2.3) (Felfe 2005, S. 18 f.; Riedelbauch 2011, S. 12). Bennis und Nanus verdeutlichen den Unterschied mit ihrem oft zitierten Ausspruch „Managers are people who do things right and leaders are people who do the right thing“ (1985, S. 221 zit. in Northouse 2016, S. 14). Dem Management kommt primär eine ordnende und strukturierende Funktion zu, welche sich auf anfallende Aufgaben bezieht. Seitens des Managers werden Pläne zur Zielerreichung entworfen und Ergebnisse kontinuierlich überwacht.
16
2 Personalführung und transformationale Führung
Seine Aufgaben sind die der Planung, Organisation, Kontrollausübung und Umsetzung von Organisationsvorgaben (Riedelbauch 2011, S. 12). Indessen hat Leadership weniger die Aufgaben als die Mitarbeiter im Blick und sorgt durch die Nutzung unterschiedlicher Führungsinstrumente (beispielsweise Lob und Anerkennung) für eine gleichermaßen effektive und effiziente Erreichung der Organisationsziele. Leader konzentrieren sich dahingehend auf die Mitarbeiter, setzen auf Vertrauen, verstehen sich als Innovatoren, weisen einen Weitblick auf und fordern den Status quo heraus (Riedelbauch 2011, S. 12). Kotter, der die grundsätzliche Differenzierung zwischen Management und Leadership mitunter forciert hat, argumentiert diesbezüglich aber, dass weder das eine noch das andere besser sei und plädiert deutlich für eine Kombination der beiden als ideale Lösung (1990, S. 26 zit. in Fraude 2015, S. 14). Im Folgenden wird die transformationale Führung, welche als einflussreiches Konstrukt des new leadership paradigm gilt3, detaillierter dargestellt, da sie die jüngere Führungsforschung zweifellos nachhaltig geprägt hat (Furtner und Baldegger 2016, S. 145; Weibler 2016, S. 339).
2.2 Transformationale Führung Zunächst kann festgehalten werden, dass in den vergangenen 30 Jahren keine andere Theorie in der Führungsforschung – sowohl in theoretischer als auch empirischer Hinsicht – mehr Aufmerksamkeit und Beachtung erfahren hat als die transformationale Führung (Furtner 2016, S. 1 f.; Furtner und Baldegger 2016, S. 144; Northouse 2019, S. 163). Dies und der Umstand, dass die transformationale Führung seit jeher ausgeprägte Führungserfolge aufweisen kann, führt dazu, dass das Konzept der transformationalen Führung als eines der aktuell besten Führungstheorien der modernen Zeit gilt (Fraude 2015, S. V, 2).
3Neben
der hier getroffenen Einordnung der transformationalen Führung in den new leadership paradigm-Ansatz sehen viele Wissenschaftler diesen Ansatz den verhaltensorientierten Ansätzen angehörig (hierzu unter anderem: Blessin und Wick 2017, S. 11 f., 115–124; Nerdinger 2019, S. 101–105; Weibler 2016, S. 339–347; Wunderer 2011, S. 207 f., 241–244). Diesbezüglich ist jedoch zu erwähnen, dass vereinzelte Wissenschaftler das Konzept der transformationalen Führung als hybride Kombination der eigenschaftsorientierten, verhaltensorientierten sowie situationsorientierten Führungsansätze sehen (Fraude 2015, S. 33). Aufgrund dieses hybriden Charakters wird hier das Konzept der transformationalen Führung dem new leadership paradigm-Ansatz angehörig gesehen.
2.2 Transformationale Führung
17
Insbesondere hat dabei die Theorie der transformationalen und transaktionalen Führung von Bernard M. Bass, welche mit der Schrift „Leadership and Performance Beyond Expectations“ (1985) eingeläutet wurde, viel Beachtung erfahren (Sturm et al. 2011, S. 88; Weibler 2016, S. 339). Komplementär zu dieser Theorie bieten mittlerweile mehrere Wissenschaftler einen e igenständigen Zugang zur Theorie der transformationalen Führung an. Darunter fallen unter anderem die theoretischen Konzepte von Bennis und Nanus, Tichy und Devanna, Kouzes und Posner sowie Rafferty und Griffin (Lang 2014, S. 91; Northouse 2019, S. 174–177; Weibler 2016, S. 346). Nachfolgend wird die transformationale Führung in der Diktion von Bernard M. Bass et al. näher vorgestellt, da dieser Zugang zur Theorie der transformationalen Führung am meisten Aufmerksamkeit und Beachtung in Theorie und Praxis erfahren hat (Sturm et al. 2011, S. 88).
2.2.1 Entstehung und theoretische Grundlagen Hinsichtlich der Entwicklung der Theorie der transformationalen Führung kann einleitend festgehalten werden, dass Bernard M. Bass durch zwei Schriften und den daraus entstehenden Ideen maßgeblich inspiriert wurde. Dabei handelt es sich zum einen um das Werk „A 1976 Theory of Charismatic Leadership“, welches 1977 von dem Professor für Management Robert J. House veröffentlicht wurde und zum anderen um das Werk „Leadership“ des Politologen und Pulitzer-Preisträgers James MacGregor Burns, welches 1978 publiziert wurde (Bass 1998, S. IX; Felfe et al. 2004, S. 263; Schmidt 2011, S. 98; Weibler 2016, S. 339). House hat mit seiner Arbeit die Wiederentdeckung des C harisma-Konzeptes4 für die Führungsforschung bedeutend angestoßen, indem er das Bild einer charismatischen Führungskraft mit ihren spezifischen Merkmalen und Verhaltensweisen sowie der angenommenen Wirkung auf die nachgeordneten Mitarbeiter skizziert. Diese verfügen seiner Ansicht nach über ein hohes Selbstvertrauen, sind
4Der
Begriff Charisma stammt aus dem Griechischen und bedeutet göttliche Gnade oder Gabe. Im Wesentlichen geht die Übertragung des Charisma-Begriffs in die Bereiche von Führung und Politik auf Max Weber zurück. Charisma ist nach Webers Auffassung nur wenigen „Auserwählten“ vorbehalten (Felfe 2005, S. 22; Schmidt 2011, S. 100). Der kritikbehaftete und problematische Charisma-Begriff nach Weber ist einer pragmatischen Perspektive gewichen. Neuere Ansätze werden folglich als „neocharismatisch“ bezeichnet und umfassen ein spezifisches, erlernbares und beschreibbares Führungsverhalten mit verschiedenen Ausprägungsmöglichkeiten (Riedelbauch 2011, S. 8; Schmidt 2011, S. 100).
18
2 Personalführung und transformationale Führung
selbst von ihren Idealen und Vorstellungen überzeugt und wollen andere beeinflussen (Felfe 2005, S. 24). Charismatische Führungskräfte weisen unterdessen maßgebliche Verhaltensweisen auf, welche unter anderem die Zielformulierung, die Stimulation der Motive der Mitarbeiter, die Vorbildfunktion, die Erweckung des Eindrucks von Kompetenz und Erfolg sowie das Setzen von hohen Erwartungen (einschließlich des Ausdrucks von Vertrauen in die Fähigkeit des Mitarbeiters, diese zu erfüllen) umfassen (Felfe 2005, S. 24). Dadurch sollen die geführten Mitarbeiter an die Führungskraft hinsichtlich ihrer Hingabe, Loyalität und Zuneigung gebunden werden, sich mit ihr identifizieren, ihr vertrauen sowie ihr – hinsichtlich der gezeigten Anstrengung, Verhaltensweisen und Werte – nacheifern (Felfe 2005, S. 24). Ergänzend dazu geht der Begriff der transformationalen Führung selbst – und in Analogie zur Differenzierung von Management und Leadership (Felfe 2005, S. 29; Lang 2014, S. 90) – auf eine Unterscheidung des Politikwissenschaftler Burns zurück, welcher Führung im politischen Kontext untersuchte (Weibler 2016, S. 339). Dabei differenzierte er zwischen Führenden, die Gefolgschaft dadurch erreichen, indem sie Belohnungen (Vorteile jeglicher Art) gegen Leistungen der Geführten tauschen, und Führenden, denen es durch die Schaffung einer gegenseitigen Pflichtgemeinschaft mit den Geführten gelingt, Motivation und Kohäsion beständig zu steigern. Das erstgenannte Führungsverhalten bezeichnete Burns als transaktional, das letztgenannte zunächst als transformierend – später dann als transformational (Weibler 2016, S. 339). Überdies betrachtete Burns die transaktionale und transformationale Führung als entgegengesetzte Pole einer Dimension (Felfe 2005, S. 29; Fraude 2015, S. 35) und vertrat die Meinung, dass besonders erfolgreiche Führungspersönlichkeiten ihre Anhängerschaft transformieren und lediglich die transformationale Führung wirklich große Veränderungen herbeizuführen vermag (Felfe 2005, S. 29; Pundt und Nerdinger 2012, S. 28 f.; Weibler 2016, S. 339). Erste Verwendung des Terminus „transformationale Führung“ Abgrenzend zu der weit verbreiteten Annahme, dass James MacGregor Burns der erste Wissenschaftler war, welcher den Terminus „transformationale Führung“ benutzte (hierzu unter anderem: Furtner und Baldegger 2016, S. 139; Köhn 2010, S. 13; Riedelbauch 2011, S. 13; Schmidt 2011, S. 98), ist festzuhalten, dass bereits 1973 James V. Downton in seiner Schrift „Rebel Leadership“ diese Begrifflichkeit verwendete. Als wichtiges Führungsverhalten wurde die transformationale Führung jedoch erst unter Burns hervorgehoben (Bass und Avolio 1994, S. 2; Northouse 2016, S. 162).
Bass griff diese Erkenntnisse aus Burns historischer Analyse von Ereignissen im Kontext der politischen Führung auf und entwickelte sie im Hinblick auf die
2.2 Transformationale Führung
19
Führung in Organisationen weiter. 1985 legte Bass in seinem Werk „Leadership and Performance Beyond Expectations“ eine erweiterte und verfeinerte Form der Theorie der transformationalen Führung vor, welche zwar auf den Schriften von Burns und House basierte, jedoch nicht vollkommen übereinstimmend mit diesen war (Northouse 2016, S. 168; Weibler 2016, S. 339). Diesbezüglich erweitert Bass das Konzept von House, indem er sowohl den emotionalen Elementen und Ursprüngen von Charisma mehr Aufmerksamkeit schenkt als auch darstellt, dass Charisma eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung von transformationaler Führung ist. Überdies erweitert er in seinem Ansatz die Arbeit von Burns, indem er zum einen den Bedürfnissen der Mitarbeiter mehr Aufmerksamkeit schenkt als denen der Führungskräfte (Dörr 2006, S. 14 f.; Northouse 2016, S. 168). Zum anderen versteht Bass die transformationale und transaktionale Führung nicht als entgegengesetzte Pole einer Dimension, sondern überführt die beiden Führungsverhaltensweisen in ein zweidimensionales Konstrukt, da er postuliert, dass Führungskräfte sowohl transaktionales als auch transformationales Führungsverhalten – in unterschiedlichen Mengen – zeigen (Bass 1985, S. 22; Fraude 2015, S. 36; Weibler 2016, S. 339 f.).
2.2.2 Transaktionales und transformationales Führungsverhalten Um ein tiefergreifenderes Verständnis für die Theorie der transformationalen Führung nach Bass zu erlangen, werden im Folgenden die beiden Führungsverhaltensweisen der transaktionalen und transformationalen Führung sowie ihre Beziehung zueinander näher erläutert. Die transaktionale Führung basiert auf einer auf Verstärkung beruhenden Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Geführtem. In dieser agieren beide vornehmlich als rationale Partner, welche Chancen, Einsatz und Nutzen genau kalkulieren. Grundlage dieser Beziehung ist Belohnung in Verbindung mit Leistungserfüllung, welche in materieller und immaterieller Form erfolgen kann, beziehungsweise Bestrafung bei Nichterfüllung, welche in direkter und indirekter Form erfolgen kann (Dörr 2006, S. 12; Furtner und Baldegger 2016, S. 141; Schmidt 2011, S. 104). Die Motivation ist bei der transaktionalen Führung primär extrinsisch geprägt (Dörr 2006, S. 21; Schmidt 2011, S. 104), da sie grundsätzlich den Fokus auf die Selbstinteressen und die individuellen Bedürfnisse der Geführten (beispielsweise höheres Gehalt, Karrieremöglichkeiten) legt (Bass 1999, S. 10; Dörr 2006, S. 25; Furtner und Baldegger 2016,
20
2 Personalführung und transformationale Führung
S. 145). Bass beschreibt dies in Kürze sehr treffend: „Transactional leadership refers to the exchange relationship between leader and follower to meet their own self-interests.“ (Bass 1999, S. 10). Folglich ist eine der wichtigsten Verhaltensweisen der transaktionalen Führungskraft unter der Begrifflichkeit Contingent Reward (CR, deutsch (dt.) „bedingte Belohnung“5) zu fassen. Diese umfasst einen gemeinsamen Aushandlungsprozess, in welchem Führungskraft und Mitarbeiter gemeinsam Ziele festlegen und darüber diskutieren, was erforderlich ist und welche Ressourcen und Voraussetzungen benötigt werden, um diese innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu erreichen (und welche Belohnungen beziehungsweise Gegenleistungen sie dafür erhalten). Dabei klären sie die Aufgaben und Zuständigkeiten für jede Person und legen fest, welche Erwartungen an die jeweilige Person gerichtet werden können (Felfe et al. 2004, S. 266; Furtner und Baldegger 2016, S. 141; Schmidt 2011, S. 104). Anschließend muss die Führungskraft im Idealfall nur noch die Arbeit des Mitarbeiters kontrollieren und nur dann korrigierend eingreifen (Management by Exception (MbE, dt. „Führen nach dem Ausnahmeprinzip“)), wenn die Gefahr besteht, dass die zuvor festgelegten Ziele nicht erreicht werden (Schmidt 2011, S. 104). Die transaktionale Führung gewährleistet dementsprechend eine „erwartete Anstrengung“ des Mitarbeiters, welche im Rahmen des Vereinbarten liegt und eine verlässliche Planung ermöglicht, da sie zu einer „erwarteten Leistung“ führt (Blessin und Wick 2017, S. 119; Nerdinger 2019, S. 103). Abgrenzend zu dem überwiegend ökonomisch definierten, kurzfristigen Austauschprozess der transaktionalen Führung fokussiert die transformationale Führung eine nachhaltige Veränderung (Transformation) der Ideale, Überzeugungen, Werte und Ziele der nachgeordneten Mitarbeiter auf ein „höheres Niveau“ (Fittkau 2019, S. 48; Harazd und Ophuysen 2011, S. 143; Pundt und Nerdinger 2012, S. 31; Weibler 2016, S. 340). Dabei treten an die Stelle kurzfristiger und egoistischer Ziele langfristige und übergeordnete Ideale, Werte und Ziele (Felfe 2006a, S. 163). Bass umschreibt dies wie folgt: „Transformational leadership refers to the leader moving the follower beyond immediate self-interests through idealized influence (charisma), inspiration, intellectual stimulation, or individualized consideration. It elevates the follower’s level of maturity and ideals as well as concerns for achievement, self-actualization, and the well-being of others, the organization, and society.“ (Bass 1999, S. 11). Um
5In
Teilen auch „leistungsorientierte Belohnung“ (Felfe 2005, S. 35) oder „kontingente Belohnung“ (Nerdinger 2019, S. 103; Pundt und Nerdinger 2012, S. 33) genannt.
2.2 Transformationale Führung
21
dies zu bewerkstelligen, kommen im Wesentlichen vier Techniken zum Einsatz, welche im englischen Original als 4 I’s von Bass bezeichnet werden und zusammen die transformationale Führung ausmachen (Nerdinger 2019, S. 103; Weibler 2016, S. 340): • Idealized Influence (II, dt. „idealisierter Einfluss“) oder Charisma Die Führungskraft vermittelt Ideale und Werte, welche sie selbst auch vorlebt. Damit entwickelt sie sich zum bewunderten Vorbild, welches Respekt und Vertrauen erzeugt (Nerdinger 2019, S. 103; Weibler 2016, S. 340). • Inspirational Motivation (IM, dt. „inspirierende Motivation“) Mit inspirierenden Visionen werden bedeutungsvolle, in der Zukunft liegende Ziele durch die Führungskraft vermittelt. Dabei wird die intrinsische Motivation der geführten Mitarbeiter, diese Ziele zu erreichen, gesteigert (Nerdinger 2019, S. 103; Weibler 2016, S. 341). • Intellectual Stimulation (IS, dt. „intellektuelle Stimulierung/geistige Anregung“) Indem die Führungskraft die Mitarbeiter durch neue Denkweisen und Ideen anregt, werden die innovativen und kreativen Fähigkeiten der Mitarbeiter stimuliert. Diese fühlen sich im positiven Sinne herausgefordert, Organisationsprozesse zu hinterfragen und letztlich zu optimieren (Nerdinger 2019, S. 103; Weibler 2016, S. 342). • Individualized Consideration (IC, dt. „individuelle Berücksichtigung und Förderung“) Die Führungskraft geht auf die individuellen Bedürfnisse jedes Mitarbeiters ein und entwickelt systematisch deren Fähigkeiten und Stärken. Sie fungiert dabei als Coach und Mentor (Nerdinger 2019, S. 103; Weibler 2016, S. 342). Transformationale Führungskräfte motivieren mit diesem Verhalten ihre Mitarbeiter dazu, mehr zu tun, als sie anfänglich dachten und für möglich hielten. Durch das Setzen herausfordernder Erwartungen erreichen die Mitarbeiter typischerweise ein höheres Leistungsniveau: „Transformational leaders motivate others to do more than they originally intended and often even more than they thought possible.“ (Bass und Avolio 1994, S. 3). Überdies soll die Aufmerksamkeit der nachgeordneten Mitarbeiter auf die für die Organisation wichtigen Belange gerichtet werden und sie sollen dazu gebracht werden, über die Verfolgung ihrer egoistischen Individualinteressen hinauszugehen und sich für das Wohl der Organisation einzusetzen (Pundt und Nerdinger 2012, S. 31 f.). Unterschiede der transaktionalen und transformationalen Führung hinsichtlich der Zielrichtung, des Einflusses auf das Verhalten, der Motivation, der Leistung
22
2 Personalführung und transformationale Führung
der Mitarbeiter, des Status quo sowie der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft lassen sich der Tab. 2.4 entnehmen. Gelingt es, ein transformationales Führungsverhalten erfolgreich zu praktizieren, führt die erhöhte Motivation der Mitarbeiter zu einer extra Anstrengung (extra effort), welche dazu führt, dass sich Leistungen einstellen, die über das zu erwartende Maß hinausgehen (performance beyond expectations) (Schmidt 2011, S. 105; Weibler 2016, S. 344). Durch die Kombination von
Tab. 2.4 Transaktionale und transformationale Führung im Vergleich. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Blessin und Wick 2017, S. 119 f.; Dörr 2006, S. 12 f., 21–26; Felfe 2006a, S. 163; Furtner und Baldegger 2016, S. 141–145; Harazd und Ophuysen 2011, S. 143; Nerdinger 2019, S. 103; Pundt und Nerdinger 2012, S. 31 f.; Schmidt 2011, S. 104 f.; Weibler 2016, S. 340–344)) Differenzierungsmerkmal
Transaktionale Führung
Fokus/Zielrichtung
• Nachhaltige Veränderung • Individuelle Bedürfnisse der Ziel- und Wertorienund Selbstinteressen tierung der Mitarbeiter der Geführten sowie • Forcierung langfristiger bestehendes Werte- und und übergeordneter Ideale, Wunschniveau Werte und Ziele • Kurzfristig angelegtes „Tauschgeschäft“, welches kurzfristige und egoistische Ziele forciert
Transformationale Führung
Einfluss auf Verhalten/ Führungsart
• Vermittlung von Idealen • Austausch von Leistung und Gegenleistung (Prinzip und Werten • Vermittlung von Visionen der Verstärkung) und Zielen • Zielvereinbarung und • Anregung durch neue Kontrolle Denkweisen und Ideen • Individuelle Entwicklung und Förderung
Motivation
• Extrinsisch
• Intrinsisch
Leistung der Mitarbeiter
• Erwartete Anstrengung • Erwartete Leistung, die im Rahmen des Vereinbarten liegt
• Extra Anstrengung • Performance beyond expectations
Status quo
• Soll beibehalten werden
• Soll verändert werden
Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft
• Rationale Partnerschaft, in der Chancen, Einsatz und Nutzen genau kalkuliert werden
• Beziehungsorientierte Partnerschaft
2.2 Transformationale Führung
23
transaktionaler und transformationaler Führung wird somit ein Zusatzeffekt erzielt, der zu einem Führungserfolg führt, welcher über dem zu erwartenden Maß bei einer rein transaktionalen Führung liegt. Transformationale Führung kann in diesem Zusammenhang neben der transaktionalen Führung einen zusätzlichen Anteil der Varianz von Führungserfolgsvariablen aufklären. Dieser Zusatzeffekt wird als Augmentationseffekt (siehe Abb. 2.2) bezeichnet (Weibler 2016, S. 344). Transformationale Führung kann in diesem Kontext als Erweiterung der transaktionalen Führung angesehen werden, da sie an dem Normalniveau der „erwarteten Anstrengung“ ansetzt und durch eine erhöhte Motivation der Mitarbeiter zu einer „extra Anstrengung“ führt. Erst dies kann zu Leistungen führen, die über die Erwartungen hinausgehen (performance beyond expectations) (Schmidt 2011, S. 105). Eine effektive transaktionale Führung ist demnach eine wesentliche Voraussetzung für die transformationale Führung und transformationale Führung ist nicht allein, sondern erst auf der Basis der transaktionalen Führung so erfolgreich (Furtner und Baldegger 2016, S. 165; Riedelbauch 2011, S. 16). Transformationale Führung addiert sich demzufolge auf die Effektivität der transaktionalen Führung; transformationale Führung ersetzt diese dabei jedoch nicht (Bass 1999, S. 21). Daraus ergibt sich die theoretische Annahme, dass die besten Führungskräfte sowohl transaktionale als auch transformationale Führungsverhaltensweisen zeigen (Bass 1999, S. 21). Bass umschreibt dies wie folgt: „Transformational leadership adds to the effectiveness of transactional leadership; transformational leadership does not Transformationale Führung Idealisierter Einfluss
Transaktionale Führung
Inspirierende Motivation
Intellektuelle Stimulierung
Individuelle Behandlung
Erwartete Anstrengung
Erhöhte Motivation & Extra-Anstrengung
Erwartete Leistung
Leistung über die Erwartung hinaus
Kontingente Belohnung
Management by Exception
Abb. 2.2 Augmentationseffekt. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Nerdinger 2019, S. 104))
24
2 Personalführung und transformationale Führung
substitute for transactional leadership. Empirical studies of this augmentation effect […] support the original theoretical assumption (Bass 1985). The best leaders are both transformational and transactional.“ (Bass 1999, S. 21). Dieses erste konzeptionell und theoretisch skizzierte Modell wurde anschließend vor allem in der Arbeit „Improving Organizational Effectiveness through Transformational Leadership“ von Bernard M. Bass und Bruce J. Avolio (1994) aufgegriffen und zu einem komplexen Faktorenmodell der Führung weiterentwickelt (Lang 2014, S. 102). Dieses wird im Folgenden detaillierter dargestellt.
2.2.3 Full Range of Leadership Model Auf der Basis weiterer theoretischer und empirischer Erkenntnisse griffen Bass und Avolio 1994 das ursprüngliche theoretische Konzept von Bass (1985) auf und übertrugen es in ein Faktorenmodell, welches neben der transaktionalen und transformationalen auch die laissez-faire Führung umfasst (Bass und Avolio 1994, S. 4; Harazd und Ophuysen 2011, S. 143; Lang 2014, S. 102). Dieses Modell wird von seinen Protagonisten als Full Range of Leadership Model (FRLM) beziehungsweise als Full Range of Leadership Theory bezeichnet, da es vermeintlich alle relevanten Dimensionen und Komponenten der Führung umfasst und ein in sich geschlossenes Führungsmodell darstellt (Dörr 2006, S. 21; Harazd und Ophuysen 2011, S. 143; Weibler 2016, S. 342). Das FRLM besteht in seiner aktuellen Form aus drei Dimensionen, die durch mehrere Subdimensionen spezifiziert werden (Harazd und Ophuysen 2011, S. 143 f.). Diese werden im Folgenden detaillierter vorgestellt. Idealized Influence Die Dimension der transformationalen Führung umfasst – in Anlehnung an das ursprüngliche Werk von Bass (1985) – die 4 I’s als prägende Subdimensionen. Idealized Influence oder Charisma6 bedeutet, dass die transformationale Führungskraft durch Authentizität und persönliches Vorbild Einfluss auf die Werte und Einstellungen der nachgeordneten Mitarbeiter ausübt (Dörr 2006, S. 23). Weiterhin zeichnet sie sich durch Glaubwürdigkeit aus und weist eine aus-
6Den Begriff Charisma haben Bass und Avolio zwischenzeitlich – aufgrund häufiger Vorbehalte und Missverständnisse – durch den Begriff Idealized Influence ersetzt (Dörr 2006, S. 23; Felfe 2005, S. 36).
2.2 Transformationale Führung
25
geprägte Tugendhaftigkeit, charakterliche Stärke und ein sichtbar an moralischen Werten orientiertes Verhalten auf (Weibler 2016, S. 340). Alsdann ist die Führungskraft bereit, ihre persönlichen Bedürfnisse und Ziele zugunsten anderer – beispielsweise der Organisation – zurückzustellen und persönliche Risiken auf sich zu nehmen (Felfe 2005, S. 33 f.; Riedelbauch 2011, S. 21). Außerdem erwartet die idealisierten Einfluss ausübende Führungskraft von ihren nachgeordneten Mitarbeitern hohe Leistungs- und ethische Standards, richtet sich aber auch mit ihrem eigenen Verhalten nach diesen und kann sie selbst vorleben. Dadurch zeigt sie ein modellhaftes Verhalten und strahlt aus, das Richtige zu tun (Riedelbauch 2011, S. 21). Durch dieses Verhalten gewinnt die Führungskraft an Anerkennung, Bewunderung, Glaubwürdigkeit, Respekt und Vertrauen und erzeugt so eine Begeisterung für sich selbst, die Sache und das Team (Felfe 2005, S. 33; Weibler 2016, S. 340). Unterdessen identifizieren sich die Mitarbeiter mit ihrer vorgesetzten Führungskraft und versuchen sich an ihrem Verhalten zu orientieren und ihr nachzuahmen (Bass und Riggio 2006, S. 6; Blessin und Wick 2014, S. 117; Felfe 2005, S. 33). Unterdessen kann Idealized Influence in eine Zuschreibungskomponente (Idealized Influence attributed) und in eine Verhaltenskomponente (Idealized Influence behavior) untergliedert werden (Riedelbauch 2011, S. 22; Weibler 2016, S. 340). Diese Differenzierung ist aufgrund der spezifischen Merkmale von Charisma zweckmäßig, da dieses nicht allein durch Verhaltensweisen beschrieben werden kann, sondern auch immer durch eine Anerkennung beziehungsweise Zuschreibung bestimmt ist. Charisma, als eine Funktion der Wahrnehmung von Geführten, liegt demnach im Auge des jeweiligen Betrachters (Riedelbauch 2011, S. 22). Idealized Influence behavior (IIb) beschreibt das tatsächlich beobachtbare Verhalten der Führungskraft, während Idealized Influence attributed (IIa) das zugeschriebene charismatische Verhalten der Führungskraft durch die Geführten widerspiegelt (Furtner und Baldegger 2016, S. 150). Inspirational Motivation Bei der zweiten Subdimension der transformationalen Führung handelt es sich um Inspirational Motivation, den „ansteckenden Teil“ der Führung, welcher die geführten Mitarbeiter zu einem Ideal hin beeinflusst (Riedelbauch 2011, S. 23). Die inspirierende Führungskraft entwickelt eine begeisternde Vision für die Zukunft und kommuniziert diese engagiert und überzeugend gegenüber ihren Mitarbeitern. Sie verdeutlicht dabei, dass sie selbst voll und ganz hinter dieser Vision steht und bedient sich symbolischer Verhaltensweisen sowie inspirierender Reden (Dörr 2006, S. 23). Sodann formuliert sie, wie diese Vision verwirklicht werden kann und drückt sowohl ihr Vertrauen als auch ihre Hoffnung in
26
2 Personalführung und transformationale Führung
die Fähigkeiten und die Motivation der Mitarbeiter aus (Dörr 2006, S. 23). Die Führungskraft zeigt dabei durchweg optimistisches und enthusiastisches Verhalten, dass die Vision gemeinsam mit ihrem Team auch erreicht werden kann. Ihre Vision vermittelt indessen Sinn, zeigt Chancen auf und spricht höhere Bedürfnisse der Mitarbeiter an (Riedelbauch 2011, S. 23). Überdies betont die inspirierende Motivation zeigende Führungskraft die Leistungspotenziale des Einzelnen sowie des Kollektivs, spricht den Organisationszielen Sinn zu und ist in der Lage, Emotionen anderer wahrzunehmen, selbst zu zeigen und gezielt hervorzurufen (Weibler 2016, S. 341). Die Auswirkungen dieses Führungsverhaltens sind, dass die Tätigkeiten der Mitarbeiter in einen neuen, umfassenderen Sinnzusammenhang gestellt werden, was dazu führt, dass die Arbeit zum einen für die Mitarbeiter sinnvoller erscheint und sie zum anderen mit Stolz erfüllt werden, an etwas Großem mitzuwirken (Dörr 2006, S. 23; Riedelbauch 2011, S. 23). Alsdann wird durch die inspirierende Motivation der Teamgeist gefördert (Felfe 2005, S. 34). Intellectual Stimulation Intellectual Stimulation umfasst ein Führungsverhalten, welches kreatives und innovatives Denken bei den nachgeordneten Mitarbeitern fördert und vor allem darauf abzielt, die Problemlösungsfähigkeit der Mitarbeiter zu steigern (Felfe 2005, S. 34; Weibler 2016, S. 342). Dies gelingt, indem Mitarbeiter dazu aufgefordert werden, alte, etablierte Sichtweisen, Routinen und Gewohnheiten in Frage zu stellen und Probleme aus neuen und unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten (Dörr 2006, S. 23 f.; Pelz 2016, S. 96). Diesbezüglich sind nicht selten unkonventionelle Wege und Ideen gefragt, die ohne die Bereitschaft, sich selbst und die eigene bisherige Arbeit zu hinterfragen, nicht entstehen könnten. Fehler, die dabei entstehen, werden akzeptiert und nicht öffentlich kritisiert (Felfe 2005, S. 34; Weibler 2016, S. 342). Die Führungskraft ermutigt dabei ihre Mitarbeiter, diesen lernorientierten Weg zukünftig auch selbstständig zu gehen und den Status quo nicht als automatisch besten Zustand anzusehen (Weibler 2016, S. 342). Konsequenzen dieses Führungsverhaltens liegen zum einen in der erhöhten Bereitschaft der Mitarbeiter mitzudenken, kreative und innovative Wege zu finden sowie Probleme zu lösen. Zum anderen fördert dieses Verhalten die Selbstständigkeit der Mitarbeiter, was dazu führt, dass sich die Führungskraft mit der Zeit selbst „überflüssig“ macht, da die Mitarbeiter selbstständig Probleme erkennen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits selbstständig lösen (Riedelbauch 2011, S. 24).
2.2 Transformationale Führung
27
Individualized Consideration Bei der Subdimension Individualized Consideration ist die Persönlichkeit des jeweiligen Mitarbeiters mit ihren je individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motiven und Wünschen Grundlage des Führungsverhaltens der Führungskraft. Die Tätigkeit des Coaches oder Mentors trifft dabei das Handeln als Sinnbild des Gemeinten recht gut (Weibler 2016, S. 342). Die Führungskraft erkennt die individuellen und unterschiedlichen (Wachstums-)Bedürfnisse der Mitarbeiter an und entwickelt systematisch und gezielt ihre Fähigkeiten und Kompetenzen (Weibler 2016, S. 342; Felfe 2005, S. 34). Um dies zu erreichen, bedient sich die Führungskraft prinzipiell jeder verfügbaren Form der Personalentwicklung (Weibler 2016, S. 342). Überdies bietet sie ein unterstützendes Lernklima und entsprechende Lernchancen. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter individuell berücksichtigen, erkennen die persönlichen Voraussetzungen ihrer Mitarbeiter an, indem sie individuell unterschiedlich vorgehen. Das heißt, dass sie bestimmten Mitarbeitern mehr Autonomie gewähren, manche eher ermutigen und anderen klarere Vorgaben machen oder ihnen mehr Struktur geben (Felfe 2005, S. 34 f.). Die Mitarbeiter fühlen sich dadurch sowohl gefordert als auch gefördert und erleben, dass ihre vorgesetzte Führungskraft sie als Gesamtperson akzeptiert und nicht nur an ihrer Arbeitskraft interessiert ist. Als Voraussetzung für dieses Verhalten wird dabei eine partnerschaftliche Kommunikation angesehen, bei der die Führungskraft versteht, effektiv zuzuhören (Felfe 2005, S. 35). Konsequenzen dieses Führungsverhaltens sind einerseits eine positive Veränderung des Anspruchsniveaus des Mitarbeiters und andererseits die Bereitschaft des Mitarbeiters, sich zusätzlich anzustrengen (Riedelbauch 2011, S. 25). Nachfolgend werden in Tab. 2.5 die einzelnen Subdimensionen der transformationalen Führung kompakt mit ihren jeweiligen charakteristischen Verhaltensweisen der Führungskraft sowie den angenommenen Erfolgswirkungen dargelegt. Die Dimension der transaktionalen Führung umfasst – ähnlich wie in der ursprünglichen Darstellung von Bass (1985) – zwei Subdimensionen: Zum einen handelt es sich dabei um Contingent Reward und zum anderen um Management by Exception, welche sich jedoch noch in eine aktive und eine passive Variante unterteilen lässt (Riedelbauch 2011, S. 18). Contingent Reward Contingent Reward bezieht sich in erster Linie auf den klassischen Austauschprozess zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Dieser umfasst zunächst einen gemeinsamen Aushandlungsprozess, in welchem Führungskraft und Mitarbeiter gemeinsam Ziele festlegen und darüber diskutieren, was erforderlich ist, um diese innerhalb eines festgelegten Zeitraumes zu erfüllen (Felfe et al.
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2 Personalführung und transformationale Führung
Tab. 2.5 Transformationale Führung – Führungsverhaltensweisen und Wirkungen. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Bass und Riggio 2006, S. 6; Blessin und Wick 2014, S. 117; Dörr 2006, S. 23 f.; Felfe 2005, S. 33–35; Riedelbauch 2011, S. 20–25; Weibler 2016, S. 340–342)) Subdimension transformationaler Führung
Charakteristische Verhaltens- Angenommene Erfolgsweisen der Führungskraft wirkungen
Idealized Influence (dt. idealisierter Einfluss)
• Vorbildliches und authentisches Verhalten zeigen • Eigene Bedürfnisse dem großen Ganzen unter ordnen • Hohe Leistungs- und ethische Standards erwarten • Ausstrahlen, das Richtige zu tun • Kalkulierbare Risiken auf sich nehmen
• Führungskraft gewinnt an Anerkennung, Bewunderung, Vertrauen und Respekt • Führungskraft wird zur Identifikationsfigur • Mitarbeiter wollen der Führungskraft nachahmen • Erzeugt Begeisterung für die Führungskraft, die Sache und das Team
Inspirational Motivation (dt. • Visionen entwickeln, symbolisieren, inspirierende Motivation) kommunizieren und vorleben •H ohe Erwartungen kommunizieren •O ptimismus und Zuversicht vermitteln •M itarbeiter zu einem Ideal hin beeinflussen
• Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit • Arbeit erscheint bedeutsam, sinnvoll und ganzheitlich • Begeisterung und Interesse • Betont Leistungspotenziale des Einzelnen und des Kollektivs • Entwicklung von Stolz und Teamgeist bei den Mitarbeitern
• Kreatives und innovatives Denken anregen und fördern • Neue Perspektiven einnehmen (lassen) • Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten • Zu kreativen Ideen ermuntern
• Selbstständigkeit • Partizipation • Kreativität • Mentale Flexibilität • Problemlösungsfähigkeit •F örderung von Rationalität •F ührungskraft macht sich selbst „überflüssig“
Intellectual Stimulation (dt. intellektuelle Stimulierung)
(Fortsetzung)
2.2 Transformationale Führung
29
Tab. 2.5 (Fortsetzung) Subdimension transformationaler Führung
Charakteristische Verhaltens- Angenommene Erfolgsweisen der Führungskraft wirkungen
• Motivation zu zusätzlicher Individualized Consideration • Bedürfnisse und Anstrengungsbereitschaft individuelle Unterschiede (dt. individuelle Berück• Veränderung des der Mitarbeiter erkennen sichtigung und Förderung) Anspruchsniveaus • Jeden Mitarbeiter individuell entwickeln und • Optimale Potenzialentwicklung fördern • Als Coach oder Mentor fungieren • Aktiv zuhören
Tab. 2.6 Belohnungs- und Bestrafungsmöglichkeiten in der transaktionalen Führung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Bass et al. 2003, S. 208; Dörr 2006, S. 12; Felfe 2005, S. 31; Furtner und Baldegger 2016, S. 141; Pelz 2016, S. 94, 96; Schmidt 2011, S. 104 f.)) Belohnung Zielerreichung
Materiell
Immateriell
Entgelt, Prämien und Gehaltserhöhung
„Karriere“, Aufstieg und Beförderung, Lob, positives Feedback und Wertschätzung, Vertrauen und Loyalität
Bestrafung Zielverfehlung
Direkt
Indirekt
Versetzung und Kündigung
Vorenthalt oder Entzug (im-) materieller Belohnung
2004, S. 266; Furtner und Baldegger 2016, S. 141). Ergänzend dazu werden Aufgaben und Zuständigkeiten der beteiligten Personen klar geregelt und es wird festgelegt, welche Erwartungen an die jeweilige Person gerichtet werden können (Felfe et al. 2004, S. 266). Vor diesem Hintergrund werden dabei zeitgleich entsprechende Belohnungen, die in materieller und/oder immaterieller Form erfolgen können, in Aussicht gestellt, wenn die gesetzten Erwartungen durch den nachgeordneten Mitarbeiter erfüllt werden und er die zuvor vereinbarte Leistung erbringt. Abgrenzend dazu erfolgt bei Nichterfüllung der vereinbarten Leistung Bestrafung, welche in direkter und indirekter Form erfolgen kann (siehe Tab. 2.6) (Felfe 2005, S. 35; Furtner und Baldegger 2016, S. 141; Schmidt 2011, S. 104). Zusammenfassend geht es demnach bei Contingent Reward um
30
2 Personalführung und transformationale Führung
die klare Artikulation von Leistungszielen und Leistungserwartungen sowie um die positive oder negative Verstärkung von Zielerreichungsgraden (Riedelbauch 2011, S. 18; Weibler 2016, S. 342). Konsequenzen dieses Führungsverhaltens sind einerseits die Reduzierung von Rollenunklarheiten sowie andererseits die gesteigerte Möglichkeit einer effektiven extrinsischen Motivation, welche zu einer gesteigerten Anstrengung und Motivation der nachgeordneten Mitarbeiter führen kann (Riedelbauch 2011, S. 18). Management by Exception Management by Exception beschreibt zum einen ein Führungsverhalten, bei dem die Führungskraft nur dann in den Arbeitsprozess eingreift, wenn Abweichungen vom Standard, Fehler oder Ausnahmen auftreten. Zum anderen greift die Führungskraft nur dann ein, wenn der gegenwärtige Status quo gefährdet ist und aufrechterhalten werden muss (Köhn 2010, S. 19; Riedelbauch 2011, S. 17). Management by Exception wird dabei in eine aktive und eine passive Komponente untergliedert (Felfe 2005, S. 35; Weibler 2016, S. 342). Management by Exception active (MbEa, dt. „Führung durch proaktive Kontrolle“) zeichnet sich dadurch aus, dass Führungskräfte darüber wachen, dass Abläufe und Vorgänge reibungslos und fehlerfrei verlaufen. Sie nehmen dabei die Rolle eines „Monitors“ ein, welcher die Prozessabläufe fortwährend im Hinblick auf Abweichungen, Ausnahmen und Fehler kontrolliert und im Bedarfsfall aktiv und korrigierend eingreift (Bass und Riggio 2006, S. 8; Dörr 2006, S. 26; Felfe 2005, S. 35). Dieses Führungsverhalten ist besonders effektiv, wenn erfahrene und fähige Mitarbeiter in klaren Strukturen operieren und bekannte Prozesse oder standardisierte Aufgaben ausführen (Schmidt 2011, S. 105). Überdies kann diese Form der Führung in Gefahrensituationen, respektive in Situationen, in denen höchste Sicherheit geboten ist, sehr effektiv sein (Bass und Riggio 2006, S. 8; Furtner und Baldegger 2016, S. 166; Köhn 2010, S. 19 f.). Management by Exception passive (MbEp, dt. „reaktives Eingreifen im Bedarfsfall“) beschreibt ein Führungsverhalten, welches durch überwiegende Zurückhaltung der Führungskraft gekennzeichnet ist. Eingriffe in laufende Arbeitsabläufe und -prozesse erfolgen nur, wenn Fehler oder Probleme bereits aufgetreten sind und einen Eingriff seitens der Führungskraft unbedingt erforderlich machen (Felfe 2005, S. 35; Weibler 2016, S. 342). Tab. 2.7 legt die einzelnen Subdimensionen der transaktionalen Führung kompakt mit ihren jeweiligen charakteristischen Verhaltensweisen der Führungskraft sowie den angenommenen Erfolgswirkungen dar.
2.2 Transformationale Führung
31
Tab. 2.7 Transaktionale Führung – Führungsverhaltensweisen und Wirkungen. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Bass und Riggio 2006, S. 8; Dörr 2006, S. 26; Felfe 2005, S. 35; Furtner und Baldegger 2016, S. 141, 166; Köhn 2010, S. 19 f.; Riedelbauch 2011, S. 17 f.; Schmidt 2011, S. 104 f.; Weibler 2016, S. 342)) Subdimension transaktionaler Charakteristische Verhaltens- Angenommene ErfolgsFührung weisen der Führungskraft wirkungen • Reduzierung von Rollenunklarheiten • Gesteigerte Möglichkeit einer extrinsischen Motivation der Mit arbeiter
Contingent Reward (dt. bedingte Belohnung)
• Ziele festlegen • Belohnungen für Zielerreichung in Aussicht stellen • Je nach Zielerreichungs grad belohnen oder bestrafen
Management by Exception active (dt. Führung durch proaktive Kontrolle)
• Prozesse permanent über- • Weitestgehend fehlerfrei ablaufende Prozesse wachen • Effektiv in Gefahren• Bei Abweichungen vom Standard/Prozess aktiv und situationen korrigierend eingreifen
Management by Exception passive (dt. reaktives Eingreifen im Bedarfsfall)
•P rozesse nicht fortlaufend • Nachträgliche Behebung von Fehlern und überwachen Abweichungen (sofern •B ei bereits aufgetretenen Fehlern und Abweichungen möglich) korrigierend eingreifen
Laissez-faire Führung Das FRLM umfasst abschließend die Dimension der laissez-faire Führung. Dieses Verhalten ist durch die weitgehende Abwesenheit beziehungsweise Vermeidung von Führung selbst in den dringlichsten Situationen gekennzeichnet. Alsdann wird in diesem Verhalten kein Gebrauch von Autorität gemacht, notwendige Entscheidungen werden nicht zeitgerecht getroffen und dringliche Aktivitäten werden aufgeschoben oder verzögert (Harazd und Ophuysen 2011, S. 145). Diese Verhaltensweise ist dabei per Definition die inaktivste und zugleich ineffektivste Führungsweise (Bass und Avolio 1994, S. 4; Bass und Riggio 2006, S. 8). Nachfolgend lassen sich der Tab. 2.8 alle (Sub-)Dimensionen des aktuellen FRLM entnehmen. Die drei Dimensionen des FRLM werden unterdessen auf einem zweidimensionalen Kontinuum von der laissez-faire Führung (passives und ineffektives Führungsverhalten) über die transaktionale Führung bis hin
32
2 Personalführung und transformationale Führung
Tab. 2.8 Dimensionen und Subdimensionen des Full Range of Leadership Model. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Harazd und Ophuysen 2011, S. 144 f.)) Dimension
Subdimension
Transformationale Führung
• Idealized Influence (attributed/behavior) • Inspirational Motivation • Intellectual Stimulation • Individualized Consideration
Transaktionale Führung
• Contingent Reward •M anagement by Exception (active/ passive)
Laissez-faire Führung
• Laissez-faire Führung
effektiv Idealisierter Einfluss (A/B) Inspirierende Motivation Intellektuelle Stimulierung
Contingent Reward
aktiv
passiv
Individuelle Berücksichtigung
Aktives Management by Exception Passives Management by Exception Laissez-faire
ineffektiv
Abb. 2.3 Das Full Range of Leadership Model nach Bass und Avolio. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Furtner und Baldegger 2016, S. 141))
zur transformationalen Führung (aktives und effektives Führungsverhalten) abgebildet (siehe Abb. 2.3) (Furtner und Baldegger 2016, S. 139). Grundlegend für das FRLM ist, dass die Protagonisten davon ausgehen, dass jede Führungskraft jedes dargestellte Führungsverhalten im Alltag in verschiedenem Maß ausübt (Bass 1998, S. 7; Bass und Avolio 1994, S. 4; Bass und
2.2 Transformationale Führung
33
Riggio 2006, S. 9). Dies wird von Bass wie folgt umschrieben: „Fundamental to the Full Range of Leadership model is that every leader displays each style to some amount.“ (Bass 1998, S. 7). Den jeweiligen (Sub-)Dimensionen des FRLM werden dabei jedoch in unterschiedlichem Umfang Führungserfolgsaussichten zugeordnet. Diesbezüglich wird empfohlen, insbesondere den Subdimensionen der transformationalen Führung zu folgen und überdies auch auf die austauschorientierte bedingte Belohnung zu setzen (Weibler 2016, S. 343). Den verbleibenden Subdimensionen der transaktionalen Führung sowie der laissez-faire Führung wird entsprechend eine kontinuierlich sinkende Bedeutung für den Führungserfolg bis hin zu kontraproduktiven Effekten zugeschrieben (Weibler 2016, S. 343). Entscheidend für ein ideales Führungsverhalten ist, wie die einzelnen Subdimensionen des FRLM gewichtet werden: Ein optimales Führungsverhalten zeichnet demnach aus, dass transformationale Führungsverhaltensweisen gegenüber transaktionalem Verhalten deutlich überwiegen (eine Ausnahme bildet hier CR) und laissez-faire Führung nur in Ausnahmefällen auftritt (Felfe 2005, S. 36). Ein optimales Führungsverhalten nach Bass und Avolio lässt sich der Abb. 2.4 entnehmen. In dieser Darstellung des FRLM repräsentiert die dritte Dimension
effektiv
I’s
CR
passiv
aktiv
MbEa
MbEp
it
ke
fig
u Hä LF
ineffektiv
Abb. 2.4 Optimales Führungsverhalten nach Bass und Avolio. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Bass und Avolio 1994, S. 5))
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2 Personalführung und transformationale Führung
(die Tiefe der jeweiligen Subdimensionen) die Häufigkeit, mit der eine Führungskraft das jeweilige Führungsverhalten zeigt (Bass und Avolio 1994, S. 5). Ein optimales Führungsverhalten besticht demnach dadurch, dass die Führungskraft überwiegend transformationales Führungsverhalten sowie die Subdimension CR zeigt. Dieses Verhalten stellt dabei ein sehr aktives und vor allem effektives Führungsverhalten der Führungskraft dar. Anschließend nimmt die Häufigkeit der gezeigten Führungsverhaltensweisen von MbEa über MbEp immer weiter ab, bis letztlich nur wenig laissez-faire Führung durch die Führungskraft gezeigt wird. Im Kontrast dazu zeigt Abb. 2.5 ein suboptimales Führungsverhalten, welches durch eine hohe Menge an laissez-faire Führung und MbEp geprägt ist. Das Führungsverhalten nimmt unterdessen von MbEa über CR bis hin zu den transformationalen Subdimensionen immer weiter hinsichtlich der gezeigten Häufigkeit ab. In der Führungstheorie des FRLM wird – wie in anderen Führungstheorien – angenommen, dass die jeweilige Situation eine entscheidende Determinante von Führungseffektivität und somit für den Führungserfolg darstellen kann. Durch das FRLM soll ein möglichst breites Repertoire an Führungsverhaltensweisen geboten werden, was eine flexible Anpassung der Führung an sich wechselnde
effektiv I’s
CR
aktiv
passiv
MbEa
MbEp
fig
u Hä
it
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LF
ineffektiv
Abb. 2.5 Suboptimales Führungsverhalten nach Bass und Avolio. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Bass und Avolio 1994, S. 6))
2.2 Transformationale Führung
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und ändernde situative Arbeitsbedingungen gewährleistet (Riedelbauch 2011, S. 19). Auch wenn die Dimension der transformationalen Führung als aktivste und effektivste dargestellt wird, ist hervorzuheben, dass dies nicht bedeutet, dass transaktionale Führung nicht erfolgreich ist. Abgrenzend dazu können auch MbEa und MbEp, je nach den jeweiligen Umständen und Situationen, unter denen sie eingesetzt werden, effektive Führungsverhaltensweisen sein (Köhn 2010, S. 22). Im Allgemeinen kann daher festgehalten werden, was Bass bereits darstellte: Die effektivsten Führungskräfte sind diejenigen, die sowohl transformationale als auch transaktionale Führungsverhaltensweisen zeigen (Weibler 2016, S. 345). Ergänzend zu der situativen Komponente des FRLM ist zu erwähnen, dass die jeweilige Führungskraft die transformationalen Subdimensionen ganz individuell und unterschiedlich umsetzen kann. Dies bedeutet, dass transformationale Führung sowohl partizipativ oder befehlend als auch autoritär oder demokratisch umgesetzt werden kann: „Transformational leaders can be directive or participative, authoritarian or democratic.“ (Bass 1999, S. 13).
2.2.4 Messbarkeit Die theoretischen Konzeptionen der transformationalen Führung beziehungsweise des FRLM haben nach ihren Veröffentlichungen diesbezüglich eine hohe empirische Forschungsaktivität ausgelöst (Harazd und Ophuysen 2011, S. 146). Dabei wurden mehrere Methoden entwickelt, um transformationales Führungsverhalten empirisch zu erfassen. Diese Methoden umfassen unter anderem die Auswertungen von Tagebucheinträgen, Interviews, Beobachtungen und Fragebögen (Bass und Riggio 2006, S. 27–31). In der empirischen Forschung zu transformationaler Führung hat sich, trotz der Vielzahl an vorliegenden Methoden, ein Instrument durchgesetzt und eine zentrale Bedeutung erlangt, welches als Multifactor Leadership Questionnaire (MLQ) bezeichnet wird. Dieser wurde durch Bass 1985 entwickelt und ermöglicht – im Gegensatz zu anderen Fragebogeninstrumenten wie dem Transformational Leadership Inventory (TLI) von Podsakoff et al. – alle Führungsverhaltensweisen des FRLM zu erfassen (Felfe 2005, S. 51; Harazd und Ophuysen 2011, S. 146; Riedelbauch 2011, S. 25). Daneben gilt der MLQ gegenwärtig als das am häufigsten eingesetzte Instrumentarium zur zuverlässigen Erfassung transformationaler Führung beziehungsweise aller Subdimensionen des FRLM und kann daher als Standardinstrument zur Erfassung des FRLM
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2 Personalführung und transformationale Führung
bezeichnet werden (Bass und Riggio 2006, S. 19; Dörr 2006, S. 32; Felfe 2006b, S. 62; Fraude 2015, S. 45, 48; Northouse 2019, S. 189). Komplementäre Messinstrumente zur Erfassung transformationaler Führung Neben Bass et al. gibt es weitere Wissenschaftler, die versuchten, mittels eigener Fragebogeninstrumente transformationales (und transaktionales) Führungsverhalten zu erfassen. Komplementäre Messinstrumente zur Erfassung transformationaler Führung sind unter anderem: • Transformational Leadership Behavior Inventory von Podsakoff et al. (1990), • Differentiated Transformational Leadership Inventory von Hardy et al. (2010) sowie Callow et al. (2009), • Transformational Leadership Questionnaire von Alban-Metcalfe und Alimo-Metcalfe (2000), • Global Transformational Leadership Scale von Carless et al. (2000), • Leadership Assessment Inventory von Burke, • Follower Belief Questionnaire und Attributes of the Leader Behavior Questionnaire von Behling und McFillen (1996) sowie • Leadership Practices Inventory von Kouzes und Posner (Bass und Riggio 2006, S. 29–31; Fraude 2015, S. 43–45; Köhn 2010, S. 28)
Mit der Entwicklung des MLQ im Jahr 1985 geht das erste Fragebogeninstrument zur Erfassung transformationaler Führung auf Bernard M. Bass zurück. Die Entwicklung des MLQ vollzog sich dabei in mehreren Schritten und auf integrative Weise (Felfe 2005, S. 51; Köhn 2010, S. 24–26). Daran anknüpfend führten neue faktorenanalytische Forschungsergebnisse sowie theoretische Kritiken fortlaufend zu weiteren Revisionen des MLQ (Köhn 2010, S. 26). Aufgrund zahlreicher Kritiken, welche unter anderem Probleme bei der Replikation der Faktorenstruktur (Struktur der Subdimensionen) sowie hohe Korrelationen der transformationalen Subdimensionen untereinander umfassten, wurde der MLQ erneut von Bass und Avolio überarbeitet. Durch die beiden Forscher wurde 1995 der derzeit aktuellste MLQ veröffentlicht (Version 5X), welcher ergänzende Differenzierungen hinsichtlich der Faktorenstruktur aufweist (Felfe 2005, S. 53; Furtner und Baldegger 2016, S. 187). Der aktuelle MLQ 5X spiegelt demnach alle (Sub-)Dimensionen des bereits vorgestellten FRLM wider. Neben der Erfassung aller Subdimensionen des FRLM umfasst der MLQ 5X, wie bereits in der ersten Version von Bass (1985), drei interne Führungserfolgsindikatoren (Köhn 2010, S. 25; Riedelbauch 2011, S. 25): • Extra effort (dt. „extra Anstrengungsbereitschaft“)
2.2 Transformationale Führung
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Misst die Leistung, welche geführte Mitarbeiter über die erwartete Leistung hinaus erbringen, • Satisfaction with the leader (dt. „Zufriedenheit mit der Führungskraft“) Misst die Zufriedenheit der geführten Mitarbeiter mit ihrer unmittelbar vorgesetzten Führungskraft und • Effectiveness of the leader (dt. „Effektivität der Führungskraft“) Misst die wahrgenommene Effektivität der Führungskraft durch den Mitarbeiter. Gegenwärtig liegen zwei unterschiedliche Versionen des MLQ 5X vor – eine Kurzversion (MLQ 5X Short), welche 36 Items umfasst und eine Langversion, welche 63 Items beinhaltet (zuzüglich neun weiterer Items für die Führungserfolgsindikatoren). In dem MLQ 5X Short, welcher gegenwärtig die am häufigsten eingesetzte Version des MLQ darstellt, beschreiben vier Items jede der neun Subdimensionen des FRLM (Bass und Riggio 2006, S. 21; Furtner und Baldegger 2016, S. 187; Weibler 2016, S. 342). Hinsichtlich der Faktorenstruktur des MLQ 5X konnte durch mehrere (Validierungs-)Studien die angenommene neunfaktorielle Struktur bestätigt werden (Furtner und Baldegger 2016, S. 187; Köhn 2010, S. 27; Northouse 2016, S. 187). Des Weiteren ist anzumerken, dass der MLQ 5X in zwei Varianten vorliegt: Zum einen liegt der MLQ 5X als Fremdeinschätzung vor, welcher durch die geführten Mitarbeiter der Führungskraft beantwortet wird (üblicherweise der Fall) und zum anderen als Selbsteinschätzung der Führungskraft, welcher entsprechend sprachlich angepasst wird (Bass und Riggio 2006, S. 20; Felfe et al. 2004, S. 268, 271; Fraude 2015, S. 45; Weibler 2016, S. 344). Die Popularität der transformationalen Führung, respektive des FRLM, führte dazu, dass der MLQ bereits in zahlreiche Länder und Kulturen überführt und auch in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde (Felfe et al. 2004, S. 272). Für den deutschsprachigen Raum übersetzten und validierten 2002 Felfe und Goihl den MLQ 5X Short (Harazd und Ophuysen 2011, S. 147). Die von Felfe und Goihl 2002 vorgestellte deutsche und überarbeitete Version ist eng an die Version MLQ 5X Short von Bass und Avolio angelehnt (Felfe 2005, S. 148; Felfe und Goihl 2002, S. 2). Das Ziel der beiden Forscher war es, die deutsche Übersetzung so nah wie möglich an der englischen Originalversion zu halten, um ein möglichst hohes Ausmaß an Vergleichbarkeit mit bisherigen Studien zu gewährleisten (Felfe 2005, S. 148 f.). Bei der Instrumentenentwicklung wurden dennoch einige M odifikationen vorgenommen, welche aus Sicht der Forscher notwendig waren. Diese umfassen einerseits eine angepasste Formulierung der Items der Subdimension laissez-faire Führung (von einer negativen Formulierung hin zu
38
2 Personalführung und transformationale Führung
einer positiven) und andererseits die Ergänzung von sechs Items, welche zusätzliche Aspekte darstellen, die sich in Interviews und einer Vorstudie als bedeutend erwiesen haben (Felfe 2005, S. 149; Felfe und Goihl 2002, S. 5). Ergänzend dazu wurden jedoch auch drei Items aufgrund der Erkenntnisse aus Faktorenanalyse und Reliabilitätsanalysen ausgeschlossen. Des Weiteren wurde die zusätzliche Subdimension Charisma ergänzt und das Antwortformat von 0 bis 4 auf das gebräuchlichere Maß 1 bis 5 verschoben (Felfe und Goihl 2002, S. 5). Abschließend kann festgehalten werden, dass die deutsche überarbeitete und ergänzte Version des MLQ 5X von Felfe und Goihl (2002) an zahlreichen Stichproben eingesetzt wurde und die Einschätzungen von über 3500 Mitarbeitern und Führungskräften bezüglich der direkt vorgesetzten Führungskraft einbezogen werden konnten (Felfe 2005, S. 148). Demzufolge kann zusammengefasst werden, dass die Theorie der transformationalen Führung, respektive das FRLM, sowie das dazugehörige vorgestellte Messinstrument erfolgreich in das deutsche Setting transferiert werden konnte (Felfe et al. 2004, S. 270).
2.2.5 Lehr- und Lernbarkeit Hinsichtlich der Lehr- und Lernbarkeit vertrat Bass bereits 1990 die Überzeugung, dass transformationales Führungsverhalten gelernt werden kann und Gegenstand von Führungskräftetrainings und der Führungskräfteentwicklung sein sollte (Bass 1990, S. 27). Im selben Jahr waren Bass und Avolio zudem der Auffassung, dass die transformationale Führung sowie die Entwicklungsmöglichkeit dieses Führungsverhaltens in Führungskräftetrainings zu wenig Beachtung findet, da transformationale Führung immer wieder als festgelegte Persönlichkeitseigenschaft, in concreto als „Gabe“, die man entweder hat oder nicht, gesehen wurde. Aufgrund der Tatsache, dass die Theorie der transformationalen Führung von Beginn an verhaltensbezogen durch die Autoren formuliert worden ist, wurden seit den 1980er Jahren erste Ansätze zur Entwicklung und Förderung transformationalen Führungsverhaltens konzipiert, erprobt und evaluiert (Riedelbauch 2011, S. 36). Bass und Avolio entwickelten und veröffentlichten 1991 das Full Range Leadership Program (FRLP)7, welches als zwei Kernelemente das persönliche Feedback auf der Grundlage der MLQ-Ergebnisse (Fremd- und Selbstein-
7Abweichend
dazu auch Full Range Leadership Training (Riedelbauch 2011, S. 37) oder ull-Range-Leadership-Development-Programm (Furtner und Baldegger 2016, S. 191) F genannt.
2.2 Transformationale Führung
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Tab. 2.9 Module und Workshops des Full Range Leadership Program. (Quelle: Eigene Darstellung (übersetzt nach Bass und Riggio 2006, S. 155 f.)) Basis FRLP-Workshop Einführung Das FRLP beginnt mit einer Würdigung der vielfältigen Veränderungen, die im organisationalen Leben stattgefunden haben. Beispielsweise müssen Organisationen und Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren, um mit den sich ändernden internen und externen Anforderungen Schritt zu halten und ihre Effektivität aufrechterhalten und steigern zu können. In der Einführung wird auch betont, dass der Teilnehmer sowohl ein guter Manager als auch ein guter Leader sein muss. Gutes Management sorgt für Vorhersehbarkeit und Ordnung, um die aktuellen Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen zu erfüllen. Gutes Leadership vergegenwärtigt neue Richtungen und motiviert andere, sich in diese neuen Richtungen zu bewegen. Modul 1: Mein idealer Leader und klassifizierende Leadership-Merkmale
Dieses Modul beinhaltet eine Betrachtung der impliziten Führungstheorien der Teilnehmer sowie der Führungskräfte, die sie beeinflusst haben. Eigenschaften dieser Führungskräfte werden ausgewertet und kategorisiert. Dabei stellt sich langsam heraus, dass jede Kategorie eine der Komponenten des transformationalen Führungsmodells ist.
Modul 2: Einführung in das Full Range Die Teilnehmer überprüfen jede der Subdimensionen des FRLM und wie sie sich auf of Leadership Model Aktivität und Effektivität der Führungskraft beziehen. Ferner konzentrieren Fallstudien und Verhaltensbeispiele die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Führungsverhaltensweisen, die in den meisten Organisationen zu finden sind. Zu jeder Subdimension werden Fragen gestellt, wie das jeweilige Führungsverhalten zum eigenen Verhalten und dem der Organisation passt oder nicht. Modul 3: Die vielen Wege zur transformationalen Führung
Dieses Modul enthält mehrere Videosequenzen mit einigen für die verschiedenen Subdimensionen typischen Schlüsselverhaltensweisen.
Modul 4: Überprüfung des MLQ Feedbacks
Die Teilnehmer erhalten auf Basis der Bewertungsergebnisse des MLQ ein eigenes detailliertes Führungsprofil. Die Teilnehmer nutzen dies, um persönliche Führungskräfteentwicklungspläne zu entwickeln. (Fortsetzung)
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2 Personalführung und transformationale Führung
Tab. 2.9 (Fortsetzung) Basis FRLP-Workshop Modul 5: Rollenspiel „transaktionale und transformationale Führung“
In kleinen Gruppen entwickeln die Teilnehmer ein Video mit zwei kontrastierenden Szenen, welche transaktionale und transformationale Führungsverhaltensweisen abbilden. Die Ergebnisse werden anschließend überprüft und diskutiert.
Modul 6: Individuelle Berücksichtigung Die Teilnehmer lernen Delegation zu nutzen, um und Förderung im Fokus das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu entwickeln. Es werden mehrere unterschiedliche Möglichkeiten vorgestellt, um Delegation effektiver gestalten zu können. Modul 7: Bewertung der WorkshopTeilnehmer
Die Teilnehmer bewerten ihre WorkshopKollegen im Hinblick auf das gezeigte transaktionale und transformationale Führungsverhalten, welches in den vorherigen Modulen und Diskussionen beobachtet wurde. Die Teilnehmer teilen ihr Feedback im jeweils gewünschten Ausmaß und diskutieren Gründe für ihre Bewertungen und erarbeiten Implikationen für Verbesserungen.
Modul 8: Führungsblockaden
Mögliche organisatorische Hindernisse für die eigenen Führungspläne der Teilnehmer werden angesprochen – Vorgesetzte, sie selbst, Geführte und Unternehmens-/Organisationspolitik. Die Teilnehmer verfeinern die Ziele ihrer in Modul 4 entwickelten Führungskräfteentwicklungspläne und überprüfen Strategien, um die möglichen Blockaden bei der Durchführung ihrer Pläne zu überwinden. Dreimonatiges Intervall zwischen Basis FRLP-Workshop und Fortgeschrittenen FRLPWorkshop Während des dreimonatigen Intervalls haben die Teilnehmer Zeit, die Schlüsselkompetenzen in ihrem eigenen Arbeitsumfeld zu üben. Fortgeschrittene Auseinandersetzungen mit theoretischen und empirischen Arbeiten sind abgeschlossen. Die Führungskräfteentwicklungspläne der Teilnehmer werden getestet und verfeinert. Die Teilnehmer können spezifische Ziele formulieren und bewerten sowie die Bereitschaft ihrer Organisation für Veränderungen beurteilen. Sie können Geführte, Kollegen und Vorgesetzte in Diskussionen über ihr Führungsverhalten einbinden. Sie können mit verschiedenen Führungsverhaltensweisen experimentieren. Sie können ferner Umfragedaten zu ihrer Organisationskultur sammeln und sich mit ihren Vorgesetzten treffen, um über ihre Führungskräfteentwicklungspläne zu sprechen. (Fortsetzung)
2.2 Transformationale Führung
41
Tab. 2.9 (Fortsetzung) Basis FRLP-Workshop Fortgeschrittenen FRLP-Workshop Modul 9: Überprüfung der Führungskräfteentwicklungspläne
Der bisherige Erfolg jedes Teilnehmers wird vorgestellt und diskutiert. Die Teilnehmer überprüfen ihre Führungskräfteentwicklungspläne einzeln und in Teams. Gründe für Erfolge und Misserfolge werden untersucht. Probleme werden diskutiert und Führungskräfteentwicklungspläne anschließend überarbeitet.
Modul 10: Werte- und Ressourcenzuteilung
Die Teilnehmer absolvieren eine Übung, um zu verstehen, wie sich ihre Werte auf ihre Entscheidungen der Ressourcenzuweisung auswirken. Die vier untersuchten Werte sind Macht, Verdienst, Gleichheit und Bedürfnis.
Modul 11: Intellektuelle Stimulierung/ geistige Anregung und Problemlösung
Während des dreimonatigen Zeitraums haben die Teilnehmer echte Arbeitsprobleme, die schwierig oder unmöglich zu lösen schienen, festgestellt, für den Workshop vorbereitet und eingereicht. Die Teams arbeiten Lösungen für ausgewählte Probleme aus und betonen dabei den Einsatz von intellektueller Stimulierung/ geistiger Anregung.
Modul 12: Organisationskulturen verstehen
Die Teilnehmer konzentrieren sich darauf, die transaktionalen und transformationalen Merkmale ihrer eigenen Organisationskultur zu verstehen, indem sie den Organizational Description Questionnaire (ODQ) nutzen. Sie untersuchen systematisch die gewünschten Änderungen und wie diese vorgenommen werden können.
Modul 13: Inspirierende Motivation
Möglichkeiten zur Verwendung von inspirierender Motivation werden vorgestellt und diskutiert. Dieses Modul kann in das Modul 14 integriert werden.
Modul 14: Idealisierter Einfluss und Ausrichtung auf eine Vision
Dieses Modul befasst sich mit der Vorstellung einer nahen Zukunft der Teilnehmer, in welcher die Teilnehmer ihre eigenen Interessen als Führungskraft mit den Interessen ihrer Geführten, Kollegen und der Organisation abgestimmt haben. Die Relevanz des idealisierten Einflusses wird hervorgehoben. (Fortsetzung)
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2 Personalführung und transformationale Führung
Tab. 2.9 (Fortsetzung) Basis FRLP-Workshop Optionaler Abschluss-Workshop Ein optionaler Abschluss-Workshop, welcher einen halben Tag geht, kann sechs bis 12 Monate später durchgeführt werden. Es wird ein neues MLQ-Feedback von den Kollegen des Teilnehmers erstellt. Die Teilnehmer diskutieren die Beweise für ihre Erfolge und Misserfolge sich zu verbessern sowie die Gründe dafür. Sie überarbeiten ihre Pläne entsprechend und geben einen Überblick über ihre zukünftigen Absichten.
schätzung) sowie die Bildung eines individuellen Entwicklungsplans umfasst (Bass und Riggio 2006, S. 152). Das FRLP besteht insgesamt aus 14 Modulen (siehe Tab. 2.9), die auf einen dreitägigen Basis-Workshop und einen zwei- bis dreitägigen Fortgeschrittenen-Workshop aufgeteilt werden. Die beiden Workshops werden durch ein etwa dreimonatiges Intervall getrennt, in welchem die jeweiligen Entwicklungspläne der Führungskräfte umgesetzt werden sollen. Optional kann das FRLP nach einem weiteren Intervall von 6 bis 12 Monaten mit einem Abschluss-Workshop beendet werden (Bass und Riggio 2006, S. 154–158). Die beiden Workshops des FRLP konzentrieren sich auf zwei kombinierbare Entwicklungsmaßnahmen: Zum einen auf die Vermittlung von Wissen und auf das Training von Fertigkeiten und Kompetenzen in Kleingruppen sowie zum anderen auf persönliches Feedback zur Führung und Ableitung von Zielen in individuellen Beratungsgesprächen und in Kleingruppen. Übergeordnetes Ziel des FRLP ist es, die Menge von transformationalen Führungsverhaltensweisen zu erhöhen und die Nutzung der laissez-faire Führung zu vermindern (Riedelbauch 2011, S. 37).
