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German Pages 270 Year 2014
Stefan Bauernschmidt Fahrzeuge auf Zelluloid
Kulturen der Gesellschaft | Band 3
Stefan Bauernschmidt (Dr. phil.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt »Travelling Goods//Travelling Moods« an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Arbeitsbereiche sind Kultursoziologie, Visuelle Soziologie und qualitative Methoden.
Stefan Bauernschmidt
Fahrzeuge auf Zelluloid Fernsehwerbung für Automobile in der Bundesrepublik des Wirtschaftswunders. Ein kultursoziologischer Versuch
Zgl.: Erlangen-Nürnberg, Univ., Diss., 2008: u.d.T. »Fahrzeuge in Chromdioxid. Eine kultursoziologische Studie über Ford-Fernsehwerbung zwischen 1959 und 1967«
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Inhalt
Vorwort | 9 1. 1.1 1.2 1.3 1.4
Thema: Werbewandel | 11 Forschungsgegenstand | 11 Forschungsstand | 17 Forschungslücken | 27 Forschungsgang der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid | 28
2. Zur Theorie soziokultureller Dynamik | 31 2.1 Die kultursoziologische Perspektive auf das Phänomen Werbung | 31 2.2 Zum theoretischen Bezugsrahmen der Studie: Clifford Geertz’ Theorie soziokultureller Dynamik | 42 2.2.1 Skizzierung des Essays Ritual und sozialer Wandel | 43 2.2.2 Zwei Lesarten der implizierten Theorie: Diskontinuitäten- und Interferenz-Ansatz | 46 2.2.3 Die interpretative Kulturtheorie von Geertz | 49 2.2.4 Beurteilung der Lesarten der Theorie soziokultureller Dynamik | 69 2.3 Abgrenzung der Theorie soziokultureller Dynamik von normativen Modernisierungstheorien und der Theorie des Wertewandels | 71 2.4 Fragestellungen der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid | 77 2.5 Zweck der Studie | 78 3. Zur Methodologie und Datenbasis der Studie | 79 3.1 Basisdesign | 79 3.2 Schlussverfahren | 83 Exkurs Über historisches Verstehen | 87 3.3 Sampling | 89 3.4 Gütekriterien | 90 3.5 Über die verwendeten Methoden | 91 3.5.1 Dokumentenanalyse | 92 3.5.2 Partiturschreibweise | 97 3.5.3 Qualitative Inhaltsanalysen und kultursoziologische Bildinterpretation | 100 3.6 Über multimethodische Verfahren | 114
3.7 Untersuchungszeitraum und Datenbasis der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid | 116 4. Zum Kölner Barock: Der Fernsehwerbespot für den Ford Taunus 17M P-2 | 121 4.1 Einstieg der FAG in die gehobene Mittelklasse: 17M-Modelle | 121 4.2 Der Kontext des Werbespots: Über Zielgruppen und Marken | 125 4.2.1 Eine kurze Geschichte der FAG mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Mutterkonzern (FMC) und Tochtergesellschaft | 125 4.2.2 Marktsegmentierung: Der Nexus von Fahrzeugklasse, Zielgruppe und Gesellschaftsschicht | 130 Exkurs Über Marktforschung | 135 4.2.3 Eine kurze Geschichte der Mittelschicht | 141 4.3 Zur Rekonstruktion des Fernsehwerbespots für den Ford Taunus 17M P-2 | 152 4.4 Zur Form der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespot und Zielgruppe | 159 5. Über Zielgruppen und Marken | 161 5.1 Die Zielgruppe zwischen 1959 und 1967: Expansion der Mittelschicht | 161 5.2 Über den gesellschaftlichen Kontext der Zielgruppe: Die BRD in den langen fünfziger Jahren | 164 Exkurs Kulturphänomen Werbung | 168 5.3 Die FAG zwischen 1959 und 1967: Von Eigenständigkeit zur (erneuten) Unterordnung | 170 6. Vom Kölner Barock zur Badewanne und von dieser zum Modell ohne sobriquet | 175 6.1 Die Werbespots für den 17M P-2 und 17M P-3 im Vergleich | 175 6.1.1 Ambivalenzreduzierung durch adjustment? | 175 6.1.2 Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer und semantischer Ebene | 176 6.1.3 Vereinheitlichung des Stils: Kultureller Wandel | 192 6.2 Slice of Life Revolution in den Werbespots für den 17M P-3 und Ritualisierung | 192 6.2.1 Revolution und Ritualisierung | 192 6.2.2 Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer und semantischer Ebene | 194 6.2.3 Ritualisierung: Sozialer Wandel? | 209 6.3 Die Werbespots für den 17M P-3 und 17M P-5 im Vergleich | 209
6.3.1 Life Style Revolution mit Fragezeichen | 209 6.3.2 Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer und semantischer Ebene | 210 6.3.3 Life Style Wende: Öffnung gegenüber neuen Konsumentengruppen | 223 7. Zu Formen der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespots und Zielgruppe/n von 1959 bis 1967 | 225 7.1 Formen der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespots und Zielgruppe im Zeitabschnitt 1959 bis Frühjahr 1964 | 226 7.2 Formen der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespots und Zielgruppe im Zeitabschnitt Herbst 1964 bis 1966/67 | 228 8. Resultate der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid | 233 8.1 Antworten auf die Fragestellungen der Studie | 233 8.2 Ausblick | 241 Glossar | 243 Literatur | 245
Vorwort
Fahrzeuge auf Zelluloid – dieser enigmatisch anmutende Titel der hier vorliegenden Arbeit möchte die Aufmerksamkeit auf eine folgenreiche Möglichkeit der Werbung lenken: In der künstlichen Anwesenheit von Fahrzeugen im Bilde sind Dinge möglich, die den Dingen in ihrer realen Seins-Weise unmöglich sind. Wer hat schon jemals einen Citroën C4 tanzen sehen? Auf diese Weise wird aber auch der feste Grund des buchstäblichen Wissens verlassen, in dem ein Fahrzeug ein Fahrzeug und das Bild eines Fahrzeugs eben ein Bild ist. Stattdessen betreten wir ein Reich, in dem die Dinge längst nicht mehr das sind, was sie zu sein vorgeben. Sie werden zu Symbolen, die sich selbst wie das Andere repräsentieren. In dem so abgesteckten Rahmen habe ich die fernsehmediale Bewerbung einer Reihe von Fahrzeugen von Ford, den 17M-Modellen, mit dem Ziel untersucht, Erkenntnisse über die Art und Weise des Werbewandels zu gewinnen. Aufgrund dessen ist diese Studie als kultursoziologischer Versuch ausgezeichnet. Ein Versuch nicht in der Wortbedeutung von Untersuchung, sondern im Sinne einer Bemühung – und dies in mannigfaltiger Hinsicht. Es ist ein Versuch in theoretischer Hinsicht. In plakativer Wendung: Henry Ford ins Gespräch mit Clifford Geertz zu bringen, und zwar in Form einer Applikation der Geertz’schen Theorie soziokultureller Dynamik auf die fernsehmediale Bewerbung der 17M-Modelle. Die Theorie liefert eine Spielart der Wandlungstheorien, die sich um die Aspekt-Struktur der Sozialität bemüht, indem sie die Interdependenz des kulturellen und sozialstrukturellen Faktors und die Formen der Integration innerhalb der beiden Faktoren als Motor für Wandel auf neue Weise konzeptualisiert. In der Applikation dieser Theorie in der Analyse der Bewerbung der 17M-Modelle treffen sich Geertz und Ford, wenigstens auf dem literarischen Feld. Es ist eine methodologische Suchbewegung. Zum einen ist das qualitative Längsschnitt-Design kaum methodologisch reflektiert, der Einsatz somit eine Herausforderung. Zum anderen befindet sich die
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Visuelle Soziologie in Deutschland erst in den Anfängen, und damit die verwendeten als auch die nicht eingesetzten soziologischen Bildanalysen, in einer kontinuierlichen Entwicklung – gilt dies noch heute, so umso mehr für die vorangegangenen Jahre. Es ist letztlich auch ein Versuch mit Bezug auf den Gegenstand. Werden in der soziologischen Literatur vornehmlich Werbemuster auf Klassen von Dingen angewendet, z.B. wird nach der gesamtgesellschaftlichen Funktion, die Werbung erfüllt, gefragt, so ist auch hier ein Vorhaben gestartet worden, dass der Frage nachgegangen ist, welche Funktionen Werbung für Subgruppen einer Gesellschaft erfüllt. Waren zu Beginn der Studie die Erwartungen ungewiss, so ist retrospektiv, mit den in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen, zu sagen: Es war ein gewagtes Unternehmen, also eben ein kultursoziologischer Versuch, und dazu einer, der sich diversen Herausforderungen zu stellen hatte. Wie auch immer der Leser diesen Versuch bewerten mag, so ist diese Studie für mich eine Leiter – und es ist ja allgemein bekannt, was Ludwig Wittgenstein über solche zu berichten wusste. Zu guter Letzt möchte ich nicht die Gelegenheit versäumen, allen Personen meinen Dank auszusprechen, die mich während meiner Promotionsphase begleitet, mir wertvolle Ratschläge und Hilfestellungen auf den Weg gegeben haben und so zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Dies sind: Christoph Birkel, Jens Stegmaier, Alexander Weinen, Bernd Tuchen, Hans-Georg H. Walther und Christina Battermann (Y&R), die Kolleg/-innen des Instituts für Soziologie der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg, insbesondere Prof. Dr. Johann Handl, apl. Prof. Dr. Werner Meinefeld und PD Dr. Aida Bosch. Dann möchte ich Prof. Dr. Michael von Engelhardt danken, dass er sich bereit erklärte, das Zweitgutachten für diese Arbeit zu erstellen. Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Gert Schmidt, der meine Dissertation betreut, deren Entwicklung mit Interesse verfolgt hat und mir nicht nur die eine oder andere Flasche Bad Dürkheim’schen Weines, sondern auch Rückmeldungen zu meinen Textkonvoluten zukommen ließ, die ich gewinnbringend in diese Studie habe einarbeiten können. Schließlich möchte ich mich bei meiner Frau Dorothee bedanken, die mir trotz schwierigster Lebensumstände im ersten Lebensjahr unseres Sohnes den Rücken frei hielt, sodass ich diesen kultursoziologischen Versuch doch noch zu einem annähernd akzeptablen Abschluss bringen konnte. Danken möchte ich endlich meinem kleinen Joni, der meine Abwesenheit allzu oft ertragen musste. Erlangen, 21. Februar 2011
1. Thema: Werbewandel Doch ritualisierte Ausdrucksformen bedürfen ganz gewiß ebenso eines historischen Verständnisses wie ein Ford-Auto. ERVING GOFFMAN
1.1 F ORSCHUNGSGEGENSTAND Soll das nun einmal einer verstehen. Obgleich sich das Kulturphänomen Werbung als eines der markantesten Paraphen der Lebensweise der durch Modernität ausgezeichneten Gesellschaften geriert, Gesellschaften, die, wie Karl M. Bolte und Katrin Aschenbrenner bereits in den 1960er Jahren registrierten, durch einen auf Dauer gestellten Wandel beschreibbar waren1 und aktuell durch die Beschleunigung dieses institutionalisierten Wandels beschreibbar sind2, wird Werbewandel im Alltag kaum wahrgenommen und nur selten im soziologischen Diskurs reflektiert. Die Werbewirtschaft ist es, die Wandel in allen relevanten Handlungsfeldern der Werbung thematisiert. Ein Blick in das vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft herausgegebene Jahrbuch Werbung in Deutschland 2008 zeigt, dass die verschiedensten Formen zeitlicher Veränderung dokumentiert werden. Es werden eindrucksvolle Entwicklungen festgehalten, wie z.B. das WerbespotAufkommen als Ausweis für die Attraktivität des Fernsehens als Werbeträger. In der Bundesrepublik Deutschland begann im Jahr 1956 der
1
2
»Wir leben heute in einer Zeit des sozialen Wandels. […] Noch ist gar nicht abzusehen, wann dieser Wandel einmal abgeschlossen sein wird.« K.M. Bolte/K. Aschenbrenner: Struktur und Wandel, S. 3. Siehe z.B. J. Wilke: Massenmedien oder jüngst H. Rosa: Beschleunigung.
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Bayerische Rundfunk als erster Sender mit der Ausstrahlung von Werbespots. Täglich wurden in sechs Minuten bis zu acht solcher Werbefilme gesendet. Mittlerweile beläuft sich deren Anzahl über alle Sender hinweg auf rund 3,85 Millionen bzw. auf 66 Stunden pro Tag. Abbildung 1: Werbespot-Aufkommen im TV von 1997 bis 2007 4. 500. 000
3. 000. 000
1. 500. 000
0
T V - Wer bemin ut en ,
19 9 7
2001
2005
2007
6 5 3 . 18 2
9 8 7 . 12 5
1. 19 1. 15 3
1. 4 4 7 . 3 7 6
1. 6 3 8 . 9 5 5
2.487.640
3 . 19 4 . 8 5 9
3.853.651
2 4 Sek
2 4 S ek
2 2 S ek
2 3 S ek
ges. A n zahl T V Wer bespot s, ges. Dur schn ti t .l S pot ä l n ge
Quelle: ZAW: Werbung in Deutschland 2004, S. 279, ZAW: Werbung in Deutschland 2006, S. 306, ZAW: Werbung in Deutschland 2008, S. 306.
Gleichermaßen beeindruckend haben sich in den vergangenen Jahren nur die Online-Medien entwickelt. In nur fünf Jahren sind die OnlineNutzungszahlen, erfasst in Visits (das ist die Zahl zusammenhängender Nutzungsvorgänge von Online-Angeboten) und PageImpressions (das sind die Seitenaufrufe innerhalb eines Online-Angebots), von 3,46 auf 26,02 Milliarden PageImpressions regelrecht explodiert bzw. von 0,39 auf 2,06 Milliarden Visits zwischen 2002 und 2007 angestiegen (vergleiche Abbildung 2 und 3).
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Abbildung 2: Entwicklung der Online-Nutzungszahlen von 2002 bis 2007 (Visits in Mrd. – jeweils für den Monat Dezember) 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 2002
2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: ZAW: Werbung in Deutschland 2008, S. 348.
Abbildung 3: Entwicklung der Online-Nutzungszahlen von 2002 bis 2007 (PageImpressions in Mrd. – jeweils für den Monat Dezember) 30,0
20,0
10,0
0,0 2002
2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: ZAW: Werbung in Deutschland 2008, S. 348.
Es wird über Trends in der moralischen Dimension der Werbung Buch geführt. Je nach Berichtsjahr wird die Zu- oder Abnahme der beim deutschen Werberat eingereichten kritisierten Werbeaktivitäten aufgezeichnet. Eingeklagt werden Werbemaßnahmen aufgrund ihrer »Fehlgriffe, gezielte[n] Provokationen, [ihres] missverständliche[n] Humors [oder] unsensible[r] Sprachführung […]«3.
3
ZAW: Werbung in Deutschland 2006, S. 49.
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Das Wachstum der Investitionen in Werbung, wiedergegeben in Tabelle 1, der nationalen Werbebranche und auch des globalen Werbemarktes wird fortlaufend erfasst. Tabelle 1: Investitionen in Werbung (nominal/in Mrd. Euro/gerundet) 2003
2004
2005
2006
2007
Gesamt Honorare, Werbemittelproduktion, Medienkosten
28,91 -2,6%
29,22 +1,1%
29,60 +1,3%
30,23 +2,1%
30,78 +1,8%
Davon Netto-Werbeeinnahmen der Medien
19,28 -4,3%
19,58 +1,6%
19,83 +1,3%
20,35 +2,6%
20,76 +2,0%
Quelle: ZAW: Werbung in Deutschland 2008, S. 9.
Verstetigungen der Medienanteile am Werbemarkt, Auf- und Abwärtstrends der Werbung treibenden Wirtschaft, der Werbeagenturen oder des Konsumentenverhaltens; sämtliche Positionen im Modell der Werbekommunikation finden Berücksichtigung: Vom Kommunikator über das Kommunikat und den Medien, den Marketing-Mittlern wie anderen intermediären Einrichtungen bis hin zum Kommunikanten, dem Rezipienten der Werbemaßnahmen also; die Entwicklung jeder einzelnen Position und der Werbung als Ganzes wird kontinuierlich dokumentiert. Im Gegensatz zur Werbewirtschaft wird im Alltag Werbewandel kaum thematisiert. Doch trotz der zunehmenden Beliebtheit des Kulturphänomens Werbung in der Bevölkerung, d.h. zugleich auch einer gesteigerten Beachtung der Werbung durch die Konsumenten, ablesbar z.B. an Sendungen wie REKLAME-REKLAME, SPASS MIT WERBUNG oder WWW – DIE WITZIGSTEN WERBESPOTS DER WELT4, scheint die Allgegenwärtigkeit der Werbung in der alltäglichen Wahrnehmung vornehmlich auf die Gegenwart zu verweisen. Im Rahmen des Seminars Abenteuer Kommunikation: Werbung5 assoziierten Studierende in einer kleinen Umfrage zum Thema Werbung. Hierbei kamen ähnliche Befunde wie bei Siegfried J. Schmidt und Brigitte Spieß heraus, die feststellten, dass »[…] [i]n der öffentlichen
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Vgl. S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, S. 310ff. oder R. Kloepfer/H. Landbeck: Ästhetik, S. 14. Dieses Seminar fand im Sommersemester 2006 am Institut für Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg statt.
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Diskussion […] die Neigung überwiegt, unter ›Werbung‹ [Herv. i.O.] nur die Medienangebote [und zwar immer nur die aktuellsten] zu verstehen, also Plakate, Anzeigen in Printerzeugnissen, Kino- und Fernsehwerbespots.«6 Diese Feststellung wird unterstrichen durch Aussagen, die sich im ZAW-Jahrbuch von 2006 finden: »Zugestanden werden muss der Werbung […], dass sie im ›Heute‹ [Herv. i.O.] lebt, dass sie die Sprache ihrer Zeit spricht, auch Alltagssprache; dass sie Lebensformen und Symbole der Gegenwart aufnimmt […]«7. Werbung wird im Allgemeinen weder kontextualisiert noch auf der Zeitachse situiert. Wie im Alltag, so ist auch im wissenschaftlichen, insbesondere im soziologischen Diskurs ein Thematisierungsmangel von Werbewandel diagnostizierbar. Während der extensiven Recherche nach empirischen Studien fanden sich nur wenige Untersuchungen, die sich bisher mit diesem Forschungsgegenstand beschäftigt haben. Das Resultat einer undisziplinierten Suche8: 36 Treffern zum Thema Werbewandel stehen 73 Treffer zum Thema Werbemedien und 269 Treffer zum Thema Werbewirkung gegenüber. Theoretische Untersuchungen zu Werbewandel sind ebenfalls rar. In der Soziologie lassen sich die beiden folgenden Positionen ausmachen. Die erste Position zu dieser Thematik wird dominiert von dem geschichtsphilosophischen Diktum der Kritischen Theorie aus dem Kulturindustrie-Kapitel der Dialektik der Aufklärung. Für Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ist Reklame nicht nur Lebenselixier der Kulturindustrie, mit der jene letztlich zusammenfällt, sondern darüber hinaus charakterisiert durch Konstanz in Form der »[…] Reproduktion des Immergleichen […]«9. Eine dieser Position diametral entgegen gesetzte Antwort gibt der Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der sich mit dem Kulturphänomen Werbung im Zuge seiner Beschäftigung mit der massenmedialen Realität auseinandergesetzt hat. In dem gleichnamigen Buch, Die Realität der Massenmedien, hält er zum Thema fest:
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S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, S. 35. ZAW: Werbung in Deutschland 2006, S. 49f. Undiszipliniert meint, dass keine disziplinären Einschränkungen bei der Recherche getroffen wurden. So gehen in die Trefferliste gleichermaßen populäre, ästhetische, historische, soziologische, linguistische, kommunikationswissenschaftliche und werberechtliche Studien sowie Qualifikationsarbeiten ein. Die Resultate der Recherche werden im Abschnitt 1.2 vorgesellt. M. Horkheimer/T.W. Adorno: Aufklärung, S. 159 und passim.
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»Im gesamten Bereich der Massenmedien gehört Werbung zu den rätselhaftesten Phänomenen. […] Bewußte Aufmerksamkeit wird nur extrem kurzfristig in Anspruch genommen, so daß keine Zeit bleibt für kritische Würdigung oder überlegte Entscheidung. Was an Zeit fehlt, wird durch Drastik ausgeglichen. Außerdem wechseln die Werbespots ihre Themen und Darstellungen von Moment zu Moment. […] Es gilt das Gesetz der Unterbrechung.«10
Mit derartig globalen Aussagen zu stetem Wandel oder dessen kompletter Absenz werden aber Veränderungen wie auch Stetigkeiten verdeckt mit der Konsequenz, dass weder Kontinuitäten noch Diskontinuitäten differenziert beschrieben oder gar verstanden werden können. Jedoch kann dies geleistet werden, wenn Werbekommunikate nicht auf makrosoziologischer Ebene – meist verbunden mit einer Logik der Stichprobenziehung, bei der nur bisweilen zwischen Warenkategorien unterschieden wird –, sondern auf mikrosoziologischer Ebene, wie in der vorliegenden Studie, beobachtet werden. Untersucht worden sind Werbebotschaften, die die Kölner Ford-Werke, deutsche Tochtergesellschaft der amerikanischen Ford Motor Company, für ihre Produkte der gehobenen Mittelklasse im deutschen Werbefernsehen zwischen 1959 und 1967 hat produzieren und ausstrahlen lassen. Im Beobachtungszeitraum ist Unterschiedlichstes von der Werbung aufgegriffen worden: Erst Fortschrittlichkeit und Eleganz, dann Wirtschaftlichkeit, Komfort hier, Luxus dort, gefolgt von Bequemlichkeit, Sportlichkeit oder Erschwinglichkeit. Auf den ersten Blick scheinen sich die Beobachtungen von Luhmann zu bestätigen, dass in den Werbebotschaften ein Wechsel von Moment zu Moment stattfindet. Aber auf den zweiten Blick – und auf diesen kommt es ja auch den Soziolog/innen an – finden sich neben der Marke, dem Slogan oder dem Produkt, wenigstens während seines Lebenszyklus, mindestens ein weiteres stabiles Element, die Themen. Jedoch wurden diese auf unterschiedlichste Weise symbolisiert und schaffen bei oberflächlicher Betrachtung Unübersichtlichkeit. Das Thema Fortschrittlichkeit z.B. findet seinen symbolischen Ausdruck in den Heckleuchten des Ford Taunus 17M P-2 (vergleiche Abbildung 11), amerikanische Formsprache zitierend. Aber ebenso in der Metamorphose, mit der die Bewerbung des Nachfolgemodells, dem Ford Taunus 17M P-3, beginnt, drückt sich das Thema Fortschrittlichkeit aus.
10 N. Luhmann: Realität, S. 85f.
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Abbildung 4: Symbolisierung des Themas Fortschrittlichkeit im Fernsehwerbespot für den Ford Taunus 17M P-3, 1960
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
1.2 F ORSCHUNGSSTAND Wie im vorangegangenen Abschnitt erwähnt, sind nur wenige soziologische Studien zum Thema Werbewandel zu finden. Als Resultat der Literaturrecherche mit 36 Treffern ergeben sich die folgenden Stränge im deutschsprachigen Raum: •
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Zu finden sind populäre Arbeiten, in diesem Sinne vorwissenschaftliche Arbeiten, die weder in systematischer Absicht noch mit dem Anspruch auf Vollständigkeit oder wenigstens der Legitimierung einer Fragestellung, die immer Aspekte hervorhebt und andere ausblendet, verschiedenste Aspekte des Werbesystems behandeln.11 Zu finden sind vorwissenschaftliche historische Arbeiten, die vor allem als Bestandsaufnahmen fungieren ohne akademischen Anspruch, Vergangenes im Sinne von Geschichte zu rekonstruieren.12 Unter diese Rubrik gehört auch ein Großteil der betriebswirtschaftlichen Literatur, die statt auf Werbewandel auf die rein chrono-
11 Dies sind: G. Gerken: Die fraktale Marke, P. Wippermann: Anzeigentrends, H. Sihler: Werbung, F.A. Rode: Der Weg oder D. Schindelbeck: Marken. Schindelbeck schreibt: »Dieser Versuch einer kleinen Konsumgeschichte der Bundesrepublik Deutschland kann und will keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder gar Wissenschaftlichkeit erheben […] Sie kann nicht mehr sein als ein Abriss […]«. D. Schindelbeck: Marken, S. 8. 12 Dies sind: K.G. Specht: Werbung im Wandel, M. Kriegeskorte: Werbung in Deutschland, M. Kriegeskorte: Automobilwerbung, E. Grosse: 100 Jahre Werbung, B. Tuchen: Sprich’ zuerst mit Ford, A. Andersen: »… und so sparsam«, J.D. Norris: Advertising.
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logische Wiedergabe der Geschichte der Werbung eingeht und einen derartigen historischen Abriss einer systematischen betriebswirtschaftlichen Abhandlung voranstellt.13 Zu finden sind ästhetische Arbeiten, die auf Fragen des Stils als Kulturtechnik oder als Strategie kommerzieller Kommunikation eingehen.14 Zu finden sind werberechtliche Studien, die sich mit den sich verändernden Rahmenbedingungen des Werberechts beschäftigen. Hierunter fallen z.B. Arbeiten über vergleichende Werbung oder Arbeiten über die Veränderung des Fernsehwerberechts, angestoßen durch die Entwicklungen im Medienbereich (Stichwort: neue Medien).15 Zu finden ist hier auch eine Reihe von Qualifizierungsarbeiten. Es sind vor allem Diplom- und Magisterarbeiten, die zu diesem Thema verfasst worden sind.16 Schließlich gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zu diesem Thema, insbesondere stammen diese Studien aus den Geschichtswissenschaften, der Kunstgeschichte, Linguistik, der Kommunikationswissenschaft und Soziologie.17
Diese Rubrizierung soll nicht bedeuten, dass jene vorwissenschaftlichen Bücher, die nicht im Rahmen der vorliegenden Studie aufgearbeitet worden sind, gänzlich unrelevant wären. Der Reichtum an Materialien in solchen Büchern ist von nicht zu unterschätzendem Wert für eigene Arbeiten. Für die Aufarbeitung des Forschungsstandes sind letztlich aber nur die sozialwissenschaftlichen Studien herangezogen worden. In der folgenden tabellarischen Übersicht sind diejenigen Untersuchungen zusammengestellt, die erstens empirisch orientiert und zweitens als Längsschnittstudien konzipiert sind sowie drittens soziologischen Fragestellungen erforschen oder – wenn sie aus benachbarten Disziplinen stammen – wenigstens Affinitäten zu soziologischen Problemen zeigen, wie z.B. die Studie des Linguisten Hermann Cölfen oder die Artikel von Uwe Hartung und Elmar Schlü-
13 14 15 16 17
Exemplarisch: I. Kloss: Werbung. Dies sind: B. Brock: Stilwandel, S. Stark: Stilwandel. Dies ist z.B.: P.H. Klickermann: Europäisches Fernsehwerberecht. Dies ist: M. Minucci: Automobilwerbung. Dies sind: G. Bechstein: Automobilwerbung, R. Gries: Produkte als Medien, J. Kellner/U. Kurth/W. Lippert: 50 Jahre Entwicklung der Werbeagenturen, P. Borscheid/C. Wischermann: Bilderwelt, K. Vaillant: Vom ›Ervolkswagen‹.
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ter oder Hans-Bernd Brosius und Joachim F. Staab, deren Arbeiten wiederum der Kommunikationswissenschaft zurechenbar sind. Cölfen versucht in seiner Untersuchung Werbeweltbilder im Wandel etwas über die »[…] Konstruktion von Wirklichkeit […]«18, Brosius und Staab untersuchen die »[…] Darstellung sozialer Realität in den Massenmedien […]«19 und Hartung und Schlüter analysieren den Einfluss von Medieninhalten auf gesellschaftliche Normen.20 Tabelle 2: Übersicht über relevante Studien zum Thema Werbewandel Quantitative Studien
Qualitative Studien
A. Bau: Wertewandel J. Roth: Wertewandel K. Nowak: Cultural Indicators H. Cölfen: Werbeweltbilder, H. Cölfen: Semper idem S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung G. Zurstiege: Mannsbilder H.-B. Brosius/J.F. Staab: Emanzipation U. Hartung/E. Schlüter: Darstellung R. Kloepfer/H. Landbeck: Ästhetik B.L. Gross/J.N. Sheth: Time-Oriented Advertising B. Richards et al.: Dynamics of Advertising C. Wehner: Überzeugungsstrategien
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Quantitative Längsschnittstudien Am intensivsten erforscht ist die Beziehung zwischen Werbewandel und Wertewandel. Die meisten der in Tabelle 2 aufgeführten quantitativen Studien gehen diesem Zusammenhang zwischen dem sich in den 1970er Jahren vollziehenden Wertewandel und dem daraus resultierenden Wandel auf der Wirklichkeitsebene der Werbekommunikate
18 H. Cölfen: Semper idem, S. 657. Vgl. auch H. Cölfen: Werbeweltbilder. 19 H.-B. Brosius/J.F. Staab: Emanzipation, S. 292. 20 Vgl. U. Hartung/E. Schlüter: Darstellung.
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nach. Angewendet wird hierbei in erster Linie die Regressionsanalyse. Die unterschiedlichen Darstellungen in Anzeigenwerbungen als abhängige Variable werden durch die Prädiktorvariable erklärt, die je nach theoretischem Bezugsrahmen entweder das gesamtgesellschaftliche Wertesystem, wie z.B. bei Bau, Brosius/Staab, Joachim Roth und Christa Wehner, oder das gesellschaftliche Normensystem, wie z.B. bei Hartung/Schlüter, oder aber Weltbilder wie bei Cölfen bzw. bei Schmidt/Spieß, Kjell Nowak und Guido Zurstiege die soziokulturellen Strukturen als Bündel von Vorstellungen, Normen und Werten. Roth, der den »[…] vermuteten Zusammenhang zwischen dem Wandel der gesellschaftlichen Wertestrukturen in der Werbung anhand einer Inhaltsanalyse von Automobilanzeigen […]«21 überprüft, skizziert diesen Zusammenhang wie folgt: »Wenn Werte einen großen Einfluß auf das Konsumentenverhalten des einzelnen ausüben, indem sie dessen Produktbeurteilungskriterien mitbestimmen […], dann liegt die Vermutung nahe, daß diese Werte von den Unternehmen in ihrer externen Kommunikation (d.h. in ihrer Werbung) auch vermittelt werden und dass beide Entwicklungen, der Wandel der Werte in der Gesellschaft einerseits und der Wandel der in der Werbung angesprochenen Werteinhalte andererseits, eng miteinander verknüpft sind.«22
Da Werbung aktuelle Wünsche bzw. Wertvorstellungen aufgreift, um diese in Werbebotschaften so zu modellieren, dass eine erdenklich genaue Zielgruppenansprache möglich wird, ändern sich die Inszenierungen in den Werbekommunikaten mit dem Wandel der Werte. Seien dies nun Frauen- und/oder Männerdarstellungen wie z.B. in den Arbeiten von Brosius und Staab, seien dies die 31 Weltbildfelder bei Cölfen oder sei es die zentrale Tendenz, Werbebotschaften genussund erlebnisorientiert zu gestalten, wie Roth resümiert. Festgehalten werden kann darüber hinaus, dass sämtliche Studien auf dieselben Werbemedien, Printmedien, zurückgreifen, mit anderen Worten gleiches empirisches Material als Datenbasis zur Verfügung hatten, Werbeanzeigen aus Nachrichtenmagazinen oder Publikumszeitschriften: Häufig der Stern, Der Spiegel oder auch Die Bunte. Mehr noch, durchgängig haben jene Studien das Auswertungsverfahren der quantitativen Inhaltsanalyse eingesetzt. Als Zwischenfazit für die vorliegende Studie können die folgenden beiden Punkte festgehalten werden: Erstens, der theoretische Bezugs-
21 J. Roth: Wertewandel, S. 9. 22 Ebd., S. 6.
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rahmen dieser quantitativen Längsschnittstudien ist in den meisten Fällen die Theorie des Wertewandels von Ronald Inglehart. Somit sind diese Studien als kultursoziologische klassifizierbar; kultursoziologische Studien eines bestimmten Formats. Das Interesse von Inglehart gilt den gesamtgesellschaftlichen Werten, die er mittels der Sozialisationshypothese mit Geburtskohorten verknüpft. Aufgrund dieser Beziehung können Veränderungen von gesamtgesellschaftlichen Wertvorstellungen nur zwischen Generationen auftreten und sich nicht innerhalb einer Generation, also kurz- oder mittelfristig, ereignen.23 Aus diesem Umstand folgt, dass kulturelle Differenzierungen innerhalb einer Gesellschaft ausgeblendet bleiben: »Das Konsumverhalten einer Gesellschaft ist insofern immer Ausdruck der herrschenden Wertesysteme […]«24. Dies bedeutet methodologisch gewendet, dass lange Zeiträume zu beobachten sind. Dies ist dann auch ein wiederkehrendes Kennzeichen dieser quantitativen Studien, die im Schnitt drei Dekaden als Beobachtungszeitraum ansetzen. Zweitens, die Analysemethode der Wahl dieser Studien ist die quantitative Inhaltsanalyse, die laut Roth geeignet ist zur Untersuchung langer, vergangener Zeiträume.25 Dass eine Ergänzung dieser quantitativen Forschungen um qualitative Studien, die nicht nur Kontexte, sondern auch Dynamiken systematisch in ihren Analysen berücksichtigen, fruchtbar sein kann, zeigt sich deutlich in der Studie von Roth. Im Zuge der Diskussion des Wertes Sicherheit/Gesundheit schreibt Roth: »Überraschend ist sicherlich die hohe Bedeutung, die dem Wert Sicherheit und Gesundheit schon in den 70er Jahren in der Automobilwerbung beigemessen wurde, als fast ein Viertel aller Anzeigen diesen Aspekt kommunizierte.«26 Ein Seitenblick auf den gesellschaftlichen Kontext der damaligen Zeit offenbart, dass dies eigentlich gar nicht so überraschend ist. In Abbildung 5 sind drei Datenreihen eingetragen: Das Balkendiagramm gibt die Forschungsergebnisse der Untersuchung von Roth wieder. Die Kurve im Aufwärtstrend visualisiert die Motorisierung Deutschlands seit den frühen 1950er Jahren und die inverse U-Kurve die Anzahl der auf deutschen Straßen tödlich Verunglückten für denselben Zeitraum. Ihren Scheitel erreichte diese Kurve im negativen
23 Eine detaillierte Diskussion dieses Formats soziokulturellen Wandels findet sich im Abschnitt 2.3.2 des theoretischen Teils der Studie. 24 J. Roth: Wertewandel, S. 77. 25 Vgl. ebd., S. 9. 26 Ebd., S. 252f.
22 | FAHRZEUGE AUF Z ELLULOID
Rekordjahr 1970 mit mehr als 20.000 tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmern.27 Abbildung 5: Thematisierung des Wertes Gesundheit/Sicherheit im Kontext des Pkw-Bestands und der tödlich Verunglückten in der BRD seit den frühen 1950er Jahren 50 40 30 20 10 0
1953
1960
1965
Gesundh./Sicherh. (in %)
1970
1975
1981
1987
1993
14
23
8
12
26
2000
2005
tödl. verunglückt (in Tsd.)
12
16
17
21
17
15
11
10
7
5
Pkw-Bestand (in Mill.)
1,2
4,2
8,6
12,9
16,5
23
29
33
42
47
Quelle: J. Roth: Wertewandel, S. 252, J. Eiberger/M. Bechtle (Hg.): Autofahren, S. 71, H.C. Graf von Seherr-Thoss: Die deutsche Automobilindustrie, S. 634f., Statistisches Bundesamt (Hg.): Datenreport, S. 356 und S. 369, K. Möser: Geschichte, S. 264.
Dass die Automobilindustrie auf derartige Entwicklungen reagierte, ist nicht verwunderlich. Erstaunlicher hingegen ist der Sachverhalt, dass es in der Schere zwischen kontinuierlich steigender Motorisierung und stetig sinkender Zahl an Verunglückten erneut zu einem Anstieg der Thematisierung des Wertes Sicherheit Anfang der 1990er Jahre kommt. »Die ›stärkste Phase‹ [Herv. i.O.] erlebte der Wert ›Gesundheit‹ [Herv. i.O.] bzw. ›Sicherheit‹ [Herv. i.O.] in den Jahren 1993 […], als er in 26% […] aller Anzeigen von den Automobilherstellern zum zentralen Werbeinhalt […] gemacht wurde.«28 Warum ist dies so? Wie dieser Sachverhalt zustande kommt, kann Roth anhand der Daten seiner quantitativen Studie nicht aufklären. Neben dem Problem, dass mit dem Wert Gesundheit/Sicherheit zwar zwei eventuell in derselben Dimension zu verortende Wertvorstellungen gegeben sind, sich aber doch erheblich in ihrer Semantik voneinander unterscheiden, ergeben sich drängende Fragen: Hat in
27 Vgl. K. Möser: Geschichte, S. 264. 28 J. Roth: Wertewandel, S. 252.
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dem Vierteljahrhundert, das Roth als Beobachtungszeitraum setzt, möglicherweise eine Bedeutungsverschiebung in der Wertvorstellung Sicherheit stattgefunden? Dominiert Sicherheit in den 1970er Jahren das Wertepaar und Gesundheit in den 1990er Jahren? Inwiefern überschneiden sich diese Wertedimensionen? Die Ergebnisse für das Weltbildfeld Sicherheit in der Studie von Cölfen sprechen auf den ersten Blick eine deutliche Sprache. Er führt zu diesem Weltbildfeld, ein zentrales Thema in Sachen Autofahren, aus: »Das Interesse an Sicherheit setzt erst zu Beginn der 70er Jahre ein, dann aber überaus betont.«29 Aus dieser Darstellung von Ergebnissen quantitativer Studien zu Werbewandel ergibt sich ein weiterer Punkt, um den das obige Zwischenfazit ergänzt werden kann: Entweder es existieren keine vergleichbaren Ergebnisse, da die beobachteten Raum-Zeit-Kontexte unterschiedliche Zeiträume umfassen, oder aber, wenn doch Überlappungen vorliegen, widersprechen sich die Resultate. Qualitative Längsschnittstudien Wie in Tabelle 2 zu sehen war, sind qualitativ-diachron orientierte Studien zum Thema Werbewandel deutlich unterrepräsentiert. Häufig werden einzelne Werbekommunikate synchron analysiert und folgen dem Design einer Einzelfallanalyse.30 Eine Ausnahme ist scheinbar die linguistische Studie von Cölfen, die sich mit dem Thema in qualitativ-diachroner Perspektive auseinandersetzt. In Werbeweltbilder im Wandel, so der Titel dieser Studie, verwendet Cölfen einen Methoden-Mix. Auf diesen Mix insistiert er wiederholt mit Nachdruck, da die »[…] Untersuchung eines Massenkorpus übersieht, was sich nur im Detail zeigt, aber sie macht Zusammenhänge sichtbar, die dem mikroskopischen Blick verborgen bleiben muss.«31 Das Verhältnis der angewandten Auswertungsmethoden ist bei ihm ein komplementäres.32
29 H. Cölfen: Werbeweltbilder, S. 161. 30 Vgl. z.B. H.A. Hartmann/R. Haubl: Bilderflut oder die Analysen in diversen Sammelbänden zur interpretativen Sozialforschung: R. Hitzler/A. Honer: Sozialwissenschaftliche Hermeneutik oder N. Schröer: Interpretative Sozialforschung. 31 H. Cölfen: Semper idem, S. 661. 32 Komplementarität ist nur eine von drei Möglichkeiten des Verhältnisses zwischen qualitativen und quantitativen Methoden. Bei parallelem Einsatz können die Ergebnisse tendenziell übereinstimmen (Konvergenz), sich widersprechen (Divergenz) oder aber sich gegenseitig ergänzen (Komple-
24 | FAHRZEUGE AUF Z ELLULOID
Nachdem er die Daten aufbereitet hat, folgt in einem ersten Analyseschritt die Quantifizierung der einzelnen Elemente der Dokumente (Bilder und Texte). Diese Quantifizierung der Texte hat folgenden Ertrag eingebracht. Es liegen vor: Die Anzahl der Dokumente pro Dekade mit Bezug auf die Anzahl der Sätze, das Verhältnis dieser Anzahl der Sätze zu der der Wörter, die durchschnittliche Satzlänge, die Wortlängen und Satzformen (Ausrufe- oder Fragesätze).33 Die Quantifizierung der Bilder hat dies eingebracht: Es liegen die Anzahl der Bildebenen vor, die Anzahl der Bildelemente, Aktionen, Lebewesen, Sachen und Farben. In einem zweiten Schritt folgt die qualitative Analyse. Um Kategorien bzw. die so genannten Weltbildfelder konstruieren zu können, wird auf die Ergebnisse dieser quantitativen Erträge zurückgegriffen und identifizierte Schlüsselworte, wenn deren Nennungshäufigkeit größer oder gleich 30 ist, einer so genannten KWIC Analyse unterzogen.34 Hierbei wurde der unmittelbare Kontext, in dem das Wort auftaucht, mit berücksichtigt. Aus dieser Zusammenschau von Wort und Wortkontext konstruierte Cölfen ein Weltbildfeld. Folgendes Beispiel möge zur Illustration dieser Vorgehensweise dienen. »Das Wort ›Auto‹ [Herv. i.O.] kommt unter anderem im folgenden Zusammenhang vor: ›Es gibt nur wenige Autos, die weniger kosten als dieser VW.‹ [Herv. i.O.] […] Aufgrund des Kontextes wird das Wort ›Auto‹ [Herv. i.O.] in diesem Fall (mit der Intention »kostet wenig«) dem Weltbildfeld ›Wirtschaftlichkeit‹ [Herv. i.O.] zugeordnet.«35 In Tabelle 3 ist die Verteilung der Schlüsselwörter in den Weltbildfeldern für die 1960er, 1970er und 1980er Jahre wiedergegeben. »Im
mentarität). Vgl. U. Kelle/C. Erzberger: Qualitative und quantitative Methoden, S. 304ff. 33 H. Cölfen: Werbeweltbilder, S. 37-44, und mit Bezug auf die Quantifizierung der Bilder, ebd., S. 44-73. 34 In einer KWIC Analyse »[…] wird eine Liste der ›Fundstellen‹ [Herv. i.O.], also der Kategorien in ihrem Kontext, pro ausgezähltem Begriff erstellt« P. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 14. Laut Mayring ist dieses Verfahren eine Verfeinerung der Frequenzanalyse, einer Form der quantitativen Inhaltsanalyse. Diese KWIC Analyse sucht mit Hilfe der Kontrolle des Kontextes dem Problem der Mehrdeutigkeit von Begriffen, der inhaltlichen Färbung von Begriffen etc. zu begegnen. Bleibt aber im Rahmen des normativen Paradigmas; vgl. P. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 14. 35 H. Cölfen: Werbeweltbilder, S. 108.
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Ergebnis haben sich insgesamt 31 Weltbildfelder als sinnvoll erwiesen.«36 Tabelle 3: Liste der Weltbildfelder Summe
Dek.1
Dek.2
1
Nr. Weltbildfelder Qualität
655
333
173
Del.3 149
2
Geld
302
70
114
118
3
Wirtschaftlichkeit
285
112
97
76
4
Trifft kein Weltbild
214
61
96
57
5
Genuß
198
75
68
55
6
Bequemlichkeit
185
56
92
37
7
Gesundheit
175
81
61
33
8
Fortschritt/Forschung
145
79
38
28
9
Neu
128
45
27
56
10
Erfolg der Firma
109
23
43
43
11
Frau
113
66
38
9
12
Kochen/Haushalt
94
56
27
11
13
Schnelligkeit
84
46
16
22
14
Sicherheit
75
7
38
30
15
Kinder
68
18
33
17
16
Attraktivität
62
12
27
23
17
Tradition
63
24
19
20
18
Haltbarkeit
60
50
3
7
19
Spaß/Spiel
55
4
20
31
20
Urlaub/Reise
54
11
35
8
21
Mann
54
34
13
7
22
Kreativität
43
12
31
0
23
Selbstbewußtsein
41
31
5
5
24
Familie
41
11
13
17
25
Liebe
37
9
6
22
26
Erfolg des Kunden
37
0
28
9
27
Umweltbewußtsein
35
0
1
34
28
Luxus/Anspruch
31
6
7
18
29
Erfahrung
27
21
2
4
30
Individualität
25
4
9
12
31
Jugend
19
0
10
9
Summe
Summe
3.514
1.357
1.190
967
Quelle: H. Cölfen: Werbeweltbilder, S. 106.
36 H. Cölfen: Semper idem, S. 664.
26 | FAHRZEUGE AUF Z ELLULOID
Trotz des Hinweises auf ein erforderliches reifes Vorverständnis im hermeneutischen Sinne des Wortes, das der Willkür und Beliebigkeit der Kategorienentwicklung vorbeugen soll, und trotz des sich daran anschließenden Anspruchs Kategorien bzw. Weltbildfelder mittels des Datenkorpus zu konstruieren, bleibt das methodische Vorgehen opak. Da Weltbildfelder, so Cölfen selbst, »[…] keine scharf abgegrenzten Kategorien [sind, könnte das] obige [Auto-]Beispiel […] auch einem Weltbildfeld mit einer anderen Bezeichnung zugeordnet werden (z.B. Rentabilität. Lukrativität etc.).«37 Daneben sucht Cölfen Erkenntnisse über den Zusammenhang von Werbung und Wirklichkeit bzw. Werbekommunikat und Beworbenen zu gewinnen. Aber an Stelle der Untersuchung eben eines solchen Korrespondenzverhältnisses zwischen den Werbeweltbildern der Werbung und den Weltbildern der Beworbenen tritt die folgende Behauptung: »Die Zahl und Vielfalt der in Abb. 4.3 aufgeführten Weltbildfelder [es sind dies die Weltbildfelder der Tabelle 3 der vorliegenden Studie] zeigen deutlich, wie weitreichend das Weltbild der Werbedokumente mit der Wirklichkeit der Werbekonsumenten korrespondiert. […] Vor diesem Hintergrund ist eine Sammlung entstanden, die mehr über den Alltag der werbenden Formen wie der Konsumenten verrät als über außergewöhnliche Leistungen von Werbeschaffenden.«38
Zusammenfassend kann zur Studie von Cölfen gesagt werden, dass bei deren Aufarbeitung folgende Fragen offen bleiben: Inwiefern verwendet er tatsächlich qualitative Methoden im Methoden-Mix? Inwiefern korrespondiert die soziale Wirklichkeit, also die Weltbilder der Beworbenen, mit der modellierten Wirklichkeit der Werbekommunikate? Außer dem Umstand, mit Bezug auf die erste Frage, dass das Stichwort Konstruktion von Kategorien fällt, ist nicht ersichtlich, inwieweit hier qualitative Verfahren zur Kategorienkonstruktion eingesetzt worden sind. Mit Bezug zur zweiten Frage ist festzuhalten, dass das notwendige gesellschaftliche Kontextwissen, wie es z.B. in der Studie von Schmidt und Spieß eingesetzt worden ist, bei Cölfen fehlt. Die stichwortartige Aufzählung der gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland für den Untersuchungszeitraum genügt nicht, um derartige Erkenntnisse gewinnen zu können. Aus dieser Aufarbeitung qualitativer Längsschnittstudien, lassen sich als weiteres Zwischenfazit, drei weitere Punkte festhalten: Die
37 H. Cölfen: Werbeweltbilder, S. 108. 38 Ebd., S. 213.
T HEMA: W ERBEWANDEL
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Studie von Cölfen ist streng genommen nicht als qualitative Studie klassifizierbar. Mit anderen Worten, es liegt bisher keine Studie vor, die versucht, Werbewandel qualitativ und diachron zu untersuchen. Des Weiteren benötigt die erst einmal theoretisch aufgeworfene Frage nach der Korrespondenz ein spezifisches Verfahren, um empirisch beantwortet werden zu können. Mit der inhaltsanalytischen Methode der Wirklichkeitsanalyse liegt ein derartiges Verfahren vor. Jedoch steht eine solche Wirklichkeitsanalyse noch aus. Schließlich hat Cölfen’s Studie zwar gezeigt, dass die Werbefeldbilder sich ändern, doch wie sich diese wandeln, bleibt offen.
1.3 F ORSCHUNGSLÜCKEN Das Ergebnis der Diskussion der Studien zum Thema Werbewandel ist zum einen, dass die Untersuchungen bislang ausschließlich quantitativ orientiert waren. Daraus folgt, dass bisher nur langfristige Wandlungen und gesamtgesellschaftliche Prozesse untersucht worden sind. Es dominiert die Makroperspektive. Unter Ausblendung der Meso- und Mikroebene der Beobachtung sind spezifische Themenkarrieren wie das kurz- oder mittelfristige Oszillieren von Themen und Beiträgen nicht verstehbar. Diese Lücke kann geschlossen werden, indem Wandlungsvorgänge für eine einzige Reihe von Werbekommunikaten betrachtet werden. Im Gegensatz zur systemtheoretischen Betrachtungsweise geht eine derartige Forschung auf intrakulturelle Prozesse ein und elementarisiert Wandlungsprozesse. Da die systemtheoretische Betrachtungsweise die Werbung als Ganzes (makrosoziologische Perspektive) sieht und sich für deren Beitrag für das gesamtgesellschaftliche System interessiert (funktionale Analyse), werden Details ausgeblendet, insbesondere die Beziehung zwischen Werbung und Zielgruppe. Eine mikrosoziologische Betrachtungsweise hingegen geht ein auf dieses Detail, das für verschiedene Branchen – Handels-Organisationen, Automobilindustrie, Finanzdienstleistungen und so weiter – von unterschiedlicher Relevanz und von unterschiedlichem Interesse ist. So sind für die Automobilwerbung nicht vorrangig gesamtgesellschaftliche Werte, sondern Werte sozialer Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft von Interesse. Laut Roth sind also qualitative Studien, die »[…] zwischen den Zeilen lesen […]«39, absolut notwendig, »[…] insb. bei der Erforschung von Werten. […] Sinnvollerweise sollte
39 J. Roth: Wertewandel, S. 142.
28 | FAHRZEUGE AUF Z ELLULOID
daher die quantitative Forschung in Ergänzung zur qualitativen angewandt werden.«40 Dies ist auch der Tenor im Resümee der Studie von Zurstiege. »Mit Bezug auf Goffmans (1981) Analyse betrachten die Autoren [Brosius/Staab] den Wandel werblicher Geschlechterdarstellungen auf zwei verschiedenen Analyse-Ebenen: zum einen auf der Ebene der ›expliziten‹ [Herv. i.O.] Darstellung und zum anderen auf der Ebene der ›impliziten‹ [Herv. i.O.] Darstellung von Männern und Frauen. Wie sie zeigen, verbindet Werbung auf diesen beiden unterschiedlichen Ebenen zum Teil gegensätzliche Aussagen über das Verhältnis der Geschlechter. […] Wie auch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung nahelegen, wollten weitere Forschungsbemühungen gerade an dieser Stelle ansetzen.«41
Dass qualitative Studien, die den Blick auf Details lenken – auf Bedeutungen, auf Bedeutungsnuancen, Bedeutungskonstruktionen und deren Wandel –, notwendig sind und fruchtbar sein können, hat nicht nur die Auseinandersetzung mit Roth gezeigt. Des Weiteren ist festzuhalten, dass keine der aufgearbeiteten Studien einen Ansatz zum Verständnis soziokultureller Dynamik erarbeitet haben. Sie schränken sich darauf ein, die Inglehart’sche Wertewandelstheorie zu übernehmen, um innerhalb dieses theoretischen Bezugsrahmens Veränderungen in der Werbung abzubilden. Damit bewegen sie sich allesamt innerhalb eines polaren Schemas: Von Werbedarstellungen, die durch materielle Werte beeinflusst werden, zu Werbedarstellungen, beeinflusst von postmateriellen Werten.
1.4 F ORSCHUNGSGANG DER S TUDIE F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID Die vorliegende Studie ist in acht große Kapitel untergliedert. Ziel dieses ersten Kapitels war es, auf Grundlage der Vorstellung des Forschungsgegenstandes Werbewandel und des Forschungsstandes, Probleme und Forschungslücken zu identifizieren. In dem nun folgenden zweiten Kapitel wird neben der Erarbeitung der sich für die Soziologie als fruchtbar erwiesenen kultursoziologischen Perspektive auf das Kulturphänomen Werbung – hier findet
40 Ebd. 41 G. Zurstiege: Mannsbilder, S. 203.
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| 29
sich der Eingang auf unterschiedliche Definitionen des Begriffs Werbung und hier findet sich auch das dieser Studie zugrunde liegende Verständnis von Werbung –, der theoretische Bezugsrahmen expliziert. Das theoretische Vokabular liefert die Theorie soziokultureller Dynamik, wie sie Clifford Geertz implizit im Aufsatz Ritual und sozialer Wandel verwendet hat. Im Zuge der Erörterungen seiner interpretativen Kulturtheorie kann eine Entscheidung über die beiden, sich in den vergangenen 50 Jahre herauskristallisierten Lesarten dieser soziokulturellen Wandlungstheorie getroffen werden. Auf dieser theoretischen Grundlage werden die aufgeworfenen Probleme dieser Einleitung, festgehalten in den Zwischenfaziten, in Fragestellungen umformuliert. Die methodologische Diskussion im dritten Kapitel behandelt Fragen des Studien-Designs, der Auswahlstrategie, der Gütekriterien und der Möglichkeit oder eventuell sogar der Notwendigkeit der Verwendung eines Schlussverfahrens in einer deskriptiven Studie sowie methodentechnische Fragen. Es wird auf die Auswahl der Methoden und die Begründung der Methodenwahl eingegangen. Die Dokumentenanalyse und deren Einsatzbereich wird vorgestellt, ebenso die Aufarbeitung der Datenart Fernsehwerbespot mit Hilfe der Partiturschreibweise und anschließend die verwendeten Formen qualitativer Inhaltsanalyse sowie die hermeneutische Bildanalyse. Schließlich wird aufgrund dieses multimethodischen Vorgehens das Zusammenspiel der Techniken skizziert sowie die Datenbasis der vorliegenden Studie. In diesem dritten Kapitel ist auch der Exkurs zum Problem des historischen Verstehens verortet. Die Kapitel vier bis sieben haben den empirischen Teil der Studie zum Inhalt. Im vierten Kapitel ist der erste Fernsehwerbespot für das gehobene Mittelklassemodell von Ford, dem Ford Taunus 17M P-2, rekonstruiert, und die Korrespondenz zwischen diesem und der anvisierten Zielgruppenkultur analysiert worden. Neben der sozialstrukturellen Identifikation der Zielgruppe für diese Fahrzeugklasse, die Mittelschichten, wird deren Entstehung und Entwicklung nachgezeichnet und der Status quo in sozialstruktureller wie soziokultureller Hinsicht Ende der 1950er Jahre skizziert. Die beiden Wirklichkeitsebenen, die des rekonstruierten Fernsehwerbespots auf der einen und die kulturelle Ebene der als Zielgruppe identifizierten Schicht auf der anderen Seite, werden aufeinander bezogen. In diesem vierten Kapitel ist auch ein längerer Exkurs zur Marktforschung untergebracht, da diese dafür verantwortlich ist, dass sich Informationen des Konsumenten überhaupt strukturierend auf Werbemaßnahmen wie Fernsehwerbespots auswirken können. Im fünften Kapitel wird die Wirklichkeitsebene des Unternehmens Ford und der Zielgruppe für die
30 | FAHRZEUGE AUF Z ELLULOID
Jahre bis 1967 fortgeschrieben. Dieses Kapitel ist auch der Ort, um einzuholen, was unter der in dieser Einleitung bereits wiederholt erwähnten Formel Kulturphänomen Werbung zu verstehen ist. Als Ausdruck einer Kultur im ethnografischen Sinne des Wortes verweist dies auf strukturelle Sachverhalte wie Kapitalwirtschaft und Anonymisierung zwischen Produzent und Konsument und funktionale Folgen. Insgesamt auf die Rolle, die der Werbung in einem derartig komplexen Ganzen zukommt. Das sechste Kapitel widmet sich dann wiederum der Aufarbeitung der Wirklichkeitsebene der Fernsehwerbespots für die Modelle Ford Taunus 17M P-2, Ford Taunus 17M P-3 und Ford Taunus 17M P-5. Im Kapitel sieben wird den Formen der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespots und Zielgruppe in den Jahren 1959 bis 1967 nachgegangen. Auf die erzielten Resultate der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid wird im achten Kapitel eingegangen.
2. Zur Theorie soziokultureller Dynamik Ohne Kommunikation entwickelt der Geist nicht eine wahre menschliche Natur, sondern verbleibt in einem anormalen, nicht beschreibbaren Zustand, weder menschlich noch wirklich animalisch.1 CHARLES H. COOLEY Der Begriff Werbung wird heute in Literatur und Praxis immer häufiger durch den der Kommunikation ersetzt. ROBERT HUTH/DIETER PFLAUM
2.1 D IE
KULTURSOZIOLOGISCHE P ERSPEKTIVE AUF DAS P HÄNOMEN W ERBUNG
Obgleich die Kultursoziologie im deutschsprachigen Raum auf eine Tradition zurückblicken kann, die bis in die klassische Phase der Soziologie reicht, tauchen kultursoziologische Studien zum Thema Werbung erst um 1970 auf. Seit Werbung, die sich im Spannungsfeld von kommerzieller Kommunikation und seelischer Beeinflussung bewegt, als Kommunikation konzeptualisiert wird, ist der historische Zeitpunkt erreicht, in dem Werbung als Forschungsgegenstand seitens der Kultursoziologie entdeckt wird, und kultursoziologische Studien, die sich dieses Themas annehmen, zunehmen. Carl Hundhausen be-
1
»Without communication the mind does not develop a true human nature, but remains in an abnormal and nondescript state neither human nor properly brutal.«
32 | FAHRZEUGE AUF Z ELLULOID
handelte 1960 erstmals den Begriff Kommunikation in Zusammenhang mit dem Kulturphänomen Werbung. Mittlerweile, so der Wirtschaftswissenschaftler Robert Huth, wird Werbung »[…] immer häufiger durch […] Kommunikation ersetzt. Man spricht nicht mehr von Werbe-, sondern von Kommunikationskampagnen bzw. Kommunikationsstrategien, nicht mehr von Werbezielen und Werbeerfolgskontrolle, sondern von Kommunikationszielen und Kommunikationserfolgskontrolle […]«2.
Das Auftauchen dieser kultursoziologischen Perspektive ist jedoch durch ein Paradox markiert. Obgleich Werbung als ungeheure Verschwendung von Gütern und Diensten oder als phantastischer Schwindel durch Soziologen3 thematisiert worden ist, aber auch seitens der Vertreter der Werbewirtschaft und vor allem durch die Konsumenten selbst4 in Frage gestellt wurde und wird, war das Kulturphänomen Werbung nicht aus der Welt zu schaffen. Es ist nicht nur nicht verschwunden, es zeigt auch keine Schwierigkeiten der Bestandserhaltung. Mehr noch, Werbung differenziert sich aus und expandiert. In den vergangenen 50 Jahren ist es zu einer Inflation von Innovationen in der Werbebranche gekommen, angetrieben zum einen durch einen Konkurrenzkampf um Schlüsselpositionen im Markt. Es werden neue Strategien, z.B. Sponsoring, Produktplatzierungen, Dialog- und Direktmarketing, sowie neue Taktiken wie Tandem- und Reminderspots, Crawls oder Diaries entwickelt, um sich einerseits von Kon-
2 3
4
R. Huth/D. Pflaum: Einführung, S. 18. Vgl. z.B. F. Oppenheimer: System, oder D. Riesman: Die einsam Masse. Oppenheimer z.B. führt aus: »Unproduktive, aber rentable Verschwendung ist die Reklame, mit der unsere Kapitalisten ihren Konkurrenzkampf führen: eine ungeheure Vergeudung von Gütern und Diensten.« F. Oppenheimer: System, S. 967. Riesman fragt in kulturkritischer Absicht: »Warum […] sollte es nicht möglich sein, daß die ganze Reklame ein phantastischer Schwindel ist, der uns ein Bild von Amerika vorsetzt, das von niemanden mehr ernst genommen wird, am wenigsten von den Reklamefachleuten, die es schaffen?« D. Riesman: Die einsame Masse, S. 243. Vgl. S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, S. 39 und Fußnoten 6 und 7 ebenda. Auf Seiten des Kommunikators stellt sich die Paradoxie wie folgt dar: Eigentlich wird die Wirkung der Werbung in Frage gestellt, dennoch können Werbung treibende Unternehmen nicht auf Werbung verzichten.
T HEORIE
SOZIOKULTURELLER
D YNAMIK
| 33
kurrenzunternehmen zu unterscheiden und andererseits von der Masse abzuheben. Diese Taktiken und Strategien arbeiten sich zum anderen an einem neuen Typus ab: Dem medienkompetenten Rezipienten. Durch dessen Blasiertheit, die Georg Simmel bereits 1903 in dem Essay Die Großstädte und das Geistesleben beschrieben hat, wird dieser Innovationsdruck noch zusätzlich verstärkt. »[J]e blasierter sich der Rezipient geriert, umso mehr ist die Gattung zu immer schärferen Maßnahmen der Aufmerksamkeitselizitierung gezwungen, eine Entwicklung, die zwar die [kommunikative] Gattung zu erheblichen Innovationsdruck drängt, dem Rezipienten aber zugleich eine immer größere Blasiertheit erlaubt.«5 Es sind also auch in dieser Hinsicht Neuerungen gefordert. Es stellt sich die Frage, wie eine zielgruppenpräzise Ansprache effektiv konstruiert werden muss, sodass die Werbebotschaft ins Ziel trifft. Aufgrund dieser Wechselwirkung von Konkurrenz, Blasiertheit und Innovationsdruck kommt es zu einer Inflation von Innovationen, die die Palette möglicher Werbemaßnahmen im Laufe der Zeit erheblich verbreitert hat, wie Ulrich Veigels kumulative Zusammenstellung der Neuerungen der Werbebranche der vergangenen 40 Jahre zeigt6: • • • • • • •
1960: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement; 1970: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement, Direktmarketing; 1980: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement, Direktmarketing, Event; 1985: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement, Direktmarketing, Event, Sponsoring; 1990: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement, Direktmarketing, Event, Sponsoring, Neue Medien; 1995: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement, Direktmarketing, Event, Sponsoring, Multimedia, Medienkooperation; 2000: Werbung, PR, VKF/Promotion, Product Placement, Direktmarketing, Event, Sponsoring, Multimedia, E-Commerce, E-Business, DRTV im digitalen Fernsehen, Business-Television, Business Information-on-Demand.
Aber die Werbemaßnahmen haben sich nicht nur differenziert, es kommt auch eine räumliche wie zeitliche Expansion hinzu: Es steht
5 6
R. Ayaß: Zwischen Innovation, S. 170. Vgl. U. Veigel: Marketingmix, S. 108.
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mehr Werberaum und es stehen mehr Werbeminuten zur Verfügung, wie bereits in den ersten drei Abbildungen zu sehen war. All diese gesellschaftlichen Entwicklungen führen im soziologischen Diskurs dazu, nicht ausschließlich nach manifesten Funktionen der Werbung, traditionell besetzt durch Betriebswirtschaftslehre und Psychologie, zu fragen, sondern nach deren latenten Funktionen. Dies heißt aber zugleich, von reinen Sachfragen auf Fragen, die die soziale Dimension adressieren, umzustellen. Simmel z.B. hat diese Umstellung aufgrund des steten Wechsels der Moden im deutschen Kaiserreich7 vollzogen und Émile Durkheim aufgrund der Zeremonien wie dem Regentanz der nordamerikanischen Hopi-Indianer. »So verkünden die Alten, wenn alles beendet ist, daß der Wollunqua Regen schickt, wenn er zufrieden ist. Aber man feiert es, weil es die Ahnen gefeiert haben; weil man an ihm als einer sehr geachteten Tradition hängt und weil man aus ihr mit dem Gefühl des moralischen Wohlbefindens hervorgeht. […] So existiert also eine Reihe von Zeremonien, deren einziger Zweck es ist […], das 8 Individuum an die Kollektivität [zu binden].«
Bevor nun aber diese latenten Funktionen mit Hilfe soziologischer Referenztheoretiker erläutert werden, müssen wir uns folgende Frage stellen: Was sind die manifesten Funktionen der Werbung? Worauf lenken die Wissenswelten der Betriebswirtschaftslehre9 und der Psychologie10 die Aufmerksamkeit des Beobachters zweiter Ordnung? Im Fluchtpunkt des Betriebs ergänzt die Werbung als kommunikatives Mittel die Preis-, Distributions- und Produktpolitik im absatzpolitischen Instrumentarium des Vertriebs. Mit Bezug auf den betrieblichen Leistungsprozess ist sie somit Glied in der Wertschöpfungskette und einer der Erfolgsfaktoren des Betriebs. Aufgrund dieses Fluchtpunktes ist die Frage nach der Rentabilität Start- wie Endpunkt und leitet auch die Entscheidungen der Verkaufsabteilung bzw. des Marketing an. In diesen Rahmen wird das psychologische Wissen um die Gestaltung der Werbekommunikate eingebaut und verarbeitet. Dies hat zur Folge, dass Fragen nach dem Erleben des Konsumenten und nach der bestmöglichen Aufmachung der Werbebotschaft, um den op-
7 8 9
Vgl. G. Simmel: Philosophie der Mode, S. 12. É. Durkheim: Die elementaren Formen, S. 508f. Vgl. z.B. H. Jung: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, oder H. Meffert: Marketing. 10 Vgl. z.B. U. Lachmann: Wahrnehmung, oder W. Kroeber-Riel/P. Weinberg: Konsumentenverhalten.
T HEORIE
SOZIOKULTURELLER
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timalen Wirkungsgrad zu erreichen, in der angewandten Werbepsychologie im Vordergrund stehen. Obgleich im Betrieb auch außerökonomische Ziele, wie z.B. die Steigerung des Bekanntheitsgrades des Produkts, eine Rolle spielen, werden diese Ziele immer wieder zurückgebunden an die wirtschaftlichen Maximen der Optimierung und Rationalisierung der Zweck-Mittel-Relation. Aus diesen Imperativen der Wertschöpfungskette ergeben sich dann auch die manifesten Funktionen der Werbung: Bekanntmachung der für einen anonymen Markt hergestellten Produkte (und Dienstleistungen) sowie deren Verkaufsförderung. Das sind die obersten Zwecke des absatzpolitischen Instrumentariums Werbung. Diese Ausrichtung findet sich verdichtet in der Behrens’schen Definition von Werbung, die in der Betriebswirtschaftslehre und in der Werbewirtschaft favorisiert wird. Karl C. Behrens definiert Werbung so: »Die Absatzwerbung umfasst die verkaufspolitischen Zwecken dienende, absichtliche und zwangfreie Einwirkung auf Menschen mit Hilfe spezieller Kommunikationsmittel.«11 Dass im soziologischen Diskurs eine andere Definition dominiert und dominieren muss, andere Fragestellungen und theoretische Konzeptionen zentral sind, zeigt sich aus der Auseinandersetzung mit für dieses Thema zentralen soziologischen Referenztheoretikern. In diesem Zusammenhang sehen wir uns den Wechsel der Perspektive, der sich mit der poststrukturalistischen Kulturkritik von Jean Baudrillard frühzeitig, mit Erving Goffman’s Kosmologieanalyse Mitte der 1970er Jahre und mit Niklas Luhmanns verstehender Systemtheorie Ende des 20. Jahrhunderts anbahnt, näher an, weil hier die latenten Funktionen des Kulturphänomens Werbung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden. Welchen Beitrag leistet Werbung für den modernen Menschen und die moderne Gesellschaft? Baudrillard thematisiert im Zuge seiner Beschäftigung mit dem System der Gegenstände, einer Arbeit, die sich im Ordnungsrahmen konsumgesellschaftlichen Theoretisierens bewegt, auch das Gespräch über die Gegenstände. Werbung ist dieses Gespräch. Obgleich Wer-
11 K.C. Behrens: Begrifflich-systematische Grundlagen, S. 4. Diese Definition stammt aus der Monografie Absatzwerbung, 1963, desselben Autors. Diese Definition findet sich bei Friederike Kästing (F. Kästing: Werbung), Hans-Jürgen Rogge (H.-J. Rogge: Werbung) oder jüngst in den Begriffsdefinitionen des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen, vgl. http://www.gwa.de/themen-wissen/werbewiki/?no_cache=1&tx_drwiki_pi 1%5Bkeyword%5D=Werbung vom 30.06.2008. Kritik an dieser Definition üben Thomas Kutsch und Günter Wiswede. Vgl. T. Kutsch/G. Wiswede: Wirtschaftssoziologie, S. 227ff.
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bung eine kennzeichnende Determinante jenes Systems darstellt, ist sie den konsumierbaren Gegenständen jedoch nur beigefügt, reine Konnotation. Andererseits, so Baudrillard, zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie selbst ein konsumierbarer Gegenstand in diesem System ist und sich auf diese Weise vollkommen in das System der Dinge einfügt. Dies ist der abgesteckte Rahmen, in dem Baudrillard auf die manifesten und latenten Funktionen der Werbung zu sprechen kommt. Hauptanliegen der Werbung sind jene manifesten Funktionen. Deren Aufgabe besteht darin, »[…] die Eigenschaften dieses oder jenes Produktes bekanntzugeben und den Verkauf zu fördern.«12 Aber diese expliziten Funktionen sind nur ein Alibi für die grundsätzlicheren Funktionen der Werbung, die der so genannten Logik des Weihnachtsmanns folgen: »Worauf der Kunde anspricht ist das unterschwellige Thema seiner Betreuung und Beschenkung, ist die Sorgfalt, mit der er umworben und überzeugt wird. Es ist der ihm nicht deutlich zum Bewußtsein kommende Wunsch, daß es irgendwo eine soziale und zugleich mütterliche Instanz gäbe, welche die Aufgabe übernimmt, ihn über seine eigenen Bedürfnisse zu informieren, seine Wünsche auszusprechen und ihn auch gegebenenfalls vor diesen Wünschen zu warnen. Er glaubt folglich ebenso wenig an die Werbung wie das Kind an den Weihnachtsmann, was ihn aber ebensowenig daran hindert, an einem verinnerlichten, kindlichen Verhältnis festzuhalten und sich dementsprechend zu benehmen. Das ist die Erklärung für die sehr reale Wirksamkeit der Werbung, die zwar nicht gemäß der Logik des Reiz-Reflex-Systems arbeitet, aber dennoch nach einer folgerichtigen Logik verläuft: nach der Logik des Glaubens und der 13 Regression.«
Auf der Folie dieser Logik, die den kollektiv grundierten Wunsch nach einer mütterlichen Instanz aufrechterhält, rückt die latente Funktion in den Vordergrund. Eine latente bzw. implizite Funktion der Werbung besteht in der Integration. »Durch das Schauspiel der Werbung, wie ehedem durch Feste, erkennt man, wie die Gesellschaft wirklich ist, wie sie sich im Verbrauch ihrer Werte selbst genießt. […] [Dies] Schauspiel der Werbung und des Konsums [hat] die Funktion, alle uns umgebenden Werte spontan zu absorbieren und die persönliche 14 Regression in die soziale Übereinstimmung voranzutreiben.«
12 J. Baudrillard: Das System, S. 204. 13 Ebd., S. 207. 14 Ebd., S. 214.
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In der Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. in der Förderung des Anschlusses des Individuums an die Gesellschaft15 erkennt Baudrillard eine der latenten Funktionen der Werbung. Eine weitere latente Funktion erfüllt das Werbesystem dadurch, dass es als das Bezeichnende für (potenzielle) Güterversorgung und Wahlfreiheit auf Seiten der Konsumenten auftritt. Hier findet sich bei Baudrillard das oben erwähnte Paradox wieder: »Man versteht also die Reaktion jener vom Institut für Demoskopie in Allensbach befragten zwei Millionen Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die zu 60 Prozent der Meinung waren, daß es an sich zuviel Werbung gebe, aber die nächste Frage, ob sie diesen Überfluß an Werbung (im Westen) der fast abwe16 senden (im Osten) vorzögen, mit Entschiedenheit bejahten.«
Schließlich verhindert Werbung als System der Signifikation, die »[…] psychologische Fragilität der Gegenstände […]«17 durch Beifügung von Konnotationen. Interessant für die vorliegende Studie ist der Gedankengang von Baudrillard gen Ende seiner Ausführungen im Kapitel Die Werbung: Das System der Signifikation »[…] strukturiert nicht die Person, beschreibt sie aber und ordnet sie ein. Es strukturiert auch die sozialen Beziehungen nicht, es gliedert sie in hierarchische Register. Es bietet sich als ein universelles System für das Erkennen und Feststellen des sozialen Status an: als ein Kode des Lebensstandards.«18 Werbung fungiert also nicht als neue Sprache, das heißt strukturierend, sondern als Register und bietet hiermit eine klassifizierende Ordnung, an der sich das Individuum orientieren kann. Dieser letzte Gedanke wird noch deutlicher bei Luhmann. Der Soziologie Luhmann sucht nach einer Antwort auf das Paradox, dass sich Werbung, obgleich sie einem ständigen Manipulationsverdacht ausgesetzt ist, der eigentlich zu ihrer Eindämmung oder aber Abschaffung führen sollte, trotzdem prächtig entwickelt.19 Diesem Widerspruch begegnet er mit der Frage nach den latenten Funktionen der Werbung. »Der Erfolg der Werbung liegt nicht nur im Ökonomischen, nicht nur im Verkaufserfolg. Das System der Massenmedien hat auch hier eine ›eigene Funktion‹ [Herv. i.O.], und sie dürfte in der ›Stabilisierung eines Verhältnisses von Redundanz und Varietät in der
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Ebd. Ebd. Ebd., S. 211. Ebd., S. 239. Vgl. N. Luhmann: Die Realität der Massenmedien.
