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German Pages 913 [916] Year 2010
Weimarer Arnim-Ausgabe Werke und Briefwechsel
Ludwig Achim von Arnim Werke und Briefwechsel Historisch-kritische Ausgabe In Zusammenarbeit mit der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen herausgegeben von Roswitha Burwick, Lothar Ehrlich, Heinz H#rtl, Renate Moering, Ulfert Ricklefs und Christof Wingertszahn
Band 13
De Gruyter
Ludwig Achim von Arnim Schaub,hne I Herausgegeben von Yvonne Pietsch
De Gruyter
Gedruckt mit Untersttzung des Fçrderungs und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.
ISBN 978 3 484 15600 5 (Gesamtwerk) ISBN 978 3 484 15613 5 (Band 13) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d nb.de abrufbar. 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Satz: pagina GmbH, Tbingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
¥ Gedruckt auf surefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Schaubühne I Schaubühne (1813)
Jann’s erster Dienst. Eine Posse . . . . . . . . . . . . . Der Auerhahn. Eine Geschichte in vier Handlungen. . . . . Das Frühlingsfest. Ein Nachspiel . . . . . . . . . . . . Mißverständnisse. Ein Lustspiel . . . . . . . . . . . . . Die Vertreibung der Spanier aus Wesel im Jahre 1629. Schauspiel in drei Handlungen . . . . . . . . . . . . Das Loch, oder: das wiedergefundene Paradies. Ein Schattenspiel Herr Hanrei und Maria vom langen Markte. Ein Pickelheringsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . Der wunderthätige Stein. Ein Hanswurstspiel . . . . . . . Jemand und Niemand. Ein Trauerspiel . . . . . . . . . . Die Appelmänner. Ein Puppenspiel . . . . . . . . . . . Anmerkungen und Druckfehler . . . . . . . . . . . . .
Zu: Zu:
3 23 125 146 169 204 233 254 264 282 333
Entwürfe Der Auerhahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jemand und Niemand . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungen
Kommentar Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . Abkürzungen und Zeichen . . . . . . . Allgemein . . . . . . . . . . . . Archive und Bibliotheken . . . . . . V
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359 370 370 373
Inhalt
Abgekürzt zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitteilungen zum Text . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der in öffentlichen Bibliotheken nachweisbaren Schaubühnen-Exemplare . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der handschriftlichen Entwürfe . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entstehungsgeschichte der Schaubühne (1813) . . . . . Pläne, Sammeltätigkeit und Vorarbeiten . . . . . . . . Alte deutsche Bühne und Schaubühne: Entwürfe zwischen 1808 und 1813 . . . . . . . . . . . . . . . Die Veröffentlichung der
Schaubühne
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374 404 404 405
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408 412 416 416 430 430
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Die Schaubühne als patriotisches Bekenntnis in der Zeit der
. . . . . . . . ›Parallelaktionen‹: Arnims Alte deutsche Deutsches Theater . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . Zeugnisse zur Rezeption . . . . . . . . Zeugnisse zu Aufführungsbestrebungen Die beiden Rezensionen zur Schaubühne »Befreiungskriege«
Arnims Engagement im Landsturm
. . . . . . Bühne . . . . . . . . . . . . . . .
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und Tiecks
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Kommentare und Quellentexte zu den Dramen Jann’s erster Dienst. Eine Posse . . . . . . . . . . . Quelle: Jacob Ayrer, Fasznachtspil / Von dem Engelländischen Jann Posset . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Quellensituation . . . . . . . . . . . . . . . . . Jacob Ayrer – Leben, Werk und Rezeption seines Opus Theatricum Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Der Auerhahn. Eine Geschichte in vier Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen 1.1–1.4
Zu:
458 462 462 479 495
501 501 517 517 522 524 526 541 541
Q 1.1: Cyriacus Spangenberg, Wie sich Christlicher Adel verhalten sol gegen ihre Obrigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Q 1.2: Erich Adelar, 〈Otto-Schütz-Sage〉
VI
541 543
Inhalt
Q 1.3: Erich Adelar, 〈Zu Aelius Gracilis〉 . . . . . . . . Q 1.4: M. Johannes Praetorius, 〈Schwanrittersage〉 . . . . . Zu Arnims Quellen 1.1–1.4 . . . . . . . . . . . . . . Die Schwanrittersage . . . . . . . . . . . . . . . Das Auerhahn-Motiv und der Schicksalsbegriff in Arnims Drama . . . . . . . . . . . . . . Arnims Entwurf von II, 1 Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . Zu: Das Frühlingsfest. Ein Nachspiel . . . . . . . . . . . Das Frühlingsfest als Nachspiel zu Der Auerhahn und als Zwischenspiel in der Päpstin Johanna . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Mißverständnisse. Ein Lustspiel . . . . . . . . . . . Zu Arnims »Quelle« . . . . . . . . . . . . . . . . . Das zeitgenössische rührende Lustspiel . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Die Vertreibung der Spanier aus Wesel im Jahr 1629. Schauspiel in drei Handlungen . . . . . . . . . . . . Quelle: Joan. Phillipum Abelinus, 〈Bericht über die Befreiung der Stadt Wesel〉 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Arnims Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wesel um 1629 in anderen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts . Die geschichtliche Situation Wesels im 16./17. Jahrhundert . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu:
545 547 548 556 559 564 566 567 570 616 616 618 618 620 620 622 625 625 627 636
Das Loch. Ein Schattenspiel . . . . . . . . . . . . .
636 639 643 645 651 651 660 688
Quelle: 〈Manuskript aus dem Nachlaß von Johann Gerhard Christian Thomas〉 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Arnims Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Inclusa-Erzählung und deren Dramatisierung im ersten Aufzug . Der zweite Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Schattenspiel und seine Tradition . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption und Aufführung . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
688 693 697 699 701 704 706 709
VII
Inhalt
Herr Hanrei und Maria vom langen Markte. Ein Pickelheringsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Ein lustig Pickelherings Spiel / von der schönen Maria vnd alten Hanrey . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Arnims Quelle und deren Vorläufern . . . . . . . . . . Die Figur des Pickelhering und ihre Tradition . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Der wunderthätige Stein. Ein Hanswurstspiel . . . . . . Quelle: Ein ander lustig Pickelherings Spiel / darinnen er mit einen Stein gar lustige Possen machet . . . . . . . . Zu Arnims Quelle und deren Vorläufern . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Jemand und Niemand. Ein Trauerspiel . . . . . . . . Quelle: Eine schöne lustige Comoedia / von Jemand vnd Niemandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Arnims Quelle und deren Vorläufern . . . . . . . . . . Die Stoffgeschichte der Figuren »Jemand« und »Niemand« . . . . . . . . Die politischen Anspielungen in Arnims Trauerspiel Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnims Entwürfe eines Prologs Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Die Appelmänner. Ein Puppenspiel . . . . . . . . . . Quellen 1.1–1.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Q 1.1: Paul Friedeborn, Bürgermeister Jochim Appelman zu Stargard / lest seinen vngehorsamen Sohn köpffen . . Q 1.2: Rede vor der deutschen Tischgesellschaft . . . . . .
Zu:
725 725 743 747 748 749 750 765 765 777 779 780 781 790 790 820 822 825 827 828 829 830 843 843
Zu Arnims Quelle und der Rede vor der deutschen Tischgesellschaft Der historische Kontext des Stücks . . . . . . . . . . . . Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu: Anmerkungen und Druckfehler . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register
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SCHAUBÜHNE 1813
Jann’s erster Dienst. Eine Posse.
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Spieler. H e r r v . E m m e r i c h , der Herr des Dorfes. H e r r v . B r a n d e i s , dessen Schwager. E r d w u r m , ein Bauer. D e s s e n Frau. J a n n , deren Sohn. G r e t h e mit eilf Kindern. Schauplatz. Auf der einen Seite ein Flügel von dem Schlosse des Herrn von Emmerich, auf der andern der Eingang zu Erdwurms Bauerhofe.
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I. E r d w u r m (ruft seine Frau). Heda Alte, komm einmal heraus. (Sie kommt.) Denk dir Frau, unser Jann, der verfluchte Junge, das Muttersöhnchen, nun, ich hab’s immer gesagt, es wird doch nichts aus ihm! F r a u . Ey, du bist immer so hitzig, er ist noch jung, es kann noch alles aus ihm werden. E r d w u r m . Dreissig Jahr ist er und noch zu keiner Arbeit brauchbar! Er will nichts thun, das ist die Sache: denk, er will schon wieder davon laufen. Wollen wir ihn laufen lassen? Mag er sein Glück versuchen. F r a u . Wenn er nur wieder kömmt. Ach lieber Mann, was fangen wir an, wenn uns die Altersstütze fehlt. E r d w u r m . Eine rechte Stütze! Der Schelm fürchtet die Arbeit, wie der Teufel den Weihrauch, er frißt viel und trinkt noch mehr, 3
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Jann’s erster Dienst
schlafen ist seine beste Kunst. Denk dir, heute finde ich ihn beim Pflügen so fest eingeschlafen, daß die Krähen auf ihm sitzen, wie auf einem todten Leichnam, und die Ochsen waren unterdessen mit dem Pfluge in den Waizen gelaufen. Nun, ich erwecke ihn nach meiner Art, da schwatzt der Bube von allerlei Zeug, was ihm geträumt habe, und was ihm Großes bevorstehe, und wie er sein Glück in der Welt aufsuchen wolle. Ich meine, wir lassen ihn gehen, er mag zusehen, ob die Herren ihn auf einen Großvaterstuhl setzen werden, ob ihm die gebratenen Tauben ins Maul fliegen. F r a u . Wenn du es meinst. Es mag ihm doch was Großes bevorstehen, ward doch der Joseph auch ein großer Herr in Aegypten, wer weiß, was unserm Jann geträumt hat. E r d w u r m . Nun Alte, du siehst in deinem Sohne und ließt in der Bibel, was du drin sehen und lesen willst. Gott verzeih mirs, das wäre mein Joseph, schau, wie sich der faule Lümmel heranschleppt, als zöge er einen Frachtwagen. F r a u . Ach Gott, er mag wohl zu schwere Füße haben, darum hat er das Gehen nicht ordentlich lernen können.
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II. J a n n (hat ein Bündelchen an einer langen Stange hängen) (Vor sich.) Nun werden sie recht weinen, wenn ich sage, daß ich fortgehe, aber diesmal bleibts dabei. (laut) Hört ihr Ältern, ihr guten Leute, ich will wandern, heute bleibts dabei. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen, ihr seyd alt und gebrechlich, nehmt einen andern Knecht an, der eure sieben Sachen versieht. Ihr gebt viel Arbeit und wenig Lohn, schlechte Worte und kein Geld, viel Schläge und wenig Lob, bei euch bleib ich nicht, ich habe mich nun lange genug mit euch gequält. F r a u . Jannchen, liebes Jannchen, was fällt dir ein, thu ich dir nicht alles zu Liebe. E r d w u r m . Schweig Alte. – Sag mir, du Narr, wo willst du einen Herrn finden? Du bist ein großer fauler Bengel, keine Arbeit geht dir von der Hand als das Essen, du schläfst, als hätten wir alle Tage die längste Nacht. Sey gescheidt, bessere dich, bleib noch ein Jahr zu Hause, ich will dich besser antreiben und früher aufwecken, viel4
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Auftritt I/II
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leicht, daß wir dann mehr Ehre mit dir einlegen. Nicht wahr, Jann, morgen stehst du um drei Uhr auf, ohne daß ich dich mit der Peitsche zu wecken brauche? J a n n . Nein Vater, bei euch bleib ich keinen Tag mehr, von dem ewgen Wachen werde ich so matt, wie eine Fliege im Winter. Ihr seyd ein alter grober Bauer, ihr taugt zu nichts Besserem, als euch beständig zu placken, der Geitz ist euch auf die Stirn geschrieben, ihr seht jedermann sauer an, als ob ein jeder euch bestehlen wollte und lauert bei eurem Geldtopfe wie ein Kettenhund beim Knochen. Gott weiß, wie ich von euch abstamme, mir hat aber was Besseres geträumt. F r a u . Jannchen, Jannchen, was redest du dir wieder auf den Hals. J a n n . Ei was, sie Mutter bleckt einen auch immer mit ihren beiden letzten Zähnen an, als ob sie beissen wollte, sie ist bucklig, runzlig und eisgrau wie eine Hexe, und kann den ganzen Tag drum brümmeln, wenn ich ihr einmal die Flasche ausgetrunken habe, ich sage ihr, sie ist gar zu alt, sie kann nicht lange mehr leben, und dann habe ich den Vater allein auf dem Hals. F r a u . Brich das Genick über einen Besen, wenn du nicht alt werden willst. Ein jeder möchte gern lange leben und doch die alten Leute verlachen. E r d w u r m . Laß ihn reden, Frau, wer weiß, wir sehen ihn zum letztenmal. Komm her, mein Jannchen, ich muß dich noch recht nahebei betrachten, daß ich dein Gesicht nicht vergesse. (Er packt ihn). Und dann muß ich dir den Rücken reiben, damit du zum Dienen geschmeidig wirst, auch daß du das vierte Gebot nicht vergißt, du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß dirs wohl gehe und du lange lebest auf Erden. (er schlägt ihn). Nun ziehe nach dem Galgen, das ist dein Zehrpfennig. F r a u . Laß ihn lieber Mann, es kann ihm ja wehe thun. J a n n (weint). Vater, es ist für heute genug! Ihr habt ja erst gestern die ganze Rechnung von vorger Woche abgemacht. Soll das mein Zehrpfennig seyn, so sag ich mich gänzlich von euch los und will nichts mehr von euch wissen; und daß ich euch nichts schuldig bleibe, da habt ihr meinen letzten rothen Heller für eure Mühe, daß ihr mich in die Welt gesetzt habt. Wolltet ihr mich anders haben, warum habt ihr mich nicht anders gemacht. Nun gehe es mir, wie 5
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Jann’s erster Dienst
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es wolle, laßt euch begraben, kein Mensch soll mich wieder bei euch sehen, wir sind geschiedene Leute. (geht weinend ab). F r a u . Ach ich muß ihn noch einmal küssen, meinen lieben einzigen Sohn, ach das gute liebe Kind, wenn ihm der Ärger nur nicht schadet (weint). E r d w u r m . Komm Alte, schäm dich, laß den Bösewicht gehen, laß ihn nur unter fremde Leute kommen, die werden ihm den Rock besser ausklopfen, es wird ihm gehen wie dem verlornen Sohn, er wird noch Schweine hüten müssen. F r a u . Ach Mann, das war noch das Einzige, was er gern that, darum hätte er zu Hause bleiben können. (Geht weinend mit dem Manne ab).
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III. (H. v. Emmerich kommt an einer Krücke aus dem Schlosse schnell gehinkt, dann steht er ermattet und athemlos.)
Ich meine, gestern war’s, als meine Mutter Mir einen Diener nachgeschickt, daß ich Bei meinem steten Springen, Laufen, Klettern Mir keinen Schaden thät! Ich konnt nicht gehen, Weil ich stets laufen wollte gleich dem Wild, Das seine Freiheit sich bewährt im Laufen. Mit Gottes Gnade bin ich zahm geworden; Das Laufen ist vorbei und auch das Gehen, Und meine Krücke ist von meinen Füßen Der einzige, der ganz gesund zu nennen. Doch will sie mir nun oft nicht mehr genügen, Und meine alte Frau wird so besorgt, Daß sie mich nicht allein will gehen lassen, Sie will, daß ich mir einen Burschen nehme, Der, gut von Sitten, sorgsam, klug und ehrlich, Indem er mich den ganzen Tag begleitet, Mir auch mit gutem Wort die Zeit verkürze. Sie mag nicht unrecht haben, doch mir gehts Auch hier wie bei den ersten weißen Haaren; Ich riß sie aus und hoffte mich befreit Von diesen ersten weißen Winterzeichen, So reiß ich mich auch jezt noch manchmal auf, 6
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Auftritt II/III
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Wenn meine Frau mich eben nicht bewacht, Und schreite ein’ge Schritte stark und kühn Von meinem Hause, wie ein Jüngling fort, Doch da verläßt mich Athem, Kraft und Muth, Den schwachen Leib, kaum kann ich ihn noch halten, Und freue mich, hier einen Sitz zu finden. (Er setzt sich).
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Was kommt dann da fürn Bursche hergelaufen, der hat noch starke Beine, der möchte zu dem Dienste gar nicht übel seyn, er ist so wohlgenährt und rüstig, der würde mich nicht fallen lassen. Nun erkenne ich ihn, die Augen werden mir täglich schwächer, es ist ja unsers reichen Bauern Erdwurm Sohn, hör Bursche, wo willst du hin, wie heißt du? J a n n . Verstellt euch nicht, ihr kennt mich lange, ich bin das Jannchen, ich bin von meinem Vater weggegangen, weil er zu dumm und grob ist. Ich will mich in der Welt versuchen, ich habe lange genug umsonst gedient. Mein Vater weiß es nicht, was er an mir gehabt hat. E m m e r i c h . Was kannst du denn alles verrichten? J a n n . O ich kann alles. E m m e r i c h . Alles, ei Jann, das ist zu viel und du bist noch jung. Wenn du nur die Hälfte von Allem könntest, so könnte ich dich auch brauchen, besonders wenn du alles mitangreifen und thun wolltest. J a n n . Die Hälfte soll ich thun, das ist schwer. Ja alter Herr, da muß ich genau wissen, wozu ihr mich brauchen wollt. Wenn ichs aufgeschrieben hätte und wenn ichs lesen könnte, da wäre es freilich am besten zu behalten, da könnte ich alles voraus überdenken und zur rechten Zeit vollbringen. E m m e r i c h . Das habe ich einem Knecht noch nie gethan, habe auch nie davon gehört, so weit ich gereist bin, doch du scheinst verständig und es mag kein übler Einfall von dir seyn. J a n n . Ihr scheint mir auch recht verständig, und ich habe Lust es mit euch zu versuchen, ob ich mit euch fertig werden kann. E m m e r i c h . Du willst damit sagen, mein Sohn, du willst versuchen, ob du dich mir als Bedienter durch Fleiß und Aufmerksamkeit empfehlen kannst. 7
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Jann’s erster Dienst
J a n n . Herr, ihr könnts aufschreiben, wie ihr Lust habt, ich weiß doch, was ich davon zu denken habe. E m m e r i c h . Nun wohlan, so geh in die Küche zu meiner Köchin. J a n n . Wie heißt die? E m m e r i c h . Grethe! Von der laß dir ein Schreibzeug geben.
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(Jann läuft eilig fort).
E m m e r i c h . Das lieb ich, wenn ein Mensch so willig ist zur Arbeit, da fühlt er ihre Mühe nicht und nur die Lust, daß sie vollendet sey. (Jann kommt mit einem Feuerzeuge). 6
J a n n . Die Köchin weiß von keinem Reibzeug, doch meinte sie, ihr wolltet das Feuerzeug. In eurer Küche riecht es heut recht gut, ich diene euch doppelt gern darum, wir haben heute weißen Kohl und Hammelfleisch, das soll uns schmecken, ich habe ihr gesagt, sie sollte Kümmel daran thun, denn.... E m m e r i c h . Du denkst ans Mittagessen und es ist kaum Morgen, du hast in deinen Ohren, glaube ich, die Tellern klappern hören, was soll ich denn mit einem Feuerzeuge, was soll ich mit dem Reibzeug. Ein Schreibzeug hatte ich gefordert. Bring mir ein Tintfaß. J a n n . Gleich Herr, ja seht ich hungre und ihr durstet, wer will darüber streiten, was besser ist. (ab). E m m e r i c h . Was spricht der Mensch von meinem Durst, ich kann es nicht verstehn. J a n n (bringt ein Trinkfaß). Seht her, da bring ich euch das große Trinkfaß für das Haus, es scheint Kovent, und prost Herr, laßt es euch schmecken, mir scheint es etwas sauer. E m m e r i c h (lacht). Du wirst der rechte Diener für mich, ich soll viel lachen, sagt der Arzt. Ich will ein Tintfaß und du bringst ein Trinkfaß, glaubst du, ich könnte nicht schreiben, ohne zu trinken? J a n n . Ein Tintfaß wollt ihr. Ja, ja, nun hab’ ichs verstanden. Wenn ich euch künftig gleich verstehen soll, so brummelt nicht so zwischen den Zähnen. Wenn ich so sprach, dann sagte mir der Vater, ich glaube Junge, du hast Brei im Maul. E m m e r i c h . Nun das war wieder gut (lacht). Versteh mich jezt. J a n n . Ihr lacht so viel, daß ich euch nicht verstehen kann. 8
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Auftritt III
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E m m e r i c h . Ein Tintfaß will ich. J a n n . Ich hab ja Ohren, ihr braucht nicht so zu schreien, die Leute meinen sonst, daß wir uns zanken. E m m e r i c h . Nun also, bring Tintfaß und auch eine gute lange Feder mit. J a n n . Gleich Herr, (eilig fort). E m m e r i c h . Der Mensch ist willig, doch sehr unberathen, darum ists recht gescheidt von ihm, daß ich ihm seine Arbeit aufschreiben soll. Er weiß noch nicht, wie er mit seinem Herrn soll sprechen, er lebte immer mit dem groben Vater, der mich nicht achtet, weil er fast so reich wie ich, die Demuth soll er bald im Dienste lernen, kriegt meine Frau ihn einmal unter ihre Hände. J a n n (bringt ein Tintfaß und eine lange bunte Hahnen feder). Nun Herr, mach ichs euch recht? Da ist das Tintenfaß und hier die längste Feder, die ich auf dem Miste finden konnte. E m m e r i c h . (lacht) Du suchst die Federn an dem rechten Ort. – Geh rasch zur Köchin, sag ihr, ich brauchte eine Feder. J a n n . Das soll wohl keine Feder seyn? Nun habe ichs doch all mein Lebtage so nennen hören von Vater und Mutter, und seh ichs auch recht an, so ists eine Feder, eine wirkliche Feder. E m m e r i c h . Dummkopf! Wer auf aller Welt kann mit einer Hahnenfeder schreiben. Eine Gänsefeder brauch ich. J a n n . Das mag bei euch wohl Mode seyn, wo stehen eure Gänse, daß ich sie rupfen kann, – die werden schreien. E m m e r i c h . Für wahr du bist ein arger Knecht, oder nicht bei Sinnen. J a n n . Ich weiß nicht, was ihr wollt! Ich lauf mir fast die Beine ab, ihr seyd mit nichts zufrieden. Ich wollt, ich könnte schreiben, so wüßte ich, was dazu gehört, ich weiß nur, daß die Mutter oft gesagt, wenn man in der Welt dienen wollte, da müßte man sich alles wohl hinter die Ohren schreiben, was einem von der Herrschaft geboten würde. Da habt ihr meine Ohren, schreibt dahinter, so werde ich es treu behalten. E m m e r i c h . Das hat noch Zeit, bis ichs dir hinter deine Ohren schreibe, das wird die Frau bald genug thun, jetzt bring von der Köchin eine wohlgeschnittene Feder und Papier, daß ich dir deine Arbeit aufschreiben kann. 9
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Jann’s erster Dienst
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J a n n (an die Zuschauer), Ich weiß nicht, was der Alte will, vorher bring ich ein ganzes Bierfaß her, er schickts zurück; jezt will er wieder Bier, warum hat er vorher nicht saufen können? Das ist ein schwerer Dienst, wo alles doppelt muß verrichtet werden. (ab). E m m e r i c h . Ich lache und sollte fluchen, die Einfalt hat doch ihren eignen Spas, der nicht versiegt an trüber Luft und Alters Laune, ich würde sonst in meinem Alter gar zu ernsthaft, wenn ich mir keinen solchen Narren hielte, vielleicht am Ende machte ich mich ohne solch ein Beispiel selbst zum Narren. Das Alter schlägt so leicht wie Jugend um, es spricht die Welt gleich oft von jungen, wie von alten Narren. J a n n (kommt mit geschnittenen Federn und mit einem Glase Bier). Herr, da sind die Federn und auch besser Bier, ein gutes doppelt Klebebier, es schmeckt recht süß und kräftig, die Köchin nennt es Herrenbier; nun seyd ihr doch zufrieden? E m m e r i c h . Hör Bursch, jezt knöpf die Ohren auf. Ich habe nicht Bier verlangt, sondern Papier – Papier – Papier. Verstehst du jezt? J a n n . Ja wohl, einen Barbier, zwei Barbier, drei Barbier! – Herr, so viele sind im Dorfe nicht, wir haben alle den Schulmeister zum Barbier. Soll er euch übern Löffel oder Daumen abbarbieren, das erste kostet euch das doppelte und ist um gar nichts besser. E m m e r i c h . Zum Teufel mit allen Barbierern, ich will Papier, so weisse Blätter, worauf ich schreiben kann, daß du ein Narr bist. J a n n . Gleich Herr, ja es ist wahr, nun seyd doch nur nicht gleich so hitzig (läuft fort, bringt Papier). Nun seht, wie rasch ich bin, wenn ich einen Fehler gut machen soll. E m m e r i c h . Gottlob, nun komm ich endlich dazu, dir deine Dienste und Verrichtungen aufzuschreiben. (Er schreibt). J a n n (legt sich auf ihn und sieht ihm ins Papier) Ei Herr, die Kunst möchte ich wohl können, es geht fast wie’s Pflügen, wenn ich aber so krumm und schief gepflügt hätte, da hätte mein Alter lärmen sollen. E m m e r i c h . Verfluchter Kerl, denkt er denn, daß ich seine Lehne bin. J a n n . Herr, ich verstehe euch nicht. Mit der Lene ist es lange aus, sie hatte keine Lust, da mochte ich sie nicht heirathen. 10
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E m m e r i c h . Ich sage ihm, er soll sich nicht auf mich legen, weil mir diese Nacht nicht geträumt hat, daß ich einen Esel tragen sollte. J a n n . Ja das meint ihr, ich hab mich nur mit einer Hand ein Bischen angelegt, damit ich nicht auf euch gefallen, wenn ihrs aber nicht leiden wollt, mir ist es recht, ihr seyd der Herr und ich bin der Knecht. E m m e r i c h . Nun da bin ich fertig, da hast du deine Instrukzion. J a n n . Ich danke euch zwar für die Instrukzion, aber lieber Herr, nun sagt mir auch, was steht auf dem Wisch geschrieben? E m m e r i c h . Kannst du nicht lesen? Warum hab ich dir dein Geschäft aufschreiben müssen? Was machst du mir für unnütze Mühe. Dummkopf! J a n n . Wie soll ich lesen können, Herr, kann es doch weder Vater noch Mutter. Aber ich laß es mir von euch alle Tage vorlesen. Leset es Herr, ich habe jezt Zeit und ihr sollt bald an meiner Arbeit sehen, daß ich kein Dummkopf bin. Die Mutter nannte mich immer einen Schelm, wenn ich ihr den heissen Brei ausgelöffelt hatte, und der Vater nannte mich einen Spitzbuben, wenn er die Bierflasche leer fand. Nein Herr, ich bin nicht dumm, ihr werdets sehen. E m m e r i c h . Hör Jann, ich will dir heute den Gefallen thun, und die Instrukzion dir vorlesen, aber merke auf. (Er ließt) Mein neuer Diener Jann ist vor allen Dingen verpflichtet, mich in meiner Altersschwäche mit steter Aufmerksamkeit auf allen Wegen außer dem Hause zu begleiten und mir in der Bearbeitung des Baumgartens, der meine liebste Altersfreude ist, behülflich zu seyn. J a n n . Einen Baumgarten lieb ich recht, alter Herr, da giebt es Früchte aller Art, habt ihr da auch gute Birnen? E m m e r i c h . Freilich, du mußt sie nur fleißig abraupen, ich habe lauter feines Obst, sieh nur, da steht ein Korb damit. J a n n . Birnen ist ein gesundes Obst, sagt immer meine Mutter. Nun lest nur weiter, gnädiger Herr. E m m e r i c h (liest) Da nun der Müßiggang aller Laster Anfang ist, so soll er in Nebenstunden der Köchin helfen, Boten laufen, Holz hauen, Mist laden, die gnädige Frau frisiren, Sonntags in der Kirche die Balgen treten und meinem Schwager Brandeis die spanischen Fliegen auflegen, Butterbrodt schmieren und Stiefel wichsen, wird eine 11
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Magd krank, im Nothfall die Kühe melken, und den Bratenwender drehen; wird gebauet, den Maurern zur Hand gehen und der Gesellschaft bei Tische aufwarten; die Kirschbäume bei Tage und das Haus in der Nacht bewachen; Wurst machen und das Kind meines Sohnes abhalten, Spitzen knöppeln und dreschen. – Nun mein Sohn, hast du genug daran zu thun? Wirst du das alles thun können? Denn wenn du das nicht alles kannst, so bist du nicht brauchbar. J a n n . Stehts da geschrieben, so kann ich es auch, da habt ihr meine Hand. E m m e r i c h . Nun, es wird so arg nicht werden, wie ich dir gelesen habe. Mehr kriegst du gewiß nicht zu thun, gewiß aber weniger, darauf gebe ich dir Wort und Hand. J a n n . Ich schlag ein. Herr, ich hoffe, daß ich mit euch zufrieden seyn werde. E m m e r i c h . Man spricht umgekehrt, Herr, ich hoffe, daß ihr mit mir zufrieden seyn werdet. J a n n . Wie ihr wollt, mir ists einerlei, also Herr zufrieden, hoffe ich, daß ihr mit mir umgekehrt seyn werdet. E m m e r i c h . Du willst sagen, ich hoffe, daß ihr werdet mit mir umgekehrt seyn. Dummes Zeug, da spreche ich selbst verkehrt, wollte sagen, ich bins zufrieden, daß ihr verkehrt und umgekehrt – hols der Henker, ich bring nichts mehr heraus, mein Kopf wird schwach, aber Esel, ich sag ihm, er soll darüber nicht lachen, sondern weinen. J a n n (weint) Der Herr ist ein Narr geworden, was soll aus mir werden. (Er heult entsetzlich). E m m e r i c h . Jannchen – Jannchen – du ehrlicher Junge – liebes Herzensjannchen, – weine nicht, ich kann es nicht hören. Ich sage dir, ich weiß alles, was ich sagen wollte, ich bin so schwach nicht, du meinst es ehrlich mit mir und darum will ich dir sogleich meine Lieferei geben. Das ist viel, sehr viel, du mußt darum nicht stolz werden, dein gutes Herz hat sie dir verdient. (Er steht hastig auf, der Stock gleitet ihm aus, er fällt.) Jannchen, heb mich auf, schnell, ich kann nicht allein aufstehen. J a n n . Herr, lest mir erst aus meiner Obstruktion vor, ob ich dazu angenommen bin, ich hab sie recht gut behalten, ich soll euch aufmerksam begleiten, wohin ihr geht. Nun ja, ich begleite euch, ich 12
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Auftritt III
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bin aufmerksam, ihr habt euer Wort gegeben, daß ich eher weniger als mehr zu thun haben sollte; wollt ihr nicht von selbst aufstehen, ich lasse euch liegen. E m m e r i c h . Schlingel, reich mir wenigstens den Stock, er ist mir aus der Hand geflogen. J a n n . Davon steht nichts in meinem Papiere, und wenn ich in einem nachgebe, da bin ich verloren, das hab ich vom Vater gelernt, wenn er mit euch Streit hatte. E m m e r i c h . Reich mir nur einen Finger, um mir aufzuhelfen. (Vor sich) Ich wollte ihm kein gutes Wort geben, wäre nur jemand zu errufen. J a n n . Wenn ich euch einen Finger reiche, so nehmt ihr die ganze Hand, dennoch mag es darum gewagt seyn, aber weil ich nun so viel thue, was ich nicht nöthig habe, so lasst es auch einmal gut seyn, wenn ich viel vergesse, was ich thun sollte. (Er hebt ihn auf). E m m e r i c h . Wer einen Narren thut annehmen, den thut gar oft der Narr beschämen. Das Sprichwort ist gut, Gottlob, daß ich wieder in Ruhe sitze, die Lust zum Gehen ist mir ganz verloren, es war mir schier, als sollt ich nimmermehr von dieser kalten Erde auferstehn. Es kommen einem oft so ernstliche Gedanken in den Kopf beim Fallen, es mag ein Einfall seyn, doch sagt der Arzt, daß ich mich hüten soll vorm Fallen und vorm Denken. Jann geh nur in die Küche und sprich zu meiner Köchin Grethe, daß sie die Lieferei dir übergiebt, die mein verstorbener Diener hat getragen. J a n n . Gleich Herr, doch sagt mir unter vier Augen, er ist doch an keiner bösen Krankheit gestorben. E m m e r i c h . Ja an der bösesten, am Alter, hüte dich davor und stekke deine Jugend in das Kleid, so wird das Alter weichen, so hat auch Jugend eine Tugend. J a n n . Recht Herr, meine Mutter sagte immer, Tugend hat keine Jugend und darum bin ich alt. E m m e r i c h . Dummes Zeug, geh fort und zieh dich an. J a n n . Gleich Herr. (setzt den Huth auf). E m m e r i c h . Grober Bengel, vor dem Herren setzt man nicht den Huth auf. (Er haut nach ihm). 13
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J a n n . So bewahrt ihn mir, Herr, wenn ich wieder komme, denn seht, in der einen Hand habe ich meinen Reisestock, in der andern meinen Bündel, da soll ich wohl den Huth mit dem großen Zeh festhalten. E m m e r i c h . Ei du dummer Kerl, nimm den Huth und den Stock in eine Hand, so gehts. J a n n . Diesmal habt ihr recht, Herr, es ist zum Verwundern. Glaubt darum nicht, daß ihr immer recht habt, wenn wir uns künftig mit einander zanken (ab). E m m e r i c h . Er läßt mir zum Belehren keine Zeit, Ich hab nur kurzen Athem und er spricht So viel, was sich nicht recht geziemt, die Frau Und auch die Köchin werden ihn belehren. Ich bin nun alt genug zu der Geduld, Und wenn ich diese Birnen hier betrachte, Und denke, wie ich einst vor zwanzig Jahren Die Kerne steckte an dem eigenen Geburtstag, ach da dacht ich nur der Erben, Und bin nun meiner Sorgfalt eigner Erbe. Ja wollte nur der Magen nicht verzagen, Mich lockten noch die roth gestreiften Früchte, Sie sind doch gut zum Ansehn, gut zum Schenken, Dem Schwager Brandeis machen sie wohl Freude, Ich will sie ihm sogleich zum See hinsenden, Wo er den Morgen emsig bei der Angel sitzt, Es wird ihn laben in der heißen Sonne. Jann! Jann! Mein Jann! Komm eilig mit dem Huthe.
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J a n n (schreit aus dem Hause) Herr, ich habe keine Zeit. E m m e r i c h . Was spricht der unverschämte Narr. He Narr! weißt du noch nicht, daß deine Zeit mir jezt gehört. J a n n (von innen) Laßt mich in Ruhe, Herr, ich bin gleich fertig. E m m e r i c h . Was hast du denn zu thun? Die Lieferei zieh nachher an. J a n n (von innen) Die habe ich längst angezogen, aber die Grethe sagt mir, daß ich sie heirathen soll; wartet noch ein wenig, wir verloben uns eben und beten. 14
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E m m e r i c h . Was fällt dir ein, die Alte willst du Knabe heirathen, was hat sie dir eingebildet. J a n n (kommt heraus). Herr, war’s nicht recht, jezt kommt die Warnung nur zu spät, es ist geschehn – wir sind verlobt. Sie sagte mir, das sey nothwendig mit dem Dienst verbunden, wer diese Lieferei anzöge, müßte sie heirathen. Ich widersprach, was halfs! Sie hatte diese Kleider unterm Schlüssel und wollte ich sie anziehn, wie ihr mir befohlen habt, so mußt ich mich verloben. Sie holte einen Catechismus, da stand von Hans und Grethen, wir sagten beide ja, nun haben wir das liebe Gut. E m m e r i c h (vor sich) Der Bursch ist angeführt, mir kann es nützen, sie wird ihn ziehen zu dem Dienst. (zu Jann) Nun Jann, ihr habt euch schnell verlobt und ohne mich zu fragen, doch geb ich euch den Segen obenein. Das sey nun abgethan. Jezt geh mit diesen Birnen zu Herrn von Brandeis, er angelt an dem See und sag, daß es die ersten Früchte sind von meinen jungen Bäumen, er möchte sie statt meiner kosten und sich merken, welche ihm die besten scheinen. Doch vorher führ mich in mein Kämmerlein zum Schlafen. J a n n . Gut Herr! doch gehet etwas schneller, mir schlafen sonst die Beine ein im Gehen. (Er führt Emmerich ab).
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G r e t h e (springt heraus). Jann, Jann, wo ist der Schlingel hingegangen, er sollte mir die Rüben schaben, die Gans rupfen, das Schwein abbrühen, den Bratenwender drehen. Fängst du so an, mein Jannchen, so muß ich auch schlimm anfangen, jung gewohnt alt gethan, ich muß mir nichts vergeben, hab ich alle dreißig Bedienten mir im Hause zugezogen, wird der ein und dreißigste auch gerathen. Wenn sie mir nur nicht alle aus der Lehre liefen, wenn sie zu brauchen sind. Ach, ich arme Jungfer, hätte ich den jungen Burschen nicht gekriegt, da säße ich mit meinen eilf Kindern ohne Trost. – Ach, da schreien schon wieder alle eilf, wenn ich nicht immer die Bälge stopfe und nudle, so haben sie keine Ruhe. Das soll Jann jetzt thun, he, Jann! (Sie springt zur andern Thür herein). J a n n (kommt zur andern Thüre heraus). Nun, wer ruft? Da bin ich schon! Niemand hier, ich glaube hier ists nicht recht richtig. Oder 15
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haben mich die Birnen gerufen. Wahrlich, schöne Birnen, es ist eine gute, eine gesunde Frucht, und ich meine, sie sprechen alle zu mir: beiß mich an, wenn du ein Mann! – Wer hats gesagt? – Der Teufel steckt in den Birnen, die größte will ich dafür strafen. (Er beißt ein.) Recht gut, ich wollte der Herr hätte mir aufgetragen, über die Birnen zu judiciren, ich versteh mich drauf. Diese hatte zu wenig Saft, aber diese – die hat zu viel. Dieser fehlt es an Süßigkeit und dieser an Säure, vollkommen ist nichts. Der alte Herr denkt, weil er die Kerne gesteckt hat, es werden recht wunderbare Birnen draus wachsen; sie schmecken nichts besser, als die in des Vaters Garten von selbst aufgewachsen sind, wo wir den Kehricht hinschütten. – Nun sieh, Eile mit Weile ist doch ein rechtes Wort, da seh ich den Herren von Brandeis kommen. Wär ich zur rechten Zeit gegangen, da hätte ich mich nach ihm müde gelaufen. Heda, Herr von Brandeis! – pst! pst! – kommt schnell! – Ich muß ihm doch die letzte Birne bringen, damit er von den Birnen mitsprechen kann, wenn ihn der Alte frägt. – He, schnell!
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V. B r a n d e i s (kommt). Was willst du Bursche, was winkst du mir, hast du einen Vogel unter deinem Huth, daß du ihn nicht abnimmst? J a n n . Das ich nicht wüßte. (Er nimmt ihn ab und besieht ihn, lachend.) Ach, ihr habt sicher was vom Alten gehört, der hat auch immer seinen Ärger an dem Huth; es ist ein alter Filz, er sieht nicht besser in der Hand aus, als auf dem Kopfe. – Nun einerlei, darum hab ich euch nicht gerufen, es war nur in Auftrag meines Alten. B r a n d e i s . Wer ist denn euer Alter? Seyd ihr nicht Erdwurms Sohn. J a n n . Freilich, das könnt ihr mir wohl ansehen, aber von dem habe ich mich gänzlich losgesagt. Nein, mein Alter ist euer Schwager, den habe ich mir zum Herren genommen, und der gab mir den Auftrag. Nun ihr merkt’s wohl schon. B r a n d e i s . Was? Kein Wort. J a n n . Daß ich euch diese Birnen, die Erstlinge seiner jungen Bäume, übergeben soll, damit ihr die verschiedenen Arten genau ausschmecken und ihm eure Meinung darüber sagen sollt. 16
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B r a n d e i s . Du sprichst von Birnen und von ausschmecken, ich sehe nur eine Birne im Korbe. Läßt er mir das zum Spott sagen, weil ich im Vorbeigehen ein Paar abgebrochen habe. J a n n (lacht). Nein, Herr, ists wahr, nun da habt ihr recht gehabt, da kommt alles ins Gleiche. Der Alte hatte mir einen vollen Korb für euch gegeben, aber wie es so geht, ihr wisset wohl, wer kann dafür stehen, der Teufel sprach daraus und lachte aus den rothen Backen gar zu höllisch. B r a n d e i s . Du träumst, was geschah mit den Birnen? J a n n . Ich wollte, daß sie wieder da wären, denn jezt ist aller Spas vorbei. B r a n d e i s . Du hast sie verloren, oder die Kinder haben sie dir gestohlen? J a n n . Herr, wollt ihr diese letzte Birne noch dran wenden, so will ich euch zeigen, wie es den andern ergangen und wo sie geblieben. B r a n d e i s . Gut, da nimm sie, vielleicht finden wir auf dem Wege die übrigen. J a n n . Es ist ein enger Weg. (Er ißt sie) Seht, so sind die andern verschwunden, ich weiß es nicht, wo sie jezt sind, aber ich habe sie alle gefressen. Ich bin aufrichtig, Herr, wollt ihr mir das Trinkgeld geben für das Ueberbrachte? B r a n d e i s . Du sollst ein gutes Trinkgeld bekommen. Aber sag mir, wer hatte dir den Auftrag gegeben, die Birnen aufzufressen, ich kann nicht glauben, daß du allein auf solchen Einfall gekommen bist. J a n n . Ich schwör’s euch, ganz allein, doch könnt es wohl in meiner Obstrukzion stehen, sie ist lang und ich habe sie vergessen. Lest einmal das Papier, ich kann nicht lesen, vielleicht steht es drin und wenns nicht drin steht, so schreibts mir zu Gefallen hinein, damit der Alte nicht schilt, der ein grober Knollen scheint. B r a n d e i s . Viel Lob für meinen Schwager. Zeig her. Wie? Du hast eine geschriebene Anstellung von ihm, das ist kurios. Du solltest nicht lesen können, das wäre noch kurioser. Sieh nur, kennst du diesen Buchstaben nicht? J a n n . Wahrlich, er kommt mir so bekannt vor, als hätte ich ihn schon anderwärts gesehen. Es ist wahr, mein Vater hat ihn eingebrannt auf seinem Rücken. 17
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B r a n d e i s . Es ist ein S. J a n n . Nun darum habe ich auch die Birnen gegessen, weil das Essen in meinem Papier steht, ich wußte es nicht mehr, ich habe es errathen. B r a n d e i s . (Vor sich) Er kann wirklich nicht lesen, da gelingt mir der Spas (laut). Nun da steht Feder und Tinte, da will ich meinem Schwager schreiben, daß er dir ein gutes Trinkgeld geben soll, ich habe kein Geld bei mir. J a n n . Ein herrlicher Dienst, fürs Birnenfressen krieg ich ein Trinkgeld. B r a n d e i s (liest vor sich leise) Der Ueberbringer hat alle Birnen verzehrt, die mir deine Güte verehren wollte, ich bin nicht sein Herr und darf ihn nicht züchtigen, aber er verdiente wohl eine ernstliche Strafe. (laut) Nun, ich habe geschrieben, der Ueberbringer sollte ein gutes Trinkgeld bekommen. Du wirst noch lange daran denken. Hol dir’s bald. J a n n . Ich glaube, wenn ich eine Brille wie ihr hätte, da könnte ich auch schreiben wie ihr, denn ihr seht mir nicht aus, als ob ihr das Pulver allein erfunden hättet. B r a n d e i s . Lauf mit dem Kopf durch das Fenster, so hast du ein Paar Gläser auf der Nase. (ab).
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VI. J a n n . Das muß ich einmal an meines Vaters Fenster versuchen, der wird sich verwundern und jezt, wo ich des Alten Lieferei trage, da darf er mir nichts thun. (Er stößt mit dem Kopf durch des Vaters Fenster) Heda, Vater, Mutter, ich wollte euch einen guten Tag wünschen und euch sagen, daß es mir gut geht und daß ich viel Ehre eingelegt habe. F r a u (kommt heraus) Jannchen! Jannchen! Du hast dir doch keinen Schaden gethan, ach um die schönen Scheiben. J a n n . Ich muß sagen, der Herr von Brandeis ist ein Narr, wenn er nicht besser durch seine Brille sieht, ich sehe durch das alte Glas nichts besser. Mit den Scheiben laßt es gut seyn, Mutter, seyd nur froh, daß ich wieder bei euch bin. 18
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F r a u . Freilich mein Jannchen, ach du liebster Sohn, wie ist mir die Zeit lang geworden, seit dem du auf der Wanderung gewesen. Aber wie bist du gewachsen, wenigstens um einen Kopf und wie siehst du prächtig aus in dem neuen Kleide. Ist es nicht Herrn Emmerichs Lieferei? J a n n . Freilich, das ist jezt ein andres Leben als bei euch, da krieg ich fürs Birnenfressen ein Trinkgeld. F r a u . Mann, Erdwurm, komm doch aus dem Garten, hör zu, unser Jannchen kommt zurück von Reisen und hat sein Glück gemacht. E r d w u r m (kommt) Ist der Schlingel schon wieder da? Soll ich dir noch einmal den Rücken reiben, magst du sterben und verderben, ich nehme dich nicht wieder in mein Haus. J a n n (lacht). Und mich sollten sechs Pferde nicht in euer altes räucheriges Loch bringen. Hört Vater, ihr wißt nicht, was ich gelte, ich diene bei Herrn Emmerich, nichts als Essen und Trinkgelder, lest einmal diesen Zettel. E r d w u r m . Dummer Junge, habe deinen alten Vater nicht zum Besten, du weißt so gut, daß ich nicht lesen kann, als ich weiß, daß du es auch nicht gelernt hast. J a n n (lacht). Und doch lese ich auf dem Papiere, daß der, welcher das Papier dem Herrn Emmerich überbringt, ein gutes Trinkgeld bekommen soll. E r d w u r m . Trinkgeld. (Er reißt ihm den Zettel fort.) Ich glaube Bursche, du willst gar schon trinken. Ich will das Trinkgeld holen und es dir aufsparen, daß du einen Nothpfennig hast, wenn dich der Herr erst kennen lernt und dich fortjagt. J a n n . Nein Vater, das Trinkgeld ist mein, ich habs mir mit saurem Birnenfressen verdient. E r d w u r m . Schweigst du nicht, so reib ich dir wieder den Rücken. Was dem Jungen einfällt, will das Trinkgeld haben und weiß noch nicht mit dem Gelde umzugehen. (ab nach dem Schlosse). J a n n . So ist nun der Vater, soll ich mir nicht die Augen ausweinen. F r a u . Weine nur nicht, mein Jannchen, ja es ist ein harter Mann, ich darf ihm aber nichts sagen, gleich pufft er mich ab. Aber denk nur Jannchen, ich will dir einen Groschen geben, wenn du nicht weinst, den ich heimlich vom Milchgelde bei Seite gelegt habe. Weine nur 19
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nicht, Jannchen, das bricht mir das Herz. Will dir Honig geben, mein Jannchen und Butterbrod, sey nur ruhig, du kleines Schelmchen, ich will dich Huckepack tragen, so schwer du bist. J a n n . Ich habe was rechts von eurem Huckepack tragen. Nein Mutter, ich kann es nicht überleben, wie der Vater mit mir umgeht, ich muß heulen. F r a u . Heule nur nicht, liebes Jannchen, wir wollen das Trinkgeld dem Alten abnehmen, sey nur ruhig, ich seh ihn nicht freundlich an, bis er es dir heraus gegeben. Sieh, ich glaube, da kommt er schon. E m m e r i c h (stößt den Erdwurm aus dem Schlosse, indem er ihn mit der Krücke schlägt.) Da hast du Schurke dein Trinkgeld, meinst du, daß ich deinen Sohn in Dienst nehme, damit du Birnen fressen kannst, alter Näscher, diesmal hat dich mein Schwager angeführt, wenn sich dein Sohn, mein Jann, je wieder mit dir einläßt, so glaube ich, er ist ein Spitzbube, ein Birnenfresser, wie du, er soll nimmermehr in dein Haus zurück. (Zurück ins Schloß). E r d w u r m . Aber so hört doch, Herr, ich habe keine Birnen gesehen. Fort ist er. Heiland, ich glaube, der alte Krück stock war mit Blei ausgegossen, den hab ich gefühlt. Aber der verfluchte Junge.... J a n n . Vater, gebt mir mein Trinkgeld, mein Trinkgeld will ich haben. F r a u . Männchen, süßes Männchen, gieb es ihm, das Weinen könnte ihm schaden. E r d w u r m . Freilich sollst du es haben, wie es geprägt ist, Stück für Stück aufgezählt. (Er schlägt Jann) Eins – Zwei – Drei – Vier – Fünf – Sechs – Sieben. J a n n . Hülfe, Mörder, Grethe, liebe Frau, ach Gott ich sterbe. F r a u (schlägt auf den Erdwurm). Laß mir meinen Sohn, den ich mit Schmerzen geboren, du Mörder. G r e t h e (kommt mit ihren eilf Kindern.) Wie schreit mein Jann, mein süßes Männchen, wer ihm was thut, dem kratz ich die Augen aus. J a n n . Hülfe! Hülfe! G r e t h e . Kinder hängt euch an den Alten, ich will ihm die Fäuste aufbrechen. 20
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K i n d e r (hängen sich an den alten Erdwurm.) Großpapa, laß den Vater gehen, es ist unser neuestes Väterchen, Großpapa, gieb uns lieber deinen Segen. Süßer Großpapa. Deinen Segen. Laß den lieben Vater. Segen! Segen. E r d w u r m . Uf, ich kann nicht mehr, es hängt sich eine ganze Meute Hunde an mich, ich bin wie ein Eber vor dem Jägerspiesse des satanischen Weibes fest gehalten. J a n n . Ich komme zu Athem, der Alte kann verflucht nachrechnen, ich dachte immer, er könnte nicht drei zählen. G r e t h e . Liebes Väterchen, jetzt halte Frieden und gieb uns deinen Segen. J a n n . Ach Grethe laß ihm seinen Segen, er hilft zu nichts, liebes Weib. E r d w u r m . Jann sag mir, ist das wirklich dein Weib, sind die eilf Kinder auch dein, wo hast du sie so schnell gekriegt? F r a u . Ach die lieben Kinderchen. J a n n . Gottes Wunder sind groß, seht Vater, die habe ich alle mit meinem ersten Dienste bekommen. E r d w u r m . So behüte dich Gott vor einem zweiten Dienst. Frau, was soll daraus werden? F r a u . Jakob hatte zwölf Söhne. Gieb ihm diesmal deinen Segen, so nimmt er sich vorm zweiten Dienste in Acht und bleibt in seinem ersten treu und ordentlich. K i n d e r u n d G r e t h e . Deinen Segen, Großvater. E r d w u r m . So seyd zum Teufel alle gesegnet. Sie schlügen mich todt, wenn ich ihnen fluchen wollte. (Alle knien vor ihm nieder, indem die Kinder sich um das Handauflegen zanken und rufen:) Mich auch Großvaterchen. F r a u . Auch mein Segen über euch, ich muß weinen. Ach was ist mein Jannchen so geschickt, daß er so viele Kinder auf einmal bekommt. Ich muß weinen. J a n n . Ich auch, als hätte mir die Sonne ins Bette geschienen. G r e t h e . Ich weine, als wenn ich Rauch geschluckt hätte. Kinder. Wir weinen alle über den Großpapa. 21
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Jann’s erster Dienst
E m m e r i c h (sieht heraus) Was giebts? Sie weinen alle, da muß ich mit weinen. Der Henker hol es, wenn ich weinen will, da muß ich husten. (Er hustet). B r a n d e i s (kommt geschlichen) Ich möchte wissen, ob der Jann sein Trinkgeld schon richtig ausgezahlt erhalten hat. – Mein Gott, wie weint er und seine Ältern, der alte Emmerich muß zu hart geschlagen haben, das Weinen ist ansteckend und ich kann nicht weinen, da muß ich niesen. (Er nießt.) Jann (tritt vor und singt zu den Zuschauern): Wenn mir die Thränen gut abgehn, Werd ich im Unglück nicht vergehn,
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(Die Kinder ludeln dazu, die Alten weinen, Emmerich hustet, Brandeis niest).
J a n n . Dieses war mein erstes Probestück, Morgen suche ich ein andres Glück. (Die Kinder ludeln u. s. w.) (Der Vorhang fällt).
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Der Auerhahn. Eine Geschichte in vier Handlungen.
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H e i n r i c h d e r E i s e r n e , Landgraf von Thüringen. Heinrich } dessen Söhne. Otto Jutta, dessen Tochter. Ottnit Franz dessen natürliche Brüder, unehlige Söhne seines Albert Vaters. K a n z l e r H e i n r i c h v o n H o m b u r g . Räthe und Ritter des Landes Thüringen. G ü n t h e r , Markgraf von Meissen. F ü r s t H u b e r t u s von Cleve. E l i s a b e t h , dessen Tochter. F r ä u l e i n v o n F e l s , ihr Hoffräulein. Wa l p u r g i s . Ritter, Räthe und Jäger. Musikanten vom Hofe des Fürsten von Cleve. Kinder, Jungfrauen, Nonnen.
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Der Auerhahn
Erste Handlung. I. (Großer Saal auf dem Schlosse Marburg. Franz sitzt am Tische beim Frühstück).
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F r a n z . So lang der Vater lebte, wünschte ich mein eigner Herr zu seyn, er knotterte bei allem, was ich that. Nun ich mein eigner Herr, da mag ich gar nichts thun, ich möchte, daß mir einer was beföhle, mich strafte, wenn ichs unterlassen. (Er geht ans Fenster). Verzeih mir’s Gott, ich möchte Gott nicht seyn, den alle fürchten und der niemand braucht zu fürchten, auf dessen Wink die ganze Welt erschaffen, ich machte mir für jede Stunde eine andre! Es ärgert mich, daß dort die Lahn in ihrem Lauf sich krümmt, das ist ganz überflüssig, denn der gerade Weg ist der bequemste, auch säh ichs gern, daß sie ein breiter Strom hier wäre und daß zu meiner Unterhaltung große Schiffe hier vorübersegelten, und... O t t n i t (ist mit Armbrust und einem geschoßnen Auerhahn hereingetreten). Sieh da, ein Auerhahn, das nenn ich Glück, der erste, der in unsrer Gegend ist gesehen, heut morgen hab ich ihn in aller Früh geschossen, er war in seiner Liebesbrunst ganz blind. Will mein Baret mit seinen schönsten Federn schmücken. (Er steckt die Federn auf und spricht leise) Will sie der lieben Jutta heut ins Chorbuch legen. F r a n z . Wie schmeckt der Vogel? O t t n i t . Was? Schmecken? – Was kümmerts mich! – Was hats geschlagen? F r a n z . Es schlug so eben, doch schlägt die Uhr mir viel zu langsam; vergeß ich doch beim Schlagen, was sie geschlagen hat. O t t n i t . Du bist recht faul geworden seit des Vaters Tode. Fünf Stunden streich ich schon umher und du bist noch nicht fertig angezogen. F r a n z . Du hättest mich wohl wecken können. O t t n i t . Ich ruf dich alle Morgen, wie der Vater selig that, da fährst du auf und sprichst: Gleich Vater! Dann siehst du mich und brummst und legst dich fester auf die andre Seite. F r a n z . Was schadet’s, wer schläft, der sündigt nicht, ich weiß doch nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Die Morgenluft wird 24
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mir so lang und kühl hier zwischen meinen Zähnen, da muß ich mit dem Windhund gähnen. Es schlafen mir die Beine ein, wenn ich so ganz allein bei meinem Frühstück sitze, die Beine werden mir zu lang hier unterm Tische in der Einsamkeit. O t t n i t . Und streckst doch deine Hände aus, als ob du übern Kopf dir wachsen möchtest. F r a n z . Wenn ich mich nicht ein wenig streckte und mit den Gliedern knackte, so hielt ichs gar nicht aus auf dieser Welt. (Albert kommt in weiten Kleidern herein, spricht leise mit sich und setzt sich auf den Großvaterstuhl).