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Die Polizei in Deutschland
Zusammenfassung
Die Polizei in Deutschland grenzt sich sowohl von anderen Organisationen und Unternehmen in Deutschland als auch von Polizeien anderer Nationalstaaten ab. Um das spezifische Berufsfeld der Polizei zu skizzieren, werden zunächst die Organisation der Polizei sowie deren führungsspezifische Besonderheiten beschrieben. Anknüpfend daran wird das derzeit offizielle und gültige Führungsverständnis der Polizei, das Kooperative Führungssystem (KFS), dargestellt und kritisch gewürdigt. Des Weiteren erfolgt eine prägnante Darstellung des aktuellen Diskurses um die Weiterentwicklung des Kooperativen Führungssystems. Abschließend werden in diesem Zusammenhang die gegenwärtig vorhandenen Projekte der Neukonzeption einer polizeilichen Führungslehre – das Kooperative Führungssystem 2.0 sowie das Polizeiliche Führungs-Modell – skizziert. Im folgenden Kapitel wird die Polizei in Deutschland näher dargestellt, da Führung im Allgemeinen und Personalführung im Besonderen stets organisationsbezogen ist. Diesbezüglich wird zunächst die Organisation der Polizei (Abschn. 3.1) erläutert, bevor anschließend die führungsspezifischen Besonderheiten der Polizei (Abschn. 3.2) beschrieben werden. Anschließend wird das derzeit offizielle und gültige Führungsverständnis der Polizei, das Kooperative Führungssystem (Abschn. 3.3), sowie der Diskurs um dessen Weiterentwicklung (Abschn. 3.4) dargestellt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_3
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3 Die Polizei in Deutschland
3.1 Organisation der Polizei In der Wissenschaft hat es sich etabliert, mit „Organisation“ eine besondere Form sozialen Gebildes, respektive sozialen Systems, zu bezeichnen, welches sich von anderen sozialen Gebilden wie Familien, Gruppen oder auch dem Nationalstaat abgrenzt (Kühl 2011, S. 13 f.). Dahingehend ist jedoch zu beachten, dass in der Organisationstheorie die Begrifflichkeit Organisation in mindestens zwei sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Organisationen können daher einerseits im instrumentellen Sinn und andererseits im institutionellen Sinn verstanden werden (Schreyögg und Geiger 2016, S. 5; Weibler 2016, S. 85). In der Betriebswirtschaftslehre stand zunächst jahrzehntelang das instrumentelle Organisationsverständnis im Vordergrund. Geleitet von dem Ziel, Arbeitsabläufe so zu rationalisieren, dass diese eine effiziente und zuverlässige Leistungsabgabe ermöglichen, stand das organisatorische Regeln im Fokus des Interesses. Das Resultat dieses Gestaltungsprozesses (des „Organisierens“) verfestigt sich dabei in der Organisation, des zur Struktur geronnenen Regelsystems (Schreyögg und Geiger 2016, S. 5). Daher kann die Organisation im instrumentellen Sinn als „[…] verfestigtes Gefüge von Regelungen zu[r] Steuerung des Leistungserstellungsprozesses verstanden werden.“ (Weibler 2016, S. 85). Abgrenzend zu dem instrumentellen Organisationsverständnis lenkt der institutionelle Organisationsbegriff hingegen den Blickwinkel auf das gesamte System, auf die Institution (Schreyögg und Geiger 2016, S. 9). In diesem Sinne können Organisationen ferner als Personenzusammenschlüsse zur Erreichung bestimmter Ziele verstanden werden – sie stellen folglich zielorientierte Leistungsgemeinschaften dar (Weibler 2016, S. 85). Um eine Organisation jedoch von anderen sozialen Gebilden abzugrenzen, kennzeichnen drei zentrale Elemente jeden institutionellen Organisations begriff: 1. Spezifische Zweckorientierung Grundsätzlich sind Organisationen zunächst auf spezifische Zwecke hin ausgerichtet. Diese Zwecke müssen keineswegs identisch mit den persönlichen Zielen der jeweiligen Organisationsmitglieder sein. Meist decken sie sich nur partiell oder die Organisationsmitglieder sehen die Erfüllung der Organisationszwecke nur als Mittel zur Erreichung der eigenen Ziele. Die spezifische Zweckorientierung impliziert dabei nicht, dass Organisationen nur einen einzigen Zweck verfolgen oder dass diese in einer konsistenten Ordnung zueinander stehen müssen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 9).
3.1 Organisation der Polizei
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2. Geregelte Arbeitsteilung Organisationen bestehen aus mehreren Personen beziehungsweise aus den Handlungen mehrerer Personen, deren Aufgabenaktivität mit einem der Absicht nach rationalen Muster geteilt und verknüpft wird. Dieses Muster setzen Organisationen anschließend in Erwartungen (Regeln, Stellenbeschreibungen) um, an denen sich das Handeln der Organisationsmitglieder ausrichten soll. Die Einhaltung der Regeln durch die Organisationsmitglieder wird folgend als Mitgliedschaftsbedingung formal abgesichert. Dieses Erwartungs- und Regelungsmuster wird als Organisationsstruktur bezeichnet (Schreyögg und Geiger 2016, S. 10). 3. Beständige Grenzen Jede Organisation weist eine Organisationsgrenze auf, die es möglich macht, die organisatorische Innenwelt von der Außenwelt („Umwelt“) zu unterscheiden. Die Grenze zwischen der Organisation und ihrer Umwelt ist weder bloß zufällig noch naturhaft gegeben. Ganz im Gegenteil: Sie ist absichtsvoll hergestellt und weist ein gewisses Maß an Stabilität auf, da eine Organisation nur bestehen kann, wenn es ihr gelingt, ihre Grenze zur Umwelt aufrecht zu erhalten. Durch diese hergestellte Grenze sind ferner auch die jeweiligen Organisationsmitglieder identifizierbar. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie die unter 2. genannten Erwartungen – zumindest zu einem großen Teil – bereit sind, zu erfüllen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 10). Im Folgenden wird die Polizei als Organisation näher dargestellt. Diesbezüglich werden ihre formalen Regelungen, ihre drei Seiten, ihre politischen Prozesse sowie ihre organisationssoziologischen Problematiken dargestellt.
3.1.1 Formale Regelungen Die deutsche Polizei ist aufgrund der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland, welche sich aus der deutschen Verfassung ergibt, ebenfalls föderal organisiert (Bundeskriminalamt 2019; Thielmann und Weibler 2014b, S. 142; Wilz 2012, S. 119). Dementsprechend gibt es in Deutschland nicht die eine Polizei als Gesamtorganisation, verstanden als ein System mit klarer Binnenstruktur sowie klar bestimmten Systemgrenzen, sondern neben 16 Länderpolizeien weitere drei Polizeien auf Bundesebene (Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Polizei des Deutschen Bundestages) (Groß 2012; Thielmann und Weibler 2010, S. 70; Vollmar et al. 2017, S. 13). Trotz bestehender Differenzierungen und Unterschiede zwischen den einzelnen Polizeien weisen
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3 Die Polizei in Deutschland
die Organisationseinheiten der Polizei hinsichtlich Personalstruktur, formaler Organisation und Ressourcenausstattung im Kern eine ähnliche Struktur auf (Wilz 2012, S. 120). Weiterhin verhindert beziehungsweise beeinträchtigt das föderale Polizeisystem Deutschlands kein gemeinsames Führungs- und Organisationsverständnis , wenngleich unterschiedliche Organisationskulturen festzustellen sind. Diese sind jedoch für diese Betrachtung nicht von ausschlaggebender Bedeutung, weswegen im Folgenden der Begriff der deutschen Polizei verwendet wird (Thielmann und Weibler 2010, S. 70, 2014b, S. 142). Die für die Polizeiarbeit entscheidenden Rechtsgrundlagen sind in Deutschland neben den bundesweit einheitlichen Strafgesetzen und der Straßenverkehrsordnung die jeweiligen Polizeigesetze der Länder und des Bundes, die für ihre spezifische Polizei Aufgaben und Befugnisse regeln1 (Groß 2012). Die Aufgabe beziehungsweise die Tätigkeit der Polizei besteht grundsätzlich darin, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Dies gelingt, indem sie drohende Gefahren gegenüber dem Einzelnen oder der Allgemeinheit abwehrt und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beseitigt (Wilz 2012, S. 118). Das oberste Ziel der Polizei ist demnach die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, aus welchem sich beliebig viele Teilziele ergeben, die anschließend einzelnen Gruppen oder Stellen zugeordnet werden können (Barthel und Heidemann 2017b, S. 37). Entscheidendes Distinktionsmerkmal dabei ist, dass die Polizei als einzige Organisation – neben dem Militär – ihre Tätigkeit auch unter Anwendung von Gewalt, als letztem legitimem Mittel, durchführen darf (Neidhardt 2017, S. 324; Wilz 2012, S. 113). Die Polizei sowie die gesamte öffentliche Verwaltung sind ihrem Wesen nach zugleich bürokratisch und professionell: „Sie verbinden die Herausbildung berufsspezifischer Kompetenzen und Handlungsmuster mit ihrer Anwendung streng nach bürokratischen Regeln.“ (Apelt und Tacke 2012, S. 18). Nach Neidhardt und Richter weisen Organisationen der öffentlichen Verwaltung – einschließlich der Polizei – mehrere charakteristische Merkmale auf, welche unter anderem ihre hierarchische Ordnung, ihre Fachlichkeit und fachliche Differenzierung, ihre strikte Bindung an das Recht (beispielsweise allgemeine Gesetze, spezifische Verwaltungsvorschriften), ihre bürokratische Organisationsform und Binnenrationalität, ihre Koppelung und gleichzeitige Unabhängig-
1Die
zunehmende Internationalisierung, welche auch im polizeilichen Kontext stattfindet, führt dazu, dass mittlerweile auch supranationale Regelungen die Tätigkeit der Polizei beeinflussen (Bundespolizei o. J.).
3.1 Organisation der Polizei
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keit von der Politik, ihre Ausrichtung am Gemeinwohl, ihre extern in der Regel politisch gesetzten beziehungsweise legitimierten Ziel- und Programmstrukturen sowie ihre besondere Mitgliedschaftsform (Berufsbeamtentum) umfassen2 (Neidhardt 2017, S. 324; Richter 2012, S. 91 f.). Anknüpfend daran werden in der Literatur – im Kontext der Aktualisierung des aktuellen Führungsverständnisses der Polizei – weitere Aspekte angeführt, welche als „die führungsrelevanten Besonderheiten der Polizei“ bezeichnet werden können und die bereits benannten Aspekte um weitere, wie beispielsweise Kultur, Sozialisation, Dienstrecht und Personalvertretungsrecht, ergänzen. Bezugnehmend auf die eben dargestellten Ausführungen werden im Folgenden die Merkmale Normengebundenheit, Mitgliedschaft, Hierarchie, Bürokratie und Differenzierung näher erläutert: Normengebundenheit Hinsichtlich der Normengebundenheit3 kann zunächst festgehalten werden, dass die Polizei – wie jede andere staatliche Institution – an gültiges Recht und Gesetz gebunden ist. Neben diesen gesetzlichen Grundlagen bilden unzählige Konditionalprogramme – beispielsweise Dienstanweisungen, Erlasse, Leitlinien, Verordnungen, Verfügungen und (Polizei-)Dienstvorschriften – detaillierte und verbindliche Anweisungen für die Polizeiarbeit (Baadte 2018, S. 43; Groß et al. 2008, S. 28; Thielmann und Weibler 2014a, S. 27). Der Dienstbetrieb der Polizei wird dabei größtenteils durch Polizeidienstvorschriften (PDV) geregelt, welche von den Innenministerien erlassen werden und in der Mehrzahl nicht öffentlich sind. Diese, wie beispielsweise die PDV 100 „Führung und Einsatz der Polizei“, werden durch eine sogenannte „Vorschriftenkommission“ der Innenministerkonferenz erarbeitet und sorgen für eine bundes- und ländereinheitliche Polizeiarbeit (Frevel und Groß 2008, S. 77; Groß et al. 2008, S. 28). Die zahlreichen Konditionalprogramme dienen in der Polizei einerseits der Unsicherheitsvermeidung und andererseits der Strukturierung des Prozesses der polizeilichen Aufgabenerfüllung, um im Inneren handlungsfähig zu bleiben (Baadte 2018, S. 43).
2Weiterführende
Darstellungen siehe unter Punkt 3.2. Normengebundenheit übt auch in disziplinarrechtlicher Hinsicht einen spürbaren Einfluss auf das polizeiliche Führungsverhalten aus. Positive wie negative Sanktionierungen sind durch die vorgesetzte Führungskraft aufgrund beamtenrechtlicher Vorgaben (Beamtenund Disziplinargesetze der Länder und des Bundes) nur in begrenztem Rahmen möglich (Vollmar et al. 2017, S. 13).
3Die
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3 Die Polizei in Deutschland
Mitgliedschaft Bezüglich der Mitgliedschaft ist festzuhalten, dass die Polizei ihre Mitglieder durch Inklusion gewinnt. Inkludiert werden dabei Personen, welche zunächst die jeweiligen spezifischen Zulassungsvoraussetzungen erfüllen und sich anschließend nach strengen Einstellungsauswahlverfahren zur Einhaltung der organisatorischen Regeln bereiterklären, sowie sich den spezifischen Mitgliedschaftsbedingungen (Beamtenpflichten und -recht) unterwerfen (Baadte 2018, S. 44; Wilz 2012, S. 121). Die Ausbildung der Organisationsmitglieder erfolgt anschließend überwiegend in den jeweiligen Polizeischulen oder Polizeifachhochschulen der Länder und des Bundes (Wilz 2012, S. 121). Die Polizei als hoheitliche Einrichtung beschäftigt für den Polizeivollzugsdienst fast ausschließlich Beamte. Für die Polizeivollzugsbeamten gilt dabei eine nahezu identische und im deutschen Berufsbeamtentum allgemein übliche Laufbahngliederung, welche sich in den einfachen4, mittleren, gehobenen und höheren Dienst aufteilt (Groß et al. 2008, S. 24). Die Organisationsmitglieder verbleiben in der Regel lebenslang (in beruflicher Hinsicht) in der Organisation und können lediglich durch die anschließende Pension oder aufgrund disziplinarrechtlicher Maßnahmen dauerhaft aus dem System exkludiert werden (Baadte 2018, S. 44; Thielmann und Weibler 2014b, S. 143). Hierarchie Hinsichtlich der Hierarchie ist festzuhalten, dass die Polizei als Teil der öffentlichen Verwaltung sowohl in ihrer Behördenstruktur als auch behördenintern hierarchisch gegliedert ist. Unterhalb der politischen Leitungsebenen der Innenministerien finden sich polizeiliche Führungsfunktionen auf der obersten, strategischen Fachebene wieder, welche durch mehrere Zwischenebenen bis hin zur untersten, operativen Ebene in den Polizeidienststellen hierarchisch heruntergegliedert werden können. In der Regel sind die Führungsfunktionen mit Beamten des höheren Dienstes, auf den unteren Ebenen auch mit Beamten des gehobenen Dienstes besetzt (Neidhardt 2017, S. 301). Anhand der Amtsbezeichnung beziehungsweise der Dienstbekleidung mit Schulterstücken ist die hierarchische Stellung der Organisationsmitglieder sofort erkennbar (Thielmann
4Die
Laufbahn des einfachen Dienstes wird jedoch seit geraumer Zeit nicht mehr in der Polizei besetzt (Groß et al. 2008, S. 24). Dahingehend ersetzen mittlerweile viele Polizeien die dreigeteilte in eine zweigeteilte (mit gehobenem und höherem Dienst) Laufbahn (Wilz 2012, S. 121). Ein Aufstieg von einer Laufbahn in die nächsthöhere ist im Rahmen der sogenannten Einheitslaufbahn der Polizei grundsätzlich möglich (Neidhardt 2017, S. 301).
3.1 Organisation der Polizei
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Weitere Führungsfunktionen
Anteil direkter personaler Führung
Leitung von Dienststellen
Anteil indirekter struktureller Führung
Leitung von Behörden
Erste Führungsfunktionen (Dienst- und Ermittlungsgruppenleitung)
Abb. 3.1 Führungsfunktionen in der Polizei. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Barthel und Heidemann 2014c, S. 107 f.))
und Weibler 2014b, S. 144). Innerhalb der Polizei lassen sich Führungsfunktionen in vereinfachter Weise wie folgt kategorisieren und darstellen (siehe auch Abb. 3.1): • Erste Führungsfunktionen (beispielsweise Dienst- und Ermittlungsgruppenleitung), • Weitere Führungsfunktionen (beispielsweise Leitung von Aufgabenbereichen in Behörden und Dienststellen), • Leitung von Dienststellen (beispielsweise Leitung von Organisationseinheiten mit mehreren Aufgabenbereichen) und • Leitung von Behörden (beispielsweise Leitung von großen Organisationseinheiten mit mehreren nachgeordneten Dienststellen) (Barthel und Heidemann 2014c, S. 107). Diesbezüglich kann grundsätzlich postuliert werden, dass der Anteil unmittelbarer personaler Führung in den ersten Führungsfunktionen deutlich überwiegt. In den weiteren Führungsfunktionen werden die Anforderungen an die Führungskraft umfangreicher und komplexer, was dazu führt, dass der Anteil personaler
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3 Die Polizei in Deutschland
Führung sinkt und der Anteil struktureller Führung – beispielsweise über schriftliche Anweisungen – sukzessiv zunimmt. Auf der Ebene der Leitung von Dienststellen und Behörden gewinnt das Managementhandeln der Führungskräfte an deutlicher Relevanz und die personale Führung beschränkt sich lediglich auf die direkt nachgeordneten Mitarbeiter oder Stäbe. Die Einflussnahme auf die Mitarbeiter erfolgt auf dieser Ebene fast ausschließlich über Strukturen (Barthel und Heidemann 2014c, S. 107 f.). Bürokratie Alsdann steht die Polizei aufgrund ihres permanent engen Umweltkontakts unter einem besonderen Legitimationszwang, den sie kontinuierlich aktualisieren und einlösen muss (Wilz 2012, S. 117). Das polizeiliche Handeln beziehungsweise das Handeln innerhalb der Polizei ist deshalb besonders differenziert durch Rechtsvorschriften, dienstliche und formale Regelungen, Weisungsbefugnisse und Zuständigkeiten – entsprechend der Prinzipien rationaler bürokratischer Organisationen – eingegrenzt (Neidhardt 2017, S. 325). Dies führt weitergedacht auch dazu, dass die bürokratischen Strukturen und strikten Vorgaben den Raum für Führungsverhalten begrenzen und eine Anhäufung von Macht verhindern (Felfe et al. 2004, S. 272). Differenzierung Des Weiteren fällt die formale Organisationsstruktur der Polizei durch ein vergleichsweise hohes Maß an interner Differenzierung auf – sie ist funktional, hierarchisch und räumlich gegliedert (Wilz 2012, S. 119). Damit einhergehend liegt auch eine Vielzahl an unterschiedlichen Tätigkeiten und Spezialisierungen in der Polizei vor (Neidhardt 2017, S. 324). Gegenwärtig existiert in der Polizei eine mehr oder minder einheitliche Unterteilung in die Sparten Bereitschaftspolizei, Kriminalpolizei, Schutzpolizei und Wasserschutzpolizei (Groß et al. 2008, S. 16). Die Formalstruktur der Organisation wird unterdessen durch zahlreiche Organisations- und Personalentwicklungsprojekte ergänzt (Baadte 2018, S. 44). Die Aufgaben der Kriminal- und Schutzpolizei werden zudem arbeitsteilig nach dem Regionalprinzip, nach Ressorts und nach speziellen Aufgaben und Lagen sowie nach Spezialkenntnissen und -aufgaben organisiert. Insgesamt betrachtet führt dies zu einer großen Vielfalt an Aufgaben und Tätigkeiten in der Polizei (Wilz 2012, S. 122).
3.1 Organisation der Polizei
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3.1.2 Drei Seiten der Organisation Versteht man eine Organisation als Maschine, geht man von einer grundsätzlichen Kopplung aller Arbeitsprozesse, Bereiche, Hierarchieebenen und Kommunikationsabläufe mit den obersten Zwecken, Zielen und Leitlinien aus. Dementsprechend nimmt man an, dass jede Veränderung auf der obersten Ebene anschließend zu einer sofortigen und folgerichtigen Reaktion auf den jeweils nachgeordneten Ebenen führen sollte. Neuere Forschungserkenntnisse zeigen jedoch auf, dass dieses Organisationskonzept beziehungsweise -verständnis nicht haltbar ist und man vielmehr von einer losen Kopplung von drei Seiten, respektive Ebenen, einer Organisation ausgeht5 (Barthel und Schiele 2017, S. 231). Diese umfassen die Außenseite und die Innenseite der Organisation. Letztere kann wiederum in eine formale und eine informale Seite differenziert werden (Barthel und Schiele 2017, S. 231–233). Die Außenseite der Organisation Bei der Außenseite der Organisation handelt es sich um die Schauseite beziehungsweise Fassade, die die Organisation gegenüber der für sie relevanten Umwelt aufbaut und aufbauen muss (Barthel und Schiele 2017, S. 231). Organisationen versuchen in diesem Zusammenhang beispielsweise durch übersichtlich dargestellte Prozessabläufe und Organigramme sowie geglättete Aussagen und Reportings ein überzeugendes Bild ihrer selbst zu zeichnen. Dadurch werden die tatsächliche Komplexität sowie die ungelösten Konflikte der Organisation ausgeblendet und durch eine für die Außenwelt geeignete „zweite Realität“ ersetzt, welche mit den Abläufen in der jeweiligen Organisation nur sehr begrenzt etwas zu tun hat (Kühl 2011, S. 137). Diese Fassade beziehungsweise Schauseite einer Organisation ist nicht einfach vorhanden, sondern muss auf- und ausgebaut, regelmäßig gepflegt und bei Bedarf ausgebessert werden (Kühl 2011, S. 138; Luhmann 1964, S. 113). Fraglich an dieser Stelle ist jedoch, welche Motive eine Organisation für den Aufbau dieser Schauseite überhaupt hat. Ein erstes Motiv für den Aufbau und Erhalt dieser Schauseite liegt in den widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen, die die Organisation gleichzeitig bedienen muss (Kühl 2011, S. 142). In der jeweiligen Organisationsumwelt gibt es unterschiedliche Akteure, Anspruchsgruppen und Stakeholder, die jeweils eigene Erwartungen
5Weiterführende
Darstellungen können Kühl (2011, S. 89–157) entnommen werden.
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und Interessen an die Fokusorganisation adressieren. Problematisch daran ist, dass diese unterschiedlichen Anspruchsgruppen naturgemäß ganz verschiedene, oft sich widersprechende und kaum zusammenfassbare Erwartungen haben. Die Organisation ist daher mit einer Mannigfaltigkeit von Erwartungen konfrontiert, der sie nicht ohne weiteres gerecht werden kann, die sie aber auch nicht ignorieren kann (Barthel und Schiele 2017, S. 231). Organisationen feilen deshalb an ihrer Schauseite, um wenigstens an der Oberfläche und vordergründig den unterschiedlichen Erwartungen ihrer Umwelt gerecht zu werden (Barthel und Schiele 2017, S. 231; Kühl 2011, S. 142). Die Fassade der Organisation übernimmt daher eine „Darstellungsfunktion“ beziehungsweise „Ausschmückungsfunktion“ (Kühl 2011, S. 138). Ein zweites Motiv für den Aufbau und Erhalt dieser Schauseite liegt in der Notwendigkeit, interne Fehler, Konflikte und Prozesse in der Organisation verbergen zu müssen (Kühl 2011, S. 140, 143 f.). Dementsprechend erfüllt die Schauseite noch eine zweite wichtige Aufgabe – den Schutz des Inneren. Es geht hier darum, Außenstehenden den Einblick zu verwehren, um Fehler und Peinlichkeiten zu verheimlichen, mögliche Konflikte vor der Außenwelt zu verbergen und in Ruhe Entscheidungen vorbereiten zu können. Die Fassade der Organisation übernimmt daher auch eine „Kaschierungsfunktion“ beziehungsweise „Verschleierungsfunktion“ (Kühl 2011, S. 140). Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass die Anforderungen an die Schauseite andere sind als die an die formale Seite der Organisation. Dies führt dazu, dass Organisationen keine andere Möglichkeit haben, als ihre internen und formalisierten Haupt- und Kernaufgaben/-prozesse von der Außenseite abzukoppeln (Bartel und Schiele 2017, S. 231; Kühl 2011, S. 148). Die Entkopplung von Außen- und Innenseite der Organisation, das damit zusammenhängende „Aufhübschen“ der Außenseite durch Leitbilder, Missionen und Visionen wirkt damit bestandssichernd für das Überleben der Organisation und verschafft die nötige Freiheit, um handlungsfähig zu bleiben – dies gilt insbesondere auch für die Polizei (Barthel und Schiele 2017, S. 231; Kühl 2011, S. 149). Im polizeilichen Kontext ist diesbezüglich feststellbar, dass jede einzelne Dienststelle, Behörde, aber auch die Polizei als gesamte Organisation in einem schwierigen, widersprüchlichen Kontext agiert. Die Medien, Öffentlichkeit, Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Akteure können zu jeder Zeit ein als problematisch definiertes Verhalten der Polizei skandalisieren und damit nachhaltigen Einfluss auf das polizeiliche Tagesgeschäft nehmen. Vor diesem Kontext tut die Polizei demnach gut daran, dass sie ihre Außenseite „aufhübscht“, sich also insgesamt positiv darstellt (Barthel und Schiele 2017, S. 231). Beispielsweise kann sie dies tun, indem sie sich als prinzipiell responsiv darstellt und
3.1 Organisation der Polizei
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Versprechen von Dienstleistungskompetenz, regionalem Bezug und Sicherheit verlautbaren lässt. Dieses Versprechen leistet dabei nicht nur eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit in den einzelnen Behörden und Dienststellen, sondern auch die Verkündung von Leitbildern und einer Corporate Identity nach außen (Barthel und Schiele 2017, S. 231 f.). Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass es dabei nicht nur darum geht, das Innere der Polizei gegen zudringliche Einblicke von außen abzuschirmen und zu schützen, sondern auch darum, eine ganz besondere Form der Vertrauenswürdigkeit gegenüber ihren verschiedenen Akteuren, Anspruchsgruppen und Stakeholdern zu signalisieren. Auf den Punkt formuliert bedeutet dies, dass der Schein von Bürgerfreundlichkeit, Fehlerfreiheit, Perfektion, Professionalität und einhundertprozentiger ad-hoc Handlungsfähigkeit die entscheidende Ressource dafür ist, dass die Bürger und die Gesellschaft unseres Landes sich sicher fühlen und an die Einsatzfähigkeit der Polizei glauben können. Die Polizei als Organisation ist daher – noch mehr als ein Produktionsunternehmen – im bestandskritischen Sinn auf die gute Wirkung ihrer Außen- und Schauseite angewiesen (Barthel und Schiele 2017, S. 232). Formale Seite der Organisation Anknüpfend daran bildet die formale Seite einen Teil der Innenseite einer Organisation. Wie in Abschn. 3.1 dargestellt, besteht eine Besonderheit von Organisationen darin, dass sie die Mitgliedschaft unter Bedingungen stellen können. Die Bedingung für das jeweilige Organisationsmitglied (Mitarbeiter wie Führungskraft) lautet dabei, eine Entscheidung darüber treffen zu müssen, ob man bereit ist, die Erwartungsstrukturen der jeweiligen Organisation zu akzeptieren (Kühl 2011, S. 97). Darunter fällt beispielsweise, dass die Organisationsmitglieder ihre zugewiesene Stelle – ebenso die dort anfallende Arbeit, die damit einhergehenden Kooperationen mit Kollegen, Nachgeordneten und Vorgesetzten – akzeptieren, also die hierarchischen Über- und Unterstellungsverhältnisse, die grundsätzliche Arbeitsteilung, Standardabläufe sowie bereichsrelevante Gesetze, Regeln und Vorschriften (Barthel und Schiele 2017, S. 232; Kühl 2011, S. 97). Ihren verbindlichen Charakter erhalten die formalen Erwartungen dadurch, dass sie unmittelbar mit der basalen Mitgliedschaftsrolle verknüpft sind. Dies bedeutet: Wer die offiziell formulierten Erwartungen und Regeln der Organisation nicht akzeptieren kann oder will, kann eben nicht Mitglied der jeweiligen Organisation werden oder bleiben (Barthel und Schiele 2017, S. 232; Kühl 2011, S. 97).
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Diese mitgeteilten Mitgliedschaftsbedingungen sind, vereinfacht gesagt, die Formalstruktur6 der jeweiligen Organisation und dienen dazu, bestimmte Entscheidungen der Organisationsmitglieder wahrscheinlicher zu machen als andere (Kühl 2011, S. 97, 102). Sie determinieren nicht das Entscheidungs- und Arbeitsverhalten ihrer Mitarbeiter, sondern lenken deren Handlungen in bestimmte Bahnen (Barthel und Schiele 2017, S. 232). Um dies zu bewerkstelligen, nutzt die Organisation in ihrer formalen Seite drei unterschiedliche Strukturtypen. Zum ersten Typ gehören Entscheidungsprogramme, unter die beispielsweise Dienstanweisungen, betriebswirtschaftliche Zielsysteme oder IT-Anwendungen gefasst werden. Durch sie wird grundlegend festgelegt, welches Verhalten und Handeln in der Organisation als richtig und welches als falsch angesehen wird (Kühl 2011, S. 102 f.). Den zweiten Typ stellen Kommunikationswege dar. Zu diesen gehören unter anderem die Aufgabenteilung, die Informationswege, die Geschäftsordnung, die Mitzeichnungsrechte sowie der hierarchische Aufbau oder die Unterschriftsregelungen. Die Kommunikationswege stellen in diesem Zusammenhang dar, auf welche Art und Weise in der Organisation kommuniziert werden kann beziehungsweise muss (Kühl 2011, S. 103). Personal kann als dritter Typ von Organisationsstrukturen begriffen werden. Dies basiert auf der grundsätzlichen Überlegung, dass es für künftige Entscheidungen einen Unterschied macht, mit welchem Organisationsmitglied eine freie Position besetzt wurde (Kühl 2011, S. 103). Diese Organisationsstruktur führt schließlich zu einer stark entlastenden Funktion, da Mitarbeiter in ausführenden Positionen nur noch abgleichen müssen, ob ihre Entscheidungen und Handlungen mit den formalen Vorgaben der Organisation übereinstimmen oder nicht. Mitarbeiter in Führungspositionen können letztlich grundsätzlich davon ausgehen, dass getroffene Entscheidungen und Handlungen entsprechend der formalen Vorgaben getroffen werden (Kühl 2011, S. 100). In diesem Zusammenhang sind es die Entscheidungsprämissen, die – trotz der Vielzahl von möglichen Entscheidungsalternativen – dazu beitragen, die grundlegende Unsicherheit bezüglich der richtigen Entscheidung zu absorbieren, die Komplexität der Organisation zu reduzieren und die Kontingenz, also die zur Verfügung stehenden Auswahlmöglichkeiten, erheblich einzuschränken. Dementsprechend spricht die Organisationsforschung dabei von „Unsicherheitsabsorption“, „Komplexitätsreduktion“ und „Kontingenzverdichtung“ (Kühl 2011, S. 100).
6Siehe Ausführungen
zur indirekten Führung in Abschn. 2.1.1.
3.1 Organisation der Polizei
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Dies führt letztlich dazu, dass Arbeitsprozesse in Organisationen schneller ablaufen können und dass das Verhalten der Organisationsmitglieder vorhersehbarer und somit auch leichter kontrollierbar wird. Jedoch stellen sie nicht sicher, dass im organisationalen Alltag auch wirklich so entschieden und gehandelt wird, wie es die Organisationsstruktur vorgibt. Informale Seite der Organisation Betrachtet man hingegen den organisationalen Alltag, wird schnell deutlich, dass man allein mit der Einhaltung der Formalstruktur nicht weiterkommt. Relativ zeitnah wird man daher durch den realen Arbeitsalltag eingeholt, was dazu führt, dass man mit Erwartungen konfrontiert wird, die vorher weder in den offiziellen Stellenbeschreibungen niedergelegt, noch in Prozesshandbüchern spezifiziert, noch als direkte Anweisung des Vorgesetzten ausgesprochen wurden. Die allgemeine Erfahrung lehrt daher, dass Organisationsmitglieder häufig scheitern, wenn sie sich allzu sehr und ausschließlich an die formalen Strukturen, die „Formalität“, der Organisation halten (Kühl 2011, S. 113). In Abgrenzung zu dieser Formalität wird in Organisationen von „Informalität“ gesprochen. In diesem Zusammenhang ist häufig vom Unterleben oder von der Organisationskultur7 die Rede, die sich jenseits der offiziellen Regeln der Organisation ausbilden, jedoch das Handeln dieser maßgeblich prägen (Kühl 2011, S. 113 f.). Alsdann ist zu erwähnen, dass sich die informale Seite gewissermaßen in Koevolution zur formalen Seite der Organisation entwickelt: Formale Strukturen, Aufbau- und Ablauforganisation sowie Arbeitsteilung ermöglichen und rufen das Informale hervor, ohne es aber determinieren oder steuern zu können (Barthel und Schiele 2017, S. 233). Ähnlich wie bei den formalen Organisationsstrukturen handelt es sich auch bei den informalen Strukturen um Entscheidungsprämissen, also um Voraussetzungen, die für eine Vielzahl von Entscheidungen in der Organisation gelten. Abgrenzend zu den formalen Erwartungen ist jedoch festzustellen, dass die informalen Erwartungen in der Organisation nicht unmittelbar mit der Mitgliedschaftsrolle verknüpft werden können. Demnach kann eine Führungskraft informelle Erwartungen – beispielsweise länger als die vertragliche Arbeitszeit zu arbeiten – an ihre nachgeordneten Mitarbeiter herantragen, sie aber bei Nichtbefolgung nicht offiziell sanktionieren (Kühl 2011, S. 115 f.; Schreyögg und Geiger 2016, S. 15).
7Weiterführende
Darstellungen zur Organisationskultur in der Polizei werden in Abschn. 3.2.4 ausgeführt.
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Organisationen, so stellt Kühl fest, die sich lediglich mit der Einhaltung der formalen, organisationsseitigen Vorgaben durch die Mitarbeiter zufriedengeben würden, wären verloren (2011, S. 117). Die informale Struktur in einer Organisation entsteht unter anderem daher aufgrund folgender Aspekte: • Formale Regeln und Strukturen müssen angewendet werden – und zwar in realen Situationen. Diese Situationen – und das wissen insbesondere Polizisten in alltäglichen Lagen – rufen einen ganzen Strauß relevanter Regeln und Normen auf. Nicht nur rechtliche Normen, behördliche Erlasse, Vorgaben des Vorgesetzten, Ziele der Organisation, professionelle Standards und Erwartungen der Kollegen sind zu beachten, sondern ebenso auch das Anliegen und die Interessen des Gegenübers, des Publikums oder kooperierender Organisationsbereiche. Die kluge und routinierte Balance dieser unterschiedlichen Erwartungen führt daher faktisch zur An-„Wendung“ von Regeln, das heißt ihrer Anpassung, Konkretisierung, aber auch alltagstauglichen und gebrauchsfähigen Veränderung (Barthel und Schiele 2017, S. 233). • Die formale Struktur (inklusive der Schauseite der Organisation) ist ihrerseits nicht per se widerspruchsfrei. Normen und Regeln widersprechen sich im beruflichen Alltag des Öfteren und erfordern einen klugen Akteur, der Prioritäten zu setzen weiß und im Sinne seiner Aufgaben einige Regeln berücksichtigt und andere eher in eine nachrangige Position rückt. Demnach bedarf die pure Anwendung formaler Regeln schon informaler, also durch die Regel selbst nicht zu erzeugender Fertigkeiten (Barthel und Schiele 2017, S. 233). • Ferner gewährleistet erst die arbeitsteilige Struktur von Organisationen den notwendigen Spezialisierungsvorteil, der auf andere Weise kaum zu bewerkstelligen wäre. Die jeweilig formal definierten Aufgaben, Arbeitsbereiche und -gegenstände erzeugen dann im praktischen Berufsalltag jenes Expertenwissen, intuitive Erfahrungs- und Kompetenzgewinne, die deutlich über die formalen Anforderungen, Regelungen und Standardprozeduren hinausgehen. In diesem Kontext wirken die formalen Strukturen als Rahmen, in welchem die informalen Kompetenzen generiert werden und ihrerseits erst die formalen Erwartungen zum Leben erwecken, sie zugleich aber auch abwandeln oder weiterentwickeln können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich dieses Expertenkönnen und -wissen in den Köpfen und Körpern der Organisationsmitglieder befindet, dementsprechend also nicht zur beliebigen Konvertierung in offizielles Wissensmanagement oder zum Export in Datenbänken zur Verfügung steht. Daher ist die Lücke zwischen formaler und informaler Seite
3.1 Organisation der Polizei
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einer Organisation nicht durch formalen Zugriff überwindbar (Barthel und Schiele 2017, S. 233). • Alsdann haben Organisationsmitglieder auch eigene Ambitionen, Interessen, Wünsche und Ziele, die sie in die Organisation hineintragen und im Rahmen der formal geltenden Strukturen zur Geltung bringen. Dabei loten sie aus, wie weit sie ihren eigenen Interessen im Rahmen ihrer Mitgliedschaftsrolle gerecht werden und ihre Ambitionen, Interessen, Wünsche und Ziele durchsetzen können8 (Barthel und Schiele 2017, S. 233). Vor dieser Ausgangssituation wird deutlich, dass die formalen Strukturen auf die informalen Strukturen einer Organisation, man könnte auch sagen, auf findige Mitarbeiter und Führungskräfte angewiesen sind, die die Differenz und beständige Unwucht zwischen den drei Seiten (Schau-, formale und informale Seite) klug zu handhaben wissen (Bartel und Schiele 2017, S. 233). Des Weiteren verdeutlichen diese Ausführungen, dass die informale Hinterbühne für die formale Vorderbühne einer Organisation bestandsnotwendig ist. Ohne die Abstimmung im Halbdunkel des Kollegenkreises, die Proben und Testläufe in der Zuschauer-abgewandten Hinterbühne gibt es keine adäquate Leistung auf der Vorderbühne (Manning 2008, S. 677–699 zit. in Barthel und Schiele 2017, S. 233). Betrachtet man im Folgenden die informale Seite in Organisationen näher, wird deutlich, dass sich unterschiedliche Formen von Informalität beobachten lassen (Kühl 2011, S. 120). Diese setzen bei den drei unterschiedlichen Strukturtypen der formalen Seite an. Diesbezüglich gibt es einerseits informelle Erwartungen, die die Programme der Organisation betreffen. Beispiele hierfür sind durch Gewohnheit eingespielte Routinen (Konditionalprogramme) oder nicht offen kommunizierte Ziele (Zweckprogramme) (Kühl 2011, S. 120). Andererseits betreffen andere informelle Erwartungen die Kommunikationswege in einer Organisation. Beispielsweise ist hier die Verständigung von Mitarbeitern ohne die Einschaltung ihrer jeweiligen Vorgesetzten, die Nutzung des kleinen/kurzen Dienstweges oder die Herausbildung einer inoffiziellen Hierarchie unter formal gleichgestellten Mitarbeitern gemeint (Kühl 2011, S. 120). Alsdann können informelle Erwartungen auch den Bereich Personal betreffen. Beispielsweise
8Dieses
Ausloten und Durchsetzen eigener Interessen der Organisationsmitglieder sowie das dazugehörige Verhalten dieser wird in Theorien des politischen Prozessansatzes sowohl untersucht als auch erklärt und in Abschn. 3.1.3 näher dargestellt.
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kann dabei von einem Mitarbeiter die Nutzung privater Kontakte erwartet werden (Kühl 2011, S. 120). Zusammenfassend wird deutlich, dass informale Regelungen in der Lage sind, andere als die offiziellen, gleichwohl aber für den Organisationserfolg wichtige, Zwecke zu erfüllen (Luhmann 1995, S. 284 f. zit. in Schreyögg und Geiger 2016, S. 14). Dazu gehört eine zeitnahe, unkomplizierte Verständigung ebenso wie der Wunsch nach kollegialer Vertrautheit und die Erfüllung von Zugehörigkeitsbedürfnissen. So gesehen kann die informale Organisation das Funktionieren der formalen Organisation ermöglichen, indem sie ihre Schwächen kompensiert und sie dort flexibel macht, wo das formale Reglement auf das historisch Vorherbestimmte drängt (Schreyögg und Geiger 2016, S. 14).
3.1.3 Politische Prozesse (Mikropolitik) in der Polizei Politische Prozesse stellen im Allgemeinen ein alltägliches Phänomen in Organisationen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 298) und somit auch in der Polizei dar. Der politische Prozessansatz erklärt organisationale Entscheidungen als Resultat informaler Dynamiken, welche sich außerhalb der formalen Ordnung einer Organisation entfalten. Politische Prozesse in Organisationen werden auch im allgemeinen Sprachgebrauch als Mikropolitik bezeichnet. „Mikro“ steht in diesem Zusammenhang aber nicht als Gegenpol zu „Makro“, sondern soll vielmehr auf die im Kleinteiligen und Unsichtbaren wirkenden Kräfte verweisen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 298). Politische Prozesse haben ihren Ursprung dabei grundsätzlich in divergierenden Interessen der Organisationsmitglieder. Theorien politischer Prozesse untersuchen diesbezüglich, wie sich unterschiedliche Interessen bilden, wie Organisationsmitglieder versuchen, diese – auch gegen Widerstand – durchzusetzen, zu welchen innerorganisationalen Koalitionen es dabei kommt, welche Konflikte entstehen und welche Verhandlungsstrategien gewählt werden. Bedeutsam für die Mikropolitik ist dabei, dass alle diese Fäden, Intrigen und Verbindungen „hinter den Kulissen“ gezogen werden; sie also nicht offen sichtbar sind und sich abseits der formalen Strukturen der Organisation entfalten (Schreyögg und Geiger 2016, S. 298). Wird Mikropolitik als Spiel unterschiedlicher Akteure betrachtet (Crozier und Friedberg 1979), wird deutlich, dass auch Mikropolitik Regeln folgt. Diese Regeln sind nicht immer sichtbar und schon gar nicht immer deckungsgleich mit den offiziellen, nach außen kommunizierten Regeln (siehe Abb. 3.2). Sie erlangen dennoch einen gewissen Grad an Verbindlichkeit. Jeder Akteur ist gut beraten,
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Interessen der Organisation Taktiken
Macht
Regeln Formelle/Informelle
Eigeninteressen des betroffenen Akteurs
Eigeninteressen der anderen Akteure
(intern/extern)
(intern/extern)
Konsequenzen-Erwartung
Abb. 3.2 Mikropolitik in Organisationen. (Quelle: Eigene Darstellung)
sich diesen Regeln zu unterwerfen. Politische Prozesse sind geprägt durch Verhandlungen, informelle Gruppenbildungen, taktische Manöver und Reziprokgeschäfte. Für die Analyse mikropolitischer Prozesse sind dabei drei Konzepte von herausragender Bedeutung: Interessen, Ressourcenkonflikte und Macht (Schreyögg und Geiger 2016, S. 298). Hinsichtlich des Umfangs mikropolitischer Prozesse ist zudem die „Konsequenzen-Erwartung“ zu betrachten. Der politische Prozessablauf kann dementsprechend wie folgt beschrieben werden: Zunächst einmal liegt eine Anspruchsentstehung (ein Interesse) bei verschiedenen Organisationsmitgliedern vor (Schreyögg und Geiger 2016, S. 299). In diesem Zusammenhang unterstellen wir ein generelles Interesse aller beteiligter Organisationsmitglieder nach Ressourcenzugang. Dieses Streben ist sowohl mit den Notwendigkeiten der Organisation (Aufgaben) als auch mit
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den privaten Wunschvorstellungen (beispielsweise Karrieremotive, Machtstreben, Prestigestreben) der Organisationsmitglieder verknüpft. Eine solche Verknüpfung folgt der Tatsache, dass organisationaler und privater Erfolg sich gegenseitig bedingen: Ohne Organisation keine Karriere, aber ohne ausreichende individuelle Förderung auch kein hinreichend motiviertes Wirken für die Organisation. Logischerweise kann keiner der beteiligten Organisationsmitglieder sein Streben nach Ressourcen in vollem Umfang umsetzen. Dies führt dazu, dass alle beteiligten Akteure die Interessen der anderen involvierten Akteure und die Interessen der Organisation antizipieren und erahnen müssen. Folgend kommt es zur Konfliktbildung, resultierend aus zu knappen Ressourcen, um die Ansprüche aller Organisationsmitglieder erfüllen zu können (Schreyögg und Geiger 2016, S. 299). Diese Ressourcenkonflikte müssen jedoch letztlich einer für alle Seiten akzeptablen Lösung zugeführt werden. Dabei spielen eigene Handlungsspielräume genauso eine Rolle (Möglichkeit, selber zu agieren), wie das Einschränken der Handlungsspielräume der anderen beteiligten Akteure (Möglichkeit, das Agieren der anderen zu erschweren). Alsdann kommt es schließlich zur Mobilisierung von Unterstützung und den Aufbau von Macht zur Durchsetzung der eigenen, erhobenen Ansprüche (Schreyögg und Geiger 2016, S. 299). Macht verschafft Zugang zu den „Spielen“ und eröffnet Gewinnchancen. Gleichwohl: Auch Macht ist gerade in modernen Organisationen nicht „absolut“. Als wesentliche Voraussetzung dafür, dass Entscheidungen (mikro-) politisch werden, gilt die grundlegende Offenheit der Situation. Das heißt, dass alle beteiligten Organisationsmitglieder grundsätzlich eine gewisse Chance sehen, ihre Ansprüche – zumindest in Teilen – realisieren zu können (Schreyögg und Geiger 2016, S. 299). Ein Großteil der Entscheidungen in der Polizei sind kollektive Entscheidungen, die sich weitgehend (aber eben nicht nur) an formalen Regeln orientieren. Mehrere Beteiligte verschiedener Hierarchieebenen (Leiter von Polizeibehörden und ihre nachgeordneten Führungskräfte) und Entscheidungsbeteiligungsinstanzen (Personalrat, Frauenbeauftragte) befinden sich permanent in einem kommunikativen Austausch- und Aushandlungsprozess (beispielsweise in regelmäßigen Beratungen oder problembezogenen Workshops). Es ist diese Fragilität und Unvollkommenheit von Macht in modernen Organisationen, die mikropolitische Taktiken geradezu erzwingen: Ausnutzung von Interessenkonflikten, Bündelung von Macht (Bildung von Koalitionen von Akteuren mit ähnlichen Interessenlagen), Demonstration von Macht und die Ausnutzung von Intransparenz (Vera 2015, S. 84 f.).
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Beispiel: Beurteilungsrunden
In der Bundesrepublik Deutschland können Funktionen im öffentlichen Dienst oftmals mehreren Ämtern (Besoldungsstufen) einer Laufbahngruppe zugeordnet werden (siehe unter anderem § 21 Hamburgisches Besoldungsgesetz). Dies führt dazu, dass Stellen in der Polizei im Haushaltsplan gebündelt ausgeworfen werden können. So sind beispielsweise in der Landespolizei Hamburg die Polizeivollzugsstellen für die Kriminalpolizei im Haushaltsplan als gebündelte Stellen A9, A10, A 11 ausgeworfen (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 16.11.2012, 1 Bf 294/09, openjur, Rn 7). Die Zuordnung des einzelnen Beamten des gehobenen Dienstes zur Besoldungsgruppe A9, A10 oder A11 lässt sich nicht über eine unterschiedliche Verantwortungszuschreibung erklären; oft sind sie Folge eingeschränkter Ressourcenzuweisung (zu wenig Beförderungsstellen). Diese Entkopplung der eigentlichen Tätigkeit von der gezahlten Besoldung (zwei Beamte machen die gleiche Tätigkeit bei unterschiedlicher Bezahlung) wird aufgefangen über unterschiedliche Beurteilungen, die wiederum als Rechtfertigung beim für alle Beteiligten unbefriedigenden Zustand dienen. Diese enorme Bedeutung der Beurteilungsprädikate ist geradezu ein ideales Feld für die Ausnutzung von Interessenkonflikten (jeder Dienstgruppenleiter will für seine Mitarbeiter möglichst viele beförderungsfähige Prädikate erreichen), Bildung von Koalitionen und die gleichzeitige Abrufung von Reziprokgeschäften (beispielsweise Dienstgruppenleiter mit Personalräten und Dienststellenleiter) als auch die Ausnutzung von Intransparenz (wer erfährt wann von Beförderungsterminen und -quoten). ◄ Fragt man sich nun, ob in der Polizei eher zu viel oder eher zu wenig mikropolitisch gehandelt wird, so lautet die Antwort, dass eher zu viel mikropolitisch agiert wird (Vera 2015, S. 90). Warum? Die Polizei ist einem geringen Marktdruck ausgesetzt. Sie muss daher nicht befürchten, aufgrund eines mikropolitisch begründeten, übermäßigen Ressourcenverbrauchs insolvent zu gehen. Zudem sind die möglichen Folgen für mikropolitisch ungeschickt Agierende relativ gering. Die Stellung der allermeisten „Spielteilnehmer“ als Lebenszeitbeamte macht eine verhaltensbedingte Kündigung eher unwahrscheinlich. Erfolgreiches mikropolitisches Agieren hingegen führt erwartungsgemäß zu einem individuellen Ressourcen- und Machtzuwachs. Wir haben es folglich in der Polizei mit einer deutlich positiven Konsequenzen-Erwartung zu tun. Mikropolitik hat für eine Organisation positive aber auch negative Auswirkungen. Sie ist ein organisationsbezogenes Steuerungsinstrument
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unter vielen. Neben offiziellen Beratungen, dienstinternen Regelungen, Mitarbeiter-Vorgesetzten-Gesprächen, Zielvereinbarungen und Projekten gibt es eben auch Mikropolitik. Auch Mikropolitik kann zur Korrektur möglicher Mängel anderer Steuerungsinstrumente führen. Mitunter werden Probleme inoffiziell kommuniziert und einer Lösung zugeführt, die aus Opportunitätsgründen kaum noch von den beteiligten Akteuren offiziell angegangen werden können. Zudem kann Mikropolitik dazu beitragen, veraltete Routinen zu hinterfragen, alternative Machtpotenziale aufzubauen und übersteigerter Systemkonformität entgegenzuwirken (Vera 2015, S. 87). Negativ anzumerken ist ein Mangel an prozessualer Legitimität mikropolitisch herbeigeführter Entscheidungen, die oft egoistisch begründet scheinen und Machtkonzentrationen außerhalb der offiziellen Hierarchie bedingen können (Neuberger 2001, S. 706 f.). Solche heimlichen Machtkonzentrationen sind mit dem Transparenzanspruch einer öffentlichen Institution wie der Polizei schwer vereinbar. Zudem verbrauchen mikropolitische Prozesse Ressourcen. Insgesamt muss festgehalten werden: Egal wie man zur Mikropolitik steht – sie findet in der Polizei in erheblichem Maße statt. Sie zu ignorieren kann nicht nur zu negativen Auswirkungen für die Betroffenen führen, sondern intendiert eine deutliche Abschwächung der Akzeptanz von Führung und Führungskräften aufgrund einer unterstellten „Weltfremdheit“ und „Abgehobenheit“.
3.1.4 Organisationssoziologische Problematiken der Polizei Bezugnehmend auf die Ausführungen über Organisationen in Abschn. 3.1 wird davon ausgegangen, dass von einer Organisation immer dann gesprochen werden kann, wenn eine abgegrenzte Gruppe von Personen ein auf Dauer angelegtes Regelsystem planvoll geschaffen hat, um gemeinsame Ziele zu verfolgen. Diese gemeinsamen Ziele (Organisationszweck) sind dabei nicht losgelöst von gesellschaftlichen Notwendigkeiten beziehungsweise Problemlagen. Aus diesen Notwendigkeiten oder Problemlagen bezieht eine Organisation ihre Legitimation – ohne Zweck keine Organisation. Der Organisationszweck der Polizei besteht im Wesentlichen in der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. Sie muss – ähnlich einem Radar – die Anforderungen der Umwelt, des organisationalen Kontexts (Barthel und Heidemann 2014f, S. 37), wahrnehmen, richtig identifizieren und in angepasste Bewältigungsmechanismen (Bewältigungsprozesse) übersetzen. Ein regelmäßiges, sich wiederholendes Bewältigen führt letztendlich zu Routinen – der Betroffene weiß, wie auf Umweltanforderungen zu reagieren ist,
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ohne übermäßig in einen sich ständig wiederholenden Reflexionsprozess einzutreten (ähnlich wie ein Autofahrer). Die überwiegende Mehrheit organisationaler Handlungen sind Routinehandlungen (Feldman und Pentland 2003, S. 96) und werden in organisationsinternen Regelungen verstetigt. In der Polizei sind dies die Polizeidienstvorschriften und konkretisierende Dienstanweisungen, Erlasse und Geschäftsordnungen. Einerseits lassen Polizeidienstvorschriften jedoch so viel Flexibilität zu, dass unabhängig von einem stabilen Handlungskern auch lageabhängige Variationen möglich sind. Dieses Zugestehen von Flexibilität gilt aber andererseits nur in dem Umfang, wie die eigentliche Aufgabenerfüllung nicht gefährdet ist. Die konkretisierenden Geschäftsanweisungen und Erlasse sind aber bereits tendenziell eher Ausdruck eines organisationsinternen Korrekturprozesses im Sinne des kybernetisch-systemtheoretischen Ansatzes von Organisation, der eine Organisation als steuerbare Maschine betrachtet, welche bei Störungen autonom Korrekturen zur Erreichung des Soll-Zustands auslöst (Haseloff 1967, S. 164; kritisch hierzu Luhmann 1973, S. 161). Dem Korrekturprozess geht ein Abgleich von erbrachter Organisationsleistung und dem zuvor definierten Anspruchsniveau voraus. Aus dem Abgleich ergeben sich zwei Möglichkeiten: Möglichkeit a Die erbrachte Organisationsleistung entspricht dem Anspruchsniveau. Alle herausragenden Gefahren werden abgewehrt und ein Großteil der Straftaten beziehungsweise alle Straftaten mit herausragender Bedeutung werden aufgeklärt. In solch einem Fall unterstellen alle, dass praktizierte Bewältigungsroutinen nicht nur angemessen sind, sondern auch von den hierfür vorgesehenen Organisationsmitgliedern beherrscht werden. Zudem sind organisationsinterne Strukturierungen passend. Es besteht kein Anlass zur Organisationsentwicklung; die Organisation fokussiert sich auf den Erhalt des Status quo. Risiken werden nicht eingegangen (Risikoaversion); gleichzeitig vollzieht sich der Aufbau von Reserven auf die im Krisenfall als Puffer zurückgegriffen werden kann (Dosdall 2018, S. 409). Möglichkeit b Die erbrachte Organisationsleistung entspricht nicht dem Anspruchsniveau. Die praktizierten Bewältigungsroutinen und/oder die Organisationsstrukturen sind inadäquat. In solch einem Fall beginnt ein „Suchen“ nach besseren Bewältigungsmechanismen. Das „Suchen“ ist sowohl risikobelastet (Risikoaffinität) als auch mit der Auslösung von Lernanstrengungen verbunden. Es wird auf Reserven zurückgegriffen (Dosdall 2018, S. 409).
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Wahrnehmung vs. Wahrnehmungsrigidität
Umwelt
Organisation
Routinen vs. Kompetenzfalle
Abgleich Soll- und Ist-Zustand vs. Lernobstruktion
Abb. 3.3 Funktionen von Organisationen und Pathologien. (Quelle: Eigene Darstellung)
Das Funktionieren von Organisationen hängt also von der Wahrnehmungsgenauigkeit, den ausgeprägten Routinen und dem Grad zur kritischen Selbstbeobachtung ab. Hierbei können in jeder Organisation drei Pathologien auftreten: Wahrnehmungsrigidität, Kompetenzfallen und Lernobstruktion9 (siehe Abb. 3.3). Wahrnehmungsrigidität Von Wahrnehmungsrigidität wird immer dann gesprochen, wenn organisationsrelevante Probleme der Umwelt beziehungsweise der Gesellschaft als solche entweder nicht erfasst werden oder erfasste Probleme nicht richtig „übersetzt“ werden. Im Zusammenhang mit Kriminalität wird von Latenz gesprochen, wenn Straftaten der Polizei als Ermittlungsbehörde nicht bekannt sind. Bei Straftaten hingegen, die der Polizei bekannt sind (regelmäßig aufgrund einer Anzeige), kann
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dieser Stelle wird der Artikel „Organisationsversagen und NSU-Ermittlungen“ von Dosdall (2018) empfohlen. In diesem Artikel erörtert Dosdall ausführlich die Organisationspathologien Wahrnehmungsrigidität, Kompetenzfalle und Lernobstruktion am Beispiel der Ermittlungspannen im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex.
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es zu einer „Fehlübersetzung“ kommen. Eine Tötung kann privat (beispielsweise Tötung aus Habgier, aus Eifersucht) begründet sein; sie kann aber auch Folge organisierter oder politisch motivierter Kriminalität sein. Kompetenzfalle Wahrgenommene und übersetzte Probleme werden in die Organisation „eingeschleust“ und treffen auf weitgehend etablierte Routinen. In dem Maße wie Routinen erfolgreich wiederholt werden, sinkt die Bereitschaft, Routinen zu hinterfragen. Dies ist nur zum Teil rational. Problematisch wird es immer dann, wenn Probleme fehlübersetzt werden, die Beteiligten quasi einem Bestätigungsirrtum erliegen. Das Falsche wird professionell abgearbeitet. Beispielsweise können falsche oder unvollständige Versionen zu falschen Ermittlungsansätzen führen, die wiederum korrekt ausermittelt werden. Dieses wiederholte und unreflektierte Abarbeiten des Falschen wird Kompetenzfalle genannt. Salzborn macht bei der Polizei dafür eine Institutionenkultur verantwortlich, die von einem „unbewussten Unfehlbarkeitsparadigma“ gekennzeichnet ist (2016, S. 18). Lernobstruktion Aufgrund der zumindest begrenzten Rationalität von Routinen und der offensichtlichen Gefahr von Kompetenzfallen führen alle Organisationen den bereits oben beschriebenen Abgleich von Ist-Leistung und organisationsspezifischen Anspruchsniveau durch, mit der möglichen Folge eines risikoaffinen Suchens nach zufriedenstellenden Lösungen (Möglichkeit b). Auch solch beschriebene Suche zeichnet sich durch begrenzte Rationalität aus. Die Suche stoppt regelmäßig bei scheinbar zufriedenstellenden Lösungen, wenn sie in der Nähe bereits bekannter Lösungen liegen. Scheinbar zufriedenstellende Lösungen mit bekannten Bewältigungsmechanismen framen unser Denken (Beck 2016, S. 154) und wirken einer Suche nach global besten Lösungen entgegen (Simon 1955, S. 99 ff., 1979, S. 493 ff. zit. in Dosdall 2018, S. 409). Hier handelt es sich um ein Framing bei positiv formulierten riskanten Entscheidungen im Sinne von „wenn wir zumindest ähnlich wie in der Vergangenheit handeln, werden wir erfolgreich sein“. Positiv formulierte Entscheidungen bedingen regelmäßig risikoaverses Verhalten (Beck 2016, S. 155) und wirken einer eigentlich notwendigen und rationalen Risikoaffinität entgegen. Es kommt zu einer Lernobstruktion. Bei diesen Überlegungen zu möglichen Pathologien von Organisationen bleiben Aspekte offensichtlich destruktiven Verhaltens von Organisationsmitgliedern vorerst genauso ausgeblendet wie kulturelle Besonderheiten in der
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Polizei. Dies ist auch methodologisch zulässig, da wir hier von organisationalen Praktiken sprechen. Organisationale Praktiken sind komplexe, soziale Handlungsmuster, die im Zeitablauf entstanden sind und sich nicht auf individuelle Handlungsvollzüge reduzieren lassen (Schreyögg und Geiger 2016, S. 490–492). Trotz dieser Schwäche bietet dieser Zugang zum Inneren einer Organisation drei Vorteile, die bei der Entwicklung eines polizeispezifischen Führungsmodells berücksichtigt werden sollten: 1. Wir erfahren, was in Organisationen passiert und mit welchem Erfolg. 2. Wir betrachten die Prozesshaftigkeit organisationalen Geschehens und eröffnen uns die Möglichkeit, Ansatzpunkte effizienten Führens zu identifizieren. 3. Wir erkennen quasi als Nebenprodukt historisch gewachsene, strukturelle wie auch kulturelle Besonderheiten einer Organisation hinter der Fassade des Formalen.
3.2 Führungsspezifische Besonderheiten der Polizei Welche Konsequenzen ergeben sich aus den organisationsspezifischen Besonderheiten der Polizei für die Führung in der Polizei? Thielmann und Weibler (2014a, S. 34–44) erörtern sechs und Neidhardt (2017, S. 324–326) fünf führungsrelevante Besonderheiten der Polizei. Diese werden hier erörtert und durch eigene Überlegungen ergänzt:
3.2.1 Das Berufsbeamtentum und der potenziell hohe Anteil innerlich Gekündigter Ausgangsbasis für das Berufsbeamtentum in der Bundesrepublik Deutschland sind Art. 33 Abs. 4 GG als beamtenrechtlicher Funktionsvorbehalt und Art. 33 Abs. 5 GG als institutionelle Garantie. Beide Absätze bilden dabei eine Regelungseinheit und gewährleisten zum einen die Einrichtung des Berufsbeamtentums zum Wohle der Allgemeinheit und zum anderen die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Staatsapparates. Art. 33 Abs. 5 GG beinhaltet dabei eine Berücksichtigungspflicht der „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ bei der Gestaltung des öffentlichen Dienstes (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat o. J.).
3.2 Führungsspezifische Besonderheiten der Polizei
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Zu diesen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählen dabei unter anderem die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis, das Lebenszeitprinzip, die hauptberufliche Bindung des Beamten, das Alimentationsprinzip sowie die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (dbb beamtenbund und tarifunion o. J.). Dies lenkt den Blick auf eine führungsspezifische Besonderheit der Organisation im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Unternehmen: Polizisten sind nach einigen Dienstjahren Beamte auf Lebenszeit. Abgesehen von schweren dienst- und/oder strafrechtlichen Verfehlungen sind sie fortan praktisch nicht mehr kündbar und können nur unter Schwierigkeiten – aufgrund zustimmungsbedürftiger Verfahren und personalrätlicher Beteiligungsrechte – außerhalb ihrer originären Tätigkeit eingesetzt werden (Thielmann und Weibler 2014a, S. 42). Aufgrund dieser Besonderheit des öffentlichen Dienstes „[..] wird die in der Führungslehre immer wieder hervorgehobene und lerntheoretisch begründbare Aufforderung, deviantes Verhalten in letzter Konsequenz negativ zu sanktionieren, erheblich eingeschränkt.“ (Thielmann und Weibler 2014a, S. 42). Das Berufsbeamtentum ist daher im Bereich der inneren Sicherheit zwar notwendig und sinnvoll, ermöglicht hingegen aber auch negative Folgen für die Organisation: Im Sinne von Adams vergleicht ein Mitarbeiter sein Verhältnis von Aufwand und Nutzen mit dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen aller anderen Kollegen. Stellt dieser nun ein Missverhältnis fest, versucht er im ersten Schritt eine Erhöhung seines Nutzens zu erreichen. Gelingt es ihm aber nicht (beispielsweise, weil sein Vorgesetzter kaum Möglichkeiten hat, auf die Nutzenerhöhungsvorstellungen des Mitarbeiters einzugehen), reduziert er seinen Aufwand. Dies kann er folglich auch tun, ohne kritische Konsequenzen befürchten zu müssen. Dabei läuft er aber Gefahr, sich dem Zustand der inneren Kündigung (hohe Demotivation und geringes Engagement) nicht nur zu nähern, sondern die einmal erreichte innere Kündigung zu manifestieren. Die Möglichkeit einer echten Kündigung steht, rational betrachtet, regelmäßig jedoch nicht zur Verfügung (1965, S. 267–270).
Definition innere Kündigung Die Diskussion um das Phänomen innere Kündigung ist vielfältig und langanhaltend. 1983 definierte Höhn innere Kündigung als „bewussten Verzicht auf Engagement“ (1983, S. 17). Löhnert erweiterte diesen individualistischen Ansatz (der Einzelne entscheidet sich zur inneren Kündigung) mit einer gedanklichen Hinwendung zur Situation, die den Einzelnen aufgrund einer empfundenen Unerträglichkeit in einen solchen Verzicht hineintreibt. Dabei geht es um die Wiederherstellung von situations-
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gebundener Erträglichkeit (1990, S. 30 f.). Der weitere Fortgang der Diskussion lenkte die Aufmerksamkeit zunehmend auf die psychologische Dimension des Phänomens als Folge erfolgloser Wiederherstellungsversuche von Erträglichkeit (unter anderem Hilb 1992, S. 5; Faller 1993, S. 80; Krystek et al. 1995, S. 213). Es wurde ein Zustand ausgeprägter Demotivation als radikale Antwort auf organisationsinterne Unzulänglichkeiten in die Betrachtung von innerer Kündigung aufgenommen und somit ein Zugang zur quantitativ-analytischen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen ermöglicht. Jiménez und Trummer publizierten als ein Ergebnis vorhergehender Diskussionen 2003 die EDEM-Skala zur Erfassung von innerer Kündigung. Innere Kündigung kann zusammenfassend als kritisches, arbeitsweltliches, soziales Phänomen definiert werden, das sich mittels Mangelsituation, Leistungsverzicht, Abnahme der Anstrengungsbereitschaft und Verzichtshypothese beschreiben lässt:
1. Antwort des Mitarbeiters auf eine als unerträglich empfundene Situation in seiner Arbeitsorganisation (Mangelsituation) 2. Rücknahme von Engagement (Leistungsverzicht) 3. Zunahme von Demotivation (Anstrengungsbereitschaftsabnahme) 4. Unerklärlichkeit des wahrnehmbaren Leistungsverzichts mit mangelnder Qualifikation und physischer Erschöpfung respektive Erkrankung und die sich daraus ergebende Unterstellung einer bewussten Entscheidung zum Verzicht auf Leistungsbereitschaft (Verzichtshypothese) Betrachtet man im Folgenden das Phänomen der inneren Kündigung im volkswirtschaftlichen Kontext, wird im Rahmen der Gallup-Studie aus dem Jahr 2018 deutlich, dass 71 % der Arbeitnehmer in Deutschland nur noch Dienst nach Vorschrift machen und bei 14 % der Arbeitnehmer die Bilanz noch negativer aussieht, da diese bereits innerlich gekündigt und keine emotionale Bindung mehr zum Unternehmen haben. Anknüpfend daran wird ferner postuliert, dass „schlechte“ Vorgesetzte die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2018 bis zu 103 Mrd. € gekostet haben (Engelke 2018). Diese Zahlen beziehungsweise Kosten sind für eine Organisation, deren Gewinn sich nur schwer operationalisieren lässt, zwar nicht bestimmend, zeigen jedoch nichtsdestotrotz eine große Problematik auf. In diesem Zusammenhang liegen zwar keine Forschungserkenntnisse in der deutschen Polizei vor, jedoch untersuchte Jiménez die innere Kündigung in der österreichischen Polizei. In seiner Untersuchung stellt er fest, dass die Stichprobe
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der Polizeibeamten deutlich – hinsichtlich Engagement und Demotivation – von der Vergleichsstichprobe abweicht und dass sich ein wesentlich höherer Anteil (fast doppelt so hoch) an innerlich gekündigten Personen in der Stichprobe der Polizeibeamten befindet (2004, S. 28, 31). Zusammenfassend stellt er diesbezüglich dar, dass die Ergebnisse ein deutlich erhöhtes Risiko für innere Kündigung bei Polizeibeamten zeigen. Innere Kündigung, so postuliert Jiménez, ist für viele Polizeibeamte demnach eine Möglichkeit, mit ihrer Unzufriedenheit im beruflichen Kontext fertig zu werden (2004, S. 24). Engagement und (De-)Motivation müssen daher also rechtzeitig erfasst werden, um Anzeichen einer inneren Kündigung frühzeitig erkennen zu können. Wesentliche Variablen, die einen Einfluss auf das Engagement und die Motivation im polizeilichen Kontext vorhersagen können, sind in diesem Zusammenhang eine hohe Zufriedenheit mit der Organisation und der Führung (Jiménez 2004, S. 24, 32). Dem unmittelbaren Führungsverhalten kommt daher eine besondere Bedeutung zu, um eine innere Kündigung bei den nachgeordneten Mitarbeitern zu vermeiden.