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Alltagskultur liegen‹ [Herv. i.O.].«20 Hierbei wird Redundanz und Varietät dadurch erzeugt, dass sich Produkte oder Dienstleistungen, in den Massenmedien beworben, immer wieder verkaufen, und sich zugleich von den Nachfolge-Produkten derselben Marke unterscheiden lassen. Luhmann fasst diese Funktion in Die Gesellschaft der Gesellschaft so: »Das System der Massenmedien operiert in all seinen Programmsektoren [Nachrichten/Berichte, Unterhaltung, Werbung] unter dem Code Information/Nichtinformation. Jede Mitteilung, die als Information ausgewählt wird, wird damit automatisch zur Nichtinformation, denn Information läßt sich nicht wiederholen. […] Aber auch Werbung kann Markentreue nur über ständige 21 Neuerungen, also Redundanz über Varietät erreichen […]« .
Unter diesen systemtheoretischen Vorgaben des massenmedialen Codes kommt es bzw. muss es zu einem ständigen Wechsel der Darstellungen und Themen kommen.22 Diese Stabilisierungsfunktion geht nicht nur einher mit der Stiftung von Ordnung, sondern auch mit der Durchsetzung genau dieser Ordnung. Neben dieser Stabilisierungsfunktion, die der Werbung als Programmsektor der Massenmedien zukommt, erfüllt die Werbung als Werbung noch eine zweite latente Funktion. Diese Funktion ist für Luhmann die wichtigste des Werbesystems, nämlich »[…] Leute ohne Geschmack mit Geschmack zu versorgen.«23 Geschmack, diese Gliederung des Begehrens unter anderem durch Werbung, liefert dem Einzelnen erneut Orientierung; eine Orientierung, die auf dem Weg in die moderne, durch Differenzierung, Pluralisierung und Unübersichtlichkeit gekennzeichnete Gesellschaft verlorenging. Diese Funktion bezieht sich mittlerweile nicht länger nur auf einzelne Schichten, sondern auf alle Soziallagen der modernen Gesellschaft. Dieser Übergang in eine Konsumgesellschaft geht einher mit der Bereitstellung eines äußerst reichhaltigen, aber zugleich unübersichtlichen Warensortiments. Werbung stiftet Ordnung, indem sie Produkte und Dienstleistungen mit Bedeutungen versieht24, und diese Ordnung auch durchzusetzen sucht.
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Ebd., S. 239. N. Luhmann: Die Gesellschaft, Band 2, S. 1014f. N. Luhmann: Die Realität der Massenmedien, S. 86. Ebd., S. 89. Vgl. J. Brewer: Was können wir, S. 52. Brewer ergänzt, dass die hiermit aufgerufenen Begehrlichkeiten aber nicht mehr auf Subsistenz-, sondern Luxus-Produkte bezieht. Derartige Produkte, so Brewer weiter, erfüllen
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Mit Erving Goffman, dem letzten Referenztheoretiker in Sachen Werbung und Soziologie, kann festgehalten werden: Die Aufgabe des Reklamedesigners, also demjenigen, der Vorstellungen vom Wünschenswerten modelliert, ist mit der Aufgabe der Gesellschaft vergleichbar, soziale Situationen mit rituellem Material so auszustatten, dass diese Situationen verstehbar werden und etwas über den Menschen und seine Stellung in der Welt aussagen. Hierbei, das heißt in der Enkodierung von Vorstellungen, verfolgt der Reklame-Designer das Ziel, den »[…] Betrachter für sein Produkt einzunehmen, und das heißt, dieses von seiner vorteilhaften Seite, im Kontext strahlender Ereignisse zu zeigen. Dabei wird unterstellt, daß wir, indem wir das eine kaufen, dem anderen näher kommen – und daß wir dies wünschen sollen.«25 Dieses ominöse Andere in der Aussage von Goffman ist mehrdeutig. Hiermit kann gemeint sein, sich einer Bezugsgruppe anzunähren (die Anderen) bei gleichzeitigem Abschluss gegenüber anderen Gruppen. Es kann aber auch bedeuten, mit dem konsumierten Objekt einen symbolischen Aspekt, den Geltungsnutzen, der den Gebrauchsnutzen ergänzt, zu konsumieren (das Andere). Der Rolls Royce Phantom III z.B. ist nicht nur ein Fahrzeug, um von A nach B zu kommen, sondern auch ein Symbol für Macht und Einfluss. Bei ihrer Arbeit nun kreieren die Reklame-Designer die ritualisierten Ausdrucksweisen nicht, sondern nutzen »[…] das gleiche ›Repertoire‹ [Herv. i.O.] von Darstellungen, das gleiche rituelle Idiom, dessen wir uns alle bedienen, die wir an sozialen Situationen partizipieren […]«26. Dass hierbei aber soziale Strukturen in Werbebotschaften, seien es die Geschlechter-Verhältnisse im Fall der Studie von Goffman oder Klassen-Verhältnisse wie bei den Geschmacksvariationen bei Luhmann oder den Kodes des Lebensstandards bei Baudrillard, ist nur eine Konsequenz, die aus diesem Zitat von Goffman abgeleitet werden kann. Des Weiteren folgt, dass Werbung modelliert werden muss, da hier in einem erhöhten Maße gearbeitet wird mit »[…] Standardisierungen, Übertreibungen und Vereinfachungen, wie sie für Rituale im allgemeinen typisch sind […]«27. Dies nennt er Hyper-Ritualisierung.28 Diese Modellierungen sind nötig, um Werbung zu verstehen und manipulieren zu können. Woraus bestehen diese Modellierungen? Sie be-
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eher Wünsche als Bedürfnisse. Sichtbar gemacht werden diese Vorstellungen des Wünschenswerten unter anderem in der Werbung. E. Goffman: Geschlecht, S. 114. Ebd., S. 328. Ebd., S. 327. Vgl. ebd., S. 328.
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stehen aus Zeichen; es sind Zeichensysteme. Diese sind gekennzeichnet durch ihre Bilateralität. Somit sind auch Fernsehwerbespots Zeichensysteme, die »[…] unter Verwendung von Zeicheninventaren und Codes spezifische und rekonstruierbare Bedeutungen generieren.«29 In der Terminologie von Goffman sind dies Kosmologien bzw. Systeme von Vorstellungen einer Gruppe.30 Hierfür interessiert er sich in der Analyse von Werbekommunikaten. Deren Vehikel in den Werbekommunikaten im Medium des Fernsehens sind Bild und Ton. Dieses szenische Material, welches soziale Situationen des Alltags für die Werbung nutzt, ist für »[…] für den Forscher, der das Ritual einer Gemeinschaft studiert, […] etwas Ähnliches wie ein schriftlicher Text für jene, die ihre gesprochene Sprache untersuchen.«31 Mit anderen Worten, die Analyse von Werbekommunikaten wird bei Goffman zu einer Kosmologieanalyse. Doch was wird ritualisiert? Ritualisiert wird das, woran wir uns orientieren. Das sind für ihn soziale Ideale und Wünsche bzw. Vorstellungen des Wünschenswerten.32 Er analysiert in seiner Studie Geschlecht und Werbung die Geschlechterverhältnisse anhand von Geschlechterdarstellungen wie er sie in Werbeanzeigen aus Zeitschriften und auf Werbeplakaten findet. In den Ausführungen über kommerziellen Realismus stellt er fest, dass das, was heute in Reklameanzeigen üblich ist, ein simuliertes Stück Leben darstellt. Jene sozialen Arrangements sind die Quelle des kommerziellen Realismus. Sie stellen ein Repertoire von Darstellungen bereit, »[…] dessen wir alle uns bedienen, die wir an sozialen Situationen partizipieren – und zu dem gleichen Zweck: nämlich die flüchtig wahrgenommene Aktion verständlich zu machen.«33 Mit dieser Wendung ergänzt der Handlungstheoretiker Goffman die Aussagen der beiden anderen soziologischen Theoretiker Luhmann und Baudrillard. Die theoretischen Aussagen der drei konvergieren in den folgenden Punkten, die sich als Minimalkonsens jenseits von Theorietradition oder Schulzugehörigkeit ergeben: 1. Ins Zentrum des soziologischen Interesses rücken die latenten
Funktionen der Werbung. Inhaltlich gewendet sind dies: Gesellschaftliche Ideale bei Goffman, Geschmackssubstitutionen bei Luhmann oder Integration und konnotative Zusätze bei Baudril-
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N. Borstner: Männlichkeit, S. 17. E. Goffman: Rahmenanalyse, S. 37. E. Goffman: Geschlecht, S. 119. Vgl. ebd., S. 328. E. Goffman: Geschlecht, S. 328.
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lard. Nicht länger wird aus dem Blickwinkel des Betriebs den manifesten Funktionen soziologisch nachgedacht. Stattdessen wird im Rahmen einer kultursoziologischen Perspektive von Sachfragen auf gesellschaftliche Fragen umgestellt mit der Folge, dass die latenten Funktionen in den Blick kommen. 2. Im Zuge der Einnahme der kultursoziologischen Perspektive wird nicht länger ausgegangen von einer Produktions- oder Rezeptionsanalyse, sondern von der so genannten Produktanalyse. Diese bemüht sich »[…] um eine hermeneutische Rückübersetzung eines durch werbliche Botschaften ausgerichteten sozialen Vokabulars […], von dem man annehmen kann, daß es gruppen-, schichtspezifisch oder gar allgemeine, d.h. kollektiv verbindliche ›Repräsentationsmuster‹ [Herv. i.O.] generiert.«34 3. Alle genannten Theoretiker thematisieren, dass über Werbung spezifische strukturelle Differenzierungen bzw. bestimmte strukturelle Ordnungen reproduziert oder zumindest zum Ausdruck gebracht werden: Bei Goffman Geschlechterdifferenzen, bei Baudrillard soziale Ungleichheiten qua Lebensstandard bzw. soziale Ungleichheiten qua Geschmack bei Luhmann. 4. Schließlich, Werbung verdoppelt die Welt. In dieser Doppelung verwendet sie das gleiche kulturelle Repertoire an Darstellungen wie wir alle. In dieser Doppelung werden aber Modelle von Welt produziert, die die Welt symbolisch simulieren im Rahmen eines ›um zu Motivs‹. Aus dieser Aufarbeitung der kultursoziologischen Perspektive auf das Kulturphänomen Werbung kann resümiert werden: In die Werbekommunikate sind spezifische Formen sozialer Differenzierung eingeschrieben. Je nach Differenzierungsachse werden bestimmte latente Funktionen aufgerufen. Im Rahmen dieser Studie wird auf vertikale Differenzierungen Bezug genommen. Auf dieser Differenzierungsachse übernimmt Werbung die latente Funktion, schichtspezifische Bedeutungen, die dem Produkt in der Werbebotschaft zugeschrieben werden, zu simulieren. Werbekommunikate können somit als ein
34 T. Jung/S. Müller-Doohm/L. Voigt: Wovon das Schlafzimmer, S. 246. Müller-Doohm verstärkt diese Position zusätzlich mit der folgenden Aussage: »Die Präferenz für einen Untersuchungsansatz, der sich ausschließlich für de medial inszenierte Lebensstilsemantik interessiert, wird maßgeblich davon bestimmt, daß das vermeintlich subjektive Handeln, Wahrnehmen und Sich-orientieren im Zeitalter der Bildkultur enteignet zu sein scheint.« S. Müller-Doohm: Die kulturelle Kodierung, S. 114.
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Stück simulierte Symbolstruktur konzeptualisiert werden. Mit dieser Formel aber wenden wir uns ab von Überlegungen der rein immanenten Gestaltungsoptimierung von Werbekommunikaten, mit dieser Formel wenden wir uns auch ab von betriebswirtschaftlichen Überlegungen des Wirkungsgrades von Werbung und der optimalen Koordination des absatzpolitischen Instrumentariums im Marketing-Mix. Mit dieser Formel wenden wir uns stattdessen einer genuin kultursoziologischen Perspektive zu, die den Ursprung des Materials, das zur Modellierung von Werbekommunikaten genutzt wird, berücksichtigt, und nach den Funktionen der Werbung für die Gesellschaft bzw. einzelner Werbekommunikate für die Zielgruppe fragt. Mit dieser Formel ergibt sich zudem die Chance, das begriffliche Vokabular von Clifford Geertz zu nutzen, der zwar nichts zum Kulturphänomen Werbung, aber zu anderen Systemen der Gesellschaft, z.B. Kunst, Religion oder Wissenschaft, beigetragen hat und eine Theorie soziokultureller Dynamik offeriert, die einige Vorteile gegenüber anderen Theorien sozialen Wandels zu bieten hat und daher den theoretischen Bezugsrahmen der vorliegenden Studie abgibt.
2.2 Z UM THEORETISCHEN B EZUGSRAHMEN S TUDIE : C LIFFORD GEERTZ’ T HEORIE SOZIOKULTURELLER D YNAMIK
DER
Mit dem im vorangegangenen Abschnitt erarbeiteten kultursoziologischen Zugang zum Kulturphänomen Werbung, eröffnet sich die Möglichkeit, auf eine Theorie soziokultureller Dynamik zurück zu greifen, die von Geertz stammt. Diese Theorie stellt ein Begriffsvokabular und ein theoretisches Format bereit, dass der »[…] Neigung zu dem, was man mit Margaret Archer als einen ›Mythos kultureller Integration‹ [Herv. i.O.] umschreiben kann […]«35, entgegensteuert. Mit dieser Alternative wird ein theoretischer Bezugsrahmen etabliert, der es – ansatzweise wenigstens – ermöglicht, »[…] kulturelle Reproduktion ›und‹ [Herv. i.O.] kulturelle Dynamik, Stabilität und Destabilisierung von kollektiven Sinnmustern gleichermaßen verständlich zu machen.«36 Geertz verwendet diese, jedoch nicht explizit formulierte Theorie in seinen empirischen Untersuchungen und am deutlichsten in dem Essay Ritual und sozialer Wandel: ein javanisches Beispiel.
35 A. Reckwitz: Die Transformation, S. 617. 36 Ebd.
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Einer Skizzierung dieses Essays folgt die Vorstellung der beiden, sich in den vergangenen Jahrzehnten herauskristallisierten Lesarten dieser impliziten Theorie: Der so genannte Interferenz-Ansatz und der so genannte Diskontinuitäten-Ansatz. Anschließend wird auf die Geertz’sche Kulturtheorie eingegangen, die dieser kulturellen Wandlungstheorie zugrunde liegt. Erst auf dieser Grundlage ist eine Entscheidung möglich, welcher Lesart der Vorzug gegeben werden kann. Anschließend wird die Geertz’sche Theorie soziokultureller Dynamik von anderen Ansätzen abgegrenzt, die sich ebenfalls mit sozialem bzw. kulturellem Wandel beschäftigt haben. Abschließend werden die im Abschnitt 1.3 genannten Probleme in Fragestellungen transformiert und präzisiert sowie der Zweck der vorliegenden Studie erläutert. 2.2.1 Skizzierung des Essays Ritual und sozialer Wandel Der Referenzaufsatz Ritual und sozialer Wandel wurde von Geertz ursprünglich in der Zeitschrift American Anthropologist im Jahr 1957 publiziert. Die ethnografischen Beobachtungen, die in diesen Aufsatz einfließen, hat er als Mitglied einer interdisziplinären Forschungsgruppe während seiner ersten Feldforschungen auf Java zwischen Mai 1953 und September 1954 gesammelt. Dieses, dem modernisierungstheoretisch grundierten Frühwerk zurechenbare Essay37 weist bereits über die sich in der damaligen Zeit in Anwendung befindlichen normativen Modernisierungstheorien hinaus. Geertz jedenfalls hielt es für so grundlegend, dass es Eingang gefunden hat in sein sich seit der Mitte der 1960er Jahre entwickelndes Programm einer interpretativen Kulturtheorie. Dieses Programm, das als eine profunde Sammlung von Essays unter dem Titel The Interpretation of Cultures im Jahr 1973 veröffentlicht wurde, übte seit diesem Zeitpunkt für lange Zeit einen
37 Obgleich sich andere Aufsätze und Monografien von Geertz ebenfalls mit sozialem Wandel auseinandersetzen, ist es gerade dieses Essay, das interessant wird, stellt man die Frage nach Faktoren soziokultureller Dynamik. Die Bücher Agricultural Involution von 1963, Peddlers and Princes aus dem gleichen Jahr und The Social History of an Indonesian Town aus dem Jahr 1965 sind der damals gängigen modernisierungstheoretischen Analytik verpflichtet und behandeln sozialen Wandel entsprechend der modernisierungstheoretischen Dichotomie von Tradition/Moderne und überdecken somit intrakulturelle Differenzen. Neben jenem Referenzaufsatz gibt es ein weiteres Essay, das in der Diskussion um die Lesart der Geertz’schen Theorie soziokultureller Dynamik Berücksichtigung finden muss: Time, Person and Conduct in Bali aus dem Jahr 1966.
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tiefen Einfluss in der Ethnologie selbst aus wie auch über deren disziplinäre Grenzen hinweg. Dieser Einfluss ist zwar mittlerweile in der Ethnologie kaum mehr wahrzunehmen, existiert aber in anderen Disziplinen, wie z.B. der Soziologie, fort. Wie viele der Geertz’schen Essays folgt auch dieses der Anatomie der Dichten Beschreibung, die Stephan Wolff aus mehreren Arbeiten von Geertz extrahiert hat.38 Den Eingang sucht Geertz in der Etablierung einer übergreifenden Fragestellung. Anschließend folgt die Beschreibung einer bedeutungsgesättigten Situation, die in einem dritten Schritt, in dem die eingangs etablierte Fragestellung mit der Situationsbeschreibung verknüpft wird, in eine Analyse mündet. Wie sieht diese formale Dreier-Sequenz in Ritual und sozialer Wandel aus? Am Beginn des Essays steht die Auseinandersetzung mit einer Schwachstelle des Funktionalismus, soziale Wandlungsprozesse nicht adäquat erfassen zu können. »Die These dieses Beitrages ist es, daß einer der Hauptgründe für die Unfähigkeit der funktionalistischen Theorie, dem Wandel Rechnung zu tragen, darin liegt, daß sie die gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse nicht gleichwertig behandelt.«39 Das gesetzte Ziel besteht folglich darin, eine begriffliche Überarbeitung bzw. Austarierung des Verhältnisses von Kultur und Sozialstruktur vorzuschlagen, um dynamischen Elementen theoretischen Raum zu geben, und um effektiver mit historischen Materialien umgehen zu können. Weder ist Kultur auf Sozialstruktur noch Sozialstruktur auf Kultur zu reduzieren. Stattdessen ist von einer Interdependenz beider Faktoren auszugehen und nur »[…] analytisch zwischen den kulturellen und sozialen Aspekten des menschlichen Lebens zu unterscheiden und sie als unabhängig variable, aber zugleich wechselseitig interdependente Faktoren zu behandeln.«40 An diese Etablierung der Fragestellung und Richtung der Untersuchung schließt sich die Beschreibung der Situation an: Beschrieben werden religiöse und politische Entwicklungslinien, die sich in einer kleinen Stadt im östlichen Zentraljava kreuzen, beschrieben werden Begräbnisriten und Begräbnisse in unproblematischer wie in problematischer Form – materieller Angelpunkt der theoretischen Überlegungen. Von Interesse für diese Einzelfallanalyse sind nun nicht die im Sinne der javanischen Tradition sachgerecht ausgeführten Bestat-
38 Vgl. S. Wolff: Die Anatomie. 39 C. Geertz: Ritual, S. 97. Soweit möglich werden vorhandene deutsche Übersetzungen verwendet, ansonsten eigene Übersetzungen angeboten samt Original in der Fußnote. 40 Ebd., S. 98.
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tungen, sondern das Begräbnis, das nicht ordnungsgemäß ausführbar war. »Ein kleiner, ungefähr zehn Jahre alter Junge, der mit seinem Onkel und seiner Tante zusammenlebte, starb ganz plötzlich. Sein Tod zog nicht die üblichen eiligen, gedämpften und doch methodisch effizienten javanischen Bestattungszeremonien und Begräbnisriten nach sich, sondern führte statt dessen für eine längere Zeit zu einem deutlichen gesellschaftlichen Konflikt und schweren 41 psychischen Spannungen.«
Wäre das Begräbnis auf die übliche Weise, die durch das religiöse Ritual des slametan gestützt und sichergestellt wird, verlaufen, wäre die Angelegenheit noch am Vormittag des Todestages des Jungen vorüber gewesen und in keiner ethnologischen Schrift aufgetaucht. Doch der Priester, Mitglied in der so genannten Masjumi-Partei, lehnt es ab, zu mindestens so lange, dass es für eine ordnungsgemäße Bestattung zu lange war, die Beisetzung zu vollziehen. Er rechtfertigte seine Weigerung mit dem Umstand, dass der Onkel des verstorbenen Jungen aktives Permai-Mitglied sei, einer antireligiösen politischen Partei. Eine Situation, die so noch nie vorgekommen, zumindest niemals so wahrgenommen worden war, und sämtliche Beteiligte, insbesondere die des Jungen, zur Verzweiflung trieb. »Die Javaner glauben nämlich, daß man einen Toten schnell begraben muß, da sie es für gefährlich halten, wenn sich der Geist des Verstorbenen in der Nähe des Hauses aufhält.«42 Im weiteren Verlauf des Abschnitts Der Schauplatz sowie im Abschnitt Das Begräbnis schildert Geertz kontrastiv den Verlauf ordnungsgemäß durchgeführter Bestattungen und kommt auf die Rolle zu sprechen, die der slametan spielt. Dann folgen Ausführungen zu den Turbulenzen, die durch die erwähnte Weigerung des Modin, ein religiöser Amtsträger, das Begräbnis zügig zu vollziehen, entstanden sind. Diese Turbulenzen wiederum verzögerten die Beisetzung um einen halben Tag, sodass bereits die Leichenstarre eingetreten war. In Folge mussten dem toten Jungen von den Nachbarn, die ihn für die rituellen Waschungen entkleideten, die Kleider vom Leib geschnitten werden. Im dritten Schritt, dem der Analyse, bezieht Geertz nun die Fragestellung auf den dicht beschriebenen Fall des problematischen Begräbnisses, zu dem neben dem Schauspiel von Zorn, Trauer, Erregung und anderem persönlichen Ausdruck auch sozialstrukturelle wie kulturelle Elemente gehören. Diese sozialstrukturellen Faktoren und ihre Ent-
41 Ebd., S. 101. 42 Ebd., S. 116.
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wicklung in der javanischen Gesellschaft hat Geertz identifiziert mit einem modernisierungstheoretischem Vokabular: Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, Monetarisierung und berufliche Differenzierung. Die kulturellen Faktoren identifiziert er in den Mustern religiöser und politisch-ideologischer Provenienz. Was Geertz theoretisch daran interessiert, ist die Frage, weshalb trotz des Rituals, welches aus funktionalistischer Sicht eigentlich für Stabilität und Kontinuität steht, in diesem Fall genau das Gegenteil dessen bewirkte, das Begräbnisritual zum Scheitern brachte. Wie konnte eine solche Situation entstehen? Was evozierte den Riss in der sozialen Wirklichkeit? Er führt dies auf seine eingangs aufgestellte These zurück, dass es »[…] einer Diskontinuität zwischen der Form der Integration im soziostrukturellen […] Bereich und der Form der Integration im kulturellen […] Bereich […]«43 zuzuschreiben ist. Er betont hierbei, dass diese Diskontinuität nicht zu Desintegration, sondern zu Konflikt führt.44 »Konkreter, wenn auch aphoristischer ausgedrückt, die Schwierigkeit liegt in der Tatsache, daß die Menschen im ›kampong‹ [Herv. i.O.] sozial gesehen Städter sind, während sie in kultureller Hinsicht noch immer auf dem Land leben. […] [E]in Ritual ist nicht nur ein Muster von Bedeutungen, es ist auch eine Form gesellschaftlicher Interaktion. […] Insgesamt kann der Bruch bei Paidjans Begräbnis auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden: auf eine Inkongruenz zwischen dem kulturellen Bedeutungsrahmen und den Formen der gesellschaftlichen Interaktion – eine Unstimmigkeit, die daher rührt, daß ein religiöses Symbolsystem, das einer bäuerlichen Sozialstruktur entspricht, in 45 einer urbanen Umgebung fortbesteht.«
In Auseinandersetzung mit diesem Essay und der darin implizierten Theorie soziokultureller Dynamik haben sich zwei Lesarten etabliert. Sehen wir uns diese nun näher an. 2.2.2 Zwei Lesarten der implizierten Theorie: Diskontinuitäten- und Interferenz-Ansatz Die beiden Lesarten sind der Diskontinuitäten-Ansatz, vorgetragen von Evon Z. Vogt, und der Interferenz-Ansatz, der von Kenneth Rice und Andreas Reckwitz vertreten wird.
43 Ebd., S. 124. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 124f., S. 129 und S. 131.
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Die ältere der beiden Lesarten versucht die Geertz’sche Theorie soziokultureller Dynamik ausschließlich in der Diskontinuität zwischen Kultur und Sozialstruktur zu fassen. Diese Lesart von Vogt findet sich in seinem Enzyklopädie-Eintrag von 1968. Dort wird Geertz’ Ansatz im Rahmen der Aufzählung von Faktoren, die kulturellen Wandel beeinflussen, vorgestellt. »Andere Wissenschaftler […] wie Geertz (1957), weisen auf innere Inkongruenzen und Spannungen zwischen sozialen und kulturellen Systemen hin, die fortwährend Wandlungsdruck erzeugen.«46 Diese Lesart wird dadurch gestützt, dass Geertz das interdependente Verhältnis dieser beiden Faktoren, dem kulturellen und sozialen Aspekt des menschlichen Lebens, betont und verschiedene Formen der Integration zwischen ihnen identifiziert: Isomorphie und Diskontinuität. »Ich würde annehmen, daß eben in diesen Diskontinuitäten einige der primären Triebkräfte des Wandels am Werke sind.«47 Doch Vogts Lesart geht an dem vollen Aussagegehalt der Geertz’sche Theorie soziokultureller Dynamik vorbei. Diese Behauptung wird wieder aufgenommen im Abschnitt 2.2.4. Ausführlicher wird der Interferenz-Ansatz vorgetragen. An die Stelle dieser Lesart setzen Reckwitz (und Rice) die Folgende: Anstatt die Diskontinuitäten zwischen Kultur und Sozialstruktur und somit das Verhältnis bzw. die Interdependenz der beiden nur analytisch zu trennenden Systeme aufrechtzuerhalten, sieht Reckwitz den Faktor für kulturellen Wandel in der Sachlage der interpretativen Mehrdeutigkeit. Reckwitz arbeitet seine Lesart im Rahmen der Beschäftigung mit unterschiedlichsten Kulturtheorien heraus, die das Ziel verfolgt, eine Konvergenzbewegung in den Kulturtheorien des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen. Hierbei geht Reckwitz auch auf die interpretative Kulturtheorie von Geertz ein. In Auseinandersetzung mit dieser Theorie und der Explikation der Theorie soziokultureller Dynamik kommt er zu folgendem Schluss: »Vor dem Hintergrund von Geertz’ eigenem kulturtheoretischen Programm könnte eine solche Erklärung [im Geiste des Diskontinuitäten-Ansatzes] jedoch nicht gelingen […]: Nicht ein Widerspruch zwischen nicht-sinnhafter Sozialstruktur und sinnhafter Kultur […] kommt im beschriebenen Beispiel offenbar
46 E.Z. Vogt: Culture Change, S. 554f. »Other scholars […], like Geertz (1957), point to inherent incongruities and tensions in social and cultural systems that generate constant pressure for change.« 47 C. Geertz: Ritual, S. 98f.
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zum Ausdruck, sondern eine Interferenz zwischen unterschiedlichen Sinnmus48 tern im gleichen Kollektiv […]« .
Wie kommt Reckwitz zu dieser Behauptung? Verfolgen wir seine Argumentation. Ausgang ist die Beschreibung des Begräbnisses, das infolge eines nicht reibungslosen Ablaufs als Interpretationsproblem thematisiert werden kann. Dieses Problem, Reckwitz spricht von einer interpretativen Unterbestimmtheit, wird ausgelöst durch eine Überlagerung religiöser und politischer Bedeutungsstrukturen. Oder anders gesagt, das Ereignis slametan wird zu einem Problem im Sinne einer kulturellen Destabilisierung, ganz im Gegensatz zur gängigen Auffassung des Funktionalismus, in der Religion und Ritus immer Struktur erhaltende Funktionen für Individuum und Gesellschaft erfüllen. Diese kulturelle Destabilisierung entsteht aus einem situativen Interpretationsproblem, dessen Hintergrund eine Interferenz verschiedener Sinnmuster ist. In diesem Sinne hält Reckwitz fest, Geertz behandle eine »[…] Konstellation einer ›Interpretationskrise‹ [Herv. i.O.], die sich aus dem Problem ergibt, welches von mehreren den Akteuren verfügbaren Sinnmustern ihnen angemessen erscheinen soll, um einem öffentlichen Handeln Bedeutung zuzuschreiben.«49 Die beiden verfügbaren Sinnmuster sind das religiöse, um den slametan zentrierte Wissen und das politische, um die beiden Parteien Masjumi und Permai angeordnete Wissen. So schreibt der der Masjumi-Partei nahestehende Priester dem Bestattungsakt politische Bedeutung zu, der nicht von politischen Laizisten durchführbar ist. Die Angehörigen des Toten hingegen, der Onkel ist aktives Mitglied der Permai-Partei, wenden ein religiöses Deutungsmuster an. Als Folge, die in diesem Diskurs für die beteiligten Akteure entsteht, ergibt sich eine offene Frage: Welche der beiden Interpretationsofferten ist nun die angemessene Auslegung? Aufgrund dieser unbeantworteten Frage kommt es zum disrupted funeral. Diese Lesart wird bei Reckwitz vor allem durch die folgende Textstelle gestützt: »Die Desorganisation des Rituals rührte von einer ›grundsätzlichen Mehrdeutigkeit‹ des Rituals für diejenigen her, die daran teilnahmen. Ganz einfach gesagt bestand diese Mehrdeutigkeit darin, daß die einzelnen Symbole des Slametan sowohl religiöse wie politische Bedeutung hatten, mit sakralem wie profanem Sinn befrachtet waren. […] In einer solchen mehrdeutigen kulturel-
48 A. Reckwitz: Die Transformation, S. 472. 49 Ebd., S. 466.
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len Situation wird es für den normalen kampong-Javaner immer schwieriger, die richtige Haltung zu einem Ereignis einzunehmen, die angemessene Bedeutung eines bestimmten Symbols in einem bestimmten gesellschaftlichen 50 Zusammenhang herauszufinden.«
Dies ist Reckwitz’ Gang durch den Fall und das sich daran anschließende Argument für eine kulturalistische Lesart. Doch Reckwitz’ Lesart steuert meines Erachtens ebenfalls in eine Sackgasse. Diese kulturalistische Sackgasse wird durch Einseitigkeiten evoziert – »[…] wenn ein Teil zur Grundlage des Ganzen wird, dann wird die Komplexität des Ganzen der Einfachheit des Teils geopfert […]«51 – und stellt eine Form soziologischen Idealismus dar. Dies führt Reckwitz zu einer zentralen Kritik an Geertz’ Werk, der Illusion autonomer Symbole. Ob diese Illusion auf Seiten des Interpreten des Geertz’schen Werkes oder im Werk von Geertz selbst angelegt ist, gilt es herauszufinden. Es darf gefragt werden: Kommt es tatsächlich zu einer interpretativen Unterbestimmtheit im gleichen Kollektiv? Sind die Bewohner der Kleinstadt, in der sich dieses Ereignis abgespielt hat, ein homogenes Ganzes, ein Kollektiv? Bevor nun eine Beurteilung der beiden Lesarten im Abschnitt 2.2.4 vorgenommen werden kann, müssen wir uns die interpretative Kulturtheorie von Geertz näher betrachten. 2.2.3 Die interpretative Kulturtheorie von Geertz Seit Mitte der 1960er Jahre verfolgte Geertz das Projekt einer interpretativen Kulturtheorie, wobei das Essay Ideology as a Cultural System mit seiner Form X as a CS einen Wendepunkt markiert. Dieses Programm, veröffentlicht 1973, wird mit dem analytischen Essay Thick Description. Towards an Interpretive Theory of Culture eingeleitet. Dieses Essay geht auf die in diesem Band versammelten Aufsätze reflexiv ein und liefert somit den Versuch eines vereinheitlichenden Kommentars. Aus diesem Kommentar und einigen anderen Arbeiten, die sich in The Interpretation of Cultures und in Local Knowledge von 1983 finden, kann die nur skizzenhaft vorliegende interpretative Kulturtheorie von Geertz extrahiert werden.
50 Ebd., S. 468. Die Hervorhebungen im Zitat stammen von Reckwitz. 51 J.C. Alexander: Sociological Theory, S. 311. »[…] if the part becomes the basis of the whole, the complexity of the whole becomes sacrificed to the simplicity of the part […]«.
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Erläuterungen zur interpretativen Kulturtheorie Zur Erläuterung dieser Kulturtheorie, deren Begriffe wie Kultur, Bedeutung, soziale Struktur teils erheblichen Begriffsschwankungen unterliegen, ist es notwendig, folgende drei Fragen zu beantworten: 1. Wie ist Geertz’ semiotischer Kulturbegriff zu verstehen? Um diese Frage beantworten zu können, muss der Bedeutungsgehalt der Begriffe sozialer Diskurs, Symbol, Bedeutung und Modell und des den Kulturbegriff spezifizierenden Adjektivs semiotisch herausgearbeitet werden. Auch die Explikation der so genannten Dichten Beschreibung ist hier zu finden. 2. Wie ist der Zusammenhang zwischen Kultur, Kommunikation und Kollektiv in der Kulturtheorie von Geertz beschaffen? 3. Wie ist auf dieser Grundlage das Verhältnis zwischen Kultur und Sozialstruktur zu bestimmen? Es ist ja die Form des Verhältnisses, die die Dynamik des sozialen Diskurses bestimmt. ad 1) Über den semiotischen Kulturbegriff Dieser semiotische Kulturbegriff setzt sich ab gegenüber so genannten Catch-All-Begriffen, wie sie z.B. bei Clyde Kluckhohn oder bei Edward B. Tylor zu finden sind. »Cultur […] im weitesten ethnographischen Sinne ist jener Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat.«52 Diesem totalitätsorientierten Kulturbegriff wird ein spezifischer Begriff von Kultur entgegengesetzt, der handlicher und zugleich präziser ist. Eine der Definitionen des Kulturbegriffs lautet bei Geertz so: »Der Kulturbegriff, den ich vertrete […], ist im wesentlichen ein semiotischer. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe.«53 Neben dieser sehr poetischen Bestimmung liefert er im Essay Religion as a Cultural System die folgende Definition: »Der Kulturbegriff, den ich verwende, bezieht sich jedenfalls nicht auf mehrere Referenten und weist, soweit ich sehe, auch keine besonderen Vieldeutigkeiten auf: er bezeichnet ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe Men-
52 E.B. Tylor: Die Culturwissenschaft, S. 33. 53 C. Geertz: Dichte Beschreibung, S. 9.
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schen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellung zum Leben mitteilen, er54 halten und weiterentwickeln.«
Zentral für das Verständnis der Definitionen sind, wie bereits angedeutet, die Begriffe Diskurs, Symbol (bzw. symbolische Form), Bedeutung (bzw. Vorstellung) sowie das Adjektiv semiotisch. Fünf ineinander greifende Fragen müssen erläutert werden: (α) Was versteht Geertz unter dem Begriff sozialer Diskurs? (β) Was versteht Geertz unter dem Begriff Symbol? (γ) Was versteht Geertz unter dem Begriff Bedeutung? (δ) Wie ist die Beziehung zwischen den Begriffen Symbol und Bedeutung beschaffen? (ε) Welche Funktion erfüllt das Adjektiv semiotisch? ad (α) Zum Begriff des sozialen Diskurses Wichtig in der Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff ist die Lokalisierung der Phänomene, die mit dem Kulturbegriff angesprochen werden. So setzt sich Geertz zwar »[…] ausdrücklich das Ziel, eine Kulturtheorie, genauer: eine ›interpretative Kulturtheorie‹ [Herv. i.O.], zu formulieren […]«55, so Reckwitz, doch der nicht sinnhafte Kontext eines solchen Kulturbegriffs, die sozialen Akteure, scheinen erst einmal eigentümlicherweise ausgespart zu bleiben. Der Begriff des sozialen Diskurses aber liefert diesen Kontext. Was Geertz unter sozialen Diskurs versteht, zeigt einerseits der Referenztext Der Text als Modell von Paul Ricœur, und zeigen andererseits die Beispiele, die Geertz in seine Essays verwendet: Die Augen zwinkernden Jungen, der Hahnenkampf auf Bali oder der Schafraub in den marokkanischen Bergen. »Das Hin und Her mit den Schafen – ihr fingierter Diebstahl, ihre Übereignung als Wiedergutmachung, ihre politische Konfiszierung – ist (oder war) im Grunde ein sozialer Diskurs, selbst wenn er […] in vielen verschiedenen Zungen und ebensosehr mit Taten wie Worten geführt wurde.«56 Der Diskursbegriff im Sinne von Geertz verweist also auf diese soziale Welt und ist mehr im Sinne eines deskriptiven als analytischen Begriffs zu verstehen. Dieser Diskurs realisiert sich sowohl im Handeln wie im Sprechen der Akteure und objektiviert deren Vorstellungen in ausgehandelten Dokumenten (im weitesten Sinne des Wortes). Mit diesem Begriff werden nicht nur die kontextuellen
54 C. Geertz: Religion, S. 46. 55 A. Reckwitz: Die Transformation, S. 448. 56 C. Geertz: Dichte Beschreibung, S. 26f.
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Elemente des Symbolsystems Kultur, wie z.B. spezifische Situationen, Objekte und andere Subjekte, aufgerufen, sondern es wird auch auf spezifische Eigenarten des Ablaufs des sozialen Diskurses verwiesen. »Erster Grundzug: Der Diskurs wird immer in der Zeit und in einer bestimmten Gegenwart realisiert […] Zweiter Grundzug: […] der Diskurs [ist] […] auf seinen Sprecher zurückbezogen. […] Dritter Grundzug: […] der Diskurs [dreht] sich immer um etwas Bestimmtes. Er bezieht sich auf eine Welt, die zu beschreiben, auszudrücken oder zu repräsentieren er beansprucht. […] Vierter Grundzug: […] im Diskurs [werden] wirkliche Mitteilungen ausgetauscht, In diesem Sinn hat allein der Diskurs nicht nur Welt, sondern auch einen Anderen 57 eine andere Person, einen Gesprächspartner, an der er adressiert ist.«
Mit diesen Grundzügen des Diskurses und seiner Übertragung auf den Verlauf des sozialen Handelns gewinnt der weiter oben definierte Kulturbegriff einen Kontext: Trägerschichten, Referenzobjekte und Situationen. Dieser Kontext ist ausgezeichnet durch eine spezifische Eigenart infolge der zeitlichen wie räumlichen Situierung: Ausgezeichnet durch Lokalität. Lokalität nicht nur der Trägerschichten im sozialen Raum, sondern auch Lokalisierung der Materialität des Diskurses in zeitlicher Hinsicht. In diesem Diskursuniversum interessiert sich Geertz hauptsächlich für die folgende Dimension, die mit dem analytischen Begriff Bedeutung erfasst wird. Bedeutungen bzw. Vorstellungen, die sich in einzelnen Symbolen, aber auch in Symbolkomplexen verkörpern. ad (β) Zum Begriff des Symbols Der Begriff des Symbols, den Geertz in Anlehnung an Susanne K. Langer verwendet, die wiederum in der Tradition Ernst Cassirers steht58, nimmt Bezug auf »[…] alle Gegenstände, Handlungen, Ereignisse, Eigenschaften oder Beziehungen, die Ausdrucksmittel einer Vorstellung sind, wobei diese Vorstellung die ›Bedeutung‹ [Herv. i.O.] des Symbols ist. […] Symbole oder zumindest symbolische Elemente […] [sind] faßbare Formen von Vorstellungen […]«59. Die Charakteristika dieses so verstandenen Symbolbegriffs sind Folgende:
57 P. Ricœur: Der Text als Modell, S. 253f. 58 Vgl. S.K. Langer: Philosophie, und E. Cassirer: Philosophie, E. Cassirer: Versuch, E. Cassirer: Zur Logik der Kulturwissenschaften. 59 C. Geertz: Religion, S. 49.
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Symbole müssen gelernt werden. In diesem Symbolbegriff ist die Objektrelation willkürlich, ähnlich wie in der bilateralen Konzeption des Zeichenbegriffs von Ferdinand de Saussure. Hier wie dort führt die arbiträre Beziehung der beiden Seiten des Zeichens, dem Signifikat und dem Signifikanten, nicht zu einer Beliebigkeit des Gebrauchs, da diese Beziehung durch Konventionen stabilisiert wird. So wird die Relation zwischen Objekt und Bedeutung bei Cassirer durch Konventionen geregelt. Nur auf diese Weise wird Kommunikation möglich.60 Aus diesem Charakteristikum, relational und zugleich durch Konventionen stabilisiert zu sein, ergibt sich der folgende Sachverhalt: Symbole müssen im kommunikativen Gebrauch und durch instruiertes Lernen eingeübt werden. (Konventionalitäts- und Sozialisations-These) Das Symbol ist die sinnlich erfahrbare, tangible Seite der Bedeutung. »[A]lle Symbole […] [sind] faßbare Formen von Vorstellungen, aus der Erfahrung abgeleitete, in wahrnehmbare Formen geronnene Abstraktion, konkrete Verkörperungen von Ideen, Verhaltensweisen, Meinungen, Sehnsüchten und Glaubensanschauungen.«61 Aus diesem Umstand folgt für Geertz, das Symbole öffentlich sind – acted documents. (Tangibilitäts-These) Dieser Symbolbegriff ist triadisch angelegt.62 Zu dem Symbol, zu dem Objekt, auf das das Symbol verweist, und deren Beziehung zueinander tritt der Zeichennutzer. Aus der Berücksichtigung dieses dritten Strukturelements folgt, dass dem Symbol je nach Interpretationskreis andere Bedeutung zugeschrieben werden kann. Anders gesagt, ein und dasselbe Symbol hat die Kapazität, zahlreiche Bedeutungen anzunehmen. In dieser Hinsicht besteht auch ein gravierender Unterschied zwischen dem Symbolbegriff von Cassirer und dem Zeichenbegriff von Saussure: Symbole sind mehrsinnig. Obgleich beide Konventionen unterliegen, sind Symbole Semantiken konnotativer Art und Zeichen Semantiken denotativer Art.63 (Kreativitäts-These)
60 Vgl. A. Linke/M. Nussbaumer/P. Portmann: Studienbuch Linguistik, S. 30ff. 61 C. Geertz: Religion, S. 49. 62 Dies wird gestützt durch die Geertz’sche Auffassung des Begriffs Bedeutung, der in einem weiteren Sinne verwendet wird. 63 Vgl. W. Lipp: Kulturtypen, S. 475. Dies wird auch von Geertz’schen Seite selbst gestützt, da der Begriff Bedeutung in einem weiteren Sinne verwendet wird. Winfried Nöth führt hierzu aus: »Eine Semantik, die beide Dimensionen der Bedeutung im weiteren Sinne berücksichtigt [die Inhaltssei-
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Das Symbol als konstitutives Element kultureller Systeme hat relative Autonomie.64 Geertz hebt den Eigenwert und die Eigenlogik von Symbolen durch die Betonung ihrer Bedeutungsdimension hervor. Symbole werden nicht auf Werte reduziert. Werte jedoch sind eine Unterart des Symbols. Solche Symbole, die institutionalisiert die spezifische Aufgabe der Integration in sozialen Systemen übernehmen, können Werte genannt werden.65 (Autonomie-These)
Bisher ist nicht ausdrücklich erwähnt worden, dass diese Symbole ausschließlich im Humanbereich zu finden sind. Um dies noch deutlicher sehen zu können, führt Geertz noch zwei wesentliche Merkmale auf: •
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Symbole wirken von außen auf die Individuen. Sie kennzeichnet der Sachverhalt, extrinsische Informationsquellen zu sein. »Unter ›extrinsisch‹ [Herv. i.O.] verstehe ich nichts weiter, als daß sie – anders als z.B. die Gene – außerhalb der Grenzen des einzelnen Organismus in jenem intersubjektiven Bereich allgemeiner Verständigung angesiedelt sind, in den alle Menschen hineingeboren werden […]«66. (Öffentlichkeits- bzw. Intersubjektivitäts-These) Symbole, damit sie als echte Symbole ausgezeichnet werden können, müssen einen so genannten doppelten Modellaspekt aufweisen. Was ist damit gemeint? Ein Symbol wird bei Geertz erst dann zu einem echten Symbol, wenn es folgendes Kriterium erfüllt: Echte Symbole müssen sowohl Modelle-von-Etwas (z.B. Weltbilder) als auch Modelle-für-Etwas sein (z.B. Lebensstile). Der so genannte von-Aspekt betont die kognitive Ebene von Modellen und hebt ihre Manipulierbarkeit von Handlungen hervor, und der so genannte für-Aspekt deren affektive und evaluative
te wie die Objektrelation des Zeichens], vertritt eine dualistische Bedeutungstheorie, deren Grundlage ein triadisches Zeichenmodell ist. […] Eine Semantik, die nur eine der beiden Bedeutungsdimensionen berücksichtigt, vertritt eine monistische Bedeutungstheorie, deren Grundlage ein dyadisches Zeichenmodell ist […]«. W. Nöth: Semantische Grundbegriffe, S. 152. 64 Die Stunde der Kultur hat in dem Moment geschlagen, als der lateinische Kulturbegriff sich von seinen Genitivattributen frei machen konnte. Dies geschah in der Samuel von Pufendorf’schen Naturrechtslehre von 1686. Hier steht der moderne Begriff Kultur für einen autonomen Bereich, der seinen eigenen Gesetzlichkeiten unterworfen ist. Vgl. D. Baecker: Kultur. 65 Vgl. J.C. Alexander: Sociological Theory, S. 302ff. 66 C. Geertz: Religion, S. 51.
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Ebene. Hier wird die Handlungsorientierung und Manipulation der nicht-symbolischen Systeme durch Handlung akzentuiert. Die gegenseitige Übertragbarkeit der beiden Modellaspekte weist die symbolischen Formulierungen als das Kennzeichnende der Gattung Mensch aus.67 Dieser Gedankengang birgt in sich noch eine weitere Besonderheit. Modelle sind erstens immer nur Ausschnitte aus der mannigfaltigen Wirklichkeit.68 Dies heißt, dass eine Selektion stattfindet. Zweitens können Modelle-von-Etwas, wie ausgeführt, manipuliert werden. Sie können also bewusst gestaltet bzw. modelliert werden mit dem Ziel, Handlung anleitend zu wirken. Dieser Umschlag muss jedoch nicht unbedingt stattfinden. Nicht jede Blaupause eines Hauses führt auch zum Bau eines Hauses. Aber ist erst einmal dieser von-Aspekt in den fürAspekt intertransponiert bzw. wie Geertz formuliert: verschmolzen69 worden, hat eine Ritualisierung zwischen Weltbild und Ethos stattgefunden.70 Beide Aspekte sind von zentraler Bedeutung für den Ablauf des sozialen Diskurses. (IntertransponierbarkeitsThese) ad (γ) Zum Begriff der Bedeutung Sind die Symbole die Außenseite, die tangible Seite sozialer Diskurse, so verweisen Bedeutungen: Vorstellungen, Ideen, Einstellungen, Überzeugungen oder Urteile, auf die nicht beobachtbare Innenseite. Ein Symbol ist das Vehikel für eine Vorstellung, und diese ist die Bedeutung des Symbols. Extrahieren wir den Begriff der Bedeutung aus den Arbeiten von Geertz, stellen wir fest, dass dieser in zwei Varianten auftritt. Einerseits verweist dieser Begriff auf die Inhaltsseite des Symbols, das sich in einem symbolischen Körper (Wortfolge) mani-
67 Ebd., S. 52ff. 68 In diesem Zusammenhang ist an Max Webers Kulturbegriff zu erinnern, wie er sich in seinem Objektivitätsaufsatz findet: »›Kultur‹ [Herv. i.O.] ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens.« M. Weber: Die »Objektivität« , S. 180. 69 Vgl. C. Geertz: Religion, S. 78. 70 In der vorliegenden Studie können die Bedingungen eines solchen Umschlags, von Modellen-von-Welt in Modelle-für’s-Handeln, nicht behandelt werden. Dies fällt unter die Rubrik psychologische Wirkungsforschung. Möglich jedoch ist, die Korrespondenz zwischen Modellen-vonWelt (Fernsehwerbespots) und Modellen-für’s-Handeln (schichtspezifisches Verhalten) zu untersuchen.
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festiert (Signifikation). Bei Geertz findet sich eine weitere Variante, die weniger auf das Relatum der Bedeutung als vielmehr auf die Relation zwischen Bedeutung und Symbol verweist (Designation). Die Bedeutung ist das unauflösliche Miteinander-Verknüpftsein von Idee und Realität.71 Aufgrund der Tatsache, dass sowohl die Signifikation als auch die Designation mit dem Begriff der Bedeutung belegt wird, haben wir es mit einer dualistischen Bedeutungstheorie zu tun, deren Grundlage ein triadisches Zeichenmodell ist. In einem solchen spielt nicht nur die semantische, sondern auch die pragmatische Dimension eine zentrale Rolle. In diesem Sinne kann von der Kulturtheorie von Geertz das Gleiche behauptet werden, was Reckwitz über die Kulturtheorie von Michel Foucault gesagt hat. Auch in der Geertz’schen Kulturtheorie erhält die »[…] strukturalistische Denkfigur […] einen neuartigen Stellenwert, der sich in mehrfacher Weise als tiefgreifende Transformation des strukturalistischen Modells interpretieren läßt. Der Kern dieser konzeptuellen Transformation ist in der Zurechnung von […] [Bedeutungsstrukturen] auf die diskursiven Praktiken selbst […] zu suchen […] [, die] von körperlich lokalisierbaren Akteuren in ihren alltäglichen Praktiken – diskursiver und nicht-diskursiver Art – ange72 wandt werden.«
Mit dieser in einer Handlungstheorie eingebundenen Version einer textualistischen Kulturtheorie kann Geertz nicht nur auf die Neohermeneutik von Ricœur zurückgreifen, sondern auch auf die Gebrauchstheorie der Bedeutung in der Spätphilosophie von Ludwig Wittgenstein.73 Darüber hinaus kann Geertz mit dieser Version die Kritik des Illusionismus des autonomen Diskurses unterlaufen. (δ) Zur Beziehung zwischen Symbol und Bedeutung: Konventionalität Es besteht eine konventionelle Beziehung zwischen Symbol und Bedeutung. Es gibt keinen von Natur aus gegebenen Zusammenhang zwischen einem Symbol und seiner Bedeutung als Inhaltsseite des Symbols. Diese Beziehung wird stabilisiert durch die Gemeinschaft der Zeichennutzer. Die stabilsten Signifikationen sind Denotationen oder lexikalische Einträge. Diese sind fixiert in Wörterbüchern und geben den Wortbedeutungskern wieder. Die symbolische Buchstabenfolge A-U-T-O steht für die Vorstellung eines sich durch einen Ver-
71 Vgl. C. Geertz: Aus der Perspektive, S. 292. 72 A. Reckwitz: Die Transformation, S. 282f. und 294. 73 Vgl. L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen.
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brennungsmotor selbständig, an Land fortbewegendes vierrädriges Objekt. Dieser Bedeutungskern wird aber häufig überlagert durch Konnotationen.74 Das sind individuell oder sozial gebundene sekundäre Bedeutungsaspekte. So kann die Folge A-U-T-O z.B. für die Vorstellung von Freiheit, Status oder Macht stehen. Diese eher instabilen Verhältnisse konnotativer Bedeutungen können bewusst modelliert werden und unterliegen damit auch häufiger Veränderungen als Denotationen. (ε) Zur Funktion des Adjektivs semiotisch Semiotisch attribuiert Geertz seinen Kulturbegriff, um diesen auf der einen Seite gegenüber mentalistischen und auf der anderen gegenüber materialistischen Kulturbegriffen abzugrenzen. Er will nicht in bewusstseinsphilosophische Begrifflichkeiten des Geistes verfallen, aber auch nicht in einen strukturalistischen Objektivismus. Ward Goodenough z.B. vertritt jene erste Richtung in der Anthropologie der damaligen Zeit, und die zweite Richtung wird repräsentiert von Claude Lévi-Strauss. Das Adjektiv semiotisch dient also zur Abgrenzung. Aber das Adjektiv erfüllt noch eine weitere Funktion. Wie die Spezifizierung der Geertz’schen Kulturtheorie durch das Adjektiv interpretativ bzw. seiner Anthropologie durch symbolisch andeutet, verweist jene Attribuierung auf einen weiteren Sachverhalt. In der Semiotik als allgemeiner Zeichentheorie werden üblicherweise drei Dimensionen unterschieden: Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Jede dieser Dimensionen betrachtet ein spezifisches Verhältnis. Das Verhältnis der Zeichen zueinander wird unter syntaktischer Perspektive behandelt, das Verhältnis der Zeichen zu ihrer Bedeutung ist verankert in der Aufgabenstellung der Semantik, und die Pragmatik untersucht das Verhältnis zwischen Zeichen und Zeichennutzer. Es ist meines Erachtens die semantische und pragmatische Dimension, die Geertz präferiert, und deren Kombination er verfolgt, um seinen Kulturbegriff gegenüber den oben genannten Begriffen abzugrenzen.75 So zielt der semiotische Kulturbegriff auf die in Handlungen realisierten intersubjektiv geteilten Bedeutungsmuster, die wiederum auf Handeln einwirken. Mit diesem Zuschnitt des Geertz’schen Kulturbegriffs verbindet sich ein hermeneutisches Unternehmen, das Geertz als Dichte Beschreibung bezeichnet hat. Diesen Begriff der Dichten Beschreibung
74 Vgl. W. Nöth: Semantische Grundbegriffe, S. 149ff. Dort ist ein Abriss der Geschichte des Begriffspaares Denotation/Konnotation, der theoretischen Grundlegung durch Roland Barthes und Louis Hjelmslev und der Verwendung seit den 1960er und 1970er Jahren zu finden. 75 Vgl. A. Reckwitz: Die Transformation, S. 457.
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übernimmt er von Gilbert Ryle.76 Ziel dieser Kulturanalyse ist »[…] das Herausarbeiten von Bedeutungsstrukturen […] und das Bestimmen ihrer gesellschaftlichen Grundlage und Tragweite.«77 Die Dichte Beschreibung ist durch vier Merkmale gekennzeichnet. Sie ist erstens deutend, zweitens deutet sie den Ablauf des sozialen Diskurses (das Interpretandum), fixiert drittens das Gesagte eines solchen Diskurses78, das heißt die Bedeutungsstrukturen, und ist viertens mikroskopisch. Die Aufgabe des (Feld-)Forschers besteht in einer derartig bestimmten Kulturanalyse darin, die Situation und die verwendeten kulturellen Formen als eine potenziell geschichtete Hierarchie von Bedeutungsstrukturen zu rekonstruieren. Am Schluss einer solchen Kulturanalyse steht das Verständnis der Kommunikationsinhalte. Diese können wie in der vorliegenden Studie mit der Kultur der Zielgruppe bzw. Sozialschicht verglichen werden, um zu sehen, ob Kommunikation gelingen konnte oder zum Scheitern verurteilt war. Das Beispiel, das Geertz zur Illustration verwendet, wurde bereits weiter oben in der Beschäftigung mit dem Begriff des sozialen Diskurses erwähnt: Die Augen zwinkernden Jungen. Sehen wir uns dieses Beispiel näher an. »Stellen wir uns […] zwei Knaben vor, die blitzschnell das Lid des rechten Auges bewegen. Beim einen ist es ein ungewolltes Zucken, beim anderen ein heimliches Zeichen an seinen Freund. Als Bewegungen sind die beiden Bewegungen identisch; vom Standpunkt einer photographischen, ›phänomenologischen‹ [Herv. i.O.] Wahrnehmung, die nur sie sieht, ist nicht auszumachen, was Zucken und was Zwinkern war oder ob nicht gar beide gezuckt oder gezwinkert haben. Obgleich man ihn nicht photographisch festhalten kann, besteht jedoch ein gewichtiger Unterschied zwischen Zucken und Zwinkern, wie in jeder bestätigen wird, der ersteres fatalerweise für letzteres hielt. Der Zwinkerer teilt etwas mit, und zwar auf ganz präzise und besondere Weise: (1) er richtet sich absichtlich (2) an jemand Bestimmten, (3) um eine bestimmte Nachricht zu übermitteln, (4) und zwar nach einem gesellschaftlich festgelegten Code und (5) ohne daß die übrigen Anwesenden eingeweiht sind. […] Das aber ist nur der Anfang. Angenommen […], es gäbe noch einen dritten Knaben, der ›zur hämischen Belustigung seiner Kumpel‹ [Herv. i.O.] das Zucken des ersten Knaben auf amateurhafte, unbeholfene, auffällige oder andere Weise parodiert. […] Auch hier liegt ein gesellschaftlich festgelegter Code […] sowie eine Nachricht vor. Es geht jetzt jedoch nicht um eine geheime Verständigung,
76 Vgl. G. Ryle: Thinking and reflecting und The Thinking of Thoughts. 77 C. Geertz: Dichte Beschreibung, S. 15. 78 Vgl. P. Ricœur: Der Text als Modell.
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sondern um ein Lächerlichmachen. Sollten die anderen meinen, er zwinkere tatsächlich, so ist – wenn auch mit anderen Ergebnissen – sein ganzes Vorhaben ebenso fehlgeschlagen, wie wenn sie meinten, er zucke. Man kann noch weiter gehen: seiner mimischen Fähigkeiten nicht sicher, übt der MöchtegernSatiriker vielleicht zu Hause vor dem Spiegel. Was er dort macht, ist weder Zucken noch Zwinkern und auch nicht Parodieren, sondern Proben, obwohl eine Kamera, ein radikaler Behaviorist oder ein Anhänger von Protokollsätzen ebenso […] nur eine schnelle Bewegung des rechten Augenlids festhalten wür79 de.«
Der Forscher sucht den situativ-intersubjektiven Sinn der ausgehandelten Dokumente, im obigen Beispiel das Augenzwinkern, zu rekonstruieren. Dieser zu rekonstruierende Gegenstand, wie das Beispiel eindringlich vorgeführt hat, ist die geschichtete Hierarchie bedeutungsvoller Strukturen.80 ad 2) Über die Verknüpfung von Kultur, Kommunikation und Kollektiv Nachdem im Abschnitt 2.1 gezeigt werden konnte, dass Werbung und Kommunikation konvergieren, gilt es nun den Zusammenhang von Kommunikation, Kultur und Kollektiv zu klären. Hierbei sind verschiedene Möglichkeiten der Verzahnung von Kultur und Kommunikation möglich. Einerseits leisten die kulturellen Formen die Konditionierung von Kommunikation über die interaktiv hergestellte Konventionalität von Symbolen, andererseits selektiert Kommunikation bestimmte Weltbildausschnitte mit dem Ziel der Beeinflussung und Interessendurchsetzung. Der Prozess der Übertragung von Symbolensembles – die erste Voraussetzung von Kommunikation – muss störungsfrei verlaufen. Auf einer technischen Ebene meint dies, Rauschen zu minimieren (oder besser noch völlig zu eliminieren). Auf sozialer Ebene heißt dies, potenzielle Missverständnisse durch die Vergrößerung der Schnittmenge von geteilten Bedeutungen bei Kommunikator und Kommunikanten zu vermindern (oder besser noch zu vermeiden). Je besser dies gelingt, desto größer ist die Symmetrie in den Prozessen der En- und Dekodierung. Diese Symmetrie wird angestrebt mit der entsprechenden Selektion von Weltbildausschnitten. In der Werbewirtschaft ist hierfür z.B. die Marktforschung verantwortlich. »Marketing und Werbung [gelingt es] heutzutage zumeist nur über die Rückversicherung der Marktforschung, den Verbraucher so gezielt anzusprechen, dass er sich wirklich gemeint und verstanden fühlt und schließ-
79 Ebd., S. 10f. 80 Ebd., S. 12.
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lich auch tut, was von ihm erwartet wird.«81 Anders gesagt, Marktforscher versuchen, Informationen über die Zielgruppe zu gewinnen und deren kulturelle wie soziale Eigenarten in das Werbekommunikat umzusetzen. Der im Prozess der Kommunikation stets implizierte Gegenüber bzw. die in der Werbung ins Auge gefasste Zielgruppe, ist die zweite Voraussetzung der Kommunikation. Dieser Zusammenhang von Kommunikation, Kultur und Kollektiv kann in einer Formel, die bei den kulturellen Artefakten ansetzt, wie folgt gefasst werden: Die Prozessierung von Symbolen bzw. kulturellen Formen in Kommunikation wird ermöglicht durch die konventionelle Beziehung zwischen Symbol und Bedeutung, stabilisiert durch ein Kollektiv (denotative Bedeutung der Symbole) und differenziert durch die im Kollektiv unterscheidbaren Subgruppen (konnotative Bedeutung der Symbole). ad 3) Über das Verhältnis von Kultur und Sozialstruktur Wie wird die Theorie soziokultureller Dynamik möglich? Die Beantwortung dieser Frage heißt, die Bedingungen für die Konzeptualisierung der Aspektstruktur des sozialen Diskurses anzugeben. Obgleich die »[…] soziale Wirklichkeit nun einmal Struktur und Kultur in stets ungeschiedener, nur analytisch trennbarer Einheit enthält […]«82, wird diese Aspektstruktur aller Sozialität immer wieder vernachlässigt und führt dazu, die Begriffe Kultur und Sozialstruktur zu dichotomisieren. Dichotomisierung bedeutet, sich möglicher Wechselwirkungen zwischen zwei Entitäten zu entledigen, da die Zerlegung der in einem Ganzen aufgehobener Teile zu einem unüberbrückbaren Riss führt. Dies mündet in eine einseitige Theorie, die dem Soziologismus oder dem Kulturalismus Vorschub leistet. Eine zweite Gefahr, die mit der Vernachlässigung dieser methodischen Reduktion einhergeht, ist die Reifizierung einer der beiden Begriffe mit der Folge, dass entweder der Kultur- oder der Strukturbegriff substantialisiert wird. Diese so genannte ontologisierende Reduktion führt den einen Faktor auf den anderen zurück und lässt diesen in der Erklärung sozialer Sachverhalte überflüssig werden. Für die Soziologie jedoch, so Simmel frühzeitig, kommt es nicht darauf an zu wissen, was in Gesellschaft, sondern was durch Gesellschaft geschieht. Diese analytische Formulierung des Gesellschaftsbegriffs lässt zugleich theoretischen Raum für andere Begriffe wie z.B. den zur Debatte stehenden Kulturbegriff. Dass mit der Berücksichtigung der Interdependenz zwischen einem sozialstrukturel-
81 K.-U. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 148. 82 F. Tenbruck: Die Aufgabe, S. 399.
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len und einem kulturellen Faktor zugleich auch ein dynamischeres Modell sozialen Wandels gewonnen worden ist, ist nur eine von mehreren Möglichkeiten begrifflicher Differenzierungen. Obgleich die Interdependenz zwischen diesen beiden Schlüsselbegriffen der Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Soziologie im Besonderen leicht zu begründen ist83, wird die Gelegenheit einer Konzeptualisierung einer Interdependenz immer wieder durch die oben aufgeführten Gefahren von Dichotomie und Reifikation unterlaufen. Die Bedingungen, die eine derartige Konzeptualisierung, wie wir sie bei Geertz finden, erfüllen muss, soll im Folgenden skizziert werden. Jene Aspektstruktur findet sich eben in dem Essay Ritual und sozialer Wandel: »Eine Überarbeitung de Begriffe der funktionalistischen Theorie, die sie dazu befähigen soll, effektiver mit ›historischen Materialien‹ [Herv. i.O.] umzugehen, sollte vielleicht mit dem Versuch beginnen, analytisch zwischen den kulturellen und sozialen Aspekten des menschlichen Lebens zu unterscheiden und sie als unabhängig variable, aber zugleich wechselseitig interdependente Faktoren zu behandeln. Man wird dann sehen, daß Kultur und soziale Struktur – obgleich sie nur begrifflich trennbar sind – einander in sehr verschiedener Wei84 se integrieren können […]« .
Notwendig für eine derartige Konzeptualisierung einer wechselseitigen Abhängigkeit von Kultur und Sozialstruktur ist erstens, dass beide Begriffe als analytische Konstrukte behandelt werden, das heißt eine Perspektive auf empirische Phänomene anbieten. Eine Perspektive unter der soziale Diskurse so oder so beobachtet werden können. So stellt sich der soziale Diskurs unter kulturtheoretischen Vorzeichen als Symbolsystem dar und unter sozialstrukturellen Vorzeichen als Organisation der Gruppe. Notwendig für jene Konzeptualisierung wird zweitens, dass beide Begriffe Dimensionen adressieren, die einer relativen Autonomie und Eigenlogik unterliegen. Grundlage hierfür ist die »[…] Annahme des Systemcharakters von Kultur […]«85. Schließlich muss ein Letztes erfüllt sein. Keine der beiden Entitäten darf ex ante als Dominante ausgewiesen wird. Eine vorab festgesetzte Dominanz untergräbt das freie Spiel des interdependenten Verhältnisses zwischen Kultur und Sozialstruktur. Hiermit ist das Feld bereitet und es eröffnet
83 Vgl. T. Jung/S. Müller-Doohm: Kultursoziologie. 84 C. Geertz: Ritual, S. 98. 85 F. Neidhardt: Kultur und Gesellschaft, S. 14.
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sich die Möglichkeit zu fragen, wie sich dieses Verhältnis zwischen Kultur und Sozialstruktur gestalten kann. »Mit dem trivialen Hinweis auf deren Interdependenz ist die allgemeinste Bestimmung des Verhältnisses leicht und hinreichend zu erledigen. Interessant wird es erst, wenn die Aufgabe angegangen wird, die konkreten Bedingungsund Wirkungsverhältnisse genauer zu bestimmen und ihre Variabilität zu erfas86 sen und zu erklären.«
Welche Modi der Interdependenz lassen sich bei Geertz identifizieren? Führen wir das obige Zitat von Geertz weiter – dies lautet: »Man wird dann sehen, daß Kultur und soziale Struktur – obgleich sie nur begrifflich trennbar sind – einander in sehr verschiedener Weise integrieren können, wobei die einfache Isomorphie nur einen Grenzfall darstellt – eine Möglichkeit, die sich nur in Gesellschaften findet, die über einen so ausgedehnten Zeitraum hinweg stabil geblieben sind, daß es zu einer engen Angleichung von sozialen und kulturellen Aspekten kommen konnte. In den meisten Gesellschaften ist jedoch Wandel keine außergewöhnliche Erscheinung, und es steht zu vermuten, daß wir in ihnen mehr oder minder radikale Diskontinuitäten 87 zwischen Kultur und sozialer Struktur antreffen werden.«
Diese beiden Arten der Integration, Isomorphie und Diskontinuität, verweisen auf Transformation auf der einen Seite und Reproduktion auf der anderen. Welcher der beiden Faktoren dominant ist, ob es zu einem kulturellen Prozess der Anpassung an den sozialstrukturellen Faktor oder zu einem sozialstrukturellen Prozess der Kohäsion oder Differenzierung aufgrund eines dominanten kulturellen Faktors kommt, ist eine nur empirisch zu beantwortende Frage. Um diese Frage überhaupt beantworten zu können, ist eine, wenn auch knappe Konkretisierung des Begriffs der Sozialstruktur nötig. Zu beachten ist, dass »[…] unterschiedliche Erkenntnisinteressen und Theorietraditionen […] zu verschiedenen Ansätzen der Sozialstrukturanalyse geführt [haben], die unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellen.«88 Solche Differenzierungsachsen sind z.B. Altersdifferenzierungen, Berufsdifferenzierungen, die Geschlechterdifferenzierung oder aber auch die vertikale Differenzierung. In der vorliegenden Studie wird der Begriff der
86 Ebd., S. 15. 87 C. Geertz: Ritual, S. 98f. 88 R. Geißler: Die Sozialstruktur, S. 20.
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Sozialstruktur im Sinne der Soziologie sozialer Ungleichheit verwendet. Dies meint ganz global gewendet, »[…] gesellschaftlich hervorgebrachte, relativ dauerhafte Lebensbedingungen, die es bestimmten Menschen besser und anderen schlechter erlauben, so zu handeln, daß allgemein anerkannte Lebensziele für sie in Erfüllung gehen.«89 Dieses globale Verständnis sozialer Ungleichheit kann auf den Oberbegriff Schicht projiziert werden. Einen derartig weiten Schichtbegriff definiert Theodor Geiger in der Theorie der sozialen Schichtung: »Jede Schicht besteht aus vielen Personen […], die irgendein erkennbares Merkmal gemein haben und als Träger dieses Merkmals einen gewissen Status in der Gesellschaft und im Verhältnis zu anderen Schichten einnehmen. Der Begriff des Status umfaßt Lebensstandard, Chancen und Risiken, Glücksmöglichkeiten, aber auch Privilegien und Diskriminationen, Rang und öffentliches Ansehen. […] Schichtung heißt also Gliederung der Gesellschaft nach dem typischen Status (den Soziallagen) ihrer Mitglieder, ohne nähere Bestimmung dieser Soziallagen oder der Merkmale, an die sieh im geschichtlichen Sonder90 fall geknüpft sind.«
Dieser Schichtbegriff bietet mehrere Vorzüge.91 Zum einen liefert Geiger mit diesem einen allgemeinen Oberbegriff, der offen ist für eine Spezifizierung je nach historischen Bedingungen. Da in diesem Begriff sowohl objektive Faktoren (Soziallage) wie subjektive Faktoren (Mentalitäten und Ideologien) Berücksichtigung finden, wird eine daran orientierte Sozialstrukturanalyse zu mehr als einer bloßen sozialstatistischen Klassifikation der Bevölkerung nach bestimmten objektiven Kriterien. Andererseits wird eine derartige Sozialstrukturanalyse auch mehr als die bloße Unterteilung der Gesellschaft in Subkulturen. Objektive und subjektive Faktoren stehen, so Geiger, in einem typischen Verhältnis.92 »[D]en Lagen entsprechen vielmehr typische […] Subkulturen nach dem Muster der Wahrscheinlichkeit, d.h., nicht allen Menschen mit der Soziallage X entwickeln auch eine y-typische Mentalität, aber unter ihnen ist die x-typische Mentalität wahrscheinlicher
89 S. Hradil: Sozialstrukturanalyse, S. 9. 90 T. Geiger: Theorie, S. 186. 91 Vgl. R. Geißler: Die Schichtungssoziologie, R. Geißler: Die Bedeutung Theodor Geigers, R. Geißler: Die Sozialstruktur. Aber auch: H.-C. Leder: Theodor Geigers, D. Jung: Vom Kleinbürgertum, G. Hardach: Klassen und Schichten sowie jüngst P.A. Berger/C. Neu: Sozialstruktur. 92 Vgl. T. Geiger: Die Schichtung, S. 5.