F r a n z . Sag Albert, was fängst denn du da an, was machst du in des Vaters Kleidern? A l b e r t . Es ist jetzt acht, das ist die Stunde, wo ich den Vater sonst ankleiden mußte. F r a n z . Ja, ja, da kriegtest du so manchen Tritt, wenn du nicht fix das Dutzend Wämser ihm übern Arm gesteckt und festgenestelt. A l b e r t . Ich hab mich oft darum geärgert, jetzt möchte ich mir selbst darum noch Tritte geben. Wie freundlich reichte er mir seines Brodtes Kruste, die er nicht beissen konnte, wenn ich es recht gemacht. Nun sieh, jetzt ziehe ich die Wämser selber an und setz mich hier auf seinen Stuhl und denk, wie er gesprochen. Ein kalter Wind, der bringt nichts Guts, komm her mein Sohn, du hast ein junges Blut, wärm meine Hand an deinem Mund. – Sieh, da muß ich... (Er weint). F r a n z . Nun du kannst weinen, ich hab mich oft verwundert, wo du das hast gelernt. Ich bin kein Stock, ich habe auch Gefühl, so gut wie einer, doch weinen kann ich nicht. Sieh nur, eins hebt sich mit dem andern auf, wir haben nichts verloren durch des Vaters Tod, wir sind nun unsre eigne Herrn geworden, befehlen hier. O t t n i t . Wir unsre eigne Herren, wir befehlen? Und sind doch keinen Augenblick hier sicher, daß nicht Herr Heinrich kommt, der Eiserne genannt und jagt uns wie die Knechte auf das Feld zum Pflug. F r a n z . Das denkst du dir nur aus, um mich zu ärgern. O t t n i t . Siehst du noch nicht den Unterschied, wie jezt die Leute mit uns sprechen, die bei des Vaters Leben schmeichelten, durch uns des Vaters Gnade zu gewinnen. 25
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A l b e r t . Hör Franz, er hat wohl recht, wenn ich dem Küchenmeister jetzt nur eine Kleinigkeit anordne, da sieht er mich so spöttisch an, als dächte er: Wie lange wird das dauern, für die Paar Wochen will ichs dir wohl zu Gefallen thun. F r a n z . Er thut so! – Nun den will ich fassen. Albert, du bist ein sanfter Thor, der jedem aus dem Wege geht, das merken gleich die Kerls. Schicke mir den Kurt herauf, ich wills ihm weisen. O t t n i t . Ja, wenn er weiser ist als du, da schweigt er still und wartet, bis Herr Heinrich kommt. F r a n z . Duckmäuser, Heimchensucher! Ist nicht Herr Heinrich unser Bruder, aus eines Vaters Lieb erzeugt, und haben wir nicht oft des Vaters Zorn besänftigt, wenn er ihm Freunde angefallen und beraubt. O t t n i t . Kann seyn, daß er’s uns dankt, doch könnt er leicht des Vaters Strenge gegen ihn als unser Werk ansehen. Es ist ein eignes Wesen, ich kenns vom Ritter Arnold, wo ich auferzogen ward, die eheligen Kinder sind natürlichen nie recht gewogen. Fast meinen sie, daß ihrem Leben etwas sey entzogen, da diesen ein verbotnes Leben zugewendet, sie meinen auch, es sey ein Diebstahl an der väterlichen Liebe und Schimpf für ihre Mutter. Wen göttliches und menschliches Gesetz begünstigt, der darf sich viel erlauben und alle, die sie ausgestoßen, die mögen sich der Demuth wohl befleissen. A l b e r t . Hör Franz und klappre nicht dazu in Ungeduld mit deinen Füßen, er weiß das besser als wir beide, denn er hat mehr gesehen in der Welt. O t t n i t . Unechte Brüder setzen einen Ritter in Verlegenheit, sie sind nicht Fisch, nicht Fleisch, kein Werktag und kein Sonntag. Den rechten Bruder muß man lieben, auch wenn er uns mißfällt, den Fremden kann man liebgewinnen, zum wenigsten bewahrt man gegen ihn die ritterliche Lebensart, wenn er von Stande ist, doch wir sind unserm Bruder Heinrich weder Fremde noch Verwandte. Noch mehr, wir sollen seine Brüder, seiner Zeit Genossen seyn, und könnten seine Söhne scheinen und sehen frisch ins Leben, da ihm in Mühe und Gefahr sein Haupt schon lang ergraut seyn soll. F r a n z . Grau sagst du? Ich möchte ihn doch sehen. O t t n i t . Wir werden ihn noch früh genug hier sehen. Was willst du ihm denn sagen, wenn er kommt. 26
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F r a n z . Verrückte Frage! Ich hab in meinem Leben nie daran gedacht, was ich just sagen will, es wächst mir so zum Mund heraus wie’s Unkraut, ich hab es nicht gesäet und mag es auch nicht erndten. O t t n i t . Wenn er’s nun auch nicht hören mag, was du ihm sagst und reißt dich aus dem väterlichen Boden wie ein Unkraut. A l b e r t . Hör Franz, der Ottnit hat doch recht, wir müssen’s wohl bedenken, wie wir den Herrn empfangen, der jetzt auf Erden unser Vater wird. Wir müssen ihm bescheidentlich entgegentreten, wir sagen ihm mit Blick und Händedruck, wie herzlich lieb er uns als Bruder sey. F r a n z . Nun ja, das kann geschehn. Ich sage ihm: Herr Heinrich, ihr seyd in unsrem Schlosse sehr willkommen, wir wurden böse, daß ihr uns so lange warten liesset, drum seht, es ist doch hier ein einsam Leben und einer mehr ist besser stets, als einer weniger. Was bringt ihr Neues, macht euch bequem, ich pfleg die Stiefel auszuziehn, komm ich von weitem Ritte. Nun thut, als wäret ihr zu Haus. A l b e r t . Und was wird der Herr Heinrich sagen? O t t n i t . Herr Esel, wird darauf Herr Heinrich sagen, ein solch Liebkosen mag ich nicht von euch, mein ist das Haus und ihr gehöret in den Stall. F r a n z . Was? Wie? Warum? – Ich glaub, du spottest wieder, weil meine Mutter eine Viehmagd war. Was war denn deine Mutter, ein verlaufnes armes Fräulein. Die Leute sagen, sie hätte sich in einen Brunnen – gestürzt, und meine Mutter lebt noch, hat den reichen Jost zum Mann. O t t n i t . Und meine Mutter starb aus Gram, als sich dein Vater in die Magd verliebte: Jetzt schweig davon, es macht mich rasend, es war ein wilder harter Vater. A l b e r t . Des Vaters schone, ich kanns nicht hören, wenn ihr beide über ihn so sprecht, denkt ihr, daß er nun nicht mehr unter uns, weil er gestorben ist. Denkt euch, der Voigt hat gestern in der Mittagsstunde in dem Garten ihn erblickt, wie er mit seinem Stab nach alter Art das Moos von seinen Bäumen stieß. Der Voigt ist gleich in Angst davon gelaufen. F r a n z . Der Voigt ist doch ein alter feiger Träumer. 27
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A l b e r t . Du bist so hart. Denk nur, seitdem er mir das hat erzählt, so graut mir, wenn ich einen höre in den Gängen gehen, ich meine schon des Vaters Tritt zu hören. O t t n i t . Mir ist es auch, als hört ich auf der Treppe unsers Vaters Tritte. F r a n z . Was wird’s denn seyn (springt auf), ich will ihm schon den Willkomm geben.
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II. (Landgraf Heinrich und Günther treten herein.)
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H e i n r i c h . Seht Neffe, muß ich nicht des Teufels werden, so gehts bei liederlicher Wirthschaft in dem Hause, kein Wächter ist auf seinem Platz und Schmutz ist überall; das Bild des herrlichen Großvaters, bei Gott, er ließ es sich nicht träumen, hat einer der unechten Brut in das zerschlagne Fenster eingerahmt, da muß ich wohl des Teufels werden! Und aller Hausrath, der so glänzend sonst geordnet, den ich als Kind kaum anzurühren wagte, der ist zum Kinderspiel geworden, steht zerschlagen ohne Ordnung wild herum, als hätten Feinde hier gestürmet. G ü n t h e r . Ja wohl, das Laster ist des Hauses ärgster Feind, der schlimmste Wurm in seinen Balken, der stärkste Regen, der an seinen Mauern nagt und seinen Grund umwühlt. H e i n r i c h . Recht so, mein Neffe, du sollst bald sehen, daß ich auch Ordnung stiften kann. Wer seyd ihr, was wollt ihr hier? (Zu den natürlichen Brüdern). F r a n z . Ich sag ihm grober Kerl, ich wundre mich schon lange über meinen Gleichmuth, daß ich ihn hier im Zimmer dulde, er ist wohl einer von den Eisenfressern, die allen Herren trotzen mit dem Maul, ihr findet euren Mann an mir. H e i n r i c h (schlägt ihn nieder). Reib dich an alten Kesseln nicht, sonst wirst du leichtlich schwarz. A l b e r t . Mein armer Bruder, ach wenn das der Vater sähe. F r a n z (steht auf). Es thut nichts, aber bei dem heilgen Kristophel, der Schlag war gut. Hört, fremder Herr, ich ziehe mich vor euch zurück und nehms mit jedem auf, der mich darum verlacht. 28
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O t t n i t (bläst das Horn zum Fenster hinaus). He Freunde, eilt herbei! Das Feuerhorn soll diese Burg, die wir dem Landgraf Heinrich wehren, schnell bemannen, dann werde ich in Waffen meines Bruders Schimpf bestrafen. H e i n r i c h . Dein Blasen laß du, frecher Bursch. Herr Heinrich hat die Burg schon eingenommen, kann sie selbst beschützen. F r a n z . Was spricht der Kerl von unserm Bruder Heinrich, der ist in Welschland mit des Kaisers Heer. H e i n r i c h . Bastard, wie darfst du dich sein Bruder nennen, du unverschämter Bube. Hört Günther, der Maulesel nennt sich auch des Pferdes Bruder. F r a n z . Nun seht, jetzt bin ich erst bei Sinnen und erwacht, jetzt faß ich dich und bist du noch so stark. O t t n i t (hält ihn). Laß Bruder, schweig, bezähme dich, zerbeiß den Ärger in dein eigen Fleisch, du wüthest gegen eignes Fleisch. Ich sag dir, schweig, du bist zu langsam in Gedanken, du kannst es bald begreifen. Was ich voraus geahndet, kommt doch unerwartet, der Landgraf Heinrich steht vor uns, ich habe seiner Worte Sinn errathen, schweig still und beuge dich vor einem höhern Willen. – Seid ihr, Herr Heinrich, unser Landgraf, so verzeiht, weil wir euch nicht gekannt. H e i n r i c h . Der Bursche spricht gescheidter als die andern, doch hilfts ihm nicht. – Was macht ihr hier im Schlosse. O t t n i t . Mein gnädger Herr, wisst, euer Vater war doch unser Vater, des Vaters Liebe hielt uns hier, als er noch lebte, hoch in Ehren; sein Wille war, daß wir nach seinem Tode dieses Schloß bewachen sollten! H e i n r i c h . Ihr habt euch seinen Willen selbst gedeutet. O t t n i t . Er hat ihn oft dem Kanzler hier erklärt, in seinem Testamente steht er ausgedrückt, doch unterwerfen wir uns eurer Gnade, ihr seyd des Hauses Herr, dem wir durch unsern Vater angehören. H e i n r i c h . Ich bin der Herr und ihr seyd Knechte, zu euren Müttern geht. Ihr scheint bestürzt, daran erkenn ich schon die Bastardbrut, daß sie den heilgen Mutterleib verachtet und vergißt, weil er an ihre Niedrigkeit sie mahnt. 29
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O t t n i t . Mir starb die Mutter früh in Gram, doch rühmt noch mancher Mund das Fräulein Eva Rosen, und niemand sehnt sich mehr zu ihr, als ich aus dieses Daseyns zweifelhafter Ehre. H e i n r i c h . Ich soll euch ehren? Ihr seyd unedle Schößlinge aus edlem Stammbaum, die mir die Nahrung lang verkümmert haben, ich konnte nicht dem Vater schmeicheln und das war meine Sünde, wofür er mich stets darben ließ. Ihr schwelgtet in des Vaters Liebe! fort Ohrenbläser, macht euch durch Thaten würdig erst, vor mir zu stehen. O t t n i t . Gott weiß, wir tragen nicht die Schuld, wenn euch o Herr, der Vater unrecht that, wir haben seinen Zorn so oft gemildert und manchen harten Schluß von euch gewandt. H e i n r i c h . Kann seyn, mein Vater war ein ewig gährend Unrecht gegen mich. A l b e r t . Komm Ottnit, komm Franz, der Vater that kein Unrecht, bei Gott, wenn er die Härte hätt voraus gesehen, womit wir seine Pfleger, seines Alters einzge Stützen, die Tag und Nacht für ihn in stiller Liebe sorgten, von seinem Sohn verstoßen werden, er hätte anders noch für uns gesorgt. Er hat recht wohl gewußt, warum er diesen Sohn gemieden und gehaßt. Als Bettler will ich ziehen durch die Welt, vor jeder Hütte kann ich bitten, bei meinem Bruder nicht. Es hebt mein Herz, daß ich das Eigenthum, was mir der Vater durch dies Brieflein hat geschenkt, ihm vor die Füße werfen kann, ich kann ihm etwas geben, er hat in seinem Herzen nichts, was meiner Liebe werth, er ist der Ärmste, der Verlassenste auf Gottes weiter Erde. (ab). G ü n t h e r . Ein Glück, daß er gegangen, dem Grafen zuckt es in den Lippen, dann ist das gute Wetter aus. Mein gnädger Herr, ihr seyd gekränkt, mißdeutet ist die Wahrheit eures Zornes. H e i n r i c h . Laß nur, er ist doch fort, der böse Bube! Es war der schlechteste noch nicht von diesen dreien, ich weiß es nicht, er hat mich doch verwundert. O t t n i t . Verzeihet ihm, mein Landgraf, er ist der sanfteste auf Erden, es ist, ich schwöre euch, die erste Hitze, die ich je an ihm ersehen, nur heut vergißt er seine Schuldigkeit und die Bescheidenheit der Jugend. 30
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H e i n r i c h . Die Jugend? – Du meinst, daß ich schon alt, weil ich manch weißes Haar auf meinem Haupte trage. Nun immerhin, ich bin schon alt, doch bin ich noch nicht schwach, ihr werdet lang auf meinen Sterbetag noch warten. Des Vaters Härte hat mich durch die Welt gehetzt, das Haar gebleicht, die Stirne mir gerunzelt; zwar mein ich mich noch jung, wenn ich mein Herz befrage, doch seh ich mich im Spiegel, da seh ich wohl das Angesicht des Vaters; verhaßte wilde Röthe meiner Wangen, neben ausgestorbnen Augen, ich wollte, daß ich meiner Mutter ähnlich wäre, das war ein tüchtig hohes Weib, die konnte auch den Vater gar nicht leiden, ich sag dir Günther, sie war gezwungen zu der Heirath und starb aus Kummer in der Jugend Blüthe. O hätte ich nur einen andern Vater, nichts hemmte mich in meinem Lauf; wo wär der Unternehmung Gränze und eine Kaiserkrone wollt ich wie im Spiel den Ring von jeder Höhe mit dem Speere stechen. – Was weilt ihr hier, ihr Knaben, ihr wollt noch horchen, fort, versucht euch in der Rüstung, ich will euch bald in einer Feldschlacht prüfen, ob ich euch brauchen kann. O t t n i t . Ich suche Tod, und Ehre ist mir sicher. F r a n z . Lebt wohl, Herr Landgraf ich hab mit Staunen euch hier zugehört, was ihr so tobt, als wärt ihr ganz allein, und endlich meint ihr gar, ich soll für euch mir den gesunden Leib zerhauen lassen. Der Ehre ist zu viel, ich bin bescheiden, ich geh zu meiner Mutter, die jetzt dem reichen Bauer Jost vermählt, ich bin ihr Augapfel, da werd ich gute Tage haben, mäßige Arbeit, reiche Kost; da könnet ihr mich finden, wollet ihr des Vaters Erbschaft mir auszahlen. H e i n r i c h . Nun hört nur, Neffe, wie der spricht, da muß ich gleich des Teufels werden. (Franz ab.) O t t n i t . Verzeiht ihm, gnädger Herr, es ist kein böser Wille, es ist so seine Sprache, die hat er sich als Schloß-Kind angewöhnt, die eine Stunde löschet nicht der Jahre Stolz. G ü n t h e r . Geht Freund, ich kenne wohl das Zucken in des Grafen Heinrichs Lippen, das Schließen seiner Augen, da ist kein langes Federlesen, im heftigen Gemüth verwandelt eine Stunde viel. O t t n i t . Lebt wohl, mein gnädger Herr, ich werde euch stets ehren, wie wehe ihr auch meinem Herzen thut. (ab.)
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III. Heinrich. Günther.
H e i n r i c h . Sagt Neffe, wie steh ich da? G ü n t h e r . Mein gnädger Oheim? H e i n r i c h . Mein Günther, wie stand ich da vor diesen Knaben? G ü n t h e r . Als ernster Herr und Richter, seyd ihnen gnädig. H e i n r i c h . Als Herr! Nein, so stand ich nicht vor ihnen. Ich stand hier wie ein Narr von jenen Burschen, sie wissen, was sie thun und wollen, sie trotzen mir, ich darf nicht thun, wie mir im Sinne liegt, ich bin zu neu im Lande und weiß, daß mancher Ritterbund hier gegen mich gestiftet. Nun, nun, das alles ist des Vaters Werk. Es mögen gute Leute seyn, die falschen Brüder. So schlimmer. Ich kann sie doch nicht füttern. Das soll des Vaters Strafe seyn, wenn er aus jener Welt hinüber sieht, daß er sein ganzes Haus durch seine Feindschaft gegen mich verwirrt, vernichtet muß erblicken. Ich thue deinen Ohren weh, mein guter Neffe. Was hilfts, du mußt dich dran gewöhnen, es zu hören, hab ich es doch erleben lernen. Ich könnte leicht scheinheilig mich betrübt anstellen, und dennoch handeln nach gerechtem Zorn, es ist so leicht das Böse mit der Traurigkeit zu decken, das Leere und das Stumpfe auch – das schätz an mir, daß ich nicht besser scheinen will, als seyn. Wer kommt.
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IV. K a n z l e r und R ä t h e .
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K a n z l e r . Ich beuge meine Knie vor dem erlauchten Sohn des unvergeßlichen Landgrafen; der Feuerlerm, der uns herbeigerufen, er lößt sich auf in Freudenfeuer und in Sonnenglanz. Der hohe Vater..... H e i n r i c h . Er ist nun todt, ich lebe: was giebts zu thun? (zu den Räthen) Wer seyd ihr? R a t h . Empfehlen uns zu Gnaden, des Herren Vaters Räthe. H e i n r i c h . Empfehlt euch nur, ich brauch euch nicht, mein Vater hatte schlechten Rath, ich brauch die Räthe nicht. 32
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Erste Handlung. III/IV
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R a t h . Wir sind bejahrte treue Diener, vielleicht sind wir verläumdet, doch wir verlangen ein Gericht und unsre Unschuld wird sich streng bewähren. K a n z l e r . Was sie verbrochen, ist auch meine Schuld, ich geb mich auch in ritterliche Haft, vor unsers Kaisers oberem Gericht, sey unser Thun und Lassen öffentlich geprüft. An diesem Messer seht, daß wir gleich euch mein Fürst, zum heimlichen Gericht als Wissende gehören. H e i n r i c h . Zum Teufel macht mir nicht die Stirne heiß, was wägt ihr meine Worte gleich, als wär es falsches Geld. Ich mag wohl recht in meinem Zorne haben, ich will darum nicht richten, will euch des Amtes nicht entsetzen, kurz denkt, ich spräche so mit mir in übler Laune und gebt nicht acht darauf, es rauscht bei Quellen, es rauscht im Walde, die Waffen klirren, das ist doch frei in der Welt und keiner fragt um Rechenschaft darüber, und findet ihr auch meine Worte scharf, so denkt, daß mich so manches scharfes Schwerdt zerrissen. K a n z l e r . Mein gnädger Herr, ich bin gerührt, wie reichlich ihr das harte Wort vergütet; seyd fest versichert, daß wir kein leicht gesprochnes Wort uns mehr zu Sinnen ziehn, doch denkt, daß e r s t e r Worte Ernst so leicht verwirrt; den langbekannten können wir verstehen, dem neuen Herrscher durften wir nicht scheu in unsrer Rechenschaft erscheinen. O eurem selgen lieben Vater mußten wir so manches Wörtlein überhören, er gab uns gleiche Freiheit und doch in seinem letzten Lebensjahre sind wir einst heftiglich mit ihm entzweit gewesen, das war bei seinem letzten Willen. H e i n r i c h . Ich ahnde etwas schon davon von diesem letzten Willen, es war sein letzter Unwill gegen mich. Wißt ihr den Inhalt dieses letzten Willen ganz. K a n z l e r . Ach leider weiß ich nur, was euch kann kränken, denn es beschränkt euch den Besitz des Landes. Er schenkt die Ämter all im Oberland den Söhnen, die ihm von Nebenweibern sind geboren. H e i n r i c h . Hört Neffe, muß ich nicht des Teufels werden? Die reichsten Ämter den Schmarotzerpflanzen unsres Stammbaums. Nicht wahr, mein werther Kanzler, im besten Stande, mit gutem Vieh, so soll ich sie den Burschen übergeben. 33
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K a n z l e r . So ist sein Wille. H e i n r i c h . Und etwas Wirthschaftsgeld soll ich noch jedem in die Tasche stecken und alten Wein in jeden Keller legen, wenn diesen lieben Puppen dürstet, und wenn sie schlafen, soll ich ihnen jede Mück abhalten. K a n z l e r . Mein gnädger Herr, ihr wechselt Farbe, bekämpft den Unmuth über einen kleineren Verlust, wenn ihr des großen Reichthums denkt, den euch des Vaters Sparsamkeit gesammelt. Sein sorgsam Leben wird den Geist mit euch versöhnen, wo er auf dieser Erden trübem Denken nach eurer Meinung irrte. Gedenkt, daß diese Kinder seines Alters einzger Trost gewesen. H e i n r i c h . War ich ihm nicht geboren. Warum hat nur der Lasterweg zur Vaterliebe ihn geführt. Warum hat er von meinen frühen Jahren seiner Nähe mich entzogen, mich der Nothdurft Preis gegeben, daß mir der schwere grimme Krieg des Lebens Unterhalt und nicht der Ehre Spiel geworden. Weil er die Mutter in sein Ehebett gewaltsam hat gezwungen, darum hat er sie selbst und dieses Bettes Frucht gehaßt. O welchen Jammer hat der Mann auf Vorzeit, Gegenwart und Zukunft ausgesäet, sein wahner Sinn macht mir verhaßt, die ich als Brüder könnte lieben, wenn sie in meine Großmuth heimgestellt. Die Ämter geb ich nicht, viel lieber schenk ich sie der Kirche. K a n z l e r . Der Kaiser hat dies Testament bestätigt, die Fürsten eures Hauses haben eingewilligt, – gedenkt, ihr seyd doch reich, wie wenig Fürsten. H e i n r i c h . Kein Wort, ich schwör bei meinem Degen, die Ämter geb ich nicht den Bastardsöhnen, sie scheinen mir in diesem Augenblick so nahe, wie Fleisch von meinem Herzen. Und denkt doch nur mein guter alter Mann, auf jenen Ämtern wars, wo ich die Jugend lebte, gepflegt von meinem alten Ritter Horst, der nun in Grabes Sicherheit, da wir im Ärger dieser Welt noch schwanken. Wie viele Bäume sind erwachsen aus den Kernen, die ich in allen Winkeln unsrer Gärten da versteckte; aus meinem ersten Streithengst ist ein ganz Geschlecht von mächt’gen Rossen auferwachsen und auch die Menschen sind nicht übel, die sich mit mir gebalgt im Jugendmuthe. Hör Günther, lieber Neffe, du hast es doch vernommen, Schloß Meyenfeld, wo du in meinem Namen solltest hausen, das sollen jetzt die dummen Buben haben, die wir im Schlosse hier so übermüthig 34
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trafen. Sey ruhig, so lang noch Luft in meinem Busen kocht, soll diese vielgeliebte Erde mir noch nicht entrissen werden, und dafür sorgst du, tapfrer Neffe, daß ich von meinem Vater fern, nach meinem Tode einst darin begraben werde. K a n z l e r . Es war so frommer Brauch in eurem Stamm, es ruhte jeder Sohn an seines Vaters Seite und hier ist eures Stammes Gruft. H e i n r i c h . Ihr denket euch das leicht, doch wo mein Vater ruht, so find ich keine Ruh, da könnt ich nimmer sterben, und selbst, wo er gelebt in diesem Schloß, es weht ein Geist des Zorns, der Zwietracht und der Ärgerniß mich an, daß ich darin nicht lange dauern werde. Ich sag es euch, ihr Herren, ihr habt nach eurer Pflicht gesprochen, ich thue, was ich nicht lassen kann. Nun sprecht, ließ er mir alle seine andre Habe? K a n z l e r . Ach nein. H e i n r i c h . Den Enkeln, meinen Söhnen hat er wohl mit Gunst geschenkt von seinem wunderbaren Schatz an reichen Steinen. Er hat sie lang in seiner Zucht gehabt, so kehrt doch wieder alles das zu mir, was er dem Sohn nicht gönnte. Er hat die Kinder mir so manches Jahr entzogen, gewiß hat er ihr Schicksal reichlich ausgestattet, daß sie nun meiner nicht bedürfen, daß sie in Feindschaft mir absagen, des Vaters lachen, durch alle Höfe jubeln. K a n z l e r . Nein Herr, so bösen Rathschlags war der gute alte Landgraf nicht. Den Schatz hat er dem Grab der heiligen Elisabeth vermacht, es wird ein heilger Glanz der fernsten Zeiten drüber flammen. H e i n r i c h . Und dreht er sich darob im Grabe um, ich wünschte, daß er die edlen Steine lieber hätt zu Pulver sich zerstoßen, daß sie die Eingeweide ihm zerschnitten, so trüg er sie doch in dem eignen Grabe. Ich darf nicht alles sagen, nein, ich werde auch vorsichtiger. O meine armen Kinder, ich habe euch so lang entbehrt, auf daß der Alte euer Glück begründen möge, er hat um eure Liebe euch und mich betrogen, und setzt euch in ein leeres Schiff aufs offne Meer. K a n z l e r . Nur einen Willen hat er über sie noch ausgesprochen. Der ältere Heinrich solle bei der stillen Frömmigkeit, die ihn durchdrungen und bei der Schwäche seines Leibes geistlich werden; der jüngre Otto solle euch in dieser Herrschaft folgen. 35
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H e i n r i c h . Das steht bei mir, das kann er nicht befehlen. K a n z l e r . Es steht bei euch, es war sein Wille, eurer Kinder Wille, die er darum befragen lassen, es scheint ein guter Rath, doch meinte er, daß er den Rath mit seinem Fluch bekräftigen müsse, wenn ihr dagegen handelt. H e i n r i c h . Nein, sage ich, es soll nicht seyn. Das kann ich ändern, und ich wills. Gewiß hat er den Ruhm der Stärke, der mich vor allen hat erhoben, durch diesen Otto einst vernichten wollen. Er werde geistlich, es ziemet ihm als jüngern Sohn, und Heinrich soll nach meinem Tode herrschen: was ich mit Eisen mir erstritten, mag er mit frommer Seele weihen, so wird die Welt versöhnt, die Kraft verbunden, der Muth des Augenblicks zur Dauer für Jahrhunderte gestempelt. K a n z l e r . Ein tiefer Sinn, den ich nicht leugnen kann, doch läßt die Frömmigkeit sich nicht nach Menschenwillen brauchen, nutzen, richten. Ich wünsch Euch Glück, wenn sich der Kinder Sinn nach eurem Willen beugt, und Kindes Liebe kann sonst viel in guten Seelen bilden. H e i n r i c h . Mein Wille thut noch mehr, ich frage nicht, wo ich das Rechte ganz erkannt, es muß sich beugen oder brechen. Ich sage euch, ihr Herren, Erziehung muß in früher Zeit beginnen und darum mocht ich nicht in später Zeit des Vaters Willen thun, weil er in ersten Jahren weichlich meinem Willen nachgegeben; ich achtete ihn nicht. So solls mir nicht mit meinen Kindern gehn. Was macht die liebe Tochter Jutta? der denk ich Freude zu bereiten, bring ihr den lieben schönen Neffen Günther mit und nicht zum Ballspiel blos, seht her, ihr Herrn, das wird mein Schwiegersohn. K a n z l e r . Der Bund sey in den Herzen wohl begründet, so wird die Treue ihn zur Höhe führen und den Kranz wie an dem fert’gen Haus auf seine glänzendhelle Spitze setzen, wenn Menschliches vom Ewigen sich trennet. – Ich wünsche nicht den Bund zu stören, doch ist es meine Pflicht euch anzuzeigen, daß eures Vaters letzter Wunsch gewesen, die Tochter mit dem Sohne Ottnit zu verloben, und beider Mund sprach diesem Wunsch gemäß. H e i n r i c h . Was faselt ihr? Mein Vater war sehr kindisch in den letzten Jahren. Was? 36
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K a n z l e r . Bei ruhigem Verstand in Gegenwart von Zeugen hat euer Vater diesen Sohn, den Fräulein Rosen ihm geboren, hier verlobt. H e i n r i c h . Mein Vater war – mein Vater nicht! Bei Gott, aus solchem Unsinn stamm ich nicht. Dem Bastard meine schöne Tochter zu verloben, hört Neffe, da muß ich gleich des Teufels werden. Daß nichts draus wird, es stillt nicht meinen Zorn, nein, der Gedanke an die Möglichkeit macht mich noch rasend. Ihr Herren, sagt, wo habt ihr die Vernunft, ihr habt in den Gesetzen Jahre lang wie Eber in dem Kornfeld umge wühlt, um euch zu nähren, nicht sie zu beschützen. Hört, alter Herr, wenn ich nicht eure grauen Haare ehrte: wie könnt ihrs wagen, wenn ihr wirklich es geschehen liesset, wie könnt ihrs wagen, mir es zu verkünden, daß ihr mein fürstlich Kind dem Hurensohn verlobtet. K a n z l e r . Mein gnädger Herr, ihr habt mich in der Rede unterbrochen, sonst löste sich von selbst der Vorwurf, den ihr macht. Durch Kaisers Wort und der Verwandten Wille hat dieser Ottnit alle Rechte eheliger Kinder längst erworben, weil euer Vater heimlich mit dem Fräulein Rosen war vermählt. Er weiß es nicht, der Sohn, er sollte es nicht wissen, nach des Vaters Willen, auf daß er sich nicht überhöbe gegen seine Brüder, die gleiche Liebe, doch nicht gleiches Recht erwerben konnten, vor denen er durch Geist und Körper, durch Sinn und Muth gleich ausgezeichnet steht. – Hier ist die Abschrift der Verhandlung, die ihn der Folge fähig macht, wenn eures Stammes Abkömmlinge, wovor uns Gott behüte, untergehen. H e i n r i c h (nimmt heftig die Schrift). Da stehts, nun ja, es steht geschrieben, nun ja, dies Pergament ist sehr geduldig, weiß nichts von jener Schwärze, die es so schimpflich hat entstellt. Doch meine Hand, sie zuckt, ich weiß nicht, wie es kommt, die Hitze wirkt von der durchwachten Nacht, vielleicht daß mich ein giftger Baum beschattete heut unterweges, vielleicht hab ich die Tollkirsch heut gegessen, wenn mich kein toller Hund gebissen hat. (Er zerreißt die Schrift und wirft die Stücken in den Wind.) Der Ottnit sollte herrschen! Ich ahndete doch richtig, als er meine Söhne nicht in seinem Hause duldete, als er sie an der fernsten Grenze, den Heinrich in ein Kloster, den Otto bei dem tollsten aller Ritter in die Lehre gab. K a n z l e r . Beim ewgen Gott, das war der Sinn des alten Herren nicht, oft sagte er, daß er sich schäme seiner Leidenschaften vor den künftgen Erben seines Reichs, er möchte ihnen nicht so früh ein 37
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böses Beispiel geben. Darum entzog er sich die Freude ihrer Nähe und brachte sie in braver Männer Lehre. H e i n r i c h . Ich werde sehn, wie sie gerathen sind, ich hab sie herberufen. Geht Neffe, holt sie mir. (Günther ab). Ihr Herren machet euch bereit zur Huldigung. (Kanzler und Räthe ab.)
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H e i n r i c h . Nun fühle ich mich Herr im Hause, seit ich die Mäuse scheu gemacht, die mir mein Erbtheil lang benagten, die Bastardbrut. Wer weiß, was für geheime Tücke, ob Gift und Mord nicht schon bereitet war für meine Kinder, um diesen Lieblingssohn zu heben. Sie mögen nichts von diesem Frevel wissen, weiß ich doch nichts von meinem Vater. Vielleicht war ich zu hart im ersten Gruß! – Sie müssens tragen lernen, so werden sie einst meine Güte um so höher schätzen. Ich bin nun alt genug, mir etwas zu erlauben, was ich bei kaltem Blut nicht billigen kann, habs auch in meinem Leben von dem Vater dulden müssen. Was hatte ich verbrochen, als mich der Vater hier mit starker Hand ergriff, mich kleinen Knaben, der gar nicht wußte, was Gefahr und Tod, als ich die Armbrust spielend nach ihm abgedrückt, die er gespannt am Boden hingelegt. Hier warf er mich an diese Ecke, daß noch des Blutes Schein am Stein zu sehen und bannte mich seit diesem Tag aus seiner Nähe. Da hängt sie noch die Armbrust, es ist dieselbe, die dem Stammherrn einst gehört, von dem so wunderliche Fabel mit dem Auerhahn gelogen wird. Ja wegen dieser tückschen Armbrust wurde ich verbannt. Wohl mir, da lebte ich noch wenge letzte Wochen mit der vielgeliebten Mutter, deren Augenlicht in Thränen langsam aufgelöst, wie eine Quelle, die versiegte, wo sonst die Silberwellen spielten, nur einen schwarzen Grund noch zeigte. Es war ihr doch zur Freude, sie lächelte, als sie in ihres Lebens letzten Tagen Stirn und Haupt mir konnte sanft berühren, mich erkannte, und an die Brust mich drückte. (Er weint) Pfui Teufel, da wein ich gar, es ist das erstemal seit jenem Tage. Nicht doch, – als meine Frau gestorben, hab ich auch geweint. Dreimal in meinem Leben, das ist Erleichterung genug. – (Er tritt ans Fenster). Kaum blicke ich hinaus, so muß ich neiden aller Armuth Segensfülle. Ganz unsichtbar will ich hier herrschen gleich dem Teufel, sonst mein ich, es sagt mir jeder Schuft, daß ich der 38
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ärmste, der verlassenste der ganzen Welt. Da kommt die Frau zum Hirten mit dem Suppentopf in einer Hand und auf dem andern Arm das sonntäglich geschmückte kleine Mädchen. Sie küssen sich nicht lang, sie sehn sich freundlich an und setzen sich zum Topf und löffeln drein so Zug um Zug. Die Mutter wollte mit dem Manne erst genießen, das Kind hat drum geschrien, nun streichen sie ihm wechselweis die Suppe in den Mund. Zum Teufel, bei der Freude laufen seine Kühe in den Waitzen mir, jetzt trinken sie, nun beten sie, ich mag sie doch nicht stören. Mein Weib, das braucht nicht zu trinken, Und braucht auch keine Speis, Erst wenn die Sterne blinken, Da wird es ihr zu heiß, Zu heiß in der kühlen Erde Weil ich zu viel an sie denk, Dann fleht sie stiller Geberde, Daß ich sie nicht mehr kränk. Ich kränk sie mit meiner Liebe Und zieh sie vom Himmel herab, Wie wird der Morgen so trübe Wie meines Liebchens Grab. Wie wird der Morgen so trübe, Und war doch so voller Klang, Vorüber ist die Liebe, Das Leben wird mir lang.
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G ü n t h e r . Mein gnädger Herr. H e i n r i c h . Du weißt, ich laß mich niemals gerne stören. G ü n t h e r . Verzeiht, mein theurer Oheim, ich kann den Grafen Otto, euren jüngern Sohn, nicht länger mehr zurückbehalten. H e i n r i c h . Hat er so wenig Achtung gegen seinen Vater? dem ist das Kloster nöthig, ich hört es schon, er sey ein wilder Vogel. Laß ihn herein. O t t o (stürzt herein und umhalst seinen Vater). Wie bin ich selig. Du bist mein Vater, ja ich fühls im Herzen. Ach hätte der Großvater es 39
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erlebt, dich noch zu sehen, ich war ihm gar zu gut und du siehst ihm so ähnlich. H e i n r i c h . Das thut mir leid, das sag mir niemals wieder, wir waren uneins, waren uns nicht ähnlich in dem Herzen. Dich muß ich jetzt erst kennen lernen, hab wenig Zeit dazu; ich hoffe, daß du mir wirst folgsam seyn. O t t o . Was könntest du befehlen, theurer Vater, das ich nicht thäte? Ja ich meine schier, ich könnte fliegen, wenn du es mir beföhlst. Du sollst nur sehen, wie ich so sicher schießen kann, und wie ich reite, wie ich fechte. Ach welche schöne Armbrust trägst du Vater! H e i n r i c h . Schon gut. Doch gieb mir deine Hand, daß du mir treulich folgen willst in allem, was ich dir befehle. O t t o . Hier meine beiden Hände, ich schwöre meine Seele ab, um deine Hand zu drücken, Vater, und eine Sehnsucht füllt mit heißer Ungeduld mein Herz, was du von mir so ernst kannst fordern, was ich mit leichtem Sinne nicht vollbringen wollte. H e i n r i c h . Mein Sohn, ich hab dein Wort. Nicht leicht wird dir, was ich begehre, ich sag es dir voraus, doch heischt es die Nothwendigkeit. Mein Vater wollte stets, dein Bruder sollte geistlich werden, du solltest herrschen einst nach meinem Tode. Er ist der ältre, er kann dem Rechte nicht entsagen, das ihm ist angeboren. Du gehst mein Sohn noch heute gegen Cölln zur hohen Schule, die Bücher werden dort dein Jagdrevier und nutze deine Zeit, wenn noch die Jagd im Kopfe offen, auf daß du gleiche Ehre dir gewinnst und steigst zu hohen Würden in der Geistlichkeit. Dann bet für mich. O t t o . Ach Vater, ich hab geschworen! Doch sieh mich an, ich glaube, daß ich leichter eine Frau könnt werden und Kinder stillte, und nehte und spinnen lernte, als einen geistlich stillen Sinn gewönne. H e i n r i c h . Du denkst dein künftig Schicksal dir zu ernst. Nicht hartem Klosterleben, nicht dem Karthäuser-Schweigen brauchst du dich zu unterwerfen, du lernst mit vieler muntrer Jugend in dem schönen Cölln, da ist dir Jagd und Liebe nicht versagt. Dann folgen ein Paar ernste Probejahre, doch bist du Domherr, dann ist die Welt dir offen und eine weite Aussicht liegt vor dir, als Bischof oder Churfürst mächtig auf die Welt zu wirken. Vielleicht kannst du dereinst mehr Ritter senden in die Schlacht, als je dein Bruder Menschen zu beherrschen hat. 40
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O t t o . Doch ich muß dann zu Hause bleiben, muß beten, statt zu kämpfen. H e i n r i c h . Nicht doch, es giebt nicht blos in Fabelbüchern Kunde von einem Mönch, der alle Helden überwand, ich sage dir, ich habe einen Bischof selbst gekannt, der war der beste Kämpfer mit der Lanze, er hat mich selbst einst abgestochen. Sey nur getrost, mein Sohn, sieh her, die schöne Armbrust, die du so eifrig anschaust, ich schenk sie dir, auf daß dir nicht die Zeit wird unterweges lang. Du nimmst mein Roß und machst dich lustig auf den Weg, hier hast du Geld. Jetzt laß uns scheiden, es ist aus Schonung, daß ich’s dir befehle. O t t o . Sogleich. Ach Vater, so weiß ich bald nicht mehr, wie du hast ausgesehn, wenn ich so rasch dir bin entrissen. H e i n r i c h . Bei meinem Roß, bei meiner Armbrust denke mein, ich hab sie beide lieb, denn jenes bracht mich oft zur Schlacht, und diese in das Unglück; du nimmst mein Glück, mein Unglück so mit dir, befiehl dich Gott, damit sich beide mehr im Gleichgewicht erhalten. O t t o . Mein gütger Vater, ich fühle deine Milde und dies Geschenk, das mich an lustge Jagd und Kriegslust mahnt, es reißt mich aus der Sorge in die hohe Luft wie einen Pfeil, noch weiß ich nichts von meinem Ziel, kaum ahnde ich von meinem neuen Stande, doch weiß ich schon, daß ich durch deine Vaterhand bin ausgesendet. H e i n r i c h . So recht; die Zähne eingebissen, wo’s hart hergeht, daß dir das Feuer in die Augen steigt, gepredigt zu der Kreutzfahrt oder drein gehauen in die Sarazenen, es ist doch eins. Leb wohl, die Welt bedarf in jedem Stand der braven Männer, der brave Mann hat überall genug zu thun, und thut sich nie genug. Du bist noch niemals weit gereist. O t t o . Mein Vater, mit Sehnsucht hab ich oft danach getrachtet, ich möchte jeden Tag mir einen andern Ort erwählen. H e i n r i c h . Glück zu, du wirst bald lustig seyn, bist du erst an dem schönen Rhein, da wird dein Herz in reger Neugier wachen. – Noch diesen Kuß auf deine Stirn, jetzt lebe wohl, ich bin dir gut – geh rasch – mir wird der Abschied sonst zu schwer. O t t o . O Vater dürft ich nur dein letzter Diener seyn, ich wäre doch bei dir, jetzt küß ich deine Hand zum letztenmal. (ab.) 41
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H e i n r i c h (rasch zum Fenster hinaus). He Lorenz, dem jungen Ritter gib den Rappen. Glück auf den Weg, mein Otto. – Nun Günther, nicht wahr, ich habe einen tücht’gen Sohn, ich bin gewiß, die Tochter Jutta ist nicht schlechter, jetzt sorge nur, daß ich sie einzeln alle spreche, daß keiner mög den andern sehen. Nun sieh, wie er den Rappen mir zusammen reitet, das ist er nicht gewohnt von mir, das geht so in die Welt, aus der ich heimgekommen. G ü n t h e r . Ich hätt’ ihn gern ans Herz gedrückt den schönen Jüngling, den bald mir nah verbundnen Schwager, doch wagt ich nicht den ersten Gruß des Vaters mit dem Sohn zu trennen. H e i n r i c h . So recht, die Höflichkeit hat ihre Zeit, für Schwäger hab ich nie was anderes empfunden, sie sind mir fast wie Bastardbrüder. – Was ist denn das? Da ziehen Prozes sionen mit bunten Fahnen flimmernd, in langen Reihen wie ein kriegrisch Heer, noch ähnlicher den Enten, die aus dem Stall zum langersehnten Wasser schnattern. Und wie sie schnattern, sie wollen hier zum heilgen Brunnen der Elisabeth. O überlästge Sünder, deren Reu noch lästger ist als ihre Missethat, die meist nicht viel bedeutet. Im Thale ist das Wasser nah und dienet leicht der Menschenhand, läst sich auf Mühlenräder drängen, von jedem Ruder eines Knaben schlagen, es ist das niedrigste, das sklavischte von allen Elementen, feig schleichend, wo die Kraft es zwinget, und heimlich nagend an der Menschen Werken, und hat es eine Lücke sich entdeckt, da stürzt es grausam unerbittlich alles nieder. Und dieses Wasser, weil es von frommer Hand hier mühsam bis zur Felsentiefe aufgesucht, (denn Wasser ist in jeder Tiefe zu entdecken, wie Glauben sich in jeder Dunkelheit läßt finden) ists darum andres Wasser. Hör Neffe, wenn wir die Stadt, den Brunnen heut verschlössen. G ü n t h e r . Mein gnädger Oheim, sie würden euch verfluchen, diese rohen Menschen, auch bringen sie euch Geld am Zinse für das, was sie nach dem Gebet in frohem Muth verzehren. H e i n r i c h . Das Geld mag gelten, der Fluch ist lange noch kein Wetterstrahl und tausend sind schon leuchtend über dieses Haupt wie über diese Burg gezogen, und mancher hat mich schon geblendet, doch keiner hat mich noch berühret und zerschmettert. Ich habe viel ertragen und viel vergessen lernen, so gehts mir mit dem Glau42
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ben auch. Der Glaube ist Gewohnheit, Gewohnheit, die sich abgewöhnt, ist eine Last. Ich sage dir, verschlöß ich heut den heilgen Brunnen, das gäbe Aufsehn, sie würden lauern, ob kein Unglück hier geschehe, und stellt ich mich das ganze Jahr vergnügt, im nächsten wär des Brunnens heilge Kraft verspottet. Nun laß das gut seyn, – du brauchst davon noch nichts zu wissen, das muß ein jeder selbst erleben, und nachgesprochen wirds zum Narrenkram. Sag doch, wer mag der Jüngling seyn, um den sich alle drängen in der Wallfahrt, er steigt zum Schloß voran und alles jauchzt ihm zu. G ü n t h e r . Vielleicht Herr Heinrich, der Erbe eures Landes, ich hab ihn zweimal nur gesehn vor Jahren, doch scheint er diesem Jüngling in dem geistlichen Gewande gleich. H e i n r i c h . Mein Sohn, mein Sohn! In einer Kutte, mein Heinrich. Sagt Neffe, da möcht ich wohl des Teufels werden, da hat ichs doch geahndet, mir ahndete ein grimmger Ärger in dem Zuge, drum wollt ich ihn gerne von mir halten. Das soll rasch anders werden, die Mönche sollen sich verwun dern. Mein Sohn, der Erbe meines Reichs in einer Kutte! Wohl gar als Einsiedler, von Kräutern lebend und von Milch, nun gebt nur acht, wie ich ihn will von seiner Narrheit heilen.
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H e i n r i c h s (Sohn eintretend, kniet nieder). In meinem Herzen hab ich dich als Vater und als Herr erkannt, obgleich mein Auge dich seit frühen Jahren nicht gesehn, o sprich, ob mich dies sehnende Gefühl nicht täuscht, denn meine Blicke löschen sich in Freudenthränen. H e i n r i c h . Sehr gut, mein Sohn, ich bin’s, steh auf, die Mutter hat es mir gesagt, du seyst mein Sohn, ich glaube nicht, daß sie mich hat belogen. Du scheinest krank, du bist so blaß, steh auf (Er hilft ihm auf). H e i n r i c h s S o h n . Mein gütger Vater, ach nein, mir ist so wohl in diesem Augenblick, wie nimmer mir gewesen, sonst bin ich öfter krank, ich bin durch deine Hand genesen. Ist mir kein langes Leben hier beschieden, so dank ichs doch der heilgen Mutter, daß ich noch diesen Augenblick erlebte. 43
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H e i n r i c h . Du mußt dir viel Bewegung machen, die Prozessionen gehn zu langsam, das Beten ist dir auch nicht gut, ich will für dich ein Dutzend Priester stellen, die deinen Theil abbeten sollen. Mußt starken Wein hier trinken, vom Fasttag laß ich dich gleich dispensiren; auch zu den Mädchen mußt du fleißig gehn, das macht dir rothe Wangen. Sag Heinrich, du warst wohl nie bei einem Mädchen? H e i n r i c h s S o h n . Mein Vater, sicher hat der böse Leumund mich verläumdet, o glaubt den bösen Zungen nicht. Wie kann ich doch den Leuten so gehässig seyn, da ich sie alle liebe. Ja theurer Vater, unschuldig will ich in die Einsamkeit mich flüchten, da wird kein Mensch mich schnöder Unthat zeihen, da will ich beten für dein Glück, mein Vater, und für den Bruder Otto, dem du, so Gott will, nach dem längsten Menschenleben, die Herrschaft übergiebst. H e i n r i c h . Du dünkst dich demuthvoll, mein Sohn, du wünschest fromm zu seyn. H e i n r i c h s S o h n . Es ist der stille Wunsch lebendig in der Seele, auch fühl ich keinen Widerspruch in mir, was andern schwer wird, das hat mein siecher Körper mir erleichtert, nichts weiß ich von dem Kampfe mit den Sinnen und mit den Leidenschaften. Vor dem Gebete schweigt mir jeder fremde Wunsch, und wenn ich frommer bin, als andre meines Alters, so ist das kein Verdienst, es ist nur Gottes Gnade und macht mich nimmer stolz und läßt in Demuth mich der schwereren Befehle Gottes harren, die er zur Prüfung mir noch auferlegt. H e i n r i c h . So recht, ich kenn an diesen Worten, daß mich mein Wunsch nicht hat getäuscht. Ich bringe dir mein Sohn, die schwere Prüfungszeit, doch sag ich dir voraus, du wirst sie leicht bestehen. Zur Einsamkeit kehrst du nicht wieder, und nicht zum Kloster, du trägst zum letzenmal dies Kleid der Geistlichkeit, ein blanker Harnisch soll dein Chorkleid seyn, für Gottes Sache sollst du fechten. H e i n r i c h s S o h n . Mein gütger Vater, es ist ein hartes Wort, daß ich soll alles meiden, was meiner Seele Ruh und Daseyn ist, doch wag ich nicht zu widersprechen, befielt mir Gott, ich soll die Welt bestreiten, ich folge ihm, er wird die Kraft mir senden. H e i n r i c h . Daran erkenn ich deiner Mutter milden Sinn. Recht so, mein Sohn, es ist des Himmels Wille, der dich zum Erstgebornen 44
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mir geschenkt, daß du dies Land nach mir beherrschen sollst und daß von dir noch fromme Kinder stammen, die seinen Willen thun auf Erden. H e i n r i c h s S o h n . Geliebter Vater, das wird zu schwer für mich, auch sagte mir dein Vater, daß diesen Platz mein jüngrer Bruder Otto herrlich einst erfülle. H e i n r i c h . Das war des Alten Grille, Eigensinn und Tücke, und gegen alles göttlich fest bestimmte Recht. Ich sage dir, es muß nicht gleicher Sinn in Herrscherreihen folgen, denn sonst wird gar einseitig nur des Volkes Sinn gebildet, ich will mich besser nicht vor dir anstellen, als ich geworden bin; ich bin ein Kriegsmann, und weiter nichts, vergesse oft zu beten und die mich rings umgeben, folgen meiner Art. So würde Otto auch sich bilden, du aber denkst nach deiner Mutter Art, und was mein Schwerdt erwirbt, wirst du mit Liebe segnen. H e i n r i c h s S o h n . Ich beuge mich vor deiner Weisheit Eingebung, mein Vater, zwar weiß ich nicht, wie ich vollbringen soll, was du mir auferlegt, wie dieser schwache Arm das Schwerdt soll führen, doch Gott wird helfen, wo meine Kräfte schwinden. H e i n r i c h . Sieh hier den Freund, den ich dir ausersehen, es ist mein Neffe Günther, er wird dein Schwager, lieb ihn als Bruder und als ältern Führer, der viel erfahren in der großen Welt und ritterlich im letzten Kriege kämpfte. Ihm folge, wo du zweifelst, er kennet meinen Willen. H e i n r i c h s S o h n . Wie lang hab ich mir einen Freund gewünscht und mit dem Vater wird auch dieser Wunsch erfüllt; kein Schicksal nahet einsam, es führt uns inniger in unsrer Wünsche Kreis zurück und mit der neuen kriegrischen Bestimmung kann ich dich erst mit freudger Hingebung begrüßen, theurer Vetter Günther, um deine Liebe innger bitten, und thätger deine Freundschaft zu erwerben suchen. G ü n t h e r . Dir kommt mein Herz entgegen. Des Augenblicks bedarf die Neigung nur, die sich entscheidet, die Jahre können nur bestätgen, sey mein Freund und sage deiner Schwester meine Liebe. H e i n r i c h s S o h n . O welch ein schöner Auftrag, den Freund der Schwester zu verbinden, o wär sie hier, doch ist sie nahe bei der Stadt im Kloster. 45
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E i n D i e n e r (kommt.) Die Ritter sind zur Huldigung versammelt. H e i n r i c h . Geh rasch, und sag, ich käme gleich. (Diener ab). Mein Sohn, mich ruft die Huldigung zum Rittersaal, auch hab ich seit der Mutter Tod mit keinem Weib von Lieb und Heirath mehr gesprochen, verkünde deiner Schwester meinen Willen, sie wird im Kloster den Gehorsam früh erlernet haben. Komm ich vom ernsteren Geschäft zurück, so wirds mein Herz erfreuen, euch feierlich hier zu verloben, ihr habt bis dahin Zeit, vertraulich mit einander und auch froh zu werden. – Mein Sohn, gieb mir den Helm und schnalle mir den Degen um. (Der Sohn schnallt den Degen verkehrt). Da muß ich gleich des Teufels werden, sieh Günther, er schnallt ihn mir verkehrt! H e i n r i c h s S o h n . Ach Vater, des Teufels Name macht mich zittern. H e i n r i c h . Du Pfaffenherz, was weinst du, ich sage dir, das macht mich rasend, ich möchte dir den Hals abdrehen. H e i n r i c h s S o h n (kniet nieder). Verzeih, mein gnädger Vater und strafe mich, wo dich mein Ungeschick beleidigt. H e i n r i c h . Sieh Günther, muß ich nicht des Teufels werden, und die verfluchte Huldigung dabei, an allem ist der Vater schuld, den Knaben hat er so erzogen, daß er noch keinen Degen schnallen kann. Gott weiß, wie meine Tochter ist geworden. Ich sag dir, Günther, nimm sie ja nicht wider Willen. Ich denke, wie der Vater in der Hölle lacht, wenn ich mich ärgern muß! Eins schwör ich aber, daß ich lachen will, wenn er sich ärgern muß, daß nichts aus allem wird, was er in seinem letzten Willen wollte. Nun Heinrich lerne bald das Degenschnallen, sonst schlag ich dich noch nicht so bald zum Ritter mit dem Degen. (ab.)
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IX. H e i n r i c h s S o h n . Ach Gott, wie hab ich meinen Vater so beleidgen können, vergieb es mir, ich will die nächste Nacht auf kalter Erde knien, zu dir beten, und zu der heilgen Mutter aller Gnaden, daß sie zum Sohne für mich spricht. Ach Gott, was muß ich Böses wohl gesprochen haben. G ü n t h e r . Du nimmst des Vaters Worte viel zu streng, du bist so sanft, er ist ein heftger Mann. Dir bleibet jedes Wort stets gegen46
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wärtig, was du gesprochen, du wägst sie nach, ob du darin gefehlt; er hat im nächsten Augenblick sein zornig Wort vergessen, und fühlt die alte Liebe wieder. Sein Wort verhallet wie ein heftger Pulsschlag, wenn wir gelaufen sind. Ich sage dir, mein Heinrich, er braucht zum Leben etwas Ärger, wie unser Magen zur Verdauung bittre Galle nöthig hat; ganz recht wirst du’s ihm nimmer machen, doch daß du ihn am wenigsten beleidigst, das will ich dir bei jedem Anlaß sagen. H e i n r i c h s S o h n. Du treuer Freund, den mir der Tag gewonnen und eine Ewigkeit bewahren soll, o sag mir gleich, wie ich dem Vater kann gefallen, daß er im Zorne über mich sich nicht versündge. G ü n t h e r . Nun sieh, zuerst mußt du ein festes ernstes Wesen dir gewinnen, die Wehmuth, die sich oft in deinen Augen spiegelt, laß still und tief in deiner Seele ruhen, gedenke stets, daß du einst vielen kannst befehlen, darum erlerne dies Befehlen noch bei Zeiten. Dein Vater liebt den Trotz zur rechten Zeit, wo du im Recht dich glaubst; er wünscht, daß du dir nichts sollst nehmen lassen, vor allem wird ihn freun in Waffen dich zu sehen, das geistliche Gewand ist ihm verhaßt an seiner Krone Erben. H e i n r i c h s S o h n . Wo aber find ich einen Panzer, der nicht zu schwer mir Ungeübtem, ich thät so gern dem Vater den Gefallen. G ü n t h e r . Du frägst, da ich dir helfen kann. Warum befielst du nicht, daß ich mein Panzerhemd dir gebe und meinen Helm, es wär mir Lust, dem Freunde zu gehorchen. Sieh nur, ich leg sie ab, nun fühl, wie leicht sie sind, zur weiten Reise hat ein Meister in Verona sie mit seltner Kunst gemacht, wir sind doch fast von gleicher Größe. H e i n r i c h’ s S o h n . Du Gütger sag, was kann ich dir zum Danke bieten, sieh hier ein schön gebundnes Büchlein voll Gebete, ich habs mit eigner Hand geschrieben, ein Maler hats mit schönen Bildern, mit Gold und Zierrath reich geschmückt, bewahre es zu meinem Angedenken, es ist das Liebste, was ich besitze. G ü n t h e r . Hab Dank, es ist ein kostbar Büchlein, dein Vorwort bei der Schwester, daß du für mich aus deinem Herzen sprechen magst, ich will es dir noch höher danken. – Sieh Heinrich, so legst du dieses Panzerhemde an, den Degen will ich schon umschnallen. 47
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H e i n r i c h s S o h n . Nun Dank und tausend Dank, doch sag ich dir, mir wird in diesem Eisenhemde ach so bang, als wärs mein Todtenhemd, es ist die Schwere nicht, es ist so wunderliche Angst, die in der Gegend meines Herzens lastet. G ü n t h e r . Die Ahndung achte nun nicht mehr, sie paßt nicht in das thätge Leben. Da giebts nur eine Regel, der Ahndung wie dem Feinde keck entgegen mit unverwandtem Blick, oft läßt sich so besiegen das Geschick. H e i n r i c h s S o h n . Es mag die Vorsehung den freien Muth darin erkennen und beschützen, doch sag ich dir, ein solches Wesen wär in mir Betrug, ein äussrer Schein von Stärke bei dem innern Zagen. G ü n t h e r . Glaub mir, die größten Thaten sind durch Furcht geschehen, und die Verzweifelung der Furcht, die der Gefahr nicht weichen kann, ist mächtiger als aller Übermuth. Ich sag dir, in der Feldschlacht steht der eine, weil er vom andern wird gesehen und den Verlust der Ehre fürchtet, die Frommen fürchten sich vor Gott und seiner Strafe; die Lust am Streit ist nur in denen, die von dem Teufel sind besessen oder von dem heißen Blut des Weins. H e i n r i c h s S o h n . Es ist mir alles neu, was du mir sagst, du hast so viel erlebt und ich so wenig, doch mein ich, daß als wir jüngst zur Pflege der Verpesteten von Dorf zu Dorf gezogen, wobei die Hälfte unsrer Mönche eines frommen Tods gestorben, wir fürchteten uns nicht vor Gott, ach nein, es war, als triebe uns sein Licht, und unser Leben schien uns unbegrenzt von solchem Tode, ein ewges Wirken ohne Anfang, ohne Ende, und wär auch was wir thäten, ohne Glück, in unsrer Liebe, die es that, darin lag Gottes Segen. G ü n t h e r . Ich muß dich küssen, edler Mund, und muß dir dann die herbe Wahrheit sagen. Freiwillig thut sich vieles liebevoll, mit Gottesglanz wird da das Herz gefüllt und wie im Maylicht treibt manch heilsam Blatt hervor, doch keimt und reift das giftge Blatt mit gleicher Sonnenkraft und ernste Herrscher, heisser Zorn sind nöthig, dieser falschen Liebe Frucht zu tilgen. Hat keiner eurer Mönche sich verirrt, in jener ungewohnten Freiheit seines Wirkens. H e i n r i c h s S o h n . Ich muß es leider eingestehen, ein alter Mann, Franziskus, verirrte sich mit einer von den Neugenesenen, noch büßet er im Kerker, denn gar mit frecher Hand, er war des Klosters Maler, hat er der heilgen Jungfrau Bild nach ihr verändert, und das verrieth sein böses Einverständniß. 48
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G ü n t h e r . Nun sieh, so leicht kann Liebe irren, daraus erkenne auch des Vaters Heftigkeit, den Willen seines Zorns, und lerne ihn verehren. H e i n r i c h s S o h n . O Freund, verkenn mich nicht, nie habe ich mich frech erkühnt, den Vater, der mir das Leben gab, zu tadeln, sein Thun und seine Art zu prüfen, ich muß ihm folgen, ich muß den väterlichen Willen ehren, und da am meisten, wo er mir schwer wird zu erfüllen. G ü n t h e r . Du fromme Seele, wie lieb wirds dir dann seyn, nun zu vernehmen, daß einst dein Vater auch so sanft gewesen, wie du, daß er die Herrschaft in Thüringen, die ihm der Vater, dein Großvater, abgetreten hatte, in gleicher Milde wollte führen. Doch sieh, da täuschten ihn die Räthe gräßlich und sprachen stets vom Wohl des Landes, verschwendeten zu ihrer Lust das Geld und neue Steuern mußten ausgeschrieben werden. Dein Vater ahndete von allem nichts, bis er sich einst auf einer Jagd zu einem Waldschmidt hin verirrte. Da stieg er ab und gab sich niemand zu erkennen, weil ihn kein fürstliches Geleit umgab. Darum führt ihn der Schmidt nicht in das Haus, er ließ ihn in der Schmiede auf einer morschen Bank sich niedersetzen und reichte ihm den Trunk aus seinem schmutzigen Handkruge. Der Landgraf wußte nichts mit ihm zu reden, der Waldschmidt hatte viel zu thun mit seiner Arbeit und mit der neuen Steuer, die eben ausgeschrieben, und schimpfte bald aufs Eisen, bald auf die Räthe seines Grafen und sprach, indem er nun das Eisen in dem Wasser abgelöscht, gehärtet hatte: Pfui dich, du weicher Landgraf, werde hart, werde hart, und schlug dabei vor Ärger auf den Amboß. Er sprach dann weiter: Wer möchte länger unter dir noch leben, der eine Rath beraubt die Unterthanen, der andre schätzt sie ab, der dritte schmirt dirs Maul mit deinem eignen Schmalz; Pfui, Landgraf, wer dich nur nennt, der wische sich den Mund! – Der Landgraf fragte nach dem Grund der Rede und hörte seiner eigennützgen Räthe Treiben, und kaufte sich das Eisen von dem Schmidt, das er in dieser Stunde härten thät, es war die Klinge, die noch bis diesen Tag der Vater trägt und als er heim kam, strafte er damit der Räthe schändlichen Verrath, wovon er noch bis diesen Tag der Eiserne genannt. H e i n r i c h s S o h n . Gott sey den armen Seelen gnädig. Sie mögen es verdienet haben; mir wird so schwach, ich bitt dich, halt mich, 49
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Freund. Es ist mir alles neu in dieser Welt, die Welt ist hart. O steh mir bei, daß ich auch härter werde. G ü n t h e r . O wär ich nur dein Schwager erst, da könnt ich dir so manche schwere Last abnehmen, und ich nähme dann auf mich, was dich verletzen könnte. O lieber Heinrich, du guter Heinrich, ich höre leise Tritte nahn, jetzt sprich für mich bei deiner Schwester, ich glaub, sie ists, gewiß, ich höre ihre Stimme auf dem Gange nach dir fragen, ich flüchte mich zum Saal der Huldigung, ich mag ihr nicht begegnen, bis ich aus deinem Mund empfange meines Schicksals Kunde. (ab.)