3.2.2 Polizei als „alarmistische Organisation“ mit Erschöpfungstendenzen Ferner ist die Polizei eine alarmistische Organisation. Der Begriff „Alarmismus“ hat dabei zwei Facetten: Einerseits meint er die permanente Erwartung einer Krise und andererseits die Vorwegnahme dieser (Fittkau 2018, S. 306 f.). Er intendiert damit auch das Panische bis hin zum Hysterischen. Ein terroristischer Anschlag wird beispielsweise selten vorher angekündigt, genauso wenig wie eine Amoktat. Gleichwohl wird erwartet, dass die Polizei nicht nur planungsmäßig auf solche Lagen vorbereitet ist, sondern auch über die personellen und logistischen Reserven verfügt, um entsprechend handeln zu können (Fittkau 2018, S. 307). Jeder Polizeivollzugsbeamte muss daher damit umgehen können, innerhalb kürzester Zeit vom „Ruhemodus“ des alltäglichen Dienstes in den „Krisenmodus“ als zwingende Folge dieser einen besonderen Lage überzugehen. Dieser Wechsel vom alltäglichen Dienst in der Allgemeinen Aufbauorganisation zum Krisenmodus in der Besonderen Aufbauorganisation betrifft alle Ebenen der Polizeiorganisation – vom Streifenbediensteten bis hin zum Polizeipräsidenten (Fittkau 2018, S. 307). In diesem Kontext tritt die Frage in den Vordergrund, wie viel „polizeiliche Alltagsorganisation“ sich eine Gesellschaft leisten kann oder sollte, um hinreichend für diese besonderen Lagen, welche in unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auftreten, „gerüstet zu sein“ und sich nicht dem Vor-
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wurf auszusetzen, in hysterischer Übertreibung zu viele Ressourcen (vor allem Personal) vorzuhalten (Fittkau 2018, S. 307). Vergleichbar einem Krankenhaus mit Notversorgungsanspruch und Rettungsstelle ergibt sich auch für die Polizei die Frage, zu wieviel Prozent das Personal beispielsweise im „Ruhemodus“ ausgelastet sein muss, um im Krisenmodus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit lageangemessen reagieren zu können. Klar und unstrittig dürfte sein, dass eine hundertprozentige Auslastung und die Weglassung eines „Puffers“ (also einer Reserve) nicht plausibel sind. Die in den 2000er Jahren vorgenommenen Arbeitsverdichtungen können getrost als eine Ursache für die gegenwärtig feststellbaren Unzulänglichkeiten bei diversen Lagen betrachtet werden (Fittkau 2018, S. 307). Begriffliche Differenzierung Allgemeine und Besondere Aufbauorganisation „Die Allgemeine Aufbauorganisation (AAO) der Polizei beschreibt die Regelorganisation, mit der alle Aufgabenfelder dargestellt werden, die zur täglichen meist wiederkehrenden Aufgabenerfüllung gehören und die daher auf Dauer organisiert werden können.“ (Altmann und Berndt 1994, S. 154). „Zur Erfüllung besonderer Aufgaben, die meist wegen ihrer Einmaligkeit (Katastrophe), Größe (Katastrophe, große Demonstrationen) und besonders komplizierten Struktur (Soko, Projektgruppen) von der AAO nicht abgedeckt werden können, muß [sic!] die Organisation flexibel reagieren können. Sie bedient sich dabei der Besonderen Aufbauorganisation (BAO), die sich, meist aus der AAO entwickelnd, ihre Organisationsstruktur für eben diesen „besonderen Fall“ aufbaut. Während also die AAO ihre Struktur an der überdauernden Aufgabenerfüllung orientiert und für eine Vielzahl denkbarer Fälle Regelungen schafft, wird eine BAO immer da notwendig, wo in einem besonderen Fall die Regelorganisation zur Erfüllung der besonderen Bedingungen des Einzelfalls nicht mehr ausreicht bzw. nicht zweckmäßig ist.“ (Altmann und Berndt 1994, S. 154).
Alsdann ist in der Polizei seit den 1990er Jahren viel in Bewegung gekommen. Folgend sollen nur einige Schlagworte von Barthel und Heidemann skizziert werden, die diesen institutionellen Wandel prägnant darstellen: • Die Sparnotwendigkeit des Staates führt einerseits zu Verschlankungs-, Zentralisierungsund Umbauprozessen in den Polizeien des Bundes und der Länder. Andererseits führt sie zu einer verstärkten „Verbetriebswirtschaftlichung“ in der Steuerung der Organisation beziehungsweise der Organisationsressourcen. Das „Neue Steuerungsmodell“ hält – wie in anderen Teilen des öffentlichen Dienstes auch – Einzug in vielen Polizeien (2014a, S. 16). • Die vielen Reorganisations- und Umstrukturierungsmaßnahmen sowie die „Verbetriebswirtschaftlichung“ in der Organisation werden unter anderem
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auch in der Vielzahl der Projekte deutlich, die neben der Formalorganisation zu Schauplätzen des Umbaus und des kontinuierlichen Wandels werden (2014a, S. 16) • Die gesellschaftspolitische Funktion der Polizei verändert sich. War sie bis zu den 1980er Jahren noch unhinterfragter Monopolist von Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik, wird sie im Zuge eines sparenden und „kooperativen Staates“ zum Mitspieler in einem kooperativen Netzwerk von öffentlichen, privaten und staatlichen Sicherheitsproduzenten. In diesem Umfeld muss die Polizei klug kooperieren und sich als Experte behaupten und positionieren (2014a, S. 16) • Das Internet, die Medien und Social Media bieten neue, moderne Chancen der Kooperation mit der Bevölkerung und den relevanten Zielgruppen. Sie stellen zugleich aber auch Formen der Entgrenzung bisheriger Organisationsformate dar. Das Verständnis der Polizei als „monolithischer Apparat“ weicht einem differenzierten und komplexeren Bild, nämlich dem einer ständig um ihre Grenzdefinition bemühten Organisation (2014a, S. 16). Kritisch ist dabei anzuführen, dass die Polizei in den letzten Jahren in fachlich kaum begründbare – lediglich aus finanziellen Erwägungen heraus durchgeführte – Organisationsveränderungsprozesse „hineingetrieben“ wurde. Dabei kam es zu einer Abnahme organisationaler Resilienz und zu einer zunehmenden Abwehrhaltung bei den betroffenen Mitarbeitern, was dazu führte, dass man „von oben“ diktierte Veränderungen letztendlich einfach geschehen ließ, ohne sich ernsthaft einzubringen. Inwieweit diesem Erschöpfungszustand der Organisation künftig begegnet werden kann, bleibt abzuwarten – hat aber schon gegenwärtig einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Führungsverhalten der Führungskräfte (Fittkau 2018, S. 307 f.).
3.2.3 Prädominanz des Politischen Polizeiliches Handeln ist – wie in Abschn. 3.1.1 bereits angesprochen – gebunden an von außen gesetzte Normen, die organisationsintern zwar im täglichen Handeln konkretisiert werden müssen, aber nicht infrage gestellt werden dürfen. Dazu zählt auch das Gewaltmonopol, das jeden Polizeivollzugsbeamten in besonderem Maße zu sensiblem Umgang mit den übertragenen Befugnissen zwingt. Die Polizei bestimmt ihren Unternehmenszweck – abweichend von einem wirtschaftlichen Unternehmen – nicht selber. Als Behörde der staatlichen Verwaltung setzt sie lediglich politische Entscheidungen um und ist nicht autonom, sondern direkt
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abhängig von politischer Anweisung und staatlicher Regulierung (Wilz 2012, S. 113). Aufgaben und Befugnisse der Polizei bestimmt daher der vom Wähler beauftragte Gesetzgeber. Diese werden der Polizei mitgeteilt und allen Polizeiangehörigen bereits in der Ausbildung (respektive im Studium) oder in der Fortbildung vermittelt. Ferner folgt die Polizei politischen Entwicklungen und ist in Reaktion auf die jeweiligen politischen Entscheidungen ausgestaltet (Wilz 2012, S. 117). Eine solche Normenbindung wird komplementär ergänzt durch die Prädominanz des Politischen als weitere Prägungsinstanz der Polizei. Strategische Ausrichtung, Ausstattung, Strukturen, Personalressourcen – all das hängt von wählerbeauftragten, politischen Entscheidungsträgern ab. Und nicht immer decken sich die medienvermittelten Vorstellungen von Sicherheitsgewährleistung mit organisationsinternen Fachvorstellungen. Dieses Spannungsfeld muss von Führungskräften aller Ebenen in die Organisation ausgleichend hineinkommuniziert werden (Fittkau 2018, S. 306).
3.2.4 Wertedivergenz und relativ geringe Einflussoffenheit gegenüber höheren Führungskräften „Viele Polizisten auf der Ausführungsebene fühlen sich als kleine Rädchen in der Organisation. Ihre Stellung in der Organisationshierarchie beschert ihnen häufig Situationen, in denen sie sich gekränkt fühlen (müssen), nicht ernst- und wahrgenommen und frustriert. Ihre Vorstellungen von richtiger Polizeiarbeit werden von den eigenen Vorgesetzten oft nicht geteilt, die Gerechtigkeitsvorstellungen stoßen schnell auf Unverständnis, wenn sie die eigenen Reihen verlassen.“ (Behr 2010, S. 319 f.)
Zudem ist die Polizei eine wertedivergente Organisation. Rafael Behr berichtet in diesem Zusammenhang von zwei Subkulturen in ein und derselben Organisation (2006, S. 17–19). Beide Subkulturen erfahren zwar ihre Rechtfertigung aus der gemeinsam übertragenen Aufgabenstellung, jedoch bedingen unterschiedliche arbeitsweltliche Rahmenbedingungen der Organisationsmitglieder voneinander abweichende Übersetzungen dieser Aufgabenstellung und münden somit in unterschiedlichen Wertesystemen mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen (Fittkau 2018, S. 307). Die Kultur in der Polizei differenziert sich dabei prinzipiell nach Funktionsebenen und Zielgruppen (Baadte 2018, S. 44; Fittkau 2018, S. 307). Einerseits ist dies die polizeiliche Hochkultur, welche auch als Polizeikultur oder management cop culture bezeichnet wird. Sie ist durch die offizielle Selbstbeschreibung der
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Polizei mittels formaler Regeln und legitimationsbeschaffender Leitbilder geprägt und repräsentiert die Organisation nach außen in der korporativen Welt und der medialen Öffentlichkeit (Baadte 2018, S. 44 f.; Barthel und Heidemann 2017b, S. 26; Fittkau 2018, S. 307). Diese Subkultur wird prinzipiell durch sachbearbeitende Polizisten sowie von mittleren und höheren Führungskräften getragen (Baadte 2018, S. 44 f.; Fittkau 2018, S. 307). Abgrenzend dazu liegt andererseits die Polizistenkultur vor, welche auch als (street) cop culture bezeichnet wird. Sie kontrastiert die offizielle Selbstbeschreibung der Polizei mit der tatsächlichen Aufgabenbewältigung im Organisationsalltag (Baadte 2018, S. 44 f.; Barthel und Heidemann 2017b, S. 26; Fittkau 2018, S. 307; Wilz 2012, S. 123). Diese Subkultur wird prinzipiell durch Streifenbedienstete, Kriminalbeamte, Gruppenbeamte und untere Führungskräfte getragen (Fittkau 2018, S. 307). Die unterstellte Weltfremdheit der „Obrigkeit“ kontrastiert dabei das unterstellte Fehlen zur einzelfallunabhängigen Reflektion der „Ausführungsebene“. Folge dieser polizeitypischen „gemixten“ Organisationskultur kann eine relativ geringe Einflussoffenheit von Polizeivollzugsbeamten gegenüber ihren höheren Führungskräften sein. Warum ist das so? In zwei Studien stellen Eckloff und Quaquebeke nicht nur statistisch relevante Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der eigenen Führungskraft als „gute Führungskraft“ (die Autoren haben den Begriff „idealer Führungsprototyp“ verwendet) und der Offenheit für eine führungsseitige Einflussnahme fest. Darüber hinaus konnten sie auch noch nachweisen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Identifikation mit der Führungskraft und der Ausprägung von Einflussoffenheit gibt (Eckloff und Quaquebeke 2008, S. 178). Aber gerade Identifikationsprozesse setzen gemeinsame arbeitsweltliche Auffassungen und Reflexionen voraus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, je geringer das arbeitsweltliche Identifikationspotenzial ist (in der Polizei: Die Differenz von Polizei- und Polizistenkultur), desto geringer dürfte die Einflussoffenheit sein. Leider liegen hierzu jedoch noch keine polizeispezifischen Befunde vor. Beispiel Teufelskreis zwischen höheren Führungskräften und niedrigeren Führungskräften sowie deren Mitarbeitern
Die geringe Einflussoffenheit zwischen höheren Führungskräften und niedrigeren Führungskräften sowie deren Mitarbeitern wird anhand eines Beispiels von Schulz von Thun et al. im Folgenden verdeutlicht (2019) (S. 21 f.): Führungskraft höhere Ebene: Wir erledigen unsere Arbeit (beispielsweise Planung einer Umstrukturierung). Wenn wir unsere Mitarbeiter (Führungs-
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kräfte der niedrigeren Ebene oder gegebenenfalls deren Mitarbeiter) fragen, wie die geplante Umsetzung läuft, kommen von den meisten positive Rückmeldungen. Lediglich in Einzelfällen läuft mal etwas nicht ganz so, wie wir uns das vorgestellt haben. Da scheitert es dann wohl an einzelnen Personen. Insgesamt fühlen wir uns aber in unserem Kurs bestätigt. Fragt man nun die Führungskräfte der niedrigeren Ebenen und deren Mitarbeiter bekommt man folgendes zu hören: Bei diesen ständigen Veränderungen weiß ja niemand so genau, wo morgen sein eigener Schreibtisch steht – wenn er überhaupt noch einen hat. Dann macht man lieber gute Miene zum bösen Spiel, auch wenn man schon vorher weiß, dass die Maßnahme zum Scheitern verurteilt ist und versucht sich da irgendwie durchzuschlängeln. Wenn mich dann einer von oben fragt, wie wir mit der Umstrukturierung vorankommen, dann sag ich ihm doch lieber, was er hören will. Was würde es schon nutzen, wenn ich ihm mitteile, dass das in der Praxis alles ganz anders aussieht? Der würde das doch sowieso nur meiner Unfähigkeit zuschreiben, wenn seine Planung nicht funktioniert. ◄
3.2.5 Relativ niedrige Gesundheitsquote Ferner kann angeführt werden, dass die Polizei eine Organisation mit relativ niedriger Gesundheitsquote ist. Die Gesundheitsquote wird definiert als das Verhältnis von Anwesenheitsstunden (Sollarbeitsstunden – Ausfallstunden aufgrund Arbeitsunfähigkeit) und Sollarbeitsstunden. Die Gesundheitsquote sollte möglichst hoch sein, jedoch nicht 100 % betragen. Eine Gesundheitsquote nahe 100 % lässt es wahrscheinlich sein, dass Mitarbeiter trotz Erkrankung auf ihrer Arbeitsstelle erscheinen (Präsentismus). Eine zu geringe Gesundheitsquote hingegen deutet zum einen auf ein problematisches Gesundheitsmanagement hin und zum anderen auf eine übermäßige Arbeitsverdichtung (Fittkau 2018, S. 307). Begriffliche Differenzierung Absentismus und Präsentismus Unter dem Begriff Absentismus versteht man im Allgemeinen „motivationsbedingte“ Fehlzeiten, die nicht auf Erkrankungen oder andere im Arbeitsvertrag geregelte und zulässige Gründe für das Fernbleiben von der Arbeit beruhen. Für das Phänomen Absentismus liegen unterschiedliche Erklärungsmodelle – wie beispielsweise das Rückzugsmodell, das ökonomische Nutzen-Modell oder das abweichende Verhaltensmodell – vor, die versuchen, das Phänomen zu erklären (Uhle und Treier 2015, S. 503). Unter dem Begriff Präsentismus versteht man hingegen die Anwesenheit eines Mitarbeiters am Arbeitsplatz trotz Krankheit. Typische Folgen dieses Phänomens sind unter anderem der Anstieg der Fehleranfälligkeit und Unfallgefahr sowie die Abnahme der
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Konzentration und Leistungsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es erwähnenswert, dass eine Senkung der Fehlzeitenquote ihre Bedeutung verliert, wenn diese durch eine Erhöhung des Präsentismus erkauft wird (Uhle und Treier 2015, S. 516).
„Patient Polizei – Es melden sich so viele Beamte krank wie noch nie“ urteilte in diesem Kontext ein Artikel des Berliner Kuriers im Februar 2018 (Kopietz 2018). In der Tat geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Finanzen auf eine schriftliche Anfrage der FDP hervor, dass der Krankenstand in der Berliner Polizei ausgesprochen hoch ist. Berliner Polizeivollzugsbeamte blieben demnach in den vergangenen Jahren durchschnittlich 47,4 (2015), 49,1 (2016) und 49,4 (2017) Tage krankheitsbedingt dem Dienst fern (Verrycken 2018, S. 2 f.). Im Vergleich dazu blieben Arbeitnehmer in diesen Jahren durchschnittlich 10,0 (2015), 10,8 (2016) und 10,6 (2017) Tage krankheitsbedingt der Arbeit fern10 (Statistisches Bundesamt 2019). Bauschke stellt in diesem Zusammenhang fest, dass in der Landespolizei Berlin „der Krankenstand der letzten Jahre [..] in dieser Tendenz als alarmierend bezeichnet werden [kann].“ (Bauschke 2019, S. 1). Ergänzend dazu weisen auch andere Polizeien ähnliche – wenngleich nicht ganz so alarmierende – Werte hinsichtlich der durchschnittlichen Krankheitstage auf. Anzuführen sind hier beispielsweise die Werte der Landespolizei Hessen (28,9 durchschnittliche Krankheitstage in 2016; 27 durchschnittliche Krankheitstage in 2017), Mecklenburg-Vorpommern (35,8 durchschnittliche Krankheitstage in 2017; 39,1 durchschnittliche Krankheitstage in 2018) und Nordrhein-Westfalen (19,9 durchschnittliche Krankheitstage in 2016) (Beuth 2017, 2018; Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2019; Landtag N ordrhein-Westfalen 2017).
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diesem Kontext zwei Anmerkungen: 1. Bei der Berechnung des Krankenstandes wurden durch das Statistische Bundesamt nur Krankmeldungen erfasst, die eine Abwesenheitsdauer von drei Tagen überschreiten. Die Zahl der tatsächlichen Krankheitstage dürfte also faktisch höher liegen (Statistisches Bundesamt 2019). 2. Bei Polizeivollzugsbeamten werden im Unterschied zu Angestellten bei der Erfassung der Krankentage die Wochenendtage oft mit eingerechnet (Ausnahme: Der Polizeivollzugsbeamte lässt sich ausdrücklich nur bis zum Freitag krankschreiben, um am Wochenende seinen Dienst zu verrichten). In grober Näherung sind die Krankentage bei Polizeivollzugsbeamten demnach durch sieben zu teilen und dann mit fünf zu multiplizieren (49 Krankentage bei Polizeivollzugsbeamten entsprechen somit in etwa 35 Krankentage bei Angestellten). Nichtsdestotrotz verdeutlichen die Zahlen eindrucksvoll den Unterschied zwischen dem Krankenstand von Polizeivollzugsbeamten und dem Krankenstand anderer Arbeitnehmer.
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Wichtig In diesem Zusammenhang ist es wichtig darzustellen, dass die hier vorgestellten Werte nicht repräsentativ für alle Polizeien des Bundes und der Länder sind. Dementsprechend können die Werte anderer, hier nicht dargestellter Landes- oder Bundespolizeien besser ausfallen, als die hier vorgestellten. Ferner ist zu erwähnen, dass keine systematische, organisationsübergreifende Auswertung der Krankheitstage in der Polizei stattfindet und es daher nur begrenzt möglich ist, den tatsächlichen Gesundheitszustand der (Mitarbeiter der) Organisation festzustellen. Vor diesem Kontext stellt sich die Frage, weshalb die durchschnittliche Anzahl an Krankheitstagen in der Polizei in der Tendenz deutlich höher ist als die von Arbeitnehmern. Grundsätzlich kommen als Kategorien für Stressoren im allgemeinen Arbeitskontext die Arbeitsaufgabe und -organisation, physische Bedingungen, soziale Stressoren und organisationale Bedingungen in Betracht (Bartholdt und Schütz 2010, S. 63). Gleichwohl bergen polizeiliche Tätigkeiten darüber hinaus ein hohes Stresspotenzial. In der Polizei besteht folglich bei der Berufsausübung ein höheres Verletzungsrisiko durch körperliche Auseinandersetzungen oder Angriffe sowie eine potenziell höhere Gefährdung für Traumatisierungen als in anderen Berufen (Bauschke 2019, S. 8; Latscha 2005, S. 112). Ebenso werden in der Polizei weitere Aspekte als belastend empfunden, welche unter anderem die Zwiespältigkeit der öffentlichen Wahrnehmung zur Polizeiarbeit, die fehlende Unterstützung und mangelnder Respekt seitens der Bevölkerung sowie der spürbar fehlende Rückhalt aus der Politik umfassen. Diese Aspekte treten anschließend in Kombination mit dem Umstand auf, in der eigenen Wahrnehmung als Projektionsfläche für persönliche und/oder gesellschaftliche Missstände herhalten zu müssen (Hermanutz und Spöcker 2009 zit. in Szymenderski 2012, S. 16 f.). Folglich können aber auch weitere Aspekte wie beispielsweise Schichtarbeit, schlechte Ausstattung und geringe Bezahlung als Stressoren wirken (McCafferty et al. 1992 zit. in Klemisch 2006, S. 18). Diese Stressoren wirken sich nachfolgend als Stressreaktionen (kurzfristig) oder Stressfolgen (langfristig) aus (Bartholdt und Schütz 2010, S. 23). Stressreaktionen können sich in körperliche, kognitive und emotionale Reaktionen sowie in Reaktionen auf der Verhaltensebene differenzieren lassen (Lorei 2014, S. 32–35). Stressfolgen treten im Gegensatz dazu zeitlich verzögert auf, auch wenn sie nicht eindeutig und trennscharf von den Stressreaktionen abzugrenzen sind. Chronischer beziehungsweise langanhaltender Stress sowie regelmäßig wiederkehrende Stressepisoden ohne notwendige Erholungsphasen sind im
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Folgenden ursächlich für Gesundheitsbeeinträchtigungen (Lorei 2014, S. 40), die zu krankheitsbedingten Ausfällen führen können. Unter diese Gesundheitsbeeinträchtigungen sind unter anderem auch psychosomatische Beschwerden zu fassen, welche ebenfalls ihren Ursprung in verschiedenen Stressoren, wie beispielsweise in den Arbeitsumständen oder kritischen Ereignissen bei der Arbeit, haben können. Im Polizeiberuf spielt dabei insbesondere organisationaler Stress, darunter beispielsweise auch das erlebte Führungsverhalten, eine bedeutende Rolle (Gershon et al. 2009, S. 284; van der Velden et al. 2013, S. 2; Violanti et al. 2016, S. 655). Empfundener Stress führt folgend zu psychischer Belastung und entsprechenden Stressreaktionen und -folgen. Belegt ist, dass psychische Stressoren deutlich mit psychosomatischen Beschwerden korrelieren (Frese 1985, S. 320 f.). Ebenfalls im polizeilichen Kontext konnte der Nachweis zum Zusammenhang zwischen hohem Stresserleben und ausgeprägteren psychosomatischen Symptomen bestätigt werden (Chueh et al. 2011, S. 147). Hintergrundinformationen Im Kontext dieser theoretischen Ausführungen konnten Kleiber und Renneberg in einer groß angelegten Studie in der Berliner Polizei Folgendes empirisch belegen (2017, S. 4): Polizeispezifische Anforderungen, wie beispielsweise viele aufeinanderfolgende Einsätze, Einsätze kurz nach Dienstschluss oder verbale Angriffe im Bürgerkontakt (22 % der Befragten gaben an, mindestens einmal wöchentlich von Bürgern verbal angefeindet zu werden), sind häufig erlebte belastende Tätigkeitsmerkmale und Prädikatoren von klientenbezogenem Burnout – Erschöpfungszustände, welche sich für Polizeivollzugsbeamte mit Bürgerkontakt aus der Arbeit mit Bürgern ergeben. Zudem werden arbeitsorganisationsbezogene Anforderungen, wie beispielsweise Vorschriften, die keinen Sinn ergeben oder die mangelnde Verfügbarkeit von Arbeitsmitteln, von allen Polizeivollzugsbeamten – unabhängig von der Einsatzbeteiligung – als belastend empfunden und sagen Burnout vorher. 22 % der befragten Polizeivollzugsbeamten mit Bürgerkontakt zeigten in diesem Zusammenhang eine hohe Ausprägung auf der Skala persönliches Burnout, 11 % auf der Skala arbeitsbezogenes und 4 % auf der Skala klientenbezogenes Burnout. Anknüpfend daran erlebten Polizeivollzugsbeamte den Konflikt zwischen Arbeit und Privatleben als große Quelle von Unzufriedenheit. Mit diesem Konflikt nehmen zum einen berufliche Gratifikationskrisen und zum anderen auch die drei Burnout-Ausprägungen zu. Folgend wurde festgestellt, dass der innerhalb der Polizeibehörde wahrgenommene Mangel an Gerechtigkeit und Fairness ein zentraler Faktor für die Entwicklung beruflicher Gratifikationskrisen ist. Ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung in Richtung Verausgabung wurde bei 89 % der Befragten festgestellt (negative Gratifikationsbilanz, Gratifikationskrise). „Ein- und Durchschlafstörungen (50 %), Nacken- und Schulterschmerzen (44 %) sowie Rückenschmerzen (43 %) waren die am häufigsten genannten gesundheitlichen Beschwerden. Bei etwas mehr als einem Fünftel […] ergaben sich Hinweise auf eine klinisch relevante depressive oder ängstliche Symptomatik. 77 % der [..] [Befragten] gaben
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an innerhalb des letzten Jahres mindestens zweimal oder öfter krank zur Arbeit gegangen zu sein. 37 % der Befragten hielt [sic!] es für eher wahrscheinlich (28 %) oder sehr wahrscheinlich (9 %) vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben auszuscheiden. Von den eingeschränkt dienstfähigen [..] [Befragten] nahmen 59 % Konflikte mit Vorgesetzten und/oder Kolleginnen und Kollegen wegen der Einschränkungen wahr.“ (Kleiber und Renneberg 2017, S. 4).
Sowohl die Natur der Polizeiarbeit als auch organisationale und soziale Aspekte im Arbeitsprozess können zusammenfassend als Stressoren im Arbeitsalltag auftreten, welche zu krankheitsbedingten Ausfällen der Mitarbeiter führen können. Siegrist stellt in diesem Zusammenhang jedoch auch dar, dass eine übermäßige Arbeitsverdichtung nicht allein ausreicht, um eine Zunahme von Erkrankungen zu erklären. Erst eine Arbeitsverdichtung kombiniert mit einem Mangel an Anerkennung, respektive dem Entzug von Anerkennung, macht einen Rückgang der Gesundheitsquote in einer Organisation wahrscheinlich (1996, S. 29–31). Dem Aspekt der Mitarbeiterführung kommt daher in diesem Zusammenhang eine hohe Bedeutung zu.
3.2.6 Gefahr von Overcommitment und negativem Spillover Aber nicht nur die von Siegrist beschriebene Gratifikationskrise kann Folge einer übermäßigen Arbeitsverdichtung sein. Es kann außerdem zu Konflikten zwischen den einzelnen Lebensbereichen kommen, die sowohl zur Erschöpfung als auch zur Vereinsamung von Mitarbeitern führen. Rau und Schuller (Rau 2011, S. 83–85; Schuller und Rau 2013, S. 108 f.) unterteilen die Lebenszeit in Erwerbszeit (Zeit für den Arbeitgeber), Obligationszeit (Zeit für die Bewältigung allgemeiner privater Verpflichtungen, beispielsweise für häusliche Tätigkeiten, Einkauf, Betreuung der Kinder) und „echte“ Freizeit (Zeit für Urlaub, Hobbys und Schlaf). Von negativem Spillover sprechen wir immer dann, wenn es zu Übertragungen negativer Effekte von einem Lebensbereich auf einen anderen kommt. Wie und warum kommt es zu diesen Übertragungseffekten und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die betroffenen Mitarbeiter? In dem Maße wie es Mitarbeitern nicht gelingt, ihre Arbeitsaufgaben im vorgegebenen zeitlichen Rahmen zu erfüllen, müssen sie entscheiden, wie sie mit dieser misslichen Situation umgehen. Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder sie akzeptieren eine nicht zeit- und/oder qualitätsgerechte Erledigung oder sie
3.2 Führungsspezifische Besonderheiten der Polizei
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Arbeitsleistung
Wertschätzung
Physische und psychische Beanspruchung
Arbeitsplatzsicherheit & Karriere (PE)
Arbeitszeit, ggf. auch Obligations- und Freizeit
Gehalt und Benefits (Transaktionale Führung)
Verausgabungsneigung Overcommitment
Abb. 3.4 Berufliche Gratifikationskrise. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Siegrist 2015, S. 22 zit. in Fittkau 2020))
„greifen“ auf die Reserven der Obligations- und echten Freizeit zurück. Das heißt: Sie übertragen in der zweiten Alternative negative Effekte der Erwerbszeit auf die „Nicht-Erwerbszeit“. Auch hier haben Mitarbeiter wiederum zwei Möglichkeiten: Sie können die Obligations- oder die „echte“ Freizeit verkürzen. Verkürzen sie die Obligationszeit zu sehr, besteht die Gefahr der Los-
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lösung von nahestehenden Personen bis hin zur Auflösung der eigenen Familie. Schließlich bedeutet jede Verkürzung der eigenen Obligationszeit eine Überbeanspruchung der Obligationszeit sozial nahestehender Personen (beispielsweise der Lebenspartnerin beziehungsweise des Lebenspartners). Verkürzen sie hingegen die „echte“ Freizeit wird eine überdurchschnittliche Erschöpfung mit Rückkopplungseffekten auf die Erwerbszeit wahrscheinlich: Mangelnde Konzentration, erhöhte Fehleranfälligkeit und zeitliche Dehnungen bei der Aufgabenerfüllung. Letztendlich können dauerhafte Erschöpfungszustände in Burnout einmünden und zum Zusammenbruch der Persönlichkeit führen. Verstärkt wird ein solcher Prozess verinnerlichter Selbstausbeutung noch durch das „Overcommitment-Phänomen“ (Schirmer 2015, S. 88 f.). Gerade stark engagierte Mitarbeiter sind besonders anfällig. So konnte Teske beispielsweise bei Berliner Polizisten nachweisen, dass sich mit zunehmendem Dienstalter das Aufgabencommitment erhöht (Teske 2018, S. 33; differenzierend hierzu bereits Lauterbach 2004). Ob weitere Untersuchungen diesen Befund bestätigen, bleibt abzuwarten. Zudem kann ein Einhergehen der Zunahme aufgabenbezogenen Commitments mit einer Tendenz zur Selbstausbeutung hier nicht als zwingend behauptet werden, lässt aber eine erhöhte Gefährdung von (dienstälteren) Polizeivollzugsbeamten als durchaus plausibel erscheinen. Mitunter werden ungünstige Konstellationen aus Verausgabung und Belohnung von Mitarbeitern in Kauf genommen (siehe Abb. 3.4). Siegrist beschreibt drei Bedingungen (2015, S. 21–26): 1. Wenn Arbeitsplatzalternativen fehlen oder schwer zu erreichen sind. 2. Wenn Mitarbeiter strategische Vorteile von entsprechenden Vorleistungen erwarten (beispielsweise Beförderung nach Übergangszeit) 3. Wenn ein spezifisches personales Verhaltensmuster vorliegt. Lebensältere Beamte haben kaum noch die Möglichkeit, außerhalb der Polizei adäquate berufliche Tätigkeiten zu finden (Punkt 1). Punkt 2 entspricht dem Beamten, der schon lange auf eine Beförderung wartet und darauf hofft, zeitnah berücksichtigt zu werden. Mit Punkt 3 meint Siegrist eine übersteigerte berufliche Verausgabungsneigung (Overcommitment). Berücksichtigt werden sollte auch der in der Polizei beobachtete Umstand eines negativen Zusammenhangs von Commitment und Kurzzeiterkrankungen (Koch 2019, S. 41). Mitunter dienen Kurzzeiterkrankungen (also das gesundheitsbedingte Fernbleiben vom Dienst ohne Krankschreibung) neben einer bloßen Genesung auch dem Einschieben notwendiger Erholungsphasen.
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei In Anbetracht des Verfassungsauftrages zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und Ordnung, welcher unter Umständen mit gravierenden Eingriffen in die Grundrechte von Bürgern verbunden ist, dürfte die Gesellschaft nicht nur ein Interesse an einer bürgernahen Struktur der Polizei haben, sondern auch daran, wie in dieser geführt wird. Demzufolge wird dem Phänomen Führung in der Polizei ein vergleichsweise hoher Stellenwert beigemessen. Obwohl das militärische Prinzip von Befehl und Gehorsam einem kooperativen Führungsverständnis gewichen ist, wird nach wie vor in der Polizei nach Vorschrift geführt (Baadte 2018, S. 45). Nachfolgend wird das Kooperative Führungssystem (KFS) vorgestellt, welches seit 1982 das offizielle und gültige Führungskonzept der deutschen Polizei darstellt (Thielmann und Weibler 2014a, S. 20; Vollmar et al. 2017, S. 15).
3.3.1 Entstehung und konzeptionelle Grundlagen Die deutsche Polizei stellte bis zur Mitte der 1960er Jahre eine stabile, beinahe statische Organisation in einer vergleichsweise geordneten, von gesellschaftlichen Herausforderungen nicht in Frage gestellten Umwelt dar. Die Hierarchie als zentrales Organisationsprinzip wurde zu dieser Zeit weder durch interne noch durch externe Komplexität irritiert. Im Innenverhältnis der Polizei war das Klima im Wesentlichen autoritär strukturiert (Barthel 2006, S. 27; Seidensticker 2017, S. 22). Im Außenverhältnis waren Problemlösungsverhalten und Habitus „[…] entsprechend dem in dieser Zeit noch wirksamen weimar-preußischen Traditionsstrang durch einen militaristischen Polizeistil gekennzeichnet.“ (Schulte 2003, S. 121). In dieser Zeit führten leitende Polizeivollzugsbeamte in Befehlstaktik – Kommando, Befehl und Gehorsam galten als Takt der dienstlichen Kommunikation im Alltag. Alsdann war das gelebte Führungsverständnis strikt an die Hierarchie geknüpft und sah die Führungskraft als besten Polizeifachmann an, ausgestattet mit größter Weitsicht und endgültigem Sachverstand. Hingegen galten die nachgeordneten Mitarbeiter lediglich als bloßes Vollzugsorgan und exekutierten die Anordnungen und Befehle verfahrensförmig und klaglos (Barthel 2006, S. 27 f.; Seidensticker 2017, S. 22 f.). Die Bundesrepublik Deutschland war in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre sowie in den 1970er Jahren von Aufbegehren, Aufbruchsstimmung und Neuerungen geprägt. Spannungen des gesellschaftspolitischen Systems trafen
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unterdessen auch die Polizei mit voller Wucht: Im Außenverhältnis stand die Polizei fortan (teilweise brutalen) Ausschreitungen bei Aufzügen und Versammlungen, Demonstrationen, Hausbesetzungen und anderen Formen des Protests gegenüber. Aufgrund der mangelnden organisatorischen und psychologischen Vorbereitung auf derartige Entwicklungen reagierte sie mit Hilflosigkeit bis hin zu übermäßiger Härte (Thielmann und Weibler 2014a, S. 18; Waldmann 2007, S. 94 f.). Die Auseinandersetzungen der Polizei mit dem politischen Protest machten deutlich, „[…] dass die aus der Weimarer Zeit […] hinübergeretteten Handlungsmuster der Polizei nun endgültig obsolet geworden sind.“ (Schulte 2003, S. 179). Daraus resultierend ergaben sich große Veränderungen in den Bereichen Ausbildung, Ausstattung, Einsatztaktik, Strategien und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei (Thielmann und Weibler 2014a, S. 18). Anknüpfend an den Legitimationsdruck im Außenverhältnis, bei welchem sich die Polizei angesichts der sozialen Bewegungen und des politischen Protests als grundgesetzlich verankerte Staatsgewalt präsentieren musste, wurde sie zudem im Innenverhältnis mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert (Barthel und Schiele 2017, S. 229). Die Herausforderungen im Innenverhältnis wurden zum einen durch eine Hierarchiekrise und zum anderen durch einen umfassenden Modernisierungsprozess geprägt: Aufgrund der zunehmenden Demokratisierung und Humanisierung der Arbeitswelt waren junge Menschen, die neu in die Organisation der Polizei eintraten, nicht mehr bereit, den militärisch-autoritären Umgangsformen der älteren Generationen zu folgen. Zunehmend wurde autoritäres (Führungs-)Verhalten von vorgesetzten Führungskräften problematisiert und kritisiert und entsprach weder den Erwartungen des Bürgers noch den sich ändernden Arbeitsaufgaben der Polizei (Barthel 2006, S. 29; Thielmann und Weibler 2014a, S. 18; Vollmar et al. 2017, S. 14). Des Weiteren wurde die Polizei in den 1970er Jahren mit einem umfassenden Modernisierungsprozess konfrontiert, welcher unter anderem aus der Reorganisation der bisherigen Polizeiorganisation (Auflösung bisher kleinteiliger Revierstrukturen und Bildung größerer Organisationseinheiten), der technischen Aufrüstung der Polizei (Einsatz erster Formen informationstechnischer Datenverarbeitung) sowie der zunehmenden Motorisierung des Streifendienstes bestand (Barthel und Heidemann 2017a, S. 6 f.; Barthel und Schiele 2017, S. 229). Der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz wurde – als politische Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen – anschließend damit beauftragt, die bis dahin geltenden Führungsphilosophien der Polizei zu überarbeiten. Als Ergebnis dessen wurde 1974 die kooperative Führung als verbindlich wirkende Führungsverhaltensvorschrift im Programm für Innere Sicherheit in
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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allen Polizeien des Bundes und der Länder vorgegeben (Uhlendorff und Jäger 2011, S. 24 f.; Vollmar et al. 2017, S. 14).
Definition kooperative Führung Kooperative Führung ist nach Wunderer die „zielorientierte soziale Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben (1. Dimension) in/mit einer strukturierten Arbeitssituation (2. Dimension) unter wechselseitiger, tendenziell symmetrischer Einflussausübung (3. Dimension) und konsensfähiger Gestaltung der Arbeits- und Sozialbeziehungen (4. Dimension).“ (Uhlendorff und Jäger 2011, S. 69). Die an der Polizei-Führungsakademie lehrenden Polizeidirektoren Robert Altmann und Günter Berndt entwickelten infolgedessen das KFS in Münster (Thielmann und Weibler 2014a, S. 18; Vollmar et al. 2017, S. 14). Mit ihrem 1976 erschienenen „Grundriß der Führungslehre“ (Band 1) unternahmen sie erstmalig den Versuch, die Problematik Führung in der Polizei aufzuzeigen und eine den speziellen Anforderungen des polizeilichen Alltags entsprechende Führungslehre zu entwickeln (Barthel und Heidemann 2017b, S. 24; Vollmar et al. 2017, S. 14 f.). Die beiden Autoren wollten mit ihrem KFS deutlich machen, dass der bis dahin überwiegend autoritär geprägte Führungsstil in der Polizei „in normativer Hinsicht nicht mehr zeitgemäß war, da er nicht auf der Basis des Grundgesetzes beruhte, in organisationaler Hinsicht nicht effektiv war, da er Mitarbeiter nur als Befehlsempfänger und nicht als motivierbare Leistungsträger verstand, in professioneller Hinsicht unbrauchbar war, da er die führungspraktische Leistung des Vorgesetzten nicht ausbuchstabieren konnte.“ (Barthel und Schiele 2017, S. 229). Hintergrundinformationen Bis 2006 war die Polizei-Führungsakademie die zentrale Polizeischule für den höheren Polizeivollzugsdienst. Ab März 2006 ging sie in die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) über (Vollmar et al. 2017, S. 14).
Für die Erstellung ihres KFS führten Altmann und Berndt die in den 1970er Jahren relevante Literatur der Führungs- und Managementlehre zusammen und verknüpften diese systematisch mit polizeispezifischen Aufgaben- und Problemstellungen (Vollmar et al. 2017, S. 15). Für die inhaltliche Ausgestaltung des KFS waren zwei Konzepte, man kann fast sagen Philosophien, maßgeblich bestimmend: Zum einen das Harzburger Modell sowie zum anderen die Motivationspsychologie der 1970er Jahre (Barthel 2010, S. 43; Barthel und Schiele 2017, S. 229).
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Das Harzburger Modell stellt für das KFS gewissermaßen den Orientierungspunkt für alle Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation dar. So werden im Lehrbuch „Grundriß der Führungslehre“ (Band 2) von Altmann und Berndt in der Logik dieses Ansatzes alle für die Polizei relevanten aufbauorganisatorischen Fragen diskutiert und zugleich alle ablauforganisatorischen Problemstellungen thematisiert. Dies führt dazu, dass sich das KFS in weiten Teilen wie eine polizeiliche Paraphrase des Harzburger Modells liest, welche Organisation als Maschine versteht, die in allen erdenklichen Details planbar, gestaltbar und nach Belieben – durch die jeweilige oberste Leitungsinstanz – veränderbar ist (Barthel 2010, S. 43). Hinsichtlich der Motivationspsychologie der 1970er Jahre vertraten Altmann und Berndt die Auffassung, dass das Verständnis und die Kenntnis über individuelle Bedürfnisse, Interessen und Motive unerlässlich für die Führung von Mitarbeitern ist (1992, S. 100). Dies führte dazu, dass sie unter anderem die Modelle der Motivationspsychologie von Atkinson, Corell, Frankl, Herzberg, Maslow, McGregor und Vroom studierten und die Erkenntnisse daraus in ihr KFS implementierten (Altmann und Berndt 1992, S. 102–125). Alsdann gingen die beiden Autoren davon aus, dass der polizeiliche Alltag so komplex sei, dass erfolgreiche Führung nicht durch die Anwendung einzelner Führungstechniken gelingen könne, weswegen sie diesem Umstand mit einem komplexen Führungssystem begegnen wollten. Dementsprechend begründen die beiden Autoren ihr Konzept vor allem aus einer systemtheoretischen Sicht im Rahmen eines kybernetischen Regelkreismodells der Führung (Kybernetik erster Ordnung) (Baadte 2018, S. 47; Vollmar et al. 2017, S. 16; Weibler und Thielmann 2010, S. 59). Anknüpfend daran erkannten die beiden Autoren relativ schnell, dass Führung kein statischer Vorgang ist, sondern viele unterschiedliche Situationen bewältigen muss. Eine schematische Anwendung des KFS würde dabei keine hinreichende Erfolgsgarantie haben, weswegen die Autoren Erkenntnisse der situativen Führung beziehungsweise des situativen Ansatzes in ihr Führungssystem adaptierten. Als situative Bedingungen werden dabei Zeitdruck bei Entscheidungen, Grad der Planbarkeit von Ereignissen und Persönlichkeitsunterschiede der Mitarbeiter angesehen (Altmann und Berndt 1992, S. 264 f.; Weibler und Thielmann 2010, S. 60). Altmann und Berndt empfehlen dahingehend – je nach situativer Kombination der Aspekte Zeit und individuelle Bedingungen des Mitarbeiters – eine entweder mehr aufgaben- oder eine mehr mitarbeiterorientierte Führung (1992, S. 265 f.; Vollmar et al. 2017, S. 20).
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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Zielbildung
Delegation
Kontrolle
Realisierung
Planung
Beteiligung
Transparenz
Repräsentation
Kontrolle
Entscheidung
Feststellung von Leistung
Anordnung
Durchführungsplanung
Abb. 3.5 Systemelemente des KFS im kybernetischen Regelkreis. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Baadte 2018, S. 46))
3.3.2 Begriffsbestimmung und Führungsverständnis Das KFS stellt ein normales Führungskonzept dar, wobei Führungskonzepte sich im Allgemeinen insbesondere durch drei Charakteristika auszeichnen: Einerseits vertreten sie eine normative Position, geben also eine Auskunft bezüglich des angestrebten Menschenbildes sowie der präferierten Kommunikations- und Kooperationsweise zwischen Führungskraft und ihren nachgeordneten Mitarbeitern (Barthel 2010, S. 40). Andererseits beschreiben sie „[…] die Führungswirklichkeit im Format der Gestaltbarkeit und Machbarkeit – insbesondere für ihre Hauptadressaten, die Führungskräfte.“ (Barthel 2010, S. 40). Damit reduzieren sie die Komplexität der Organisationswirklichkeit auf überschaubare und benutzerfreundliche Stellgrößen (Barthel 2010, S. 40). Alsdann fungieren Führungskonzepte als „Mutmacher“ und verfolgen dabei eine didaktische Grundintention: Die Reduktion der tatsächlichen Komplexität der Führungs- und Organisationswirklichkeit geht einher mit einem Gerüst von unterschiedlichen
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Instrumenten, Methoden und Verfahren, die als besonders wirksam und erfolgreich dargestellt werden. Damit stellen sie das eigentliche Hauptargument dar und geben ein technisch-instrumentelles Versprechen, dass mit dem jeweiligen Führungskonzept, sofern richtig eingesetzt, Führungserfolg unumgänglich sei (Barthel 2010, S. 40 f.). Bezugnehmend auf die normative Position eines Führungskonzeptes ist festzuhalten, dass das KFS das erste Führungskonzept in der Geschichte der deutschen Polizei ist, welches sich eindeutig und dezidiert auf die bürgerlichen Grundrechte bezieht. Der Mitarbeiter, der zuvor nichts mehr als bloßer Befehls- und Weisungsempfänger war, wurde im Folgenden als Person gesehen, welche ein Anrecht auf angemessenen und höflichen Umgang seitens der Führungskraft hat. Das KFS kann entsprechend als strikter Gegenentwurf zum autoritären Führungsstil verstanden werden, der in großen Teilen noch in den 1950er bis 1970er Jahre in der Polizei verbreitet war (Barthel 2010, S. 41). Hinsichtlich der Komplexitätsreduktion ist anzuführen, dass das KFS zum einen Führung im Sinne eines kybernetischen Regelkreises versteht und der Führungsprozess kompakt die Phasen Zielbildung, Planung, Entscheidung, Durchführungsplanung, Anordnung, Realisierung und Kontrolle umfasst (Baadte 2018, S. 46). Ergänzend dazu reduziert das KFS zum anderen die Komplexität der Führungs- und Organisationswirklichkeit auf die sechs Elemente Delegation, Beteiligung, Transparenz, Repräsentation, Kontrolle und Feststellung von Leistung (siehe Abb. 3.5). Diese Elemente beschreiben indes die Aufgaben und Handlungsfelder von Führungskräften in kurzer und einprägsamer Form (Barthel 2010, S. 41). Alsdann versteht sich das KFS als instrumentelles Versprechen für nahezu technisch herstellbaren Führungserfolg. Es wird unterdessen als ein mit Instrumenten11 und Methoden gefüllter „Werkzeugkoffer“ präsentiert, mit welchem nicht die Person als Führungskraft erfolgskritisch angesehen werden muss, sondern lediglich ihre mangelhafte Kenntnis der Werkzeuge (Barthel 2010, S. 42). Die sechs Elemente bilden das „operative Herzstück“ des KFS und sollen der Führungskraft als Handlungsorientierung bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Führungsaufgaben dienen (Barthel und Heidemann 2013, S. 154). Neben diesen spielen auch die sogenannten Grundannahmen Kommunikation, Menschenbild und Vertrauen eine wichtige Rolle. Diese werden bei den Autoren des KFS
11Darunter
fallen unter anderem „Management by …“-Techniken, Kommunikations- und Gesprächsführungstechniken, unterschiedliche Motivationsmodelle sowie Konflikthandhabungstechniken (Barthel 2010, S. 42).
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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zwar nicht explizit in das System der Elemente aufgenommen, stellen aber nach Thielmann und Weibler einen wesentlichen Aspekt des Führungskonzepts dar (2010, S. 74–76; dazu auch Vollmar et al. 2017, S. 19 f.). Dem KFS muss dabei zunächst ein Menschenbild zugrunde liegen, das „[…] die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde als höchste Werte anerkennt.“ (Thielmann und Weibler 2010, S. 74). Alsdann erfordert das KFS, dass die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter auf Vertrauen basiert (Thielmann und Weibler 2010, S. 75). Des Weiteren kommt dem Aspekt Kommunikation eine besondere Bedeutung zu, da sie als Kohäsionskraft des KFS zählt (Thielmann und Weibler 2010, S. 75). Sinnbildlich gesprochen stehen auf dem Fundament der Grundannahmen die sechs Elemente des KFS, welche der Führungskraft beschreiben, was diese tun sollte (Thielmann und Weibler 2010, S. 76; Vollmar et al. 2017, S. 16 f.). Die sechs Elemente, einschließlich ihrer Kurzbeschreibung, lauten: • „Delegation von genau beschriebenen Aufgaben und Kompetenzen, sowie der sich daraus ergebenden Verantwortung • Beteiligung von Mitarbeitern an der Festlegung von Zielen und an der Art der Durchführung auf der entsprechenden Führungsebene • Transparenz aller Führungsmaßnahmen durch ständige Kommunikation mit der Möglichkeit zur Rückkopplung • Vertikale und horizontale Repräsentation des eigenen Dienstbereichs • Zielorientierte Kontrolle • Feststellung der Leistungen anderer, objektivierte Leistungsbewertung und Förderung“ (Altmann und Berndt 1992, S. 239). Diese werden im Folgenden detaillierter anhand ihrer charakteristischen Führungsverhaltensweisen und den angenommenen Erfolgswirkungen in der Tab. 3.1 skizziert. Schließlich werden die erwarteten positiven Wirkungen des KFS durch Altmann und Berndt mit den Stichworten Leistungsverbesserung, Konfliktvorbeugung und -vermeidung sowie Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit zusammengefasst (1992, S. 268–270; Thielmann und Weibler 2014a, S. 25). Ergänzend dazu postulieren sie, dass das KFS bei der Organisations- und Personalentwicklung ebenfalls positive Effekte hervorbringe (Thielmann und Weibler 2014a, S. 25).
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3 Die Polizei in Deutschland
Tab. 3.1 Systemelemente des KFS – Führungsverhaltensweisen und Wirkungen. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Thielmann und Weibler 2014a, S. 21–24; Vollmar et al. 2017, S. 17–19)) Systemelemente des KFS
Charakteristische Verhaltens- Angenommene Erfolgsweisen der Führungskraft wirkungen
Delegation
• (Teil-)Aufgaben werden inklusive der entsprechenden Kompetenzen an Mitarbeiter zugewiesen • Erfolgt im alltäglichen Dienst durch münd liche Aufgaben- und Kompetenzübertragung
• Möglichkeit der Selbst verwirklichung • Steigerung der Zufriedenheit • Identifikation mit der Aufgabe • Forderung und Förderung der Eigenverantwortung • Kreativität
Beteiligung
• Mitarbeiter werden in das Führungshandeln einbezogen • Mitarbeiter werden bei der Festlegung von Zielen beteiligt • Mitarbeiter und Führungskraft unterstützen und beraten sich gegenseitig
• Identifikation der Mitarbeiter mit den Zielen • Steigerung der Motivation • Förderung der Selbstständigkeit • Steigerung der Mitarbeiterkompetenz
Transparenz
• Zweck/Ziel des Handelns verdeutlichen • Führungsmaßnahmen begründen • Kommunikation und Kontakt mit den Mitarbeitern pflegen • Hintergrundinformationen und personelle/ organisatorische Veränderungen kommunizieren
• Nachvollziehbarkeit des Führungshandelns • Qualifizierte Mitarbeit • Gesteigerte Akzeptanz von Maßnahmen • Konfliktreduktion • Optimale Ausführung der Aufgaben
Repräsentation
• Schaffung von Vertrauen • Belange der Mitarbeiter (inner- und außerhalb der innerhalb der Organisation Organisation) (nach oben, unten, seit• Stärkung des Zusammenwärts) vertreten gehörigkeitsgefühls • Führungsmaßnahmen • Steigerung des Amts- und übergeordneter Stellen Sozialprestiges gegenüber Mitarbeitern erläutern (Fortsetzung)
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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Tab. 3.1 (Fortsetzung) Systemelemente des KFS
Charakteristische Verhaltens- Angenommene Erfolgsweisen der Führungskraft wirkungen
Kontrolle
• Ziele entwickeln • Soll- und Ist-Zustand abgleichen • Ergebnis- und Verfahrenskontrollen durchführen
Leistungsfeststellung und -bewertung
• Objektivere Beurteilungen •L eistung der Mitarbeiter eförderungen und wahrnehmen, bewerten und • B Karrieren werden transeinordnen parent •K onsequenzen (positive • Motivation durch Lob und oder negative) ziehen Anerkennung • Schaffung von Leistungsanreizen
• Verbesserung der Arbeitsergebnisse und des Arbeitsverhaltens • Rückkopplung über eigenes (Führungs-)Verhalten • Sicherstellung der Koordination
3.3.3 Implementierung des Kooperativen Führungssystems Alsdann kann festgestellt werden, dass das KFS heutzutage fest in der Polizei verankert ist. Das KFS wurde dabei sowohl auf politischer als auch auf organisationaler Ebene implementiert. Nachfolgend wird die Implementierung des KFS kurz umschrieben. Auf politischer Ebene wurde 1974 erstmals im Programm für Innere Sicherheit festgelegt, dass in der Polizei kooperativ zu führen ist (Baadte 2018, S. 46). Von Bedeutung für die politische Verankerung des KFS war die Fortschreibung des Programms für Innere Sicherheit von 1994, in welcher festgehalten wurde, dass zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit in Deutschland ein einheitliches Führungs- und Einsatzverhalten der Polizei notwendig ist und diesbezüglich die Grundsätze des KFS anzuwenden sind (Thielmann 2010, S. 99). Dadurch wurde gewährleistet, dass das KFS bundesweit eine politische Verankerung erfährt (Barthel und Schiele 2017, S. 229). In der Fortschreibung des Programms für Innere Sicherheit von 2008/2009 wurde das KFS zwar nicht mehr explizit benannt, jedoch wurde klargestellt, dass insbesondere zwei Elemente des KFS (Delegation und Beteiligung) Kernelemente guter Führung und Steuerung sind (Barthel und Schiele 2017, S. 229 f.).
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3 Die Polizei in Deutschland
Der Erfolg der Institutionalisierung des KFS auf organisationaler Ebene drückt sich darüber hinaus in dessen Verankerung in der Neufassung der PDV 100 im Jahr 1999 aus, da sie in der Polizei als maßgebliche Handlungsorientierung für Mitarbeiter und Führungskräfte für die Bereiche Führung und Einsatz in der Polizei gilt (Barthel und Schiele 2017, S. 229; Thielmann 2010, S. 99; Thielmann und Weibler 2014a, S. 27). Die Fixierung des KFS in der PDV 100 dient folgend als Bezugspunkt für weitere Dienstanweisungen, Erlasse, Geschäftsordnungen und Vorschriften in der Polizei (Gruber 2014, S. 209). Ferner wurde die kooperative Führung, respektive das KFS, in den Curricula der polizeilichen Ausbildungsstätten des Bundes und der Länder sowie in der DHPol (fest) verankert (Barthel und Schiele 2017, S. 228; Vollmar et al. 2017, S. 11). Thielmann stellte diesbezüglich – bei einer Auswertung der Curricula von 16 Länder- und zwei Bundeseinrichtungen der Polizei sowie der Deutschen Hochschule der Polizei – fest, dass „[…] das Kooperative Führungssystem bzw. kooperatives Führen an fast allen polizeilichen Hochschulen Lehrinhalt ist.“ (Thielmann 2010, S. 102).
3.3.4 Schwächen des Kooperativen Führungssystems aus heutiger Sicht Nachfolgend werden die primären Schwächen des KFS aus heutiger Sicht dargestellt. Diesbezüglich wird zunächst die fehlende Aktualität des Führungskonzepts skizziert, bevor anschließend die konzeptionellen Schwächen erläutert werden. Abschließend werden die Schwächen hinsichtlich der Anwendung des KFS im polizeilichen Alltag umschrieben. Das KFS von Altmann und Berndt war in den 1970er und 1980er Jahren der fulminante Start des polizeilichen Führungsdiskurses und entsprach dem zu dieser Zeit gültigen Stand des allgemeinen Führungsdiskurses. Nachfolgend erfuhr das KFS jedoch keine systematische Weiterentwicklung – weder von den Autoren selbst noch von ihren Nachfolgern (Barthel und Heidemann 2017a, S. 7). Dies führte dazu, dass sich das KFS, einschließlich dessen Kommunikationsbeziehungsweise Interaktionstheorie, seit den 1980er Jahren vom allgemeinen Führungsdiskurs abgekoppelt hat (Barthel und Heidemann 2017b, S. 35). Gleichwohl ist zu betonen, dass sich sowohl der allgemeine Führungsdiskurs als auch der praktisch-organisationale Kontext der Polizei seit dieser Zeit so massiv verändert und gewandelt haben, dass die theoretischen Grundannahmen und unreflektierten Selbstverständlichkeiten des KFS einer grundlegenden Aktualisierung unterzogen werden müssen, da neuere Erkenntnisse der allgemeinen Führungsforschung mittlerweile ein besseres Verständnis von
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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Führung in Organisationen ermöglichen (Barthel und Heidemann 2017b, S. 23; Neidhardt 2017, S. 299). Misslich einzustufen ist zudem, dass das KFS weder innerhalb noch außerhalb der Polizei verbindlich weiterentwickelt wurde und dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in der akademischen Welt – (internationale) Standardzeitschriften als Maßstab nehmend – nicht stattfand (Thielmann und Weibler 2014a, S. 28; Weibler 2010, S. 103). Alsdann hat das KFS mit seinen sechs Elementen für die Generationen der unter 40-Jährigen beispielsweise heute kaum mehr relevanten Charakter, da diese den autoritären Führungsstil, wie er bis zu den 1970er Jahren weit geläufig war, nicht mehr nachvollziehen können, da sie ihn nicht erlebt haben (Barthel und Schiele 2017, S. 236). Aus heutiger Sicht betrachtet, weist das KFS unterschiedliche konzeptionelle Schwächen hinsichtlich des dargestellten Führungs-/Rollenverständnisses, des Organisations-/Umweltverständnisses als auch der theoretisch-konzeptionellen Verankerung auf. Bezugnehmend auf das Führungs- und Rollenverständnis ist zu kritisieren, dass die Führungslogik des KFS davon ausgeht, dass sowohl Führung als auch Führungserfolg lediglich von der Führungskraft bestimmt werden und argumentiert dahingehend deterministisch. Führung wird im KFS demnach klassisch einseitig und positivistisch definiert und lediglich mit dem Verhalten der Führungskraft gleichgesetzt, welche als aktiver, klügerer und überlegener Pol in der Führungsbeziehung dargestellt wird (Barthel und Heidemann 2017b, S. 32 f.; Thielmann und Weibler 2014a, S. 30; Weibler 2010, S. 103). Im Gegensatz dazu erscheint der nachgeordnete Mitarbeiter als unterlegen: Er bedarf sowohl der Belehrung und Horizonterweiterung als auch der fachlichen Qualifizierung sowie einer – seinen Bedürfnissen entsprechenden – Entwicklung und Motivation (Barthel und Heidemann 2017b, S. 33). Der Mitarbeiter nimmt dementsprechend im Führungsprozess vielmehr die Rolle eines Objektes anstatt die eines Akteurs ein und wird zwar mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten ernst und wahrgenommen, jedoch nicht als aktiver Partner bei der Gestaltung der Führungsbeziehung berücksichtigt (Thielmann und Weibler 2014a, S. 31; Weibler und Thielmann 2010, S. 64). Anknüpfend daran ist das vorliegende Organisations- und Umweltverständnis aus heutiger Sicht problematisch: Diesbezüglich muss kritisiert werden, dass sich die Organisation der Polizei heutzutage nicht mehr angemessen als „Maschine“ begreifen lässt, welche „von oben“ programmiert und gesteuert werden kann. Vielmehr ist sie ein dynamisches soziales System, welches auf allen Ebenen und in allen Dienstbereichen eines professionellen Führungshandelns bedarf (Barthel 2014, S. 8). Ferner ist zu kritisieren, dass in dem KFS eine ausschließlich organisationszentrierte Sicht von Führung vorliegt, welche die konkrete Umwelt
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3 Die Polizei in Deutschland
der Polizei systematisch vernachlässigt. Führung ist jedoch nicht kontextfrei als Handlungsweise an sich zu verstehen, sondern stets im Kontext der jeweiligen Organisation, respektive des jeweiligen Handlungs- und Berufsfeldes. Diesbezüglich ist es kritisch zu sehen, dass das KFS keine systematische Verankerung im polizeilichen Berufsfeld aufweist. Das führt dazu, dass die empfohlenen Modelle und Anweisungen zur Führung in der Polizei entsprechend unspezifisch sind (Barthel und Heidemann 2017b, S. 24 f.; Weibler und Thielmann 2010, S. 65). Zudem wird aus heutiger Sicht die theoretisch-konzeptionelle Verankerung des KFS selbst problematisiert: Einerseits wird diesbezüglich kritisiert, dass die Elemente des KFS in ihrer Gesamtheit, also der Anzahl und Beziehung zueinander, letztlich beliebig erscheinen und recht lose miteinander verbunden sind (Thielmann und Weibler 2014a, S. 29). Andererseits wird beanstandet, dass die Einbettung des KFS in die Systemtheorie letztlich nicht überzeugend gelungen und eher rudimentär begründet ist. Die Anbindung an die kybernetische Systemtheorie wirkt daher aus heutiger Sicht etwas bemüht, da der Systemansatz durch die Autoren nicht hinreichend spezifiziert und keiner kritischen Würdigung unterzogen wird (Weibler und Thielmann 2010, S. 63). Weibler und Thielmann führen dahingehend aus, das von der Verwendung einer Systemtheorie im eigentlichen Wortsinn nicht die Rede sein kann und schon gar nicht von einer schlüssigen Nachvollziehbarkeit der Übertragung der Systemtheorie auf das KFS (2010, S. 63). Abschließend stößt das KFS unter Umständen bei der Anwendung im polizeilichen Alltag an seine Grenzen. Führungskräfte, welche das KFS im polizeilichen Alltag konsequent berücksichtigen wollen, können sich schnell in einer Misslichkeit befinden: Das KFS erfordert zum einen Zeit zum Dialog und für Vereinbarungen zwischen Vorgesetzten und Geführten; zum anderen bedarf es persönlichen Engagements und Interesses, um erfolgreich praktiziert werden zu können. Zudem erfordert das KFS Freiräume für die Mitarbeiter (Barthel 2006, S. 39). Der polizeiliche Alltag ist jedoch in der Regel durch Hektik geprägt und Zeit stellt eine äußerst knappe Ressource dar. Weiterhin führt die hohe Arbeitsbelastung im Dienstalltag oftmals zu Stress und Demotivation, welche das persönliche Engagement und Interesse hemmen können. Letztlich ist die Polizei nach wie vor eine quasi-militärische und bürokratische Organisation, was dazu führen kann, dass die Freiräume der Mitarbeiter im Dienstalltag eingeschränkt werden können (Barthel 2006, S. 39). Überdies gibt es Situationen im polizeilichen Alltag, in denen sich die Führungskraft nicht sklavisch an die Erfüllung der jeweiligen Elemente des KFS halten kann und darf. Dazu gehören insbesondere der Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen, das Verhalten in
3.3 Das Kooperative Führungssystem der Polizei
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Sofortlagen und Personalentscheidungen (Uhlendorff und Jäger 2011, S. 83; Waldmann 2007, S. 176 f.).
3.3.5 Stärken des Kooperativen Führungssystems aus heutiger Sicht Trotz der skizzierten Schwächen des KFS wird in der Literatur angeführt, dass das KFS gegenwärtig noch immer eine hohe Relevanz aufweist (Seidensticker 2015, S. 9). Diese ergibt sich aus den noch heutzutage geltenden Stärken, welche insbesondere die Handlungsorientierung für Führungskräfte, die Orientierungsfunktion für alle Mitarbeiter der Organisation sowie die gute Lehr- und Lernbarkeit des KFS umfassen. Ergänzend dazu ergibt sich eine hohe Relevanz des KFS aus dessen Wirksamkeit, welche in einer aktuellen Studie von Nettelnstroth (2019) nachgewiesen wurde. Zunächst kann festgehalten werden, dass das KFS – wie alle (allgemeinen) Führungskonzepte – den Charakter einer Handlungsorientierung hat. In pointierter Weise wird in dieser Handlungsorientierung den Führungskräften deutlich gemacht: • Was in normativer Sicht richtig ist, • Was man beachten sollte und vernachlässigen kann und • Wie man führt (wie man sich innerhalb der reduzierend beschriebenen Führungswirklichkeit technisch-instrumentell verhält) (Barthel 2010, S. 41). Das KFS gibt demzufolge der polizeilichen Führungskraft Gestaltungshinweise sowie eine Handlungsorientierung für die Bewältigung ihrer alltäglichen Führungsfunktion, was im Allgemeinen – und im Besonderen für unerfahrene Führungskräfte – nicht zu unterschätzen ist (Barthel und Heidemann 2013, S. 154; Vollmar et al. 2017, S. 12). Des Weiteren kann das KFS auch als Referenzrahmen verstanden werden, welcher vorgibt, in welchem Rahmen sich das Führungsverhalten der polizeilichen Führungskräfte zu bewegen hat. Innerhalb dessen kann sich jede Führungskraft entwickeln und ihren eigenen jeweiligen Führungsstil verwirklichen (Thielmann und Weibler 2014a, S. 28; Uhlendorff und Jäger 2011, S. 72 f.). Folgend bietet das KFS eine Orientierungsfunktion für alle Mitglieder der Organisation. Die Manifestierung von Grundsätzen kooperativer Führung in den polizeilichen Vorschriften und insbesondere in der PDV 100 legt eine Verbindlichkeit fest, auf die sich alle Mitglieder der Organisation, geführte Mitarbeiter
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3 Die Polizei in Deutschland
wie Führungskräfte, beziehen können (Thielmann und Weibler 2014a, S. 28). Speziell die Manifestierung des KFS in der PDV 100, als quasi-rechtliche Vorschrift in der Polizei, gewährleistet, dass der Mitarbeiter (insbesondere in Form des Geführten) in seiner Persönlichkeit Beachtung findet und dass dieser im Führungsprozess eingebunden wird (Uhlendorff und Jäger 2011, S. 73). Zudem soll durch die vorliegende Vorschriftenlage und der damit einhergehenden Orientierungsfunktion des KFS der Willkür im Umgang mit nachgeordneten Kräften Einhalt geboten werden (Thielmann und Weibler 2014a, S. 28; Weibler und Thielmann 2010, S. 62). Weiterhin ist festzustellen, dass sich das KFS zweifelsfrei bis heute durch die Eingängigkeit seiner sechs Elemente sowie der nachvollziehbaren, teils impliziten, teils expliziten Grundannahmen auszeichnet, was zu einer guten Lehr- und Lernmöglichkeit (Vermittlungsfähigkeit) in der polizeilichen Aus- und Fortbildung führt (Thielmann und Weibler 2014a, S. 26; Weibler und Thielmann 2010, S. 61). In diesem Zusammenhang bleibt anzuführen, dass das KFS als bestehendes und gültiges Führungssystem in der Polizei besser zu sein scheint, als allgemein in der Polizei angenommen. In einer aktuellen Studie zum Einfluss des KFS auf die Zufriedenheit, Gesundheit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter konnte Nettelnstroth nachweisen, dass die Elemente des KFS in einem positiven Zusammenhang zu diesen Führungserfolgskriterien stehen. Insbesondere wurde dabei nachgewiesen, dass die Elemente des KFS positiv mit der Zufriedenheit (Arbeits- und Berufszufriedenheit) und Leistungsbereitschaft (Engagement) der Mitarbeiter sowie negativ mit gesundheitsgefährdenden Dimensionen (Stressoren am Arbeitsplatz, Stresserleben, psychische Erschöpfung, Burnout, Arbeits- und Berufsbelastung) korrelieren (2019, S. 29, 44 f.).