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bzw. häufiger als eine andere Mentalität.«93 Damit grenzt er sich ab gegenüber Annahmen der Determination des einen Faktors durch den anderen. Diese Mentalitäten nun finden ihren Ausdruck in »[…] Lebenshaltung, Gewohnheiten des Konsums und der sonstigen Lebensgestaltung, Freizeitverwendung, Lesegeschmack, Formen des Familienlebens und der Geselligkeit […]«94. Schließlich bietet der Schichtbegriff von Geiger eine dynamische und historische Sicht auf Formen sozialer Ungleichheit und steuert der Gefahr entgegen, »[…] auf der Suche nach allzu tief verborgenen Schildkröten die Verbindung zur harten Oberfläche des Lebens, zu den Realitäten von Politik, Ökonomie und sozialer Schichtung […]«95 zu verlieren. Alles in allem kann konstatiert werden: »Zwischen der Gefahr einer im Individuellen steckenbleibenden, phänomenologisch ausgerichteten Soziologie einerseits und einer emphatisch vom Ganzen der Gesellschaft, ihrer Totalität ausgehenden Analyse andererseits hat Geiger […] den einzig fruchtbaren Weg beschritten: für jedes Untersuchungsgebiet der Soziologie müssen die empirisch faßbaren Verbindungslinien von Mikround Makrostrukturen neu bestimmt werden, d.h. der Zusammenhang von sozialer Lage und Mentalität, von Lebenschance und Bewußtsein, von Schich96 tung, Ideologie und politischem Verhalten.«
Wie nun diese für Geiger in beliebig großer Zahl existierenden Merkmale spezifiziert werden, ist wiederum eine empirische Frage. Soviel kann bereits jetzt vorweggenommen werden: In Schichtmodellen ist die berufliche Position von zentraler Bedeutung sowie zum zweiten die damit verbundenen Qualifikationen, die darüber bestimmen, welche berufliche Position eine Person einnehmen kann, und drittens das Einkommen (Stichwort meritokratische Triade). Dieses Einkommen ist, dies ist der abschließende Punkt in dieser Auseinandersetzung mit dem Begriff Sozialstruktur und seiner Verwendung in der vorliegenden Studie, wiederum ausschlaggebend für das Konsumniveau in einer modernen Gesellschaft, also einer Gesellschaft, die durch Warenkonsum und Monetarisierung geprägten ist. Im Zuge dieser Form des Konsums spielen die Güter eine besondere Rolle, die als Statussymbole eingesetzt werden können. »Die Exklusivität von Statussymbolen kann auf verschiedene Weise zustande kommen oder gesi-
93 94 95 96
S. Hradil: Sozialstrukturanalyse, S. 9. T. Geiger: Die soziale Schichtung, S. 80. C. Geertz: Dichte Beschreibung, S. 43. B. Schäfers: Gesellschaftlicher Wandel, S. 186.
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chert werden. Sie kann [z.B.] beruhen auf hohen Kosten […]«97. Das Automobil nun war in der Phase der beginnenden Massenmotorisierung in der Bundesrepublik Deutschland ein Statussymbol, und bleibt, so Peter Preisendörfer und Maren Rinn, weiterhin ein solches.98 Als solches weist es schichtspezifische Distributionsmuster auf.99 Bilanzierung der Aufarbeitung der interpretativen Kulturtheorie Beginnen möchte ich mit einer theoretischen Bilanz, die die Errungenschaften der interpretativen Kulturtheorie von Geertz aufführt. Mindestens die folgenden fünf Errungenschaften sind festzuhalten: 1. 2. 3. 4.
Geertz liefert einen analytisch starken Kulturbegriff. Dieser Kulturbegriff ist kontextualisiert. Dieser Kulturbegriff berücksichtigt Heterogenitäten. Als moderner Kulturbegriff anerkennt dieser die relative Autonomie des Kulturellen. 5. Mittels dieses Kulturbegriffs kann die Aspektstruktur der Sozialität eingelöst werden. ad 1) Zum analytischen Kulturbegriff Die Stärke der Kulturtheorie von Geertz besteht darin, dem Kulturbegriff analytische Schärfe und Präzision verliehen zu haben. Damit setzt dieser Begriff sich ab gegenüber solchen Omnibus-Begriffen von Tylor oder Kluckhohn. Es ist zu beachten, dass dieser Geertz’sche Kulturbegriff in jeder einzelnen Untersuchung, also von Fall zu Fall, spezifiziert werden muss, da ansonsten der Gewinn des Begriffspräzision schnell wieder verloren geht. ad 2) Zur Kontextualisierung Die zweite Errungenschaft, die hervorgehoben werden soll, ist die der Kontextualisierung. Die Vorstellungen und deren symbolische Vehikel müssen auf eine bestimmte Gesellschaft bezogen werden, also auf einen Raum-, Zeit-, und Sozial-Kontext. Mehr noch, vor allem in hoch differenzierten Gesellschaften sind die spezifischen Trägerschichten, seien es soziale Schichten, politische oder religiöse Gruppierungen, näher zu bestimmen. So schreibt Geertz z.B. über die nach Nationalitäten unterschiedenen Beteiligten bei dem Schafszwischenfall in den marokkanischen Bergen im Jahr 1965, oder über die beruflichen
97 S. Hradil: Sozialstrukturanalyse, S. 294. 98 Vgl. P. Preisendörfer/M. Rinn: Haushalt ohne Auto, S. 22ff. 99 Vgl. D. Claessens/A. Klönne/A. Tschoppe: Sozialkunde, S. 248.
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Differenzierungen, Parteien und Religionszugehörigkeiten der in einer Kleinstadt lebenden Javaner Mitte der 1950er Jahre. Diese Verortung in zeitlicher, räumlicher und sozialer Hinsicht ist ernst zu nehmen, will man nicht über die Kultur im Allgemeinen, sondern über spezifische Kulturen im Besonderen sprechen. ad 3) Zur Heterogenität »Die Eigenart der Symbole macht Kultur nicht nur öffentlich […], sondern macht sie auch relativ.«100 Mit anderen Worten, Geertz räumt mit der Vorstellung auf, dass Kulturen nur als integrierte Ganzheiten vorstellbar sind. Es kommt ihm darauf an zu zeigen, dass innerhalb einer Gesellschaft durch Kulturen und durch Gesellschaften Wandel zustande kommen kann. Es können verschiedene kulturelle Modelle nebeneinander bestehen, seien es verschiedene politische Weltanschauungen oder seien es religiöse und säkulare kulturelle Systeme. Jene Kulturen finden ihren Referenten in den Bedeutungen und Bedeutungsvariationen, und Gesellschaften beziehen sich auf die identifizierbaren Gruppierungen innerhalb moderner Gesellschaften. ad 4) Zur relativen Autonomie kultureller Systeme Die relative Autonomie des Kulturellen ist angedeutet in der Phrase vom kulturellen System. Der Systemcharakter ist der Garant für diese relative Autonomie. Vor allem in seinem Essay Religion als kulturelles System sucht er die genuine Leistung der kulturellen Sphäre für das menschliche Leben herauszuarbeiten. Diese besteht darin, dem Menschen oder seiner Gruppe, seinem Handeln in der Welt und der Welt selbst Sinn zu geben und »[…] spezifische Auffassungen von der Welt, vom Selbst und von den Beziehungen zwischen Selbst und Welt zu liefern […]«101. ad 5) Zur Verwirklichung der Aspektstruktur der Sozialität Eng mit dieser vierten Errungenschaft verbunden ist die Betonung der Aspektstruktur der Sozialität. Dass das Essay Ritual und sozialer Wandel Aufnahme in die profunde Sammlung The Interpretation of Cultures gefunden hat – und auch in die deutsche Übersetzung übernommen worden ist –, ist ein Indiz für die Wichtigkeit, die Geertz
100 D.J. Austin-Broos: Clifford Geertz, S. 149. »The nature of symbols not only made culture public […], but also made it relative.« 101 C. Geertz: Religion, S. 92.
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diesem Essay beimisst.102 Es ist gerade diese Arbeit, die auf die Aspektstruktur der Sozialität verweist und Geertz davor bewahrt, bei aller Mühe des Aufzeigens der relativen Autonomie des kulturellen Systems, dieses nicht zu reifizieren. Kritik an der interpretativen Kulturtheorie Aus der reichhaltigen Kritik an der interpretativen Kulturtheorie, die von einer Globalkritik103 bis hin zur Kritik der kleinsten empirischen Aussage reicht104, ist in erster Linie auf den Textualismus-Vorwurf105 einzugehen, da dieser den Anspruch der Geertz’schen Kulturtheorie, poststrukturalistisch und interpretativ zu sein, zu konterkarieren scheint. Andere Linien der Kritik, z.B. die intuitive Handhabung von Begriffen oder die unbefriedigenden Erläuterungen zum Kulturbegriff selbst, bleiben in der vorliegenden Studie außen vor.106 Es liegt mit den Erläuterungen in den vorangegangenen Abschnitten eine Diskussion entscheidender Begriffe vor. Doch der Globalvorwurf des Textua-
102 Karsten Kumoll z.B. wundert sich, dass das Essay Ideology as Cultural System, das doch in seiner Form des X as a CS den Wendepunkt im Denken von Geertz markiert, fehlt, aber Ritual und sozialer Wandel, eigentlich eine Novizenarbeit, Eingang gefunden hat. Vgl. K. Kumoll: Clifford Geertz. 103 Vgl. V. Crepanzano: Hermes’ Dilemma, M. Fuchs/E. Berg: Phänomenologie der Differenz, A. Reckwitz: Transformation. 104 Vgl. L. Connor: Comment. 105 Dieser Vorwurf stammt von Vincent Crapanzano und ist von anderen Kritikern ausgebaut worden (vergleiche Fußnote 90). 106 Geertz »[…] schweigt sich aus zur Frage der Bedeutungskonstitution und hält sich bedeckt hinsichtlich der Frage, was ›Bedeutung‹ [Herv. i.O.] – als sozial geteilte Bedeutung – genau meint […] Die Zusammenhänge zwischen individueller Auslegung und kollektivem Verständnis, zwischen Überlieferung und Neuinterpretation werden nicht systematisch geklärt. In abstrakter Form taucht ›der‹ [Herv. i.O.] Mensch als Produzent von Bedeutung auf, in älteren mehr Parsonianischen Äußerungen klingt es noch so, als schreibe Geertz diese Leistungen den Kulturmustern selbst zu […] Geertz vermeidet eine Fundierungsdiskussion. Handlungen, Ereignisse, aber auch Gegenstände, Eigenschaften oder Beziehungen dienen als Vehikel – als Symbole – von Vorstellungen oder Bedeutungen […] Fast alles kann, in welchem Sinne auch immer, symbolisch und bedeutsam sein. Die Frage nach der sprachlichen Grundlage von ›Bedeutung‹ [Herv. i.O.] bleibt jedoch unbelichtet.« M. Fuchs/E. Berg: Phänomenologie der Differenz, S. 48.
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lismus fordert eine etwas ausführlichere Behandlung, da hier Geertz’ semiotische Kulturtheorie in einen strukturalistischen Textualismus transformiert wird. Wie geschieht dies? Es ist der überschätzte Einfluss von Ricœur auf Geertz, der von dem Gedanken soziale Handlungen wie Text zu betrachten Gebrauch macht. Dieser Strang liefert den entscheidenden Ausschlag für den vermeintlichen Umschlag, wie Reckwitz ausführt. »So wie ein geschriebener Text im engeren Sinne aus der Sicht der neueren Hermeneutik unabhängig vom subjektiven Sinn des Textproduzenten zu verstehen ist und die Textbedeutung damit nicht von den Intentionen des Textproduzenten, sondern vom Sinnhorizont des Textinterpreten abhängt, so ist Geertz in Anlehnung an Ricœur zum Teil so zu verstehen, daß sich eine ›objektive‹ [Herv. i.O.], das heißt autonome Bedeutung öffentlicher Symbole nicht über den Weg einer Rekonstruktion der Sinnmuster der Symbolproduzenten erschließen läßt, sondern von Symbolinterpreten und den von ›ihm‹ [Herv. i.O.] 107 angewandten Sinnmustern abhängt.«
So, in aller Kürze, stellt sich die Position der Textualismus-Kritik dar. Die Konsequenz ist, dass es zur Illusion autonomer Symbole im theoretischen Ansatz von Geertz kommt, da zum einen nicht länger nach den subjektiven Bedeutungen, welche Symbole für das Individuum besitzen, und zum anderen nicht nach den Trägergruppen derartiger kultureller Muster gefragt wird. Zusammengenommen mündet dies in die Frage: »›Für wen‹ [Herv. i.O.] besitzt der Hahnenkampf diese Bedeutung […]? ›Wessen‹ [Herv. i.O.] Wissens- und Bedeutungsstrukturen kommen hier zum Einsatz, um den Sinn des Ereignisses zu verstehen?«108 Wird interpretative Sozialforschung reduziert auf die Erforschung der subjektiven Deutungen von Individuen, vertritt die Kulturanalyse von Geertz einen Ansatz, der an diesem Gegenstand vorbeizielt. Wird interpretative Sozialforschung verstanden als die Erforschung von zeitlosen, nur virtuell vorhandenen Bedeutungssystemen bzw. objektiven Bedeutungen, so zielt die Geertz’sche Kulturanalyse auch an diesem vorbei. Denn Geertz’ Absicht ist die Rekonstruktion der intersubjektiv verstandenen, in Handlungen realisierten Bedeutungen. Diese sozialen
107 A. Reckwitz: Die Transformation, S. 470f. 108 Ebd., S. 472.
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Bedeutungen liegen dem Beobachter zweiter Ordnung in Form ausgehandelter Dokumente vor.109 2.2.4 Beurteilung der Lesarten der Theorie soziokultureller Dynamik Nach diesem Durchgang durch die Kulturtheorie von Geertz können wir nun auf die beiden Lesarten zurückkommen. Welcher Lesart muss der Vorzug gegeben werden? Bilden die Lesarten vielleicht nur verschiedene Aspekte eines komplexeren Modells? Auf der Folie der Ausführung über die relative Autonomie des kulturellen Systems und der realisierten Aspektstruktur der Sozialität kann tatsächlich gesagt werden, dass in der Verbindung der beiden Ansätze der fruchtbarste Moment liegt. Zielt der DiskontinuitätenAnsatz auf das dynamische Moment des sozialen Diskurses ab, welches auf dem Zusammenspiel der beiden analytischen Faktoren Kultur und Sozialstruktur beruht, so fragt der Interferenz-Ansatz nach den Prozessen innerhalb des jeweiligen Faktors. Für sich genommen entwickeln diese keine Dynamik. Aber es käme auch keine Dynamik zustande, wenn nicht interne Entwicklungen stattfinden würden. Wie lässt sich der konzeptuelle Apparat der Geertz’schen Theorie soziokultureller Dynamik ausbuchstabieren? Die aus dem Referenzaufsatz explizierbare Theorie nennt er selbst einen dynamischeren funktionalistischen Ansatz.110An den Ausgangspunkt setzt er die wechselseitige Interdependenz zweier unabhängig variierender und doch zugleich voneinander abhängiger Faktoren: Kultur und Sozialstruktur. In der bisherigen Diskussion um sozialen Wandel, so Geertz werden diese beiden Faktoren nicht gleichwertig behandelt, sondern entweder als Spiegelbild des jeweils anderen Faktors degradiert oder gar komplett ignoriert. Kultur wird aufgefasst als ein »[…] geordnetes System von Bedeutungen und Symbolen […], vermittels dessen gesellschaftliche Interaktion stattfindet […]«111 und Sozialstruktur verstanden als die »[…] Interaktionsmuster selbst.«112 Zwischen diesen Faktoren gibt es diverse Formen der Integration. Die Pole eines graduell angelegten Spektrums, das vielfältige Misch-
109 Der Begriff des Dokuments wird im Abschnitt 3.5.1 der vorliegenden Studie ausführlich behandelt. 110 Ebd., S. 100. 111 Ebd., S. 99. 112 Ebd.
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formen und -verhältnisse erkennen lässt, werden von der Isomorphie auf der einen Seite und der kompletten Diskontinuität auf der anderen Seite besetzt. Wie bereits ausgeführt haben sich die Faktoren im isomorphen Modus aneinander angeglichen, typisch für traditionelle Gesellschaften mit geringer Differenzierung. Aber auch in modernen Gesellschaften sind derartige isomorphe Verhältnisse zu finden, wenn auch nur von kurzer Dauer. Im zweiten Fall, typisch für moderne, ausdifferenzierte Gesellschaften, kommt es zu Anpassungsleistungen des schwächeren an den prädominanten Faktor. Stärke und Schwäche bestimmen sich hierbei durch außeralltägliche Leistungen im kulturellen Bereich oder im sozialstrukturellen Bereich durch den Umschlag von Quantitäten in neue Qualitäten, z.B. in der Bevölkerungsentwicklung. Die aufgeführten Modi gelten für die Integration der beiden Faktoren, topologisch gesprochen zwischen den beiden Faktoren. Mit dieser Integration darf jedoch nicht die Integration innerhalb des jeweiligen Faktors verwechselt werden. Diese macht den Unterschied der beiden Faktoren voneinander aus und charakterisiert diese zugleich. Im Anschluss an Pitirim A. Sorokin nennt Geertz diese Integrationsarten logisch-sinnstiftend für den kulturellen und kausalfunktional für den sozialstrukturellen Faktor. »Mit logisch-sinnstiftender Integration […] ist jene Art der Integration gemeint, die man in einer Fuge von Bach, im katholischen Dogma oder in der allgemeinen Relativitätstheorie findet: eine stilistische oder logische Einheit, ein einheitliches Bedeutungs- und Wertganzes. Mit kausal-funktionaler Integration, die das soziale System kennzeichnet, ist jene Art von Integration gemeint, die man bei einem Organismus findet, dessen Einzelteile in einem ein113 zigen kausalen Gewebe vereint sind.«
Liegt nun eine Diskontinuität zwischen den Faktoren vor, führt dies entweder zu einer Interferenz im kulturellen oder zu einem Konflikt im sozialen Bereich. Für das Kulturelle bedeutet dies, dass eine Unterbestimmtheit, oder anders herum, eine Mehrdeutigkeit vorliegt. »Ganz einfach gesagt bestand die Mehrdeutigkeit darin, daß die einzelnen Symbole des slametan sowohl religiöse wie politische Bedeutung hatten, mit sakralem wie profanem Sinn befrachtet waren. Die Leute, die in Karmans Hof kamen, du auch Karman selbst waren nicht sicher, ob sie an einem feierlichen
113 Ebd., S. 99f.
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Eingedenken der tiefsten religiösen Wahrheiten teilnahmen oder an einem 114 weltlichen Kampf um Macht.«
Die Unterscheidung zweier Formen der Integration zum einen innerhalb der Faktoren und zum anderen zwischen den interdependenten Faktoren macht den explizierten Begriffsapparat aus, der in Ritual und sozialer Wandel impliziert ist. Diese Spielart sozialen Wandels entspricht einer modernisierungstheoretischen Variante, die nicht von einem Vorher und Nachher, von modernen und traditionellen Gesellschaften, agrarisch geprägten und industriell dominierten Gesellschaften ausgeht, sondern – um einen ökonomischen Ausdruck von M. Rainer Lepsius zu verwenden – ausgeht von unbalanced growth. Diese Art einer partiellen Modernisierungstheorie kennt unzählige Mischformen, Phänomene der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem, das Nebeneinander traditioneller und moderner Elemente, die unter bestimmten, empirisch zu bestimmenden Bedingungen zu Störungen führen und ein anderes Mal friedlich koexistieren.
2.3 ABGRENZUNG
DER T HEORIE SOZIOKULTURELLER D YNAMIK VON NORMATIVEN M ODERNISIERUNGSTHEORIEN UND DER T HEORIE DES W ERTEWANDELS
Die Theorie soziokultureller Dynamik muss gegenüber zwei anderen Theorien sozialen Wandels abgesetzt werden. Unter sozialem Wandel soll vorerst eine in einem bestimmten Zeitabschnitt erfolgte bedeutsame Veränderung sozialer Strukturen in einer gegebenen Gesellschaft verstanden werden.115 Auf der einen Seite findet die Abgrenzung gegenüber herkömmlichen Modernisierungstheorien und auf der anderen
114 Ebd., S. 126. 115 Vgl. W.E. Moore: Social Change. Eine erste Bündelung verschiedener Dimensionen und die Verabschiedung dogmatischer und moralischer Implikationen leistete William F. Ogburn (vgl. W.F. Ogburn: Social Change). Er brachte den Begriff des sozialen Wandels (social change) ins Spiel. Ein weiteres Mal sind zentrale, sich verändernde Bereiche mit dem Begriff der Modernisierung gebündelt worden; wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Entwicklungen einbegreifend. Vgl. H. van der Loo/W. van Reijen: Modernisierung.
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Seite gegenüber Theorien soziokulturellen Wandels statt. Hier wird auf die wohl bekannteste Theorie soziokulturellen Wandels, der so genannten Theorie der Stillen Revolution von Inglehart eingegangen. Da Geertz seinen Entwurf in den späten 1950er Jahre vorgelegt hat, werden normative Modernisierungstheorien interessant.116 Die folgende Skizze, die nur das für die vorliegende Studie Wichtigste hervorhebt, kann selbstverständlich der Vielgestaltigkeit und feingliedrigen Verästelung des Konzepts der Modernisierung nicht gerecht werden.117 Der historische Referent des Modernisierungskonzepts ist der sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts beschleunigende »[…] Prozeß wirtschaftlichen Wachstums, sozialen und kulturellen Wandels und der Ausbildung neuer Institutionen der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Selbststeuerung der Gesellschaft […]«118. Diese Begrifflichkeit entspricht einem weiten Begriff von Industrialisierung, der nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische, sozialen und kulturelle Entwicklungspfade in sich aufnimmt. Entscheidend bei der Verwendung des Modernisierungskonzepts ist, dass auf diese tief greifenden Umbrüche, wie sie von den soziologischen Klassikern, von Auguste Comte über Karl Marx bis hin zu Émile Durkheim und Max Weber, wahrgenommen werden, mit einer Kontrastierung reagiert wird. Die strikte Annahme der wechselseitigen Abhängigkeit der Strukturmerkmale einer Gesellschaft, wie z.B. wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, parlamentarisch-demokratische Verfassung, pluralistische Interessenorganisation und gewaltloser Konfliktlösung, führt zu einer Dichotomie. Die eben genannten Dimensionen treten entweder gleichzeitig auf oder fehlen allesamt. Liegt der letzte Fall vor, so wird von einer traditionellen Gesellschaft gesprochen, liegt jedoch der erste Fall vor, dann sprechen wir von einer modernen Gesellschaft. So ist die Sozialstruktur
116 Interessant wäre der Abgleich zu reflexiven Modernisierungstheorien gewesen, wie sie Anthony Giddens in Großbritannien oder Ulrich Beck in Deutschland vortragen. Doch leider kamen diese aufgrund der Geertz’schen Frontstellung gegenüber herkömmlichen Modernisierungstheorien nicht in den Blick. Vgl. A. Giddens: Konsequenzen der Moderne, U. Beck: Die Erfindung des Politischen, und U. Beck/A. Giddens/S. Lash: Reflexive Modernisierung. 117 Vgl. z.B. W. Zapf: Theorien des sozialen Wandels, W. Zapf: Soziologische Theorie der Modernisierung, W. Zapf: Modernisierung, J. Berger: Moderne, S. Immerfall: Theorien und Theoretiker der Moderne, P. Flora: Modernisierungsforschung, H.-U. Wehler: Modernisierungstheorie. 118 M.R. Lepsius: Soziologische Theoreme, S. 10.
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entweder homogen, traditionelle Gesellschaft, oder heterogen, moderne Gesellschaft; das Werte- und Normensystem konsistent und einfach oder komplex und inkonsistent; Anrechte auf Positionen sind zugeschrieben oder können erworben werden. Festgehalten sind der-artige und viele weitere Gegenüberstellungen in so genannten dichotomen Modernisierungs-Alphabeten.119 Derartige Dichotomien-Alphabete führen dann auch zu der entscheidenden Kritik an den normativen Modernisierungstheorien. Diese bezieht sich auf die Unterstellung, dass reine Typen traditioneller und moderner Gesellschaften existieren. »Empirisch und theoretisch plausibler dürfte vielmehr die Annahme von spezifischen Mischungs- und Interaktionsverhältnissen sein, die spezifische Modernisierungsschritte, -zustände oder -ziele historisch konkreter Gesellschaftsentwicklung kennzeichnen.«120 Diese Kritik wird hier in den Mittelpunkt gerückt, da sie Ausgangspunkt für die Geertz’schen theoretischen Überlegungen in Sachen sozialen Wandels ist. Auf der Grundlage empirischer Ergebnisse, gewonnen in Feldstudien auf Java, werden Elemente ins Licht gerückt, welche zum einen jene symmetrisch konstruierten Dichotomien unter Druck setzen und zum anderen gerade auf die existierenden Mischverhältnisse aufmerksam machen. »Die genaue Analyse der ›Mischformen‹ [Herv. i.O.] von sogenannten traditionalen und modernen Eigenschaften ist von besonderer Wichtigkeit. In ihrem Spektrum liegen die historischen Entwicklungsprozesse der einzelnen Staaten und Gesellschaften und nicht bei den ›reinen Typen‹ [Herv. i.O.] von ›Tradi121 tionalität‹ [Herv. i.O.] und ›Modernität‹ [Herv. i.O.].«
Somit ist festzuhalten, dass die Theorie soziokultureller Dynamik einer Spielart partieller und segmentaler Modernität entspricht. Partiell in der Hinsicht, dass die universale Interdependenz aller Teilbereiche einer Gesellschaft zurückgewiesen wird, und partiell hinsichtlich einer bestimmten Konfiguration von Kultur und Sozialstruktur. Dass es hierbei nicht um die Feststellung von Zuständen, sondern auf die Beobachtung von Prozessen ankommt, wird in Auseinandersetzung mit einer Theorie, die wie die Geertz’sche auf die kulturelle Dimension eingeht, dargelegt.
119 Ebd. 120 S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, S. 59. 121 M.R. Lepsius: Soziologische Theoreme, S. 18.
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Die Theorie des Wertewandels von Inglehart ist wohl die prominenteste Theoretisierung kulturellen Wandels.122 Obgleich auch mit Kulturwandel beschäftigt, weist diese Theorie im Vergleich mit der Geertz’schen Theorie ein anderes theoretisches Format auf. Aufruhend auf einer empirisch fundierten Analyse von Wandlungen der politischen Kultur, verfolgt der Politologe Inglehart seit den 1970er seine Theorie kulturellen Wandels. Mit der These des postmaterialistischen Wandels, das heißt einer Verschiebung der Wertprioritäten von materialistischen zu postmaterialistischen, hat er das Thema Wertewandel nicht nur in den Vordergrund rücken können, sondern es auch zu einem Modethema werden lassen. Diese Wertewandelstheorie dreht sich um die Kernthese, dass eine grundlegende Veränderung der Wertestruktur in den westlicher Industriegesellschaften um das Jahr 1970 stattgefunden hat. Die theoretische Figur, und auf diese kommt es in diesem Abriss an, kann wie folgt wiedergegeben werden. Drei Punkte sind hierbei zu berücksichtigen. Erstens wird die Fragestellung aufgesucht: Was soll eigentlich in der Wertewandelstheorie erklärt werden. Zweitens wird beantwortet, wie sich hier das Verhältnis zwischen Sozialstruktur und Kultur darstellt und drittens, welche Probleme sich aus einer derartigen Konzeptualisierung ergeben. Ausgang der Theorie ist folgende Fragestellung, die auf den ersten Blick einfach anmutet: »Warum ereignet sich Wertewandel?«123 Zur Klärung dieser Frage hält Inglehart neben einem Bündel sozioökonomischer Veränderungen die beiden folgenden Sachverhalte fest: Es ist ein bisher nie da gewesener Wohlstand diagnostizierbar sowie die bereits seit einigen Jahrzehnten andauernde Abwesenheit totalen Krieges. »Kurz, die Menschen sind sicher und sie haben genug zu essen. Diese beiden Fakten haben weitreichende Implikationen.«124 Hiermit sind wir auf dem Weg zu einer Erklärung, vorgetragen mittels zweier sozialpsychologischer Hypothesen, die im explanativen Zentrum Inglehart’scher Aussagen stehen – Aussagen über einen sich verändernden politischen Stil sowie über den Gewinn einer neuen Einstellung zur Welt. Die erste der beiden Hypothesen, die Mangelhypothese, besagt, dass Menschen diejenigen Dinge subjektiv am höchsten bewerten, die verhältnismäßig knapp sind. In Anlehnung an die Bedürfnispy-
122 Vgl. R. Inglehart: The Silent Revolution in Europe, R. Inglehart: The Silent Revolution, R. Inglehart: Kultureller Umbruch. 123 R. Inglehart: The Silent Revolution, S. 21. »Why is value change taking place?« 124 Ebd., S. 22. »In short, people are safe and they have enough to eat. These two facts have far-reaching implications.«
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ramide von Abraham H. Maslow geht Inglehart davon aus, dass es zu einer Hierarchisierung der Bedürfnisse kommt, in der postmaterielle Bedürfnisse über den materiellen Bedürfnissen ran-gieren. An der Basis der Pyramide sind Bedürfnisse fundamental-physiologischer Natur und das Bedürfnis nach Sicherheit zu finden. Richtung Pyramidenspitze finden sich Zugehörigkeit, Partizipation und Selbstverwirklichung. Derartige postmaterielle Werte, die erst dann verwirklicht werden können, wenn die basalen Bedürfnisse gesichert sind, setzen in struktureller Hinsicht eine bestimmte gesellschaftliche Umwelt voraus, in die das Individuum hineingeboren wird und in der es aufwächst. An dieser Stelle kommt nun die zweite, die Sozialisationshypothese, zum Einsatz. Diese besagt, dass der frühen Sozialisationsphase, den formativen Jahren, für die Ausbildung und Ausprägung subjektiver Wertemuster ein größeres Gewicht zukommt als späteren Phasen während der Pubertät oder im Erwachsenenalter.125 Individuelle Wertestrukturen reflektieren somit weitgehend die Geschichte der entsprechenden in eine bestimmte Gesellschaft ein-gebetteten Geburtskohorte. Somit kann gesagt werden, dass der theoretisch so gefasste Wertewandel subjektives Korrelat der Modernisierung ist. Mit dieser Reflexions-These sind wir beim zweiten Punkt angelangt. Wie wird das Verhältnis zwischen Kultur und Sozialstruktur von Inglehart konzeptualisiert? Es in ein Folge- bzw. Kausalverhältnis. In diesem Punkt ist er eindeutig. Ändern sich die strukturellen Bedingungen (Systemebene), ökonomische, technologische, politische und soziale, dann kommt es zu einem Wandel der Werte (Individualebene) – jeweils verschoben um rund eine Generation. Dann nämlich erlangen die Werte ihre Geltung. Die Folgen wirken sich wiederum strukturell aus (vergleiche Abbildung 6). Der Motor der Dynamik, den Inglehart aus diesem skalaren Verhältnis von Kultur und Struktur ableitet, ist die Generationenfolge. So bilden die Kohorten, je nach sozioökonomischer Lagerung andere Normen- und Wertesysteme aus als ihre Eltern. Das Verhältnis von Kultur und Struktur ist mit anderen Worten ein Verhältnis zwischen Individuum und überindividuellen Gebilden. Indem die Strukturen als Ursache für die Ausbildung der individuellen Kultur betrachtet werden, folgt, dass ein Interdependenzverhältnis zwischen Kultur und Sozialstruktur nicht konzeptualisierbar ist und der kulturelle Faktor im-
125 Inglehart will damit nicht behaupten, dass nach diesen formativen Jahren keine Veränderungen im Wertesystem eines Individuums auftreten, doch festhalten, dass derartige Veränderungen immer unwahrscheinlicher werden. Vgl. R. Inglehart: Silent Revolution, S. 23.
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mer rückgebunden bleibt an sozioökonomische Faktoren. Ein weiterer Nachteil ist, kontinuierlich als Einwand gegen die Wertewandelstheorie vorgebracht, die Dominanz des Generationeneffekts gegenüber dem Alterseffekt. Abbildung 6: Die von Inglehart untersuchten Veränderungen Veränderungen auf Systemebene 1. Wirtschaftliche und technologische Entwicklung, Befriedigung existentieller Bedürfnisse für einen wachsenden Teil der Bevölkerung 2. Charakteristische Kohortenerfahrungen Kein totaler Krieg in der letzten Generation
Veränderungen auf der Ebene des Individuums
Folgen auf Systemebene 1. Veränderungen der vorherrschenden politischen Anliegen; wachsende Bedeutung von Fragen des Lebensstils
Werte: Wachsende Betonung der Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Achtung und Selbstverwirklichung
3. Bildungsniveau steigt kontinuierlich Fähigkeiten: Wachsender Anteil der Bevölkerung, der für politische Partizipation auf nationaler Ebene kompetent ist 4. Ausbreitung der Massenkommunikation Vordringen der Massenmedien: wachsende geographische Mobilität
Quelle: R. Inglehart: Kultureller Umbruch, S. 13.
2. Veränderung der sozialen Basis politischer Konflikte; relative Abnahme der Klassenkonflikte
3.Veränderung der Einstellung zu den etablierten politischen Institutionen: Die Legitimität des Nationalstaates nimmt ab, während übernationale Bindungen und StammesBindungen zunehmen
4. Veränderungen im Wesen der politischen Partizipation; weniger von den Eliten gelenktes politisches Engagement; mehr themenorientierte und Eliten herausfordernde Interessengruppen
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Obgleich Inglehart auf die Kritik reagiert, indem er den Generationeneffekt mittels Periodeneffekten modifiziert, hält er dennoch an dem Konzept der Generationen und somit an der Sozialisationsthese fest.126 Gegenüber diesem theoretischen Format soziokulturellen Wandels sind mit Bezug auf die Geertz’sche Theorie zwei Punkte hervorzuheben. Erstens beschränkt sich Geertz nicht allein auf Werte, da diese nur eine kleine Teilmenge im Reich kultureller Formen bilden. Damit wird die Analyse nicht eingeschränkt auf die Analyse der stabilisierenden Funktion von Bedeutungen, wie sie dies als Werte für das soziale System leisten. Zweitens arbeitet Geertz einen sozialen Mechanismus heraus, der auf Effekte innerhalb einer Generation ebenso reagieren kann wie auf intergenerationale Effekte. Der Motor der Dynamik sind nicht die sich verändernden strukturellen Gegebenheiten, sondern das Wechselspiel zwischen sozialstrukturellem und kulturellem Faktor.
2.4 F RAGESTELLUNGEN DER S TUDIE F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID Erinnern wir uns an die Probleme, die am Ende des ersten Kapitels aufgeworfen wurden: Wie kommt es zu den beobachtbaren kurz- und mittelfristigen Veränderungen auf der thematischen Ebene der Fernsehwerbespots? Wie ist das Oszillieren von Themen und Beiträgen zu verstehen? Welche Bedeutungen und welche Wandlungsfiguren können im Beobachtungszeitraum rekonstruiert werden? Präzisiert im Sinne der Theorie soziokultureller Dynamik lauten diese Fragen so: 1. Welche Veränderungen können auf symbolischer Ebene identifiziert werden? 2. Welche Bedeutungen, Denotationen wie Konnotationen, können aufgrund der in den Fernsehwerbespots verwendeten Symbole rekonstruiert werden? 3. Welche Veränderungen sind auf semantischer Ebene erkennbar? 4. Inwieweit korrespondieren diese in den Fernsehwerbespots modellierten Bedeutungsebenen mit der Kultur der anhand sozialstruktureller Parameter identifizierten Zielgruppe (Trägerschicht)? 5. Inwieweit können Interferenzen innerhalb des kulturellen Systems Fernsehwerbespot und Diskontinuitäten zwischen Fernsehwerbe-
126 Vgl. R. Inglehart: Kultureller Umbruch, S. 90ff., S. 106 und S. 111.
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spot und Zielgruppenkultur im Untersuchungszeitraum beobachtet werden? 6. Welche Figur(en) soziokulturellen Wandels kann (können) im Beobachtungszeitraum herausgearbeitet werden?
2.5 Z WECK
DER
S TUDIE
Die Studie ist deskriptiv und explorativ im Charakter. Sie zielt darauf ab, mittels der detaillierten Beschreibung der Formen der Korrespondenz zwischen den Werbekommunikaten, verstanden als ein Stück simulierte Symbolstruktur, und der Zielgruppe in ihrer soziokulturellen Eigenart, etwaige Figuren soziokulturellen Wandels herauszuarbeiten. Aufgrund dessen können andere Ziele nicht verfolgt werden. Dies buchstabiert sich für die vorliegende Studie als Einschränkungen aus. Es kann nur ein kleiner Ausschnitt der Prozesse und Beziehungen, die sich in dem komplexen Feld der Werbung ergeben, behandelt werden. Eingeschränkt werden muss die Studie auf die Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespots und der sozialstrukturellen wie kulturellen Eigenart der Zielgruppe. Es kann nicht den Wirkungsprozessen der Werbung nachgegangen werden. Aber bereits auf dem eingeschlagenen Weg der Wirklichkeitsanalyse können Diskontinuitäten und Isomorphien, und somit Bedingungen für Veränderung wie für Variation auf kultureller Ebene, herausgearbeitet werden. Einschränken muss sich die Studie auf einen Zeitraum, der die Jahre 1959 bis 1967 umfasst. Beobachtungszeiträume über mehrere Dekaden bringen eine wie hier en detail durchgeführte qualitative Längsschnittanalyse an die Grenzen der Umsetzbarkeit. Neben diesem forschungspragmatischen Motiv tritt ein historisches. Die Materiallage für bestimmte Abschnitte der 40-jährigen Geschichte für die gehobene Mittelklasse von Ford, den 17M-Modellen, ist zum Teil äußerst lückenhaft. Auch Nachteile haben sich eingestellt. Nachteilig wirkt sich die Tatsache aus, dass infolge der Materiallage und des qualitativen Längsschnitt-Designs nicht der komplette Zeitraum, in dem die Mittelklasse von Ford existierte, in die Beobachtung aufgenommen werden konnte. Diese hätten ein hervorragendes initial und terminal pattern für die Wandlungsprozesse abgeliefert.127 Ebenfalls von Nachteil war es, dass die Ergebnisse nicht in einer komparativen Analyse eingeholt werden konnten. Der Vergleich zu Konkurrenzunternehmen, wie z.B. Opel, wäre äußerst vielversprechend gewesen.
127 Vgl. N.J. Smelser: Modelle sozialen Wandels, S. 59.
3. Zur Methodologie und Datenbasis der Studie »Papa, wie nennst Du denn einen Mann, der eine Blechkiste fährt?« »Dies hängt davon ab, wie nah er mir kommt, um mich anzufahren.«1 FORD WITZ 1927
3.1 B ASISDESIGN Das Forschungsdesign ist der »[…] Plan für die Sammlung und Analyse von Anhaltspunkten, die es dem Forscher erlauben, eine Antwort zu geben – welche Frage er auch immer gestellt haben mag. Das Design einer Untersuchung berührt fast alle Aspekte der Forschung von den winzigen Details der Datenerhebung bis zur Auswahl der Technik der Datenanalyse.«2 Dass die qualitative Längsschnittanalyse als Basisdesign gewählt worden ist, wird durch die in der vorliegenden Studie gestellten Fragen indiziert. Zum einen sind diese ihrem Typus nach Prozessfragen. Dieser Typ zielt ab auf die Beschreibung, »[…] wie sich etwas entwickelt bzw. verändert (Ursachen, Prozesse, Konsequenzen, Strategien).«3 Der interpretative Zugang zum anderen folgt aus dem
1 2
3
»›Papa, what do you call a man who drives a flivver?‹ ›It depends on how near he comes to hitting me.‹« C.C. Ragin: Constructing, S. 191. »[…] is a plan for collecting and analyzing evidence that will make it possible for investigator to answer whatever he or she has posed. The design of an investigation touches almost all aspects of research, from the minute details of data collection to the selection of the techniques of data analysis.« U. Flick: Qualitative Sozialforschung, S. 84.
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Umstand, dass es sich bei den Fragestellungen der Studie um Fragen nach der Bedeutungsdimension im Material handelt, die nur hermeneutisch erschlossen werden kann. Mit Bezug auf die Sozialwissenschaften stellt Wilfried Laatz fest, dass »[…] Längsschnittstudien […] vielfach auch mit qualitativen Material und entsprechenden Analysemethoden durchgeführt […]«4 werden. Derartige Studien sind aber eher in den sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen der Soziologie wie der Geschichte oder der Psychologie anzutreffen. Als Problem für soziologische Studien ergibt sich der Mangel an Design-Vorlagen. Wie sollen qualitative Studien, die über mehrere Zeitpunkte forschen, geplant und gestaltet werden? Es finden sich kaum qualitative Längsschnittstudien5 und es findet sich keine qualitative Längsschnittstudie zum Thema Werbewandel. Daher trifft auf die Soziologie die folgende Aussage von Uwe Flick zu: »Für die meisten qualitativen Methoden gibt es wenig an Hinweisen, wie sie sich in Längsschnittstudien mit mehreren Erhebungszeitpunkten einsetzen lassen.«6 Im Folgenden möchte ich mich auf eine der wenigen soziologischen Studien konzentrieren, um an dieser methodologische Maximen für ein qualitatives Längsschnitt-Design zu explizieren. Petra Strehmel geht in der Reflexion auf das Längsschnitt-Design ihrer Studie Karriereplanung mit Familie von der folgenden Prämisse aus: »Qualitative Daten können für strukturierte Längsschnittanalysen so aufbereitet werden, dass sie ähnlich wie quantitative Daten über die Zeit bzw. über Personen vergleichbar sind.«7 Im Anschluss an entwicklungspsychologische Überlegungen übernimmt sie das Würfelmodell von Allan R. Buss8, in dem »[…] verschiedene Auswertungsrichtungen für Längsschnittdatensätze herausgearbeitet [worden sind], die durch den schrittweisen Vergleich über Merkmale [m] […], Personen [p] […] bzw. Zeitpunkte [t] […] bearbeitet werden können.«9
4 5
6 7 8 9
W. Laatz: Empirische Methoden, S. 564. Die wenigen existierenden Studien sind: D. Ulich: Psychologie der Krisenbewältigung, U. Gerhardt: Patientenkarrieren, R. Gaßner: Computer und Veränderung, L. Lappe: Berufsperspektiven, D. Kirchhoefer: Veränderungen, P. Strehmel: Karriereplanung, B. Keddi/P. Pfeil/P. Strehmel/S. Wittmann: Lebensthemen, C. Hagen/H. Niemann: Sozialhilfe als Sequenz. U. Flick: Design und Prozeß, S. 256. P. Strehmel: Workshop Methoden, S. 98. A.R. Buss: A General Developmental Model. P. Strehmel: Workshop Methoden, S. 98.
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Abbildung 7: Das Würfelmodell von Buss
OCCASIONS INTRA-IC
INDIVIDUALS INTRA-ID INTER-ID
VARIABLES
Quelle: A.R. Buss: A General Developmental Model, S. 71.
Die Analyserichtungen, die sich aufgrund der Dreidimensionalität des Modells ergeben, sind: »[…] interindividuelle Unterschiede (Inter-IU), intraindividuelle Unterschiede (Intra-IU) und intraindividuelle Veränderungen (Intra-IV).«10 Die sich hieran anschließende Formalisierung zeigt, wie Studien für verschiedene Fragestellungen zu organisieren sind und welche Arbeitsschritte für die jeweilige Analyserichtung vollzogen werden müssen. Tabelle 4: Formalisierung der Analyserichtungen nach Strehmel Analyserichtung
Funktionsschreibweise
einzelnes
a) Inter-IU in Intra IV
G (F(t), p), m=1
Merkmal
b) Intra-IV in Inter IU
G (F(p), t), m=1
einzelfallbezogene
c) Intra-IU in Intra IV
G (F(t), m), p=1
Fragestellung
d) Intra-IV in Intra IU
G (F(m), t), p=1
Querschnittsbefragung
e) Inter-IU in Intra IU
G (F(m), p), t=1
ohne Zeitbezug
f) Intra-IU in Inter IU
G (F(p), m), t=1
Quelle: P. Strehmel: Workshop Methoden, S. 98.
10 A.R. Buss: A General Developmental Model, S. 71. »[…] interindividual differences (Inter-ID), intraindividual differences (Intra-ID), and intraindividual chances (Intra-IC), respectively.«
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Mit Hilfe des Vorgehens veranschaulicht Strehmel die Analyserichtung des einzelfallorientierten, diachronen Basisdesigns. Hierbei ging es in ihrer Studie darum, Muster in der Entwicklung und Umsetzung von Lebensentwürfen junger Frauen herauszuarbeiten. Zu vier Erhebungszeitpunkten, verteilt über sieben Jahre wurden Themen zu Beruf, Partnerschaft und Familie mittels leitfadengestützter Interviews erhoben. Die entsprechenden Formeln für die strukturierte Auswertung dieser qualitativen Längsschnittdaten lauten: Intra IV in Intra-IU und H (G (F(m), t), p). Hierbei werden die folgenden Schritte abgearbeitet: 1. Für die Themenbereiche wurde das Material pro Interview nach theoretisch und empirisch hergeleiteten Kategorien inhaltsanalytisch analysiert und verdichtet. 2. Anschließend wurden die Resultate über vier Erhebungszeitpunkte miteinander verglichen (Längsschnitt). 3. Diese Ergebnisse »[…] der bislang einzelfallbezogenen Längsschnittanalyse für jede der jungen Frauen wurden miteinander verglichen und nach wiederholten hermeneutischen Zirkeln ›Lebensthemen‹ [Herv. i.O.] zugeordnet […]«11 – dies ist der letzte Schritt. Festzuhalten ist für die vorliegende Studie, dass aufgrund dieser Vorlage zwei Punkte wichtig werden. Zum einen die Rekonstruktion des einzelnen Fernsehwerbespots und deren Vergleich. Hierbei sind zwei Vergleichsrichtungen auseinander zu halten. Es werden zum einen die Fernsehwerbespots untereinander verglichen. Der rekonstruierte Fernsehwerbespot 09/59 wird verglichen mit seinem Nachfolger 03/60. Dieser wiederum wird verglichen mit seinem Nachfolger 10/60 bis hin zum Vergleich des Fernsehwerbespots 04/66 mit den beiden letzten vom Februar 1967. Die andere Vergleichsrichtung, mittels der Wirklichkeitsanalyse, verläuft zwischen den rekonstruierten Werbespots und der Zielgruppenkultur mit dem Ziel, die Form der Korrespondenz zu benennen. Da das Ziel des Vergleichs als resultativer Aktionsart in beiden Fällen die Feststellung von Ähnlichkeiten und Unterschieden ist12, gilt es noch anzugeben, was verglichen wird. Die entsprechenden Hinweise liefert die Grundstruktur des Vergleichs, die »[…] aus den verglichenen Entitäten (›comparata‹ [Herv. i.O.]) und einem V[ergleichs-]Bezug, dem Dritten der Vergleichung (›tertium compara-
11 P. Strehmel: Workshop Methoden, S. 100. 12 Vgl. G. Schenk/A. Krause: Vergleich, S. 676.
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tionis‹ [Herv. i.O.]) […]«13 besteht. Für den Vergleich der Fernsehwerbespots untereinander sind die comparata die einzelnen Spots und das tertium comparationis die eingesetzten Symbole und die mit diesen modellierten Themen bzw. Bedeutungen. Für die andere Vergleichsrichtung sind die Fernsehwerbespots und die Zielgruppenkultur die entsprechenden comparata und das tertium comparationis die Kultur im Sinne manipulierter Bedeutungsstrukturen in den Fernsehwerbespots und Weltbildern der nach sozialstrukturellen Parametern konstruierten Zielgruppe. In der vorliegenden Studie werden also drei Schritte abgearbeitet: 1. Es wird jeder einzelne Fernsehwerbespot rekonstruiert. 2. Die rekonstruierten Fernsehwerbespots werden miteinander verglichen. 3. Die Entwicklung der Fernsehwerbespots wird mit der Zielgruppe und deren Entwicklung verglichen. Im Anschluss an Strehmel kann für die vorliegende Studie resümiert werden: »Der Ansatz zeigt, dass Modelle zur Organisation von Längsschnittdaten für qualitative wie für quantitative Studien eingesetzt werden können.«14
3.2 S CHLUSSVERFAHREN Schlussverfahren geben formal-logische Verfahrensweisen an, wie geregelt von einer Aussage auf eine andere geschlossen werden kann. In den Sozialwissenschaften ist das explizite Ziel die Erklärung menschlicher Handlungen. »Das Erklärungsproblem, das die Sozialwissenschaften in ihren empirischen Analysen zu lösen beanspruchen, wurzelt in einer bereits vorwissenschaftlich virulenten Fragestellung: Menschliches Verhalten scheint nicht beliebig und arbiträr zu sein, sondern – zumindest in gewissem Umfang – geordnet und strukturiert zu verlaufen, es folgt offensichtlich bestimmten Mustern.«15 Die Handlungserklärung – im weitesten Sinne des Wortes – ist zu verorten in der so genannten Erklären/Verstehen Kontroverse, die seit Mitte des
13 Ebd., S. 677. Zu beachten hierbei ist, dass es sich um empirische Entitäten handelt und nicht um theoretische oder fiktive. Vgl. I. Max: Vergleich, S. 1686. 14 P. Strehmel: Workshop Methoden, S. 100. 15 A. Reckwitz: Die Transformation, S. 91f.
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19. Jahrhunderts geführt wird und seit dem mehrere Phasen durchlaufen hat. Ohne hier näher auf diese Kontroverse eingehen zu können16, kann gesagt werden, dass die verschiedenen Schlussweisen, Deduktion, Induktion, Abduktion, den beiden sich im Zuge dieser Debatte formierenden Lagern, dem geistes- und naturwissenschaftlichen, näher bzw. ferner stehen. Die in der empirischen Sozialforschung eingesetzten Schlussverfahren weisen auch mehr oder weniger Nähe zum interpretativen Paradigma auf. Neben der Abduktion bedienen sich interpretativ arbeitende Studien noch der qualitativen Form der Induktion. Beide Schlussweisen gehen auf Überlegungen von Charles S. Peirce zurück.17 Bevor wir uns diese Schlussmodi genauer ansehen, werden die Deduktion und quantitative Induktion in ihren Grundzügen skizziert. In der Methodologie der quantitativen Sozialforschung wird davon ausgegangen, dass die aus einer Theorie ableitbaren Hypothesen mit Hilfe des schließenden Vorgehens überprüft bzw. getestet werden können. Die Schlussweise, die hier Anwendung findet, ist die des deduktiven Schlusses. Dieser schreitet vom Allgemeinen, der Theorie, zum Besonderen, den Hypothesen. Diese theoretisch abgeleiteten und für die Forschung in eine empirisch überprüfbare Form gebrachten Hypothesen werden mit der Wirklichkeit konfrontiert. Indem diese an der Wirklichkeit scheitern, also falsifiziert werden oder aber sich bewähren können, wird an bereits existierenden Theorien, ein System logischer und empirischer Sätze, weitergebaut. Das Forschungsziel ist die Erklärung. Eine wissenschaftliche Erklärung im Sinne des deduktiv-nomologischen Modells von Carl G. Hempel und Paul Oppenheim ist dann realisiert, wenn eine aus einer Theorie deduzierte, mit der Wirklichkeit konfrontierte Hypothese, also ein spezieller Schlusssatz, aus einem Gesetz samt Randbedingungen gefolgert werden kann. Die quantitative Induktion – auch progressive Reduktion genannt – wird eingesetzt, wenn es sich um probabilistische Hypothesen handelt. Akzeptiert werden auch derartige Erklärungen, in denen nicht ein Gesetz, also ein deterministischer Zusammenhang, sondern ein probabilistischer Zusammenhang im Explanans auftritt. Hier »[…] spricht man von ›induktiv-statistischen Erklärungen‹ [Herv. i.O.] (ISErklärungen).«18
16 Vgl. Ebd., S. 98ff., K.-O. Apel: Die Erklären-Verstehen-Kontroverse, S. 35ff., G.H. von Wright: Erklären, S. 16ff. 17 Vgl. U. Kelle: Empirisch begründete Theoriebildung, S. 145ff. 18 A. Diekmann: Empirische Sozialforschung, S. 149.
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Aber eine an Reduktion und »[…] an Deduktion orientierte Sozialforschung, welche bereits vorformulierte Hypothesen an den Beginn der Arbeit stellt, widerspricht […] den Grundlagen interpretativer Sozialforschung, die andere Zielsetzungen verfolgt.«19 Die interpretative Sozialforschung interessiert sich nicht für entzeitlichte und enträumlichte all-gemeingültige Gesetzesaussagen, sondern zeigt vielmehr Interesse »[…] am Verständnis jener Dynamik, die sich in einem jeweils spezifischen Kontext entwickelt und Faktoren, die in diese Dynamik intervenieren […]«20. Es gibt jedoch eine weitere Form eines induktiven Schlusses, die vom Besonderen, der Empirie, über Generalisierungen auf Allgemeines, die Theorie, schließt. Diese geht also genau umgekehrt zur Deduktion vor. »Das zugrunde liegende logische Prinzip ist vorerst einfach: aus einer Reihe von ›Einzelbeobachtungen‹ [Herv. i.O.] (bzw. -aussagen) wird ›auf Gesetze‹ [Herv. i.O.] geschlossen, die für alle Fälle gültig sein sollen.«21 Das Forschungsziel ist die Generierung von Hypothesen: Es ist ein explorativer Zweck. Resümierend hält Manfred Lueger fest, dass »[…] [i]nduktive Verfahren, insbesondere die Reduktion und die analytische Induktion […] einen hohen ›praktischen‹ [Herv. i.O.] Wert [haben], weil sie nicht nur repressiv die Erkenntnisproduktion anregen, sondern progressiv zur permanenten Prüfung von prinzipiell unzuverlässigen Aussagen auffordern.«22 Die Abduktion ist die dritte Grundform logischen Schließens. Diese unterscheidet sich von den beiden Formen der Induktion und der Deduktion kategorial, da sie nicht von zwei bekannten Größen (Regel und Fall bzw. Fall und Resultat) auf eine unbekannte Größe schließt (auf das Resultat bzw. die Regel). Die Abduktion schließt von einer Bekannten auf zwei Unbekannte. Daher ist »[…] allein die Abduktion […] kreativ.«23 Mit dem Anspruch regelgeleitet und reproduzierbar zu sein, ist das Forschungsziel der Abduktion die Generierung von Hypothesen und in diesem Sinne ebenfalls explorativ. Der entscheidende Unterschied zwischen analytischer Induktion und Abduktion ist die Anzahl bekannter und unbekannter Größen. Sind bei dieser Form der Induktion (dies gilt selbstverständlich auch für die quantitative Induk-
19 20 21 22 23
M. Lueger: Auf den Spuren, S. 231. Ebd., S. 231. Ebd., S. 232. Ebd., S. 239. J. Reichertz: Die Abduktion, S. 44.
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tion) zwei Größen bekannt, so sind bei der Abduktion zwei Größen unbekannt.24 Da sich nomologische Erklärungen eher mit deduktiven Schlussweisen assoziieren, sind es die beiden zuletzt besprochenen Formen logischen Schlussfolgerns, die in der interpretativen Sozialforschung debattiert werden. Aber hier entsteht eine Ambivalenz. Entweder tendieren interpretative Studien zu explorativen und deskriptiven Forschungszwecken oder aber zu interpretativen Erklärungen. Tritt der zweite Fall ein, kann jedenfalls nicht das deduktive Schlussverfahren eingesetzt werden, da dieses bei der »[…] Suche nach Regelmäßigkeiten und Sinnstrukturen, die vielfach noch nicht erkannt wurden, […] völlig ausgeschlossen [ist].«25 Tritt aber der erste Fall ein, ist keines der oben diskutierten Schlussverfahren einsetzbar. Auch Geertz positioniert sich innerhalb dieser beiden Traditionen. Für ihn ist die Anthropologie »[…] keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht.«26 Im Rahmen der vorliegenden Studie, die als explorative und deskriptive ausgewiesen worden ist, wird daher keines der oben genannten Schlussverfahren eingesetzt. Dies heißt jedoch nicht, dass dieser Studie keine Schlussfigur zugrunde liegt. Die Schlussfigur ist der deskriptive Schluss. Gary King und Kollegen erläutern diese Figur wie folgt: »Inferenz ist der Prozess, indem wir uns bekannte Fakten nutzen, um etwas über uns unbekannte Fakten zu lernen. Diese sind der Gegenstand unserer Forschungsfragen, Theorien und Hypothesen. Die uns bekannten Fakten bilden […] die Daten oder Beobachtungsgegenstände.«27 In dieser Art und Weise werden aus dem vorliegenden Material, den Fernsehwerbespots, Bedeutungen erschlossen. Mit dieser Verfahrensweise erreicht die vorliegende Studie eines der zentralen wissenschaftlichen Ziele, »[…] beschreibend oder erklärend ›zu schlussfolgern‹ [Herv. i.O.] […] Einige Wissenschaftler machen sich auf die Reise, um die Welt zu beschreiben, andere um
24 25 26 27
Vgl. Ebd., S. 29ff. M. Lueger: Auf den Spuren, S. 230. C. Geertz: Dichte Beschreibung, S. 9. G. King/R.O. Keohane/S. Verba: Designing, S. 46. Vgl. ebenda S. 55: »Inference is the process of using facts we know to learn about facts we do not know. The facts we do not know are the subjects of our research questions, theories, and hypotheses. The facts we do know form our […] data or observations.«
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diese zu erklären. Beides ist erforderlich. […] Beschreibung und Erklärung beruhen beide auf Regeln wissenschaftlicher Inferenz.«28 Zusammenfassen lässt sich die Skizzierung der Schlussverfahren und die Diskussion um deren Einsatz im Allgemeinen und in der interpretativen Sozialforschung im Besonderen wie folgt: In der vorliegenden Studie wird einer interpretativen Logik gefolgt. Es wird von den vorliegenden empirischen Daten ausgegangen und auf Bedeutungen geschlossen, wobei die Frage nach der Geltung der gewonnenen Aussagen nicht mit dem Rekurs auf den Kausalnexus zwischen Ursache und Wirkung subsumtionslogisch beantwortet wird, sondern durch den Rekurs auf den Sinnzusammenhang des Interpretandums hermeneutisch. Exkurs Über historisches Verstehen Da es sich bei dem empirischen Material der vorliegenden Studie um Dokumente handelt, die uns aus einem früheren Zeitabschnitt der bundesrepublikanischen Gesellschaft überliefert sind, tritt das Problem des Zeitenabstandes auf – laut Emil Angehrn der klassische Ausgangspunkt der Hermeneutik. Es ist dies die Distanz zwischen dem Verstehenshorizont des Forschers und einem bereits vergangenen. »Ohne […] eine gewisse Vertrautheit mit der Welt, der es [das Dokument] zugehört, mit den Lebensformen und Wertvorstellungen, von denen es Zeugnis ablegt, ist uns ein Sein nicht erschließbar.«29 Diese Distanz erfordert ein historisches Verstehen. Diese Form des Verstehens aber erfasst nicht die direkten und unmittelbaren Äußerungen, sondern »[…] die Sedimentierung des menschlichen Handelns und Hervorbringens in der Geschichte.«30 Diese Sedimentierung ist in der Terminologie Ricœurs das Dokument, das nicht nur auf die situative Umwelt des Akteurs verweist, sondern auch auf die ihn umgebende Welt. »Für uns ist die Welt das Ensemble der durch den Text eröffneten Bezüge. […] Es ist diese Erweiterung der ›Umwelt‹ [Herv. i.O.] zur ›Welt‹ [Herv. i.O.], die es uns ermöglicht, von Bezügen zu sprechen, die durch den Text erschlossen werden.«31
28 Ebd., S. 7 und S. 34. »[…] to make descriptive or explanatory ›inferences‹ [Herv. i.O.] […] Some scholars set out to describe the world; others to explain. Each is essential. […] Description and Explanation both depend upon rules of scientific inference.« 29 E. Angehrn: Interpretation, S. 72. 30 Ebd., S. 73. 31 P. Ricœur: Der Text als Modell, S. 258f.
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Historisches Verstehen weist die folgenden Spezifika auf32: Zeitenabstand, Retrospektivität, temporale Einheitsbildung, Zugehörigkeit zur Geschichte und Dialektik der Selbstverständigung. Dieser für die Hermeneutik fundamentale Tatbestand des Zeitenabstandes33 steht für eine genuine, durch das historische Verstehen zu überwindende Fremdheit. Dies prägt die Formbestimmtheit historischer Konstitution, die wesenhaft nachträglich geschieht. Die Retrospektivität des geschichtlich-sozialen Verstehens »[…] ist nur in begrenztem Ausmaß prospektiv einsetzbar, sofern Voraussagen im Prinzip unter der Bedingung einer Konstanz des Beschreibungsvokabulars stehen […]«34. Mit temporaler Einheitsbildung ist gemeint, dass sich allein in der historischen Betrachtung ein organisch strukturierter Lebenszusammenhang ergibt, der sich erst ex post als ein solcher darstellt. Die Zugehörigkeit zur Geschichte verweist auf das verstehende Subjekt, das gleichsam nicht von einem ort- und zeitlosen Nullpunkt operiert. »Es hat nicht nur Geschichte zum Gegenstand, sondern ist selbst geschichtlich. Seine eigenen Kategorien sind geschichtlich präformiert, Resultat einer Geschichte; der Zeitenabstand zwischen verstehendem Subjekt und Gegenstand ist einer innerhalb des Geschichtlichen, nicht zwischen einem ortlosen Nullpunkt und einem innerhistorischen Datum. […] Nur indem es [das Verstehen] der Wirkung dieser doppelten Wirkungsgeschichte [historisch geprägter Erkenntnisgegenstand wie historisch vermittelter Standpunkt des erkennenden Subjekts] innewird, überwindet das Verstehen seine epistemologische Naivität.«35
Schließlich wird mit der Phrase Dialektik der Selbstverständigung der hermeneutische Zirkel aufgerufen, in dem man auch bei historischem Verstehen eintritt. »Verstehen beginnt nie von einem Nullpunkt, sondern setzt immer inmitten eines bereits Verstandenhabens ein.«36 Historisches Verstehen ist ein indirektes, rekonstruktives Geschehen, das auf Dokumente als für die Forschung aufbereitete und fixierte Interpretationsdaten angewiesen ist.
32 33 34 35 36
Vgl. E. Angehrn: Interpretation, S. 87ff. Vgl. dazu H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 275ff. E. Angehrn: Interpretation, S. 88. Ebd. Ebd.
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3.3 S AMPLING »In der qualitativen Sozialforschung hat die Stichprobenauswahl einen tief greifenden Einfluss auf die Qualität der durchgeführten Forschung.«37 Neben dieser grundlegenden Aussage von Janice M. Morse zur Bedeutung der Stichprobe hält Flick darüber hinaus fest, dass Auswahlentscheidungen an verschiedenen Stellen des Forschungsprozesses getroffen werden: Bei der Erhebung des empirischen Materials, in der Auswertungsphase (Auswahl des Materials und Auswahl im Material) und ebenso bei der Darstellung der Ergebnisse.38 Daher ist zuerst anzugeben, in welchen Phasen des Forschungsprozesses in der vorliegenden Studie Auswahlverfahren angewendet und welche Ziele hierbei verfolgt worden sind. Da sich diese Studie am interpretativen Paradigma orientiert, handelt es sich bei der verwendeten Auswahlstrategie um eine nicht probabilistische Vorgehensweise. Jene folgt also nicht den Vorgaben des statistischen Samplings quantitativer Studien, das sich gegenüber der eingesetzten Form – welche gleich charakterisiert wird – in folgenden Punkten unterscheidet: Zum ersten findet das probabilistische Sampling nur in der Erhebungsphase statt und zum zweiten zeichnet es sich durch die Einmaligkeit der Datensammlung aus. Wenn an dieser Stelle über Sampling-Strategien gesprochen wird, sind diese zu verorten in der Erhebungs- und der Auswertungsphase. Konnte das Auswahlverfahren zu Beginn der Forschungsarbeit noch als convenience sampling bezeichnet werden, änderte sich das Ziel im Fortgang der Forschung. Neues Ziel war, den Datencorpus für den Untersuchungszeitraum so vollständig und lückenlos wie möglich zu erstellen. Die Auswahl der Fälle folgte mit anderen Worten der Strategie der bewussten Auswahl (purposeful sampling). Dass dieser Auswahlform zugrunde liegende Prinzip ist, »[…] Fälle mit hohem Informationsgehalt auszuwählen, deren Erforschung die Fragen der Studie hinreichend beantworten.«39 Angeleitet wurde das bewusste Auswahlverfahren durch den theoretischen Bezugsrahmen der vorliegenden Studie. In der Auswertungsphase ging es darum, begründet aus der Gesamtheit des vorliegenden Materials Teile auszuwählen. Die Fernseh-
37 J.M. Morse: Strategies, S. 623. »In qualitative research sample selection has a profound effect on the ultimate quality of research.« 38 Vgl. U. Flick: Qualitative Sozialforschung, S. 97f. 39 M.Q. Patton: Qualitative Evaluation, S. 169. »[…] selecting informationrich cases whose study will illuminate the questions under study.«
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werbespots bestehen bei einer Spieldauer von zehn Minuten und zehn Sekunden aus 15.250 Einzelbildern. Von diesen Einzelbildern sind rund 140 Bilder in die Auswertung aufgenommen worden.
3.4 G ÜTEKRITERIEN Die Frage nach der Qualität einer interpretativen Studie wirft das Problem der reflexiven Vergewisserung auf, der sich der Forscher ausgesetzt sieht bei der Beurteilung der eigenen Studie. Im Begriff der Geltungsbegründung sind eine Reihe von Problemen gebündelt, die sich nicht nur mit der Frage nach den einer interpretativen Studie angemessenen Gütekriterien beschäftigen, sondern auch mit Fragen des Grades der Verallgemeinerung und der Gewährleistung der Verallgemeinerbarkeit sowie mit Fragen der Darstellung der Resultate interpretativer Forschung. An dieser Stelle wird näher auf das Problem der Gütekriterien eingegangen. Als Kontrastfolie: Wie stellt sich dieses Problem in der quantitativen Sozialforschung dar? Hier lauten die normativen Vorgaben wie folgt: »Bei allen Messoperationen, d.h. bei jeder standardisierten empirischen Erhebung sozialwissenschaftlicher Daten, sollte sich der Forscher darüber vergewissern, ob seine Instrumente zuverlässig messen […] und ob seine Instrumente auch diejenigen Merkmale messen, die sie messen sollten. […] Falls schließlich von einer Stichprobe auf eine Grundgesamtheit […] geschlossen werden soll, müssen die Stichprobenergebnisse ›repräsentativ‹ [Herv. i.O.], also verallgemeinerbar sein.«40
Der quantitative Forscher vergewissert sich der Qualität seiner Studie mittels der Gütekriterien Repräsentativität, Validität und Reliabilität. Vergewissert sich auch der qualitative Forscher der Qualität seiner Studie mit diesen Gütekriterien? Diese Frage kann sowohl mit einem Ja als auch mit einem Nein beantwortet werden. In der Diskussion um Gütekriterien in der qualitativen Sozialforschung sind folgende drei Positionen auszumachen. Die Vertreter der ersten Position, z.B. Siegfried Lamnek (2005), fordern die Übertragung quantitativer Gütekriterien auf qualitative Forschungsarbeiten. Vertreter der zweiten Position, z.B. Ines Steinke, versuchen für qualitative Forschung angemessene Kriterien zu entwickeln. Die Vertreter der dritten Position, z.B. Jonathan Smith (1984), weisen jegliche Kriterien zurück.
40 H. Kromrey: Empirische Sozialforschung, S. 400.
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Da in diesem Kapitel immer wieder auf Gründe eingegangen worden ist, und die jeweiligen Entscheidungen, weshalb dieses Verfahren und nicht vielmehr ein anderes gewählt wurde, begründet worden sind, zeigt, dass die Studie nicht der Maxime des anything goes folgt, mithin nicht der dritten Position zugerechnet werden kann. »Ebenso selbstverständlich ist, daß […] keine universellen, allgemein verbindlichen Kriterien für qualitative Forschung formulierbar sind […], weil […] das methodische Vorgehen nicht standardisierbar, sondern gegenstands-, situations- und milieuabhängig ist […]«41 – damit kommt auch die erste Position nicht in Frage. Was aber nun die Gütekriterien der vorliegenden Arbeit sind, kann nicht von vornherein beantwortet werden. Bei der Arbeit selbst habe ich mich weitgehend an den Gütekriterienkatalog, wie ihn Steinke zur Bewertung qualitativer Forschung formuliert hat, orientiert. Aus diesen Formulierungen von Kernkriterien hat sie eine Checkliste zusammengestellt.42 Diese habe ich aus zwei Gründen verwendet. Diese Liste ist noch immer die umfangreichste und ausführlichste für den deutschsprachigen Raum und zweitens folgt sie dem grundlegenden Kriterium der Indikation. Dieses Kriterium ist weitergefasst als das der Gegenstandsangemessenheit und bezieht sich auf die einzelnen Techniken der Erhebung, Aufbereitung und Auswertung wie auch auf methodologische Entscheidungen.43
3.5 Ü BER
DIE VERWENDETEN
M ETHODEN
Da in der vorliegenden Studie Fernsehwerbespots, die Zielgruppe und ihre Kultur sowie die Korrespondenz zwischen diesen Größen analysiert werden, werden entsprechende Methoden benötigt. Hierbei wird die Bedeutungsdimension der Werbespots mittels der explizierenden Inhaltsanalyse und einer für diese Studie angepassten kultursoziologischen Bildinterpretation rekonstruiert. Die Kultur der entlang sozialstruktureller Parameter konstruierten Zielgruppe sowie das Image der FAG kann mittels der zusammenfassenden Inhaltsanalyse aus entsprechender Literatur gewonnen werden. Die Korrespondenz schließlich wird mit der so genannten Wirklichkeitsanalyse analysiert. Es werden hierbei immer wieder Fragen der Indikation und Verfahrenslogik angesprochen.