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X. H e i n r i c h s S o h n . O bleib doch, Freund, sie muß dich lieben, Günther, wer könnte deinem Zutraun widerstehen! – Nun ist er fort, er ist so heftig und alles ließe sich doch sanft und still beendigen. Vielleicht hat ihn die Stimme doch getäuscht, es war vielleicht die Schwester nicht.
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(Jutta tritt ein).
J u t t a . Ich soll hier meinen Bruder finden – und sehe einen fremden Ritter stehn. Was wollt ihr, Ritter, daß ihr so nahe dringt auf mich, ich bin des Grafen Tochter, Jutta. H e i n r i c h s S o h n . Wie Schwester, hat mich dies Eisenkleid dir ganz entfremdet, erkennst du deinen Heinrich nicht, dem du so oft hast sagen lassen, wie du ihn küssen wolltest, wenn du ihn wiedersähest. J u t t a . Bei Gott, du bist’s, mein guter liebster Heinrich, nimm diese hundert Küsse zur Versöhnung, wie konnt ich dich in solchen Waffen denken, das ist ein seltsam Chorkleid, auch bist du recht gewachsen, seit ich dich nicht sah. H e i n r i c h s S o h n . Es ist des Vaters Wille, daß ich zur Welt zurück den ernsten Kampf des Lebens soll beginnen, und dieses sind die Waffen eines lieben Freundes, die mich so treulich wie er selbst, drin schützen. J u t t a . Wer ist der Freund, ich muß dich ihm auf seine Seele binden, du bist so fromm, ich kenne dich aus deinen Briefen, ein frommes Herz hat kein Gestirn, und wenn ich deine stille Demuth in den 50
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Waffen seh, da werd ich ernst und war doch eben noch so froh und wünschte selber oft statt meiner Nadel, mich am Schwerdt zu üben. H e i n r i c h s S o h n . Sey ruhig, ich kann so viel erdulden, die Seinen schützt der Herr, auch hat er mir schon einen Boten seiner Gnade in dem Freund gesendet. O wisse, liebe Schwester, dich kennet unser Freund, und liebt dich heftig, der Vater ist ihm ganz geneigt und ich bin hier, für ihn zu werben, er ist so schön, so gut, ich weiß nicht, wie ich ihn genug soll rühmen. Gesteh’s, du liebst ihn auch? J u t t a . Du machst mich schamroth, Bruder, nicht dadurch, daß du mich jetzt zwingst, die langgehegte Liebe zu gestehen, ach nein, es ist das Lob, das du dem Liebsten giebst, das setzt mich ganz in Gluth, denn denk, wenn du so fühlst, wie muß ich ihn erkennen, den selbst dein Tadel mir nicht schlechter machen könnte. Ei sag, wo ist er? H e i n r i c h s S o h n . Ich ruf ihn gleich zu seinem Glück, er war so zweifelhaft, als er mir seinen Auftrag gab und schien vielmehr des guten Ausgangs zu verzweifeln. J u t t a . Was hat ihm solche Zweifel eingeimpft, das sind die falschen Zungen, die einem Liebenden den festen Glauben rauben. Ich sah ihn gestern noch bei unserm Kanzler, kein Wort des Zweifels über meine Liebe haben wir gesprochen, darüber sind wir längst hinweg, ihn nagte nur Besorgniß um den Vater, den er noch nicht gesehn. H e i n r i c h s S o h n . Gestern? Schon gestern wär er hier gewesen? Besorgniß um den Vater, den er noch nicht gesehen? Ei, Mädchen, ich versteh dich nicht, der Markgraf Günther ist des Vaters rechte Hand, seit Jahren hat er sein Vertraun in ernster Prüfungszeit des Kriegs erworben, und sicher ist er jeglichen Vertrauens werth. J u t t a . Mein armes Herz, wie hast du dich getäuscht. Die ärgste Lügnerin ist Hoffnung und sie versteckt sich, wenn sie uns getäuscht. O Bruder, ich hab dir ein Geheimniß zu vertrauen, wovon ich eben noch so offen mit dir sprach. H e i n r i c h s S o h n . Was sprichst du, Schwester, was hat dein Wort verwandelt und deine Wange schnell gebleicht? J u t t a . O Bruder, es ahndet mir viel Schlimmes. Ich sage frei, ich kann den Grafen Günther nicht zum Mann erwählen, denn sieh, ich habe einen andern schon gewählt, und nicht gewählt, nein, wie ich in die Welt geboren unbewust, so ist die Liebe mir entstanden. O 51
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rath mir Bruder. Ich ehre deinen Freund, er ist so schön wie tapfer, ich weiß nicht, ob mein Ottnit ihn an Schönheit übertrifft, ich kann ihn nicht ver gleichen, denn er steht einzig da, wo nie ein andrer ist genaht, im Allerheiligsten von meinem Herzen und nimmer wird er weichen. H e i n r i c h s S o h n . Wie willst du meines Vaters Blick begegnen, wenn du so fest dich seinem Willen widersetzest, kaum wage ich dir alle Worte hier zu wiederholen, wie ernstlich er die Heirath anbefohlen. Noch heute will er eure Hände durch Verlobungsringe binden. Du ringst die Hände und mich ergreift zum erstenmal ein Ärger gegen unsres Herren Führung. O Mädchen, laß es doch, mich also anzusehn, es bricht mein Herz und alle meine Sinne schwindeln. Wer ist der Unglückseelige, Jutta, wahrlich, Seligkeit und Unglück ist in dieser Neigung tief verschmolzen; wo ist der Unglückselige, der meinem Freund dein Herz verschließt? J u t t a . Du thust ihm nichts zu Leide, versprichst du Bruder? H e i n r i c h s S o h n . Du kennst mich Jutta, daß ich die Mücke selbst nicht tödten kann, die mich verletzte, wie könnte ich dir wehe thun. J u t t a . Es hört doch keiner – leise will ichs sagen – den Ottnit liebe ich, den Sohn vom Vater unsres Vaters. H e i n r i c h s S o h n . Den Bastard? Ich kenn ihn nicht. Unechte Kinder sind zum Frevel willig. Den Bastard liebst du heimlich. J u t t a . Er mag es seyn, ein Halbgeschlecht von Engeln liegt in seinen Augen, und seine Menschlichkeit ist ganz die unsre. Und nicht so heimlich ist die Liebe, denn der Großvater willigte in unsern Bund und hat uns zugeschworen, in seinem letzten Willen auch für uns zu sorgen. In diesen Wochen sollte uns das neue Grün verbünden, so wie das Alte uns zusammenführte, o Bruder, laß dir jenen Tag erzählen. H e i n r i c h s S o h n . O sprich davon in günstger Stunde, bei jedem Tritte fürchte ich den Vater, es ist nicht recht, doch kann ich es nicht lassen. Ich sage dir, gewiß hat er den Willen unseres Großvaters nicht gebilligt, er sprach so wunderbar von ihm. Wenn nur der Tag uns nicht beeilte, es ist ein harter Zwang in aller Zeit, gewißlich käm der Vater noch auf andere Gedanken. Wenn er dich nur nicht gleich erblickte, daß nicht sein Zorn dich, liebe Schwester, träfe. 52
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J u t t a . Ich bitte dich, sag ihm, was ich dir anvertraut, er muß es doch erfahren, du kannst so sanft mit deinen Augen sprechen, du bist so schuldlos an dem Unglück, ich bin zu rasch, ich darf ihm nicht begegnen. Auch meinen Ottnit muß ich war nen, der Vater soll so hastig seyn. Es engt die Angst den Athem mir, ich höre Tritte in den Gängen, ist hier kein Ort, wo ich mich kann verstecken. – Nein! – Bruder, hilf mir. H e i n r i c h s S o h n . Ich muß dir helfen, weiß doch keinen Rath, o hätt ich noch mein geistlich Kleid, ich könnte dich damit bedecken vorm ersten Angriff seines väterlichen Zorns. J u t t a . Da liegt das Kleid, du hast mein Heil gesprochen, sieh her, ich nehm es um, es deckt mein weiblich Kleid, und dein Baret verheimlicht meiner Haare Flechten, auch weiß ich, daß mein Antlitz einem Knaben ähnlich scheint. Mein Bruder, daß ich dich jetzt verlassen muß, es thut mir weh, doch anders kann ich nicht den Ganzgeliebten retten. (Sie bekleidet sich als Geistlicher.)
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H e i n r i c h s S o h n . Wozu die fremden Worte? Bin ich dein Bruder nicht, soll nicht der Bruder seine Schwester schützen, du thust kein Unrecht und ich fühl mich schuldlos. Wenn wir uns wiedersehn, ist alles anders und frei von Sorgen, frei von Furcht wird sich in sichrer Wahrheit zeigen, ob wir das Rechte suchten und das Falsche mieden. J u t t a . Noch diesen Abend seh ich dich, mein Bruder. (ab.) H e i n r i c h s S o h n . Kaum weiß ich, was ich hab gethan; es ist ja nur für einiger Stunden Frieden. Ob ich den Freund, den Vater nicht verrathen, es bebt mein Herz so zweifelnd, ich habe ihr Vertraun verrathen. O Gott, ich bin ein Sünder! Denn ists auch nur für wenig Stunden der Betrug, wie kann ich ahnden, was diese wen’gen Stunden für die Ewigkeit vollbringen. Mir wird so eng in diesem weiten Zimmer. Luft! Luft! (Er tritt ans Fenster.) Wer jagt so rasend diesen Weg hinunter, ein Geistlicher, der mit dem einen Arm sich an den Sattel hält. Wer grüsset! O Gott, ich kenne sie, es ist die Schwester, jetzt öffnet sich das schwarze Kleid im Wind. Vergebens wink ich ihr, sie blicket vorwärts in die Welt, der Staub bedeckt die Schritte hinter ihr, vielleicht wird sich mein Staub dem Staube mischen, ich bin die Ursach dieser unberathnen That, ich hab sie nicht erdacht, 53
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doch trag ich ihre Schuld. – Die Vögel singen draussen, der Himmel glänzt so friedlich blau, die grünen Bäume reichen bis ans Fenster, und wissen nicht, ob einer Lanze Schaft, ob eines Festes Schmuck sie werfen, ob eines Sarges Dielen, ob ein Heiliger daraus geschnitten werde. O heilge Mutter Gottes, wenn mein Gebet dir je gefallen wenn ich mich je in deinen Willen ganz ergeben, beschütz die Fliehende und hülle sie in deinen Gnadenmantel. Schon läuft das Volk ihr nach, laut schreiend in den Straßen. Es sprengen Reiter durch das Thor, gewiß sie ist verloren. O laß mich los, du scharfe Krallenhand des Lebens.
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XI. G ü n t h e r (tritt hastig ein, bald darauf Heinrich). Wohin ist sie entflohn? Sags Heinrich, du mußt es wissen, in deinem Kleide floh die Schwester. Sprich Heinrich, sag mirs geschwind, dein Vater naht im Zorn, wie konntest du den Freund verrathen? H e i n r i c h s S o h n . Ich bitte dich, dem Scheine opfre nicht des Freundes redlich Bild, der dir so frei ins Antlitz wagt zu schauen. Ich hab gefehlt, doch weiß ich nichts von dieser Flucht, ich weiß nur, daß sie heute ihre Hand nicht geben und daß sie sich dem Zorn des Vaters in dem Kleid verstecken wollt. G ü n t h e r . Ich glaub dir alles, ich eil ihr nach und meine Liebe soll die Wünschelruthe seyn, die mir den edlen Gang wird zeigen. H e i n r i c h (tritt mit heftiger Bewegung auf). Er hat gestanden, wohin sie flieht? G ü n t h e r . Er weiß es nicht. (ab.) H e i n r i c h . Du weißt es nicht, du schnöder Kuppler, unnatürlicher Verräther meines Bluts, du weißt es nicht? Du bist des Todes, wenn du nicht gleich bekennst. (Er zieht den Degen). H e i n r i c h s S o h n . Ich schwör es dir bei Christi heilgen Wunden, ich kenne nicht den Weg der Flüchtigen, weiß nichts von ihrer Flucht. H e i n r i c h . Wer gab den Mantel meiner Tochter, in welchem sie entkommen, wer lieh ihr das Baret? 54
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Erste Handlung. X/XI/XII
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H e i n r i c h s S o h n . Ich gab es ihr! – H e i n r i c h . Zur Maskenlust? He Bube, sieh, du zitterst überwiesen, in meinem Busen, welche Schlange, in meinem Herzen, welche falsche Affenliebe. Ich reis dich aus mit allen Wurzeln. Hör, an den ich strafend je die Hand gelegt, ich werde mich ihm nie versöhnen. (Er haut nach ihm mit dem Degen.)
H e i n r i c h s S o h n . Verzeih mir Vater, und schon der armen Schwester, o könnt ich ihre Schuld abbüßen. (Kanzler kommt.) 10
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H e i n r i c h . Verruchter Heuchler, verflucht in Zeit und Ewigkeit, stirb gleich, ich wollte, daß du niemals wärst gebo ren, und stell dich todt, so fühl ich mich befriedigter. – He Günther, ich muß der tollen Dirne nach. Er ist schon fort. He, Homburg, so kommt doch schneller, den Sohn, der nicht mein Sohn, den ich enterbe, ihn bringet in das schlechteste Gefängniß, ich sage euch, er ist gewiß der Führer jener Sternen-Ritter, die mir im Antritt meiner Herrschaft heut Gesetze vorzuschreiben wagten. Ihr Stern muß sinken, sperrt sie zusammen mit dem Knaben, damit sie fühlen, daß ich mein eignes Blut nicht schone, wie ich mein Leben oft daran gesetzt, wo es des Landes Macht und Ehre hat gegolten. (ab.)
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K a n z l e r . Mein theurer Graf, mein frommer Heinrich, was ist geschehen, o sprecht um Gottes Willen, aus eurem Haupte strömt das rothe Blut, als führt es euer Leben mit sich fort. H e i n r i c h s S o h n . Ehrwürdger Alter, ihr seht und habt mir rasch entdeckt, warum mich alle Kraft verläst, ich hatte es im mächtgen Schrecken nicht gefühlt, und ahndete noch nicht den Tod, und sorgte noch für mich. Mein armer Vater, wollt ihr es ihm verschweigen, so will ich alles beichten, als wäret ihr ein segensreicher Priester, das Allertraurigste ist dies Geheimniß mir, ich geb es euch in ernster Beichte hin und nehme es von euch versiegelt mit Verschwiegenheit zurück ins Grab. K a n z l e r . Erleichtert euch von eurer Seele Last, vom Vorwurf, der die Ruhe jenseits rauben kann. 55
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H e i n r i c h s S o h n . Verschweigt es meinem Vater, daß ich geblutet habe, ich sage euch, für jedes Wort, das ihr leichtsinnig davon sprecht, kann ich dereinst vorn Richterstuhl des Herrn euch fordern. K a n z l e r . Was deutet dieses Blut, wer hat die tiefe Wunde euch geschlagen – ich schwöre euch, daß ich will schweigen und euch rächen, wie ich als Wissender des Freigerichts vermag. H e i n r i c h s S o h n . Ich denke nicht der Rache, ich hab die Schuld, ich war leichtsinnig, ich gab mein Kleid der tiefbetrübten Schwester, daß sie dem heutgen Tage sich verberge, bis jener letzte Willen unseres Großvaters die Ordnung unsers Hauses hergestellt. Es war ein böser Rath. Sie floh in dieser Hülle, mein Vater in des Zornes Blindheit zog den Degen, und wollte mich nur züchtigen. Des Vaters Liebe zeigt sich in der Strenge, des Kindes Liebe in geduldigem Ertragen. Es war des Degens innre böse Art, die ihn so mörderisch zu mir gewendet, doch seht, mein Vater möcht es sich zum Vorwurf machen, und seines Alters Heiterkeit damit betrüben, daß ihm ein solches Unglück ist geschehn, als wäre er zu grimmer That verflucht. Verschweigt ihm, ach – gebt mir die Hand, verschweigt ihm seines Unglücks Kunde und saget ihm, daß ich an heftgen innern Übeln lang gelitten und daß die Überraschung, die Neuheit dieses Tages, der mich der Einsamkeit und dem Gebet entreisset, und nicht sein Zorn mich hat getödtet. K a n z l e r . Giebt Gott mir Kraft, dies schreckliche Geheimniß in verzweiflungsvollem Herzen zu bewahren, mit meinem Willen eilt es nimmermehr in diese Welt, doch muß ich es dem heimlichen Gericht vertrauen. H e i n r i c h s S o h n . Ich danke euch. Ich werde schwach und habe eine Bitte noch auf meinem Herzen. Ich sterbe ohne heilge Sakramente, da werd ich irrend zwischen Höll und Himmel stehen. K a n z l e r . Ich ruf den Schloßcaplan, mein frommer Heinrich. H e i n r i c h s S o h n . Zu spät, zu spät, verlaßt mich nicht, wenn ich dies treue Auge noch vermißte, mir fehlte aller Glaube, alle Liebe. Ich sehs an eurem Aug, es spiegelt sich der Himmel drin und es gilt viel im Himmel. Nach Cölln zu der heiligen Könige Grab, hab ich noch eine Wallfahrt angelobt, da wallet hin, mein gütger Freund und betet da für mich und für den Vater, und leget diesen kleinen Schatz, den ich erspart, zu Seelenmessen auf den Hochaltar! Ich seh 56
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Erste Handlung. XII/XIII
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das Allerheiligste in meines Herzens Tiefen, die Welt ist eng und dunkel. Lebt wohl! Es wird mir besser, tragt mich an das Fenster, daß ich mit meinen jungen Augen noch einmal dieses frische Grün beschaue, aus diesen Bäumen zimmert meinen Sarg, aus diesen Blumen windet mir den Kranz, doch nein, die Vögel singen schön darauf, laßt mich allein nur sterben, begrabt mich unter ihrem Schatten, wo alles Grün erstirbt, da stört mich nichts. Gott schütze Vater, Schwester, Bruder und euch – mir wird noch einmal wohl. Jesus Maria! (stirbt). K a n z l e r . Noch weile, theures Kind, die Heilkunst hat schon manchen Leidenden aus zweifelhaft geöffneter Todespforte zurückgerufen! – Es ist zu spät. – Was bleibt mir nun von deiner Liebe, frommer Knabe, als der Verstellung harte Qual und deiner Leiche täuschend schwere Last, ich glaube mich bei dir und du bist fern. Ich darf wohl um dich trauern, doch darf ichs nicht dem harten Vater in die Seele rufen, was seine Wildheit hat gethan. Du aber schenktest mir auch Trost, wie seinen Thau der heiße Tag uns schenkt, dein Wille sendet mich aus dieser Mauern vielverschlungnem Greuel zum segensreichen Grab, zur heilgen Stadt am Rhein. O kehrt ich niemals wieder und fände dort auch meine Ruhestädte. – Ja Knabe, für dieses Wort sey dir dein Wille ganz erfüllt, ich will die Wunden und das Blut verbergen, der Vater klage nur sein Mißgeschick, und wisse nie die Schuld der bösen Stunde. Ich will den Frevel bei Gefahr des eignen Lebens, dem Gericht verschweigen. (Er verhüllt die Leiche.)
XIII. O t t n i t , A l b e r t , F r a n z , treten gewaffnet ein.
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K a n z l e r . Was wollt ihr, sprecht, nicht stört des Unglücks Trauer mit Verrath, sonst faßt es euch mit seinen Zauberkreisen. F r a n z . Herr Kanzler träumt ihr, oder seyd ihr auch von jenen Ehrenmännern, die sich die Sternenritter nennen, und ihre freche Stirn entgegen unsrem Haus erheben; doch seyd versichert, daß ihr so gut verloren seyd, wie sie, ich hab die Bauern aus des Schwiegervaters Dorf versammelt. A l b e r t . Ich hab die Bürger durch die Mutter zu der Wehr gerufen. 57
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O t t n i t . Ich bring nur mich, doch die Verzweifelung, die in mir tobt, daß Jutta mir verloren, daß sie entflohn, ich such den Tod und werd ihn vielen bringen, die heute meinem Schwerdt begegnen. K a n z l e r . Verzeiht mir, gute Kinder, wenn ich im Unrecht euch vermuthet habe, ich segne euch für euren Edelmuth, durch euch wird dieses Fürstenhaus bestehen, das alles Unglück heut bestürmt. F r a n z . Was Edelmuth, ein jeder Vogel schützt sein Nest und baut darin, was sprecht ihr Herr, von Unglück. K a n z l e r . Verstorben ist der fromme Heinrich, der Vater irrte fort, die Tochter aufzusuchen, und achtet nicht der frechen Schaar, die gegen ihn empört. O hört, schon fechten sie im Hofe! (Er enthüllt die Leiche). A l b e r t . Ach hätte je der Vater das geahndet. O t t n i t . Zum Kampf, ihr Brüder, zeiget euer echtes Blut, in allen Wunden, die wir des Hauses Feinden schlagen. F r a n z . Ich fühl so rechte Lust, den stolzen Kerln, die seit dem Morgen über uns die Nasen rümpfen, alle Knochen zu zerschroten. Ich denk die Sternenritter sollen Sterne sehn am hellen Mittag. A l b e r t . Ich folge dir, du wirst die Bahn mir brechen. O t t n i t . Frisch zu: jetzt ist die Zeit zum Ausfall, sie sind im schmalen Gang gedrängt, wo wenge nur zum Fechten Raum gewinnen.
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(Die Kirchenglocke schallt.)
A l b e r t . Still Brüder, nehmt die Helme von dem Haupt, daß sie dem Himmel, der jetzt geöffnet aller Christenheit, nicht unsre Stirn verschließen, kniet nieder. Wer uns so erschlägt, der reisst uns in den Himmel. (Sie knieen nieder und beten.) H e i n r i c h s S o h n (richtet sich auf und spricht). Gott segnet euch, Gott schützet euch, Und nimmt mich in sein Gnadenreich. Ave Maria.
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(Er sinkt nieder, die Glocke hört auf zu schlagen.)
O t t n i t . Ave Maria, sehet ihn nicht an, seine Worte sind alle gesprochen, seine Wege sind alle gethan, in uns lebet sein Wort, zeigt uns durch eiserne Gassen den Weg, wo es klirrt und blizt, und eiserner Speere Hagel fällt. Brüder, ich habe sein Wort vernommen. (Der Saal füllt sich mit bewaffneten Rittern, sie stürzen auf sie.) 58
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Erste Handlung. XIII/Zweite Handlung. I
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O t t n i t . Wird das Lamm zum Löwen, wird der Löwe zum Lamm, halt dich, Albert, dir helf ich los vom Löwen, der dich drängt. Mein Franz, sieh zu, wohin du schlägst, auf daß du triffst! E i n S t e r n e n r i t t e r . Verlaßt ihr mich, ihr Brüder, Brüder. Helft! Der mit der Auerhahnfeder setzt mir zu. E i n A n d r e r . Rette sich, wer kann. O t t n i t . So freche Stirn, so schwacher Arm, so bebendes Herz in Übermuth. Pfui! schämt euch. Ein treuer Glaube schlägt die falsche Welt.
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(Er und die Seinen treiben die Ritter zurück).
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Rheinufer bei Cleve. Nacht. Der Sturm wirft einen Nachen, worin Otto der Schütz aus allen Kräften rudert und Jutta, als Geistlicher gekleidet, zum Himmel betet, an das Ufer. Jutta springt heraus und kniet am Ufer nieder, Otto ziehet den Kahn weiter aufs Ufer.
J u t t a . O Gott, du hast mein Beten in dem Sturm gehört, du hörst den Dank in meiner Worte Beben, dein Arm hat uns aus zweifelhaftem Wellenspiel an’s sichre Land gehoben. O t t o . Gelobt sey dieses Ruder, es war Gottes Arm, dann lob’ ich meine beiden Arme, die es geschwungen, sie sind ein Stück von jenem Gott und fühlen sich recht müde. J u t t a . Wie kannst du jetzt so gottlos sprechen, und sangst doch in Gefahr ein geistlich Lied. O t t o . Wenn das ein geistlich Lied, so bin ich selbst ein Heiliger, der Sturmwind hats mir in das Ohr gepfiffen, hör zu mein Sprüchelchen, denn mehr wars nicht: Starkes Herz, das athmet frei, Bläst den Sturm danieder, Bricht, mit jubelndem Geschrei, Seine kalten Glieder, 59
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Darum Athem, athme frei, In Gefahren Läßt sich nichts bewahren, In Gefahren Wird das Leben frei, neu, treu. J u t t a . Dein Frevelsinn, ich habs dir schon gesagt, wird dich zum Unglück führen, dein starker Arm ist jetzt dein Gott, wer weiß, ob er dir nicht zum Teufel wird. Dich friert noch nicht, ich zittre in den nassen Kleidern. O t t o . Nun sieh, wie milde meine Götter sind, du hast sie so verachtet, und sieh, da schlagen sie dir Feuer an und brechen unsern andern Gott das Ruder als freies Opfer hier in Stücken, und der vierte Gott, mein Athem, bläst das Feuer an. J u t t a . Das Ruder hätt ich nicht zerbrechen können, das uns so treu gedient, doch lern ich deine Reden besser jezt ertragen, ich weiß, daß du es besser meinst, als du magst scheinen. Wie treu hast du dein Leben heut gewagt, ob wir uns gleich zuvor gestritten und du zum Kampfe mich gefordert hattest. Schon faßte mich das kalte Flußweib mit den Armen und sah mich starr mit ihren grünen Augen an. O t t o . Du faselst doch gerade so wie meine Schwester, als sie noch klein, denn überall sah sie lebendge Wesen, hörte sie in Quellen, die unter grünen Ranken rieselten und in der Bäume Wipfeln, wer weiß, wo sonst! Nun das ist lange her, jetzt wird sie wohl verständger seyn. J u t t a . Wie alt ist sie, hast du sie lange nicht gesehn? O t t o . Zum Teufel, hab ich dir zweitausendmal umsonst gesagt, daß ich an niemand will verrathen, wer ich bin und wo die Meinen wohnen und wie sie heißen kam unser Streit nicht eben daher, weil du durchaus von mir die Abkunft wissen wolltest, eh du dich meiner Führung auf den Wellen anvertrautest. Ist das dein Dank? J u t t a . Nein, wahrlich, liebevollen Dank möcht ich dir sagen, doch fehlet dir die Großmuth, meinen Dank zu hören, des Dankes Last von mir hinwegzunehmen, du hast.... O t t o . O schweig, ich fahre aus der Haut, wie mußte mir das unglückselge Wort vom Dank entschlüpfen. 60
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J u t t a . Nein, Freund, ich darf nicht meinen Dank verschweigen, wie du mich aus der Fluth, zurück in deinen Nachen hobst, daß du darüber selber fast versunken... O t t o . Kein Wort davon! Wenn es mir viel gekostet hätte, was ich gethan, ich nähm den Dank, doch was ich so kaum selbstbewußt gethan, wie man sich stolpernd, oder auf dem Eise gleitend, aufhilft, man weiß nicht wie, das danke meinetwegen Gott, mich laß in Ruh, es ist mir halberzählt, schon ganz verhaßt, mir wird mein elend thatlos Leben drin bewust. Wenn eine That so vieles kann erschaffen, warum soll ich in müssigem Gebet mein künftig Leben still verträumen! – Das quält mein Herz und läßt ihm wenig Ruhe, das hat den heitern Sinn in mir, der sonst nur freundlich aus den Augen lachte, in Galle fast erstickt, das macht mich oft so händelsüchtig und auffahrend, was vor des Vaters kränkendem Entschluß, der mich zum Geistlichen blitzschnell bestimmte, wohl nimmer meine Art gewesen. Verzeih mir das, du sanftes weiches Lamm. J u t t a . Wie gut du bist oft mitten in der Härte, es rührt mich um so tiefer! Nur um dein Herz in Zutraun zu erleichtern, fragt ich gestern nach der Herkunft, wohin du gingest, was dich so zornig machte, als wäre ich ein Spürhund deines Vaters. O t t o . Ich glaub dir alles, ja, ich hatte Unrecht, will dir, so weit ich kann, vertrauen. Verschwiegnes Leid hat eigne freie Unterhaltung, doch ausgesprochen schämet sich ein tapfres Herz des übermächtigen Gedanken, der es niederzwingt und über Zung und Lippen spurlos, wie ein Hauch zur Welt gedrungen, die sich darüber nicht verwundern kann. J u t t a . Ich will dein Leid in ganzer Seele fassen und will darum so oft zum Himmel beten, als du darum zur Hölle fluchst. O t t o . Nun hör und sprich nachher kein Wort und thu, als wenn du’s nimmermehr vernommen. Ich war geübt mit Schwerdt und Lanze, ich war der beste Schütz, der beste Ringer, ein alter Ritter zog mich auf zum Krieg und Ritterleben. Da kommt mein Vater, sagt, ich soll zur Schule hin nach Cölln, ich solle geistlich werden. In Demuth geb ich ihm mein Wort darauf, doch kaum bin ich aus seiner Näh, so bricht im Herzen die Verzweiflung aus, wie unser Feuer auch den Kahn ergreift, indem wir noch von andern Dingen reden, und nimmt uns jede Möglichkeit zur Abfahrt von dem Ufer. 61
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J u t t a . Ich will es löschen! O t t o . Es ist zu spät, das Feuer nährt sich lustig von dem Theer, womit das Schiff bestrichen, es ist schon durchgebrandt, jetzt mags zum Teufel auch das ganze Schiff verzehren. So gings auch mir in der Verzweifelung. Als ich des Rheines Ufer erst erblickt, die Burgen hochbewahrt, die ich so gerne stürmen möchte, um mir ein Reich zu gründen; vergessen war mir das gegebne Wort. Das Wildpret, das geschont durch alle Wälder rauscht, verführte mich zuerst; die Armbrust, die zu Ehrenschießen mir der Vater gab, den harten Abschied mir zu lindern, ward rasch gespannt, ich weiß es selbst nicht wie, – es kam ein Reh, da lag es hingestreckt, – es kam ein Jäger, ders mir wehren wollte, ich schlug ihn nieder! – So gings aus einer Rauferei zur andern, so lauf ich schon zwei Monat an dem Rhein herum und komme doch dem heilgen Cölln nicht näher! Die Hirsche sind die Heilgen, die ich suche, ich lebe vom Verkauf des Wildes – die Jäger fürchten mich und thun, als ob ich unsichtbar. Nun sag kein Wort – ich weiß schon alles – du willst mich warnen, wohin das führen kann, – nicht wahr, zum Galgen, oder gar auf einen Hirsch geschmiedet, in den Wald gejagt zu werden, daß mich die Äste da zerschmettern und zerreissen. – Kein Wort! (Er geht heftig umher). J u t t a . Was kann ich sagen, denn ich kann nicht helfen, ich hör den Boden unter deinem Tritte beben, ich selbst bin zum Versinken müde. – Gottlob, es naht der Sonne Trost, die Wolken brechen, die Ufer glänzen hell vom Regen. O Wunder, sieh hieher, uns nahe steht der Baum, wo du zum Kampfe gestern Abend mich gefordert, dort sank der Blitzstrahl auf des Baumes Krone, und du flohst mit mir. Sieh hier den Einschnitt in den Sand, da stand dein Nachen gestern, nur wenge Schritte rechts hat uns der Sturm der Nacht ans selbge Ufer nach so langer Müh zurückgeworfen, und sieh, der Baum hat gegen Regen uns geschützt, der uns entzweite. O t t o . Nun lies in Gottes Namen, was ich gestern dir verbarg, den Namen Otto, meinen eignen Namen, den ich mit tausend andern trage und als Geheimniß mir bewahren wollte. Ich war ein Hitzkopf. J u t t a . Du hast auch eine Krone drüber eingeschnitten. O t t o . Was gehts dich an, das ist ein Vorwitz der Unbärtigkeit, da kommt die Altersweisheit und der Leichtsinn aus demselben Munde. 62
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Zweite Handlung. I
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J u t t a . Verzeih es nur, es liegt mir gar nichts dran, ich wünsch dir eine Krone recht von Herzen, zum Dienen bist du gar zu herrisch. O t t o . Hast recht – ich muß dich küssen – ja herrschen möchte ich! Du bist ein wunderbarer Knabe, siehst mir tief ins Herz, ich weiß auf Erden und im Himmel nichts, was ich so lieb’ wie dich, du sanfter Freund. (Er reicht ihr die Hand.) J u t t a (singt) Ist es Rauch vom Prasselfeuer, Das den grünen Zweig entflammet, Ist es Rührung dieser Feier, Die aus Hand in Hand entstammet, Ists der Morgen, der da grauet, Was in meinen Augen thauet? Nein, es tröpfelt von dem Stamme Aus der Rinde, die zerrissen Von des Blitzes wilder Flamme, Und dafür muß ich ihn küssen! Treuer Baum, der uns geschützet, Als es über uns geblitzet. Ja ich hör ein Blätter-Flüstern, Das von Zornes Worten rauschet, Die wir in des Abends Düstern Beide zankend ausgetauschet, Hör die Bäume drüber sprechen, Nun wir friedlich Blumen brechen. Ists besprochen, ists vergessen, Und schon breiten sie den Schatten Wo wir nun in Lieb’ gesessen, Vor der Sonne heiß Ermatten; Nicht zu viel der heissen Liebe, Nun wir sind des Zornes müde! O t t o . So recht, du kennst mich ganz, es ärgert mich der Widerspruch, noch mehr die langen Freundschaftsküsse, wir müssen etwas thun uns zu zerstreuen! Ich folge deinem Beispiel, pflücke Blumen. Elende Arbeit! 63
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II. Wa l p u r g i s , ein kleines Mädchen tritt aus dem Gesträuch hervor.
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Wa l p u r g i s . Was soll das heissen, er ist ein schlechter Mensch, ein Bösewicht, ein Taugenichts. O t t o . Ei Kind, bist du bei Sinnen. Wa l p u r g i s . Er Dummkopf, reißt die Blumen mit den Wurzeln aus. O t t o . Ich habe an den Wurzeln so viel Spas, wie du an deinen Blumen. Wa l p u r g i s . Ein dummer Spas, woran soll morgen denn die Blume wachsen zu dem zweiten Schießtag. O t t o . Schießtag? Was, wo ist ein Schießen? Wa l p u r g i s . Hab er doch arme Leute nicht zum Narren, er weiß vom Schießen nichts und kommt so eilig schon am Morgen mit der Armbrust. O t t o . Mein Kind, erzähl es mir, ich will dir alle Blumen geben zu der Krone, die du windest; wo ist ein Schiessen und welches ist der Preis? Mich hat der Sturm hieher getrieben. Wa l p u r g i s . Ich weiß es schon, er hat mich nur zum Narren, doch will ich es ihm sagen. Dem Aelius Grazilis zu Ehren feiern wir das Schießen. O t t o . Wo lebt denn der, ist das ein wackrer Ritter? Wa l p u r g i s . Nun merke ich, daß er ganz dumm im Kopfe. Vor vielen Jahren kam der hier als Knab in einem goldnen Nachen, von Schwänen hergezogen, es war ein großes Schießen um dies Land und wer den besten Schuß gethan, der sollte dieses Landes einzige Erbin, Beatrix, zu der Ehe haben, mit ihr das Land. Da kam der Knab mit einem leichten Bogen, und ward erst ausgelacht und that sogleich den besten Schuß, so ward das Land ihm eigen und auch die schöne Frau. Doch als sie eines Kindes sollt genesen, da floh er fort, er konnt das Schrein nicht hören. J u t t a . Kam er nicht wieder? Wa l p u r g i s . Nein Herr, sie baute diesen Thurm, er heißt davon der Schwanenthurm, und wartete mit ihrem Knaben auf dem Thurm, und sah beständig in die Weite, ob er käme, und stellte jährlich großes Schießen an, um ihn zu locken, er kam nicht wieder der 64
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Zweite Handlung. II/III
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schlechte Mensch. Uns ist es doch recht lieb, denn so sind ihm zum Angedenken diese Schießen jährlich noch geblieben, wir freuen uns darauf das ganze Jahr. Ich löse manches gute Geld für Kränze, denn wer nichts schießt, will seinem Liebchen doch was Schönes bringen. O t t o . Nun sag mir Kind, was giebt es denn zum höchsten Preise, lundisch rothes Tuch, eine Denkmünze? Wa l p u r g i s . Nein Herr, die gnädige Tochter unsres Fürsten, müste eigentlich zum Kuß den besten Schützen lassen, das ist Gebrauch und hat sonst wohl bestanden. Doch weil der Vater selbst der beste Schütz, so hat bis jetzt kein andrer diesen Preis gewonnen. Dem, der nach ihm den besten Schuß gethan, schenkt er alljährlich einen schönen goldnen Kranz. O t t o . Mir wär ein Kuß von seiner Tochter lieber! Wa l p u r g i s . Er hat noch nicht den Preis. O t t o . Wo ist das Schiessen? Wa l p u r g i s . Ist er denn taub, da schmettern die Trompeten von dem Schwanenthurm, es fängt schon an. O t t o . Leb wohl, mein frommer Hiazinth, ruh dich hier aus; ich will in aller Eil den Preis erschießen, dann kehr ich wieder, hol dich ab zum Schmause. J u t t a . Ich wünsch dir Glück und sichre Hand. (Otto ab.)
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Wa l p u r g i s . Der Narr wird recht mit Schimpf bestehn, es sind die besten Schützen dort beisammen, und wenn er nicht gewinnt, da wird er sicher wild, erschiest sich, oder einen andern. So hübsch er ist, ich möcht ihn nicht zum Mann, es brennen ihm die Augen wie Laternen, er geht so heftig, es scheint ein rechter Mörder. J u t t a . Ei Kind, sprich nicht von Unbekannten schlecht; wie kannst du schon so tückisch seyn? Wa l p u r g i s . Ich sage, was ich denke, das nennen hier die Leute, ich sagte wahr. J u t t a . So sag mir auch, was du von mir gedacht. 65
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Wa l p u r g i s . Aus dir werd ich nicht klug. Ich glaub, du thätest besser, Weiberkleider anzuziehn, dein Haar zu flechten, du gleichest keinem Helden, gieb dich in Gottes Schutz und Gnade und eh du schlafen gehst, denk stets, du könntest sterben. J u t t a . Die Lehre habe ich im Kloster schon empfangen, und übe sie an jedem Abend im Gebet, doch machst du mich besorgt, ich möchte mich in mächtgen Schutz begeben.
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IV. Elisabeth von Cleve kommt mit ihrem Fräulein von Fels, die im Hintergrunde bei einem blühenden Gebüsche stehen bleibt und Blätter abreist.
E l i s a b e t h . O schöne alte Zeit, als noch die Wunderding geschehen, die jetzt gefeiert werden, als schöne Knaben auf den weissen Schwänen angeritten kamen, uns arme Fräulein gegen Grobheit trunkner Ritter zu beschützen. Wie könnt ich mir den Älius denken, daß er mir wohl gefiele, daß er den besten Schuß auch in mein Herz gethan? Ein Knabe dürfte es nicht seyn, auch nicht zu alt, es ist recht sonderbar, ich kann ihn mir nicht denken, ich kenne keinen Mann, den ich von Herzen küssen möchte! Es ist ein gar verwirrt Geschlecht und roh; vom Fechten, Reiten, Spielen, Trinken, Jagen, wissen sie allein zu sprechen, und thun mit ihrer Einfalt groß, als wär ein Mädchen kaum recht werth sie anzuhören und lächeln, wenn sich eine naht, und necken sie mit Lügen. Im nächsten Jahr will ich ein Nönnchen werden, der Schleier steht mir gut. Wa l p u r g i s (tritt mit einem Blumenkranz heran). Ach gnädge Hoheit, verschiebt so guten Vorsatz nicht, ich möchte auch ein Nönnchen werden, (ich bin zu jung,) ach seht den Kranz, er stände euch recht schön, wenn ihr euch morgen weihen liesset, in St. Egidien ist morgen große Weihe. E l i s a b e t h . Du sprichst so sonderbar, ans Herz? Was soll der Kranz mir kosten? Wa l p u r g i s . Er kostet nichts, wollt ihr mit mir zum Kloster gehn? E l i s a b e t h . Wie wunderlich, ich denk der Braut in diesem Augenblick, die vor dem Tage ihrer Hochzeit betete, der Himmel sey ihr lieber als dies Erdenglück. Da kam ein Kind, und führte sie nach einem schönen Garten, sich einen Hochzeitkranz zu brechen. In 66
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seliger Entzückung stand sie in dem Garten, wo jede Blume hell aus Edelsteinen war verbunden und goldne Vögel unermüdlich sangen. Wa l p u r g i s . Ich kenne die Geschichte auch. Sie suchte da die besten Blumen aus, ein Stündchen, meinte sie, vergangen, da geht sie heim und sieht ihr Schloß ganz fest verschlossen, kein Hochzeitjubel in den Zimmern. J u t t a (tritt heran). Da wird die Jungfrau böse, klopfet heftig an das Thor, es kommt die Pförtnerin heraus und kennt sie nicht, da wird sie zornig, schlägt nach ihr. Es schreit die Pförtnerin, da kommen wohl ein hundert Nonnen, die wollen sie bestrafen, da zürnt noch heftiger die Braut, nennt ihren Namen und nun erräth die klügere Äbtissin, dies sey die Braut, die einst vor hundert Jahren an dem Hochzeittag verschwunden, die letzte Erbin dieses Hauses, aus deren Gut das Kloster war gestiftet. Sie thun ihr alle Ehre an, sie muß von jenem Garten viel erzählen, die schönen Blumen zeigen, doch ist sie selbst vor allen schön. Gewiß, sie war im Himmelreich, doch weil sie jetzt nach ihrem Bräutigam verlangte und hört, daß er um ihr Verschwinden sey aus Gram gestorben, da übergiebt sie sich verzweiflungsvoll dem Teufel und sucht in Wein den Gram zu senken. Doch wie sie kaum den ersten Trunk versucht, da runzelt ihre Haut, da bleicht ihr Haar, sie siehts im Spiegel ihres Weins und wird noch viel erzürnter und fluchet, will keinen Trost der Seele hören und zerfällt gleich in ein Häufchen Asche. Weh, weh, was seufzt die arme Seele noch im Kloster jede Nacht, und flehet alle an, sie möchten für sie beten, denn nimmer litt wohl eine Seele so wie sie, die schon auf hundert Jahre in dem Himmel aufgenommen; wer hoch steht, kann so tiefer fallen, und wer kein Heilger ist, der suche nicht den Himmel schon auf Erden. Wa l p u r g i s . So hab ichs nimmermehr gehört, das ist erlogen, ich sage, hüt dich, schönes Vögelein, du singst zu früh. (ab.) E l i s a b e t h . Ehrwürdger Herr, ich gebe eurer Lehre recht, darum verzeihe ich, daß ihr so ungefragt euch ins Gespräch gemischt, ich kenn euch nicht, wer seid ihr? J u t t a . Der Augenblick ist Gottes Gabe, ihr seyd allein, ich kann mich euch entdecken. E l i s a b e t h . Fast zittre ich, ich bin allein, ich muß um Hülfe... 67
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J u t t a . Kein Wort, hört an, ich bin nicht, wer ich scheine. E l i s a b e t h . Ach Gott. J u t t a . O hört, ich bin kein Feind, ich bin ein armes Mädchen, eine Fürstentochter, euch nah verwandt, Jutta von Thüringen, entflohen ihrem Vater. Ich fleh dich an, nimm mich zu dir, ich lüge nicht, nimm mich in Schutz, sieh hier am Hals die kleine Kette, die du mir einst als Kind verehrt, als du nach Marburg kamst mit deinem Vater. E l i s a b e t h . Geliebte Jutta, dein Angesicht ist mir die beste Bürge. J u t t a . Verrath mich nicht, dein Fräulein naht, ich heisse Hiazinth und bin vom Kloster hin nach Cölln gesendet zu beten für die Seele des verstorbenen Landgrafen. E l i s a b e t h . Sey ruhig, meine Jutta, ich muß dich Schwester nennen, so sey von mir wie meines Lebens Herzens Blut begrüßt, bewahrt, dem Fräulein kannst du dich vertraun, sie ist mir treu ergeben und so lustig, daß sie uns erheitern kann in deiner Angst. Sieh nur, sie wundert sich, daß ich dich küsse, sey ruhig jetzt, ich nenn dich Älius Grazilis. F r ä u l e i n (leise zu Elisabeth). Ich bitte dich, Elisabeth, wie ist es möglich, einen Geistlichen zu küssen, da küß doch lieber heut den besten Schützen. E l i s a b e t h . Sieh Kind, da bist du wieder unverständig, komm her, du gute Martha, küsse auch den Pater, es ist der Älius Grazilis, den wir so lange hier erwarten, sieh, endlich ist er auch zurückgekommen, und sucht die Fürstin auf, die er vor drei Jahrhunderten vergessen und meint, ich sey sein Weib, das ist so artig von dem Mann, ich muß ihn küssen. Nicht wahr, er ist noch nicht zu alt dazu? F r ä u l e i n . Ei Elisabeth, ich stehe ganz verwundert, wie du dich sonst verstellen konntest. E l i s a b e t h . Du wirst so roth, nun der dich küssen will, doch hältst du still, wer hätte das von dir gedacht. J u t t a (küßt sie). Ein frischer Mund, er küßet sich wie eine Kirsche. E l i s a b e t h . Nun jetzt ist sie auch roth wie eine Kirsche. F r ä u l e i n . Ich weiß nicht, wie mir wird, das kommt vom frühen Aufstehn, er hat mit seinem Barte mir die Backen fast zerkratzt. 68
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E l i s a b e t h . Gieb ihr noch einen Kuß, dein Mund thut Wunder. F r ä u l e i n . Bei Gott, ich leid es nicht, ich bin zu gut, ich werde jezt recht böse. E l i s a b e t h . Nun sey nur ruhig, der gute Herr ist doch kein Mann, sein Bart thut dir nicht weh beim Küssen. Schlag deine Hände nur zusammen, es ist Jutta von Thüringen, die du als kleines Kind in Marburg einst gesehn, doch schweig da von und wundre dich ein andermal, wir müssen jetzt bereden, wie wir sie in des Vaters Haus einführen. F r ä u l e i n . Die liebe Jutta, ja ich merkte doch sogleich, es sey kein rechter Mann. Wie hübsche glatte Wangen, aber wilde Augen, gar ein heftig Kindchen warst du früh! Ich soll nun rathen? Wie leicht! Ich hab schon lange meinen Bruder hier erwartet, der Geistlicher in Corvey ist, ich sag, er ists und schick den rechten fort, wenn er dazwischen käme, so kann der heilge Mann in unsrer Nähe wohnen. E l i s a b e t h . Das war gescheidt, komm Jutta, laß dich jetzt zum letztenmale küssen, von jetzt bin ich die gnädge Fürstin, und nimm zum Zeichen meiner hohen Gnade diesen Blumenkranz. F r ä u l e i n . Welch Schrein, welch Jubeln, was giebts, seyd ordentlich, es kommt der Fürst.
V. Der Fürst von Cleve, an seiner Seite Otto, der einen goldenen Kranz trägt, hinter ihnen die Ehrenmusikanten, die Ritter, Schützen, Volk. Jubel überall. 25
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F ü r s t . Nun still, ihr Kinder, schreit kein Loch in den Himmel hinein, ich will dem Schützen die große Ehre erweisen. Wie heißt ihr Freund? O t t o . Ich heisse Otto, gnädger Herr. F ü r s t . Sieh Tochter diesen Otto, einen ganz gemeinen Schützen, du siehst ihm an der Tracht schon an, daß er nicht vornehm ist, das ist der erste Mensch auf Gottes Erde. E l i s a b e t h . Der erste Mensch! (vor sich) Ihr Heilgen schützet mich, der Einzige ist er auf Gottes Erde, so sah ich nimmer einen Mann, so sah mir keiner tief ins Herz. 69
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F ü r s t . Der erste Mensch auf Gottes Erde, der mit dem ersten Bogenschuß durch alle Ring, es sind der Ringe neun, geschossen hat. Das Höchste, was ich je geschossen, waren acht. Ja diesmal hat er unser Schießen rasch geendet, ja Wunder über Wunder, wir sind so alt geworden, doch solch einen Kernschuß hat noch keiner angesehn. Da kleines Bübchen hast du eine Ohrfeig und weine nicht, es ist nur zum Gedächtniß, damit du nicht vergißt, du habst den Otto selbst gesehn, der durch neun Ringe heut geschossen. Ja was die Ehre nun betrifft, die solltest du ihm anthun, Elsbeth. E l i s a b e t h . Mein Vater, nimmermehr, ich kann es nicht, ich müßte weinen. F r ä u l e i n . Der Vater zürnt, ich bitte dich, gieb nach, so küß ihn doch. F ü r s t . Ich will es haben, ich will, du sollst ihn küssen, du kennst mich, ich bin recht gut, so lang ich gut seyn will; doch Widerspruch vertrag ich nicht, jetzt küß ihn. E l i s a b e t h . So nimm den Kuß und daß du nicht zu stolz magst werden, auch den Backenschlag und lebe wohl.
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(Sie geht heftig ab.)
O t t o . Beim ewgen Gott, ich weiß nicht, was mir besser hat gethan, der Kuß, der Schlag, mein Herz ist mir gelähmt. F ü r s t . Es ist ein wildes Mädchen, ihr müßt den Schlag nicht übel nehmen, es ist so Spas von ihr, er wird auch nicht so arg gewesen seyn. O t t o . Nicht übel nehmen? Gnädger Herr, gäb mir die Fürstin alle Tage einen solchen Backenstreich, ich wollte ihr bis an mein Ende dienen, als treuer Jäger ihr das seltenste Wild einfangen. F ü r s t . Nun seh er, was ich ihm schon sagen wollte, hat er sonst keinen Dienst, bei mir sind alle gute Schützen aus dem deutschen Reich, er aber ist der Beste, ich würd ihn gut bezahlen, wollte er mir dienen. Wieviel begehrt er Sold? O t t o . Mein Fürst, ich bin ein wunderlicher Kauz, wo ich geehrt, da dien ich ohne Lohn. Ich küsse euer Kleid und schwöre euch Gehorsam für einen Monat, für ein Jahr, für alle Jahre, die ich lebe. F ü r s t . He Bursch, du wirst mein Liebling ganz und gar, wenn du so fortfährst; ich sage dir, du hast es gut bei mir, doch alle Tage giebts 70
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nicht Ehre, heut speisest du an Fürstentafel und morgen stehest du dahinter, wir wollen sehn, wie dirs gefallen wird. O t t o . In euren Willen, Herr, ergeb ich mich. F r ä u l e i n (kommt mit Jutta). Seht, gnädger Herr, ich bring euch einen Gast, der mir so viele Freude macht, als euch der beste Schuß, es ist mein Bruder Hiazinth, er kommt von Corvey, geht nach Cölln. F ü r s t . Ein hübscher Mann, doch fast zu jung. Nun seyd willkommen, ehrenwerther Herr, ihr habt euch lang erwarten lassen. J u t t a . Ich hab mein Leben in dem Kloster zugebracht, mir war die Welt so neu, daß ich mich gar nicht satt dran sehen konnte. F ü r s t . Ei Herr, wenn ihr die Welt so anseht, da hütet euch vor Rheinschen Mädchen, die haben Blitz im Auge, Feuer auf den Lippen, ich weiß ein Lied davon zu singen. Nun seyd willkommen, ihr wohnt im Schloß, daß ihr der Schwester euch erfreut, wie einst in eures Vaters Hause, ich hab ihn wohl gekannt, es war ein braver Mann, doch schießen konnt er nicht. J u t t a . So gehts auch mir, ich drückte stets zu früh den Stecher los. F ü r s t . Und habt doch auch heut einen Kranz gewonnen. J u t t a . Der Fürstin gnädiges Geschenk, Wohlwollen, von der Schwester Gunst erborgt. (Der Fürst spricht mit seinen Leuten.) O t t o (vor sich). Ich muß ersticken, schaff ich mir nicht Luft, ihm Blumenkränze, mir den Backenschlag; es ist ein hübscher Knabe. Solch weichlich Bürschchen kann den Frauen wohl gefallen, doch mir gefällt er nicht, ich leid es nicht, ich hasse ihn, wie ich auf Erden nichts gehaßt. Er soll in ihrer Nähe wohnen und ich bei Knechten, hab ich das Leben gestern ihm gerettet, so kann ichs heut ihm nehmen, da geht die Rechnung auf. F ü r s t . Ihr wißt es nun, der Herr schläft neben seiner Schwester, mein neuer Jäger schläft unten neben eurem großen Zimmer, ihr folgt ihm, denn ich setz ihn über alle meine Schützen. Nun werther Herr von Fels kommt mit zum Schloß. O t t o (hält Jutta am Kleide fest und spricht leise zu ihr): Entschuldge dich, du hättest etwas zu bestellen hier. J u t t a (leise). Ihr seyd von Sinnen. O t t o . Kein Wort, jetzt thue, wie ich dir befehle. 71
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J u t t a (zum Fürsten). Ich werde euch ganz eilig folgen, gnädger Fürst, noch hab ich etwas zu bestellen bei dem Manne, der mich hieher begleitete. F ü r s t . Nun gut, doch kommt bald nach, ihr sollt jetzt meine Hunde fressen sehen; ich weiß kein größeres Vergnügen auf der Welt. F r ä u l e i n . Nun Bruder, komm nicht zu spät, das mag der Fürst nicht leiden. (Alle mit dem Fürsten ab.)
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O t t o (faßt Jutta beim Kragen und spricht leise): Kein Schrei, kein Laut, du bist des Todes, wenn du sprichst. J u t t a . Ich bitte dich, dein Aug ist schrecklicher als deine Hand, was drängt dich zu so frecher That. O t t o . Jetzt sind sie weit genug, jetzt kann ich reden. Hier stell dich her, an diesen Baum, und rühr kein Glied, die Armbrust ist gespannt, der Bolzen liegt. Kein Wort! Dein Leben hab ich dir erhalten, ich kanns dir wieder nehmen. J u t t a . O Gott, gieb mir Vertrauen und dem armen Otto den Verstand zurück. O t t o . Ich fordre ihn von dir. Gieb mir den Blumenkranz, ich gebe dir dafür den Kranz von Gold, du bist des Kranzes gar nicht werth aus ihrer Hand, du bist der ärgste Schuft auf Gottes weiter Erde, der Kranz ist mein und hing er an des Mondes Hörnern, statt auf deinem Arm, ich riß ihn mir herab. J u t t a . Warum solch Lermen, solche Angst! Nimm hin den Kranz, ich mag ihn nicht, ich hab ihn nicht begehrt und nicht verdient, und deinen Goldkranz leg dazu, du hast ihn dir gewonnen, ich dürfte ihn nicht tragen. O t t o . Du giebst den Kranz so leicht zurück, da merk ich erst, wer von uns beiden ist verrückt. Um solchen Kranz hätt ich die ganze Ritterschaft zum Kampf geladen, um solchen Kranz wär ich zum heilgen Grab gewallt; um solchen Kranz auf meinem Sarg hätt ich mich selber umgebracht. J u t t a . So sehnt sich alles in die rechte Hand. Mir war der Kranz zu kühl auf meinem Kopfe, und in der Hand war er mir unbequem; um dran zu beten, sind zu viele Blumen. 72
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O t t o . Wie du’s verstehst. Nicht eine ist zu viel, ich möchte doppelt ihn noch heute beten den wunderbaren Kranz, und hab nicht Zeit zu einem Vaterunser. Ich muß dich küssen, Hiazinth, nimm mirs nicht übel und nimm nun auch den reichen Goldkranz von mir an. J u t t a . Nein, nimmermehr, ich habe kein Verlangen nach dem fremden Eigenthum, du hast ihn wohl erworben, es würden meiner alle Jäger spotten, die ihn in meinen Händen sähen. O t t o . Versteck ihn, aber nimm ihn an, die Großmuth bringt mich in die Wuth, nimmst du ihn nicht, so schenk ich ihn dem Rhein. J u t t a . Nein – nein – ich nehm ihn nimmermehr, es soll dein Wille nicht geschehn, du bist zu oft verzogen. O t t o . So nimm ihn, alter Rhein, den Kranz auf deine weißen Lokken. (Er wirft den Kranz in den Fluß.) J u t t a . Du bist von Sinnen, was willst du sagen, wo du ihn gelassen, der Thorheit klagt dich jeder an; mir wird fast angst, in deiner Näh zu weilen. (Sie geht ab.) O t t o . Stürz ich dem Kranz ins Wasser nach? So grimmig faßt mich Reue über alle Unvernunft, ich wollte meinen einzgen Freund ermorden, ich hab des Glückes Gabe so verschwendet. War ich denn je von solcher Wuth beseelt? Ein fremder Geist ist in mich eingedrungen, den ich noch nie gekannt. Woher, aus welcher giftgen Frucht, aus welchem heissen Trunk? Aus ihrem Mund! Es wird mir alles klar, Tollkirschen sind die Lippen für mein heisses Blut; so ärgerlich und glücklich war ich nie. Wenn das die Liebe ist, von der die Sänger reden, ich rühm sie nicht wie sie, es ist ein schrecklich Wesen, und wie der Vampir heimlich alles Blut entsaugt, so überfüllt sie heimlich Herz und Adern mit dem fremden Blute. Nein, nein, ich liebe sicher nicht; fast hab ich eine Lust, die himmlische Elisabeth zu schlagen, was küßt sie mich, was schlägt sie mich, was sieht sie mich so an, ich weiß nicht wie. Ich leid es nicht, ich will ihr dienend allen Ärger machen; das Kleid will ich zertreten, wenn ich in Demuth ihr nachgehen soll, und dann – will ich ihr ein Geweb von Perlen kaufen, worin die Blumen, Diamanten – das hol ich aus dem Himmelreich. O Gott, könnt ich nur in das Himmelreich, wär ich nur fromm, was wollt ich dem geliebten Leibe da für Staat erborgen; doch ach, der Weg zum Himmelreich sind ihre wonnevollen Augen; aus ihr müßt ich die Seligkeit, die Pracht des Him73
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mels stehlen, sie würdig zu bekleiden mit des Himmels Pracht. Hätt ich den Kranz nur noch, ich hätte etwas ihr zu bieten, für ihren Kranz, der mir das Herz erfrischt und kühlt: da trag ich ihn bis in den Tod. F r ä u l e i n (ruft). Herr Otto hört ihr nicht des Mahls Posaunen, der Pauken Wirbel, der Fürst erwartet euch beim Mahl, ihr sollet an der Seite unsrer Fürstentochter sitzen. O t t o . Ich schäme mich, ich armer gottverlassener Mensch bin solcher Ehre nimmer werth, wie soll ich mich gebährden, was soll ich sprechen? F r ä u l e i n . Kommt nur, Herr Otto, ihr seyd ein Schütz, der Fürst spricht gern vom Schießen, da werden sich die Worte finden. O t t o . Mein Kleid ist von der Reise fast verschienen, wird mir Elisabeth nicht zürnen? F r ä u l e i n . Die merkt es nicht, die wird euch nicht ansehn, sie kümmert sich nicht viel um andre als den Vater. O t t o . Ich weiß nicht, was ich wünschen soll, es ist doch grausam von dem Fürsten, heut soll ich neben seiner Tochter sitzen, und morgen hinter ihrem Stuhle stehn. F r ä u l e i n . Wer denkt an Morgen, nicht jeder Tag hat seine Lust’ doch jeder seine Sorgen.