3.4 Diskurs um die Weiterentwicklung des Kooperativen Führungssystems „Der polizeiliche Führungsdiskurs selbst hat sich bisher mit der eigenen beruflichen Wirklichkeit, den daraus resultierenden Anforderungen für die unmittelbaren Vorgesetzten (aber auch die Organisation insgesamt) kaum befasst. Im Vordergrund stand hier bislang ein normatives Konzepte [sic!], das „Kooperative Führungssystem (KFS)“, das seinerseits auf das heute nahezu vergessene Managementkonzept, dem „Harzburger Modell“ aufbaute.“ (Barthel und Heidemann 2017c, S. VIII)
Bezugnehmend auf die abnehmende Aktualität des KFS und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Führungskonzepts
3.4 Diskurs um die Weiterentwicklung des Kooperativen Führungssystems
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gab es in den vergangenen Jahren einen zunehmend kritischen Diskurs in den deutschen polizeilichen Fachzeitschriften (Neidhardt 2017, S. 303). Der Anstoß für diesen kritischen Diskurs war der Fachartikel „KFS 2.0 – ein Vorschlag zur zeitgemäßen Neuformulierung des Kooperativen Führungssystems“, welcher 2013 von Barthel und Heidemann in der Fachzeitschrift „Die Polizei“ veröffentlicht wurde (Barthel und Heidemann 2013). Zeitgleich wurde durch beide Autoren ein Blog auf der Internetseite der DHPol veröffentlicht und mit der Bitte verbunden, sich engagiert und kritisch zu diesen Ausführungen zu äußern (Barthel und Heidemann 2013, S. 153). Als Reaktion auf diese Veröffentlichung wurden mehrere Vorschläge zur besseren beziehungsweise richtigen Nutzung des KFS sowie zur Ergänzung, Modernisierung und Weiterentwicklung unterbreitet. An diesem Diskurs beteiligten sich vor allem Lehrkräfte der DHPol und der jeweiligen Fachhochschulen der Polizeien sowie vereinzelt Polizeipraktiker. Mit Ausnahme von Jürgen Weibler haben jedoch keine polizeiexternen Personen an dem Diskurs teilgenommen (Neidhardt 2017, S. 303). Resultierend aus dieser kritischen Auseinandersetzung mit dem KFS sind gegenwärtig zwei Projekte der Neukonzeption einer polizeilichen Führungslehre vorhanden, welche von dem Unterausschuss Führung, Einsatz, Kriminalitätsbekämpfung (UA FEK) der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder sowie von der beauftragten Arbeitsgruppe des Landes Rheinland-Pfalz als gleichwertig bewertet wurden (Barthel 2019). Diese werden im Folgenden skizziert.
3.4.1 Das Kooperative Führungssystem 2.0 Christian Barthel und Dirk Heidemann – beides Lehrende an der DHPol – befassen sich seit 2006 mit der Ablösung des KFS und der Begründung einer neuen polizeilichen Führungslehre. Neben ihrem 2013 in der polizeilichen Fachzeitschrift „Die Polizei“ veröffentlichten Artikel „KFS 2.0 – Ein Vorschlag zur zeitgemäßen Neuformulierung des Kooperativen Führungssystems“ (Barthel und Heidemann 2013) publizierten die beiden Autoren 2014 die beiden Sammelbände „Führung professionalisieren: Perspektiven der Modernisierung des Kooperativen Führungssystems in der Polizei“ (Barthel und Heidemann 2014d) sowie „KFS? KFS 2.0! Eine Neuorientierung des polizeilichen Führungsdiskurses“ (Barthel und Heidemann 2014e), in welchen sie mit erheblichem argumentativem Aufwand ihr KFS 2.0 als Umbau, theorieadäquates und zeitgemäßes Nachfolgekonzept des KFS darstellen (Neidhardt 2017, S. 329 f.). Grundlage ihrer Führungskonzeption ist ein systemtheoretisches Organisationsverständnis (Kybernetik zweiter Ordnung), wonach
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3 Die Polizei in Deutschland Ausrichtung (Ziel, Strategie) Das Management des Kontextes
Organisationsgrenze
FK
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Alltagsorganisation
Personal
Organisation
Abb. 3.6 Basisdiagramm KFS 2.0. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Barthel und Heidemann 2014a, S. 40))
Organisationen nicht-triviale, sich selbstorganisierende, soziale Systeme sind, deren Verhalten von prinzipiellen Unplanbarkeiten, Unsteuerbarkeiten sowie Unvorhersehbarkeiten geprägt ist (2014b, S. 75). Ihre formalen Programme, Strukturen und Ziele sowie ihre zweckrationale Ausrichtung sind demnach eingebettet in eine lebendige Alltagsorganisation, welche durch informelle Beziehungen, Kommunikation und Strukturen sowie die mikropolitische Verfolgung von Eigeninteressen durch Organisationsmitglieder gekennzeichnet ist (Neidhardt 2017, S. 330). Barthel und Heidemann umschreiben dies sehr passend: „Die wirkliche Arena der Führung ist also die Alltagsorganisation mit ihrer eigenwilligen Melange aus informellen und formellen Praktiken.“ (2014b, S. 87). Eine professionelle Führungsarbeit besteht – in dem Verständnis von Barthel und Heidemann – zunächst darin, die Alltagsorganisation hinsichtlich ihrer zeitlichen, sozialen und sachlichen Dimension zu beobachten und zu verstehen (2014b, S. 87 f.). Dies betonen sie nochmals, indem sie darstellen, dass „[..] dieser analytische Blick [..] die entscheidende Grundlage für eine wirksame
3.4 Diskurs um die Weiterentwicklung des Kooperativen Führungssystems
101
bzw. gestaltende Führungs- und Entwicklungsarbeit [ist].“ (Barthel und Heidemann 2014b, S. 88). Führungsarbeit im Sinne des KFS 2.0 ist daher „[…] ein kontinuierlicher, gleichermaßen kreativer, aber auch scheiternsanfälliger, und das heißt kontingenter Gestaltungsprozess.“ (Barthel und Heidemann 2014b, S. 88). Die Hauptaufgaben einer Führungskraft umfassen vier Handlungsfelder, welche gewissermaßen permanente Baustellen der Führungskraft darstellen, „[…] die ständig im Blick behalten, aus- und umgebaut werden müssen.“ (Barthel und Heidemann 2014a, S. 44). Die vier Handlungsfelder des KFS 2.0 lauten dabei: • Kommunikation (Aufbau einer Kommunikationsarchitektur) • Ausrichtung beziehungsweise Ziele und Strategie (gemeinsame Ausrichtung im Sinne einer bedeutsamen Leitorientierung) • Organisation beziehungsweise Arbeitsprozesse • Personal (unmittelbare Mitarbeiterführung und Personalentwicklung) (Barthel und Heidemann 2014a, S. 43 f.) In ihrem Basisdiagramm (siehe Abb. 3.6) wird durch Barthel und Heidemann graphisch verdeutlicht, dass die Führungskraft – obwohl Teil der Organisation – den Blick von der Organisationsgrenze aus auf ihren jeweiligen Verantwortungsbereich richten und dessen Entwicklung bewerten soll. Zeitgleich soll sie jedoch auch den äußeren Kontext managen (Neidhardt 2017, S. 331). Ferner verfolgen die beiden Autoren ein postheroisches Führungsverständnis, indem sie die Meinung vertreten, „[…] dass auch fachlich und sozial kompetente Führungskräfte nicht per se alles steuern und regeln können […].“ (Barthel und Heidemann 2014b, S. 91). Dies bedeutet folglich kein Verzicht auf Führung, sondern setzt lediglich auf eine andere Form von Führungsprofessionalität: Den kompetenten Umgang mit Nicht-Wissen, Überraschungsoffenheit, Neugier und Möglichkeitssinn; das Erkennen von Handlungsspielräumen in der Auseinandersetzung mit schwierigen, komplexen Situationen; die Erzeugung von Alternativwissen; die Bereitschaft zum kontinuierlichen Lernen; die Fähigkeit „Dranzubleiben“; Ausprobieren und Reflektieren; die Anerkennung bereichsspezifischer Rationalitäten; Fehlermachen als Lernchance; das Einlassen auf unterschiedliche Akteursperspektiven und Aushandlungsprozesse mit den nachgeordneten Mitarbeitern; einen „klugen Inkrementalismus“ als Gestaltungsmodus sowie die Reflexion in der Führungsrolle als Merkmal einer klugen, intelligenten Führung (Barthel und Heidemann 2014b, S. 93 f.; Neidhardt 2017, S. 331).
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3 Die Polizei in Deutschland
3.4.2 Das Polizeiliche Führungsmodell der transformationalen Kooperation Gerd Thielmann und Jürgen Weibler verfolgen mit ihrem 2014 publizierten Buch „Polizeiliche Führungslehre“ erklärtermaßen das Ziel, das KFS abzulösen und „das Polizeiliche Führungsmodell der transformationalen Kooperation als neues Leitmodell“ (Thielmann und Weibler 2014a, S. 45) in der Polizei zu etablieren (Neidhardt 2017, S. 327). Um die Eingängigkeit ihres Modells zu erhöhen, verwenden die beiden Autoren im Folgenden den Arbeitsbegriff „Polizeiliches Führungs-Modell“ (PFM) (Thielmann und Weibler 2014a, S. 45). Einleitend wird von den beiden Autoren dargestellt, dass die Kooperation als Leitlinie zur Gestaltung von Führungsbeziehungen sowie zum Treffen und Bewerten von Entscheidungen zentral bleibt. Ferner übernimmt das PFM ein für Führungsfragen relevantes Menschenbild, wie es in der Verfassung verstanden wird. Durch die Anbindung an das Grundgesetz soll das PFM schließlich auch moralisch legitimiert werden (Thielmann und Weibler 2014a, S. 47). Im Folgenden wird der Ausgangspunkt ihrer Argumentation dargestellt: Die Polizeiorganisation, welche den faktischen Rahmen ihres PFM bildet. Dabei gehen die beiden Autoren kurz darauf ein, dass das Führungsgeschehen in Organisationen sodann in eine strukturell-systemische (indirekte) sowie personal-interaktive (direkte) Führung differenziert werden kann. Anschließend wird die indirekte Führung, welche im PFM die Führungsstrategie, die Führungsorganisation sowie die Führungskultur beinhaltet, erläutert (Thielmann und Weibler 2014a, S. 48). Alsdann stellen die beiden Autoren dar, dass es sich bei der personal-interaktiven (direkten) Führung um den eigentlichen Kern der Führung handelt, also die unmittelbare Führung von Mensch durch Mensch in einer persönlich geprägten Führungsbeziehung, weswegen diese auch beim PFM im Vordergrund steht (Thielmann und Weibler 2014a, S. 49). Schließlich kommen Thielmann und Weibler – im Kontext eines vertiefenden Blicks in die Führungsforschung der vergangenen 20 Jahre – zu dem Entschluss, dass eine authentisch praktizierte transformationale Führung zu favorisieren ist. Dabei beziehen sie sich zunächst auf das Konzept der transformationalen Führung in der Diktion von Bernard M. Bass et al., machen aber zugleich deutlich, dass ihr Modell eine modifizierte Version davon sein wird (Thielmann und Weibler 2014a, S. 49). Bevor an dieser Stelle der eigentliche Kernbereich des PFM dargestellt wird, heben die beiden Autoren zunächst drei Pfeiler des Führungshandelns hervor: Zum einen ist dies die grundgesetzlich ableitbare Verpflichtung zu ethisch reflektiertem Handeln (Basis aus Werten und Ethik). Zum
3.4 Diskurs um die Weiterentwicklung des Kooperativen Führungssystems
103
Wertschätzung Kooperation − Teilhabe − Teilnahme
Motivation
Entwicklung Ziele − Leistung − Zufriedenheit
Vorbild
Kommunikation
Basis − Werte − Ethik
Einbettung − Kontext − Organisation
olizeiliches Führungsmodell
Abb. 3.7 Das Polizeiliche Führungsmodell – PFM. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Thielmann und Weibler 2014a, S. 51))
anderen sind dies sachliche sowie soziale Erfolgsgrößen (die Ziele Leistung und Zufriedenheit). Alsdann – als dritter Pfeiler des Führungshandelns – ist dies das Gebot zur Kooperation (Teilhabe und Teilnahme) (Neidhardt 2017, S. 327; Thielmann und Weibler 2014a, S. 49–51). Anschließend stellen die Autoren den Kernbereich ihres PFM dar. Dieser bildet vier sprachlich angepasste, führungsbezogene Handlungsfelder, welche sich an den Subdimensionen der transformationalen Führung orientieren:
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• • • •
3 Die Polizei in Deutschland
idealized influence wird zu „Vorbild“ inspirational motivation wird zu „Motivation“ intellectual stimulation wird zu „Entwicklung“ individualized consideration wird zu „Wertschätzung“ (Thielmann und Weibler 2014a, S. 50)
Ergänzend dazu wird aufgeführt, dass – wie es auch in der Theorie gesehen wird – die transaktionale Führung weiterhin gefordert wird, da sie ein wichtiges Führungsverhalten in der Führungsbeziehung darstellt. Interessanterweise wird – trotz der scheinbar hohen Bedeutung – die transaktionale Führung nicht weiter in dem PFM berücksichtigt (Thielmann und Weibler 2014a, S. 50 f.). Abschließend heben die beiden Autoren die Bedeutung der Kommunikation in ihrem Modell besonders hervor, da „[…] alle angesprochenen Verhaltensweisen entweder essentiell von der Kommunikation leben (beispielsweise jemanden überzeugen) oder begleitend oder erläuternd eingesetzt werden (müssen).“ (Thielmann und Weibler 2014a, S. 51). Insbesondere die Art und Weise der Kommunikation macht dabei immer wieder einen großen Unterschied, weswegen eine besondere Hervorhebung der Kommunikation im PFM geboten ist (Thielmann und Weibler 2014a, S. 51). Zusammenfassend besteht das PFM (siehe Abb. 3.7) insgesamt aus nachfolgenden Komponenten: Der kontextuellen, organisatorischen Einbettung; den drei Grundpfeilern (der Basis aus Werten und Ethik, den Zielen Leistung und Zufriedenheit sowie dem Gebot der Kooperation aus Teilhabe und Teilnahme); den vier Handlungsfeldern (Vorbild, Motivation, Entwicklung und Wertschätzung) sowie der Kommunikation (Thielmann und Weibler 2014a, S. 49–51). Alle Handlungsfelder und Themen des Modells werden im weiteren Verlauf des Buches – mit Ausnahme der kontextuellen, organisatorischen Einbettung – nach folgendem Schema abgehandelt und detaillierter dargestellt: Einleitender Sachverhalt aus der polizeilichen Praxis, Bedeutung für die Führung, wissenschaftlicher Hintergrund und Integration in die Polizeipraxis (Neidhardt 2017, S. 328).
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4
Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Zusammenfassung
Seit den ersten theoretischen Entwicklungsschritten des Konzepts der transformationalen Führung/des Full Range of Leadership Model wurde diesbezüglich viel Forschung betrieben. Hinsichtlich der Hauptforschungsrichtung ist ersichtlich, dass sich die meisten Forschungsarbeiten mit der Wirkung transformationaler Führung auf unterschiedliche subjektive und objektive Führungserfolgskriterien befassen. In den nachfolgend vorgestellten Forschungsarbeiten werden sowohl allgemeine als auch polizeispezifische empirische Befunde hinsichtlich der Wirkung transformationaler Führung auf unterschiedliche Führungserfolgskriterien zusammengefasst. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass diesbezüglich relativ wenige Studien aus dem polizeilichen Kontext vorliegen, die vorhandenen Studien jedoch durchaus aussagekräftig sind. Abschließend werden empirische Erkenntnisse hinsichtlich der Lehr- und Lernbarkeit von transformationaler Führung referiert. Seit den ersten theoretischen Entwicklungsschritten des Konzepts der transformationalen Führung/des FRLM wurde diesbezüglich viel Forschung betrieben. Dies führt dazu, dass es eine nahezu unüberschaubare Anzahl von Veröffentlichungen gibt, die sich mit diesem Konzept auseinandersetzen (Felfe et al. 2004, S. 263; Riedelbauch 2011, S. 8). Forschung über das Konzept der transformationalen Führung, einschließlich der Nutzung des MLQ, hat dabei auf jedem Kontinent und in nahezu jeder industrialisierten Nation stattgefunden (Bass und Riggio 2006, S. 16). Der überwiegende Teil der vorhandenen Forschung über das Konzept der transformationalen Führung wurde unterdessen in Nordamerika betrieben. In den 1990er Jahren erreichte das Konzept schließlich in Europa Aufmerksamkeit und wurde Gegenstand zahlreicher Studien. Seit den späten 1990er © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_4
111
112
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Mitarbeiter
Führungskraft − Extraversion − Neurotizismus (-)
Mitarbeiter − Extraversion − Neurotizismus (-)
− − − − − − Führungsverhalten − Idealisierter Einfluss − Inspirierende Motivation − Intellektuelle Stimulierung − Individuelle Berücksichtigung
Wirkmechanismen/ Mediatoren − − − − − −
Identifikation Commitment Motivation Vertrauen Arbeitsklima Individuelle Sympathie
Kontext/Moderatoren
Zufriedenheit Kreativität Stress (-) Commitment Leistung Absentismus (-)
Gruppe − Kohäsion − Kreativität − Produktivität
Organisation − − − −
Verkaufszahlen Marktanteil Leistung Innovationen
− Unsicherheit und Veränderungen/Krisen − Distanz zwischen Mitarbeiter und Führungskraft − Organisationsstruktur (organisch/hierarchisch)
Abb. 4.1 Hauptforschungsrichtungen zu transformationaler Führung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Pundt und Nerdinger 2012, S. 34))
Jahren hat das Konzept auch in der deutschen Forschungslandschaft Aufmerksamkeit erlangt (Felfe et al. 2004, S. 262, 264). Die Studien wurden unterdessen in unterschiedlichen Settings, wie unter anderem in der Wirtschaft, der Industrie, der öffentlichen Verwaltung, dem Militär und in Bildungseinrichtungen, durchgeführt (Bass 1998, S. 8; Bass und Riggio 2006, S. XII).Hinsichtlich der Hauptforschungsrichtungen ist feststellbar, dass sich die meisten Forschungsarbeiten mit der Wirkung transformationaler Führung auf unterschiedliche subjektive und objektive Führungserfolgskriterien befassen. Anknüpfend daran beschäftigt sich auch eine Vielzahl an Studien mit Antezedenzien, Moderatoren und Mediatoren von transformationaler Führung (Felfe et al. 2004, S. 263 f.; Pundt und Nerdinger 2012 S. 34). Neuere Forschungsarbeiten widmen sich zudem nicht nur der dyadischen Ebene, sondern untersuchen auch die Effekte auf Gruppen- und organisationaler Ebene (Weibler 2016, S. 62, 344). In der Abb. 4.1 werden die Hauptforschungsrichtungen vereinfacht schematisch dargestellt. Um die hohe Anzahl an Forschungsarbeiten über das Konzept der transformationalen Führung einzugrenzen und im Kontext der in Abschn. 5.1 geschilderten Anforderungen an ein neues, modernes Führungsverständnis in der Polizei wird im Folgenden der Fokus auf die Wirkung der transformationalen
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
113
Führung auf die Führungserfolgskriterien sowie auf die Lehr- und Lernbarkeit von transformationaler Führung gerichtet. Antezedenzien von transformationaler Führung sowie Aspekte, welche einen moderierenden oder mediierenden Effekt auf die Führungsbeziehung haben, werden im Rahmen dieser ersten Monografie systematisch vernachlässigt.
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung Im Folgenden werden Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung dargestellt. Dabei werden zunächst allgemeine (Abschn. 4.1.1) und anschließend polizeispezifische (Abschn. 4.1.2) Forschungserkenntnisse hinsichtlich der Wirkung transformationaler Führung erläutert.
4.1.1 Allgemeine Forschungserkenntnisse Aufgrund des umfänglich vorliegenden, allgemeinen Forschungsstandes wurden im Rahmen dieser Monografie unterschiedliche Selektionskriterien gewählt, um die Vielzahl von Forschungsarbeiten einzugrenzen. Die für die vorliegende Monografie relevanten Forschungsarbeiten mussten dabei folgende Merkmale (Selektionskriterien) erfüllen, um in diesem Kapitel aufgenommen zu werden: • Deutsch- oder englischsprachige allgemeine Meta-Analysen, welche nach dem Jahr 2000 veröffentlicht wurden, • Meta-Analysen, die die transformationale Führung als „Block“ berücksichtigen oder die einzelnen Subdimensionen des FRLM untersuchen sowie • Meta-Analysen, deren Datengrundlage vornehmlich durch den MLQ oder den TLI gewonnen wurden. Priorisierung von Meta-Analysen Im Rahmen dieser Monografie wurden primär Meta-Analysen verwendet, weil diese einerseits einen höheren Bewährungsgrad und eine höhere Präzision integrierter Ergebnisse aufweisen, da meta-analytische Befunde auf einer umfangreicheren Fallzahl als Befunde aus Einzel-/Primärstudien beruhen. Andererseits können durch Meta-Analysen allgemeingültige Gesamtergebnisse ermittelt werden, welche auch gegebenenfalls vorliegende, nicht übereinstimmende oder widersprüchliche Befunde aus Primärstudien kompensieren (Eisend 2014, S. 69).
114
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Daran anknüpfend werden die allgemeinen Meta-Analysen durch weitere Studien ergänzt, welche spezifizierte Erkenntnisse liefern, die im Kontext dieser Monografie von Bedeutung sind und zuvor nicht durch die Meta-Analysen abgedeckt wurden. Darunter fallen Studien, welche die Wirkung transformationaler Führung auf Absentismus, Stress, Gesundheit und Wohlbefinden untersuchen. Meta-Analysen: Transformationale Führung und Augmentationseffekt Im Rahmen der Literaturrecherche wurden insgesamt sieben allgemeine Meta-Analysen gefunden, welche in dem Zeitraum von 1996 bis 2011 veröffentlicht wurden und das Konzept der transformationalen sowie der charismatischen Führung untersuchen: • • • • • • •
Fuller, Patterson, Hester und Stringer (Fuller et al. 1996), Lowe, Kroeck und Sivasubramaniam (Lowe et al. 1996), DeGroot, Kiker und Cross (DeGroot et al. 2000), Judge und Piccolo (Judge und Piccolo 2004), Sturm, Reiher, Heinitz und Soellner (Sturm et al. 2011), Wang, Oh, Courtright und Colbert (Wang et al. 2011) sowie Dumdum, Lowe und Avolio 1 (Dumdum et al. 2013).
Im Kontext der skizzierten Selektionskriterien wurden anschließend die Meta-Analysen von Fuller et al. (1996), Lowe et al. (1996) sowie DeGroot et al. (2000) ausgeschlossen, da sie entweder vor dem Jahr 2000 veröffentlicht wurden (Fuller et al. 1996; Lowe et al. 1996) oder lediglich die Charisma-Komponente des Konzepts der transformationalen Führung untersuchten (DeGroot et al. 2000; Fuller et al. 1996). Nachfolgend werden die Erkenntnisse der allgemeinen Meta-Analysen hinsichtlich der Wirkung transformationaler Führung auf die subjektiven und objektiven Führungserfolgskriterien sowie die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich des Augmentationseffekts dargestellt.
1Die
Meta-Analyse von Dumdum et al. wurde ursprünglich (2002) in dem Sammelband „Transformational and charismatic leadership: The road ahead“ von Avolio und Yammarino (2. Auflage) veröffentlicht, weswegen diese in der Literatur häufig mit Dumdum et al. (2013) zitiert wird. Bei der in dieser Arbeit vorliegenden Meta-Analyse handelt es sich um einen Nachdruck.
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
115
In der Forschungsarbeit von Dumdum et al. (2013) wurde festgestellt, dass die Dimension der transformationalen Führung konsistent positiv und hoch mit den Zufriedenheitsmaßen zusammenhängt. Ergänzend dazu wurde identifiziert, dass die Dimension der transaktionalen Führung ebenso positiv mit den Zufriedenheitsmaßen korreliert, diese Beziehung jedoch schwächer ausgeprägt ist als die der transformationalen Führung mit den Zufriedenheitsmaßen. Alsdann wurde erkannt, dass die Dimension der laissez-faire Führung stark negativ mit den Zufriedenheitsmaßen zusammenhängt (Dumdum et al. 2013, S. 50–52). In einem weiteren Schritt wurden in dieser Forschungsarbeit die Zufriedenheitsmaße in die Erfolgskriterien Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft und Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Arbeit weiter differenziert. Grundsätzlich wurde dabei zunächst festgestellt, dass die Dimension der transformationalen Führung höher positiv mit der Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Führungskraft korreliert als mit der Zufriedenheit dieser mit der Arbeit (Dumdum et al. 2013, S. 57, 60). Anknüpfend an die vorherigen Erkenntnisse wurde festgestellt, dass die Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft positiv mit der Dimension der transformationalen Führung korreliert und die Beziehung mit der Dimension der transaktionalen Führung ebenso positiv, jedoch schwächer ausgeprägt ist. Abgrenzend dazu korreliert die Dimension der laissez-faire Führung stark negativ mit der Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft (Dumdum et al. 2013, S. 57, 60–62). Daran anknüpfend weist die Dimension der transformationalen Führung eine positive Korrelation mit der Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Arbeit auf, welche erneut stärker ist als die der Dimension der transaktionalen Führung. Die Dimension der laissez-faire Führung hängt folgend negativ mit der Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Arbeit zusammen (Dumdum et al. 2013, S. 57, 60–62). In der Forschungsarbeit von Judge und Piccolo (2004) wurde weiterhin festgestellt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der Dimension der transformationalen Führung sowie der Subdimension CR und der Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Arbeit vorliegt und die Dimension der laissez-faire Führung negativ mit dieser korreliert. Dabei ist auffällig, dass der Effekt der Subdimension CR stärker ist als der, der Dimension transformationaler Führung (Judge und Piccolo 2004, S. 760). Daneben wurde identifiziert, dass die Korrelation zwischen der Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft und der Dimension der transformationalen Führung positiv und stärker ist als die der Subdimensionen CR und MbEa. MbEp und die Dimension der laissez-faire Führung weisen dagegen einen negativen Zusammenhang zur Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft auf (Judge und Piccolo 2004, S. 760). Hinsichtlich der Motivation des Mitarbeiters wurde festgestellt, dass die Dimension
116
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Tab. 4.1 Beziehung zwischen den (Sub-)Dimensionen des FRLM und subjektiven Führungserfolgskriterien. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Dumdum et al. 2013, S. 50–52, 57, 60–62; Judge und Piccolo 2004, S. 760)) Führungserfolgskriterien
Transformationale Transaktionale Führung Führung
Laissez-faire Führung
Zufriedenheitsmaße
Positiv*
Positiv
Negativ
Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft
Positiv*
Positiv
Negativ
Zufriedenheit des Mit- Positiv* arbeiters mit der Arbeit
Positiv
Negativ
Führungserfolgskriterien
Transformationale Transaktionale Führung Führung CR MbEa MbEp
Zufriedenheit des Mit- Positiv arbeiters mit der Arbeit
Positiv* /
/
Laissez-faire Führung Negativ
Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft
Positiv*
Positiv
Positiv Negativ Negativ
Motivation des Mitarbeiters
Positiv
Positiv* Positiv Negativ Negativ
Anmerkung: * = höchste Effektstärke; /= keine Daten vorhanden
der transformationalen Führung sowie CR und MbEa positiv mit ihr korrelieren, wobei der Effekt bei CR am stärksten und bei MbEa am schwächsten ist. MbEp und die Dimension der laissez-faire Führung weisen abgrenzend dazu erneut eine negative Korrelation zu der Motivation des Mitarbeiters auf (Judge und Piccolo 2004, S. 760). Tab. 4.1 bietet einen Überblick der Wirkungen der einzelnen ( Sub-) Dimensionen des FRLM auf die in den Studien von Dumdum et al. (2013), Judge und Piccolo (2004) erfassten subjektiven Führungserfolgskriterien. Hinsichtlich der Wirkung der unterschiedlichen Dimensionen des FRLM auf die objektiven Führungserfolgskriterien stellten Dumdum et al. (2013) in ihrer Forschungsarbeit fest, dass die operationalisierten Wirksamkeitsmaße positiv mit der Dimension der transformationalen Führung zusammenhängen. Diese Beziehung war dabei stärker ausgeprägt als die Korrelation zwischen der Dimension der transaktionalen Führung und der operationalisierten
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
117
Wirksamkeitsmaße. Die Dimension der laissez-faire Führung korreliert hingegen negativ mit den Wirksamkeitsmaßen (Dumdum et al. 2013. S. 50–52). Des Weiteren stellen Judge und Piccolo (2004) in ihrer Forschungsarbeit fest, dass die durch die Mitarbeiter wahrgenommene Arbeitsleistung der Führungskraft positiv mit der Dimension der transformationalen Führung sowie den Subdimensionen CR und MbEa zusammenhängt, wobei der Effekt am stärksten bei CR und am schwächsten bei MbEa ausgeprägt ist. Die wahrgenommene Arbeitsleistung der Führungskraft korreliert abgrenzend dazu kaum mit MbEp und der Dimension der laissez-faire Führung (Judge und Piccolo 2004, S. 760). Hinsichtlich der Gruppen- oder Organisationleistung wurde identifiziert, dass sowohl die Dimension der transformationalen Führung als auch CR positiv mit ihr zusammenhängen, wobei der Effekt bei der Dimension der transformationalen Führung stärker ausgeprägt ist. Gegenteilig dazu liegt eine negative Korrelation zwischen der Gruppen- oder Organisationsleistung und den Subdimensionen MbEa und MbEp vor (Judge und Piccolo 2004, S. 760). Die durch die Mitarbeiter wahrgenommene Effektivität der Führungskraft steht sowohl in einem positiven Zusammenhang mit der Dimension der transformationalen Führung als auch mit den Subdimensionen CR und MbEa. Diesbezüglich wurde festgestellt, dass sich die transformationale Führung am stärksten auf die wahrgenommene Effektivität der Führungskraft auswirkt. MbEp und vor allem die Dimension der laissez-faire Führung stehen in einem negativen Verhältnis zur wahrgenommenen Effektivität der Führungskraft (Judge und Piccolo 2004, S. 760). Des Weiteren wurde in der Meta-Analyse von Wang et al. (2011) festgestellt, dass die transformationale Führung in einem positiven Zusammenhang zu der Mitarbeiterleistung auf Individualebene steht. Die Effektstärke war dabei für die Dimension der transformationalen Führung am höchsten, direkt gefolgt von der Subdimension CR. MbEa und MbEp stehen dahingehend in einem negativen Zusammenhang zu der Mitarbeiterleistung auf Individualebene (Wang et al. 2011, S. 242 f.). Ferner wurde identifiziert, dass die Mitarbeiterleistung auf Teamebene in einem positiven Zusammenhang mit der Dimension der transformationalen Führung sowie den Subdimensionen CR und MbEp steht, wobei der Effekt bei der transformationalen Führung am stärksten und bei MbEp am schwächsten ist. MbEa steht hingegen in einem negativen Zusammenhang zu der Mitarbeiterleistung auf Teamebene (Wang et al. 2011, S. 246 f.). Überdies wurde dargestellt, dass die Mitarbeiterleistung auf Organisationsebene positiv mit der Dimension der transformationalen Führung und der Subdimension CR korreliert, wobei der Effekt bei CR schwächer ist. MbEp hingegen steht in einem negativen Zusammenhang mit der Mitarbeiterleistung auf Organisationsebene (Wang et al. 2011, S. 246 f.). In der Tab. 4.2 werden nachfolgend die Wirkungen der einzel-
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4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Tab. 4.2 Beziehung zwischen den (Sub-)Dimensionen des FRLM und objektiven Führungserfolgskriterien. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Dumdum et al. 2013, S. 50–52; Judge und Piccolo 2004, S. 760; Wang et al. 2011, S. 242 f., 246 f.)) Führungserfolgs- Transformationale Transaktionale Führung kriterien Führung
Laissez-faire Führung
Wirksamkeitsmaße Positiv*
Negativ
Positiv
Führungserfolgs- Transformationale Transaktionale Führung kriterien Führung CR MbEa MbEp
Laissez-faire Führung
Arbeitsleistung der Positiv Führungskraft
Positiv* Positiv
Positiv
Negativ
Leistung auf Gruppen- oder Organisationsebene
Positiv*
Positiv
Negativ
Negativ
/
Effektivität der Führungskraft
Positiv*
Positiv
Positiv
Negativ
Negativ
Führungserfolgs- Transformationale Transaktionale Führung kriterien Führung CR MbEa MbEp
Laissez-faire Führung
Mitarbeiterleistung Positiv* auf Individualebene
Positiv
Negativ
Negativ
/
Mitarbeiterleistung Positiv* auf Teamebene
Positiv
Negativ
Positiv
/
Mitarbeiterleistung Positiv* auf Organisationsebene
Positiv
/
Negativ
/
Anmerkung: * = höchste Effektstärke; /= keine Daten vorhanden
nen (Sub-)Dimensionen des FRLM auf die in den Studien von Dumdum et al. (die), Judge und Piccolo (2004) sowie Wang et al. (2011) erfassten objektiven Führungserfolgskriterien simplifiziert dargestellt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die zuvor dargestellten Erkenntnisse der Meta-Analysen grundsätzlich im Einklang mit der von Judge und Piccolo (2004) postulierten, kriterienübergreifenden Gesamtgültigkeit stehen. Diese besagt, dass transformationale Führung hinsichtlich aller Führungserfolgskriterien die höchste allgemeine Gültigkeit verzeichnet, dicht gefolgt
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
119
von CR. Ergänzend dazu weist MbEa einen schwachen positiven, kriterienübergreifenden Zusammenhang zum Führungserfolg auf. MbEp und insbesondere die Dimension der laissez-faire Führung weisen dagegen einen negativen schwachen bis moderaten Zusammenhang zum Führungserfolg auf2 (Judge und Piccolo 2004, S. 759). Die empirischen Untersuchungen bestätigen dabei die postulierte theoretische These, dass hinsichtlich des Führungserfolgs die transformationale Führung am effektivsten ist, die transaktionale Führung in Teilen effektiv ist und die laissez-faire Führung am ineffektivsten ist (Judge und Piccolo 2004, S. 759; Sturm et al. 2011, S. 99). Überdies wurde durch die Forschungsarbeiten ersichtlich, dass die transformationale Führung einen höheren Zusammenhang zu Kriterien der Motivation und Zufriedenheit (subjektive Führungserfolgskriterien) aufweist als zu Kriterien, die Leistung abbilden (objektive Führungserfolgskriterien) (Judge und Piccolo 2004, S. 759 f.; Wang et al. 2011, S. 249). Hinsichtlich des postulierten Augmentationseffekts konnte – aufgrund der betrachteten Untersuchungen – festgestellt werden, dass dieser grundsätzlich und im Kontext der kriterienübergreifenden Gesamtgültigkeit sowie simplifizierten Betrachtung der drei Führungsdimensionen bestätigt werden kann. Demnach scheint die transformationale Führung bei der Mitarbeiterführung am erfolgreichsten zu sein und führt einen Zusatzeffekt über die Effektivität der transaktionalen Führung herbei. Vor dem Hintergrund einer differenzierten Betrachtung einzelner Führungserfolgskriterien ist jedoch auffällig, dass auch die transaktionale Führung in Form von CR im Vergleich zur transformationalen Führung einen hohen oder sogar höheren Zusammenhang zu den untersuchten Führungserfolgskriterien aufweist (Sturm et al. 2011, S. 99). Exemplarisch ist anzuführen, dass bei drei von sechs Führungserfolgskriterien (Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Arbeit, Mitarbeitermotivation und wahrgenommene Arbeitsleistung der Führungskraft) in der Studie von Judge und Piccolo die Subdimension CR einen höheren Zusammenhang zum Führungserfolg aufwies als die transformationale Führung (2004, S. 760, 763). Dies lässt die Annahme zu,
2Ergänzend
dazu sind die Ausführungen der Meta-Analyse von Sturm et al. (2011) anzuführen, die hinsichtlich des Führungserfolgs nicht zwischen objektiven und subjektiven Führungserfolgskriterien unterschieden haben und dementsprechend auch eine eher allgemeingültige Aussage treffen. Die Ergebnisse der Meta-Analyse bestätigen den Zusammenhang zwischen den Dimensionen des FRLM und des Führungserfolgs. Die transformationale Führung korreliert dabei am stärksten mit dem Führungserfolg, jedoch dicht gefolgt von der transaktionalen Führung. Die laissez-faire Führung korreliert hingegen stark negativ mit dem Führungserfolg (Sturm et al. 2011, S. 95).
120
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
dass die Subdimension CR eine Ausnahme für den Augmentationseffekt bei gewissen Führungserfolgskriterien bildet und ebenso wie transformationale Führung zu außerordentlichen Leistungen der Mitarbeiter führen kann3 (Sturm et al. 2011, S. 99). Einzelstudien: Transformationale Führung und Gesundheit Obwohl das Konzept der transformationalen Führung in den letzten Jahrzehnten viel empirische Aufmerksamkeit erfahren hat, fand keine umfangreiche Forschung hinsichtlich der Wirkung transformationaler Führung auf die Gesundheit der geführten Mitarbeiter statt (Franke und Felfe 2011, S. 295). Im Kontext der in Abschn. 3.2.5 geschilderten niedrigen Gesundheitsquote der Polizei erscheint es an dieser Stelle sinnvoll, die Wirkung transformationaler Führung auf die Gesundheit der geführten Mitarbeiter darzustellen. Als Auswahlkriterium geeigneter Studien wurde daher lediglich eine allgemeine Themenbezogenheit (Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter) festgelegt. Dabei wird zunächst die Wirkung transformationaler Führung auf die allgemeine Gesundheit/das psychologische Wohlbefinden der Mitarbeiter dargestellt, bevor anschließend die Wirkung auf Stress und Gereiztheit sowie illegitimen Absentismus und Burnout skizziert wird. Bevor an dieser Stelle der Monografie die Wirkung transformationaler Führung auf die allgemeine Gesundheit/das psychologische Wohlbefinden der Mitarbeiter skizziert wird, soll zunächst die Frage beantwortet werden, ob sich das jeweilige Führungsverhalten der Führungskraft, respektive das durch den Mitarbeiter wahrgenommene Führungsverhalten, überhaupt auf die Gesundheit des jeweiligen Mitarbeiters auswirkt. Vor dem Hintergrund dieser Frage kamen Kelloway und Barling im Rahmen ihrer umfassenden Literaturanalyse zu dem Ergebnis, dass das durch den Mitarbeiter wahrgenommene Führungsverhalten einer der wichtigsten Faktoren für die psychische Gesundheit der Mitarbeiter ist (2010, S. 275). In diesem Kontext untersuchten mehrere Forschungsarbeiten die Wirkung transformationaler Führung auf die allgemeine Gesundheit/das psychologische (subjektive) Wohlbefinden der geführten Mitarbeiter. Dabei stellten diese Forschungsarbeiten fest, dass die transformationale Führung und das psychologische Wohlbefinden der Mitarbeiter positiv miteinander korrelieren (Arnold
3Diesbezügliche ergänzende Erkenntnisse finden sich auch in den Studien von Sturm et al. (2011, S. 95) und Wang et al. (2011, S. 248 f.).
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
121
et al. 2007, S. 193–203; Gregersen et al. 2014, S. 126 f.; Nielsen et al. 2008, S. 465–467; Montano et al. 2017, S. 340; Zwingmann et al. 2014, S. 24, 37). Anknüpfend daran wurde ferner festgestellt, dass transformationale Führung konsequenterweise negativ mit negativem Wohlbefinden, welches sich beispielsweise durch affektive Symptome, emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung, gesundheitliche Beschwerden und Irritation zeigt, korreliert (Gregersen et al. 2014, S. 126 f.; Montano et al. 2017, S. 340). Alsdann wurde festgestellt, dass die Wirkung transformationaler Führung in Teilen durch Drittvariablen, wie beispielsweise die durch den Mitarbeiter wahrgenommene Sinnhaftigkeit der Arbeit mediiert wird (Arnold et al. 2007, S. 193–203; Nielsen et al. 2008, S. 465–467). Bei differenzierteren Betrachtungen einzelner (Sub-)Dimensionen des FRLM wurden überdies weitere, bedeutende Erkenntnisse festgestellt. Zwingmann et al. stellten beispielsweise fest, dass die laissez-faire Führung eine gesundheitshemmende Wirkung auf die geführten Mitarbeiter ausübt (2014, S. 24, 37). Interessanterweise wurde in diesem Zusammenhang ferner deutlich, dass das Führungsverhalten Contingent Reward zu ähnlich positiven, gesundheitsfördernden Wirkungen führt – ebenso wie die transformationale Führung (Zwingmann et al. 2014, S. 24, 37). Anknüpfend daran untersuchten Franke und Felfe die Wirkung transformationaler Führung – differenziert nach den einzelnen Subdimensionen – auf das wahrgenommene Belastungsempfinden der nachgeordneten Mitarbeiter (2011, S. 308). Die Resultate dieser Forschungsarbeit verdeutlichen dabei, dass nicht alle Subdimensionen der transformationalen Führung dazu beitragen, das wahrgenommene Belastungsempfinden der Mitarbeiter zu prognostizieren. Wie erwartet zeigte sich, dass Individualized Consideration und Idealized Influence (attributed) klar negativ mit dem Belastungsempfinden der geführten Mitarbeiter korrelieren, während dies bei den anderen beiden Subdimensionen der transformationalen Führung nicht der Fall war (Franke und Felfe 2011, S. 308 f.). Anknüpfend daran wurde überdies die Wirkung transformationaler Führung auf die Gereiztheit und das Stressempfinden der Mitarbeiter untersucht. In diesem Zusammenhang stellte Felfe fest, dass Mitarbeiter, die ihre Führungskräfte als transformational beschreiben, weniger Gereiztheit im Arbeitsalltag aufweisen (2006b, S. 72). Die stärksten negativen Korrelationen zwischen Gereiztheit und transformationaler Führung zeigen sich bei den Subdimensionen Idealized Influence attributed, Intellectual Stimulation und Individualized Consideration. Von den Subdimensionen Inspirational Motivation sowie Idealized Influence behavior geht im Vergleich weniger Entlastung aus (Felfe 2006b, S. 72). Alsdann untersuchten Rowold und Heinitz in ihrer Forschungsarbeit (im Rahmen zweier Studien) die Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen
122
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Führungsstilen (transformationaler, transaktionaler, mitarbeiter- und aufgabenorientierter Führung) und diversen Stressindikatoren (2008, S. 129). Dabei wurde festgestellt, dass mitarbeiterorientierte Führung, die auch als individualisierte Unterstützung (Individualized Consideration) beschrieben werden kann, in beiden Studien negative Zusammenhänge mit Stress aufweist (Rowold und Heinitz 2008, S. 135). Abgrenzend dazu weist die aufgabenorientierte Führung keinen Zusammenhang auf das Stresserleben der Mitarbeiter auf. Dies lässt die Vermutung zu, dass Führung, welche Aufgaben vorstrukturiert und eindeutige Rollenzuweisungen vornimmt (aufgabenorientierte Führung und Contingent Reward), demnach weder eine eindeutig stressreduzierende noch eine stressfördernde Wirkung hat (Rowold und Heinitz 2008, S. 135). Transformationales Führungsverhalten zeigt in der Forschungsarbeit jedoch einen differenzierten Zusammenhang mit den betrachteten Stressindikatoren. Während dieses in der zweiten Studie erwartungsgemäß negativ mit Stresserleben und Beschwerden durch die Arbeit zusammenhängt, zeigt sich in der ersten Studie ein abweichendes Bild. Dabei wurde festgestellt, dass transformationales Führungsverhalten positiv mit chronischem Stress (unter anderem arbeitsbezogene und soziale Überlastung, Überforderung, Leistungsdruck) korreliert (Rowold und Heinitz 2008, S. 134 f.). Die Arbeit von Rowold und Heinitz weist daher zum einen auf die positiven Auswirkungen (Stressvorbeugung und -reduzierung) sowie zum anderen auf mögliche Gefahren beziehungsweise auf Negativwirkungen (chronischer Stress) von transformationaler Führung hin (2008, S. 137). Ergänzend dazu wurde in einer Studie von Schmidt et al. ein negativer Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und psychologischer Belastung (Stress) festgestellt4, welcher durch die Verfügbarkeit von organisationalen und individuellen psychosozialen Ressourcen mediiert wurde (Schmidt et al. 2014, S. 320). Ferner wurde im Folgenden der Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und Burnout sowie illegitimem Absentismus untersucht. Diesbezüglich konnten beispielsweise Diebig et al. feststellen, dass ein transformationales
4Abgrenzend dazu erzielten Rowold et al. in einer 2017 durchgeführten Studie abweichende Ergebnisse. In ihrer Studie wurde die Beziehung zwischen transformationaler sowie instrumenteller Führung und dem objektiven Stress-Indikator Cortisol in zwei unabhängigen Stichproben untersucht. In dieser Studie konnte kein Zusammenhang zwischen transformationalem Führungsverhalten und dem Cortisol-Wert festgestellt werden, während bei der instrumentellen Führung ein signifikanter, negativer Zusammenhang nachweisbar war (Rowold et al. 2017, S. 219–237).
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
123
Führungsverhalten der Führungskraft die Burnout-Gefährdung von nachgeordneten Mitarbeitern vermindert (2017, S. 329). Des Weiteren wurde durch Frooman et al. festgestellt, dass der jeweilige Führungsstil einer Führungskraft illegitimen Absentismus durch Arbeitszufriedenheit beeinflusst. Aufgrund der Tatsache, dass transformationale Führung die Arbeitszufriedenheit erhöht, verringerte sich auch im Anschluss der illegitime Absentismus (2012, S. 458). Außerdem wurde durch diese Studie ersichtlich, dass transformationale Führung illegitimen Absentismus verringert, während passiv-vermeidende Führung (Management by Exception passive und laissez-faire Führung) diesen erhöht (Frooman et al. 2012, S. 447). Felfe stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Wirkung transformationaler Führung auf (illegitimen) Absentismus signifikant ist, mit Ausnahme von Idealized Influence und Intellectual Stimulation (2006b, S. 72).
4.1.2 Polizeispezifische Forschungserkenntnisse Aufgrund des weniger umfangreich vorliegenden Forschungsstandes hinsichtlich des Konzepts der transformationalen Führung in der Polizei beziehungsweise im polizeilichen Kontext wurde im Rahmen dieses Kapitels auf Selektionskriterien verzichtet. Nachfolgend werden empirische Erkenntnisse dargestellt, welche sich zunächst mit der Forschung hinsichtlich guter Führung in der Polizei beschäftigen. Anschließend werden Forschungsarbeiten dargestellt, welche sich mit dem Konzept der transformationalen Führung, respektive mit dem FRLM, im polizeilichen Kontext auseinandersetzen. Insbesondere in Großbritannien und den USA sind in den vergangenen dreißig Jahren zahlreiche Untersuchungen durchgeführt worden, welche die Bedingungen und Wirkungen guter Führung in der Polizei empirisch untersuchen. Diese Forschungsarbeiten zeigen, dass die organisationspsychologischen Führungskonzepte zum einen auf den polizeilichen Kontext übertragbar sind und zum anderen, dass die Verwendung etablierter Skalen auf Grundlage dieser Führungskonzeptionen wertvolle Erkenntnisse zur evidenzbasierten Gestaltung der direkten Personalführung in der Polizei liefern können. Größtenteils beziehen sich dabei vor allem die jüngeren Untersuchungen häufig auf das Konzept der transformationalen Führung/auf das FRLM und dessen Relevanz in der Polizei (Vollmar et al. 2017, S. 32). Die diesbezügliche Entwicklung der Forschung in der Polizei – hinsichtlich der Frage, was gute Führung in dieser ausmacht – kann dabei im Kontext dieser Monografie simplifiziert in zwei Phasen gegliedert werden. Einerseits in
124
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Forschungsarbeiten, welche identifizieren, was effektive und gute Führung in der Polizei ausmacht. Andererseits in Untersuchungen, welche sich mit dem Konzept der transformationalen Führung in der Polizei auseinandersetzen und dessen Wirkung auf den Führungserfolg sowie moderierende und mediierende Faktoren untersuchen. Einen Überblick über den Forschungsstand hinsichtlich guter Führung in der Polizei geben beispielsweise Campbell und Kodz, die insgesamt 23 Studien aus acht verschiedenen Ländern im Zeitraum von 1979 bis 2008 ausgewertet und anschließend zusammengefasst haben (2011, S. 3–5). Resümierend wird dabei zum einen festgestellt, dass die untersuchten Studien im Allgemeinen den Wert typischer transformationaler Führungsverhaltensweisen und zum anderen die Bedeutung der Fähigkeit, den jeweiligen Führungsstil an den jeweiligen Kontext, respektive die jeweilige Situation, anzupassen, betonen (Campbell und Kodz 2011, S. 21). Anknüpfend daran untersuchten Andreescu und Vito das als ideal wahrgenommene Führungsverhalten in Polizeiorganisationen in den USA (2010, S. 567). Sie stellten fest, dass die Merkmale, die mit transformationaler Führung assoziiert werden, einen präferierten Führungsstil für polizeiliche Führungskräfte darstellen (Andreescu und Vito 2010, S. 577). Alsdann untersuchten Dobby et al. in Großbritannien, welche Aspekte als effektive Führungsverhaltensweisen in der Polizei gewertet werden. Sie befragten 150 Vertreter aus allen R ang-/Hierarchiestufen, um herauszufinden, welche Verhaltensweisen diese als effektive Führung wahrnehmen (Dobby et al. 2004, S. V). Die Ergebnisse dieser Befragung ermöglichten die Bildung von 53 Kategorien, welche den Umfrage-Teilnehmern nach effektive Führung widerspiegeln. Es wurde weiterhin herausgefunden, dass 50 dieser 53 Kategorien eng mit der transformationalen Führung übereinstimmen (Dobby et al. 2004, S. V, 18–20). Vor dem Hintergrund dieser polizeispezifischen beziehungsweise allgemeinen Erkenntnisse untersuchen vornehmlich jüngere Forschungsarbeiten die Wirkung transformationaler Führung in der Polizei. Diesbezüglich sind insbesondere die Studien von Russell (2017) und Decker (2018) hervorzuheben. Russell untersuchte dabei in seiner Meta-Analyse den Zusammenhang zwischen den Dimensionen des FRLM und den Führungserfolgskriterien des MLQ und nutzte als Datengrundlage neun US-amerikanische und internationale Primärstudien (2017, S. 91). In der Forschungsarbeit von Russell (2017) wurde dabei eingangs der Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Führungsverhalten und der durch den Mitarbeiter wahrgenommenen Effektivität der Führungskraft untersucht. Es wurde festgestellt, dass die transformationale Führung in einem stark positiven Zusammenhang, die transaktionale Führung in einem schwach positiven Zusammenhang und die
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
125
laissez-faire Führung in einem sehr schwach negativen Zusammenhang zur wahrgenommenen Effektivität der Führungskraft steht (Russell 2017, S. 96–98). Hinsichtlich der Frage, wie die einzelnen Dimensionen des FRLM mit der extra Anstrengungsbereitschaft der Mitarbeiter korrelieren, wurde deutlich, dass die transformationale Führung stark positiv, die transaktionale Führung moderat positiv und die laissez-faire Führung extrem niedrig und negativ mit der extra Anstrengungsbereitschaft korreliert (Russell 2017, S. 99–101). Anschließend wurde der Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Führungsverhalten und der Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft untersucht. Diesbezüglich wurde ein stark positiver Zusammenhang mit transformationaler Führung, ein schwach positiver Zusammenhang mit transaktionaler Führung und ein sehr niedriger negativer Zusammenhang mit der laissez-faire Führung festgestellt (Russell 2017, S. 103–105). Anknüpfend an die Forschungsarbeit von Russell (2017) untersuchte Decker (2018) in seiner Studie in den USA die Wirkung der einzelnen Subdimensionen des FRLM auf die generelle Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Arbeit sowie auf das organisationale Commitment der Mitarbeiter (Decker 2018, S. II, 105 f.). Hinsichtlich der generellen Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Arbeit wurde identifiziert, dass alle Subdimensionen der transformationalen Führung in einem direkten, moderat bis stark positiven Zusammenhang mit ihr stehen. CR korreliert indes stark positiv mit der generellen Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter. MbEa hängt hingegen schwach negativ und MbEp moderat negativ mit ihr zusammen. Die laissez-faire Führung korreliert moderat negativ mit der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter (schwächster Wert) (Decker 2018, S. 105 f., 108). Bezüglich des Zusammenhanges zwischen den einzelnen Subdimensionen des FRLM und dem organisationalen Commitment wurde festgestellt, dass eine moderate und direkte Korrelation zwischen den Subdimensionen der transformationalen Führung mit diesem vorliegt. Der Zusammenhang zwischen organisationalem Commitment und CR ist zudem moderat positiv vorhanden. MbEa und MbEp korrelieren hingegen schwach negativ mit dem organisationalen Commitment. Abschließend wurde identifiziert, dass die laissez-faire Führung eine schwache Korrelation zu dem organisationalen Commitment aufweist (schwächster Wert) (Decker 2018, S. 105 f., 108 f.). In der Tab. 4.3 werden nachfolgend die Wirkungen der einzelnen (Sub-)Dimensionen des FRLM im polizeilichen Kontext auf die in den Studien von Decker (2018) und Russell (2017) erfassten Führungserfolgskriterien simplifiziert dargestellt. Zusammenfassend kann zunächst grundsätzlich festgestellt werden, dass die polizeispezifischen Erkenntnisse – ebenso wie die allgemeinen Erkenntnisse –
126
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Tab. 4.3 Effekte der (Sub-)Dimensionen des FRLM im polizeilichen Kontext. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Decker 2018, S. 105–109; Russell 2017, S. 96–105)) FührungsTransformationale Transaktionale Führung erfolgskriterien Führung
Laissez-faire Führung
Wahrgenommene Positiv* Effektivität der Führungskraft
Positiv
Negativ
Positiv*
Positiv
Negativ
Positiv
Negativ
Extra Anstrengungsbereitschaft der Mitarbeiter
Zufriedenheit der Positiv* Mitarbeiter mit der Führungskraft Anmerkung: * = höchste Effektstärke
Transformationale Transaktionale Führung Führungserfolgskriterien Führung CR MbEa MbEp
Laissez-faire Führung
Zufriedenheit des Positiv Mitarbeiters mit der Arbeit
Positiv*
Negativ
Negativ
Negativ
Organisationales Positiv Commitment
Positiv*
Negativ
Negativ
Negativ
Anmerkung: * = höhere Effektstärken auf Führungserfolgskriterien als IIb und IS
der theoretisch postulierten Annahme entsprechen, dass die Subdimensionen der transformationalen Führung sowie die transaktionale Subdimension CR am effektivsten hinsichtlich der Wirkung auf die Führungserfolgskriterien sind. Die verbleibenden transaktionalen Subdimensionen sowie die Dimension der laissez-faire Führung weisen entsprechend eine kontinuierlich sinkende Bedeutung für den Führungserfolg bis hin zu kontraproduktiven Effekten auf (Decker 2018, S. 105–109; Russell 2017, S. 96–105; Weibler 2016, S. 343). Der Augmentationseffekt konnte dabei insbesondere in der Studie von Russell (2017) bestätigt werden, welcher lediglich die Dimensionen des FRLM vor dem Hintergrund der Wirkung auf den Führungserfolg betrachtet. Diesbezüglich konnte beobachtet werden, dass die transaktionale Führung grundsätzlich positiv mit den betrachteten Führungserfolgskriterien zusammenhängt, die transformationale Führung darüber hinaus jedoch noch einen Zusatzeffekt erzielt und eine stärkere Korrelation zum Führungserfolg aufweist (Russell 2017,
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
127
S. 96–105, 119). Anknüpfend daran zeigt jedoch die Studie von Decker (2018), welcher alle Subdimensionen des FRLM in seiner Studie betrachtet, dass die Subdimension CR – ähnlich wie in der Studie von Judge und Piccolo (2004) – in Teilen höher mit dem Führungserfolg korreliert als vereinzelte transformationale Subdimensionen (Decker 2018, S. 105 f., 108 f.). Dies lässt im polizeilichen Kontext ebenfalls die Annahme zu, dass die Subdimension CR eine Ausnahme für den Augmentationseffekt bei gewissen Führungserfolgskriterien bildet und ebenso wie transformationale Führung zu außerordentlichen Leistungen der Mitarbeiter führen kann. Alsdann ist kritisch anzumerken, dass das Konzept der transformationalen Führung/das FRLM kaum im Kontext der deutschen Polizei empirisch untersucht wurde (Fittkau 2019, S. 47). Lediglich einige wenige Forschungsarbeiten ließen sich im Rahmen der Literaturrecherche ermitteln, welche sich mit dieser Thematik im polizeilichen Kontext in Deutschland auseinandersetzen. Masal, welche sich in ihrer Studie mit der geteilten und transformationalen Führung auseinandersetzt, stellt einleitend eher beiläufig fest, dass die transformationale Führung einen substanziellen, direkten Effekt auf die Zielklarheit der Mitarbeiter sowie ihre Zufriedenheit mit der Arbeit hat (2015, S. 46). Zudem konnte Nettelnstroth nachweisen, dass sich das KFS mit seinen sechs Elementen eher der transformationalen als der transaktionalen Führung ähnelt (2019, S. 46). Anknüpfend an Masal untersuchte Fittkau (2019) den Augmentationseffekt am Beispiel der Berliner Bereitschaftspolizei. Hintergrund dieser Studie waren die allgemeinen Forschungserkenntnisse über transformationale Führung, welche zeigen, dass dieses Führungsverhalten zu einer zusätzlichen Anstrengungsbereitschaft, zu einer verstärkten Wahrnehmung von Führungseffektivität und zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit (Augmentationseffekt) führt. Aufgrund der Tatsache, dass hierzu jedoch keine empirischen Forschungserkenntnisse in der deutschen Polizei vorlagen, war es das Ziel der Studie, herauszufinden, ob in der Polizei ähnliche Effekte beobachtet werden können (Fittkau 2019, S. 47–56). Die Datenerhebung fand anschließend im Rahmen einer Online-Befragung mittels MLQ und TLI im Zeitraum vom 3. April bis 3. Mai 2018 statt, an welcher insgesamt 195 Berliner Bereitschaftspolizisten teilnahmen. Dabei wurde nachgewiesen, dass in der Berliner Bereitschaftspolizei – ähnlich wie in den allgemeinen Forschungserkenntnissen – wahrgenommene transformationale Führung mit den durch den MLQ erfassten Führungserfolgskriterien positiv korreliert. Ergänzend dazu war die Bedeutung bedingter Belohnung (transaktionale Führung) bei der Aufklärung der Varianz des Augmentationseffektes unerwartet hoch. Zudem zeigten Geschlecht und Laufbahnzugehörigkeit keine Unterschiede in der Ausprägung des Augmentationseffektes.
128
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
Mit zunehmendem Lebens- und Dienstalter hingegen verstärkte sich der Augmentationseffekt (Fittkau 2019, S. 47–56). Daraus resultierend kann festgestellt werden, dass die transformationale Führung im deutschen polizeilichen Kontext ebenso positiv mit den durch den MLQ erfassten Führungserfolgskriterien korreliert, wie es allgemeine Forschungserkenntnisse vermuten ließen. Transformationale Führung führt demnach auch in der deutschen Polizei sowohl zu mehr Anstrengungsbereitschaft als auch zu einer besseren Mitarbeiterzufriedenheit. Ergänzend dazu wurde jedoch auch ersichtlich, dass der bedingten Belohnung (transaktionale Führung) eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommt (Fittkau 2019, S. 47–56). Des Weiteren verfolgten Barth-Farkas und Vera (2016) mit ihrer Studie das Ziel, die polizeiliche Führungspraxis in Deutschland und damit das KFS einem breiteren, internationalen Publikum zu öffnen sowie die polizeiliche Führungspraxis in Deutschland in einer zeitgemäßen Weise kritisch auszuwerten. Um dies zu gewährleisten, verglichen sie die polizeiliche Führungspraxis in Deutschland, respektive das KFS, mit der international validierten Führungsliteratur (dem Konzept der transformationalen Führung/dem FRLM) (Barth-Farkas und Vera 2016, S. 34). Die Datenerhebung fand anschließend in Form einer Online-Befragung mittels MLQ im Zeitraum von Februar bis März 2014 statt, an welcher insgesamt 62 Studierende des Masterstudiengangs an der DHPol teilnahmen (Barth-Farkas und Vera 2016, S. 37). Dabei wurde festgestellt, dass deutsche polizeiliche Führungskräfte ein Führungsverhalten zeigen, welches als eine Vermischung von transformationaler und transaktionaler Führung angesehen werden kann und in welchem MbEp und laissez-faire Führung nur eine untergeordnete Rolle spielen (Barth-Farkas und Vera 2016, S. 38). Dementsprechend kann festgestellt werden, dass – trotz des bestehenden und gültigen KFS, welches die kooperative Führung vorgibt – polizeiliche Führungskräfte heutzutage in Deutschland vornehmlich transaktionale und vor allem transformationale Führungsverhaltensweisen zeigen und daher befürworten (Barth-Farkas und Vera 2016, S. 34, 38). Alsdann untersuchten zwei jüngere Studien die Wirkung transformationaler Führung auf die Gesundheit von Mitarbeitern in der deutschen Polizei. Bauschke (2019) untersuchte in diesem Zusammenhang den Einfluss des Führungsverhaltens auf die Gesundheit von Mitarbeitern in der Kriminalpolizei Berlin. Ziel dieser Studie war es, herauszufinden, wie Mitarbeiter der Polizei das Führungsverhalten ihrer Vorgesetzten wahrnehmen und welchen Einfluss dieses auf ihre
4.1 Studien zur Wirksamkeit transformationaler Führung
129
Zufriedenheit sowie ihr psychosomatisches Belastungsempfinden hat. Ferner diente die Studie der Feststellung der Prävalenz psychosomatischer Symptome (Bauschke 2019, S. II). Die Datenerhebung fand nachfolgend im Rahmen einer Online-Befragung mittels MLQ, TLI und PSE (Messinstrument für psychosomatisches Belastungsempfinden im nichtklinischen Kontext) im Zeitraum vom 30. April bis 10. Juni 2019 statt, an welcher sich insgesamt 245 Mitarbeiter der Kriminalkommissariate K2 und K3 der Berliner Polizei beteiligten (Bauschke 2019, S. 50–57). Dabei wurde – und zwar mit hochsignifikanten Werten – nachgewiesen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der transformationalen Führung und der Mitarbeiterzufriedenheit in der Kriminalpolizei Berlin vorliegt (Bauschke 2019, S. 70 f.). Anknüpfend daran wurde weiterhin festgestellt, dass transformationale Führung und psychosomatische Belastungsstörungen schwach negativ korrelieren (Bauschke 2019, S. 72 f.). Alsdann wurde ersichtlich, dass sich der angenommene lineare Anstieg des Belastungsempfindens mit dem Dienstalter nicht bestätigte (Bauschke 2019, S. 73). Des Weiteren wurde festgestellt, dass Frauen signifikant häufiger psychosomatische Beschwerden beschrieben als ihre männlichen Kollegen (Bauschke 2019, S. 76). Abschließend wurde in diesem Zusammenhang ermittelt, dass Müdigkeit und Zerschlagenheit sowie muskuloskelettale Erkrankungen als häufigste psychosomatische Beschwerden beschrieben wurden (Bauschke 2019, S. II). Daraus resultierend kann festgestellt werden, dass die Prävalenz der häufigsten psychosomatischen Beschwerden auf ungenügende Erholungsphasen und eine mangelhafte Arbeitsplatzergonomie zurückzuführen ist (Bauschke 2019, S. II). Bedeutsam in diesem Kontext sind jedoch die Erkenntnisse der Autorin, dass sich auch in der deutschen Polizei transformationale Führungsverhaltensweisen der Führungskraft sehr positiv auf die Zufriedenheit von Mitarbeitern auswirken und – zumindest tendenziell – das Belastungsempfinden dieser reduzieren können (Bauschke 2019, S. 84). Anknüpfend an die Forschungserkenntnisse von Bauschke (2019) untersuchte Koch (2019) im Folgenden, ob es einen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Führung und psychosomatischen Belastungsbeschwerden in der Schutzpolizei der Berliner Polizei gibt. Ziel dieser Studie war es, herauszufinden, ob Führung in den teilnehmenden Dienststellen als transformational wahrgenommen wird und wie sich dies auf das psychosomatische Belastungsempfinden der Beamten auswirkt (Koch 2019, S. 13 f.). Die Datenerhebung erfolgte anschließend in Form einer Online-Befragung mittels MLQ, TLI und PSE im Zeitraum vom 30. April bis 10. Juni 2019. An der Online-Befragung nahmen insgesamt 163 Mitarbeiter der Direktion 5 und 6
130
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
der Schutzpolizei Berlin teil (Koch 2019, S. 51–62). Dabei wurde zunächst festgestellt, dass Führung in den betrachteten Organisationseinheiten grundsätzlich als transformational wahrgenommen wird (Koch 2019, S. 81). Dies stützt die bereits skizzierten Erkenntnisse von Barth-Farkas und Vera (2016, S. 34, 38). Ferner konnte bestätigt werden, dass transformationales Führungsverhalten negativ und hoch signifikant mit psychosomatischem Belastungsempfinden korreliert (Koch 2019, S. 83). Hingegen wurde identifiziert, dass Lebensalter, Dienstalter und Geschlecht keinen Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit haben, sich jedoch unterschiedlich hinsichtlich des psychosomatischen Belastungsempfindens auswirken (Koch 2019, S. 83). Abschließend wurde festgestellt, dass weibliche Führungskräfte stärker transformational wahrgenommen werden als ihre männlichen Kollegen (Koch 2019, S. 83 f.). Daraus resultierend ergibt sich die Schlussfolgerung, dass bewusstes transformationales Führungsverhalten in der Polizei zu einem geringeren psychosomatischen Belastungsempfinden führen kann und somit einen Beitrag zur Gesunderhaltung der Mitarbeiter leistet.
4.2 Studien zur Lehr- und Lernbarkeit transformationaler Führung Ferner wurde durch mehrere Forschungsarbeiten bestätigt, dass transformationales Führungsverhalten gelehrt und gelernt werden kann. Barling et al. beobachteten mittels eines Pre- und Posttests, dass Mitarbeiter ihre Führungskräfte, die an einem transformationalen Führungskräftetraining teilgenommen haben, nachträglich transformationaler wahrgenommen haben, als Mitarbeiter deren Führungskräfte in einer Kontrollgruppe ohne Führungskräftetraining waren (1996, S. 830). Anknüpfend daran untersuchten Parry und Sinha den Nutzen und die Effektivität des FRLP5, welches 1991 von Bass und Avolio entwickelt wurde (2005, S. 167). Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zeigen, dass alle Subdimensionen der transformationalen Führung nach dem Training signifikant häufiger durch die Führungskräfte gezeigt wurden (Parry und Sinha 2005, S. 174). Daran anknüpfend zeigten Führungskräfte des Öfteren
5In ihrer Forschungsarbeit verwenden die beiden Autoren den Begriff Full Range Leadership Development Programme (Parry und Sinha 2005, S. 165).
4.2 Studien zur Lehr- und Lernbarkeit transformationaler Führung
131
Tab. 4.4 Veränderung des Führungsverhaltens von Führungskräften nach FRLP. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Parry und Sinha 2005, S. 174)) (Sub-)Dimension des FRLM Zunahme der Verhaltensweise um (%)
Abnahme der Verhaltensweise um (%)
Transformationale Führung Idealized Influence attributed 4,4 Idealized Influence behavior 10,2 Inspirational Motivation
7,7
Intellectual Stimulation
4,6
Individualized Consideration 6,8 Transaktionale Führung Contingent Reward
3,3
Management by Exception active
4,4
Management by Exception passive
11,5
Laissez-faire Führung Laissez-faire Führung
13,2
Tab. 4.5 Veränderung des Führungserfolgs nach FRLP. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Parry und Sinha 2005, S. 177)) Internes Führungserfolgskriterium
Zunahme des Führungserfolgs um (%)
Effectiveness of the leader
1,4
Satisfaction with the leader
7,2
Extra effort
8,6
das Führungsverhalten der Subdimension CR. Abgrenzend dazu verringerte sich das gezeigte Führungsverhalten der Subdimension MbEa leicht, für die Subdimension MbEp und die Dimension laissez-faire Führung jedoch signifikant (siehe Tab. 4.4) (Parry und Sinha 2005, S. 174). Bezugnehmend auf die Veränderungen des Führungsverhaltens der Führungskräfte wurden unterdessen auch Veränderungen hinsichtlich des Führungserfolgs
132
4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
identifiziert (siehe Tab. 4.5). Diesbezüglich ließen sich die internen Führungserfolgskriterien des MLQ betrachten und es wurde festgestellt, dass sich nach dem dreimonatigen Anwendungsintervall alle drei Führungserfolgskriterien des MLQ verbesserten. Insbesondere war auch eine signifikante Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit mit der Führungskraft als auch der extra Anstrengungsbereitschaft des Mitarbeiters festzustellen (Parry und Sinha 2005, S. 177). Alsdann wurde abschließend durch Radstaak festgestellt, dass das Training transformationaler Führung auch in Deutschland angewendet werden kann und es kein rein nordamerikanisches Phänomen ist (2008, S. 83).