41 I. Steinke: Kriterien, S. 205. 42 Ebd., S. 252ff. 43 Ebd., S. 215ff.
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3.5.1 Dokumentenanalyse »Wird durch die Primärerhebung die Gegenwart erschlossen, so wird durch die Dokumentenanalyse die Vergangenheit für die Sozialforschung erschlossen.«44 Unter Dokumentenanalyse verstehe ich mit Heine von Alemann eine Form der Datensammlung, bei der »[…] der Forscher […] bereits durch Dritte gesammelte Materialien […]«45 nutzt. Der sozialwissenschaftliche Begriff des Dokuments wird gegenüber seiner Alltagsverwendung in einer wesentlich breiteren Fassung gebraucht. In der Alltagssprache wird dieser Begriff eingeschränkt verwendet und meint gewichtige Texte, wie z.B. die Magna Charta, einen Kaufvertrag oder ein Testament. Vor dem Hintergrund der Datengewinnung sind für den Sozialwissenschaftler nicht nur Urkunden und Schriftstücke von besonderer Bedeutung, sondern »[…] für ihn [sind] sämtliche gegenständliche Zeugnisse Dokumente, die als Quelle zur Erklärung menschlichen Verhaltens dienen können […]«46. Dies können Texte und Zahlenmaterial sein, aber auch das »[…] konservierte resp. technisch übertragene gesprochene Wort und das Bild.«47 Dies sind neben Medien wie Schallplatte, Tonband oder Film alle Arten materieller Kultur wie Werkzeuge oder Waffen, Bekleidung, Bauten oder Kunstgegenstände. Da es verschiedene Spielarten von Dokumenten gibt, muss die Art des Dokuments, die der vorliegenden Studie zugrunde liegt, spezifiziert werden. Alemann unterscheidet drei Dokumentenarten. Sein Kriterium ist die Quellen, aus der das Dokument stammt: Nämlich »[…] aus privater Hand […], sie können aus geschäftlichen und behördlichen Aktivitäten stammen […]«48. Die Fernsehwerbespots gehen auf bereits abgeschlossene geschäftliche Aktivitäten zurück. Hiermit liegt der Fall vor, bei dem die Dokumentenanalyse eingesetzt werden kann; nämlich dann, »[…] wenn es sich um zurückliegende, um historische Ereignisse handelt.«49 Als Dokumente, die aus geschäftlichen Aktivitäten stammen, sind sie als Prozess generierte Daten rubrizierbar. Mit dieser Kategorie wissenschaftlicher Daten sind Vor- und Nachteile verbunden. Die Zugänglichkeit, mangelnde systematische Archivierung, die so genannte Aspektstruktur der Daten und mangelnde Repräsentativität sind zen-
44 45 46 47 48 49
H. von Alemann: Der Forschungsprozeß, S. 202. Ebd. P. Atteslander: Methoden, S. 62. Ebd. H. von Alemann: Der Forschungsprozeß, S. 202. P. Mayring: Einführung, S. 32.
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trale Nachteile dieser Datenkategorie. Gegenüber anderen Formen Prozess generierter Daten besteht das Hauptproblem bei Dokumenten öffentlicher Organisationen in der Aushandlung von Zugangsbedingungen zu den Archiven mit den entsprechenden gate keepern, die den Zugang zu Unternehmensarchiven gewähren oder verwehren. Es wurde in verschiedenen Archiven, in denen Fernsehwerbespots der FAG vermutet wurden, angefragt. Im Einzelnen waren dies die FordArchive in Köln (D) und Dearborn (USA), die Fernseharchive der damals schon bestehenden Fernsehsender, ARD und ZDF, bei SC SpotControl und bei Nielsen Media Research.50 Des Weiteren wurde angefragt bei der Werbeagentur, die damals mit der deutschen FordTochter zusammen gearbeitet und die Fernsehwerbespots produziert hat: Ogilvy & Mather51, sowie bei entsprechenden Ford-Clubs und Ford-Freunden, was jedoch weniger ergiebig war. Tabelle 5: Genealogie der deutschen Ford-Modelle seit 1945 Segment
Jahr
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
D Taunus 17M (57-67)
obere CD Mittelklasse
C
mittlere
untere
Taunus 15M (54-58)
Taunus 17M/20M (67-71)
Consul/ Granada Granada Scorpio (72-77) (77-85) (85-98)
Taunus 15M (66-70)
Taunus Taunus 12M (48-51) (52-70)
Taunus (70-82)
Sierra (82-93)
Mondeo (seit 93)
Orion (83-93) Kompakten
C-Max (seit 03)
Escort (67-00)
Focus (seit 98) Fiesta (seit 76)
B
Klein- u. Kleinstwagen
Fusion (seit 02) KA (seit 96)
Sportwagen
OSI 20M TS (66-68)
Capri (69-87)
Quelle: Selbst erstellte Tabelle
50 Vgl. SC Spot-Control TV Spot Medien GmbH, www.spot-control.de, Nielsen Media Research GmbH, www.nielsen-media.de. 51 Diese Quelle war besonders ertragreich, insbesondere auch für Material aus der Anfangszeit der Bewerbung von deutschen Ford-Modellen Ende der 1950er Jahre: Ogilvy & Mather (Hg.): Ford History-Rolle.
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Das Ergebnis dieser Recherche, ein nahezu geschlossener Datenkorpus für die gehobene Mittelklasse der FAG für die Jahre zwischen 1959 und 1967. In Tabelle 5 ist die Genealogie der FAG-Modelle nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen und es sind die Modelle mit einer schwarzen Umrandung markiert, deren fernsehmediale Bewerbung in der vorliegenden Studie analysiert worden ist (vergleiche auch Tabelle 6). Tabelle 6: Empirisches Material der Studie: Zwölf Fernsehwerbespots Fernsehwerbespots #1
09/1959
#2
03/1960
#3
10/1960
#4
03/1961
#5
09/1961
#6
03/1962
#7
09/1962
#8
03/1963
#9
09/1964
Produkt bzw. Modell Produktionszeitraum
Ford Taunus 17M P-2 08/1957-09/1960
Ford Taunus 17M P-3 10/1960-07/1964
Fernsehwerbespot fehlt im Datencorpus #10
04/1966
#11
02/1967
#12
02/1967 (Reminder)
Ford Taunus 17M P-5 09/1964-08/1967
Quelle: Selbst erstellte Tabelle
Der zweite Nachteil ergibt sich aus der unsystematischen Aufbewahrung. Selektiv können Daten dadurch sein, dass »[…] Dokumente nicht systematisch archiviert werden.«52 Gerade für die Erforschung
52 H. von Alemann: Der Forschungsprozeß, S. 203.
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von Werbung ist dies für die Zeit zwischen 1945 und 1970 der Fall. Die Kontrolle des Forschers über die Daten geht verloren. Doch mindestens seit den 1970er Jahren kann mit einer verbesserten und systematischeren Archivierung gerechnet werden im Gegensatz zu anderen Formen von Dokumenten wie z.B. Briefen. Die FMC begann Interesse an der Verbesserung und Systematisierung der Archivierung ihrer Firmengeschichte seit dem 50. Jubiläum zu zeigen. Ein Zeitpunkt, zu dem sich herausstellte, dass sich das Interesse an Henry Ford und der FMC nicht nur auf die vergangenen 50 Jahre bezog, sondern auch ungebrochen auf die kommenden Jahrzehnte. Neben der Verzerrung der Daten durch Lückenhaftigkeit können diese dadurch deformiert werden, dass nur ganz bestimmte Bevölkerungsteile als Dokumentenlieferanten oder -adressaten in Frage kommen. Dieser Aspekt der Selektivität fällt unter die so genannte Aspektstruktur-Problematik. Dahinter steckt die Erfahrung, dass Dokumente »[…] eine Realität oft nur unter einem ganz bestimmten Aspekt wiedergeben […]«53. Dies ist aber in der vorliegenden Studie unproblematisch. Da im theoretischen Teil herausgearbeitet worden ist, dass Werbekommunikate durch den Kommunikator auf der einen und Kommunikanten auf der anderen Seite strukturiert werden und gerade das Wechselspiel zwischen Werbekommunikat und Kommunikanten analysiert werden soll, kann meines Erachtens das Problem der Verzerrung der Daten aus werblicher Kommunikation als entschärft gelten. Dennoch muss die mit diesen Daten verbundene dreifache Ausblendungsregel berücksichtigt werden. In der sachlichen Dimension wird all das, was der Attraktivität des beworbenen Produkts bzw. der Authentizität des Werbetreibenden nicht zuträglich ist, unterdrückt (sachliche Ausblendungsregel). In der zeitlichen Dimension beschränkt sich Werbung auf die Darbietung des Neuen am althergebrachten Produkt (zeitliche Ausblendungsregel). Werbekommunikate zeichnen sich des Weiteren dadurch aus, dass sie betriebswirtschaftlich gesprochen immer zielgruppenspezifisch bzw. soziologisch gewendet, schichtspezifisch modelliert sind. In der Darstellung wird das Produkt anschlussfähig an den Lebensstil der Zielgruppe gezeigt und somit andere Lebensstile ausgeschlossen (soziale Ausblendungsregel). Wird diesen allgemeinen und diesem besonderen Kennzeichen von Werbebotschaften Rechnung getragen, ergeben sich eine Reihe von Vorteilen. Da es sich bei der vorliegenden Studie um eine qualitative Untersuchung handelt und nahezu alle Daten im Beobachtungszeitraum
53 Ebd.
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(zwölf von dreizehn Werbespots) zur Verfügung stehen, besteht nicht die Notwendigkeit, die mangelnden Repräsentativität zu behandeln. Demgegenüber bieten Prozess generierte Daten eine Reihe von Vorteilen: Materialvielfalt, Kontextbezug, Nichtreaktivität, Studierbarkeit und Ergiebigkeit. Massenmedial verbreitete Materialien sind eine ausgezeichnete Quelle zur Abbildung soziokulturellen Wandels.54 Diese Kategorie kann auch genutzt werden, »[…] um ein Licht auf einen Aspekt der Kultur einer bestimmten Gruppe zu werfen […]«55. Des Weiteren können mittels Dokumenten bestimmte Fragestellungen heikler oder historischer Art beantwortet werden. Da das Material nicht eigens hervorgebracht werden muss, unterliegt es »[…] weniger den Fehlerquellen der Datenerhebung; nur bei der Auswahl der Dokumente, nicht aber bei der Erhebung spielt die Subjektivität des Forschers herein«.56 Dieser Punkt ist unter dem Stichwort Nichtreaktivität in die sozialwissenschaftliche Literatur eingegangen. Ein weiterer Vorteil dieser Datenkategorie ist ihr Kontextbezug. Da solche Daten »[…] in einem natürlichen Lebenszusammenhang [entstehen] und […] meist eine ›kommunikative‹ [Herv. i.O.] […] Funktion […]«57 erfüllen, ist ihre Entstehung nicht isoliert vom Kontext zu betrachten, sei es der Kontext des Urhebers, der Kontext des Adressaten oder der allgemeine Sinnzusammenhang, in dem das Dokument eingestellt ist. John Madge verdichtet diesen Gedanken in dem Begriff der Artifizialität. »Die Betrachtung einer Einrichtung, ohne sich auf ihre Vergangenheit zu beziehen, ist so artifiziell, wie diese ohne Bezugnahme auf das weitere soziale Umfeld zu betrachten.«58 Da unterschiedlichste Dokumente, aus verschiedensten Zusammenhängen als Daten verwendet werden können, gehört die Materialvielfalt zu den Vorteilen der Dokumentenanalyse. Wie bereits bei der Bestimmung des Begriffs Dokument angedeutet, können jegliche Objektivierungen menschlichen Handelns als Material der Forschung genutzt werden: Briefe, Tagebücher, Memoiren, literarische und wissenschaftliche Arbeiten, Reden – also Verbaldokumente –, Zeichnungen, Gemälde, Fotos, Fil-
54 55 56 57 58
Vgl. S.B. Merriam: Qualitative Research, S. 115. C. Selltiz et al.: Untersuchungsmethoden, S. 121. P. Mayring: Einführung, S. 32. S.-P. Ballstaedt: Zur Dokumentenanalyse, S. 204. J. Madge: The Tools, S. 81. »To view an institution in isolation without reference to its past is as artificial as to consider it without regard to the wider social setting.«
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me – also Bilddokumente – oder Werkzeuge, Gebrauchsgegenstände, Einrichtungen und/oder Bekleidung – also Sachdokumente.59 3.5.2 Partiturschreibweise »[A]uch Sozialwissenschaftler brauchen, um in kontrollierbarer Form interpretieren zu können, ›mehr‹ [Herv. i.O.] als nur ›flüchtige‹ [Herv. i.O.] Daten. Sie brauchen, wie alle anderen wissenschaftlichen Interpreten auch, ›geronnene‹ [Herv. i.O.], fixierte, hin- und herwendbare, immer wieder in objektivierter Form vergegenwärtigbare Daten.«60 Welche Form der Transkription – als ein unumgänglicher Zwischenschritt vor der Auswertung – ausgewählt worden ist, welche Chancen und Probleme dabei entstehen, wird nun erörtert. Die Literatur zur Transkription bewegter Bilder ist sehr eingeschränkt. Im Folgenden wird auf die Ausführungen von Sabine Kowal und Daniel C. O’Donnell zur Transkription im Allgemeinen und auf die Ausführungen von Diana Ross zur Transkription audiovisuellen Materials im Besonderen eingegangen. Hervorzuheben ist, dass eine Entscheidung getroffen werden muss hinsichtlich der Frage, was als Untersuchungseinheit aufzufassen ist. Rose gibt diese Antwort: Takes. Takes bzw. Einstellungen beziehen sich in der Regel auf die »[…] Abfolge von Bildern, die von der Kamera zwischen dem Öffnen und dem Schließen des Verschlusses aufgenommen werden.«61 Das heißt, eine neue Untersuchungseinheit beginnt in dem Moment, in dem die Kamera ihren Inhalt, eine Ansammlung von Bildern, ändert. Dies ist dann der Fall, wenn ein Kameraschnitt eine neue Einstellung einleitet. Gegenüber der Konversationsanalyse z.B., die – mit Zeilen, Sätzen oder Abschnitten – sprachbasiert operiert, ist dieses Vorgehen bildbasiert. 62 Die Probleme, die bei der Übertragung von flüchtigen in fixierte Daten entstehen, sind Simplifizierung und Selektivität. Mit der Datentransformation geht eine Simplifizierung einher. Obgleich methodologisch gesehen Welt und Text konvergieren müssen, bleiben diese beiden Seiten objekttheoretisch divergent. Simplifizierung ist Reduktion der Komplexität dessen, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Hieran schließt sich ein zweites Problem an. Es ist nicht möglich, all das, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, zu beschreiben. Die Schlussfolgerung
59 Vgl. S.P. Ballstaedt: Zur Dokumentenanalyse, S. 203f. 60 R. Hitzler/A. Honer: Einleitung: Hermeneutik, S. 8. 61 W. Faulstich: Einführung, S. 58. Vgl. ebd., S. 58ff. zu Einstellungskonjunktionen. 62 Vgl. D. Rose: Analysis, S. 250.
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von Rose aus dieser Sachlage ist, dass die Transkriptionsentscheidungen Theorie gesteuert erfolgen sollen.63 Bei einer solchen Übersetzung müssen hierbei die Konventionen von Film und Fernsehen beachtet werden. Tabelle 7: Partitur eines Fernsehwerbespots
1
7
Kamera
akustischer Diskurs Zeit (in sek.)
Einstellung
Modell Ford Taunus 17M P-2 de Luxe - Produktion von 09/59-09/60 - Erstausstrahlung des Fernsehwerbespots, September 1959, s/w
Bilddiskurs v/o
mcu
2
3
cu
3
3
cu
4
3
cu
5
5
cu cu Schwenk von links
nach rechts 6
10
cu Zoom mcu Schwenk von rechts nach links
»17m P2« kommt in einer Art Ausstellungshalle (Linoleumboden; Vorhänge im Hintergrund) vom Betrachter rechts aus gesehen ins Bild gefahren, so dass man das Auto anfangs schräg von vorne sieht: Kühlergrill, Seitelinie – bis es endlich in Seitenansicht (Profil) zum Stillstand kommt. 17m P2 Seitenansicht (etwa aus der Perspektive eines einsteigenden Fahrers) – die Tür öffnet sich selbst (Geisterhand) bis der Innenraum (Lenkrad (Sicherheitslenkrad)) und Vordersitze (NB: Bank) sichtbar ist. Soweit bis die Tür so sichtbar ist, dass man die Sicherheit und Schwere erahnen kann. Sicht in das Innere des Wagens – Standpunkt: am Ende der Kühlerhaube: sichtbar: Vordersitze, Rücksitze (Innenraum) Sicht durch Frontscheibe ins Innere des Autos, abermals auf Sitze, vorne und hinten. Blick auf das Armaturenbrett – durch die Speichen des Lenkrads. Armaturenbrett Blick auf linkes Rücklicht. Zu sehen: Tailfin Design Licht geht an. zu sehen: Kofferraum, Griff desselben und Schloss, Einfüllstutzen 17m rechts unten am Kofferraum; Auspuff rechts bis rechtes Rücklicht (geht aus; Schwenk der Kamera endet) Automobile setzt sich in Bewegung und fährt auf Bildhorizont zu, d.h. entfernt sich vom Betrachter! bis Automobile in links Hälfte vom Bild frontal von hinten Über das gesamte Bild erscheint TEXT: FORD TAUNUS 17M mit Wappen; zugleich: Auto fährt auf den Bildschirmhorizont zu.
Quelle: Selbst erstellte Tabelle
63 Ebd.
Musik/ Geräusche
Da, der Taunus 17M – modern, spritzig, solide
und stehen, ja! Sichere, schwere Türen, bequemer Einstieg.
Großer Innenraum ... ... und Platz für Fünfe. Klare, übersichtliche Armaturenfront, ... ... na, und bessere Heckleuchten habe ich noch nicht gesehen!
Und wie der startet!
So, und wir starten morgen zur Probefahrt!
Eigenkomposition
M ETHODOLOGIE UND D ATENBASIS
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Wie dies – vor dem Hintergrund der Simultaneität von Bildern – transkriptionstechnisch organisiert werden kann, darüber informiert die bei visuellem Material angewandte Partiturschreibweise.64 Diese »[…] unterscheidet sich von der Zeilenschreibweise durch die Simultanfläche, die am linken Rand des Transkripts zeilenübergreifend durch eine eckige Klammer variabler Größe […] gekennzeichnet wird.«65 Anschließend wird begründet, welche Elemente in die Partitur aufgenommen werden. Als allgemeine Transkriptionsregel liefert Hubert Knoblauch folgende Maxime: »[…] so fein wie nötig, aber immer einen kleinen Schritt feiner als gedacht.«66 Ziel einer solchen Partitur ist es, eine detaillierte und präzise Beschreibung für die Analyse bereitzustellen. In der Kopfzeile der Partitur (vergleiche Tabelle 7 auf der vorangegangenen Seite) wird der Fernsehwerbespot mit dem beworbenen Produkt aufgeführt sowie Produktionszeit des Fahrzeugs und Erstausstrahlung des Werbespots. Nach der Kopfzeile folgen sechs Spalten, die die Untersuchungseinheit (Einstellungen) und die Analyseebenen (Länge der Einstellung, Kameraeinstellung und -bewegung, Bild- und Tondiskurs) umfassen. Mit diesen sechs Protokollspalten sind »[…] alle wichtigen Informationen gleichermaßen auf der Handlungsebene wie der Ebene des Geschehens geordnet erfasst.«67 Zu welchem Zweck werden die einzelnen Untersuchungseinheiten genutzt? Spalte 1 – Einstellung: Die erste Spalte dient der Unterteilung des Fernsehwerbespots in Untersuchungseinheiten. Spalte 2 – Länge der Einstellung/Zeit: Die zweite Spalte gibt einen Anhaltspunkt darüber, was als zentral am Fernsehwerbespot gelten kann. Kurzen bzw. langen Sequenzen – im obigen Beispiel Einstellung 1 und 6 mit sieben bzw. zehn Sekunden – kommt somit eine Hervorhebung bzw. Betonung zu. Spalte 3 – Größe der Einstellung/Virtualität68: Unter den vielen Möglichkeiten, aus dem Repertoire der Kameraeinstellungen und -bewegungen zu wählen, ist in der dritten Spalte die Einstellungsgröße, von Nah- bis Landschaftsaufnahme rangierend, ausgewählt wor-
64 Vgl. J.R. Bergmann/T. Luckmann/H.-G. Soeffner: Erscheinungsformen, J. Raab/D. Tänzler: Video Hermeneutics. 65 S. Kowal/D.C. O’Donnell: Zur Transkription, S. 442. Vgl. auch H. Knoblauch: Transkription, S. 159f. 66 H. Knoblauch: Transkription, S. 160. 67 W. Faulstich: Einführung, S. 123. 68 Vgl. ebd., S. 57ff.
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den, da sich hier eine Chance eröffnet, das Virtuelle69 in den Fernsehwerbespot eintreten zu lassen. Mit Nahaufnahmen von Gegen-ständen, die Details bzw. Teile des Ganzen zeigen, öffnet sich das Feld der Phantasie. Die Phantasie ergänzt diese Teile zu Ganzheiten; und nicht immer wird das Teil nur um die nichtsichtbaren materiellen Aspekte ergänzt. So kann z.B. eine Heckflosse verlängert werden in die Vorstellungswelt des Fortschritts bzw. der Modernisierung. Spalte 4 – Visualität/Bild: Insbesondere der vierten Spalte und der Spalte Fünf kommt in der vorliegenden Studie der entscheidende Stellenwert zu, um anhand der Darstellung von Mensch und Ding Aufschluss zu geben über die Denotationen und Konnotationen, die der Fernsehwerbespot in sich birgt. Auf der visuellen Ebene kommt es einerseits auf die Identifikationsfiguren, Einzelpersonen, Paare, Gruppen samt ihren Accessoires an, andererseits auf die Dinge, Produkte und Situationen, in denen und mit denen die Darsteller handeln und über die sie sprechen. Hierbei wird nach der Funktion der Personen gefragt. Diese kann rangieren vom Normalverbraucher (Identifikationsfunktion) über einen so genannten Life Style Typ (Imitationsfunktion) bis hin zum Experten (Beraterfunktion). Spalte 5 – Auditivität I/Wort70: Hierbei wird der auditive Diskurs mit Bezug auf das Gesprochene, Monolog eines Präsentators oder Dialog eines Paares, transkribiert. Diese Dimension fungiert als Anker, um der Mehrdeutigkeit des Bildes gegenzusteuern. Spalte 6 – Auditivität II/Musik und Geräusche: Die letzte Spalte bezieht sich auf eine weitere Ebene des auditiven Diskurses und fragt nach der eingesetzten Musik und Geräuschen.71 3.5.3 Qualitative Inhaltsanalysen und kultursoziologische Bildinterpretation »Ziel der Inhaltsanalyse ist, darin besteht Übereinstimmung, die Analyse von Material, das aus irgendeiner Art von ›Kommunikation‹ [Herv. i.O.] stammt.«72 Dieses Material, so Philipp Mayring weiter, sind Symbole jeglicher Art und können als sprachliche, musikalische und visuelle Symbole inhaltsanalytischen Verfahren unterzogen werden.
69 Vgl. S. Hall: Das Spektakel, S. 162ff. 70 Vgl. T.M. Schulz: Klassifikation, S. 81ff. 71 Diese Dimension konnte aufgrund der Komplexität musikalischer Objektivierungen in der Analyse nicht berücksichtigt werden. 72 P. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 11.
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Da es sich in der vorliegenden Studie um die hermeneutische Rekonstruktion der Bedeutungsgehalte von Werbekommunikaten handelt, fällt die Wahl auf die qualitative Inhaltsanalyse, wie sie durch Mayring vorgestellt wird. Zwei seiner qualitativen inhaltsanalytischen Techniken werden hier verwendet: Die explikative Inhaltsanalyse und die zusammenfassende Inhaltsanalyse. Beiden Techniken liegt ein allgemeines Ablaufmodell zugrunde, das an dieser Stelle, bevor auf die Regeln der speziellen Verfahren eingegangen wird, präsentiert wird (vergleiche Tabelle 8). Mit der dritten inhaltsanalytischen Technik der Wirklichkeitsanalyse von Klaus Merten, wird ein Modell bereitgestellt, welches aus methodisch auf den theoretischen Begriff der Korrespondenz antwortet. Tabelle 8: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell Festlegung des Materials
Analyse der Entstehungssituation
Formale Charakterisierung des Materials
Richtung der Analyse
Theoretische Differenzierung der Fragestellung
Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten Ablaufmodells
Definition der Analyseeinheit
Analyseschritt mittels des Kategoriensystems Zusammenfassung
Explikation
Strukturierung
Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material
Interpretation der Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung
Anwendung der inhaltsanalytischen Gütekriterien
Quelle: P. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 54.
102 | F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID
Obgleich dieses Ablaufmodell immer an einen konkreten Fall und eine spezifische Fragestellung angepasst werden muss, kann es doch der Orientierung dienen. »[D]ie Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse gegenüber anderen Interpretationsverfahren [besteht darin], daß die Analyse in einzelne Interpretationsschritte zerlegt wird, die vorher festgelegt werden. Dadurch wird sie für andere nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar […]«73. An diesem Ablaufmodell sind auch die speziellen Analysetechniken der Explikation und Zusammenfassung ausgerichtet. In der Spezifizierung der jeweils eingesetzten Methode werden diese Arbeitsschritte konkretisiert und entsprechende Regeln, die bei der Analyse einzuhalten und abzuarbeiten sind, aufgestellt. Die zusammenfassende Inhaltsanalyse wird angewendet, wenn das zur Verfügung stehende Material sehr umfangreich ist. Dies ist bei den Materialien aus der Soziologie der sozialen Ungleichheit wie bei der Literatur zu Ford in Deutschland der Fall. Eine derartige Analyse zielt darauf ab, »[…] das Material so zu reduzieren, daß die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben [bzw.] durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist.«74 Auf welche Punkte ist hierbei zu achten? Das Grundprinzip dieser Form der Inhaltsanalyse lautet: Entscheidend ist die genaue Festlegung der jeweiligen Abstraktionsebene. Die so genannten Z-Regeln der zusammenfassenden Inhaltsanalyse beziehen sich auf die vier Punkte, an denen das Material umformuliert, abstrahiert und reduziert wird. »Z1: ›Paraphrasierung‹ [Herv. i.O.] Z1.1: Streiche alle nicht (oder wenig) inhaltstragenden Textbestandteile wie ausschmückende, wiederholende, verdeutlichende Wendungen! Z1.2: Übersetze die inhaltstragenden Textstellen auf eine einheitliche Sprachebene! Z1.3: Transformiere sie auf eine grammatikalische Kurzform! Z2: ›Generalisierung auf das Abstraktionsniveau‹ [Herv. i.O.] Z2.1: Generalisiere die Gegenstände der Paraphrasen auf die definierte Abstraktionsebene, so daß die alten Gegenstände in den neu formulierten impliziert sind! Z2.2: Generalisiere die Satzaussagen (Prädikate) auf die gleiche Weise! Z2.3: Belasse die Paraphrasen, die über dem angestrebten Abstraktionsniveau liegen! Z2.4: Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zuhilfe!
73 Ebd., S. 53. 74 Ebd., S. 58.
M ETHODOLOGIE UND D ATENBASIS
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Z3: ›Erste Reduktion‹ [Herv. i.O.] Z3.1: Streiche bedeutungsgleiche Paraphrasen innerhalb der Auswertungseinheiten! Z3.2: Streiche Paraphrasen, die auf dem neuen Abstraktionsniveau nicht als wesentlich inhaltstragend erachtet werden! Z3.3: Übernehme die Paraphrasen, die weiterhin als zentral inhaltstragend erachtet werden (Selektion)! Z3.4: Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zuhilfe! Z4: ›Zweite Reduktion‹ [Herv. i.O.] Z4.1: Fasse Paraphrasen mit gleichem (ähnlichem) Gegenstand und ähnlicher Aussage zu einer Paraphrase zusammen (Bündelung)! Z4.2: Fasse Paraphrasen mit mehreren Aussagen zu einem Gegenstand zusammen (Konstruktion/Integration)! Z4.3: Fasse Paraphrasen mit gleichen (ähnlichem) Gegenstand und verschiedener Aussage zu einer Paraphrase zusammen (Konstruktion/Integration)! Z4.4: Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zuhilfe!«75
Die zweite Technik qualitativer Inhaltsanalyse, die Explikation bzw. Kontextanalyse, zielt darauf ab, »[…] zu einzelnen fraglichen Textteilen (Begriffen, Sätzen, …) zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert, das die Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet.«76 Das Grundprinzip dieser inhaltsanalytischen Form lautet: Es ist eine genaue Definition dessen, was an zusätzlichem Material zur Erklärung der Textstelle zugelassen wird, anzugeben. Mayring unterscheidet in Anlehnung an Johannes Volmert eine enge und weite Kontextanalyse. Bezieht sich die enge Kontextanalyse auf die direkten Bezüge im Text, so greift die weite Kontextanalyse über das primäre Material hinaus und kann sich auf vorangegangene Informationen, Hintergrundinformationen, den Verstehenshorizont, aber auch den Verhaltens- und den Situationskontext der zu erklärenden Textstelle beziehen.77 Die so genannten E-Regeln, die von Mayring für dieses Verfahren aufgestellt worden sind, lauten wie folgt: »E1: ›Lexikalisch-grammatikalische Definition‹ [Herv. i.O.] E1.1: Bestimme die vom sprachlichen und soziokulturellen Hintergrund relevanten Lexika und Grammatiken! E1.2: Analysiere danach die Textstelle auf ihre grammatikalische und lexikalische Bedeutung!
75 Ebd., S. 62. 76 Ebd., S. 58. 77 Ebd., S. 77.
104 | F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID
E1.3: Überprüfe, ob die Textstelle dadurch bereits hinreichend erklärt ist! E2: ›Bestimmung des Explikationsmaterials‹ [Herv. i.O.] E2.1: Beginne beim engsten Textkontext, d.h. beim direkten Umfeld der zu explizierenden Stelle im Text! E2.2: Schreite zu immer weiterem Kontext fort, wenn die Überprüfung der Explikation nicht befriedigend war! E3: ›Enge Kontextanalyse‹ [Herv. i.O.] E3.1: Sammle alle Aussagen, die in einer direkten Beziehung zur fraglichen Stelle im direkten Textkontext stehen, d.h. die sich definierend, erklärend, ausschmückend, beschreibend, beispielgebend, Einzelheiten ausführend, korrigierend, modifizierend, antithetisch, das Gegenteil beschreibend zur Textstelle verhalten! E3.2: Überprüfe, ob die zu erklärende Textstelle im Text noch in gleicher oder ähnlicher Form auftaucht und untersuche den dortigen engen Textkontext! E4: ›Weite Kontextanalyse‹ [Herv. i.O.] E4.1: Überprüfe, ob zum Verfasser der Textstelle weiteres explizierendes Material zugänglich ist! E4.2: Ziehe Material über die Entstehungssituation des Textes zur Erklärung heran! E4.3: Überprüfe, ob aus dem theoretischen Vorverständnis explizierendes Material abgeleitet werden kann! E4.4: Überprüfe, ob aufgrund des eigenen allgemeinen Verstehenshintergrundes weiteres Material heranzuziehen ist! E4.5: Begründe die Relevanz, den Bezug des gesammelten Materials zur fraglichen Textstelle! E5: ›Explizierende Paraphrase‹ [Herv. i.O.] E5.1: Fasse das zur Explikation gesammelte Material zusammen […] und formuliere daraus eine Paraphrase für die fragliche Textstelle! E5.2: Bei widersprüchlichem Material formuliere mehrere alternative Paraphrasen! E6: ›Überprüfung des Explikation‹ [Herv. i.O.] E6.1: Füge die explizierende Paraphrase anstatt der fraglichen Stelle in das Material ein! E6.2: Überprüfe, ob im Gesamtzusammenhang des Materials die Textstelle ausreichend sinnvoll ist! E6.3: Wenn die Explikation nicht ausreichend erscheint, bestimme neues Explikationsmaterial und durchlaufe die Analyse aufs neue (ab 3. Schritt)!«78
78 Ebd., S. 79f.
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Die Wirklichkeitsanalyse schließlich versammelt Ansätze, die »[…] Aussagen mit Strukturen der Realität […]«79 vergleichen. Bei dieser inhaltsanalytischen Technik werden zwei Typen diskriminiert: Die vergleichende und die strukturelle Wirklichkeitsanalyse. Fragt der zweite Typ »[…] nach Eigenschaften, Kriterien […], die Ereignisse haben bzw. haben müssen, um kommuniziert zu werden […]«80, so interessiert sich der erste Typ für die In-Beziehungs-Setzung zweier Wirklichkeitsebenen. »[D]ie Wirklichkeit aus zweiter Hand [wird] […] mit dem Ereignis oder Merkmalen des Ereignisses direkt verglichen.«81 Es ist dieser Typ der Wirklichkeitsanalyse, der die Lücke schließt, die zwischen den rekonstruierten Bedeutungsgehalten der Fernsehwerbespots und der Wirklichkeitsebene der entsprechenden Zielgruppenkultur besteht. Eingesetzt wird »[…] [d]as Verfahren […] überall dort […], wo die Wirklichkeitsstruktur der Inhalte mit der Wirklichkeitsstruktur der Ereigniswelt in Beziehung gesetzt wird.«82 Die Grenzen dieses Verfahrens liegen im Bereich der Inferenz. Für die visuelle Analyse der Werbebotschaften wird eine der vorliegenden Studie angepasste Methode kultursoziologischer Bildinterpretation verwendet. Die Diskussion verschiedener bildhermeneutischer Ansätze wurde angeleitet durch Fragen nach der im jeweiligen Ansatz präferierten Bedeutungsebene und nach den dazugehörigen Arbeitsschritten. Das Ergebnis dieser Erörterungen ist ein Vorgehen, mit dem die Visualität der Fernsehspots untersucht werden konnten, um die denotativen und konnotativen Bedeutungen zu rekonstruieren. Aufgrund der Marginalität von visuellen Methoden in der Soziologie stand nur wenig Referenzliteratur zur Verfügung. Charakterisiert werden kann die bildanalytische Forschung dadurch, dass sie im Großen und Ganzen hermeneutisch vorgeht. Hinzu kommt, dass die rezipierten deutschen Visuellen Soziologen aus den gleichen theoretischen bzw. kulturhistorischen Quellen schöpfen, um ihr jeweiliges Bildanalyseverfahren zu entwickeln. Jedoch kommen sie zu sehr unterschiedlichen Resultaten. Des Weiteren wurde eine visuelle Methode aus dem amerikanischen Kontext herangezogen. Im Einzelnen sind dies:
79 80 81 82
K. Merten: Inhaltsanalyse, S. 256. Ebd., S. 257. Ebd. Ebd., S. 261.
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•
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Stefan Müller-Doohm (und Kollegen)83, der die kultursoziologische Bildanalyse im Rahmen der Medien- und Kommunikationssoziologie entwickelt, Ralf Bohnsack84, der die dokumentarische Bildanalyse im Rahmen der Kultur- und Wissenssoziologie erarbeitet hat und die Filmanalyse von Norman K. Denzin.85
Sind erst einmal die Bedeutungsebenen in den Ansätzen identifiziert (a), wird der Frage nachgegangen, wie die entsprechenden Methoden konkret organisiert worden sind (b). Aus dem Vergleich dieser drei Verfahrensweisen86 wurde ein Auswertungsprocedere gewonnen, das in der vorliegenden Studie zum Einsatz kam (vergleiche (c)). (a) Bedeutungsebenen Welche Sinn- bzw. Bedeutungsebenen finden sich in den genannten bildanalytischen Verfahren wieder? Im Anschluss an die Semiotik unterscheidet Bohnsack zwei Bedeutungsebenen: Die Denotation und die Konnotation. Das Beispiel, mit dem diese beiden Termini in Bezug auf Bohnsacks Bildinterpretation erläutert werden, ist das von Künstlern wie z.B. Lucas Cranach dem Älteren, Titian oder Caravaggio gemalte Sujet Salomé mit dem Haupt Johannes des Täufers.87 »Wenn ich ein Bild auf der denotativen bzw. ›vor-‹ikonographischen Ebene [Herv. i.O.] betrachte, so kann ich auf einem Bild ›eine halbnackte Frau mit
83 Vgl. S. Müller-Doohm: Aspekte, S. Müller-Doohm: Visuelles Verstehen, S. Müller-Doohm: Bildinterpretation, T. Jung/S. Müller-Doohm: Die kulturelle Kodierung, T. Jung/S. Müller-Doohm/L. Voigt: Wovon das Schlafzimmer. 84 R. Bohnsack: Heidi, R. Bohnsack: Bild- und Fotointerpretation, R. Bohnsack: Bildinterpretation, R. Bohnsack: Qualitative Methoden der Bildinterpretation, R. Bohnsack: Bild- und Textinterpretation. 85 N.K. Denzin: Images, N.K. Denzin: Cinematic Society, D.K. Denzin: Reading Film. 86 Dies sind selbstverständlich nicht alle bildanalytischen Verfahren. Bereits im deutschsprachigen Raum gibt es noch eine Reihe weiterer Bildanalyseformen: Z.B. die so genannte Sequenzanalyse von Roswitha Breckner (vgl. R. Breckner: Abgelegte Erinnerungen, R. Breckner: Körper im Bild) oder die wissenssoziologische Bildanalyse von Jo Reichertz (vgl. J. Reichertz: Der Morgen danach, J. Reichertz: Selbstgefälliges zum Anziehen, J. Reichertz: Wissenssoziologische Verfahren der Bildanalyse). 87 Vgl. z.B. G. Warwick: Caravaggio, in dem auch das oben erwähnte Gemälde zu finden ist.
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einem Männerkopf auf einem Teller‹ [Herv. i.O.] identifizieren. Erst auf der konnotativen bzw. ikonographischen Ebene erscheint mir dieses Bild als die Darstellung von ›Salomé‹ [Herv. i.O.].«88 Mit dieser Bestimmung der Ebenen, auf denen Bedeutung im Bild lokalisierbar ist, geht Bohnsack über, das adäquate methodische Instrumentarium zu erarbeiten. In diesen Bemühungen bringt Bohnsack semiotische Überlegungen, nämlich die Unterscheidung der beiden Sinnebenen (Denotation und Konnotation) in Anknüpfung an Umberto Eco und Roland Barthes, mit der kunstgeschichtlichen Methodik von Erwin Panofsky zusammen. Panofsky selbst differenziert neben jener methodischen Unterscheidung von vor-ikonografischer und ikonografischer Beschreibung noch eine dritte Stufe aus: Die ikonologische Interpretation.89 Verdeutlichen wir uns diese Stufen und daraus resultierenden Bedeutungsdifferenzierungen an der Urszene, die uns Panofsky präsentiert, und die sich auf das Handeln eines Mannes konzentriert – einem Mann, der seinen Hut zieht90: »Grüßt mich ein Bekannter auf der Straße durch Hutziehen, ist das, was ich unter einem formalen Blickwinkel sehe, nichts als die Veränderungen gewisser Einzelheiten innerhalb einer Konfiguration, die einen Teil des allgemeinen Farben-, Linien- und Körpermusters ausmacht, aus dem meine visuelle Welt besteht. […] Nun werden natürlich die dergestalt identifizierten Gegenstände und Ereignisse eine bestimmte Reaktion in mir hervorrufen. […] Diese psychologischen Nuancen werden die Gebärden meines Bekannten mit einer weiteren Bedeutung füllen, die wir ausdruckshaft nennen. Sie unterscheiden sich dadurch von der Tatsachenbedeutung, daß sie nicht durch einfache Identifikation, sondern durch ›Einfühlung‹ [Herv. i.O.] erfaßt wird. […] Daher kann man die tatsachenhafte und ausdruckshafte Bedeutung zusammen klassifizieren: Sie bilden die Klasse primärer oder natürlicher Bedeutungen. Meine Erkenntnis jedoch, daß das Hutziehen für ein Grüßen steht, gehört einem völlig anderen Interpretationsbereich an. […] Wenn ich daher das Hutziehen als ein höfliches Grüßen interpretiere, erkenne ich darin die Bedeutung, die sekundär oder konventional heißen mag. […] Und schließlich: Die Handlung meines Bekannten kann […] einem erfahrenen Beobachter enthüllen, was seine ›Persönlichkeit‹
88 R. Bohnsack: Qualitative Methoden der Bildinterpretation, S. 244. Ausführungen über das Salomé Gemälde finden sich in Eco (vgl. U. Eco: Einführung, S. 242f.), der wiederum an Erwin Panofsky’s Aufsatz von 1932, Das Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, anschließt. 89 Vgl. O. Bätschmann: Logos, O. Bätschmann: Einführung, S. 55f. 90 Vgl. W.J.T. Mitchell: Picture Theory, S. 25f.
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[Herv. i.O.] ausmacht. Diese Persönlichkeit ist dadurch bestimmt, daß es sich um einen Mann des 20. Jahrhunderts handelt, und außerdem durch seine nationale, soziale und bildungsmäßige Herkunft, durch seine vorangegangene Lebensgeschichte und durch seine gegenwärtige Umwelt; doch ebensosehr zeichnet sie sich durch eine individuelle Weise aus, Dinge zu sehen und auf die Welt zu reagieren […] Die so entdeckte Bedeutung mag die eigentliche Bedeutung oder der Gehalt heißen; sie ist wesentlich […]«91.
Sehen wir uns in folgender Tabelle die entscheidenden Differenzierungen an, die Panofsky trifft, ergänzt durch Bohnsack’sche Begrifflichkeiten und in der Soziologie ausdifferenzierter Sinn-Schichten. Tabelle 9: Übersicht über das Beispiel von Panofsky Beispiel Akt der Interpretation
Sinn-Ebenen (nach Panofsky)
Hut ziehender Mann vor-ikonoikonografisch grafisch Beschreibung Phänomensinn (erscheinungshaft)
Bedeutung
Zuordnung semiotischer Begrifflichkeiten (nach Bohnsack) Zuordnung von in der Soziologie ausdifferenzierter Sinn-Schichten92
Interpretation Wesenssinn (wesenhaft)
individuell Ausdruck, z.B. linkisches Wesen
Differenzierung des Wesenssinns (nach Panofsky)
Art der Vermittlung
ikonologisch
sinnlich vermittelt tatsachen- und ausdruckshaft primäre oder natürliche Denotation (stumpfer Sinn) subjektiver Sinn
kollektiv Ausdruck eines/r - Milieus - zeitgeschichtl. Phase - Epoche
intellektuell vermittelt ausdruckshafte Nebenbedeutung sekundäre oder konventionelle Konnotation (entgegenkommender Sinn) objektivierter, intersubjektiv gültiger Sinn (sozialer Sinn)
dokumentarische
subjektiver Sinn
sozialer Sinn
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
91 E. Panofsky: Ikonographie, S. 36ff. Das dort von Panofsky entwickelte Stufenmodell kunstgeschichtlicher Interpretation findet sich zuerst in dem weiter oben erwähnten Aufsatz von 1932. 92 R. Bohnsack: Qualitative Methoden der Bildinterpretation, S. 246.
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Bohnsack interessiert sich in seinen Analysen nicht für die Konnotationen. Dieser entgegenkommende Sinn bzw. konnotative Code überdeckt das, was am Bild Bild sein will mit einer Schicht sprachlicher Referenzen, literarischen und kulturellen Wissens. Jene Ikonizität, das Bildliche am Bild bzw. visuelle Wissen, ist diejenige »[…] Botschaft, die nur durch das Bild zu vermitteln ist.«93 Mit der gedanklichen Einklammerung des ikonografisch zu erschließenden konnotativen Bedeutungsgehalts versucht Bohnsack eben jene, die so genannte denotative Botschaft des Bildes, aufgehoben in der formalen Bildkomposition, zu entschlüsseln.94 Dies ist die Entschlüsselung genau jener, nur durchs Bild zu vermittelnden Botschaft, deren Charakteristikum er im Anschluss an Max Imdahl in der »[…] Sinnkomplexität des Übergegensätzlichen […]«95 erkennt. Er führt weiter aus: »Die Frage nach dem ikonologischen Sinngehalt ist also diejenige nach dem ›Habitus der Bildproduzent(inn)en‹ [Herv. i.O.]. Wobei es hier wiederum grundsätzlich zwei […] Arten von Bildproduzent(inn)en zu unterscheiden gilt: Auf der einen Seite haben wir den […] ›abbildenden‹ [Herv. i.O.] Bildproduzenten, also […] die Akteure, als Produzenten ›hinter‹ [Herv. i.O.] der Kamera […] Auf der anderen Seite haben wir den ›abgebildeten‹ [Herv. i.O.] Bildproduzenten, also die Personen, Wesen oder sozialen Szenerien, die zum Sujet des Bildes gehören bzw. ›vor‹ [Herv. i.O.] der Kamera agieren.«96
Mit diesem objekttheoretischen Zuschnitt ist Bohnsack’s letztendlicher Erkenntniszweck der, zu beantworten wie Bilder hergestellt wurden, das heißt wie sich der dazugehörige modus operandi der BildProduzent/-innen – das ist eben jener Habitus, verstanden als Resultat kollektiver Geschichte und individueller Erfahrungen – darstellt. In der vorliegenden Studie jedoch geht es nur um die Personen vor der Kamera und um diese Frage, welche Bedeutungen die formale Struktur, aber auch die inhaltlichen Elemente der Bilder transportieren. Genau an dieser Stelle setzt Stefan Müller-Doohm an. Gleichwohl wie Bohnsack referiert er auf die relevanten soziologischen (Goffman, Bourdieu, Barthes) und kunsthistorischen Referenztheoretiker (Panofsky, Imdahl), kommt jedoch in seiner Analyse von Werbematerialien zu beträchtlich anderen Ergebnissen. In seinen Bildanalysen will
93 R. Bohnsack: Qualitative Methoden der Bildinterpretation, S. 246. 94 Vgl. z.B. H.-G. Soeffner/R. Hitzler: Hermeneutik als Haltung, S. Lamnek: Qualitative Sozialforschung oder U. Flick: Qualitative Sozialforschung. 95 R. Bohnsack: Qualitative Methoden der Bildinterpretation, S. 247. 96 Ebd., S. 248.
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er aufzeigen, »[…] in welcher Weise sich die Inszenierungen der Werbung des kollektiven Symbolhaushalts einer objektiven Kultur bedienen und dabei Umdeutungen vornehmen, die kulturell folgenreich sein können.«97 Das Bild ist bei ihm eine Trias von Symbol, Bedeutung und Sinn. Im Anschluss an das Sprachkonzept Karl Bühlers unterscheidet er drei Bedeutungsebenen: Die intendierte Bedeutung (subjektiver Sinn), die wörtliche Bedeutung (objektiver Sinn oder auch Denotation) und die intersubjektiv gültige bzw. symbolische Bedeutung (sozialer Sinn oder auch Konnotation). Diese drei Bedeutungsstufen werden auf der Ebene der manifesten Aussagen lokalisiert. Unterhalb dieser verortet er die Sinnebene latenter Strukturprinzipien. Diese Strukturierungsprinzipien sind den symbolischen Formen immanente Regeln, die sich zueinander verhalten wie Teil und Ganzes. Die analytische Referenzebene von Müller-Doohm ist der konnotative Haushalt, der in dem semantisch-ikonischen Material impliziert ist. Diesen gilt es in der Analyse zu rekonstruieren. Im Vergleich der beiden Ansätze ist festzuhalten, dass die beiden Autoren trotz bestehender Unterschiede bezüglich der einzelnen Bedeutungsebenen in einer Hinsicht übereinstimmen: In Sachen konnotativen Bedeutungsgehalts. Die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung taucht in der Bildanalyse von Bohnsack nicht auf, ganz im Sinne mit der wissenssoziologischen Perspektive, die mit Bezug auf die latenten Sinnstrukturen von einer Metaphysik der Strukturen spricht.98 Doch zurück zur Ebene der Bedeutungen: Bohnsack nun klammert genau das aus, woran Müller-Doohm in seinen Analysen interessiert ist, den konnotativen Bedeutungsgehalt. Im Bild stößt er zu den die Kultursoziologie interessierenden soziokulturellen Mustern durch. Bohnsack hingegen geht von der Prämisse aus, dass das durch die Ikonizität vermittelte Verständnis ausgeblendet bleibt, solange nicht der konnotative Schleier durchstoßen wird. Erst nach dieser Operation ist das visuelle Wissen erschließbar. Wie sieht dies bei einem pragmatischen Amerikaner wie Denzin aus? Die von ihm verfolgte Visuelle Soziologie gilt als eine »[…] Forschungsrichtung, die sich um eine kritische Interpretation bildlicher Repräsentationen bemüht. […] Als Material dienen ihr Fotografien, Anzeigen, Werbespots, alle Arten audio-visueller Aufnahmen, Geschichten, Fernsehsendungen, Dokumentar- und Spielfilme.«99 Auch er identifiziert zwei Bedeutungsschichten, da die Sprache der Filme
97 S. Müller-Doohm: Bildinterpretation, S. 86. 98 Vgl. J. Reichertz: Verstehende Soziologie, S. 88. 99 N.K. Denzin: Reading Film, S. 417.
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und Fotografien »[…] eine Sprache der Gefühle und Bedeutungen [sprechen]. Sie enthalten ein Vokabular und eine Ansammlung von Rahmungen, die dem Betrachter die Wirklichkeit vermitteln und sie für ihn definieren.«100 Er benennt diese beiden Schichten so: Realistische und subversive Bedeutungsebene. Die realistische Ebene, das Bild X bildet das Phänomen X ab, ist nach Denzin durch vier Merkmale gekennzeichnet. Die visuellen Vorlagen sind erstens realistische, wahrheitsgetreue Abbilder eines Phänomens. Zweitens stellen sie Wahrheitsansprüche über die Welt auf, die drittens erfassbar sind durch genaues Lesen ihrer Inhalte und viertens in Beziehung zu universellen Gegebenheiten der menschlichen Existenz stehen. Dies entspricht der Denotation: Ein Bild von einem Auto bildet ein Auto ab. Die subversive Ebene hingegen, das Bild X repräsentiert mehr als nur das Phänomen X, fordert die realistische Lesart heraus. Der Grund hierfür ist die Annahme, »[…] dass der Realismus visueller Vorlagen immer schon durch Vorannahmen und Verzerrungen gefiltert ist.«101 Bei einer genauen Analyse zeigen sich andere Aspekte, wie z.B. Idealisierungen oder Ideologisierungen. Dies entspricht der Konnotation: Ein Bild von einem Auto repräsentiert z.B. Freiheit oder Wohlstand. Vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen zur interpretativen Kulturtheorie ist entscheidend, dass die Ebene des konnotativen Bedeutungsgehalts mit der ikonologischen Ebene zusammenfällt, wie die kulturunabhängige vor-ikonogafische Beschreibung der Konfigurationsveränderung (Hutziehen) als Ereignis und die kulturgebundene ikonografische Dechiffrierung dieser Konfigurationsveränderung als Ziehen eines Hutes, was Grüßen bedeuten kann, auseinander fällt. Was hat dies für Konsequenzen? Jenes Handeln des Herrn könnte auch anders ausgelegt werden. Eine mögliche Lesart trägt Bohnsack selbst vor: Das Hut ziehen ist Ausdruck des linkischen Wesens des Mannes (intellektuell vermittelter subjektiver Sinn). Eine andere Lesart kann lauten: Es ist ein verabredetes geheimes Zeichen vor einem Banküberfall (sozialer Sinn). Es ist nun jene zweite Lesart, die ich in meiner eigenen Forschung aufgreife. Da das Verhältnis zwischen Vor- und Darstellung ein konventionelles ist, wird nach Ausdeutungsmöglichkeiten im Rahmen einer historischen Situation und den daraus resultierenden dynamischen Potenzialen gefragt. Wenden wir uns nun der Frage zu, welche Arbeitsschritte bei der Bildinterpretation abgearbeitet werden müssen, um diese Bedeutungsschichten zu rekonstruieren.
100 Ebd., S. 423. 101 Ebd., S. 424.
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(b) Arbeitsschritte Da, so Müller-Doohm, die kultursoziologische Bildanalyse Bildinhaltsanalyse ein will, müssen verschiedene Analysestufen durchlaufen werden. Nur dadurch ist gewährleistet, zu diesen Bildinhalten, den Bedeutungen (und dem Sinn), zu gelangen. Sehen wir uns den Ablauf der Analyse bei ihm an. Er unterscheidet, bevor es zu dem entscheidenden dreiphasigen Interpretationsmodell kommt, einen Verfahrensablauf, der folgende Schritte enthält.102 In einem ersten Schritt erfolgt eine Bildersteindrucksanalyse: Es wird die Primärbotschaft (im Sinne einer ersten Botschaftsklassifikation) festgehalten, dann die dargestellten Objekte und Personen, die verwendeten markanten Stilelemente und schließlich die primäre Inszenierungsmachart. In einem zweiten Schritt erfolgt eine hypothetische Typenbildung auf Grundlage jener Materialsichtung (Ersteindrucksanalyse) und Familienähnlichkeiten im Material. In einem dritten Schritt wird diesen konstruierten Typen das Gesamtmaterial zugeordnet und ein Prototyp (dieser enthält die meisten Merkmale der jeweiligen Klasse) ausgewählt. Der vierte Schritt nun besteht in einer Einzelfallanalyse dieses Prototyps. Die Bild- und Textanalyse des vierten Schrittes folgt dem oben erwähnten dreiphasigen Interpretationsmodell. Tabelle 10: Übersicht über das Modell von Müller-Doohm Phase 1: Deskription
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genaue Beschreibung der einzelnen Bildelemente präzise Wiedergabe von Farben, Farbnuancen, und Farbkontrasten, von perspektivischen und planimetrischen Bildverhältnissen Kennzeichnung des Stellenwertes und Umfangs von Text und Bild sowie ihr räumliches und grafisches Verhältnis zueinander Verbalisierung ästhetischer Elemente
Phase 2: Interpretation
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eigentliche Bedeutungsanalyse, akribische Rekonstruktion
Phase 3: Generalisierung
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kultursoziologische Interpretation als Strukturgeneralisierung (im Rahmen der Objektiven Hermeneutik von Ulrich Oevermann)
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Quelle: Selbst erstellte Tabelle, vgl. T. Jung/S. Müller-Doohm/L. Voigt: Wovon das Schlafzimmer, S. 256ff.
Vergleichen wir diese Analyseschritte mit denen, die Denzin für seine Filmanalyse vorschlägt.
102 Vgl. S. Müller-Doohm: Bildinterpretation, S. 98ff.
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Tabelle 11: Übersicht über das Analyseverfahren von Denzin Phase 1: Sehen und Fühlen
(a) visuelle Dokumente als umfassende Einheit betrachten (Gesamtaufnahme) (b) sehen und hören der visuellen Dokumente – niederschreiben von Empfindungen und Eindrücken (c) alle Fragen notieren, die einem in den Sinn kommen
Phase 2: Welche Fragen soll man stellen?
(a) Formulierung der Forschungsfrage (b) Welche Fragen will der Text beantworten? (c) Wie werden kulturelle Schlüsselwerte repräsentiert und definiert? (d) anlegen eines Belege-Verzeichnisses, achten auf Schlüsselszenen und Bilder
Phase 3: Strukturierte Mikroanalyse
(a) erstellen einer Mikroanalyse anhand der Szenen, transkribieren der Redebeiträge, beschreiben der Szenen, notieren von Zitaten (b) bilden von Mustern und Sequenzen, suche nach derart gebildeten Mustern und Sequenzen (c) anfertigen einer detaillierten Beschreibung (d) Wie präsentiert das Material die objektive Realität? Wie werden Fakten behandelt, Erfahrungen wiedergegeben, Wahrheiten dramatisiert? (e) Forschungsfrage im Blick behalten! (f) identifizieren von zentralen Momenten im Film/Text, in denen Wertkonflikte auftauchen (g) herausarbeiten, auf welche Weise Film/Text/ Bilder zu diesen Werten Stellung nehmen
Phase 4: Suche nach Mustern
(a) zurückgehen zur Gesamtaufnahme (b) Film nochmals ganz ansehen bzw. alle Fotografien in ihrer Reihenfolge vor sich hinlegen (c) zurückkehren zur Forschungsfrage: In welcher Weise behandeln Dokumente ihre Frage und wie beantworten sie sie? (d) gegenüberstellen der realistischen und subversiven Lesart des Textes (e) formulieren einer Interpretation auf Basis dieser Leitlinie
Quelle: Selbst erstellte Tabelle, vgl. N.K. Denzin: Reading Film, S. 426ff.
Sehen wir uns schließlich die Analyseschritte bei Bohnsack an, der mit dem Ziel, die ikonischen Zeichen als solche zu interpretieren, die konnotative Bedeutungsebene einklammert. Mit dieser Einklammerung erübrigt sich der ikonografische Schritt. Somit kommt er zu einem zweistufigen Verfahren mit den folgenden beiden Stufen: Der erste Schritt ist die formulierende Interpretation, angesiedelt auf der vorikonografischen Ebene. Sie beschreibt sowohl den Bildvorder- und Bildhintergrund. Ikonografische Elemente werden in diesem Schritt durch Common-Sense Typisierungen eingeholt. Der zweite Schritt ist die reflektierende Interpretation. Sie leistet eine ikonische Interpretation und formale Kompositionsanalyse, indem sie die Planimetrie, die szenische Choreographie und perspektivische Projektion wiedergibt.
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(c) Arbeitsschritte für die vorliegende Studie Aus dem Vergleich der unterschiedlichen bildanalytischen Ansätze ergibt sich für die vorliegende Studie dies Procedere. Da es sich bei den aus dem theoretischen Bezugsrahmen abgeleiteten Fragestellungen um Fragen nach der denotativen und konnotativen Bedeutungsschicht handelt, werden zwei Arbeitsschritte nötig. Um die Denotationen zu rekonstruieren ist eine formulierende Interpretation notwendig, in der die Symbole der Fernsehwerbespots lebendig portraitiert wie detailliert beschrieben werden und mit Hilfe einer quasi lexikalischgrammatikalischen Definition die Kernbedeutungen der Bildelemente fixiert werden. In der Terminologie von Denzin dreht es sich hierbei um die Herstellung einer realistischen Lesart. Das Bild eines Ford Taunus 17M P-2 bildet ein Fahrzeug ab. Um jedoch die Konnotationen rekonstruieren zu können, wird eine reflektierende Interpretation notwendig, die auf dem ersten Schritt aufbaut.103 Es wird zusätzliches Material an die Fernsehwerbespots in schließender Kommentierungsabsicht herangetragen, um soziale Bedeutungen der Bildelemente zu rekonstruieren. Es ist mit anderen Worten die Herstellung einer subversiven Lesart. In dieser ist das Bild eines Ford Taunus 17M P-2 nicht länger nur das Abbild eines Fahrzeugs, sondern es symbolisiert z.B. Fortschritt. Mit diesem Schritt betreten wir die von Baudrillard so genannte Hölle der Konnotationen.
3.6 Ü BER
MULTIMETHODISCHE
V ERFAHREN
»Qualitative Forschung ist schwerpunktmäßig multimethodisch und bringt einen hermeneutisch-naturalistischen Zugang zu ihrem Forschungsgegenstand mit sich.«104 Von den Typen der Triangulation, Daten-, Forscher-, Theorien- und Methodologien-Triangulation105, werden in der vorliegenden Studie Daten und Methodologien triangu-
103 Ein Kommentar ist hier geboten, um etwaige Konfusionen zu vermeiden. Es werden nur die Bezeichnungen der Bohnsack’schen Bildanalyse für die Benennung der beiden Schritte übernommen, nicht jedoch die Logik dieser Spielart wissenssoziologischer Bildanalyse; einer Variante, die sich ja gerade durch die Einklammerung des konnotativen Bedeutungsgehalts auszeichnet. Vgl. hierzu auch F. Erickson: Qualitative Methods. 104 N.K. Denzin/Y.S. Lincoln: Handbook, S. 2. »Qualitative Research is multi method in focus, involving an interpretive, naturalistic approach to its subject matter.« 105 Vgl. N.K. Denzin: Research Act, S. 301ff.
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liert. Unter dem Typ der Daten-Triangulation versteht Denzin die Einbeziehung unterschiedlicher Datenquellen, wobei wiederum Datentypen durch ihren unterschiedlichen Bezug auf Personen, Orte und Zeiten differenziert werden und Personendaten abermals mit Bezug auf das Niveau der Aggregierung. In vorliegender Studie liegen neben den Fernsehwerbespots empirische Materialien, in Form von Tabellen, Grafiken und Monografien, zu den einzelnen Positionen des Kommunikationsmodells vor. Der Typ der methodologischen Triangulation bezieht sich auf die verwendeten Methoden, wobei hier zwei Subtypen zu unterscheiden sind: Triangulation innerhalb einer Methode – in dieser Studie ist die ihr angepasste Form der Bildanalyse verschachtelt mit der explizierenden Inhaltsanalyse (es ist dies die so genannte nested strategy106) – und Triangulation von mehreren, verschiedenen Methoden. War die Triangulation »[…] zunächst als eine Strategie der Validierung der Ergebnisse, die mit den einzelnen Methoden gewonnen wurden, konzipiert, [so hat sich der] Fokus […] jedoch zunehmend in Richtung der Anreicherung und Vervollständigung der Erkenntnisse und der Überschreitung der (immer begrenzten) Erkenntnismöglichkeiten der Einzelmethoden verlagert.«107 Der Grund, der ein multimethodisches Verfahren indiziert, ist im empirischen Material der Fernsehwerbespots zu finden. Es ist die Multimodalität dieser Fernsehwerbespots, die die vorliegende Studie multimethodisch vorgehen lässt. Die kultursoziologische Bildanalyse wird zur Untersuchung der visuellen Ebene, die explizierende Inhaltsanalyse zur Untersuchung der auditiven Ebene eingesetzt. Die Vor- und Nachteile, die mit einem derartigen Verfahren verbunden sind, halten sich die Waage. Der Vorteil, der sich aus der nested strategy ergibt, ist die tiefere Einsicht in das Material gegenüber dem Einsatz nur einer Methode. Nachteilig wirken sich vorerst noch die Herausforderungen eines multimethodischen Verfahrens aus. Derartige Verfahren sind äußerst zeitaufwändig und stellen hohe Anforderungen an den Forscher, da dieser mit den jeweils eingesetzten Methoden vertraut sein muss.
106 Vgl. J.W. Creswell: Research Design, S. 16 und S. 213ff. 107 U. Flick: Sozialforschung, S. 331.
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3.7 U NTERSUCHUNGSZEITRAUM UND D ATENBASIS DER S TUDIE F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID Zwölf Fernsehwerbespots der FAG bilden das empirische Material der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid. Diese wurden bei der amerikanischen Werbeagentur Ogilvy, Benson & Mathers in Auftrag gegeben und in den Jahren 1959 bis 1967 in Westdeutschland teils im Halbjahres-, teils im Jahresrhythmus ausgestrahlt. Die Werbebotschaften sind infolgedessen Teil der Massenkommunikation der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den langen fünfziger Jahren (W. Abelshauser). Die Zeitspanne bzw. der Beobachtungszeitraum von acht Jahren kommt durch zwei zentrale Daten zustande: 1959 und 1967. Im Jahr 1959, das initial pattern, steigt die FAG in die fernsehmediale Bewerbung der Produkte der gehobenen Mittelklasse ein. Das Jahr 1967, das terminal pattern, wiederum ist in mehrerlei Hinsicht prägnant. Sozioökonomisch markiert dieses Jahr das Ende der Aufbauphase Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier enden die langen fünfziger Jahre in der Rezession von 1966/67. Firmengeschichtlich ist 1967 das Gründungsjahr von Ford of Europe, einer von London aus geführten Dachorganisation, der die kontinentalen Tochtergesellschaften unterstellt werden. Modellgeschichtlich beginnen für die FAG bei den 17MModellen turbulente Zeiten. Der um ein Jahr nach vorne gezogene Modellwechsel von 1967 glückt nicht und nur ein Jahr später wird dieses Modell, der Ford Taunus 17M P-7a, abgelöst zugunsten des Modells Ford Taunus 17M P-7b.108 Schließlich hat sich auch die Zielgruppenkonstruktion, wie wir im Verlauf der Studie sehen werden, verändert. Aus dieser Reihe von Gründen hat sich der oben genannte Beobachtungszeitraum ergeben. Fernsehwerbespots im Allgemeinen Im Anschluss an die generierte empirische Typologie von Knoblauch und Jürgen Raab109, können folgende Kennzeichen zur Charakterisierung der Binnenstruktur der (kommunikativen) Gattung Fernsehwerbespot aufgeführt werden. Vor dem Hintergrund vielschichtiger Gestaltungsmöglichkeiten und folglich höchster Disparität, Variabilität und höchsten Variantenreichtums, ist diese Gattung vor allem bestimmt durch drei stabile wie drei variable Merkmale. Die konstanten Merkmale sind erstens die Botschaft des Produkts (Worum geht es?), zweitens die Botschaft der Beschreibung und drittens der Werbe-
108 Vgl. A. Weinen: Ford M-Modelle, S. 95ff. und S. 107ff. 109 Vgl. H. Knoblauch/J. Raab: Der Werbespot.
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Slogan. Die modifizierbaren Merkmale sind die visuelle Inszenierung mit Settings, Protagonisten und der Dramaturgie der Produktpräsentation, zum anderen die filmischen Gestaltungsvarianten mit Kameraeinstellung und -bewegung, der Schnitt, die Beleuchtung, die Farben und Realisationsformen sowie drittens die auditiven Darstellungsmöglichkeiten mit verbalen und musikalischen Gestaltungsmitteln. Aus diesen beiden Merkmalen und ihren mannigfaltigen Kombinationen ergeben sich gerade für die Inszenierung von Fernsehwerbespots interessante Möglichkeiten. Fernsehwerbespots erlauben im Gegensatz zu anderen Werbemitteln die direkte Ansprache von zwei Sinnesorganen (visuell und auditiv) – der zweikanaligen Informationsübertragung –, was sich wiederum auswirkt auf den erheblich erweiterten Gestaltungsspielraum (vergleiche Abbildung 8). So können Fernsehwerbespots aufgrund ihrer intensiven Zeichenkodierung samt der Dynamisierung des Bildes »[…] ganze Handlungsstränge audiovisuell in Szene […] setzen.«110 Dies wirkt sich unter anderem auf die Demonstration von Produkten nachhaltig aus. Gerade die Automobilwerbung setzt auf diese Strategie wie es z.B. das Werbeverhalten der Automobilbranche erkennen lässt.111 Abbildung 8: Mögliche Formen werblicher Verschlüsselung in Abhängigkeit vom gewählten Kommunikationsmittel
Quelle: E. Tolle: Werbegestaltungsstrategien, S. 1862.
Fernsehwerbespots im Besonderen Die folgenden (Copy-)Strategien sollen, da diesen eine herausragende Rolle im Beobachtungszeitraum zukommt, an dieser Stelle herausgestellt werden: Slice of Life, Produkt-Präsentation und Life Style.
110 S.J. Schmidt: Handbuch, S. 140. 111 Vgl. ZAW: Werbung in Deutschland 2008, S. 18ff.
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Das Slice of Life Format: Diese Strategie weist die geringste Distanz zur Alltagswelt der Umworbenen auf. Diese Strategie koppelt »[…] eine Alltagssituation […] an ein Produkt […] und [dieses wird] in einer pointierten Episode präsentiert, in der sich die Zuschauer mit Behagen wieder erkennen.«112 Dass hierbei Menschen wie Du und ich als Darsteller auftreten113, zeigt den Versuch, die Daten, welche aus der Marktforschung über die anvisierte Zielgruppe gewonnen worden sind, in den Fernsehwerbespots umzusetzen. Der Kontext des Produkts sind Alltagssituationen wie z.B. der Besuch von Freunden oder die tägliche Rückkehr vom Arbeitsplatz. Das Life Style Format: Diese Strategie geht bereits auf Distanz zur Alltagswelt der Umworbenen; und dies in einem ganz spezifischen Sinn. Diese Strategie betont »[…] wie gut ein Produkt zu einem bestimmten Lebensstil paßt. Life Style Typen werden […] eingesetzt, wenn der Produktgebrauch eher gesellschaftlicher als funktionaler Art ist.«114 Des Weiteren führt Tanja Marlen Schulz zu diesem Format folgende Kennzeichen auf: Dem Produkt soll eine gewisse Modernität gegeben werden, ohne die Vermittlung von Argumenten aus dem Produkt heraus. Die Menschen, die als Darsteller auftreten, sind nicht wie Du und ich, sondern stellen »[…] den Typ Mensch dar, dem die Zielgruppe der Zuschauer anstrebt, anzugehören […]«115. Die oben angesprochene Distanz ist also nur im Zusammenhang mit dem Anspruch des Formats zu verstehen, neben der bisherigen Zielgruppe weitere Konsumentenkreise anzusprechen; Konsumentenkreise, die im Sozialgefüge unterhalb der bislang anvisierten Zielgruppe situiert sind. Die Distanz ist mit anderen Worten eine soziale. Diese spezifische Variante von Distanz und deren Umsetzung in das Symbolensemble folgt anderen Mustern. Die Kontexte der Produktpräsentation sind verschiedenste Schauplätze, die von Stadtbildern bis zu Landschaften reichen. Die Akteure werden eher abstrakt als konkret dargestellt. Das Format der Produkt-Präsentation: Die Strategie der ProduktPräsentation oder auch -Demonstration weist die größte Distanz zur Alltagswelt der Umworbenen auf. In Reinform tritt auf der visuellen Ebene des Fernsehwerbespots nur das Produkt auf. Es gibt keine Darsteller oder sie bleiben marginal. Ein Sprecher aus dem Off, also ausschließlich auf auditiver Ebene, beschreibt das Produkt. Ein solcher
112 S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, S. 158. 113 Vgl. T.M. Schulz: Klassifikation, S. 68ff. E. Tolle: Werbegestaltungsstrategien, S. 867 oder P. Rutherford: Reading the Bessies. 114 T.M. Schulz: Klassifikation, S. 72. 115 Ebd., S. 73.