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(Sie gehen fort.)
VII. Ein Platz vor dem Schlosse in einem Blumengarten, die Fenster des Fürsten auf der einen, und die Fenster der Elisabeth auf der andern Seite, sehen darauf hin. Otto kommt mit einem Vogelstellernetze gegangen und setzt sich auf eine Rasenbank.
O t t o . Die Ehre ist so ängstlich mir vergangen, daß ich des Dienens mich recht freue. Ich soll ihr Vögel fangen. Ich sitz gefangen, wie ein Lockungsvogel und seufze mir herab die freien Luftgenossen. Da drüben wär ein bessrer Fang, doch sitz ich fest auf dieser Bank, wo sie nach Tisch sich fröhlich nieder ließ. Um meines Vaters Zorn, um mein gegebnes Wort, das ich so lustig hab gebrochen, darf ich nicht sagen, daß ich ein Fürstensohn, ganz ihres Gleichen bin. Ich Ihres Gleichen? Welcher Frevel! Bin ich ein Mensch, so ist Elisabeth 74
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ein Engel, ist sie ein Mensch, bin ich ein Thier. Die Kluft ist gräßlich zwischen uns, doch bin ich ruhig, nun ich weiß, daß ich sie liebe, wunderselig so mit ganzer Seele dieses Eine wollen, wissen, achten. Ich soll ihr Vögel fangen! Das war mir sonst ein gar verächtliches Geschäft, jetzt seh ich in die Luft, wo einer fliegt, als wären diese kleinen Finken Adler, die in den Lüften hochprophetisch fliegen, den Herrscher durch ihr Niedersinken zu verkünden. Komm nieder, klingender Staub, ich singe dir nach, meine Augen gebieten dir, dich verlangt mein Herz, du sollst meine erste Gabe seyn; nieder, nieder, du röthliche Brust, du zierlich Schnäbelchen, deines Gleichen wohnt hier mit klopfendem Herzen, mit einem Munde, der es auspfeift und auslacht. (Er macht die Stimmen der Vögel pfeifend nach und stellt die Netze aus, es kommt ein Vogel geflogen, er schlägt das Netz zu.) Gefangen, Juchhey.
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Laß los von der Welt, Von dem Himmelszelt, Von dem grünen Wald, Liebchen kommet bald, Nichts wirst du vermissen. Wird dich Liebchen küssen: Sage, singe, seufze ihr, Tag und Nacht wie wehe mir, Ach und wie gut ich ihr!
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Elisabeth kommt aus dem Walde zurück.
E l i s a b e t h . Sie suchen mich und rufen überall, o Trost der Einsamkeit, mit solcher Müh kann ich dich nur gewinnen, in welchen Strom versenk ich meiner Thränen Last, daß mich so niedre Neigung quält vom Schloß zum Wald, und über mir zusammenschlägt wie Waldesdunkel, Waldesrauschen, o Gott, da bin ich ganz allein mit ihm im Paradiese. Er hat doch nichts vernommen! Kaum wage ich ihn anzusehn den frechen übermüthgen Jäger, der mich mit kühnem Wort verhöhnt, der gegen meinen Willen sein Horn in meines Herzens Tiefe bläst, und in dem Dunkel der geschloßnen Augen schläft. 75
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O t t o . Hieher, süßes Fräulein, aber still. E l i s a b e t h . Was wollt ihr? O t t o . Still, still, seht nur, er suchet euch, er pickt nach euch, er scheinet euch zu kennen, er liebt euch, ach, er kann nicht leben ohne euch, es kommen ihm die Thränen in die Augen. E l i s a b e t h . Was sprecht ihr? Wer? O t t o . Still, still, seht nur den Finken, so wunderliche Liebe eines Thiers sah ich noch nie, ist er wohl gar verzaubert der Finke, seht nur, er breitet seine Federn aus, als wollt er mit euch streiten. E l i s a b e t h . Gebt her, ein liebes, liebes Thier, welch zartes Roth an seiner Brust, wie klug die Augen, wie weiß das spitze Schnäbelchen, die Füße wie so glatt, wie weich, wie weich! Den laß ich keinen Augenblick von mir, der ißt mit mir, der schläft auf meinem Finger wie auf grünem Zweig; sitz her, mein Vögelchen und sing? – Ich muß dich küssen. – Ach weh! O t t o . Was ist geschehn. E l i s a b e t h . Da flog er fort, ach Hülfe, Hülfe! O t t o . Ach schenkte mir der Himmel Flügel statt der ewgen Seligkeit, ich tauschte gleich. Das dumme, das erzdumme Thier, den Bolzen will ich ihm nachsetzen, da singt er auf des Schlosses Spitze. Was auf dem Zweig, was in den Lüften schwebt, Hat sich zusammengerottet, Weil mich nicht Amors Flügelpaar erhebt, So bin ich da verspottet.
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E l i s a b e t h . Nein, schiesset nicht, um meinet willen. Ich muß doch weinen, ach, der kommt nicht wieder, und der sagts den andern, daß er gefangen war, seht, sie fliegen all davon und schreien, wie waren sie vor meinem Fenster sonst so lustig. O t t o . Ach wär ich nur ein Vöglein klein und zart! Ich blieb und ließ mich fangen. E l i s a b e t h . Ihr seyd doch gut, daß ihr mich könnt bedauern. O t t o . Und daß ich gegen mich so kein Erbarmen trage, und trage doch so schwere Last. E l i s a b e t h . Was fehlt euch, guter Otto, kann ich euch helfen? 76
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O t t o . So nehmt den Kuß mir ab, womit ihr heute früh mein Herz belastet. E l i s a b e t h . Wie meint ihr das, ihr werdet frei? O t t o . Nehmt mir das Leben von den Lippen, sonst hab ich keinen Wunsch auf Erden, so endet Qual, die mich verwirrt und wie der Vogel möchte ich zu euch, von euch zum Himmel fliegen; was ich nicht sagen kann, das spricht aus allen Wesen rings zu euch, im Gras, das euren Fuß umstrickt, in allen Blüten, die in den Busen fallen und versinken. E l i s a b e t h . Was weile ich, was hält mich noch zurück! Ich zürne eurem Übermuth. O t t o . Ich halte euch, ich zwinge euch, ich laß euch nicht! Von meinen Armen, mit eines Herzens Hammerschlägen angeschmiedet, was könnt ihr thun, ihr seyd bezwungen, ihr seyd schon mein. Wohin ist eure stolze Macht? Mein Zwang ist strenger Dienst, mein Arm gehorcht nur eueren Gedanken, es rufen eure Augen, wir wollen bezwungen seyn. E l i s a b e t h . Weh mir, so wird es alles wahr, so dacht ich, so träumte ich, bezwungen wollt ich seyn, eh ich dir sagte, daß ich erst heute Licht und Himmel sah, und denke doch unendlich weit. Jetzt laß mich los, kein Kuß ist verloren, du weist ja alles, still, still, der Vater erwacht jetzt vom Nachmittagsschlaf, mich rufen aus dem Walde meine Begleiter, sie nahen, laß mich los. O t t o . Ich muß dir gehorchen und ich darf allen trotzen. Bei Gott, ich bin mehr, als du denkst, danken möchte ich dir noch, aber vor allem, daß du mich liebst als armen Jäger, als Landstreicher, o verflucht, da kommen die zahmen Hausthiere zu dir und der freie Vogel entflieget dir.
IX. F r ä u l e i n und J u t t a kommen aus dem Wald.
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F r ä u l e i n . Ich sagte gleich, du hättest dich an dieser Seite uns versteckt. E l i s a b e t h . Ich wollte euch belauschen, was ihr so in Vertrauen über mich gesprochen, es ist gar vieles heimlich in der Welt, ein Vogel 77
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kann mit einem brennenden Halme, den er ins Nest getragen, einen Brand anzünden, der ganze Häuser aufzehrt. J u t t a . Doch wirds zum Freudenfeuer, ist der Vogel klug. F r ä u l e i n . Der Vater ist erwacht, ich seh ihn an dem Fenster, wir werden ihm das Würfelspiel bereiten müssen. E l i s a b e t h . Es ist ein wunderliches Spiel, nichts hilft das Schütteln unsrer Würfel in dem Becher, auch nicht, ob wir bedachtsam sie aufs Bret hinwerfen, der eine fällt so leicht doch übern andern, daß einer, der sich da noch zweifelnd wendet, das ganze Spiel verwandeln kann. F r ä u l e i n . Ei welche neue Wahrheit. E l i s a b e t h . Ich merke schon, ich werde dir zu dumm, mir selber bin ich längst zu klug. F r ä u l e i n . Ich kann dich nicht verstehen. E l i s a b e t h . Wie viele Kleinigkeiten spricht ein froher Mund. Wer kommt denn da mit einem Kreutz bezeichnet. Wohin Walpurgis.
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Wa l p u r g i s (kommt als Pilgerin mit einem Kreutz und mit einer Geissel). Ach laß mich gehn, und besser noch ihr gnädgen Leute, ziehet mit nach Cölln, im Wirthshaus ist ein alter Pilgermann, der hat uns alle zu der Buße angemahnt. F r ä u l e i n . Du Kind, was hast du denn zu büßen. Wa l p u r g i s . Ich büße für den ganzen Hof und auch für dich, ach Gott, wie wird es euch noch gehen, ich seh drei blutge Leichen in dem Garten. Zieht mit von hinnen. E l i s a b e t h . Das lustge Kind, wie verwandelt! Ist schon dein Tanzen aus, kannst du nicht mehr auf Schlittschuhn laufen und auf Stelzen gehn. Wa l p u r g i s . Ach Gott, daran ist schon das Denken Sünde. E l i s a b e t h . Was hat dir denn der Pilgersmann gesagt. Wa l p u r g i s . Thut Buße, sagte er, thut Buße, muß ich zu mir rufen, und muß mich geisseln, denn ich kann nicht anders. (Sie schlägt sich und geht ab.) 78
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J u t t a . Ich hör den Pilger an dem Wege singen, ein gleicher Wahnsinn könnte uns ergreifen, ich habe es gesehn, daß Tausende so einem Büßer nachgezogen, und keiner wußte recht warum, und jeder sprach vorher davon, wie wir. E l i s a b e t h . Kommt, kommt und nehmet euch in acht, Freund Otto, ihr habt doch auch wohl manches hier zu büßen. O t t o . Zu eurer Ehre will ich diesen Büßenden bekehren, das sey die erste Ritterthat. (alle ab, außer Otto.)
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XI. Der K a n z l e r kommt als büssender Pilger.
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K a n z l e r . Thut Buße, denn der jüngste Tag ist nahe. O t t o (tritt ihm entgegen). Hier steht er schon in aller Fröhligkeit und leuchtet in die Welt, er will von niemand Buße haben, nur Freudenzoll begehrt er von den Reisenden. K a n z l e r . Wer stört den ernsten Gang, den ich für einen anderen vollbringe, wer stellt sich in den Weg, will mich vom heilgen Ziel, vom Grab der heiligen drei Könige abhalten? O t t o . Ein Schützenkönig, heute durch den besten Schuß geheiligt. K a n z l e r (blickt auf). Erst jetzt tritt eure Stimme mir so nah, daß freudig jedes Wort mir wiederklingt und wär es auch zu meinem Schimpf gesprochen. – Ich irre nicht, ich sehe den verlornen einz’gen Sohn des Fürsten. (Er kniet nieder.) Ich knie vor Gott, indem ich knieend euch begrüße, er schenkt euch dem verwaisten Lande wieder. Erkennt ihr mich noch nicht, nun mir der Pilgerhuth entfallen, erkennt ihr nicht den alten ernsten Diener eures Hauses, der euch so oft beim Ritter hat besucht, geholfen, wo der Großvater sparsam eine Lust versagte, o Freude, daß ich euch gefunden, der schon als todt im Lande ist betrauert. O t t o (hebt ihn auf). Steht auf, nicht schickt sich diese Demuth für das weisse Haar auf eurem Haupt und noch viel weniger zu dem Geheimniß, das mich mit Allgewalt hier fesselt, wie leicht hätt man uns hier belauschen können. Es darf hier niemand wissen, daß ich ein Fürstensohn. Ich bin des Fürsten Jäger hier, heiß Otto Schütz, der Liebe will ich alles dan ken, nichts dem angeerbten Stande, und 79
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wie in frischer Erde neue Saat mit wunderbaren Kräften treibt und lohnt, so hoff auch ich ein mächtiges Geschick zu wecken. K a n z l e r . So wißt ihr alles schon, was sich in Marburg hat ereignet, seit euch des Vaters Wille hin gen Cölln gesandt? So wisst ihr schon, daß euch der heilge Stand nicht mehr darf binden. O t t o . Nichts weiß ich mehr, was mir geschehn und andern, ich lebe erst seit diesem Tage, erzählet mir davon, wenn ihr von Cölln zurückgeht, ich seh den Fürsten, der uns naht, kein Wort, singt euer Bußlied weiter.
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XII.
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D e r F ü r s t von Cleve.
F ü r s t . He Otto, geh eilig mit dem Netze nach dem Felde hinterm Schloß, ich seh unzählge Vögel niederziehn, dir wird die Jagd da besser lohnen als beim Schlosse, wo du die Zeit verschwatzest mit den Fremden. Geh gleich. (Otto ab.) Ihr Pilgersmann, kehrt um, bleibt hier, ich laß euch so nicht los, setzt euch zu mir, ich muß euch recht beschauen. K a n z l e r . Was wollt ihr, gnädger Herr, den armen Pilger in der Segensbahn hier hemmen. F ü r s t . So eilig ist kein Mensch auf Erden zu dem Heil gedrungen, daß er nicht Zeit gehabt, dem Nebenmenschen Aufschluß über dieses Heil zu geben. Geradeaus ist meine Bahn. Wer ist der Jäger, der mit euch gesprochen, vor dem ihr hier gekniet, vor seines gleichen kniet man nicht, ein Heilger ist er auch nicht. K a n z l e r . Ich fiel hier über eine Wurzel, der gute Knabe half mir treulich auf; bewahrt ihn wohl, ihr werdet sicher gut von ihm bedient. F ü r s t . Ihr täuschet mich, ich stand zu nahe, sah von jenem Fenster deutlich, wie ihr freudig niederfielet, ich sah in eurem Auge Thränen, ihr küßtet seine Knie, nie sah ich je ein freudger Wiedersehen. Auch euer Antlitz ist mir nicht ganz fremd, verwirrt sich gleich in meiner Altersschwäche manches alte Bild mit neueren Bekannten. Sagt an, wer seyd ihr? K a n z l e r . Ich bin ein Knecht des Herrn, wenn ich das heilige Gelübde vollbracht, tret ich an eure Thür, und fleh um einen Becher Wein, und laß den Goldring in den Becher fallen. 80
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Zweite Handlung. XI/XII
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F ü r s t . Nun kenn ich euch, ja alter Heinrich von Homburg, wir sind doch beide rasch gealtert; vor wenig Wochen meint ich, seys gewesen, wo ich den Ring euch schenkte, als ihr mit eurem Herren mich versöhnet. Der Alte ist nun todt, es hat mir leid gethan, der Sohn, der eiserne, ist gar ein arger Hitzkopf und ich mag keine Fehden mehr. Nun bleibt mein Freund und rathet immer so zum Guten. Ist es denn wahr, daß ihm der ältste Sohn gestorben, der andre mit der Tochter sey verloren? K a n z l e r . Der fromme Heinrich, unsres Herren Sohn, – noch muß ich weinen – er starb in meinen Armen und ich gelobte ihm, nach Cölln zu wallen, dort für ihn zu beten. Ich sprech nicht gern von seinem Tod, es that mir gar zu leid. Der andre Sohn ist nur vermißt, da mein ich, er wird sich finden, darum ist noch das Land nicht ganz in seinem Herrscherstamm verwaist. F ü r s t . Nun weiß ich alles, Alter, ihr habt mir nichts gesagt, doch die geheime Freude eurer Augen übt Verrath. Ich sag euchs auf den Kopf, ja seht mich nur befremdet an, der Otto Schütz, das ist der andere verlorne Sohn. K a n z l e r . Nicht doch, wer hat euch das gesagt, mein Fürst, ich nicht. F ü r s t . Wohl dann, ich kann mich irren, wißt aber, wenn er nicht ein Fürstenkind, so ist er heute noch ein Kind des Todes. Wißt, ich sah ihn ungeziemend hier mit meiner Tochter kosen, schon lag der Bolzen auf der Armbrust, ich wollte selbst sein freches Haupt bestrafen, da tratet ihr zu ihm, da knietet ihr, da wuchs die Neugier in dem Groll und schob die festbeschloßne Strafe noch hinaus, bis ich mit euch gesprochen, wer dieser trotzge Jäger sey. K a n z l e r . O Gnade des Geschicks, die mich so unbewust zum Segen meines Landes machte, so leb ich nicht umsonst. Ja Fürst, hier wäre Leugnen ein Verrath, zwar sollt ich schweigen, so hat Herr Otto mir befohlen, doch würde er mich selbst entschuldigen, da solche Strafe ihn bedroht. Verzeihet ihm, er ist des Thrones Erbe, der Liebe Glück will er versuchen, will nichts dem Namen, nichts der Vorwelt danken, die ihn mit Reichthum und mit Ehre liebreich ausgestattet hatte. Gönnt ihm die Tochter, würdger Fürst, wenn sie ihm Liebe gab. F ü r s t . Was gönnen? Verzeihn? 81
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Der Auerhahn
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K a n z l e r . Denkt eures Freunds, des Großvaters, verzeihet ihm um seinetwillen. F ü r s t . Ei was verzeihn? Ich weiß seit meinem Heiraths tage nichts, was mir so viele Wonne hätt gebracht. Wisst ihr, er ist der beste Schütz auf dieser Erde, was braucht es mehr, ich hätte ihm die Tochter schon gegeben, wenn das Bedingung seines Bleibens wär gewesen. Seht Freund, ich bin auch listig, mein Zorn war nur verstellt, aus euch die Wahrheit zu erfahren. Kein Mensch auf Erden ist mir lieber, wie der Otto, hätt er kein Reich, er könnt sich eins mit seinem Bogen noch gewinnen. Wie herrlich sieht er aus, auf Erden giebt es keinen derbern Kerl, ich freue mich, daß meine Tochter Augen hat, sie ist sonst spröde wie das Eisen in dem Frost, heut war sie gegen ihn ganz anders, es munterte ihr Blick zum Reden auf, sie wurde roth, wenn sie ihn angesehn, sie schien empfindlich gegen alles. Nun Alter, ihr wisst es wohl, wies Jungfern treiben, ihr wart in eurer Jugend auch ein muntrer Zeisig. K a n z l e r . Mein Fürst, ich wüßte nicht, daß ich je Übermuth gefühlt. F ü r s t . Da seyd ihr zu beklagen und müßt ihn noch im Alter lernen. Hört an, mir geht ein Spas durch meinen Kopf, den ich nicht lassen kann, wär nur der Landgraf nicht so fern, ich bin so ungeduldig. K a n z l e r . Der Landgraf ist euch näher, als ihr glaubt. Auch er hat, trauernd um den Tod der beiden Söhne, (den er sich vorwarf, weil er ihres Lebens ganz natürliche Bestimmung nach seinem Willen ändern wollte, den schwachen Heinrich für den Krieg, den wilden Otto für die Kirche rasch bestimmte,) die Wallfahrt gegen Cölln fromm angetreten und ich bestelle ihm für jeden Abend in der Herberg Nachtquartier im voraus, heut will er in dem nahen Dorfe Löwen übernachten. F ü r s t . Nun herrlich! Alles passt! Versprecht mir einen Wunsch nur zu erfüllen, den liebsten meines Lebens. K a n z l e r . Ich weiß es nicht, ob ichs vermag. F ü r s t . Wie leicht! Ihr geht noch jetzt dem Landgraf froh entgegen, wie es der Pflicht geziemt, ihm des verlornen Sohnes Leben zu verkünden, und saget ihm der alten Freundschaft Gruß von mir, und wie sich unsre Kinder lieb gewonnen, und daß ich seinem Sohne gut, daß meine Tochter dieses Landes Erbe, daß ich sie beide gern vermählen wollte, daß morgen mein Geburtstag sey, daß ich 82
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Zweite Handlung. XII/XIII
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nicht lange warten könne, mein Athem wäre kurz, mein Auge schwach, und daß sie morgen sich vermählen sollten, morgen in der Frühe, wenns seinem Willen nicht zuwider, geh, eile! K a n z l e r . Ich habe Gott gelobt, auf diesem heilgen Wege mich durch nichts von seinem Dienste abzulenken, so hat der Landgraf auch gelobt, verschiebt das Fest, bis wir das heilige Gelübde rein vollendet haben. F ü r s t . Es geht nicht, guter Alter, um dein Gewissen zu befreien, sieh, ich tret dir in den Weg, befehle dir als Landesfürst den Weg zurückzugehn und deinem Herrn zu melden, was ich dir gesagt. K a n z l e r . Gewaltsam darf ich nicht den Weg mir bahnen im Geschäft des Friedens, doch was geschieht durch Zufall, durch des Himmels Strafe, ich trage nicht die Schuld: ich lobe nicht so rasches Spiel, wo traurige Geschicke uns so schwühl umstehen. F ü r s t . Ich trage alle Schuld, ich trage alle Lust; ich hab es von dem Wild gelernt, in Eile alles zu genießen, denn keiner weiß, wie nah der Tod, der große Jäger ist. Geh, eile Freund, du mußt. K a n z l e r . Mir ist so schwer, da ich den schon verlaßnen Pfad noch einmal gehe, ich weiß es nicht, warum, doch wird mir jeder Schritt so schwer, und bin doch nicht ermüdet von der Reise. Ich muß – lebt wohl, mein gnädger Fürst! F ü r s t . Leb wohl, geh schnell, vergiß kein Wort, und wenn du erst nach Thorschluß kommst, so nimm den Schlüssel hier zu der geheimen Thüre, daß euch des Wächters Blasen nicht verräth, aus alter Zeit kennst du noch meine Zimmer, dahin geh sacht und weck mich auf zur Freude. (Kanzler ab.)
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F ü r s t . Soll ich dem Mädchen von dem nahen Glücke etwas sagen? Nein, es wär zu früh, doch weiß ich schon, ich kanns nicht lassen, so etwas muß ich davon fallen lassen, es drückt mir auf dem Herzen, sie mag es auch als eine kleine Strafe nehmen, daß sie sich also rasch mit einem fremden Jäger abgeküsst. Wärs nicht ein Jäger, könnt ichs nicht verzeihn. Sie ist doch grad wie ich. Was giebts Elisabeth? 83
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(Elisabeth kommt).
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E l i s a b e t h . Mein Vater, ihr versäumt das Bretspiel, was stört euch, theurer Vater. F ü r s t . Ei wer erwachsne Töchter hat, der muß auch für sie sorgen, dich vermähl ich morgen. E l i s a b e t h . Ich bitt euch Vater, ich mein, ihr scherzt, ich bin so jung und bin um euch so gern, warum soll ich so früh dem harten Joch mich unterwerfen, da ich der Erndte noch so gern entbehre. F ü r s t . Geschwätz, ich kenne deine Art aus mir, ich kenn dein Blut, ich glaub, du kannst bis morgen nicht mehr warten. E l i s a b e t h . Mein gnädger Vater, ach, wodurch hab ich dies harte Wort verschuldet. F ü r s t . Schweig nur und geh, du wirst es selbst am besten wissen, dies zeiget mir die Röthe deiner Wangen, sei ruhig, schäm dich nicht, ich bin nicht böse, denn morgen will ich an dem eigenen Geburtstag deine Hochzeit feiern. E l i s a b e t h . Nun höre ich, ihr scherzt nach alter Weise. F ü r s t . Kann seyn, vielleicht auch nicht, geh nur herein, verschweige alles, geh, geh, ich habe viel noch zu besorgen. (Elisabeth ab.)
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XIV. F ü r s t . Besorgen? Ein wunderliches Wort! Ich wüßte keine Sorge, die mich drückte, doch manches ist noch zu bestellen. Was mach ich mit dem Otto, damit er seinen Vater nicht erblickt? Ich schick ihn auf die Auerhahnjagd, da muß er bis zum Sonnenaufgang in dem Freien warten, er darf nicht mehr nach Haus, dabei will ich die Hölle heiß ihm machen, daß meine Tochter morgen sich vermählt. He Otto, komm her; laß nur dein Netz da stehn. (Otto kommt.) Nun hast du viel gefangen? O t t o . Ein Haufen Seidenschwänze, schön gefiedert wie der Regenbogen. F ü r s t . Ein schlechtes Essen, das passt mir nicht zum Hochzeitfest. Hör Otto, du mußt in dieser Nacht den Auerhahn belauern, der vorge Nacht im nahen Wald gefalzt, das ist ein Hochzeitessen. Du weißt doch, wie du’s machst? 84
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Zweite Handlung. XIII/XIV/XV
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O t t o . Ich war noch nie auf solcher Jagd und kenne nicht die Stimm des Auerhahns. F ü r s t . Das lernt sich. Nichts verliebters auf der Welt, als diese Stimm, und wenn er schreit, so weiß er nichts von aller Welt, du kannst dich ungestört hin zu dem Baume schleichen, wo er durstend seufzt und geht die Sonne auf, da siehst du ihn und schieß ihn nieder, eh er dich gesehn; da darfst du dich nicht lang besinnen, ein Augenblick versäumt, heißt da verlorne Jagd. Nun das soll eine Ehre sein für dich beim Hochzeitfest, daß du den Auerhahn geschossen. O t t o . Noch weiß ich von dem Hochzeitfeste nicht. F ü r s t . Du weißt auch nichts, gar nichts vom Auerhahn, und nichts von meiner Tochter, daß sie sich morgen wird vermählen. Mach deine Sachen gut und geh nur auf den Anstand, denn schon dunkelts. (ab nach dem Schloß.)
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O t t o . Den Schlag, der mich betäubt, hab ich empfangen, gelassen steh ich wie ein Stier dem Schlächter, und warte auf den Schlag, der tödtet. Wer wagt es, mir mein liebstes Gut in gierger Lust zu rauben. Ich spotte der Verzweiflung meiner Seele, so lang ich diese Armbrust trage, soll keiner vorm Altare an ihrer Seite sicher stehn. Ja hörts, ihr Fledermäuse, die dem Schloß entflattern, wie böse Geister mich umschwirren, hörts, ihr Auerhähne, ihr verliebten, die keine Warnung hören in der Lust, bei meinem Herzen schwör ich Tod dem Frechen, der ihrer kann begehren, die sich mir im Kuß gegeben, ihrem Kusse schwör ichs. So hat es sich noch nie in mir geregt, mir ist, als müßt ich gleich den Bogen spannen, mich quält nur, wer es sey. Der Vogel schreit, gewiß der Vogel ists, wie zornge Wellen an das Herz mir schlagen, der soll zuerst dem Hasse bluten, ja Blut muß ich sehn! (ab.)
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Dritte Handlung.
I. Derselbe Ort. Nacht. Auf den Balkon tritt E l i s a b e t h , das F r ä u l e i n und J u t t a .
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F r ä u l e i n . Elisabeth, ich kann dich nicht begreifen, wie du erschrecken kannst vor einem Scherz? Du kennst den Fürsten, deinen Vater! Er kann doch aus der Jagdtasch keinen Bräutgam schütteln, wie er dich sonst mit seinem Fange überrascht. E l i s a b e t h . Du hast wohl recht, doch kann ich nicht dran glauben, ich bin beklommen: mag nicht schlafen gehn, wär nur die Nacht nicht dunkel, ich bliebe wach. J u t t a . Du warst wohl nie verliebt, da du die Nacht so fürchtest, mit Sehnsucht warte ich der Nacht, als löste sie des Lebens Schranken, als könnt ich dann mit dem Geliebten reden und ein Vertrauen strömt in meine Seele mit den kühlen Winden, die nächtlich um die Häuser schleichen. Dann rückt so fest das Sternenheer mit jeder Stunde weiter, ich wollte, daß wir nächtlich lebten und am Tage schlafend stürben. E l i s a b e t h . Du weckst die Lust zur Nacht, ich möchte wachen können, doch die Gewohnheit macht mir schon die Augen schwer, als ob die Sterne in den Wimpern hingen. F r ä u l e i n . Setz dich zum Webstuhl, noch den Schluß des Tuches zu beenden, das du dem Vater zum Geburtstag hast gefertigt, das wird die Augen froh ermuntern mit seiner Blumen Farbenglanz. Ich rück den Webstuhl an die Thür, so frischt der Wind die Arbeit. E l i s a b e t h . Du räthst doch stets das Beste. Ist das beendigt, da brauch ich morgen nicht zu sorgen, der Vater möcht zu früh erwachen, will er mich überraschen, so findet er schon sein Geschenk bereit. Gieb her. Es webt sich so recht still und kühl in dunkler Nacht, nichts stört, fern rauscht der Rhein in lieblicher Musik, auch hör ich in dem Wirthshaus frohen Tanz. Ei was geschieht nicht alles, wenn wir schlafen. J u t t a . Hörst du den Vogel dort, der aus des Waldes Duft belegtem Dunkel mit heller liebevoller Stimme seufzt, mir ists, als wärs mein Ottnit, ich hör ihn überall und kann ihn nirgend finden. 86
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Dritte Handlung. I
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E l i s a b e t h (beim Webstuhl). So ließ ich mich von Liebe selbst nicht täuschen. Es ist ein Auerhahn, doch klingt es anders in der tiefen Nacht, wie an dem Morgen. Ich habe nie so spät gewacht, wie dort im Thal, ein Lichtlein nach dem andern sinkt und erlischt, und immer funkelnder ein Stern den andern aufweckt an dem Himmel. Bring noch die andre Lampe, daß ich besser sehe. (Sie singt)
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Wie verwundern mich die Stunden, Die ich niemals sonst erlebt, Als noch hinter dunklen Laden Mich gewohnter Schlaf verbunden Einem leicht vergeßnen Traum! Heute, wo der rasche Faden Goldne Blumenträume webt, Scheint des Mondes Angesicht Mir der Liebe Tageslicht, Nein, die Nacht ist nicht zum Schlafen. J u t t a . Daß du nicht liebst und doch das alles fühlst im bebenden Scheine des Monds, ach das begreif ich nicht. Sonst eh ich Ottnit angeschaut, da war mir eine Blendlaterne lieber, ich dachte mir, der Mond sey nur in diese Welt gesetzt, den Weg auf unserm Hofe zu erhellen. E l i s a b e t h . Ei bring mich nicht zum Lachen, daß ich mich jetzt nur nicht verzähle, ein ungewohntes Zittern drängt die Hand, da ich das Schifflein nur noch wenigemale überwerfen muß. F r ä u l e i n . Still, still, nur nicht gesprochen. J u t t a . Der Vogel schreit schon wieder wie mein Ottnit. E l i s a b e t h . Das war geglückt, das war der letzte Wurf, jetzt schlage ich den Saum nur fest, nun losgetrennt. (Sie singt):
Schau, o Mond, die Blumen glänzen, Fertig ist das reiche Tuch, Zu des Vaters Freudentage, Herrlich wird sein Haupt ihm kränzen Dieses Tuches Blumensaum: Daß ers nur recht fröhlich trage, Wie ichs froh im Sinne trug, Bis ichs heimlich ihm gemacht. 87
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Diese Nacht hat es vollbracht, Nein, die Nacht ist nicht zum Schlafen. J u t t a . Ein herrliches Tuch. Mir fällt dabei ein, daß eine Braut bei uns gar lange webte ein prächtig Tuch, und wuste nicht, wozu sie es gebrauchen solle, da schlug der Bräutigam seinen Herrn todt und sollt enthauptet werden, ach da verband sie ihm die Augen mit dem Tuch, nun wußte sie, warum sie es gewebt. F r ä u l e i n . Mir graut, so etwas kann ich Nachts nicht hören. E l i s a b e t h . Weißt du nicht mehr so schreckliche Geschichten, die scheinen mir in milder Nacht so angenehme Angst. Denk dir, wir wären ganz allein in diesem Schloß, der Vater sey ein Zauberer, der uns hier eng verschlossen hielt, denkt euch, wir liebten alle zärtlich, ach von Herzen, und sähen nach dem tiefen Rhein und sähen ein Schifflein fahren und fühlten so im Herzen mitten durch die Nacht, da sässen die geliebten Ritter drein. Was thät ich mit dem Tuch? Seht auf den Stab, so machte ich es fest und schwenkte es so fröhlich in dem Mondenschein. J u t t a . O du bist einzig, mir ist, als säh ich Ottnit in dem Kahne, schwenk nur dein Fähnlein recht. Elisabeth (schwingt das Tuch und singt): Wallend in den kühlen Lüften, Aus dem Webstuhl los gespannt, Lockt mein Fähnlein aus der Ferne Der verborgnen Blumen Düften, Aus des Grases Wellen Schaum: Und wie Bienen sinken Sterne Die für Brüder sie erkannt, In des Tuches Blumen ein. Sind wir mit dem Mond allein? Ach die Nacht ist nicht zum Schlafen. J u t t a . Du liebst Elisabeth, sieh, so spricht kein kaltes Herz, ich bitte, ich beschwöre dich, gesteh es mir, hab ich dir doch so frei erzählt, wie ich mit Ottnit Blick und Liebesdruck gewechselt. E l i s a b e t h . So glaub es, Jutta, denn liebte ich so lang wie du, ich könnt es auch erzählen. J u t t a . Ich muß dich küssen, da du liebst, nichts Schönres auf der Welt. 88
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E l i s a b e t h . Mein Tuch ist doch noch schöner, ich hätt es nie gedacht, daß ich so etwas Wunderschönes machen könnt, die Lieb ist auch ganz anders, als man denkt, eh wir den ersten Kuß.... F r ä u l e i n . Erschreck mich nicht, ich bitte dich, Elisabeth, wie kannst du das uns sagen. E l i s a b e t h . Geh nur zu Bett, ich sehe, du bist müde, ich will mit Jutta hier allein noch reden, das war mein Scherz, was ich gesagt, doch hab ich andres ihr noch zu vertraun. F r ä u l e i n . Ich muß gehorchen, ists gleich hart von dir, mich so von deinem Herzen abzuscheiden. E l i s a b e t h . Sey doch zufrieden, was du nicht weißt, macht dich nicht heiß, ich thus zu deinem Besten. F r ä u l e i n . Ich werde diese Nacht nicht schlafen können, da du mir nicht mehr traust. E l i s a b e t h . Geh, geh, ich liebe dich, du meinst es treu mit mir und ich mit dir. (Das Fräulein küsst die Hand und geht zögernd.)
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E l i s a b e t h . Ein gutes Mädchen, aber voller Neugier, ich kanns ihr nicht erzählen, wie es mir gegangen, sie hat mich immer als ein Musterbild verehrt und jetzt sollt ich ihr sagen, wie schwach ich alle Tugend fühle. J u t t a . So stehts um deine Tugend – ach du armes, armes Kind. E l i s a b e t h . Was konnt ich thun, er war so sicher, so gewaltsam, ich zürnte wohl, da hat er mich geküßt, so süß, wir wollen uns aufs Ruhbett strecken, da will ichs dir erzählen; mich wundert, daß du nichts gesehen, du kamst dazu. J u t t a . Ich wär dazu gekommen? Wer war es denn, der Otto Schütz? Bei allen Heilgen, welcher Wahnsinn! Ein ganz gemeiner Jäger, ihr seyd verloren, ahndet es dein Vater, ihr seyd verloren, denn auf Erden giebt es keinen Mann, der so wie Otto Schütz, sich jedem zorngen Einfall überläßt, schon zweimal drohte er mir Tod auf kurzem Wege, den wir zusammen gingen. 89
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E l i s a b e t h . Ach sage mir nicht mehr, mein Herz geht ohne diesen Vorwurf schon in Thränen über wie ein voller Brunnen. Gedenk, was ich dem Vater morgen sagen soll, tret ich vors Bette hin und will mein Tuch ihm um den kahlen Scheitel winden, und er nach seiner Art sieht mich so prüfend an und spricht: Nun Kind, vertrau mir heute alles, was du auf deinem Herzen hast, heut leb ich noch! Das ist so seine Art, da werde ich kein Wort ihm sagen können, werde zittern, werde roth werden, er wirds auf meiner Stirne lesen. Weh! Manchen Augenblick da haß’ ich Otto, aber nicht von Herzen! Sieh ihn recht an, er kommt mir doch so herrlich vor, als ob da hinter den Gebürgen, wo ich mit Sehnsucht oft und Langeweile hingeblickt, ob da, wo Erd und Himmel sich berühren, ihm ein herrlich Reich bereitet sey, wohin er mich könnt führen und wo wir im Triumph von dem entzückten Volke als ihre lang ersehnten Herrscher aufgenommen würden. J u t t a . Ach wär doch alles wahr, da zöge ich mit Ottnit auch zum sichern Lande. Wir wollten da im Grünen schlafen bei Waldhörnerklang. E l i s a b e t h . Ich glaub, du lies’t auf meiner Stirne alles, ja im Grünen möchte ich mit Otto schlafen, so dachte ich, daß sich die Blumen beugten über uns, die Schmetterlinge flatterten, die Grasemücken sangen auf dem kleinen Neste. Ich seh dirs an, so träumst auch du. J u t t a . Nichts siehst du, denn ich steh im Schatten hier, so lichterloh bist du entbrannt, du aber fühlst mein Herz in deinem, denn alle Liebe ist nur eine, die ältste Neuigkeit und doch so ewig jung in jeder Rührung, unendliche Welt holder möglicher Geschicke. E l i s a b e t h . Wie hold wär das Geschick, wenn es dir deinen Ottnit träumend in die Arme führte. Ich seh’s dir an, nun leugne nicht, der Mond bescheint dich prüfungshell. J u t t a (singt): Wär mirs an die Stirn geschrieben, Wär ich nimmer hier geblieben, Wär’s am Aug mir abzusehen, Würde ich in Angst vergehen, Könnt der Mond ins Herz mir sehen, Würd es lange stille stehen. Sey gepriesen blinde Nacht, 90
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Wo ich tausendmal sein gedacht, Sey gepriesen Wolken Schleier, In die Welt seh ich nun freier; Sey gepriesen edle Kraft, Die im Schlafe bildend schafft: Ja der Herr verläßt doch keinen, Giebts im Schlafe all den Seinen. E l i s a b e t h . Der Mond hat hinter Wolken sich versteckt, er will uns nicht beschämen, wir arme verlassene Fürstinnen wollen uns wie arme Leute mit dem Schlafe trösten. Wir schlafen heut beisammen, ich meine, du bist Otto. J u t t a . So meine ich, du bist der Ottnit. Küß mich! (Sie gehen herein.)
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Landgraf Heinrich und Kanzler, beide in Pilgerkleidern, kommen im Gespräch.
H e i n r i c h . Es drückt mich doppelt, seit ich den eignen Sohn, den Otto nun gerettet weiß und lebend, ich will mich euch vertraun, zwar ists nicht meine Art, doch was ich sah, war auch nicht in gewohnter Art, des Teufels hätt ich werden mögen. Pfui doch, das Fluchen muß ich lassen. K a n z l e r . Ein unerwartetes Vertrauen ist um so süßer, glaubt Herr, ich diene euch mit ganzer Seele. H e i n r i c h . Ich sag es euch doch nicht, es ist wohl besser? – Ich sags euch doch, ihr seyd ein guter Mann, und habt ein ruhig Blut. – Ja, ich wills euch sagen! – Was mich zu dieser Wallfahrt hat gebracht, ist nicht die Trauer um verlorne Kinder, es ist ein wunderbarliches Ereigniß. – Ihr wißt den Schatz, den mein Herr Vater für das Grab der heiligen Elisabeth vermachte, ihr wißt, es ärgerte mich sehr. Was soll das Grab mit solchem Prunk, so dachte ich, doch wagte ich nicht öffentlich, ihn zu entreissen, denn Ottnit hatte wohl den Ritterbund bekämpft, doch überwunden ist er nicht. Da schwör ich mir in einer heftgen Stunde, den Schatz ganz heimlich zu entwenden, in fremder Stadt ihn zu verkaufen und eine Stiftung für die Armen zu errichten. Nur meiner Stärke war es möglich, die Eisenstäbe an dem Fenster in der dunkeln Nacht zu öffnen, doch war auch meine Stärke ganz erschöpft, als ich in die Kapelle eingestiegen. Ein wunder91
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barer Schlaf sank auf mich nieder, als ich den herrlichen Karfunkel, den der Vater sonst auf seinem Degenknopf getragen, an der Krone auf dem Sargesdeckel glänzen sah, ich mußte mich in einen Betstuhl setzen, mein Haupt sank nieder, und ich wußte nichts von mir. Da trat zu mir in glänzendem Gewand, worin des Vaters Edelsteine glänzten, die herrliche Gestalt der heiligen Elisabeth, so wie sie in der Kirche ist gemalt. Ihr kennt das Bild. K a n z l e r . Ich habe täglich bei dem Bild gebetet. H e i n r i c h . Ich nie, doch kannt ich es aus meiner Jugendzeit, wo ich zur Kirche ward getrieben. – Nun seht, das Bild stand ganz lebendig da und trug in einer Hand ein Körbchen Rosen und in der andern Hand die Krone mit des Vaters Edelsteinen. Sie weckte mich, ich folgte ohne Zagen, sie führte mich in den geheimen Gang der Kirche, dess Ende niemand kennt, da gingen wir, dann schwebten wir auf Wolken, die immer heißer wurden und so weißlich wie der Dampf, der über den Salzkothen mühsam sich erhebt, doch kühlte sie mich mit dem Duft des Rosenkörbchens, das sie mir freundlich nahte, sie selber schien die Hitze nicht zu fühlen. – Nun stand sie still, ich auch, sie drückte mit der Hand nach beiden Seiten, da wich der Dampf, ich konnte sehn, wir schwebten überm Fegefeuer, wo viele Seelen jammernd in der Sode standen. Die Teufel schürten eifrig an dem Feuer. Wen sah ich da! Gott! Gott! K a n z l e r . Faßt euch, mein gnädger Herr! Wer? Wer? H e i n r i c h . Wer? Ich sah den armen Vater in dem Bade, der abgezehrt bis auf die Knochen, von einem Teufel frisch mit heißer Sode übergossen ward. Ich wollt den Teufel packen, doch ich konnte mich nicht regen. Dem Vater reichte die Elisa beth den Rosenkorb zum Riechen und zeigte ihm die hellgeschmückte Krone, er schien ein ungewohntes Wohlseyn zu empfinden, er glich im heitern Auge dem Genesenden und sprach in Dank zu ihr und pries sich glücklich, daß er ihr den Schatz vermacht. Dann sagte er, daß er so schwer im Fegefeuer leide, weil er mir allzu lang gezürnt und mich vom Guten dadurch abgewendet, auch leide er, um seinen letzten Willen, er seh darin den Untergang von seinen Enkeln und daß ein neuer Stamm in Ottnit zu dem Throne steige. Da sprach Elisabeth: Er solle ruhig dulden seine Leiden und des Lebens Drang vergessen, auch bete schon sein Enkel Heinrich an dem höhern Thron, für ihn und für den eignen Vater, der ihn umgebracht. 92
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Dritte Handlung. III
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K a n z l e r (erschrocken). Gott ist wunderbar! H e i n r i c h . Als ich dies Wort gehört, da schrie ich Lüge und wachte auf im Betstuhl, wo ich eingeschlafen, doch eine Angst trieb mich wie einen Rasenden durchs Gitter fort, ich wagte nicht die Schätze zu berühren. Nun weiß ich wohl, so wie es Lüge ist, daß ich den Heinrich umgebracht, so ists auch Lüge worden, daß Ottnit mir in Herrschaft folgen soll, denn, wie ihr sagt, so lebt mein Otto in der schönsten Frische und morgen ist sein Hochzeitfest, doch quält es mich, daß Ottnit lebt, daß er mit seinen Brüdern vor den Sternenrittern mich geschützt. Noch mehr, ich hab ihn heut erkannt, er schleicht mir nach als Pilger, in der Kappe dicht versteckt. Vielleicht will er mich auf dem Weg ermorden, vielleicht den Sohn? Es reget sich die Wuth, soll ich zuvor ihm kommen, soll ich ihn stürzen in den Rhein, wenn er in scheinbarem Gebet mich will beschleichen. K a n z l e r . (Vor sich.) Ich darf nicht sagen, daß er Heinrich in dem Zorn getödtet, sonst mordet er den armen Ottnit gleich. (Laut) Ich bitt euch Herr auf meinen Knien, laßt euch vom schwarzen Blute nicht zur Frevelthat verführen, vergeßt den lügenhaften Traum, Herr Otto lebt im Ueberfluß der Kraft, er wird in tapfern Enkeln euer Haus erhalten. Ihr habt mich hier zum erstenmal um Rath gefragt, befolget meinen Rath, gebt euer Wort, den treuen Ottnit nicht zu morden, ich selbst will ihn erforschen, was ihn so heimlich euch hat nachgeführt. H e i n r i c h . Ich gebe meinen Dienern nie mein Wort! Ich thu ihm nichts, bis ihr ihn habt erforscht; doch werdet ihr erkennen, wie ich bei solcher Sorge mich geweigert habe, zu der Hochzeit einzutreffen. Auch sag ich euch, wenn ich nach meines Weibes Tod nur ferne einen Hochzeitzug erblicke, so ists, als ob die Thränen mich erwürgen wollten. Sind wir dem Schlosse nah, ich möchte lieber einen andern Weg einschlagen, ihr könntet mich entschuldigen. K a n z l e r . Wir stehen vor der Thüre schon, zu welcher mir der Fürst den Schlüssel anvertraute. H e i n r i c h . So seys, ich bin noch keinem Feinde aus dem Weg gegangen, warum sollt ich dem Schmerz entfliehn. (Der Kanzler eröffnet die Thüre, sie gehen ein.)
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Der Auerhahn
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O t t o (schleicht mit der Armbrust herbei). Die Wuth der tiefgekränkten Liebe blendet mich mit glühen Wolken vor den Augen, mir ists, als hörte ich im Ohre Hochzeitjubel, als säh ich schon den Freier ziehn, und soll dabei im unbekannten Wald den unbekannten Vogel suchen. Ein tolles Unternehmen, aber mir ganz recht, daß ich mich an dem hemmenden Gesträuch abwüthen kann, ich möchte kalt seyn zu dem heißen Morgen, der sich nun bald in Blut erhebt. Hier schien es mir, hier müßte jener Vogel sitzen, der sehnsuchtsvoll mein Herz zerriß, hier schien im Mondenschein, der jetzt im Wolkenarm ging schlafen, ein blizendes Gefieder sich zu schwenken und menschlich Flüstern schien dem heißen Schnabel zu entsteigen. Der Mühlbach hielt mich wohl zu lange auf, jetzt seh ich nichts und alles ist so still, daß ich die Frösche in dem Rhein, die Heimchen auf der Wiese höre singen und ein Geflatter auf dem Taubenschlag, als ob der Marder dort im Würgen sich recht übe, die Gänse schreien in dem Stall, als ob ein Feind sich nahe. Wo bin ich, scheint mir doch der Schatten hier vertraut. Bald wird es heller, denn schon lös’t ein Wind der Höh die grauen Wolken wie zahllose weiße Nachtfalter, die übern Himmel sich in ihrem Flug zerstreuen, da scheint das helle Schild, daß ich gern einen Bolzen in die Mitte möchte schiessen, und es auf ewge Zeit ans Blau des Himmels nageln. Wie seltsam faltig scheint das Grün in mondlicher Beleuchtung, als ob es sich verwelkt schon säh vom Alter, und doch – und doch – o jetzt erkenn ich alles, – ist dies das schönste Grün der weiten Erde, hier ist der Nußbaum, hier der Rasensitz, hier küßt ich sie und sie schien ganz bezwungen von der liebenden Gewalt, ja aufzufordern schien sie zur Gewalt. Gewiß, der alte Fürst will sie in ein verhaßtes Ehbett zwingen, wie trieb er sonst so heimlich solch ein hochgefeiert heilig Werk. Er will sie überraschen, daß keine Zeit ihr zur Besinnung bleibt, da tret ich zwischen, und stürz den Bräutigam in das kalte Hochzeitbett der Erde. – Was hörte ich? Dort falzt der Auerhahn, ich glaub, da sitzt er, welch ungeheurer Schnabel, ein jeder Flügel könnt ein Haus zerschmettern. Ein grimmer Feind und dennoch will ich ihn erlegen. – Da rauscht es aus einander. – Ein dürrer Schopf des Baums mit zwei belaubten Ästen hatte mich geneckt. – Doch seh ich diesen Baum recht an, den Auerhahn, der mich bethörte, so wie er sich hier an den Altan lehnt, wo die Geliebte 94
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Dritte Handlung. IV
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wohnt, so meine ich, er sey ein Nebenbuhler, der verzaubert mit Neugier noch ihr in die Fenster schaut, wenn sie zu Bette geht, wenn sie dem Bett entsteigt. O Freund, in solcher Lust und Qual magst du wohl bald vertrocknet seyn und bald vielleicht im innern Brand verglühen. Seh ich der Äste Sprossen an, wie leicht ich ihn als Diener meiner Lust gebrauchen könnte. – Nein, nein, so grausam kann ich doch nicht seyn, das wär unritterlich, doch muß ich immer daran denken. Wie komme ich auf andre Gedanken, fällt mir kein altes Lied mehr ein. (Er singt):
Im Walde, im Walde, da wird mir so licht, Wenn es in aller Welt dunkel, Da liegen die trocknen Blätter so dicht, Da wälz ich mich rauschend drunter, Da mein ich zu schwimmen in rauschender Fluth, Das thut mir in allen Adern so gut, So gut ist’s mir nimmer geworden. Im Walde, im Walde, da wechselt das Wild, Wenn es in aller Welt stille, Da trag ich ein flammendes Herz mir zum Schild, Ein Schwerdt ist mein einsamer Wille, Da steig ich, als stieß ich die Erde in Grund, Da sing ich mich recht von Herzen gesund, So wohl ist mir nimmer geworden. Im Walde, im Walde, da schrei ich mich aus, Weil ich vor aller Welt schweige, Da bin ich so frei, da bin ich zu Haus, Was schad’s, wenn ich thörigt mich zeige. Ich stehe allein, wie ein festes Schloß, Ich stehe in mir, ich fühle mich groß, So groß als noch keiner geworden. (Er steigt den Baum hinan und singt):
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Im Walde, im Walde, da kommt mir die Nacht, Wenn es in aller Welt funkelt, Da nahet sie mir so ernst und so sacht, Daß ich in den Schooß ihr gesunken, Da löschet sie aller Tage Schuld, 95
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Der Auerhahn
Mit ihrem Athem voll Tod und voll Huld, Da sterb ich und werde geboren! Wie kam ich her zu dieser Höh des Baums, ich kanns mir nicht versagen und ich seh hinein, laß alle Auerhähne in dem Walde schrein. Was! – reißt meine Augen aus, ihr Äste – sie lügen – die Lampe lügt mit falschem Schein. – Baum schüttle mich herab wie eine todesreife Frucht – in ihrem Arm der fromme Freund. – Ha – das ist Hochzeit – lustig – ich bin ein ungebetner Gast, – ich will euch Kranzmusik auf meinem Bogen spielen. (Er springt weit über auf den Altan und geht hinein in das Zimmer.)
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V. Ottnit, Günther treten als Pilger gekleidet auf.
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O t t n i t . Ich weiß es nicht, wo wir hier sind, die Straß ist Nachts wie ein verbotener Weg, den niemand mag betreten, und nur auf den verbotnen Nebenwegen hört man Menschen schleichen. G ü n t h e r . Mir wollte keiner Rede stehn. O t t n i t . Wohin Herr Heinrich noch so spät vom Wirthshaus mag gewandert seyn, ein andrer Pilger soll ihn abgerufen haben. G ü n t h e r . Es ist mir ängstlich, denn seit des Sohnes Tod und seit der andre mit der Tochter scheint verloren, neigt sein Wesen oft zum Tiefsinn. Wenn er will fluchen, wie er sonst gewohnt, da hemmt ein Schauder plötzlich seine Rede, er macht ein Kreutz. Er ist verwandelt und das vertragen alte Seelen nicht, sie sind mit der Gewohnheit nur ein Ganzes. O t t n i t . Du hast viel mehr erlebt als ich, du weißt, wie allen ist zu Muthe und erräthst den Einzelnen daraus, ich denk mir immer, so einen Herrn wie Heinrich gab es nie und giebts nicht wieder, so wie es auch in keiner Zeit so wunderbare Freunde gab wie wir, die ihn in treuer Lieb bewachen und bedienen. G ü n t h e r . Wohl wahr, daß wir um einen Preis, den einer nur gewinnen kann, verbunden streben, ist eine Seltsam keit, daß wir den Streit darum ganz aufgegeben, daß wir uns trösten, wenn uns die Traurigkeit, sie nicht zu finden, übermannt, ich meine fast, es sey ein guter Geist in diesem Bund. 96
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Dritte Handlung. IV/V/VI
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O t t n i t . Nimm nochmals meine Hand, daß ich ihn treu will halten. G ü n t h e r . Sey nur vorsichtiger aus Lieb zu mir, der Alte könnte uns sonst trennen, er hat oft eigne Grillen. O t t n i t . Heut hätte er uns fast erkannt, als wir den Wirth zur Ruh verwiesen, der sich mit ihm um seine Zeche zankte, mir rückte sich die Kappe von dem Kopfe. G ü n t h e r . Und darum fragte er auch drauf, ob er dir wo im Kriege schon begegnet, da du so freundlich seine Sache übernommen, dein Antlitz sey ihm gar nicht fremd. O t t n i t . Nicht wahr, ich redete mich gut heraus, hab mir so viel Verstellung nimmer zugetraut, ich möchte jetzt auch so viel Ahndung haben, wohin der Alte ist gegangen. G ü n t h e r . Ja laß uns weiter eilen, wir sind noch auf der großen Straße, es wird im Morgen schon was heller. O t t n i t . Mich überfällt hier eine süße Müdigkeit und in der warmen Nacht fühl ich mich von dem kurzen Weg erschöpft, mir ist, als hätte Jutta hier in diesem Grase ausgeruht, als träumte sie von mir, als sollt ich ihrer auch im Traume denken. Ich leg mich hier im Rasen nieder, thu’s auch, ich träum von Jutta und erzähl dir’s morgen. G ü n t h e r . Recht so, ich streck mich schon zum Schlaf, was ich geträumt, will ich auch treulich morgen mit dir theilen.
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Zimmer der Elisabeth, von einer Lampe erhellt. Elisabeth liegt mit verschlungenen Armen an Jutta’s Seite auf einem Ruhebette. Otto steht mit gespanntem Bogen vor ihnen.
O t t o . Mir ist so kalt, so schrecklich friert mein Herz, als wär ich ein Gespenst auf dieser Erde, das noch die Lebenden mit seiner Wuth verfolgt um Freundesheuchelei und lügenhafte Liebesküsse. Warum hat mich kein Sturm vom Baum herabgestürzt, eh ich mein Elend sah. Wenn solcher Kuß, so süßes Wort verrathen kann, hinweg denn alle Treu und aller Glauben, Recht wirds, das höchste Recht, im Schlaf zu morden wie ein feiger Knecht, das Schändlichste ist mir das Liebste. Und was sollt ich ihr sagen, wenn sie wachte? Giftblume, todter Geist in der lebendgen Hülle, du lustges Höllenthor 97
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im süßen Lippenpaar! – das sprichts nicht aus, was mich zu Tode grämt, sie würd mich nicht verstehen. Nein unbewußt erheb sie ihre Augen vor dem ewgen Richter, der mit seiner Augen Licht ins tiefe Herz kann leuchten, wenn sie zum Morgen aufzublicken denkt und les’ in seinem Auge ewige Verdammniß. – Verdammniß? Wär er streng, er hätt sie nicht geschaffen, gewiß wird ihrer Augen selge Lüge die Wag’ in Gottes Hand erschüttern, die alle Seelen wägt, frei wird sie gehn aus dem Gericht und ich werd ganz verdammt, weil ich auf Gott noch eifersüchtig, neidisch bin, wenn er in Milde sie für seinen Himmel sich gewinnt. – Ich bin von Sinnen, Blut will ich sehn, um zu genesen, ihr Blut zuerst und mit dem Buhler will ich kämpfen. Sie sind so fest verschlungen, ich kann ihr Herz nicht treffen, ohne ihn zu tödten. – Ob wohl ein Herz hier unter diesem Busen schlägt, nein, eine Unke sitzt an jener Stelle, und seufzt ein Grablied. – Er macht sich los von ihr. J u t t a (halb träumend). Mein Ottnit, Ottnit, – hilf Ottnit. O t t o . Umsonst rufst du die Helden aus der Fabelzeit, sey selbst ein Held im Kampf mit mir. (Lermen im Hause). Ich höre Lermen – kein Augenblick versäumt – erst sie, die Lüge, dann er, der Heuchler, dann ich, der Gottverlaßne! So ende Welt.
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VII. Er will den Bolzen abschießen, da springt Ottnit herein und fällt ihm in den Arm. Günther kommt später und sucht ihn auch zu halten.
O t t o . Wer seyd ihr, Rasende, die sich so frech um fremdes Leben in die Schanze schlagen, weicht oder ich zerschmettre euch. O t t n i t . Sie ist es! – Geliebte Fürstin, so hat mich Ahndung nicht betrogen. – Wer bist du Frevler, der die heilig Schlafenden will morden. (Otto macht sich frei.) Durchbohre mich, nur schone dieser Vielgeliebten. O t t o . So bist du auch ein mitverrathner Freund, laß uns umarmen in Verzweifelung, wir wollen uns zusammen rächen an dieser ungeheuren Sünderin. G ü n t h e r . Der Mann ist rasend, wollen ihn noch schonen. O t t n i t (weckt Jutta). Jutta, welcher Zauberschlaf hat dich gebunden, erwach und flieh, dir droht ein wilder Feind! 98
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Dritte Handlung. VI/VII
J u t t a . Mein Ottnit – ach wie thränenschwer sind meine Augen, ich hab im Schlaf geweint, – ich sehe dunkel wie im Traume – viele Männer, Waffen – wo muß ich dich Geliebter finden? (Sie springt auf 5
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und Ottnit in den Arm; er und Günther entfernen sich mit ihr etwas, um sie in Sicherheit zu bringen.)