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4 Empirischer Forschungsstand zu transformationaler Führung
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5
Transformationale Führung als neues Führungsverständnis in der Polizei
Zusammenfassung
Im Kontext der allgemein anzunehmenden Wirksamkeit transformationaler Führung stellt sich die Frage, ob das Konzept der transformationalen Führung, respektive das Full Range of Leadership Model, überhaupt eine Chance auf ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. Vor dem Hintergrund dieser Frage wird das von Neidhardt (2017) skizzierte Anforderungsprofil an eine neue Führungskonzeption in der Polizei aufgegriffen, weiter erläutert und ergänzt. In einem nächsten Schritt wird kritisch diskutiert, ob das Full Range of Leadership Model diesem ergänzten und erweiterten Anforderungsprofil entspricht. Abschließend wird der festgestellte Anpassungsbedarf des Full Range of Leadership Model überblicksartig skizziert. In diesem Kapitel wird kritisch diskutiert, ob das Konzept der transformationalen Führung, respektive das Full Range of Leadership Model, eine Chance auf ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. Dazu wird in Abschn. 5.1 ein Anforderungsprofil an eine neue Führungskonzeption der Polizei skizziert. Folgend wird in Abschn. 5.2 kritisch dargestellt, welche dieser Anforderungen durch das Full Range of Leadership Model erfüllt werden und bei welchen Anforderungen ein Anpassungsbedarf des Full Range of Leadership Model vorliegt. Dieser festgestellte Anpassungsbedarf wird in Abschn. 5.3 skizziert und ist im Folgenden der Ausgangspunkt für das Transformationale Personalführungsmodell der Polizei (TPFM), welches in Kap. 6 vorgestellt wird.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_5
135
136
5 Transformationale Führung als neues …
5.1 Anforderungen an ein modernes Führungsverständnis Einleitend ist – hinsichtlich der nachfolgend dargestellten Anforderungen – festzuhalten, dass die Polizei trotz ihrer Besonderheiten in theoretischer und praktischer Sicht eine Reihe von Gemeinsamkeiten sowohl mit Organisationen der öffentlichen Verwaltung als auch der Privatwirtschaft aufweist (Neidhardt 2017, S. 326; Vollmar et al. 2017, S. 13). Insbesondere bezüglich der Frage, welche Effekte das Führungsverhalten in der Personalführung haben kann, dürfte sich die Polizei kaum von anderen Organisationen unterscheiden. Dies ermöglicht, dass Methoden und evidenzbasierte Erkenntnisse der Führungsforschung auch in der Polizei Anwendung finden können (Kleinschmidt 2017, S. 389–406; Vollmar et al. 2017, S. 13). Dementsprechend ist das Thema Personalführung in der Polizei grundsätzlich kein anderes als in jeder anderen Organisation (Neidhardt 2017, S. 326). Aufgrund der Tatsache, dass die Thematik Führung naturgemäß auch für die Polizei bedeutsam ist, wird im Allgemeinen der Qualität und Kompetenz der polizeilichen Führungskräfte eine signifikante Bedeutung sowohl für die Ergebnisqualität und Leistungsfähigkeit der Organisation als auch für das Betriebsklima und die Mitarbeiterzufriedenheit zugeschrieben (Neidhardt 2017, S. 301). Ergänzend dazu erfordert die Abkehr von der Arbeit als „Broterwerb“ und die Suche des Mitarbeiters nach Sinn in der Arbeit ein neues Denken von Führung (Mai 2015, S. 23). In diesem Kontext und vor dem Hintergrund der Frage, welche Anforderungen ein neues, modernes und bundesweit einheitliches Führungsverständnis in der Polizei haben sollte, war es der Verdienst von Neidhardt (2017), erstmalig ein differenziertes Anforderungsprofil, welches eine neue Führungskonzeption grundsätzlich erfüllen sollte, zu definieren. Dieses von Neidhardt skizzierte Anforderungsprofil bereichert dabei den Diskurs um die Weiterentwicklung des KFS nicht unmaßgeblich, da es eine Orientierungsfunktion für ein künftiges und potenziell neues Führungsverständnis in der Polizei übernimmt. Demzufolge ist dieses Anforderungsprofil der Ausgangspunkt für dieses Kapitel und wird im Folgenden aufgegriffen, weiter erläutert und ergänzt. Vermittlung oder Verbesserung von Kompetenzen, die einen Mehrwert bewirken Einleitend führt Neidhardt an, dass Führungslehre – wie andere Aus- und Fortbildungsinhalte in der Polizei – kein Selbstzweck ist, sondern der Vermittlung oder Verbesserung von Kompetenzen dient, die für eine leistungsfähige und professionelle Polizei unerlässlich sind. Dahingehend gilt es, den Angehörigen
5.1 Anforderungen an ein modernes Führungsverständnis
137
der Organisation ebenen- und zielgruppengerecht die Einstellungen, Handlungsempfehlungen und Kenntnisse zu vermitteln, die eine bestmögliche Führung und Zusammenarbeit in der Organisation ermöglichen (2017, S. 305). Dabei geht es „[…] um ein angemessenes Verständnis von Führung sowie um soziale und methodische Kompetenzen, um Führungsverantwortung erfolgreich wahrzunehmen, Führungsaufgaben und -probleme erfolgreich meistern zu können.“ (Neidhardt 2017, S. 305). Eine neue Führungslehre, respektive ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei soll daher einen Mehrwert für die Angehörigen der Organisation und die Organisation selbst bewirken. Führungskräften soll das neue Führungsverständnis demzufolge bessere Führungsleistungen ermöglichen, als es ihnen ohne dieses möglich wäre. Letztlich bleibt dafür der Maßstab immer eine höhere Ergebnisqualität im Sinne der Ziele und Zwecke der Organisation sowie darüber hinaus eine höhere Zufriedenheit aller Angehörigen der Organisation (Neidhardt 2017, S. 305). Vereinfacht ausgedrückt soll ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei – durch die Vermittlung von Kompetenzen, Kenntnissen und Handlungsempfehlungen – Führungserfolg garantieren, zumindest aber ermöglichen. Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes und empirische Überprüfbarkeit Ferner, führt Neidhardt an, sollte jede Neukonzeption einer polizeilichen Führungslehre, respektive eines polizeilichen Führungsverständnisses, zunächst einmal den Stand der wissenschaftlichen Führungsforschung berücksichtigen, um bei den „Führung“ Lehrenden und den Organisationsmitgliedern (auf allen Hierarchieebenen) Akzeptanz zu finden. Dazu gehören essenzielle Ansätze und Entwicklungen in der Theorie und insbesondere ihre empirische Überprüfung (theoretisch-empirische Dimension) (2017, S. 305). Eine neue Führungskonzeption sollte demnach wissenschaftlich abgesichert und empirisch überprüfbar sein, um in der Organisation akzeptiert zu werden. Im Kontext dieser ersten beiden Gütekriterien einer modernen Führungskonzeption in der Polizei spricht Kleinschmidt von evidenzbasierter Führung. Eine neue Führungskonzeption sollte daher zwingend faktenbasiert und empirisch abgesichert sein, wenn sie eine weitgehende Akzeptanz in der Polizei beanspruchen will (2017, S. 393). Bedarf einer normativen Dimension Neben dieser theoretisch-empirischen Dimension in Form von Seins-Aussagen sollte eine neue Führungslehre beziehungsweise ein neues Führungsverständnis eine normative Dimension in Form von Sollens-Aussagen beinhalten. Diesbezüglich geht es darum, legitime Einstellungen, Mittel und Ziele aufzuzeigen und vor
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5 Transformationale Führung als neues …
allem ganz praktisch darzustellen, wie man sich verhalten sollte und was man besser tun kann, um gut zu führen. Die normative Dimension dieser Führungskonzeption umfasst daher die Berücksichtigung normativer Standards sowie bewährter Führungsinstrumente und -methoden (Neidhardt 2017, S. 305). Bedarf eines realitätsnahen Führungsverständnisses Des Weiteren bedarf eine neue und moderne Führungskonzeption in der Polizei eines realitätsnahen Führungsverständnisses. Dies bedeutet im Folgenden, dass eine neue und moderne Führungskonzeption in der Polizei weder ein heroisches Führungsverständnis noch ein technisch-instrumentelles Versprechen – welches der Führungskraft weismachen will, dass durch diese Führungskonzeption, sofern richtig eingesetzt, der Führungserfolg unumgänglich sei – aufweisen darf. Eine neue Führungskonzeption sollte der polizeilichen Führungskraft daher vielmehr verdeutlichen, dass sie per se nicht alles regeln und steuern kann, die spezifische Führungssituation von der indirekten Führung/den formalen und informalen Regeln der Organisation begrenzt oder zumindest beeinflusst wird und ihr Führungshandeln – je nach spezifischer Situation – überflüssig oder gar kontraproduktiv sein kann. Berücksichtigung der (führungsspezifischen) Besonderheiten der Polizei Alsdann sollte eine neue Führungskonzeption der Polizei unterdessen – sofern möglich und sinnvoll – den Besonderheiten der Polizei (führungsrelevante Aspekte der Polizei) Rechnung tragen, soweit sich daraus Konsequenzen für die Ausgestaltung von Personalführung ergeben (Neidhardt 2017, S. 306). Komplexitätsreduktion sowie gute Lehr- und Lernbarkeit Als weiteres Gütekriterium einer neuen und modernen Führungskonzeption führt Neidhardt in seinem Anforderungsprofil den Aspekt der Komplexitätsreduktion an, da es weder polizeilichen Praktikern zuzumuten noch in der polizeilichen Aus- und Fortbildung möglich oder sinnvoll ist, die gesamte Komplexität der führungswissenschaftlichen Diskussion nachzuvollziehen. Die Kunst einer modernen Führungskonzeption der Polizei wird es sein, sich auf das Wesentliche von Führung zu beschränken, das heißt aus den relevanten Erkenntnissen, Handlungsempfehlungen und Theorien das zu destillieren, was für ein modernes Grundverständnis von Führung unabdingbar notwendig ist. Insbesondere ist dabei auf eine gute Verständlichkeit und Vermittelbarkeit sowie Lehr- und Lernbarkeit zu achten, da auch die Praxistauglichkeit beziehungsweise die Umsetzbarkeit einer polizeilichen Führungskonzeption von einer gelungenen Beschränkung
5.1 Anforderungen an ein modernes Führungsverständnis
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auf das Wesentliche abhängt (Neidhardt 2017, S. 306). Es geht also nicht darum, potenzielle Führungskräfte selber zu Produzenten von führungswissenschaftlichen Fakten zu machen, sondern vielmehr um die Fähigkeit, sich wissenschaftlicher Erkenntnisse angemessen und situationsabhängig zu bedienen (Kleinschmidt 2017, S. 400). Ferner ist es in diesem Zusammenhang auch nicht angebracht, ein lebensfremdes, heroisches Führungsverständnis ausprägen zu wollen. Polizeivollzugsbeamte in der Aus- und Fortbildung müssen schließlich in die Lage versetzt werden, Probleme der Führungsrealität zu identifizieren, zu beschreiben, analytisch aufzubereiten und in praktikable Handlungsoptionen – unter Rückgriff auf eine belastbare empirische Datenlage – zu übersetzen. Anwendbarkeit auf allen Hierarchieebenen der Organisation Folgend sollte eine neue und moderne Führungskonzeption der Polizei einen Mehrwert für alle Organisationsmitglieder bieten. Dementsprechend muss sie sowohl für geführte Mitarbeiter als auch für Führungskräfte – auf allen Ebenen der Organisationshierarchie sowie allen Laufbahnen – gelten und als Orientierungspunkt für eine gute Personalführung in der Polizei dienen. Der Fokus sollte ferner auf die unmittelbare Führungskraft-Mitarbeiter-Interaktion gelegt werden, da der unmittelbar Vorgesetzte und dessen (Führungs-)Verhalten den größten Einfluss auf den geführten Mitarbeiter ausübt. Dies konnte bereits im polizeilichen Kontext bestätigt werden (Kleiber und Renneberg 2014, S. 3 f.). In diesem Zusammenhang ist vor allem die Bedeutung der Führungskräfte des gehobenen Dienstes für die Lösung alltäglicher Probleme hervorzuheben und nicht zu unterschätzen. Dies rührt daher, da sie sich sowohl in einer sogenannten „Sandwichposition“ befinden und die Probleme der geführten Mitarbeiter sowie ihrer eigenen Führungskräfte unmittelbar gespiegelt bekommen als auch die Mehrzahl der Führungskräfte in der Organisation abbilden. Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen Letztendlich sollte eine neue und moderne Führungskonzeption geeignet sein, den anstehenden Veränderungen der zukünftigen Arbeitswelt sowie den sich daraus ergebenden Konsequenzen erfolgreich zu begegnen. Zukünftig dürften sich dabei im Allgemeinen folgende Entwicklungen weiter fortsetzen: Zunehmende Komplexität der Arbeitsabläufe/technologische Veränderungen, Wirtschaftskrisen und Rationalisierungen, Internationalisierung und Globalisierung, flexiblere Organisationsstrukturen, demografische Entwicklung und alternde Belegschaft, Wertewandel, Erwartungen der Mitarbeiter der Generationen
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Y und Z sowie zunehmende Verkürzungen der Halbwertszeit des Wissens (Regnet 2014, S. 32–36).
5.2 Abdeckung der Anforderungen durch das Full Range of Leadership Model Im folgenden Kapitel wird skizziert, ob das FRLM den Anforderungen an ein modernes Führungsverständnis der Polizei gerecht wird und es somit als Grundlage für ein neues Führungsverständnis in der Polizei dienen kann. Diesbezüglich wird zudem dargestellt, was für das FRLM als neues Führungsverständ nis spricht und welche gegebenenfalls notwendigen Entwicklungsschritte und Anpassungen noch durchgeführt werden müssen. Vermittlung oder Verbesserung von Kompetenzen, die einen Mehrwert bewirken Die erste von Neidhardt aufgezeigte Anforderung an ein modernes Führungsverständnis umfasst die Vermittlung von Kenntnissen und Kompetenzen über Führung, die summa summarum zu besseren Führungsleistungen der Führungskräfte führen und somit auch zu einem Mehrwert für die Angehörigen der Organisation und die Organisation selbst. Dieser Mehrwert zeigt sich unter anderem in einer höheren Ergebnisqualität und einer höheren Zufriedenheit der Mitarbeiter (2017, S. 305). Zunächst ist festzuhalten, dass in den vergangenen 30 Jahren kein anderes Führungskonzept in der Führungsforschung mehr Aufmerksamkeit erfahren hat als das Konzept der transformationalen Führung und es deshalb derzeit als eines der am häufigsten beforschten gilt (Furtner und Baldegger 2016, S. 144; Northouse 2016, S. 161; Weibler 2016, S. 339). Die Forschungsergebnisse sprechen insgesamt dafür, der transformationalen Führung einen hohen positiven Zusammenhang zu den erfassten subjektiven, als auch – allerdings abgeschwächt – objektiven Erfolgskriterien der Führung zuzuerkennen. Die von den Verfechtern dieses Ansatzes artikulierten Zusammenhänge werden dabei durch eine Vielzahl von empirischen Studien gestützt (Weibler 2016, S. 344). In diesem Zusammenhang wurden im Rahmen dieser Monografie verschiedene allgemeine Studien vorgestellt, welche die Wirkung transformationaler Führung auf unterschiedliche Führungserfolgsmaße untersucht haben. Dabei konnte im Allgemeinen festgestellt werden, dass die transformationale Führung positiv mit subjektiven – beispielsweise Zufriedenheit des Mitarbeiters mit der Führungskraft/der Arbeit sowie wahrgenommene Arbeitsleistung und Effektivität der Führungskraft – und objektiven – wie beispielsweise Mitarbeiterleistung
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auf Individual-, Team- und Organisationsebene – Führungserfolgskriterien korreliert. Ferner ist nachweisbar, dass die transformationale Führung eine positive Wirkung auf die Mitarbeitergesundheit ausübt. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass transformationale Führungsverhaltensweisen positiv mit der allgemeinen Gesundheit, respektive dem psychischen Wohlbefinden, korrelieren. Abgrenzend dazu ist überdies ersichtlich, dass die transformationale Führung negativ mit Gereiztheit, Stresserleben, Beschwerden durch die Arbeit, Burnout und Burnout-Gefährdung sowie illegitimem Absentismus korreliert. Für die Polizei dürften diese Erkenntnisse im Allgemeinen und insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Belastung sowie der relativ niedrigen Gesundheitsquote von hohem Interesse sein, um (weiterhin) eine leistungsfähige Organisation mit zufriedenen und motivierten Mitarbeitern zu sein. Trotz der Vielzahl von empirischen Untersuchungen liegen für den Bereich der deutschen Polizei – wie bereits erwähnt – kaum Erkenntnisse vor. Es kann ferner konkretisiert werden, dass hinsichtlich der Wirkung transformationaler Führung in Deutschland nur wenige Studien vorliegen, die sich mit dem Konzept – in Teilen oder im Ganzen – auseinandergesetzt haben. Die wenigen empirischen Forschungserkenntnisse in der deutschen Polizei zeigen jedoch auf, dass sich transformationale Führungsverhaltensweisen der Führungskraft sowohl sehr positiv auf die Anstrengungsbereitschaft als auch auf die Mitarbeiterzufriedenheit auswirken und – zumindest tendenziell – das Belastungsempfinden der Mitarbeiter reduzieren können. Des Weiteren konnte bestätigt werden, dass transformationales Führungsverhalten negativ und hoch signifikant mit psychosomatischem Belastungsempfinden korreliert. In diesem Zusammenhang stellt Bauschke – hinsichtlich der Bedeutung transformationaler Führung in der Polizei – fest, dass es ratsam wäre, „[…] auch bei der Polizei transformationale Verhaltensweisen bei Führungskräften zu fördern und durch Führungskräftefortbildungen ein Bewusstsein für situations- und kontextabhängige Anwendungen derselben zu schaffen.“ (2019, S. 88). Trotz der geringen Anzahl an Forschungsarbeiten in der deutschen Polizei zeigen die wenigen empirischen Erkenntnisse, dass die transformationale Führung ein in der Polizei präferiertes Führungsverhalten darstellt und dass diese zudem im polizeilichen Kontext hoch mit den erfassten Führungserfolgskriterien korreliert. Aufgrund der Tatsache, dass hinsichtlich der Wirkung transformationaler Führung in der deutschen Polizei keine umfänglichen Forschungsarbeiten vorliegen sowie des daraus resultierenden Forschungsbedarfs, wird an dieser Stelle auf das Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Program (GLOBE-)Forschungsprogramm verwiesen. In diesem wurden in über 60 Ländern Merkmale herausragender Führung untersucht (Felfe 2005,
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S. 118). Ergebnisse dieses Forschungsprogramms unterstreichen die Relevanz charismatischer und transformationaler Führung als Charakteristika exzellenter Führung in über 60 Nationen, unter welche auch viele europäische Staaten zählen (Felfe et al. 2004, S. 264). In diesem Kontext wird die nicht abwegige Hypothese aufgestellt, dass sowohl die internationalen Erkenntnisse aus dem polizeilichen als auch aus dem allgemeinen Kontext auf die deutsche Polizei übertragbar sind und die transformationale Führung einen Mehrwert hinsichtlich der subjektiven und objektiven Führungserfolgskriterien leisten kann. An dieser Stelle wird deutlich, dass ein hoher Forschungsbedarf bezüglich des Konzepts der transformationalen Führung in der deutschen Polizei vorliegt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die transformationale Führung zu einem Mehrwert führt – abgebildet durch unterschiedliche subjektive und objektive Führungserfolgskriterien – und dementsprechend dem ersten Gütekriterium einer modernen Führungskonzeption in der Polizei entspricht. Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes und empirische Überprüfbarkeit Weiterhin wird von Neidhardt angeführt, dass eine moderne Führungskonzeption den Stand der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigen sowie empirisch überprüfbar sein muss (2017, S. 305). Dass das FRLM den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigt und erfüllt wird daran deutlich, dass das Konzept seit der ersten konzeptionellen Entwicklung fortlaufend weiterentwickelt wurde und weiterführende sowohl theoretische als auch empirische Erkenntnisse implementierte (Harazd und Ophuysen 2011, S. 143; Lang 2014, S. 102). Weiterhin wird die Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes auch daran deutlich, dass die transformationale Führung die jüngere Führungsforschung bis heute nachhaltig geprägt hat (Weibler 2016, S. 339). Weiterhin wird in der Literatur in Teilen angeführt, dass das FRLM die bisher vielversprechendste Führungskonzeption darstellt (Köhn 2010, S. 12). Die empirische Überprüfbarkeit des Konzepts ergibt sich ferner daraus, dass mehrere Messinstrumente (siehe Abschn. 2.2.4) zur Verfügung stehen, die transformationale Führungsverhaltensweisen, respektive alle Führungsverhaltensweisen des FRLM, messen können. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der MLQ zu nennen, da dieser zeitgleich mit dem Konzept der transformationalen Führung entwickelt wurde und ebenfalls fortlaufend – aufgrund theoretischer und empirischer Erkenntnisse und Kritiken – durch die Autoren weiterentwickelt wurde (Felfe 2005, S. 51, 53; Köhn 2010, S. 24–26). Alsdann führten neue faktorenanalytische Forschungsergebnisse sowie theoretische Kritiken fort-
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laufend zu weiteren Revisionen des MLQ (Köhn 2010, S. 26). Die P opularität der transformationalen Führung, respektive des FRLM, führte im Folgenden dazu, dass der MLQ in zahlreiche Länder und Kulturen überführt und in unterschiedliche Sprachen übersetzt wurde (Felfe et al. 2004, S. 272). Für den deutschsprachigen Raum übersetzten und validierten 2002 Felfe und Goihl den MLQ 5X Short (Harazd und Ophuysen 2011, S. 147). In diesem Zusammenhang kann festgehalten werden, dass die deutsche, überarbeitete und ergänzte Version des MLQ 5X von Felfe und Goihl (2002) an zahlreichen Stichproben eingesetzt wurde und die Einschätzungen von über 3.500 Mitarbeitern und Führungskräften bezüglich der direkt vorgesetzten Führungskraft einbezogen werden konnten (Felfe 2005, S. 148). Demzufolge kann festgestellt werden, dass auch im deutschen Setting der MLQ erfolgreich eingesetzt werden kann, um transformationale Führungsverhaltensweisen, respektive alle Führungsverhaltensweisen des FRLM, zu messen. Grundsätzlich ist vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass das Konzept der transformationalen Führung einerseits sowohl den Stand der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigt, als auch andererseits empirisch – vornehmlich durch den MLQ – überprüfbar ist. Demnach entspricht das Konzept der transformationalen Führung, einschließlich dessen Messinstrumente, dem zweiten Gütekriterium einer modernen Führungskonzeption in der Polizei. Bedarf einer normativen Dimension Neidhardt führt außerdem an, dass eine neue Führungskonzeption einer normativen Dimension bedarf, welche der Führungskraft aufzeigt, was diese tun oder unterlassen sollte, um gut zu führen. Daran anknüpfend berücksichtigt diese normative Dimension auch bewährte Führungsinstrumente und -methoden (2017, S. 305). Dabei ist anzuführen, dass das FRLM – wie einleitend in dieser Monografie dargestellt – grundsätzlich aufzeigt, welche Ziele mit den einzelnen Dimensionen der transaktionalen und transformationalen Führung verfolgt werden und welche Einstellungen der Führungskraft dabei notwendig sind. Überdies zeigt das FRLM durch die einzelnen Subdimensionen Mittel auf, wie die jeweilige spezifische Führungsbeziehung ausgestaltet werden kann und welche Führungsverhaltensweisen der Führungskraft grundsätzlich effektiv (IIa, IIb, IM, IS, IC, CR und gegebenenfalls MbEa) und ineffektiv (MbEp und laissez-faire Führung) sind (siehe Abb. 2.4 und 2.5). Auch wird angeführt, dass die effektivsten Führungskräfte sowohl transformationale als auch transaktionale Führungsverhaltensweisen aufzeigen (Weibler 2016, S. 345). Abgrenzend dazu ist anzuführen, dass die transformationale Führung keine klar definierten Zusammenstellungen von Annahmen bietet, wie sich die
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Führungskraft in einer bestimmten Situation zu verhalten hat (im Gegensatz zu der situativen Führung), um erfolgreich zu führen. Sie gibt eher einen allgemeinen Weg des Denkens vor, welcher sich auf Ideale, Innovationen und Inspirationen fokussiert (Northouse 2016, S. 180). Daran anknüpfend führt Weibler an, dass es wünschenswert sei, das Handwerkliche und Alltägliche der Führung, das Instrumentelle, intensiver in das FRLM einzubauen, da der transaktionale Führungsstil in der vorliegenden Form der Führungspraxis nicht vollständig gerecht wird (2016, S. 347). Daraus ergibt sich der Handlungsbedarf, bewährte Führungsinstrumente und -methoden in das theoretische FRLM zu adaptieren, um dessen Praktikabilität zu erhöhen und es somit zu einer geeigneten Führungskonzeption der Polizei zu gestalten. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass das FRLM grundsätzlich dem Gütekriterium einer normativen Dimension entspricht, hier jedoch ein weiterer Anpassungs- beziehungsweise Ergänzungsbedarf vorliegt. Bedarf eines realitätsnahen Führungsverständnisses Alsdann stellt ein realitätsnahes Führungsverständnis ein weiteres Gütekriterium einer modernen Führungskonzeption in der Polizei dar. Eine neue und moderne Führungskonzeption in der Polizei darf daher weder ein heroisches Führungsverständnis noch ein technisch-instrumentelles Versprechen – welches verspricht, dass sofern das Führungskonzept richtig angewendet wird, der Führungserfolg unumgänglich sei – aufweisen. In diesem Zusammenhang sollte eine neue Führungskonzeption der polizeilichen Führungskraft vielmehr verdeutlichen, dass sie per se nicht alles regeln und steuern kann, die spezifische Führungssituation von der indirekten Führung/den formalen und informalen Regeln der Organisation begrenzt oder zumindest beeinflusst wird und ihr Führungshandeln – je nach spezifischer Situation – überflüssig oder gar kontraproduktiv sein kann. In diesem Zusammenhang ist es von Relevanz, einen in der Literatur mitunter angeführten Kritikpunkt am Konzept der transformationalen Führung darzustellen. Dieser Kritikpunkt umfasst die Argumentation einiger Wissenschaftler, dass die transformationale Führung unter einer heroischen Führungstendenz leidet, die zu einer organisationstheoretisch nicht haltbaren, starken Überhöhung der Führungskraft und damit zu einer Überschätzung ihrer Einflussmöglichkeiten bei der Steuerung von sozialen Systemen führt (Lang 2014, S. 113; Northouse 2019, S. 181). In diesem Kontext wird deutlich, dass die transformationale Führung eher zu einem heroischen als zu einem pragmatisch differenzierten Führungsverständnis neigt und sie auch andere relevante Aspekte, die auf die jeweilige Führungssituation einwirken oder sie beeinflussen, außer Acht lässt. Daher kann festgestellt werden, dass das FRLM in seiner grundlegenden Form
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zunächst nicht diesem Gütekriterium entspricht und angepasst werden muss, damit es nachfolgend dieser Anforderung an ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei entspricht. Dahingehend scheint eine Anpassung des vorliegenden Führungsverständnisses notwendig, welches von einem heroischen zu einem postheroischen Führungsverständnis hin entwickelt werden muss. Dieses postheroische Führungsverständnis soll dabei die starke Überhöhung der Führungskraft und die damit einhergehende Überschätzung ihrer Einflussmöglichkeiten bei der Steuerung von sozialen Systemen relativieren und der Führungskraft vielmehr verdeutlichen, dass sie per se nicht alles steuern und regeln kann. In diesem Zusammenhang bedarf es daher eines professionellen Führungspragmatismus, welcher der jeweiligen Führungskraft ein geeignetes Verständnis von Führung in Organisationen und der unmittelbaren Mitarbeiterführung aufzeigt. Dieses Vorverständnis von Führung muss daher das Fundament der eigentlichen Führungsverhaltensweisen bilden, um eine effektive Führung in der Polizei gewährleisten zu können. In diesem Sinne sollte das FRLM, wenn es sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter nicht überfordern und zugleich glaubhaft sein will, lediglich als „Instrumentenkasten“ fungieren, aus dem sich Führungskräfte situations- und problemabhängig bedienen können. Berücksichtigung der (führungsspezifischen) Besonderheiten der Polizei Des Weiteren führt Neidhardt an, dass eine neue Führungskonzeption der Polizei – sofern möglich und sinnvoll – ihren Besonderheiten Rechnung tragen sollte, soweit sich daraus Konsequenzen für die Ausgestaltung der Personalführung ergeben (2017, S. 306). Bezüglich dieser Anforderung erscheint es sinnvoll und notwendig, die theoretischen Annahmen und Aussagen des FRLM mit den skizzierten führungsrelevanten Aspekten der Polizei abzugleichen. Dahingehend wird zunächst deutlich, dass die grundsätzlich starken bürokratischen Strukturen und strikten Vorschriften in Deutschland das Verhalten von Führungskräften sowie die Akkumulation von Macht einschränken (Felfe et al. 2004, S. 272). Ferner wird insbesondere die Führung in der Polizei durch normative Stellgrößen stark beeinträchtigt und bisweilen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, da der gesamte äußere rechtliche Handlungsrahmen der polizeilichen Arbeit sowie der nach innen durch das Dienstrecht stark mitabgesteckte Führungsrahmen ein sehr spezifisches Bedingungsmuster für Führung abbilden. In diesem Zusammenhang kann man für die Führung in der Polizei sagen, dass das Recht in spezifischer Weise den Raum für Führungsmöglichkeiten vorgibt (Kleinschmidt 2017, S. 396).
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Aufgrund der Tatsache, dass das Konzept der transformationalen Führung, respektive das FRLM, ein unspezifisches Führungskonzept ist, erfüllt es nicht das vorliegende Gütekriterium, weswegen das Konzept auf die spezifischen Besonderheiten der Polizei anzupassen ist. Vor diesem Hintergrund scheint insbesondere eine Anpassung der transaktionalen Subdimension CR auf die Besonderheiten der Polizei notwendig. In dieser Subdimension werden unter anderem allgemeine Belohnungs- und Bestrafungsmöglichkeiten wie beispielsweise die Zahlung von Prämien und Gehaltserhöhungen oder Versetzungen und Kündigungen dargestellt, welche der Organisationsrealität der Polizei jedoch nicht gerecht werden, da diese wesentliche beamtenrechtliche Besonderheiten verkennen würden. In der Polizei ist es demnach nur unter erheblichem Aufwand möglich (wenn überhaupt), dauernde dienstliche Schlechtleistungen zu sanktionieren oder besonders herausragende Leistungen zu prämieren (Fittkau 2018, S. 306; Thielmann und Weibler 2014, S. 42). Die stark eingeschränkte Möglichkeit dauernde Schlechtleistungen zu sanktionieren ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass Polizisten nach mehreren Berufsjahren im Allgemeinen Beamte auf Lebenszeit und damit – abgesehen von schweren Verfehlungen – praktisch unkündbar und auch nur unter Schwierigkeiten außerhalb ihrer originären Tätigkeit einzusetzen (aufgrund personalrätlicher Beteiligungsrechte sowie zustimmungsbedürftiger Verfahren) sind. Dadurch wird die im Bereich Führung lerntheoretisch begründbare und immer wieder hervorgehobene Aufforderung, deviantes Verhalten in letzter Konsequenz negativ zu sanktionieren, deutlich eingeschränkt (Thielmann und Weibler 2014, S. 42). Abgrenzend dazu gibt es in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland grundsätzlich die Möglichkeit, Leistungen unabhängig von der Besoldung zu prämieren. Die Einführung und Durchführung dieser Leistungsbesoldung leidet jedoch an Kinderkrankheiten und unter der bürokratischen Handhabung (Thielmann und Weibler 2014, S. 80). Exemplarisch kann diesbezüglich jedoch die Bundesleistungsbesoldungsverordnung angeführt werden, welche Besoldungsempfängern des Bundes die Möglichkeit eröffnet, eine Leistungsprämie, Leistungsstufe oder Leistungszulage zu erhalten. Die starke rechtliche Begrenzung sowie die bürokratische Handhabung der Leistungsbesoldung führen schließlich dazu, dass spürbare, monetäre Belohnungen im öffentlichen Dienst im Allgemeinen als Anerkennung so gut wie keine Rolle spielen und polizeiliche Führungskräfte ihr Augenmerk d eshalb (fast) ausschließlich auf nicht-monetäre Belohnungsaspekte richten müssen (Thielmann und Weibler 2014, S. 80). Diese durch den Gesetzgeber vorgegebene Einschränkung gilt es entsprechend zu berücksichtigen und im Rahmen eines polizeispezifischen FRLM geeignet anzupassen.
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Komplexitätsreduktion sowie gute Lehr- und Lernbarkeit Als weiteres Gütekriterium einer neuen und modernen Führungskonzeption in der Polizei führt Neidhardt die Aspekte der Komplexitätsreduktion sowie der guten Verständlichkeit und Vermittelbarkeit beziehungsweise Lehr- und Lernbarkeit an. Im Kontext der Komplexitätsreduktion zeigt Neidhardt auf, dass es die Kunst einer modernen Führungskonzeption der Polizei sein wird, sich auf das Wesentliche von Führung zu beschränken. Das heißt, aus den relevanten Erkenntnissen, Handlungsempfehlungen und Theorien das zu destillieren, was für ein modernes Grundverständnis von Führung unabdingbar notwendig ist (2017, S. 306). Hinsichtlich der aufgezeigten Anforderung der Komplexitätsreduktion ist anzuführen, dass die Protagonisten des FRLM dieses bewusst als „Full Range of Leadership Model“ bezeichnet haben, da sie mit diesem versuchen, alle relevanten Dimensionen und Komponenten des Phänomens Führung abzubilden und es in ein in sich geschlossenes Führungsmodell überführen (Dörr 2006, S. 21; Harazd und Ophuysen 2011, S. 143 f.; Weibler 2016, S. 342). Die Eingängigkeit dieser neun Subdimensionen sowie der dazugehörigen Einstellungen, Werte und Ziele der Führungskraft führen dabei zu einer guten Verständlichkeit und Vermittelbarkeit des Führungskonzepts. Daraus lässt sich schließen, dass der Aspekt Komplexitätsreduktion dieses Gütekriteriums erfüllt wird. Bezüglich der guten Lehr- und Lernbarkeit ist anzuführen, dass durch das 1991 von Bass und Avolio entwickelte FRLP ferner ein Führungskräftetrainingsprogramm zur Verfügung steht, welches theoretisch begründet und empirisch hinsichtlich seiner Wirksamkeit bestätigt wurde. In diesem Zusammenhang konnte durch verschiedene Pre- und Posttests festgestellt werden, dass Mitarbeiter ihre Führungskräfte, die an einem transformationalen Führungskräftetraining teilgenommen haben, nachträglich transformationaler wahrgenommen haben, als Mitarbeiter deren Führungskräfte in einer Kontrollgruppe ohne Führungskräftetraining waren. Ferner verringerte sich das gezeigte Führungsverhalten der Subdimensionen MbEa und MbEp sowie das Führungsverhalten der Dimension laissez-faire Führung. Zudem wurde festgestellt, dass sich nach dem dreimonatigen Anwendungsintervall alle drei Führungserfolgskriterien des MLQ verbesserten. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass das FRLM einerseits die Komplexität des Phänomens Führung in geeigneter Art und Weise reduziert. Andererseits kann das FRLM ebenfalls in adäquater Form gelehrt und gelernt werden. Das FRLM entspricht somit diesem Gütekriterium einer modernen Führungskonzeption der Polizei.
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Anwendbarkeit auf allen Hierarchieebenen der Organisation Alsdann sollte eine neue und moderne Führungskonzeption der Polizei einen Mehrwert für alle Organisationsmitglieder bieten. Dementsprechend sollte sie sowohl für geführte Mitarbeiter als auch für Führungskräfte gelten – auf allen Ebenen der Organisationshierarchie sowie allen Laufbahnen – und als Orientierungspunkt für eine gute Personalführung in der Polizei dienen. In diesem Kontext ist zunächst anzuführen, dass das Konzept der transformationalen Führung, respektive das FRLM, grundsätzlich die unmittelbare Führungskraft-Mitarbeiter-Interaktion fokussiert und Führungsverhaltensweisen aufzeigt, die geeignet sind, um eine Führungssituation effektiv und erfolgreich zu gestalten. Damit bietet das FRLM allen Organisationsmitgliedern der Polizei einen Mehrwert, da es Spezifika der jeweiligen Hierarchieebene und/oder Laufbahn ausklammert und lediglich aufzeigt, wie eine nachhaltige Führungsbeziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft gelingen kann. Ferner dient das FRLM damit auch als Orientierungspunkt für eine gute Personalführung in der Polizei, da sich alle Organisationsmitglieder auf die Führungsverhaltensweisen und die Ansprüche des Modells beziehen können – Führungskräfte wissen daher, was sie tun müssen und geführte Mitarbeiter wissen, was sie von ihren Führungskräften erwarten können. Ersichtlich ist jedoch, dass die Ansprüche des Modells in operationalisierte Handlungsoptionen übersetzt werden müssen. Diese sollen situationsbezogen, ebenenspezifisch und zeitgemäß sein. Daher ist es noch zu einem späteren Zeitpunkt auszudifferenzieren, welche Führungsverhaltensweisen auf welchen Hierarchieebenen wie genau umgesetzt werden können. Dahingehend kann jedoch auf die praktische Führungserfahrung der polizeilichen Führungskräfte zurückgegriffen werden. Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen Abschließend sollte eine neue und moderne Führungskonzeption der Polizei geeignet sein, den anstehenden Veränderungen der zukünftigen Arbeitswelt sowie den sich daraus ergebenden Konsequenzen erfolgreich zu begegnen. Unter diese fallen unter anderem die zunehmende Komplexität der Arbeitsabläufe/ technologische Veränderungen, Wirtschaftskrisen und Rationalisierungen, Internationalisierung und Globalisierung, flexiblere Organisationsstrukturen, demografische Entwicklung und alternde Belegschaft, Wertewandel, Erwartungen der Mitarbeiter der Generationen Y und Z sowie zunehmende Verkürzungen der Halbwertszeit des Wissens (Regnet 2014, S. 32–36). Die Bedeutung dieses Gütekriteriums wird insbesondere bei der retrospektiven Betrachtung der Veränderungen und Entwicklungen in Abschn. 3.2.2 deutlich. Anknüpfend daran stellt Frevel fest, dass sich auch zukünftig ökonomische,
5.3 Notwendigkeit zur Anpassung des Full Range of Leadership Model
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politische und soziale Umbruchprozesse auf die Polizei auswirken werden und sich diese im Wesentlichen auf vier Bereiche beziehen werden: Veränderte Sicherheitsprobleme, veränderte Sicherheitskultur, veränderte Sicherheitsarchitektur und veränderte Rahmenbedingungen (2013, S. 2 f.). Als Beispiele für gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen kann im polizeilichen Kontext beispielsweise festgestellt werden, dass die Organisation Polizei mit einer stetig komplexer werdenden Kriminalität, neuen Deliktsformen und einer anhaltenden Terrorismusproblematik konfrontiert wird (Campbell 2011, S. 1, 23; Frevel 2013, S. 2). Dies setzt die Fähigkeit der Polizei voraus, sich selbst und ihr Handeln stetig zu reflektieren und zu hinterfragen, um diesen Herausforderungen effektiv gegenübertreten zu können. Diese Prozesse und Entwicklungen führen folglich auch zu neuen Anforderungen an die Führungskräfte einer Organisation. Aufgabe dieser ist es zunehmend, den Wandel und Veränderungen von Strukturen (Organisationsentwicklung) aber auch von Human Resources (Personalentwicklung) aktiv und eigenverantwortlich zu gestalten und die Rolle eines Change Agents zu übernehmen. Vor dem Hintergrund aktueller Führungskonzepte werden diese weitergehenden Anforderungen an die Rolle der Führungskraft beispielsweise mit den Worten Berater, Coach, Teamplayer oder Visionär diskutiert und gefordert (Schreyögg und Noss, 1995 zit. in Felfe 2005, S. 14). Seit Beginn der 1990er Jahre werden in der Führungsforschung exakt in diesem Zusammenhang sowohl Konzepte der charismatischen als auch der transformationalen Führung diskutiert (Felfe 2005, S. 15). Diesbezüglich konstatiert Furtner, dass globale Veränderungen sowie Heraus forderungen in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht für das Interesse an dem Konzept der transformationalen Führung förderlich sind, da dieses insbesondere in unsicheren und instabilen Umwelten seine herausragende Wirkung zeigt (2016, S. 17). Es wird deutlich, dass das Konzept der transformationalen Führung nicht nur gesellschaftliche Veränderungen und ihre Konsequenzen berücksichtigt, sondern es vielmehr auch in diesen seine Stärke hat. Folglich kann festgehalten werden, dass das FRLM diesem Gütekriterium vollumfänglich entspricht.
5.3 Notwendigkeit zur Anpassung des Full Range of Leadership Model Der Abgleich des Konzepts der transformationalen Führung, respektive des FRLM, mit dem hier skizzierten Anforderungsprofil an ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei zeigt zunächst grundsätzlich auf,
Kein Handlungsbedarf Kein Handlungsbedarf Kein Handlungsbedarf
In Teilen erfüllt Nicht erfüllt
Nicht erfüllt
Vollumfänglich erfüllt
Bedarf einer normativen Dimension
Bedarf eines realitätsnahen Führungsverständnisses
Berücksichtigung der (führungsspezifischen) Besonderheiten der Polizei
Komplexitätsreduktion sowie gute Lehr- und Lernbarkeit
Anwendbarkeit auf allen Hierarchieebenen der Vollumfänglich erfüllt Organisation
Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen
Vollumfänglich erfüllt
Kein Handlungsbedarf
Vollumfänglich erfüllt
Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes und empirische Überprüfbarkeit
Berücksichtigung der normativen Stellgrößen, des rechtlichen Rahmens und Anpassung der Subdimensionen, insbesondere Contingent Reward
Relativierung der Höhe der Führungskraft sowie Implementierung von Erkenntnissen über Führungssubstitute sowie über situative Führung
Implementierung bewährter Führungsinstrumente und -methoden
Kein Handlungsbedarf
Vollumfänglich erfüllt
Vermittlung oder Verbesserung von Kompetenzen, die einen Mehrwert bewirken
Handlungsbedarf
Abdeckung durch FRLM
Anforderung
Tab 5.1 Tabellarische Zusammenfassung der Abdeckung der Anforderungen durch das FRLM und Konsequenzen. (Quelle: Eigene Darstellung)
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Literatur
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dass die theoretische Führungskonzeption der transformationalen Führung ein geeignetes und modernes Führungskonzept für die deutsche Polizei darstellt und dieser die Möglichkeit bietet, eine leistungsfähige Organisation mit zufriedenen und motivierten Mitarbeitern zu sein. Ersichtlich ist jedoch, dass bei einer schematischen Anwendung des FRLM in der Polizei zwei unterschiedliche Gefahren bestehen. Einerseits kann es passieren, dass sich das FRLM aufgrund seines stark normativen Appellcharakters zu sehr von den Niederungen der alltäglichen Arbeitsrealität abhebt und somit an Akzeptanz bei Mitarbeitern und Führungskräften einbüßt. Andererseits wird in dem FRLM ein „Führungsheroismus“ suggeriert, der in eine permanente Überforderung verantwortlicher Führungskräfte münden kann. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass eine „1:1“-Übernahme nicht sinnvoll erscheint, da es sich bei dem FRLM um ein theoretisches und unspezifisches Führungskonzept handelt, welches weder ein realitätsnahes Führungsverständnis aufweist noch die (führungsspezifischen) Besonderheiten der Polizei oder bewährte Führungsinstrumente und -methoden berücksichtigt. Dies ist jedoch von Bedeutung, um die Praktikabilität des FRLM für die polizeiliche Führungspraxis sowie eine Akzeptanz bei allen Angehörigen der Organisation zu gewährleisten. Nachfolgend wird in Tab. 5.1 die Abdeckung der Anforderungen an ein modernes Führungsverständnis in der Polizei durch das FRLM, einschließlich der notwendigen Anpassungsbedarfe, tabellarisch zusammengefasst, bevor anschließend in Kap. 6 das auf die Polizei angepasste FRLM dargestellt wird, welches als Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM) bezeichnet wird.
Literatur Bauschke, G. (2019). Der Einfluss von Führungsverhalten auf die Gesundheit von Mitarbeitenden. Eine empirische Untersuchung in der Kriminalpolizei Berlin. Masterarbeit. Münster: Deutsche Hochschule der Polizei in Münster. Campbell, B. L. (2011). Sergeants as leaders: A case study of transformational leadership among first-line supervisors in the police department. Dissertation. New York: St. John Fisher College Dörr, S. (2006). Motive, Einflussstrategien und transformationale Führung als Faktoren effektiver Führung. Dissertation. Bielefeld: Universität Bielefeld. Felfe, J. (2005). Charisma, transformationale Führung und Commitment. Köln: Kölner Studien Verlag. Felfe, J., & Goihl, K. (2002). Deutsche überarbeitete und ergänzte Version des „Multifactor Leadership Questionnaire“ (MLQ). In A. Glöckner-Rist (Hrsg.),
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5 Transformationale Führung als neues …
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Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Zusammenfassung
Der Abgleich des Full Range of Leadership Model mit dem zuvor skizzierten Anforderungsprofil zeigte grundsätzlich auf, dass dieses ein geeignetes und modernes Führungskonzept für die deutsche Polizei darstellt und dieser die Möglichkeit bietet, eine leistungsfähige Organisation mit zufriedenen und motivierten Mitarbeitern zu sein. In diesem Zusammenhang wurde jedoch auch deutlich, dass eine „1:1“-Übernahme nicht sinnvoll erscheint, da es sich bei dem Full Range of Leadership Model um ein theoretisches und unspezifisches Führungskonzept handelt. Vor diesem Hintergrund wird das auf die Polizei angepasste und erweiterte Full Range of Leadership Model dargestellt, welches als Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM) bezeichnet wird. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie eine Führungskraft in der deutschen Polizei die Personalführung im Sinne des Konzepts der transformationalen Führung, respektive des Full Range of Leadership Model, im alltäglichen Dienst gestalten kann. Diesbezüglich liegt der Fokus auf der direkten Führungskraft-Mitarbeiter-Interaktion und vernachlässigt systematisch andere wesentliche Handlungsfelder einer Führungskraft, wie beispielsweise die Entwicklung und Ausrichtung der jeweilig nachgeordneten Organisationseinheit. Ferner wird lediglich aufgezeigt, wie die Führungskraft im dienstlichen Alltag führen kann und berücksichtigt kein Führungsverhalten in besonderen Einsatzlagen. Als theoretische beziehungsweise konzeptionelle Basis des Modells, dem Transformationalen Personalführungsmodell der Polizei (TPFM), dienen grundsätzlich die (Sub-)Dimensionen des Full Range of Leadership Model. Ergänzend © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_6
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
dazu werden jedoch auch bewährte Aspekte (des KFS) implementiert. Darunter zählen unter anderem Aspekte beziehungsweise Erkenntnisse der Systemelemente und Grundannahmen (Kommunikation, positives Menschenbild und Vertrauen) des KFS sowie der situativen Führung und der Substitutionstheorie der Führung. Um die Praktikabilität des TPFM zu erhöhen, werden zum einen die relevanten Besonderheiten der Polizei (beispielsweise eingeschränkte (monetäre) Belohnungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten, hohe Normengebundenheit und bürokratische Strukturen) berücksichtigt und zum anderen bewährte Führungsinstrumente implementiert.
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft Im Rahmen des TPFM wird einleitend beschrieben, welches Vorverständnis von Führung die Führungskraft haben sollte, um effektiv im Sinne des TPFM zu führen. Aus diesem Vorverständnis von Führung bilden sich die Grundannahmen zum TPFM. Diese Grundannahmen setzten sich einerseits aus dem theoretischen Verständnis von Führung in Organisationen (Abschn. 6.1.1) sowie andererseits aus dem Verständnis von unmittelbarer Mitarbeiterführung (Abschn. 6.1.2) zusammen.
6.1.1 Theoretisches Verständnis von Führung in Organisationen Führung hat eine Innen- und eine Außendimension. Sie findet in Organisationen statt, kann aber Aspekte ihrer Umwelt nicht unberücksichtigt lassen. Dies sei an dieser Stelle auch völlig unstrittig. Gleichwohl ist Führung vorrangig organisationsbezogen. Sie darf die am Führungsprozess beteiligten Akteure sowohl moralisch als auch physisch und psychisch nicht überfordern. Ein modernes Verständnis von Führung in Organisationen sollte demnach ein differenziertes Organisationsverständnis aufweisen, einen professionellen Pragmatismus vermitteln und den Adressaten eine gelebte Substitutionsfähigkeit verdeutlichen. 1. Differenziertes Organisationsverständnis Abgrenzend zum KFS und anknüpfend an dessen in Abschn. 3.3.4 dargestellten Schwächen aus heutiger Sicht wird die Organisation der Polizei hier nicht als „Maschine“ verstanden, welche „von oben“ durch die Führungskraft programmiert und gesteuert werden kann (Barthel 2014, S. 8). In diesem
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Sinne stellen Organisationen aus aktueller Sicht vielmehr nicht-triviale, sich selbstorganisierende, soziale und dynamische Systeme dar, deren Verhalten von prinzipiellen Unplanbarkeiten, Unsteuerbarkeiten sowie Unvorhersehbarkeiten geprägt ist (Barthel und Heidemann 2014, S. 75). Formale Programme, Strukturen und Ziele von Organisationen sowie ihre zweckrationale Ausrichtung sind demnach eingebettet in eine lebendige Alltagsorganisation, welche durch informelle Beziehungen, Kommunikation und Strukturen sowie die mikropolitische Verfolgung von Eigeninteressen durch Organisationsmitglieder gekennzeichnet ist (Neidhardt 2017, S. 330). Barthel und Heidemann umschreiben diese lebendige Alltagsorganisation sehr treffend: „Die wirkliche Arena der Führung ist also die Alltagsorganisation mit ihrer eigenwilligen Melange aus informellen und formellen Praktiken.“ (2014, S. 87). In diesem Sinne wird hier dem Verständnis von Barthel und Heidemann gefolgt, welche anführen, dass eine professionelle Führungsarbeit zunächst darin besteht, die Alltagsorganisation zu beobachten und zu verstehen und zwar hinsichtlich ihrer zeitlichen, sozialen und sachlichen Dimension (2014, S. 87 f.). Dies betonen sie nochmals, indem sie darstellen, dass „[..] dieser analytische Blick [..] die entscheidende Grundlage für eine wirksame bzw. gestaltende Führungs- und Entwicklungsarbeit [ist].“ (Barthel und Heidemann 2014, S. 88). Führungsarbeit in diesem Sinne ist daher „[…] ein kontinuierlicher, gleichermaßen kreativer, aber auch scheiternsanfälliger, und das heißt kontingenter Gestaltungsprozess.“ (Barthel und Heidemann 2014, S. 88). Vor diesem Hintergrund sollte eine moderne Führungskraft in der Polizei zum einen ein adäquates Verständnis von den drei Seiten einer Organisation (siehe Abschn. 3.1.2) aufweisen und akzeptieren, dass es eine dreifache Wirklichkeit von Organisationen („offizielle Wirklichkeit“, der von den Mitgliedern zu „praktizierenden Wirklichkeit“ und der faktisch „praktizierten Wirklichkeit“) gibt (Kühl 2011, S. 153). Zum anderen sollte die Führungskraft darüber hinaus die „dreifache Wirklichkeit“ von Organisationen effektiv managen, denn je stärker der Kontrast zwischen „offizieller Wirklichkeit“, der von den Organisationsmitgliedern zu „praktizierenden Wirklichkeit“ und der faktisch „praktizierten Wirklichkeit“ ist, desto lauter werden die intern zu vernehmenden Klagen. In diesem Zusammenhang wird die Kritikrichtung also klar: Führungskräfte in Organisationen und somit auch in der Polizei haben so zu handeln, wie sie reden. Leitbilder, Programme, Visionen und Wertehaltungen müssen, so die vorherrschende Meinung, möglichst eng mit den formalen Entscheidungen und ferner auch noch mit den konkreten Praktiken in der Organisation gekoppelt sein (Kühl 2011, S. 153).
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Zusammenfassend ist es daher im Rahmen des differenzierten Organisationsverständnisses notwendig, dass die Führungskraft zunächst die Organisation „Polizei“ als nicht-triviales, sich selbstorganisierendes, soziales und dynamisches System erfasst, dessen Verhalten in Teilen unplanbar, unsteuerbar und unvorhersehbar ist. In diesem Zusammenhang muss die Führungskraft ferner verstehen, dass in dieser eine dreifache Wirklichkeit von Organisation vorliegt und dass ihre vornehmliche Aufgabe zunächst das effektive Managen dieser dreifachen Wirklichkeit sowie das Beobachten und Verstehen der Alltagsorganisation ist und war in ihrer zeitlichen, sozialen und sachlichen Dimension. 2. Professioneller Pragmatismus Anknüpfend an das differenzierte Organisationsverständnis ist der professionelle Pragmatismus die zweite Grundannahme des theoretischen Verständnisses von Führung in Organisationen. Ein professioneller Pragmatismus ist insbesondere deshalb von Relevanz, da in der Literatur mitunter von einigen Wissenschaftlern argumentiert wird, dass das Konzept der transformationalen Führung – welches als Basis des TPFM dient – unter einer heroischen Führungstendenz leidet, die zu einer organisationstheoretisch nicht haltbaren, starken Überhöhung der Führungskraft und damit zu einer Überschätzung ihrer Einflussmöglichkeiten bei der Steuerung von sozialen Systemen führt (Lang 2014, S. 113; Northouse 2019, S. 181). Dieses heroische Führungsverständnis muss im Folgenden zu einem professionellen Pragmatismus (postheroisches Führungsverständnis) hin entwickelt werden, welcher die starke Überhöhung der Führungskraft und die damit einhergehende Überschätzung ihrer Einflussmöglichkeiten bei der Steuerung von sozialen Systemen relativiert und der Führungskraft vielmehr verdeutlicht, dass sie per se nicht alles steuern und regeln kann. In diesem Zusammenhang ist der Führungskraft zunächst vor Augen zu führen, dass bei der Thematik Führung in Organisationen – wie bereits einleitend in Abschn. 2.1 und 2.1.1 dargestellt – zwischen direkter und indirekter Führung unterschieden wird (Weibler 2016, S. 88–93). Wird im Folgenden das Verhältnis zwischen direkter und indirekter Führung näher betrachtet, wird deutlich, dass dieses Verhältnis durch eine zumindest partielle Austauschbarkeit gekennzeichnet ist. Dies bedeutet: Die indirekte Führung vermag die direkte Führung mehr oder weniger zu ersetzen – und umgekehrt. Das Phänomen Führung ist demnach als eine zweidimensionale Konzeption zu verstehen, da das Verhalten der geführten Mitarbeiter – theoretisch wie praktisch – sowohl direkt (durch die unmittelbare Führungskraft) als auch indirekt (durch Medien entpersonalisierter Führung) beeinflusst wird (Weibler 2016, S. 91). In diesem Kontext führt Kleinschmidt aus, dass insbesondere in der Polizei die direkte Führung durch normative
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Stellgrößen stark beeinträchtigt und bisweilen auch in ihren Möglichkeiten eingeschränkt ist. Dies resultiert daraus, dass der gesamte äußere rechtliche Handlungsrahmen polizeilicher Arbeit sowie der nach innen durch das jeweilige Dienstrecht stark mitabgesteckte Führungsrahmen in der Organisation Polizei ein sehr spezifisches Bedingungsmuster für Führung vorgeben. Demzufolge kann, analog zum Handlungsgrundsatz der Einsatzlehre „das Recht bestimmt die Taktik“, im Bereich der Führungslehre in der Polizei gesagt werden: „Das Recht steckt in spezifischer Weise den Rahmen für Führungsmöglichkeiten ab“ (Kleinschmidt 2017, S. 396). In Anbetracht dieser Darstellungen muss die Führungskraft daher verstehen, dass sie – hinsichtlich der Führung in Organisationen und insbesondere in der Polizei – nicht „allmächtig“ ist und nicht allein durch ihr direktes Führungsverhalten das Verhalten der nachgeordneten Mitarbeiter beeinflusst. Die Kunst der einzelnen Führungskraft besteht demnach darin, pragmatisch zu hinterfragen, was „von alleine läuft“ beziehungsweise was andere für sie bereits erledigen (beispielsweise Personalabteilungen, Stäbe, Behördenleitung) und wo sie – quasi subsidiär – selbst aktiv werden muss. Ergänzend zu diesen Ausführungen kann im Rahmen des professionellen Pragmatismus zudem Barthel und Heidemann zugestimmt werden, da die beiden Autoren ebenfalls ein postheroisches Führungsverständnis verfolgen, indem sie die Meinung vertreten, „[…] dass auch fachlich und sozial kompetente Führungskräfte nicht per se alles steuern und regeln können […].“ (Barthel und Heidemann 2014, S. 91). Auch sehen Barthel und Heidemann hierbei keinen Verzicht auf Führung, sondern fordern lediglich eine andere Form von Führungsprofessionalität: Den kompetenten Umgang mit Nicht-Wissen, Überraschungsoffenheit, Neugier und Möglichkeitssinn; das Erkennen von Handlungsspielräumen in der Auseinandersetzung mit schwierigen, komplexen Situationen; die Erzeugung von Alternativwissen; die Bereitschaft zum kontinuierlichen Lernen; die Fähigkeit „Dranzubleiben“; Ausprobieren und Reflektieren; die Anerkennung bereichsspezifischer Rationalitäten; Fehlermachen als Lernchance; das Einlassen auf unterschiedliche Akteursperspektiven und Aushandlungsprozesse mit den nachgeordneten Mitarbeitern; einen „klugen Inkrementalismus“ als Gestaltungsmodus sowie die Reflexion in der Führungsrolle als Merkmal einer klugen, intelligenten Führung (2014, S. 93 f.; Neidhardt 2017, S. 331). In diesem Zusammenhang wird daher deutlich, dass heutige Führungskräfte verstehen müssen, dass sie einerseits nicht „allmächtig“ sind und dies andererseits aber auch nicht sein müssen. Sie stellen in diesem Kontext vielmehr einen Akteur mit begrenzten Ressourcen dar, welcher – wenn er klug ist – diese
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
öglichst sparsam und differenziert einsetzt. „Allmacht“ und „entgrenzter Aufm opferungswille“ werden von Führungskräften nicht erwartet, vielmehr eine andere, moderne Form von Führungsprofessionalität. 3. Gelebte Substitutionsfähigkeit Abschließend stellt die gelebte Substitutionsfähigkeit die dritte und letzte Grundannahme des theoretischen Verständnisses von Führung in Organisationen dar. Während der professionelle Pragmatismus den Fokus auf die Stellung der Führungskraft (und ihre Einflussmöglichkeiten) in der Organisation legt, fokussiert die gelebte Substitutionsfähigkeit die Rolle der Führungskraft in der spezifischen Führungssituation. Ähnlich der vorherigen Ausführungen ist es bei dieser Grundannahme von Bedeutung, dass die Führungskraft ein Verständnis dafür entwickelt, dass es Konstellationen gibt, in denen direktes Führungsverhalten in Gänze unnötig, weil unwirksam, im extremen Fall gar schädlich sein könnte. Der Ursprung dieser Betrachtungsweise liegt in der Substitutionstheorie der Führung, in deren Mittelpunkt die Behauptung steht, dass Einflussausübungen der direkten Führungskraft unter bestimmten Bedingungen unwirksam oder gar kontraproduktiv sind. Die Theorie beschäftigt sich insoweit mit den Begrenzungen der Wirksamkeit des Führungsverhaltens (Weibler 2016, S. 347). Die Vertreter der Substitutionstheorie der Führung (unter anderem Kerr und Jermier 1978) unterteilen in ihrer Theorie zunächst das Führungsverhalten in eine aufgabenorientierte und eine beziehungsorientierte Dimension. Ergänzend zu diesen Dimensionen bestimmen sie situationale Bedingungen, unter denen das aufgabenorientierte beziehungsweise beziehungsorientierte Führungsverhalten wenig Aussicht auf Erfolg verspricht. In diesem Zusammenhang gehen die Forscher davon aus, dass sich sogenannte Moderatorvariablen zwischen die Beziehung von Führungsverhalten und Führungserfolgskriterien schieben (siehe Abb. 4.1) und damit wie ein Filter wirken, der das Ergebnis des Führungsverhaltens auf ein Führungserfolgskriterium verändert (Weibler 2016, S. 347). Innerhalb der Substitutionstheorie der Führung werden die Moderatorvariablen primär im Sinne einer Substitution oder einer Neutralisation gesehen. Als Substitute lassen sie das jeweilige Führungsverhalten als unnötig, weil redundant oder gar schädlich, erscheinen, besitzen jedoch den gleichen Effekt auf die Führungserfolgskriterien wie das jeweilige Führungsverhalten. In diesem Sinne würde eine Moderatorvariable, der nun die Eigenschaft eines Substituts zukäme, den Effekt, den das jeweilige Führungsverhalten auf das Führungserfolgskriterium bewirkt, komplett selbst hervorrufen. Tritt dieser Moderator im Folgenden nun auf, würde vom zuvor genau definierten Führungsverhalten kein Effekt mehr auf
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159
das Führungserfolgskriterium ausgehen. Im extremen Fall würde sich gegebenenfalls sogar ein negativer Effekt einstellen. Als Neutralisierer bewirken sie, dass das beabsichtigte spezifische Führungsverhalten nicht ausgeübt werden kann oder dass es unwirksam wird und keinen Erklärungsbeitrag für Führungserfolgskriterien mehr besitzt, ohne aber selbst einen identischen Effekt wie das spezifische Führungsverhalten hervorzurufen (Weibler 2016, S. 348). Führungsverhalten und Führungssubstitute
Bezüglich der Substitution eines spezifischen Führungsverhaltens kann beispielsweise der fachkundige Mitarbeiter angeführt werden, der über einen großen Erfahrungs- und Wissensschatz verfügt und die ihm obliegenden Aufgaben optimal allein umsetzen könnte. Dieser könnte jedoch durch die ständigen fachlichen Hinweise seiner direkten Führungskraft so gereizt werden, dass seine grundsätzlich mögliche Leistung verschlechtert wird. Die Moderatorvariable wäre hier die ausgezeichnete Fachkunde des Mitarbeiters. Das aufgabenorientierte Führungsverhalten der unmittelbaren Führungskraft ist in dieser spezifischen Situation kontraproduktiv und schädlich. Bei einem gelasseneren Mitarbeiter würde das gezeigte Führungsverhalten gegebenenfalls dazu führen, dass die Leistung des Mitarbeiters unverändert bliebe. Damit wäre das Führungsverhalten zwar nicht schädlich, jedoch irrelevant, da es keine Wirkung zeigt (Weibler 2016, S. 348). Bezogen auf die Neutralisation eines spezifischen Führungsverhaltens kann beispielsweise die Führungskraft angeführt werden, die in den Augen des Mitarbeiters zentrale Belohnungen (Beförderung, Leistungsprämie) nicht vergeben kann, weil dies von anderen Instanzen abhängig ist. Abgrenzend dazu kann auch ein Mitarbeiter angeführt werden, der über finanzielle Anreize nicht zu motivieren ist. In beiden Fällen scheitern die Möglichkeiten von Führung: Im ersten Fall wirken organisationale Regelungen als Moderator, da sich die Belohnungen nicht im Einflussbereich der Führungskraft befinden. Im zweiten Fall verhindert die Gleichgültigkeit des Mitarbeiters gegenüber organisationalen Belohnungen die Wirkung des Führungsverhaltens, das mit dem Versprechen von Belohnungen versucht, spezifische Verhaltensänderungen zu erreichen (Weibler 2016, S. 349). ◄ Kerr und Jermier (1978) konkretisierten ihre ersten Überlegungen dahingehend, dass sie drei Dimensionen von Führungssituationen bestimmten (Personstruktur, Aufgabenstruktur, Organisationsstruktur), die sich moderierend auf das Führungsverhalten einer Führungskraft auswirken können. Mathews und Kerr erweiterten
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1995 diese ersten Überlegungen. Als besonders bedeutsam gelten hierbei folgende Führungssubstitute, die ebenfalls überblicksartig in Tab. 6.1 gezeigt werden (Kerr und Mathews 1995, Sp. 1026–1031; Weibler 2016, S. 349 f.): 1. Professionelle Orientierung (Personstruktur) Hochqualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter haben oft eine sehr lange und schwierige Qualifikationsphase hinter sich. Sie identifizieren sich dementsprechend in besonderem Maße mit ihrer Aufgabe, sie sind überdurchschnittlich stark intrinsisch motiviert. Für die Aufgabenerfüllung benötigte Informationen und fachlichen Rat holen sich solche Mitarbeiter eher von Fachkollegen als vom Vorgesetzten. Berufsethos und allgemein anerkannte Experten substituieren aufgabenorientierte Führung. 2. Aufgabenzuschnitt (Aufgabenstruktur) Dass einfache repetitive Tätigkeiten (beispielsweise Fließbandarbeit mit konkreter Funktionsbeschreibung und vorherigem Handlungstraining) kaum direkte Führung erfordern, ist schnell einsichtig. Jedoch können auch komplexe und anspruchsvolle Aufgaben (beispielsweise Vorgangsbearbeitung in der Kriminalpolizei) direkte Führung substituieren. Denn herausfordernde, interessante Aufgaben werden tendenziell sehr engagiert angegangen. Ein Zuviel an führungsseitigem „Hineinwirken“ beziehungsweise Regeln hat eine kritische Einschränkung von Freiheitsgraden betroffener Mitarbeiter zur Folge und wird regelmäßig mit Reaktanz und Demotivation beantwortet. Hier werden von Mitarbeitern eher „lange Leine“ und Vertrauen erwartet. 3. Automatisches Leistungs-Feedback (Aufgabenstruktur) Sogenannte Bingo-Tätigkeiten (beispielsweise Recherche-, Reparatur- und Programmiertätigkeiten) machen ein durchgehend bewertendes Verhalten von Führungskräften weitgehend überflüssig. Der Arbeitserfolg wird unmittelbar nach Abschluss der Tätigkeit sichtbar, ohne dass Vorgesetzte es direkt mitbekommen – der Mitarbeiter kann sich selbst korrigieren und an der Ausprägung der eigenen Professionalität arbeiten. 4. Arbeitsgruppen (Organisationsstruktur) Einen Großteil benötigter Informationen holen sich Mitarbeiter von Kollegen. Zudem werden auch Leistungsnormen – sinnhafterweise – überwiegend in Arbeitsgruppen definiert, überwacht und gegebenenfalls Abweichungen sanktioniert. In Abhängigkeit von der Qualität der Teamentwicklung kann Führung zurückgenommen werden. Eine solche Zurücknahme permanenter Einwirkung auf die Arbeitsgruppe entbindet aber nicht von der Pflicht einer moderierenden und beobachtenden Teamentwicklung.
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft
161
Tab. 6.1 Substitute der Führung. (Quelle: Kerr und Mathews 1995, Sp. 1033) Charakteristika
Führt zu Substitution oder Neutralisation von Beziehungsorientierter, Aufgabenorientierter, instrumentaler, arbeitsunterstützender, mitzentrierter Führung arbeiterorientierter Führung
Des Mitarbeiters: 1. Fähigkeit, Erfahrung, Training, Wissen
x
2. Bedarf an Unabhängigkeit
x
x
3. „Professionelle“ Orientierung
x
x
4. Gleichgültigkeit gegenüber organisationalen Belohnungen Der Aufgabe:
x
x
5. Nicht ambitioniert, routinemäßig
x
6. Methodisch invariabel
x
7. Liefert eigenes Feedback bezüglich Durchführung
x
8. Intrinsisch befriedigend der Organisation:
x
9. Formalisierung (klare Pläne, Ziele und Verantwortungsbereiche)
x
10. Inflexibilität (strenge, unbeugsame Regeln und Verfahren)
x
11. Hoch spezialisierte und aktiv beratende Stabsfunktionen
x
12. Eng verbundene, kohäsive Arbeitsgruppen
x
x
13. Organisationale Belohnungen nicht x innerhalb des Einflussbereiches der Führungskraft
x
14. Räumliche Distanz zwischen Führungskraft und Mitarbeitern
x
x
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5. Organisationsentwicklung und Trainingsprogramme Entwicklungs- und Trainingsprogramme vermitteln nicht nur neuartiges Wissen und Fähigkeiten für die eigentliche Aufgabenerfüllung. Sie dienen auch der Vermittlung führungsrelevanter Informationen zu organisationsinternen Erwartungen, Regelungen und Standards. Zugleich tragen sie – wenn sie wirklich professionell durchgeführt werden – zur Motivationssteigerung bei. Sie sind im Sinne transformationaler Führung oft Ausdruck individualisierter Förderung. Zusammenfassend wird in diesem Zusammenhang klar, dass die Führungskraft in ihrem Führungshandeln nicht nur durch die indirekte Führung, respektive die Medien entpersonalisierter Führung, beschränkt wird (professioneller Pragmatismus), sondern auch durch Moderatorvariablen des Mitarbeiters, der Aufgabe und der Organisation. In diesem Kontext muss die Führungskraft verstehen, dass es Konstellationen gibt, in denen ihr Führungsverhalten unnötig oder gar schädlich ist. Dies setzt die Fähigkeit der Führungskraft voraus, adäquat die Charakteristika des Mitarbeiters, der Aufgabe und der Organisation zu analysieren und situationsgerecht das „richtige“ Führungsverhalten anzuwenden.