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auf das Produkt bezogener Werbetext ist unpersönlich, obgleich möglicherweise dieser Text bezogen wird auf einen Darsteller und dessen »[…] laut geäußerte Gedanken […]«116. Derartige Vertextungen bleiben mit anderen Worten anonymisiert. Der Kontext, in dem das Produkt präsentiert wird, ist neutral. Knoblauch und Raab gehen sogar soweit, von einer irrealen Studioatmosphäre zu sprechen.117 Es sind aber neben den Kulissen gerade die Darsteller in Print- und Fernsehwerbung, die Status und Prestige übermitteln.118
116 Ebd., S. 82. 117 Vgl. H. Knoblauch/J. Raab: Der Werbespot, S. 145. 118 Vgl. H. Baldwin: How to, S. 81.
4. Zum Kölner Barock: Der Fernsehwerbespot für den Ford Taunus 17M P-2 In Deutschland vergab man für das Design des P2 das Attribut ›Kölner Barock‹ [Herv. i.O.] in Anlehnung an die in dieser Zeit vorherrschende Einrichtungsmode, die scherzhaft ›Gelsenkirchener Barock‹ [Herv. i.O.] genannt wurde. Es begleitete den 17M sein ganzes Leben lang. Noch heute ist es geläufig, wenn von diesem Taunus-Modell die Rede ist. BERND TUCHEN
4.1 E INSTIEG DER FAG IN DIE GEHOBENE M ITTELKLASSE : 17M-M ODELLE Die Ausstrahlung des Fernsehwerbespots für das Modell Ford Taunus 17M P-2 ab September 1959 ist für die FAG in doppelter Hinsicht Neuland und findet zu einem Zeitpunkt statt, in dem sich zwei für die Modellierung jener Werbebotschaft wichtige Prozesse überlagern. Einerseits sucht die anvisierte Gruppe der mittleren Mittelschicht ihre arrivierte Position zu verteidigen, andererseits bemüht sich die FMC, der amerikanische Mutterkonzern im fernen Dearborn, ihre Einflussnahme auf die in der Welt verstreuten Tochtergesellschaften, somit also auch auf die deutsche Tochter in Köln, zu bewahren. Ein Jahr
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vor der Ausstrahlung dieses Fernsehwerbespots wurde John Samuel Andrews1 durch Henry Ford II. in den Ford-Vorstand berufen. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass an die Unternehmensspitze der FAG erstmalig ein Amerikaner gesetzt wurde, der die in Amerika getroffenen Entscheidungen über Produktentwicklung und -variation in dem deutschen Tochterunternehmen und mithin im deutschen Markt vertreten sollte, sondern auch, dass mit ihm im amerikanischen Kontext geschulte Marketing-Experten in die Vertriebsabteilung der FAG platziert wurden. Diese arbeiteten mit der damals noch in New York sitzenden Werbeagentur Ogilvy, Benson & Mather zusammen. Diese Amerikanisierung des Top-Managements sollte, so Steven Tolliday, den Dearborner Einfluss stärken und führte zu einer Amerikanisierung auf mehreren Ebenen. Zugleich sollte dies deutlich zeigen, dass auch die FAG eigentlich nur eine Außenstelle eines amerikanischen Konzerns ist. Die beiden Jahrzehnte um die Ausstrahlung des Werbespots sind für die anvisierte Gruppe Jahre der dramatischen Expansion (Tertiarisierung) einerseits und Nivellierung mit der traditionellen Unterschicht der Arbeiterschaft (Entproletarisierung) andererseits, von der man sich Jahrzehnte lang abzugrenzen versucht hat. Bei einem Besitzverhältnis von 1:3 in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten konnte das Automobil Ende der fünfziger Jahre noch als Statussymbol gelten. Doch verlor es in einem historisch vergleichslosen schnellen Reallohnzuwachs bei den Arbeitern2 in einer Angleichung der Haushaltsausstattungen mit langlebigen Gebrauchsgütern diese Symbolkraft im Verlauf der 1960er Jahre. Parallel zu dieser Nivellierung schritt die Expansion des tertiären Sektors, dessen kategoriales Rückgrat die Angestelltenschaft ist, unaufhörlich fort, bis dieser Sektor Mitte der 1980er Jahre den sekundären überholte. Neuland betrat die FAG erstens in medialer Hinsicht. Für die Medienentwicklung eröffneten sich seit den fünfziger Jahren neue Horizonte. Nachdem Werner Nestel, der technische Direktor des NWDR, 1948 vorgeschlagen hatte, das Fernsehen einzuführen, wurde zwei Jahre später das erste deutsche Fernsehbild, ein Testbild, gesendet. Nach drei weiteren Jahren konnte die Fernsehbrücke Hamburg-Köln mit einer Sendezeit von zwei Stunden zwischen 20.00 und 22.00 Uhr in Betrieb genommen werden.3 Nach einer ersten Phase zwischen 1945 und 1955, in welcher angefangen mit dem NWDR 1945 die meisten noch existierenden Rundfunkanstalten gegründet wurden, folgte ab
1 2 3
Vgl. H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 160ff. Vgl. J. Mooser: Arbeiterleben. Vgl. J.K. Bleicher: Chronik.
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1956 in Sachen Werbung eine zweite Phase. In dieser begannen die Rundfunkanstalten Werbung auszustrahlen. Am 3. November 1956 wurde der erste Fernsehwerbespot vom BR gesendet.4 Innerhalb der nächsten Jahre folgten die anderen Sender: Am 2. Januar 1958 begann das Werbefernsehen im HR, im SWF und beim SFB, ein Jahr später im SDR. Am 4. April begannen der NDR, WDR und RB Werbung auszustrahlen und schließlich der SR am 9. November 1959. Wie Schmidt und Spieß feststellen, setzte sich das Fernsehen zwischen 1952 und 1957 als Massenmedium durch. Mit kleinen Schritten erst, täglich wurden circa sechs Minuten lang Werbefilme gezeigt, hatte das Zeitalter der Fernsehwerbung in West-Deutschland begonnen.5 Gestützt wurde diese Institutionalisierung durch die Akzeptanz des Fernsehens, die gestiegene Kaufkraft und die Aufnahme der Fernsehgeräte in die Haushalte: Besaßen im April 1953 erst 1.500 Haushalte ein Fernsehgerät, so waren es 1957 bereits 1,2 Millionen Haushalte. Bis Ende 1960 erfolgte nochmals eine Verdreifachung auf 4,6 Millionen Haushalte. Das Zielpublikum der Rundfunkanstalten und Programmveranstalter waren Arbeiter und Angestellte. Obgleich am Beginn dieser skizzierten Entwicklung bei diesen beiden Schichten kaum ein Fernsehapparat im Haushalt zu finden war, waren sie es, die im Erwerb eines Fernsehgerätes schnell zu den Selbständigen (hier vor allem Gastwirte und Rundfunkhändler) aufschlossen.6 Für die FAG beginnt der Einstieg in die Fernsehwerbung 1958 mit der Ausstrahlung eines Werbefilms für das Modell Ford Taunus 12M. Im Jahr darauf wurde der im Mittelpunkt dieses vierten Kapitels stehende Fernsehwerbespot für das Modell Ford Taunus 17M P-2 geschaltet. Mit der Verbreiterung des Produktportfolios steigt die FAG in die gehobene Mittelklasse ein und betrat wiederum Neuland. Diese zweite Produktlinie nach dem Krieg, daher auch P-2, war auf eine Konsumentenschicht ausgerichtet, die es im Folgenden, samt der Bedeutungsmuster und gesellschaftlichen Grundlage, zu identifizieren gilt. Diese neue Zielgruppe zog eine veränderte Ansprache in der Werbung nach sich, gemäß der Prämisse, dass für »[…] den Erfolg einer Kommunikation […] die Ansprache der Zielgruppe im richtigen Dialekt [wichtig ist]. Alle Kundenstämme definieren sich über ihr eigenes Zeichensystem und haben eine emotionale Schnittmenge, über die sie erreichbar sind.«7 Dies wird bei einer Kontrastierung der beiden genannten Fern-
4 5 6 7
Vgl. S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, S. 130. Vgl. Ebd. Vgl. K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 169ff. S. Baumann: MarkenRealitäten, S. 35.
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sehwerbespots deutlich. Beide Werbefilme spielen sich vor derselben Kulisse ab, in der das beworbene Produkt präsentiert wird. Die Differenzen treten bei der Formgebung der beiden Fahrzeuge zu Tage: Insbesondere durch die ausgeprägte Trapezform unterscheidet sich der Ford Taunus 17M vom 12M. Die Differenzen sind auch bei der Zielgruppenansprache, zentral für die vorliegende Studie, aus-zumachen. Ein toller Wagen! Und sieh’ Dir ‘mal diese Seitenlinie an! Guck’ hin Kind, der neue Taunus 12M. Wuchtige Türen, was! Bequemer Einstieg, sehr geschmackvolle Polsterung und eine elegante Armaturenfront. Aha! Typisch Ford: Sicherheitslenkrad. Und das sind Heckleuchten, die man wirklich sieht. Ja, solch einen Kofferraum brauchten wir dringend. Und wie der startet! So, und wir starten morgen zur Probefahrt! Dagegen liest sich der Werbetext für den Ford Taunus 17M aus dem Jahr 1959 wie folgt: Da, der Taunus 17M! Modern, spritzig, solide – und stehen, ja! Sichere, schwere Türen, bequemer Einstieg, großer Innenraum – und Platz für Fünfe. Klare, übersichtliche Armaturenfront. Na, und bessere Heckleuchten habe ich noch nicht gesehen! Und wie der startet! So, und wir starten morgen zur Probefahrt! Diese beiden Werbeansprachen weisen feine Unterschiede in der Zielgruppenansprache auf, z.B. festzumachen an der Modernität des Wagens, seiner Solidität und der Geräumigkeit. Dass diese Werbung mit ihrer Referenz auf die anvisierte Zielgruppe der mittleren Mittelschicht Mehrdeutigkeiten aufweist und der für den Ford Taunus 17M P-2 bekannte Spitzname Kölner Barock dabei eine negative, abwertende Bezeichnung der Zielgruppe für das Produkt ist – so die Vermutung –, soll auf den nachfolgenden Seiten rekonstruiert werden. Will man nachvollziehen, vor welchem soziokulturellen Hintergrund sich die Ausstrahlung des Fernsehwerbespots für den Kölner Barock vollzog, und weshalb die Zielgruppenansprache in bestimmten Aspekten Ambivalenzen aufzeigt, muss man folgende drei Stränge verfolgen: Erstens muss die anvisierte Konsumentenkreis bzw. die Gesellschaftsschicht dieser Fahrzeugklasse identifiziert werden. Es muss deren Entstehung, die nur auf der Folie der Entwicklung der Sozialstruktur im Rahmen der Industrialisierung Deutschlands seit den achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts Sinn macht, nachvollzogen werden und deren Entwicklung bis zum Ausgang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts dargestellt werden. Schließlich, und für das Verständnis
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des Fernsehwerbespots zentral, werden die gesellschaftliche Grundlage und Bedeutungsmuster der identifizierten Schicht charakterisiert. Hier folgt ein Exkurs über Marktforschung, mit deren Hilfe überhaupt erst Verbraucherinformationen zur Gestaltung von Werbung im Allgemeinen und Fernsehwerbespots im Besonderen relevant werden. Zweitens wird die Geschichte der FAG skizziert, um zeigen zu können, welches Image das amerikanische Unternehmen zu jener Zeit gehabt hat und welche Ambitionen der Konzern für sich in Anspruch nahm. Drittens muss nachvollzogen werden, welche Informationen der entsprechenden Konsumentenschicht im Fernsehwerbespot modelliert worden sind. Der letzte Punkt nimmt Bezug auf die Inszenierung der Informationen in Form von Visualisierung und Vertextung durch die Werbeagentur Ogilvy, Benson & Mather8, also auf das auditive und visuelle Symbolensemble im Fernsehwerbespot. Die Analyse des Fernsehwerbespots für das 17M-Modell ist infolgedessen in drei Schritte untergliedert. In einem ersten Schritt wird der Kontext des Fernsehwerbespots skizziert (4.2), in einem zweiten Schritt der Fernsehwerbespot (4.3) rekonstruiert und im Anschluss daran werden diese beiden Wirklichkeitsebenen aufeinander bezogen (4.4).
4.2 D ER K ONTEXT DES W ERBESPOTS : Ü BER Z IELGRUPPEN UND M ARKEN 4.2.1 Eine kurze Geschichte der FAG mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Mutterkonzern (FMC) und Tochtergesellschaft Die Geschichte der FAG beginnt nicht erst mit der Grundsteinlegung für das Produktionswerk in Köln, 1930. Die Geschichte beginnt bereits mit der Gründung der FMC durch Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts, 1903. Bereits in diesem Jahr erschienen die Produkte auf dem deutschen Markt und anderen kontinental-europäischen Ländern.9
8
9
Vgl. S. Vieser: Slogans, S. 152, aber auch D. Ogilvy: Geständnisse, S. 36. Diese 1948 gegründete Werbeagentur hieß in ihren Anfangsjahren noch Ogilvy, Benson & Mather. Die Stationen sind (vgl. P. Thomes, Searching): 1903 erster Händler in Stolp, Verkauf von amerikanischen Produkten auf dem deutschen Markt 1925 Gründung der Ford Motor Company A.G. in Berlin (assembling)
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Im Rahmen der vorliegenden Studie, also bei der Betrachtung des Einflusses des Unternehmens auf die Werbung im Allgemeinen und auf die Fernsehwerbung im Besonderen, treten zwei Aspekte in den Vordergrund. Der eine Aspekt dreht sich um einen Traum Henry Fords, einen Universalwagen (univseral car-Konzept) zu bauen. Henry Ford (18631947), Automobilkönig und lange Zeit Gravitationszentrum für eine Reihe ambitionierter und genialer Persönlichkeiten in der Ford Motor Company, einer der größten Automobilhersteller der Welt, entstammt einer Farmerfamilie aus Michigan. Er interessierte sich schon frühzeitig für die Funktionsweise von Technik und Maschinerie, obgleich es nicht viele aus eigener Kraft angetriebener Maschinen im mittleren Westen der Vereinigten Staaten gab. Im Laufe seiner Jugend konnte er dennoch einige Erfahrung sammeln, indem er Uhren reparierte oder aber sich Dampfmaschinen erklären ließ und selbst eine stationäre Dampfmaschine bediente und Instand hielt. Dieses Interesse begann sich im Laufe der 1880er Jahre auf pferdelose Kutschen zu konzentrieren. Im Winter 1893/94 jedenfalls war es dann soweit und Henry Ford konnte – mittlerweile verheiratet – seiner Frau eine ZweizylinderMaschine vorführen. Der nächste Schritt bestand darin, diese Maschine mit einem Rahmen mit vier Rädern, einer Deichsel, gedacht als Lenkrad und einem Behältnis für den Treibstoff zu verbinden. 1896 präsentierte er sein Gefährt: Das so genannte Quadricycle. Zwischen diesem ersten Ford-Wagen und dem berühmten Ford Modell T von 1908 liegen mehrere Rennwägen und die für die Produktion konzipierten Modelle A bis S. Modelle, in die Stück für Stück Produktverbesserungen eingingen, wie z.B. Vanadiumstahl, der die Chassis zugleich leicht, stark und strapazierfähig machte. Änderungen, die sich auf den Preis des Produkts beziehen: Das große und teuere Sechszylinder KModell für 2.500 US-Dollar konnte im Vergleich mit dem N-Modell für 500 US-Dollar sehr schlecht abgesetzt werden. Dieses N-Modell lief nicht nur dem großen Wagen den Rang ab, sondern wurde bereits in verhältnismäßig hohen Stückzahlen produziert. Es wurde aber auch schon mit dem Prinzip der Austauschbarkeit der Einzelteile, was bei der Massenproduktion eines technisch hoch komplexen Konsumguts zentral wird, experimentiert. Die Krönung dieser stetigen, sich über
1931 Eröffnung des Werkes in Köln-Niehl (manufacturing) 1939 Umbenennung der FMC A.G. in Ford-Werke A.G. Zu beachten ist, dass »[…] [i]n the literature, a critical basic history of FAG does not exist […] Some of the points presented here, therefore, have to be considered preliminary.« P. Thomes: Searching, S. 151f.
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Jahre hin erstreckende Entwicklung ist das T-Modell. Mit diesem Automobil, hohe Bodenfreiheit aufweisend und hinreichend widerstandsfähig, um mit der Straßenbeschaffenheit des ländlichen Amerikas zurechtzukommen, ausgestattet mit einem »[…] Vierzylindermotor mit hohem Drehmoment, Elastizität und großem Volumen […]«10 und einem Preis von 850 Dollar – ein durchschnittliches Lehrergehalt betrug, so Robert Lacey, 850 Dollar im Jahr –, erreichten Henry Ford und seine Mitarbeiter zwei Ziele. Dieses Fahrzeug war erstens leicht zu bedienen und zweitens geeignet für die Produktion in hohen Quantitäten. Ersteres war entscheidend in einem Umfeld, in dem überhaupt das erste Mal ein Automobil angeschafft wurde, und letzteres in der Aussicht, nicht nur einige Fahrzeuge für Wohlhabende zu bauen, sondern serienweise für die breite Masse. In deren Reichweite kam es aufgrund des Preises, der im Verlauf der Produktion dieses einen Modells bis auf 260 Dollar sank. Der damit verbundene Traum buchstabiert sich wie folgt aus: Mit dem T-Modell von Ford war ein Wagen in die Welt gekommen, der für alle Straßen dieser Welt geeignet, aber auch für alle Kulturen dieser Welt erschwinglich schien. Welchen Glaubenssatz Ford hierbei verfolgte, um diesen Traum zu verwirklichen, kommt gut zur Geltung in seinen Aussagen über (Produkt-)Verbesserungen sowie über die Einfachheit (des Produkts). Dies findet sich wieder in einer der ersten Printwerbungen. »Wenn von Verbesserungen die Rede ist, wird gewöhnlich eine Änderung des Produkts geplant. Ein ›verbessertes‹ [Herv. i.O.] Produkt ist eines, das eine Änderung erfahren hat. Meine Auffassung von ›Verbesserung‹ [Herv. i.O.] ist jedoch eine ganz andere. Ich halte es für falsch, überhaupt mit einer Produktion zu beginnen, bis man nicht den Artikel selbst vervollkommnet hat. […] Die Produktion muß von dem Artikel selbst ausgehen. Fabrik, Organisation, Vertrieb und Finanzpläne werden sich schon dem Artikel anpassen. […] Das, worauf es in erster Linie ankommt, ist das Produkt, und jede Überstürzung der Produktion, noch ehe der Plan zu dem Produkt vollendet ist, bedeutet nur Zeitverschwendung. […] Zweck unserer Arbeit ist, ein Automobil speziell für den Alltagsgebrauch und Alltagsnutzen, zu geschäftlichen, beruflichen oder Erholungszwecken für die Familie zu bauen und auf den Markt zu bringen; ein Automobil, das genügend Schnelligkeit aufzubringen vermag, um den Durchschnittsfahrer vollauf zu befriedigen, ohne indes die halsbrecherischen Fahrtgeschwindigkeiten zu erreichen, die heute so allgemein verurteilt werden, einen Wagen, der von allen Männern, Frauen und Kindern gleichmäßig um seiner Stabilität, Einfachheit, praktischer Bequemlichkeit und – last not least –
10 K. Möser: Geschichte, S. 159.
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seines außerordentlich mäßigen Preises willen bewundert wird, – bei einem Preise, der ihm einen vieltausendköpfigen Käuferkreis erschließen wird, welcher niemals hätte daran denken können, die schwindelhaften Preise zu zahlen, die für die meisten Wagen verlangt werden.«11
Das T-Modell, auf das Henry Ford sich in dieser Anzeige bezieht, ist zu einer amerikanischen Ikone geworden. Es ist knapp zwei Jahrzehnte hergestellt worden, und mit der Produktion dieses Modells ist die Idee der Massenproduktion auf das Engste verquickt. Im Jahr 1927, in dem Jahr also, in dem die Produktion des T-Modells eingestellt wurde, sind von diesem Wagen über 15.000.000 Einheiten hergestellt und abgesetzt worden. Einher gingen mit diesem Wagen, eigentlich eines hoch preisigen Artikels, revolutionäre Preissenkungen. Zur Verdeutlichung dieser globalen Präsenz des T-Modells kann diese Zahl dienen: Um 1920 war die Hälfte aller Automobile, die sich weltweit in Gebrauch befanden, T-Modelle – eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Mit der Formel The Model T put the World on Wheels kann diese Erfolgsgeschichte Henry Fords, seines Produkts und seines Unternehmens, der Ford Motor Company, kurz und bündig wiedergegeben werden.12 Dass hiermit eine Ikone geschaffen worden war, an dem sich auch nachfolgende Generationen von Managern immer wieder orientier(t)en, zeigen die Bestrebungen Andrews, den Ford Taunus 17M P-2 zu einem Einheits-Auto werden zu lassen, der »[…] in großen Stückzahlen und hoher Qualität […]«13 gebaut werden sollte. Diese Bestimmung, sich in den nächsten Jahren nur mit dem Bau eines einzigen Modells zu beschäftigen, war, so Rosellen, die erste Amtshandlung des neuen Chefs Andrews. Dies wurde aber nicht realisiert. Der andere Aspekt bezieht sich auf das Image des Unternehmens14, das vor dem Hintergrund der Internationalisierung des amerikanischen Konzerns sich entweder an den Markt der Aufnahmegesellschaft anpassen kann oder kontinuierlich gegen sein ausländisches Image anzukämpfen hat. »Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die meisten
11 12 13 14
H. Ford: Mein Leben, S. 19f. und S. 62. Vgl. z.B. A. Nevins: Ford, R. Lacey: Ford oder D. Brinkley: Wheels. H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 162. »Wichtige Faktoren zur Erfüllung dieser Ziele [die systematische Beeinflussung des Verhaltens der Abnehmer im Sinne der Unternehmenszielsetzung] sind das Wissen über die Produkte, die Präferenzstruktur der Konsumenten, die Verhaltensweisen der Konsumenten und das Image des Unternehmens.« H. Jung: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 630.
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Deutschen die Ford-Werke als ein amerikanisches Unternehmen ansahen […]«15. Hier wird das Verhältnis zwischen Mutterkonzern und Tochtergesellschaft prekär, welches zwischen Autonomie und Heteronomie pendelt – dies auf der Folie der besonderen Geschichte von Ford in Deutschland vor und während des Dritten Reiches. Dieses Spannungsverhältnis zwischen FMC und FAG kann zum Teil als ein Überbleibsel aus jener Zeit angesehen werden, während der versucht wurde, das amerikanische Unternehmen zu vereinnahmen, was sich auch in der Namensgebung niederschlug. »Um seine rein deutsche Identität hervorzuheben, änderte das Unternehmen im Juli 1939 seine Firmenbezeichnung von Ford Motor Company AG in Ford-Werke AG.«16 Ein weiteres Zeichen dieser Vereinnahmung wurde seitens der Firmenzentrale mit der Zurücknahme des Ford-Ovals gesetzt.17 Es war für mehrere Jahrzehnte ausschließlich in Amerika produzierten Automobilen erlaubt, das Firmenlogo auf dem Kühler zu tragen. In den 1950er Jahren verschärfte sich diese Spannung durch den Dominanzanspruch des amerikanischen Mutterkonzerns, in dem Henry Ford II. betonte, dass Ford ein amerikanisches Unternehmen ist, das auch von Amerika aus geleitet wird.18 In diesem Zusammenhang ist auch die Amerikanisierung des Top-Managements zu sehen. Aber dies waren nicht die einzigen Konsequenzen. Auch die Infusion amerikanischen Marketing-Personals und die Zusammenarbeit mit amerikanischen Werbeagenturen wie Ogilvy, Benson & Mather oder Rubicam & Young sind weitere Folgen – übrigens hält die amerikanische Hegemonie von Werbeagenturen in Deutschland bis in die siebziger Jahre an. Dass dies nicht ohne Auswirkungen auf das Produkt blieb, werden wir in der Rekonstruktion des Fernsehwerbespots sehen. Obgleich das Image des Unternehmens durch die Ford-Lastkraftwagen, die im Wiederaufbau Deutschlands ein zentrales, sichtbares Element bildeten und durch ihren Einsatz ein Stück weit in die Alltagsgeschichte eingegangen sind, positiv besetzt war, hatte es sich
15 M. Wilkins/F.E. Hill: American Business, S. 423. »The findings showed that most Germans considered Ford-Werke an American enterprise […]«. Dieses Zitat schließt wie folgt: »[…] while they thought of Opel as a German firm. Stock ownership appeared to have no connection with the reputation of a company.« 16 Ebd., S. 284. »As a symbol of its wholly German identity, the company changed its name in July 1939 from Ford Motor Company, AG to FordWerke, AG.« 17 Vgl. H.-P. Rosellen: Ford-Schritte oder auch P. Thomes: Searching. 18 Vgl. P. Thomes: Searching.
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doch durch oben skizzierte Vorgänge im Verlauf der fünfziger Jahre wieder gewandelt. Das heißt nicht, dass sich das Unternehmensimage komplett ins Negative verwandelt hatte, aber es wurde doch als genuin Amerikanisches wahrgenommen, gestützt durch das immer deutlichere amerikanische Styling der für den deutschen Markt gedachten Produkte. 4.2.2 Marktsegmentierung: Der Nexus von Fahrzeugklasse, Zielgruppe und Gesellschaftsschicht Dass es hierbei zu einer Betrachtung der Angestellten, insbesondere der mittleren Mittelschicht, kommt, ist von vornherein nicht selbstverständlich, da die Einteilung von Fahrzeugen in Klassen19 erst einmal nichts mit der Schichtung der Bevölkerung zu tun hat. Es wird sich aber zeigen, dass in der Phase des Einstiegs der Kölner Ford-Werke in die gehobene Mittelklasse »[…] sich der Besitz eines Autos doch recht deutlich nach der Höhe des Haushaltseinkommens […]«20 staffelte. Dies hängt gleichzeitig eng mit der jeweils gültigen Methode der Marktsegmentierung zusammen21, also dem Verfahren der Aufteilung einer Käuferschaft. Werfen wir einen kurzen Blick in gängige (Print-) Werbung dieser Zeit, um einen ersten Hinweis auf die gültige Marktsegmentierungsmethode bzw. Kriterien der Zielgruppenbildung zu erhalten. Erst dann kann die Frage nach der gesellschaftlichen Grundlage und der Kultur der anvisierten Sozialschicht beantwortet werden. Anders ausgedrückt, erst dann wissen wir etwas über ihre Kaufkraft, wenn ihre spezifischen Kaufmotive und -entscheidungen Berücksichtigung gefunden haben. Kaufkraft und -motive stehen, um den Ausdruck von Geiger zu verwenden, in einem typischen Zusammenhang: Die Kaufkraft bzw. das Realeinkommen als (Teil-)Ausdruck der Soziallage (Stichwort meritokratische Triade) ist erst dann vollständig verstanden, wenn die Kaufmotive als Steuermechanismen (Stichwort Kultur) für den Einsatz dieser verfügbaren Realeinkommen im Akt des Konsumierens eingerechnet werden. Einen ersten Hinweis finden wir
19 Fahrzeuge können nach ihrem Karosserie-Typ, nach dem Hubraum oder der Preisklasse eingeteilt werden. 20 D. Claessens/A. Klönne/A. Tschoppe: Sozialkunde, S. 248. 21 Vgl. P. Kotler/G. Armstrong: Principles, S. 239ff. Unterschieden wird zwischen marktunspezifischen und marktspezifischen Merkmalen, wie Kauf, Verwendung, Anlass und/oder spezifischer Konsumstil. Jene marktunspezifischen Merkmale rangieren von geografischer über demografische bis hin zu psychografischer und behavioraler Segmentierung.
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– mit ein wenig informierter Willkür – in der damaligen Werbung. Dort heißt es: »Unsere Leser statistisch durchleuchtet – Soziale Schichtung: obere und gehobene Schicht, breite mittlere Schicht, untere Schicht […]«22 – oder etwas ausführlicher: »Als man noch vierspännig fuhr … gab es zwar noch keine Marktforschung und keine Zeitungsanalysen. Jedermann wusste aber, daß ›viere lang‹ [Herv. i.O.] ein Beweis für Wohlstand war. Wer heute ein Auto hat, gehört auch nicht gerade zu den Ärmsten. Ein Wagen kostet bekanntlich, je nach Größe, viel oder sehr viel Geld. Daß ›R‹-Leser [Herv. i.O.] nicht gerade zu den schlechtesten Steuerzahlern gehören, zeigt auch in dieser Beziehung die Kölner Befragung des Soziologischen Instituts der Universität. ›R‹-Leser [Herv. i.O.] fahren nicht nur Auto – jeder sechste von ihnen kann sich sogar eine Wagen der Mittelklasse oder einen großen Pkw leisten. Quintessenz: Werbung um wohlhabende Konsumenten; dazu braucht man die ›R‹ [Herv. i.O.]: Kölnische Rundschau, Bonner Rundschau.«23
Neben diesen, exemplarisch ausgewählten Kommunikaten finden sich weitere Hinweise in den Kategorien, die für die Untersuchungseinheiten in Tabellenwerk von behördlichen Berufs- und akademischen Fachstatistiken oder der Marktforschung verwendet wurden. Wenden wir uns dem Zusammenhang zwischen Fahrzeugklasse und Gesellschaftsschicht zu. Auch bei dem Nachspüren des Zusammenhangs zwischen Autoklasse und Gesellschaftsschicht finden wir die kategoriale Einteilung der Gesellschaft in mindestens zwei, meist jedoch in drei Schichten plus deren interne Differenzierungen. Hier sind hauptsächlich die Tabellen zu Käufer- und Verkäufergruppen24, zu Besitzstand einzelner Berufsgruppen25, ähnlich Besitz eines Fortbewegungsmittels nach Haushalten aus verschiedenen Schichten26, oder Ausstattung von Arbeiter- und Angestelltenhaushalten mit langlebigen Konsumgütern 1958, 1962 und 196927 von Interesse.
22 Gefunden in Der Markenartikel, 1960. 23 Ebd. 24 Vgl. T. Krämer-Badoni/H. Grymer/M. Rodenstein: Zur sozioökonomischen Bedeutung, S. 111. 25 Vgl. R. Mayntz: Soziale Schichtung, S. 123. 26 Vgl. K. Eitel: Schichtung, S. 75 oder auch Das Beste aus Reader’ Digest, S. 90-98 (insbesondere S. 95ff.). 27 Vgl. M. Osterland u. a.: Materialien, S. 141, H. Daheim: Die Vorstellung, S. 276 und DIVO, S. 108ff.
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In Hansjürgen Daheims Analyse der Vorstellungen über den Mittelstand von 1960 findet sich folgende Übersicht: Die Ausstattung der Haushalte mit langlebigen Gebrauchsgütern. Die repräsentativen Daten dieser Tabellen stammen aus »[…] einer Untersuchung […], die 1959 von der soziologischen Abteilung des Instituts für Mittelstandsforschung (Direktor: Prof. Dr. René König) in Zusammenarbeit mit der DIVO GmbH, Frankfurt am Main, durchgeführt wurde.«28 Tabelle 12: Ausstattung der Haushalte mit langlebigen Gebrauchsgütern (in Prozent) Ranggruppe
höhere Berufe
mittlere Angestellte und Beamte
sonstige Selbständige
Handwerker
Händler
untere Angestellte und Beamte
Facharbeiter
un- und angelernter Arbeiter
Gebrauchsgüter Radio
89 (90)
96 (99)
94 (95)
98 (97)
92 (98)
100 (100)
97 (99)
95 (100)
Bügeleisen elektrischer Plattenspieler
81 (90)
87 (93)
90 (89)
91 (95)
91 (96)
69 (25)
93 (97)
95 (100)
18 (21)
22 (27)
30 (34)
35 (31)
20 (25)
15 (25)
34 (28)
36 (43)
Nähmaschine
61 (66)
66 (63)
63 (64)
78 (74)
76 (84)
69 (75)
73 (73)
64 (57)
Staubsauger
46 (69)
59 (68)
77 (81)
81 (92)
71 (84)
69 (50)
86 (88)
95 (86)
Fotoapparat
33 (55)
45 (48)
66 (73)
59 (64)
50 (73)
46 (50)
72 (75)
86 (86)
Motorrad elektrischer Rasierapparat
12 (14)
19 (16)
8 (8)
8 (5)
13 (9)
- (-)
8 (6)
9 (-)
25 (31)
34 ( 45)
38 (37)
50 (54)
41 (48)
46 (50)
57 (48)
45 (43)
Waschmaschine
5 (10)
14 (8)
7 (4)
9 (8)
4 (7)
15 (-)
7 (7)
9 (-)
elektrische Waschmaschine
22 (41)
26 (23)
16 (14)
34 (39)
29 (32)
8 (25)
30 (32)
45 (71)
Kühlschrank
13 (14)
21 (29)
35 (39)
59 (56)
39 (48)
54 (50)
59 (62)
64 (86)
6 (10)
7 (12)
24 (26)
50 (49)
40 (57)
46 (50)
35 (35)
68 (57)
1 (-)
4 (10)
12 (11)
18 (18)
13 (27)
15 (25)
23 (17)
41 (43)
12 (17)
18 (21)
21 (26)
31 (28)
13 (15)
15 (-)
19 (15)
36 (57) 73 (71)
Schreibmaschine Servierwagen Fernsehgerät Telefon
3 (3)
3 (8)
12 (14)
53 (54)
34 (48)
38 (50)
26 (20)
Auto
6 (7)
8 (17)
13 (17)
51 (56)
45 (55)
46 (50)
31 (32)
50 (43)
7 (10)
10 (11)
14 (18)
28 (26)
21 (34)
15 (25)
27 (25)
36 (43)
elektrischer Mixer Nichts davon Anzahl
5 (3)
1 (-)
371 (29)
486 (83)
- (1)
- (-)
2 (-)
- (-)
- (-)
- (-)
286 (113)
80 (39)
119 (44)
13 (4)
191 (69)
22 (7)
Quelle: H. Daheim: Die Vorstellung, S. 276.
Eine ähnliche Tabelle, die sich global auf den Besitz eines Fahrzeugs bezieht, finden wir in Karl Eitels Schichtung des Konsumgütermarktes, der sich auf Ergebnisse des DIVO-Instituts stützt, welches
28 H. Daheim: Die Vorstellung, S. 237.
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eine Befragung während der beiden Monate Januar und Februar 1961 mit 1.855 Personen durchgeführt hatte. Tabelle 13: Besitz an Gütern in bundesdeutschen Haushalten (in Prozent) Es besitzen von je 100 Haushalten der … oberen
mittleren
unteren
Schicht
Schicht
Schicht
Pkw
54
24
6
Motorroller
4
4
2
Motorrad
3
7
4
Moped
10
14
13
Fahrrad Zahl der Haushalte (Mill.)
53
57
50
2,40
10,75
5,90
Quelle: K. Eitel: Schichtung, S. 75.
Bei der Schicht-Kategorisierung ist zu berücksichtigen, dass die Kategorie Oberschicht weiterhin unterteilt ist in eine obere und untere Oberschicht. Diese untere Oberschicht entspricht der oberen Mittelschicht der so genannten Bolte-Zwiebel.29 Diese Zuordnung von Schichtbegriffen, insbesondere solchen, die dem amerikanischen Kontext entstammen (Schichtbegriffe von W. Lloyd Warner und Paul S. Lunt), zu den im westdeutschen Kontext genutzten Schichtbegriffen ist jedoch ein weiteres Problem bei der Bestimmung des Zusammenhangs von Schicht und Automobilklasse.30 Neben der uneinheitlichen Schicht-Kategorisierung ist vorerst das Problem schwerwiegender, dass meist nur zwischen Güterarten, also Auto, Motorrad, Fahrrad, aber nur selten innerhalb der einzelnen Autoklassen unterschieden wird. Aber Auto ist eben nicht Auto, wie aus dem grilling process Beispiel, wie es Karl M. Bolte beschreibt, hervorgeht. Die wenigen Ausführungen hierzu finden sich in Menschen und Märkte. Hierbei wird die Sozialklassifizierung in zwei Klassen aufgeteilt: In die Mittelklasse
29 Vgl. Abschnitt 4.2.2.3. 30 Vergleiche die Angaben zu Schichtumfang für die Bundesrepublik Deutschland am Ende der 1950er bzw. zu Beginn der 1960er Jahre (z.B. bei H. Moore/G. Kleining: Das soziale Selbstbild, E, Scheuch: Sozialprestige oder bei K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Schichtung) mit denen, welche das DIVO-Institut in Anlehnung an Warner und Lunt angibt.
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(obere Schicht) und Arbeiterklasse (untere Schicht). Die Mittelklasse umfasst die Subkategorien I, II und V, die Arbeiterklasse die Subkategorien III, IV und VI. Diese sind im Einzelnen: I II III IV V VI
= Spitzengruppe (leitende Funktionen, Unternehmer, Selbständige, freie Berufe) = breite Mittelgruppe (sonstige Angestellte und Beamte, selbständige Handwerker und kleine Gewerbetreibende) = gehobene Arbeiterschaft (Fach- und Vorarbeiter, Meister im Industriebetrieb) = untere Arbeiterschaft (un- und angelernte Arbeiter) = selbständige Landwirte = landwirtschaftliche Arbeiter
Tabelle 14: Hubraum und soziale Schicht Westdeutschland Soziale Schicht Besitz von Personenkraftwagen 100% = alle Haushalte mit Pkw in jeder Schicht in jedem Land
obere
untere
%
%
Der Wagen wurde neu gekauft
68
50
gebraucht gekauft
31
48
Keine Antwort Baujahr:
1
2
1961-1963
35
31
1959-1960
36
25
1957-1958
12
20
1956 oder früher
16
21
Keine Antwort Hubraum:
1
3
1.000 ccm oder weniger
14
42
1.000 - 1.750 ccm
75
57
1.750 ccm oder mehr
10
X
1
1
War nicht feststellbar
Quelle: Das Beste aus Reader’s Digest, S. 95.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Personenkraftwagen mit einem Hubraum von 1.750 ccm oder mehr hauptsächlich von den oberen sozialen Schichten gefahren werden, Fahrzeuge mit einem Hubraum unter 1.000 ccm oder weniger hauptsächlich von den unteren Schichten. Wenn also die FAG mit dem Modell Ford Taunus 17M P-2
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in die gehobene Mittelklasse einsteigt, haben die FAG-MarketingExperten auch eine bestimmte Zielgruppe vor ihrem geistigen Auge: Grob gesprochen die Mitte der Gesellschaft und in einer feineren Differenzierung die mittleren Mittelschichten (mMS), die sich an der oberen Mittelschicht (oMS) orientieren, die wiederum mit Bezug auf demonstrativen Konsum, modische Aspekte und Ähnlichem die Rolle der Oberschicht (OS) übernimmt. Exkurs Über Marktforschung Ob sich überhaupt Informationen des Endverbrauchers strukturierend auf die Gestaltung des Fernsehwerbespots auswirken, seine Modelle von Welt im Werbespot inszeniert werden, und wenn ja, wie dann tatsächlich die Strukturierung des Fernsehwerbespots sich darstellt, hängt auf das Engste mit einer Gesinnungsdebatte zusammen, die sich im Spannungsfeld von Käufermarkt und Verkäufermarkt bewegt.31 Rückt mit dem Konzept des Verkäufermarktes das Produkt und seine Produktion in den Vordergrund, so dreht das Marketing-Konzept dies um, und schiebt den Konsumenten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Diese Orientierung am Verbraucher kann sich vollends jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nach über zwei Jahrzehnten der Gärung, in denen eine Mischung aus naiver Marktumschau und bewusster Markterfassung und -erkundung vorherrschte, durchsetzen. Aber die systematische, organisierte Marktforschung, entsprechend der Definition von Victor Vogt, gab es in Deutschland erst nach 1945.32 Vogt definiert diese wie folgt: Marktforschung ist »[…] eine wissenschaftliche Methode zur Beschaffung von Tatsachen als Urteilsgrundlage über den Wert eines Produktes, die Fabrikationsmethoden, die Märkte, den Verkauf, die Verkaufsleute, die Konkurrenz und die Vorbereitung der Reklame.«33 Begonnen hatte die Entwicklung der modernen Marktforschung im Jahr 1919. Bevor die Marktforschung in die dritte Phase eintritt, in der sie systematisch und organisiert betrieben wird, unterscheidet Erich Schäfer eine erste Phase der naiven Marktumschau des Kaufmannes – wie sie ohnehin ständig betrieben wird – und eine zwei-
31 Henry Ford schwankte zwischen diesen Orientierungen hin und her. Einerseits orientierte er sich an dem mühsamen Arbeitsalltag des Farmers, andererseits war für ihn die stete Verbesserung des Produktes zentral. War erst einmal das Produkt optimiert, traten Wünsche und Bedürfnisse der Konsumenten weit in den Hintergrund. Vgl. H. Ford: Mein Leben – hier vor allem das erste, zweite und dritte Kapitel. 32 Vgl. K.U. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 110ff. 33 V. Vogt: Absatzprobleme, S. 316.
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te Phase der bewussten Markterfassung und -erkundung, die teils bereits im späten Mittelalter betrieben wurde (Stichwort Fugger). Die dritte Phase der Marktforschung samt des Marketing Konzepts, die den Verbraucher in den Mittelpunkt rückt, bahnt sich ihren Weg nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie zeichnet sich aus durch Professionalisierung auf der einen Seite und unternehmensinterner Differenzierungen, hier vor allem ist die Schaffung der Funktionsabteilung Marketing gemeint, auf der anderen Seite. Das Resultat dieser Entwicklung kann man, den Anglizismus Consumer Insight verwendend, wie folgt wiedergeben: Die Einsicht in die Wünsche und Bedürfnisse des Konsumenten führt dazu, dass dessen Wünsche und Bedürfnisse in das Produkt einsickern und damit auch in die Fernsehwerbung bzw. den Werbespot (Consumer inside). Es ist eine Gruppe, der so genannte Nürnberger Kreis um Wilhelm Vershofen, die den Rahmen stecken, in dem die Maximen der Marktforschung entwickelt werden, und die Orientierung am Verbraucher lanciert wird. Beides, diese Maximen sowie das Postulat, den Menschen als Totalphänomen zu betrachten, der so genannte Zusatznutzen34, die Ausrichtung am Schichtungsschema mitsamt den internen Differenzierungen und die Verbraucherorientierung erlangten über diesen Kreis hinaus Geltung und haben diese teils noch inne. Hervorzuheben ist an erster Stelle, dass dem Verbraucher eine Stimme gegeben wird. Maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt war Vershofen, Vater und Nestor der europäischen Marktforschung. Er hatte es, laut Hanns Walter Brose, einem Kollegen im Nürnberger Kreis, »[…] als erster vermocht, die Unternehmer davon zu überzeugen, dass die Wirtschaftswissenschaften ihnen nicht nur auf dem Gebiet der Kosten- und Ertragsrechnung, der Bilanzierungstechnik und des Betriebsvergleichs nützliche Dienste leisten könnten. Ein Gebiet, auf dem die Industrie damals noch ziemlich sorglos verfuhr, auf dem sie von ›Theorien‹ [Herv. i.O.] nichts wissen wollte, von dem sie behauptete, es könnte nur mit Fingerspitzengefühl behandelt werden, war der Absatz. Natürlich gab es hier und da eine Verkaufsstatistik, aber sie war meist eine Einrichtung ohne Gebrauchsanweisung. Marktforschung wurde nicht betrieben. Marktanalysen wurden als Mumpitz belächelt, als ein Kinderspielzeug für die Herren Söhne, die man auf die Hochschulen schickte, damit sie sich einen Doktorhut holten und eine Tätigkeit in der Wirtschaft als sozial attraktiver empfanden.«35
34 Vgl. W. Vershofen: Die Marktentnahme, S. 83. Informativ hierzu: G. Wiswede: Verbrauchsforschung oder H. Wilhelm: Der Marktautomatismus. 35 H.W. Brose: Die Entdeckung, S. 56.
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Vershofen36 (1878-1960), Wissenschaftler, Philosoph, Schriftsteller, Politiker, wurde am 25. Dezember 1878 in Bonn geboren und entstammt einer rheinischen Handwerkerfamilie. Nach dem Besuch der Volksschule und des Realgymnasiums in Bonn, Oberlahnstein und Wiesbaden kam er an das Deal College bei Dover in Kent und die High Metropolitan School in London und beendete schließlich seine Gymnasialzeit 1901 in Wiesbaden. Nach einer kaufmännischen Lehrzeit studierte er Germanistik, Anglistik, Rechtswissenschaften, Kunstgeschichte, Philosophie, Naturwissenschaften und etwas Nationalökonomie in Bonn, München und Jena. 1905 promovierte er mit einer Arbeit über Shakespeare zum Doktor der Philosophie. Im Jahr 1921 wurde er nach Nürnberg an die Handelshochschule berufen. Seit Mitte der zwanziger Jahre war er dort bis zu seiner 1935 aus politischen Gründen erfolgten Emeritierung ordentlicher Professor. In dieser Zeit baute Vershofen das von ihm gegründete Porzellanarchiv zum Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware aus, das schon bald Bahn brechend für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis wurde. Zwei seiner weiteren Gründungen sind die Gesellschaft für Konsumforschung und das Institut für Absatz und Verbrauchsforschung, die auf die von der Theorie stark vernachlässigte Erforschung des Verbrauchs ihr Hauptaugenmerk richteten, und die von Jahr zu Jahr immer mehr ein wertvolles Hilfsmittel der Wirtschaft wurden. Er gab dem Verbraucher eine Stimme und vitalisierte die Konsumenten, die in der älteren ökonomischen Theorie in den Worten Albrecht Kruses »[…] abstrakte, tote Wesen [waren und], […] sich lediglich durch ihre Nachfrage nach den produzierten Gütern auszeichnen: eine Nachfrage, die einfach ›gegeben‹ [Herv. i.O.] ist und mit der die Produzenten zu rechnen haben.«37 Vershofen starb 1960 im Alter von 81 Jahren. Welches sind nun die Kriterien, die vom Nürnberger Kreis etabliert wurden und Eingang in der Marktforschung gefunden haben, einerseits um den Markt zu segmentieren und somit die Zielgruppe konstruieren zu können, und andererseits um die Werbung zu gestalten. Welche Mentalitäten geben den Sozialcharakter der Zielgruppe wieder? Die Beschaffung derartiger zielgruppenspezifischer Informationen ist Aufgabe der Marktforschung. Diese Auffassung von Marktforschung und die Einstellung ihr gegenüber begannen sich in den zwanziger Jahren zu ändern, z.B. daran abzulesen, dass 1934 das erste deutsche Hochschulinstitut für Marktforschung in Nürnberg entstand. »Der endgül-
36 Vgl. B.S. Ivens: Ein Rückblick – mit einer ausführlichen Bibliografie von Vershofen. 37 A. Kruse: Was wissen wir, S. 246.
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tige Durchbruch der Marktforschung dürfte sich Ende der fünfziger Jahre ereignet haben, sicherlich dadurch beschleunigt, daß immer mehr amerikanische Werbeagenturen nach Deutschland zurückkehrten, für die die Zusammenarbeit mit Marktforschungsinstituten längst zur Routine geworden war.«38 Die Entdeckung des Verbrauchers, so der Titel des Buches von Brose, beschied sich damit, mit den Techniken der aus den Sozialwissenschaften bekannten Methoden Informationen vom Verbraucher zu beschaffen, die gerade nicht auf differenzierten Verbrauchertypologien fußen, sondern sich »[…] unverändert im Rahmen des gebräuchlichen Zwei- oder Drei-Klassen-Schemas mit seinen klasseninternen Differenzierungsoptionen […]«39 bewegten. Ein weiterer im Rahmen dieses historischen Abrisses deutlich werdender Punkt ist, dass über die Beschaffung von Informationen über den Verbraucher, dieser sich qua spezifischer Ausgestaltung des Fernsehwerbespots im Fernsehwerbespot niederschlägt. Mit anderen Worten, der Fernsehwerbespot ist durch die Bestimmung der konditionierten Zielgruppe mit ihren je spezifischen Modellen von Welt, die ja manipulierbar sind, vorstrukturiert. Die Maximen, welche relevant werden bei der Ausgestaltung der Werbebotschaften sind zum einen die Nutzenlehre der Nürnberger Schule, die lange Zeit als Rückgrat der Verbrauchsforschung galt40 und eng mit der Sicht des Menschen als einem Totalphänomen zusammenhängt, und zum anderen die oben erwähnte Ausrichtung am Schichtsystem. Dies hängt wiederum auf das Engste zusammen mit der von Vershofen ausgearbeiteten Nutzenlehre und dem Zentralnutzen der Geltung. Da diese Lehre starken Einfluss auf die Verbrauchs- und Marktforschung ausgeübt hat, muss kurz auf deren Entwicklung eingegangen werden. Der Einfluss kommt dadurch zustande, dass die Ergebnisse der Verbrauchs- und Marktforschung, so das Postulat von Vershofen41, die Werbung stützen und im Consumer Benefit fortwirken – als Nutzenversprechen, das bewusst abzielt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Konsumenten. Der fundamentale Gedanke dieser Lehre lautet, dass der Mensch bei der Verdichtung seiner Bedürfnisse mit seinem ganzen Wesen beteiligt ist. Diese Bedarfsbildung kann daher in ihrer »[…] Eigenart nur dann genügend verstanden werden, wenn man zugleich die psychischen Grundtatbestände beachtet, unter deren Ein-
38 39 40 41
K.-U. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 113f. Ebd., S. 116. Vgl. G. Wiswede: Verbrauchsforschung, S. 243. Vgl. W. Vershofen: Die Marktentnahme, S. 69.
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wirkung sich ein Bedürfnis zu einem Bedarf verdichtet.«42 Der Mensch ist nicht nur Verbraucher, dies entspräche einem unrealistischen homo oeconomicus consumens43, sondern er ist Teil weiterer, außer-ökonomischer Sphären bzw. Welten. Genau dieser Umstand werde bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise ausgeblendet. Aber gerade bei der Marktentnahme wird »[…] ein Gut in eine neue Sphäre der menschlichen Betätigung versetzt.«44 Daher wird auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit den wirtschaftswissenschaftlichen Autoren seit Hermann H. Gossen, die sich mit Anerkennung (durch Marktobjekte) und mit dem Wert der Dinge beschäftigt haben, Anerkennung und Wert so stark akzentuiert, um deutlich zu machen, dass der Zusatznutzen in der Mehrzahl der Fälle den Ausschlag für eine Kaufentscheidung gegeben hat.45 Mit der Generalisierung des kompakten Gossen’schen Nutzenbegriffs, das heißt mit der Erweiterung des rein stofflich-technische Dienste leistenden Zweck- oder auch Grundnutzens um einen so genannten Zusatznutzen, der aus der ökonomischen Sphäre hinausweist, ist eine neue Komplexitätsstufe erreicht. Hierbei »[…] greift [Vershofen] den allgemeinen und undifferenzierten Begriff [von Gossen] auf und strukturiert ihn systematisch. Seine Klassifikation ist aufgrund ihrer verästelten Struktur unter der Bezeichnung ›Nutzenleiter‹ [Herv. i.O.] bekannt […]«46. Dieser Zusatznutzen unterteilt sich in zwei Klassen (Sphären): Einerseits in einen so genannten Erbauungsnutzen (persönliche Sphäre) und andererseits in einen so genannten Geltungsnutzen (soziale Sphäre). Diese Nutzenleiter kennt noch drei weitere Hierarchieebenen (Nutzenarten), die den Erbauungsnutzen weiter konkretisieren.47 Der Geltungsnutzen ist nicht nur für Vershofen von Interesse – er widmet diesem zwei komplette Kapitel in seinem Buch Die Marktentnahme als Kernstück der Wirtschaftsforschung –, sondern auch in unserem Zusammenhang. »Mit seiner soziologischen Komponente, dem Geltungsnutzen, ist er nachgerade unsterblich geworden.«48 Unter welchen Bedingungen tritt diese Nutzenklasse auf? »Der Geltungsnutzen als gesellicher Nutzen tritt dann in Erscheinung, wenn ein Marktartikel deswegen gekauft wird, um des Erlebnisses der Beachtung von Seiten anderer Personen
42 43 44 45 46 47 48
Ebd. L. Berekoven: Die Bedeutung Wilhelm Vershofens, S. 53. W. Vershofen: Die Marktentnahme, S. 12. Vgl. K.H.R. Ziese: Über den Geltungsnutzen, S. XVI. B.S. Ivens: Ein Rückblick, S. 347f. Vgl. W. Vershofen: Die Marktentnahme, S. 89. L. Berekoven: Die Bedeutung Wilhelm Vershofens, S. 56.
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teilhaftig zu werden.«49 Er verweist auf das Verhältnis der Menschen untereinander und auf den Gebrauch des Marktobjekts in dieser Beziehung. Diese Sphäre, welcher der Geltungsnutzen entspringt, folgt aber einer anderen Logik als der ökonomischen. Sie folgt der Logik der sozialen Welt. In der sozialen Welt ist es nicht die Beziehung zwischen Person und Ding, die in den Vordergrund tritt, sondern die Beziehung der Menschen zueinander und die Dinge, die im Rahmen dieser Sozialbeziehung eingesetzt werden, ordnen sich jenen Subjekt-SubjektBeziehungen unter. Es, das Marktobjekt, wird zu einer Ausdrucksform. In Vershofens Die Marktentnahme heißt es exemplarisch in Bezug auf das Automobil: Es wird zu einem symbolischen Automobil; selbstverständlich muss auch dieser Kraftwagen »[…] doch seine Transportdienste voll erfüllen.«50 Aber dieses Vehikel transportiert sicherlich nicht Personen, sondern Vorstellungen: Vorstellungen von Sportlichkeit, Fortschritt, Erfolg und so weiter. Dieser Zusatznutzen lebt im Consumer Benefit fort und strukturiert über die reine Produktdarstellung den Kontext, in dem das Produkt zur Schau gestellt wird. Diese Neuausrichtung der Orientierung in der Marktforschung, vom Verkäufer- zum Käufermarkt mit den sich daran anschließenden Konsequenzen, und zugleich die Orientierung an dem Schichtungsgefüge der bundesrepublikanischen Gesellschaft, findet sich in dem Fach- und wissenschaftlichen Diskurs Ende der fünfziger Jahre wieder. Diese Konvergenz von Marktforschungsmaximen und sozialwissenschaftlicher Beobachtungssprache mit Bezug auf die Sozialstruktur verdichtet sich in der Umsetzung der Schichten, in erster Linie den Schichtkernen mit ihren je spezifischen Subkulturen in der Werbung. Und auf diese Weise gibt die Entwicklung der Marktforschung bis zu einem bestimmten Grad die historische Entwicklung der Sozialstruktur der deutschen Gesellschaft seit Ende des Zweiten Weltkrieges wider. Im Rückblick auf die Entwicklung der Marktforschung kann gesagt werden, dass der Berufsstand des modernen Marktforschers erst dann wirklich zu existieren beginnt, wenn er heterogene Informationen gewinnen muss, und er nur so lange diese Informationen gewinnen kann, solange die Informationen in (modernen) Gesellschaften fragmentiert sind. Solange also Informationen ungleich im Rahmen einer geschichteten Gesellschaft verteilt sind, solange werden sich die Gestaltungen der Werbespots für bestimmte Zielgruppe unterscheiden. Die Inszenierung eines Werbespots kann unter derartigen, das heißt modernen Umständen nur dadurch zustande kommen, dass der Markt
49 K.H.R. Ziese: Über den Geltungsnutzen, S. XVI. 50 W. Vershofen: Die Marktentnahme, S. 96.
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segmentiert wird und Informationen über das entsprechende Marktsegment gewonnen werden. Informationen werden nur solange systematisch und mit Nachdruck gewonnen, solange die Doktrin des Verbrauchermarktes dominiert. 4.2.3 Eine kurze Geschichte der Mittelschicht Zur Entstehung der Mittelschicht Über die anvisierte Zielgruppe als Teil des neuen Mittelstandes kann nur im Rahmen des Übergangs Deutschlands von einer traditionellen, agrarisch geprägten Gesellschaft in eine moderne Industriegesellschaft gesprochen werden, da in dieser Entwicklung eine neue Schicht entsteht. Die Sozialfigur des Angestellten bzw. die Sozialformation der Angestelltenschaft51, die sich vor allem in der städtischen Arbeitswelt »[…] um einen Kern von Tätigkeiten aufbaute, die im Verlauf der Industrialisierung im Rahmen der ›Verwaltung‹ [Herv. i.O.] von Industrie-, Handels- und Verkehrsbetrieben entstanden […]«52, ist Produkt und zugleich Träger der Industrialisierung bzw. der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft. Da die Industrialisierung in Deutschland in ihren Formen und Folgen derart vielschichtig ist, kann die folgende kursorische Übersicht keinen enzyklopädischen Überblick liefern, sondern nur einige, in Bezug auf diese Studie zentrale Momente hervorheben. Hierbei werden die Veränderungen im Produktionsprozess und den damit einhergehenden Schichtneubildungen, die Bevölkerungsentwicklung und deren Konzentration in Städten sowie der qualitative Aspekt des Begriffs der Urbanisierung in den Blick genommen. Wird die Neubildung einer Sozialformation hinsichtlich Zielgruppe und für die Kriterien der Zielgruppenbildung relevant, so ist es der städtische Raum, in dem sich dies abspielt. Im urbanen Raum bilden sich der Umworbene und die Werbung heraus. Des Weiteren sind neben der Schichtneubildung Umschichtungs- und Schichtdifferenzierungsprozesse zentral für die sich seit den 1920er Jahren entwickelnde Marktforschung.
51 Unter dem allgemeinen Warnhinweis von Rainer Geißler, diese Schicht mit den erforderlichen Differenzierungen zu versehen, ist sie weiterhin für die Sozialstrukturanalyse brauchbar. Diese lieferte – zu mindestens für die Marktforschung und das Marketing – eine ergiebige Einteilung der Bevölkerung nach Berufskategorien für die Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Mitte der 1970er Jahre. 52 K.M. Bolte: Deutsche Gesellschaft, S. 327.
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Die Ursachen der Industrialisierung werden häufig in einem Bündel komplexer technischer Neuerungen und der Erschließung und Nutzung neuer Ressourcen, wie z.B. Eisen und Kohle, zum einen, und zum anderen in den Veränderungen im sozialen Bereich gesehen; hier ist z.B. zu denken an die Bauernbefreiung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Grundzüge der damit angestoßenen Industrialisierung verteilen sich auf die Wirtschaftssektoren und deren Verschiebung, auf die Entwicklung des Kapitalstocks, des Nettosozialprodukts, auf die Entwicklung des durchschnittlichen Realeinkommens, der Bevölkerung und der Urbanisierung.53 Konzentrieren wir uns zuerst auf die Bevölkerungsentwicklung in deutschen Ländern im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Die modellhafte Beschreibung des Übergangs von hohen zu niedrigen Geburten- und Sterberaten und das daraus resultierende veränderte natürliche Bevölkerungswachstum der beiden vergangenen Jahrhunderte wird im Modell des Demographischen Übergangs wiedergegeben. In diesem Modell lassen sich für Deutschland fünf Phasen unterscheiden. Während der ersten Phase bleibt die Bevölkerung relativ stabil bei hohen Sterbe- und Geburtenziffern. Eine allmähliche Absenkung der Sterbeziffer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts leitet die zweite Phase ein. Diese zweite Phase, in der sich dieser Trend verfestigt, ist gekennzeichnet durch eine leicht fallende Geburtenrate bei stark fallenden Sterbeziffern. Es folgt in einer dritten Phase die nun stärker werdende Zunahme der Fertilität, so dass beide Prozesse sich wieder auf einem niedrigen Niveau annähern. Dies geschieht vollständig in der vierten Phase und die fünfte Phase seit den 1920er Jahren ist ausgezeichnet durch ein neues, bis in die Gegenwart fortdauerndes Gleichgewicht der beiden Ziffern auf diesem niedrigen Niveau. Die Explosion der Bevölkerung im 19. Jahrhundert stellt sich in Zahlen in etwa so dar: Sie stieg von circa 21 Millionen um 1780 über 35 Millionen Mitte des 19. Jahrhunderts auf 56 Millionen Menschen um die Wende zum 20. Jahrhundert. Eine Verdreifachung der Bevölkerung in etwas mehr als 100 Jahren. Die dramatisch angestiegene Bevölkerung ist aber nicht gleichmäßig über das Land verteilt, sondern konzentriert sich in den Städten. Diese Binnenwanderungen werden von den Städten, teils Neugründungen, teils im Wachstum befindliche Dörfer, wie Magneten gelenkt. Es sind die industriellen Zentren, die diese Verdichtung der Bevölkerung bewirken. Der quantitative Aspekt der Urbanisierung, die Verstädterung der Gesellschaft im zeitlichen Rahmen der deutschen Hoch-
53 Vgl. F.W. Henning: Die Industrialisierung.
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industrialisierung (nach 1873) lässt die Zahl der Orte mit mehr als 30.000 Einwohnern abrupt in die Höhe steigen. Betrachten wir aber auch den qualitativen Aspekt der Urbanisierung. Es ist eine nicht zu unterschätzende Wandlung des Menschen im städtischen Umfeld zu beobachten: »[E]ine grundlegende Veränderung ihrer Lebenschancen und Lebensrisiken, ihrer Arbeit und Freizeit, ihrer Kommunikationsund Erfahrungswelt, ihrer politischen Partizipation und ihres Umgangs mit den Massenmedien, ihrer Zeiteinteilung und nicht zuletzt ihrer Sprache.«54 Es sind das großstädtische Habitat und der Sozialtypus des Großstädters, gekennzeichnet durch spezifische Charakteristika wie Blasiertheit und Reserviertheit und beschrieben von Georg Simmel als Bewohner von Berlin und geschulter Beobachter von Lebenswelten. Es sind die Großstädte, also jene Städte ab 30.000 Einwohnern, in denen sich der wirtschaftliche Austausch verdichtet und zugleich der Produzent vom Kunden entfernt. »Die moderne Großstadt aber nährt sich fast vollständig von der Produktion für den Markt, d.h. für völlig unbekannte, nie in den Gesichtskreis des eigentlichen Produzenten tretende Abnehmer.«55 Diese Anonymität ist der Katalysator für Werbung und Marktforschung, die die verlorene Kenntnis des und Vertrautheit mit dem Kunden wieder zu gewinnen versucht. Der städtische Raum, Habitat der Werbung und Katalysator der Marktforschung, ist die Welt, in der »[…] [b]ereits während der Hochkonjunkturphase vor 1873, klarer erkennbar dann seit den achtziger Jahren, […] eine neue Sozialfigur […]«56 auftaucht: Der Angestellte. Die Bedingungen liegen wiederum im Industrialisierungsprozess, der von einer Produktionsweise der kleinen Zahl auf Massenproduktion umstellt. Kennzeichen dieser Form der Produktion und ihrer Schlüsseltechnologie (die Maschine) sind: Der systematische Einsatz von Technik zur Gütererzeugung, die Verzahnung von Forschung und Produktion, die durch maschinelle Großproduktion und Rationalisierung gesteigerte Produktivität, die Ermöglichung der bereits angesprochenen Groß- und Massenproduktion, die Entstehung des Fabriksystems und ein erhöhter Grad von Arbeitsteilung.57 Die Organisationseinheit hierbei ist der Großbetrieb mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Anwendung fand der Begriff des Angestellten zuallererst dort und bezeichnet eine »[…] Minderheit industrieller Arbeitnehmer – Prokuristen, Buchhalter, Werkführer, Ingenieure, Registratoren, Schreiber, Materialverwalter
54 55 56 57
H.U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3, S. 12. G. Simmel: Die Großstadt, S. 118. H.U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3, S. 12. Vgl. R. Geißler: Die Sozialstruktur, S. 24f.
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und Zeichner, zum Teil auch Meister und Boten […]«58, die aufgrund bestimmter fachlicher Qualitäten privilegiert wurden gegenüber dem Lohnarbeiter, der sich familiengeschichtlich gesehen in erster Linie aus der Bauernschaft, den Kleinstbauern und dem Landproletariat rekrutierte. »Klar hob sich dadurch bereits in der ersten Phase der Industrialisierung die Gruppe der später als ›Angestellte‹ [Herv. i.O.] bezeichneten Personen aus der Gesamtarbeitnehmerschaft eines Betriebes heraus.«59 Der von Jürgen Kocka für die Beschreibung der Genese der Angestelltenschaft herangezogene Betrieb ist Siemens & Halske, ein Betrieb mit einem Kapital von 153 Millionen Mark und 42.900 Beschäftigten.60 Solche Großkonzerne sind, wie oben bereits erwähnt, der Ort, an dem sich die Angestelltenschaft »[…] um einen Kern von Tätigkeiten aufbaute, die im Verlauf der Industrialisierung im Rahmen der ›Verwaltung‹ [Herv. i.O.] von Industrie-, Handels- und Verkehrsbetrieben entstanden […]«61 sind. Diese horizontale Differenzierung war von Beginn an verquickt mit einer vertikalen. Eine Differenzierung also, die nicht nur Funktionsbereiche unterschied, sondern ein Höher und Tiefer, ein Besser und Schlechter implizierte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Industrialisierung mit der Take-Off Phase in der Mitte des 19. Jahrhunderts die deutsche Gesellschaft grundlegend wandelte. Die anhaltende Modernisierung der Gesellschaft wird während der Weimarer Republik insbesondere von den Angestellten weiter getragen. Warum nun gerade die Angestellten zu Agenten der Modernisierung werden, sehen wir im nachfolgenden Abschnitt, der der Entwicklung der Angestelltenschaft nachgeht. Diese soziale Formation ist der neue Mittelstand, die Schicht der Industriebeamten bzw. Angestellten. Hauptsächlich diese Schicht mit ihren an bürgerlichen Werten orientierten Verhaltensweisen wird von der Marketing-Abteilung der FAG als Zielgruppe für den Ford Taunus 17M P-2 ausgemacht. Zur Entwicklung der Mittelschicht und deren Bedeutungsmuster Der neue Mittelstand hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. In der ersten Berufszählung im Deutschen Reich 1882 war diese Berufsgruppe randständig. In dieser ersten statistischen Erfassung betrug der Umfang dieser neuen Berufsgruppe weniger als fünf Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung bei etwa 19 Millionen Erwerbstätigen. In
58 59 60 61
J. Kocka: Angestellter, S. 113. Ebd. Vgl. H.U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3, S. 624. J. Kocka: Angestellter, S. 113.
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der quantitativen Entwicklung der Angestelltenschaft, die sie zum kategorialen Rückgrat der Gesellschaft werden lässt, können drei Phasen unterschieden werden.62 Die Entwicklung der Angestelltenschaft zwischen 1882 und 2004 ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Abbildung 9: Erwerbspersonen nach Stellung im Beruf (in Prozent) 100 80 60 40 20 0 1882 1895 1907 1925 1933 1939 1950 1958 1961 1970 1980 1990 2000 2004
Selbständige Mithelfende Familienangehörige Beamten Angestellte Arbeiter
Quelle: R. Geißler: Sozialstruktur, S. 199, S. 202 und S. 212.
Die erste Phase umfasst die Entwicklung des neuen Mittelstandes zwischen 1882 und 1925 und ist charakterisiert durch dessen rasche Expansion, die sich innerhalb dieses Zeitrahmens von 4,7 Prozent im Jahr 1882 auf 12,4 Prozent Mitte der 1920er Jahre verdreifacht. Aber trotz dieses rasanten Anstiegs, trotz der einschneidenden Gehaltskürzungen während des Ersten Weltkriegs – von den Angestellten empfunden als Stachel der Deprivation – konnte man dennoch von »[…]
62 Neben dieser dreiphasigen Einteilung, die insbesondere auf die quantitative Entwicklung dieser Sozialformation eingeht, gibt es eine Einteilung, die sich am politischen Rahmen und den dazugehörigen Großereignissen orientiert. Die Phasen dieser Entwicklung sind: Die Angestelltenschaft im deutschen Kaiserreich und während des Ersten Weltkrieges (Phase 1), in der Weimarer Republik (Phase 2), im Dritten Reich einschließlich des Zweiten Weltkriegs (Phase 3) und schließlich in der Bundesrepublik Deutschland (Phase 4), vgl. H.-U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3 und Band 4.
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durchaus objektiven Differenzierungen […] [sprechen], die sie als gesonderte Gruppe auswies.«63 Die zweite Phase, bezogen auf das Vierteljahrhundert zwischen dem Zusammenbruch der Weimarer Republik und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, ist durch ein relativ langsames Wachstum gekennzeichnet. Entgegen der nationalsozialistischen Ideologie von einem Volk, und trotz der Kriegsjahre mit seinen tiefen Einschnitten in den Bevölkerungsaufbau wächst die Angestelltenschaft langsam zwar, aber kontinuierlich von 12,4 Prozent auf 16 Prozent um 1950. Ihren zahlenmäßigen Höhenflug beginnt diese Sozialformation in der bis zur Gegenwart anhaltenden dritten Phase, in der sie sich zum Massenphänomen entwickelt – gut zu sehen in der obigen Tabelle. Beträgt die Besetzung der Kategorie der Angestellten um 1950, wie bereits erwähnt, 16 Prozent, verdoppelt diese sich in den nächsten 25 Jahren auf 33 Prozent (1974). »In der 2. Hälfte der 80er Jahre lösten sie die Arbeiter als quantitativ dominierende Gruppe der Erwerbsstatistik ab. 2000 war genau die Hälfte der Erwerbstätigen als Angestellte tätig und nur noch ein knappes Drittel […] als Arbeiter[/innen] […]«64. Doch mit der Schilderung der Entwicklungen nach 1960 greifen wir voraus. In Abbildung 10 ist diese Entwicklung bis zum Beginn der 1960er Jahre dargestellt, also bis zu dem Zeitabschnitt, in dem der im Mittelpunkt dieses Kapitels stehende Fernsehwerbespot für den Ford Taunus 17M P-2 ausgestrahlt worden ist.
63 K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Schichtung, S. 46ff. 64 R. Geißler: Sozialstruktur, S. 204.
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Abbildung 10: Erwerbspersonen nach Stellung im Beruf bis Ende der 1950er Jahre (in Prozent)
100 80 60 40 20 0 1882
1895
1907
1925
1933
1939
1950
1958
1961
Selbständige Mithelfende Familienangehörige Beamten Angestellte Arbeiter
Quelle: K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Ungleichheit, S. 44.
Rufen wir uns nun die Modelle in Erinnerung, die versucht haben, den Statusaufbau und die Schichtung der Bevölkerung der BRD um 1960 wiederzugeben. Hierbei kommen vor allem zwei Modelle in Frage: Das so genannte Zwiebel-Modell von Bolte und Kollegen und das so genannte Kristall-Modell von Harriett Moore und Gerhard Kleining. Die Bolte-Zwiebel stammt aus einem soziologischen Lehrbuch der damaligen Zeit.65 Dieses Modell wird zum einen aus eigenen Erhebungen, die zwischen 1952 und 1959 durchgeführt wurden, gespeist, und zum anderen aus kritischer Lektüre anderer Erhebungen, wie z.B. der von Renate Mayntz, der von Heinzjürgen Daheim oder den Erhebungen von Moore und Kleining. In ihrem Realitätsgehalt trifft die Bolte-Zwiebel auf die späten 1950er bzw. frühen 1960er Jahre zu. Vergleichbar mit dem Zwiebel-Modell ist der Kristall von Moore und Kleining, der den Aufbau wie Umfang der bundesrepublikani-
65 K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Schichtung, S. 84.
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schen Bevölkerung für das Jahr 1959 wiedergibt.66 Dieser Kristall ist von besonderem Interesse, weil, wie Ralf Dahrendorf bemerkt, das »[…] Modell […] in der Marktforschung Anwendung gefunden […]«67 hat. Ein Vergleich der beiden Modelle zeigt, dass in der Art der Schichtung und im Schichtumfang kaum Differenzen feststellbar sind. Um die Ambivalenzen im Werbefilm für den Ford Taunus 17M P-2 zu verstehen, ist es nötig, auf eine Reihe kultureller Orientierungen einzugehen, die das Sozialprofil der Angestelltenschaft ausmachen. Diese qualitative Entwicklung, diese Wiedergabe der Orientierungen der Angestellten hinsichtlich Verhaltensantworten68, kann in etwa so beschrieben werden: Zu Beginn ihrer Entwicklung, also im Zuge der Schichtneubildung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, ist die Orientierung der Angestellten noch ambivalent. Zum größten Teil herstammend aus dem Kleinbürgertum, das heißt dem alten Mittelstand, suchten Teile sich der prestigebesetzten Position des (Staats-) Beamten anzunähern. Ein Großteil der Angestellten in dieser Frühphase betonte hierbei die typisch bürgerlichen Verhaltensweisen und hob die Zuordnung zur Mitte der Gesellschaft hervor. In ihrer Selbsteinschätzung versuchen sie sich als Privatbeamte an den Weltmodellen der Staatsbeamten auszurichten. Zwar ist die Orientierung an bürgerlichen Verhaltensweisen zu beobachten, aber, wie die Benennung neuer Mittelstand andeutet, das Neue, das entscheidende Identifiktions- bzw. soziale Identitätsmerkmal fehlte noch.69 In der zweiten Phase während der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Herrschaft beginnt sich eine Orientierung Bahn zu brechen, die sich fassen lässt als eine zukunftsorientierte, den Fortschritt und Innovationen bejahende Einstellung, die auf einer relativ homogenen Sozialformation aufruht.70 »Der innovationsoffene Lebensstil der Angestellten zeigte sich nicht nur im Bereich der Familienplanung und des Konsumverhaltens, son-
66 H. Moore/G. Kleining: Das Bild der sozialen Wirklichkeit, S. 91. 67 R. Dahrendorf: Soziale Schichtung, S. 199. 68 Verhaltensantworten heißt, eingestellt sein zu Fragen des Lebens und der Welt in Form von Lebensstil, Mentalitäten und Wertorientierungen. 69 Vgl. H.-U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3, S. 760. 70 Ebd. Vgl. auch Reinhard Spree, der in seinem Aufsatz von 1981, Die Angestellten als Modernisierungsagenten, die Befunde von Coyner und Stearns wiedergibt. Die jüngere sozialhistorische Forschung hat mit neuen Resultaten zu generativen und Konsumverhalten gezeigt, dass gerade die Wesenlosigkeit dieser Gruppe im Gefüge der deutschen Gesellschaft zurückgewiesen werden kann.