O t t o . Ihr sollt mir nicht entfliehn, will eure Fährte wie ein Bluthund wittern, wenn ich mit dem geliebten Blute mich erfrischt, gesättigt habe. (Er richtet den Bogen gegen Elisabeth.) E l i s a b e t h . Ich träume! Nein, ich wache, kann in Angst nicht reden, himmlische Maria, dir gelob ich meines Lebens keuschen Dienst; hör meinen Schwur, ich schwörs bei ewger Seligkeit, errette mich von diesem Todespfeil des Rasenden. O t t o . (Sein Bolzen fällt herab.) Der Pfeil ist mir entfallen, das rettet dich und nicht Maria, die ihre Augen von dir wendet. Keusches Leben in verschlungnen Armen mit dem frommen Freund. Stirb Lüge! J u t t a (sträubt sich fortzugehen). Ich kann nicht fliehn, so lang Elisabeth von Otto wird bedroht, wenn ihr mich liebt, errettet sie, der Otto, der sie liebt, der will sie tödten! G ü n t h e r (zu Otto). Leg keinen Bolzen auf, ich bitte, ich beschwöre, gewiß, hier trieb der Teufel sein verruchtes Spiel, ein grimmer Irrthum waltet. E l i s a b e t h . Vor meiner Seele stehet alles klar, ich kann in Todesangst nicht reden, ich bin unschuldig, schwör ich noch einmal der himmlischen Maria. Jutta, er denkt, du seyst ein Mann. O t t o . Wunderteufelei, ein Mann wird Weib. J u t t a . Blödsinniger, hör an und drücke nicht die Augen ein; sieh mich, mein geistlich Gewand ist mir entfallen, ich steh im jungfräulichen Kleid vor dir, ich schwör es deiner wilden Eifersucht, die mich schon einmal nah dem Tode brachte, ich bin kein Mann, bin eine Jungfrau, bin eine Fürstentochter, bin Jutta, Tochter Heinrichs des Landgrafen, die ihrem Vater ist entflohn. O t t o . Nimm hin den Bogen, tödte mich aus Milde, aus Schwesterliebe!
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J u t t a . Schwesterliebe? 99
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O t t o . Erkenne deinen tollen Bruder Otto. Gieb einen Druck der Sehne – und aller Jammer liegt dann hinter mir. Dem Vater bin auch ich entflohn, und diese heilge Freistadt hat mein Zorn entweiht. J u t t a (umarmt ihn). Bruder, lieber Bruder, wie hab ich dich so lange nicht erkannt, und weiß doch jetzt bei deinem Anblick, daß deine Worte wahr. Du sterben? Sieh meine Arme sind der Bogen, er muß in Liebe dich bezwingen. Sieh dies ist Ottnit, mein Geliebter, der Sohn des Großvaters. G ü n t h e r . Weh mir, sie hat entschieden! Freund Ottnit, sie ist dein! (Er verhüllt sein Angesicht). O t t n i t . Wie wunderbar führt uns der Liebe spielendes Geschick zusammen! O t t o . O Liebe, deine Wunder sind so groß! E l i s a b e t h (weinend). Wie wunderbar entreißt des Himmels Wille mich dem ird’schen Traum der Liebe. O t t o . Du kannst mir nicht die Gnade schenken, Elisabeth, ich habe dich zu tief beleidigt, gieb du mir Tod, bestrafe mich, daß ich den Frieden deines Hauses brach. E l i s a b e t h (weinend). Dies Leben ist nicht mein und ist nicht dein, dem Himmel hab ich es vermählt im heilgen Schwur – dir hab ich nie gezürnt, dir hab ich deinen Irrthum leicht verziehen. – Komm Jutta, komm in meine Arme, daß ich weinen kann. Wie hab ich dich geliebt, mein Otto! – O t t o . So schüttle Herz denn allen Gram von dir, nichts hat die wunderbare Nacht gestört, sie liebt mich, rufe ich zur Morgensonne, vor der dies Zauberlicht der Lampe schwindet, das mich zum Frevel hat hereingelockt. Ihr liebt euch Ottnit, Jutta, euch hat mein Rasen hier zusammengeführt, so fallen oft die Würfel wunderbar aus höhrer Hand, dem einen auf den Kopf, daß er im Stoße taumelt, dem andern wird ein leichtes Glück bereitet, dem liebevoll zwei Augen sich gezeigt. Glückzu ihr beiden! O t t n i t . Kein schönrer Morgen seit der Schöpfung, liebe Jutta, guter Otto, wie wohl ist mir, nun ich euch beide so umfasse. J u t t a . Du bist ein guter Bruder, doch seyd bedachtsam, ich höre Stimmen, die sich nahn! 100
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Dritte Handlung. VII/VIII
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E l i s a b e t h . Des Vaters Stimme. G ü n t h e r . Wohin entfliehn? J u t t a . Entfliehen könnt ihr nicht. Gebt mir von allem, was geschehn, die Schuld. Ich habe euch hieher bestellt, den Tag in Fröhlichkeit zu grüßen, der unsern guten Fürsten hat geboren; nachher mag alles sich erklären. Ich hör des Fürsten Stimme wieder, Elisabeth, so trockne doch des Schreckens Thräne, bezwinge dich, hier ist das bunte Tuch, komm ihm damit entgegen. Gebt mir mein geistliches Gewand. – O Gott, ich kanns nicht finden! E l i s a b e t h . Ich bin gelähmt – verwirrt – ich kann mich noch nicht fassen – ach Jutta – du weißt nicht alles! –
VIII.
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F ü r s t (spricht vor der Thüre). Ich höre in dem Zimmer reden, sie spricht mit sich, nun Fräulein, führt die Kinder mit den Blumen an ihr Bette, die nahe Hochzeit ihr, wie eine Engelschaar zu künden, es sieht gar prächtig aus. H e i n r i c h . Mir ist dabei so weh ums Herz, als stürb noch einmal meine Frau. C h o r d e r K i n d e r , (welche von dem Fräulein geführt, Blumen ausstreuen und sich zu Elisabeth hinwenden, sie zu bekränzen.)
Wenn die Vögel aufwärts steigen, Da verschwindet ihr Gesang, Meint ihr, daß sie droben schweigen, Wir nur hören nicht den Klang; Unsre freudigen Gebete, Selge Blicke, Herzensbeben, Was vom Himmel liebend wehte, Wollen sie zum Himmel heben, Von der Liebe singt ihr Chor An dem goldnen Himmelsthor. (Der Fürst, Heinrich und der Kanzler kommen).
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E l i s a b e t h . Ich dank euch, Kinder, aber singt von Liebe nicht. – Mein theurer Vater, wollt ihr mich beschämen, daß ich den Freudentag, der euch das Leben gab, nicht feire? Dem Vater streut die Blumen, Kinder. Dies Tuch, das euch in kalter Nacht das theure 101
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Haupt soll wärmend schützen, nehmt an wie Blumen, die in treuem Fleiß dem lieben Gott sind nachgemacht . (Leise) Ach Jutta, halt mich, ich versinke. F ü r s t . Du guter Engel, du wunderbare Hand, nimm meinen Segen für die schöne Arbeit, da soll mir jede Sorge schwinden, wenn ich das Haupt in diesem Tuche trage. Dir aber will ich auch zum ruhgen Schlaf was schenken (er sieht sich um) – wie kommen diese fremden Ritter in dein Zimmer, wer ist die Jungfrau hier, he Otto, sprich, was machst du hier? – K a n z l e r . Auch Jutta hier, du segensreicher Morgen. H e i n r i c h . He Jutta! Was Ottnit, du auch. Und Günther! Und Otto! Da muß ich wohl des Teufels, – nein!
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O t t n i t und J u t t a knien vor ihm und rufen Gnade! Vater!)
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G ü n t h e r . Ich bitt euch, theurer Fürst, verzeihet den verlornen Kindern. H e i n r i c h . Ich muß erst alles wissen. Laßt mich! Zum Teufel laßt mich! F ü r s t . So laßt ihn doch in Ruh und mich zur Sprache kommen. Versteht doch schnell, das Wild ist ja im Schuß! Sieh Kind, der Otto Schütz, du wirst jetzt roth, jetzt blaß, der ist ein Fürstensohn, du liebst ihn, ich weiß alles, er ist, hör zu, er ist der Ehgemahl, den ich an diesem Freudentag dir bringe. Nun das verdient doch einen Kuß. E l i s a b e t h . Ja Vater! (Sie sinkt in Ohnmacht nieder, alle knien erschrok-
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ken neben ihr nieder und rufen: helft, sie stirbt!)
F ü r s t . Die Freude hat mein armes Kind entseelt, ach Heinrich, ist die Jugend auch zu schwach zur Freude. O t t o . Wache auf, vergiß das Schrecken, das mein Wahnsinn dir bereitet! Schrecken giebst du für das Schrecken! Keine Antwort? Bleich die Lippen! Ach ich meine, daß mein Pfeil dir den Busen hat getroffen, als mein Herz die Unthat wollte! Weh, die Wunde hat dich nicht entstellt, nur erhöht des Leibes Wunderpracht. Seit die Lippen sind von mir gelästert, sind sie still geschlossen, seit dein Herz von mir gescholten, steht es still, – weh, du warst zu gut für mich! Du entfliehst, nun uns die Welt vereint! Helft zur Luft sie niedertragen. J u t t a . Helft, ihr Männer, ich versink in Jammer. Heilige Maria! 102
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Dritte Handlung. VIII/Vierte Handlung. I
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K a n z l e r . Tragt sie auf dem Ruhebette! Gott mag trösten! F ü r s t . Heinrich, halt mich, wie verwandelt steht die Welt vor meinen Blicken; daß ich meine Brust mir schlage, thut mir wohl, daß ich meine grauen Haare in die Winde streue, lindert meines Hauptes Weh. Meine Freude hat die Tochter umgebracht, weh der falschen irdschen Freude! (Heinrich führt den Fürsten fort, Elisabeth wird von den andern fortgetragen. Das C h o r d e r K i n d e r schließt sich singend an).
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Wenn die Vögel aufwärts steigen, Da verschwindet ihr Gesang, Meint ihr, daß sie droben schweigen, Wir nur hören nicht den Klang. Ihre Klagen, unsre Thränen Um die früh entführte Blüte, Aller Herzen stummes Sehnen Nach der Schönheit, nach der Güte, Singt ihr leiser Trauerchor An dem goldnen Himmelsthor.
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I.
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Garten am Schlosse neben der Kirche eines Nonnenklosters. Mädchen tanzen mit einander beim Klange einer Zitter, welche die eine spielt. Nach einiger Zeit kommen Fürst Hubertus und Landgraf Heinrich gegangen, Diener tragen Stühle und Tisch und Becher und Flaschen ihnen nach.
H e i n r i c h . Hieher, ihr Leute, hier setzt den Tisch, dem Springbrunn näher, daß seine Kühlung uns erfrischt, es ist ein heißer Tag, der Hecken dichter Schatten ist willkommen. Ihr Leute geht, ihr Mädchen auch, denn euer Herr ist heut noch schwach. (Die Diener fort.) F ü r s t . Laß diese guten Kinder ihren Reihentanz vollenden, sie haben diesen Brunnen schön geschmückt, zu meiner Ehre sind sie lustig. Nun tanzt, ihr frischen Jungfern, denkt, ich sey der Frühling und meine weißen Haare noch ein Schnee am hohen Berge. 103
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Der Auerhahn
E i n M ä d c h e n . Ei, Herr, wenn ihr der Frühling seyd, so könnt ihr uns auch wohl im Tanz begleiten und diesen Kranz aus unsrer dreier Jungfraun Hand annehmen, die als die Schönsten sind erwählt zu eurem Wohlgefallen. F ü r s t . Ihr habt recht gut gewählt, der Kranz ist schön, doch müßt ihr meinem Freunde Heinrich einen gleichen schenken, er hat so treu in meiner Noth mir beigestanden. D i e d r e i M ä d c h e n . Wir haben nur den einen Kranz.
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(Sie singen und tanzen):
Die Liebe nur kann freie Mädchen binden, Zu einem Kranz sich tanzend zu umwinden, Den lieben Fürsten zu umziehen Mit ihrer Jugend Blühen, Den lieben Fürsten zu umringen, Ein Loblied ihm zu singen. Ehrwürdger Greis, du kamst in unsre Hütte, Daß dich erreichte unsrer Armuth Bitte, Du hörtest willig unsre Klagen, Nun laß dir Freude sagen, Tritt mit in unsern frohen Reihen, Beglückend ihn zu weihen. 95
Wir preisen hoch des Silberhaares Locken, Dein helles Aug macht unsre Augen trocken, Dein Lächeln ist der schönste Segen, Die Furcht ganz abzulegen; So mögen wir in liebendem Vertrauen Dich alle gern anschauen. Heil dir, du hast der Jahre Last getragen, Die welschen Feinde oft geschlagen, Und hochgeschmückt der Kirche Hallen, Du bist des Volkes Wohlgefallen, Du bist zu unserm Glück geboren, Dein Glück hat uns erkoren. Heil uns! Laß dir beim Klang von freudgen Tönen Die hohe Stirne rosig krönen, Und lüfte dich im Reihentanze 104
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Vierte Handlung. I
Im hellen Sonnenglanze, Du bist nicht alt, du wirst verjünget, Wenn dich der Kranz umschlinget. (Sie setzen ihm den Kranz auf). 5
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F ü r s t . Den Reihen hab ich euch geführt, nun habet Dank, ihr Kinder, da nehmt den Becher Wein, trinkt ihn auf meiner Tochter Wohl und stellt ihn dann im Rathhaus auf zum Zeichen, wie ich so selig froh, daß meine Tochter ist genesen. D i e M ä d c h e n . Wir danken euch, hochgnädger Herr, die ganze Stadt wird eure Güte rühmen. (ab.) F ü r s t . Du bist so ernst, mein Heinrich. H e i n r i c h . Solch Wesen ist mir fremd, hab nie mit dem gemeinen Weibervolk vertraut geredet, dann geht mir viel im Kopf herum. F ü r s t . Als meine Tochter ihre Augen wieder aufschlug, da habe ich den ganzen Schreck vergessen. Ein Arzt ist doch ein Wunderthäter, zwei Tropfen, die er in den Mund ließ fallen, da schlug der Lebensfunken in der Asche auf. Mein Glück ist mir unendlich mehr bewußt, ich fühl es erst, seit ich sie todt gesehen: du weißt noch nicht, was eine Tochter ist, du bist noch jung. Denk, diese Tochter ward mit Ärger einst von mir begrüßt, als sie in diese Welt mit Noth geboren, die jetzt mein ganzes Glück auf dieser Welt. H e i n r i c h . Du wolltest einen Sohn. F ü r s t . Ich wünschte meinem Throne einen Erben, ich dachte nicht, daß meine Wünsche könnten täuschen. Nach schwerem Kampf, als schon der Mutter und des Kindes Leben aufgegeben, trat nun Elisabeth ans Licht, und wie ich höre, eine Tochter, da spring ich fort aufs Pferd und hetze dreißig Tage durch mein ganzes Jagdrevier. Ermüdet komm ich heim, da läuten schon die Glocken zum Gebet, da find ich meine Frau im Sterben, sie sagt mir noch, daß sie in ihrer Wehen Noth ihr Kind der heilgen Mutter hat verlobet und dann befreiet worden sey. Das waren ihre letzten Worte. Ich hatte nichts gelobt, ich hielt der Tochter dies Gelübde ganz geheim, denn sollte auch mein Stamm verlöschen, so konnte ich doch hoffen, einen freudgen Eidam zu erwählen. Das alles war so nahe der Erfüllung, mich schaudert noch, wenn ich gedenk, wie wir des Zufalls Ball gewesen. Den Ottnit hab ich lieb wie meinen Sohn, seit er das Leben meiner Tochter hat gerettet. 105
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H e i n r i c h . Ich meine Günther that das Beste. F ü r s t . Auch ihm bin ich mit meinem Haupt verpfändet, denn unentbehrlich ist die Tochter mir zum Leben wie mein Haupt. Die lustge Jagd ist mir nur Langeweile, wenn ich sie nicht im Walde treffen soll und wie der Geistliche mit Himmelskraft das Wasser und das Brodt und auch den Wein kann segnen, so segnet sie mir jedes Mahl mit ihrer Nähe. Sieh, darum wars Bedingung, daß dein Sohn hier wohnen sollte, wenn er mit ihr vermählt; doch bitt ich jetzt noch mehr. H e i n r i c h . Kann ich’s gewähren? F ü r s t . Du hast in dieser Noth mit solcher Treue dich erwiesen, ich bin dir gut, wie deinem Vater einst. Wodurch du andre leicht beleidgen kannst, durch deiner Worte Heftigkeit, das kränkt mich nicht in meinem Alter; bleib du bei uns als Freund und Vater, du hältst das ernste Gleichgewicht zu meiner Milde. Gieb deine Hand darauf. H e i n r i c h . Ich schlage ein, ich lerne von dir leben, ich hab mich lang genug mit aller Welt geplagt, will auch einmal versuchen, wie die Ruhe schmeckt, läg nur so vieles nicht so schwer auf mir. F ü r s t . Wir theilen jede Last, entlade dich auf mich, mein Leichtsinn trägt so viel. H e i n r i c h . Eins kann ich dir nicht anvertrauen, das andre sag ich dir mit Lachen. Es ist ein dummes Mährchen, doch ängstigt es durch vieles, was zusammentrift. Der Ahnherr unseres Geschlechts, der Asprian, ward in dem Alter durch die Liebe zu der Jagd bethört; dem Sohne überließ er die Regierung, er kletterte so Tag wie Nacht, auf Bäume, er konnte nicht mehr sprechen, er schrie und seufzte wie ein Auerhahn und starb zur Falzzeit dieser Thiere. Du lachst! F ü r s t . Ich lache meiner eignen Schwäche, in gleichem Wahnsinn könnte ich verderben, wenn mirs die Körperschwäche nicht versagte. Oft möcht ich lieber Wild, als Jäger seyn. H e i n r i c h . Was ich erzähle, mag die Wahrheit seyn, die Leute aber sagen, er habe einen Auerhahn, die selten sind in unsrer Gegend, mit solcher Sehnsucht angeblickt, daß seine Seele in den Auerhahn, des Auerhahnes Seele wieder in des Fürsten Leib geflüchtet. Darum hab er die Sprache bald verloren und hab geschrien wie ein Vogel und habe auf die Bäume sich gesetzt. Auch sagen sie, es lebe noch ein Auerhahn in unsern Wäldern, der sprechen könne, das sey der 106
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Fürst und Ahnherr, und bis zu meines Vaters Zeit durft niemand einen Auerhahn dort schießen, denn nur so lange sollte unser Haus bestehn, als dieser Vogel lebte. F ü r s t . Da herrscht ihr ewge Zeiten, kein Auerhahn kann sich in eurer Kälte halten. H e i n r i c h . So meint ich lange auch, doch heute seh ich in dem Haar der Tochter Jutta ein wunderliches Federnpaar, ich frage, wer es ihr geschenkt. Da wird sie roth und sagt, daß Ottnit es gebracht, es sey vom Auerhahn, den er an jenem Tag geschossen, als ich nach Marburg heimgekehrt. Nun war ich schon auf anderm Weg gewarnt, daß Ottnit meinen Sohn verdrängen will, da fiel dies Wort mir schwer aufs Herz. Ich habe allen Glauben von mir abgeworfen, kein Mönch soll mich berücken und dieses thörigte Gered des dummen Volks, ich kann es nicht vergessen. Nicht wahr, du meinst doch auch, daß alle Weissagung ein dummes Spiel des Zufalls sey. F ü r s t . Das nicht, in jeder dunklen Weissagung der Völker liegt ein Glaubenskeim, wie in gewissen heilgen Träumen, daß alles Leben schon in Gott geahndet sey, doch jenes Volksgeschwätz..... H e i n r i c h . Das könnt mich rasend machen, wenn in den Weissagungen etwas wäre! So leb ich ganz umsonst, bin nichts, gar nichts als Gottes leidge Puppe hier auf Erden, da muß ich wohl des Teufels werden, um meinen Willen durchzusetzen. F ü r s t . Welch Fieber wandelt durch dein Angesicht, die Lippen zukken und die Augen wechseln ihre Farbe, ich bitte dich, beschau dein geistlich Pilgerkleid. H e i n r i c h . Wenn Träume wahr und Weissagung, da muß ich mit dem Ottnit fechten! Es steigt mir heiß in meinen Kopf, mein Sohn wird sonst von ihm ermordet, es steht so schwarz geschrieben in der Seele, ich habe keine Ruh. Erlaub mir, daß ich mich im Wald zerstreue, mich ärgert jetzt dein freundlich Antlitz.
II. G ü n t h e r kommt.
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F ü r s t . He Günther, ich freu mich, daß du kommst, du kennst den Landgraf länger, weißt mehr von seinen Sorgen, ich bitte dich, zerstreu die Wolken seiner Stirn, führ ihn umher, ich bin zu schwach. 107
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Dort steht das Haus mit meinem Jagdgeräth. Nun Heinrich, komm bald wieder und vergiß die selbstgeschaffne Qual. H e i n r i c h . Bald, bald, es läuft mein Blut so wild, als sollt ich gleich des Teufels werden, komm Günther, komm, ich hab dir manches zu vertraun. (ab.) G ü n t h e r . Ich komme gleich. Euch Fürst ward ich gesandt, der Tochter Nähe zu verkünden, sie hat sich lange eingeschlossen und sie wünscht euch ganz allein zu sprechen. (ab.)
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III.
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F ü r s t . Sie ist willkommen jeder Stunde meines Lebens. Der Landgraf ist ein wunderlicher Heiliger, der schöne Nachmittag ist mir verdorben, die Tochter wird mich trösten. E l i s a b e t h (zum Fräulein.) Laß mich allein mit meinem Vater, ich fühl mich stark genug, ich freue mich, ihm alles zu vertrauen. F ü r s t . Ich grüße dich wie eine neue Himmelsgabe, mir ist, als lernt ich dich von neuem kennen, o liebe Tochter, nie habe ich Vergänglichkeit so durch und durch wie heut gefühlt. Ich darf nichts mehr verschieben, was mir lieb, so trag ich deine Hochzeit immer in Gedanken, womit ich heut dich überraschen wollte, ich fühl mich schwach und möchte gern dabei noch gegenwärtig seyn. Wann giebst du deinen Willen drein? E l i s a b e t h . Ach Vater, denket doch, wenn ich vermählt, da muß ich meines Mannes Willen folgen, kann nicht auf jeder Fahrt mit Sorgfalt euch begleiten, nicht euer Mahl erheitern, ich muß dann weit von hier in fremde Schlösser ziehn, zu fremden Menschen, wir werden beide traurig seyn. Gewiß der Himmel, der durch Otto mich dem Tode weihte, will nicht, daß er mein Leben neu begründe. (Sie
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weint.)
F ü r s t . Glaub seiner bittern Reue, nie hab ich solche Herzensbuße angesehn! Und doch war seine Eifersucht so ganz natürlich, du warst im Fehler, meine Tochter, du hattest deinen Vater angeführt, statt kindlich ihm der Freundin Schicksal zu vertrauen. E l i s a b e t h . Vergebung, Vater, ja, die Schuld war groß, doch damals schlug des Muthwills Ader noch in mir, die ich von euch geerbt, ich wollte euch mit dieser Freundin überraschen. Es war ein kindischer 108
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Vierte Handlung. II/III
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Gedanke, den ich so schwer gebüßt und ach noch schwerer büßen soll. F ü r s t . Ich hab ihn längst vergeben, sey nur heiter. Der Otto wohnt bei mir, bis ich zu meinen Vätern geh mit Schild und Helm, als letzter Sprosse ihres Stamms, auch Landgraf Heinrich will bei uns verweilen, wir werden künftig unter uns ein freudig Häuflein seyn. Zum Zeichen künftgen Glücks setzt ich dir auf das liebe Haupt den Kranz, er ist der Mädchen Gabe, die gerne deine Hochzeit feiern wollten. E l i s a b e t h . Laßt euch von solcher Hoffnung ja nicht blenden, so freudig ist das Leben nicht, es ist ein Zeichen nur von einem höhern Ganzen, und wie die innre Seite dieses Kranzes, wo tausend Stengel sind zerdrückt, ist droben um so höh’re schönre Ordnung, je wunderlicher und verwickelter dies Leben scheint. Ich hab euch vieles zu vertrauen. (Sie setzt den Kranz auf.) F ü r s t . Sag alles, denn dein Ernst, die Trauer deines Angesichts sind schlimmre Zeichen, als je ein Unglück mich getroffen hat. E l i s a b e t h . Ich darf dem Otto mich nicht mehr vermählen, nie, nimmermehr! F ü r s t . Ist deine Liebe in dem Schrecken ganz erloschen? Ich zwing dich nicht, es thut mir weh, ich liebe ihn, doch du bist frei. E l i s a b e t h . Ich liebe ihn, ich bin nicht frei, und darin liegt der ungeheure Schmerz, den nie mein Mund kann klagen. F ü r s t . Du sprichst in Räthseln und mein Kopf ist müde. E l i s a b e t h . Es muß vom Herzen los, es könnte mich ersticken. F ü r s t . Ich fühl mich schwach, sprich aus, geliebtes Kind, was deine Seele quält. Hat dir ein falscher Freund von ihm gelogen, hat Ottnit ihn gelästert? Der Vater fürchtet diesen Bastard. E l i s a b e t h . Nein, nein, kein frömmrer Mann auf dieser Welt als Ottnit, und keiner mir so lieb wie Otto. Das ist es nicht, doch mein Gelübde, – weh – das ich in Todesangst geleistet. F ü r s t . Gelübde, sprich – mir ists, als hört ich deiner Mutter letzte Worte. E l i s a b e t h . Ja, Vater, dem Himmel hab ich mich verlobt in Todesnoth, den Schwur lößt keine Menschenhand, dem Kloster ist mein Jugendleben nun geweiht, doch seht, in eurer Nähe werd ich beten, 109
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hier ist die Kirche, wo ich täglich singe, in diesem Garten kann ich mit euch gehen, doch weiter darf ich nicht, da ist die Grenze, die ich nimmer überschreite und Otto darf ich dann nicht sehn. Ich darf nicht zögern, denn zu schwach wird sonst mein Wille, noch heute scheid ich von der schönen Welt, die immer heitrer mich zurücke lockt. F ü r s t . Es ist mein Todestag. E l i s a b e t h . Ich bleibe doch in deiner lieben Nähe, du darfst nicht sterben. F ü r s t . Ach deine Nähe wird ein steter Gram mir seyn, wie deine Jugend so umsonst verblüht und wie mein Reich an Fremde übergeht. Ich hatte mich getröstet, als der Himmel mir den Sohn versagt, doch, daß er meine Tochter mir entreißt, dafür giebts keinen Trost. O Tochter, so wenig hat der Himmel mir gehalten, von allem, was ich gläubig mir erbeten, was willst du strenge ein Versprechen halten, was er in der Noth von dir erpreßt, das kein Gerichtshof anerkennt, es ist nur Zeichen von der Menschen Schwäche. E l i s a b e t h . Ich schwanke zwischen deinem Willen und der festen Stimme, die in mir ruht, daß ich jetzt todt in dieser Kirche läge, wenn ich mein Leben ihr nicht ganz geweiht und meine schon, daß mich ein Todespfeil jetzt treffe, da zweifelnd sich mein Herz von dem Gelübde wendet. F ü r s t . Kind, lebe, ja ich fühle gleiche Sorge, ich fühle, daß umsonst der Mensch dem Himmel widerspricht. So wisse, was ich stets verschwieg, daß deine Mutter dich in der Geburt, in Todesangst dem heilgen Leben weihte, daß sie es sterbend mir vertraut. Du weißt, wie du in solcher Prüfungsstunde zu gleichem Willen bist getrieben. Ich kann nicht widerstehn! Des Himmels Wille soll geschehn! E l i s a b e t h (weint). So ist denn unabwendbar der Entschluß, der alle Freude nimmt und ewgen Lohn verspricht. Ich hoffte heimlich, daß ihr mich durch Gründe, die ich übersehen, vom Klostertod zurücke halten könntet und immer strenger faßt mich das geheime Wort. Gewiß, Unseliges hätt ich vollbracht auf Erden, da mich der Himmel früh zu seinem Dienst berufen! Mein Glaube ist bestärkt! Mein Vater, laß sogleich den Abschied nehmen, eh ich des Lebens Freuden wieder kenne, die Schwäche löset sanfter als die Überlegung von dem Leben. Kommt meine treuen Jungfrau’n, nahet euch, komm Martha. 110
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Vierte Handlung. III/IV/V
IV. Fräulein und andre Gespielen und Dienerinnen treten ein.
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F r ä u l e i n . Was wünschet unsre theure Fürstin? E l i s a b e t h . Hör Martha, denk, ich wäre todt. F r ä u l e i n . Wie könnt ich denken, was mir selbst das Leben nähme. E l i s a b e t h . So denk, ich hätte dich entlassen im Verdruß, es würde dich dann trösten, wenn ich dir noch ein Angedenken schickte. F r ä u l e i n . Ich würde es mit meinen Thränen, doch mit Segenswunsch empfangen. E l i s a b e t h . So nimm die Ringe, gieb die Kleider meinen Frauen, ich bin nicht todt, ich bin dir auch nicht böse, nimm diesen Kuß zum Zeichen, doch sehen darfst du mich nur selten – ich geh ins Kloster. F r ä u l e i n . Mein Fürst, darf ich den Ohren traun, so ist der Gram auf diesen Tag gehäuft. F ü r s t . Lies in den trüben Augen meine Antwort; die kaum dem Tod entrissen, raubt der Himmel. E l i s a b e t h . Ich sah euch in so vielen frohen Stunden, ich denk der Blumen, die wir pflückten, der Spiele und des Tanzes, ich war ein wildes Mädchen, mir ziemt die Frömmigkeit. Habt alle Dank für eure Liebe, bald bete ich für euch. Ruft Otto! F r ä u l e i n . O schlimme Botschaft, die ich ihm soll bringen. E l i s a b e t h . Noch diesen letzten Dienst. F r ä u l e i n . Weh mir. (Sie und die Jungfrauen ab.)
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Das Fräulein führt Otto zur Elisabeth.
F r ä u l e i n . Den Ritter führ ich wie ein Kind, das immer noch nicht glauben kann, ihm sey verziehen, ich konnt ihm nicht die Trauerbotschaft sagen. O t t o . Du kannst mir nicht vergeben. E l i s a b e t h . Die Liebe war dein Unrecht, Otto, die Liebe kann der Liebe leicht verzeihen, es bleibt kein Angedenken jener Schreckensnacht in mir, nur ein Entschluß steht fest in meiner Seele, o sag ihn, Vater, ich vermag es nicht. (Sie verhüllt sich). 111
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Der Auerhahn
O t t o . Entreißt mich, Fürst, dem Höllendunst, der Sorge, die, unerklärlich selbst, doch alles auf die eigne Noth hindeutet, noch gehe ich im Dunkeln ohne Rath und Trost, die Liebe zwinget mich zum Hoffen, hartherzig stößt die Hoffnung mich zurück. F ü r s t . Elisabeth will für dich beten, theurer Sohn, dem Himmel hat sie sich verlobt, als sie dein Pfeil bedrohte, dem Himmel ist ihr Leben eigen. Versuch, ob du sie kannst zurücke halten, ich wag es nicht. Wie ist dir, Otto? Du schwankest, du kniest nieder. O t t o . Vom ewgen Heil sollt ich die theure Seele in des Lebens Wüste mir zurückereißen, nein, ich vermag es nicht! Ein höhres Licht hat auch mein Aug durchbrochen, das sonst an Wald und Flur mit leerer Freude hing, und von dem Zufall angeführt, der grimmen Frevelthat mich weihte. In deinem Aug, Elisabeth, strahlt Himmelslicht, jetzt fühle ich, warum der Vater mich dem heilgen Leben weihte und aller ritterlichen Lust entzog, ich fühle, wie mein Blut zur Missethat mich reitzte, es reut mich manche Schuld, seit ich des Vaters Willen bin entflohen und durch die Welt in stolzem räuberischen Übermuthe irrte und keines Menschen Leben achtete, weil ich mein eignes frevelnd dran gesetzt! ich war das wildeste von allen Thieren, die ich jagte, ach meine Liebe war nur Wuth! Jetzt fühl ich erst, daß ich dich lieben lerne, da ich auf ewig von dir scheiden soll. Du weißt allein das rechte Heil, in dir hab ich zuerst an Gott gedacht. F ü r s t . Der wilde Jäger wird zum Heilgen. Der Himmel hat viel Freude an den Kindern, die ihm verloren gingen und dann wiederkehren. E l i s a b e t h . O stärke mich, du himmlische Maria, ich ging dir auch verloren und ich kehre heim. Noch bin ich nicht so fromm, mein Otto, noch brauch ich deine starken Worte. Du willst dich also ganz dem Herren weihen, Otto! So lerne fleißig, daß ich von dir lernen kann und was du betest, sende mir, ich will dasselbe beten, und zieh mich auf an deiner Andacht Licht. 103
O t t o . Mir geht ein herrlich Leben auf, im Geiste werden wir verbunden seyn, ja stolz seh ich auf Freuden nieder, wonach mein Mund so heiß gestrebt, die Seele steigt, der Leib versinkt, so wird die Reue minder, die Liebe größer werden. 112
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Vierte Handlung. V/VI
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E l i s a b e t h . O selge, heilge Liebe der Gedanken. Dein Wort giebt mir den Geist zurück, der mich verlassen wollte. Auch du hast einen heiligen Beruf und wirst du einst die hohe Kirche lenken, so wird dich mein Gebet umwehn. Liebe in Gott, das ist die Gnadenfülle. Schon öffnet sich die Thür des heilgen Klosters, die Schwestern haben meinen Willen schon vernommen. Ist dieser Augenblick bezwungen, so giebts nur eine Ewigkeit. Dich, Vater, werd ich täglich sehen, Maria will den frommen Dienst, den ich dem Vater leiste. Leb wohl, mein Otto, dich habe ich im ersten Kuß geliebt, mit diesem letzten Kuß nimm alle ird’sche Liebe von den Lippen, daß mein Gebet für dich ganz rein. O t t o . Wenn mich der Kuß nicht heilig spricht, so bin ich tief unheilbar schon verdorben, doch frei und selig schlägt mein Herz und meine Augen strömen Wasser, weil sie in deinem Lichte übergehen. E l i s a b e t h . Ich höre den Gesang, der mich begrüßt. Die heilgen Schwestern warten schon zu lange auf ein Weltkind. Lebt alle wohl. (Sie tritt in die Kirche, Otto und das Fräulein knien an den Stufen des Eingangs, dann folgen sie ihr, später der Fürst in die Kirche, wo ein ernster Gesang leise erschallt).
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VI. H e i n r i c h und G ü n t h e r kommen im Gespräch.
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H e i n r i c h . Die Tochter hab ich dir versprochen, mein Fluch soll sie vernichten, wenn sie Ottnit wählt, den Ottnit, der nach meinem Leben trachtet, nach meines Otto Leben, ich könnte ihn mit kaltem Blute würgen. G ü n t h e r . Ihr thut ihm unrecht, Fürst, die Liebe hat für ihn entschieden, und keinen andern Ausspruch will mein Herz. H e i n r i c h . Auch du willst dich jetzt von mir wenden, mir recht, ich zwinge niemand zu der Freundschaft. Geh, rufe mir zum Dienst den Kanzler. G ü n t h e r . Ich eile. (Vor sich) Es ist ein furchtbar wunderlicher Mann, er sinnt in Ängsten auf Verbrechen, so hab ich ihn noch nie gesehen. (ab.) H e i n r i c h . Glatzüngiger, dich kenn ich nun genug, so lang der Tochter Liebe dir zum Ziel gestellt, da war dir meine Freund schaft 113
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alles, jetzt widersprichst du mir, wo ich dein Gutes will. Elende junge Brut, da waren doch die Zeitgenossen besser, in ihrer Leidenschaft war Kraft zu jeder That, der ist ermattet an der ersten Weigerung der Jutta. Was dies Gesinge, dies Geläute sagen will? Auch das ist mir zum Ärger, mir zum Hohn. (Es kommen viele weinend aus der Kirche). Was weint ihr, Jungfraun? Was ist geschehn? E i n M ä d c h e n . Die schöne Fürstin! Der Welt und aller Herrlichkeit könnt ich noch nicht entsagen, und bin doch nicht so schön wie sie. H e i n r i c h . Wer ist gestorben? Ich halt euch fest, ihr müßt mirs sagen. F r ä u l e i n . Elisabeth hat sich der Mutter Gottes und dem heilgen Sohn verlobt. H e i n r i c h . Geht, schwärmt und lügt den Kindern, ich bin zu alt, vor wenig Stunden saß ich hier und freute mich des nahen Bunds mit meinem Sohne. (Der Fürst kommt.) Hubertus, was deuten deine Thränen? Ists dennoch wahr? F ü r s t . O laß mich schweigen, ich bin zu schwach, mein Land fällt in die fremde Hand, o heilge Tochter, bet für deinen armen Vater! (Er geht ins Haus).
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VII.
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H e i n r i c h . Hat eine geistge Fluth, was Menschen sondert und verbindet, in einem Sturz gemischt! (Otto kommt). Wohl mir, da kommt mein Otto. Sag an, in welchem Teufelsspuck rennt weinend jedermann an mir vorüber. O t t o . Ein heiliges Gelübde, in der Noth geschworen, als meine freche Hand Elisabeth bedrohte, ist schon erfüllt, Elisabeth ist in dem Kloster aufgenommen, zu dem ihr heilger Ruf bald fromme Schaaren lockt. Ihr dank ich meiner Seele Licht, aus einem tiefen Bergwerk, wo der falsche Flimmer mich gelockt, kehr ich zum unschuldvollen Tage wieder. Ich hatte euren Willen, gnädger Vater, übertreten, dem heilgen Stand wollt ich entfliehn, Elisabeth hat mir die Leerheit dieser Welt enthüllt und mein Gelübde ist zum Himmel aufgestiegen, als sie der Welt entsagt, in einem Geiste ists empfangen, ich trete ohne Säumniß in den Kreis geweihter Schüler, die fern der Welt, dem Heil der Kirche leben. 114
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Vierte Handlung. VI/VII
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H e i n r i c h . Mein Otto hör mich an! Mit meinem ärgsten Vaterfluch lösch ich im Himmel dies Gelübde aus. Du wirst kein Mönch, auf mich komm alle Schuld, ich will sie tragen, doch du sollst ritterlich mein Land beherrschen. Dein Bruder ist gestorben, ich bin der Sorge überdrüßig. Hab ich dir je ein heilges Leben anbefohlen, es war in blinder eigensinnger Wuth. Mein Otto, strafe deinen Vater nicht mit seinem eignen Willen. O t t o . Nicht einsam und verwaiset laß ich euch, mein Vater, die Schwester hat den tapfern Ottnit sich erwählt, der mich vom Mord errettet, gieb ihnen Segen, in beiden wohnt ein Geist der Überlegung und der zuverläßgen Treue, der nicht dem Drang des Übermuths sich beugt, nur solche Herrscher sind dem Volke heilsam. H e i n r i c h . Von meinen Händen soll der Bastard sterben, den ein Geschick so thörigt boshaft auf meines Stammes Trümmern will erheben. Kein Wort für ihn, das Rohr beugt sich im Sturm, die Eiche steht oder stürzt. – Die Welt nennt mich den Eisernen, ist das ein Vorwurf! Nein, dem Stoffe gleich zu seyn, der diese Welt regiert, ist ehrenvoll, wohl mir, ich trage unter meinem Friedenskleid dies Schwerdt, das mich zum Eisernen gemacht. Der Tod soll mir nicht alles rauben. Du kannst mir alles geben. Bei meinem Schwerdt, ich stech den Bastard nieder, wenn du, Elisabeth, nicht aus des Klosters Zwang befreist, entführst in dieser Nacht. Du zweifelst, du erbleichst, ich weiß es, was du denkst. Du meinst, es sey doch gegen ihren Willen, was sey dir ihre Lust so willenlos gezwungen. Glaubs nicht, in einem unglückselgen Augenblick hat sie das Wort dem Himmel zugeschworen, dem Himmel, der so freundlich über alle leuchtet und niemand in die dunklen Klostermauern drängt, dem Himmel, der sie nicht gehört, der gar nicht hören kann. Wie, ging sie freudig in das Kloster ein? O t t o . Ihr ruft den grauenvollen Augenblick zurück, sie weinte, fühlte sich so schwach, sie sagte, daß sie mir die Stärke danke und der Begeisterung, womit ihr göttlicher Entschluß mich hell bestrahlte, daß sie die Kraft zum Abschied in sich fühle. H e i n r i c h . Triumph, noch läßt sich alles bessern. Wie hat die Schwärmerei dich so verblenden können, wie hast du ihren Willen ganz mißkannt. Statt ihres Glaubens Lob zu preisen, wünschte sie, daß du mit aller Macht der Liebe gegen ihren schon erloschnen Willen kämpfen solltest. Du bist’s, der sie in dies Gefängniß stieß, 115
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wo sie in Reue ihre jungen Tage soll verseufzen und betend flucht, daß sie die heiße Liebe einem Leichtsinn schenkte, der sich mit ihr beim Himmel ein Verdienst will stiften. O t t o . Ich kann nicht glauben, was ihr sagt, und doch bin ich erschüttert, Vater. Was ich gesprochen, was ich gethan, jetzt kann ichs nicht begreifen. Ich denke jetzt, wie ich in diesem Garten zum Geständniß ihrer Liebe sie gezwungen und zwingen mußte, sie hätte sich wohl nie erklärt. Von Sinnen war ich, Vater, gewiß, sie wollte, daß ich mit Gewalt den Knoten des Geschicks zerhauen sollte, den das Gelübde in der Angst geknüpft! Ein unabsehbar Elend steht wie eine Wüste vor der Seele; in ihr, in mir die tausendfachen Zweifel, die jeden Lohn der Heiligkeit uns rauben. O Vater, hättet ihr mich unbewußt der Thorheit, hier durchbohrt, ich hätte euch gedankt, jetzt trag ich tausend Schwerdter in dem Herzen und willenlos, so steh ich schwankend zwischen Erd und Himmel. H e i n r i c h . Du bist der Erde Eigenthum, das glaube mir, du bist mein Ebenbild. Sieh deiner Arme Stärke, das Blut in deinen Wangen, ich bin dein Wille, ich befehle dir, Elisabeth dem Klostertode zu entreißen. Ich bin des Kaisers und des Papstes Freund, die Strafe dieser That sey mein, ich selber würde sie vollbringen, mir würde sie nicht folgen. Gewiß sie wartet dein in dieser Nacht und seufzt, ob du sie schon vergessen. O t t o . Ich trag es nicht, o Vater, ich muß euch fliehn, ich kann nicht widerstehn. Im wirren Sinne, der mich quält, mein ich den Teufel hinter euch zu sehen, der solche Worte in das Ohr euch flüstert, die mich mit Netzen hier umstellen; mir ist als hörte ich den Auerhahn wie gestern, der meine Sinne teuflisch wirrte. Verzeiht mir Vater, laßt mich in Einsamkeit den Frevel büßen. (Er flieht).
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VIII. H e i n r i c h . Der Teufel hinter mir! Da muß ich wohl des Teufels werden. Kein sanftres Mittel hilft uns, keine Klugheit. Der eigne Sohn verschenkt das Reich an den verhaßten Ottnit, als wärs ein abgetragnes Kleid, er ists, auf den sie alle hoffend schauen, um den mein Vater leidet, daß durch ihn sein rechter Stamm erlischt. So sey er ausgelöscht im Buch des Lebens und alles kehrt zur Ordnung wieder. 116
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Vierte Handlung. VII/VIII
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K a n z l e r (kommt). Ihr habt mich rufen lassen, gnädger Fürst. H e i n r i c h . Habt ihr den Ottnit nicht gesehn. K a n z l e r . Er ging ins Feld, nachdem die Fürstin von der Ohnmacht war erwacht, sich zu erfrischen, ich selbst bedurfte einer langen Ruhe, mich wundert, daß er noch nicht heimgekehrt. H e i n r i c h . Und wo ist Jutta. K a n z l e r . Ich sah sie nicht, ein jeder überließ sich seiner Freude und keiner dachte an den andern. H e i n r i c h . Ich habe ihr noch nicht verziehen, ich will sie strafen, doch härter noch den Frevler, der sie raubte, den Bastard. K a n z l e r . Er wußte nichts von ihrer Flucht, es war ihr Einfall in der Angst vor euch, mein Fürst, in jugendlicher Unbesonnenheit vollführt. Verzeihet ihr. H e i n r i c h . Kein Wort von Gnade, ich selber will sie nicht und schenk sie keinem. Der Ottnit ist zum Tode reif, ich sagt es euch, daß er mir heimlich folge, ich weiß viel Heimliches von ihm, ich bin ein Wissender, er ist verfehmt. K a n z l e r . Mein Fürst, ich fleh euch an, ich habe eurem Hause lang gedient, hört meinen Rath, dem Schicksal lasset seinen Willen, in ihm ist Gott, umsonst sträubt sich des Menschen Wille. Noch lebet Otto. Dann denket auch des ernsten Schwurs der Wissenden. H e i n r i c h . Ich spreche nicht von Otto und nicht von jener Folge in der Herrschaft, die nur durch Hinterlist von meinem Vater bei dem Kaiser kann erschlichen seyn. Von Ottnit’s Mordplan rede ich, ich seh an eurem Zeichen, daß ihr in gleicher Würde mit mir richtet, ihr kennet das Gesetz, das jeden Wissenden gleich einem Mörder ächtet und bestraft, der eines Mordes Kunde weiß und sie verschweigt. Darum verfehme ich den Ottnit, er schlich mir nach, mich, seinen Herrn, zu morden. K a n z l e r . So wißt ihr auch ein anderes Gesetz, mein Fürst, daß keiner richten darf und andere verfehmen, der selbst des Mordes schuldig ist erfunden. (Vor sich.) Die Noth bezwingt das Leben. H e i n r i c h . Wohl kenn ich das Gesetz, was soll es mir bedeuten? K a n z l e r . Wir sind die beiden, denen so der Stab gebrochen, wir sind schon todt, wir haben gegenseitig uns gerichtet. Wollt ihr Ottnit schonen, so schonet Gott uns beide? 117
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H e i n r i c h . Du willst mich schrecken, Ottnit zu erretten. Hat ihm der Himmel keinen Engel zugesandt, der ihn aus meinen Armen zu den Wolken reißt, sein Tod ist unabwendbar. Hab ich gemordet, wohl, so warens Feinde unsres Reichs, in meinem Muthe ruht dafür mein Lohn, doch sprich, was du als Wissender verheimlicht hast. K a n z l e r . Hab ichs gesagt, so wünschest du, ich hätt geschwiegen. H e i n r i c h . Du bist des Todes, sprichst du nicht, was du verschweigst. K a n z l e r . Ein Sohn lieh seiner Schwester ein Gewand, sie floh darin, der Vater in der blinden Wuth, bestraft den Sohn mit seines Schwerdtes Schärfe, trift seine Schläfe und er sinkt in ewgen Schlaf, doch vorher flehet er den alten Diener an, dem Vater seines Todes Quelle zu verschweigen. Der alte Diener birgt das Blut, doch fühlet er als Wissender, daß er geschwiegen gegen seinen Eid. H e i n r i c h . So haben beide nun auf Erden nichts, als Sterbensmühe! – Ich kenn dich treu, auf meinen Degen schwöre, daß alles wahr, was du mir hast gedeutet, bei dem geheimen Zeichen, das niemand sagt, das in den Fingern liegt verborgen und die Dreieinigkeit bezeichnet, bei jenem armen Kinde schwöre mir, das eines Augenblikkes Wuth entrissen, ja schwöre bei der Sonne letztem Strahl, der durch den dunkeln Wald noch gnädig lichtet, als ob wir beide sie nicht wiedersähen, schwöre, ob alles wahr, was mir dein Mund verkündet. K a n z l e r . Beim Blute des Erlösers, ich sah dies schuldlos still vergoßne Blut. H e i n r i c h . Und du weißt ganz allein auf Erden diese That? Im Himmel, in der Hölle wissens alle. K a n z l e r . Ich hab sie um des Kindes Bitten gegen heilgen Eid, nicht ohne Herzensangst um meine Seligkeit verschwiegen. H e i n r i c h . Denkst du, ich könne einen Diener um mich dulden, der so wie du, mein Leben in dem Munde trägt? Du bist verfehmt, weil du geschwiegen und bist du schweigend wie die Todten sind, so warte ich gefahrlos auf den Wissenden, der mich bestrafen soll. Kann ich so unbewußt, so willenlos der höchsten Mordthat schuldig seyn, so will ich wissend jetzt und wie im höchsten Menschenrechte – morden. Wer seinen Willen durchführt, der ist Gott. – Bereite dich zum Sterben, knie nieder! 118
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Vierte Handlung. VIII/IX
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K a n z l e r (kniet). Ich bin bereit, ich hab gebeichtet, ich hab die heilgen Sakramente schon empfangen. Nimm meine Seele, Herr der Welt, in Gnaden an. H e i n r i c h . (Er durchbohrt ihn). Und sag ihm nichts da droben, was du hier gesehn. K a n z l e r . Gott sey dir gnädig! (stirbt). H e i n r i c h . Mag deinen Segen nicht, er brennt wie Feuer. Wie ist es Nacht geworden um mich her, kaum seh ich meine eignen Werke, wie soll der Schöpfer sehn, was er geschaffen. Der Fehme Zeichen leg ich auf den Alten, um wenig Tage hab ich ihm sein Daseyn nur verkürzt; er war gestorben mit dem alten Herrn, mir diente er doch nicht aus gutem Willen. Wenn ich sonst Mährchen hörte, wünschte ich das Ende stets beim Anfang, zu langsam ward mir alles in der Welt, heut falle rasch, du Fels, der meinem Stamme drohet und werde ich von dir zerschmettert, so herrscht mein Otto rächend einst nach mir. – Ich höre Schritte in des Waldes Blättern rauschen, an meinem Zorne fühl ich, daß es Ottnit sey, hält gleich die Nacht den Blick in enger Haft. Aus unsern Schwerdtern wollen wir die Funken schlagen, die uns beim Kampfe leuchten. (Er geht suchend in die Ferne).
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O t t o (kommt furchtsam geschlichen). O Herzensunbeständigkeit, so sicher, so zufrieden fühlte ich mich hier, als sie das letzte Lebewohl mir schenkte, doch seit der Vater mich belehrte, wird mein Verdienst vor mir zur Missethat. Nicht rauben möcht ich die Geliebte, nur wenig Worte möcht ich mit ihr reden zur Beruhigung. Es spricht sich anders in der Nacht wie an dem Tage, der Zwang, wie aller Augen auf uns sind gerichtet, weicht, da spricht das eigene Gemüth, da kann ich dem Geständniß glauben, daß sie dem Kloster angehöre. Ist dies ihr Fenster, das von Licht noch schimmert. Wie ruf ich sie? Fleh ich als Bettler um ein Obdach? – Heut wäre unsrer Hochzeit süße Nacht, wenn uns kein Mißgeschick getrennt. – O Braut, du liebe Braut! – Kein geistlich Leben wohnt in mir, es kehrt verdoppelt alle Sehnsucht wieder, die gestern mich umhergetrieben, und wilder noch, denn heute schäm ich mich der Liebe. Nicht um mein Leben wollte ich, daß einer mich vor diesem Kloster sähe! – 119
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Ich höre Tritte. – So feierlich hab ich entsagt, und ehrlos müßt ich scheinen vor den Menschen. – Wenn es die Wächter sind, die sich mir nahen, ich kann mich Ottnit nennen, ich sah ihn in den Feldern lustig schweifen, der Ottnit ging an Jutta’s Seite seliglich und sah mich nicht, sie spielten mit den Lämmern auf der Wiese und schmückten sie mit grünen Blätterkränzen und wußten nicht, wie alles hier im Schlosse sich verwandelt hatte. Kein Neid erfüllte meine Brust, ein Jammer nur, daß mir kein besseres Geschick vom Himmel fiel, ein Wunsch, Elisabeth doch einmal noch zu sprechen. – Es naht ein Schatten mir! Nein, es ist ein Mann. H e i n r i c h (mit verstellter Stimme). Wer da? Wer dringt in meines Herren Garten ein? der muß auch mit mir kämpfen! O t t o (mit verstellter Stimme). Noch nie versagte ich den Kampf, nie nannte ich den Namen dem, der so begehrte. H e i n r i c h (verstellt). Ich kenne dich Ottnit an der Stimme, dich suche ich, dich fordre ich zum Kampf, du hast die Braut mit falscher List geraubt, wir wollen Kraft und Muth ermessen, wer nach dem Kampfe lebt, der hat das Recht, sie zu besitzen. O t t o (verstellt). So bist du, Günther, wenn mein Ohr nicht trügt, der überzählge Bräutigam, ich bin zum Kampf dir lange schon bereit. (Vor sich.) Geliebte Jutta, theurer Ottnit, so will der Herr, daß ich euch retten soll vom falschen Freund.
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(Er tritt ihm mit dem Schwerdt entgegen.)
H e i n r i c h (verstellt). Wo mein Schwerdt ans Schwerdt wird schlagen, ist der Kampfplatz ausgemessen. O t t o . (Sie fechten). Alle Sehnsucht, alles Leiden schwindet bei der Schwerdter Funken, wie vor einem neuen Tage, in der Göttlichkeit des Kampfes. H e i n r i c h . Wackre Streiche! Den ich hasse, lern ich lieben in dem Kampfe, weil ich nie so kühnen Streiter auf der weiten Erde fand. Auch im Bastard wallt noch Blut der Ahnen. O t t o . Nun ich mein, du hast genug, wirst nun bald die Ahnen sehen, deren du so frech dich rühmst, weiß doch keiner, wer sein Vater. H e i n r i c h . Dieser letzte muß dich fassen. O t t o . Ja, der sitzet in dem Lebensfaden! Nimmer hätt er mich erreicht, wär mein Fuß nicht über einen Leichnam hingefallen. Wer ist nun der Sieger? 120
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Vierte Handlung. IX/X
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H e i n r i c h . Sieger ist der Tod! O t t o . Sieger ist der Tod! Will noch einen frischen Trunk aus dem freien Luftmeer saugen, will an meinem Blut mich laben. Ach Elisabeth! H e i n r i c h . Rasest du, Elisabeth? E l i s a b e t h (am Fenster). Welches Fechten stört den heilgen Frieden, welche wohlbekannte Stimmen rufen meinen Namen, sind es Geister in dem Winde. Gottes Friede sey mit euch! O t t o . Otto ruft dich mit der Stimme letztem Hauch! – Heilge Seele, bitt für mich, schenk ein Grab in deiner Nähe deinem Treuen, den die Schuld grausam deiner Lieb entrissen, dir ein Lebewohl zu sagen, war des Herzens letzte Sehnsucht. Heilge Seele, lebe wohl! E l i s a b e t h . (Sie zeigt ihm das Kreutz). Nimm des heil gen Kreutzes Zeichen in die Augen, in den Sinn, und vergiß die irdsche Liebe, Gottes Gnade sey mit dir! (Otto stirbt. Sie sinkt am Fenster nieder.) H e i n r i c h . Otto – Otto – ach er scheidet – weiß nicht die verruchte Hand, – die für ihn um Ehre werbend, ihn zum Tode hat gesandt. Weh, ich bin des eignen Stamms Verderber, meiner eignen Kinder Schlächter, Ottnit, den ich hasse, dem ich fluche, fällt anheim, was ich erworben, was ererbt in meinem Stamme, ach mein Stamm, ach meine Kinder, ach der Aufgang der Besinnung ist der Anfang meiner Höllenqual. Feuer lösch die innre Gluth. Wehe! Wehe! Wehe! (Er stirbt).
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Ottnit und Jutta.
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O t t n i t . O sey nicht ängstlich, Jutta, daß uns des Waldes Wege irrten, gewiß sind wir nicht fern dem Schloß, schon seh ich Lichter blinken. J u t t a . Ich fühle jetzt, daß es der Jungfrau nicht geziemt, mit dir allein durch Feld und Wald zu schweifen – der Vater ist so streng, er hat noch nicht verziehen, ich fürchte seinen ersten Blick. O t t n i t . Dich schreckt sein rauhes Wesen, glaube mir, er ist viel besser, als er scheint, er zürnt gewiß an solchem Tage nicht, wo jeder sich der Freude überließ, daß uns Elisabeth vom Todesschlaf er121
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wachte. Er zürnt mir nicht, da ich den Sohn von Missethat errettet, noch heute wollen wir von ihm die Segnung unsrer Liebe bitten. J u t t a . Wenn er die Bitte nicht gewährt, was wird aus uns? O t t n i t . Auf alles bin ich schon gefaßt. Da zieh ich in die Welt, in deiner Liebe muß mir jede That gelingen, mein Ruhm und deine Treue werben dann für mich. J u t t a . Vielleicht ist dies der letzte Sternenschein, den ich im Spiegel deiner Augen sehe glänzen. O t t n i t . Die Sterne werden mit mir ziehn und dir auch scheinen, so sollen sie ein Bild der Liebe seyn, die nah und ferne uns mit gleichem Glanz verbindet und hör ich wieder dann der Vögel Nachtgeräusch, die in dem Laub versteckt, sich enger betten, und höre ich der Quellen leichten Sinn und süß Geschwätz auch wieder, so fühl ich wieder dieses Abends selges Irren und du wirst in Gedanken meine Nähe spüren. J u t t a . Du kannst in Ruhm und Thaten dich zerstreun! Wie ist so schnell die Zeit mit dir vergangen, sie wird nach solchem Lauf sich manchen Tag in Trägheit ruhen! O t t n i t . Ich seh das Schloß, wir stehn davor. Wir trennen uns, das mindert den Verdruß. – Du hast mir auf der Wiese, in dem Wald, weil wir so ganz allein, den Kuß versagt, dem Abschied wirst du ihn vergönnen.
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XI. (Sie küssen sich. Indem sie sich trennen, kommt Günther mit Gewaffneten aus dem Schlosse, von der andern Seite tritt ein Zug Nonnen, beide von Fackeln erhellt, auf sie zu.)
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G ü n t h e r . Hier war das Fechten, leuchtet näher. Die Ahndung sagt mir, daß der Landgraf Heinrich hier mit Ottnit kämpfte, seines blinden Hasses Wort vollbrachte. Wer schleicht da? Freund oder Feind? J u t t a . Kein Freund, kein Feind! G ü n t h e r . Seyd mir gegrüßet, Fürstin. Lebt Ottnit, habt ihr ihn gesehen, ich fürchte, daß er hier im Kampf gefallen.