6.1.2 Verständnis von unmittelbarer Mitarbeiterführung Ein organisationsbezogenes Führungsverständnis, das eine Abgrenzung zu anderen Organisationen versucht (Abschn. 3.1) und Besonderheiten der eigenen Organisation aufgreift (Abschn. 3.2), muss letztendlich in ein konkretes Verständnis von unmittelbarer Führung übersetzt werden. Erst in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Niederungen der täglichen Arbeit, mit den konkreten Problemen, Stärken und Schwächen der Mitarbeiter entscheidet sich, inwieweit Führungsbemühungen eine erhöhte Anstrengungsbereitschaft und Zufriedenheit der Mitarbeiterschaft bewirken und sich die von außen definierten Organisationsziele umsetzen lassen. In diesem Kontext ist ein gewisses Verständnis von unmittelbarer Mitarbeiterführung unerlässlich. Dieses setzt sich im Rahmen des TPFM aus einem positiven Menschenbild und ausgeprägtem Vertrauen, einer kontextabhängigen Kooperation, einer adressatenorientierten Führung sowie einer Ausgewogenheit von transaktionaler und transformationaler Führung zusammen. 1. Positives Menschenbild und ausgeprägtes Vertrauen Menschen tragen im Allgemeinen Bilder beziehungsweise Vorstellungen von dem in sich, was sie selbst als „Mensch“ verstehen, was und wie der Mensch ist und
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft
163
wie er grundsätzlich sein sollte. Menschenbilder geben in diesem Zusammenhang eine Auskunft über die Eigenwahrnehmung sowie das Selbst- und Fremdkonzept von Menschen und schließen Vorstellungen über menschliche Beziehungen sowie über die Stellung von Menschen und Gruppen in der Welt ein. In der Führungslehre wird die Gesamtheit der Annahmen einer Theorie bezüglich Bedürfnissen, Eigenschaften, Einstellungen, Erwartungen und Motiven als Menschenbild bezeichnet (Weibler 2016, S. 36). In Bezug auf die unterschiedlichen Konzepte über Menschenbilder ist der wohl prominenteste Vertreter dualistischer Ansätze, der sich zudem explizit auf den arbeitenden Menschen in Organisationen bezieht, McGregor. Mit seinem simplen und sehr eingängigen Gegensatzpaar Theorie X und Theorie Y weist er auf die Konsequenzen zweier extrem unterschiedlicher Menschenbilder hin. In diesem Zusammenhang geht McGregor grundsätzlich davon aus, dass jede Führungsentscheidung einer Führungskraft auf einer Reihe von Annahmen über die menschliche Natur beruht (Weibler 2016, S. 37). In der Tab. 6.2 sind die wichtigsten Annahmen beider Konzepte ersichtlich. Folgend weist McGregor darauf hin, dass Führungskräfte, die ein der Theorie X entsprechendes Menschenbild haben, eine nicht zutreffende Auffassung von der eigentlichen Natur des Menschen besitzen und folglich Führungsentscheidungen treffen, die Motivationspotenziale bei den geführten Mitarbeitern verschenken können. Führungsentscheidungen, die auf der Theorie X basieren, Tab. 6.2 Theorie X und Theorie Y. (Quelle: Weibler 2016, S. 37) Theorie X
Theorie Y
• Der Mensch hat eine angeborene Abscheu vor der Arbeit und versucht, sie soweit wie möglich zu vermeiden. • Die meisten Menschen müssen kontrolliert, geführt und mit Strafandrohung gezwungen werden, einen produktiven Beitrag zur Erreichung der Organisationsziele zu leisten. • Der Mensch möchte gerne geführt werden, er möchte Verantwortung vermeiden, hat wenig Ehrgeiz und wünscht sich vor allem Sicherheit.
• Der Mensch hat keine angeborene Abneigung gegen Arbeit, im Gegenteil, Arbeit kann eine wichtige Quelle der Zufriedenheit sein. • Wenn der Mensch sich mit den Zielen der Organisation identifiziert, sind externe Kontrollen unnötig; er wird Selbstkontrolle und eigene Initiative entwickeln. • Die wichtigsten Arbeitsanreize sind die Befriedigung von Ich-Bedürfnissen und das Streben nach Selbstverwirklichung. • Der Mensch sucht bei entsprechender Anleitung eigene Verantwortung. Einfallsreichtum und Kreativität sind weit verbreitete Eigenschaften in der arbeitenden Bevölkerung; sie werden jedoch in industriellen Organisationen kaum aktiviert.
164
6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
erhöhen daher die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung reagieren: Denn werden Menschen permanent während ihrer Arbeit überwacht, steigt deren Bedürfnis, sich dieser Überwachung zu entziehen oder aber lediglich das zu leisten, was unmittelbar durch die Führungskraft beobachtbar und damit auch zu überwachen ist. Die Führungskraft, die im Sinne der Theorie X denkt und handelt, wird darin ihr bisheriges Menschenbild bestätigt sehen. Dies führt letztendlich zu einer sich verstärkenden Spirale, die nur noch unter Anstrengungen zu durchbrechen ist. Vor dem Hintergrund dieser Problematik empfiehlt McGregor, dass sich Führungskräfte der meist unbewusst vertretenen Theorie X bewusst werden und durch das in der Theorie Y erläuterte Menschenbild ersetzen sollten (Scholz 2014, S. 289 f.; Weibler 2016, S. 37 f.). Im Kontext dieser theoretischen Darstellungen wird hier die Auffassung vertreten, dass es in der Führung in der Polizei kein Zurück mehr hinter „[…] die Anerkennung und positive Bezugnahme auf den Menschen in seiner Berufs- und Mitgliedschaftsrolle […]“ (Barthel 2010, S. 44) geben kann, weswegen an dem positiven Menschenbild (Theorie Y) von McGregor festgehalten wird. Führungsentscheidungen polizeilicher Führungskräfte sollten daher einem Menschenbild zugrunde liegen, welches daran festhält, dass • Mitarbeiter keine angeborene Abneigung gegen Arbeit haben, sondern in ihr eine wichtige Quelle der Zufriedenheit sehen, • Mitarbeiter sich mit den Zielen der Organisation identifizieren, was dazu führt, dass sie Selbstkontrolle und Eigeninitiative entwickeln und dadurch externe Kontrolle obsolet wird, • Mitarbeiter in der Arbeit Ich-Bedürfnisse befriedigen wollen und nach Selbstverwirklichung streben und • Mitarbeiter nach eigener Verantwortung suchen. Positives Menschenbild und transformationale Führung Ergänzend zu diesen Ausführungen ist das positive Menschenbild insbesondere im Kontext der transformationalen Führung von Bedeutung, da des Öfteren kritisiert wird, dass ein solches Führungsverhalten – aufgrund der Tatsache, dass Werte und Einstellungen geführter Mitarbeiter verändert werden – vermutlich noch stärker als andere Führungsverhaltensweisen für unmoralische Zwecke missbraucht werden kann (Northouse 2016, S. 179; Weibler 2016, S. 347). Im Kontext dieser Problematik prägten Bass und Steidlmeier den Begriff der „pseudo-transformationalen Führung“ (1999, S. 181). Diese Begrifflichkeit wird dabei Führungskräften zugeschrieben, welche egoistisch, ausbeuterisch, machtorientiert und mit schwachen moralischen Werten handeln (Northouse 2016, S. 163). Vor dem Hintergrund dieser Problematik wird die Bedeutung eines positiven Menschenbildes bei Führungskräften aus einer anderen Perspektive ersichtlich: Führungskräfte müssen ein
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optimistisches Menschenbild aufweisen, an den Menschen glauben und davon ausgehen, dass dieser vernünftig ist und selbst hochwertige Motive hat, um selbst altruistisch und ethisch anspruchsvoll handeln zu können.
Anknüpfend an die Grundannahme positives Menschenbild wird hier die Auffassung vertreten, dass ein ausgeprägtes Vertrauen von hoher Bedeutung für die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung und den Führungsprozess im Allgemeinen ist. Doch warum ist gegenseitiges Vertrauen wichtig? Vertrauen ist aus zwei Gründen wichtig: Einerseits kann es keine Motivation bei den Mitarbeitern geben, wenn Vertrauen fehlt. Motivation wird durch Misstrauen verhindert. Vertrauen stellt demnach eine wichtige Voraussetzung dafür dar, dass Motivation überhaupt entstehen kann (Malik 2019, S. 137). Andererseits ist Vertrauen von Relevanz, um eine robuste Führungssituation zu schaffen. Wenn und insoweit es eine Führungskraft geschafft hat, das Vertrauen ihrer Mitarbeiter und Kollegen zu gewinnen und zu erhalten, hat sie etwas sehr Wichtiges erreicht: Sie hat eine robuste Führungssituation geschaffen. Robust meint in diesem Kontext das Gegenteil zu zerbrechlich; belastbar als Gegenstück zu empfindlich. Doch wozu sollte die Führungssituation überhaupt robust sein? Einfach aufgrund der vielen Führungsfehler die jeder Führungskraft, bei allem Bemühen, aller Disziplin und allem Können, immer wieder passieren. Diesbezüglich sollte beachtet werden, dass auch die besten Führungskräfte jeden Tag einige schwere Führungsfehler machen, jedoch ohne es zu wollen und meistens auch, ohne es überhaupt zu bemerken (Malik 2019, S. 137). In diesem Zusammenhang ist die entscheidende Frage also nicht, ob man als Führungskraft Fehler macht oder nicht; sie passieren ganz einfach in der Dynamik des dienstlichen Tagesgeschäfts. Die entscheidende Frage in diesem Kontext ist vielmehr, wie schwer diese Fehler wiegen, ob sie zählen und ob sie sich auswirken oder nicht. Eine Führungssituation, die auf Vertrauen basiert, ist robust genug, um auch Führungsfehler aushalten und verkraften zu können. Die Mitarbeiter werden zwar gelegentlich murren, aber sie wissen dennoch, dass sie sich im Ernstfall auf ihre Führungskraft verlassen können. Auch in Organisationen mit Vertrauen gibt es nicht jeden Tag Anlass zu Jubel und Freude. Es gibt auch dort Konflikte, Missstimmung und Unzufriedenheit; diese zählen jedoch nicht wirklich, solange Vertrauen vorhanden ist (Malik 2019, S. 137). Neben der Frage nach der Bedeutung von Vertrauen in Organisationen stellt sich hingegen insbesondere für Führungskräfte die Frage, wie man Vertrauen überhaupt schafft. Um sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, ist es einfacher zu erklären, wie es geschafft werden kann, das Vertrauen irreparabel zu zerstören. Wenn die eigenen Mitarbeiter immer und ohne Ausnahme
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die „Dummen“ sind und zwar deshalb, weil man als Führungskraft ständig die Spielregeln zu seinem eigenen Vorteil verändert, dann sind Folgen vorprogrammiert: Die guten Mitarbeiter und jene, die Optionen und Möglichkeiten haben, werden die Organisation oder den Organisationsbereich verlassen. Jene, die keine Optionen und Möglichkeiten haben, weil sie beispielsweise aus Altersgründen keine Alternativen haben, gehen in die innere Kündigung. Physisch sind sie dann noch da, aber sie arbeiten nur noch des Geldes und nicht mehr der Aufgabe wegen (Malik 2019, S. 139). Daraus lassen sich vier praktische Regeln ableiten (Malik 2019, S. 139): 1. Fehler der Mitarbeiter sind auch Fehler der Führungskraft – jedenfalls nach außen und nach oben. Führungskräfte können ihre Mitarbeiter nicht ohne Vertrauensverlust ohne Rückendeckung lassen. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu betonen, nach außen und nach oben; nicht nach innen. Wenn Mitarbeiter einen Fehler machen, dann muss ihnen dies gesagt werden und sie müssen diesen korrigieren. Intern kann dies durchaus mit harscher Kritik und gegebenenfalls mit Sanktionen verbunden sein. Nach außen und nach oben muss der Mitarbeiter sich jedoch auf die Loyalität und Unterstützung seiner Führungskraft verlassen können. 2. Fehler der Führungskraft sind Fehler der Führungskraft – ohne Ausnahme. Eine Führungskraft muss die Größe haben, Fehler zuzugeben oder sie muss dies lernen. Dabei kann die Führungskraft durchaus von ihren Mitarbeitern verlangen, dass diese ihr helfen, Fehler zu korrigieren. Sie kann jedoch nicht ihre eigenen Fehler ihren Mitarbeitern in die Schuhe schieben – jedenfalls nicht, ohne die Vertrauensbasis zu beschädigen. 3. Erfolge der Mitarbeiter „gehören“ den Mitarbeitern. Als Führungskraft schmückt man sich nicht mit den Federn anderer. 4. Erfolge der Führungskraft, insofern sie solche alleine haben sollte, kann sie für sich beanspruchen. Die guten Führungskräfte sagen allerdings auch dann noch „wir haben es erreicht“. Ergänzend dazu muss zuhören, wer Vertrauen schaffen will: Führungskräfte haben im Allgemeinen nicht viel Zeit. Aber sie sollten, selbst wenn sie nur zehn Minuten für ihren Mitarbeiter erübrigen können, aufmerksam und konzentriert zuhören. Diesbezüglich können Mitarbeiter durchaus ermahnt werden, sich kurz zu fassen, aber das, was sie mitzuteilen haben und was sie ihrer Führungskraft sagen wollen, kann nicht einfach ignoriert werden, ohne deren Vertrauen zu verlieren (Malik 2019, S. 140). Zudem muss, wer Vertrauen schaffen will, charakterlich integer sein. In diesem Sinne ist Charakter oder vielmehr charakterliche
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft
167
Integrität von Bedeutung. Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit einer Führungskraft müssen dahingehend im Vordergrund stehen. Sowohl Vorgesetzte als auch Kollegen und Mitarbeiter müssen dabei wissen, woran sie bei einer Führungskraft sind und sie müssen sich auf dieses Wissen verlassen können (Malik 2019, S. 144). „Wenn man das ganze Philosophieren zu diesem Thema auf den harten Kern hin untersucht, kommt etwas sehr Einfaches zutage: Man muss meinen, was man sagt – und so handeln. Konsistenz ist entscheidend und Prognostizierbarkeit.“ (Malik 2019, S. 144)
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist jedoch zu betonen, dass kein „blindes Vertrauen“ gemeint ist, da dies schlichtweg naiv wäre. Es mag zwar Situationen im Leben geben, in denen eine Person einem anderen Menschen tatsächlich blind vertrauen muss, weil sie keine andere Wahl hat, aber das kann nicht der Regelfall sein. Was in diesem Sinne gemeint ist, ist gerechtfertigtes Vertrauen, begründetes Vertrauen (Malik 2019, S. 148). Malik schlägt zur Lösung der hier vorliegenden Problematik Folgendes vor: Vertraue jedem Mitarbeiter, soweit du nur kannst – und gehe dabei sehr weit und an deine Grenze. Das ist einerseits die Grundlage und andererseits die Ausgangsbasis. Hinzu kommen jedoch vier wichtige Ergänzungen (Malik 2019, S. 148 f.): • Stelle als Führungskraft sicher, dass du jederzeit erfahren wirst, ab wann dein Vertrauen missbraucht wird, • Stelle als Führungskraft sicher, dass deine Mitarbeiter und Kollegen wissen, dass du von diesem Vertrauensmissbrauch erfahren wirst, • Stelle als Führungskraft sicher, dass jeder Vertrauensmissbrauch gravierende und unausweichliche Folgen hat und • Stelle als Führungskraft sicher, dass deine Mitarbeiter auch dies unmissverständlich wissen. Positives Menschenbild und Prinzipal-Agent-Theorie Mitarbeiter agieren überwiegend unbeaufsichtigt und unabhängig. Zudem ist einer Führungskraft auch nicht vollends bekannt, was ein Mitarbeiter einerseits kann und was er andererseits wirklich will. Nach der Prinzipal-Agent-Theorie (Jensen und Meckling 1976, S. 1–78; Gilardi und Braun 2002, S. 147–161) delegiert der Prinzipal Aufgaben an Agenten, um seine Ziele zu erreichen. Dies muss der Prinzipal tun, da ihm zum einen die Ressourcen fehlen – unter anderem Zeit als auch das notwendige Wissen und Können – und zum anderen die Aufteilung von Arbeit für alle Beteiligten insgesamt den größten Nutzen erbringt. Leider hat diese spezifische Art sozialer Interaktion auch ihre negativen Kehrseiten:
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
• Die Abhängigkeit des Prinzipals vom Agenten Selbst in einer hierarchischen Beziehung (Führungskraft/Mitarbeiter) kann ein Prinzipal nicht von seinem Agenten als willenloses Werkzeug ausgehen. Eine Führungskraft ist nicht in der Lage, den Mitarbeiter vollständig zu kontrollieren, zugleich ist er auf ein gewissenhaftes Agieren des Mitarbeiters angewiesen. • Die Unsicherheit des Prinzipals Regelmäßig besitzt der Prinzipal nicht alle nötigen Informationen, um zu beurteilen, ob der Agent auch wirklich das Richtige und Notwendige tut, um seine Ziele zu verwirklichen. Dem Grunde nach handelt es sich bei der Prinzipal-Agent-Theorie im Wesentlichen um ein Informationsproblem. Beide Seiten (der Prinzipal als auch der Agent) treffen eine Vielzahl von Entscheidungen unter Unsicherheit aufgrund unvollständiger Informationen. Sicher sein können sie sich lediglich in der Annahme, dass die vorgenommenen Handlungen mehr oder weniger eigenorientiert sind. Der Agent besitzt – wenn er rational handeln möchte – ein großes Interesse daran, seine Arbeitsleistungen so weit zu reduzieren, dass sein Arbeitsaufwand so gering wie möglich ist, der Prinzipal aber gerade noch zufrieden gestellt werden kann. Zusätzlich möchte er aber auch seine Bedürfnisse außerhalb der Prinzipal-Agent-Beziehung befriedigen. Der Prinzipal hingegen möchte, dass der Agent so viel wie möglich leistet, damit er seine eigenen Ziele und Bedürfnisse erfüllen kann. Beide riskieren – wenn sie den jeweils anderen quasi nachweislich „betrügen“ – Sanktionen. Die Führungskraft riskiert eine weitgehende Leistungsverweigerung und der Mitarbeiter ein weitgehendes Ignorieren seiner Bedürfnisse außerhalb der Prinzipal-Agent-Beziehung. Die Unterstellung eines Vorgesetzten, dass seine Mitarbeiter über die Wahrnehmung ihrer eigentlichen Interessen hinaus zumindest leichtfertig eine Schädigung der eigenen Arbeitsorganisation in Kauf nehmen, antizipiert ein derart destruktives Verhalten, das eine vertrauensvolle Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung von vornherein fraglich werden lässt. Als Beispiel kann hier eine Verkäufer-Käufer-Beziehung dienen. Wenn der Käufer davon ausgeht, dass der Verkäufer betrügt und der Verkäufer unterstellt, dass der übergebene Scheck nicht gedeckt ist, kann es im Extremfall zum Unterbleiben des Kaufes führen was letztendlich beide schädigt. Damit ein Verkauf stattfinden kann müssen beide „Sicherungsvorkehrungen“ des jeweils anderen akzeptieren (beispielsweise Gewähren einer Garantie). Trotz aller „Sicherungsvorkehrungen“ – es bleibt ein unkalkulierbarer Rest. Auch mit diesem eigentlich nicht kalkulierbaren Rest hat sich in der Führungswissenschaft McGregor in seiner zuvor beschriebenen X- und Y-Theorie beschäftigt (McGregor 1960 zit. in Scholz 2014, S. 289 f.). Wie kann eine Führungskraft mit dieser Situation umgehen? Zum einen kann und muss sie kontrollieren; sie muss jedoch auch, da Kontrolle nicht unbegrenzt möglich ist, darauf vertrauen, dass der Mitarbeiter zwar seine berechtigten Interessen eigennutzenorientiert wahrnimmt, jedoch bei der Wahrnehmung seiner Interessen nicht übertreibt und sowohl die Interessen seines Vorgesetzten als auch der Organisation berücksichtigt. Zudem ist es nicht unplausibel, dass ein negatives Menschenbild des Vorgesetzten vom Mitarbeiter als destruktiv empfunden wird und somit auch destruktiv im Sinne der Prinzipal-Agent-Theorie beantwortet wird. Es kommt zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wer für faul gehalten wird, kann nicht wirklich erkennen, warum er fleißig sein soll.
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft
169
2. Kontextabhängige Kooperation Die Darstellung eines im Alleingang agierenden Polizeivollzugsbeamten, welcher ohne Hilfe komplexe Einsatzlagen bewältigt und komplizierte Kriminalfälle gegen alle Widerstände löst, ist gegebenenfalls für einen spannenden Kriminalroman geeignet, widerspricht jedoch in Gänze der Realität des polizeilichen Alltags. Sowohl die Bewältigung von komplexen Einsatzlagen als auch das Lösen von komplizierten Kriminalfällen ist in der Regel Teamarbeit und häufig nur in Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen, Polizeien, Behörden oder Organisationen möglich. Die Bedeutung der Zusammenarbeit und Kooperation im Berufsbild der Polizei wird ferner anhand einer Vielzahl von Kooperationen erkennbar: Beispielsweise anhand der Zusammenarbeit der Polizeien untereinander, der Zusammenarbeit mit externen Partnern (Bundeszollverwaltung, Feuerwehren, Rettungsdienste, Technisches Hilfswerk), der Bildung von gemeinsamen Ermittlungsgruppen oder anderen Formen der Ermittlungskooperation im repressiven Bereich sowie anhand der Errichtung von internationalen Organisationen und Kooperationen (International Criminal Police Organization (INTERPOL), European Border and Coast Guard Agency (EBCG, auch FRONTEX genannt)). In diesem Zusammenhang lässt sich daher konstatieren, dass das Berufsbild der Polizei grundsätzlich von Teamarbeit und Kooperation geprägt ist; beginnend auf höchster, internationaler strategischer Ebene bis hin zur untersten, operativen Ebene in den einzelnen Polizeidienststellen. In diesem Sinne wird der Gedanke von Barthel und Heidemann aufgegriffen, die in diesem Kontext feststellen, dass dem Kooperationsgedanken in der Polizei weiterhin eine hohe Bedeutung zukommt, da „[…] Führung professioneller Arbeit gar nicht anders als kooperativ funktionieren kann.“ (2017, S. 29). Vor diesem Hintergrund wird hier die Ansicht vertreten, dass die Kooperation eine weitere Grundannahme des TPFM darstellt, da sie immanent in der Polizei und elementar für die polizeiliche (Führungs-)Praxis ist. Ergänzend zu den vorherigen Ausführungen ist diesbezüglich jedoch anzuführen, dass damit nicht „blinde Kooperation“ gemeint ist, da diese unter Umständen nicht zweckdienlich ist und Misstrauen ausdrücken könnte. In diesem Sinne geht es also vielmehr um eine professionelle, kontextabhängige Kooperation, die situationsspezifisch durchgeführt wird. 3. Adressatenorientierte Führung Die dritte Grundannahme im Rahmen des Verständnisses unmittelbarer Mitarbeiterführung ist im TPFM die adressatenorientierte Führung, welche Erkenntnisse der situativen Führung widerspiegelt und für die später genannten
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Handlungsfelder der Führungskraft von Relevanz ist. Die Adaption der Erkenntnisse der situativen Führung in das TPFM rührt daher, dass sich diese einerseits im KFS bewährt haben (siehe Abschn. 3.3.1) und die situative Führung, mit ihren sehr vereinfachenden und dadurch leicht nachvollziehbaren Strukturen, andererseits bis zu einem gewissen Grad deckungsgleich mit den Alltagserfahrungen aus der (polizeilichen) Praxis ist. Paul Hersey und Kenneth Blanchard sind mit ihrem Reifegrad-Modell der Führung indes wohl zwei der prominentesten Vertreter der unterschiedlichen Ansätze situativer Führung. Die beiden Forscher gehen von der Grundüberlegung aus, dass situative Führung auf einem Zusammenspiel von aufgabenorientiertem Führungsverhalten, beziehungsorientiertem Führungsverhalten sowie dem Reifegrad des Geführten beruht (Hersey et al. 1996, S. 208 zit. in Scholz 2014, S. 317 f.; Hersey und Blanchard 1982, S. 150 ff. zit. in Weibler 2016, S. 329). Unter aufgabenorientierter Führung wird in diesem Zusammenhang die Definition der Mitarbeiterrollen durch die vorgesetzte Führungskraft, die Vorgabe von Anordnungen, Regeln, Strukturen, Zeitrahmen und Zielen sowie deren externe Kontrolle verstanden. In Abgrenzung dazu beinhaltet die beziehungsorientierte Führung Aspekte wie Kommunikation, sozio-emotionale Unterstützung und Förderung der Mitarbeiter, Anerkennung von Leistungen sowie Motivation (Weibler 2016, S. 329). Vor dem Hintergrund der Begriffsbestimmung aufgabenorientierter und beziehungsorientierter Führung wird deutlich, dass ein gewisser Grad an Deckungsgleichheit zum Konzept der transformationalen Führung vorliegt. Die aufgabenorientierte Führung spiegelt sich dabei in der transaktionalen Führung wider; die beziehungsorientierte Führung in der transformationalen Führung. Im Folgenden ist der Reifegrad des Mitarbeiters die einzige Situationsvariable des Ansatzes. Sie wird dabei als die Fähigkeit („ability“) und Bereitschaft („willingness“) definiert, eine geforderte Aufgabe eigenverantwortlich zu erfüllen. Diesbezüglich ist es jedoch von Bedeutung, dass sich der jeweilige Reifegrad eines Mitarbeiters stets nur auf eine spezielle Aufgabe bezieht. Die grundsätzliche Fähigkeit zur Aufgabenerfüllung drückt sich in diesem Kontext in der Ausbildung, in dem Wissen sowie in der Arbeitserfahrung des betreffenden Mitarbeiters aus und wird auch „Arbeitsreife“ genannt. Anknüpfend daran wird die Bereitschaft zur Aufgabenerfüllung („psychologische Reife“) als Leistungsmotiv konzipiert, welches auf Selbstverpflichtung gründet (Weibler 2016, S. 329). Da sich der jeweilige Reifegrad eines Mitarbeiters aus einer Kombination dieser beiden Dimensionen zusammensetzt, werden Mitarbeiter von ihrer Führungskraft wie folgt „kategorisiert“ (Hersey und Blanchard 1982, S. 154 zit. in Weibler 2016, S. 329):
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft
171
• Mitarbeiter, die weder Verantwortung übernehmen wollen noch können (M11: niedrige psychologische Reife und geringe Arbeitsreife) • Mitarbeiter, die zwar Verantwortung übernehmen wollen, aber (noch) nicht können (M2: hohe psychologische Reife und geringe Arbeitsreife) • Mitarbeiter, die zwar Verantwortung übernehmen können, aber nicht wollen (M3: hohe Arbeitsreife und geringe psychologische Reife) • Mitarbeiter, die sowohl Verantwortung übernehmen können als auch wollen (M4: hohe Arbeitsreife und hohe psychologische Reife) Alsdann basiert das Reifegrad-Modell der Führung von Hersey und Blanchard auf der Vorstellung, dass Menschen im Laufe ihres (Arbeits-)Lebens grundsätzlich eine natürliche Entwicklung zu größerer Unabhängigkeit und Reife durchlaufen können. Führungskräfte sollen in diesem Zusammenhang in die Lage versetzt werden, den bestehenden Reifegrad eines Mitarbeiters festzustellen, um situationsgerecht führen zu können (Weibler 2016, S. 329). In Abhängigkeit dieses situativen Faktors – dem „Reifegrad des Mitarbeiters“ – soll nun von der Führungskraft ein differenziertes Führungsverhalten gezeigt werden (siehe Abb. 6.1). Diesbezüglich unterscheiden Hersey und Blanchard zwischen vier Führungsverhaltensweisen, welche in unterschiedlichen Gewichtungen a ufgabenund beziehungsorientierte Inhalte aufweisen. Die vier unterschiedlichen Führungsverhaltensweisen können den jeweiligen Reifegraden des Mitarbeiters wie folgt zugeordnet werden (Hersey und Blanchard 1982, S. 153 zit. in Weibler 2016, S. 329 f.): • Telling (S12): Bei niedrigem Reifegrad Da die mangelnde Bereitschaft aus der Unsicherheit hinsichtlich der zu erfüllenden Aufgabe resultiert, ist es die Aufgabe der Führungskraft, genaue Vorgaben zu machen und die Leistung des Mitarbeiters zu kontrollieren. • Selling (S2): Bei niedrigem bis mittlerem Reifegrad Wegen der fehlenden Fähigkeit des Mitarbeiters muss die Führungskraft ausgeprägt direktiv führen, sollte aber dennoch die Bereitschaft und den Enthusiasmus ihres jeweiligen Mitarbeiters durch sozio-emotionale Unterstützung verstärken. • Participating (S3): Bei mittlerem bis hohem Reifegrad
1„M“ 2„S“
steht für „maturity“ (Weibler 2016, S. 329). steht für „style“ (Weibler 2016, S. 329).
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
hoch
Beziehungsorientierung
partizipativer Führungsstil
integrierender Führungsstil
S3
S2 Führungsstil der Führungskraft
S4
S1
Delegationsstil
autoritärer Führungsstil
niedrig niedrig
hoch
Aufgabenorientierung hoch M4
mittel M3
niedrig M2
M1
Aufgabenrelevanter Reifegrad der Mitarbeiter
Abb. 6.1 Reifegrad-Modell der Führung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Hersey et al. 1996, S. 208 zit. in Scholz 2014, S. 318))
Der jeweilige Mitarbeiter ist grundsätzlich fähig, eine Aufgabe selbstständig zu erfüllen, ist aber in Teilen unsicher. In dieser Situation sollte die Führungskraft partizipativ führen und durch aktives Zuhören in Erfahrung bringen, wo der jeweilige Mitarbeiter Schwierigkeiten bei der Aufgabenerfüllung hat sowie durch einen gemeinschaftlichen Ideenaustausch zu gemeinsamen Entscheidungen kommen, um dem Mitarbeiter so den Weg zur Aufgabenerfüllung zu erleichtern. • Delegating (S4): Bei hohem Reifegrad In Anbetracht der hohen Verantwortungsfähigkeit und -bereitschaft des Mitarbeiters kann die Führungskraft Aufgaben vollständig an diesen delegieren. Der Mitarbeiter entscheidet im Folgenden weitgehend selbstständig über die Art und Weise der Aufgabenerledigung. Ergänzend zu den vorherigen Ausführungen hinsichtlich der Gründe für die Adaption der situativen Führung in das TPFM ist ein weiterer Aspekt
6.1 Führungsverständnis der Führungskraft
173
entscheidend: Im theoretischen Diskurs wird mitunter angeführt, dass die transformationale Führung keine klar definierten Zusammenstellungen von Annahmen bietet, wie sich die Führungskraft in einer bestimmten Situation zu verhalten hat, um erfolgreich zu führen (Northouse 2016, S. 180). Abgrenzend dazu zeigt jedoch die situative Führung praxisorientiert auf, wie situationsgerecht adäquat geführt werden kann. Ob und inwiefern das Reifegrad-Modell der Führung dabei der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt zu diskutieren – es thematisiert jedoch im Kern das Richtige. In diesem Zusammenhang wird die Auffassung vertreten, dass eine situative beziehungsweise adressatenorientierte Führung von Bedeutung ist, da Führung ein individueller Prozess ist, in welchem auf jeden einzelnen Mitarbeiter individuell eingegangen werden muss. Führungskräfte müssen diesbezüglich in die Lage versetzt werden, den jeweiligen Adressaten ihres Führungshandelns individuell und auf die jeweilige Aufgabe bezogen zu „analysieren“ und ihr Führungsverhalten, basierend auf dieser Adressatenanalyse, auszurichten. Dieser Prozess der Adressatenanalyse und des „Ummünzens“ von vorliegenden Gegebenheiten in spezifisches Führungsverhalten ist dabei für eine effektive Führung entscheidend, da insbesondere diese Adressatenanalyse grundlegend für viele transaktionale und transformationale Handlungsfelder des TPFM ist. 4. Ausgewogenheit von transaktionaler und transformationaler Führung Die abschließende Grundannahme zum Verständnis von unmittelbarer Mitarbeiterführung ist im TPFM eine Ausgewogenheit von transaktionaler und transformationaler Führung. In diesem Sinne wird den allgemeinen theoretischen Erkenntnissen gefolgt, dass eine effektive transaktionale Führung eine wesentliche Voraussetzung für die transformationale Führung ist und transformationale Führung nicht allein, sondern erst auf Basis der transaktionalen Führung so erfolgreich ist (Furtner und Baldegger 2016, S. 165; Riedelbauch 2011, S. 16). Transformationale Führung addiert sich demzufolge auf die Effektivität der transaktionalen Führung; transformationale Führung ersetzt diese dabei jedoch nicht (Bass 1999, S. 21). Demnach ergibt sich die Annahme, dass die besten Führungskräfte sowohl transaktionale als auch transformationale Führungsverhaltensweisen zeigen (Bass 1999, S. 21). In diesem Zusammenhang sollten Führungskräfte, die im Sinne des TPFM in der Polizei führen wollen, dafür Sorge tragen, dass die nachfolgenden transaktionalen Führungsverhaltensweisen die Grundlage für ihr individuelles Führungsverhalten im dienstlichen Alltag darstellen, da motivierte und leistungsorientierte Mitarbeiter sehr wohl darauf achten, wie beispielsweise mit weniger
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
leistungsorientierten Mitarbeitern umgegangen wird. Tendenzen der Leistungsverweigerung können ansteckend sein. Mitarbeiter müssen sich darauf verlassen können, dass herausragende Leistungen durch die Führungskraft anerkannt und Nicht-Leistungen sanktioniert werden. Anknüpfend daran sollen polizeiliche Führungskräfte auch bewusst transformationale Führungsverhaltensweisen nutzen, da sich die transformationale Führung sowohl auf das Verhaltensspektrum als auch auf die Effektivität der transaktionalen Führung addiert und der Führungskraft mehr Möglichkeiten bietet, effektiv und situativ angepasst richtig zu führen (Furtner und Baldegger 2016, S. 165; Riedelbauch 2011, S. 19). Diese Grundannahme folgt daher auch der theoretisch postulierten und empirisch überprüften Annahme, dass die effektivsten Führungskräfte sowohl transaktionale als auch transformationale Führungsverhaltensweisen zeigen (Campbell und Kodz 2011, S. 4; Weibler 2016, S. 345).
6.1.3 Zusammenfassung zum Führungsverständnis Die klassische Führungslehre bettet die Führungskraft, ihre Mitarbeiter und den Führungserfolg in eine Führungssituation ein, die einerseits durch ein spezifisches Führungsverhalten der Führungskraft, andererseits durch eine rückkoppelnde spezifische soziale Interaktion von Führungskraft und Mitarbeitern geprägt ist (siehe Abb. 2.1). Dabei besteht ein weitgehender Konsens hinsichtlich vier normativer Anforderungen: • Sowohl Führungskraft als auch Mitarbeiter vertreten ein positives Menschenbild und vertrauen dem jeweils anderen, • Beide Parteien erwarten eine adressatengerechte Führung (Führung, die auf die konkreten Bedürfnisse und Leistungsausprägungen von Mitarbeitern abstellt), • Führungskraft sowie Mitarbeiter sind bereit zur kontextabhängigen Kooperation und • Das Führungsverhalten der Führungskraft muss durch eine Ausgewogenheit von transaktionaler und transformationaler Führung geprägt sein. Diesen Blick wollen wir erweitern durch einen übergreifenden organisationalen Blick. Dabei greifen wir weiterführende Überlegungen, insbesondere von Barthel und Heidemann (2014, S. 65–104; 2017, S. 21–58), auf. Ein modernes Führungsverständnis sollte Führungskräfte in der Praxis auch ein Stück weit entlasten,
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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weswegen ein weiterführendes, theoretisches Verständnis unumgänglich ist: Organisationen sind nicht immer rational; auch handeln nicht alle Organisationsmitglieder selbstlos. Mikropolitisches Agieren verschiedener Akteure findet ständig statt und reibt sich mitunter an den offiziellen Vorgaben und Regelungen der Organisation. Ferner wird die Führungskraft im Rahmen ihrer direkten Führung in ihren Einflussmöglichkeiten durch die Organisation eingegrenzt. Weiterhin muss die Führungskraft verstehen, dass auch andere Gegebenheiten dafür sorgen, dass ihr Führungsverhalten nicht erforderlich, in Teilen sogar schädlich sein kann. Aus diesen Gründen wird ein erweitertes Führungsverständnis mit folgenden Aspekten empfohlen: • Differenziertes Organisationsverständnis jenseits offizieller Strukturen und Regelungen, • Professioneller Pragmatismus hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten einer Führungskraft und • Gelebte Substitutionsfähigkeit des spezifischen Führungsverhaltens. Diese Grundannahmen des TPFM wurden im Folgenden mit der allgemeinen Führungssituation der klassischen Führungslehre verknüpft, um ein vollumfänglicheres Bild von Führung im Sinne des TPFM in der Polizei abzubilden (siehe Abb. 6.2).
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft Auf diesen Grundannahmen fußen im Folgenden die Führungsverhaltensweisen der Führungskraft, die im Rahmen des TPFM nicht mehr als Subdimensionen des FRLM, sondern als Handlungsfelder der Führungskraft bezeichnet werden. Diese orientieren sich dabei grundsätzlich, sowohl inhaltlich als auch von der Aufteilung her, an den Subdimensionen des FRLM, weisen jedoch auch Anpassungen und Ergänzungen auf. Aufgrund der Tatsache, dass vorliegend ein Modell skizziert wird, welches im Rahmen seiner normativen Dimension darstellen soll, was gute Führung ausmacht, wird auf die beiden passivsten und ineffektivsten (Sub-)Dimensionen (Management by Exception passive und laissez-faire Führung) des FRLM verzichtet. Weiterhin findet eine sprachliche Anpassung der Handlungsfelder der Führungskraft statt. Diese werden im Folgenden als • Vorbildliches Verhalten, • Anregende Motivation,
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Professioneller Pragmatismus
Führungssituation
Führungsverhalten Führungskraft
Mitarbeiter
Führungserfolg
soziale Interaktion Ausgewogenheit transaktionaler und transformationaler Führung
Gelebte Substitutionsfähigkeit
Kontextabhängige Kooperation
Adressatenorientierte Führung
Positives Menschenbild und ausgeprägtes Vertrauen
Differenziertes Organisationsverständnis
Abb. 6.2 Führungssituation mit Grundannahmen im TPFM. (Quelle: Eigene Darstellung (aufbauend auf Nerdinger 2019, S. 97; Rosenstiel 2014, S. 8; Weibler 2016, S. 27))
• • • •
Intellektuelle Herausforderung, Individuelle Entwicklung und Förderung, Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung sowie Aktive Kontrolle
bezeichnet. Die vier erstgenannten Handlungsfelder bilden dabei die transformationalen Subdimensionen Idealized Influence, Inspirational Motivation, Intellectual Stimulation und Individualized Consideration ab. Die beiden letztgenannten Handlungsfelder stellen dagegen die transaktionalen Subdimensionen Contingent Reward und Management by Exception active dar. Diese sechs Handlungsfelder werden ferner durch das Handlungsfeld Kommunikation ergänzt, da Kommunikation nicht nur essenziell für jede Art der menschlichen Beziehung ist, sondern auch eine Schlüsselrolle in der Gestaltung von Führungsbeziehungen spielt (Thielmann und Weibler 2014, S. 171; Weibler 2016, S. 368). Vor diesem Hintergrund kommt der Kommunikation als Mittel und Medium der Führung eine hohe Bedeutung zu, weswegen sie ein eigenes Handlungsfeld der Führung darstellt.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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Vorbildliches Verhalten
Anregende Motivation
Intellektuelle Herausforderung
Individuelle Entwicklung und Förderung
Transaktionale Führung als wesentliche Vorbedingung der transformationalen Führung
Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung
Aktive Kontrolle
Kommunikation als Mittel und Medium der Führung
Transformationale Führung
Abb. 6.3 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei. (Quelle: Eigene Darstellung)
Das TPFM umfasst im Folgenden insgesamt sieben Handlungsfelder, welche in Abb. 6.3 ersichtlich sind. Anknüpfend an die skizzierten Handlungsfelder des TPFM, die im inhaltlichen Kern den Subdimensionen des FRLM folgen, werden nachfolgend bewährte Führungsinstrumente dargestellt, die die Führungskraft dabei unterstützen, die Führungsbeziehung zu gestalten. Führungsinstrumente können zunächst grundsätzlich als Werkzeuge interpretiert werden, die dazu beitragen sollen, dass Führung nachhaltig gelingt (Weibler 2016, S. 365). Diesbezüglich ist jedoch anzuführen, dass es dabei pauschal nicht möglich ist, Führungsinstrumenten eine allgemeine Wirkung zuzuschreiben und sie nicht das „Allheilmittel“ des Führungserfolgs darstellen (Barthel 2010, S. 46 f.; Weibler 2016, S. 365). Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, warum Führungsinstrumente nun eigentlich wichtig sind und warum diesen eine zentrale Bedeutung zukommen sollte? Dies lässt sich, so Weibler, damit beantworten, „[…] da die Nutzung von Führungsinstrumenten proaktives Führen […] ermöglicht und somit maßgeblich für den Erfolg einer Organisation mitentscheidet.“ (2016, S. 367). Aufgrund der hohen Bedeutung des Einsatzes von Führungsinstrumenten für den Organisationserfolg werden diese im Folgenden mit den Handlungsfeldern der Führungskraft verknüpft, um der Führungskraft die jeweiligen Handlungsfelder besser ausbuchstabieren zu können.
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Zunächst können Führungsinstrumente3 im Allgemeinen in primär und sekundär aktive Führungsinstrumente untergliedert werden. Primär aktive Führungsinstrumente können von der Führungskraft situationsspezifisch und in hohem Maß selbstbestimmt genutzt oder geschaffen werden. Darunter fallen unter anderem: • Führungsgespräche und Kommunikationstechniken, • Konfliktlösungsstrategien, • Anerkennung und Kritik sowie • Sanktionierung (Weibler 2016, S. 366 f.). Sekundär aktive Führungsinstrumente hingegen lassen sich dadurch charakterisieren, dass die Führungskraft in einer konkreten Führungssituation bereits standardisierte, vorgefertigte organisationale Instrumente nutzen kann. Darunter fallen beispielsweise: • Instrumente der Personalentwicklung, • Personalbeurteilungen und formalisierte Mitarbeitergespräche, • Zielvereinbarungen (Management by Objectives) sowie • Betriebliche Anreizsysteme (Weibler 2016, S. 366 f.). In einem weiteren Schritt ist es sinnvoll, die vorliegenden Führungsinstrumente den jeweiligen Handlungsfeldern des TPFM zuzuordnen, um der Führungskraft weitere Gestaltungsmöglichkeiten greifbarer aufzeigen zu können, die Führungsbeziehung zu ihren Mitarbeitern im alltäglichen Dienst zu gestalten. Diese Zuordnung orientiert sich dabei an den grundsätzlichen Gemeinsamkeiten und Inhalten der Handlungsfelder des TPFM sowie der genannten Führungsinstrumente. Dabei wird erkennbar, dass • Die Führungsinstrumente Führungsgespräche und Kommunikationstechniken sowie Konfliktlösungsstrategien dem Handlungsfeld Kommunikation,
3Auf
eine (detaillierte) Darstellung sämtlicher Führungsinstrumente sowie die Einarbeitung aller Führungsinstrumente in das TPFM muss an dieser Stelle verzichtet werden, um die Grenzen dieser Monografie nicht zu überschreiten. Weitere Ausführungen sind beispielsweise Weibler (2016, S. 365–428) zu entnehmen.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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• Die Führungsinstrumente Anerkennung und Kritik, Sanktionierung, Personalbeurteilungen und formalisierte Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen (Management by Objectives) sowie betriebliche Anreizsysteme dem Handlungsfeld Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung und • Das Führungsinstrument Instrumente der Personalentwicklung dem Handlungsfeld individuelle Entwicklung und Förderung zugeordnet werden können. Nachfolgend werden die Handlungsfelder des TPFM durch die Erkenntnisse der Führungsinstrumente erweitert und praktikabler für die Führungskraft in der Polizei gestaltet. Diese werden im Folgenden in prägnanter Form mit ihren charakteristischen Führungsverhaltensweisen skizziert. Ergänzend dazu werden sowohl praktische Umsetzungsmöglichkeiten für die Führungskraft als auch die angenommene Wirkung bei den nachgeordneten Mitarbeitern (positive wie negative Effekte) dargestellt.
6.2.1 Transaktionale Führungsverhaltensweisen Aufgrund der Tatsache, dass eine effektive transaktionale Führung eine wesentliche Voraussetzung für die transformationale Führung ist, werden im Folgenden zunächst die Handlungsfelder der transaktionalen Führung – Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung sowie aktive Kontrolle – skizziert. Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung Das Handlungsfeld „Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung“ spiegelt grundsätzlich die transaktionale Subdimension Contingent Reward wider, welche sich in erster Linie auf einen klassischen Austauschprozess zwischen der Führungskraft und dem jeweiligen Mitarbeiter bezieht. Dieser Austauschprozess durchläuft dabei unterschiedliche Phasen und umfasst zunächst einen gemeinsamen Aushandlungsprozess, in welchem die Führungskraft und der spezifische Mitarbeiter gemeinsam Ziele festlegen und darüber diskutieren, was erforderlich ist (Ressourcen), um diese innerhalb eines festgelegten Zeitraums zu erfüllen (Felfe et al. 2004, S. 266; Furtner und Baldegger 2016, S. 141). Anknüpfend daran werden Aufgaben und Zuständigkeiten der am Führungsprozess beteiligten Personen klar geregelt und es wird festgelegt, welche konkreten Erwartungen an die jeweilige Person gerichtet werden können (Felfe et al. 2004, S. 266). Im Kontext dieses Aushandlungsprozesses werden dem Mitarbeiter ferner zeitgleich entsprechende Belohnungen – die in materieller und/oder immaterieller Form erfolgen können – in Aussicht gestellt, die der Mitarbeiter erhält, sofern er
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
die gesetzten Aufgaben, Erwartungen und Ziele erfüllt und somit die zuvor vereinbarte Leistung erbringt. Abgrenzend dazu erfolgt bei Nichterfüllung der vereinbarten Leistung eine Bestrafung des Mitarbeiters durch die Führungskraft, welche in direkter und indirekter Form erfolgen kann (Felfe 2005, S. 35; Furtner und Baldegger 2016, S. 141; Schmidt 2011, S. 104). Im Allgemeinen geht es demnach bei diesem Führungsverhalten einerseits um eine klare Artikulation von Leistungszielen und -erwartungen sowie andererseits um eine positive oder negative Verstärkung von Zielerreichungsgraden (Riedelbauch 2011, S. 18; Weibler 2016, S. 342). Das Handlungsfeld „Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung“ des TPFM umfasst daher im Kern fünf typische Schlüsselverhaltensweisen der Führungskraft, welche wie folgt lauten: 1. Lege gemeinsam mit deinem Mitarbeiter Ziele fest. 2. Erkläre, wie diese Ziele durch den Mitarbeiter erreicht werden können. 3. Stelle dem Mitarbeiter in Aussicht, welche Belohnung er bei Zielerreichung erhält. 4. Beobachte/Kontrolliere den Fortschritt des Mitarbeiters und gib Rückmeldungen. 5. Belohne oder sanktioniere den Mitarbeiter je nach Zielerreichungsgrad. Diese fünf typischen Schlüsselverhaltensweisen des Handlungsfeldes „Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung“ werden im Folgenden näher dargestellt und erläutert. Die gemeinsame Festlegung von Zielen mit den Mitarbeitern gehört zunächst zu einer der Hauptaufgaben einer Führungskraft. Durch die gemeinsame Festlegung von Zielen erhalten die Mitarbeiter eine Richtung, ihre Aufmerksamkeit wird fokussiert und sie wissen letztendlich, wie viel Anstrengung sie zur Zielerreichung einsetzen müssen (Furtner und Baldegger 2016, S. 166). Die gemeinsame Festlegung von Zielen findet dabei vornehmlich im Rahmen eines formalisierten Mitarbeitergesprächs statt, welches häufig auch als Beurteilungsoder Jahresgespräch bezeichnet wird und im Allgemeinen ein mehr oder minder strukturiertes Gespräch über die Leistungen und das Verhalten des jeweiligen Mitarbeiters innerhalb einer bestimmten Periode darstellt (Weibler 2016, S. 405). Die Ziele eines formalisierten Mitarbeitergesprächs liegen unter anderem in der Erörterung von absolvierten und zukünftigen Aufgaben, der gegenseitigen Information und Erwartungserklärung, der Festlegung von operationalen Zielen (in Form von Leistungs- und Verhaltenskriterien), der (Mitarbeiter-)Motivation
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sowie der Verbesserung der (Mitarbeiter-)Leistung und Zusammenarbeit. Im Idealfall können durch das formalisierte Mitarbeitergespräch die Mitarbeiter und die Organisation bestmöglich aufeinander abgestimmt werden (Weibler 2016, S. 405). Alsdann bildet das formalisierte Mitarbeitergespräch den Rahmen dafür, dass eine Führungskraft mit ihrem Mitarbeiter über ihre eigene Wahrnehmung des jeweiligen Mitarbeiterverhaltens reden kann. Dabei sollte es zu einem partnerschaftlichen Dialog kommen, bei welchem sowohl die Führungskraft als auch der geführte Mitarbeiter für einen konstruktiven Verlauf des Gesprächs, ebenso wie für die Umsetzung des vereinbarten Inhalts, die Verantwortung übernehmen (Weibler 2016, S. 405). Ablauf eines formalisierten Mitarbeitergesprächs Der Verlauf eines formalisierten Mitarbeitergesprächs gliedert sich grundsätzlich in drei Schritte (Nerdinger 2012, S. 159 f. zit. in Weibler 2016, S. 405): • Rückblick (Was war wie?), • Standortbestimmung (Wo steht man wie warum?), • Ausblick (Was soll sein?). Eingangs werden im Gespräch die Leistungsresultate und das gezeigte Verhalten des Mitarbeiters analysiert und es wird kontrolliert, inwiefern die seit des letzten Mitarbeitergesprächs festgelegten Ziele durch diesen erreicht werden konnten. Der Rückblick wird durch die Kombination mit einer vorherigen Zielfestlegung/Zielvereinbarung essenziell erleichtert und somit wird eine sichere Basis für das Mitarbeitergespräch geschaffen (Weibler 2016, S. 405). Die Standortbestimmung ist im Folgenden das Herzstück des formalisierten Mitarbeitergesprächs. In dieser werden sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Mitarbeiters gemeinsam diskutiert und es wird eine Ursachenanalyse über die im Rückblick ausgemachten Geschehnisse vorgenommen. Zur Unterstützung des Gesprächs und zur Erleichterung des Rückblicks und der Standortbestimmung werden im Allgemeinen standardisierte Formulare genutzt, die vor dem eigentlichen Gespräch durch die Führungskraft und den jeweiligen Mitarbeiter getrennt ausgefüllt werden. Ferner schildert der Mitarbeiter in der Standortbestimmung seine Sicht auf die innerbetriebliche Organisation. Dabei nimmt er Stellung zu dem vorliegenden Klima, der Zusammenarbeit mit Kollegen sowie dem Verhältnis zu seinem direkten Vorgesetzten. Darauf aufbauend können im Folgenden Maßnahmen vereinbart werden, die die vorliegende Situation verbessern und potenzielle neue Konflikte verhindern sollen. Insbesondere geht es jedoch darum, die Stärken und Schwächen im Verhalten des Mitarbeiters zu besprechen und konkrete Verbesserungsmöglichkeiten zu thematisieren (Weibler 2016, S. 406). Abschließend ist es wichtig, dass als Ausblick weitere Förderungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie bestimmte sachliche, als auch persönliche Ziele, die in der nächsten Periode erreicht werden sollen, gemeinsam geplant und vereinbart werden (Weibler 2016, S. 406).
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Anknüpfend an die einleitenden Ausführungen zur ersten Schlüsselverhaltensweise ist anzuführen, dass das Führen mit Zielen eine der am frühesten erkannten und auch beschriebenen Führungs- und Managementaufgaben ist, weswegen dieses Grundprinzip als weitestgehend unbestritten gilt (Malik 2019, S. 172). Vor dieser Gewichtung des Führens mit Zielen ist jedoch zunächst zu klären, was Ziele überhaupt sind. Nach Comelli und Rosenstiel lassen sich Ziele „[…] als in der Zukunft liegende Soll-Größen interpretieren, in die ein gegenwärtiges Ist durch angemessenes Handeln zu überführen ist.“ (2009, S. 87 zit. in Weibler 2016, S. 409). Ziele sind daher im Allgemeinen nichts Anderes als zukünftige Zustände, die Leistungs- und Verhaltensgrößen annehmen sollen und diese werden durch die jeweilige Führungskraft unmittelbar aus dem jeweiligen Arbeitskontext abgeleitet. Bei der Festlegung von Zielen geht es im Kern also darum, dass ein existierender Ist-Zustand mit einem angestrebten Soll-Zustand in Zusammenhang gesetzt und dadurch die Gegenwart mit der Zukunft verknüpft wird (Weibler 2016, S. 409 f.). Im Rahmen des Führens mit Zielen werden häufig Zielvereinbarungen getroffen, welche ein anspruchsvolles Führungsinstrument zur Förderung von eigenverantwortlichem Denken und Handeln darstellen (Weibler 2016, S. 406). Unter einer Zielvereinbarung kann im Konkreten die „[…] planerische (gemeinschaftliche) Festlegung der von Mitarbeitern zu erreichenden Arbeitsziele innerhalb eines vorgegebenen bestimmten Zeitraums verstanden werden.“ (Weibler 2016, S. 410). Zielvereinbarung und Management by Objectives (MbO) Mitte der 1950er Jahre wurde mit der Zielvereinbarung, die in der Tradition der Human-Ressourcen-Modelle steht, ein Instrument entwickelt, welches den Versuch unternimmt, Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung integrativ zu verstehen (Carroll und Tosi 1973; Drucker 1954; Odiorne 1965 zit. in Weibler 2016, S. 409). In diesem Kontext soll unternehmerisches Wachstum mit dem Leistungswillen und dem postulierten Streben nach Selbstentfaltung verbunden werden (Humble 1972, S. 7 zit. in Weibler 2016, S. 409). Betriebliche und persönliche Ziele werden in diesem Zusammenhang daher nicht als grundsätzlich konfliktär betrachtet, sondern es wird vielmehr die Möglichkeit gesehen, diese gemeinsam zu verknüpfen und zu optimieren (Weibler 2016, S. 409). Das Führungsinstrument der Zielvereinbarung findet dabei insbesondere im Führungsmodell Management by Objectives in seiner neueren Entwicklung seinen Niederschlag. Als Grundprinzipien dieser heutigen MbO-Konzeption gelten gegenwärtig regelmäßige Zielüberprüfungen und -anpassungen sowie Kontrolle und Beurteilung der Führungsleistung anhand von Soll-Ist-Abgleichen (Wunderer 2011, S. 231 zit. in Weibler 2016, S. 409).
Zielvereinbarungen erfüllen des Weiteren unterschiedliche Funktionen. Diese liegen einerseits in der verbesserten Orientierung des Mitarbeiters über das, was er in der nächsten, festgelegten Periode sowohl fachlich als auch persönlich erreichen sollte.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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Andererseits führen Zielvereinbarungen zu einer erhöhten Motivation des Mitarbeiters, welche sich durch die Partizipation an der Zielfestlegung, der zeitgleichen Definition von Belohnungskriterien und der damit einhergehenden gestiegenen Chance zur Identifikation ergibt. Alsdann führen Zielvereinbarungen zu erhöhten Leistungen der Mitarbeiter, die aufgrund der präzisen Kenntnis des anzustrebenden Ziels erwartet werden (Weibler 2016, S. 410). Um effektiv mit Zielen zu führen, sollte die Führungskraft ferner verschiedene Aspekte beachten. Zunächst sollte die Festlegung von Zielen grundsätzlich gemeinschaftlich und partizipativ zwischen der Führungskraft und dem jeweiligen Mitarbeiter erfolgen (Furtner und Baldegger 2016, S. 166; Weibler 2016, S. 410). Alsdann ist das Führen mit Zielen stets individuell anzuwenden. Dies bedeutet – im Kontext der Ausführungen zur adressatenorientierten Führung in Abschn. 6.1.2 – im Konkreten, dass eine Führungskraft einen erfahrenen, fähigen Mitarbeiter nicht auf die gleiche Weise mit Zielen führen kann und darf, wie einen unerfahrenen, noch nicht fähigen Mitarbeiter (Malik 2019, S. 182 f.). Des Weiteren müssen sich die Führungskraft und der Mitarbeiter bei der Festlegung von Zielen dazu verpflichten, Ziele, wo immer möglich, zu quantifizieren, da diese Quantifizierung unabdingbar für eine spätere Kontrolle und Leistungsbeurteilung ist. Sofern keine Quantifizierung von Zielen möglich ist, ist in jedem Fall stets eine größtmögliche Präzisierung des jeweiligen Ziels anzustreben. In diesem Zusammenhang muss die leitende Frage sein „Woran können wir am Ende der nächsten Periode feststellen, ob wir dem Ziel näher gekommen sind oder nicht?“ (Malik 2019, S. 178 f.). Folgend ist bei der Zielformulierung unbedingt zu berücksichtigen, dass nicht zu viele Ziele formuliert werden (Weibler 2016, S. 410). Die Maxime in diesem Zusammenhang lautet: „Wenige Ziele, dafür aber große – solche, die ins Gewicht fallen, die etwas bedeuten, wenn sie erreicht werden.“ (Malik 2019, S. 177). Ziele sollten daher sowohl anspruchsvoll, spezifisch als auch realistisch formuliert werden und sich grundsätzlich an der SMART-Regel (siehe Tab. 6.3) orientieren (Furtner und Baldegger 2016, S. 166 f.). Abschließend sind die mündlich besprochenen und festgelegten Ziele unbedingt schriftlich niederzulegen, da diese ansonsten anfällig für die Beliebigkeit von Interpretationen zu späteren Zeitpunkten sind (Malik 2019, S. 174 f.). Diesbezüglich ist anzuraten, dass die Ziele jedes Mitarbeiters so präzise wie nur irgend möglich schriftlich dokumentiert werden, da eine schriftliche Dokumentation der Ziele auch eine unabdingbare Voraussetzung für eine spätere Leistungsbeurteilung darstellt (Malik 2019, S. 184). Zusammenfassend wird dabei deutlich, dass eine klare und präzise Festlegung von Zielen Arbeit messbar macht, eine Kontrolle ermöglicht und dem Mitarbeiter Sicherheit und Orientierung bietet.
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Tab. 6.3 Zielsetzung mittels SMART-Ziele. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Furtner und Baldegger 2016, S. 167)) Bedeutung
Beschreibung
Spezifisch
Ziele müssen einfach, präzise und klar definiert werden.
Messbar
Ziele müssen messbar sein. Idealerweise sind sie ergebnisorientiert oder werden in Zahlen angegeben.
Anspruchsvoll
Ziele müssen anspruchsvoll und herausfordernd sein.
Realistisch
Ziele müssen realistisch sein.
Terminiert
Ziele müssen zeitlich genau festgelegt und innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfüllt werden können.
Anknüpfend an diese gemeinschaftliche und partizipative Festlegung der vom Mitarbeiter zu erreichenden Arbeitsziele ist es von Bedeutung, dass die Führungskraft dem Mitarbeiter erklärt, wie er diese Ziele erreichen kann, um ihn bei der Zielerreichung aktiv zu unterstützen. In diesem Zusammenhang artikuliert die Führungskraft ferner ihre hohen Leistungserwartungen an den Mitarbeiter, die diesen zu höherer Leistung und Motivation antreiben (Furtner und Baldegger 2016, S. 166 f.). Zeitgleich soll die Führungskraft, wenn Ziele und Wege zur Zielerreichung feststehen, dem Mitarbeiter in Aussicht stellen, welche Belohnung er bei Zielerreichung erhält (Felfe 2005, S. 35). Dahingehend besteht allgemein die Möglichkeit, auf betriebliche Anreizsysteme zurückzugreifen, die ein formales, organisationsweit gültiges System zur Belohnung von Organisationsmitgliedern darstellen. Elemente eines betrieblichen Anreizsystems können dabei in materielle und immaterielle Anreize differenziert werden (Weibler 2016, S. 418 f.). Als materielles Anreizsystem steht in der Polizei unter anderem die Möglichkeit der Leistungsbesoldung4 zur Verfügung, welche der jeweiligen Polizei die Gelegenheit eröffnet, leistungsstarke Mitarbeiter zu prämieren. Belohnungen in monetärer oder materieller Form können jedoch aufgrund der Rechtsgrundlage und des begrenzten finanziellen Spielraums nur – wenn überhaupt – in einem motivational nicht nennenswerten Umfang erfolgen, weswegen der Fokus primär auf n icht-monetären/immateriellen Belohnungsaspekten liegt
4Diesbezüglich
ermöglicht exemplarisch die Bundesleistungsbesoldungsverordnung auf Bundesebene die materielle/monetäre Belohnung von Mitarbeitern durch Leistungsprämien, Leistungsstufen oder Leistungszulagen.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
185
(Thielmann und Weibler 2014, S. 42, 80). Diesbezüglich ist jedoch festzuhalten, dass es in der Polizei kein organisationsübergreifendes immaterielles Anreizsystem gibt, auf welches zurückgegriffen werden kann. Entsprechend liegt es an der Führungskraft selbst, nicht-monetäre/immaterielle Anreize zu schaffen und die nachgeordneten Mitarbeiter damit zu belohnen. Diese nicht-monetären/ immateriellen Anreize können beispielsweise durch Anerkennung, Lob, positives Feedback, gute Beurteilungen, die zu Beförderungen führen, Karrieremöglichkeiten, eine positive Arbeitsplatzgestaltung, begehrte Fortbildungen, Übertragung besonderer Aufgaben sowie Bevorzugung bei der Dienstplan- und Urlaubsgestaltung umgesetzt werden. Alsdann ist es die Aufgabe der Führungskraft – sobald Ziele, Wege zur Zielerreichung und Belohnung feststehen – den Fortschritt des Mitarbeiters bei der Zielerreichung zu beobachten/kontrollieren und ihm diesbezüglich Rückmeldung zu geben (Furtner und Baldegger 2016, S. 167). Diese typische Schlüsselverhaltensweise der Führungskraft korreliert dabei inhaltlich sehr stark mit dem Handlungsfeld „Aktive Kontrolle“, weswegen eine inhaltlich detaillierte Darstellung erst an einem späteren Punkt erfolgt. Entscheidend im Sinne dieser typischen Schlüsselverhaltensweise ist jedoch, dass die Führungskraft den jeweiligen Mitarbeiter aktiv bei dessen Zielerreichung begleitet und – sofern erforderlich – unterstützt. Abschließend ist es die Aufgabe der Führungskraft im Handlungsfeld „Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung“, den Mitarbeiter nach erfolgter Kontrolle und Feststellung des Zielerreichungsgrads zu belohnen oder zu sanktionieren (Furtner und Baldegger 2016, S. 141, 167). Werden die gemeinschaftlich und partizipativ festgelegten Arbeitsziele des Mitarbeiters erreicht, dann erfolgt die zuvor in Aussicht gestellte Belohnung des Mitarbeiters in Form von materiellen und/oder immateriellen Anreizaspekten. Werden die gemeinschaftlich und partizipativ festgelegten Arbeitsziele des Mitarbeiters jedoch nicht erreicht, erfolgt eine Sanktionierung des Mitarbeiters in Form einer direkten und/ oder indirekten Bestrafung (Furtner und Baldegger 2016, S. 141). Sanktionierung
Im Allgemeinen werden unter Sanktionen Maßnahmen gegen unerwünschtes Verhalten von Mitarbeitern verstanden (Dubs 1995, S. 1868 zit. in Weibler 2016, S. 386). Unter einer Sanktionierung versteht man folgend eine Bestrafung oder einen Entzug von Annehmlichkeiten, die Führungskräfte in Folge eines Fehlverhaltens eines Mitarbeiters oder mehrerer Mitarbeiter anlassbezogen (kontingent) anwenden können (Church 1963 zit. in Weibler 2016, S. 386). Das grundsätzliche Ziel einer Sanktionsmaßnahme ist, die Auftretenswahrscheinlichkeit des unerwünschten Verhaltens des Mitarbeiters zu reduzieren (Butterfield et al. 1996, S. 1479 zit. in Weibler 2016, S. 386).
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Die Sanktionierung ist ein Führungsinstrument, dass insbesondere bei grundlegenden (beispielsweise Abweichungen von zentralen Normen), schwerwiegenden Verstößen (beispielsweise Drogenmissbrauch oder Straftaten) und nicht akzeptierbaren, ergebnisorientierten Verfehlungen eingesetzt wird. Abgrenzend dazu ist die Kritik eher rückmeldend hinsichtlich verschiedener Alltagsaktivitäten zu sehen (Weibler 2016, S. 387). Die Strenge von Sanktionen zeigt sich darin, dass diese in der Regel erst dann durchgeführt werden, wenn andere Maßnahmen, wie beispielsweise ein zuvor erfolgtes Kritikgespräch, keine Wirkung zeigen (Dubs 1995, S. 1869 ff. zit. in Weibler 2016, S. 387). In diesem Sinne wird eine Sanktion deshalb häufig als „letztes Mittel“ gesehen, da es sich dabei im Kern um Maßnahmen wie Versetzungen, finanzielle Konsequenzen, Nichtbeförderungen oder – im Extremfall – um Entlassungen handelt. Ergänzend dazu handelt es sich bei Sanktionen auch um informelle Maßnahmen wie Bloßstellungen, durchgängiger Vertrauensentzug sowie die Streichung von Privilegien (Weibler 2016, S. 387).