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dern auch im kulturellen Bereich: Hier gehören die Angestellten zu den Vorreitern der modernen Massenkultur […]«71. Nach dem Zweiten Weltkrieg, vor dem Hintergrund fortschreitender Expansion, werden dann die Diagnosen wahr, die zeitgenössische Beobachter wie Geiger oder Siegfried Kracauer gegeben haben oder wie sie von Kocka mit Bezug auf den Angestelltenbegriff formuliert worden sind: »Gerade seine Farblosigkeit, seine Flexibilität, sein zunächst künstlicher, wenn nicht gar Verlegenheitscharakter prädestinierte ihn als Bezeichnung einer Gruppe, die ihren gesellschaftlichen Standort ebensowenig wie außenstehende Beobachter eindeutig oder gar einheitlich bestimmen konnten. […] Heterogenität derer, die er zusammenfasste.«72
Seit Beginn der 1960er Jahre erfuhr die Angestelltenschaft einen grundlegenden Strukturwandel. »Von einer einheitlichen Berufsgruppe oder gar Gesellschaftsschicht kann seit dieser Entwicklung kaum mehr die Rede sein.«73 Das Bewusstsein der Angestelltenschaft als Ganzes: In den späten 1950er Jahren einigt sie noch in ihrer Wesenlosigkeit die beibehaltene Abgrenzung nach unten. In einer ersten Grobeinteilung, die die bundesrepublikanische Gesellschaft des Wirtschaftswunders in drei Großgruppierungen schichtet, können folgende Schichten unterschieden werden: Ober-, Mittel- und Unterschicht. Mit Hilfe der so genannten Schichtkerne, das sind die Gruppierungen mit einer hohen Statuskonsistenz und schichtspezifischem Verhalten, kann die Mittelschicht, die in sich, wie bereits festgestellt worden ist, nicht gerade homogen ist, da sie vom Direktor bis zur Schreibkraft rangiert, wie folgt charakterisiert werden: Im politischen Bereich tendieren die Mittelschichten einerseits stark zu konservativen Parteien, hauptsächlich der Parteien in der gesellschaftlichen Mitte, CDU/CSU, und andererseits zur FDP mit ihrem liberalen, am Fortschritt orientierten Gedankengut. Wie sich dies vereinbaren lässt, werden wir bei der näheren Betrachtung der Subgruppen innerhalb der Mittelschicht sehen. Im ökonomischen Bereich, also mit Bezug auf Beruf und Karriere, können die Mittel-
71 R. Spree: Die Angestellten, S. 291. Einerseits scheint dies den Distinktionsversuchen der Angestellten zur Masse der Arbeiter zu widersprechen, andererseits aber ist festzuhalten, dass Massenkultur, also die Konfiguration von Massenproduktion und -konsum, ein Kriterium moderner Gesellschaften ist. 72 J. Kocka: Die Angestellten, S. 123. 73 K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Schichtung, S. 47f.
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schichten wie folgt charakterisiert werden: Es herrscht ein allgemeines Konkurrenzverhalten innerhalb dieser Schicht bei gleichzeitiger – diese Konkurrenz flankierend – Aufstiegsorientierung mit allgemeinen Beförderungschancen. Obgleich von der Gesamtideologie einer offenen Gesellschaft die Schichtgrenzen zwischen jenen drei Gesellschaftsschichten durchlässig sind, findet soziale Mobilität doch meist nur innerhalb der jeweiligen Schichten statt, so z.B. von der mittleren in die obere Mittelschicht – und dies eher intergenerativ. Im sozialen Bereich äußert sich das mittelschichtspezifische Verhalten in einem Abwehrverhalten nach unten, dass sich bei der Verringerung der sozialen Distanz der Unterschicht, also der Arbeiterschaft, in zwei Reaktionsformen niederschlägt: Zum einen manifestiert es sich in der Bildung von Interessenorganisationen und zum anderen in der Betonung von Unterschieden und einer Prestigeaufladung. Vor allem geschieht dies in Bereichen, die sich noch nicht angeglichen haben (z.B. Konsumgüter). Schließlich kann diese Schicht in der Mitte der Gesellschaft als Bedürfnisaufschubsschicht bezeichnet werden, in der eine Rationalisierung des Verhaltens und eine Zukunftsorientierung vorherrscht. Wenn man die Warnungen bei Geißler, die aber schon frühzeitig in der Diskussion um die Angestellten geäußert wurden, bedenkt, dass es ein Schisma74 in der Angestelltenschaft existiert, das die höheren und mittleren von den unteren Angestellten scheidet, muss man auf die Unterschiede dieser Gruppierungen in Sachen Kaufmotive gesondert eingehen. Wie stellen sich die Mentalitäten in der mittleren Mitte dar? Prototypische Berufe bei den mittleren Angestellten sind Bürovorsteher, mittlere Verwaltungsbeamte, Polizeiinspektoren, Elektroingenieure mit Fachschulausbildung in größeren Firmen, Kanzleivorsteher, Fachschullehrer, Versicherungsinspektoren, außerdem Inhaber mittelgroßer Geschäfte und freie Berufe wie Apotheker oder Dentisten.75 Ihre bürgerliche Einstellung, die Bindung an Institutionen und Ordnungen, ihr Amtsbewusstsein, ihre Betonung von Pünktlichkeit, Treue und Strebsamkeit sowie ihre absolute Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Akzentuierung von Details charakterisiert diese Gruppe im Statusaufbau. Auch in Bezug auf die Konsum-Leitbilder76, wie Felix Scherke sie
74 Vgl. U. Jaeggi/H. Wiedemann: Der Angestellte, S. V. 75 Vgl. H. Moore/G. Kleining: Das soziale Selbstbild, S. 97. 76 Ein Leitbild ist kein Vorbild oder Ideal, sondern eine Phantasievorstellung. »Das Leitbild ist […] eine ›Idee, aus der heraus man lebt‹ [Herv. i.O.], weil man an sie glaubt.« F. Scherke: Der Verbrauchercharakter, S. 43. Das Leitbild weist vier Eigentümlichkeiten auf: Es hat erstens immer
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aufzeigt, stellt sich eine Dreiteilung ein. Dies sind generelle Orientierungen des sozialen Handelns und der Lebensführung, die sich auch im Bereich des Konsums niederschlagen. Aufgrund des bereits angedeuteten Konsumverzichts der Oberschichten in der BRD, mit ihrer Tendenz zur Unauffälligkeit77, ist festzuhalten, dass sich die KonsumLeitbilder, wie Scherke sie beschreibt, verschieben. So ist das Konsum-Leitbild I. Klasse eben nicht das Leitbild der Oberschicht, sondern der oberen Mittelschicht, die in Sachen Konsum als Trendsetter diese Lücke füllen.78 Mit dieser Wendung rücken aber die mittleren Mittelschichten, als neue schichtinterne Differenzierung im Ungleichheitsgefüge auf, so Moore und Kleining, und besetzen die KonsumLeitbilder II. Klasse. Die idealtypischen Figuren, die in dieser Klasse dominieren, sind der Herr, der feine Mann, der Gentleman nach englischem Vorbild als Repräsentant der guten Gesellschaft. Der Herr tritt als eine mondäne Erscheinung auf, das heißt, er ist sorgfältig rasiert und frisiert. Er ist Weinkenner. Das weibliche Gegenstück ist die Dame, die bescheidene Ausgabe der Grand Dame. Die Insignien bzw. Staffage dieser Typen, die in die Bewerbung des Produkts als Darsteller oder Komparsen eingehen, sind z.B. der Regenschirm, der Hut – Nie ohne Hut! oder Mit Hut – ein Herr! –, der Maßanzug und die Gesellschaftsgarderobe. Es werden schwere Wagen gefahren und teure Restaurants besucht. Die Wohnung ist elegant eingerichtet und über die Einkommensquelle, also auch den Beruf, wird geschwiegen. Diese Symbole als Ausdruck eines Lebensstils trennen die Schichten voneinander. »[D]er Lebensstil des Arbeiters wird anders empfunden. […] Der Angestellte ist darüber hinaus der Auffassung, er habe mehr Geschmack. Dies zeige sich vor allem in der Wohnungseinrichtung; diese müsse ›gediegen‹ [Herv. i.O.] sein, der Arbeiter neige dagegen dazu,
Zukunftsbezug, zweitens ist es als Wunschbild immer Bild vom Oben-Sein – Leitbild ist immer auch Wert-Bild. Drittens ist es der sinnbildliche Ausdruck des Strebens des Menschen nach persönlicher Geltung und Überlegenheit (nach persönlicher sozialer Geltung) und viertens ist es immer auto-suggestiv (sich selbst durch bestimmte Vorstellungen, Ideen oder Bilder beeinflussen). Scherke definiert das Leitbild als eine »[…] unterbewußte, zukunftsbezogene, einbildungswirksame Phantasievorstellung, als autosuggestives Wunschbild mit mehr oder weniger sinnbildlichem Gehalt, das als idealtypisches Vorbild für das Verhalten und Streben des Menschen und die Gestaltung seiner Persönlichkeit dient.« Ebd., S. 44f. 77 Vgl. K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Schichtung, S. 89. 78 Ebd.
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›Gelsenkirchener Barock‹ [Herv. i.O.] zu kaufen.«79 Die KonsumLeitbilder der drei Klassen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Tabelle 15: Konsum-Leitbilder nach Scherke
idealtypische, repräsentative Figuren
KonsumLeitbilder I. Klasse (= O)
KonsumLeitbilder II. Klasse (= oMS)
KonsumLeitbilder III. Klasse (= mMS)
Kaiser (Imperator) König Fürsten Prinzen
der Herr der ›feine‹ Mann Gentleman nach englischem Vorbild als Repräsentant der ›guten‹ Gesellschaft, der bürgerlichen Oberschicht Herr ist mondäne Erscheinung, d.h. - sorgfältig rasiert - sorgfältig frisiert - Weinkenner (vs. Grandseigneur, der ein feudaler Typ ist) Regenschirm Hut (Nie ohne Hut!, Mit Hut – eine Herr!) Maßanzug, Gesellschaftsgarderobe fährt schweren Wagen
Bürgersmann - etwas behäbig - bequem - einigermaßen wohl situierter - tüchtiger - sparsamer Typ (in Werbung: wenig die Rede)
Figuren aus Aristokratie der Geburt, des Geldes, Beamtentums: Grandseigneur Diplomat Admiral Kapitän
Insignien, Symbole der Angehörigen dieser Klasse Konsumgüter
weibliches Pendant
Krone Zepter Stern Hermelinmantel Ritterhelm Wappenschild Schloss, Burg goldene, silberne Bestecke, Essgeschirr, Leuchter schweres Kristall erlesene Speisen und Getränke kostbare Stoffe (Samt, Seide, Brokat, Damast) teuere franz. Parfüms prunkvolle Wohnungen und Möbel (im Stile der Renaissance, Louis XVI., Queen Ann) Luxus-Automobile Königinnen, Prinzessin, Grande Dame
Besuch teurer Restaurants elegant eingerichtete Wohnung über Beruf wird nichts gesagt
Dame (die bescheidene Ausgabe der Grande Dame)
Bürgersfrau (neben der Dame zentrale weibliche Figur der Werbung)
Quelle: F. Scherke: Der Verbrauchercharakter, S. 52ff.
4.3 Z UR R EKONSTRUKTION DES F ERNSEHWERBE SPOTS FÜR DEN F ORD T AUNUS 17M P-2 Beschreibung Bevor im letzten Abschnitt dieses Kapitels die Zielgruppe und der Fernsehwerbespot aufeinander bezogen werden, muss erstens die visuelle und auditive Ebene im Fernsehwerbespot und deren Wechsel-
79 U. Jaeggi/H. Wiedemann: Der Angestellte, S. 105f.
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wirkung detailliert beschrieben und die Bedeutungen rekonstruiert werden. Dass dieses umständliche Vorgehen nötig wird, hat mit der Adäquanz der Auslegung zu tun. Adäquat kann nur interpretiert werden, so Bourdieu, wenn die »[…] vielfältigen, widersprüchlichen Bedeutungen [offen gelegt sind], die jene Werke zu einem bestimmten historischen Moment für die Gesamtheit der sozialen Akteure, vor allem aber für jene Gruppe von Individuen gewinnen, die vermittels dieser Werke ihre Auszeichnung erfahren oder die deretwegen in Opposition geraten. […] Beide Dimensionen sind zu berücksichtigen: […] die gesellschaftlich relevanten Merkmale eines jeden Werkes, d.h. dessen gesellschaftliches Image (›barock/modern; ausgewogen/dissonant; streng/lyrisch verspielt‹ [Herv. i.O.], etc.) wie das der seines Urhebers und insbesondere wohl das der zugehörigen Instrumente […]«80.
Auf Grundlage der Partitur folgt an dieser Stelle eine Inhaltsübersicht des Fernsehwerbespots. Der in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur Ogilvy, Benson & Mather produzierte 30-sekündige und durch sechs Einstellungen unterteilte s/w-Werbespot gibt folgendes Geschehen wieder: Der Wagen kommt von rechts – beobachtet aus der Perspektive eines Fernsehzuschauers, der vor seinem Fernsehbildschirm sitzt – eigenständig in eine Halle gefahren. Auf Augenhöhe des Zuschauers kommt er zum Stillstand. Der Wagen ist nun im Profil zu sehen. Es öffnet sich die Fahrertüre – wiederum von selbst –, bis Teile des Innenraums, vor allem das Lenkrad und die Vordersitze sichtbar werden. Die Fahrertür öffnet sich nur soweit, bis deren Querschnitt deutlich zu sehen ist. Dies Bild wird abgelöst durch den Blick in das geräumige Innere des Wagens und auf die Armaturenfront. Die letzte Einstellung beginnt bei dem von einer Heckflosse gerahmten linken Rücklicht. Mit dessen Aufleuchten schwenkt die Kamera von links nach rechts über den Kofferraum; der Schwenk endet in dem Moment, in welchem das rechte Rücklicht auf dem Bildschirm erscheint. Dieses wird ausgeschalten und das Automobil setzt sich – wiederum eigenständig – in Bewegung und fährt – sich vom Fernsehzuschauer entfernend – auf den Bildschirmhorizont zu. Über das gesamte Fernsehbild erscheint dieser Text: FORD TAUNUS 17M mitsamt einem Wappen, welches drei Kronen und elf Flamen zeigt. Auf der akustischen Ebene ist mit einer eigens komponierten Begleitmusik der Sprecher aus dem Off zu hören, der die sechs Einstellungen mit diesem Text erläuternd begleitet: Da, der Taunus 17M!
80 P. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 42f.
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Modern, spritzig, solide – und stehen, ja! Sichere, schwere Türen, bequemer Einstieg, großer Innenraum – und Platz für Fünfe. Klare, übersichtliche Armaturenfront. Na, und bessere Heckleuchten habe ich noch nicht gesehen! Und wie der startet! So, und wir starten morgen zur Probefahrt! In der nachfolgenden Abbildung sind zentrale Bilder dieses Fernsehwerbespots wiedergegeben. Abbildung 11: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Werbespots 09/59
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Betrachten wir das Produkt und die Kulisse, in der das Produkt präsentiert wird. Der Wagen ist ein Ford Taunus 17M P-2 de Luxe. Dieses Produkt ist erstens zu erkennen an der neuen Form des Daches, die etwas über die Heckscheibe hinausläuft und zweitens am Kölner Wappen rechts und links an den vorderen Kotflügeln.81 Diese leicht modifizierte Fassung des 17M, die seit 1957 produziert wurde, ist in der Presse mit »[…] Straßenkreuzer im Kleinformat […]«82 betitelt worden und begrüßt als lang erwartete Produktvariation: Endlich ein moderner Ford! Aber auch der zu tiefe Griff in die amerikanische Styling-Kiste wurde dem Wagen angekreidet. So und ähnlich klang die durch und durch gemischte Aufnahme seitens des journalistischen und allgemeinen Publikums, das das 17M-Modell bei der Premiere im Kölner Stadtwald-Restaurant am 29. August 1957 und auf der Internationalen Automobil Ausstellung in demselben Jahr das erste Mal zu Gesicht bekam. In Anlehnung an das amerikanische Modell Ford
81 Vgl. H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 177. 82 E. Männer: Die Wirtschaftswunderjahre, S. 48.
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Fairlane '55 begannen die in einem gemischten Team von Deutschen und Amerikanern arbeitenden Konstrukteure für den deutschen Automobilmarkt einen mit allen Attributen amerikanischer Traumlimousinen versehenen Wagen zu entwickeln: Geschwungene Karosserieform, kühne Farben und reichlich Chrom. Die beiden einzigen Kennzeichen, die empfindlich vermisst wurden, waren die Panoramascheibe und die amerikanischen Ausmaße. Jenes wirkte sich auf die Konzeption des Wagens aus, der schwerer als erwartet ausfiel. Zu diesem erhöhten Gewicht wurde jedoch ein passender Motor, ein 1,7 Liter Aggregat, konzipiert. Somit ist die Trapezform nun endlich auch in Europa bzw. in Westdeutschland angekommen. Die kantigen Linien des 17M, im Gegensatz zu den rundlicheren Linien des 12M, bestimmen die Formgebung des P-2. Die Dramatisierung der Fahrertüre, bereits in der Zeitschriftenwerbung als ein Sicherheitsmerkmal des Wagens hervorgehoben, wird auch im Fernsehwerbespot beibehalten. Ebenso das Lenkrad – durchaus privilegierter Gegenstand der individuellen Aneignung, wie Gert Schmidt bemerkt83 – und die Armaturen gelten zu dieser Zeit als Feature der passiven Sicherheit des Wagens. Der Innenraum und die Betonung seiner Größe und Geräumigkeit hängen mit dem oben beschriebenen Kennzeichen der über das Heckfenster gezogenen Dachform zusammen, die den Fondpassagieren mehr Kopfraum ließ. Die beiden den Kofferraum rahmenden Heckleuchten stehen ohne Zweifel für amerikanisches Styling.84 In einer letzten Einstellung wird der Schriftzug des Wagens: Ford Taunus 17M – in Verbindung mit dem von John S. Andrews konstruierten Wappen gezeigt. Dieses Wappen entwarf er in Anlehnung an die Stadtgeschichte Kölns. Es zeigt simplifiziert drei Kronen und elf Flamen, die die drei Könige des Abendlandes und 11.000 Jungfrauen symbolisieren. Mit der Beschreibung der (Ausstellungs-)Halle verlassen wir die Produktebene und fokussieren nun den Kontext für das Produkt. Festzuhalten ist hier nur die neutrale Studiokulisse. Wesentlich interessanter und auffälliger ist, wie der Wagen in diese Ausstellungshalle gefahren kommt: Ohne Fahrer, als ob er von Geisterhand gesteuert wird. Mit welchem Werbetext wird die eben beschriebene visuelle Werbebotschaft begleitet? Der Werbetext, der von einem Sprecher im Off, das ist ein nicht sichtbarer Sprecher, der kommentierend das sichtbare Geschehen verbal begleitet, beginnt mit einem statischen Lokalad-
83 Vgl. G. Schmidt: Das Lenkrad, S. 86. 84 Vgl. hierzu G. Schmidt: Design im Spannungsfeld.
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verb85 (Orts-Adverb) da, das das Objekt im Raum situiert. Das Objekt wird sofort spezifiziert mit dem Eigennamen und einem beigefügten definitiven Artikel: Der Taunus 17M. Gerade mit diesem definitiven Artikel86 wird die Sache zulänglich identifiziert. Die Verwendung des Artikels setzt voraus, dass das betreffende Objekt bereits hinreichend bekannt ist und hat dementsprechend einen stärker hinweisenden Charakter.87 Dass dies nicht unplausibel ist, kann darauf zurückgeführt werden, dass der Wagen bereits in den Printmedien nachhaltig beworben wurde. Es findet also keine Neueinführung eines Produktes statt. Der Ford Taunus 17M P-2 ist nicht nur ein Fahrzeug, sondern ein bestimmtes. Diese Identifikation und Auszeichnung der Besonderheit wird mit den Adjektiven modern, spritzig und solide unterstrichen.88 Hierbei verweisen diese Worte auf den folgenden semantischen Raum: Das Adjektiv modern verweist auf Zeitgemäßes, Modisches, Modegerechtes, Gegenwärtiges, Heutiges, Jetziges, Neues, Aktuelles, Neuzeitliches, Fortschrittliches, Neumodisches, Ungewohntes, Übliches, Tonangebendes, Maßgebliches, Affiges, Mondänes.89 Für das Adjektiv spritzig finden sich keine Angaben, stattdessen wird auf spritzen verwiesen: Eilen, flitzen, sausen, rasen, rennen, schnellen.90 Schließlich das Adjektiv solide, das verweist auf: Anständiges, Dauerhaftes, Festes, Gutes, Haltbares, Kompaktes, Massives, Rechtschaffenes.91 Bei der Betrachtung dieser auditiven Ebene sind folgende Ausdrücke und Attribuierungen besonders hervorzuheben: Erstens das Zahlwort Fünfe, zweitens das Adjektiv besser und auch das Personalpronomen Wir. Wer sind diese? Welche Gruppe ist gemeint?
85 86 87 88
Vgl. Duden: Grammatik, S. 580. Ebd., S. 299. Ebd., S. 1226. Vgl. K. Peltzer: Das treffende Wort, und K. Wildhagen/W. Héraucourt: English-German: solide, S. 998: u.a. respectable (achtbar) spritzig, S. 1011: u.a. effervescent (wine), buoyant, jaunty (heiter, flott u.ä.) modern, S. 803: modern (neuzeitlich), fashionable, stylish (modisch), aufs modernste gekleidet = attired in the highest style of fashion, go-ahead, upto-date, modern (views) (fortschrittlich), exlusive (patterns). 89 K. Peltzer: Das treffende Wort, S. 342. 90 Ebd., S. 440. 91 Ebd., S. 435.
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Bedeutungsrekonstruktion Entscheidend aber wird nun die Verbindung der beiden Ebenen. Im Anschluss hieran kann endlich beantwortet werden, ob sich diese Gesamtaussage tatsächlich in das Weltbild der mittleren Mittelschicht fügt oder von der Seite der Rezipienten aus gesprochen, ob sich diese in dem Fernsehwerbespot wieder erkennen und verstanden fühlen. So lässt sich z.B. aus der Kombination der symbolischen Elemente Familie (Darsteller) und Einfamilienhaus (Schauplatz) die Bedeutung nach sozialer Zugehörigkeit erkennen.92 Welche denotativen und vor allem welche konnotativen Bedeutungen können aus den oben beschriebenen Kombinationen erschlossen werden? Die Kombination der Symbole Wagen, der als modern, spritzig und solide markiert wird, und Wagenteile, wie z.B. die Heckleuchten, die mit dem Adjektiv besser ausgezeichnet werden, deuten auf die Dimension der Fortschrittlichkeit hin. Das visuelle Symbol der Heckleuchte in Verbindung mit dem auditiven Symbol besser, das als Komparativ den Zeitmodus des Vorher/Nachher mit dem visuellen Symbol verkoppelt, repräsentiert in doppelter Weise Fortschrittlichkeit. Einerseits wird diese durch den Zeitmodus, der auf eine Veränderung in Richtung Verbesserung hinweist, verkörpert, andererseits in Anlehnung an das amerikanische Design der Heckleuchten. Amerikanisierung der Produkte und Produktelemente als Ausweis des Fortschritts und der Fortschrittlichkeit seiner Nutzer. Dies findet sich auch in der synonymen Verwendung von Amerikanisierung und Fortschrittlichkeit in den 1950er und 1960er Jahren. Aber nicht nur Fortschrittlichkeit wird insinuiert, sondern darüber hinaus auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht potenzieller Kunden dieses Fahrzeugs. Diese konnotative Deutung wird verstärkt durch weitere symbolische Elemente: Durch die Türe des Wagens und durch seinen Innenraum. Sind die Türen einerseits sicher, andererseits schwer, gewährleisten sie doch einen bequemen Einstieg. Diese hier über Komfort im Bedeutungskern angesprochene Luxusdimension verweist aber wieder auf die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Schicht, die aufgrund eines charakteristischen Geschmacks bestimmte Produkte gegenüber anderen vorzieht. So auch beim Innenraum, der zum einen durch seine Größe und Geräumigkeit ausgezeichnet wird und Raum für fünf Personen bietet. Mühlmann führt zu dem Wortfeld von Luxus eine Reihe von Bedeutungskomponenten bzw. Konnotationen auf (vergleiche Tabelle 16 auf der nächsten Seite). Luxus, »[…] [d]as ehemalige
92 Vgl. T.M. Schulz: Klassifikation, S. 61.
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Schmähwort [,] kann insbesondere in der Werbesprache zur Angabe von Höchstqualität dienen.«93 Tabelle 16: Mögliche Bedeutungskomponenten (1-9) und Konnotationen (10-12) von Luxus 1 groß hoch, höchst
2 kostbar kostspielig teuer
5 anspruchsvoll erlesen/ Erlesenheit exklusiv/ Exklusivität 9 Hoher (höchster) Lebensstandard Über den normalen Lebensstandard hinausgehend
6 Güte hohe (höchste) Qualität perfekt, Perfektion 10 Geschmack/ geschmackvoll Kunstfertigkeit Stil
3 verfeinert/Verfeinerung (im sinnlichen Genuß) Feinheit veredelt delikat 7 modern modisch
4 Zier Verzierung Dekoration dekorativ
11 Schön/Schönheit Schmuck
12 Zauber/ bezaubernd Faszinierende Atmosphäre
8 fortschrittlich Fortschritt neueste (techn.) Errungenschaft
Quelle: H. Mühlmann: Luxus und Komfort, S. 170f.
Bezug nehmend auf das Symbol Tür in Verbindung mit den Symbolen sicher und schwer, zugleich aber einen bequemen Einstieg gewährleistend, ist festzuhalten, dass diese wie der Innenraum Luxus, aber daneben auch Sicherheit ausdrücken sollen. Der Slogan schließlich ((Und wie der startet!) So, und wir starten morgen zur Probefahrt!) fordert nicht nur zu einer Handlung auf, sondern verweist auch mit dem Personalpronomen Wir, mit dem immer ein Ihr mitgedacht werden kann, auf eine spezifische Zielgruppe. Die Ansprache, um ein Fazit aus dieser Rekonstruktion zu ziehen, verläuft in erster Linie entlang der denotativen Linien Fortschritt (Der Wagen ist modern.), Sicherheit (Die Türen sind solide.) und Luxus (Der Einstieg ist bequem.). In der Einsetzung der Teile für das Ganze und des Ganzen für die Teile, haben wir einen Fernsehwerbespot für einen Wagen vor uns, der sich in konnotativer Hinsicht auszeichnen soll durch Geschmack (Der Wagen ist bequem und luxuriös.), durch
93 H. Mühlmann: Luxus und Komfort, S. 170ff., vgl. ebd., S. 130f.: Sachgebiet Verkehrsmittel und Zubehör.
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Modernität (Der Wagen ist modern.) und orientiert ist an bürgerlichen Werten und Orientierungen (Der Wagen ist solide.).
4.4 Z UR F ORM DER K ORRESPONDENZ ZWISCHEN F ERNSEHWERBESPOT UND Z IELGRUPPE In dieser letzten Phase werden die Ergebnisse der Auswertung des Fernsehwerbespots auf die kulturellen Parameter der sozialstrukturell bestimmten Zielgruppe bezogen. In diesem oben herausgearbeiteten Zusammenhang geht es um Lebensstilmuster, die sich vor allem in vorhandenen Sitten, Gewohnheiten, jeweiligen Traditionen, erreichten Bildungsgraden konkretisieren. Der Lebensstil bezieht sich darauf, »[…] wie man seine Wohnung einrichtet, wie man sich bei Tische verhält, für was man sein Geld ausgibt [und] welchen Interessen überhaupt nachgegangen wird.«94 Obgleich in dem Fernsehwerbespot für den Ford Taunus 17M P-2 einige der zentralen kulturellen Charakteristika der Zielgruppe modelliert worden sind, wie z.B. Fortschrittlichkeit, sich in gewissem Sinne auch tonangebend in der Gesellschaft zu fühlen, unterläuft er diese Modernität wieder mit dem Verweis auf seine amerikanischen Herkunft im Styling. Da die Zielgruppe sich in einem Abwehrverhalten nach unten befindet, und hier sind es in erster Linie die Jugendlichen aus der Arbeiterschicht, die demonstrativ amerikanische Lebensstile zur Schau tragen (Stichwort Elvis Presley), weist die Werbebotschaft Mehrdeutigkeiten auf. Einerseits kann das Symbol Heckleuchte, das sich wie der gesamte Wagen auch am amerikanischen Design orientiert, als Metonymie für Fortschrittlichkeit gelten. Andererseits aber kann genau dasselbe Symbol so gelesen werden, das es ein stückweit den Lebensstil der Unterschicht repräsentiert, gegenüber der gerade eine aktive Abgrenzung betrieben werden sollen. Das amerikanische Design wird also nicht als Symbol für Fortschrittlichkeit eines technischen Produkts angesehen und gedeutet, sondern als Symbol der Geschmacklosigkeit im Sinne der Betonung der ästhetischen Dimension des Produkts. Dadurch wird die teils stilistisch homogene Werbebotschaft ambivalent. Unterstrichen wird dies durch die magischen Momente, die in diesen Fernsehwerbespot ein-gebaut sind: Die Bewegungen des Produkts aus sich selbst heraus. Es gibt keinen Fahrzeugführer, niemand öffnet die Fahrertüre; diese
94 U. Jaeggi/H. Wiedemann: Der Angestellte, S. 104.
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öffnet sich gleichsam von selbst. Verdichtet findet sich diese Uneinheitlichkeit auf einer anderen Ebene, nämlich im Spitznamen des Produkts: Kölner Barock.
5. Über Zielgruppen und Marken Es ist nicht immer klar auszumachen, ob sich die Kommunikation der Marke an der Erwartungshaltung der Zielgruppe orientiert oder umgekehrt. THOMAS OTTE
5.1 D IE Z IELGRUPPE ZWISCHEN 1959 E XPANSION DER M ITTELSCHICHT
UND
1967:
Wie im Abschnitt 4.2.3 bereits angeschnitten, beginnt die Expansion der Gruppe der Angestellten nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen 1950 und 1975, in nur 25 Jahren, verdoppelt sich diese Schicht von 16 auf 33 Prozent, sodass sich jeder dritte Arbeitnehmer Mitte der 1970er Jahre in einem Angestelltenverhältnis befindet. In diesem zahlenmäßigen Anstieg sind drei große Expansionswellen zu erkennen. Die erste Expansion findet zwischen 1950 und 1960 statt. Die Mittelschicht steigt von 16 auf rund 23 Prozent. Die zweite Welle deckt sich in etwa mit den 1960er Jahren, und die dritte Welle er-streckt sich bis in die späten 1980er Jahre, in der die Gruppe der Angestellten zahlenmäßig auf rund 45 Prozent klettert. Wichtig wird nun die zweite Expansionsphase zwischen 1960 und 1970, in der die Mittelschicht von 23 auf 31 Prozent anwächst. Wie in Abbildung 12 zu sehen ist, wachsen während der 1960er Jahre zwei Berufsgruppen im Schichtungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland: Im Vergleich zur Beamtenschaft, die einen leichten Aufwärtstrend zeigt, wächst die Gruppe der Angestellten sprunghaft. Vorerst bleibt aber noch die mittlere Mittelschicht Zielgruppe für den Ford Taunus 17M P-3. Dieses überaus erfolgreiche Modell und die rasante Aufwärtsbewegung der Mittelschicht ist Anlass im FordManagement, die Zielgruppenkonstruktion zu ändern und mit der Ein-
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führung des Ford Taunus 17M P-5s, dem Nachfolgemodell des P-3, die Zielgruppe breiter anzusetzen bzw. nach unten zu öffnen. Dies wiederum wirkt sich aus auf die Modellierung der Fernsehwerbespots, die für dieses neue Modell produziert werden, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Abbildung 12: Erwerbspersonen nach Stellung im Beruf bis Ende der 1960er Jahre (in Prozent)
100 80 60 40 20 0 1882 1895 1907 1925 1933 1939 1950 1958 1961 1970 Selbständige Mithelfende Familienangehörige Beamte Angestellte Arbeiter
Quelle: K.M. Bolte/D. Kappe/F. Neidhardt: Soziale Ungleichheit, S. 44.
Diese statistischen Durchschnittswerte geben nur grob die Richtung an, in der sich die Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland bewegt. Die tatsächlichen sozialstrukturellen Wandlungsvorgänge waren wesentlich diffiziler. Am Beispiel der Arbeiterschaft führt dies Axel Schildt vor: »Innerhalb der Arbeiterschaft verschwanden nach und nach die Gruppen der Landarbeiter und der Arbeiter der alten Industrien, etwa der Textilindustrie oder im Bergbau. Ein moderner industrieller Arbeitertyp in aufstrebenden Sektoren wie dem Automobilbau, der Elektro- oder der Chemieindustrie, weniger
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charakterisiert durch schwere körperliche Arbeit als durch die Handhabung und Kontrolle moderner Maschinen, prägte zunehmend den Betriebsalltag.«1
Mit diesem Hinweis an der Hand fragen wir: Wie gleichen oder differieren die Mentalitäten der mittleren Mitte, die im Abschnitt 4.2.3 beschrieben worden sind, von den Orientierungsgrößen der unteren Mitte? Prototypische Berufe der nicht-industriellen unteren Mittelschicht sind Sparkassenangestellte, Korrespondenten, Buchhalter, Vertreter, Postangestellte und einfache Bankangestellte.2 Über das so genannte Selbstbild der unteren Mittelschicht halten Moore und Kleining Folgendes fest: »Bei den Angehörigen der unteren Mittelschicht ergibt sich ein Bild, das einige Gemeinsamkeiten mit dem Selbst der mittleren Mittelschicht aufweist. Beide Gruppen sehen sich in der Verteidigung; sie sind passiv, restaurativ und bemühen sich um Erhaltung bürgerlicher Werte und Lebensformen.«3 Charakterisiert werden kann diese Gruppe durch ein starkes Sicherheitsstreben in sachlichen wie gesundheitlichen Angelegenheiten. Diese Sicherheit wird unter anderem »[…] in der Geborgenheit der Familie und der kleinen Gruppe der Freunde gesucht.«4 Diese beiden Spielarten des Spezifikums Sicherheit aber differenziert die untere gegenüber der mittleren Mittelschicht. Auch hinsichtlich der Konsum-Leitbilder, wie Scherke sie vorgetragen hat, sind erhebliche Unterschiede festzustellen. Im Gegensatz zur mittleren Mitte orientieren sich die Angehörigen der unteren Mitte an den Konsum-Leitbildern der III. Klasse. Die idealtypische, in dieser Klasse dominierende Figur ist der Bürgersmann. Er ist etwas behäbig, etwas bequem, zugleich einigermaßen wohl situiert, tüchtig und sparsam – so wenigsten dargestellt in der Werbung, wenn überhaupt die Rede von diesem Typus ist. Das weibliche Pendant ist die Bürgersfrau. Neben der Dame ist die Bürgersfrau die zweite zentrale weibliche Figur der Werbung.5 Wie die mittlere, so legt auch die untere Mittelschicht Wert auf einen Lebensstil, der sich von dem des Arbeiters unterscheidet, da sie sich der gesellschaftlichen Mitte zugehörig fühlen und sich ebenfalls von den aufstrebenden Arbeitern abzugrenzen suchen. Diese Abgrenzung vollziehen sie, indem sie sich an dem arrivierten Bürgertum, der
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A. Schildt: Modernisierung, S. 13. H. Moore/G. Kleining: Das soziale Selbstbild, S. 99. Ebd., S. 100. Ebd. Vgl. die Tabelle 15.
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sozial höher stehenden Schicht, orientieren. Hier, so Moore und Kleining, sind »[…] die Leute [zu finden], die über mehr Besitz, mehr Einkommen und mehr Prestige verfügen als sie, die oft ihre Vorgesetzten sind […] und die sich allgemein ihrem Streben nach oben hart entgegenstellen.«6
5.2 Ü BER DEN GESELLSCHAFTLICHEN K ONTEXT DER Z IELGRUPPE : D IE BRD IN DEN LANGEN F ÜNFZIGER J AHREN So wie sich der Einzelne seiner Gruppe anpasst, ist die Gruppe eingepasst in das Schichtungsgefüge einer zeitlich wie räumlich verorteten Gesellschaft. Mit einem Seitenblick auf die so genannten langen Fünfziger Jahre7 soll dieser gesellschaftliche Kontext, indem die im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehenden Mittelschichten eingebettet sind, eingeholt werden. Bei der Betrachtung der 1950er Jahre erweist sich, gleich welche Einteilung man an dieses Jahrzehnt anlegt, dass »[…] der zusammengehörige historische Abschnitt mehr als das Jahrzehnt von 1950 bis 1960 umfaßt […]«8. Daher wird diese Dekade tituliert mit der Phrase von den langen Fünfziger Jahren. Diese erstrecken sich, so Werner Abelshauser, auf den Zeitraum von 1949 bis 1966. Steht das erste Datum für die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, so das zweite für die erste Rezession Mitte der 1960er Jahre. Auf welche Gesamtformel bzw. welche Formeln kann dieser historische Abschnitt gebracht werden? Eine Gesamtformel zum Verständnis der 1950er Jahre, die so Werner Faulstich jedoch mit Vorsicht zu genießen ist9, lautet Spannung zwischen Restauration und Aufbruch. Eine andere Möglichkeit, die gesellschaftlichen Entwicklungen in den zentralen funktionalen Systemen zu betrachten, besteht darin, diese Entwicklungen entlang der Dimensionen Wirtschaft, Sozialstruktur, Politik und Kultur zu gruppieren. Hierbei kann auf mehrere Monografien und Sammelbände zurückgegriffen werden und es können im
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H. Moore/G. Kleining: Das soziale Selbstbild, S. 100. Vgl. W. Abelshauser: Die langen Fünfziger Jahre. A. Schildt: Gesellschaftliche Entwicklung, S. 3. W. Faulstich: Die Kultur der 50er Jahre, S. 8.
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Rahmen der vorliegenden Studie einige Schlaglichter gesetzt werden.10 Diese sind Wirtschaftswunder und nivellierte Mittelstandsgesellschaft. Die wirtschaftliche Entwicklung in der frühen Bundesrepublik Deutschland ist gekennzeichnet durch ein außergewöhnliches Wachstum. »Der Durchbruch zum ›selbsttragenden‹ [Herv. i.O.] Wachstum gelang in der ersten Hälfte des Jahres 1952. Charakteristisch für das folgende Jahrzehnt waren außergewöhnliche Steigerungsraten des Bruttosozialprodukts und des Außenhandels – Erfolge, die im In- und Ausland bald als ›Wirtschaftswunder‹ [Herv. i.O.] apostrophiert wurden.«11 Ein Faktorenbündel, das zu dieser steilen wirtschaftlichen Entwicklung geführt hat, findet sich in Schmidt und Spieß. Sie listen auf: • • • •
•
den Marshall-Plan, den Wiederaufbau der zerstörten Wirtschaft, Städte und Verkehrsverbindungen, die effizientere Arbeitsweise der in der BRD neu gebauten Industrieanlagen im Vergleich zu den Wettbewerbern, die Einrichtung des europäischen Wiederaufbauprogramms (ERD) und die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) sowie den Koreakrieg samt der dadurch angeheizten Exporterfolge.
Hinzu kommt die frühe, im Jahr 1948 von Ludwig Erhard durchgeführte Währungs- und Wirtschaftreform, die ihn zum Vater der sozialen Marktwirtschaft werden lassen. Die Konsolidierung des wirtschaftlichen Aufschwungs Anfang der 1950er Jahre zeitigte nicht nur Veränderungen im Einkommen, in der Arbeitslosenrate, in den Wirtschaftsektoren, sondern auch Entwicklungen der Sozialstruktur der Gesellschaft und Veränderungen im Lebens- und Konsumstil der Mitglieder der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Im Gleichschritt mit dieser steilen wirtschaftlichen Entwicklung stiegen die Löhne und Einkommen ebenfalls steil und lang anhaltend, »[…] eine beispiellose generationentypische Erfahrung.«12 Die Arbeitslosenquote verringerte
10 Vgl. z.B. W. Faulstich: Die Kultur der 60er Jahre, A. Schildt: Deutschland, A. Schildt/A. Sywottek: Modernisierung, S.J. Schmidt/B. Spieß: Kommerzialisierung, W. Benz: Geschichte der Bundesrepublik, M. Görtemaker: Kleine Geschichte. 11 W. Bührer: Wirtschaft, S. 34. 12 A. Schildt: Modernisierung, S. 12
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sich zwischen 1950 und 1960 von rund 10 auf 1,2 Prozent.13 Dieser wirtschaftliche Boom war auch verknüpft mit »[…] Verschiebungen zwischen den und innerhalb der einzelnen Wirtschaftssektoren. Gewinnerin der Umschichtungen war die Industrie, die große Verliererin die Landwirtschaft. […] Während der Anteil der Landwirtschaft an der Beschäftigung von 24 auf 14 Prozent sank, verbesserten sich die Industrie von 43 auf 48 Prozent und der Dienstleistungssektor von 33 auf 38 Prozent. Noch deutlicher wird die Dominanz der Industrie, vergleicht man die Produktionsentwicklung. Hier verzeichnete die Industrie zwischen 1950 und 1963 einen Zuwachs von 185 Prozent, Handel und Verkehr brachten es immerhin auf 126 Prozent, während die Landwirtschaft mit lediglich 43 Prozent klar zurücklag. […] [I]nsbesondere die verarbeitenden Sparten – an der Spitze die Chemieindustrie, der Maschinenbau, die Automobilindustrie und die Elektrotechnik – avancierten nach Bedeutung und Wachstumstempo zum ›Motor der Expansion‹ [Herv. i.O.] (Gerold Ambrosius) der westdeutschen Wirtschaft.«14
Auch die Formen des Lebensstils, der Freizeit und des Konsums änderten sich im Zuge dieses Wohlstands für alle. Doch ging es in den westdeutschen Haushalten noch sehr Bescheiden zu. Hier verstärkten sich zwei Tendenzen in den 1950er Jahren, die als Grundlage für die aufkommende Konsumgesellschaft in den Jahren ab 1959 dienten. Am auffälligsten im Umgang mit dem ausgabefähigen Einkommen in den 1950er Jahren war, so Schildt, »[…] der steile Anstieg der Sparquote […], die sich im Laufe des Jahrzehnts in etwa verdreifachte und 1960 bei 8,7 Prozent lag […] Man könnte die fünfziger Jahre pointiert als das Jahrzehnt des Sparens bezeichnen.«15 Hinzu tritt das in diesem Jahrzehnt bemerkenswerteste Merkmal hinsichtlich des Lebensstils bzw. der Freizeitbeschäftigung, die auffällige Betonung der Häuslichkeit und des Beisammenseins mit der Familie.16 Beides führte zu ansteigenden Wohlstand. »Vor allem der Kauf eines Personenkraftwagens, für viele Berufspendler unabdingbare Notwendigkeit oder attraktive Alternative zur Fahrt in überfüllten Vorortzügen, rückte nun erst für breite Schichten in den Bereich des Möglichen. Während 1959 jeder vierte Angestellten- und Beamten- und sogar erst jeder achte Arbeiterhaushalt über ein eigenes Auto verfügte, besaß bereits drei
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W. Bührer: Wirtschaft, S. 36. Ebd., S. 34f. A. Schildt: Modernisierung, S. 8. Ebd., S. 9.
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Jahre später ein Drittel aller Arbeitnehmerhaushalte einen ›fahrbaren Untersatz‹ [Herv. i.O.] – überwiegend einen erschwinglichen Kleinwagen.«17
Die mit diesem letzten Punkt berührte Entwicklung der Ausstattung der Haushalte mit langlebigen Konsumgütern und der Zuordnung von Fahrzeugklassen zur Schichtstruktur, sind wir bei der sozialstrukturellen Entwicklung der 1950er Jahre angelangt. Das von dem konservativen Soziologen Helmut Schelsky geprägte Bild von der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Wiederaufbau ist das der nivellierten Mittelstandsgesellschaft. In diesem Portrait der westdeutschen Gesellschaft überlagern sich zwei Prozesse, umfangreiche Auf- und Abstiegsprozesse in den letzten beiden Generationen mit einem Fluchtpunkt: Der unteren Mitte der Gesellschaft.18 Auf der einen Seite hat ein kollektiver Aufstieg der Industriearbeiterschaft, der technischen und Verwaltungsangestellten in den Mittelstand stattgefunden, auf der anderen Seite sind breite Abstiegs- und Deklassierungsprozesse, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, aufgetreten. Betroffen sind insbesondere das Bildungs- und Besitzbürgertum. Sie treffen sich in ihrer Aufwärts- bzw. Abwärtsmobilität in der unteren Mitte der Gesellschaft. »Ergebnis sei die Herausbildung einer kleinbürgerlich-mittelständischen Gesellschaft bescheidenen Zuschnitts, der die früher grundlegende soziale Klassenspannung fehlte.«19 Sozialstrukturell gesehen kann zwar von einem Verschwinden von sozialen Spannungen in dieser so genannten nivellierten Mittelstandsgesellschaft gesprochen werden, kulturell hingegen verschärfen sich die Konflikte aufgrund des Aneinanderrückens der verschiedenen Gruppierungen. Denn die sozialen Leitbilder und das soziale Selbstverständnis entzögen sich, so Schelsky, diesen Nivellierungstendenzen. »[J]a in vielen Fällen betont man die Zugehörigkeit zu bestimmten alten Prestigegruppen heute stärker als früher, obwohl hinter diesen Formen der ›Einbildung‹ [Herv. i.O.] kaum noch soziale Realitäten stehen.«20 Mit anderen Worten, eine Abgrenzungen der Gruppierungen voneinander finden nicht mehr im Rahmen der Produktionssphäre statt, um die herum sich Bildung, Beruf und Einkommen gruppieren. Stattdessen entspringen soziale Spannungen anderen Quellen als der Soziallage, z.B. können sie in der Sphäre der Konsumtion, also auf
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Ebd., S. 8. Vgl. H. Schelsky: Die Bedeutung. A. Schildt: Modernisierung, S. 8. Ebd., S. 334.
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dem Feld des distinktiven Ver- und Gebrauchs der Dinge gefunden werden. Hier sieht Schelsky die Chance, noch den Schichtbegriff beizubehalten. Anzumerken ist hier jedoch, dass dieser Schichtbegriff im Vergleich zum Geiger’schen Begriff der Schicht erneut unterkomplex ist (vergleiche 2.2.3.1). Exkurs Kulturphänomen Werbung Wenn von einem Kulturphänomen Werbung die Rede ist, dann heißt dies soviel, dass Werbung Phänomen einer bestimmten Kultur ist. Ein Stück weit haben wir diese bereits im Überblick über die langen fünfziger Jahre kennen gelernt. Ein derartig verstandener Begriff von Kultur im Sinne der gesamten Lebensform eines Kollektivs ist letztlich identisch mit Gesellschaft. Sehen wir uns nun die entscheidenden Rahmenbedingungen an, die Werbung zu einem Phänomen von Gegenwartsgesellschaften werden lässt. Gabriele Siegbert und Dieter Brecheis geben als Rahmenbedingungen folgende Punkte an21: •
•
Es muss eine freiheitliche und wettbewerbsorientierte Wirtschaftsordnung existieren. In einer Gesellschaft, in der, wie Stefan Hradil ausführt, ein »[…] starre[s] System der reglementierenden Zünfte und Gilden […] die Ausdehnung der Wirtschaft«22 blockiert, kann sich die Wirtschaft nicht entfalten. Wenn weder Wettbewerb noch Produktivität im Interesse der Handelnden sind, sondern »[…] die Interessen des zünftischen Handwerks und Gewerbes […]«23, kann nicht von einer freiheitlichen und wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung gegenwärtiger Gesellschaften gesprochen werden, sondern vielmehr von einer naturalen Subsistenz- und merkantilen Planwirtschaft einer agrarischen Feudalgesellschaft. Es muss eine freiheitliche Gesellschaftsordnung existieren. Solange Formen sozialer Ungleichheit wie z.B. Kleider-, Hochzeitsordnungen oder Ausprägungen, wie sie in der Rangordnung für die Herzogthümer Schleßwig und Holstein vorliegen, in einer Gesellschaft dominieren, sind die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen eingeschränkt. Erst im Zuge der Demokratisierung von Rechten und der Liberalisierung von Zugangschancen samt der Einsetzung eines sozialen Rechtsstaats kommt eine freiheitliche Gesellschaftsordnung in die Welt.
21 Vgl. G. Siegbert/D. Brecheis: Werbung, S. 61. 22 S. Hradil: Soziale Ungleichheit, S. 119. 23 Ebd.
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Es muss zu einer Überproduktion kommen. Mit anderen Worten, es wird nicht nach Absprache und Aushandlung konkret für einen Kunden produziert, sondern für eine anonyme Masse unter abstrakten Marktbedingungen, die sich nach Angebot und Nachfrage ausrichten. Diese Massenproduktion wird mit Massenkonsum verkoppelt. In der vorindustriellen Zeit, so Kai-Uwe Hellmann, kannten und vertrauten sich »[…] Hersteller und Verbraucher. […] Häufig waren sogar noch Lohnarbeit und Kundenproduktion geläufig, so daß der Kunde das Rohmaterial von sich aus mitbrachte und deshalb mit der Beschaffenheit und sogar Herstellung des Produktes selbst vertraut war.«24 Jedoch ändert sich dieses (Vertrauens-)Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten im Zuge der industriellen Revolution dramatisch. Hellmann weiter: »Nunmehr rückten Hersteller und Verbraucher vielerorts auseinander, und an die Stelle der Kundenproduktion trat die Massenfertigung […]«25.
Erst dann, wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind, kann auch von Werbung im Sinne einer modernen Wirtschaftswerbung gesprochen werden. Aus diesen drei gesellschaftlichen Bedingungen: Liberalisierung, Demokratisierung und Industrialisierung, sowie dem Umstand der Anonymisierung des Verhältnisses zwischen – modern gesprochen – Produzent und Konsument, emergiert das Phänomen Werbung. Als funktionales Äquivalent ersetzt es die fehlende Vertrautheit und Bekanntheit zwischen Kunde und Hersteller in modernen Kulturen.26 Falls jedoch diese Rahmenbedingungen nicht gegeben sind, dann, so formuliert Ingomar Kloss etwas überspitzt, »[…] fehlt jede Dokumentation von Werbung.«27 Alles in allem, von einem Kulturphänomen Werbung zu sprechen, heißt, sich die kulturellen Bedingungen anzusehen, in denen sich das Kulturphänomen Werbung etablieren kann.
24 K.-U. Hellmann: Da weiß man, S. 459. 25 Ebd. 26 Dieser systemtheoretischen Lesart, der in der vorliegenden Arbeit der Vorzug gegeben wird, steht eine anthropologische Lesart gegenüber, vorgetragen z.B. von Hanns Buchli: »Die Geschichte der Werbung ist im Grunde eine Geschichte der menschlichen Kultur.« H. Buchli: Geschichte, S. 11. 27 I. Kloss: Werbung, S. 28.
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5.3 D IE FAG ZWISCHEN 1959 UND 1967: V ON E IGENSTÄNDIGKEIT ZUR ( ERNEUTEN ) U NTERORDNUNG Was kann über das Image der Kölner Tochtergesellschaft im Zeitraum zwischen Herbst 1959 und Sommer 1967 ausgesagt werden? Drei entscheidende Veränderungen sind in den Jahren zwischen dem ersten Fernsehwerbespot für die gehobene Mittelklasse und dem ReminderFernsehspot im Jahr 1967 festzustellen. Die erste Veränderung findet mit der Einführung des Modells Ford Taunus 17M P-3 im Jahr 1960 statt. Thomes bemerkt zu diesem Ereignis Folgendes: »Die Einführung des neuen 17M P3 im Jahr 1960, zum dreißigjährigen Jubiläum von Ford Köln, kann als ein Stück revolutionärer Emanzipation ausgelegt werden. Ein wirklich innovatives Fahrzeug wurde kreiert, hauptsächlich in Köln selbst; es war eine elegante stromlinienförmige Schöpfung kombiniert mit einer hohen Funktionalität und Rationalität, die modernes Design, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Qualität betonte. Kurz: ›Die Linie der Vernunft‹ [Herv. i.O.].«28
Für das Image des Unternehmens war dieser Wagen ein Balanceakt. Obgleich in Deutschland Fordwägen »[…] als Prototyp eines amerikanischen Fahrzeugs schlechthin betrachtet […]«29 wurden, erzielte dieses neue Modell eine erstaunliche Verbindung. Ein Gleichgewicht, das zwischen den Anforderungen der Zielgruppe nach einem distinkten Produkt einerseits, und der Ford’schen Maxime nach Funktionalität30 andererseits, herzustellen war. Das Ergebnis war das im Design an den italienischen Karosseriebauern von Pininfarina orientierte Modell des Ford Taunus 17M P-3. Funktionell gesehen war der Wagen, im Volksmund etwas respektlos Badewanne genannt, aufgrund seiner Karosse-
28 P. Thomes: Searching, S. 162. »The new 17M P3 launched in 1960, on the thirtieth anniversary of Ford in Cologne, must be interpreted as a piece of revolutionary emancipation. A really innovative car had been created, mainly designed in Cologne; it was an elegant streamlined interpretation, combined with extreme functionality and rationality, stressing modern design, security, economy and quality. In short: ›Die Linie der Vernunft‹ [Herv. i.O.] (line of rationality).« 29 B. Tuchen: Sprich’ zuerst mit Ford, S. 68. 30 Vgl. P. Thomes: Searching, S. 162.
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rie sensationell windschnittig und wies einen Luftwiderstandswert von cw 0,40 auf. Der entsprechende Wert eines Porsche, also eines auf Geschwindigkeit ausgelegten Sportwagens, schnitt mit einem Wert von cw 0,396 nur knapp besser ab. Dass dieses P-3 Modell sich aber vorrangig am Geschmack der Zielgruppe orientierte, kann abgelesen werden an den starken Veränderungen an der Karosserie, also dem sichtbaren Teil des Fahrzeugs, gegenüber der kaum veränderten Mechanik. Diese »[…] blieb weitgehend konventionell und mit den Daten des Vorgängers identisch.«31 Doch das neue Modell verbesserte die Verkaufsstatistik der Kölner Fordwerke erheblich. Die Neuzulassungen wuchsen von 1960 mit 99.373 Einheiten auf 138.623 abgesetzten Einheiten im Jahr 1961. Der Anteil des 17M P-3 Modells an diesen Zulassungszahlen war immens. Im Vergleich zu seinem Vorgängermodell verdoppelte dieser Wagen den Absatz fast. »Im ersten Produktionsjahr, von Oktober 1960 bis September 1961 wurden in der Bundesrepublik und in Westberlin insgesamt 66 600 neue Ford 17M Wagen zugelassen (Oktober 1959 bis September 1960: 34 400 Wagen vom alten Modell).«32 Während des vierjährigen Lebenszyklus des 17M-Modells wurden fast 670.000 Einheiten produziert und abgesetzt – kontrastierend hierzu nochmals die Zahlen des Vorgängermodells P-2: Von den 240.000 Einheiten wurde rund die Hälfte in WestDeutschland neu zugelassen. Die anderen wurden exportiert, vor allem nach Amerika. Die zweite Veränderung ist verbunden mit der Einführung des Nachfolgemodells, das die Badewanne 1964 ablöste: Der Ford Taunus 17M P-5. Unter Berufung auf den Vorgänger schrieben die Kölner Fordwerke selbstbewusst: »Die Revolution des Jahres 1960 wird in der Evolution des Jahres 1964 weitergeführt. Einen besseren Beweis für die Richtigkeit einer Entwicklung gibt es wohl kaum.«33 Parallel zu dieser evolutionären Bewegung der Modelle verläuft die Evolution der Zielgruppenkonstruktion. War bisher eine bestimmte Klientel angesprochen worden, so richten die Kölner Fordwerke ihre Produktpalette neu aus, nämlich nach unten. Hiermit reagierten die FAG auf den ungebrochenen Strom des Massenkonsums und auf das geänderte Kaufverhalten. Wurde auch bei dem neuen Modell der Werbeslogan von der Linie der Vernunft eingesetzt, so unterschied der Wagen sich doch in mehrerlei Hinsicht von seinem Vorgänger. Hier seien nur die Ver-
31 H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 194. 32 B. Tuchen: Sprich’ zuerst mit Ford, S. 74. 33 Ebd., S. 90.
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änderungen aufgeführt, die auch in den Fernsehwerbespots inszeniert werden: »Weil der 17M P-3 durch die eng zusammenstehenden Scheinwerfer schmalbrüstig wirkte, wanderten sie beim neuen Modell weiter an die Außenseiten. Außerdem fand Dahlberg, daß er zuletzt beim P-3 die Seiten zu stark gewölbt hätte, weshalb Front und Heck etwas eng wirkten. […] Der neue Ford wirkte [aufgrund dieser Änderungen] breitbeiniger und männlicher.«34
Diesen Änderungen an der Karosserie, ein Rückschritt in der Formgebung35, steuerte Ford dadurch entgegen, dass sie »[…] das Fahrwerk darunter […] rundherum [aufmöbelten].«36 Der Ford Taunus 17M P-5 wurde breiter, länger und wieder kantiger (Stichwort Trapezlinie des Ford Taunus 17M P-2). Gleichzeitig wirkte der Wagen »[…] wie ein Auto der gehobenen Klasse.«37 Stabilität und Stärke haben die schwächelende Verspieltheit des 17M P-3 ausgestochen, wie Wolgang Peters in seinem Aufsatz Europa kündigt sich an festhält.38 Der 17M P-5 und die größere Ausführung des Ford Taunus 20M P-5 mit einem 6Zylinder-Motor waren rein äußerlich identisch. Der Unterschied fand sich unter der Motorhaube und in Sachen Preis. War der 17M mit einem V4-Motor ausgestattet, so der 20M mit einem V6. Lag der Anschaffungspreis eines 20M bei etwa 8.000,00 DM – der billigste Sechszylinder-Wagen Deutschlands –, wurde der 17M P-5 rund 500,00 DM billiger angeboten. »Die Preispolitik von Ford [für den 20M] gefällt allerdings nicht allen Kunden; unzufrieden sind ›besonders Käufer der teureren Typen, mit dem Argument, daß zu wenig Abstand zu den billigeren Brüdern bestünde‹ [Herv. i.O.].«39 Nichtsdestotrotz ist auch der neue Ford Taunus, produziert zwischen 1964 und 1967, ein voller Erfolg. So tituliert der Journalist Heinz Michaels in der Zeit: Ford jagt Opel. »Zwei amerikanische Konzerne liefern sich eine heiße Schlacht. […] Die FordWerke steigerten ihre Produktion von 1965 um rund 25, ihren Umsatz gar um 38 Prozent. Im Export nach Finnland, Frankreich und den Niederlanden lagen sie an der Spitze; unseren französischen Nachbarn verkauften sie genau ein
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H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 246ff. J. Kuch: Ford, S. 122. Ebd. H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 251. W. Peters: Europa, S. 71. M. Kriegeskorte: Automobilwerbung, S. 94.
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Auto mehr als Opel, 29 529 Stück insgesamt. Es war damit das erfolgreichste 40 deutsche Automobilwerk.«
Die Fordwerke sind so erfolgreich, dass sie den ewigen Rivalen Opel in der Zulassungsstatistik Westdeutschlands überholen. Insgesamt werden von dem 17M P-5 Modell 630.000 Einheiten41 hergestellt und weltweit verkauft. Die dritte Veränderung ist organisatorischer Art. Diese Veränderung kündigt sich zwar bereits im Jahr 1959 an42, es dauerte aber noch weitere acht Jahre bis die Reorganisation ins Leben gerufen werden konnten. Die organisatorischen Veränderungen münden in die (erneute) Unterstellung der Kölner Ford-Werke unter die Dachorganisation Ford of Europe mit Sitz in London. Ford of Europe wurde 1967 mit dem Ziel gegründet, die zersplitterte Organisation der FordOperationen in Europa, das ist vor allem Dagenham in Großbritannien und Köln in Westdeutschland, zu integrieren. John Andrews ist der Architekt dieser Neustrukturierung. Trotz seiner Überzeugung, dass Konkurrenz fruchtbar sei, wie dies z.B. bereits bei der so genannten two fishing line in Sachen europäisches Marketing der Fall war, begann er, an der Integration der unterschiedlichen Ford-Organisationen zu bauen und folglich an der Etablierung von Ford of Europe.43 Mit dem Ziel der Vereinheitlichung der beiden Organisationen verband sich aber folgende Konsequenz: Die Tochtergesellschaften wurden an die kurze Leine genommen. »So nannte die Presse das Kölner FordManagement ein ›Marionettentheater‹ [Herv. i.O.].«44 Dies hatte wiederum Auswirkungen auf die FAG, die zwar mit dem Ford Taunus 17M P-3 ein großes Stück Positivierung des Images geleistet hatten. Aber dies wurde nun Stück für Stück durch eine bestimmte Produktpolitik auf der einen und Unternehmens interner Restrukturierungsmaßnamen auf der anderen Seite zurückgenommen. Als Fazit kann festgehalten werden, dass das Unternehmen als ein amerikanisches Unternehmen wahrgenommen wurde. Diese Wahr-
40 H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 246ff. 41 Die Stückzahlen differieren bei diesem Modell beträchtlich. Weinen und Rosellen z.B. sprechen von insgesamt 854.000 P-5 (vgl. A. Weinen: Ford M-Modelle, S. 122, H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 410f.). Kuch hingegen beziffert die Gesamtproduktion mit 710.059 Einheiten (vgl. J. Kuch: Ford, S. 123). 42 Vgl. S. Tolliday: The Origins, S. 183. 43 Ebd., S. 188f. 44 H.-P. Rosellen: Ford-Schritte, S. 164.
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nehmung ergab sich teils aus dem amerikanischen Styling der für den deutschen Markt gedachten Produkte, teils dadurch, dass die Firmenpolitik sich ein positives Images im Bewusstsein der deutschen Käufer geben wollte, immer wieder unterwandert durch Akte der Entscheidungsträger in der amerikanischen Mutterkonzern.
6. Vom Kölner Barock zur Badewanne und von dieser zum Modell ohne sobriquet Mit der Badewanne gelingt es, sich vom US-Design zu lösen und ein europäisches Erscheinungsbild zu etablieren. THOMAS HALTNER Die Revolution des Jahres 1960 wird in der Evolution des Jahres 1964 weitergeführt. Einen besseren Beweis für die Richtigkeit einer Entwicklung gibt es wohl kaum. AUS EINER WERBEBROSCHÜRE FÜR DEN FORD TAUNUS 17M P-5
6.1 D IE W ERBESPOTS FÜR DEN 17M P-2 UND 17M P-3 IM V ERGLEICH 6.1.1 Ambivalenzreduzierung durch adjustment? In dem Fernsehwerbespot, der den ersten Ford-Werbespot für die gehobene Mittelklasse nach einem halben Jahr der Ausstrahlung ablöst, sind die folgenden, ersten Schritte eines unvollkommenen Anpassungsprozesses an die Kultur der anvisierten Sozialschicht zu beobachten. Diese Anpassungen im 1960er-Spot reagieren auf die im vierten Kapitel herausgearbeiteten Ambivalenzen im Fernsehwerbespot vom September 1959.
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Im Vergleich der beiden Fernsehwerbespots 09/59 und 03/60 sind die Ähnlichkeiten, die der neue Spot gegenüber seinem Vorgänger aufweist, und die vorgenommenen Änderungen von Interesse. Hierbei geht es sowohl um die Symbolensembles als auch um deren denotative und konnotative Bedeutungen. Die nachfolgenden Ausführungen drehen sich somit um die Frage, ob Ähnlichkeiten bzw. Änderungen auf symbolischer Ebene Ähnlichkeiten bzw. Änderungen auf der Bedeutungsebene entsprechen, also ob Themenkarrieren trotz geänderter Symbolisierungen bzw. thematische Zäsuren beobachtbar sind. In der nachfolgenden Tabelle sind die beiden zur Debatte stehenden Fernsehwerbespots, beide im Format einer Produktpräsentation, zeitlich verortet. Tabelle 17: Fernsehwerbespots für den Ford Taunus 17M P-2 de Luxe SpotNr.
1959 Q1
1960 Q2
Q3
Q4
Q1
1961 Q2
Q3
Q4
Q1
1962 Q2
Q3
Q4
Q1
Q2
1 2 Produkt-Präsentation
Einstieg in die Fernsehwerbung für die gehobene Mittelklasse von Ford ab September 1959 Quelle: Selbst erstellte Tabelle
6.1.2 Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer und semantischer Ebene Vom Fernsehwerbespot 09/59 zum Spot 03/60 Beginnen möchte ich mit einer kurzen Inhaltsübersicht des zweiten Fernsehwerbespots für das Modell des Ford Taunus 17M P-2. Das Produkt, das im Werbefilm präsentiert wird, ist abermals ein 17M in der de Luxe Ausstattung. Im Vergleich zu seinem Vorgänger weist dieser Fernsehwerbespot die doppelte Spiellänge auf, 60 Sekunden, und eine gegenüber seinem Vorgänger dreifache Einstellungsanzahl (18 Einstellungen). Im Durchgang durch diese Einstellungen ist auf visueller Ebene folgendes Geschehen zu sehen: In einer ersten Szene
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wird das Verkehrszeichen1 Ende sämtlicher Streckenverbote gezeigt. Der Wagen kommt um eine Kurve von rechts nach links auf den Zuschauer zu ins Fernsehbild gefahren. Eine zweite Szene gibt den Wagen wieder, wie er entlang einer Baumallee auf den Fernsehzuschauer zu und an ihm vorbei auf den Bildschirmhorizont zu fährt (dritte Einstellung). Bevor in der fünften Szene der Wagen über eine unebene Fahrbahn auf den Zuschauer zusteuert, erscheint das Gefahrenzeichen Unebene Fahrbahn. Nun fokussiert die Kamera auf das rechte Vorderrad – in Aktion auf jener unebenen Fahrbahn. Wieder wird ein Gefahrenzeichen Doppelkurve nach rechts beginnend gezeigt, das in die nächste Einstellung überleitet; eine Einstellung, die wie Szene zwei, nur spiegelverkehrt, präsentiert wird. Das nächste Gefahrenzeichen weist auf einen Fußgängerüberweg hin. In der darauffolgenden Einstellung wird der Wagen vor einem Fußgängerüberweg gestoppt (zehnte Einstellung), der sich – andeutungsweise – in einer größeren Stadt befindet. In der – damals sicherlich noch nicht verkehrsberuhigten – Fußgängerzone kreuzen Passanten auf dem Zebrastreifen den Weg des Wagens. Herren mit Hut, Hausfrauen und so weiter. Die nächste Einstellung ist eine Wiedergabe eines Bildes aus dem Werbeprospekt für den Wagen: Blick auf dessen Armaturenbrett und Lenkrad. Die nächsten drei Einstellungen entsprechen der Zweiten, Dritten und Vierten des im vierten Kapitel beschriebenen Werbespots. Doch wird die Zurschaustellung des Innenraums und dessen Größe veranschaulicht mit drei im Fond sitzenden Insassen: Herr im Anzug (mit verdächtigem Einstecktuch) umrahmt von zwei Damen. Das nachfolgende Bild gibt den Blick frei auf den geöffneten Kofferraum vor dem allerlei Gepäck steht (unter anderem eine Hutschachtel), das wieder einmal wie von Zauberhand in der drauf folgenden Einstellung in den Kofferraum befördert wurde. In einer letzten, 18. Einstellung wird der Schriftzug des Ford Taunus 17M und sein Emblem gezeigt und darunter: Ford-Werke AG Köln. Auditiv setzt sich dieser Werbespot zusammen aus einer Lautmalerei, die immer wieder in eine Eigenkomposition übergeht. Beides begleitet das Geschehen auf visueller Ebene. Eine Stimme aus dem Off begleitet kommentierend das sichtbare Geschehen bzw. die Aktionen des Wagens wie folgt:
1
Vgl. http://www.adac.de/Recht_und_Rat/verkehrsrecht/Verkehrszei-chen/ vom 22.02.2008.
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Freie Fahrt für den modernen Taunus 17M. Elegante Linien, kraftvolle Beschleunigung, 60 PS. Überlange Federbeine schlucken jeden Stoß – Taunus 17M. Spursicher in schnellen Kurven – Taunus 17M. Bremsen ohne in die Knie zu gehen, bitte schön, Taunus 17M. Blick- und handgerechte Armaturenfront. Aha, Ford-Sicherheitslenkrad und dicke grundsolide Türen, komfortable Polster – Taunus 17M. Man sitzt bequem zu dritt, Platz für das Urlaubsgepäck der ganzen Familie. Doch, testen Sie Ihn selbst beim FordHändler, den Taunus 17M. In den beiden Abbildungen 13 und 14 sind zwei Folgen von Schnappschüssen wiedergegeben, die die zentralen Elemente der untersuchten Fernsehwerbespots zeigen. Abbildung 13: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 03/60
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 14: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Spots 03/60
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
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Diese kurze Inhaltsübersicht dient als Grundlage für die weiteren Ausführungen. In diesem Vergleich sind die folgenden audiovisuellen Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer Ebene beschreibbar. Über Ähnlichkeiten auf symbolischer Ebene Mit Bezug auf das beworbene Produkt, also auf visueller Ebene, ergibt sich dieses Bild. Mit dem einleitenden Satz des Produkt-Präsentators, wie bereits 1959 aus dem Off: Freie Fahrt für den modernen Taunus 17M, wird der Wagen ins (Fernseh-)Bild gefahren. Dieser steuert, nachdem er die Kurve einer Serpentine durchfahren hat, auf den Zuschauer zu und verschwindet wieder am rechten Bildschirmrand. Die dadurch gut sichtbare Frontpartie des Fahrzeugs zeichnet sich, wie bereits die des Wagens aus dem September-Spot, durch den verchromten Kühlergrill aus. In der Seitenansicht wird durch den Sprecher im Off die elegante Linie des Wagens betont, die bereits 1959 visuelle Dominanz gezeigt hat. Auch hinsichtlich der präsentierten Teile der Karosserie können Ähnlichkeiten festgehalten werden. Es wird wie sechs Monate zuvor der Kofferraum vorgeführt. In dieser visuellen Darbietung, die unvermeidlich auch die Heckleuchten ins Spiel bringt (siehe Abbildung 14 im Vergleich mit Abbildung 11), wird die Darstellung aber auf andere Art und Weise dramatisiert. Der Kofferraum, der nun geöffnet und zum Beladen mit dem davor stehenden Gepäck bereit ist, spielt die Heckflossen herunter. Die im Zentrum des Bildes platzierten Gepäckstücke ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, so viele Koffer, Taschen, Täschchen und sogar ein Kescher. Es ist gerade diese Quantität die dramatisiert wird: »Was und wie viel noch reingepackt werden kann, [so Schmidt,] ist auch Zeichen des sozialen Distanzverhaltens.«2 Mit der Zentrierung des geöffneten Kofferraums und der Menge des Gepäcks in der Bildmitte werden die Heckleuchten dezentriert. Außer der Differenz, dass 1960 in der visuellen Präsentation der Blick in den Kofferraum und auf die Menge der Koffer, erst davor und dann darin, gewährt wird, unterscheiden sich beide Fernsehwerbespots mit Bezug auf den Einblick in den Innenraum und dessen Interieur nicht. Hier wird an den 1959er Werbespot angeknüpft und die Ähnlichkeiten zwischen der zweiten, dritten und vierten Einstellung des 1959er Spots und den im 1960er Spot beobachtbaren Einstellungen 13,
2
G. Schmidt: Der Kofferraum, S. 53.
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14 und 15 sind frappierend. Beide Male wird die Sicht freigegeben auf das Lenkrad, das Armaturenbrett, Teile der Vorderbank. Mit einer neuen Kameraperspektive und -einstellung, verortet auf der Kühlerhaube des Wagens, blickt der Zuschauer in den Innenraum, auf die Vorderbank mit der unterteilten Rücklehne und die Rückband des Wagens. Der Off-Sprecher kommentiert: Großer Innenraum und Platz für Fünfe bzw. Man sitzt bequem zu dritt. Auf auditiver Ebene ist festzuhalten, dass der Wagen und seine Teile mit ähnlichen Stichwörtern versehen werden. Dies zeigt die Gegenüberstellung der beiden Werbetexte, der so genannten Copys, in der Tabelle 18. Tabelle 18: Vergleich der Copys der beiden Fernsehwerbespots 09/59
03/60 Modernitätsaspekt Da, der Taunus 17M - modern, Freie Fahrt für den modernen spritzig, solide und stehen, ja. Taunus 17M. Aspekte des Innenraums Sichere, schwere Türen, Aha, Ford Sicherheitslenkrad und bequemer Einstieg, großer dicke grundsolide Türen, komfortable Innenraum und Platz für Fünfe. Polster – Taunus 17M. Man sitzt bequem zu dritt, Platz für das Urlaubsgepäck der ganzen Familie. Sicherheitsaspekt Klare, übersichtliche Blick- und handgerechte Armaturenfront. Armaturenfront. Fahrleistung Na, und bessere Heckleuchten Elegante Linien, kraftvolle habe ich noch nicht gesehen Beschleunigung, 60 PS. und wie der startet! Fahrverhalten Überlange Federbeine schlucken jeden Stoß – Taunus 17M. Spursicher in schnellen Kurven – Taunus 17M. Bremsen ohne in die Knie zu gehen – bitte schön Taunus 17M. Slogan So, und wir starten morgen Doch, testen Sie Ihn selbst beim zur Probefahrt. Ford-Händler, den Taunus 17M.