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J u t t a . Mein Ottnit, lasse deine Stimme hören, ein treuer Freund besorget hier Gefahr für dich. O t t n i t . Mich blendete das Licht, du bists, mein Günther, was treibt dich mit Bewaffneten in dieses Reich des Friedens? G ü n t h e r . Du bist noch lebend und mein Muth kehrt wieder; hier war ein heftig Kämpfen, ich wäre früher hergeeilt, doch lag des Thores Schlüssel unterm Haupt des alten Fürsten, er schlief, wir wollten ihn nicht wecken, so mußten wir behutsam unterm Haupt ihn wegziehn. O t t n i t . Ich will die Wacht mit dir vollbringen, Günther, laß Jutta in die Sicherheit des Schlosses führen. J u t t a . Mich treibt die Angst. Gott schütze euch. (Sie geht ins Schloß). O t t n i t . Was wollen hier die Nonnen in der Nacht? G ü n t h e r . Wenn nur Elisabeth nicht diesen Räubern in die Hand gefallen. O t t n i t . Wo ist Elisabeth? G ü n t h e r . Im Kloster. O t t n i t . Begreif ich deiner Rede Sinn. G ü n t h e r . Ein Tag hat viel verwandelt. E i n R i t t e r . Hier find ich blutge Leichen. O t t n i t . Wer ruhet hier so still, wir sind an seinem Haar vorbei gegangen, als wärens Blumen, die an einem Stein gewachsen? E i n R i t t e r . Dies hier ist Landgraf Heinrich, hier ruht Herr Otto, zwischen beiden liegt der Kanzler. Gott sey geklagt die Frevelthat. O t t n i t . O tapfre Seelen, wecket euch kein Schmerz, aus tiefstem Herzen ruf ich euch zurück, verkündet, wer die schweren Wunden hat geschlagen. G ü n t h e r . Der Vater scheint noch mit dem Sohn zu kämpfen und zwischen beiden ruht der Kanzler wie ein Friedensbote, der, zwischen sie gestellt, zu schwach, sie beide zu bestehen, von beiden ward vernichtet. Die Wunden sind zu tief, die mag kein Arzt verbinden, ihr Ritter tretet hier als Zeugen näher. Ich sagte euch, wie Heinrich einen Mordplan gegen Ottnit hegte, vielleicht hat ihn die Dunkelheit getäuscht. 123
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E i n e N o n n e . Es hat Elisabeth die Stimm des Vaters und des Sohns im Kampf gehört, sie liegt in Schwäche nieder, ihr Wille ists, daß wir die Schwerverwundeten, die Todten, in das Kloster tragen. (Sie bringen Bahren, die Leichen fortzuschaffen.)
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G ü n t h e r . Vollbringt den Willen eurer Fürstin, du aber Ottnit wende ab vergebne Hülfe von den Todten, dich trägt des Himmels Macht gefahrlos, schuldlos zu der Lust und Ehre. Ottnit, Landgraf von Thüringen, sey mir als Freund gegrüßt. O t t n i t . Zu ernst ist deine Sprache, um zu zweifeln, doch fühle ich mich nicht so hoher Opfer werth. Ach, arme Jutta, du verlierst an einem Tage Vater, Bruder! G ü n t h e r . In deiner Liebe finde sie den Trost. Nie hätte Landgraf Heinrich euren Bund gesegnet, er haßte dich bis in den Tod. Gott kennt die Seinen, prüft und schützet sie. Dein Vater hat die heimliche Vermählung mit der Mutter Eva Rosen durch den kaiserlichen Willen rechts bekräftigen lassen, dein Stamm soll in Ermanglung andrer Erben folgen. Herr Heinrich ist mit beiden Söhnen todt. Sey mir gegrüßt als Landgraf und als Freund, laß dir die blinde Wuth, worin der Vater mit dem eignen Sohn gefallen, warnend vor der Seele stehn. O t t n i t . Ein anderes Geschlecht geht auf aus mir und Jutta. Ich spiegle mich in diesem nahverwandten Blute und schwöre heilig Treu und Glauben der Vernunft, Kampf gegen jede blinde Wuth! Gerechtigkeit sey unsres neuen Stammes Wurzel; Gott sey anheim gestellt, was Menschenleben überdauern soll. G ü n t h e r und R i t t e r . Alle werden dich des Schwures mahnen! Hoch lebe Ottnit, Landgraf von Thüringen. C h o r d e r N o n n e n (welche Heinrich in die Klosterkirche tragen): Lacrimosa dies illa, Qua resurget ex favilla, Judicandus homo reus. Huic ergo parce Deus, Pie Jesu Domine Dona ei requiem. Amen.
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Stimmen. B e a t a , Diskant. D e r F r ü h l i n g , Tenor. Wa l t e r , Baß. S i e g f r i e d , Bariton. Eine Jungfrau. Chor der Jungfrauen. Chor der Schwäne. Kinderstimmen. C h o r v o n Wa l t e r s R i t t e r n . Chor von Siegfrieds Rittern. Grünes Wiesenthal am Rhein im ersten Frühlingsscheine, nach einer Seite von Bergen begränzt. Von einem Bergschlosse herab steigt Beata, mit ihrem Gefolge von Jungfrauen.
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C h o r d e r J u n g f r a u e n . Es grüßen sich die Hirten wieder Von Berg zu Berg in Freudensang, Die Heerde steigt zum Thale nieder, Und füllt mit hellem Glockenklang Des Wiederhalles frohen Mund, Er macht das Fest des Frühlings kund. B e a t a . Der Schäfer lockt mit seiner Flöte Die Schäflein auf das frische Grün, Wo in der hellen Morgenröthe Des Jahres erste Blumen blühn, Die Lämmer scheinen wie verloren Im Glanz, der Erd’ und Himmel deckt, Es hat der Winter sie geboren, 125
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Der Frühling sie zur Freude weckt. O könnte ich den Gott erblicken, Der durch die Welt so freudig zieht, Er lockt mit irdischem Entzücken Und heimlich dann zum Himmel flieht. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wir wissen nicht, wer uns gerufen, Es war des Herzens Frühlingsdrang, Wir springen von den Felsenstufen, Uns wird so wohl, uns wird so bang. Wir freuen uns der frühen Milde Und fürchten doch, sie sey zu früh, Der Winter räumet das Gefilde, Als ob er vor dem Frühling flieh, Noch könnte er wohl wiederkehren Mit neuer Kraft, mit alter Wuth, Und alle Frühlingssaat zerstören In böser Lust, mit kaltem Blut. B e a t a . Es sinkt der Thau zu unsern Füßen, Es bleibt ein heller Maientag, Und sanfte Lust will uns umfließen, Daß hoch die Flamme brennen mag; Seht auf zum Himmel, welches Wetter, Und hört die wilden Tauben girrn, Dann legt die ersten grünen Blätter In Kränzen um die keusche Stirn. Das weiche Gras die Schritte hebet Zu unserm Festzug unbewußt, Und was in eurem Herzen bebet, Das ist ein Übermaaß von Lust. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wir folgen dir so treu durchs Leben, Du weinest Thränen unbewußt. B e a t a . O seht, der Blume Haupt erbebet, Am Wasserfall von Tropfenlust, Und was in meinen Wimpern schwebet, Ist Freudenthau aus tiefer Brust. Der Adler führet seine Jungen Auf seinen Flügeln zu der Sonne, Die Schlangen haben sich umschlungen, 126
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Und all ihr Gift ist Liebeswonne, So hat der Frühling mild verbunden, Des Krieges schmerzlich tiefe Wunden. Mit den Schwerdtern, die zerbrochen Glänzen auf dem Strand am Rhein, Schlaget Funken aus dem Stein; O der seltnen Friedenswochen! Sammelt fleißig trockne Reiser, Wünschet feurig, redet leiser, Betet zu dem Morgenwinde, Daß die Flamme nicht verschwinde. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Irrende Winde, wehet gelinde, Wärmt euch die Flügel, rauschend am Hügel, Zögernde Flammen, führet zusammen, Daß sie verbündet, kräftig entzündet, Trockenen Zweigen leuchtend entsteigen, Blätter und Halme wirbelnd zermalmen. Lasset sie steigen, daß doch ein Zeichen Drüben am Rheine, Freunden erscheine, Die es erwiedern, grüßend in Liedern, Grüßend in Feuer, ehrend die Feier, Die uns entzündet, die uns verbindet, Unschuld zu ehren, Treue zu lehren. B e a t a . Die Lüfte haben unsern Wunsch erfüllt, Und wie aus langverschloßner Haft Befreiet sich der Jugend Kraft, Die in den goldgelockten Flammen spielt. Schmückt das goldgelockte Haupt Mit dem frischen Thimian, Der dem Frühlingsfest geraubt, Trocknen Blumen macht er Bahn. Werft hinein die trocknen Malven, Gebet sie in Flammenhand, Daß die frischen Triebe wallen, Wird der todte Stamm verbrannt. Auch der Sonnenblume Scheiben, Von den Vögeln ausgepickt, Soll das Feuer spielend treiben, 127
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Daß kein Grün davon erdrückt. Auch der Vögel alte Nester Stürzet in den Flammenheerd, Denn die Liebe einet fester, Die in neuer Müh bewährt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Die Flamme steigt zur höchsten Höhe, Der Unschuld Schwur sey dargebracht, Das Feuer als ein Zeichen stehe, Die Schuldge strafe Feuers Macht. »Wir alle, die wir hier beisammen Wir schwören bei dem heilgen Schein, Der reinen Unschuld heilge Flammen Bewahrten unsre Herzen rein, Wir können in das Blau des Himmels schauen, Als wär es Gottes Auge voll Vertrauen.« B e a t a . Es weht der Schwur Zum Himmel in den Flammenspitzen, Es hört ihn Wald und Flur, Der Himmel zeigt in frühen Blitzen, Die durch die heitre Bläue ziehn, Er sehe unsre Herzen glühn. Betet um des Jahres Milde, Daß es uns mit festem Schilde Auch in diesem Jahre schützt, Wenn der Krieger Auge blitzt, Wenn die Liebe, wenn Gewalt Grimmig tauschen die Gestalt, Und zu unserem Verderben, Im Vereine um uns werben. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Es hörten unsern Schwur Der Himmel und die Flur, Sie hören das Gebet, Das still zu ihnen weht. B e a t a . Zum Opfer werft Wachholderäste, So hebt sich knisternd Wohlgeruch, Gern dient das Feuer jedem Feste, Es hebt den Duft im Freudenzug.
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C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wie lieblich duften blaue Flammen Aus trocknen Ästen auferweckt, Vom Winter muß der Frühling stammen, Das Feuer die Verwandlung deckt, Geheimniß wirkt in allem Feuer, Geheimniß ist der Unschuld Feier. B e a t a . Nach altem Brauch bleibt nun beisammen, Und tanzt nach alter froher Sitt, Wie weichlich spielen grüne Flammen Um unsern leicht bewegten Schritt, Und jedes Grün, das wir betreten, Hebt frischer seine Blätter auf, Weil wir es tanzend nicht verschmähten In unsrer Schritte schnellem Lauf. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Es hat das Jahr nun ausgeträumt, Wie glänzt der Rhein, wie strömt das Blut, Der Rhein in Tanzes Wirbeln schäumt, Es drängt das Blut in frischem Muth, Die Fische springen auf dem Spiegel Des hellen Stromes hoch empor, Die Freude leiht uns Engelsflügel Und trägt uns zu der Engel Chor. O dieses Glück wird ewig dauern! E i n e J u n g f r a u . Weh uns! E i n e a n d r e . Du hemmst den Tanz mit Schaudern! B e a t a . Was störst du unsre Lust. D i e e r s t e J u n g f r a u . Weh uns! B e a t a . Du sinkst erblaßt an meine Brust. Hat deinen Fuß im Tanz ein Dorn verletzt, Hast du ihn auf den scharfen Stein gesetzt, Auf Eisensplittern, die der Krieg gesät, Wenn er die Erndte abgemäht, Wie kannst du von so kleinem Schmerze zittern? J u n g f r a u . Weh uns, wehe, Ich kann nicht sagen, was ich sehe, Es starrt mein Blick! O allzu karges Glück! 129
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Wohin entfliehen? Die Feinde uns umziehen, Wo uns der Rhein vom Walde ist versteckt, Da naht der Feind, da ist er von den Schiffen schwarz bedeckt. Trommeten schmettern von den Schiffen Die Panzer glänzen in dem Rhein, Bald hat auch uns der Feind ergriffen, Es hört kein Freund der Jungfraun Schrein. B e a t a . Sie werden nicht mit kriegrischem Getümmel Das Fest des Frühlings stören, Sie werden ritterlich die Jungfraun ehren, Verräther straft der Himmel. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wehe, wohin ach, wohin sollen wir flüchten, Gegen den Wind und den Strom siegen die Feinde, Wehe, wo weilen die Brüder, die Freunde, Schuldlose Lust, ach du willst uns vernichten. Sehet die Hirten, sie flüchten die Heerden, Treiben sie jammernd zu höheren Bergen. Wehe, nichts kann uns im Thale verbergen, Wehe, sie nahn auf gerüsteten Pferden. C h o r d e r R i t t e r (von Siegfried geführt, die sich auf den Schiffen nahten
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und ihre Pferde besteigen.)
Es senkt der Rhein das eisge Schwerdt, Das uns den Kampf so lang verwehrt, Und dienend muß er uns nun tragen, Gern möchte er das Schiff zerreissen, Doch wenn wir ihn mit Rudern schlagen, So muß er seinen Schmerz verbeißen, Juchhey ans Land, geschwind zu Pferd, Wir rauben die Jungfraun am Feindesheerd. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Sie nahn, sie zeigen uns die Sklavenketten, Zu Hülfe, will uns keiner retten, So stürzen wir uns in den Rhein, Wir wollen treu dem Schwure seyn. B e a t a . Seht auf und fasset Muth, Ihr seht den Staub am Berg hernieder, Es nahn die Brüder, Sie schützen treu ihr Blut. 130
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C h o r d e r R i t t e r (unter Walters Anführung, die aus einem der Bergschlösser zum Schutze der Jungfrauen hinunterreiten.)
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Wir Reiter auf Wolken von flüchtigem Staub, Wir eilen zum Schutze der Jungfrau herbei, Wir hörten im Schlosse ihr Jammergeschrei, Noch hallen die Berge, noch zittert das Laub, Wa l t e r . Juchhey, mein Pferd, da standest du fest, Ich schwenkte mich drauf wie der Vogel ins Nest, Juchhey, mein Pferd, du kennst deinen Lauf, Er gehet in den dichtesten Feindeshauf, Wie blitzen die Schwerdter im Sonnenschein, Wie donnern die Rosse drein, drein, drein. C h o r v o n Wa l t e r s R i t t e r n . Wie blitzen die Schwerdter im Sonnenschein, Wie donnern die Rosse drein, drein, drein. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wehe, wehe in der Mitten Zwischen den ergrimmten Haufen, Angeweht vom Pferdeschnaufen, Werden wir in Staub geritten, Die uns raubend, die uns rettend grüßen, Beide, beide uns verderben müssen. B e a t a . Bruder, Freunde, treue Ritter Hemmet eures Zornes Flamme, Seht, wie tobende Gewitter Steht ihr drohend über eurem Stamme. Fremde Ritter, eure Ehre Fordert, Frauen zu beschützen, Senket eure wilden Speere, Laßt sie heut im Ritterspiele blitzen. Hielt der Winter euch bezwungen, Dieser Rhein, der euch getrennt, Fester seyd ihr jetzt umschlungen, Von der Ehre, die im Herzen brennt. Freier Jungfraun Blumenketten, Sind die Schranken, die euch trennen, Frühling will die Unschuld retten, Ladet Euch zu edler Spiele Freuden.
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S i e g f r i e d . Ach, wie werde ich verrathen, Diese blühend rothen Wangen Hemmen alle meine Thaten In dem zärtlichen Verlangen. C h o r v o n S i e g f r i e d s R i t t e r n . Uns entsinket Speer und Zügel, In dem Anblick dieser Schönen, Eine hält mir schon den Bügel, Will mit grünem Kranz mich krönen, Liebeszauber schenkt den Frieden, Friede ist ein zaubernd Lieben. Wa l t e r . Geliebte Schwester, wende ab von ihnen Die flehende Gewalt der Augen, Sie tödten meinen Ruf. Schon wähnt der Feind, daß ich es meide, Mit gutem Schwerdt ihn zu bestreiten, Mit deiner Schönheit Zauberblume Ihm Herz und Stahl ankette. Ich lebe in der Ehre und im Ruf, Und tödtest du den Ruf, so sinkt die Ehre, In mir sind beide eins, Ich leb und sterbe auch mit ihnen, Durchbohrst du mir das Herz, so sinkt mein Haupt, Zerschmetterst du mein Haupt, so stirbt mein Herz, Beata ziehe heim zum hohen Schloß, Und sieh den Kampf, der alles soll entscheiden, Von unsres Hauses Zinnen zu, wir scheiden, Leb wohl, sey dein Gebet mein Schlachtgenoß, Auf, Siegfried, auf, noch eh der Tag sich wendet Sey unser Streit durch Muth und Glück geendet. S i e g f r i e d . Geendet ist der Streit Schon heut auf ewge Zeit, Nehmt edle Fürstin, dieses Schwerdt, Ich geb mich euch gefangen, Ihr seid allein der Herrschaft werth, Und euch zu dienen, ist nun mein Verlangen. Wa l t e r . Ich staune die Verwandlung an, Und ahnde wohl die Macht, die dich bezwungen, Ich mahne dich an alle tapfern Tage, Wo unsre Schwerdter an einander klirrten. 132
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S i e g f r i e d . Andre Zeit, Andrer Sinn, Zu dem Streit Zog ich hin, Sieg und Tod an beiden Seiten, Beide wollten mich begleiten, Beide wollten für mich streiten, Holde Schönheit zu erbeuten, Doch sie gingen beide über Zu der Schönheit Lustgestalt, Mich ergreift ein selig Fieber, Schöner Träume Allgewalt. Dürft ich nur mein furchtsam Herz durchbohren, Doch sie lebt darin, die es erkoren, Und ihr Wille ist mein Muth, Und ihr Athem treibt mein Blut, Und ihr Wort ist mein Verstand, Und mein Schwerdt in ihrer Hand Kann mir Leben geben, nehmen, Ehre kann mich nicht beschämen. B e a t a . Ich nehme euer Schwerdt, mein edler Ritter, Und werf es auf den freien Flammenheerd, Und jede Hand verbrenne, Die es zum neuen Streit ergreifen will. Hier droht euch kein Verrath, Mein hoher Bruder ehrt des Frühlings Macht, Die er in jugendlichen Herzen übt, Er sieht in euch der Jugend Freund heut wieder, Mit dem er gern die ersten Kränze theilte, Eh dieses grüne Thal dem Rhein entstieg, Und unsre Väter feindlich trennte, Bis sie der Tod darin verband. Beschaut dies Thal, Auf dem des Frühlings Feuer lodert, Bald trägt es viele rothe Rosen, Sie sind von den Verlaßnen eingepflanzt, Wo der Geliebten Seelen jammernd schieden Und einen Strom von Blut zurücke ließen. Ihr Ritter, weiht das Thal mit andern Farben, Es sey der Freundschaft heilger Boden. 133
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S i e g f r i e d . Ich nehm den Kranz, den ihr mir dargeboten, Und rufe: Ueber alle Farben Grün, Sie ist des Friedens und der Hoffnung Zeichen. Wa l t e r . Ich theile wieder diesen Kranz mit dir, Es sey des Friedens Zeichen. Mein Siegfried, wie bewegt mich dein vertraut Gesicht, Nun du das Eisengitter hast eröffnet, Der Freundschaft dunklen Kerker! S i e g f r i e d . Dein freundlich Wort durchschneidet meine Brust, Ach lebten noch die theuren Helden alle, Die dieser Boden fest umschließt, Mein Walter, nimm den Händedruck in Lieb und Leid, Um so viel edle Zeit, um so viel edle Freunde. Wa l t e r . In deine Hand will ich den Würfel legen, Sprich du, wem dieses Land gebührt, Das uns mit seiner Herrlichkeit entzweite. S i e g f r i e d . O wem gehört dies schöne Land, Wie kannst du zweifeln? Kannst du fragen? Die uns den Frieden hat gesandt, Die Schönheit soll auch diese Krone tragen. C h o r d e r R i t t e r . Heil dir, Beata, Fürstin im Thal, Warum verstummst du im selgen Traum. B e a t a . Die Krone drückt mich nieder! Ihr sollt nicht lohnen einen frommen Sinn, Daß er sich giebt und daß ihr ihm gewährt, Ist ihm allein Gewinn. Wa l t e r . Du allein kannst sie nicht tragen, Dieses Landes schwere Krone, Liebe theilet gern die Plagen, Schützet dich auf hohem Throne, Und der Würdigste von allen Sey der Liebe Wohlgefallen. B e a t a . Zitternd hör ich deine Rede, Ahnde, was sie mir bedeute, Ach in dieser harten Fehde Nimmt die Großmuth mich als Beute, Mich erschreckt des Bruders Willen, Nein, ich kann ihn nicht erfüllen. 134
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S i e g f r i e d . Sinnend sah ich deine Augen, Deinen Willen drin zu lesen, Mußte süßes Gift einsaugen, Das mich niemals läßt genesen, Doch in mitten meiner Schmerzen, Fleh ich, folge deinem Herzen. A l l e d r e i . Zweifel trägt des Glückes Baum, Reifen läßt er keine Frucht, Nahes Glück wird ferner Traum, Denn die Zeit in ihrer Flucht Reißt die Blüte mit sich fort, Sehnsucht weilt und schmerzlich Wort. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wie die Wolken vor die Sonne, Wolken-Schatten übers Thal, Also zieht durch Liebeswonne Zweifel deine finstre Qual. S i e g f r i e d . Dir, o Jungfrau, ist gegeben Freier Länder Heiligthum, Heitre Freiheit sey dein Leben, Und dein Wille unser Ruhm; Hast du schon dein Herz vergeben, Krönen wir den Herrscher gleich, Willst du einsam heilig leben, Sey dies Thal ein heilig Reich. Oder willst du zweifelnd wählen, Überlaße dich der Zeit, Meine Näh soll dich nicht quälen, Deinen Ruhm verkünd’ ich weit. Wa l t e r . Edles keimt in edlen Herzen, Güte wirkt zum Guten Kraft, Liebe löset alle Schmerzen, Die der leere Zweifel schafft, Völker, die durchs Blut verfeindet, Werden heut durchs Blut befreundet. C h o r d e r R i t t e r . Völker, die durch Blut verfeindet, Werden heut durchs Blut befreundet, Fest verbündet ist das Land, Reichst du Siegfried deine Hand. 135
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B e a t a . Weh, ihr habt es ausgesprochen, Was mir Edelmuth verschwieg. S i e g f r i e d . Ach verzeih, was sie verbrochen, Roheit giebt der lange Krieg. B e a t a . Mich allein muß ich verdammen, Meine Thränen fließen dir. S i e g f r i e d . Ach verhülle diese Flammen, Dieser Thränen Opfer mir. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wenn im hellen frischen Morgen Eine dunkle Rebe weint, Bald der Knospen Grün erscheint, Frühling spielt in bangen Sorgen. B e a t a . Nein, es reißt der goldne Schleier, Der so mild mein Herz gedeckt, Dieses Tages hohe Feier Ist durch tiefen Gram befleckt, Und es rauscht im schönen Rheine, Was des Frühlings Stunde trübt, Daß ich seufze, daß ich weine, Weil ich nimmermehr geliebt. C h o r d e r R i t t e r . Arme Fürstin, die noch nie geliebt, Nimmer warst du selig tief betrübt, Nie hast du des Thales Grün gesehn, Wie die Düfte liebend zu dir wehn, Nie hast du gehört des Waldes Rauschen, Wenn die Vögel singend sich belauschen, Nie hast du gesehn des Rheines Glanz, Trägt er eines Weinbergs hellen Kranz, Auf der freien spiegelglatten Stirn, Ach dein Herz muß ewig zweifelnd irrn! B e a t a . Rufet mich nicht nach dem Rheine, Denn schon nahet mein Geschick, Liebe funkelt in dem Scheine Wunder ahndet schon mein Blick, Fliehen möcht ich und muß bleiben, Seh den Schreckensnachen treiben.
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Wa l t e r u n d S i e g f r i e d . Wer naht im frischen Morgenwind? B e i d e C h ö r e . Ein Wunder naht im frischen Morgenwind, Die Schwäne ziehen einen Purpurnachen, Am Maste steht ein Jüngling wie ein Kind, Und singt, daß alle Echo rings erwachen; Die Laute klingt in seiner zarten Hand, Als wüßte sie, was seine Lippen sagen, Die Schwäne schlagen in dem Unbestand Den Wellentakt mit mächtigem Behagen. Die Reben steigen aus dem Nachen auf, Zum Schattendach sich über ihm verschlingen, Die bunten Vögel sitzen rings darauf, Und lernen, wie sie bald so lieblich singen. Die Nachtigall sitzt auf des Sängers Hand, Und flattert, sich im Gleichgewicht zu halten, Wie er auch spielt, so heftig, so gewandt, Sie scheint bezaubert von des Tons Gewalten. (Der Frühling kommt im Nachen, Schwäne ziehen ihn.)
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C h o r d e r S c h w ä n e . Wir Schwäne ziehn den Gott des Lebens, Uns treibt geheime Todeslust, Es widerstrebt die Fluth vergebens, Und rauscht an unsrer weichen Brust, Die Wasserliljen uns umschlingen Mit ihrer holden Lieblichkeit, Nichts kann die dunkle Sehnsucht zwingen, Wo Frühling wohn in Ewigkeit. F r ü h l i n g . Sank ich sonst als Morgenthau Aus der Wolke weiß Gefieder, Traten mich auf grüner Au Holde Frauen tanzend nieder; Stieg ich auf in Veilchenpracht, Rissen sie mich spielend ab, Wurde einmal angelacht, Und ihr Busen ward mein Grab: Lieb und Frühling sangen alle Herzen, Frühlingsliebe konnten sie verscherzen. Ich, der Gott, ward Mensch im Zorn, Und verkörpert in der Rache; 137
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Doch als Gott hab ich geschworn, Daß ich aller Liebe lache. Winket nur, ihr schönen Fraun, Seufzet euer zärtlich Ach! Eure Augen glühn vom Schaun Stürzt euch in den Fluß mir nach; Lieber Frühling, pochen alle Herzen, Ich kann zornig lachen, rächend scherzen. Todessang im Schwan erglüht, Reißt mich eilig ohn Erbarmen Aus der Welt, die neu erblüht, Aus den ausgestreckten Armen, Reißt mich bald zum Erdenrand, Eh vorüber meine Zeit, Zu des Himmels blauem Strand, Der von Menschenlast befreit; Komme Frühling, rufen schon die Götter, Ohne dich ist uns kein Frühlingswetter. A l l e C h ö r e . Wunderbare Zauberklänge, Leben in der Übermacht, Freier Athem, Herzensenge, Sonnentag in Mondennacht. B e a t a . Wie soll ich dich, o Sänger, nennen, Doch meine Sehnsucht sah dich schon, Den Gott des Frühlings wollt ich kennen, Und sehe dich auf seinem Thron, Dir brennen diese Feuer alle, Dich ehret unser frohes Fest, O nahe dich mit süßem Schalle, Daß sich dein Wort vernehmen läßt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . O nahe dich, denn fern verklungen Ist uns das Wort, das du gesungen. B e a t a . Sey begrüßt als Gott des Flusses, Trete auf dein armes Land, Eine Fülle des Genusses Sä’t in Tönen deine Hand. Selge Erndte, wo du weilest, Wo dein Nachen stille steht, 138
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Da du solchen Schatz vertheilest, Wo er rasch vorüber geht: Weile, weile, süßer Knabe, Sieh, mir naht der Vogel dein, Dieses Land sey Morgengabe Für dein Singen zart und rein. Willst du es mit Lust regieren, Nimm auch seiner Fürstin Hand, Daß sie lernt die Laute rühren Und dein Herz, das ihr gesandt. F r ü h l i n g . Ich möchte höhnend sie verschmähen, Die mich vertrauend liebend grüßt. Doch aller Zorn verschmilzt wie Schnee, Die Liebe blüht darunter heisser, Und strebt zu ihrer Augen Licht; Ich möchte meine Augen schließen, Und öffne sie, als wärs zum erstenmal, Als sähe ich zum erstenmal mein Frühlingswerk, So giebts ein Schicksal auch für Götter, Weh mir, daß ich ein Gott. (Lautenspiel). C h o r d e r J u n g f r a u e n . Seht, er nahet sich dem Land, Streut mit Blumen diesen Strand, Zweifelnd scheint er noch zu schwanken, Führt ihn her, ihr freundlichen Gedanken! B e a t a . Umwacht die stille Himmelsbläue Der Erde erstes Lebensgrün, Da sehnt sich alles in das Freie, Und will mit allen Blumen blühn: Und einer Lust geheime Weihe Umfängt uns in der Sonne Glühn, Und Luft und Wasser fühlt ein Leben, Wie rings die goldnen Strahlen weben. Ein Liebesnetz ist angefangen Und schließt mich immer enger ein, Ich fühle mich so gern gefangen Und mag mich nimmermehr befrein, Mit meinen Ketten will ich prangen, Es sind der Lippen Kunstverein, 139
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Die Laute will ich ewig üben, Bis sie dir sagt, was Frühlingslieben. F r ü h l i n g . Nur in Tönen kann ich sagen Von der neuen Sonne Tagen. B e a t a . In der Stummheit will ich lernen, Wie die Blumen von den Sternen. C h o r d e r R i t t e r . Welch Beginnen, welche Zucht, Liebe schenkt sie dem, der keine Liebe sucht. Wa l t e r . Welch Beginnen, doch umklungen Von den Tönen, Fühle ich mich ganz bezwungen Von dem Schönen, Fliehen wir den Zaubernachen. S i e g f r i e d . Wehe, welche Eifersucht Glühet mir im starken Herzen, In Verzweiflung, in der Flucht Lösche ich die wildentbrannten Schmerzen, Fliehend meiner Liebe Abgrund, Fliehend diesen Göttermund, Fliehend diesen Zaubernachen. C h o r d e r R i t t e r . Folgt den Helden, die uns führen, Zauberton soll uns nicht rühren, Fliehen wir den Zaubernachen. (Sie eilen fort.) B e a t a . Weh, sie fliehen! Könnt ich dich nur halten, Doch der Schwäne tückische Gewalten Dich vorüber ziehen, Eh ich deine Hand berührt, Ach wohin wirst du geführt. Lichte Schwäne, stolze Schwimmer Wendet eure Blicke um, Seht im Spiegel euren Schimmer, Und den Gott, der tönend stumm. F r ü h l i n g . Haltet an, ihr treuen Schwäne Liebe winkt mit Blick und Hand, Was ich mir so lang ersehne Alles schenkt dies grüne Land, 140
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Und die Nachtigall kehrt wieder Trägt ein grünes Mirtenblatt, Singet mir der Fürstin Lieder, Die sich mir ergeben hat. Haltet an den Purpurnachen, Tretet auf den grünen Strand, Holdes Seufzen, traulich Lachen, Füllet dieses selge Land. C h o r d e r S c h w ä n e . Nur auf Wellen sind wir schön, Von der Wellen Kraft vergöttert, Hellhoch unsre Flügel stehn, Und ihr Schlag wie Blitz zerschmettert, Unser Hals den Feind umschlinget, Und nach Schlangenart bezwinget. Ewig zieht die Fluth vom Strand! Kannst du nicht die Strömung halten, Reißt sie uns vom nahen Land Mit den schmeichelnden Gewalten, Die uns dienend ganz bezwingen, Uns erhalten und verjüngen. Klage ist uns nicht erlaubt, Tobend wird der Strom noch rauschen, Darum tauchen wir das Haupt, Deinen Schmerz nicht zu belauschen, In den Spiegel aller Dinge, Daß uns frisches Blut durchdringe. F r ü h l i n g . Weh, ich büße jetzt in Thränen, Daß mich diesen stolzen Schwänen Zorn und Rache hingegeben, Ach verlornes Frühlingsleben. Fühllos reis’t ihr mich vom Glücke, Ach wie schmerzt der Sonne Schein, Wenn die sehnsuchtvollen Blicke Sollen ohne Liebe seyn, Wenn die Strömung weiter, weiter, Wo der Himmel ewig heiter Den Betrübten, den Getrennten, In die fremden Welten zieht, 141
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Ach wenn Götterthränen brennten, Wär mein Auge schon verglüht. B e a t a . Trost des Herzens, daß du liebest, Schmerz des Schmerzes, daß du dich betrübest, Fern den Augen, die verdunkelt, Schon dein lieblich Antlitz funkelt Wie ein Stern, der niedersinkt, Und im Wellenglanz ertrinkt; Haltet an, ihr harten Herzen, Höret meine, seine Schmerzen. B e i d e . Hart und schrecklich ist das Leben, Flüchtig zieht der grimme Fluß, Durch die Felsen, durch die Reben Wie der Pfeil im Todesschuß, Viele warnet wohl das Sausen Doch das Herz, das er getroffen, Stand so offen seinem Grausen Wie der Liebe, wie dem Hoffen. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Sieh nicht nach dem Purpurnachen, Langsam konnte er nur nahn, Statt der Schwäne, reißen Drachen Ihn jetzt fort auf blutger Bahn; Und der Schaum auf allen Wogen Zeigt die wilde Raserei, Die den Sänger hat umzogen, Als die Liebe ihm vorbei, Als vorüber seine Freude, Wehe seinem Lautenklang, Denn mit immer neuem Leide Füllt ihn ewig der Gesang. C h o r d e r S c h w ä n e (in der Ferne). Daß uns frisches Blut der Welt durchdringe Rasch vorüber in das weite Meer, Daß der Zorn die alte Welt verjünge, Ist uns das Vergangne todt und leer, Und in Reue und Vergessen Löst sich Liebe, die vermessen Nach dem Geiste irdisch trachtet, Tod hat sie im Licht umnachtet. 142
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B e a t a . Wer vergessen kann, der liebt nicht, Und wem reut, daß er geliebt, Ach der kann nicht lieben, Kann in Liebe noch nicht sterben. Ach ich bin so selig, daß ich liebe, Ausser dieser Liebe ist die Welt, Lebe wohl du Welt! Ferne schallt der trübe Abschiedruf, Selig, selig, wer aus Liebe stirbt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Grauenvoll, welcher Entschluß Reget den trauernden Sinn, Haltet sie ab von dem Fluß, Tage sind Kraft und Gewinn In dem verzweifelnden Herzen, Thränen erleichtern die Schmerzen. B e a t a . Sorget nicht, daß ich ein Leid mir thu, Alles Leid ist mir um Liebe worden, Und wer kann die süße Liebe morden? Meine Liebe fände keine Ruh In den Elementen, die beleben, Würde überm Wasser rastlos schweben, Meine Liebe eilt dem Urquell zu. Gegen einen Strom ringt mein Gesang, Gegen einen Strom von irdschen Thränen, Gegen einen Strom von irdschem Wähnen, Fort zur Quelle, wo das Herz entsprang, Wo das Herz am Herzen wieder springet, Wo sich Erd und Himmel ganz durchdringet, Wo kein Untergang in Liebesdrang. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Eilet, entreißt sie dem Flammenheerd, Dem sie sich schwindelnd hat zugekehrt, Wehe, sie stürzt in das Schwerdt, Das sie versteckte am Heerd. B e a t a . Alle Gestalten vergehn, Alle Töne verwehn, Ich sinke in Licht, Das mein Herz durchsticht; Welcher Strahl 143
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Erhebt mich vom trostlosen Thal: Selig, selig, wer aus Liebe stirbt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Reisset alle Frühlingsblüten Ihr zum Sterbebett zusammen, Ihre Wangen schon verglühten Mit den hellen Augenflammen, Und ein Sturm durchwühlt den Himmel, Und der Rhein, erbraust mit Schrecken, Machtlos irdisches Getümmel, Du kannst nicht die Todten wecken. Und der Schnee, der wiederkehret Nach dem kurzen Frühlingsschein Uns kein einzig Glück zerstöret, Er bedeckt nur unsre Pein. Seht der Rhein ist ausgetreten, Reißt zu sich dies Unglücksland, Laßt und beten, Denn wir stehn am Grabesrand.
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(Der Strom nimmt sie hinweg).
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E r s t e s C h o r d e r H i r t e n . Fern erbebend bei dem Wetter Eilen wir zum Schutz der Frauen, Alles schwankt, wohin wir schauen, Es verzagen alle Retter, Denn verschwunden ist das Thal. Z w e i t e s C h o r d e r H i r t e n . Welche Stille, welches Brausen, Fluthen wirbeln und erblitzen Schon um hoher Bäume Spitzen, Unsre Herzen füllt ein Grausen, Denn verschwunden ist das Thal.
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B e y d e C h ö r e . Unsre Herrn Weilen fern, Weh, wer soll es ihnen klagen, Was wir kaum zu sagen wagen.
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E i n C h o r . Weh die Fürstin und das Land Hat der Rhein mit starker Hand In das Todesbett gerissen.
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Z w e i t e s C h o r . Arme Braut, auf kalten Kissen Wirst du deinen Bräutgam missen. B e i d e C h ö r e . Frühling ward der Welt entrissen, Schönheit riß er mit sich fort, Sehnsucht weilt und schmerzlich Wort: E i n C h o r . Hart und schrecklich ist das Leben! Z w e i t e s C h o r . Untergang sein innres Streben. B e i d e C h ö r e . Seligkeit ist nur im Tode.
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Mißverständnisse. Ein Lustspiel.
Personen. G o l d m a n n , Banquier zu Stettin. L u i s e , dessen Tochter. Freyer We t z } dessen Kontorbediente. Graf Pergament. R i t t m e i s t e r G r a f P e r g a m e n t , dessen Sohn.
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I. Das Kontor des Herrn Goldmann mit zwei großen Spiegeln im Vorgrunde geziert, zwischen denen ein Schachbrett auf einem Tische steht. Im Hintergrunde vergitterte Pulte, wo Goldmann, Freyer und Wetz arbeiten.
G o l d m a n n (tritt mit einem Briefe heraus). Also der Herr Graf wollen jetzt ihren Sohn hieher schicken, sie schreiben zwar etwas hochmüthig, aber was kümmert mich der alte Esel, den Sohn habe ich in Berlin gesehen, ein braver schöner Mann, er wird mein Kind lieben, er wird es glücklich machen. He Freyer – schnell Freyer – ich habe mit ihnen zu reden. F r e y e r . Herr Goldmann, was befehlen sie? G o l d m a n n . Kein Befehl, lieber Freyer, blos Bitte. Sie sind ein junger Mann, dem ich alles anvertraue, für den ich gern bei Gelegenheit etwas thun möchte, und meine Tochter scheint ihnen gewogen. F r e y e r . Mein früheres Mißgeschick hat mir ihr Wohlwollen verdient, ich ehre es wie eine Himmelsgabe. 146
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G o l d m a n n . Das Engelskind wird der Mutter immer ähnlicher, oft möcht ich weinen, wenn ich sie ansehe, und denke, wie mir die Mutter, als ich noch ein armer Kontordiener war, den ersten Kuß gab. Ich wollte, meine Tochter verliebte sich auch. F r e y e r . Ihre Liebe würde jeden beglücken. G o l d m a n n . Ich muß sie umarmen, Freyer, sie kennen meine Tochter, sie verdienen ihr Glück zu machen. Gehen sie gleich zu ihr. F r e y e r . Ich werde aus Verlegenheit nicht sprechen können. G o l d m a n n . Sie müssen sprechen. Liebstes Freyerchen, sie müssen es ihr recht schön vortragen. Ich würde es ihr selbst sagen, aber ich bin zu hitzig; ich könnte alles verderben, wenn sie mir nach Jungfernart käme, und sagte, sie sey noch zu jung zum Heirathen. Sie müssen mit rechter Wärme reden. F r e y e r . Ihr gütiger Wille, ihr Befehl wird mir Muth geben. (Er will gehen). G o l d m a n n . Sie gehen schon und wissen noch nicht, was sie bestellen sollen, wie dumm, Freyer, wie dumm. Hören sie erst, nichts übereilt. Sie kennen den alten Grafen Pergament. F r e y e r (vor sich). Was soll denn der bei meiner Heirath. (Laut) Von Ansehn kenn ich ihn, wenn er von seinem Gut hereinkam. G o l d m a n n . Es ist ein alter Lukrinsky, sein schönes Vermögen hat er fast ganz verspielt, aber er hat einen herrlichen Sohn, der soll meine Tochter heirathen. Der Vater schreibt mir daß er heut mit ihm hier eintrifft, sie sollen meine Tochter vorbereiten, sie muß ihn nehmen, oder ich enterbe sie. F r e y e r . Ist sonst kein sanfter Grund, der für die Heirath spricht. G o l d m a n n . Ei tausend. Die Welt schreit nur nach Geld, in mir schreit alles Geld nach Ehre, ich bin zur Ehre viel zu alt, ich will an meiner Tochter Ehre mich erfreuen, will sie zu Hofe fahren sehen im Diamantenschmuck der Mutter, des Schwiegersohns Güter mache ich von Schulden rein, und lebe auf dem schönsten, spiele Schach und schieße Hasen, das soll mein Lohn für alle Sorgen seyn. F r e y e r . Die Handlung aber, alle herrlichen Geschäfte? G o l d m a n n . Ich habe keinen Sohn und keinen näheren Verwandten, die übergebe ich ihnen als ein Lohn, wenn sie die Heirath stiften, sie sind dann ein gemachter Mann. 147
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F r e y e r . Wie gütig, Herr Goldmann, noch hab ichs nicht verdient. G o l d m a n n . Ich traue ihnen ganz, sie können, was sie wollen. (ab). F r e y e r (leise). Kaum halt ich mich, so bebt mir der Schreck in allen Gliedern. Freyer, diesmal warst du nahe deinem Sturze! – Mein ganzes Glück war verloren, wenn er meine kühnen unbescheidenen Wünsche geahndet hätte, das Glück meiner armen Mutter, ihr ruhiges Alter stand auf dem Spiele dieses Mißverständnisses. Wie konnt ich ihn so mißverstehen, als ob er mir die einzige reiche Tochter zudächte! Das kommt davon, wenn ich mich heimlich meinen Wünschen überlasse, sie ist so freundlich, ich will sie meiden, will diese tolle Liebe rasch bekämpfen; das sey ein erstes Zeichen des Triumphs, wenn ich mit Ruhe ihr die unselge Botschaft sage, alle Gründe vollwichtig aufzähle. Ach wär sie arm, ein armes Bettlermädchen, da dürft ich eher an sie denken, könnte sie schon nähren. (Laut zu Wetz) Geben sie mir den kopirten Brief, ich will ihn zusiegeln. We t z . Ich fange eben an ihn abzuschreiben. F r e y e r . Sie sind ein fauler Mensch, wenn sies so weiter treiben, muß Herr Goldmann sie fortschicken. We t z . Es giebt so viel politsche Neuigkeiten, darüber hab ich es versäumt. F r e y e r . In unsrer Zeit giebt jeder sich mit andrer Leute Arbeit ab und versäumt die eigne, wer weiß, ob nicht die Herren Minister die Politik nur darum versäumen, weil sie Handelsspeculationen machen. Seyn sie fleißger, Wetz, so gehts nicht länger. (ab.) We t z (tritt heraus). Er ist fort! Mich fortschicken? Grobian. Was hat er mir zu befehlen, dient er nicht so gut wie ich. Das soll ihm theuer zu stehn kommen. Er hat vergessen, sein Pult zu schließen, rasch Wetz, du dachtest fortzulaufen, jetzt muß er das Feld räumen, rasch die falschen Wechsel in sein Pult. Läuft heut ein falscher Wechsel ein, erkennt der Goldmann die nachgemachte Unterschrift, und stellt er mich zur Rede, wie ich das Geld mir habe darauf zahlen lassen, so sag ich dreist, ich hätts dem Freyer gegeben, von ihm sey mir der Wechsel eingehändigt, er wird bei Freyer nachsehn, findet da die andern falschen Wechsel, es kann nicht fehlen, er ist gestürzt, ich bin gerettet und kann mit Tienchen lustig leben. Nun mein edler Herr Freyer, wird man mich noch fortschicken, oder werden 148
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sie mit der Wache durch die Stadt geführt, daß die Gassenbuben ihnen nachschimpfen. Kein Insekt so klein, es hat einen Stachel, wenn es getreten wird, ich werde stechen aufs Blut, ich hab es wohl bemerkt, daß sie mit Herrn Goldmann eben jetzt so heimlich meinen Untergang beredeten, mich wegzuschicken, ich kenne ihre Mienen. Mich fortschicken, ey! Es schlägt schon zwölf; mit leichtem Herzen geh ich jetzt zu meinem Mädchen, und sage ihr, daß wir noch nicht davon zu laufen brauchen. (ab).
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L u i s e und F r e y e r kommen eilig herein.
L u i s e . Sehn sie, Freyer, wie ich gesagt, hier steht das Schachbrett, gleich setzen sie sich, ich habe einen Zug entdeckt, der ist unwiderstehlich. F r e y e r . Sie haben schon so viele Züge, die mich gefangen nehmen. L u i s e . Keine freiwillige Unterwerfung, ich will vollen Triumph. (Sie setzen sich zum Spiel). F r e y e r . Ich habe einen dringenden Auftrag von ihrem Herrn Vater, sie wollten mich vorher nicht hören. L u i s e . Ich spiele und höre, ich habs mir in der Wirthschaft angewöhnt, zweierlei zugleich zu thun, zu stricken und zu lesen. Was wirds seyn, gewiß will der gute Vater mir etwas schenken, da soll ich ausgefragt werden, sie aber meinen, daß ich zu gescheidt bin, und sagens mir lieber aufrichtig, ich wähle, und meinem Vater wird eingebildet, ich wisse nichts. So ists gegangen, so gehts. F r e y e r . Vom Wählen ist heut nicht die Rede. L u i s e . Sie sind vom Laufen noch außer Athem. F r e y e r . Ich soll sehr ernst mit ihnen reden, soll drohen mit Enterbung. L u i s e . In drei Worten sagen sies, ich sterb vor Ungeduld. F r e y e r . Sie sollen heirathen. L u i s e . Weiter nichts, das hab ich immer geglaubt, seitdem die Klöster aufgehoben. F r e y e r . Noch heute, wenigstens noch heute sich verloben. 149
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L u i s e . Nun weiß ich, daß es Spas, es ist schon Mittag. F r e y e r . Nein, bei Gott. Sie wissen, wie viel ihr Herr Vater von dem Rittmeister, Grafen Pergament, rühmte, den er in Berlin kennen gelernt, dem hat er sie versprochen, der kommt noch heute mit seinem Vater hier an. Mein Auftrag war, mit allen Gründen diese Heirath vorzutragen und sie zur Folgsamkeit zu überreden, ich trau mir keine Rednergabe zu, sie wissen, was sie wollen, nur das Eine schwöre ich ihnen, daß ihr Herr Vater mit aller Heftigkeit, die sie ihm kennen, den Plan umfaßt, die eigne Ruhe seines Lebens daran knüpft, die Handlung aufgiebt, auf das Land zieht. Mir soll zum Lohn, wenn ich die Heirath vermittle, die Handlung übergeben werden. L u i s e . Daher die Heftigkeit! Ei das steht schlimm! Sie, der Diener der väterlichen Gerichtsbarkeit! Darf ich ihnen mein Zutrauen schenken, Freyer, die Zeit drängt mit rascher Hitze, was langsam reifen sollte. Es ist nicht gut! F r e y e r . Vertrauen sie mir, wie sich selbst, ich bin ihnen eigen, nur gegen das Zutrauen ihres Herrn Vaters darf ich nicht handeln. L u i s e . Keine Bedingung, denn rund heraus, aus der Heirath mit dem Grafen wird nichts. F r e y e r . Aber sie kennen ihn nicht. Vielleicht? L u i s e . Paris soll ein wunderschöner Mann gewesen seyn, auch Adonis wird gerühmt und Endimion nicht minder, aber kämen sie alle, mich zur Bezahlung ihrer Schulden heirathen zu wollen, ich würde höflich sagen: Sie gefallen mir alle recht wohl, aber ich kenne einen andern.
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F r e y e r . Einen andern? L u i s e . Ich kenne einen andern und wünschte ihn noch mehr kennen zu lernen. Lebte meine liebe Mutter noch, sie könnte für mich sprechen, meine Wahl rechtfertigen, denn sie hat mir zuerst den Hochmuth eingeflößt, in keinen höheren Stand mich einzuschleichen und jeden zu verachten, der ohne mich zu kennen, nach dem Gelde meines Vaters freit. Sagen sie aufrichtig, Freyer, kann der Graf einen andern Grund haben. F r e y e r . Er kann von ihnen gehört, er kann sie gesehen haben. 150
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L u i s e . Ich sah ihn nicht, ich habe einen andern gesehen. Ach lebte noch meine Mutter, jetzt schützt mich niemand. F r e y e r . Schützen! Beim Himmel, ihre Worte rühren mich, willig setzte ich mein Leben daran, ihnen zu helfen. L u i s e . Freyer, ich danke ihnen, aber bedenken sie auch, daß ihr Glück in meines Vaters Wohlwollen steht. F r e y e r . Mein Glück? Nein, das steht in einem andern Herzen, aber ich liebe Ihren Herrn Vater, er hat meine Mutter und mich unterstützt, ehe ich mein Brodt selbst erwerben konnte. L u i s e . In welchem Herzen? F r e y e r . Ich habe kein Vertrauen ihnen gelobt, ich darf es nicht; sie aber hatten etwas dringendes mir zu sagen. L u i s e . Sie sprechen hart, aber wahr. Sehn sie, gerade solche Freimüthigkeit ziert auch den andern, den ich nicht nennen will, er hat mein Herz erworben ohne Schmeichelei, ich lieb ihn ohne Eitelkeit, ich fühlte immer, ohne daß er es lobte, er erkenne und achte in mir, was gut ist; wo ich unrecht hatte, tadelte mich sein Blick sehr strenge. Ich war seit früher Zeit verwöhnt, was ich sagte, wurde gebilligt, belacht, was ich that, gelobt, er beleidigte mich erst durch seinen stillen Tadel, nachher war er der Einzige, auf den ich hörte. F r e y e r (aufmerksam). War er aber gerecht, erkannte er ihre Liebenswürdigkeit, ihre Güte mit ganzer Seele. L u i s e . Daß er mir gut ist, glaube ich zu errathen, mehr weiß ich nicht von ihm, denn neben der Wahrhaftigkeit gegen andre deckt ihn selbst eine bescheidne Zurückhaltung gegen jede aufdringliche Freundlichkeit, daher kommts, daß ichs ihm verschwiegen, wie liebenswürdig, wie vor allen ausgezeichnet er mir erscheint. – Freyer, Sie – vergessen zu ziehen. F r e y e r . Verzeihen sie. – Finden sich äussere Hindernisse in ihrer Wahl, diese Unterschiede werden in der Meinung älterer Leute oft unübersteiglich. L u i s e . Den Erwartungen meines Vaters, seiner Meinung von dem Glücke höherer Stände entspricht seine Geburt freilich nicht, doch ist er von so ehrlichen Ältern wie mein Vater selbst. Sein Vermögen – davon reden wir nicht, ich habe genug mit der Hälfte dessen, was der Vater an mich täglich verschwendet, ohne daß es ihn drückt, ja, 151
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ich gestehe es, die Spitzenkleider, die ostindischen Schals sind mir verhaßt, eben weil ich darum beneidet werde und weil sie mir nur Sorge machen. Meine häusliche Einrichtung hat ein sonderbares Ideal, sie werden mich auslachen. F r e y e r . Das that ich nie einem herzlichen Wunsche. L u i s e . Gut also – mein Ideal ist ihr Contorpult, Freyer, wenige Sachen, aber alle genügend, alles in gleicher Ordnung tagtäglich, ich weiß es, wo ihr Bindfaden hängt, wo die Briefleger stehen, wo die gebrauchten, wo die ungebrauchten Federn zu finden, wo Pettschaft und Siegellack, wie in der Ordnung die angekommenen, die abgehenden Briefe liegen. (Sie tritt an das Pult). F r e y e r . Ihr Lob beschämt mich, denn ich sehe nicht ohne Schrekken, weil es mir noch nie geschehen, daß ich heute den Schlüssel meines Pults habe stecken lassen, als mir ihr Herr Vater den Heirathsauftrag gab. (Er schließt zu). L u i s e . So ein Auftrag kommt auch nicht alle Tage und noch niemals hat ein Vater so sonderbar dazu gewählt. F r e y e r (vor sich). Freyer nimm dich in acht, deine thö rigten Wünsche täuschen dich wieder. (Laut) Freilich bin ich ungeübt und ungeschickt zu Unterhandlungen der Liebe. L u i s e (ärgerlich). Freilich – recht sehr. Sie haben noch nie die Qual empfunden, von ganzem Herzen zu lieben und aus Rücksicht, aus Bescheidenheit, es sich nicht selbst zuzutrauen, Gegenliebe erworben zu haben, sie können mich nicht begreifen, nicht verstehen. F r e y e r . Und wenn ich das alles nun auch verstände und empfände, was würden sie mir anvertrauen? Könnten sie mir den unbewust Glücklichen nennen, sollte ich ihm sein Glück verkünden, nennen sie seinen Namen. L u i s e (verlegen). Einen Namen zu nennen, kostet sehr viel in solchem Verhältnisse. Sie müssen mich errathen. F r e y e r . Also kenne ich ihn. L u i s e . Sie sehen ihn täglich.
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III. We t z tritt herein.
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F r e y e r . Aber wo, beim Himmel beschwöre ich sie, wo sehe ich ihn, wenn sie ihn selbst nicht nennen wollen. L u i s e (vor sich). Nun darf ich gar nicht reden, der Schleicher Wetz ist nahe. (Laut) Es ist doch eine gute Sache mit den Spiegeln, wenn ich jemand aus Beschämung anzusehen meide, so kann ich ihn im Spiegel ruhig anblicken – kurz, den ich liebe, den seh ich hier dreifach. Ich habe das Spiel ausgemacht. (Sie wirft die Schachpuppen zusammen und springt fort). F r e y e r . Herz, wie kannst du zweifeln, sie meint mich. (Er will ihr nach und sieht Wetz) Ha Wetz! We t z . Fragten sie etwas, Herr Freyer! F r e y e r (verlegen). Haben sie den Brief abgeschrieben? We t z . Ich bin gleich fertig. F r e y e r (leise). Ich seh ihn hier, ich seh ihn hier in diesem, ich seh ihn dort in jenem Spiegel, ich seh ihn täglich, kein Zweifel, er ist der Glückssohn, ich bin verloren, sie sagte es, als er herein getreten. We t z (vor sich). Er scheint verlegen, ob Goldmann ihm die Wechsel schon mag vorgehalten haben? F r e y e r (leise). Wie wundre ich mich denn so sehr, ein jeder hat sein eigenes Gestirn, ihm leuchtete die Venus in die Wiege, er hat so manche Briefe mir von Mädchen aller Art gezeigt, die sich in ihn verliebt. Ach könnte ich aus zerrissenem Herzen die Weiber alle verfluchen, könnte ich sagen, sie sind sich alle gleich – aber Luise bleibt mir heilig, auch wenn sie mich haßte. We t z (vor sich). Was sieht er mich so an, ich glaube, er hat doch Verdacht gegen mich. F r e y e r (leise). Nicht auf halbem Wege will ich stehen bleiben, und bin ich unglücklich, so soll doch jeder sagen, daß meine Aufopferung ein besseres Geschick verdient hätte. Der guten Luise will ich den Liebesdienst thun, wie ich ihr versprochen, ich will dem Wetz sein Glück kund machen, mehr thue ich nicht, nachher überlasse ich sie ihrem Schicksale und schiffe nach England, nach Ostindien, aus der Welt, wenn es möglich ist. (Laut) Wetz, können sie verschwiegen seyn? 153
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We t z (vor sich). Was will er von mir. (Laut) Herr Freyer, ich kann schweigen, wenn es nicht gegen das Interesse meines Prinzipals ist. F r e y e r . Sie sind bedenklich. We t z . Ehrlich währt am längsten. F r e y e r . Dachten sie immer so. We t z (verlegen). Ich verstehe sie nicht. F r e y e r . Sie haben sich oft gerühmt, wie sie Mädchen angeführt haben. Sie sind ein Glückskind. We t z (gestärkt). Er will mich mit Schmeicheleien fangen. (Laut) Wers Glück hat, führt die Braut nach Haus. F r e y e r (vor sich). Er weiß ihre Liebe schon, ich allein war der Blinde. (Laut) Sie wissen es also, daß Luise, Herrn Goldmanns Tochter, ihnen geneigt ist, gut, so verrathe ich kein Geheimniß, wenn ich es ihnen bestätige. Ich bin sonst ihr Freund nicht, aber diese Liebe des treflichsten Mädchens ist mir eine Versicherung, daß ihr Herz manches Gute verbirgt, was ich nicht erkannt habe. Seyn sie aufrichtig gegen das Mädchen, sie bedarf vielleicht in dieser Zeit ihres Trostes, und der Sicherheit, von ihnen geliebt zu seyn, da andere Heirathspläne des Vaters sie bedrängen. Seyn sie klug und standhaft, verabreden sie mit ihr, was zu thun sey, ich bin bereit, ihnen zu dienen. We t z . Herr Freyer, sie haben... F r e y e r . Jetzt kein Wort, lieber Wetz, sie wissen alles, seyn sie verschwiegen, ich muß mich in der frischen Luft erholen, mich plagt ein Kopfweh. (ab.)
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IV.
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We t z . Hat er mich zum Narren? Was kann sonst seine Absicht seyn. Aber er war zu ernst. Warum soll ich dem ehr lichen Narren nicht glauben. Die Mädchen sind wunderlich und wenn Luise mich bis jetzt kaum angesehen, mir manches harte Wort gesagt hat, so war eben das vielleicht der Angelhaken, an den ich beissen sollte. Ich lieb sie eben nicht, aber was schadets, sie ist hübsch und hat ungeheuer viel Geld zu erwarten, mein Glück ist gemacht. Freyer ärgert sich, daß er künftig unter meinem Befehl stehen soll. Ich wollte, daß ich die Wechselgeschichte könnte ungeschehen machen, sie läuft
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III/IV/V
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noch recht fatal zwischen mein neues Glück und ich gestehe, daß ich keinem so ganz wie Freyer, wenn ich erst Herr bin, alles anvertrauen möchte, um selbst recht bequem zu leben. Ich sehe, sein Pult ist geschlossen, ich kann nichts mehr ändern, trotz seines Liebesdienstes kommt er nach Spandau.