Hinsichtlich der tatsächlichen, praktischen Belohnung und Sanktionierung von Mitarbeitern ist an dieser Stelle auf die führungsspezifischen Besonderheiten der Polizei zu verweisen. Wie insbesondere in Abschn. 5.2 dargestellt, wird die Führung in der Polizei durch normative Stellgrößen stark beeinträchtigt und bisweilen in ihren Möglichkeiten sogar eingeschränkt, da der gesamte äußere rechtliche Handlungsrahmen der polizeilichen Arbeit sowie der nach innen durch das Dienstrecht stark mitabgesteckte Führungsrahmen ein sehr spezifisches Bedingungsmuster für Führung abbilden. In diesem Sinne gibt das Recht in spezifischer Weise den Raum für Führungsmöglichkeiten der jeweiligen Führungskraft vor (Kleinschmidt 2017, S. 396). In diesem Zusammenhang ist es in der Polizei demnach nur unter erheblichem Aufwand möglich (wenn überhaupt), dauernde dienstliche Schlechtleistungen zu sanktionieren oder besonders herausragende Leistungen zu prämieren (Fittkau 2018, S. 306; Thielmann und Weibler 2014, S. 42). Dadurch wird einerseits die im Bereich Führung lerntheoretisch begründbare und immer wieder hervorgehobene Aufforderung, deviantes Verhalten in letzter Konsequenz negativ zu sanktionieren, deutlich eingeschränkt (Thielmann und Weibler 2014, S. 42). Andererseits leidet die grundsätzliche Möglichkeit, Leistungen unabhängig von der Besoldung materiell zu prämieren, noch an Kinderkrankheiten sowie unter der bürokratischen Handhabung, was dazu führt, dass Führungskräfte diesbezüglich ebenfalls deutlich in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Spürbare monetäre Belohnungen spielen daher im Allgemeinen als Anerkennung so gut wie keine Rolle, weswegen polizeiliche Führungskräfte ihr Augenmerk (fast) ausschließlich auf nicht-monetäre Belohnungsaspekte richten müssen (Thielmann und Weibler 2014, S. 80). Diese eingeschränkten Belohnungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten sind in Tab. 6.4 zusammenfassend skizziert.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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Tab. 6.4 Belohnungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten in der Polizei. (Quelle: Eigene Darstellung) Belohnung Zielerreichung
Materiell:
Immateriell:
Leistungsbesoldung in Form von Leistungsprämien, Leistungszulagen oder Leistungsstufen
Lob, positives Feedback, Wertschätzung, gute Beurteilungen, die Beförderungen ermöglichen, „Karriere“, positive Arbeitsplatzgestaltung, Übertragung besonderer Aufgaben, besondere Fortbildungsmöglichkeiten sowie Bevorzugung bei der Dienstplanund Urlaubsgestaltung
Sanktionierung Zielverfehlung
Persönliche Kritik sowie Vorenthalt oder Entzug (im-)materieller Belohnung
Vor diesem Hintergrund ist an dieser Stelle insbesondere das Führungsinstrument „Anerkennung und Kritik“ hervorzuheben, welches sowohl in der Theorie als auch in der Praxis stetig an Bedeutung gewonnen hat. Der hohe Stellenwert dieses Führungsinstrumentes wurde dabei einerseits im Rahmen einer Onlineumfrage festgestellt, in welcher 71 % der befragten Führungskräfte angaben, dass die Etablierung einer Feedbackkultur zu den bedeutendsten Anforderungen gehört, die an Führungskräfte gestellt werden. Andererseits ist der hohe Stellenwert damit begründbar, dass die Anerkennung und Kritik selbst wie auch die mit ihr verbundene Zuwendung ganz grundlegende biologische, emotionale und somit menschliche Bedürfnisse befriedigt (Weibler 2016, S. 383). Anerkennung und Kritik werden als Begrifflichkeiten dabei weit ausgelegt und umfassen sämtliche Formen von Verhaltensweisen wie verbale Stellungnahmen (beispielsweise Dank, Lob, Vorwurf), die Nutzung von Mimik (beispielsweise Stirnrunzeln) und Gestik (beispielsweise auf die Schulter klopfen, Abwinken) oder weitere Handlungen (beispielsweise Gewährung einer Gehaltserhöhung, Vorschlag zur Beförderung). Wichtig für den Status als Führungsinstrument ist die eindeutige Zuordnung zu einem spezifischen Anlass – sei es ein Ergebnis, ein Ereignis oder ein Verhalten. Der Einsatz dieses Führungsinstrumentes erfolgt daher stets situationsbezogen (Rettler und Göll 2010, S. 22 zit. in Weibler 2016, S. 383). Angemessen angewandt kann dieses transaktionale, austauschorientierte Führungsverhalten die Führungsaufgabe der Führungskraft ganz deutlich
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
erleichtern und sowohl zu einer erhöhten Mitarbeiterleistung als auch zu einer erhöhten Mitarbeiterzufriedenheit beitragen (Weibler 2016, S. 383). Das Führungsinstrument „Anerkennung und Kritik“ erfüllt dabei des Weiteren unterschiedliche Funktionen. Neben einer Informations-, Lern- und sozialen Funktionen erfüllt dieses Führungsinstrument insbesondere eine Orientierungssowie Motivationsfunktion (Kossbiel 1996, S. 25 zit. in Weibler 2016, S. 383; Weibler 2016, S. 383 f.). Hinsichtlich der Orientierungsfunktion ist dabei anzuführen, dass im Allgemeinen anerkennende oder kritische Verhaltensäußerungen von Führungskräften den Mitarbeitern eine Vorstellung darüber geben, wie ihr Verhalten eingeschätzt wird. Daraus gewinnen die geführten Mitarbeiter Anhaltspunkte und Erkenntnisse, wie sie sich zukünftig verhalten sollten. Bezüglich der Motivationsfunktion ist anzuführen, dass Menschen im Allgemeinen nach Anerkennung streben und sich nur ungern Kritik ausgesetzt sehen. Dies führt schließlich dazu, dass sowohl anerkennende als auch kritische Verhaltensäußerungen der Führungskraft den geführten Mitarbeiter beeinflussen und auch motivieren, sein Verhalten letztlich zu ändern (Weibler 2016, S. 384). Hinsichtlich der Wirksamkeit von Anerkennung und Kritik ist zunächst anzuführen, dass dieses Werkzeug grundsätzlich eine hohe Anwendungskompetenz sowie einen überlegten Einsatz erfordert (Weibler 2016, S. 384 f.). Anerkennung und Kritik sind in diesem Zusammenhang vermutlich nur dann erfolgreich, wenn ihre Anwendung von der Führungskraft aus einer Haltung der Selbstachtung und eines „gesunden“ Selbstwertgefühls heraus erfolgt (Retter und Göll 2010, S. 22 zit. in Weibler 2016, S. 385). Ferner ist zu bedenken, dass dieses Führungsinstrument in der Praxis auch von anderen Faktoren als dem spezifischen Ereignis mit geprägt wird (Kossbiel 1995, S. 23 zit. in Weibler 2016, S. 385). Dabei sind unter anderem das jeweilige Menschenbild der Führungskraft, die Person des Adressaten (Alter, Geschlecht, persönliche Wertschätzung, Status, Vorerfahrungen) sowie kulturelle Gegebenheiten und Standards der Situation anzuführen (Weibler 2016, . 385). Alsdann muss berücksichtigt werden, dass die Wirkungen von Anerkennung und Kritik von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen können, da der Empfänger die Definitionsmacht darüber hat. Dies führt dazu, dass für einen wirksamen Einsatz von Anerkennung und Kritik als Führungsinstrument neben grundlegenden motivationspsychologischen Fertigkeiten vor allem auch ein spezifisches Wissen über den jeweilig geführten Mitarbeiter notwendig ist, da die Führungskraft ansonsten keine differenzierte Führungsleistung erbringen kann (Weibler 2016, S. 385). Sodann ist eine weitere entscheidende Voraussetzung für eine zielgerichtete Wirksamkeit von Anerkennung und Kritik die Verlässlichkeit des Führungsverhaltens der Führungskraft. Ein unkalkulierbares Verhalten der Führungskraft führt in diesem
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
189
Zusammenhang zu negativen Effekten, da der geführte Mitarbeiter nicht in der Lage ist, eindeutige Erwartungen der Führungskraft zu identifizieren und das eigene Verhalten daraufhin auszurichten, da die Reaktion der Führungskraft auf identisches Geführtenverhalten nicht konsistent ist. Berechenbarkeit stellt vor diesem Hintergrund daher eine erfolgskritische Größe dar (Weibler 2016, S. 385). Abschließend ist zu beachten, dass der effiziente Einsatz von Anerkennung und Kritik unterschiedliche, einzuhaltende Anforderungsregeln erforderlich macht. Dieser Umstand wird vornehmlich erkennbar, wenn auf verbale Äußerungen von Anerkennung und Kritik im Rahmen von Anerkennungs- und Kritikgesprächen abgestellt wird. Äußern Führungskräfte Anerkennung verbal, so sollten insbesondere folgend genannte Aspekte besonders berücksichtigt werden (Comelli und Rosenstiel 2009, S. 96 ff. zit. in Weibler 2016, S. 385 f.): • Anerkennung sollte von der unmittelbar vorgesetzten Führungskraft geäußert werden, da diese aufgrund ihres direkten Kontakts zum geführten Mitarbeiter das gezeigte Verhalten besser bewerten kann. • Anerkennung sollte sich auf konkrete Ereignisse (Ergebnisse, Verhaltensweisen) des geführten Mitarbeiters beziehen und nicht auf dessen Charakterzüge. • Anerkennung des Verhaltens eines einzelnen geführten Mitarbeiters sollte in der Regel unter vier Augen geäußert werden; Anerkennung des Verhaltens von Gruppen sollte dagegen in der Gruppe geäußert werden. • Anerkennung sollte ausdrücklich ausgesprochen werden, wobei die Art und Weise sowie Wortwahl nach dem jeweiligen Anlass auszurichten ist. • Anerkennung sollte – sofern möglich – unmittelbar nach dem erwünschten und damit anzuerkennenden Ereignis geäußert werden. • Kontinuierliche Anerkennung des Verhaltens eines geführten Mitarbeiters sollte langfristig durch weitere Formen der Anerkennung durch die Führungskraft untermauert werden. Greifen Führungskräfte hingegen auf das Führungsinstrument der Kritik zurück und äußern diese verbal, so sollten insbesondere folgende Regeln berücksichtigt werden (Comelli und Rosenstiel 2009, S. 98 ff. zit. in Weibler 2016, S. 386): • Kritik sollte von der unmittelbar vorgesetzten Führungskraft geäußert werden, wobei auf konkrete und von der Führungskraft beobachtbare Sachverhalte abzustellen ist und nicht auf spezifische Persönlichkeitsmerkmale des jeweiligen geführten Mitarbeiters.
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• Kritik ist schwerer zu äußern als Anerkennung, weswegen der Einsatz von Kritik als Führungsinstrument sorgfältig geplant und vorbereitet werden sollte. • Ein Kritikgespräch sollte ungestört und in der Regel unter vier Augen stattfinden, wobei je nach Art und Umfang des zu kritisierenden Verhaltens auch Zwischenformen vor den Augen Dritter möglich sind. • Etwaige negative Emotionen der Führungskraft, die die Übermittlung der Kritik stören könnten, sollten keine Rolle spielen. • Ein Kritikgespräch sollte konstruktiv enden, um damit eine gemeinsame Grundlage für ein zukünftiges Verhalten zu schaffen (Was ist zukünftig anders zu machen? Wie geht es zukünftig besser?). Betrachtet man den Einsatz von Anerkennung und Kritik mit Blick auf die Geführten konkreter, wird ein wesentlicher Unterschied dieser beiden Werkzeuge erkennbar. Während Anerkennung dem geführten Mitarbeiter die richtige Richtung signalisiert, zeigt Kritik hingegen gegebenenfalls nur die falsche Richtung auf. Im Kontext dieser Problematik ist daher bei der Äußerung von Kritik unbedingt darauf zu achten, dass diese begründet wird und schließlich auch spezifische Handlungsalternativen für den jeweiligen Mitarbeiter aufgezeigt werden. Erst dann kann auch von einer konstruktiven Kritik gesprochen werden. Sofern diese Aspekte unterbleiben, wird nach der Äußerung von Kritik keine Verhaltensänderung möglich, da dem geführten Mitarbeiter nicht verdeutlicht worden ist, in welche Richtung dieser gehen soll (Weibler 2016, S. 386). Sofern eine Führungskraft die im Handlungsfeld „Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung“ typischen fünf Schlüsselverhaltensweisen zeigt, ist anzunehmen, dass diese Führungsverhaltensweisen unterschiedliche positive Wirkungen entfalten. Konsequenzen dieser Führungsverhaltensweisen zeigen sich unter anderem in der Reduzierung von Rollenunklarheiten; einer verbesserten Orientierung der Mitarbeiter über das, was in der nächsten Periode fachlich wie persönlich erreicht werden sollte; der erhöhten Leistung, die aufgrund der präzisen Kenntnis des Anzustrebenden erwartet wird; der erhöhten Motivation des Mitarbeiters, die sich durch die Mitbeteiligung an der Zielfestlegung ergibt sowie der erhöhten Anstrengungsbereitschaft der geführten Mitarbeiter (Furtner und Baldegger 2016, S. 166; Riedelbauch 2011, S. 18; Weibler 2016, S. 383, 410).
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Zusammenfassung: Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung
Charakteristische Führungsverhaltensweisen: • Gemeinsame, partizipative und individualisierte Zielfestlegung mit jedem Mitarbeiter. • Darstellung, wie festgelegte Ziele erreicht werden können. • In Aussicht stellen von Belohnungen, die der Mitarbeiter erhält, wenn Ziele erreicht werden. • Beobachtung/Kontrolle des Fortschritts eines jeden Mitarbeiters sowie diesbezügliches Feedback. • Belohnung oder Sanktionierung des Mitarbeiters je nach Zielerreichungsgrad. Angenommene Wirkung bei den geführten Mitarbeitern: • Reduzierung von Rollenunklarheiten. • Verbesserte Orientierung über das, was anzustreben ist. • Erhöhte Leistungen aufgrund der Kenntnis des Anzustrebenden. • Erhöhte Motivation aufgrund der Beteiligung am Zielvereinbarungsprozess. • Erhöhte Anstrengungsbereitschaft. Kontrollfragen für die Führungskraft: • Mache ich deutlich, wer für bestimmte Leistungen verantwortlich ist? • Weiß mein Mitarbeiter, was dieser fachlich sowie persönlich in der nächsten Periode erreichen soll? • Spreche ich klar aus, was mein Mitarbeiter erwarten kann, wenn er die gesteckten Ziele erreicht? • Beobachte und begleite ich aktiv meinen Mitarbeiter bei dessen Zielerreichung und gebe ihm diesbezüglich Feedback? • Belohne oder sanktioniere ich meinen Mitarbeiter – je nach Zielerreichungsgrad – adäquat?
Aktive Kontrolle Wenn man an der Qualität von Führung interessiert ist, kann man nicht mit gutem Gewissen von der Führungsaufgabe Kontrolle abraten. Ob man kontrollieren soll
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oder nicht, darf demnach nicht zur Diskussion gestellt werden. Wie man hingegen am besten kontrolliert, das ist selbstverständlich ein Thema und sollte diskutiert werden (Malik 2019, S. 224). Die Grundlage der Führungsaufgabe Kontrolle muss dabei Vertrauen sein, vor allem und zuerst in zwei Dingen: Einerseits in die Leistungsfähigkeit der Menschen und andererseits in ihre grundsätzliche Leistungsbereitschaft. Wenn eine Führungskraft nicht einmal darauf vertrauen kann, dass diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, dann hat man kein Kontrollproblem, sondern ein ganz anderes, möglicherweise ein Stellenbesetzungs- oder Personalproblem (Malik 2019, S. 226). Anknüpfend an die Ausführungen zu Vertrauen in Abschn. 6.1.2 sind hier nochmals die wichtigsten Aspekte im Zusammenhang mit Kontrolle in Erinnerung zu rufen: Zunächst sollte man vertrauen und zwar soweit man nur kann, wenn möglich sogar über jene Grenze hinaus, die einem gefühlsmäßig leichtfällt. Dabei muss man aber sicherstellen, dass man dahinterkommt, ob und wenn das Vertrauen durch jemanden missbraucht wird. Ferner muss man diesbezüglich sicherstellen, dass die Mitarbeiter und Kollegen wissen, dass man dahinterkommen wird und dass dies schwerwiegende und nicht verhandelbare Folgen haben wird (Malik 2019, S. 226). Das Handlungsfeld „Aktive Kontrolle“ spiegelt dabei grundsätzlich die transaktionale Subdimension Management by Exception active wider, welche sich dadurch auszeichnet, dass Führungskräfte darüber wachen, dass Abläufe und Vorgänge reibungslos und fehlerfrei verlaufen. Sie nehmen dabei die Rolle eines „Monitors“ ein, welcher die Prozessabläufe fortwährend im Hinblick auf Abweichungen, Ausnahmen und Fehler kontrolliert und im Bedarfsfall aktiv und korrigierend eingreift (Bass und Riggio 2006, S. 8; Dörr 2006, S. 26; Felfe 2005, S. 35; Furtner und Baldegger 2016, S. 168). Dieses Handlungsfeld der Führungskraft kann dabei in zwei grundsätzliche Richtungen differenziert werden: Einerseits die aktive Beobachtung der Arbeit und Verhaltensweisen der Mitarbeiter sowie andererseits die Fokussierung auf und die aktive Verfolgung von Abweichungen, Fehlern und Verstößen (Furtner und Baldegger 2016, S. 169; Köhn 2010, S. 19 f.; Riedelbauch 2011, S. 17 f.). Ferner ist dieses Führungsverhalten besonders effektiv, wenn erfahrene und fähige Mitarbeiter in klaren Strukturen operieren und bekannte Prozesse oder standardisierte Aufgaben ausführen (Schmidt 2011, S. 105). Überdies kann diese Form der Führung in Gefahrensituationen, respektive in Situationen, in denen höchste Sicherheit geboten ist, sehr effektiv sein (Bass und Riggio 2006, S. 8; Furtner und Baldegger 2016, S. 166; Köhn 2010, 19 f.). Neben der allgemeinen Bedeutung von Kontrolle im Führungsprozess, welche einleitend dargestellt wurde, ist dieses Führungsverhalten insbesondere
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aus zwei weiteren Gründen in der Polizei notwendig: Zum einen ist das polizeiliche Handeln besonders stark durch Rechtsvorschriften, dienstliche und formale Regelungen entsprechend der Prinzipien rationaler bürokratischer Organisationen differenziert (Neidhardt 2017, S. 325). Dies macht es notwendig, dass die Führungskraft in der Polizei die Einhaltung dieser bürokratischen Prinzipien fortlaufend überwacht und gegebenenfalls bei Abweichungen korrigierend eingreift. Zum anderen ist diesbezüglich anzuführen, dass dieses Führungsverhalten in Gefahrensituationen, respektive Situationen, in denen höchste Sicherheit geboten ist, sehr effektiv sein kann (Bass und Riggio 2006, S. 8; Furtner und Baldegger 2016, S. 166), weswegen es – aufgrund der Natur der Polizeiarbeit – im Rahmen des TPFM berücksichtigt wird. Das Handlungsfeld „Aktive Kontrolle“ des TPFM umfasst daher im Kern vier typische Schlüsselverhaltensweisen der Führungskraft, welche wie folgt lauten: 1. Kontrolliere aktiv und genau die Arbeit und Verhaltensweisen der Geführten. 2. Lege deinen Fokus auf Abweichungen, Fehler, Versäumnisse und Verstöße. 3. Antizipiere, wann und wie Fehler entstehen und Probleme auftreten können. 4. Verfolge alle Fehler konsequent. Diese vier typischen Schlüsselverhaltensweisen des Handlungsfeldes „Aktive Kontrolle“ werden nachfolgend detaillierter dargestellt und erläutert. Im Rahmen dieses Handlungsfeldes muss die Führungskraft zunächst aktiv und genau die Arbeit und Verhaltensweisen der geführten Mitarbeiter kontrollieren. Die Kontrolle ist dabei ein Instrument der Führungskraft, um Abweichungen von den gemeinsam und partizipativ festgelegten Arbeitszielen des Mitarbeiters festzustellen. Im Allgemeinen findet daher bei einer Kontrolle ein Soll-Ist-Abgleich statt. In diesem Kontext wird die Bedeutung einer effektiven Zielsetzung deutlich, da diese die Grundlage für eine effektive Kontrolle bildet. Kontrolle ohne vorherige gemeinsame und partizipative Zielfestlegung entbehrt jeder Grundlage. Kontrolle ist in diesem Zusammenhang dort problemlos, wo und solange gemessen werden kann, also präzise und quantifizierbare Arbeitsziele des Mitarbeiters vorliegen. Sie wird hingegen dort schwierig, wo nicht im üblichen Sinne gemessen werden kann. Im Kontext dieser Problematik darf jedoch nicht auf Kontrolle über den quantifizierbaren Bereich – frei nach dem Motto „Was man nicht messen kann, kann man nicht kontrollieren.“ – hinaus verzichtet werden. Denn insbesondere dann, wenn durch eine Führungskraft nicht mehr gemessen werden kann, muss durch sie kontrolliert werden, aber mittels Beurteilen und letztlich durch Urteilen (Malik 2019, S. 234).
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Damit Kontrolle als unverzichtbare Hilfe im Führungsprozess anerkannt wird und keine Angst unter den Mitarbeitern verbreitet, muss sie nach einem transparenten System und in Stichproben erfolgen (Grundl und Schäfer 2018, S. 39 f.; Malik 2019, S. 228). Beispielsweise kann die Führungskraft die Kompetenz des Mitarbeiters durch schriftliche Berichte kontrollieren, die dieser regelmäßig verfasst und schließlich durch Stichproben von der Führungskraft kontrolliert werden. Die Beurteilung dieser Berichte erfolgt dabei nach vorher vereinbarten, klar definierten Kriterien. Um hingegen das Engagement eines Mitarbeiters zu beurteilen, macht sich die Führungskraft Notizen zum konkret gezeigten Verhalten des jeweiligen Mitarbeiters (Grundl und Schäfer 2018, S. 56). In diesem Zusammenhang ist es von besonderer Bedeutung, bei der gemeinsamen und partizipativen Zielfestlegung zeitgleich sowohl Kontrollverfahren als auch Kontrollkriterien festzulegen, um die Transparenz und Anerkennung der späteren Kontrolle zu gewährleisten. Alsdann sind bei der Kontrolle situative Aspekte zu berücksichtigen, da Kontrolle stets auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen sein muss und eine „Gleichmacherei“ besonders schädlich wäre (siehe adressatenorientierte Führung in Abschn. 6.1.2). Es macht dabei einen großen Unterschied, ob man einen Mitarbeiter kontrolliert, den man seit Jahren kennt, der ein Musterbeispiel an Korrektheit, Sorgfalt und Zuverlässigkeit ist und sich noch nie etwas zuschulden kommen ließ und daher im Grunde eben überhaupt nicht kontrolliert werden muss oder ob man einen Mitarbeiter kontrolliert, den man überhaupt noch nicht kennt (beispielsweise weil er neu in der Dienststelle ist), der noch keine de facto Bewährungsprobe hinter sich hat und von dem man im Grunde überhaupt nichts weiß und daher kontrolliert werden muss – nicht, weil man diesem Menschen grundsätzlich misstraut, sondern einfach weil man ihn eben nicht kennt und er die Führungskraft und Organisation nicht kennt. Während die Kontrolle im ersten Fall beleidigend ist, ist sie im zweiten gegenseitig erziehend, das heißt ausbildend sowie einarbeitend und daher auch richtungsgebend (Malik 2019, S. 233). Die Führungskraft muss hier das Feingefühl entwickeln, dass nicht jeder Mitarbeiter im gleichen Maß kontrolliert werden darf und muss, sondern dass die aktive Kontrolle in quantitativer und qualitativer Hinsicht abhängig von der Erfahrung, Fähigkeit und Motivation des jeweiligen Mitarbeiters ist. Alsdann legt die Führungskraft im beruflichen Alltag ihren Fokus auf Abweichungen, Fehler, Versäumnisse und Verstöße. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Führungskraft ihren Fokus nicht nur auf die negativen Aspekte legt, sondern zeitgleich mit dem Mitarbeiter in einen Feedback-Dialog geht, in welchem Entwicklungsmöglichkeiten artikuliert
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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werden und betont wird, wie die Dinge besser gemacht werden können (Furtner und Baldegger 2016, S. 169). Ferner soll die Führungskraft antizipieren, wann und wie Fehler entstehen sowie Probleme auftreten können. In diesem Kontext können interne Kontrollsysteme eingerichtet werden, die es der Führungskraft ermöglichen, rechtzeitig darüber informiert zu sein, ob und wann spezifische Fehler und/oder Probleme auftreten können. Neben der eigenen Beobachtung und Kontrolle durch die Führungskraft können durch diese über Kollegen, andere interne Abteilungen und informelle Kontakte zusätzliche relevante Informationen eingeholt und genutzt werden (Furtner und Baldegger 2016, S. 169). Abschließend soll die Führungskraft alle Fehler konsequent verfolgen und beheben, die in ihrem Arbeitsbereich auftreten, um fehlerfreie Prozessabläufe zu gewährleisten. Sofern eine Führungskraft die im Handlungsfeld „Aktive Kontrolle“ vier typischen Schlüsselverhaltensweisen zeigt, ist anzunehmen, dass diese Führungsverhaltensweisen verschiedene positive Wirkungen entfalten. Konsequenzen dieser Führungsverhaltensweisen zeigen sich unter anderem darin, dass Abweichungen und Fehler behoben werden und Prozesse weitestgehend fehlerfrei verlaufen. Zudem ist dieses Führungsverhalten in Gefahrensituationen sehr effektiv (Bass und Riggio 2006, S. 8). Abgrenzend dazu bedarf die „Aktive Kontrolle“ einer differenzierten Anwendung, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sich insbesondere erfahrene, kompetente und engagierte Mitarbeiter durch zu viele Kontrollen beleidigt fühlen und sich dadurch mittel- und langfristig eine geringe Zufriedenheit, ein geringes Commitment und eine niedrige Innovationsfähigkeit und Kreativität bei den geführten Mitarbeitern zeigt (Furtner und Baldegger 2016, S. 169; Malik 2019, S. 233).
Zusammenfassung: Aktive Kontrolle
Charakteristische Führungsverhaltensweisen: • Aktive und genaue Kontrolle der Arbeit und Verhaltensweisen der Geführten. • Fokussierung von Abweichungen, Fehlern, Versäumnissen und Verstößen. • Antizipation, wann und wie Fehler entstehen und Probleme auftreten können. • Konsequente Verfolgung aller Fehler.
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Angenommene Wirkung bei den geführten Mitarbeitern: • Arbeitsprozesse laufen weitestgehend fehlerfrei. • Abweichungen und Fehler werden aktiv behoben. • Effektiv in Gefahrensituationen. Kontrollfragen für die Führungskraft: • Kontrolliere ich adressatenorientiert, aktiv und genau die Arbeit und Verhaltensweisen meiner Mitarbeiter? • Konzentriere ich mich überwiegend auf Abweichungen, Fehler, Versäumnisse und Verstöße? • Mache ich meinen Mitarbeiter auf Fehler aufmerksam, damit die Ziele erfüllt werden? • Verfolge ich alle Fehler konsequent?
6.2.2 Transformationale Führungsverhaltensweisen Anknüpfend an die transaktionalen Handlungsfelder einer Führungskraft, welche wesentliche Voraussetzung für die transformationalen Führungsverhaltensweisen der Führungskraft sind, werden im Folgenden die transformationalen Handlungsfelder – Individuelle Entwicklung und Förderung, Intellektuelle Herausforderung, Anregende Motivation sowie Vorbildliches Verhalten – dargestellt, bevor abschließend das führungsverhaltensübergreifende Handlungsfeld Kommunikation beschrieben wird. Individuelle Entwicklung und Förderung Es wird kaum eine Führungskraft geben, die bestreiten würde, dass die Menschen das Wichtigste in jeder Organisation sind. Dementsprechend gehört es zu den erstrangigen Führungsaufgaben, diese sowohl zu fördern als auch zu entwickeln. Dies ist die Aufgabe jeder Führungskraft. Ein gut funktionierendes Personalwesen kann und wird in diesem Zusammenhang zwar ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten, aber es kann nicht Menschen entwickeln und fördern, jedenfalls nicht dort, wo die einzelne Führungskraft versagt (Malik 2019, S. 238). Das Handlungsfeld „Individuelle Entwicklung und Förderung“ spiegelt dabei grundsätzlich die transformationale Subdimension Individualized Consideration
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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wider, welche der emotional-erzieherischen Ebene der transformationalen Führung entspricht (Furtner und Baldegger 2016, S. 157). Bei diesem Handlungsfeld ist die Persönlichkeit des jeweiligen Mitarbeiters mit ihren je individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motiven und Wünschen Grundlage des Führungsverhaltens der Führungskraft (Weibler 2016, S. 342). Das übergeordnete Ziel dieses Handlungsfeldes liegt in der fortlaufenden Entwicklung, „Transformation“ und Verbesserung der geführten Mitarbeiter. Um dies zu gewährleisten fungiert die Führungskraft als Coach, Lehrer, Mentor, Trainer und Zuhörer (Furtner und Baldegger 2016, S. 157; Weibler 2016, S. 342). Des Weiteren erkennt die Führungskraft die individuellen und unterschiedlichen (Wachstums-)Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter an und entwickelt systematisch und gezielt ihre Fähigkeiten und Kompetenzen (Weibler 2016, S. 342; Felfe 2005, S. 34). Um dies zu erreichen, bedient sie sich prinzipiell jeder verfügbaren Form der Personalentwicklung (Weibler 2016, S. 342). Überdies bietet die Führungskraft ein unterstützendes Lernklima und entsprechende Lernchancen. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter individuell berücksichtigen, erkennen die persönlichen Voraussetzungen ihrer Mitarbeiter an, indem sie individuell unterschiedlich vorgehen. Das heißt, dass sie bestimmten Mitarbeitern mehr Autonomie gewähren, manche eher ermutigen und anderen klarere Vorgaben machen oder ihnen mehr Struktur geben (Felfe 2005, S. 34 f.). Die Mitarbeiter fühlen sich dadurch sowohl gefordert als auch gefördert und erleben, dass ihre vorgesetzte Führungskraft sie als Gesamtperson akzeptiert und nicht nur an ihrer Arbeitskraft interessiert ist. Als Voraussetzung für dieses Verhalten wird dabei eine partnerschaftliche Kommunikation angesehen, bei der die Führungskraft versteht, effektiv zuzuhören (Felfe 2005, S. 35). Das Handlungsfeld „Individuelle Entwicklung und Förderung“ des TPFM umfasst im Kern vier typische Schlüsselverhaltensweisen der Führungskraft, welche wie folgt lauten: 1. Betrachte deine Geführten als Individuen mit je unterschiedlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Sehnsüchten. 2. Achte auf individuelle Anliegen und höre genau zu. 3. Unterstütze andere zur Entwicklung und Förderung ihrer Stärken. 4. Entwickele und fördere jeden Mitarbeiter individuell. Diese vier typischen Schlüsselverhaltensweisen des Handlungsfeldes „Individuelle Entwicklung und Förderung“ werden im Folgenden näher dargestellt und erläutert.
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Zunächst bildet die Basis dieses Handlungsfeldes der Umstand, dass die Führungskraft alle ihre geführten Mitarbeiter als Individuen mit je unterschiedlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Sehnsüchten betrachtet. Dahingehend sieht die transformationale Führungskraft in ihren geführten Mitarbeitern nicht nur eine Ansammlung von Menschen, welche für die Aufgabenerledigung angestellt wurden, sondern erkennt stets ihre individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Sehnsüchte und Wünsche an. Identifizierte Potenziale und Talente der Mitarbeiter sollen in Stärken umgewandelt werden, damit diese ihre Fähigkeiten optimal nutzen können (Furtner und Baldegger 2016, S. 158). Zudem achtet die Führungskraft auf individuelle Anliegen der Mitarbeiter und hört diesen genau zu. Erst durch das aktive und genaue Zuhören kann die Führungskraft die unterschiedlichen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche der Mitarbeiter feststellen und später auch durch gezielte Maßnahmen fördern. Ferner kann die Führungskraft dadurch Stress und Druck bei den Mitarbeitern feststellen (Furtner und Baldegger 2016, S. 158). Dies ist von Bedeutung, um eine mittel- bis langfristige Über- oder Unterforderung des Mitarbeiters zu verhindern und ihn somit optimal entwickeln und fördern zu können. Sodann soll die Führungskraft andere zur Entwicklung und Förderung ihrer Stärken unterstützen. Dabei geht es darum, den jeweiligen Mitarbeiter darin zu unterstützen, seine eigenen Stärken zu entwickeln und zu fördern. Dies ist jedoch kein leichtes Unterfangen, da sowohl den meisten Mitarbeitern als auch Führungskräften nicht bewusst ist, über welche Stärken sie selbst oder ihre Mitarbeiter verfügen (Furtner und Baldegger 2016, S. 158). Doch woran liegt es, dass die meisten Menschen weit eher auf Schwächen orientiert sind als umgekehrt? Dies liegt einerseits daran, dass es leicht ist, die Schwächen eines Menschen zu entdecken, während es andererseits viel schwieriger ist, die Stärken eines Menschen herauszufinden. Die Schwächen fallen einem schon deshalb auf, weil sie störend sind. Daher bedarf es weder einer besonderen Intelligenz noch Erfahrung, um festzustellen, was eine Person nicht (gut) kann. Ergänzend dazu bedarf es vor allem keiner besonders intensiven Beschäftigung mit einem Menschen, um seine Schwächen zu entdecken. Abgrenzend dazu ist alles das – und oft in hohem Ausmaß – notwendig, um Stärken zu identifizieren. Man muss sich daher für den Mitarbeiter als Menschen, für das Individuum, interessieren, wenn man herausfinden will, welche Stärken dieser hat – und dies ist zeitaufwändig (Malik 2019, S. 125). Doch warum sollte sich eine Führungskraft mehr an den Stärken als an den Schwächen der Mitarbeiter orientieren? Schließlich ist es oftmals in der gelebten Alltagsorganisation Usus, einen Mitarbeiter, der Defizite in bestimmten Bereichen hat, durch Förderungs- und Entwicklungsprogramme zu schulen
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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beziehungsweise ihn auf Seminare und Lehrgänge zu schicken oder ihn coachen zu lassen. Dies hat selbstverständlich eine Wirkung: Nachdem diese Maßnahmen absolviert sind, wird der Mitarbeiter hier große Fortschritte gemacht haben und die Führungskraft wird – hinsichtlich dieser Defizite – Verbesserungen erkennen. Er ist aber nur besser geworden im Sinne von „weniger schwach“. Er hat in diesem Zusammenhang zwar einen großen Schritt gemacht, aber nur zur Mittelmäßigkeit (Malik 2019, S. 119). Führungskräfte wollen hingegen keine Mitarbeiter, die lediglich Mittelmaß erreichen, sondern wirklich gute Mitarbeiter. Dies gelingt jedoch nur, wenn sie die Stärken ihrer Mitarbeiter kontinuierlich ausbauen. Lediglich wo große Stärken sind, können auch große Leistungen erwartet und eingefordert werden (Grundl und Schäfer 2018, S. 104). „Die richtige und für die meisten Menschen schicksals-, weil erfolgsentscheidende Frage lautet: Was fällt dir leicht? Die Korrelation, die wirklich wichtig ist, besteht zwischen leichtfallen und gut tun.“ (Malik 2019, S. 129)
Diese Orientierung an den Stärken der Mitarbeiter bedeutet jedoch keineswegs, dass ihre Schwächen ignoriert werden sollten. Die Schwächen der Mitarbeiter muss die Führungskraft kennen, aber nicht aus dem Grund, um sie zu beseitigen, sondern um nicht den Fehler zu begehen, den Mitarbeiter dort einzusetzen, wo er seine Schwächen hat. Eine Orientierung an den Stärken der Mitarbeiter bedeutet somit nicht, idealistisch, naiv und unrealistisch zu sein (Malik 2019, S. 122 f.). Sobald die Stärken der Mitarbeiter entwickelt und gefördert wurden, ist es in diesem Zusammenhang wichtig, diese mit spezifischen Aufgaben zur Deckung zu bringen. Es ist die Aufgabe der Führungskraft, die Aufgaben für den jeweiligen Mitarbeiter – sofern möglich – anschließend so zu gestalten, dass eine bestmögliche Deckung zwischen dem, was der Mitarbeiter kann, und dem, was er zu tun hat, entsteht (Malik 2019, S. 119). Nachfolgend ist im Rahmen des Handlungsfeldes „Individuelle Entwicklung und Förderung“ die wichtigste Schlüsselverhaltensweise einer Führungskraft zu berücksichtigen. Sie zeigt auf, dass eine Führungskraft jeden Mitarbeiter individuell entwickeln und fördern soll. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang anzuführen,Sie das fast alles, was mit der Entwicklung von Menschen zu tun hat, individuell geschehen muss, da Menschen als Erwachsene auf ganz unterschiedlichen Wegen lernen und sich entwickeln: Der eine lernt, indem er liest. Der andere durch Zuhören, ein dritter durch Schreiben. Wieder andere lernen etwas am besten, indem sie es tun, andere durch Lehren. Manche lernen aus Erfolgen, andere aus Fehlern. Demnach muss immer im Einzelfall herausgefunden werden, wie ein bestimmter Mensch am besten lernt, wenn etwas für
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seine Entwicklung getan werden soll. Individuen, keine Abstraktionen oder Durchschnitte, werden daher entwickelt und gefördert (Malik 2019, S. 239 f.). Wer Menschen entwickeln und fördern will, sollte diese fordern und etwas von ihnen verlangen – das genaue Gegenteil von dem, was oft üblich ist, nämlich lediglich etwas zu bieten (Malik 2019, S. 242). Aber muss wirklich gefordert werden, wenn der Wille nach Förderung besteht? Wird dabei nicht zu viel von den eigenen Mitarbeitern verlangt? Was wäre jedoch die Alternative? Nicht fordern und lediglich etwas zu bieten hieße im Endeffekt unterfordern und dies macht Mitarbeiter unglücklich, verdirbt sie und behindert sie in ihrer Entwicklung. Die Mitarbeiter werden dadurch in eine Konsumenten- und Anspruchshaltung manövriert, die dann wenig später beklagt wird und nur unter großen Anstrengungen beseitigt werden kann (Grundl und Schäfer 2018, S. 71; Malik 2019 S. 242 f.). In diesem Sinne haben die eigenen Mitarbeiter ein Recht darauf, nicht unterfordert zu werden, um sie nicht in ihrer eigenen Leistungsfähigkeit und Entwicklung zu beschneiden. Schließlich gibt es auch genügend (junge) Leute, die durch ihre Arbeit gefordert sein wollen (Grundl und Schäfer 2018, S. 72; Malik 2019, S. 243). „Generell erinnern sich Menschen insbesondere an jene Lehrer und früheren Chefs, die viel von ihnen verlangten. Bis an die Grenze gefordert zu werden bleibt im Gedächtnis, und zumeist sehr positiv.“ (Malik 2019, S. 243)
Um die eigenen Mitarbeiter individuell zu entwickeln und zu fördern, kann sich die Führungskraft – neben der Forderung der Mitarbeiter – ferner jeder verfügbaren Form der Personalentwicklung bedienen (Weibler 2016, S. 342). Dieses Führungsinstrument setzen Führungskräfte ein, „[…] indem sie innerhalb einer strategisch ausgerichteten Personalentwicklung auf organisationsweit implementierte Mitarbeiterentwicklungsinstrumente zugreifen und dadurch indirekt versuchen, das Verhalten ihrer Geführten zu beeinflussen.“ (Weibler 2016, S. 392 f.). Obwohl keine einheitliche Definition der Begrifflichkeit „Personalentwicklung“ vorliegt (Weibler 2016, S. 393), wird im Folgenden die Definition von Mudra gewählt, welche den Aspekt der Ganzheitlichkeit der Personalentwicklung besonders berücksichtigt: „Ganzheitlich ausgerichtete Personalentwicklung umfasst als Gesamtsystem alle Informationen, Institutionen, Entscheidungen und Maßnahmen in einem Unternehmen, die Bildungs- und Förderungsprozesse bei den Mitarbeitern bewirken, um diese hierdurch in die Lage zu versetzen und zu motivieren, gegenwärtige und zukünftige berufliche Anforderungen zu erfüllen.“ (Mudra 2004, S. 145 zit. in Weibler 2016, S. 393).
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Innerhalb dieser Definition werden unter Mitarbeitern auch Führungskräfte subsumiert. Im Kontext der gegenwärtig aktuellen Rahmenbedingungen von Organisationen (siehe Abschn. 5.2 – Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen) ist zu konstatieren, dass die während einer Ausbildung oder des Studiums erworbenen Fähigkeiten eines Organisationsmitgliedes nicht ausreichen, um den im Laufe des Arbeitslebens fortwährenden Veränderungen beruflicher Anforderungen standzuhalten (Holling und Liepmann 2004, S. 345 zit. in Weibler 2016, S. 393). Daraus resultierend sieht sich das Organisationsmitglied nahezu einem ständigen Anpassungsprozess an seinen jeweiligen Arbeitskontext ausgesetzt, wobei sowohl einmal erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse als auch die individuelle Persönlichkeit lediglich die Ausgangsbasis für einen lebenslangen Lernprozess darstellen (Weibler 2016, S. 393). Im Allgemeinen zielt die Personalentwicklung auf den Ausbau sowie die Weiterentwicklung beruflicher Handlungskompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale ab, die den Mitarbeiter zur Bewältigung tätigkeitsspezifischer Situationen befähigen. Berufliche Handlungskompetenzen gehen in diesen Zusammenhang dabei über bloße Qualifikationen hinaus, indem sie neben fachlichen Aspekten auch emotionale, motivationale und soziale Aspekte des menschlichen Verhaltens im Arbeitskontext umfassen (Küpers und Weibler 2005 zit. in Weibler 2016, S. 395). Entsprechend der vorherigen Ausführungen zur Personalentwicklung ergeben sich ihre Zieldimensionen aus der Persönlichkeitsentwicklung, der Verhaltensmodifikation sowie der Wissensvermittlung (Sonntag 2002, S. 60 zit. in Weibler 2016, S. 395). Vor dem Hintergrund einer praktischen Vorgehensweise bietet sich insbesondere der von Oechsler vorgeschlagene Regelkreis der Personalentwicklung für Führungskräfte an (siehe Abb. 6.4), um Mitarbeiter systematisch zu entwickeln und zu fördern. Der Ausgangspunkt dieses Regelkreises ist die strategische Personalentwicklungsplanung, bei welcher auf Grundlage eines Soll-Ist-Abgleichs organisationsweit die Ziele der Personalentwicklung festgelegt werden. Die Personalentwicklungsplanung wird im Folgenden durch die Instrumente der Personalförderung unterstützt und weitergeführt. Hierzu zählen einerseits die Beratungs- und Förderungsgespräche, andererseits die Personalentwicklungsdatei (Informationen zur Förderungs- und Entwicklungsfähigkeit aller Mitarbeiter) sowie die innerbetriebliche Stellenausschreibung (Weibler 2016, S. 393 f.). Die darauffolgende Laufbahnplanung (einschließlich Nachfolgeplanung) wird wegen ihres besonderen Stellenwerts separat ausgewiesen, wenngleich diese im Allgemeinen nur für Führungskräfte stattfindet. Sind die Ziele einer Personalentwicklungsmaßnahme bekannt und der Entwicklungsbedarf der Mitarbeiter ermittelt, kann in einem folgenden Schritt anhand einer
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Personalentwicklungsplanung
Erfolgskontrolle
Qualifikationsvermittlung
Personalentwicklung
Personalförderung
Laufbahnplanung
Abb. 6.4 Regelkreis der Personalentwicklung. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Weibler 2016, S. 394))
Vielzahl von Personalentwicklungsinstrumenten die Auswahl eines geeignetens Verfahrens erfolgen (Qualifikationsvermittlung). In einer abschließenden Erfolgskontrolle der jeweiligen Personalentwicklungsmaßnahmen wird der Nutzen der eingesetzten Instrumente einer kritischen Bewertung unterzogen. Das Analyseergebnis dieser Erfolgskontrolle gibt schließlich Auskunft darüber, ob die zuvor festgelegten Ziele tatsächlich auch erreicht wurden oder nicht (Weibler 2016, S. 394). Im Rahmen dieses Regelkreises der Personalentwicklung nutzen Führungskräfte unterschiedliche Instrumente der Personalentwicklung, weswegen diese nachfolgend näher betrachtet werden. Personalentwicklungsinstrumente lassen sich dabei nicht nur nach ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, sondern auch hinsichtlich ihrer Distanz, respektive Nähe, zum Arbeitsplatz sowie des spezifischen
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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Entwicklungszeitpunkts unterscheiden (Weibler 2016, S. 396). Die Instrumente der Personalentwicklung werden im Folgenden – differenziert nach eben genannten Aspekten – skizziert (Weibler 2016, S. 396 f.): • Into-the-job-Maßnahmen (beispielsweise Berufsausbildung, Einarbeitung), • Out-off-the-job-Maßnahmen (beispielsweise Ruhestandsvorbereitung, Outplacement), • On-the-job-Maßnahmen (beispielsweise Job Rotation, Job Enlargement, Job Enrichment, Projektarbeit), • Parallel-the-job-Maßnahmen (beispielsweise Coaching, Mentoring), • Near-the-job-Maßnahmen (beispielsweise Lernstatt, Qualitätszirkel) sowie • Off-the-job-Maßnahmen (beispielsweise Vorträge, akademische Weiterbildung, Konferenzen) Mit den jeweiligen Instrumenten der Personalentwicklungen können unterschiedliche Qualifikationen des Mitarbeiters entwickelt und gefördert werden, wobei sich bestimmte Verfahren im Schwerpunkt für bestimmte Anliegen empfehlen. Einige der Personalentwicklungsinstrumente zielen dabei lediglich auf einen reinen Wissenserwerb ab, währenddessen mit anderen Instrumenten eine Verhaltensmodifikation oder sogar eine Persönlichkeitsentwicklung angestrebt wird (Sonntag und Schaper 2006, S. 256 ff.; Sonntag und Stegmaier 2006, S. 282 ff. zit. in Weibler 2016, S. 397). Sofern eine Führungskraft die im Handlungsfeld „Individuelle Entwicklung und Förderung“ typischen vier Schlüsselverhaltensweisen zeigt, ist anzunehmen, dass diese Führungsverhaltensweisen verschiedene positive Wirkungen entfalten. Konsequenzen dieser Führungsverhaltensweisen zeigen sich unter anderem in der positiven Veränderung des Anspruchsniveaus der Mitarbeiter, der gestiegenen Anstrengungsbereitschaft der Mitarbeiter, der gestiegenen Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, dem Empowerment der Mitarbeiter (die Führungskraft macht sich selbst mit der Zeit überflüssig) sowie der gestiegenen Motivation der Mitarbeiter (Furtner und Baldegger 2016, S. 158; Riedelbauch 2011, S. 25; Weibler 2016, S. 395 f.). Bedeutend in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass die Führungskraft mit Bedacht die jeweiligen Mitarbeiter individuell entwickeln und fördern, also – unter Inanspruchnahme von Personalentwicklungsinstrumenten – fordern soll, um eine mittel- und langfristige Überforderung der Mitarbeiter zu vermeiden. Diesbezüglich kommt dem Handlungsfeld „Aktive Kontrolle“ eine hohe Bedeutung zu.
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Zusammenfassung: Individuelle Entwicklung und Förderung
Charakteristische Führungsverhaltensweisen: • Betrachtung der Geführten als Individuen mit je unterschiedlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Sehnsüchten. • Beachtung individueller Anliegen und aktives Zuhören. • Unterstützung anderer zur Entwicklung und Förderung ihrer Stärken. • Individuelle Entwicklung und Förderung eines jeden Mitarbeiters. Angenommene Wirkung bei den geführten Mitarbeitern: • • • • •
Erhöhtes Anspruchsniveau. Erhöhte Anstrengungsbereitschaft. Erhöhte Leistungsfähigkeit. Empowerment. Erhöhte Motivation.
Kontrollfragen für die Führungskraft: • Betrachte ich jeden Mitarbeiter individuell mit dessen spezifischen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Sehnsüchten? • Beachte ich individuelle Anliegen und höre meinem Mitarbeiter genau zu? • Verbringe ich ausreichend Zeit mit Führung und damit, meinen Mitarbeitern etwas beizubringen? • Helfe ich meinen Mitarbeitern, ihre Stärken zu entwickeln und zu fördern? • Entwickele und fördere ich jeden Mitarbeiter individuell?
Intellektuelle Herausforderung Das Handlungsfeld „Intellektuelle Herausforderung“ spiegelt grundsätzlich die transformationale Subdimension Intellectual Stimulation wider, welche der rationalen Ebene der transformationalen Führung entspricht. Das Ziel dieses Führungsverhaltens liegt darin, sowohl kreatives und innovatives Denken, als auch die Problemlösungsfähigkeit der Mitarbeiter zu steigern (Felfe 2005, S. 34; Furtner und Baldegger 2016, S. 156; Weibler 2016, S. 342). Dies gelingt, indem die Mitarbeiter dazu aufgefordert werden, alte, etablierte Sichtweisen,
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Routinen und Gewohnheiten in Frage zu stellen und Probleme aus neuen und unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten (Dörr 2006, S. 23 f.; Pelz 2016, S. 96). Ergänzend dazu zeigt die Führungskraft selbst neue Sichtweisen zu bestehenden Problemen auf (Furtner und Baldegger 2016, S. 156). Es sind nicht selten unkonventionelle Wege und Ideen gefragt, die ohne die Bereitschaft, sich selbst und die eigene bisherige Arbeit zu hinterfragen, nicht entstehen könnten. Fehler, die dabei entstehen, werden akzeptiert und nicht öffentlich kritisiert (Felfe 2005, S. 34; Weibler 2016, S. 342). Die Führungskraft ermutigt ihre Mitarbeiter, diesen lernorientierten Weg zukünftig auch selbstständig zu gehen und den Status quo nicht als automatisch besten Zustand anzusehen (Weibler 2016, S. 342). Das Handlungsfeld „Intellektuelle Herausforderung“ des TPFM umfasst daher im Kern fünf typische Schlüsselverhaltensweisen der Führungskraft: 1. Überprüfe fortlaufend, ob deine Annahmen und Sichtweisen tatsächlich noch geeignet sind. 2. Suche nach unterschiedlichen Perspektiven bei der Lösung von Problemen. 3. Führe deine Mitarbeiter dazu, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. 4. Zeige neue Wege auf, wie Aufgaben erfolgreich bearbeitet werden können. 5. Ermutige zu unkonventionellem Denken, um bestehende Probleme zu lösen. Diese fünf typischen Schlüsselverhaltensweisen des Handlungsfeldes „Intellektuelle Herausforderung“ werden im Folgenden näher dargestellt und erläutert. Zunächst liegt es im Handlungsfeld „Intellektuelle Herausforderung“ an der Führungskraft selbst, fortlaufend die eigenen Annahmen und Sichtweisen zu überprüfen, ob diese tatsächlich noch geeignet sind. Im Kontext des organisationalen Wandels, den fortwährenden Veränderungen beruflicher Anforderungen und den nahezu ständigen Anpassungsprozessen in Organisationen, ist es daher von Bedeutung, dass die Führungskraft ihre Annahmen und Sichtweisen – hinsichtlich der strategischen Ausrichtung, Arbeitsprozesse und kulturellen Normen – fortlaufend überprüft, da diese mit der Zeit ihre Gültigkeit verlieren können. Durch diese kritische Überprüfung der eigenen Annahmen und Sichtweisen können neue Konzepte zur Bewältigung der Arbeitsprozesse, Führung und Organisation implementiert werden, die eine effektivere Aufgabenwahrnehmung und -erledigung ermöglichen, da diese innovative Lösungen zu bestehenden Problemen liefern können (Furtner und Baldegger 2016, S. 156).
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Ferner ist in diesem Zusammenhang die Suche nach unterschiedlichen Perspektiven bei der Lösung von Problemen zu berücksichtigen, da komplexe Probleme in einer sich rasch verändernden Umwelt unterschiedliche Fähigkeiten und verschiedenes Wissen mehrerer Mitarbeiter zu ihrer adäquaten Lösung bedürfen. Erst die unterschiedlichen Perspektiven, welche die jeweiligen Mitarbeiter mit einbringen, können zu kreativen sowie innovativen und somit auch effektiven Problemlösungen führen (Furtner und Baldegger 2016, S. 156). Alsdann soll die Führungskraft selbst ihre Mitarbeiter dazu ermutigen, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Dies ist, wie bereits skizziert, von Bedeutung, um effektive Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Diesbezüglich kann die Führungskraft sowohl auf Beispiele außerhalb als auch innerhalb der eigenen Organisation zurückgreifen und diese ihren Mitarbeitern vermitteln. In diesem Zusammenhang ist die Fähigkeit der Führungskraft notwendig, anderen aktiv zuzuhören und die persönlichen Perspektiven anderer näher zu betrachten (Furtner und Baldegger 2016, S. 156). Zudem soll die Führungskraft selbst neue Wege aufzeigen, wie Aufgaben erfolgreich bearbeitet werden können. In diesem Sinne zeigt die Führungskraft ihren Mitarbeitern Wege auf und ermutigt sie, aktuelle Arbeitsaufgaben und -aufträge einmal auf eine völlig andere Art und Weise zu bewältigen. Dies treibt die Kreativität und Innovationskraft der Mitarbeiter an (Furtner und Baldegger 2016, S. 156 f.). Abschließend soll die Führungskraft ihre Mitarbeiter zu unkonventionellem Denken ermutigen, um bestehende Probleme zu lösen. Dies setzt jedoch voraus, dass alte (gewohnheitsmäßige), eingefahrene Gedankenmuster überdacht werden. In diesem Zusammenhang ist die Anwendung des dialektischen Denkens hilfreich, bei welcher die Führungskraft die Rolle des Advocatus Diaboli einnimmt und somit bei den geführten Mitarbeitern einen unkonventionellen Denkstil provoziert und fördert. Ebenso beugt das dialektische Denken einem Gruppendenken vor und führt somit zu einem qualitativ hochwertigen Problemlösungsprozess (Furtner und Baldegger 2016, S. 157). Sofern eine Führungskraft die im Handlungsfeld „Intellektuelle Herausforderung“ typischen fünf Schlüsselverhaltensweisen zeigt, ist anzunehmen, dass diese Führungsverhaltensweisen verschiedene positive Wirkungen entfalten. Konsequenzen dieser Führungsverhaltensweisen zeigen sich unter anderem in der erhöhten Selbstbestimmung, Autonomie und intrinsischen Motivation der Mitarbeiter, der erhöhten Bereitschaft der Mitarbeiter mitzudenken, der erhöhten Selbstständigkeit der Mitarbeiter, der erhöhten Kreativität und Innovationsfähigkeit sowie der erhöhten Problemlösungsfähigkeit der Mitarbeiter (Felfe 2005,
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S. 34; Furtner und Baldegger 2016, S. 156; Riedelbauch 2011, S. 24; Weibler 2016, S. 342).
Zusammenfassung: Intellektuelle Herausforderung
Charakteristische Führungsverhaltensweisen: • Fortlaufende Überprüfung, ob aktuelle Annahmen und Sichtweisen tatsächlich noch geeignet sind. • Suche nach unterschiedlichen Perspektiven bei der Lösung von Problemen. • Führe deine Mitarbeiter dazu, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. • Zeige neue Wege auf, wie Aufgaben erfolgreich bearbeitet werden können. • Ermutige zu unkonventionellem Denken, um bestehende Probleme zu lösen. Angenommene Wirkung bei den geführten Mitarbeitern: • • • • •
Erhöhte Selbstbestimmung, Autonomie und Motivation. Erhöhte Bereitschaft mitzudenken. Erhöhte Selbstständigkeit. Erhöhte Kreativität und Innovationsfähigkeit. Erhöhte Problemlösungsfähigkeit.
Kontrollfragen für die Führungskraft: • Überprüfe ich stets aufs Neue, ob meine zentralen Annahmen und Sichtweisen tatsächlich noch geeignet sind? • Suche ich bei der Lösung von Problemen nach unterschiedlichen Perspektiven? • Zeige ich neue Wege auf, wie Aufgaben und Aufträge erfolgreich bearbeitet werden können? • Führe ich meine Mitarbeiter dazu, Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten? • Ermutige ich zu unkonventionellem Denken, um bestehende Probleme zu lösen?
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Anregende Motivation „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ – Antoine de Saint-Exupéry
Das Handlungsfeld „Anregende Motivation“ spiegelt grundsätzlich die transformationale Subdimension Inspirational Motivation wider, welche der ansteckenden, emotionalen Ebene der transformationalen Führung entspricht und die geführten Mitarbeiter hin zu einem Ideal beeinflusst (Furtner und Baldegger 2016, S. 152; Riedelbauch 2011, S. 23). Dieses Handlungsfeld treibt die Führungskraft zur Formulierung einer plastischen Vision für die Zukunft an, welche sie engagiert und überzeugend gegenüber ihren Mitarbeitern kommuniziert. Sie verdeutlicht dabei, dass sie selbst voll und ganz hinter dieser Vision steht und bedient sich symbolischer Verhaltensweisen sowie inspirierender Reden (Dörr 2006, S. 23; Furtner und Baldegger 2016, S. 152). In diesem Kontext stellt der Status quo für die transformationale Führungskraft stets einen unbefriedigenden Zustand dar. Um diesem zu entkommen, formuliert sie, wie die Vision verwirklicht werden kann und drückt sowohl ihr Vertrauen als auch ihre Hoffnung in die Fähigkeiten und die Motivation der Mitarbeiter aus (Dörr 2006, S. 23; Furtner und Baldegger 2016, S. 152). Die Führungskraft zeigt dabei durchweg optimistisches und enthusiastisches Verhalten, dass die Vision gemeinsam mit ihrem Team auch erreicht werden kann. Ihre Vision vermittelt indessen Sinn, zeigt Chancen auf und spricht höhere Bedürfnisse der Mitarbeiter an, was dazu führt, dass die Mitarbeiter den Sinn und Zweck dieser Vision beziehungsweise Aufgabe erkennen und im Folgenden die Herausforderung annehmen (Furtner und Baldegger 2016, S. 152; Riedelbauch 2011, S. 23). Überdies betont die inspirierende Motivation die Leistungspotenziale des Einzelnen sowie des Kollektivs, spricht den Organisationszielen Sinn zu und ist in der Lage, Emotionen anderer wahrzunehmen, selbst zu zeigen und gezielt hervorzurufen (Weibler 2016, S. 341). Das Handlungsfeld „Anregende Motivation“ des TPFM umfasst daher im Kern vier typische Schlüsselverhaltensweisen der Führungskraft, welche wie folgt lauten: 1. Äußere dich optimistisch und positiv über die Zukunft. 2. Formuliere und artikuliere eine überzeugende Zukunftsvision. 3. Zeige Begeisterung bezüglich der eigenen Aufgabe. 4. Zeige Zuversicht hinsichtlich der Ziele, die erreicht werden sollen.
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Diese vier typischen Schlüsselverhaltensweisen des Handlungsfeldes „Anregende Motivation“ werden im Folgenden näher dargestellt und erläutert. Im Rahmen der „Anregenden Motivation“ äußert sich die Führungskraft optimistisch und positiv über die Zukunft. Dabei sind Hoffnung und eine positive (bessere) Zukunft zentrale Kernelemente, die die Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern kommuniziert. In diesem Zusammenhang stellt die Führungskraft ihre eigene Person zurück und fokussiert sich auf die Ideale und Ziele, welche nur gemeinsam erreicht werden können. Um den Mitarbeiter tatsächlich zu motivieren, ist es entscheidend, dass die idealisierte Botschaft mit Begeisterung vermittelt wird. Durch diese positive und optimistische Botschaft werden die intrinsische Motivation und die Zufriedenheit der geführten Mitarbeiter angeregt. Zudem zeigt sich dadurch eine höhere Ausdauer, Kreativität und Produktivität bei den geführten Mitarbeitern hinsichtlich der Aufgabenbewältigung (Furtner und Baldegger 2016, S. 153 f.). Alsdann formuliert und artikuliert die Führungskraft eine überzeugende Zukunftsvision. Um dies zu gewährleisten, muss die Führungskraft sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart in ihre Formulierung der Zukunftsvision mit aufnehmen, da die Vergangenheit die Quelle der Traditionen, der Geschichte und der Kultur einer Organisation ist. Transformationale Führungskräfte erinnern demnach ihre Mitarbeiter daran, welche großen Errungenschaften in der Vergangenheit erreicht wurden. Die Fokussierung auf die Gegenwart, den Status quo, fördert anschließend die intrinsische Motivation der Beteiligten, da diese die Grundlage für eine positive und anzustrebende Zukunftsvision bildet. Damit die Vision im Folgenden alle Mitarbeiter erreicht und von diesen akzeptiert wird, muss sie sich stark auf den emotional gefärbten Inhalt fokussieren. Fragen, die in diesem Zusammenhang beantwortet werden müssen, lauten unter anderem „Auf welche Aufgaben sollen sich die Mitarbeiter konzentrieren, damit die Vision durch sie erreicht werden kann?“ und „Wie können die Mitarbeiter von dieser Vision überzeugt werden?“. Visionen stellen zusammenfassend ein starkes motivationales Mittel zur Inspiration der Mitarbeiter dar. Sie sind dabei aktivierend, einfach, überzeugend und verständlich. In ihrem Mittelpunkt stehen Wachstum und Veränderung, sie beinhalten zudem Werte, die für die Mitarbeiter wichtig sind. Wichtig ist indes, dass die Visionen – ähnlich wie Ziele – herausfordernd, aber dennoch erreichbar sind (Furtner und Baldegger 2016, S. 154 f.). Im Kontext dieser Ausführungen stellt sich die praktische Frage, wie es einer Führungskraft gelingen kann, dass ihre Mitarbeiter langfristig die Vision der Organisation/der Organisationseinheit im Auge behalten. Diese Frage ist von besonderem Interesse, da Visionen einerseits zwar relativ einfach und schnell mit dem Kopf nachvollzogen werden können, es jedoch andererseits weitaus
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wichtiger ist, dass diese auch emotional von den Mitarbeitern erfasst werden. Um dies zu gewährleisten, ist es von Bedeutung, dass die Führungskraft zwei zentrale Fragen stellt und beantworten kann: „Was trägt die Organisation/die Organisationseinheit dazu bei, dass die Welt ein besserer Ort wird?“ und „Wie passt die spezifische Tätigkeit des jeweiligen Mitarbeiters in das große Bild?“ (Grundl und Schäfer 2018, S. 63 f.). Es ist somit die vornehmliche Aufgabe der Führungskraft, dem Mitarbeiter diese Fragen sowohl zu beantworten als auch zu verdeutlichen. Wenn die Mitarbeiter anschließend verstehen, warum die Welt durch die spezifische Organisation/Organisationseinheit zu einem besseren Ort wird, können sie entscheiden, ob sie sich damit identifizieren wollen. Wenn sie dies tun, werden sie auf ihre Organisation/Organisationseinheit stolz sein. Und wenn sie folgend noch begreifen, wie wichtig ihr eigener persönlicher Beitrag zum Ganzen ist, dann entwickeln sie zudem Stolz auf sich selbst (Grundl und Schäfer 2018, S. 64) Die Geschichte von den drei Maurern Die Grundidee des Prinzips „Beitrag zum Ganzen“ kommt am besten in der Geschichte von den drei Maurern zum Ausdruck, welche so oder in ähnlicher Weise dem einen oder anderen bereits bekannt ist (Malik 2019, S. 94 f.; Visions Schmiede o. J.): Vor vielen Jahrhunderten arbeiteten drei Maurer an den Grundmauern einer Kathedrale. Zwischen diesen drei Maurern war äußerlich kein Unterschied zu erkennen. Damit einige der Steine perfekt in die Mauern passten, mussten diese mit dem Hammer durch die Maurer bearbeitet werden. Ein Passant ging an der Baustelle vorbei, auf der die drei Maurer fleißig arbeiteten. Der Passant fragte den ersten Maurer „Was tun Sie da?“. Dieser erwiderte mürrisch „Das sehen Sie doch, ich bearbeite einen Stein!“. Folgend ging der Passant zum zweiten Maurer und fragte diesen dasselbe. Dieser zweite Maurer, der das Gleiche tat, antwortete daraufhin eifrig „Ich errichte eine Mauer!“. Dann ging der Passant zum dritten Maurer und stellte ihm dieselbe Frage. Dieser dachte einen kurzen Moment nach und antwortete stolz und nachdenklich „Ich baue eine Kathedrale!“. Diese Geschichte verdeutlicht sehr eindringlich, was die beiden ersten von dem dritten Maurer unterscheidet. Dieser hat eine Vision, ein übergeordnetes Ziel vor Augen, nämlich den Bau einer Kathedrale. Er versteht damit seine Tätigkeit als Beitrag zu einem Gesamtwerk, währenddessen die ersten beiden Maurer nur ihre Selbstinteressen (Sicherung des Lebensunterhalts) verfolgen.
Alsdann soll die Führungskraft im Rahmen der „Anregenden Motivation“ Begeisterung bezüglich der Aufgabenbewältigung zeigen. Dementsprechend muss die transformationale Führungskraft selbst Begeisterung für die zu bewältigende Aufgabe zeigen und ihren Mitarbeitern vermitteln. Damit dies gelingt, benötigt sie ein hohes Maß an intrinsischer (Führungs-)Motivation. Das Zitat „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“, welches oftmals Aurelius Augustinus zugeschrieben wird, verdeutlicht das damit Gemeinte ziem-
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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lich deutlich. In diesem Zusammenhang wirken sich ferner Self-Leadership und Selbstkontrolle positiv auf die persönliche Begeisterungsfähigkeit der Führungskraft aus (Furtner und Baldegger 2016, S. 154). Abschließend soll die Führungskraft Zuversicht hinsichtlich der Ziele zeigen, die erreicht werden sollen. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass die Zuversicht einer Person zur Bearbeitung spezifischer Aufgaben der Selbstwirksamkeit dieser Person entspricht. Dies bedeutet im Konkreten, dass ein Mitarbeiter daran glaubt, dass er mittels seiner eigenen Fähigkeiten seine spezifischen, vor ihm liegenden Aufgaben bewältigen kann. Die transformationale Führungskraft fördert in diesem Zusammenhang – mittels einer plastischen Vision und der Zuversicht, dass die Mitarbeiter einer herausfordernden Aufgabe gewachsen sind – die kollektive Selbstwirksamkeit ihres Teams. Dies führt im Folgenden dazu, dass die geführten Mitarbeiter davon überzeugt sind, dass sie die visionären Ziele mit ihren jeweils unterschiedlichen und spezifischen Fähigkeiten gemeinsam erreichen können. Dieses Führungsverhalten der Führungskraft ist dabei von Bedeutung, da eine Vision zunächst Unsicherheit bei den geführten Mitarbeitern erzeugt. Mittels Zuversicht und dem Glauben an die Mitarbeiter sowie ihrer Fähigkeiten vermittelt die Führungskraft jedoch die benötigte Sicherheit (Furtner und Baldegger 2016, S. 155). Nach Sosik und Jung (2010 zit. in Furtner und Baldegger 2016, S. 155) gibt es drei verschiedene Wege, um die Zuversicht und Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter zu erhöhen: Zunächst sollte mit einfachen Aufgaben oder Projekten begonnen werden. Die erfolgreiche Bewältigung dieser fördert folglich die Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter. Dadurch gewinnen sie an Selbstsicherheit und Zuversicht bezüglich zukünftiger, herausfordernder Aufgaben einschließlich ihrer Bewältigung. Alsdann soll die Führungskraft erfolgreiche Beispiele von Personen kommunizieren, die ähnlich herausfordernde Aufgaben erfolgreich absolviert haben. Abschließend soll die Führungskraft fortlaufend rationale Argumente nutzen, dass die Mitarbeiter die visionären Ziele erreichen können. Daraus resultierend zeigen diese eine fokussierte und erfolgreiche Aufgabenbewältigung. Sofern eine Führungskraft die im Handlungsfeld „Anregende Motivation“ typischen vier Schlüsselverhaltensweisen zeigt, ist anzunehmen, dass diese Führungsverhaltensweisen verschiedene positive Wirkungen entfalten. Konsequenzen dieses Führungsverhaltens zeigen sich unter anderem in einer erhöhten Anstrengungsbereitschaft und in außerordentlichen Mehrleistungen der Mitarbeiter (Furtner und Baldegger 2016, S. 152). Ferner führt dieses Führungsverhalten dazu, dass die Tätigkeiten der Mitarbeiter in einen neuen, umfassenderen Sinnzusammenhang gestellt werden, was dazu führt, dass die Arbeit einerseits für die Mitarbeiter sinnvoller erscheint und sie andererseits
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mit Stolz erfüllt werden, an etwas Großem mitzuwirken (Dörr 2006, S. 23; Riedelbauch 2011, S. 23). Alsdann wird durch die inspirierende Motivation der Teamgeist gefördert (Felfe 2005, S. 34). Zudem kann die Kommunikation einer Vision Mitarbeiter begeistern und zusätzliche Ressourcen für eine erhöhte Motivation und gegen subjektives Stressempfinden freisetzen (Rowold und Heinitz 2008, S. 135–137). Abgrenzend dazu ist jedoch anzuführen, dass dasselbe Führungsverhalten langfristig – aufgrund der Erwartungen der Führungskraft von dauerhaft hohem Engagement – auch zur Erschöpfung des Mitarbeiters und somit zu chronischem Stress führen kann (Franke und Felfe 2011, S. 312; Rowold und Heinitz 2008, S. 135–137). In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass die Führungskraft adressatenorientiert und individuell führt sowie aktiv kontrolliert, um eine Überbelastung der Mitarbeiter zu vermeiden.
Zusammenfassung: Anregende Motivation
Charakteristische Führungsverhaltensweisen: • Optimistische und positive Äußerungen der Führungskraft über die Zukunft. • Formulierung und Artikulierung einer überzeugenden Zukunftsvision. • Zeigen von Begeisterung bezüglich der eigenen Aufgabe. • Zeigen von Zuversicht hinsichtlich der Ziele, die erreicht werden sollen. Angenommene Wirkung bei den geführten Mitarbeitern: • Erhöhte Anstrengungsbereitschaft und außerordentliche Mehrleistungen. • Tätigkeit erscheint sinnvoller. • Förderung von Teamgeist. • Erhöhte Motivation. • Reduziertes, subjektives Stressempfinden. • Erschöpfung und chronischer Stress bei langfristiger Erwartung von hohem Engagement. Kontrollfragen für die Führungskraft: • Äußere ich mich optimistisch und positiv über die Zukunft? • Formuliere und artikuliere ich eine überzeugende Zukunftsvision?
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• Spreche ich in diesem Zusammenhang mit Begeisterung über das, was erreicht werden soll? • Zeige ich Begeisterung bezüglich der eigenen Aufgabe? • Zeige ich Vertrauen und Zuversicht, dass die gesteckten Ziele erreicht werden?