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Leistung, Sicherheit, Geräumigkeit und Komfort sind die Stichworte, die in beiden Fernsehwerbespots modelliert und dramatisiert worden sind. Hiermit erschöpfen sich dann aber die Ähnlichkeiten auf auditiver und visueller Ebene und schaffen Raum für eine Reihe von Modifikationen im 1960er Fernsehwerbespot.
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Über Änderungen auf symbolischer Ebene In der Gegenüberstellung der beiden Fernsehwerbespots ist eine Reihe von visuellen und auditiven Änderungen festzustellen, die teils offensichtlich, teils weniger deutlich zu erkennen sind. Wenden wir uns zunächst den augenscheinlichen Unterschieden zu. Der wohl offensichtlichste Unterschied besteht darin, dass sich der Kontext des Produktes verändert hat. Das Produkt wird in eine spezifische Kulisse eingebettet und zugleich werden spezifische Darsteller mit dem Produkt assoziiert. Nicht nur wird der Wagen mittlerweile von einem Fahrer gesteuert, deutlich zu sehen in der zehnten Einstellung. Auch in der Demonstration der Geräumigkeit des Wagens, 1959 schlicht mit Blick durch dessen Windschutzscheibe in den Innenraum, findet eine solche Änderung statt: Der Zuschauer blickt nun auf eine Personenkonstellation, ein Herr umrahmt von zwei Damen. Diese Personenkonstellation ist in einem so genannten Schnittmodell platziert worden. Derartige Schnittmodelle, im Fachjargon der Werbung als so genannte Cutaways bezeichnet, bestehen »[…] nur aus Vorder- und Rücksitzen sowie dem Lenkrad und dem Heckfenster.«3 Zur Charakterisierung des Darstellers, der den Wagen steuert, der Darsteller, die im Heck des Wagens bequem Platz gefunden haben und der (vermeintlichen Laien-) Statisten, die als Passanten im Werbefilm zu sehen sind, ist zu bemerken, dass der Fahrer, männlich und mittleren Alters, einen Anzug trägt wie auch der von zwei Damen umrahmte Herr; hier kommen noch Ornamente wie Einstecktuch und Krawatte hinzu. Die Damen tragen Kostüme. Schließlich werden in der Zebrastreifen-Einstellung (vergleiche Abbildung 13) Passanten verschiedenen Alters und beiderlei Geschlechts gezeigt; entsprechend des Werbetextes aus der PrintWerbung zu diesem Modell von 1957 einen Seitenblick auf den Wagen riskierend: »Passanten schauen – ein herrlicher Wagen […] Kinder entscheiden – ›der ist ‘ne Wucht‹ [Herv. i.O.] […] Autofahrer wenden die Köpfe […]«4. Mit dem Darsteller, der den Wagen steuert, geht eine weitere Änderung einher, die beide Spots deutlich voneinander trennt. Wird der Wagen 1959 noch unbewegt, bei statistischer Kamera vorgeführt, so wird das Produkt nun in Aktion demonstriert wie es kraftvoll beschleunigt, spursicher in schneller Kurve liegt oder aber
3 4
B. Tuchen: Sprich’ zuerst mit Ford, S. 17. Aus der Print-Werbung von Ford: Führend im Fortschritt – ein bildschöner Ford.
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mit den Unebenheiten der Straßen und Wege leicht zurecht-kommt, da überlange Federbeine jeden Stoß schlucken. Auch die Studioatmosphäre und der neutrale Hintergrund werden durch eine Fülle verschiedenster Umgebungen ersetzt, jedoch immer wieder unterbrochen durch die Übernahme jener neutralen Kulissen, wie dies in der elften und sechzehnten Einstellungen beobachtbar ist. Die Kulissen sind zum einen Landschaftsausschnitte, wie z.B. eine Baumallee, die auf eine Überlandfahrt hindeutet, oder ein nicht asphaltierter Feldweg, bei dessen Schlaglöchern sich das Fahrzeug bewähren muss. Zum anderen wird ein urbanes Umfeld in Szene gesetzt: Eine Straßenecke mit Blumenladen, Fußgängerüberweg und ein Hochhaus, das verschwommen im Hintergrund zu erkennen ist. Nicht nur dient der Einsatz von Kulissen dazu, dem Zuschauer Orientierungspunkte zu geben.5 Dies geschieht jedoch nicht nur in geografischer Hinsicht, z.B. in welchem Land das Fahrzeug verortet wird oder wohin die nächste Urlaubsreise führen (soll/kann), sondern auch in semantischer Hinsicht. Produkt, Darsteller und Kulissen dienen der Transmission von Bedeutung und sind mit spezifischen Bedeutungen aufgeladen, da sämtliche Kulissen – und nicht nur diese – »[…] konkrete Assoziationen in sich bergen.«6 In der Übersicht von Paul Rutherford finden sich verschiedenste Kulissen und die mit diesen verbundenen Assoziationen. Tabelle 19: Narratives and their Shortcuts nach Rutherford Nature
Tradition
Modernity
Place
wilderness
country
city
Time
timeless
past/present
present/future
Scale
individual North/South
small Europe/Canada
mass First World
Knowledge
lore
craftsmanship
technology
Properties
beauty challenge
simplicity stability
complexity change
Promise
freedom
community
progress
Mood
awe and peace
nostalgia
optimism
Person
worshipper challenger
inheritor
maker victim
Quelle: P. Rutherford: Reading the Bessies, S. 120.
5 6
Vgl. T.M. Schulz: Klassifikation, S. 79. Ebd.
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Sehen wir uns endlich die oben erwähnten versteckten Änderungen an, die in der Gegenüberstellung der beiden Werbefilme zu entdecken sind. Beide Änderungen beziehen sich auf diejenigen Elemente, die eindeutig Fortschritt symbolisieren und diese Symbolisierungen über die Gleichsetzung mit Amerikanisierung funktionieren lassen: Die in die Flossen am Heck eingebetteten Rückleuchten und das BreitbandTachometer. Beide Elemente, als Teil der Karosserie und als Ausschnitt des Innenraums, verkörpern die Idee, dass der Fortschritt sich an der Nation orientiert, die – wenigstens in der westlichen Welt – als die fortschrittlichste jener Zeit galt: Amerika. Beide Elemente werden in dem neuen Fernsehwerbespot, der jedoch weiterhin das herkömmliche P-2 Modell bewirbt, zurückgenommen. Wie sieht dies im Einzelnen aus? Rufen wir uns die Beschreibung der fünften Einstellung des September-Spots in Erinnerung: Die Kamera zoomt durch die Speichen des Lenkrades auf den Tachometer, sodass nur noch Teile der Lenkradspeichen – deren Funktion im Fernsehbild mit dem eines Bilderrahmens verglichen werden kann – zu sehen sind. Dominant ist der Tachometer. Es ist ein Tachometer im Breitbandformat, mit anderen Worten: Typisch amerikanisch. Wie sieht nun die entsprechende Einstellung im Werbespot vom März 1960 aus? Auch hier wird die Armaturenfront in den Fokus der Kamera gerückt, doch findet das heran zoomen der Kamera an den Tachometer nicht statt. Dies kommt aber einem Verzicht gleich, der genau jenes Element, welches im Vorgänger Amerikanismus bzw. Fortschrittlichkeit symbolisierte, nicht herausragen lässt. Ähnliches gilt für die Heckleuchten: Na, und bessere Heckleuchten habe ich noch nicht gesehen. So kommentiert der Sprecher aus dem Off die Einstellung, in der die beiden Heckleuchten, erst die linke, dann die rechte, gezeigt werden. Hierbei beherrschen sie das Fernsehbild. Wie nun sieht dieser Aspekt in den Einstellungen des 1960er-Werbespots aus? Zwar sind auch hier bei der Ansicht der Heckpartie des Wagens die Heckleuchten zu sehen, aber die Aufmerksamkeit hat sich von diesen hin zum Kofferraum verschoben mit dem Hinweis auf dessen Geräumigkeit, die die des Innenraums ergänzt. Auch bei Kofferraum wird das Raumangebot prävaliert: Platz für das ganze Gepäck der Familie. Mit einer Demonstration des Fassungsvermögens des Kofferraums, erst ist das vor dem geöffneten Kofferraum ausgebreitete Gepäck und dann, mit der nächsten Einstellung, das in den Kofferraum gestapelte Gepäck zu sehen, verliert die dominante Stellung der Heckleuchten, die sie im Vorgängerspot sowohl durch den Off-Kommentar wie durch die Kameraeinstellung, ein Close up, erhielten, ebenfalls an Gewicht. Es ist nicht nur eine kompositionelle Änderung, sondern auch eine symbolische.
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Auf auditiver Ebene, dies ist bereits oben angedeutet worden, sind Änderungen in Bezug auf die Zuordnung zu Teilen der Karosserie vorgenommen worden, andererseits sind neue Aspekte, wie z.B. die Dramatisierung des Kofferraums, hinzugekommen. Tabelle 20 zeigt die entsprechenden symbolischen Ähnlichkeiten und Änderungen der Werbespots von 09/59 und 03/60. Tabelle 20: Ähnlichkeiten und Änderungen in den Fernsehwerbespots 09/59 und 03/60 17M P-2 de Luxe TVCs
09/59
03/60
P-2 als magischer (Himmels-)Wagen
P-2 als säkulares 'Fahr'-zeug
Visualität BILD Produkt Präsentation
x
Fahrzeug stehend
x
Fahrzeug fahrend als … … Ganzes
x
x
x x
x x
x
Teile des Produkts außen/Karosserie - vorne – Kühlergrill - hinten – Heck/Kofferraum
- Seitenansicht/l+r – Linie - Schrägansicht/v+h – Scheinwerfer/Kotflügel
x
x x x
vordere
x x x x
x x x x
x x x
x x x
geschlossen geöffnet
hintere innen/Interieur - Armaturen - Innenraum, und zwar … …. Vordersitze … Rückbank - Lenkrad Kontext Akteure
x
nein
x 0 0
ja (Darsteller), und zwar … … Einzelperson(en) … Personenkonstellationen … Funktion … Produktbezug Schauplätze Indoor, und zwar …
x
… Halle … Ausstellungsraum Outdoor, und zwar … … Stadt … Land
0 x 0 0
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TEXT im Bild Auditivität I+II SPRACHE On (Mono-, Dialog Anwesender) Off (Monolog Abwesender)
x
x
v/o (Gedanken) MUSIK (Charakterisierung) GERÄUSCHE
x x
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Was nun tragen all diese symbolischen Ähnlichkeiten und Änderungen des Fernsehwerbespots von 1960 zu den zwei Bedeutungsebenen bei? Einerseits wird versucht, jene Ambivalenzen zurückzunehmen. Gleichwohl eine Reihe von Änderungen vorgenommen wurde, kann die zentrale Ambivalenz, Modernität als Fortschrittlichkeit oder als Amerikanisierung zu interpretieren, nicht gänzlich aufgelöst werden. Fortschritt bzw. Fortschrittlichkeit, symbolisiert mit dem Straßenkreuzer im Taschenformat, der in seinem gesamten Styling ein einziges Zitat amerikanischer Formsprache ist, wird weiterhin als Amerikanisierung gelesen, da es sich noch immer um die Bewerbung des gleichen, typisch amerikanischen Produkts handelt. Dies ändert sich jedoch mit dem Fernsehwerbespot, der ab Oktober 1960 ausgestrahlt wird. Vom Fernsehwerbespot 03/60 zum Spot 10/60 Aufgrund der im Abschnitt 6.1.1 geäußerten Behauptung der Ambivalenzreduzierung bei den Fernsehwerbespots zwischen September 1959 und Oktober 1960, liegt die Annahme nahe, dass die Ähnlichkeiten die Änderungen im Vergleich der Werbespots 03/60 und 10/60 überwiegen – und dies zeigt sich dann auch im Vergleich der beiden Werbefilme. Obgleich die FAG in der Bewerbung ihres neuen Produkts, dem Ford Taunus 17M P-3 – oder wie Alexander Weinen es fasst, dem Kölner Revolutionär –, ab Oktober 1960 mit einer Sensation in der Formgebung des Wagens aufwarten konnten, bleibt der Fernsehwerbespot verhaftet in der Bildsprache seines Vorgängers. So können wir im Vergleich der beiden Fernsehwerbespots für den Kölner Barock und dem Kölner Revolutionär vorerst einen fortgesetzten Anpassungsprozess beobachten, bevor es zu einer Revolution der visuellen Formen auch auf der Wirklichkeitsebene der Fernsehwerbespots im Frühjahr 1961 kommt. Dieser Prozess bezieht sich vor allem auf die Präsentation des neuen Modells, das in nahezu identischem Kontext präsentiert wird.
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Sehen wir uns die beiden Fernsehwerbespots genauer an. Zunächst zur Inhaltsübersicht des Fernsehwerbespots für den Ford Taunus 17M P-3, der ab Oktober 1960 bis März des darauf folgenden Jahres ausgestrahlt wurde. Wiederum ein halbes Jahr nach dem letzten Spot für den P-2, blieb dieser für ein halbes Jahr bis zu seinem wear out im Einsatz. Die Länge beträgt 60 Sekunden, er weist aber gegenüber seinem Vorgänger weniger Einstellungen auf, elf an der Zahl. Die Werbebotschaft zeigt im Durchgang durch die einzelnen Einstellungen auf visueller Ebene folgendes Geschehen: In einer ersten langen Szene, im Modus des Zeichentricks, sind Veränderungen einer Wagensilhouette und die diesen Wagen umspielenden Windströmungslinien zu sehen. Angefangen bei der Silhouette eines Ford T-Modells ändert sich diese in einen Umriss eines so genannten Buckel-Taunus und schließlich in die Kontur eines Ford Taunus 17M P-3. Zugleich glätten sich hierbei die in weißen Streifen angedeuteten, im Windkanal der Autowerke meist durch Rauch sichtbar gemachten Windströmungen, die die Karosserie des Wagens umfließen. In den Einstellungen wird der Wagen von verschiedenen Seiten gezeigt: Von vorne, dem Zuschauer den Kühlergrill präsentierend, von hinten, das Heck darbietend und seitlich mit der neuen Linienführung als einer Variation über das Thema Oval. Auch Teile der Karosserie werden gezeigt: Die vorderen Breitbandscheinwerfer und die Windschutzscheibe bei wechselnder Ausstaffierung des Hintergrunds. Hier sind wiederum Landschaft, Nachtverkehr, Menschenmassen, Teile einer Stadt, Brücken, Hochhäuser und Stadtverkehr dargestellt. Mit Bezug auf den Innenraum ist in diesem Werbefilm darauf Wert gelegt worden, dessen Geräumigkeit anhand einer Demonstration hervorzuheben: Zwei Damen und ein Herr, die auf der Rückbank des Wagens platziert worden sind, vermitteln den Eindruck dort bequem zu sitzen. In der letzten, elften Einstellung wird neben dem Schriftzug FORD TAUNUS 17M und dem Kölner Emblem, rechts oben im Bild platziert, der Wagen seitlich, umrahmt von Ovalen, gezeigt. Auf auditiver Ebene baut sich der Werbespot auf aus einer Lautmalerei, die die Evolution des Wagens begleitet, und einem musikalischen Thema, das die Ansprache des Off-Sprechers untermalt. Dieser Präsentator kommentiert das Geschehen auf dem Bildschirm so: Nach den Strömungslinien der Luft schuf Ford die Linie der Vernunft, den neuen Taunus 17M. Die Stromform ist es, die ihn windschnittig macht. Windschnittig aber heißt wirtschaftlich. Ganz klar, weniger Luftwiderstand ergibt auch weniger Benzinverbrauch. Sehr flach die Kühlerfront. Unverkennbar die Breitbandscheinwerfer. Freie Sicht durch die weite Wölbung der Frontscheibe. Licht
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und freundlich der komfortable Innenraum und die gewölbten Seitenscheiben schaffen Platz für breite Schultern. Bequem und sparsam, der neue Taunus 17M. Sie müssen Ihn einmal Probe fahren. Ihr Ford-Händler erwartet Sie! In der Abfolge der Schnappschüsse, die in den folgenden Abbildungen zu sehen sind, sind die zentralen Elemente, das Produkt, und die Darsteller des Fernsehwerbespots, zusammengestellt. Der Evolutionsgedanke findet sich in Abbildung 4 (Kapitel 1). Abbildung 15: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 10/60
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 16: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 10/60
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Ein Vergleich der beiden zeitlich nahe beieinander liegenden Fernsehwerbespots ergibt auf symbolischer Ebene folgendes Bild. Über Ähnlichkeiten auf symbolischer Ebene Die Ähnlichkeiten auf visueller Ebene betreffen hinsichtlich des Produkts die Art und Weise der Darbietung: Der Wagen wird in Vorder-
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ansicht präsentiert, die den Blick auf den Kühlergrill und die Motorhaube gewährt. Er wird in Rückansicht gezeigt: Mit Blick auf die Heckleuchten und den Kofferraum, auf die Kotflügel. Er wird in Seitenansicht von beiden Seiten gezeigt, die neue Linie hervorhebend. In der Diktion der Werbesprache von Ford heißt es: Die Linie der Vernunft. Weitere Teile des Wagens, die in den 60 Sekunden dauernden Fernsehwerbespot auftauchen, kontrastieren die präsentierten Wagenteile des Vorgängerspots. Dazu gleich mehr. Mit Bezug auf den Innenraum, der so Lothar Boschen nahezu identisch ist mit dem des Vorgängermodells, werden mit Blick durch die Windschutzscheibe die Sitzgelegenheiten gezeigt: Einmal ohne und einmal mit Darstellern; Einstellungen, die sich auch so im Vorgängerwerbespot wiederfinden. Die Kulissen der beiden Fernsehwerbespots stimmen in folgenden Punkten überein. Wie ein halbes Jahr zuvor wird in der Wagen in einer Menschenmasse gezeigt: Passanten. Parallel zu den Ausführungen des Off-Sprechers, Licht und freundlich der komfortable Innenraum und die gewölbten Seitenscheiben schaffen Platz für breite Schultern, wird eine Dreiergruppe eingeblendet: Zwei Frauen mit einem Mann in typischer Kleidung der Mittelschicht. Hermann Glaser veranschaulicht dies für diese Zeit und beide Geschlechter wie folgt: Der Wagenbesitzer, der Nyltest-Vater, trägt das jüngst von der Firma Walbusch eingeführte Nyltest-Hemd samt Sakko, und des Besitzers’ Gattin ist die Pepita-Mutter, die meist ein schwarz-weißes, kleinkariert gemustertes Kleid zur Schau trägt.7 Der feine Unterschied diesmal ist der, dass die Personenkonstellation nicht als reale Personen, sondern als Abbild im Fernsehbild präsentiert wurde. Ohne dass es im Werbetext auftaucht, fühlt man sich erinnert an den Ausspruch im Fernsehwerbespot von 1960: Man sitzt bequem zu Dritt. Welche Ähnlichkeiten können auf auditiver Ebene aufgeführt werden? Sehen wir uns die jeweiligen Werbetexte an: Freie Fahrt für den modernen Taunus 17M. Elegante Linien, kraftvolle Beschleunigung, 60 PS. Überlange Federbeine schlucken jeden Stoß: Taunus 17M. Spurensicher in schnellen Kurven: Taunus 17M. Bremsen ohne in die Knie zu gehen, bitteschön: Taunus 17M. Blick- und handgerechte Armaturenfront. Aha, FordSicherheitslenkrad; und dicke, grundsolide Türen, komfortable Polster: Taunus 17M. Man sitzt bequem zu Dritt, Platz für das Ur-
7
Vgl. H. Glaser: Kleine Kulturgeschichte, S. 214. Vgl. auch die Chronik der Fa. Walbusch: http://www.walbusch.de/walbusch-de/pages/page.jsf?page id=firmen-chronik_de_textpage vom 11.06.2008.
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laubsgepäck der ganzen Familie. Doch testen Sie Ihn selbst beim Ford-Händler – den Taunus 17M! (03/60) Nach den Strömungslinien der Luft schuf Ford die Linie der Vernunft: Den neuen Taunus 17M. Die Stromform ist es, die ihn windschnittig macht. Windschnittig aber heißt wirtschaftlich. Ganz klar, weniger Luftwiderstand ergibt auch weniger Benzinverbrauch. Sehr flach die Kühlerfront, unverkennbar die Breitbandscheinwerfer. Freie Sicht durch die weite Wölbung der Frontscheibe. Licht und freundlich der komfortable Innenraum, und die gewölbten Seitenscheiben schaffen Platz für breite Schultern. Bequem und sparsam, der neue Taunus 17M. Sie müssen ihn einmal Probe fahren. Ihr Ford-Händler erwartet Sie! (10/60) Bequemlichkeit, Modernität und Geräumigkeit sind Themen, die sich auch in der Oktoberwerbung wieder finden. Obgleich das Stichwort modern nicht wie im März des Jahres 1960 explizit ausgesprochen wird, so ist Modernität doch präsent: Symbolisch-ikonisch. Die Bildreihe, die die Metamorphose des Wagens wiedergibt, ist der ikonische Ausdruck der Modernisierungsvorstellung. Doch betrifft dies bereits die Unterschiede. Über Änderungen auf symbolischer Ebene Im Nebeneinander der beiden Fernsehwerbespots ist nur eine geringe Zahl von Änderungen zu registrieren. Der offensichtlichste Unterschied ist das Produkt selbst, das in der neuen Werbebotschaft präsentiert wird. Dominierten beim Vorgängermodell noch die kantigen Linien der Trapezform mit schwulstigen Ausführungen am Kühlergrill wie an Stoßstange, mit Chromzierrat versehen, so fällt dies beim Nachfolgemodell komplett weg, fehlt also in der visuellen Präsentation. Vorherrschend sind nun einfache, zurückgenommene Formen im ästhetischen Thema Oval: Anstatt flamboyanten, geschmacklosen Zierrats ebene Flächen und ein glatt gehaltener Kühlergrill. Teile des neuen Wagens, die dem Zuschauer dargeboten werden, scheinen noch zusätzlich diese dramatische Kehrtwende im Karosserie-Design unterstreichen zu wollen. Statt Heckleuchten, die in den Fernsehwerbespots für den P-2 mehr oder weniger dramatisiert worden sind, dominiert der neue Breitbandscheinwerfer – ebenfalls dem Thema Oval verpflichtet. Statt eines Close up auf die Räder, um dem Einsatz langer Federbeine und dem damit verbesserten Fahrverhalten Ausdruck zu verleihen, nun ein Close up auf die Windschutzscheibe, die nicht nur dem Blickfeld des Autofahrers angepasst worden war, sondern auch noch Freiheit der
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Sicht versprach. Im Vergleich zum Vorgänger wird auf die Präsentation weiterer Einzelheiten des Innenraums, bis auf die oben beschriebenen, verzichtet. Betrachtet man die Kulissen etwas genauer fällt auf, dass das urbane Umfeld stärker betont wird. Neben der Silhouette einer Brücke, die in Köln, Berlin oder auch München einen Fluss überspannen könnte, sind Hochhäuser, Straßenverkehr und Passanten im Hintergrund der einzelnen Einstellungen auszumachen. Verzichtet wird auch auf die Gliederung der Werbeargumentation durch den Einsatz diverser Verkehrsschilder. Die Personendarstellungen weichen ebenfalls in Nuancen ab. Statt des Mannes zwischen den Frauen wird dieser zur Unterstützung des Werbetextes an die Außenseite platziert: Die gewölbten Seitenscheiben schaffen Platz für breite Schultern. Rufen wir uns die Tabelle von Rutherford ins Gedächtnis (vergleiche Tabelle 19), so verweist das gesamte Symbolensemble auf ein Thema: Modernität, Modernität in einer spezifischen Variante. Es ist nicht länger der Fortschritt, der sich über das Modell Amerika – über die amerikanische Formsprache im Automobildesign – inhaltlich identifiziert. Fortschritt kann nicht länger mit Amerikanisierung gleichgesetzt werden. Es ist jedoch nicht nur die europäische Identität, die zählt, sondern die Identität der mittleren Mittelschicht und das damit verbundene Statussymbol. Die aufgeführten symbolischen Änderungen und Ähnlichkeiten auf eine Formel gebracht: Der Fernsehwerbespot hat seine Zielgruppe, die mittlere Mittelschicht, verstanden und kommuniziert in der Ansprache ein modernes, europäisches Design, das Distinktion gewährleistet und zugleich Geschmack beweist. Auf der nächsten Seite sind nochmals die herausgearbeiteten symbolischen Ähnlichkeiten und Änderungen tabellarisch zusammengestellt. Tabelle 21: Ähnlichkeiten und Änderungen in den Fernsehwerbespots 03/60 für den Ford Taunus 17M P-2 und 10/60 für den P-3 17M P-2 de Luxe und 17M P-3 TVCs
03/60
10/60
P-2 als säkulares 'Fahr'-zeug
P-3 als 'Show'-zeug
Visualität BILD Produkt Präsentation
x
Fahrzeug stehend Fahrzeug fahrend
x
als … … Ganzes
x
x
x x
x x
Teile des Produkts außen/Karosserie - vorne – Kühlergrill
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- hinten – Heck/Kofferraum geschlossen geöffnet - Seitenansicht/l+r – Linie - Schrägansicht/v+h – Scheinwerfer/Kotflügel vordere hintere innen/Interieur - Armaturen
x x 0 x
x x
x x 0 0
x x
x x 0
x x
x 0 x
x
x x x
x x x
x
x
x
0 x
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x
- Innenraum, und zwar … …. Vordersitze … Rückbank - Lenkrad Kontext Akteure nein ja (Darsteller), und zwar … … Einzelperson(en) … Personenkonstellationen
x
… Funktion … Produktbezug Schauplätze Indoor, und zwar … … Halle … Ausstellungsraum Outdoor, und zwar … … Stadt … Land TEXT im Bild Auditivität I+II SPRACHE On (Mono-, Dialog Anwesender) Off (Monolog Abwesender) v/o (Gedanken) MUSIK (Charakterisierung) GERÄUSCHE
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Obgleich nur geringe Änderungen vorgenommen worden sind, kann die zentrale Ambivalenz, Modernität zugleich als Fortschritt und Amerikanisierung zu lesen, aufgelöst werden, da es sich um die Bewerbung eines neuen Produkts handelt. Dieses Produkt setzt sich gegenüber dem Vorgänger in radikaler Weise ab, indem es eine europäisierte Formsprache spricht. Das Problem, in der Zielgruppenansprache Fortschrittlichkeit zu thematisieren, ist über die in der ersten Einstellung vorgenommene tricktechnische Darstellung der Evolution des Wagens zu eben dieser neuen Form gelöst worden. Es werden hier in verblüffender Art und Weise Redundanz und Varietät der Marke, also tradierte Fortschrittlichkeit, verbunden.
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6.1.3 Vereinheitlichung des Stils: Kultureller Wandel Vor dem Hintergrund der Behauptung und der detaillierten Deskription der Symbole der Fernsehwerbespots und der Rekonstruktion der denotativen sowie konnotativen Bedeutungen, ist eine Ambivalenzreduzierung zu diagnostizieren. Mit anderen Worten, die Elimination der Mehrdeutigkeit in Sachen Fortschritt bzw. Fortschrittlichkeit im zuletzt analysierten Fernsehwerbespot vom Oktober 1960 weist den Weg zu einer Vereinheitlichung des Stils. Folgende Punkte können für die Wirklichkeitsebene dieses Fernsehwerbespots aufgeführt werden: 1. Der Fernsehwerbespot strebt auf eine stilistische Einheit zu. Fortschrittlichkeit als eines der zentralen Merkmale der Werbekommunikation im Automobilbereich dominiert und die Symbolisierung findet eine weniger ambivalente Ausdruckssprache, vor allem mit der Einführung des neuen Modells Ford Taunus 17M P-3 im Herbst 1960. 2. Diese Ambivalenzreduzierung verbleibt jedoch im Format einer Produkt-Präsentation. Erst mit der Ablösung dieses Fernsehwerbespots im März 1961 wird mit diesem Format gebrochen und die stilistische Einheit endgültig erreicht.
6.2 S LICE OF L IFE R EVOLUTION IN DEN W ERBESPOTS FÜR DEN 17M P-3 UND R ITUALISIERUNG 6.2.1 Revolution und Ritualisierung Zwischen 1960 und 1964 sind für das Modell Ford Taunus 17M P-3 mehrere Fernsehwerbespots produziert worden, die sich anfänglich in einem Halbjahresrhythmus, später in einem Jahresrhythmus abgelöst haben8: 10/60: Einstieg in die fernsehmediale Bewerbung der P-3 Modelle 03/61: Slice of Life 09/61: Slice of Life
8
Die kursiv gedruckten Ziffern konnten nicht bestätigt werden. Doch entsprechend der Überlegungen zu Werbedosierung sind diese Abstände aber plausibel.
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09/62: Slice of Life 09/63: Fernsehwerbespot Gentleman plus Testimonial 03/64: Fernsehwerbespot Straßenlage plus Testimonial Tabelle 22: Fernsehwerbespots für den Ford Taunus 17M P-3, 19601964 Spot-
1960
Nr.
Q1
1961 Q1
1962 Q2
Q3
Q4
Q1
1963 Q2
Q3
Q4
Q1
1964 Q2
Q3
Q4
Q1
Q2
3 4 5 6 7 8 Produkt- Slice-of-Life Präsentation
Produkt-Präsentation plus Testimonial
Quelle: Selbst erstellte Tabelle
Mit der Ablösung des zuletzt analysierten Fernsehwerbespots für das Modell Ford Taunus 17M P-3, ausgestrahlt ab Oktober 1960, durch einen Werbespot im Slice of Life Format für dasselbe Modell ab März 1961, findet mit einer Verspätung von einem halben Jahr nun auch eine Revolution auf der Wirklichkeitsebene der fernsehmedialen Bewerbung des Produkts statt. Mehr noch, nicht nur eine Revolution im Format des Fernsehwerbespots, sondern auch eine reine Variation dieser Art von Fernsehwerbung. Ohne großartige Änderungen wird diese für die nächsten beiden Jahre Werberealität für den Ford Taunus 17M P-3 bleiben. Dann löst ein anderes Format, welches in modifizierter Form an das der Fernsehwerbespots für den 17M P-2 anknüpft, dieses Format wieder ab. Wie sich diese Revolution und die sich daran anschließende Ritualisierung sowie die erneute Rückbesinnung auf das Vorgängerformat – gleichwohl leicht modifiziert – ausbuchstabieren, wird in den nächsten Abschnitten in drei Schritten behandelt. In einem ersten Schritt werden die beiden ersten Fernsehwerbespots für den 17M P-3 verglichen, das sind die Spots vom Oktober 1960 und März 1961. In einem zweiten Schritt wird auf die von Frühjahr 1961 bis Herbst 1962 ausgestrahlten Werbespots eingegangen und schließlich in einem letzten Schritt der Übergang zu den beiden letzten für das Modell Ford Taunus 17M P-3 produzierten Fernsehwerbespots dargestellt.
Q3
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6.2.2 Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer und semantischer Ebene Vom Fernsehwerbespot 10/60 zum Spot 03/61 Es folgt zunächst wieder eine kurze Übersicht über den Inhalt des neuen Werbefilms, dem zweiten für den Ford Taunus 17M P-3. Ausgestrahlt wurde dieser ab März des Jahres 1961 und zeigt innerhalb von einer Spieldauer von 60 Sekunden in 23 Einstellungen folgenden Plot: Ein Mann mittleren Alters kommt lachend mit seiner Tochter, die ein Poloshirt zu einem Kleidchen trägt, aus einem/seinem Haus und tritt durch die geöffnete Gartentüre, die von zwei Steinsäulen umrahmt wird, auf den Bürgersteig. Sein Kleidungsstil ist mondän: Er trägt zu einem weißen Hemd mit Manschettenknöpfen eine unifarbene weiße Krawatte und dazu einen hellen Anzug mit Einstecktuch in der linken Brusttasche. Er tritt also dann auf den Gehweg, auf dem ein zweiter Mann, ähnlich gekleidet, von rechts auf ihn zukommt. Mit interessiertem gerade aus gerichtetem Gesicht, eigentlich an dem auf ihn zukommenden Herrn vorbeischauend, blickt er in eine bestimmte Richtung, bis beide sich auf Armes Länge genährt haben. Er schaut diesen nun an und schüttelt ihm wohlwollend die Hand, gratuliert ihm und richtet den Blick abermals postwendend in jene bestimmte Richtung. Jener erwidert: Ja, sie können mir gratulieren. Weiterhin mit geradeaus gerichtetem Blick tritt er an dem Gratulanten vorbei, stemmt beide Arme in die Hüften, schiebt die Unterlippe überzeugt nach vorne und fährt fort: Alle Achtung, der gefällt mir! – das Objekt der Begierde nun beim Namen nennend: Ein neuer Taunus 17M. Mit der Benennung des Gegenstandes, auf das sich die Blicke so unablässig gerichtet haben, ändert sich die Einstellung und mit schnellen Schnitten wird in den drei nächsten Einstellungen das beworbene Produkt, ein Ford Taunus 17M P-3, präsentiert: Von links vorne, im Profil und von links hinten. Nach diesem drehen und wenden des Wagens wird obiger Plot der ersten Einstellung wieder aufgenommen, indem der in der Darstellung als Besitzer auftretende Akteur fragt, wie es mit einer kleinen Probefahrt wäre. Die Tochter ruft begeistert Au fein! und das Grüppchen bewegt sich auf das Fahrzeug zu, das auf der gegenüber liegenden Straßenseite geparkt worden ist. Der Besitzer öffnet die Fahrertüre und gibt dadurch den Blick in den Innenraum des Wagens frei. Deutlich sichtbar sind das Lenkrad, die Armaturen und der Fahrersitz. Die Kamera zoomt heran. Mit der Bitte Platz zu nehmen endet diese Einstellungssequenz und in der folgenden sehen wir die beiden Herren auf den Vordersitzen und die Tochter im Fond des Wagens sitzend. Es entwickelt sich der folgende Dialog zwischen den beiden Herren: Haben
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Sie den 1.7 Liter Motor? Nein, den 1.5 Liter, der macht auch seine 130. Und der Verbrauch? Überraschend wenig durch die windschnittige Form. Mit dem Stichwort der windschnittigen Form sehen wir den Wagen an uns vorbeiziehen, bevor wieder auf den Innenraum fokussiert wird. Der auf der Beifahrerseite sitzende Mann schaut sich nach links und rechts um, dreht seinen Kopf nach hinten zur Tochter, betrachtet die Rückbank des Wagens und kommentiert: ’Ne Menge Platz hier. Während der Fahrer erwidert: Ein richtiger Familienwagen, streckt die Tochter, die ja alleine auf der Rückbank sitzt, ihre Arme nach links und rechts aus und schaut sich, wie ihr Vater, nach beiden Seiten um. In einer neuen Einstellung wird das strahlende Gesicht des Fahrers gezeigt. Er sagt: Und der fährt! Wieder zieht der Wagen, nun wiederum von außen zu sehen, an der Kamera vorbei. In den nächsten Einstellungen werden die Hände und Füße des Fahrers gezeigt, wie er lenkt, schaltet und kuppelt und dies verbal kommentiert: Lenken, kuppeln, schalten – alles geht wie von selbst. Und praktisch unbegrenzte Sicht. Gleich den Insassen nimmt der Fernsehzuschauer die Position eines Mitfahrenden ein und blickt durch die Windschutzscheibe auf die Straße, wie der Wagen an einem Volks-wagen, einem Käfer, vorbeifährt und an einem Magirus Deutz Lastkraftwagen, der an einer Kreuzung angehalten hat, um auf den passierenden Verkehr zu warten. Auf die Frage wie der Wagen denn bremse, wird in der nächsten Einstellung der Fuß des Fahrers gezeigt, der auf das Bremspedal steigt und in der darauf folgenden Einstellung der Wagen, wobei nur der Ausschnitt des vorderen Kotflügels zu sehen ist, in das Bild abbremsend hinein fährt und zum stehen kommt. Die beiden Herren und die Tochter steigen aus, die Kamera zoomt hierbei aus dem Bild, die Einstellung vergrößernd. Mit einem Ton der Überzeugung bekräftigt der durch die Demonstration begeisterte Mitfahrer seine Beglückwünschung vom Beginn des Werbespots: Tja, kann man wirklich nur gratulieren. Er streichelt sanft über die Dachkante des Wagens und bekräftigt seinen, anscheinend während der Fahrt gefassten Entschluss: Mein nächster Wagen, …, den ein Sprecher aus dem Off mit entschlossenen, beinahe harten Ton ergänzt: … ein Ford Taunus 17M. Mit der Einblendung des Markennamens mit dem typischen Schwung und des beworbenen Modells auf dem Hintergrund des vorderen Kotflügels, der in der obigen Einstellung beim Vorgang des Abbremsens ins Bild gefahren kam, endet der Spot. Auch hier sind in den beiden Abfolgen von Schnappschüssen die zentralen Elemente des Fernsehwerbespots, das Produkt und die Darsteller, abgebildet.
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Abbildung 17: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 03/61
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 18: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 03/61
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Im Vergleich der beiden Fernsehwerbespots, dem 10/60er Spot und dem 03/61-Spot, sind eine Reihe von Ähnlichkeiten und Änderungen beobachtbar. Wenden wir uns zunächst den wenigen Ähnlichkeiten zu. Über Ähnlichkeiten auf symbolischer Ebene Mit Bezug auf das Produkt sind folgende Anklänge an den Vorgänger festzustellen. Wie bereits ein halbes Jahr zuvor wird das beworbene Produkt – im ursprünglichen Sinne des Wortes werben – hin und her gewendet, aus verschiedenen Richtungen mit der Kamera aufgenommen. In erster Linie ist es die Seitenansicht des Wagens, die die Referenz zu dem fehlenden Modernisierungsstück des sich verändernden Wagens aus der ersten Einstellung von 1960 herstellt. Wir bekommen neben der Gürtellinie des Wagens dessen Front- und Heckpartie vorgeführt und dies sowohl in Fahrt als auch im Stillstand. Auch in Bezug
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auf den Kontext, in dem das Produkt eingebettet ist, herrscht Differenz vor. Wenden wir uns also den symbolischen Änderungen zu. Über Änderungen auf symbolischer Ebene Obgleich das Produkt, wie in seinem Vorgängerspot, gedreht und gewendet wird, unterscheiden sich die beiden Werbebotschaften doch in drei entscheidenden Punkten: Erstens ist es nicht länger das Bild des Fahrzeugs, das im Fernsehbild vorgeführt wird, sondern sein reales Gegenstück. Zweitens wird der Wagen in Aktion gezeigt. Drittens schließlich sind dieser neue Realismus und diese Demonstration des Wagens eingebunden in einen Kontext, der diesem neuen Fernsehwerbespot ein neues Format verleiht. Sehen wir uns die Kontextualisierung innerhalb der Werbebotschaft an. Für den Kontext, in welchen das Produkt eingebettet worden ist, sind folgende Änderungen zentral. Jene Demonstration ist aufgehoben in einer kleinen Erzählung, in der über die reine Darstellung einer Personenkonstellation Darsteller tatsächlich miteinander (inter-) agieren. Es wird der Besuch eines Mannes bei seinem Freund inszeniert. Zu welchem Ende der Besucher nun kommt, bleibt offen, wichtig ist nur, dass der Besucher zu einer Probefahrt mit seinem neuen Taunus einlädt, die sein Gegenüber auch annimmt. Weitere Änderungen, die zwischen den beiden Fernsehwerbespots zu detektieren sind, beziehen sich auf die unterschiedliche Gewichtung der dargestellten Teile des Wagens. War es im Herbst noch das Vorderlicht, so ist es nun, im Frühjahr des darauffolgenden Jahres, der rundliche Kotflügel des Wagens. Immer wieder, auch bei der Darstellung des Markennamens, ist dieses Bildmotiv zu finden. Weitere Unterschiede beziehen sich auf die Präsentation des Innenraumes. Dies fehlt gänzlich in der Werbebotschaft des Vorgängers. Was nun im März-Spot 1961 fehlt, ist die Einleitung, die den Wagen in den Kontext der Modernität stellt: Die allmähliche Veränderung des Wagens vom T-Modell bis zum P-3. Wie es bereits im vorangegangenen Abschnitt angeklungen ist, ist es vor allem die Personendarstellung im Format des Slice of Life, die dem neuen Fernsehwerbespot eine gänzlich neue Qualität verleiht. Mit diesem Format kann hier nun tatsächlich von einer Revolution gesprochen werden kann. Es wird nicht nur durch die Darstellung der modernen Rundarmaturen während der Probefahrt, sondern auch durch die komplett neue, rundliche Linienführung des Wagens, wie sie in der zweiten Einstellung zitiert wird, auf Modernität referenziert. In der Übersicht sind die entsprechenden symbolischen Ähnlichkeiten und Änderungen in den Fernsehwerbespots von Oktober 1960 und März 1961 tabellarisch zusammengestellt.
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Tabelle 23: Ähnlichkeiten und Änderungen in den Fernsehwerbespots 10/60 und 03/61 für den Ford Taunus 17M P-3 17M P-3 10/60
03/61
P-3 als 'Show'-zeug
P-3 als 'Fahr'-zeug
x
x x
x
x
x x x x
x x x x
- Seitenansicht/l+r – Linie - Schrägansicht/v+h – Scheinwerfer/Kotflügel
x
x
vordere
x x
x x
x x
0 x x 0
x
x
x
x
x x x
x x
TVCs
Visualität BILD Produkt Präsentation Fahrzeug stehend Fahrzeug fahrend als … … Ganzes Teile des Produkts außen/Karosserie - vorne – Kühlergrill - hinten – Heck/Kofferraum geschlossen geöffnet
hintere innen/Interieur - Armaturen - Innenraum, und zwar … …. Vordersitze … Rückbank - Lenkrad Kontext Akteure nein ja (Darsteller), und zwar … … Einzelperson(en) … Personenkonstellationen … Funktion … Produktbezug Schauplätze Indoor, und zwar … … Halle … Ausstellungsraum Outdoor, und zwar … … Stadt … Land TEXT im Bild Auditivität I+II SPRACHE
x
On (Mono-, Dialog Anwesender) Off (Monolog Abwesender)
x
v/o (Gedanken) MUSIK (Charakterisierung) GERÄUSCHE
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
x x
x
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Wenden wir uns nun den denotativen wie konnotativen Bedeutungen dieser Ähnlichkeiten und Änderungen zu. Ergeben sich auch hier Entsprechungen zum Vorgängerspot? Auch ein halbes Jahr später findet das Thema der Wirtschaftlichkeit Ausdruck über die Form des Wagens. Wirtschaftlichkeit bezieht sich hierbei auf die laufenden Kosten des Spritverbrauchs, mit anderen Worten auf den geringen Verbrauch: Weniger Luftwiderstand ergibt auch weniger Benzinverbrauch; und in Dialogform: Der Verbrauch? Überraschend wenig durch die windschnittige Form. Aber darüber hinaus sind in diese denotative Bedeutung weitere semantische Referenzen eingearbeitet. Noch ist die Bildfolge der Transformation des Wagens präsent, die zu dieser windschnittigen Form, zu diesem stromlinienförmigen Design geführt haben. Die Stromlinie, so Wolfgang Schepers mit Bezug auf das Möbel-Design jener Zeit, heißt aber auch modisch, mithin modern zu sein. »Folgt man so prominenten zeitgenössischen Persönlichkeiten wie Mia Seeger […] oder Max Bill […], so müssen wir Dynamik und Aerodynamik präzisieren und mit ›Stromlinienform‹ [Herv. i.O.] übersetzen: ›[…] der Markt bietet alles an, vom pseudohistorischen Möbel bis zur ausgesprochen modischen Stromlinienform‹ [Herv. i.O.] – so Mia Seegers 1953.«9 Dies aber bedeutet, dass neben dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit Fortschritt, Modernität und Sportlichkeit auf konnotativer Ebene Ausdruck finden und in Bezug gesetzt werden zu einem spezifischen Typus von Konsument, der in der Werbebotschaft in spezifischer Art und Weise dargestellt wird. Schulz führt mit Bezug auf Personendarstellungen in Fernsehwerbespots dazu aus, dass die »[…] im Spot dargestellten Personen […] durch ihre Art des Handelns oder durch ihr Aussehen den ›idealtypischen‹ [Herv. i.O.] Konsumenten [repräsentieren], mit dem sich der Zuschauer identifizieren kann. […] Die im Spot agierenden Personen stellen den Typ Mensch dar, dem die Zielgruppe der Zuschauer anzugehören glaubt […]«10. Die Schauspieler weisen nun auch all die Attribute auf, die eine bestimmte Stellung, eine spezifische Position in der Gesellschaft signifizieren und – in einer Wendung von Goffman – in der Tat mit ihren white collars hyperritualisieren. Aber nicht nur die Art der Kleidung, sondern auch die Wohngegend und ein bestimmter Güterbesitz sind als erkennbare Symbole, als Statussymbole, eingesetzt, um das beworbene Produkt in die Kultur der Zielgruppe einzupassen; um den um das Produkt herum inszenierten Kontext die Atmosphäre zu verleihen, sozialstrukturelle wie kulturelle Selbstverständlichkeiten der Zielgruppe verstanden zu
9 W. Schepers: Stromlinie, S. 117. 10 T.M. Schulz: Klassifikation, S. 71.
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haben. Hier ist es ein Wohnviertel mit kleinen Vorstadthäuschen, in dem der Ford Taunus 17M P-3 situiert wird. Des Weiteren ist festzuhalten, dass neben dem Motiv der Sicherheit, auch weiterhin die Geräumigkeit und die damit einhergehende Bequemlichkeit perpetuiert wird. So heißt dies im Oktober 1960: Licht und freundlich der komfortable Innenraum. Dies wird ein halbes Jahr später im Dialog der beiden Herren wie folgt eingeführt: `Ne Menge Platz hier drin. Dies sind die denotativen Bedeutungsdimensionen die sich in den beiden Fernsehwerbespots fortsetzen. Auch hier lagern sich an diesen denotativen Kern weitere Bedeutungen an: Größe und Luxus.11 Doch nicht die Ähnlichkeiten mit Bezug auf das Produkt sind entscheidend, sondern die vorgenommenen Änderungen bezüglich des Kontextes und den damit verbundenen thematischen Veränderungen bzw. Verschiebungen der Bedeutungskomponenten. Eingebettet ist die Präsentation des Produktes in einen Kontext, der eine Vorstadtsiedlung mit Häusern und keine Mietswohnungen oder gar Trabantenstädte zeigt. Während der Demonstration fährt der Wagen durch eine Stadt, die nicht individualisiert und folglich als diese oder jene Stadt erkennbar wird. Aber doch wird die Stadt als Stadt über die eingesetzten urbanen Attribute wie Verkehrskreuzungen, Umgehungsringe, bebaute Umgebung und so weiter erkennbar. Und als solches unspezifiziertes, gleichwohl ausreichend attribuiertes Zeichen im Werbespot konnotiert Stadt Modernität; zeitlich: Gegenwart bzw. Zukunft, sozial: Masse und sachlich: Den Ort für und von modernen Menschen, die Stadt.12 In diesen Kontext ist ein Narrativ eingebaut, das sich wiedergeben lässt als Besuch eines Freundes, um diesen zu einer Probefahrt mit dem neuen Wagen einzuladen. Die beiden Mimen weisen Attribute auf, wie z.B. Anzug und Hemd mit Krawatte, Einstecktuch, Manschetten, über die sie eindeutig der Mittelschicht der 1950er und 1960er Jahre bzw. noch genauer, vor dem Hintergrund des geschilderten Kontextes, der mittleren Mittelschicht dieser Zeit zugeordnet werden können. Die Bedeutungen dieser Zeichen zielt also auf Status und Schichtzugehörigkeit ab, und der damit verbundenen Lebensführung, in der bestimmte Klassen von Fahrzeugen figurieren, die geschmackvoll sind und Distinktionsgewinn in Aussicht stellen. Dem Besitzer des Wagens wird nicht nur gratuliert, also der Chance Tribut gezollt, Wollen und Können im Gleichgewicht halten bzw. gehegte Wünsche auch verwirklichen zu können. Darüber hinaus wird auch noch bekräftigt, dass der Wagen in den Augen des Anderen Gefallen findet. Das Produkt
11 Vgl. H. Mühlmann: Luxus und Komfort, S. 170f. 12 Vgl. P. Rutherford: Reading the Bessies, S. 120.
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fällt in Sachen Geschmack, wobei Geschmack als ein Unterscheidungsvermögen gegenüber Schönheit und Hässlichkeit, Altem und Neuem, Barockem und Modernem fungiert, in die richtige Kategorie. Nicht nur wird dies über den Lebensstil der Darsteller, nicht nur über den urbanen und suburbanen Kontext und nicht nur über die bloße zur Schaustellung des entsprechenden Produkts hervorgerufen, sondern auch über die Kommentierung der entsprechenden Attribute des Produkts. So findet mit der Aerodynamik des Wagens sowohl Wirtschaftlichkeit als auch Schönheit Ausdruck, so findet mit der ikonischsymbolischen Darstellung des Designs nicht nur Fortschrittlichkeit auf technischer Ebene, sondern auch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht der bundesrepublikanischen Gesellschaft Ausdruck in der sozialen Dimension. Dass dies die bestimmenden Thematiken für die nächsten Monate sein werden, nur noch ergänzt um das Thema Sportlichkeit, bereits im Adjektiv windschnittig mitschwingend, werden wir nun im Folgenden sehen. Slice of Life: Die Fernsehwerbespots für den P-3 zwischen Frühjahr 1961 und Herbst 1962 Welche Entsprechungen und welche Modifikationen in den Fernsehwerbespots, die für den Ford Taunus 17M P-3 zwischen Frühjahr 1961 und Herbst 1962 produziert und ausgestrahlt wurden, beobachtbar sind, ist im Folgenden tabellarisch zusammengestellt. Wie aus der Tabelle hervorgeht, dominieren eindeutig die symbolischen Ähnlichkeiten zwischen den Fernsehwerbespots. Tabelle 24: Ähnlichkeiten und Änderungen in den Fernsehwerbespots 03/61, 09/61 und 03/62 für den Ford Taunus 17M P-3 17M P-3 TVCs
03/61
09/61
03/62
x x
x x
x x
x
x
x
x x x
x x x
x x x
0 x
x
x
Visualität BILD Produkt Präsentation Fahrzeug stehend Fahrzeug fahrend als … … Ganzes Teile des Produkts außen/Karosserie - vorne – Kühlergrill - hinten – Heck/Kofferraum geschlossen geöffnet - Seitenansicht/l+r – Linie - Schrägansicht/v+h – Schein-
202 | F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID werfer/Kotflügel vordere hintere innen/Interieur - Armaturen - Innenraum, und zwar … …. Vordersitze … Rückbank - Lenkrad
x x x x x x x 0
x x x x x x x
x x
x x x
x
x
x
x
x
x
x x
x x
x
x
x x 0 x
x
x
Kontext Akteure nein ja (Darsteller), und zwar … … Einzelperson(en) … Personenkonstellationen … Funktion … Produktbezug Schauplätze Indoor, und zwar … … Halle … Ausstellungsraum Outdoor, und zwar … … Stadt … Land TEXT im Bild Auditivität I+II SPRACHE On (Mono-, Dialog Anwesender)
x
Off (Monolog Abwesender) v/o (Gedanken) MUSIK (Charakterisierung)
x
x
x
GERÄUSCHE
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Verfolgen wir die Symbole in den Fernsehwerbespots und fragen nach ihrer denotativen und konnotativen Bedeutung. Sind thematische Brüche aufgetreten, können Themenkarrieren festgestellt werden? Wie stellt sich der Handlungsablauf der beiden Werbespots dar? Sehen wir uns kurz den Inhalt an. In dem 60 Sekunden dauernden Werbespot vom September 1961 ist in 19 Einstellungen folgender Plot wiedergegeben: Ein etwa zehnjähriger Junge, mit Kurzarm-Hemd und kurzer Hose bekleidet, kommt auf einen, leicht erhöht auf einem Mäuerchen stehenden Jägerzaun zu gerannt, hüpft auf die kleine Mauer, pfeift, den Blick auf ein geöffnetes Fenster im ersten Stock eines Hauses gerichtet, und ruft: Norbert! Kommst Du ‘runter? Der angerufene, zweite Junge steckt seinen Kopf aus dem Fenster, nickt und blökt zurück: Ja, ich komme! In der nächsten Einstellung sehen wir ihn zur Haustür heraus kommen. Der vor dem Haus wartende Junge blickt erwartungsvoll in Richtung Straße und fragt: Na, was sagst Du? Genau in diese Richtung schaut nun auch
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der andere Junge, nachdem er aus der Gartentüre getreten ist. Mit einem Mensch, einfach klasse und die schnittige Form – fabelhaft! klopft er dem blonden Jungen etwas zu kräftig auf den Rücken. Dieser bekräftigt: Ja, windschnittig!, und lacht. Beide lachen. In der folgenden Einstellung wird das Objekt, das die Blicke der beiden Jungs auf sich gezogen hat, gezeigt: Ein Ford Taunus 17M P-3. In vier, durch schnelle Schnitte getrennte Einstellungen wird der Wagen von links vorne, wobei das komplette Fahrzeug zu sehen ist, von der (Fahrer-) Seite, also im Profil, und von links hinten und wieder von links vorne, nun mit dem das Bild dominierenden Kühlergrill präsentiert. Die beiden sprechen miteinander über die Besitzverhältnisse und die Vorzüge des Wagens. Ist das Eurer? Ja, das ist Vatis neuer Taunus 17M, viertürig. Da kommt auch unsere Oma bequem ‘rein. Und der große Kofferraum, was da alles ‘rein geht. Man, allerhand. Dieser kurze Dialog begleitet die einzelnen Einstellungen, die die vier Türen des Wagens erst geschlossen, dann geöffnet und den beladene Kofferraum zeigen. Nach dieser Sprachsequenz gehen beide Jungs auf den Wagen zu und bleiben davor stehen. Während der eine Junge erstaunt feststellt, wie viel Platz der Innenraum des Wagens aufweist, berichtet ihm der andere das Folgende über den Wagen: Ja, sogar zwischen Onkel Hermann und seinem Bauch und Tante Käthe sitze ich noch ganz bequem. Und dann die Sicht, da kannst Du die ganze Straße sehen. Und wie der abgeht mit seinem 1,5 Liter Motor. Die nächste Einstellung zeigt das Fahrzeug in Aktion, wobei die Kamera den Innenraum des Wagens in den Mittelpunkt rückt. Es ist der Junge zwischen seinem Onkel und seiner Tante im Fond des Wagens sitzend zu sehen und seine Eltern auf den Vordersitzen, der Vater am Lenkrad, die Mutter auf der Beifahrerseite. In einer anderen Einstellung während der Demonstration des Wagens blickt der Zuschauer – quasi mit den Insassen des Wagens – aus dem Innenraum durch eine große Frontscheibe auf die Straße. Schnitt und nächste Einstellung: Der eine Junge lehnt sich auf die Motorhaube des Wagens und hält fest: Mensch, dass mit Eurem 17M, das muss ich gleich meinem Vater erzählen. Mit der Einblendung des Schriftzugs und dem beworbenen Modell, Ford TAUNUS 17M, vor dem Hintergrund des linken Vorderrads und Radkastens, schließt dieser Fernsehwerbespot. Wie in den vorangegangenen Abschnitten folgt hier ebenfalls eine Reihe von Schnappschüssen, die zum einen das Produkt und zum anderen die Darsteller wiedergeben.
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Abbildung 19: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 09/61
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 20: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 09/61
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Im Vergleich zum zweiten Werbespot für den Ford Taunus 17M P-3 vom Frühjahr 1961 und dem eben beschriebenen Nachfolger ist eine hohe Übereinstimmung beobachtbar und es sind kaum Änderungen zu erkennen. Über Ähnlichkeiten auf symbolischer Ebene Ein Durchgang durch die Ähnlichkeiten der beiden Fernsehwerbespots ergibt folgendes Bild: Im ursprünglichsten Sinne des Wortes Werbung wird das Produkt gedreht und gewendet. Nicht nur die Seitenlinie, sondern auch Vorder- und Rückansicht, also Front- und Heckpartie werden präsentiert. Diese Präsentation der Außenansicht des Produktes, also des Wagenkörpers, folgt hierbei der gleichen Dramaturgie. Mit Bezug auf den Innenraum ist folgendes hervorzuheben. Auch hier wird dieser während der Demonstration des Produktes gezeigt, vor allem unter Betonung seiner Geräumigkeit. Es sind zwar auch hier Armaturen und Lenkrad zu sehen, doch die Aufmerksamkeit wird –
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auch über den sprachlichen Anker – auf die Größe des Innenraums gesteuert. Eine Gegenüberstellung der auditiven Ebene der beiden Fernsehwerbespots zeigt, dass entsprechende Stichwörter mit Bezug auf den Wagen und die Teile des Wagens verwendet werden. 03/61 Herr 1: Gratuliere! Herr 2: Ja, Sie können mir gratulieren. Herr 1: Alle Achtung, der gefällt mir! Ein neuer Taunus 17M. Herr 2: Wie wäre es mit einer kleinen Probefahrt? Tochter: Au fein! Herr 2: Bitte Platz nehmen. Herr 1: Haben Sie den 1,7 Liter Motor? Herr 2: Nein, den 1,5 Liter, der macht auch seine 130. Herr 1: Und der Verbrauch? Herr 2: Überraschend wenig durch die windschnittige Form. Herr 1: ‘Ne Menge Platz hier drin, ein richtiger Familienwagen. Herr 2: Und der fährt! Lenken, kuppeln, schalten – alles geht wie von selbst. Und praktisch unbegrenzte Sicht. Herr 1: Wie bremst er denn? Herr 2: So! Herr 1: Tja, kann man wirklich nur gratulieren. Mein nächster Wagen, ein Ford Taunus 17M. 09/61 Junge 1: Norbert! Kommst Du ‘runter? Junge 2: Ja, ich komme! Junge 1: Na, was sagst Du? Junge 2: Mensch, einfach klasse und die schnittige Form – fabelhaft! Junge 1: Ja, windschnittig. Junge 2: Ist das Eurer? Junge 1: Ja, das ist Vatis neuer Taunus 17M, viertürig. Da kommt auch unsere Oma bequem ‘rein. Und der Kofferraum, was da alles ‘rein geht. Junge 2: Man, allerhand. Und wie viel Platz da drin ist! Junge 1: Ja, sogar zwischen Onkel Hermann und seinem Bauch und Tante Käthe sitze ich noch ganz bequem. Und dann die Sicht, da kannst Du die ganze Straße sehen. Und wie der abgeht mit seinem 1,5 Liter Motor. Junge 2: Mensch, dass mit Eurem 17M, das muss ich gleich meinem Vater erzählen.
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Beide Fernsehwerbespots ähneln sich nicht nur auf der Ebene der auditiven und visuellen Symbole, sondern auch auf der semantischen Ebene. Die entsprechenden denotativen Bedeutungen sind: Die Wirtschaftlichkeit des Wagens, repräsentiert über die Form der Karosserie, und die Geräumigkeit des Innenraums. Konnotativ wird die Wirtschaftlichkeit überlagert durch den Geschmack. Dieser differenziert auf Grundlage der eigenen Klassenlage bzw. Schichtposition zwischen Schönheit und Abgeschmacktheit, vermittelt über das Design des Wagens, das interkulturell die Balance zwischen deutscher Eigenständigkeit und amerikanischer Provenienz des Produkts hält und intrakulturell die Grenzen zwischen den Schichten symbolisch zu markieren erlaubt. Eine konnotative Ergänzung ist bei dem Jungens-Fernsehwerbespot noch zu bemerken. Weist die Verbindung des Adjektivs windschnittig mit dem Substantiv Karosserie im März-Spot ausschließlich auf Wirtschaftlichkeit, so wird diese Verbindung um Sportlichkeit ergänzt. Nicht länger ist das Fahrzeug nur windschnittig, sondern auch schnittig, was in der Umgangssprache wiederum mit rasant bzw. mit sportlich wiedergegeben werden kann. Über Änderungen auf symbolischer Ebene Aber auch Änderungen sind vorhanden. Diese beziehen sich auf die Personenkonstellation und die Rahmenhandlung, in der die Produktdemonstration eingebettet ist. Es sind nicht länger zwei Herren, sondern zwei Jungen, die sich treffen – hier wiederum Übereinstimmung –, um den Vormittag oder auch den gesamten Tag miteinander zu verbringen. Doch davor fällt der neue Wagen auf – eine augenfällige Auffälligkeit. Neben diesen beiden Änderungen bestehen wie in der obigen Tabelle ersichtlich, vor allem Übereinstimmungen zwischen den beiden Werbebotschaften. Wie nun sieht es mit dem Nachfolge-Werbespot aus, der den eben beschriebenen im Frühjahr 1962 ablöst? Sehen wir uns diesen an. In der ersten Einstellung ist ein Teil eines Hauses zu sehen: Eine Hauswand mit Fenster zum Garten. Die Tochter, die hinter dem Fenster zu erkennen ist, wartet, dreht sich in den Raum und spricht zu einer noch nicht näher bestimmbaren Anzahl von Personen: Vati kommt! Die anderen Darsteller eilen herbei: Es sind die Ehefrau und der Sohn. Alle drei winken. Nun kommt das Fahrzeug, ein Taunus 17M, ins (Fernseh-)Bild gefahren, bremst und kommt zum Stillstand. Es folgt die Ansicht des Wagens im Profil und von rechts vorne. Der Darsteller, der den Vater mimt, steigt aus, winkt mit der rechten Hand und schlägt mit dem freien Arm die Türe des Wagens zu. Er geht nach vorne um das Auto herum und streichelt dabei das Dach des Wagens. Am Kotflügel angekommen legt er nochmals die Hand auf die Kühler-
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haube und schreitet dann flotten Schrittes an der Kühlerfront vorbei, Richtung Haus. Nun ist nur noch der Wagen zu sehen. Ansicht des Wagens von rechts hinten, Seitenansicht, Beifahrerseite. Ansicht des Wagens von rechts vorne unten. Es wird der vordere Radkasten gefilmt, die Kamera zoomt auf das Emblem des 17M-Modells, dem Kölner Wappen, das hinter dem Radkasten angebracht ist. Im nächsten Schnitt ist der Sohn in Wandermontur und mit Rucksack zu sehen. Er hält eine Landkarte in Händen und geht auf den Kofferraum des Wagens zu. Nächste Einstellung: Der Junge kommt von links ins Bild gelaufen; der Wagen in Rückansicht mit geöffnetem Kofferraum. Der Vater schlichtet Gepäck in den Kofferraum, nimmt dem die Landkarte studierenden Sohn den Rucksack von der Schulter und packt diesen ebenfalls in den Kofferraum und schließt diesen daraufhin. Schnitt, nächste Einstellung: Es ist ein Ausschnitt des Wagens sichtbar und zwar das vordere linke Licht. Die Kamera zoomt weg. Die Familie ist in den Wagen eingestiegen, Vater am Steuer, Mutter auf dem Beifahrersitz, die beiden Kinder im Heck. Der Vater startet den Wagen und fährt auf die Kamera zu aus dem Bild. Ampel im Vordergrund; dahinter sieht man den Wagen anfahren … und aus dem Bild nach links verschwinden. Die Fahrt geht durch Stadtverkehr, vorbei an Baustellen, Passanten und vorbei an der Berliner Disconto Bank. Ein Verkehrspolizist winkt, die Kreuzung auf die unsere Familie zukommt freigebend, den Verkehr vorbei. Ein Anflug eines Lächelns umspielt seine Mundwinkel beim Anblick des Taunus 17M. Gleich den Wageninsassen blicken wir auf den Wegweiser Richtung Autobahn. Weiterhin aus der Position der Fahrenden sehen wir uns einen Lastkraft-wagen überholen, an einer Baustelle vorbeiflitzen und so auch an einer Tankstelle. Eine weitere Einstellung gibt die Sicht ins Wageninnere von vorne durch Windschutzscheibe frei: Alle Personen sind gut sichtbar. Mit dem Hinweis auf das Ende der Autobahn taucht am Horizont ein Dorfidyll auf: Kleine Bauernhäuser, eine Kirche in der Mitte dieser Häuser. Eine weitere Einstellung zeigt das Verkehrszeichen Parken. Das Fahrzeug – von links ins Bild fahrend – bremst und kommt zum Stillstand. Der Schwenk der Kamera zeigt nicht nur der Familie, sondern auch dem Zuschauer einen von Bergen im Hintergrund gerahmten See, ein Bergmassiv. Die Familie, um den Wagen gruppiert, bewundert dieses; der Vater zeigt sogar in dessen Richtung … die Kamera zoomt heran. Es ist abermals das vordere linke Licht zu sehen. Es werden die so genannte Ford-Pflaume und der Schriftzug TAUNUS 17M eingeblendet. Die visuelle Ebene, wie eben beschrieben, wird durch den folgenden Text begleitet:
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Tochter: Vati kommt! Off-Sprecher: Er kann sich freuen. Er hat einen neuen Taunus 17M. Achten Sie ‘mal auf den Kofferraum. Sogar das Stadt fahren macht Spaß. Leicht und bequem durch den dicksten Verkehr. Und jetzt geht’s ab! Da spürt man Temperament. Windschnittig, daher sparsam im Verbrauch. Eine glückliche Familie mit dem Ford Taunus 17M. In den Abbildungen 21 und 22 sind die Darsteller und das Produkt zu sehen. Abbildung 21: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 03/62
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 22: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 03/62
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Im Vergleich dieses Fernsehwerbespots mit den beiden Vorgängern ist die Konstanz der Art und Weise der Präsentation des Produktes auffällig. Wie bereits weiter oben beschrieben, so folgt auch diese Darstellung des Produkts dem gleichen Schema. Es wird von der Seite, von vorne, von hinten, stehend, in Fahrt und hier zusätzlich noch in
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den verschiedensten Situationen gezeigt. Situationen in verschiedensten Kulissen: Stadt und Stadtverkehr, Fahrt auf einer Autobahn, eine Überlandfahrt zu einem Dorf an einem See am Fuße eines Bergmassivs. Modifiziert worden ist die explizite Hervorhebung der Familie. Ansonsten bleiben die Themen Wirtschaftlichkeit, Sportlichkeit und Geräumigkeit erhalten. 6.2.3 Ritualisierung: Sozialer Wandel? Mit der Revolution im Frühjahr 1961 ist es gelungen, ein Format für die Fernsehwerbespots zu etablieren, das dem Ideal einer stilistischen Einheit zu entsprechen scheint. Jedenfalls ist beobachtbar, dass die drei eben beschriebenen Werbespots eine Tendenz zur Variation mithin zu starker Ähnlichkeit aufweisen. Inwieweit hier eine Ritualisierung, also der Deckung der Modelle von Welt mit Modellen für Handeln vorliegt, kann erst wieder aufgenommen werden, wenn den Korrespondenzformen in siebtem Kapitel nachgegangen worden ist.
6.3 D IE W ERBESPOTS FÜR DEN 17M P-3 UND 17M P-5 IM V ERGLEICH 6.3.1 Life Style Revolution mit Fragezeichen Mit dem Wechsel des Ford-Modells im Herbst 1964 findet zugleich ein Wechsel auf der Wirklichkeitsebene der fernsehmedialen Bewerbung des Produktes statt. Wurde der Ford Taunus 17M P-3 in den beiden letzten Jahren seines Produktlebenszyklus, 1963 und 1964, mittels einer Produktpräsentation samt Testimonial beworben, so wird mit der Einführung des Nachfolgemodells – der zwei Modelle (Ford Taunus 17M P-5 und Ford Taunus 20M P-5) in einem Guss wie es heißt – eine Werbestrategie verfolgt, die die Bewerbung der bisherigen Zielgruppe nach unten öffnet bzw. helfen soll, weitere Schichten aus der Mitte der Gesellschaft zu erreichen. In der nächsten Tabelle sind die Fernsehwerbespots für das 17M P-5 Modell zusammengestellt, die zwischen Herbst 1964 und der vorgezogenen Ablösung dieses Modells im Sommer 1967 produziert und ausgestrahlt worden sind: 09/64: Life Style 04/66: Produktpräsentation 02/67: Produktpräsentation 02/67: Reminder der Produktpräsentation 02/67.
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Tabelle 25: Fernsehwerbespots für den 17/20M P-5, 1964-1967 Spot-
1964
Nr.