V. G o l d m a n n und der alte Graf P e r g a m e n t .
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G r a f . Hm, ausser Athem, schlimme Treppe. – Was für Zimmer hier? Gefängniß. Gitter vorm Fenster, Gitterkasten hier, wilde Thiere zu sehen? G o l d m a n n . Herr Graf, wo sind wilde Thiere zu sehen? G r a f . Hm, seh schon, hab mich geirrt, seh schon, da sitzt ein Mensch. (Zu Wetz) Wer ist er? We t z . Ich bin ein Musje und kein Er. G o l d m a n n . Schweigen sie Wetz, sie sind mir ein schöner Musje, marsch, fort, suchen sie meine Tochter, sie soll gleich kommen. (Wetz ab.) Nun, Herr Graf, sie sollen gleich meine Luise sehen. Wenn ich sie schön finde, die schönste auf der ganzen Welt, so spricht aus mir die Liebe zur Mutter, sie haben Augen zu sehen, was wahr daran ist, wer mir aber leugnet, daß sie Verstand hat wie ein Engel, der verliert bei mir allen Kredit. G r a f . So, so, lieb zu hören, Verstand gilt mehr bei Hofe als Schönheit, denn der rechte Verstand weiß sich zu verbergen, die Schönheit nicht, so giebt er keine Eifersucht. Hm, ja wohl, auch kann jeder den Verstand brauchen und die Schönheit nur der Liebhaber. Hm, ja, ja, wollt, mein Sohn wäre hier. G o l d m a n n . Es ist schade, daß der liebe vortrefliche Sohn durch das neue Exercitium aufgehalten worden, ich bin in allen Geschäften geduldig, nur nicht in Familienangelegenheiten, ich gäbe ein Paar tausend Thaler darum, wären sie schon kopulirt und hätten ein Dutzend Kinder. G r a f . Paar tausend Thaler, hm, gleich baar, wenn mein Sohn nicht kommt, heirath ich selbst, gleich hm, bin noch ein Freund von Mädchen, auf Ehre. 155
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G o l d m a n n . Machen sie den Spas, drohen sie ihrem Sohne damit, wenn er sich nicht beeilt. Sie sehn für ihr Alter noch immer ziemlich glatt aus. G r a f . Glatt. Hm, Alter. Bin so alt nicht, sechzig Jahre, beste Jahre. Mädchen sind mir alle gut. Will sehn, wie ich der Tochter gefalle. Scherz bei Seite, ist sie sehr klug, da nimmt sie mich, ist sie sehr schön, kriegt sie mein Sohn. Hörner kann ich nicht leiden, weiß wie sie andern kleiden.
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VI. L u i s e kommt.
G o l d m a n n . Da kommt meine Tochter. Herr Graf, ich gebe sie für ihren Sohn aus. (Laut) Luise, hier ist der junge Graf Pergament, Rittmeister bei den Landreitern. (Leise zu Luise): Freyer hat doch mit dir gesprochen. L u i s e . Ja Papa. (Vor sich). Das soll der Rittmeister seyn! So dumm bin ich nicht. G o l d m a n n . Nun, ihr jungen Leute, ich lasse euch allein beisammen, ihr werdet euch wohl allerlei zu sagen haben, in meiner Gegenwart seyd ihr verlegen. (Zum Grafen) Fühlen sie meiner Tochter auf den Zahn, sie hat Verstand. (ab.) G r a f . Hm, mein liebes Kind, hm, nicht doch, meine Verehrte, mein Blut ist so heftig, ich bin entzückt. L u i s e . Sie sind gewiß die Treppe zu rasch gelaufen. (Vor sich) Ich muß ihn mit rechter Dummheit abschrecken. (Laut): Setzen sie sich, was ist die Glocke? Es kullert mir im Leibe, es muß bald Essenszeit seyn. G r a f . Ein Uhr kullerts, hm, so, so. (Vor sich) Sie scheint genial. L u i s e . Hören sie, lieber Graf, rathen sie, was wir essen, es ist meine Leibspeise. G r a f . Leibspeise, hm, das muß meine Zuneigung rathen. Straßburger Leberpastete? L u i s e . Die weiß ich nicht zu machen, nein, hören sie mein Bester, ich habe gestern ein Schwein geschlachtet, so ein delikates fettes Schwein habe ich noch nicht gesehen, händebreites Fett hatte es auf 156
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dem Rücken, aber Herr Jesus, was hat es geschrien, als ich es gestochen habe. Ja, und was der schönste Spas, mein Vater dachte, ich sänge, da sah er, daß ich geschlachtet hatte und war böse und verbot es dem Schlächter, weil ich mir das Kleid beschmutzt hatte. G r a f . Hm, ein recht militärischer Geist, der das Schlachten so liebt. (Vor sich) Sie ist dumm. L u i s e . Ja, wir passen recht, mein Bester, ich gehe auch mit ihnen in den Krieg, ich will für die ganze Armee schlachten und Wurst machen! Ja, sie hätten mich gestern sehen sollen, was habe ich lachen müssen, bis an den Ellenbogen sah ich aus wie ein Mörder, aber die Blutwurst ist delikat geworden, befehlen sie ein Stück, ich habe heute ein Paar Pfund zur Probe gegessen. G r a f . Dank, meine Gnädige, hm, es ist jetzt Mittagszeit, möchte Appetit verderben. (Vor sich) Die kann nirgends in Gesellschaft geführt werden. L u i s e . Sie sprachen da leise. G r a f . Ich sagte, blutdürstige Amazone, was mit aller der Wurst zu machen. L u i s e . Der blutdürstigen Amme Sohn, ja, das soll wohl Witz seyn, weil er unser Schlächter ist, ja freilich, mit dem hatte ich noch den rechten Spas, dem legte ich einen Kranz von Vergißmeinnicht auf seine Wurst und schenkte sie ihm. G r a f . Hm. Vergißmeinnicht. Wurst. Haha, (vor sich) Hat sie mein Sohn, so sperren wir sie ein. L u i s e . Nun muß ich ihnen wohl auch einen Kranz Vergißmeinnicht schenken, da sie mich heirathen, wird denn heute noch was draus, wir wollen recht gut zusammen leben, aber die lächerliche braune Perücke, hinter der die weißen Haare vorsehen, die leide ich nicht. G r a f . (Vor sich). Sie wird grob, muß enden. (Laut) Sie verzeihen, es war ein Scherz von ihrem Herrn Vater, daß ich der Rittmeister Graf Pergament, ihr Bräutigam sey, ich bin sein Vater, der Vize-Zeremonienmeister, auch grand maitre du tabac rape´ und Ritter des Ordens der anständigen Menschen dritter Klasse, vierter Ordnung, in der renovirten Stiftung. L u i s e . Also Herr Rittmeister, ich habe nicht das Vergnügen, mit ihnen, sondern mit ihrem Herrn Vater zu reden? 157
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G r a f . Hm, ja, freilich mit meinem Herren Vater. L u i s e . Da hätte ich freilich nicht so schalkhaft sprechen sollen. Wann wird denn mein Rittmeister endlich einmal ankommen. G r a f . Hm, wenns Exercitium vorbei. L u i s e . Da kann er sich leicht noch den Hals brechen. G r a f . Halsbrechen. Hm. Schrecklicher Gedanke.
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VII. G o l d m a n n (kommend). Verdammt, kann den Freyer nicht finden, weiß nicht, was meine Tochter gesagt hat. – Nun, Herr Graf, was sagen sie? (leise zu ihm) Verstand wie ein Engel. G r a f (leise). Noch mehr Schönheit, hm, mein Sohn soll sie behalten. G o l d m a n n . Draussen wartet auf sie, Herr Graf, ein Bedienter ihres Sohnes, er will mir nicht sagen, was er bringt. G r a f . Sehr verbunden, hm, ich gehe, komme gleich wieder. Bitt Entschuldigung. (ab.) L u i s e . (Vor sich). Nur ein paar Minuten noch das Lachen verbissen und ein wenig gelogen, so bin ich frey. (Laut) Sie wollten mich anführen, lieber Vater, es war nicht der Rittmeister. G o l d m a n n . Wie du gescheidt bist! Der Rittmeister ist ein prächtiger Kerl, sieben Fuß hoch, hat die schönsten Pferde. Der Alte ist auch nicht übel, hat viel erlebt, sagt manche gute Sentenz – was sagte er doch vorher vom Verstande, – hab es vergessen. Du wirst sehr glücklich. L u i s e . Ich könnte sehr glücklich werden, aber kann ichs allein seyn, wie kann ich sie verleugnen, dem ich alles danke, wie kann ich mich von Ihnen trennen. G o l d m a n n . Das hast du nicht nöthig, ich gebe die Handlung auf, lebe im Hause des Grafen in Berlin und auf dem Lande, beide löse ich aus den Händen der Schuldner, nein Kind, wir bleiben beisammen. L u i s e . Wie falsch sind die Hofleute. Als der Graf mir offenherzig gestanden, daß er der Vater sey, sagte er mir frei heraus, ich gefalle ihm, ich würde den Ton der großen Welt leicht fassen, sie aber 158
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wären ein so festes altenglisches Mahagonimöbel, das nicht breche und auch keine neue Form annehme, sie würden die Lust und den Glanz des Hauses stören, ich müßte sie bereden, in dem gewohnten Lebenskreise zu bleiben und Geld zu verdienen. G o l d m a n n . Teufel – und was sagtest du. L u i s e . Ich stellte mich, als ob ich darin einginge, und da wurde er sehr heiter und sagte, daß er wohl wisse, sie könnten keinen Schuldner leiden, da habe er ein Paar hundert kleine Leute mit Bärten in Berlin herumlaufen, denen er schuldig, die sollten sich den ganzen Vormittag beim Schwiegervater melden, sie würden das keinen Monat aushalten. G o l d m a n n . Racker, Satanas – nicht drei Tage hielt ich es aus. Warten sie, Herr Graf, sie dünken sich klug, sie betrügen sich diesmal. Ich will sie prellen. L u i s e . Das würde die Heirath stören. G o l d m a n n . Kein Wort von der Heirath, es ist aus damit und wenn sich alle auf den Kopf stellen. L u i s e . Sie ließen mir sagen, sie sey das Glück meines Lebens. G o l d m a n n . Tröste dich, Kind, wenn du dich auf die Heirath gefreut hast, es giebt ja mehr Grafen, oder andre Männer von Stande. L u i s e . Warum nicht von unserm Stande. G o l d m a n n . Meinetwegen auch, es war mir nur wegen der hohen Jagd, welche den Edelleuten zusteht. (ab.)
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L u i s e . Den besten Vater muß ich belügen, aber ich kann nicht anders bei seiner Hitze, gewiß dankt er mirs nachher. Freyer muß ich von allem benachrichtigen, es ist doch gut um ein Contor, da findet sich gleich alles bereit zum Schreiben. (Sie setzt sich zum Schreiben.) »Ich habe mich Ihnen aus Furcht vor der Heirath mit dem Grafen erklären müssen, ich weiß nicht, was sie über mich denken, ich möchte Ihrer Gesinnung gewiß seyn, ehe ich ihnen die Begebenheiten mit dem alten Grafen erzähle, doch zwingt mich die Furcht, sie möchten auf unrechte Art in meinen Plan eingreifen, ihnen alles, was ich versucht, mitzutheilen. Den Grafen suchte ich durch 159
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Dummheit und Gemeinheit von mir zurück zu schrecken, aber vergebens, das Geld macht ihm alles gut. Nun mußte ich mich entschließen, dem Vater einzubilden, der Graf verachte seinen Stand, wolle ihn künftig nicht in seinem Hause dulden, das wirkte. Die Heirath wird rückgängig, aber bei aller Gewißheit, die sie von meiner Liebe haben, dürfen sie doch noch keinen Schritt wagen, unser Verhältniß dem Vater zu bekennen.« (Wetz tritt mit eitler Geberde her-
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ein, schleicht zu Luise, lehnt sich unbemerkt über die Schreibende und nimmt ihr das Blatt fort.) 147
We t z . Ich muß jetzt alles sehn, was sie schreiben. L u i s e . Gott, wie haben sie mich erschreckt, das Herz schlägt mir. We t z . Gutes Zeichen, wenn das Herz schlägt, kein Geheimniß mehr zwischen uns, seyn sie meiner gewiß. L u i s e . (Vor sich). Wie unverschämt, wie verändert ist der widrige Mensch, gewiß macht ihn ein Auftrag meines Vaters an mich so frech. (Laut) Herr Wetz, ich beschwöre sie bei der Achtung, die jedem Mädchen gebürt, geben sie das Blatt zurück. We t z . Wozu diese Scheu, ich darf jetzt alles lesen, ja es ist meine Pflicht. L u i s e . (Vor sich). Wie hat der Vater mich dem widrigen Menschen anvertrauen können. (Laut) Ich sage ihnen, das Blatt ist weder an meinen Vater, noch an sie gerichtet, es liegt mir viel daran. We t z . Sie spannen meine Neugierde, jetzt lasse ich es nicht um alles in der Welt. L u i s e . Ich muß es Ihnen entreißen. (Sie versuchts, Wetz hebt es aber in die Höhe und liest laut vor). We t z . »Ich habe mich – Ihnen – aus Furcht vor der Heirath mit dem Grafen erklären müssen.« Und das Blatt wäre nicht an mich. Welche falsche Scham hält sie nach der Erklärung zurück – süßes Mädchen, mein Kuß soll dir sagen, daß ich dich liebe. L u i s e . Unverschämter, sie wollen meine Angst mißbrauchen, das Blatt her.
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IX. F r e y e r tritt ein.
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F r e y e r . Verzeihen sie, wenn ich störe. (Will gehen). L u i s e . Bleiben sie, Freyer. Sie sind doch vernünftig, schützen sie mich gegen diesen Thoren. We t z . Wozu die Verstellung vor Freyer, er weiß ihre Liebe zu mir, er wird mir das Zeugniß dieses Blattes gern gönnen. F r e y e r . Aller Streit gleicht sich in Liebe bald aus. (Will gehen). L u i s e . Ich komme von Sinnen; auch sie Freyer sind gegen mich verschworen. Wetz, ich lasse ihnen das Blatt nicht. We t z . Erst muß ich es lesen, dann bringe ichs zurück. (ab). L u i s e (sinkt ermattet auf einen Stuhl). Ich bin verloren, Freyer, wie konnten sie mich so gleichgültig kränken sehen. F r e y e r . Welches Recht habe ich, mich in die kleinen Fehden zwischen Liebenden zu mischen. L u i s e . Liebende? Sind sie auch wahnsinnig wie der Wetz. Ich schwöre es ihnen, daß mir kein Mensch vom ersten Augenblicke so verhaßt war wie Wetz, jetzt aber hat er einen Brief gestohlen, durch den er mich unglücklich machen kann. Freyer, sie haben mich mißverstanden, ich ahnde es, ich liebe sie und keinen andern auf der Welt, aber schaffen sie mir das Blatt. F r e y e r . O Gott, welche Seligkeit, ich gehorche blind. (ab.)
X. G o l d m a n n kommt. 25
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L u i s e . Ach keinen Augenblick der Erholung, ich muß thun, als ob ich etwas verloren, damit er meine heissen Backen nicht bemerkt. G o l d m a n n . Laß jetzt das Suchen, Kind, der Graf wartet mit seinem Sohne, der eben angekommen war. L u i s e . Aber meine liebe Brustnadel kann ich nicht verlieren, die von der Mutter, ach, da liegt sie. G o l d m a n n . Bewahre sie künftig besser. Jetzt mach dich ordentlich. Wie dir das Blut beim Suchen in den Kopf gestiegen. Bring die 161
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Locken in Ordnung. Ich bitte dich, sey recht schön, recht geistreich. Aber wenn nun der Sohn recht verliebt ist, da schrei ich, nichts für den Schnabel, meine Tochter hat einen angenehmeren Heirathsvorschlag. L u i s e . Ich habe Kopfweh, ich kann nicht sprechen. G o l d m a n n . Will dir bald andre Kopfweh machen, wenn du nicht gehorchst, fort zur Toilette. (Er führt sie fort).
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We t z (kommt mit dem Brief). Der Freyer läuft mir durch alle Zimmer nach, ich kann nicht zum Lesen kommen, gewiß spricht sie zu deutlich, darum schämt sie sich. Freyer ist schon wieder da. (Er versteckt den Brief). F r e y e r (kommt). Den Brief geben sie mir, den sie weggenommen haben, er ist nicht an Sie gerichtet. We t z . Herr, denken sie, daß ihr ganzes Glück in meiner Hand steht, wenn ich Luise heirathe. F r e y e r . Brief her. We t z . Bei meiner Ehre, ich gebe ihn nicht. F r e y e r (packt ihn beim Kragen). Sie kennen mich, daß ich nicht lüge. Ich schwöre ihnen, daß ich sie erdrossele und sage, daß sie an einem Stickfluß gestorben sind, wenn sie das Blatt nicht herausgeben. We t z . Luft – aber – F r e y e r . Kein Wort, den Brief. We t z (greift in die Tasche). Nun da haben sie ihn. F r e y e r . Das war sonst ihre letzte Stunde. (Er eilt fort).
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XII. G o l d m a n n (kommt). Wo ist Freyer? We t z . Ich weiß es nicht. G o l d m a n n . Ich muß ihn sprechen. Ein falscher Wechsel ist eingegangen, ähnlich, sehr ähnlich meiner Handschrift, einer meiner Diener hat ihn bei Saul diskontirt. 162
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We t z . Das war ich, Herr Goldmann. G o l d m a n n . Wer? Sie? Wer gab ihnen den Wechsel. We t z . Herr Freyer. Zugleich trug ich noch einen an Judas Maccabäus und einen andern an Jephta. G o l d m a n n . Was? Wie? Die hab ich all nicht unterzeichnet. We t z . Ich sah, daß er noch mehrere in seinem Pulte liegen hatte, als er mir jene gab. G o l d m a n n . Ich möchte meine Seligkeit verschwören, es sey unmöglich – und doch, ich muß es untersuchen. Sie sind mein Zeuge, Wetz, ich öffne hier in ihrer Gegenwart das Pult mit dem Hauptschlüssel. (Er öffnet es) Wahr – wahrlich – o lügenhaftes Angesicht der Menschen – dem Freyer hätte ich mein ganz Vermögen anvertraut. – Undankbarer Schurke, den ich mit seiner Mutter allem Elend entriß. – Kurzsichtige Dummheit, um einige hundert Friedrichsd’or mich zu betrügen, vielleicht damit zu fliehen, da ich ihm tausend gern gegeben, wenn er die Handlung ganz übernommen hätte. Auf die Festung soll er. We t z . In England müßte er hängen. G o l d m a n n . Und doch, mir bleibt ein Rest von Mitleid, Wetz, sie müssen schweigen, ich will ihn beschämen, ihn fortjagen, mehr will ich nicht von ihm. (Er geht hastig ab.) We t z . Nun Freyerchen, sollst mich nicht fortschicken, sollst mich nicht ersticken, mir glückt alles, doch mag ich ihm nicht gern begegnen, ich horche zu bei meinem Pulte. (Er geht hinter das Gitter.)
XIII. Der alte Graf, sein Sohn, der Rittmeister auf Krücken, Luise und Freyer kommen.
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L u i s e . Ich dachte meinen Vater hier zu finden, nun, er kommt sicher bald, wir müssen durch diese Zimmer zum Eßzimmer. Wie wird er erschrecken, daß Ihnen, Herr Rittmeister, solch ein Unglück begegnet ist. G r a f . Hm, zum Verzweifeln, kann nicht mehr heirathen. Hm, wie kam’s, erzähls noch einmal. R i t t m e i s t e r . Mein bester Freund, der Major Krachstiefel machte eigentlich das Versehen beim neuen Exercitium, er schwenkte zu 163
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tief mit dem ganzen Zuge, das riß den Rittmeister Hasendonner mit fort. Ich sagte meinem Lieutnant Unterfutter und dem Kornet Krümper, wir wollen die Linie halten, es koste, was es koste. Dadurch entstand natürlich ein Druck von fünfhundert Pferden gegen meine Beine, kurz, sie wurden mir Glied für Glied zerbrochen, ich muß den Abschied nehmen, bin unfähig zu allem. F r e y e r . Ich kann mir das Manöver gar nicht denken, die Pferde lagen doch nicht auf einander, sie drängten sich doch nur. R i t t m e i s t e r . Sie müssen es nicht taktisch, sondern strategisch beurtheilen. Muß es nicht einen Feind in große Verlegenheit setzen, wenn ein Regiment, das er eben angreifen will, plötzlich eine Viertelmeile vom vorigen Orte aufmarschirt ist und wenn er ihm dahin nachfolgt, wieder eine Viertelmeile weiter. G r a f . Hm, wunderlich Manöver, hm, mag gut seyn, wenns nur keine gräflich Pergamentsche Knochen kostete. Hm, aber glauben sie, meine Gnädige, daß dergleichen Fracktur durchaus den Ehestand unmöglich mache. L u i s e . Leider, – leider, – sie würden kaum die Trauung überstehen und der Ehrentanz mit allen Gästen, das wäre ganz unmöglich. R i t t m e i s t e r . Um einen Stuhl muß ich wirklich bitten. Nicht blos ihre Schönheit, auch ihren Verstand muß ich bewundern, nun das Geschick mich auf immer von ihnen scheidet. Mit trauerndem Herzen gebe ich ihnen den Ring zurück, den Ihres Herrn Vaters Güte als Verlobung mir sandte. G r a f . Hm, zu schnell, erst das Bad versuchen, (vor sich) verfluchtes Exercitium, wer zahlt nun meine Schulden.
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XIV. G o l d m a n n (ohne Verbeugung, in großer Heftigkeit). He Wetz, wo sind sie? We t z (kommt vor). Hier, Herr Goldmann. G o l d m a n n . Freyer, finde ich sie, Nichtswürdiger, wie können sie so ehrlich aussehen und mich betrügen. L u i s e (zu Freyer). Wir sind verrathen, Demuth hilft allein. 164
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F r e y e r (wirft sich vor Goldmann nieder). Verzeihung, würdger Freund, ich bin schuldig, aber weniger, als ich scheine. G o l d m a n n . Warum konnten sie nicht offen zu mir reden, wenn sie in Noth waren, kannten sie mich nicht besser durch so manches Gute, was ich ihnen erwiesen. Undankbarer. We t z . Undankbarer. F r e y e r . Ich hätte ihnen gewiß alles eingestanden, aber die Verwirrungen dieser Stunden machten es unmöglich. G o l d m a n n . Was hilft das Eingestehen, wenn es zu spät ist. L u i s e (kniet nieder). Hören sie mich, Vater, ich trage allein die Schuld, ich habe ihn verführt, ich sage das nicht aus übermüthiger Großmuth, nein, ich allein erfand diese List. G o l d m a n n . Rührt mich der Schlag nicht, so leb ich ewig. Mein einzges Kind verführt meinen treusten Freund zum Diebstahl. Fort aus dem Hause, falscher Wechselmacher, fort aus dem Hause, Betrügerin des eignen Vaters. F r e y e r (steht auf). Falscher Wechselmacher? Hier waltet ein größerer Irrthum; daß ich Luise liebe, daß sie mir ihre Liebe gestand, was hat das mit Wechseln zu thun. G o l d m a n n . Du liebst also den Dieb, Luise, bist du toll. L u i s e . Ja, Vater, von ganzer Seele. G o l d m a n n . So haben sie nicht allein mich an Geld, sondern auch um der Tochter Herz bestohlen. F r e y e r . Geld gestohlen? Ich dulde kein solches Wort, Herr Goldmann. Ich bekannte meine Schuld, daß ich ihre Tochter liebte, ihr Geld war mir ein unverletztes Heiligthum, auch habe ich nie danach verlangt, ich hatte im Überfluß, was ich brauchte. We t z . Schweigen sie, Herr Freyer, sie sind überwiesen und Herr Goldmann will ihnen die Strafe schenken, wenn sie nur eingestehen. G o l d m a n n . Dies ist mein Zeuge, daß ich diese falschen Wechsel in ihrem Pult gefunden, er ist Zeuge, daß sie durch ihn andre sich haben auszahlen lassen. L u i s e . Ach Freyer, soll ichs glauben? Gewiß, sie sind unschuldig, ich glaube an sie. 165
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F r e y e r (durchsieht die Papiere). Gut nachgemacht, ihre Unterschrift, Herr Goldmann, doch nicht ganz, hier fehlt der eine Gegenstrich am Vornamen, hier die beiden Punkte. G o l d m a n n . Ja fragen sie sich selbst, warum sie die vergessen. F r e y e r . Also heute in meinem Pulte gefunden, gerade heute. Und heute ließ ich zum erstenmal mein Pult auf, Luise weiß es. Jetzt wird mir alles klar. Wetz, sie sind ein Teufel, so kaltblütige Bosheit hätte ich ihnen nicht zugetraut. We t z . Sie werden noch sagen, daß jeder ehrliche Mensch, der mit ihren falschen Wechseln nichts zu thun haben will, ein Teufel ist. F r e y e r . Wetz, ich scheine ihnen verloren? Bedenken sie sich wohl, eine höhere Hand rettet unschuldige Herzen. Bekennen sie, daß sie der Verbrecher sind. We t z . Was soll das, ich ruhe nicht, bis sie auf der Festung sitzen. G o l d m a n n . Was wollen sie sagen, Freyer. Stille, alle. F r e y e r . Erst jetzt erkläre ich mir einen Brief, den ich ihnen heute statt eines andern abgenommen und erst flüchtig nur durchlaufen habe. Sehn sie Wetz, kennen sie die Überschrift. We t z (reißt ihn fort). Was geht er sie an, er ist an mich, er ist von meiner Braut. R i t t m e i s t e r (greift zu, nimmt ihm den Brief und giebt ihn an Goldmann). Halt Herr, so ist die Ordnung. G o l d m a n n (liest den Brief). »Ich habe die hundert Friedrichsd’or von dir in meinen Rock geneht, wir haben jetzt genug, ich bitte dich, wage nicht zu viel, der Freyer ist ein Fuchs, er wird die falschen Wechsel sicher herausfinden; laß uns schon heute gehen, der Schiffer ist bereit. Dein Tinchen.« Verruchter. 153
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We t z . Ich bin schuldig, ich bin verloren, Gnade, sie sind so gütig, Herr Goldmann. G o l d m a n n . Gnade gegen unglückliche verirrte Sünder, Strafe gegen Boshafte. He, Hausknechte, führt den Schurken Wetz auf die Wache. We t z . Der verfluchte Freyer behält doch recht, er schickt mich fort. (Die Hausknechte führen ihn fort.) 166
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G r a f . Wunderbare Geschichte, hm, der arme Herr Freyer. L u i s e . Gott im Himmel sey gelobt, ich erwache aus Todesangst. G o l d m a n n . Freyer, ich stehe vor ihnen sehr verlegen, ich habe ihnen weh gethan in meiner Hitze, sehr weh, wie soll ich das gut machen. R i t t m e i s t e r . Sie sind alle verlegen, ich allein weiß Rath. Sie sind mir gut, Herr Goldmann, ich ihnen auch, ich gebe ihnen den besten Rath. Es giebt nur ein Mittel, diese Beleidigung des ehrlichen Freyer zu verwischen, sie hören, daß er Luisen, daß Luise ihn liebt, geben sie ihm die schöne Tochter, ich bin ein Krüppel und muß ihnen ohnedies ihr Versprechen zurückgeben. L u i s e . Sie sind gerührt, Vater, folgen sie dem Rathe des edlen Grafen. Sie können nicht zürnen, daß mein Herz, das sich selbst bewegt, auch selbst gewählt hat. G o l d m a n n . Freyer, wollen sie mir schwören, daß sie diese Geschichte ganz vergessen wollen, so will ich ihnen gern meine Tochter zur Beschwichtigung geben. Aber ihr Wort, daß sie nie den Namen Wetz vor mir aussprechen. Freyer, thun sie mir den einzigen Gefallen, nehmen sie meine Tochter, aber gleich auf der Stelle. F r e y e r . O mein gütiger alter Freund, o mein Vater, die Thränen ersticken meinen Dank. L u i s e . Lieber, lieber Vater, wir wollen leben wie die Engel im Himmel. G o l d m a n n . Gott segne euch, es kommt jetzt alles in Ordnung, wenn ich jetzt auf die Jagd gehen will, so führt Freyer meine Geschäfte, ich übergebe ihm alles. (Der Rittmeister wirft die Krücken fort und drückt des alten Goldmann Hände.)
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R i t t m e i s t e r . Die Freude heilt alle meine Beinbrüche. G r a f . Hm, was, mein Sohn gesund! R i t t m e i s t e r . Vater, ich bin auch ein reuiges Kind. G r a f . Hm, was für Komödie. Hm! Wie! Warum! R i t t m e i s t e r . Ach lieber Vater ich bin heimlich mit einer schönen Wittwe vermählt, da gings doch nicht an, das ich noch einmal heirathete und sie überraschten mich so unerwartet mit dem Verlobungsringe, daß ich kein Mittel wußte als die Nothlüge mit dem neuen Exercitium. 167
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G r a f . Hm, infamer Junge, ich enterbe dich. Wie hieß die Wittwe. R i t t m e i s t e r . Gräfin Ulks. G r a f . Die hätte ich selbst gern genommen, hm. G o l d m a n n . Herr Graf, versöhnen sie sich, enterben sie nicht ihren braven Sohn. G r a f . Hm, sehn sie nur, wie er lacht, das Enterben sagt nicht viel, hm, hab nichts. R i t t m e i s t e r . Noch habe ich mein Schwerdt Und meinen treuen Schimmel, Da reit ich von der Erd Gerade in den Himmel. Es steht mein liebes Weib In unsrer Wittwenkasse, Da fehlt kein Zeitvertreib, Wenn ich die Welt verlasse, Die Kinder groß und klein, Die spielen schon Soldaten, Und hauen tapfer ein In einen guten Braten. G o l d m a n n . Ach meine Freunde, dabei fällt mir ein, daß der Bediente mir schon vor einer halben Stunde gesagt hat, das Essen stehe auf dem Tische. Also schnell ohne Umstände zu Tisch, Verliebte und Hungrige machen keine Umstände. R i t t m e i s t e r . Aber die Moral, wo bleibt die? G o l d m a n n . Wenn sich das Laster bestraft, setzt sich die Tugend zu Tisch.
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel im Jahre 1629.
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Schauspiel in drei Handlungen. 5
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G r a f L o z a n , spanischer Gubernator in Wesel. D i e g o , sein Wachtmeister. R e i n h a r t , Gastwirth zu Wesel. S u s a n n a , dessen Tochter. P e t e r M ü l d e r , ein Holzhändler D i e r e c k e M ü l d e r , Professor der Schule Geschwister. Judith Mülder M e i s t e r S c h l a c k e , Waffenschmidt. J a n R o t l e e r , dessen Geselle. F r e i h e r r v o n D i d e m , staatischer General. Huygens, Drost von Beefort, Diest, Markette, Lauw y k , staatische Hauptleute. Staatische Soldaten. Spanische Schildwache. Rathsherrn. O r t : Wesel. Z e i t : Der 18. August 1629.
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Erste Handlung. I. Reinharts Wirthszimmer. R e i n h a r t . P e t e r M ü l d e r . S u s a n n a . 25
S u s a n n a . Nun Mülder, du siehst so scharf in meine Hand, als könntest du drin lesen. P e t e r . Ich sehe, ob du’s ehrlich mit mir meinst. Der Lozan kommt zu oft, ich bin zu selten hier, sein Kleid ist reich mit goldnen Ketten 169
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überhangen, ich sehe aus wie eine Schwalbe, die am Neste baut. Gieb her die Bürste. S u s a n n a . (Sie bürstet an seinem Kleide). Ei, sprich nicht so, du weißt es doch, daß du mir lieber bist als alle. Aber sag, warum du so einhergehst in dem schmutzgen abgeschabten Rock. P e t e r . Ich schanze an dem eingestürzten Bollwerk, die schwerste Arbeit ist gethan. Viel Dank, Susanna, der Rock ist rein genug für diese Zeit. S u s a n n a . Du schanzest wie ein armer Tagelöhner, und bist ein reicher Mann. Die Leute reden über dich, es thut mir weh. P e t e r . Laß Narren reden, es ist doch ihre einzge Freude, du aber glaube mir, es geht mir wie so vielen heut zu Tage, ich bin nicht arm und doch hab ich kein Geld. Zerrissen ist der Handlung Band, das in dem Austausch aller Gaben Gottes die verschiednen Völker in einem Wohlseyn fest verknüpfte. Die Spanier kränken uns dies heilge Recht zu allem, was die Erde trägt; den Niederlanden möchten sie der Handlung Segen gerne rauben, um leichter sie zu unterdrücken: da dürfen wir kein Holz zu ihnen flössen, so milde uns der Rhein den Rücken bietet. Das Holz, worin mein ganzer Reichthum steckt, verfault hier auf dem Lager und nährt die Würmer. Verstehst du liebes Kind? Es ist kein rascher Tod, woran wir sterben, nur immer schmaler wird die Kost und diese müssen wir mit Spaniern theilen, so zehren wir allmälig auf. S u s a n n a . Der Vater sagt tagtäglich, wir müßten stille schweigen, dulden, geben, damit es nur nicht ärger würde. P e t e r . Er ist ein Schenkwirth, der stirbt zuletzt, bei ihm verjubeln sie das Geld, die Spanier und Kroaten, was sie durch unsre eigne Obrigkeit von uns erpressen. R e i n h a r t (der bisher Gläser geschwenkt hat, wischt sich die Hände). Jetzt nur kein Wort von dem Profit, es trägt ihn jede Maus auf ihrem Schwanz davon. Der Lozan und die mit ihm sind, die zahlen ehrlich, die andern, wenn sie nichts bezahlen wollen, fangen Händel mit einander an, zerschlagen Gläser, Bänke, Fenster obenein, und komm ich mit der Wache, da sind die Vögel ausgeflogen und ich werd ausgelacht. Denk Peter, wie es sonst an einem Sonntagmorgen so voll hier war von reichen Bauern, die ließen etwas aufgehn zu der Andacht, und die geputzten drallen Bauerweiber thaten wohl, als ob 170
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Erste Handlung. I
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sie’s gar nicht leiden wollten und tranken um so besser, da ward dann Nachmittags ein Kegeln und ein Tanzen, daß alle Scheiben zitterten, da ward auch mancher Krug zerschlagen, doch keiner blieb mir einen Kreuzer schuldig. P e t e r . Jetzt bleiben sie zu Hause, können keinen Wein mehr kaufen, brauen sich ihr Bier. Warum? Der Spanier läßt ja kein Getreide mehr nach Holland und Holland wird darum noch nicht verhungern, es schickt ein Dutzend Schiffe mehr in See zu andern Ländern. Nun mir ist’s einerlei, ich geh im Frühjahr wieder hin nach Holland, wenns nicht ganz anders wird in Wesel. S u s a n n a . Was treibst du da in Holland? P e t e r . Ich schanze da, ich schanze hier, doch werd ich besser da bezahlt und rede frey und brauch kein spanisch Wort zu hören. S u s a n n a . Und hörest auch kein Wort von mir. P e t e r . Nein, leider Gottes, das macht mir schweres Heimweh in der Fremde. S u s a n n a . Du sollst nicht mehr nach Holland gehn, ich nehme dich in Dienst. Der Vater hat den Hans und Jakob fortgejagt, weil sie von den verruchten Spaniern den Betrug erlernten, nun muß er alles selber thun und kann es nicht bestreiten. Bleib hier bei mir, lern unsre Wirthschaft, die meiste Müh will ich dir selbst abnehmen, du hasts bei mir doch besser, als beim Schanzen, wie leicht wird mir um deinetwillen jede Arbeit seyn. Hört Vater, bittet ihn darum. R e i n h a r t . Ich glaub’s ihm nur noch nicht, daß er so arm, er stellt sich so, um wenger zu bezahlen an der Steuer, er geht nach Holland, um zu s c h m u g g e l n . Nun mir ists einerlei, doch wenn ihr mit dem Dienst zufrieden seyd, ich nehm euch gern ins Haus, ihr seyd so treu wie Geld und euer Vater war mein einzger Freund, als ich in Noth, ich will euch auch nicht stecken lassen. P e t e r . Habt Dank, ihr meint es ehrlich, ich will mich noch bedenken, denn seht, ich bin nicht recht geschickt, die Spanier zu bedienen; möcht lieber, daß sie mir den Teller reichten. S u s a n n a . Das hat wohl lange Zeit, denn mit uns Deutschen ist es aus, der Kaiser überläßt uns ganz dem Spanier.
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R e i n h a r t . Still Kinder! Horcht einmal. Nicht wahr, es läutet. 171
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S u s a n n a . Ja Vater, es sind die Glocken von Sankt Willebrandt. Die Spanier kreutzgen auf der Gasse ihre Stirn, sie ziehn zur Messe. R e i n h a r t . Uns haben sie aus allen Kirchen nun vertrieben, des reinen Evangeliums Lehre darf nicht öffentlich gepredigt werden. P e t e r . Sey er nur froh, daß sie uns nicht zur Messe treiben, es wird noch kommen. Erst nahmen sie nur eine Kirche, dann die andre. Sie sahens in den Niederlanden, daß rascher Zwang den Widerstand erweckt, jetzt frachten sie uns immer mehr auf unsern Nacken, ganz allmälig, wie jener, der das Kalb erst nur zu tragen hatte, das ging, da wuchs es alle Tage größer, es ward ein Stier und da erlag der Thor, erdrückt von seiner Last. Das glaub er mir, im nächsten Jahr muß jeder Bürger, der ein Haus besitzt, hier in die Messe gehn. R e i n h a r t . Das leiden unsre Bürger nicht. P e t e r . Bist du kein Bürger, frag dich, würdest du es leiden? R e i n h a r t . Nein! – Nein! – Und doch! – Was weiß ich, was ich leiden kann, ich hab schon viel erlitten. – Jetzt schweige er davon. Er sieht die Welt so schwarz, es ist ein heller Sonntag heut, die Sonne glänzt so gnädig an den Häusern, auf dem Pflaster, die Kinder spielen froh im Müßiggang, es wird mir gar zu wunderlich, wenn ich der guten alten Zeit gedenke, wo ich auf jeden Sonntag mich gefreut. He Suschen, jetzt schließ die Fensterladen, bring Licht, du brauchst jetzt keinen Spanier einzulassen, der Gubernator Excellenz hats, eigenhändig unterschrieben, an die Thüre nageln lassen, daß während ihrer Messe niemand einen Trunk verlangen kann. S u s a n n a . Ich wills wohl thun. P e t e r . Ich helfe dir. (Sie schließen die Laden und zünden Licht an.) S u s a n n a . Was wird es helfen, wenn uns ein Haudegen aus Ungeduld die Fenster eingeschlagen, die andern wagen es doch nicht, ihn zu bestrafen. R e i n h a r t . Das will ich sehn, wer mir die Fenster einzuschlagen wagt, ich halt auf Ordnung und auf Ehre, mit meinem Hauspieß schlüg ich drein. P e t e r . Er hat ihn ja die vorge Woche auf das Rathhaus tragen müssen, die Spanier halten alle Bürgerwaffen dort bewacht. 172
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Erste Handlung. I/II
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R e i n h a r t . So hab ich doch noch gute Fäuste. Nun setzt euch, wollen in der Bibel lesen, wie sie der fromme Martin Luther uns verdeutschte, die hab ich mühsam in dem Kasten noch bewahrt, denn wo die Spanier seinen Namen sehn und wenn sie auch kein Wort vom Buch verstehn, das werfen sie sogleich ins Feuer und rühmen sich einander solcher That. P e t e r . Was wird doch aus dem Menschen, in der Sklaverei, der falschen Ehre und der falschen Lehre, das ärgste Vieh! Es war doch sonst ein edles Volk, die Spanier. R e i n h a r t (schlägt die Bibel auf). Nun wie der Herr es giebt. (Er ließt): »So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!« – Dem Kaiser, unserm deutschen Kaiser gäb ich gern, doch diesen Spaniern – davon steht in der Bibel nichts. P e t e r . Es ist ein wunderlicher Spruch, weil jeder sich bei denkt, was ihm beliebt, man hört es gleich, daß unser Heiland in Versuchung sollt geführet werden. He Reinhart, es klopft. R e i n h a r t . Schweigt still und macht nicht auf. S u s a n n a . Der Lärm wird ärger an der Thür. Geht Vater, tragt die Bibel fort. R e i n h a r t . Sey Gott mir gnädig, die fluchen alle Teufel aus der Hölle. (Fort mit der Bibel). L o z a n (draussen). Steckt hier die Helleparte drein, so weicht die Thür. S u s a n n a . Es ist der Lozan, ist der verrückt. He Lozan, was treibt Euer Gnaden zu solcher Ungeduld, ich will die Thüre öffnen.
II. Die Vorigen. Lozan.
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L o z a n (tritt ein mit gezogenem Degen). Sie ist schon auf, mein Engel. Was hast du für Geheimniß, machst die Laden zu, hörst nicht, wenn ich dich rufe? S u s a n n a . Herr, seht da eure eigne Unterschrift, hier in der Messe keinen Spanier einzulassen. L o z a n . Wer steht denn da im Winkel? 173
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P e t e r . Ich heisse Peter Mülder! Ein Freund vom Hause. L o z a n . Ein saubrer Freund, Pfui Teufel. Mädchen, welche Liebschaft hast du! Wie bist du gegen mich so spröde, mit solchem Lump verschließt du dich. Lauf Kerl, wohin dich deine Füße tragen. Marsch. P e t e r . Ich bleibe hier, ich bin verwandt mit Herrn Reinhart, es ist so mein Vergnügen, Sonntags meine Base zu besuchen. L o z a n . Der Kerl will reden! S u s a n n a . Ich bitt euch Lozan, thut dem Vetter nichts. L o z a n . Verflucht. Sie nimmt sich seiner an. Geh Schuft, sonst werf ich dich hinaus. P e t e r . Das kann nicht euer Wille seyn, ihr seyd der Gubernator, der auf Ordnung sehen soll. L o z a n . In Ärger muß ich sticken. Du deutscher Hund, willst mir noch Lehren geben. (Er packt ihn). Sey froh, daß ich dich nicht erdrossle. (Er wirft ihn gegen die Thür). P e t e r (lacht). Wenn es so gemeint, so bleibt nur hier allein, Herr Gubernator, da steht noch ein Glas Wein, das ich bezahlte, das trinkt für euren Ärger. L o z a n (wirft das Weinglas ihm nach). Sauf selbst dein luthrisch Nachtmahl, verfluchter Ketzer. P e t e r . Die liebe Gottesgabe. Leb wohl, Susanna, grüß den Vater. (ab). S u s a n n a . Schweig doch und geh. (Vor sich) Vor Scham möcht ich vergehn, daß er das alles leidet, ich bin kein Mann und hätt ihm gern aufs Maul geschlagen. L o z a n . O niederträchtges Volk, voll Lust zum Widerstand und ohne Kraft und Muth, mich ärgert, daß ich meine Hand an solchem Kerl beschmutzt. Ein schöner Freund, Susanna, wenn der dich will heirathen, den prügle ich am Altar weg von deiner Seite und lege mich an seine Stelle. S u s a n n a . Das Schimpfen laßt, er ist uns nah verwandt, kennt wenig von der Welt, ein stiller braver Mann; erzählt mir lieber, wie es euch ergangen, ob ihr der Einladung nach Dornen seyd gefolgt. 174
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Erste Handlung. II/III
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L o z a n . Als ich den wunderlichen Brief gelesen, ich schwör es dir, ich war dir treu, doch konnt’ ich meiner Neugier keine Schranken setzen, wer in der Gegend mir so zierlich, so echt spanisch könnte schreiben, es ließ mir keine Ruh, ich ritt nach Dornen, ging ins Haus, und niemand war zu sehen, doch stand ein Tisch mit spanschem Backwerk im Zimmer und eine Stimme grüßte aus den Lüften, deren Körper ich doch nirgend fand und sprach so zärtlich wunderbar wie eine Fee. ( D i e g o kommt herein.)
III. 10
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L o z a n . Ich hab dich nicht gerufen, Alter. D i e g o . Das brauchts auch nicht, ich komm von selbst, wenn es der Dienst erheischt. Ihr wißt wohl, wie ich euch das Einmal Eins gelehrt, ihr dürft euch meiner Aufsicht nicht entziehen, denn alles geht verkehrt. L o z a n . Was ist denn wieder für ein Unglück, ist einer ohne Urlaub über Land gegangen, hat einer die Mondur zerrissen. D i e g o . Nein Herr, ihr macht euch Feinde ohne Ursach, das kränket mich, es sieht uns so kein Mensch hier mehr wie Menschen an. L o z a n . Ei ohne That ist mir der Haß ein Spas, zur Liebe sind wir ihnen doch zu theure Gäste. Der Deutsche darbt und zahlt. D i e g o . Es sind zwar keine Spanier, aber Menschen sind es doch. Der Peter Mülder sagt mir eben, daß ihr ihn schlecht behandelt, aus der Stub’ geworfen, er wolle nun am Bollwerk nicht mehr schanzen, er gehe in die Fremde, und der war bei dem Geitz des G a l l e r o n der einzige, der für so wenig Geld an dem gestürzten Bollwerk schanzen mochte. Verständ ich was von der Befestigung, ich machte selbst mich an die Arbeit, die Stadt ist da ganz offen. L o z a n . Hab keine Angst, die Staatischen sind fern und denken nicht an solche kühne Unternehmung, es ist ja kleine Arbeit, will Morgen alle Bürger mit dem Schanzzeug hinbestellen, so ists in einer Stunde fertig. Nun bist du fertig? D i e g o . In einem halben Jahr werd ich nicht fertig, wenn ich den schändlichen Betrug des Galleron erzählen sollte, wie er stets doppelt so viel Mannschaft angegeben bei den Bürgern zum Quartier, als wir hier haben, um so viel Geld von ihnen zu erpressen für die 175
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alle, die er ihnen abgenommen. So treibt ers auch mit Lieferungen, er stielt und läßt es sich bezahlen. Des Königs Dienst wird schlecht versehn und alle Bürger klagen. Bei unsrer heilgen Jungfrau, mein spanisch Herz wird wild, wenn ich von solchem Schuft, dem ich den Dienst gelehrt, den spanschen Namen sehe in der Welt beschimpft; denn sind wir glücklich, trauern hier die Leute, geschieht uns Unglück, lachen sie. L o z a n . Susanna gieb Diego einen frischen Trunk vom spanischen Wein, damit sein Herz den Ärger drin ertränke. Er will die Welt viel besser als sie Gott geschaffen, das ist schon Ketzerei. S u s a n n a (bringt ein Glas). Auf euer Wohlseyn, ihr seyd ein Ehrenmann. D i e g o (trinkt). Es kann nichts helfen, der Lozan sitzt bei allen Mädchen, der Galleron benutzt die Zeit, ihn zu betrügen, der Bürger leidet, die Soldaten achten nicht des Dienstes, ich sag, es nimmt kein gutes Ende. Ich wollt, ihr wärt so häßlich wie eine Meerkatz, Jungfer, so säß der Lozan nicht so viel bei euch. (ab). 162
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IV. L o z a n . Er hat mich auferzogen, da muß ich ihm verzeihen, wenn er wird ungezogen. S u s a n n a . Vielleicht hat er doch recht. L o z a n . Kann seyn, ich aber kann nicht anders thun. Nie suchte ich so hohe Stelle, sie ward mir aufgedrängt durch Weibergunst. Die Frau des Kriegsministers hatte sich in mich vernarrt beim Tanz, ich liebte ihre Kammerjungfer. Wir wurden in der Nacht belauscht, als ich die Dame warten ließ und bei der Dirne weilte, das Mädchen schickte sie aufs Land und mich nach Deutschland in den Krieg. Dich liebe ich, weil du dem Mädchen ähnlich siehst, darum muß ich dich nennen Rosenmund, so hieß das liebe Kind. S u s a n n a . So werdet ihr wohl auch die Rosemund Susanna nennen, wenn sie den Wein euch einschenkt nach der Heimkehr. L o z a n . Nein, dich verlaß ich nun nicht mehr, sey sicher, dir bleib ich treu mit meinem ganzen Herzen, ein kleiner Leichtsinn nebenher, das rechne meinem Blute zu und weil du gegen mich so streng wie eine Nonne bist. Wie lange soll denn meine Probezeit noch dauern, so lange hat mir keine widerstanden. 176
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Erste Handlung. III/IV/V
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S u s a n n a . Ich lauf davon, wenn ihr so schwatzt. L o z a n . Es läßt dir gut, wenn du so böse wirst, das Mäulchen zieht sich angenehm zusammen, die Backen werden wie Rubin und deine blauen Himmelsaugen muß ich küssen. (Er will sie küssen). S u s a n n a . (schreit) Vater! Vater!
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R e i n h a r t (furchtsam). Was giebts. Euer Excellenz, was thut ihr meiner armen Tochter? L o z a n . Ich küßte sie, das that ihr gar zu gut, darum hat sie geschrieen. R e i n h a r t . Du dummes Ding erschrickst mich, daß ich eine Flasche lasse fallen; um solche Kleinigkeit! S u s a n n a . Ei Vater, ein Kuß ist recht was Großes. R e i n h a r t . Für den Liebhaber. – Nun sey doch artig, Sannchen, hast du dem Grafen Excellenz, den schön gestickten Kragen schon gezeigt, den er bei dir bestellte. – Ein Wunderkind, Herr Graf, was ihre Augen sehn, das kann sie machen. L o z a n . Und das verschweigst du mir so lange, liebliche Susanna, und ich bin wild und roh und locke dir die Thränen in die Augen, ich that dir weh, verzeih’s dem heissen spanischen Blute. R e i n h a r t . Schenk ihm ein Gläschen ein, er ist so gütig gegen dich. S u s a n n a . Ich kann das Glas nicht deutlich sehn, ich gieße wohl daneben. (Sie schenkt ein, dann bringt sie ihm den neuen Spitzenkragen und trocknet sich die Thränen ab.)
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L o z a n (singt und tanzt vor dem Spiegel, dann setzt er sich traurig). Daß ich dich weinen sah, Du schöner Rosenmund, Das geht mir gar zu nah In dieses Kragens Rund. Wie manchen zarten Stich, Hast Abends dran gemacht, Und dachtest dann an mich Die liebe lange Nacht. 177
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Ich sitze bei dem Glase Und spreche gar kein Wort, Den muntern Schaum wegblase, Und grüß im Spiegel dort Die himmelblauen Augen, Worin ein Thränchen steht, Ich möchte es wegsaugen, Mein Aug mir übergeht. Der Hals wird mir so enge, Das Auge mir so feucht, Ach wilde Schmerzensklänge, Aus meiner Seele weicht.
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(Er wirft dem Reinhart einen Geldbeutel zu.)
R e i n h a r t . Der gnädge, der gütge Herr, Sannchen, wie kannst du solch ein steinernes Herz haben und ihn noch nicht ansehen wollen, ich ginge für ihn durchs Feuer. Nein Sannchen, wenn ich ein Mädchen wär, ich müßte einen Spanier haben. S u s a n n a . Ich habs ihm lang verziehen, doch wenn er in das Singen kommt, da hört er nichts. L o z a n (singt und tanzt mit dem Glase): 164
Schenk ein, schenk ein, ich träumte Es war ja nur zum Spas, Daß ich den Wein versäumte Und hier ganz traurig saß. Muß mich mit Rosen kränzen Zu meinem Spitzenkragen, Da werd ich herrlich glänzen Von meinem Roß getragen. Du bist ein Wunderkind, Susanna, noch niemals hat ein Kragen mir so wohl gefallen, was wird die unbekannte Schöne sagen, die mich mit ihren Briefen quält, sey nur nicht eifersüchtig, mein Herz bleibt treu. – S u s a n n a . Ich glaub noch immer, daß eine Frau euch dort zum besten hat, was bliebe sie versteckt und wollte euch nur sehn und hören, versucht es doch einmal, sie auch zu sehen. 178
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Erste Handlung. V/VI
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L o z a n . Da hast du meine Hand, ich bringe dir Bericht, ob sie dir gleicht – ob sie – noch hübscher ist als du – nein, länger laß ich mich nicht halten. Verzeih mir alles, lebe wohl. – Nun Reinhart, sorg für gutes Abendbrodt, Susanna weiß, was ich gern esse. Heut Abend bleibe ich mit Sannchen ganz allein, der Galleron soll uns nicht wieder stören mit der Pralerei von seinen Heldenthaten. Nun ade, auf Neuigkeiten Jag ich in die neue Welt, Lieben, Streiten Mir gefällt. Ich will reiten, Wo mich Liebe hat bestellt. Mit der Liebe mich zu streiten, Um zu zeigen, daß ich treu Meinem lieben Sannchen sey. (ab).
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R e i n h a r t . Ein guter Herr, ein schöner Herr, nun sieh nur, wie er jetzt auf seinem Pferde zierlich sitzt, und wie er zu dir winkt und übers Pflaster sprengt, daß alle Mütter ihre Kinder von der Straße rufen. S u s a n n a . Ich wollt, er bräch den Hals. Nur euch zu lieb, stell ich mich freundlich gegen ihn, es ist ein eitler Narr, der jedes Mädchen meint in sich verliebt und bildets mancher ein: mir nicht. R e i n h a r t . Ich sags dir aber kurz und gut, du sollst ihn lieben, das heißt, so weits in Ehren kann geschehn. Der Eine bringt mirs Geld, was mir die anderen verzehren. Wer wird dich jetzt heirathen. Der Peter, hast es ja gehört, das ist ein armer Teufel jetzt, sonst hätt ich nichts dagegen, der wird sichs doch noch für eine Ehre schätzen und hätten dich die Leute noch so schwarz gemacht. S u s a n n a . Wenn er so denken könnte, nein, da könnt ich ihn nicht lieben. R e i n h a r t . Hat sich was. Thut’s die ganze Welt, thu du es auch, sagt das Sprichwort, aber freilich alles in Ehren. Wenn du dich nur recht artig könntest stellen, der Lozan ist vernarrt in dich, er nähme dich zur Frau. Ich glaub, vor Freuden rührte mich der Schlag, wenn ich dich Gräfin nennen hörte. (ab.) 179
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S u s a n n a . (Sie geht ans Fenster). Die Kinder singen, die Blumen blühen und rauschen. Ach wie schön könnte es hier werden, aber mein Vater will mich los seyn, der Peter hat kein Herz, der Lozan ist ein widriger Narr, ich wollte, daß die Stadt in Feuer ginge auf, so braucht ich doch nicht mehr den Spaniern zu schenken, zu kochen, Kragen und Hemden zu nehen. Gott steh mir bei, wie ist mir das Herz so schwer!
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Zweite Handlung.
I.
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Die Schmiede des Meister Schlacke. Jan Rotleer, der Geselle arbeitet, und Peter Mülder sieht ihm zu.
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J a n . Es war bei Gott nicht meine Schuld, daß euer Hammer heut erst fertig wird. Der Meister sagte mir, er wolle euch erst selber sprechen, noch niemals habe einer solchen wunderlichen Hammer zu dem Holzanschlagen hier gebraucht, das sey ja eher eine Streitaxt, als ein Hammer. P e t e r . Es ist ein eigensinnger Mann, wenn ich nun meine Bäume, um sie recht zu unterscheiden, anders will anschlagen. Ihr habt doch rechten guten Stahl genommen. J a n . Vom besten in der ganzen Welt, er kommt aus Steiermark, aus Kaisers Ländern. P e t e r . Brav Jan, ihr solltet Meister werden, es ist ein gut Stück Arbeit. Jetzt gehts ans Schleifen. (Sie schleifen). J a n . Meister? Ich wär es längst, doch muß ich dann von hier fortziehn, denn hier ist keine Schmiede frei. P e t e r . In aller Welt wird Brodt gebacken. J a n . Hier schmeckts mir besser. P e t e r . Warum denn Jan? – Ei sieh doch auf dein Schleifen! J a n . Das kann ich euch nicht sagen. 180
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Erste Handlung. VI/Zweite Handlung. I/II
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P e t e r . Das Sagen hast du ja umsonst. J a n . Wenn ihr so denkt, so will ichs sagen. Ihr habt doch eine Schwester? P e t e r . So viel ich weiß, ist Judith meine einzge Schwester. J a n . Nun, unter uns gesagt, nimmt sie mich nicht, so schmeiß ich mich noch heute in den Rhein. P e t e r . Schleift nicht so arg, die Funken brennen mir die Augen aus. – Hör Jan, weiß sie denn schon, daß du ihr gut bist, der Rhein wird doch bis morgen noch nicht ausgetrunken. J a n . Wenn sie es noch nicht merkt, so ist sie dumm im Kopf, dumm wie ein Ochs. Ich mach ihr alle Morgen Feuer an, ich stell ihr einen Eimer Wasser vor die Thür, und Sonntags einen Blumenstrauß daneben. Dann sagt sie wohl, das thun die Wichtelmänner, doch lacht sie mich dabei so freundlich an, sie weiß es wohl, daß ich es bin gewesen. Auch seht, hier hab ich neulich auf dem Amboß, seht ein Herz von Glas gefunden, in Blei gefaßt und drinnen steht geschrieben: Glück und Glas, wie bald bricht das. P e t e r . Wenn’s so geschrieben steht, so mag wohl zwischen euch was seyn. Ich will heut mit der Schwester reden. J a n . Das giebt euch Gott ein. Der Hammer soll nichts kosten, aus Lieb zu eurer Schwester hab ich dreifach drauf geschlagen; kein Hammer auf der ganzen Welt ist je so gut geschmiedet worden. Wann bringt ihr mir die Antwort. P e t e r . Geht nur auf eure Kammer, will die Schwester rufen, nehmt das Gesangbuch, so vergeht die Zeit auch schneller, weiß nicht, ob alles sich so rasch zum Ziele legt. J a n . Wie ich euch sage, geht es gut, so soll der Hammer euch nichts kosten. (ab.)