Vorbildliches Verhalten „Das gute Beispiel ist nicht eine Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen, es ist die einzige.“ – Albert Schweitzer
Abschließend spiegelt an dieser Stelle das Handlungsfeld „Vorbildliches Verhalten“ grundsätzlich die transformationale Subdimension Idealized Influence wider, welche der höchsten Ebene der transformationalen Führung entspricht (Furtner und Baldegger 2016, S. 147). Dieses Führungsverhalten bedeutet ferner, dass die transformationale Führungskraft durch Authentizität und persönliches Vorbild Einfluss auf die Werte und Einstellungen der nachgeordneten Mitarbeiter ausübt (Dörr 2006, S. 23). Die transformationale Führungskraft, welche das Handlungsfeld „Vorbildliches Verhalten“ zeigt, zeichnet sich weiterhin durch Glaubwürdigkeit aus und weist eine ausgeprägte Tugendhaftigkeit, charakterliche Stärke und ein sichtbar an moralischen Werten orientiertes Verhalten auf (Weibler 2016, S. 340). Alsdann ist die Führungskraft bereit, ihre persönlichen Bedürfnisse und Ziele zugunsten anderer – beispielsweise der Organisation – zurückzustellen und persönliche Risiken auf sich zu nehmen (Felfe 2005, S. 33 f.; Riedelbauch 2011, S. 21). Außerdem erwartet die Führungskraft in diesem Zusammenhang von ihren nachgeordneten Mitarbeitern hohe Leistungsstandards und ethische Standards, richtet sich aber auch mit ihrem eigenen Verhalten nach diesen und kann sie selbst vorleben. Dadurch zeigt sie ein modellhaftes Verhalten und strahlt aus, das Richtige zu tun (Riedelbauch 2011, S. 21). Durch dieses Verhalten gewinnt die Führungskraft an Anerkennung, Bewunderung, Glaubwürdigkeit, Respekt und Vertrauen und erzeugt so eine Begeisterung für sich selbst, die Sache und das Team (Felfe 2005, S. 33; Weibler 2016, S. 340). Unterdessen identifizieren sich die Mitarbeiter mit ihrer vorgesetzten Führungskraft und versuchen sich an ihrem Verhalten zu orientieren und ihr nachzuahmen (Bass und Riggio 2006, S. 6; Blessin und Wick 2014, S. 117; Felfe 2005, S. 33).
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Das Handlungsfeld „Vorbildliches Verhalten“ des TPFM umfasst daher im Kern sechs typische Schlüsselverhaltensweisen der Führungskraft: 1. Zeige modellhaftes und authentisches Verhalten. 2. Kommuniziere deine wichtigsten Ideale, Überzeugungen und Werte. 3. Kommuniziere die hohe Bedeutung gegenseitigen Vertrauens. 4. Vermittle ein hohes Zielbewusstsein. 5. Betone die Bedeutsamkeit von Teamarbeit. 6. Stelle deine eigenen Interessen für höhere Ziele zurück. Diese sechs typischen Schlüsselverhaltensweisen des Handlungsfeldes „Vorbildliches Verhalten“ werden im Folgenden näher dargestellt und erläutert. Im Rahmen des Handlungsfeldes „Vorbildliches Verhalten“ zeigt die Führungskraft zunächst selbst modellhaftes und authentisches Verhalten. Dies bedeutet, dass sie nicht nur ihren Mitarbeitern vorgibt, sich regelkonform und vorbildlich zu verhalten, sondern dies auch selbst vorlebt. Daher weist die transformationale Führungskraft selbst eine ausgeprägte Tugendhaftigkeit, charakterliche Stärke und ein sichtbar an moralischen Werten orientiertes Verhalten auf (Weibler 2016, S. 340). Durch dieses vorbildliche Verhalten wird sie zu einem positiven Rollenmodell für ihre geführten Mitarbeiter, die diese anschließend bewundern, respektieren und ihr vertrauen (Furtner und Baldegger 2016, S. 147 f.). Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass die Führungskraft authentisch handelt, also auch selbst praktiziert und vorlebt, was sie ihren Mitarbeitern vorgibt. Diesbezüglich muss die Führungskraft immer darauf achten, dass ihre Gedanken, Worte und Taten übereinstimmen, um authentisch zu handeln (Furtner und Baldegger 2016, S. 148). Diesen Kernaspekt fasst Malik wie folgt zusammen: „Man muss meinen, was man sagt – und so handeln.“ (2019, S. 144). Schließlich sollte die Führungskraft ihre wichtigsten Ideale, Überzeugungen und Werte kommunizieren. Die transformationale Führungskraft vermittelt in diesem Kontext ihre hohen Ideale, Überzeugungen, Werte und Ziele absolut authentisch und glaubwürdig in Gedanken, Worten und Taten. Wichtig ist, dass jene Ideale, Überzeugungen und Werte durch die Führungskraft artikuliert werden, die in allen Lebensbereichen eine hohe Bedeutung – und nicht nur für den eigenen Organisationsbereich – haben (Furtner und Baldegger 2016, S. 149). Folglich sollte die Führungskraft die hohe Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens kommunizieren. Aufgrund der hohen Bedeutung des wechselseitigen, ausgeprägten Vertrauens (siehe Abschn. 6.1.2) ist es die Aufgabe der Führungskraft, diese fortlaufend gegenüber ihren Mitarbeitern zu kommunizieren. Liegt ein wechselseitiges und ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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und Führungskraft vor, ist dieses die Basis für außergewöhnliche Leistungen. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang, dass die Führungskraft nicht nur in ihren Gedanken und Worten, sondern auch in ihren Verhaltensweisen vertrauenswürdig und -förderlich sein muss (Furtner und Baldegger 2016, S. 149). Anschließend sollte die Führungskraft ein hohes Zielbewusstsein vermitteln. Dies fördert das Verständnis der Mitarbeiter über den Sinn und Zweck einer Tätigkeit. Dadurch entwickeln diese eine starke Zuversicht, dass das jeweilige Ziel erreicht werden kann, welche sich auch auf weitere Organisationsmitglieder überträgt. Weist die transformationale Führungskraft diesbezüglich eine hohe Zielstrebigkeit auf, dann zeigen die Mitarbeiter eine erhöhte Ausdauer und Willenskraft, gesteckte Ziele zu verfolgen (Furtner und Baldegger 2016, S. 149). Alsdann ist es von zentraler Bedeutung, dass die Führungskraft die Bedeutsamkeit von Teamarbeit betont. Das zentrale Ziel dieser Führungsverhaltensweise liegt dabei darin, die individuellen (egoistischen) Interessen der einzelnen Mitarbeiter an die kollektiven Interessen anzupassen. Ergänzend dazu betont die Führungskraft ebenfalls die positiven Synergie-Effekte, welche durch Teamarbeit erreicht werden. In diesem Zusammenhang verdeutlicht die Führungskraft ihren Mitarbeitern, dass der synergetische Gesamteffekt größer ist als die individuellen Beiträge der einzelnen Mitarbeiter, frei nach dem Leitsatz „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Erst dadurch können das einzigartige Wissen und die Fähigkeiten der einzelnen Mitarbeiter zur Steigerung der Gesamtleistung genutzt werden. Entscheidend ist, dass die transformationale Führungskraft positiv auf die Moralentwicklung der einzelnen Mitarbeiter einwirkt und diesen den gemeinsamen Vorteil vermittelt, wenn sie in einer Gruppe zusammenarbeiten. Dabei verknüpft die Führungskraft das Team, die Vision und die Mission miteinander (Furtner und Baldegger 2016, S. 150). Abschließend stellt die transformationale Führungskraft ihre eigenen Interessen für höhere Ziele zurück. Anknüpfend an die vorherige Schlüsselverhaltensweise ist es von Bedeutung, dass die transformationale Führungskraft selbst ihre eigenen (egoistischen) Selbstinteressen für höhere Ziele zurückstellt. Demnach können Führungskräfte, die dieses Führungsverhalten ausgeprägt zeigen, auch als selbstlose Diener bezeichnet werden. Dies führt dazu, dass die geführten Mitarbeiter ihnen einen hohen Altruismus zuschreiben. Unterstützt also eine transformationale Führungskraft ihre nachgeordneten Mitarbeiter dabei, die jeweiligen individuellen Ziele zu erreichen, dann wird sie als altruistisch wahrgenommen (Furtner und Baldegger 2016, S. 151). Sofern die Führungskraft die im Handlungsfeld „Vorbildliches Verhalten“ typischen sechs Schlüsselverhaltensweisen zeigt, ist anzunehmen, dass diese Führungsverhaltensweisen verschiedene positive Wirkungen entfalten.
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Konsequenzen dieses Führungsverhaltens zeigen sich unter anderem darin, dass die Führungskraft durch ihr Verhalten an Anerkennung, Bewunderung, Glaubwürdigkeit, Respekt und Vertrauen gewinnt und so eine Begeisterung für sich selbst, die Sache und das Team erzeugt (Felfe 2005, S. 33; Weibler 2016, S. 340). Unterdessen führt dieses Führungsverhalten dazu, dass sich die Mitarbeiter mit ihrer vorgesetzten Führungskraft identifizieren und versuchen sich an ihrem Verhalten zu orientieren und ihr nachzuahmen (Bass und Riggio 2006, S. 6; Blessin und Wick 2014, S. 117; Felfe 2005, S. 33). Alsdann bewirkt dieses Führungsverhalten Stolz bei den geführten Mitarbeitern, mit einer solchen Führungskraft zusammenarbeiten zu können (Furtner und Baldegger 2016, S. 150 f.).
Zusammenfassung: Vorbildliches Verhalten
Charakteristische Führungsverhaltensweisen: • Zeigen von modellhaftem und authentischem Verhalten. • Kommunikation von eigenen wichtigsten Idealen, Überzeugungen und Werten. • Kommunikation von der hohen Bedeutung gegenseitigen Vertrauens. • Vermittlung eines hohen Zielbewusstseins. • Betonung der Bedeutsamkeit von Teamarbeit. • Zurückstellen von eigenen Interessen zugunsten höherer Ziele. Angenommene Wirkung bei den geführten Mitarbeitern: • Entwicklung von Anerkennung, Bewunderung, Glaubwürdigkeit, Respekt und Vertrauen gegenüber der Führungskraft. • Begeisterung für die Führungskraft, die Sache und das Team. • Identifikation mit der Führungskraft. • Stolz. Kontrollfragen für die Führungskraft: • Zeige ich selber modellhaftes und authentisches Verhalten? • Kommuniziere ich meine eigenen wichtigsten Ideale, Überzeugungen und Werte? • Kommuniziere ich die hohe Bedeutung gegenseitigen Vertrauens?
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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• Mache ich deutlich, wie wichtig es ist, sich voll und ganz für eine Sache einzusetzen? • Betone ich Bedeutsamkeit von Teamgeist und einem gemeinsamen Aufgabenverständnis? • Stelle ich meine eigenen Interessen zurück, wenn es um höhere Ziele beziehungsweise das Wohl der Gruppe geht?
6.2.3 Kommunikation „Kommunikation ist essentiell für jede Art menschlicher Beziehung. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich, dass die Kommunikation auch in Führungsbeziehungen eine grundlegende Rolle spielt. Für die weiteren Betrachtungen kann man formulieren: Führung ist ohne Kommunikation nicht realisierbar; Führung ist letztlich eine spezielle Art von Kommunikation, um bestimmte Ziele zu erreichen.“ (Thielmann und Weibler 2014, S. 171).
Über Kommunikation ist, analog zum Phänomen Personalführung, viel und intensiv – hinsichtlich ihrer Theorie als auch ihrer praktischen Umsetzung im Führungsprozess – geschrieben worden. Neben Tendenzen zur Unterschätzung der Bedeutung von Kommunikation als zentrale Kompetenz im Führungsalltag (Seidensticker 2017, S. 69) können auch immer wieder Momente der Verklärung von Kommunikation als „Allheilmittel“ ausgemacht werden. Kommunikation wird dabei nicht nur als essenziell für jede Art der menschlichen Beziehung beschrieben, sondern ihr wird geradezu eine Schlüsselrolle in der Gestaltung von Führungsbeziehungen zugeschrieben (Thielmann und Weibler 2014, S. 171; Weibler 2016, S. 368). Die Befundlage ist differenzierter. Doch was ist überhaupt Kommunikation, wie unterscheidet sie sich von der Information und welche Funktionen erfüllt sie? Vor dem Hintergrund dieser Frage ist zunächst festzustellen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch häufig – wenig trennscharf – zwischen „Information“ und „Kommunikation“ differenziert wird. Wenn es in der Organisation beispielsweise ausschließlich um Ansagen und Mitteilungen an die Mitarbeiter geht, wird informiert. Information meint in diesem Sinne die einseitig gerichtete Übermittlung von Botschaften. Abgrenzend dazu wird von Kommunikation gesprochen, wenn ein Austausch stattfinden soll. Beispielsweise werden in Zielvereinbarungsgesprächen Vorstellungen von den zu erreichenden Zielen kommuniziert. Beziehungsweise wird im Rahmen der tagtäglich stattfindenden Regelkommunikation mit den Mitarbeitern gesprochen,
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um deren Sichtweisen kennenzulernen und die eigenen Vorstellungen zu verdeutlichen. Zusammenfassend kann demnach gesagt werden, dass Menschen sich einander mitteilen, wenn sie kommunizieren (Berger 2018, S. 145 f.). An dieser Stelle soll Kommunikation als ein Teilen von Informationen auf interpersoneller Ebene zwischen Mitarbeiter und unmittelbaren Vorgesetzten im täglichen Führungsgeschäft verstanden werden. Eine solche interpersonelle Kommunikation erfüllt dabei maßgeblich drei Funktionen: 1. Prozess- und Aufklärungsfunktion Planung und Koordination von Arbeit (Hacker 1998, S. 258–270). Die Verteilung und Zuweisung einzelner Arbeitsraten auf die Mitarbeiter. Hierzu gehören auch Aushandlungs- und Klärungsprozesse bei Unklarheiten bezüglich Aufgabenstellung und -zuweisung. Was genau ist gemeint, welche Ressourcen werden zur Verfügung gestellt und warum soll gerade dieser oder jener Mitarbeiter eine bestimmte Aufgabe erfüllen? Mitunter sind auch Aspekte der Sinnhaftigkeit zu klären und gemeinsame Ziele zu vereinbaren. 2. Ergebnissicherungsfunktion Bewertung erbrachter Arbeitsleistungen (Hacker 1998, S. 258–270). Hier geht es um Feedback beziehungsweise um Rückkopplungen zum Zielerreichungsgrad (Düll 1993, S. 257–278). Darüber hinaus gilt es, gemeinsam Optimierungspotenziale zu diskutieren (wie kann eine Aufgabe unabhängig von einem einzelnen Mitarbeiter generell effizienter „abgearbeitet“ werden) und Qualifikationsnotwendigkeiten herauszuarbeiten (wie kann ein Mitarbeiter unabhängig von einer einzelnen Aufgabe generell effizienter arbeiten). 3. Sozio-technische Funktion Interpersonelle Kommunikation ist eine Möglichkeit, den Mitarbeiter an das Unternehmen beziehungsweise an die Behörde zu binden (Moser 1997, S. 160–170), sich an ihre Arbeitsorganisation emotional anzudocken und letztendlich zu zusätzlicher Leistungsanstrengung bereit zu sein (Comelli und Rosenstiel 2009, S. 21). Die angestrebten Wirkungen von interpersoneller Kommunikation können genauso wie auch die Wirkungen von anderen Führungsinstrumenten mittels Substituten erreicht werden. Auch können erhoffte Wirkungen lediglich schwach ausgeprägt sein. Aber oft wirkt eine professionelle interpersonelle Kommunikation verstärkend. Beispielhaft werden im Folgenden sowohl eigene Überlegungen als auch ausgewählte Forschungsergebnisse dazu kurz referiert:
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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1. Substitution Verschriftlichte, bereits diskutierte und allgemein akzeptierte Regelungen als auch eindeutige Geschäftsverteilungen müssen nicht immer wieder aufs Neue kommuniziert werden. Genauso verhält es sich mit rein deklaratorischen Informationen (beispielsweise allgemein bekannte Leitlinien bei der taktischen Begleitung von Versammlungslagen wie sie bereits in der PDV 100 geregelt sind). 2. Schwache Wirkung Eine zufriedenstellende Kommunikation hat lediglich einen geringen Einfluss auf den Zusammenhang von organisationalem Commitment und Akzeptanz von Mitarbeitergesprächen. Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn es um den Zusammenhang von Kommunikationsqualität und genereller Identifikation mit der betroffenen Organisation geht. Organisationales Commitment scheint eine Vielzahl von Einflussfaktoren zu haben (Alberternst und Moser 2007, S. 123); dabei spielt Kommunikation lediglich eine untergeordnete Rolle. 3. Starke Wirkung Eine gelungene Kommunikation stärkt die Identifikation nachgeordneter Mitarbeiter mit ihren Führungskräften und erhöht somit die Einflussoffenheit von Mitarbeitern gegenüber den Vorstellungen ihrer Führungskräfte (Eckloff und von Quaquebeke 2008, S. 170–175). Zudem konnte empirisch nachgewiesen werden, dass die Kommunikationsqualität stark positiv mit der Wirkung von transformationaler Führung5 korreliert (Pundt et al. 2006, S. 115). Darüber hinaus „stellt die Qualität der Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter einen signifikanten Moderator für den Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und affektivem Commitment dar.“ (Pundt et al. 2006, S. 116). Relevante Studien aus dem Bereich der deutschen Polizei liegen zu diesem Themenfeld bisher nicht vor. Aufgrund der hohen Bedeutung der Kommunikation für die Gestaltung von Führungsbeziehungen (Thielmann und Weibler 2014, S. 171) spielt das Handlungsfeld Kommunikation als Mittel und Medium der Führung eine herausragende Rolle im Transformationalen Personalführungsmodell der Polizei. 5Diese
Aussage gilt nicht für die Häufigkeit von Kommunikation. Das Item „Kontakte pro Woche (in Stunden)“ korrelierte weder mit transformationaler Führung noch mit affektivem Commitment (Pundt et al. 2006, S. 113). Im Umkehrschluss kann dies – mit gebotener Zurückhaltung – auch wie folgt gedeutet werden: Eine bloße „Dauerkommunikation“ ist nicht zwingend zielführend.
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Diesbezüglich geht es zunächst um den Erwerb und den Ausbau von Kenntnissen über Kommunikation und Kommunikationskompetenzen. Dies umfasst ein grundsätzliches Verständnis von Kommunikationsprozessen und -modellen, unter welche beispielsweise Sender-Empfänger-Modelle, die fünf Axiome der Kommunikation sowie das Vier-Seiten-Modell der Kommunikation fallen (Weibler 2016, S. 370–373). Vor dem Hintergrund dieser Kenntnisse und Kompetenzen soll die Führungskraft anschließend in ihren Führungsgesprächen Kommunikationstechniken nutzen, um die Führungsbeziehung mit dem Mitarbeiter effektiv zu gestalten und die Akzeptanz ihres Versuchs der Verhaltensbeeinflussung zu steigern. Unter diese Techniken fallen unter anderem das Zuhören, das Schweigen, das Paraphrasieren, die Nutzung von Ich-Botschaften und Fragen, das Überzeugen durch Argumente sowie das Geben von Feedback (Weibler 2016, S. 374–376). Daran anknüpfend sollte die Führungskraft sowohl Kenntnisse über Konfliktlösungsstrategien haben, als auch die Kompetenz, diese effektiv einzusetzen, um das Verhalten der nachgeordneten Mitarbeiter zu beeinflussen (beispielsweise Verbesserung der Arbeitssituation durch die Lösung von Konflikten in der Gruppe) oder um eine direkte Beziehungsverbesserung zwischen ihr und dem Mitarbeiter zu ermöglichen (Weibler 2016, S. 377). Daher ist es für die Führungskraft von Bedeutung, eine grundlegende Kenntnis über die Ursachen von Konflikten, Konfliktsituationen und Konfliktarten sowie den Verlaufsformen von Konflikten zu haben, um daraus folgend Konfliktlösungsstrategien entwickeln zu können.
Begriffsbestimmung Führungsgespräche Bezieht man die Ausführungen über Kommunikation auf Führungsgespräche als primär aktives Führungsinstrument, bedeutet dies, dass eine Führungskraft im Führungsalltag den unmittelbaren Kontakt mit ihren nachgeordneten Mitarbeitern sucht, um auf das Verhalten dieser einzuwirken oder direkt eine Verbesserung der Beziehung anzustreben (Weibler 2016, S. 369). Damit Führungsgespräche zur Gestaltung von Führungsbeziehungen effektiv und erfolgreich eingesetzt werden können, sollten Führungskräfte Kommunikationsprozesse genauer verstehen. In diesem Kontext kann die Kenntnis von Kommunikationsmodellen der Führungskraft dazu verhelfen, komplexe Kommunikationsprozesse genauer zu analysieren und basierend darauf den Einsatz von Führungsgesprächen zu verbessern (Weibler 2016, S. 369 f.).
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
221 Signal
kodiert
Botschaft Quelle
dekodiert
Sender
Empfänger
Botschaft Ziel
Störungen
Abb. 6.5 Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Thielmann und Weibler 2014, S. 173))
Sender-Empfänger-Modelle Als Ausgangspunkt, auch im historischen Zusammenhang, dient das S enderEmpfänger-Modell der Kommunikation (siehe Abb. 6.5) der Mathematiker Shannon und Weaver (1963), welches zunächst als rein technisches Modell für die Übermittlung von Codes (Signale, Zeichen) entwickelt und anschließend auf die menschliche Kommunikation übertragen wurde (Thielmann und Weibler 2014, S. 173; Weibler 2016, S. 370). Ihr Modell basiert dabei auf folgenden Erkenntnissen: Kommunikation beruht grundlegend auf der Übermittlung von Zeichen, verstanden als endliche Anzahl von Gesten oder Wörtern. Eine Geste oder ein Wort beziehungsweise mehrere Gesten oder mehrere Wörter bilden ein Signal, welches dem Empfänger übermittelt wird. Dieser dekodiert im Anschluss das erhaltene Signal und kann somit die Botschaft verstehen. Bei dieser Signalübertragung kann es im Folgenden jedoch zu Problemen kommen; insbesondere dann, wenn Sender und Empfänger nicht dieselben Kodierungsschemata nutzen (Thielmann und Weibler 2014, S. 173; Weibler 2016, S. 370). Diesbezüglich lassen sich drei unterschiedliche Ebenen der Kodierung voneinander differenzieren (Thielmann und Weibler 2014, S. 170): • Die Syntax, das heißt, welchen formalen Regeln die Zusammensetzung von Signalen und Zeichen folgt. • Die Semantik, die zeigt, welche Bedeutung die Zeichen jeweils haben. • Die Pragmatik, die beschreibt, welche Wirkung die entstandene Nachricht hat und welche daraus resultierenden Reaktionen sie möglicherweise nach sich zieht. Eine Konsequenz daraus ist, dass Sender und Empfänger grundsätzlich sowohl über den gleichen Zeichenbestand als auch dessen Interpretation verfügen müssen, um überhaupt miteinander kommunizieren zu können. Dies scheint zunächst
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banal, scheitert aber häufig in sozialen Beziehungen daran, dass bestimmte komplexe Zeichen, die in einer Organisation üblich sind, von Außenstehenden oder neuen Organisationsmitgliedern einfach nicht verstanden oder beherrscht werden (Thielmann und Weibler 2014, S. 173 f.; Weibler 2016, S. 370 f.). Daraus resultierend ist es von Bedeutung, dass der Sender bei der Wahl seiner Zeichen und Signale darauf achtet, dass der Empfänger diese auch dekodieren kann beziehungsweise dass er sich der Problematik, die sich durch das möglicherweise falsche Dekodieren ergeben kann, bewusst ist (Thielmann und Weibler 2014, S. 174). Die fünf Axiome der Kommunikation Im Fortgang der weiteren Entwicklung der Kommunikationsforschung beschrieben Watzlawick, Beavin und Jackson die fünf Axiome6 der menschlichen Kommunikation. Die drei Autoren sehen die menschliche Kommunikation dabei als ein komplexes Geschehen aus vielfältigen, mentalen Prozessen. Daraus resultierend formulieren sie bestimmte Grundeigenschaften, die auf kommunikative Aktionen anwendbar sind (Weibler 2016, S. 371). Die fünf Axiome der menschlichen Kommunikation lauten wie folgt (Watzlawick et al. 2017, S. 57–82; Weibler 2016, S. 371 f.): • Man kann nicht nicht kommunizieren. Das erste Axiom besagt, dass ein spezifisches Verhalten, ob gewollt oder ungewollt, immer einen kommunikativen Charakter hat, es gibt also kein „Nicht-Verhalten“. Insofern also zwei oder mehr Menschen aufeinandertreffen und sich gegenseitig wahrnehmen, kann nicht nicht kommuniziert werden. • Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist. Das zweite Axiom sagt aus, dass jede Kommunikation über die reine Sachinformation hinaus einen Hinweis darauf gibt, wie der jeweilige Sender seine Botschaft verstanden haben will und wie dieser seine Beziehung zum Empfänger sieht. In diesem Kontext können beispielsweise bestehende Uneinigkeiten auf der Sachebene auf die persönliche Beziehungsebene übertragen und dort ausgetragen werden.
6Ein
Axiom ist eine Setzung, beispielsweise ein für wahr gehaltener Erfahrungsgrundsatz, der keines weiteren Beweises oder keiner weiteren Begründung bedarf (Weibler 2016, S. 371).
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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• Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt. Das dritte Axiom besagt, dass sowohl Sender als auch Empfänger den Kommunikationsablauf unterschiedlich gliedern und so ihr jeweiliges Verhalten oft nur als Reaktion auf das Verhalten des Gegenübers interpretieren. Kommunikationsabläufe sind in diesem Kontext von Wechselseitigkeit geprägt und erscheinen als ein ununterbrochener Austausch von Mitteilungen. • Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Das vierte Axiom sagt aus, dass im Kommunikationsprozess sowohl das übermittelte Wort (digitale Modalität) als auch nonverbale Äußerungen wie Mimik und Gestik (analoge Modalität) eine Rolle spielen. Beide Formen ergänzen sich diesbezüglich und werden von den Kommunizierenden im gleichen Maß berücksichtigt. Dabei wird mit analogen Modalitäten häufig die Beziehungsebene vermittelt, während mit digitalen Modalitäten meist die Inhaltsebene vermittelt wird. Analoge Kommunikation ist in diesem Zusammenhang mehrdeutig, was zu Fehlinterpretationen führen kann. • Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Ungleichheit beruht. Aus dem fünften Axiom ergibt sich die Aussage, dass zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe entweder auf Gleichheit oder auf Ungleichheit beruhen. Dementsprechend verläuft Kommunikation entweder zwischen gleichberechtigten Partnern (symmetrische Kommunikation, beispielsweise zwischen Kollegen) oder zwischen nicht gleichrangigen Partnern (komplementäre Kommunikation, beispielsweise zwischen Vorgesetztem/Mitarbeiter oder Lehrer/Schüler). Vier-Seiten-Modell der Kommunikation Von großer Relevanz bei den Erkenntnissen über Kommunikation sind ferner die Modelle über die „vier Seiten einer Nachricht“. Diesbezüglich ist in Deutschland insbesondere das „Vier-Seiten-Modell der Kommunikation“ (siehe Abb. 6.6) von Schulz von Thun populär (Thielmann und Weibler 2014, S. 175). In diesem Modell, welches mitunter auch als „Kommunikationsquadrat“ bezeichnet wird, wird davon ausgegangen, dass eine Nachricht nie eindeutig ist und stets vier Botschaften (Aussagen) gleichzeitig enthält (Schulz von Thun et al. 2019, S. 33).
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Sachinhalt
Beziehungsaussage
Die vier Seiten einer Nachricht
Appell
Selbstoffenbarung
Abb. 6.6 Vier-Seiten-Modell der Kommunikation. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Thielmann und Weibler 2014, S. 176))
Dieser vierfache Gehalt einer Äußerung zeigt sich wie folgt anhand von vier Ebenen (Schulz von Thun et al. 2019, S. 33): • • • •
Sachinformation (worüber ich informiere), Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe), Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe), Appell (was ich bei dir erreichen möchte).
Die Sachebene wird meist direkt ausgesprochen und beinhaltet zunächst die Sachinformation nach Kenntnis und Wahrnehmung des jeweiligen Senders. Die Sachebene eines Gesprächs ist dabei von großer Bedeutung, da sach- und menschengerechte Lösungen nicht selten mit der Qualität eines Diskurses auf dieser Ebene stehen und fallen (Schulz von Thun et al. 2019, S. 33–35; Weibler 2016, S. 372). Demgegenüber impliziert die Appellebene den Versuch, den Empfänger in einer spezifischen Art und Weise zum Denken, Handeln oder Unterlassen zu beeinflussen; der Andere soll nicht nur „erreicht“ werden, sondern es soll auch etwas „bei ihm erreicht“ werden (Schulz von Thun et al. 2019, S. 40; Weibler 2016, S. 372). Bei der Selbstkundgabe-Seite präsentiert der Sender, ob er will oder nicht, stets Informationen über sich selbst: Er gibt stets einen Hinweis darauf, was in ihm vorgeht, wie es um ihn steht, wofür er steht und wie er seine Rolle auffasst. Dies kann sowohl explizit („Ich-Botschaften“) als auch implizit
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
225
geschehen (Schulz von Thun et al. 2019, S. 37–39). Letztlich beinhaltet die Beziehungsebene stets Informationen darüber, wie der Sender zum Empfänger steht und was er von diesem hält. In jeder Äußerung steckt somit auch immer ein Beziehungshinweis, für welchen der Empfänger oft ein sensibles Ohr besitzt (Schulz von Thun et al. 2019, S. 35–37). Der Empfänger einer Nachricht empfängt diese ebenfalls auf diesen vier Ebenen, wobei Empfänger sich darin unterscheiden, welche Ebenen für sie besondere Bedeutung besitzen. Schulz von Thun beschreibt dies mit den „vier Ohren“ (Schulz von Thun et al. 2019, S. 33). Dies führt dazu, dass Empfänger ein „Sachohr“, ein „Selbstkundgabeohr“, ein „Beziehungsohr“ sowie ein „Appellohr“ haben, mit denen sie Nachrichten aufnehmen. Auf welchem jeweiligen Ohr der Empfänger die Nachricht im Folgenden nun interpretiert, ist für den Sender nicht eindeutig vorhersehbar. Dies erhöht somit die Wahrscheinlichkeit für Kommunikationsprobleme. In diesem Kontext lässt sich festhalten, dass sowohl Interpretationen, als auch subjektive Wahrnehmungen einen starken Einfluss auf Kommunikationsabläufe haben (Weibler 2016, S. 372). Beispiel: Stabsleiter 1 (Einsatz) an einen Mitarbeiter seines Stabsbereiches (Anmerkung: dieses Beispiel ist bewusst überhöht dargestellt worden)
„Die N-Partei hat für den nächsten Monat eine Demonstration angemeldet. Erheben Sie bitte alle notwendigen Informationen. Führen Sie eine Bund-Länder-Abfrage durch. Beurteilen Sie die Lage und fertigen Sie einen Entschlussvorschlag aus. Termin ist der… Ich bitte um regelmäßigen Zwischenbericht (alle 2 Tage). Nicht, dass wichtige Informationen fehlen und wir beim Einsatz wieder „rudern“ müssen.“ Sachinhalt: N-Partei will im nächsten Monat eine Demonstration durchführen. Appell: Informationserhebung, Durchführung Bund-Länder-Abfrage, Durchführung Beurteilung der Lage und Ausfertigung Entschlussvorschlag. Beziehung: Hier ist zu vermuten, dass der Stabsleiter die Leistungsfähigkeit und -willigkeit des Mitarbeiters als nicht besonders herausragend eingeschätzt. Selbstoffenbarung: Einer der letzten Einsätze scheint nicht optimal gelaufen zu sein. Der Stabsleiter befürchtet eine Wiederholung einer solch misslichen Situation. ◄ Im Zusammenhang mit den Darstellungen der fünf Axiome der Kommunikation sowie dem Vier-Seiten-Modell der Kommunikation wird ersichtlich, dass
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es von hoher Bedeutung ist, beziehungsgerecht zu kommunizieren, um eine effektive Kommunikation zu gewährleisten. Kommunikation muss sich daher an den Unterschieden in den Charakteren und Persönlichkeiten der jeweiligen Gesprächspartner orientieren (Weibler 2016 S. 273). Kommunikationstechniken der Führungskraft Anknüpfend an die Darstellungen der wesentlichen Kommunikationsprozesse und -modelle wird folgend der Einsatz von Kommunikationstechniken gezielt thematisiert, da diese maßgeblich für die Qualität von Führungsgesprächen von Bedeutung sind (Weibler 2016, S. 368). Kommunikationstechniken können dabei in Führungsgesprächen von Führungskräften gezielt eingesetzt werden, um die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz eines Verhaltensbeeinflussungsversuches zu erhöhen (Weibler 2016, S. 374). Nachfolgend werden die wesentlichen Kommunikationstechniken skizziert dargestellt (Weibler 2016, S. 374 f.): • Zuhören Das Zuhören stellt eine erste wichtige Kommunikationstechnik dar, obwohl man auf den ersten Blick vermuten könnte, dass das Zuhören lediglich geringe Aktivitätsanforderungen an eine Führungskraft in einer spezifischen Führungssituation stellt und somit eher eine passive Angelegenheit darstellt. Betrachtet man dies jedoch genauer, wird erkennbar, dass das Zuhören neben einem hohen Maß an Konzentration sowohl kognitive als auch motivationale Aktivitäten voraussetzt. Zuhören geht dabei mit bewusster Aufmerksamkeitszuwendung und Sinnzuschreibung einher, was dazu führt, dass dieser Prozess viel Energie benötigt und mit Sättigungs- und Ermüdungserscheinungen verbunden ist. • Schweigen Des Öfteren wird Schweigen als bloßes Nichts-Sagen interpretiert und insbesondere im beruflichen Kontext als Belastung empfunden. Schweigen kann jedoch – sofern richtig eingesetzt – für einen gelungenen Gesprächsablauf hilfreich sein. Zudem bietet Schweigen die Möglichkeit, Raum für Reflexion über das Gesagte zu öffnen. Alsdann kann sich der Kommunikationspartner durch Schweigen verstanden und ernst genommen fühlen, was einen zentralen Aspekt von Wertschätzung darstellt. • Paraphrasieren Neben dem Zuhören und Schweigen kann eine Führungskraft ein Gespräch lenken, indem sie das Gehörte mit den eigenen Worten wiedergibt. Ähnlich wie Zuhören und Schweigen signalisiert Paraphrasieren Aufmerksamkeit und
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
•
•
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Wertschätzung, es dient im Folgenden der Vermeidung von Missverständnissen. Kernaussagen des Gesprächs lassen sich somit am Ende zusammenfassen und Unklarheiten beseitigen. Nutzung von Ich-Botschaften Durch die Verwendung von Ich-Botschaften werden im Allgemeinen „Du-“ beziehungsweise „Sie-Botschaften“ vermieden, was als sinnvoll erscheint, da diese die Gesprächssituation belasten können (dem Gesprächspartner wird durchgängig signalisiert, was dieser falsch gemacht hat). In diesem Kontext sind Ich-Formulierungen sinnvoller, die explizit verdeutlichen, was „ich“ als Führungskraft empfunden habe. Damit wird die eigene Wahrnehmung der Führungskraft in den Fokus gerückt; zumal dieser in der Regel nur schwer widersprochen werden kann. Stellen von Fragen Fragen können in Führungsgesprächen durch Führungskräfte genutzt werden, um das Gespräch gezielt zu steuern und die Gesprächsführung in der Hand zu behalten. Diesbezüglich ist es wichtig, sich vorher im Klaren zu sein, welchen Zweck und welche Auswirkungen die jeweiligen Fragen haben. Nur ein gezielter Einsatz von Fragen kann in diesem Zusammenhang in die richtige Richtung führen. Empfehlenswert ist diesbezüglich, dass Fragen kurz und offen gestellt werden. Suggestiv- oder Alternativfragen sollten vermieden werden. Überzeugen durch Argumente Das Überzeugen durch Argumente stellt eine klassische rhetorische Figur einer Kommunikationstechnik dar. Im Allgemeinen ermöglicht sie dabei, den Sinn des Gesagten zu erschließen. Das Überzeugen sollte dabei stets auf das jeweilige Gegenüber zugeschnitten sein und mit der nötigen Zeit, respektvoll, sachlich, aber nicht zwingend allein rational erfolgen. Argumente dürfen in diesem Zusammenhang eindringlich, aber niemals aufdringlich sein; eine klare Differenzierung von Fakten und Interpretationen ist von Relevanz. Geben und Nehmen von Feedback Feedback geben und einfordern ist für eine erfolgreiche Kommunikationsbeziehung unerlässlich. Ein konstruktives Feedback ist motivierend und hilft dabei, aus gemachten Fehlern zu lernen. Das Feedback soll dabei einfühlsam, situationsbezogen, wertschätzend sowie zeitnah sein und nicht zu selten erfolgen. Eine zentrale Regel hinsichtlich des Gebens von Feedback ist, dass mehr positives als negatives Feedback gegeben werden sollte. Feedback ermöglicht dabei insgesamt eine zielgerichtete Verhaltensänderung durch Reflexion.
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Konfliktlösungsstrategien Kommunikation dient nicht nur einer bloßen Informationsübermittlung, die bestimmten Regeln folgt (Axiome) und Aspekte von „Appell“, „Beziehung“ und „Selbstoffenbarung“ beinhaltet. Kommunikation kann unter anderem Konflikte hervorrufen, aber auch abmildern beziehungsweise im Idealfall beseitigen. Konfliktlösungsstrategien können in diesem Zusammenhang als primär aktive Führungsinstrumente bezeichnet werden, wenn sie von einer Führungskraft gezielt dazu eingesetzt werden, das Verhalten der nachgeordneten Mitarbeiter zu beeinflussen (beispielsweise Verbesserung der Arbeitssituation durch die Lösung von Konflikten in der Gruppe) oder eine direkte Beziehungsverbesserung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu ermöglichen (Weibler 2016, S. 377). Konflikte (lateinisch confligere/conflictum, wörtlich „zusammenschlagen, zusammenstoßen“ oder „Zusammentreffen verschiedener Interessen“) sind im Allgemeinen dann zu beobachten, wenn verschiedene Absichten, Bedürfnisse, Einstellungen, Erwartungen, Interessen, Normen, Werte, Ziele sowie Gefühle, Handlungen oder Rollen gleichzeitig aktiviert werden, in sich gegensätzlich und gegebenenfalls unvereinbar sind. Insbesondere widersprüchliche Zielsetzungen (beispielsweise zwischen Organisationsmitgliedern, einzelnen Bereichen oder zwischen Stab und Linie) generieren dabei zahlreiche Konflikte (Weibler 2016, S. 378). Anknüpfend an eine grundlegende Kenntnis über die Ursachen von Konflikten setzen Konfliktlösungsstrategien die Wahrnehmung eines Konfliktes voraus. Diesbezüglich ist eine Kenntnis über verschiedene Konfliktsituationen sowie Konfliktarten von Relevanz, da diese das Detektieren von Konflikten erleichtert. Im organisationalen Kontext, der hier betrachtet wird, lässt sich primär zwischen zwei Konfliktsituationen unterscheiden (siehe Abb. 6.7): Einerseits kann ein Konflikt zwischen einer Führungskraft und einem oder mehreren
Führungskraft
Direkter Konflikt
Geführter bzw. mehrere Geführte
Lateraler Kooperationskonflikt
Geführter
Geführte
Abb. 6.7 Mögliche Konfliktsituationen in Organisationen. (Quelle: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Weibler 2016, S. 379))
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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Geführten bestehen. In diesem Fall ist also direkt die Führungsbeziehung betroffen – es handelt sich um einen direkten Konflikt. Andererseits kann es auch zu einem Konflikt zwischen zwei hierarchisch gleichgestellten Organisationsmitgliedern innerhalb einer Gruppe oder auch zwischen verschiedenen Abteilungen kommen (Wunderer 2011, S. 495). Diese Konflikte können auch als „laterale Kooperationskonflikte“ (Wunderer 2011, S. 481) bezeichnet werden. In dieser Konstellation ist nicht die direkte Führungsbeziehung betroffen; die Konflikte beeinträchtigen jedoch die Arbeitssituation der geführten Mitarbeiter (Weibler 2016, S. 378). Anknüpfend an die Differenzierung von Konflikten anhand ihrer Situationen können diese auch anhand ihrer Art unterschieden werden. In diesem Zusammenhang können sieben unterschiedliche Konfliktarten klassifiziert werden (Weibler 2016, S. 378 f.): • Beurteilungskonflikte Sich unterscheidende Informationsquellen und Kenntnisstände (Erfahrungen, Qualifikationen) der am Konflikt beteiligten Personen führen zu variierenden Einschätzungen über den spezifischen Streitpunkt (beispielsweise mögliche oder zweckmäßige Durchführungspraktiken). • Beziehungskonflikte Fehlende Anerkennung oder persönliche Kränkung führen zu Beziehungskonflikten. • Handlungskonflikte Nicht miteinander zu vereinbarende Handlungstendenzen oder eine Unvereinbarkeit von Handlungen beziehungsweise deren Realisierung (beispielsweise die Art und Weise einer Durchführung) führen zu Handlungskonflikten. • Rollenkonflikte Unterschiedliche Rollenanforderungen geraten hier miteinander in einen Widerstreit. • Sachkonflikte Inverse Meinungen beziehungsweise die Uneinigkeit sind auf einen spezifischen Sachverhalt bezogen (beispielsweise unterschiedliche Meinungen darüber, welches Problem prioritär zu behandeln ist). • Verteilungskonflikte Eine ungleiche Verteilung von Gratifikationen (Beförderungen, Geld, Macht) und Ressourcen wird konfliktwirksam. • Wertkonflikte Voneinander differenzierende Beweggründe, Einstellungen, Werthaltungen oder Ziele provozieren einen Konflikt.
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Konflikte lassen sich dabei durch unterschiedliche Verlaufsformen charakterisieren. Zum typischen Konfliktverlauf als auch zu möglichen Konfliktlösungsstrategien hat sich Glasl zusammenfassend mehrfach geäußert. In seinem Konflikteskalationsmodell, das den Konfliktverlauf in zunehmend gefährlich werdender Weise anhand von neun Stufen darstellt, wird die Eigendynamik eines Konflikts dargestellt, die dazu führt, dass sich die am Konflikt beteiligten Akteure immer weiter in den Konflikt hineintreiben lassen (Weibler 2016, S. 380). Die einzelnen Stufen des Konflikteskalationsmodells von Glasl können wie folgt beschrieben werden (2011, S. 126 f.): 1. Verhärtung Die unterschiedlichen Standpunkte verhärten zunehmend und treffen aufeinander; es gibt noch keine starren Lager oder Parteien. Ein Bewusstsein für die bestehenden Spannungen liegt vor, die Überzeugung, dass diese durch Gespräche lösbar seien, herrscht vor. 2. Debatte, Polemik Eine Polarisierung im Denken, Fühlen und Wollen sowie ein Schwarz-Weiß-Denken setzt ein. Es kommt zur gegenseitigen Abwertungen durch verbale Gewalt. 3. Taten statt Worte Das Motto lautet: „Reden hilft nichts mehr“. Taten folgen den Worten – unter anderem in Form von Drohgebärden. Die Empathie geht verloren. 4. Images und Koalitionen Gerüchte, Image-Kampagnen, Klischees und Stereotypen werden verbreitet. Die Gegenspieler werben um Anhänger und es kommt zu symbiotischen Koalitionen. Diese manövrieren einander in negative Rollen und bekämpfen sich; dementierbares Strafverhalten zeigt sich. 5. Gesichtsverlust Es kommt öffentlich und direkt zu Gesichtsangriffen. Vorwürfe des Ehrverlustes, Verbrechens und Verrats werden verlautet. Es wird versucht, den Gegenspieler auszustoßen, zu verbannen oder zu isolieren. 6. Drohstrategien Die Situation ist von Erpressung, Drohung und Gegendrohung geprägt. Sanktionen für den Gegenspieler werden eingefordert. 7. Begrenzte Vernichtungsschläge Das Denken ist durch „Dingkategorien“ (Entmenschlichung des Gegenübers) geprägt. Begrenzte Vernichtungsschläge werden als „passende Antwort“ angesehen. Werte werden ins Gegenteil umgekehrt: Ein eigener, relativ kleiner Schaden wird als Gewinn betrachtet.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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8. Zersplitterung Das „feindliche System“ wird paralysiert und desintegriert. Die Zerstörung vitaler Systemfaktoren, welche das „Gegnersystem“ unsteuerbar machen sollen, wird angestrebt. 9. Gemeinsam in den Abgrund Es gibt keinen Weg mehr zurück: Totale Konfrontation. Fiat iustitia et pereat mundus; Vernichtung zum Preis der Selbstvernichtung. Im Kontext dieses Konflikteskalationsmodells sollte sich eine Führungskraft beim Einsatz von Konfliktlösungsstrategien zunächst die Frage stellen, auf welcher Stufe sich der Konflikt gerade befindet. Entsprechend dieser Analyse sind dann auch unterschiedliche Strategien einsetzbar (Weibler 2016, S. 380). Glasl unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen präventiven und kurativen sowie deeskalierenden und eskalierenden Interventionen (2011, S. 128–131): Mit präventiven Interventionen wird das primäre Ziel verfolgt, dass ein Konflikt gar nicht erst zum Ausbruch kommt. Dies ist einerseits möglich, indem die bestehende Führung und Organisation regelmäßig nach vorhandenem Konfliktpotenzial untersucht wird. Andererseits ist dies durch Präventivmaßnahmen möglich, die sich auf einen möglichen Konfliktprozess beziehen. Unter diese Präventivmaßnahmen fallen unter anderem Schulungen in Kommunikation sowie Schulungen im Umgang mit Druck und Stress. Anknüpfend an das primäre Ziel von präventiven Interventionen soll zudem erreicht werden, dass ein Konflikt nicht weiter eskaliert beziehungsweise dass im Konfliktfall der Schaden möglichst begrenzt wird (Glasl 2011, S. 128). Abgrenzend zu den präventiven Interventionen verfolgt die kurative Intervention das Ziel, einen bereits vorhandenen Konflikt zu lösen, zu begrenzen, zu kontrollieren oder zu regeln. Grundlegend dafür ist eine Diagnose darüber, welche Streitpunkte gegeben sind und wie diese von den Konfliktparteien erlebt werden sowie was sich im Konfliktverlauf bereits alles an wechselseitigen Konditionierungen und Verwundungen ergeben hat. Darauf basierend können Interventionen ausgerichtet werden, um einen entspannten Zustand herzustellen, in welchem die vormaligen Konfliktparteien wieder konstruktiv miteinander arbeiten können. Sowohl präventive als auch kurative Interventionen können unterdessen eine Lösung oder Beendigung des Konflikts erreichen, wenn sie die Eskalation steigern oder reduzieren (Glasl 2011, S. 129). Dies ergibt nachfolgende Differenzierung: Wenn man Faktoren und Mechanismen kennt und versteht, die zur Konflikteskalation führen, dann hat man auch die Möglichkeit, diese Kenntnisse für
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
das Reduzieren der Eskalation, also das Deeskalieren, zu nutzen. Dies ist beispielsweise möglich, indem man den Konfliktparteien die zuvor beschriebenen Eskalationsmechanismen (siehe Konflikteskalationsmodell) zu Bewusstsein führt oder wenn man mit ihnen die nicht gewünschten Auswirkungen ihrer Verhaltensweisen untersucht und mit den ursprünglichen Intentionen vergleicht. Im Idealfall wird dieses Vorgehen zu einer Minderung der Spannung führen. Die Konfliktparteien werden folgend erkennen, dass sie den vorliegenden Konflikt wirksam unter Kontrolle bekommen können. Infolgedessen trauen sie sich einen weiteren Schritt zur Klärung des Konflikts zu. Insbesondere in heißen Konflikten empfehlen sich deeskalierende Interventionen dieser Art (Glasl 2011, S. 129). „Heiße“ und „kalte“ Konflikte Bei „heißen“ Konflikten zeichnen sich Glasl zufolge die Konfliktparteien durch eine grundsätzliche Begeisterung für ihre Sache aus, von welcher sie die Gegenseite überzeugen wollen. Sie haben daher – zumindest anfänglich – kein negatives Bild von ihrem Gegenüber und verhalten sich, diesem gegenüber, äußerst kommunikativ. Abgrenzend dazu trifft man bei „kalten“ Konflikten auf tiefe Enttäuschungen, Frustration und eine weitgehende Desillusionierung. Die Konfliktparteien haben es aufgegeben, einander überzeugen zu wollen und vermeiden daher die Konfrontation, wenn nicht sogar den Kontakt (2011, S. 125).
Abgrenzend dazu ist es jedoch nicht von Anfang an gesagt, dass nur deeskalierende Interventionen effektiv oder sinnvoll sind. Es kann auch im Interesse einer dauerhaften Konfliktlösung geboten sein, einen bestehenden Konflikt „anzuheizen“ beziehungsweise „aufzutauen“, diesen also durch eskalierende Maßnahmen noch zu steigern. Ein solches Vorgehen ist insbesondere bei kalten Konflikten ratsam, da eines der großen Probleme dieser Konflikte die unausgesprochene Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien ist, so zu tun, als wäre alles nicht so schlimm. Dabei können unterschiedliche Interventionen eskalierend wirken: Beispielsweise kann einerseits eine von einer Drittpartei erstellte Prognose, zu den potenziellen Folgen der vorliegenden Konflikte, zum Sichtbarwerden der Gegensätze führen. Es kann folglich geklärt werden, ob die beteiligten Konfliktparteien dafür letztendlich verantwortlich gemacht werden möchten. Andererseits können bereits vorliegende gegenseitige Behinderungen und Störungen verstärkt werden, um sie so unerträglich zu machen, dass sich die Konfliktparteien letztlich zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit ihren Beziehungsproblemen entschließen (Glasl 2011, S. 129 f.). Diese vier prinzipiellen Interventionsrichtungen können schließlich in der Tab. 6.5 miteinander verknüpft werden.
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft
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Tab. 6.5 Vier prinzipielle Interventionsrichtungen. (Quelle: Glasl 2011, S. 131) Deeskalierend
Eskalierend
Präventiv
Um Kommunikationsproblemen vorzubeugen, werden Informationsspielregeln vereinbart; Training in Kommunikationsmethoden
In Anwesenheit des Beraters werden Sorgen, Ängste, Unterstellungen gezielt angesprochen; Konfrontationssitzung, um zu vermeiden, dass ein beginnender Konflikt kalt gemacht wird
Kurativ
Der Konfliktverlauf wird rekonstruiert und geklärt; die Konfliktparteien klären ihre unterschiedlichen Perzeptionen des Verhaltens
Bestehende kalte Konflikte werden durch Rollenspiele dramatisiert, übertrieben; ein Interessenvertreter ermutigt seine Klienten, sich stark für ihre Standpunkte einzusetzen
Bevor jedoch eskalierend interveniert wird, sollte zunächst pragmatisch geprüft werden, inwieweit durch diese Intervention wirklich größerer Schaden abgewendet werden kann beziehungsweise inwieweit die Konfliktparteien im Glauben an Eigenaktivitäten zur Konfliktbehandlung gestärkt oder gar geschwächt werden. Zudem ist die Möglichkeit der Gefährdung von Vertrauensbeziehungen zu Dritten in Betracht zu ziehen (Glasl 2011, S. 131). Wie jede Kommunikation so steht auch jeder Versuch einer Konfliktlösung unter ständiger Beobachtung anderer Organisationsmitglieder. Konfliktlösungsversuche verbrauchen Ressourcen. Mitunter kann es anzuraten sein, auf Konfliktlösungsversuche zu verzichten, weil sie entweder trotz eines erheblichen Ressourcenverbrauches mit großer Sicherheit erfolglos bleiben oder ein möglicher Nutzen unverhältnismäßig klein ist verglichen zum Aufwand. Dies empfiehlt sich gerade bei unfähigen und unwilligen Konfliktgegnern. Zuvor sollte man sich hierzu von unabhängigen neutralen Dritten beraten lassen.
6.2.4 Zusammenfassung zu den Handlungsfeldern Ziel des Buches war es, festzustellen, ob das Konzept der transformationalen Führung, respektive das Full Range of Leadership Model, eine Chance auf ein neues und modernes Führungsverständnis in der Polizei darstellt. In der anschließenden Diskussion, ob dies der Fall ist, wurde in Kap. 5 festgestellt, dass das Konzept der transformationalen Führung beziehungsweise das Full
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
Range of Leadership Model eine Chance auf eine neue und moderne Führungskonzeption in der deutschen Polizei darstellt und dieser die Möglichkeit bietet, eine leistungsfähige Organisation mit zufriedenen und motivierten Mitarbeitern zu sein. Gleichwohl wurde in diesem Zusammenhang deutlich, dass eine „1:1“-Übernahme nicht sinnvoll erscheint, da es sich bei dem Full Range of Leadership Model um ein theoretisches und unspezifisches Führungskonzept handelt, welches weder ein realitätsnahes Führungsverständnis aufweist, noch die (führungsspezifischen) Besonderheiten der Polizei oder bewährte Führungsinstrumente und -methoden berücksichtigt. Diesbezüglich wurde jedoch deutlich, dass dies von Bedeutung ist, um die Praktikabilität des Full Range of Leadership Model für die polizeiliche Führungspraxis sowie eine Akzeptanz bei allen Angehörigen der Organisation zu gewährleisten. Diese Erkenntnisse sowie der festgestellte Anpassungsbedarf waren im Folgenden der Ausgangspunkt für das Transformationale Personalführungsmodell der Polizei (TPFM). Als theoretische beziehungsweise konzeptionelle Basis des Modells dienten grundsätzlich die (Sub-)Dimensionen des Full Range of Leadership Model. Ergänzend dazu wurden jedoch auch bewährte Aspekte (des KFS) implementiert. Darunter zählten unter anderem Aspekte beziehungsweise Erkenntnisse der Systemelemente und Grundannahmen (Kommunikation, positives Menschenbild und Vertrauen) des KFS sowie der situativen Führung und der Substitutionstheorie der Führung. Um die Praktikabilität des TPFM weiter zu erhöhen, wurden zum einen die relevanten Besonderheiten der Polizei berücksichtigt und zum anderen bewährte Führungsinstrumente implementiert. In einem weiteren Schritt wurde beschrieben, welches Vorverständnis von Führung die Führungskraft haben sollte, um effektiv im Sinne des TPFM zu führen. Dieses Vorverständnis von Führung bildet die Grundannahmen zum TPFM, welche sich – vereinfacht betrachtet – einerseits aus dem theoretischen Verständnis von Führung in Organisationen (Abschn. 6.1.1) sowie andererseits aus dem Verständnis von unmittelbarer Mitarbeiterführung (Abschn. 6.1.2) zusammensetzen. Auf diesen Grundannahmen fußend, wurde im Folgenden das eigentliche Herzstück des TPFM vorgestellt – die Handlungsfelder der Führungskraft. Diese orientieren sich dabei grundsätzlich, sowohl inhaltlich als auch von der Aufteilung her, an den Subdimensionen des FRLM, weisen jedoch auch Anpassungen und Ergänzungen auf. Die sechs Handlungsfelder • Vorbildliches Verhalten, • Anregende Motivation, • Intellektuelle Herausforderung,
Lege gemeinsam mit deinem Mitarbeiter Ziele fest. Erkläre, wie diese Ziele durch den Mitarbeiter erreicht werden können. Stelle dem Mitarbeiter in Aussicht, welche Belohnung er bei Zielerreichung erhält. Beobachte/Kontrolliere den Fortschritt des Mitarbeiters und gib Rückmeldungen. Belohne oder sanktioniere den Mitarbeiter je nach Zielerreichungsgrad.
Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung
Überprüfe fortlaufend, ob deine Annahmen und Sichtweisen tatsächlich noch geeignet sind. Suche nach unterschiedlichen Perspektiven bei der Lösung von Problemen. Führe deine Mitarbeiter dazu, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Zeige neue Wege auf, wie Aufgaben erfolgreich bearbeitet werden können. Ermutige zu unkonventionellem Denken, um bestehende Probleme zu lösen.
Intellektuelle Herausforderung
Zeige modellhaftes und authentisches Verhalten. Kommuniziere deine wichtigsten Ideale, Überzeugungen und Werte. Kommuniziere die hohe Bedeutung gegenseitigen Vertrauens. Vermittle ein hohes Zielbewusstsein. Betone die Bedeutsamkeit von Teamarbeit. Stelle deine eigenen Interessen für höhere Ziele zurück.
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Kontrolliere aktiv und genau die Arbeit und Verhaltensweisen der Geführten. Lege deinen Fokus auf Abweichungen, Fehler, Versäumnisse und Verstöße. Antizipiere, wann und wie Fehler entstehen und Probleme auftreten können. Verfolge alle Fehler konsequent.
Aktive Kontrolle
Betrachte deine Geführten als Individuen mit je unterschiedlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Sehnsüchten. Achte auf individuelle Anliegen und höre genau zu. Unterstütze andere zur Entwicklung und Förderung ihrer Stärken. Entwickele und fördere jeden Mitarbeiter individuell.
Individuelle Entwicklung und Förderung
Äußere dich optimistisch und positiv über die Zukunft. Formuliere und artikuliere eine überzeugende Zukunftsvision. Zeige Begeisterung bezüglich der eigenen Aufgabe. Zeige Zuversicht hinsichtlich der Ziele, die erreicht werden sollen.
Anregende Motivation
Abb. 6.8 TPFM mit typischen Schlüsselverhaltensweisen in der Übersicht. (Quelle: Eigene Darstellung)
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Vorbildliches Verhalten
Führungsgespräche führen Kommunikationstechniken nutzen Konfliktlösungsstrategien nutzen
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Kommunikation als Mittel und Medium der Führung
6.2 Handlungsfelder der Führungskraft 235
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6 Transformationales Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)
• Individuelle Entwicklung und Förderung, • Zielsetzung und leistungsorientierte Gegenleistung sowie • Aktive Kontrolle wurden im Folgenden durch das Handlungsfeld Kommunikation ergänzt, da diese – so unsere Auffassung – eine Schlüsselrolle in der Gestaltung von Führungsbeziehungen spielt und dieser, als Mittel und Medium der Führung, eine hohe Bedeutung zukommt. Das TPFM umfasst somit insgesamt sieben Handlungsfelder: Vier transformationale, zwei transaktionale sowie ein führung sverhaltenübergreifendes. In einem nächsten Schritt wurden die Handlungsfelder des TPFM mit bewährten Führungsinstrumenten verknüpft, um diese zu erweitern und praktikabler für die Führungskräfte in der Polizei zu gestalten. Das Transformationale Personalführungsmodell der Polizei wird nachfolgend in der Abb. 6.8 mit den typischen Schlüsselverhaltensweisen einer Führungskraft präsentiert.
Literatur Alberternst, C., & Moser, K. (2007). Vertrauen zum Vorgesetzten, organisationales Commitment und die Einstellung zum Mitarbeitergespräch. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 51(3), 116–127. (N. F. 25). Barthel, C. (2010). Das Kooperative Führungssystem (KFS). Die Polizei, 101, 40–47. Barthel, C. (2014). Vorwort. In C. Barthel & D. Heidemann (Hrsg.), KFS? KFS 2.0! Eine Neuorientierung des polizeilichen Führungsdiskurses (S. 7–12). Münster: Deutsche Hochschule der Polizei – Hochschulverlag. Barthel, C., & Heidemann, D. (2014). Die theoretischen Grundlagen des KFS und des KFS 2.0 – Montageanleitung für eine Führungskonzeption. In C. Barthel & D. Heidemann (Hrsg.), KFS? KFS 2.0! Eine Neuorientierung des polizeilichen Führungsdiskurses (S. 65–104). Münster: Deutsche Hochschule der Polizei – Hochschulverlag. Barthel, C., & Heidemann, D. (2017). Bausteine für ein soziologisch informiertes Führungsverständnis in der Polizei. In C. Barthel & D. Heidemann (Hrsg.), Führung in der Polizei. Baustein für ein soziologisch informiertes Führungsverständnis (S. 21–58). Wiesbaden: Springer. Bass, B. M. (1999). Two decades of research and development in transformational leadership. European Journal of Work and Organizational Psychology, 8, 9–32. Bass, B. M., & Riggio, R. E. (2006). Transformational leadership. Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates. Bass, B. M., & Steidlmeier, P. (1999). Ethics, character, and authentic transformational leadership behavior. The Leadership Quarterly, 10, 181–217.
Literatur
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Ausblick
Zusammenfassung
Dem Phänomen Führung wird in der Polizei ein hoher Stellenwert beigemessen. Betrachtet man dieses Phänomen genauer, wird deutlich, dass insbesondere Führungskräften eine hohe Bedeutung zukommt, da sie mit ihrem Handeln und Verhalten unter anderem die Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter, das Betriebsklima und nicht zuletzt die Ergebnisqualität der Polizei insgesamt beeinflussen. Das vorgestellte Transformationale Personalführungsmodell der Polizei soll einen Beitrag dazu leisten, wirksam in der Polizei zu führen. Es stellt ein normatives Führungsmodell dar, welches auf den theoretischen Überlegungen zum Full Range of Leadership Model beruht und durch empirische Erkenntnisse der allgemeinen und teils polizeispezifischen Führungsforschung begründet zu sein scheint. In diesem Kontext wird jedoch ein hoher Forschungsbedarf deutlich, da sich bisher nur wenige Forschungsarbeiten mit der transformationalen Führung in der deutschen Polizei auseinandergesetzt haben. Die Motivation, dieses Buch zu schreiben, entsprang aus unserem gemeinsamen Interesse an der Personalführung im Allgemeinen und der Führung in der Polizei im Besonderen, der grundlegenden Ansicht, dass die Mitarbeiter der Polizei es wert sind, gut geführt zu werden sowie der Idee, moderne, theoretische Erkenntnisse der allgemeinen Führungsforschung in die Organisation Polizei zu implementieren. Dem Phänomen Führung wird in der Polizei ein hoher Stellenwert beigemessen, da der Umgang und das Miteinander innerhalb der Polizei einen wesentlichen Einfluss auf das Auftreten von Polizeivollzugsbeamten, auf ihren Umgang mit den Bürgern und somit auf die Erfüllung ihrer anspruchsvollen
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 K.-H. Fittkau und P. Heyna, Wirksames Führen in der Polizei, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30135-4_7
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Rolle im Bereich der inneren Sicherheit in Deutschland haben (Baadte 2018, S. 45; Vollmar et al. 2017, S. 11). In diesem Zusammenhang wird ferner deutlich, dass Führungskräfte neben ihrer Fach- vor allem auch eine Personalverantwortung haben, da sie mit ihrem Handeln und Verhalten unter anderem die Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter, das Betriebsklima und nicht zuletzt die Ergebnisqualität der Polizeiarbeit beeinflussen. Ausschlaggebend für diese Kriterien sind das spezifische Führungsverhalten sowie die Kompetenzen der Führungskräfte (Bauschke 2019, S. 14). Unser vorgestelltes Transformationales Personalführungsmodell der Polizei soll dazu einen Beitrag leisten, obwohl uns bewusst ist, dass sich das Phänomen Führung nur schwer in starren Modellen oder Systemen verorten lässt, eindeutige Ursache-Wirkung-Zusammenhänge nur selten stabil nachweisbar und die in der Führungswissenschaft getätigten Aussagen bestenfalls plausibel sind. Unser Transformationales Personalführungsmodell der Polizei ist ein erster Versuch eines normativen Führungsmodells, welches jedoch auch, aber nur in Teilen in der deutschen Polizei, empirisch begründet ist. Daraus ergeben sich mehrere, aufzuarbeitende Aspekte: Erstens ist unser Transformationales Personalführungsmodell der Polizei ein erster Ansatz eines neuen, möglichen Führungskonzeptes für die Polizei. In diesem Zusammenhang gehen wir davon aus, dass wir unter Umständen nicht alle Eventualitäten und Umstände bedacht haben, die relevant sein könnten. In diesem Kontext bitten wir um eine kritische Auseinandersetzung mit unserem Buch und dem Transformationalen Personalführungsmodell der Polizei sowie dessen Gedanken und Ideen. Über Feedback, seien es konstruktive Kritik, Ergänzungswünsche, Beispiele aus der (Führungs-)Praxis oder sonstige positive Rückmeldungen, wären wir dankbar, um unser Modell weiterentwickeln zu können. Zweitens stellt unser Transformationales Personalführungsmodell der Polizei ein Führungskonzept dar, das auf dem Konzept der transformationalen Führung/ dem Full Range of Leadership Model nach Bernard M. Bass et al. basiert, welches empirisch überprüft wurde. In diesem Zusammenhang ist jedoch ersichtlich, dass wenige empirische Erkenntnisse im Bereich der deutschen Polizei vorliegen. Hieraus ergibt sich ein hoher Forschungsbedarf, auf welchen wir an dieser Stelle aufmerksam machen möchten. In Anbetracht dieser Umstände ist es zunächst notwendig, das Konzept der transformationalen Führung und somit auch unser Transformationales Personalführungsmodell der Polizei auf dessen Wirksamkeit hin in der deutschen Polizei zu überprüfen. Diesbezüglich wären insbesondere empirische Studien von Interesse, die Zusammenhänge zwischen dem FRLM, respektive unserem TPFM, und Führungserfolgskriterien wie Zufriedenheit, Leistung und Gesundheit untersuchen. Ergänzend dazu besteht zudem ein
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Forschungsbedarf hinsichtlich potenzieller Moderator- und Mediatorvariablen, welche die Wirksamkeit unseres Modells der transformationalen Führung beeinflussen oder sogar einschränken. Anknüpfend an diesen skizzierten Forschungsbedarf stellen erstmalig Kleinschmidt (2017) und Vollmar et al. (2017) sowie später auch Nettelnstroth (2019) dar, dass bis heute wenig bis keine empirische Grundlagenforschung zur Thematik Führung in der Polizei betrieben wurde. Dies führt dazu, dass wir einen großen Mangel an einschlägigen, tiefgehenden und wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen zum tatsächlichen Status quo des Zustandes von Führung in der Polizei haben. Es ist jedoch unabdingbar notwendig, die tatsächlichen Führungsproblemstellungen der Polizei empirisch zu identifizieren und einer konzeptionell tragfähigen Lösung zuzuführen, um so zu einer faktenbasierten, empirisch abgesicherten Führungskonzeption in der Polizei zu gelangen. Vor diesem Hintergrund fehlt es derzeit ebenfalls an einer umfassenden Berufsfeldanalyse und einer empirischen Analyse der komplexen Führungswirklichkeit mit ihren zu differenzierenden Führungsebenen (Kleinschmidt 2017, S. 391–395). Abschließend sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls untersucht werden, was überhaupt gute Führung in der deutschen Polizei ausmacht und welche Erkenntnisse zu den Aspekten innere Kündigung, Commitment, Spillover-Effekt, Burnout und Gratifikationskrisen vorliegen. Drittens ist in einem weiteren Schritt zu diskutieren, wie eine adäquate Qualifikation und Evaluation von Mitarbeitern im Allgemeinen und Führungskräften im Besonderen in theoretischer und praktischer Sicht durchgeführt werden könnte. Führungslehre im Bachelor-/Diplom- und Masterstudium muss sich einerseits mit modernen Führungstheorien und -modellen sowie andererseits mit den Ergebnissen empirischer Forschung auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang müssen Theorien und Modelle verinnerlicht werden und anschließend deren Sinnhaftigkeit mit der erlebten Führungs- und Organisationsrealität (eigenen Erfahrungen/Forschungserkenntnissen) abgeglichen und diskutiert werden. Notwendige Führungsfertigkeiten (beispielsweise das Führen von Mitarbeitergesprächen, die Vorbereitung und Durchführung von Beratungen, Führungshandeln im Zusammenhang mit besonderen Lagen im Sinne der PDV 100, Umgang mit Konflikten) müssen dabei realitätsnah geübt werden, um später in der Praxis adäquat genutzt werden zu können. Inwieweit das gesamte Transformationale Personalführungsmodell der Polizei Eingang in die Führungslehre als akademisches Lehrfach findet, mag dahingestellt sein – eine problemorientierte Diskussion ist es auf alle Fälle wert. In diesem Kontext sollte ferner überlegt werden, welche Möglichkeiten bestehen, Führungskräfte gezielt zu entwickeln und ihnen dabei zu helfen,
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weniger Verhaltensweisen zu zeigen, die sich negativ auf ihre nachgeordneten Mitarbeiter auswirken. In Feedback-Prozessen für Führungskräfte – beispielsweise bei einem 360°-Feedback – können unterschiedliche Instrumente (wie unter anderem FVVB und MLQ-5X) eingesetzt werden, um dies zu erreichen (Rowold und Heinitz 2008, S. 137). Solche Übungsbeispiele und Feedback-Prozesse sind generell aus dem vorhandenen Forschungsstand abzuleiten und ständig auf ihre Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit zu überprüfen, um effektive Führungsleistungen zu ermöglichen. Abschließend möchten wir uns an dieser Stelle für Ihr Interesse an diesem Buch bedanken. Karl-Heinz Fittkau und Phil Heyna
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