Q1
1965 Q1
1966 Q2
Q3
Q4
Q1
1967 Q2
Q3
Q4
Q1
1968 Q2
Q3
Q4
Q1
Q2
Q3
9 fehlt im Datensatz 10 11 12 Life Style
Produkt-Präsentation
Quelle: Selbst erstellte Tabelle
Dass die Öffnung gegenüber neuen Konsumentenschichten nicht spurlos an den Fernsehwerbespots vorüber gegangen ist, wird auf den nächsten Seiten herausgearbeitet. Eine Formel, die Darsteller und Darstellerkonstellationen – eine beibehaltene Eigenschaft – aufweist, könnte wie folgt lauten: An die Stelle der Slice of Life Darsteller in den Fernsehwerbespots für die Badewanne sind in der Bewerbung des Projektes Fünf Life Style Darsteller getreten. Dies gilt jedoch nur für den Beginn der Fernsehwerbung für das neue Modell. Wir sind nicht länger bei der Ansprache der Arrivierten, sondern bei der von Bergsteigern und Kletterern. In einem ersten Schritt wird der Übergang vom letzten Werbespot für den Ford Taunus 17M P-3 zum ersten für den Ford Taunus 17M P5 näher dargestellt und im Anschluss hieran betrachten wir in komparatistischer Manier dessen Nachfolger und die Entwicklung bis Winter 1966/67. 6.3.2 Ähnlichkeiten und Änderungen auf symbolischer und semantischer Ebene Vom Werbespot 03/64 (P-3) zum Spot 09/64 (P-5) Der Werbefilm für das neue Modell, den Ford Taunus 17M P-5, ist ab September des Jahres 1964 ausgestrahlt worden und gibt innerhalb von 45 Sekunden in elf Einstellungen das folgende Geschehen wieder: Das Segel eines Katamarans fällt als erstes in den Blick, gefolgt von der Gesamtansicht des Schiffes. Es liegt am Wind. Diese Bewegung führt dazu, dass es sich in den Fokus der Kamera schiebt. Es ist nun in Seitenansicht zu sehen. Der Kommentator aus dem Off erklärt: Dies ist ein Katamaran. Die zwei Rümpfe sind weit auseinander. Sehen Sie wie sicher er liegt. Nach dem gleichen Prinzip hat Ford den Taunus 17M
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gebaut. Mit breiter Spur, mit weit auseinander liegenden Rädern mit großen Reifen. Währenddessen sieht der Fernsehzuschauer das Schiff in Vorderansicht; mit anderen Worten, die beiden Rümpfe sind gut sichtbar. Es kommt auf den Betrachter zu, bis es die gesamte Bildschirmfläche ausfüllt und nur noch das Wasser, gerahmt von Ausschnitten der Rümpfe und des Decks, zwischen den beiden Rümpfen zu sehen ist. Mit diesem Bild wechselt die Einstellung. Nun zeigt das Bild eine Fahrbahn, die links wie rechts von Reifen und oben von der Stoßstange gerahmt ist. Die Kamera zoomt weg. Diese Teile erweisen sich als Teile eines Ford Taunus 17M P-5. Aus der Froschperspektive wird der Kühlergrill dramatisiert. Die Insassen des Wagens sind kaum zu erkennen, und das, was von diesen sichtbar ist nur schemenhaft. Nach einer langen Einstellung von beinahe neun Sekunden wird wieder der Katamaran gezeigt, der kreuzend sich von links nach rechts durch das Bild bewegt – in der nächsten Einstellung das gleiche Szenario für den Wagen: Anknüpfend an die Frontalansicht aus der vorletzten Einstellung zieht dieser nach rechts bzw. aus der Position des Fernsehzuschauers gesehen nach links an der Kamera vorbei und somit aus dem Bild in die nächste Einstellung. Diese zeigt eine Kurve einer Überlandstraße, auf der der Wagen angefahren kommt. Kommentiert wird diese Bildfolge wie folgt: Das ist die sichere Basis für das Temperament des V4 Motors. So macht das Kurven fahren erst Vergnügen. Breitspursicher zieht er seine Bahn. In den dazu gezeigten Einstellungen sehen wir zum einen die Rümpfe des Katamarans und zum anderen die Räder des Wagens. Und zu folgender Äußerung, Breitspursicher bremst er mit Scheibenbremsen vorn, wird der Wagen auf einem Feldweg zum Halten gebracht. Dieser Feldweg liegt an einer Flussmündung. Auf dem Fluss ist jener Katamaran zu sehen. Die Besatzung des Schiffes und die beiden Insassen des Wagens, ein junges Pärchen in Freizeitkleidung, winken sich gegenseitig zu. Sie gewinnen mehr Komfort und Sicherheit! Können Sie darauf verzichten? Wählen Sie den Taunus 17M von Ford. Mit dieser Aufforderung schließt der Fernsehwerbespot, bebildert mit der Ford-Pflaume, die über dem Kühlerschürze des Ford-Wagens eingeblendet wird. In den beiden nachfolgenden Schnappschussreihen sind die wichtigsten Elemente dieses Fernsehwerbespots aufgeführt.
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Abbildung 23: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 09/64
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 24: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 09/64
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Demgegenüber hat der Fernsehwerbespot vom März des gleichen Jahres13, dieser bewirbt noch das P-3 Modell, eine Dauer von 60 Sekunden und baut sich aus 17 Einstellungen auf. In der ersten Einstellung ist im Hintergrund eine urbane Umgebung mediterranen Charakters (kahle weiße Wohnhäuser á la Casablanca samt Grünanlagen mit Palmen und Pinien) zu sehen. Im Vordergrund wird auf eine Straße mit einem Straßenablaufdeckel fokussiert. Dieser öffnet sich bzw. wird von unten angehoben. Es erscheint eine Hand, die den Deckel zur Seite schiebt. Auf der Höhe der Asphaltdecke ist auch die Kamera platziert. Der Kopf und Oberkörper eines Mannes, er trägt einen Hut und Trenchcoat, schiebt sich aus dem Abwasserkanal. Dessen Gesicht ist nicht zu sehen, da er in die Richtung eines heranfahrenden Wagens
13 Auf die Rekonstruktion des Vorgänger-Werbespots vom März 1963 kann verzichtet werden, da dieser viele Ähnlichkeiten zu dem vorliegenden aufweist.
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blickt. Der Taunus 17M P-3 fährt an diesem Beobachter vorbei, der seinen Kopf mit dem vorbei fahrenden Fahrzeug nach rechts dreht. Das Fahrzeug ist von rechts vorne unten zu sehen, dann im Seitenprofil bis es am rechten Bildschirmrand verschwindet. Der Mann schiebt seinen Oberkörper wieder in den Untergrund zurück und platziert mit beiden Händen den Deckel des Straßenablaufs wieder in die Aussparung. Schnitt. In der folgenden Einstellung blicken wir, die Position des Fahrers einnehmend, aus dem Fahrzeuginneren in Fahrtrichtung: Regenwetter. Die Scheibenwischanlage ist in Betrieb. Wir blicken gemeinsam mit dem Fahrer auf eine unebene Straße, eine Straße mit Schlaglöchern, in denen sich tiefe Pfützen gebildet haben. Rasant fährt der Wagen durch diese Pfützen. Hohe Fontänen spritzen vom Fahrzeug in die Höhe. Kontrast: In der nächsten Einstellung sieht der Zuschauer den Wagen auf einer Landstraße heranfahren. Die Landschaft selbst ist aufgrund des sonnigen Tages Licht durchflutet. Schnitt. In den nachfolgenden Einstellungen blicken wir durch das BeifahrerSeitenfenster auf den Fahrer. Er trägt einen Hut und dazu ein weißes Hemd. Der Wagen fährt soweit aus dem Bild, dass nur noch die Sicht durch das Hinterfenster in den Wagen möglich ist. Darauf bewegt sich die Kamera wieder zum Beifahrer-Seitenfenster. Abermals ist der Fahrer, doch nun im Anzug, zu sehen. In der nächsten Einstellung werden zwei Hände, die das Steuer des Fahrzeugs halten und den Wagen lenken gezeigt. Teile der Ärmel des Anzugs, des Hemdes mit Manschettenknöpfen, das Lenkrad komplett und das Armaturenbrett dominieren das Bild. Einstellungswechsel: Wir sehen den Fahrer kuppeln. Sein Fuß betätigt die Pedale des Wagens. Teile der Anzugshose, die Anzugsschuhe und Socken kommen in den Blick. Das Ende des Fernsehwerbespots lässt sich wie folgt beschreiben: Das Fahrzeug kommt vor einer Tankstelle, zu sehen sind Zapfsäulen, zum Stehen. Der Fahrer steigt aus, schließt die Fahrertüre, stützt sich mit beiden Händen auf diese, das Fenster ist heruntergelassen, und spricht, sich an den Zuschauer wendend: Er ist ungewöhnlich sparsam im Verbrauch, Überzeugen Sie sich selbst! Am Ende wird die Ford-Pflaume vor einem neutralen weißen Hintergrund eingeblendet. Schließlich kommt nochmals der Präsentator aus dem Off zu Wort, der im Spot Folgendes thematisch hervorgehoben hat: Warum denn so umständlich? Der richtige Platz, um die Straßenlage des 17M kennen zu lernen, ist hinterm Steuer! Bei diesem Wetter und auf dieser Straße. Ein Taunus 17M liegt so sicher als wären alle Straßen trocken. Gelassen ziehen Sie Ihres Weges. Sie sitzen bequem und entspannt. Sie fahren einfach mühelos. Tankpause für den 17M – noch lange nicht! Kaffeepause für seinen Besitzer. Ihr Fordhändler erwartet Sie!
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Abbildung 25: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 03/64
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 26: Die Darsteller im Fernsehwerbespot 03/64
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Im Vergleich der Werbebotschaften, dem Ausstiegswerbespot für das Modell Ford Taunus 17M P-3 vom März 1964 und dem eben Nachfolger für das Modell Ford Taunus 17M P-5 vom September 1964, sind eine Reihe Ähnlichkeiten und Änderungen beobachtbar. Über Ähnlichkeiten auf symbolischer Ebene Mit Bezug auf das Produkt kann beobachtet werden, dass sich folgende Anklänge an den Vorgänger ergeben. Wie bereits im März des Jahres wird das beworbene Produkt in Vorderansicht gezeigt, in langen Einstellungen, die über die Hälfte des Werbespots ausmachen, dominiert der Kühlergrill. Eine Dominanz, die dadurch noch unterstrichen wird, dass diese Frontalaufnahme des Kühlgrills aus der Froschperspektive gefilmt wird. Und mehr noch, es ist diese, zugleich leicht modifizierte Sicht auf den Wagen, die in der Werbebotschaft immer wieder kehrt, und, wie gesagt, die Referenz zum Vorgängerwerbespot herstellt. Auch wird das Produkt, wie bereits ein halbes Jahr zuvor, in
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Aktion gezeigt. Hinsichtlich des Innenraums jedoch, der im September 1964 nicht mehr gezeigt wird, hinsichtlich des Kontextes und dessen Staffage auch herrschen vor allem Unterschiede vor. Wenden wir uns also den Änderungen zu. Über Änderungen auf symbolischer Ebene Die beiden Fernsehwerbungen unterscheiden sich im Wesentlichen in drei Punkten: Erstens wird nur auf die Außenansicht des Fahrzeugs referiert und nicht mehr der Innenraum vorgeführt, obgleich dieser laut Weinen ein atemberaubendes Armaturenbrett aufzuweisen hat. »Eine wohltuende, lebendige Symmetrie, gepaart mit fein abgestimmten Rundungen an den richtigen Stellen lassen jedes Sportlerherz höher schlagen – egal, ob es in einem durchschnittlichen 17M-Fahrer schlummert oder wild in einem 20M-TS-Enthusiasten mit ledernen Sporthandschuhen am korbförmigen Dreispeichen-Lenkrad hämmert.«14 Mit Bezug auf den Kontext ist zweitens zu bemerken, dass über die Analogie des neuen Aufbaus des Wagens mit der Konstruktion eines Katamarans ein Element Einzug hält, das die Werbebotschaft eindeutig in ein neues Format transformiert. Der dritte Punkt bezieht sich auf die veränderte Darstellung der Personenkonstellation. Gezeigt wird nicht länger ein Mann im Anzug bzw. ein eine Familie mimendes Darstellerpärchen. Das Pärchen wird als Pärchen präsentiert: Double Income no Kids. Dabei wird offen gehalten, ob es sich um eine junge Beziehung, ein frisch verheiratetes Ehepaar oder ähnliches handelt. Darüber hinaus sind solche Attribute verschwunden, die die Verbindungen zur Berufswelt ahnen lassen. Die beiden, aus dem Wagen aussteigenden Darsteller und die auf dem Schiff winkenden Darsteller treten allesamt in Freizeitkleidung auf. Des Weiteren wird keiner der Darsteller in Großaufnahme gezeigt, sodass Gesichtszüge oder etwaige andere Details sichtbar werden könnten. In der Übersicht auf der nächsten Seite sind die entsprechenden symbolischen Ähnlichkeiten und Änderungen der Fernsehwerbespots für den 17M P-3 und den 17M P-5 des Jahres 1964 tabellarisch zusammengestellt.
14 A. Weinen: Ford M-Modelle, S. 87.
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Tabelle 26: Ähnlichkeiten und Änderungen in den Fernsehwerbespots 03/64 für den Ford Taunus 17M P-3 und 09/64 für den 17M P-5 17M P-3 und 17M P-5 TVCs
03/64
09/64
Ford Taunus 17M P-3
Ford Taunus 17M P-5
x
x
x
x
x x
x x
x x x
x
Visualität BILD Produkt Präsentation Fahrzeug stehend Fahrzeug fahrend als … … Ganzes Teile des Produkts außen/Karosserie - vorne – Kühlergrill - hinten – Heck/Kofferraum geschlossen geöffnet - Seitenansicht/l+r – Linie - Schrägansicht/v+h – Scheinwerfer/Kotflügel vordere hintere innen/Interieur - Armaturen - Innenraum, und zwar … …. Vordersitze
x x
… Rückbank - Lenkrad Kontext Akteure nein ja (Darsteller), und zwar … … Einzelperson(en)
x x
x x
… Personenkonstellationen … Funktion … Produktbezug Schauplätze Indoor, und zwar … … Halle … Ausstellungsraum Outdoor, und zwar … … Stadt … Land
x x x
x x
x x
x
x
x
TEXT im Bild Auditivität I+II SPRACHE On (Mono-, Dialog Anwesender) Off (Monolog Abwesender) v/o (Gedanken) MUSIK (Charakterisierung) GERÄUSCHE
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
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Wenden wir uns den Bedeutungen dieser Ähnlichkeiten und Änderungen in denotativer wie konnotativer Hinsicht zu. Ergeben sich vielleicht hier Ähnlichkeiten zum Vorgängerspot? Auch ein halbes Jahr später finden folgende Themen, nun nur anders symbolisiert, Eingang in die Werbebotschaft: Sicherheit und Komfort. Die Änderungen wiederum beziehen sich auf abgebrochene Thematiken wie z.B. Sparsamkeit einerseits und andererseits auf unterschiedliche Nuancierung des Themas Komfort. War im Frühjahr die mit dem 17M P-3 verbundene Thematik Sparsamkeit Gegenstand in der Bewerbung, so fehlt diese im September-Werbespot für das neue Modell gänzlich. Erinnern wir uns an den Zusammenhang von Design und Wirtschaftlichkeit: Der Verbrauch? Überraschend wenig durch die windschnittige Form. Aber genau diese Dimension in ästhetischer Hinsicht – der Windwiderstandwert ist beim P-5 gut und sogar noch besser als beim P-3 –, geht verloren. Doch trotz der Hervorhebung des Evolutionsgedankens bei Ford und auch in entsprechenden Fachbüchern, die Wanne in der Wanne, ist diese, europäischer Designsprache zugerechnete Formgebung des Wagens gebrochen. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Nachfolgemodelle des 17M P-5 ansieht, die wieder ungebührlich stark amerikanisches Design und Styling aufweisen. »Die ›Wannenform‹ [Herv. i.O.] wird leicht verändert, mit modischen Accessoires bestückt und etwas kantiger und geringfügig voluminöser gestaltet.«15 Die Nuancierung bezieht sich auf das angesprochene Thema des Komforts. War es im März noch der Komfort des Innenraums, des fahrenden Wohnraums sozusagen, so wird nun der Fahrkomfort hervorgehoben. Die Werbespots für den P-5 zwischen Herbst 1964 und Winter 1966/67 Eine gänzlich andere Strategie ist bei den letzten drei Fernsehwerbespots eingesetzt worden. Diese nehmen wieder die Werbestrategie der P-2 Modelle auf und folgen einer Produktpräsentation. Die Produktpräsentation in den beiden Werbespots wird jedoch anders modelliert, wie die Inhaltsübersichten der beiden Werbespots zeigen. Sehen wir uns den ersten der beiden Fernsehwerbespots an. Dieser ab April 1966 ausgestrahlte Werbespot hat eine Länge von 45 Sekunden und baut sich aus fünf Einstellungen auf. Im Hintergrund ist eine weiße Tischplatte zu erkennen, auf der ein Spielzeugauto steht: Ein Ford Taunus 17M P-5. Des Weiteren ist eine Hand zu sehen bzw. genauer: Nur die Finger der Hand. Diese nehmen das Auto von hinten auf und heben es leicht an bis der Wagen für den Zuschauer im Profil
15 Ebd., S. 83.
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– Beifahrerseite – sichtbar ist. Das Auto wird hin und her gewendet. Das Fingerspiel endet mit dem Abstellen des Wagens auf der Tischplatte. Der Zeigefinger schiebt ihn mit Schwung weg (auf den rechten Bildschirmrand zu). Das Auto verschwindet. Schnitt. Eine andere, zweite Hand hält das Spielzeugauto auf und nimmt dieses. Nun sind beide Hände dieses zweiten Akteurs sichtbar. Er hält das Spielzeugauto mit der linken Hand fest, Daumen auf dem Dach, die anderen Finger auf der Unterseite des Wagens. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand wird die Motorhaube des Spielzeugautos geöffnet. Nachdem diese wieder geschlossen worden ist, wird das Auto wieder auf dem Tisch abgestellt. Nun ist es frontal in Vorderansicht zu sehen, wobei die Finger der rechten Hand den Wagen weiterhin halten. Mit einer Wendung des Wagens um 45 Grad ist dieser wieder im Profil zu sehen, nun von der Fahrerseite. Der Zeigefinger drückt auf die Motorhaube, der Daumen auf den Kofferraum. Im Wechsel drücken die beiden Finger das Auto nach unten. Der kleine Wagen wird wieder vom Zeigefinger nach links, auf den linken Bildschirmrand zugeschoben. Nach einem Schnitt sehen wir, wie es von den Fingern der Hand der anderen Personen nun wieder aufgehalten wird. Das Fahrzeug soll zurückgeschoben werden. Bis zur B-Säule verschwindet das Auto auch am rechten Bildschirmrand, bis die andere Hand dagegen hält und es zurückschiebt. Nun wird es von jener angenommen, sie hebt es leicht an und stellt das Spielzeugauto zurück auf die Tischplatte. Mit dem Zeigefinger wird auf das Dach des Wagens geklopft. Die Finger der Hand des anderen Darstellers trommeln auf die Tischplatte. So geht es nochmals hin und her. Die Hand des ersten Akteurs legt den Zeigefinger auf das Dach des Wagens. Dann greift die ganze Hand zu und schnappt sich das Auto. Der Taunus 17M P-5 ist nun nicht länger als Spielzeugfahrzeug, sondern als sein reales Pendant im Bild zu sehen: Frontal in Vorderansicht, Froschperspektive. Von rechts kommt ein Herr ins Bild, bekleidet mit Anzug und Hemd, steigt in den Wagen und startet diesen. Es wird folgender Text eingeblendet: Nur 7.250 DM und Günstige Finanzierung durch Ford Kredit AG sowie die Ford-Pflaume. Hintergrund: Ein weißer Raum. Auf der nächsten Seite sehen wir Schnappschüsse der wichtigsten Einstellungen aus dem 04/66 Fernsehwerbespot für den Ford Taunus 17M P-5.
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Abbildung 27: Darstellung des Produkts in den Einstellungen des Fernsehwerbespots 04/66
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Abbildung 28: Die zögerliche und abwägende Hand im Fernsehwerbespot 04/66
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Der Werbetext zu diesem Fernsehwerbespot ist ein Dialog zwischen den beiden nicht sichtbaren Darstellern. Darsteller A verkörpert einen potenziellen Konsumenten, der sich nicht sicher ist, ob er sich diesen Wagen tatsächlich leisten kann, und Darsteller B fungiert als Fürsprecher für dieses Produkt. Es entspann sich folgendes Gespräch: Darsteller A: Hübsches Auto! Wirklich, gefällt mir! Darsteller B: Ein Taunus 17M von Ford. Spurtsicherer V4 Motor. Breitspur für sichere Straßenlage. Fein aufeinander abgestimmte Vorder- und Hinterradfederung mit McPherson Federbeinen vorn. Darsteller A: Schickes Auto dieser Taunus 17M. Würde ich kaufen, aber für mich viel zu teuer. Darsteller B: Es gibt kein besseres Auto zu diesem Preis. Darsteller A: Kostet?
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Darsteller B: Nur 7.250 Mark! Darsteller A: 7.250 … Gekauft! Darsteller B: Ford Taunus 17M unverändert nur 7.250 Mark ab Werk. Besuchen Sie Ihren Ford-Händler! Im folgenden Jahr, im Februar 1967, ist der nun folgende Werbefilm ausgestrahlt worden. Dieser Fernsehwerbespot hat gegenüber seinem Vorgänger einen besonderen Status. Alexander Weinen führt zu der in diesen Fernsehwerbungen (02/67 und dessen Reminder, ebenfalls 02/67) beworbenen Reihe der 5.000 weißen 17M, die als Sonderangebot angepriesen werden, aus: »Eine neue Masche [limitierte Auflage zu besonderen Preisen] soll helfen, angesichts stagnierender Absatzzahlen – Deutschland befindet sich in einer Wirtschaftskrise – ein Mehr an Auto für weniger Geld unterm Strich an den Kunden zu bringen.«16 Der 45-sekündige Fernsehwerbespot besteht aus zwei Einstellungen und gibt folgendes Geschehen wieder17: Der Darsteller, der einen Ford-Händler mimt, sitzt in einem kaum sichtbaren schwarzen Drehstuhl und dreht sich von rechts ins Bild, dann den Zuschauer anschauend. Seine Hände liegen auf den Oberschenkeln. Er trägt einen schwarzen Anzug mit weißem Einstecktuch, ein weißes Hemd mit Manschetten und dazu eine schwarze Krawatte. Er trägt RennfahrerHandschuhe. Erst faltet er seine Hände und spricht: Hallo Autofreunde! Wir Ford-Händler können Ihnen heute ein unwahrscheinlich günstiges Angebot machen, bei dem Sie viel Geld sparen. Bei dem letzten Halbsatz erhebt er die linke Hand und den linken Zeigefinger, dann faltet er seine Hände wieder. Wir haben einen weißen Ford Taunus 17M. Gleichzeitig deutet er mit einer Bewegung beider Hände die Form des Wagens in einer Weise an, als ob es sich hierbei nicht um ein Fahrzeug, sondern um die Formen einer Frau handelt. Anschließend legt der Ford-Händler die Fingerspitzen der linken und rechten Hand aneinander. Währenddessen beschreibt er weiter die Eigenschaften des Wagens: Mit exklusiver Ausstattung zu einem besonderen Preis, und wir haben 5000 Stück davon. Wieder erhebt er den Zeigefinger der linken Hand; abermaliges Falten der Hände und abermaliges entfalten der Hände; abermaliges aufeinander legen der Fingerspitzen der linken und rechten Hand. Alle mit Einzelsitzen vorn, einem starken
16 Ebd., S. 90. 17 Der erwähnte Reminder, der das Sonderangebot des beschriebenen 02/67Werbespots nochmals der tatsächlichen und potenziellen Käuferschichten in Erinnerung ruft, liefert nicht mehr viele Neuigkeiten. Daher kann auf dessen Beschreibung und Deutung verzichtet werden.
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65PS V4 Motor, 1,7 Liter. Hierbei erhebt er ein drittes Mal den linken Zeigefinger und im Fortgang der Beschreibung legt er die linke Faust in die rechte Handfläche, er sagt: Mit Vierganggetriebe und sportlicher Knüppelschaltung. Dabei ahmt er Schalten nach. Er legt die rechte Hand (zur Faust geballt) auf seinen Oberschenkel und gestikuliert mit der linken, erhebt ein viertes Mal den Zeigefinger und führt aus: Mit Bremskraftverstärker und Scheibenbremsen vorn, mit insgesamt zehn Extras. Er legt nun auch die linke Hand auf den Oberschenkel, ahmt einen Bremsvorgang nach, erhebt wiederum linken Zeigefinger auf diese Weise: Handfläche zeigt über Schulter nach hinten; legt diesen Arm wieder auf Oberschenkel und öffnet die Handflächen zum Betrachter, hebt beide Arme leicht von den Oberschenkeln, legt beide Handflächen wieder ab zeigt mit linken Daumen über Schulter und dreht sich um 45 Grad nach links und spricht: Für nur 7.500 Mark ab Werk. Wo finden Sie so einen Wagen zu diesem Preis? Überzeugen Sie sich bei Ihrem Ford-Händler! Ein Scheinwerfer wird eingeschaltet und der Ford Taunus 17M P-5, der bisher im dunklen Hintergrund stand, wird sichtbar. Es ist das Fahrzeug frontal in Vorderansicht zu sehen – schwebend, da die Räder des Wagens nicht zu erkennen sind. Es wird folgender Text eingeblendet: Nur 7500 DM bei Ihrem Ford-Händler. In der Abfolge ausgewählter Schnappschüsse, die in der folgenden Abbildung zu sehen ist, sind nochmals die zentralen Gesten und das Produkt dargestellt. Abbildung 29: Der Darsteller im Fernsehwerbespot 02/67
Quelle: Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
Im Vergleich der beiden letzten Fernsehwerbespots sind auf symbolischer Ebene die folgenden Punkte zu konstatieren.
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Über Ähnlichkeiten auf symbolischer Ebene Die Entsprechungen in den beiden Werbespots im Stile einer ProduktPräsentation werden über das Produkt hergestellt. Wie bereits im dem Life Style Werbespot von 1964 wird das Fahrzeug frontal in Vorderansicht, leicht von unten abgebildet. Dies ist Einstellung zwei beim 02/67-Werbespot, Einstellungen drei und fünf im Werbespot 04/66 und die Einstellungen drei, fünf, sechs und zehn sowie die Einstellung elf. Weitere Ähnlichkeiten beziehen sich auf das Spiel der Finger und der Hände, doch dies Spiel unterscheidet sich dramatisch. Über Änderungen auf symbolischer Ebene Im April-Spot dominiert das Produkt, das während des kompletten Fernsehwerbespots künstlich präsent ist. Demgegenüber taucht das Produkt im Werbespot vom Februar 1967 nur am Ende des Spots auf. Hier wird der Darsteller, der sich als Ford-Händler vorstellt, in den Vordergrund gerückt. Seine Gestik und Mimik ist dominant. Er faltet die Hände, er erhebt den Zeigefinger, er legt die Fingerkuppen aufeinander, er weist mit seinem Daumen über die Schulter in einen opaken Hintergrund, er ahmt nach: Den Gang einlegen, die Form des Wagens und so weiter. Hingegen herrschen im Vorgänger-Werbespot andere Bewegungen vor: Das Trommeln der Finger auf der Tischplatte, das Antippen des Spielzeugfahrzeugs mit dem Zeigefinger. Diese Gestiken werden dem Akteur zugerechnet, der überlegt, ob er sich ein solches Fahrzeug überhaupt leisten kann. Auf der anderen Seite eher instrumentelle Handlungen: Das Anheben des Spielzeugs, öffnen der Motorhaube, herabdrücken des Spielzeugfahrzeugs bei der Kommentierung der Federung, dem anderen das Fahrzeug hinschieben und Ähnliches. Welche Bedeutungen können aus den beiden Spots rekonstruiert werden? Auf ein Thema des Fernsehwerbespots soll an dieser Stelle in erster Linie eingegangen werden: Den Preis. Denotativ wird auf den Preis des Fahrzeugs hingewiesen: Nur 7.250 Mark ab Werk. Konnotativ aber ist hiermit je nach Lage zweierlei signifiziert: Erschwinglichkeit und Billigkeit. Für den Teil der anvisierten Konsumentenschicht, die zur über ihr liegenden Schicht aufschließen möchte, ist dies die Chance, es dieser Schicht gleich zu tun; vorerst über die Angleichung der Ausstattung der Haushalte mit materiellen Gütern. Es zählt, dass der Luxus erschwinglich ist. Dieser Prozess der Vereinnahmung materieller Güter breiter Bevölkerungsschichten macht aus luxuriösen Konsumgütern Gebrauchsgegenstände, wie es Das deutsche Malerblatt andeutet: »Der Massenkonsum ist zum Symbol der modernen Wohlstandsgesellschaft geworden. […] Die Qualität der Erzeugnisse befindet sich in einem stetigen Wandel. Luxusgüter von gestern sind die
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Gebrauchsgegenstände von heute.«18 Diese konnotative Bedeutung steht nun aber im Widerspruch mit dem Anspruch der alten Zielgruppe, die bereits mit der Bewerbung des Ford Taunus 17M P-2 und 17M P-3 angesprochen wurde, nach Distinktion. Hier herrscht die Konnotation Billigkeit vor. Es wird das Produkt für die Schicht in seinem Distinktionspotenzial herabgesetzt, da sie sich in doppelter Hinsicht absetzen möchte. Nicht nur Distinktion gegenüber der ebenfalls nach oben strebenden Unterschicht, sondern auch Distinktion gegenüber der Schichtfraktion der unteren Mittelschicht. 6.3.3 Life Style Wende: Öffnung gegenüber neuen Konsumentengruppen Die mit dem Life Style Fernsehwerbespot vom Herbst 1964 eingeleitete fernsehmediale Bewerbung des Ford Taunus 17M P-5 wird das Produkt gegenüber neuen Zielgruppen geöffnet. Wird in diesem ersten Fernsehwerbespot das Produkt noch mit exklusiven Luxusgegenständen wie einem Katamaran dargestellt, so sind die ProduktPräsentationen der nachfolgenden Jahre bescheiden in der Ausgestaltung: Kärgliche Kulissen, sterile Studioatmosphäre. Bescheiden sind aber all jene Fernsehwerbespots in der Aufführung von Themen, die mit diesem Produkt assoziiert werden sollen. Es ist anfänglich, 09/64, nur vom Fahrverhalten und der (Motor-)Leistung die Rede, dann, ab 04/66, dominiert, obgleich Leistung bzw. Fahrverhalten und Sportlichkeit thematisiert werden, das Preisargument – ganz in der Logik der Life Style Strategie. In der Fernsehwerbung taucht in der mittleren Mittelklasse das erste Mal das Preis-Argument auf. Haben wir nach der Einführung des Ford Taunus 17M P-3 in den Fernsehwerbespots von einer so genannten Slice of Life Revolution gesprochen, so geht mit dem Start des Nachfolgemodells eine Life Style Revolution einher. Mit der Veränderung der Marktsegmentierung und der veränderten Zielgruppenansprache wandelt sich auch die Modellierung der Werbespots. Insbesondere kann für die Fernsehwerbung der Jahre ab 1964 vorerst keine identifizierbare homogene Gruppe ausgemacht werden.
18 A. Weinen: Ford M-Modelle, S. 83.
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Dass dem so ist, manifestiert sich in dem fehlenden Spitznamen für dieses Produkt: Es ist das Modell ohne sobriquet.19
19 Ein Gegenargument: Es ist doch möglich, dass auf derartige Übernamen seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verzichtet wurde. Dass dem jedoch nicht so ist, zeigen die Nachfolgemodelle der 1970er Jahre, der Ford Consul und der Ford Granada. Bezüglich dieser beiden Modelle, so Kuch, »[…] entstand die Mär vom Türken-Benz. Von bis unters Dach (und darüber hinaus) mit Tüten und abgestoßenen Lederkoffern vollgestopften Ford, die weich schaukelnd von Bottrop bis zum Bosporus (und wieder zurück) führen.« J. Kuch: Ford in Deutschland, S. 128.
7. Zu Formen der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespots und Zielgruppe/n von 1959 bis 1967 Angepeilt wird [insbesondere in der im Life Style Format inszenierten Werbung] ein Korrespondenzeffekt zwischen Original und Kopie, wobei unklar bleibt, was Original und was Kopie ist. KAI-UWE HELLMANN
Wie im vierten Abschnitt des vierten Kapitels deutlich gemacht werden konnte, ist es möglich, bei der Beobachtung der Korrespondenz zwischen der Wirklichkeitsebene der Fernsehwerbespots und der kulturellen Wirklichkeitsebene der anhand sozialstruktureller Parameter bestimmten Zielgruppe sowohl Entsprechungen als auch Unähnlichkeiten herauszuarbeiten. Auf die Grundlage hinsichtlich dieser Sache, rufen wir uns das noch einmal in Erinnerung, wurde einerseits in den Ausführungen über die Beziehung zwischen Zielgruppe und Gesellschaftsschicht – die Zielgruppenkonstruktion bedient sich so-zialstruktureller Kenngrößen –, und andererseits über den Zusammenhang dieser beiden Größen mit den Fahrzeugklassen ein-gegangen (vergleiche Abschnitt 4.2.2). An dieser Stelle nun folgt die Skizzierung der Formen der Korrespondenz zwischen Fernsehwerbespot und Zielgruppe für die Jahre 1959 bis 1967. Je nachdem, ob die Gestaltungsform der Fernsehwerbespots, also deren Formate, oder die Zielgruppenkonstruktion in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird, lassen sich unterschiedlichste Abschnitte in diesem historischen Zeitraum ausmachen. Wird jedoch der Zusammenhang der beiden Wirklichkeitsebenen von
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Fernsehwerbespot und Zielgruppe in den Blick genommen, so lassen sich deutlich zwei Zeitabschnitte unterscheiden. Der erste Zeitabschnitt umfasst die Jahre 1959 bis Frühjahr 1964, mit anderen Worten, die fernsehmediale Bewerbung der ersten beiden 17M-Modelle der FAG, dem Ford Taunus 17M P-2 und dem Ford Taunus 17M P-3. In diesem Zeitabschnitt geht die Zielgruppenkonstruktion mit der mittleren Mittelschicht in eins. Auf der Wirklichkeitsebene der fernsehmedialen Bewerbung sind Anpassungsprozesse der Fernsehwerbespots an die Zielgruppenkultur sowie Ritualisierungen, also eine Übernahme inszenierter Bilderwelten in die bei der Zielgruppe vorhandenen Weltbilder und der Umschlag in Handlungsanleitung beobachtbar. Der zweite Zeitabschnitt umfasst die Jahre von Herbst 1964 bis Winter 1966/67. Aus Sicht des Marketings der Kölner FAG geht es hierbei um die Bewerbung des Modells Ford Taunus 17M P-5. Auf der Wirklichkeitsebene der Fernsehwerbespots wiederum kommt das so genannte Life Style Format zum Einsatz, das als solches auf eine neue Zielgruppenkonstruktion zurückverweist. Nicht länger ist es nur die mittlere Mittelschicht, die als Zielgruppe anvisiert wird, sondern nun rückt auch die untere Mittelschicht in die Reichweite der Werbeansprache für die 17M-Modelle der Kölner FAG, die dementsprechend auf Veränderungen im sozialstrukturellen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland reagieren. Die auf einer homogenen Zielgruppenkonstruktion aufruhende Werbeansprache vor diesem Zeitabschnitt wird einer heterogenen Zielgruppenkonstruktion geopfert. Sehen wir uns die beiden Zeitabschnitte, zwischen September 1959 und Frühjahr 1964 sowie zwischen Herbst 1964 und Winter 1966/67, nun genauer an.
7.1 F ORMEN DER K ORRESPONDENZ ZWISCHEN F ERNSEHWERBESPOTS UND Z IELGRUPPE IM Z EITABSCHNITT 1959 BIS F RÜHJAHR 1964 In diesem ersten Zeitabschnitt zwischen September 1959 und Frühjahr 1964 kann eine Anpassung der Werbeansprache an die soziokulturelle Befindlichkeit der Zielgruppe, das ist die Kultur der mittleren Mitte, wie weiter oben beschrieben, beobachtet werden. Des Weiteren findet, nach dieser Adaptation, die in zwei Schüben endlich gelingt, eine Ritualisierung statt, die um die Mitte des vierjährigen Lebenszyklus des Modells Ford Taunus 17M P-3 beobachtbar ist.
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Ambivalenzen im Thema Fortschrittlichkeit können ausgeräumt werden. Es wird von einer Identifikation zwischen Fortschrittlichkeit und Amerikanisierung umgestellt auf die Gleichsetzung von Modernisierung und Fortschrittlichkeit. In diesem Zuge gewinnen die Fernsehwerbespots dieses Abschnitts im Laufe der Zeit die nötige stilistische Homogenität. Diese wird in dem Moment komplett realisiert, als auch noch das amerikanische Design-Sprache zitierende Modell des Ford Taunus 17M P-2 ersetzt wird durch den Ford Taunus 17M P-3. Aber vor allem gilt dieses Diktum von der stilistischen Homogenität vor allem für die Fernsehwerbespots, die ab März 1961, ab September 1961 und ab März des darauffolgenden Jahres produziert und ausgestrahlt worden sind. Statt kulturellen Wandels, was die Themen der Fernsehwerbespots betrifft, also eine Homogenisierung in stilistischer Hinsicht. Es werden dieselben Themen auf symbolischer Ebene variiert. Statt des Wandels des Kulturellen ist Wandel des Sozialen in der Hinsicht zu beobachten, dass sich die mittelständischen Haushalte der Bundesrepublik Deutschland breit mit einem langlebigen Gebrauchsgut ausstatten: Dem Ford Taunus 17M P-3.1 Mit dem Einzug dieses Automobils in die materielle Kultur der mittleren Mittelschicht, verstanden als Konsumwahlentscheidung der entsprechenden Schicht, also in die Lebenswelt der beworbenen Sozialschicht, hat sie sich ein Symbol angeeignet, mit dem sie sich gegenüber anderen Gruppen abschließen – wenigstens für eine bestimmte Dauer – und an ihresgleichen anschließen kann. Dies macht den Ford Taunus 17M P-3 nicht nur in der Formsprache zum Revolutionär, sondern auch in Sachen Marktanteil der Kölner Ford-Werke. Doch mit dieser Sachlage kann sogar noch ein Stück weitergegangen und davon gesprochen werden, dass hier eine Ritualisierung, also eine Deckung von Modellen von Welt mit Mo-dellen für das Handeln, stattgefunden hat. Mit anderen Worten, der Einbau der inszenierten in die bereits etablierten Weltbilder der an-visierten Sozialschicht sind handlungswirksam geworden. Diese Formulierung muss, da wir nur einen Ausschnitt aus dem mannigfaltigen Geschehen von Autowerbung vorliegen haben, wie folgt eng geführt werden: Die in den Fernsehwerbespots simulierten Modelle von Welt (in ihrem Slice of Life Format) haben infolge ihrer stilistischen Homogenität eine außerordentlich gute Chance, auf der Seite der an-visierten Konsumentenschicht unmissverständlich rezipiert zu werden und integriert in das Weltbild bzw. die Kultur der Zielgruppe.
1
Vgl. die Neuzulassungsstatistik für dieses 17M-Modell im Abschnitt 5.3 der vorliegenden Studie.
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Doch, wie gesagt, hält diese isomorphe Form der Korrespondenz nur vor bis in den Zenit des Lebenszyklus des P-3 Modells, dann ändern die Fernsehwerbespots wiederum ihr Format. Dies kommt einer Zäsur auf kultureller Ebene gleich. War das Format für die oben genannten drei Fernsehwerbespots, 03/60, 09/60 und 03/61, das so genannte Slice of Life Format, so ist es nun für die Folgejahre 1963 und 1964 das Format der Produkt-Präsentation samt einem Testimonial. Die Aufnahmen dieser Fürsprecher vermitteln noch einen Rest von Status und Prestige, die vor allem über Darsteller transportiert wird. Doch auch der Markt für Gebrauchtwagen hat den Ford Taunus 17M P-3 an Mitglieder anderer Gesellschaftsschichten vermittelt, der somit an Distinktionsgewinn verliert.2 Nach zwei weiteren Jahren dann werden diese Ende 1964 vom Ford Taunus 17M P5 abgelöst. Dies bringt uns zum zweiten Zeitabschnitt, der die Fernsehwerbespots, die zwischen herbst 1964 und Winter 1966/1967 ausgestrahlt wurden, umfasst.
7.2 F ORMEN DER K ORRESPONDENZ ZWISCHEN F ERNSEHWERBESPOTS UND Z IELGRUPPE IM Z EITABSCHNITT H ERBST 1964 BIS 1966/67 Der zweite Zeitabschnitt zwischen Herbst 1964 und Winter 1966/67 weist auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit dem Beginn des ersten Zeitabschnitts auf, wird aber dominiert von einem fundamentalen Unterschied – dazu gleich mehr. Diese Ähnlichkeit kommt aus diesem Grund zustande: Die Zielgruppenkonstruktion wurde geändert und folglich wurde auch die
2
»Bei der differenzierten Betrachtung des Gebrauchtwagenmarktes nach Hubraumklassen [so Thomas Südbeck,] wird zum einen deutlich, daß sich die Anteile an Arbeitnehmergruppen an der Gebrauchtwagen-Nachfrage weniger stark auf die Kleinwagenklasse und auf die untere Mittelklasse konzentrierten, und zum anderen, daß auch Arbeiter durchaus einen erheblichen Anteil der Gebrauchtwagen der gehobenen Mittelklasse und sogar der oberen Klasse nachfragen konnten. Offensichtlich wandten sich besonders diejenigen dem Gebrauchtwagenmarkt zu, die einen größeren Wagen fahren wollten, denn die Differenz zwischen dem Arbeiteranteil an den PKW-Neuzulassungen und dem an den Besitzumschreibungen war in den größeren Hubraumklassen eindeutig stärker.« T. Südbeck: Motorisierung, S. 45.
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Werbeansprache neu konzeptualisiert. Es steht also im Jahr 1964 wie im Jahr 1959 die Suche nach einer angemessenen Modellierung der Werbebotschaft für die Zielgruppenansprache im Vordergrund. Auch Ähnlichkeiten zu dem Ausstiegswerbespot für das Modell Ford Taunus 17M P-3 sind festzuhalten, doch sind die Veränderungen wesentlich frappierender. Dies hat damit zu tun, dass die fernseh-mediale Bewerbung des neuen Modells, dem Ford Taunus 17M P-5, ab September 1964, nicht länger auf einer homogenen Zielgruppenkonstruktion aufruht, sondern, wie bereits erwähnt, aufgrund der Veränderungen eben dieser Zielgruppenkonstruktion in seiner Werbeansprache mit einer heterogenen Gruppe isomorph zu korrespondieren versucht. Beide Tatbestände verweisen weg von den aufgelisteten oberflächlichen Ähnlichkeiten hin auf einen fundamentalen, tiefer liegenden Unterschied. Da die Zielgruppenkonstruktion in Richtung einer Öffnung gegenüber neuen Konsumentenkreisen geändert wurde, zeitigt dies Folgen für die Gestaltung des Fernsehwerbespots und die verwendeten Symbole. In Zusammenschau der für diesen Zeitabschnitt vorliegenden vier Fernsehwerbespots ist die zentrale Tendenz die, die Werbeargumentation vom Preisargument dominieren zu lassen. Dies ist in dem ersten Werbespot für den Ford Taunus 17M P-5 im Life Style Format noch nicht erkennbar. Hier geht es vor allem um das mächtigere Auftreten mit dem das Produkt sich den Anstrich eines Fahrzeugs der Oberklasse zu verleihen sucht. Doch dieses Format wird mit der Ausstrahlung des Fernsehwerbespots 04/66 radikal geändert. War in dem Katamaran-Werbespot vom September 1964 überhaupt nicht die Rede von der Preislage des Fahrzeugs, so ist dies umso mehr der Fall in den Werbespots 04/66, 02/67 und dessen Reminder. Kann diese Umstellung in den beiden zuletzt genannten Fernsehwerbespot durch die Rezession zwischen Herbst 1966 und Sommer 1967 verständlich gemacht werden3, trifft dies jedoch nicht für die Planung des Fernsehwerbepots im Winter 1965/66 und dessen Ausstrahlung im Frühjahr 1966 zu. Dies hat viel mehr mit der neuen Zielgruppenkonstruktion zu tun. In der Werbeansprache einer heterogenen Konsumentenschicht wird mit dem Preis des Produktes argumentiert, und mit dem Preis in seiner Geldform – 7.250 Mark – (soziale) Unterschiede nivelliert.4 Wiederum taucht auch das Format Produkt-Präsentation auf, in dem die Fernsehwerbespots bis zum Ende des Lebenszyklus des Modells Ford Taunus 17M P-5 verbleiben. Dieses Format, die größte
3 4
Vgl. P. Borowsky: Das Ende, S. 9. Vgl. dazu G. Simmel: Philosophie des Geldes.
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Distanz zur Alltagswelt der Umworbenen aufweisend, stellt um von einer besonderen auf eine allgemeine Werbeansprache. Dies zeigt sich bei den symbolischen, in den Fernsehwerbespots eingesetzten Elementen. Sehen wir uns z.B. die Darsteller näher an. Wurden die Darsteller in der Frühphase der Bewerbung des Ford Taunus 17M P-3 als alltagsnahe Typen konzipiert, entsprechend dem verwendeten Format der Fernsehwerbespots, so sind die Darsteller nun gekennzeichnet durch Schemenhaftigkeit. Die Akteure werden – auch durch die Einstellungsweite der Kamera, mithin technisch über- und umgesetzt – nicht als identifizierbare Personen, sondern als abstrakte, anonyme Typen ins Bild gesetzt. In dem Fernsehwerbespot von 02/67 gibt sich denn der Darsteller unmittelbar in den ersten Sätzen seines Werbetextes zu erkennen: »Hallo Autofreunde! Wir Ford-Händler […]«5. In dem Fernsehwerbespot vom April 1966 kommen erst gar keine Darsteller vor. Es ist nur die blanke Hand zu sehen, die auf diese Weise in einer Neutralität dargestellt wird, die kaum einen Rückschluss auf den dazugehörigen Sozialtypus zulässt (vergleiche die dargestellten Hände in den Abbildungen 27 und 28 mit der Darstellung der Hände in Abbildung 25). Festgehalten werden kann also Folgendes: Die Fernsehwerbespots dieses zweiten Zeitabschnitts können nicht länger zentrale Charakteristika einer Zielgruppenkultur modellieren bzw. inszenieren, da die Konsumentenschicht auf die diese Werbeansprache abzielt zu heterogen ist – eigentlich werden hier unterschiedliche Zielgruppen (Plural!) adressiert. Einerseits wird nicht mehr über genuine Symbole der mittleren Mittelschicht argumentiert, die ja nur in den einzelnen Fraktionen der Mittelschicht auffindbar sind (Stichwort Homogenität), sondern mit viel allgemeiner angelegten Symbolen wie z.B. dem Preis. Folglich ist es nicht möglich, eine an der Zielgruppenkultur orientierte stilistische Einheit auf der Wirklichkeitsebene der Fernsehwerbespots aufzufinden. Dies drückt sich meines Erachtens, nimmt man als Vergleichskriterium den Über- bzw. Spitznamen der verschiedenen Produkte her, in der Abwesenheit eines solchen aus. Konnten bei den beiden Vorgängermodellen, dem Ford Taunus 17M P-2 und dem Ford Taunus 17M P-3, solche Übernamen festgestellt werden, nämlich Kölner Barock und Badewanne, hebt sich der Ford Taunus 17M P-5 eben genau dadurch von seinen Vorgängermodellen ab, dass es das Modell ohne sobriquet ist.
5
Vgl. Ogilvy & Mather: Ford History-Rolle.
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Letztendlich hat sich eine isomorphe Form der Korrespondenz nicht länger zwischen fernsehmedialer Bewerbung und Konsumenten- bzw. Gesellschaftsschicht herstellen können. Kurzfristig hatte dies für die gehobene Mittelklasse der Kölner Ford-Werke keine negativen Auswirkungen, da sich das neue Modell, der Ford Taunus 17M P-5, ebenfalls sehr gut verkaufen ließ. Mit anderen Worten, der Ford Taunus 17M P-5 war ein, gemessen an seinen Produktions- und Absatzzahlen, ebenfalls erfolgreiches Modell der FAG. Doch langfristig markiert dies den Anfang vom Ende, wie auch Weinen, wenn auch um ein Modell verschoben, in unserer Korrespondenz andeutet: »Mit der Einstellung des Granada [Nachfolger der kurz aufeinanderfolgenden 17MModelle P-7a und P-7b] begann eine […] verfehlte Modellpolitik, die letztlich nicht nur zur Einstellung des letzten ›Premium-Modells‹ [Herv. i.O.] führte, sondern auch für den Rückgang der Sympathiewerte für die Ford-Werke Köln verantwortlich zu machen ist […]«6.
6
Briefwechsel: Weinen-Bauernschmidt vom 12.08.2005.
8. Resultate der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid Fragen läßt immer in der Schwebe befindliche Möglichkeiten sehen. HANS-GEORG GADAMER
8.1 ANTWORTEN AUF DIE F RAGESTELLUNGEN DER S TUDIE Im Rückblick auf die in der vorliegenden Studie durchgeführte Analyse des empirischen Materials, den zwölf, zwischen 1959 und Winter 1966/67 ausgestrahlten Fernsehwerbespots für die Modelle Ford Taunus 17M P-2, Ford Taunus 17M P-3 und Ford Taunus 17M P-5, ist Folgendes erkennbar: Es gibt thematische Zäsuren, aber auch Themenkarrieren. Da sowohl Themenkarrieren wie auch thematische Zäsuren in diesen acht Jahren, die der Beobachtungszeitraum der Studie Fahrzeuge auf Zelluloid umfasst, identifiziert werden können, kann festgehalten werden, dass die den soziologischen Diskurs bisher dominierenden theoretischen Aussagen in Sachen Werbewandel entweder zu abstrakt oder zu undifferenziert sind, um derartige Veränderungen, die teils in elementarisierter Form auftreten, konzeptionell zu erfassen. Es kann auf Grundlage des empirischen Materials nicht davon gesprochen werden, dass Werbung die Wiederholung des Immergleichen (Horkheimer/Adorno) ist, da sich die Zielgruppe bzw. Sozialschichten entwickeln, ein (Ford-)Produkt nach durchlaufenem Lebenszyklus von seinem Nachfolgeprodukt abgelöst wird und die Ansprache der Zielgruppe mittels der Werbebotschaften ebenfalls Phasen der Angleichung, Variation und Abweichung durchlaufen. Ebenso kann nicht davon die Rede sein, dass sich die Darstellungen und Themen der Fern-
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sehwerbespots von Moment zu Moment (Luhmann) ändern. Dies ist nur möglich, wenn die Kreativität im Symbolgebrauch ausgeblendet wird, einer Kreativität, die dieselben Themen bzw. Bedeutungen auf unterschiedliche Art und Weise symbolisiert. In der nachfolgenden Übersicht sind die wichtigsten Veränderungen und auftretenden Entwicklungsphasen mit Bezug auf das Medium Fernsehwerbespot eingetragen. Abbildung 30: Ford-Fernsehwerbung für die Modelle der gehobenen Mittelklasse für die Jahre 1959 bis 1967 Übergänge
Entwicklungen
Format TVC
Nr. Monat/Jahr 17M-Modell von Ford
Übergang I ↓ Entwicklung I: Tendenz zur Änderung (Anpassung der Werbebotschaft an Zielgruppenkultur)
Übergang II ↓
Entwicklung II: Tendenz zur Variation (Isomorphie zwischen Werbebotschaft und Zielgruppenkultur)
Produkt-Präsentation (P-P)
Übergang III ↓
Entwickl. III: T. z. Variation
P-P + Testimonial
Slice of Life
Übergang IV ↓ Entwicklung IV: unspezifisch (kulturelle Heterogenität aufgrund neuer Zielgruppenkonstruktion)
Life Style
P-P
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
09/59
03/60
10/60
03/61
09/61
03/62
03/63
03/64
09/64
04/66
02/67
02/67
17M P-2
17M P-3
17M P-5
Produkt Bild des 17M-Modells
Quelle: Selbst erstellte Tabelle
In der ersten Zeile der abgebildeten Übersicht sind die Übergänge bzw. Formatwechsel der fernsehmedialen Bewerbung und die im Untersuchungszeitraum beobachteten Entwicklungen, die zwischen Variation und Veränderung pendeln, eingetragen worden. In der nächsten Zeile findet sich die Formatsbezeichnung für jeden einzelnen Fernsehwerbespot wieder. Dann folgen Zeitangaben zu der erstmaligen Ausstrahlung der Fernsehwerbespots, unterlegt mit einem Ikon des jeweiligen Fernsehwerbespots. In der letzten Zeile sind die Modell-Kodes und ein Bild des beworbenen Ford-Modells zu sehen. Gehen wir die Antworten durch, die auf der konzeptionellen Grundlage der Theorie soziokultureller Dynamik – wie sie im zweiten Kapitel der vorliegenden Studie expliziert worden ist – und die mittels der Applikation verschiedener Formen von qualitativer Inhaltsanalysen und einer an die Studie angepassten hermeneutischen Bildanalyse
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(siehe Kapitel drei) gefunden worden sind. Rufen wir uns die sechs Fragen in Erinnerung, um die eben vorgetragenen Aussagen zu thematischen Zäsuren und Themenkarrieren differenzierter darstellen zu können. Zu Frage 1: Welche Veränderungen können auf symbolischer Ebene identifiziert werden? Im Durchgang durch das empirische Material, unter besonderer Berücksichtigung der Produkte und der im Fernsehwerbespot inszenierten Kontexte, sind auf symbolischer Ebene vor allem diese Veränderungen festzuhalten. Wird in der Darstellung des Produkts während der ersten vier Jahre die Aktualität des Wagens – die entsprechenden Stichwörter sind modern und neu –, dessen Design und Geräumigkeit dramatisiert, so werden diese symbolischen Formen ach dem Life Style Fernsehwerbespot für das Modell Ford Taunus 17M P-5 abgelöst durch das Symbol Motor in Verbindung mit den Symbolen Preis und Leistung. Hinsichtlich der eingesetzten Darsteller in den zwölf Fernsehwerbespots ist folgendes Muster auf symbolischer Ebene zu beobachten: Kommen anfangs überhaupt keine Darsteller vor, so werden diese allmählich in die Werbebotschaften integriert. Für die Jahre 1961 und 1962 gilt, dass die Darsteller die zentrale Rolle in den Slice of Life Fernsehwerbespots spielen. Bis 1964 tragen die Männer Anzüge (versehen mit weiteren kleineren Accessoires wie z.B. Manschetten) und die Frauen Kostüme. Diese Symbolik wird abgelöst durch die Freizeitkleidung der Life Style Darsteller im Fernsehwerbespot vom September 1964. Darüber hinaus werden in den, auf diesen einen Life Style Werbespot folgenden Werbefilme die Darsteller ebenso allmählich zurückgenommen, wie sie zu Beginn der fernsehmedialen Bewerbung der 17M-Modelle sukzessive in die Werbefilme aufgenommen wurden. Dies stellt sich so dar: Erst findet eine Distanzierung zu den Darstellern statt, die auf diese Weise nur noch schemenhaft erkennbar sind, und dann so, dass nur noch Teile der Darsteller, z.B. deren Hände, in den Fernsehbotschaften zu sehen sind. Sie treten insbesondere als Fürsprecher auf oder weisen sich als Präsentator des Produktes aus. Die Kulissen variieren zwischen irrealer Studioatmosphäre, 1959, 1966 sowie 1967, und Landschafts- oder Stadtbildern, die die zwischen 1960 und Frühjahr 1966 ausgestrahlten Fernsehwerbespots rein oder in einem Mischverhältnis dominieren. So ist die Kulisse für den 03/61-Werbespot z.B. ausschließlich eine urbane Umgebung, wohingegen im 10/60-Werbespot städtische und ländliche Kulissen Eingang gefunden haben. Zu Frage 2: Welche Bedeutungen, Denotationen wie Konnotationen, können aufgrund der in den Fernsehwerbespots verwendeten Symbole
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rekonstruiert werden? In der vorgetragenen Analyse sind eine Reihe von denotativen wie konnotativen Bedeutungen herausgearbeitet worden. Die wichtigste Konnotation meines Erachtens ist die, die unter anderem mit dem Symbol der Heckflosse aufgerufen worden ist: Fortschritt. Denn es ist hier nicht primär, interkulturell betrachtet, ein Anti-Amerikanismus eingebaut, sondern eine intrakulturelle Spannung zwischen der Mittel- und der Unterschicht. Wäre ersteres der Fall, so ließe sich der Erfolg des 17M P-3 Modells, das ja weiterhin Produkt eines amerikanischen Unternehmens bleibt, schwer erklären. Aber während der Untersuchung wurde die intrakulturelle Spannung immer deutlicher: Eine Diskontinuität zwischen Sozialstruktur und Kultur. Rein auf kultureller Ebene wäre eine stilistische Disharmonie nicht feststellbar, da ein Korrektiv bzw. ein Maßstab fehlen würde. Doch hier haben wir die sozialstrukturelle Ebene als Korrektiv. Ausschnitte bzw. die bewusste Wahl von Elementen der Schichtkultur, anvisiert in den jeweiligen Werbebotschaften, werden in den Werbebotschaften modelliert. So aber kann sich die Desintegration auf sozialstruktureller Ebene in einer Diskontinuität zwischen Schichtkultur und Fernsehwerbespot auswirken. In Abwandlung des zentralen Zitats aus Geertz’ Essay Ritual und sozialer Wandel lautet der Befund: Ganz einfach gesagt bestand die Mehrdeutigkeit darin, dass einzelne Symbole des Fernsehwerbespots sowohl denotative wie konnotative Bedeutung hatten, mit subversiven wie realistischen Sinn befrachtet waren. Das anhand sozialstruktureller Parameter konstruierte Zielpublikum, das mit den Fernsehwerbespots angesprochen werden sollte, war sich nicht sicher, ob das Produkt die aktuellste Errungenschaft der modernen Welt war oder schlicht und einfach ein Ausdruck Abgrund tiefer Geschmacklosigkeit. Die Konnotationen der folgenden Fernsehwerbespots sind demgegenüber harmlos, Sportlichkeit konnotierend. Dies führt nicht in einen tiefen Konflikt, der sich wie der obige ausbuchstabiert. Zu Frage 3: Welche Veränderungen sind auf semantischer Ebene erkennbar? An zwei ausgewählten Beispielen möchte ich jene Aus-sage über die von Moment zu Moment wechselnden Symbole korrigieren. Fortschrittlichkeit ist das Thema, das über verschiedenste symbolische Ensembles seinen Ausdruck findet (thematische Kontinuität). Wird dieses Thema mit dem Einstieg in die fernsehmediale Bewerbung des Ford Taunus 17M P-2 aufgerufen und mittels der amerikanischen Formsprache des Fahrzeugs, z.B. sind die Heckleuten ein solches Zitat, symbolisiert, so ist es im Nachfolge-Werbespot schlicht und einfach die Titulierung des Fahrzeugs mit dem Adjektiv modern. Aber auch das Nachfolgeprodukt des 17M P-2, der Ford Taunus 17M
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P-3, erhebt in seiner Bewerbung den Anspruch modern zu sein. Dies wird mit einer Symbolik gelöst, das in der ersten langen Einstellung des Fernsehwerbespots inszeniert wird. Es ist die Metamorphose des Wagens, an den sich in immer günstigerer Weise der Wind – angedeutet mit fließenden weißen Linien – anschmiegt. Beide Male wird jedoch Fortschrittlichkeit konnotiert. Ein Gegenbeispiel (thematische Zäsur) findet sich in der Bedeutung der Karosserie. Stand diese anfänglich symbolisch für Eleganz, so drückt die Karosserie in den Fernsehwerbespots für den Ford Taunus 17M P-3 Wirtschaftlichkeit aus. In der folgenden Tabelle sind die entsprechenden Symbole wie denotativen und konnotativen Bedeutungen der Fernsehwerbespots zusammengestellt. Tabelle 27: Themen der Ford-Fernsehwerbung mit Bezug auf die Modelle der gehobenen Mittelklasse der FAG für die Jahre 1959 bis 1967 Nr. TV-Spot/Jahr
17M P-2 #1 #2 ‘59 ‘60
#3 #4 ‘60 ‘61
17M P-3 #5 #6 ‘61 ‘62
#7 ‘63
#8 ‘64
#9 ‘64
17M P-5 #10 #11 ‘66 ‘67
#12 ‘67
(als technisches) Produkt mit Bezug auf thematisiert … Design Kühler Kotflügel Karosserie Kofferraum Türen Beleuchtung Fahrgestell Antrieb Motor
(Fahrleistung)
Getriebe Radaufhängung Bremsen/Lenkung Qualität hinsichtlich Fahreigensch. Komfort Hinsichtlich Innenraum
Fahrkomfort Bequemlichkeit Geräumigkeit
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Mit anderen Worten, die Aussage, dass die Themen der Werbung sich von Moment zu Moment änderten, ist einseitig. In machen Fällen ist dies tatsächlich so, in anderen Fällen stimmt es eben nicht. Die Antwort hierauf kann aber nur empirisch gegeben werden und nicht ex ante festgelegt sein.
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Zu Frage 4: Inwieweit korrespondieren diese beiden in den Fernsehwerbespots modellierten Bedeutungsebenen mit der Kultur der anhand sozialstruktureller Parameter identifizierten Zielgruppe (Trägerschicht)? Diese Frage kann nur für die ersten fünf Jahre des Beobachtungszeitraums beantwortet werden, da es sich nur während dieses Zeitabschnittes um dieselbe Zielgruppe bzw. Sozialschicht, die auf einer homogenen Zielgruppenkonstruktion basiert, handelt. Tabelle 28: Fahrzeugklasse – Werbebotschaft – Gesellschaftsschicht für die Jahre 1959 bis 1967 Produkt ‹Spitzname› Ford Taunus 17M P-2 ‹Kölner Barock›
Ford Taunus 17M P-3 ‹Badewanne›
Ford Taunus 17M P-5 ‹Modell ohne sobriquet›
Fernsehwerbespots #1
09/1959
#2
03/1960
#3
10/1960
#4
03/1961
#5
09/1961
#6
03/1962
#7
09/1962
#8
03/1963
#9
09/1964
Zielgruppe/n
mMS
Fernsehwerbespot fehlt im Datencorpus #10
04/1966
#11
02/1967
#12
02/1967 (Reminder)
mMS + uMS
Quelle: Selbst erstellte Tabelle.
Ab 1964 wird mit einem Fernsehwerbespot im Life Style Format die Zielgruppenkonstruktion nach unten erweitert und dementsprechend die Zielgruppenansprache verändert. Dies ist auf der nächsten Seite
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abgebildet. In dieser Zusammenschau finden sich die zentralen Positionen von Produkt, Werbebotschaft und Zielgruppe bzw. Zielgruppen (Plural), berücksichtigt man die real vorliegenden Differenzen zwischen den Sozialschichten. Zu Frage 5: Inwieweit können Interferenzen innerhalb des kulturellen Systems Fernsehwerbespot und Diskontinuitäten zwischen Fernsehwerbespot und Zielgruppenkultur im Untersuchungszeitraum beobachtet werden? Auch hier ist es wieder die Eingangssequenz der zwölf Fernsehwerbespots, die eine Antwort auf diese Frage liefert. Es interferiert hier eine Ausdeutung von Fortschrittlichkeit im Sinne einer Amerikanisierung bzw. im Sinne einer Modernisierung. Obgleich beide Lesarten auch harmonisch sein können, wird im Fall der vorliegenden Studie eine klare Trennungslinie gezogen, da Amerikanisierung über die Schichtgrenzen der mittleren Mittelschicht, ihrer Identität, ihrem Selbstverständnis, alles in allem ihrer Kultur hinausweist. Anderen Sozialschichten, insbesondere der Unterschicht wird Fortschrittlichkeit nur in Anlehnung an und in der Übernahme von amerikanischen Mustern attestiert. Demgegenüber gilt es sich abzugrenzen und somit die gezogenen Sozialgrenzen zu bestätigen und zu bekräftigen. Die mangelnde stilistische Homogenität in den frühen Fernsehwerbespots für die 17M-Modelle wird langsam zurückgenommen und somit Diskontinuitäten bzw. Spannungen zwischen fernsehmedialer Wirklichkeitsebene und sozialer Wirklichkeitsebene der Zielgruppe vermindert. Ist der Moment gekommen, in dem diese Interferenzen aufgelöst worden sind, kommt es zur Variation auf der Ebene der Fernsehwerbespots. Diese Figur ist eine von dreien. Mit der Beantwortung der sechsten Frage schließlich kommen wir auf die unterschiedlichen Figuren zu sprechen. Zu Frage 6: Welche Figur(en) soziokulturellen Wandels kann (können) im Beobachtungszeitraum herausgearbeitet werden? Auf der Folie der Antworten auf die Fragen eins bis fünf ergeben sich die folgenden Figuren: 1. Anpassung der Werbebotschaft an die Zielgruppenkultur auf der Grundlage der Diskontinuität zwischen Schichtkultur und Fernsehwerbespot(s), 2. Variation der Werbebotschaft auf Grundlage einer vorübergehenden Isomorphie mit der Schichtkultur und der daraus resultierender Anpassung der entsprechenden Sozialschicht an die Werbebotschaft(en) und 3. Abweichung der Werbebotschaft(en) von der Schichtkultur.
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Zur ersten Figur: Die Werbebotschaft ist auf dem Weg, mit der Kultur der sozialstrukturell bestimmten Zielgruppen isomorph zu korrespondieren: Die Botschaft passt sich an. Dies ist der Fall für die Fernsehwerbespots eins, zwei und drei. Die Fernsehwerbespots zehn, elf und zwölf können sich nicht, obgleich sich die Anfangssequenz in der Gestaltung der Werbeansprache des Modells Ford Taunus 17M P2 mit dem P-5 Modell ähneln, anpassen. Dies liegt an der Tatsache, dass eine Zielgruppencharakteristik fehlt. Noch immer ist diejenige Zielgruppenkonstruktion, die homogen nach innen und heterogen gegenüber anderen Gruppierungen ist, am besten geeignet, eine Folie für die Gestaltung der Werbemaßnahmen zu liefern. Derartige Werbebotschaften haben die beste Chance, mit der Kultur der anvisierten Sozialgruppe in eins zu gehen, zu korrespondieren. Zur zweiten Figur: Die Werbebotschaft deckt sich mit den sich nicht veränderten zielgruppenspezifischen Parametern der Sozialschicht: Werbebotschaft und Zielgruppenkultur sind in der Terminologie von Geertz gesprochen isomorph. Die hieraus resultierende Konsequenz ist, dass die Symbolensembles der aufeinander folgenden Werbebotschaften bei Konstanthaltung der Themen nur variieren, sich jedoch die Variablen der Sozialschicht (z.B. in Form der materiellen Ausstattung) ändern. Diese Figur ist realisiert in den durch eine Zäsur von den Produkt-Präsentationen zwischen 1959 und Oktober 1960 getrennten Fernsehwerbespots vier, fünf, und sechs. Zur dritten Figur: Die Werbebotschaft kommt auf Ab- und Irrwege: Die Botschaft weicht ab. Dies ist der Fall für die Fernsehwerbespots sieben und acht, die am Ende des Lebenszyklus des Modells Ford Taunus 17M P-3 ausgestrahlt wurden und wieder der Strategie einer Produkt-Präsentation folgen. Der Testimonial bzw. der Fürsprecher erinnert zwar noch an die Darsteller der in Figur zwei genannten Fernsehwerbespots, jedoch weisen sie bereits stärkere Ähnlichkeiten zu den Nachfolge-Fernsehwerbespots ab 1964 auf. Alles in allem war es möglich, auf der konzeptuellen Grundlage der Theorie soziokultureller Dynamik von Geertz unterscheidbare Figuren herauszuarbeiten, und mit Hilfe der rein analytischen Unterscheidung zwischen kulturellem und sozialstrukturellem Faktor und der beiden Formen der Integration die Dynamik im diskursiven Verlauf der Fern-
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sehwerbespots im Beobachtungszeitraums sichtbar zu machen; einer Dynamik, die weder Kultur auf Sozialstruktur reduziert noch umgekehrt, sondern mit deren Interdependenz rechnet und die Dominanz je nach empirischer Lage, dem einen oder dem anderen Faktor zurechnet.
8.2 AUSBLICK Die kultursoziologische Studie Fahrzeuge auf Zelluloid. Fernsehwerbung für Automobile in der Bundesrepublik des Wirtschaftswunders. Ein kultursoziologischer Versuch hat zeigen können, dass die Kontextualisierung der Werbebotschaften nicht nur Aufschluss gibt über die Bedeutungsdimension, die in den bisherigen Studien zu Werbewandel vernachlässigt worden sind. Daneben konnte sie auch zeigen, dass in diesem kontextuellen Feld Faktoren zu verorten sind, die im Zusammenspiel mit der Wirklichkeitsebene der Fernsehwerbespots eine eigene Dynamik entfalten. Insbesondere konnte anhand der Fernsehwerbespots im ersten Zeitabschnitt aufgezeigt werden, wie unter Berücksichtigung eben dieser Kontextfaktoren, der anvisierten, entlang sozialstruktureller Kriterien konstruierten Zielgruppe sich im Fernsehwerbespot Disharmonien identifizieren lassen, die sich zwischen denotativer und konnotativer Bedeutungsschicht ergeben. Die Konsequenz dieser empirisch nachweisbaren Formen der Korrespondenz resultieren in verschiedene Ausgestaltungen kulturellen Wandels: Anpassung, Variation und Abweichung. Offen bleiben muss jedoch, ob sich diese besagten, weiter oben beschriebenen Figuren bei Werbebotschaften aus anderen Bereichen ebenfalls in dieser Weise beobachten lassen; seien es Werbebotschaften aus der Lebensmittelbranche, seien es solche aus der Süßwarenbranche oder seien es werbliche Botschaften aus der Arzneimittelbranche. An dieser Stelle stehen meines Erachtens noch weitere Forschungsbemühungen aus; Forschungen, materielle Unterschiede zwischen Waren berücksichtigend. Im Rahmen der vorliegenden Studie ist der kultursoziologische Versuch unternommen worden, die Bearbeitung des Themas Werbewandel im Rahmen einer qualitativ-diachronen Untersuchung ein Stück weit voranzutreiben. Studien, die sich zukünftig mit diesem Thema auseinandersetzen, sind aufgefordert, dies nicht nur multimethodisch, sondern auch in einem Mix von qualitativen und quantitativen Methoden zu tun.
Glossar
ARD
Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland
BR
Bayerischer Rundfunk
BRD
Bundesrepublik Deutschland
Copy
Text eines (Fernseh-)Werbespots
CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
CSU
Christlich-Soziale Union Bayerns
cu
Close up
DRTV
Direct Response Television
E-Business
Electronic Business
E-Commerce
Electronic Commerce
FAG
Ford-Werke AG Köln-Niehl
FDP
Freie Demokratische Partei Deutschlands
FMC
Ford Motor Company
HR
Hessischer Rundfunk
KWIC Analyse
Key-Word-In-Context Analyse
mcu
Medium Close up
mMS
mittlere Mittelschicht
244 | F AHRZEUGE AUF Z ELLULOID
NDR
Norddeutscher Rundfunk
NWDR
Nordwestdeutscher Rundfunk
Off
Off-camera
oMS
obere Mittelschicht
On
On-camera
OS
Oberschicht
PR
Public Relations
RB
Radio Bremen
SDR
Süddeutscher Rundfunk
SFB
Sender Freies Berlin
SR
Saarländischer Rundfunk
s/w
schwarz/weiß
SWF
Südwestfunk
TVC
Television Commercial
uMS
untere Mittelschicht
VKF
Verkaufsförderung
v/o
Voice over
WDR
Westdeutscher Rundfunk
ZAW
Zentralausschuss der deutschen Werbewirtschaft
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
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Elisabeth Mixa Body & Soul Wellness: von heilsamer Lustbarkeit und Postsexualität September 2011, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1154-0
Max Jakob Orlich Situationistische Internationale Eintritt, Austritt, Ausschluss. Zur Dialektik interpersoneller Beziehungen und Theorieproduktion einer ästhetisch-politischen Avantgarde (1957-1972) März 2011, 630 Seiten, kart., 42,80 €, ISBN 978-3-8376-1748-1
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