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P e t e r . Den Hammer ganz, wie ich im Traume ihn sah um die Staketen, um die Köpfe einzuschlagen, ich trage ihn in meiner Hand. Es ist gewiß derselbe Hammer. Nun fehlen mir noch zwei Gesellen, die ich im Traume bei mir sah und die ich nicht erkennen konnte, vielleicht war dies der eine, vielleicht kommt da der andre, bis heute 181
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
sah ich alle Menschen drauf vergebens an, doch heut muß alles sich zusammenfinden. ( M e i s t e r S c h l a c k e kommt im Sonntagsstaat.) S c h l a c k e . Grüß dich Gott, mein stiller Peter, dich sieht man nirgends, seit die Spanier hier. Ja meiner Seel, man muß ein gutes hartes Herz im Leibe haben, mit den Kerln zu Bier zu gehen, tagtäglich Händel. Heut fehlte doch kein Haar, so schlug ich einen todt. Er neckte mich, ich that, als hört ichs nicht, doch endlich kocht es über, da schlag ich auf den Tisch mit meiner Faust, daß der in tausend Stück zerspringt. Da läuft der Kerl zur Thür hinaus. Ich sag es tausendmal, wenn nur ein hundert Leute so wie ich gesinnt, wir schlügen alle Spanier aus der Stadt. P e t e r . Ihr seyd’s, ihr seyd’s gewiß – euch muß ich recht die Hände drücken, ihr kommt mir recht entgegen! S c h l a c k e . Was wollt ihr, habt ihr Schlägerei mit einem, ich lasse euch nicht stecken, ihr seyd ein sanfter stiller Mann, wie kommt denn ihr dazu, ihr geht ja hundert Schritt weit jedem aus dem Wege. P e t e r . Ich habs so in mir, bis es reif. Ihr seyd doch ganz verschwiegen? Seht meinen Hammer, wer mich verräth, den schlag ich todt, doch ihr seyd mein Gehülfe, ich hör es ja, wie ihr die Spanier haßt. S c h l a c k e . Mein guter Peter, was steckt euch in dem Hirne? So hat der Jan euch doch zu Lieb, den närrschen Hammer an dem lieben Sonntag ausgeschmiedet. P e t e r . Ich will in dieser Nacht die Stadt von allen Spaniern reinigen. Seit einem Jahre arbeit ich daran. Ein Bollwerk hab ich heimlich, als das Wasser hoch, durchschnitten, den Graben ausgefüllt, dann hab ich so hinterlistig schlecht geschanzt, daß es noch übler aussieht. Die Staatischen sind diese Nacht vor unserm Thor, ich zeige ihnen dort den Weg, doch in der Stadt da brauch ich noch zwei andre, die durch den Klosterweg und durch die lange Gasse einen Theil wegführen, daß sich die Spanier nirgend sammeln können. Nicht wahr, ihr seyd dabey! S c h l a c k e . Ich mein, ihr raset, der Angstschweiß bricht mir aus, daß ihr von Sinnen, es hat doch keiner uns behorcht. Macht euch doch keine solche Grillen, Peter, ihr seyd schwermüthig worden, weil euer Suschen mit dem Lozan lebt. 182
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Zweite Handlung. II/III
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P e t e r . Das ist nicht wahr, ihr seyd ein Lügner, seyd der rechte nicht, von dem ich träumte, doch sag ich euch, ihr schweigt von allem, was ihr hörtet. S c h l a c k e . Mag keine Händel mit euch haben, ich hab als Freund gewarnt, daß ihr euch solches Zeug nicht in den Kopf setzt, was wohl gut, die Spanier zu ärgern, was aber nimmermehr geschehen kann. Nun bleibt mein Freund. P e t e r . Woher denn eure Freundschaft? Um euer Freund zu seyn, da müßtet ihr heut anders sprechen. S c h l a c k e . Hört nur, ich wollts euch eben sagen, ich möchte Judith, eure Schwester, freien. Ich glaub, sie ist mir gut, seyd ihr mein Werber, werdet bald mein lieber Schwager und vergeßt die Spanier. Ihr seyd kein Mann zu solchem Unternehmen. P e t e r . Die Spanier vergessen? Wollt ihr mein Schwager werden, müßt ihr helfen, wenn wir drein schlagen. S c h l a c k e . Ei gern, von Herzen gern, ich denk mir oft mit rechter Lust, wie ich dem einen auf dem Amboß seinen Kopf umschmiede, dem andern die lange Nase mit der Zange kneipe, doch mit dem Bollwerk laßt den Spas, das geht nicht. Nun vergeßt nicht meine Bitte, und wenn ich heute von dem Biere komme, so braucht die Schwester nur ein rothes Band durchs Fenster einzuklemmen, so heißt das Ja, ein blaues Band, das heisset Nein, wenns keins zu sehen, das heiße Nichts, daß sie sich noch nicht hat erklärt. Ja, warum kam ich doch zurück? Recht! Wollt meinen spanschen Rohrstock holen, da habe ich mehr Ansehn bei den Spaniern. Lebt wohl! (Mit dem Stocke ab.)
III.
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P e t e r . Eh ich dir meine Schwester gebe, mag sie einen Spanier nehmen. J a n (sieht herein). Eine feste Burg ist unser Gott, hab ich schon dreimal gesungen, habt ihr gesprochen. P e t e r . Ja, lieber Jan! J a n . Wie steht es? Soll ich in den Rhein? Machts kurz. 183
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P e t e r . Bewahr der Himmel. Was hat sie vom Ersaufen, ihr sollt in dieser Nacht.... J a n . In dieser Nacht? P e t e r . Ja, diese Nacht sollt ihr mir beistehn, alle Spanier fortzuschicken nach Hause oder in die Ewigkeit, das gute Wesel hat sie lang genug gefüttert. Die Sache ist in Ordnung, nachher will ich den Handel euch erzählen, jetzt sagt mir nur, ob ihr bereit seyd, euer Leben dran zu setzen. Wenns nicht geräth, so werden wir gerädert. J a n . Gerädert? – Wir können schwören, daß wir einander um das Leben bringen, wenns nicht geräth, denn rädern ist ein Schimpf. P e t e r . Recht so, ihr seyd mein Schwager. J a n . Glück zu! Gehts gleich los? Seht, da hab ich einen schönen Degen, den soll der Lozan haben, nun hat er sich den eignen Tod bei mir bestellt. P e t e r . Stell ihn bei Seite, da kommt ein Fremder. Nicht doch, es ist mein Bruder, Dierecke, der Gelehrte.
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IV. D i e r e c k e M ü l d e r . Guten Tag, Peter! Ei lebst du noch, ich dachte, daß du längst gestorben. P e t e r . Wer weiß, wie lang es dauert, ich wollte Abschied von dir nehmen, wer weiß, was mir in dieser Nacht begegnen kann, da wollt ich dir noch allerlei vertrauen. D i e r e c k e . Hast böse Ahndung? So gings dem Brutus auch. P e t e r . Wer war der Brutus, wars ein hiesiger? D i e r e c k e . Ein alter Römer, der hat den Cäsar umgebracht, den Cäsar, der seinem eignen Volk die Freiheit nahm. P e t e r . Ein guter Mann. Nun Bruder, sieh mich an, ich bin ein zweiter Brutus, ich schlag die Spanier todt, die uns hier Freiheit nehmen. D i e r e c k e . Die Spanier? hab auch davon gehört, daß sie so viel gelehrte Bücher aus Muthwillen verderben. Ich möcht dabei seyn, Bruder, wenn sie todt geschlagen werden, ich habe nie so was gesehn und viel davon gelesen. Thu mir die einzge Liebe, nimm mich 184
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mit, hab alle Schlachten aller Zeiten jetzt in einem Buch beschrieben, und nimmer eine selbst gesehen, ich brauch so was zum Schluß des Werkes. P e t e r . Recht gern, wenn du dazu berufen bist, doch sieh, du hast die Feder nur geführt, wie wird dirs mit dem Degen gehn. D i e r e c k e . Sey du nur ruhig, kein Unglück hab ich je an meinem Leib gehabt und keine Krankheit; nun quält mich aber Tag und Nacht die Lust, eine Schlacht zu sehn, ich kann es nicht begreifen, warum Horazius davon gelaufen und seine Waffen weggeworfen hat. Ich bitt dich, Bruder. J a n . Laßt ihn doch mit gehn, es wird mein lieber Schwager auch, wie ihr und eh er wird gefangen, schwör ich auch, ich schlag ihn todt. P e t e r . Es soll nicht anders seyn, nun meinetwegen, so seyd ihr jene beiden, die im Traume mir erschienen sind. So laßt uns hier zusammen schwören. Da liegt die Bibel. Schwört mir, in allem treu zu folgen, wie ichs befehle. J a n . Mein lieber Peter, wir müssen doch erst wissen, was ihr uns befehlt, ob ihrs auch richtig überdacht. D i e r e c k e . Er ungelehrter Schmiedeknecht meint wohl, so etwas sey im Augenblick zu überdenken, so sind die Gymnasiasten auch, die meinen schon den Livius besser zu verstehen als der Lehrer. Mein guter Jan, Zeit – Zeit, die ist zu allem nöthig, drei Jahre hatt ich nöthig, bis ich die Kriege Hannibals begriffen. J a n . Ihr seyd ein hochgelehrter Mann und Doktor, ihr müßt das wissen, ich schwöre euch Gehorsam, Peter Mülder. D i e r e c k e . Recht so, ich schwör es auch. J a n . Und was das Rädern nun betrifft. P e t e r . So schwören wir, daß einer soll den andern um das Leben bringen, eh wir den Spaniern in die Hände wollen fallen. – Das wär nun gut. – Jetzt, lieber Jan, bring uns den Henkelkrug mit Bier, wir müssen heut als treue Brüder noch eins trinken. J a n (bringt den Krug). Auf eurer Schwester Wohl. P e t e r . Auf Du und Du und treue Brüderschaft. D i e r e c k e . Auf gute Brüderschaft. Am Kruge steht ein guter Spruch: der alte Gott lebt noch. 185
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P e t e r . Der alte Gott soll leben, der uns die reine Lehre seines Evangeliums durch Martin Luther hat verkündet, der uns die ganze Welt zum Eigenthum gegeben und nimmermehr verboten hat, daß wir nach Holland kein Getreide und kein Holz verschiffen sollen. D i e r e c k e . Recht Bruder, das steht nicht in der Bibel, Christus ist für alle gestorben. P e t e r . Nun lieben Brüder in Christo, wir gehen zu verschiednen Zeiten aus verschiednen Thoren, du Jan zuerst, damit der Meister dich nicht sieht, durchs Fischthor, du Dierecke eine Stunde später durch das Klosterthor, ich geh zuletzt durchs Deichthor, ein jeder horcht so im Vorübergehen, ob etwas sey verrathen, die Waffen könnt ihr unterm Mantel wohl verstecken. Kennt ihr den Weidenbusch, nicht weit vom neuen Bollwerk? D i e r e c k e . Als Kind hab ich da oft gespielt. J a n . Ich auch. P e t e r . Da treffen wir zusammen bei der hohlen ausgebrannten Weide und wenn euch jemand sieht, so thut, als ob ihr Ruthen schneidet zu dem Flechten. Lebt wohl, da sehn wir uns. J a n und D i e r e c k e . Auf Wiedersehn. (ab.) P e t e r . Ich kanns nicht lassen, ich muß Susanna einmal noch besuchen, muß Abschied von ihr nehmen. Da kommt die Schwester.
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V. J u d i t h . Bist du es, Bruder? P e t e r . Du dachtest wohl, den Jan zu finden. J u d i t h . Er sollt mir Feuer in der Küche machen. P e t e r . Was giebst du ihm dafür? J u d i t h . Das ist sein guter Wille. P e t e r . Ein armer Mensch muß von der Hände Arbeit leben, gieb deine Hand dafür, heirathe ihn, er will dich nehmen. J u d i t h . Ich habe nichts dagegen, wenn du es meinst, er kann sein Brodt verdienen. P e t e r . Nun morgen kann die Hochzeit seyn. 186
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Zweite Handlung. IV/V/VI/VII
J u d i t h . Der dumme Kerl, der Jan, hätts mir wohl selber sagen können. (ab.)
VI. S u s a n n a s Zimmer in Reinharts Hause. 5
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S u s a n n a (rollt den Teig). Wär ich der liebe Gott, ich hielt mir eine große Rolle und führ so einmal über Spanien hin, da müßte sich der Hochmuth einmal legen, da wagt’ es keiner mehr, den Kopf so hoch zu tragen und alle Welt befänd sich wohl. (Es klopft) Wer da? P e t e r . Peter Mülder (tritt ein). S u s a n n a . Herein. Daß euch der Lozan nur nicht findet, er kommt heut Abend wieder, er kommt vielleicht recht bald. P e t e r . Du sagst mir keinen guten Abend, Susanna, und niemals hatt ich deinen Wunsch so nöthig. S u s a n n a . Du bist wohl traurig. Es ging dir schlecht heut morgen, kaum hielt ich mich, als er dich so zur Thüre warf, ich hätt ihm in die Haare fallen mögen. P e t e r . Ohn Gottes Willen fällt kein Haar vom Haupte. (Es klopft). S u s a n n a . Versteck dich in dem Schrank, vielleicht ist es der Lozan. (Er springt in den Schrank). Herein.
VII. D i e g o (kommt). Hört Engelskind, habt ihr den Lozan nicht gesehn, ich muß ihn sprechen. S u s a n n a . Was giebts? Ich wills ihm sagen, wenn er kommt. D i e g o . Ja, sagts ihm gleich. Im grünen Keller hat der Schmidt, der Schlacke sich gerühmt, in dieser Nacht würd fremdes Volk die Stadt besetzen, da hole uns der Teufel. Da haben ihn zwei Reiter zu der Red gestellt, da hat der Kerl sich ausgelassen, ein Paar wie sie, die nehm er schon auf sich. Das haben sie nicht leiden wollen, er aber hat sie beide gleich so lahm geschlagen, daß ein Kammrad aus Bosheit ihn erstochen hat. Nun fehlet uns ein Waffenschmidt, es war der beste hier im Ort. 187
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S u s a n n a . Der arme Meister Schlacke. D i e g o . Die armen lahmgeschlagenen Soldaten, sage ich, ich glaube noch nicht, daß sie am Leben bleiben. Guten Abend, ich werde fleißig patrulliren, der todte Kerl, der hatte recht vielleicht. (ab.)
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P e t e r (kommt hervor). Du siehst Susanna, es geht jetzt rasch mit allem Menschenleben, sonst ward an einem Missethäter wohl ein Jahr verhört, heut stechen sie die Leute ab wie’s liebe Vieh. Nun Herz, wirf deine Sorg auf Gott und thu, was du nicht lassen kannst. S u s a n n a . Bei dir bin ich ganz ruhig, du mischest dich in keine solche Händel, drum wärst du auch für unsre Wirthschaft gut, da muß so vieles nicht verstanden werden, was einem Gast im ersten Zorn entfährt. P e t e r . Ich wills wohl überdenken, es hat ja Zeit. Nun leb recht wohl. S u s a n n a . Wo willst du hin. Tritt heute in den Dienst, wie soll ich Abends mit den Gästen fertig werden, da Lozan bei uns ißt. P e t e r . Dem Lozan soll ich auch die Teller reichen. S u s a n n a . Er leidet keinen andern Diener in dem Zimmer – als mich, so bist du frei von dieser Kränkung. P e t e r . Leb wohl. Gute Nacht. S u s a n n a . Du bist wohl eifersüchtig, armer Peter? Ich seh dirs an. P e t e r . Der Lozan ist ein schöner Herr, ist viel mit dir allein, die Leute reden allerlei von euch. S u s a n n a . Die Leute? Erschreck mich nicht, sie reden über mich? Was können sie denn sagen? P e t e r . Ei nun, du weißt ja wie du selbst gesprochen über Fabers Tochter, bei der alltäglich Galleron zu finden. Der Lozan rühmt sich deiner Liebe aller Orten. S u s a n n a . Hör Peter, da muß er sterben, hilf mir, ich hasse ihn, wie ich noch niemand auf der Welt gehaßt, ich könnte ihn mit kaltem Blute morden. Er rühmt sich meiner Liebe, der Lügner! P e t e r . Du bist von Sinnen, ich wollte, daß ich dir noch nichts gesagt. Leb wohl. 188
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Zweite Handlung. VII/VIII
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S u s a n n a . Du darfst mich heute nicht verlassen, ich laß dich nicht. Ich thue mir ein Leids an, läßt du mich allein. P e t e r . Du liebes Mädchen, jetzt muß ich fort, ich habe meinem Bruder noch versprochen, daß ich will kommen, doch später.... S u s a n n a . Sag mir die Stunde, dir thu ich alles zu Gefallen, der Welt zum Trotz, weil sie mich böslich hat verläumdet, bei Gott, ich bin unschuldig. Wann kommst du? Ich wills dir zeigen, daß du mir lieber bist als alle Welt. P e t e r . Nach zwölfe kann ich erst abkommen. S u s a n n a . So spät. Da darfs der Vater doch nicht wissen. Nimm diesen Schlüssel, er schließt das Haus. Nun weißt du doch, daß ich dich liebe, daß ich es ehrlich mit dir meine, – sey nur vergnügt. P e t e r . Mir bricht das Herz in lauter Seligkeit, ach liebes Kind, warum warst du nicht gestern mir so günstig, wer weiß, was heute stören kann. Der Lozan kommt zum Abendessen. S u s a n n a . Ich ärgre ihn mit jedem Wort, ich will ihn häßlich nennen, wenn er böse wird, so weicht er um so eher. P e t e r . Ei mach ihn lieber zum Gefangenen, wird er unnütz, wirf ihm Schlingen um die Arme, nachdem du ihm recht zugetrunken. S u s a n n a . Recht so, er soll noch sehn, wie wir uns lieben, wenn er nicht weichen will. Komm, küß mich. Was hast du da für einen großen Hammer? P e t e r . Den brauche ich, die Stämme zu bezeichnen, die zum Fällen reif. S u s a n n a . Wenn du mir mißtraust jetzt, nachdem ich dir das alles opfre, so bin ich reif zum Fällen. P e t e r . Mit diesem Kuß sey aller Groll vergessen, den mir die bösen Leute angeschrien, du bist so rein, so weiß wie Linnen auf der Bleiche an des Sommers Ende, wie selig werde ich die weißen Arme wiedersehen, wieder küssen und aller Ungewitter denken, die in der Prüfungszeit sind über dir hinweggegangen. S u s a n n a . Ist das zum Spott! P e t e r . Aus vollem Herzen sag ichs, mag es unverständig seyn, du bist die schönste Mirtenkrone und wenn ich mit dem Schlüssel öffne, dann haben wir nichts mehr zu sorgen, da schlafe ich im Grünen, in der Hoffnung leb ich schon. 189
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
S u s a n n a . Leb wohl. Der Teig muß fertig werden. P e t e r . Es wird heut alles fertig. (ab.) S u s a n n a . Die Bäume rauschen wieder so freundlich, sie winken in letzter Sonne, als wär es s e i n A r m , aber die Kinder spotten wohl mein und singen von mir, ich aber will lieben aller Welt zum Trotz und will singen: Ja winkt nur, ihr lauschenden Bäume, Liebäugelt ihr flimmernden Räume, Ferne Lieder Ihr spottet mein, Fühle wieder Wie ich allein, Es hebet und senket ein Wind Die Zweige, die Schatten geschwind; Und leget die Wolken von Staub Aufs grünende glänzende Laub! Es wird schon dunkel, die Tage nehmen rasch ab, die Mücken kommen vom Felde herein, ich muß die Fenster zumachen, es wird recht heiß werden! Bald ist es Nacht! Was hab ich versprochen und nicht bedacht!
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Dritte Handlung.
I. Gegend an der Ostseite von Wesel. Auf der einen Seite das neue unvollendete Bollwerk, durch ein starkes Gitter geschützt, auf der andern Weidenbüsche. Unter einer hohlen ausgebrannten Weide liegen Dierecke Mülder und Jan Rotleer versteckt.
D i e r e c k e . Der Peter bleibt doch länger aus, als er versprach, das ist nicht seine Art. J a n . Er hat wohl viel zu überdenken. D i e r e c k e . Hat er dir was vertraut? 190
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Zweite Handlung. VIII/Dritte Handlung. I
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J a n . Ich meine nur, weil wir noch gar nichts von der Sache wissen, so muß er ganz allein die Kohlen schüren und den Blasebalg regieren, muß halten und auch hammern, ich meine, er muß alles überdenken ganz allein. D i e r e c k e . Hör Jan, ich glaub, das ist beim Denken anders als beim Schmieden, zwei denken immer schwerer was zusammen, als einer für sich selbst allein. Da seh ich einen kommen, ich glaub, er ist’s. (Peter kommt geschlichen.)
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P e t e r . Ich muß mir doch noch einige Weidenruthen schneiden, die Reben aufzubinden. D i e r e c k e . Brauchst uns nichts aufzubinden. Gott grüß dich, lieber Bruder, ich hatte Angst um dich. J a n . Gelt, du hattest keine Angst? P e t e r . Doch ja, ich glaubte uns verrathen. Das Deichthor war gesperrt, ich mußte auch zum Fischerthore heraus, das hat mich aufgehalten, auch meinte ich, der Anschlag sey nun unnütz. Zum Glück fand ich Diego, der sagte, daß der Galleron früh ausgeritten, reiche Beute in die Stadt zu führen und daß der Lozan fort zu einem Mädchen, da sey an keine Wachsamkeit zu denken, er müsse ganz allein jetzt patrulliren. Da trank ich ihm so zu, daß er für heut das Patrulliren ließ. D i e r e c k e . Wer hat verrathen? J a n . Was ist denn zu verrathen? P e t e r . Ja so, ihr wißt noch nicht, der Meister Schlacke hat im tollen Übermuth von einem Überfall der Staatischen gesprochen und ist dabei erstochen, ich hatte ihm so streng Verschwiegenheit geboten. J a n . Der gute Meister, hab’s ihm oft gesagt, wenn er so weile laut. Nun kann ich Meister werden in der Stadt. D i e r e c k e . Ich hab den Kerl nie leiden können. Memento mori. Ich wollte nur, es wäre wahr, was sich der Kerl beim Bierkrug vorgelogen, ich wollt, die Staatischen kämen, uns von dem Spanier zu befreien. P e t e r . Sieh Bruder, da kommen sie schon angeschlichen durch die Erlen. J a n . Soll ich mich wehren, Peter? 191
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
P e t e r . Bewahr der Himmel, wir führen sie heut in die Stadt, es sind die liebsten Freunde, sie kannten auch die spansche Sklaverei und wollen uns befreien. D i e r e c k e . Hör Bruder, das ist ein Meisterstück von dir, ach wär ich doch Sallustius, es deutlich zu beschreiben.
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II. Freiherr von Didem, der staatische General, die Hauptleute Jan Huygens, Drost von Beefort, Markette, Diest und Lauwyk mit ihren Soldaten.
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H u y g e n s . Wer da? P e t e r . Alles in der Stille. H u y g e n s . Gut gesprochen. Wer sind die mit euch stehn am Weidenbaum? P e t e r . Mein Bruder Dierecke und ein treuer Freund Jan Rotleer. D i d e m . Wie steht es in der Stadt? P e t e r . Der Lozan ist zur Marketenderin heraus, die ihm hat Liebesbriefe schreiben müssen. D i d e m . Ein listig Weib, sie setzte einem Teufel Hörner auf. Wo ist der Galleron. P e t e r . Er holt mit seinen Reitern Beute in die Stadt, der Fang wird um so reicher. H u y g e n s . Ist großer Reichthum bei den Spaniern. P e t e r . Das ganze Kaufhaus stehet voll, gar viel Bagage von dem Bergschen Herzog, der dem Teufel und dem Spanier dient. Diego, der einzige, der Argwohn hat, liegt trunken in dem nassen Keller. D i d e m . Wie war die Wacht am Thor? P e t e r . Gar grimmige Croaten. Die Spanier sagen, sie hätten zwei Augäpfel, ihr Blick könn tödten. Mich sah der eine an, als wollt er mich verschlingen, weil eben Thorschluß war und er die Thüre schon in ihrer Angel knarrend hob. Da trat ich trotzig in die Pfütze neben ihm, daß ihm der Koth ins Antlitz sprützte, der Kerl sah mich verwundert an und ließ mich gehn. D i d e m . Wir reden hier zu lange. 192
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P e t e r . Wir haben noch zwei Stunden Zeit bis Mitternacht. D i d e m . Wir wollen gleich anrennen. P e t e r . Sind denn die Reiter schon dem Braunschen Thore nahe. D i d e m . Alles ist bereit. Ihr Herren Hauptleut, wer von euch will hier voran? Dort ist das Bollwerk, ihr seht die eingestürzte Seite. H u y g e n s . Wie sollen wir durchs Wasser kommen? P e t e r . Es geht euch bis zum Knie nicht weiter, ich hab’s an dieser Stelle bei dem Bauen heimlich ausgefüllt. L a u w y k . Und das Staket scheint gut verwahrt, es wird’s kein Kolbenstoß einrennen. D i d e m . Wo sind die Aexte und die Hämmer? H u y g e n s . Ich wollte es schon sagen, Herr, sie sind vergessen oder weggeworfen von den Leuten, ich mags nicht untersuchen, sie haben keine rechte Lust zum Sturm. P e t e r . Hier hab ich alles, was ihr braucht, bei meinem Leben schwöre ich, mit diesem Hammer brech ich alle die Staketen auf und schlage alle Köpfe ein, die es verwahren. D i d e m . Vertraut dem Mann, er gab sein ganz Vermögen mir zum Pfand, daß er mich nicht belüge, er hat sich jahrelang mit Botschaftbringen abgelaufen, eh ich dem Plane meinen Beifall gab. Wer zieht voran? – Ihr schweigt! – Gut dann, hier sind die Würfel, setzt die Trommel her und würfelt drum beim Mondenschein. H u y g e n s . Ich wette eine Flasche Wein, daß mich das Loos wird treffen, mich traf noch nie ein gutes Loos. Ich werfe achtzehn. Hab ichs nicht gesagt. L a u w y k . Zwei. M a r k e t t e . Drei. B e e f o r t . Zwölf. D i e s t . Zehne. D i d e m . Nun guter Peter Mülder, ihr wißt nun, wie sie folgen, saget ihnen, wo ein jeder geht. P e t e r . Ich führ euch auf das Bollwerk, breche alle Blanken stille ab, schlag alles in der Stille todt, was uns verrathen kann, so führ ich euch zum kleinen Markt, da theilen wir uns ab die That. Mit euch, Herr Huygens und mit euren Leuten nehmen wir die Hauptwach 193
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ein, da regnets blaue Bohnen. Dann ziehen wir zum Braunschen Thor, das schlag ich ein und laß die Brücke nieder, so kommen eure Reiter in die Stadt. Mein Bruder Dierecke führet euch Herr Beefort, und euch Herr Diest, die lange Gaß herunter, dort nehmt ihr an dem Kreutzweg euren Posten und lasset keinen Spanier zum Paradeplatz. Verstehst du Bruder. D i e r e c k e . Recht so, wir schlagen alle todt. P e t e r . Du, Jan, gehst mit dem Herrn Markette und mit dem Herrn Lauwyk an dem Klosterweg zu dem verbrannten Kloster. Da stellt euch hinter, da seyd ihr verschanzt, ihr habt den schwersten Stand, da liegen wohl die meisten in Quartier, laßt keinen zum Paradeplatz, hängt ihnen Bleigewichte an die Beine. Das wär nun alles, was wir Menschen können. Hast du’s verstanden, Jan? J a n . Der Hammer, den ich dir gemacht, hat mir mehr Denkens heut gekostet. Wenn da ein Spanier durchkommt, so komm ich nie zu deiner Schwester, der Weg ist da so schmal, daß sich die Wagenachsen an dem Eckstein schleifen. P e t e r . Nun gut, zu Gott laßt uns jetzt beten, der aller Menschen Klugheit, aller Menschenkraft allein kann Segen geben. (Sie knien alle nieder). P e t e r . Du gnädger Gott läßt frei die Sterne allen Menschen scheinen und giebst dein Wort, den heilgen Welterlöser für uns alle, schenk uns der Erde und des Himmels Freiheit wieder, die uns vom Spanier ist geraubt, daß deine reine Lehre wieder zu uns komme, daß wir die Gaben deiner Gnade froh genießen, doch hat dein ewger Wille anders über uns beschlossen, laß uns nicht lebend in des Feindes Hände fallen, daß unsre Schmach nicht unserm guten Willen höhne. Gott segne uns, Gott steh uns bei, in Tod und Leben sind wir treu! – (Sie stehn auf) Heut ist die Losung: Alles im Stillen. V i e l e . Alles im Stillen. (Sie nahen sich dem Bollwerk).
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P e t e r . Sacht, sacht, haltet die Musketen hoch, daß keine naß wird. (Er steigt still voran, zeigt den Soldaten den Weg durch den Wassergraben aufs Bollwerk, er ist der erste auf der Höhe, dann Dierecke und Jan.)
S p a n i s c h e S c h i l d w a c h e . Wer da? (Schießt). P e t e r (schlägt sie mit dem Hammer nieder). Alles im Stillen. 194
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Dritte Handlung. II/III/IV
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J a n . Bist du verwundet, Peter? P e t e r . Weiß nicht, der linke Arm will nicht recht fort. J a n . Die Schildwach ist todt, das heißt den Nagel auf den Kopf treffen. P e t e r . Mir nach. (Alle oben). D i d e m . Die Blanken weichen seinen Hammerschlägen, die Haufen dringen ein, ein Zufall kann jetzt alles geben, nehmen, ich eile zu den Reitern.
III. 10
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Susannas Zimmer. Lozan sitzt am Tische bei vielen Schüsseln und Flaschen, Susanna schenkt ein.
L o z a n . Ich bitte dich, mein süßes liebes Sannchen, heut trinke auch ein Glas vom süßen spanischen Wein. S u s a n n a . Die Augen gehen mir schon unter, jetzt keinen Tropfen mehr, was wird der Vater sagen, daß ihr so lange bei mir bleibt. Ich hör ihn kommen.
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R e i n h a r t (sieht durch die Thür). He Suschen, was bist du denn so spät noch auf, ich sinke um vor Schlaf, ach gnädge Excellenz, seid ihr noch hier. L o z a n . Marsch fort, wer mich hier stört, den stech ich nieder. R e i n h a r t . Ich habe nichts dagegen, nur kann ich den Diego nicht abweisen, er will durchaus zur Excellenz und ist dabei betrunken, daß ich ihm nicht ein Wort verstehe. L o z a n . Bei allen Heilgen, laß den Kerl nicht herein, sag nur, ich sey schon lange fort und laß ihn gehn. R e i n h a r t . Er kann allein nicht gehen und hauet in der Luft nach Staatischen. L o z a n . Sieh Reinhart, da hast du Geld, führ ihn nach Hause, pflege ihn, er ist ein treuer Diener, das Trinken ist sein einzger Fehler. 195
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
S u s a n n a . Ach Vater, laßt mich nicht allein im Hause. R e i n h a r t . Was wird’s denn geben! In einer halben Stunde bin ich wieder hier. (ab).
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L o z a n . Du siehst Susanna, dein Vater ist so strenge nicht wie du, heut trinken wir uns froh zusammen. S u s a n n a . Erzählt mir lieber, wie es euch in Dornen ist ergangen. L o z a n . Das war ein schlechter Spas, ein wunderlicher Eigensinn der Liebe, es war ein altes Weib, die sich in mich verliebt. Wie ich es dir versprochen, so ruhte ich nicht eher, bis ich die Kammer fand, wo meine unsichtbare Schöne war versteckt und finde – ein altes Weib. Begeistert, wie ich war, so meine ich, sie würde sich nach Feenart in eine junge wunderschöne Königin verwandeln, wenn ich sie kaum berührt. Doch weh mir armen Ritter, sie blieb, so häßlich wie sie war, ich lachte und sie lachte auch, sie wollte mich mit Lustigkeit zurücke halten, mir aber kam die Sehnsucht in die Seele, nach deiner frischen Jugend, ich ritt mit meinen Leuten wie ein Rasender zurück, jetzt denk ich nichts als dich, in jedem Glase trink ich dich. S u s a n n a . Ihr trinkt zu viel. L o z a n . Es ist nicht meine Art, doch (singt) Amor will gern gesellig seyn, Wenn sich die Büsche entlauben, Da steiget er zu dem Bachus hinein Und hilft ihm keltern die Trauben, Und tauchet auch seine Händchen ein Und kostet vom süßen frischen Wein, Und was er immer vergebens erhofft, Das spiegelt sich ihm im Tranke oft, Er sieht die schöne süße Braut, Wie sie ihm über die Achsel schaut, Und ehe sie’s merkt, und ehe sie schreit, Küßt er sie rasend in Seligkeit. (Er küßt Susanna, sie wehrt sich, er zwingt sie, daß sie sich auf seinen Schooß setzt.) 196
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Dritte Handlung. IV/V
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S u s a n n a . Laßt los, ihr thut mir weh, ich schrei nach Hülfe. L o z a n . Bleib ruhig sitzen, Kind und schenk mir ein, ich thu dir nichts, nur keinen Widerstand, der macht mich grimmig. S u s a n n a . Ich weiß es nicht, wie ihr heut seyd, ihr habt zuviel getrunken, jetzt keinen Tropfen mehr, ich werf kein Feuer in den Pulverthurm. L o z a n . Recht gut gesprochen, der Wein begeistert dich. Ich schwöre dir, daß ich ganz herrlich bin, wenn ich ein Glas zu viel genossen habe, die Weiber haben mich vergöttert, wenn ich von mir nichts wußte. (singt):
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Wie ich mich liebe, wenn mir im Trinken Niedere Triebe löschend versinken, Ernst wird die Stirne, herrlich mein Wille, Brütend im Hirne göttliche Stille. Stille im Meere, stürmend die Ferne, Glänzend im Heere zahllose Sterne, Sieh, wie die holden Sterne entschlafen, Blitze vergolden nahende Strafen.
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Nahende Stürme zeiget die Wolke, Feindliche Stürme nahen dem Volke, Sinket der Nachen, bricht schon das Steuer, Wo wir erwachen, athmen wir freier. Mir ist, als ob mich Feinde von dir reissen wollten, – aber fester zieh ich dich zu mir. Eh ich dich einem andern überlasse – lieber tödt’ ich dich – und – mich. Zieht vorüber Warnungsstimmen! Vorüber! – vorüber! – (Lozan versinkt im Schlaf). S u s a n n a . Jetzt kann ich aufstehn, er schläft. L o z a n (schlaftrunken). Bleib sitzen, oder.... S u s a n n a . So wild, so frech hab ich ihn nie gesehn, der Wein verdirbt doch jedes eitle Herz. Nie hab ich mich vor ihm gefürchtet so wie heut, wenn er nur nicht erwacht, ich höre Lermen auf der Gasse. – Zwei Schüsse. – Soll ich ihn wecken? Gewiß ist wieder Streit um Beute, die sie eingebracht. – Es wird jetzt stiller – schon wieder Schüsse, welch Geschrei, – ach wär der Vater nur zu Hause – jetzt wird es still. – Ein Glück, daß Mülder erst so spät kann kom197
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men, bis Mitternacht ist doch noch lange hin, ich würde mich sonst um ihn ängstigen, er liebt den Frieden und in aller Welt ist Krieg, die arme Seele. – Ob ich es wage aufzustehn, die Hand ist ihm herabgesunken. – Was ists, die Thür wird unten aufgeschlossen, es nahen rasche Tritte, das ist der Vater nicht. – Weh mir, wenns Mülder wäre, er ist verloren, wenn der Lozan aufwacht. – He Mülder, um Gottes Willen stille!
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VI. P e t e r M ü l d e r tritt ein.
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P e t e r . Was winkst du, Sannchen? Bin ich zu früh gekommen, so dank es Gott und meiner Liebe. S u s a n n a . Tritt leiser auf, sieh doch, hier schläft das trunkne Ungeheuer, auf seinen Schooß mußt ich mich setzen. P e t e r . Kein guter Sitz für dich, laß mich dahin. S u s a n n a . Bist du von Sinnen, er bringt dich um, wenn er erwacht. P e t e r (zieht Susanna fort und setzt sich an ihre Stelle auf Lozan). Ich hab ein Hämmerchen bei mir, damit will ich ihm die Schlafstund an seine Stirne schlagen, wenn er erwachen will. S u s a n n a . Ich kann dich nicht begreifen, Peter, heute morgen, wo du Recht zu streiten hattest, da flohst du ihn und jetzt willst du ihn recht mit Willen reitzen. P e t e r . Sey ruhig, liebes Mädchen, hab ich doch nie so selge Stund erlebt, daß ich auf meinem Feinde ruhend, dich geküßt, es ist kein Zufall, ist der Lohn von mühevollen Jahren, verkümmre nicht mit leerer Furcht den freudevollen Kuß. (Er küßt sie). S u s a n n a . Was ists, von deinem linken Arme rinnet Blut! P e t e r . Es hat nichts auf sich, ein Angedenken dieser Nacht, sey ruhig, wills dir oft genug erzählen, wie es zugegangen. Was kümmern mich die Spanier jetzt, mit Gottes Hülfe sind sie alle schon gefangen oder todt, dies ist der Einzige, bei dem ich sitze, der nichts von allem weiß, gönn ihm den kurzen unbesorgten Schlaf und küsse mich. S u s a n n a . Erzähl mir doch, was ists, wie kam’s und welch Geschrei schwärmt jubelnd um das Haus. 198
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Dritte Handlung. V/VI/VII
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P e t e r . Gieb Lozans Becher mir, er hat ihn frisch gefüllt und nicht geleert. (Er trinkt). Der alte Gott lebt noch. Ich werde müde, möchte bei dir ruhen. S u s a n n a . Du denkst zu weit, ich habe dich dazu nicht herbestellt. P e t e r . Ich mein es ehrlich. Was ich von meiner Armuth dir geklagt, verzeih es mir, es ist nicht wahr, in Wesel ist kein reicherer als ich, bist du damit zufrieden. S u s a n n a . Du sagst mir Wunder und doch muß ich dir glauben wie der Bibel. P e t e r . Das ist auch recht, im Glauben ist die Liebe und in der Liebe Glauben. Ich sag dir, morgen führet uns der evangelische Herr Prediger, der vertriebene Herr H a r t m a n n , zum Altar von St. Willebrandt und segnet uns zur heilgen Ehe ein. Nicht wahr, der Polterabend war doch lustig. O küsse mich. R e i n h a r t (ruft herein). Ist Peter Mülder hier, es schreiet alle Welt nach Peter Mülder und keiner findet ihn. P e t e r . Laß sie nur kommen, ich bin hier. L o z a n (schlaftrunken). Was sprichst du Mädchen, küsse mich. Wart nur, bald hab ich ausgeschlafen. P e t e r . Mit dir hats keine Eile, bleib ruhig du mein Ehrensitz, du bist schön weich gepolstert.
VII. J u d i t h M ü l d e r in einem Männermantel tritt herein, auf dem Kopfe eine Schmiedekappe. 25
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J u d i t h . Sie suchen dich, du bist zum Bürgermeister ausgerufen, du sollst die Hälfte von der Beute haben. L o z a n (erwacht). Was giebts? Wer wagt es, sich auf mich zu setzen! Verrath! Weh mein Kopf! P e t e r (steht auf von Lozan). Schweig still, sonst schlag ich dir den Kopf ein. Läßt du die Hand nicht ruhn, so muß ich sie dir binden. L o z a n . Die Welt dreht sich mit mir. Ich bin verloren! (Er wird gebunden). 199
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
VIII. J a n R o t l e e r und D i e r e c k e treten ein.
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D i e r e c k e . Die Nacht vergeß ich nie, ich dank dir herzlich, Bruder, erst jetzt verstehe ich die Alten, ich habe mehr gelernt als sonst in Jahren. J a n . Nicht wahr, wir haben uns doch gut gehalten, die Kerls wehrten sich verzweifelt. Nun ist die Schwester mein. P e t e r . Nein Jan, sieh hier, da ist ein andrer Schmiedgesell, der half das Braunsche Thor aufsprengen, ich hätt es wahrlich nicht allein vermocht, der hat viel mehr gethan als du, mit dem mußt du dich erst abfinden. J a n . Komm her, du magst gethan, gesprenget haben, was du willst, nimmst du mir nicht das Leben, so ist die Judith mein. J u d i t h . Ja komm nur her, hast du den Muth, wir wollen sehn, wer stärker ist. J a n . Gut, gleich (er packt Judith). Bin ich ein Narr, du Kerl siehst aus wie Judith. J u d i t h . Du mußt doch mit mir ringen, denn anders geb ich mich dir nicht. J a n . Sieh da, du bist bezwungen und ich hab den ersten Kuß und auch den zweiten. J u d i t h . Es ist genug, sey er nicht grob. P e t e r . Laß gut seyn, Schwester, heut ist deine Hochzeit und auch meine. Susanna küß mich, sieh Dierecke, das wird meine Frau, nimmst du dir keine, jetzt ist wieder Freyens Zeit, da Wesel frei und unsre Kinder keine spansche Sklaven werden. D i e r e c k e . Glück zu, ihr Leute, ja Bruder, such mir eine Frau, und überdenks so gut wie diesen Überfall der Spanier, ich hab jetzt keine Zeit, muß erst mein Buch beenden.
IX. R e i n h a r t (kommt verwundert). Gott segne euch, mein lieber Peter, ich hör die ganze Zeit dem Volke zu und kann es nicht begreifen, wie ihr zu solchen Heldenthaten kommt. Wer hat denn euch das angegeben? Wo habt ihr das gelernt? 200
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Dritte Handlung. VIII/IX/X
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P e t e r . Die stillen Wasser sind oft tief. R e i n h a r t . Ihr werdet Burgemeister, der fremde General schenkt euch die Hälfte von der Beute, ganze Fässer voll Realen. P e t e r . Ich hab’s nicht nöthig, bin schon reich genug, gebt mir die Tochter, mehr begehr’ ich nicht. R e i n h a r t . Von Herzen gern. Gott segne euch, hört, hört, es kommt ein Freudenzug. R e i n h a r t . Ans Fenster tretet, lieber Peter, das Volk will euch besehn, hier setz die Lichter, Suschen. P e t e r (am Fenster). Ach Gott, ihr lieben Bürger, – Gott, Gott! Ich kann kein Wort vorbringen. Vo l k (draussen). Es lebe Peter Mülder hoch, abermals hoch, immerdar hoch! (Trompeten und Pauken).
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(Der Freiherr von Didem mit einem Lorbeerkranze in der Hand, hinter ihm die Rathsherren und Hauptleute, treten in das Zimmer).
D i d e m . Euch, tapfrer Mülder, gebürt der Kranz, den mir der Rath hat übergeben, nehmt ihn zum Angedenken dieser Stunde. P e t e r . Ich dank euch, gnädger Herr, ich nehm den Kranz aus eurer Hand, ihn Sannchen auf den lieben runden Kopf zu drücken, sie allem Volk zu zeigen, denn sie verdient ihn ganz allein. (Er tritt mit ihr ans Fenster und ruft hinaus). Seht da, ihr Herren, mein Sannchen that das Schwerste bei der Arbeit, sie fing den Gubernator, den wilden Lozan, in seiner Trunkenheit, hier liegt er festgebunden, ja wäre der noch wach gewesen, ich hätte schlimmern Stand gehabt. Vo l k (draussen). Es lebe Sannchen Mülder hoch, abermals hoch, immerdar hoch! (Trompeten und Pauken). L o z a n . Erst jetzt kann ich mich fassen. Verrath – aus Gnade rennet einen Degen mir durchs Herz – mein Leichtsinn hat dem Könige die Stadt verloren. D i d e m . Herr Graf, ihr sollet wohlgehalten werden, doch mach ichs euch zur Pflicht, daß ihr dem braven Mülder, den ihr am Morgen habt gekränkt, die Hälfte alles dessen bietet, was euch und euren Leuten abgenommen ist. 201
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Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
L o z a n . Nehmt alles, Peter Mülder, nehmt Liebchen, Ehre, Geld und gebt nur eines mir – den Tod. P e t e r . Wollt ihr den Tod, so fleht zu Gott darum, ich bin nicht euer Richter, die Schmach, die ihr mir angethan, ist ausgelöscht, Susanna ist durch ihre Liebe mein. Nach Geld verlang ich nicht, das sey bestimmt, die evangelschen Prediger zu belohnen, die heimlich unbesoldet bei uns blieben, das Abendmahl uns reichten, mit ihrem Wort zu dieser That mich stärkten. Die Ehre theile ich mit Dierekke, Jan und Judith. (Tritt ans Fenster). Seht, lieben Bürger, meinen Bruder Dierecke, Jan Rotleer und die Schwester Judith, die thaten all so viel wie ich. Vo l k (draussen). Hoch, abermals hoch, immerdar hoch! (Trompeten, Pauken). R a t h s h e r r . Gott hat die Kett gesprengt, woran die Spanier das freie Wiesel legten, doch ihr wart Gottes Hammer. Mensch hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Die Freiheit, die ihr uns erobert, sollt ihr auch beschützen, zum Bürgermeister hat des Volkes Mund euch heut erwählt, es ist ein kleiner Lohn, doch seht auf unsre Freudenthränen. P e t e r . Des Volkes Mund ist Gottes Mund, ich wag ihm nicht zu widerstreben, so wenig ich zu hohen Würden tauge. R a t h s h e r r . Der neue Burgemeister lebe hoch. Vo l k (draussen). Hoch, immerdar hoch! (Trompeten und Pauken). P e t e r (zum Volke) Gebt Gott allein die Ehre, Und bleibt bei reiner Lehre.
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Vo l k (draussen und alle im Zimmer stimmen ein):
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Eine feste Burg ist unser Gott, Eine gute Wehr und Waffen, Er führt uns frei aus aller Noth, Er hat uns frei geschaffen. Er wacht am hohen Himmelsthor Mit seines Wortes Waffen, Wir schauen wieder frei empor, Wie er uns hat geschaffen, Sein frei Sternenheer Rundet um uns her, 202
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Dritte Handlung. X
Lobsingt, lobsinget ihm, Lobsingt mit heller Stimm, Ehre sey Gott in der Höhe.
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Das Loch, oder: das wiedergefundene Paradies. Ein Schattenspiel.
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Schatten. Dichter. K a i s e r vom Rhabarberlande. K a i s e r i n , dessen Frau. K a s p e r , sein Rath. Volk und Thiere im Rhabarberlande. R i t t e r von der runden Tafel. Dessen Matrosen. D e r Te u f e l .
Prolog des Schattendichters. Euch Aktionärs vom neuen Schauspielhaus, Entbiet ich meinen besten Grus voraus, Ich schwör es euch, ihr lebet viel bequemer Als Ich, der dieses Baues Unternehmer! Wer Geld gegeben, meint, er hab das Recht, Daß er das Ganze finde gar zu schlecht; Ich hör viel Tadel, niemand will recht loben, So geht es mir, wie unserm Herrn da droben. Der eine meint ich hab das Oel gespart, Nach der bekannten Stadtbeleuchtungsart, Der andre meint, die Malerperspective Verliere sich beinahe in das Schiefe, Der dritte meint, in diesem Augenblick, 204
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Prolog
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In Gesten hätte ich noch kein Geschick, Auch sollte ich noch mehr Register ziehen In dem deklamatorischen Bemühen. – Bei Licht besehn, wird’s keinem recht gemacht, Doch traulich waltet über euch jetzt Nacht, Ihr seht nicht mehr, als ich will sehen lassen, Wollt ihr was hören, müßt ihr auf mich passen, Denn keiner ist von euch so vorbereitet Daß er aus’m Stegereif mein Stück bestreitet. Doch wenn es euch mißfällt, ihr könnet schlafen, Ihr könnet schwatzen, niemand kann euch strafen, Die Nacht ist Feindin aller Policey, Die Welt wird Chaos und der Mensch wird frei. Zwar ist der Raum nur eng, den wir regieren, Wenn uns kein Licht zu ferner Welt will führen, Die Nacht ist ohne alle Offenbarung, Sie hat zu ihrem Troste die Erfahrung Im engen Raum, den unser Blut durchschwärmt, Den unsre Haut umspannt, und Athem wärmt Wo Töne sind die einzigen Gestalten, Die ungeschwächt von aussen in uns walten, Wenn die Erinnerung von allem Leben Will in verzerrten Bildern schon verschweben. – – Die Kinder schreien in der Dunkelheit, Verständge sehnen sich nach Freudigkeit, Und sehnen sich wohl gar nach jenen Schatten, Die sie am Tage übersehen hatten, Die den bewegten Umriß deutlich zeigen Von allem Lebenden, was uns einst lieb, Was in der Phantasie verwischt und trüb, Beseelte Bilder, die, obwohl schon eigen Der Unterwelt, doch an des Lichtes Grenzen Sich noch mit seiner Heiterkeit bekränzen, – So ward einst Nachts das Schattenspiel erfunden Von Liebenden, die sich getrennt befunden, Die Liebe gönnte diese Kunst im Scheiden Als sie erfand den Schattenriß zu schneiden, Der Liebe hat es Scherz bald nachgemacht, Und spricht zu euch in dieser Winternacht: 205
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Das Loch
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Dies Geisterreich, es sey euch aufgethan, Es bricht die Kunst sich heute neue Bahn In einem Haus, von Pappe auferbaut, Personen h i n t e r Dekorationen schaut. Wer sind die Schatten, kennt ihr sie noch nicht? Erkennt sie doch am Umriß vom Gesicht! – – Da die Gebildeten mit nichts zufrieden, Da sie an allen Künsten schon ermüden, Und da das alte Schauspielhaus verdorben, Die alten Schauspielleut aus Gram gestorben Um die Kritik, die sie so stolz verlacht, So steigen ihre Schatten aus der Nacht, Sie wollen sich vor euch noch einmal zeigen, Sie bleiben euch im Schattenreich noch eigen, Es wär ihr einzger Trost im ewgen Leben, Daß ihnen Kritiker heut Beifall geben; Brecht eures Witzes scharfe Spitzen ab, Gedenkt, daß niemand steiget aus dem Grab Gelenkig, zierlich, wie er einst im Leben Die Arme und die Beine konnte heben; Einseitig auch sind Schatten, wie bekannt, Ihr Ansehn wechselt bei des Lichtes Stand, Auch wird zuweilen sichtbar jene Hand, Die sie auf Erden hat zu euch gesandt. – Wems nicht behagt, der komm zu mir herauf, Denn wie ihr seht, ich bin ein Schatten auch, Verbessert mich in meiner Verse Lauf, Und meinen Beinen gebet bessern Brauch, Die Ehre gebe ich der Lust in Kauf, Hier oben könnte mir noch mancher helfen, Doch müßte er hier heulen mit den Wölfen, Und mit dem Eselein das J a schrein, Und sich mit kindschem Spiele noch erfreuen. Des Spieles Name schon bedeutsam ist, Es heißt das L o c h , weil, wie ihr alle wißt, Das Loch ein körperlicher Schatten ist, Ein Nichts, das durch die Grenze nur gemessen, Im Lichte ganz und gar vielleicht vergessen, Auch heist’s das n e u g e f u n d n e P a r a d i e s , 206
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Prolog/Erster Aufzug. I
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Weil man vom Schauspielhaus so viel verhieß, Doch Rom ward nicht in einem Tag erbaut, Und dieser Tag hat dieses Haus gebaut, Und diese Dekorazion mit Tusch gemalt, Die jetzt auf meinen Wink zu euch hinstrahlt. Seht hier das Kaiserschloß, den hohen Thron, Die Regierungsmaschine steht nicht weit davon, Auf diesem Thurm, da wohnt die Kaiserin In jungfräulichem, sehr betrübtem Sinn, An einen Ritter denket sie im Stillen, Dem sie entrissen ward durch Vaters Willen, Die See ist offen und ein Schiff kommt bald. Da hinten ist der grün belaubte Wald, Doch höre ich da unten ein Gemunkel, Die Farbe dieses Walds sey etwas dunkel: Sprecht nicht von Farben mir, dem armen Blinden, Verlangt nicht mehr, als was ihr könnet finden.
Erster Aufzug.
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I. Kaiser und Kaiserin.
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K a i s e r . Nicht wahr, es sitzt sich gut auf dem Thron? K a i s e r i n . Ich sitze nicht gern, das wißt ihr schon, Tanzen und Springen wär mein Entzücken, Das Regieren will mich gar nicht beglücken. K a i s e r . Ja, liebes Kind, man muß sich genieren, Wenn man die ganze Welt will regieren, Es ist kein Spas, es fordert Knochen. K a i s e r i n . So ward mir noch nie vom Regieren gesprochen. K a i s e r . Du kennst auch noch nicht die schwersten Pflichten, Du kennst bis jetzt nur die lustgen Geschichten, Wie einer den andern läßt köpfen und schinden, 207
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Das Loch
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Die Städte verbrennt, den Krieg zu verkünden, Ja wäre es damit abgethan, Da wäre gar mancher ein großer Mann, Doch dann kommt erst das Gesetzegeben, Das greifet dem Klügsten in das Leben. Wenn du in deiner Kammer verschlossen, Da wird die Regierungsmaschiene gestoßen, Wie mancher Tropfen Schweiß wird vergossen, Bis wir die Gesetze herausgestoßen. K a i s e r i n . Kann ich euch bei der Arbeit nicht nützen, Fast fürchte ich mich, hier zu versitzen, Bewegung kann die Gesundheit schützen. K a i s e r . Kein Weib hat die Kraft und den hohen Muth, Der die Gesetze recht greifen thut, Oft muß ich ganze Tage drauf lauern, Und dann will wenig Minuten nur dauern Die Kraft der hohen Begeisterung: Sie kommt, sie kommt, entfliehe im Sprung. K a i s e r i n . Ich ziehe mich willig zurück in die Kammer, Doch endet, o Kaiser, des Herzens Jammer, Gedenket, wie langsam die Tage verfließen, Ach, soll ich in Einsamkeit immer büßen! K a i s e r . Was kannst du verlangen, was kannst du vermissen, Geh schlafen auf deinen sammtenen Kissen, Und Kasper soll mir heut Spässe aufschreiben, Womit ich dir kann die Zeit vertreiben. K a i s e r i n . Ich möchte auch gerne ins Freie gehen, Die Ritter der Tafelrunde besehen. K a i s e r . Das schicket sich nicht in glücklichen Ehen. Flugs steige die Treppe zu deinem Thurm. K a i s e r i n . Ich arme Prinzessin, ich armer Wurm. (Er führt sie zur Treppe und schließt sie ein).
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Erster Aufzug. I/II
II.
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K a i s e r . He Kasper, Tintenklecker, seyd ihr noch nicht fertig. K a s p e r (kommt). Ich bin des kaiserlichen Worts gewärtig. K a i s e r . So schieb die Regierungsmaschine herbei, Ich fühle in mir Begeisterung, Die macht mich wieder in Freuden jung. K a s p e r (schiebt sie herbei). Die Räder machen ein wenig Geschrei. K a i s e r . Ihr müsset die Räder ein wenig schmieren. K a s p e r . Das nennen wir dann das Regeneriren, Das Fett, das geben die Unterthanen, Die Verarmten stecken wir unter die Fahnen, Die müssen für’s Vaterland billig bluten. K a i s e r . Das Sterben erfreuet alle Guten. K a s p e r . Nun steht die Maschine uns eben recht, Hier sind die Würfel, sie fallen nicht schlecht, Sie zeigen uns eben recht viele Augen, Da werden die Gesetze zur Aufsicht taugen, Wie alle Steuern rasch einzutreiben, Daß kein Kreuzer in der Tasche kann bleiben. Was wollen wir diesmal die Leut’ überraschen. K a i s e r . Es füllt uns der Geist der Zeit die Taschen. K a s p e r . Es ist eine ganz besondre Laune, So gute Gesetze bricht man nicht vom Zaune. K a i s e r . Nummer neune ist eben der Würfel gefallen. K a s p e r . Da steht ein herrlich Gesetz vor allen: Jede Lichtputz ein für allemal Einen Blaffert zu der Taxe bezahl. Aber Herr, wer nun putzt das Licht mit den Fingern, Da wird sich die Einnahme schmälig verringern. K a i s e r . Finger? Die sollen auch wie Lichtputze bezahlen, Wir stempeln ein jedes Paar Finger mit Zahlen, Und setzen jedem einen Aufseher dabei, Daß im Gebrauche auch Ordnung sey, Daß kein Paar früher wird abgenutzt, Und daß das Volk nicht der Ordnung trutzt, 209
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Das Loch
Und über den Aufseher setzen wir zwei, Damit er thut seine Pflicht dabei. K a s p e r . Da können wir viele Leute anstellen, Da nehm ich von meinen guten Gesellen, Von meinen alten Schulkammeraden, Die kommen mir sonst in Faulheit zu Schaden, Das Stempeln wird etwas den Fingern schmerzen, Doch gute Bürger die leiden von Herzen, Und wir im Dienste des Staats sind frei, So ist es mir eben ganz einerlei. K a i s e r . Du bist ein zweiter Solon, welch Glück, Daß du mir geschenkt durch hohes Geschick, Jetzt wollen wir die Gesetze aufschreiben. (Während sie sich da hinsetzen, tritt die Kaiserin ans Fenster des Thurms und sieht aufs Meer nach den Schiffen, die vorüberziehn.)
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III.
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K a i s e r i n . Winkt mir nicht, ihr flüchtgen Schiffe, Winkt mir nicht, ihr leichten Wellen, Hier an diesem Felsenriffe Seh ich täglich euch zerschellen, Kann mich nicht euch anvertrauen, Mich, die ärmste aller Frauen. In dem Herzen wohnt ein Hoffen, Daß Er mich noch nicht vergessen, Reicher Liebe steh ich offen, Träumend hab ich Ihn besessen, Wellen rauscht bei meinen Träumen, Möchte diesen Tag versäumen. D e r R i t t e r (legt unter dem Felsen, worauf das Schloß erbaut ist, unbemerkt sein Schiff an und steigt ans Land), Gefährten, haltet euch ganz still in dieser Bucht, Daß ihr bereit zur Gegenwehr und Flucht. So führte mich die Liebe zum Rhabarberschloß, O Mißgeschick – mich trifft dein ganz Geschoß, Du triebst mich erst zu der Hypekakuana, Bis ich dies gelbbraun widerliche Schloß ersah, 210
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Erster Aufzug. II/III
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Und hier muß sie, die Zarte aller Zarten, wohnen, So schrecklich will sich Edelmuth belohnen! Die Edle opferte sich ihrem Landeswohl, Und der Rhabarberkaiser sie der Liebe stohl; Rhabarberkaiser, ärger als Barbar, Sie ist nun dein, schon länger als ein Jahr. Ach wär sie glücklich, mit Vergnügen Wollt ich verzweifeln, doch in Handschriftszügen, Die sie posttäglich in das Vaterhaus gesandt, Hab ich die Beimischung von Thränen wohl erkannt, Die Tinte war so blaß und keiner konnte lesen, Obs Griechisch oder Deutsch gewesen. Ihr Götter, wie geschieht mir, ach dort steht Die Sonn’, von der mein Auge übergeht, Sie übersieht die Wonne ihrer Liebe, Und blendet sich in höhrer Sonne trübe. K a i s e r i n (erblickt ihn und hat die letzten Worte gehört) Vergebens meiner Blicke Blüthe Sich opfert hohem Sonnenlauf, Ich schmachte einsam im Gemüthe, Geht aller Welt mein Glanzbild auf, Und ist mein Auge ganz geblendet, Verschwand die Erd’ in Strahlenduft, Da hat mein Sehnen sich gewendet Zu eines Schäfers Schattenkluft. R i t t e r . Du schwankst in einsam tiefen Schmerzen, Und Schwindel stürzen meinen Blick, O neige dich zu meinem Herzen, Du findest hier ein sichres Glück, Das alte Glück in frühen Tagen, Der Kindheit holde Schäferwelt, Eh du, vor allen hochzuragen, Auf einen hohen Thron gestellt. K a i s e r i n . Wo sind die weißen Lämmerheerden Mit bunten Bändern schön geschmückt, Ein goldner Kerker sollt mir werden, Ein Scepter, der mich niederdrückt, Und eine Krone muß ich tragen, 211
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Das Loch
Die beugt mein Haupt noch vor der Zeit, Wenn du, mein Schäfer, nichts willst wagen, Wenn mich dein Muth nicht bald befreit. R i t t e r . O meine Kaiserin, ich bin bereit, Zu großer That, doch ohne Krieg und Streit, Denn dazu bin ich gar nicht ausgerüstet, Wenn mir gleich sehr nach Heldenruhm gelüstet. K a i s e r i n . Ja wenn du keine besondre Heldenkraft hast, werther Freund, so kann das viele Hin- und Herreden nichts helfen und du mußt meinem Rathe folgsam seyn, den ich dir in aller Kürze mittheilen will. Mein Gemahl, dem ich nicht vermählt bin, weil er mit der Regierungsmaschine Tag und Nacht spielt und keine Zeit zur Vermählungsfeier übrig hat, braucht einen Thürsteher, erbiete dich zu diesem Dienste, baue dir eine Hütte unter diesem Thurme, breche ein Loch durch die Mauer, so kann ich zu dir herabkommen und mit dir zu den Schäfern nach Arcadien entfliehen, um auf mein Grabmahl schreiben zu lassen: Auch ich war in Arcadien. R i t t e r . Von Eifersflammen muß ich brennen, Ich möchte Mauern und Thürme einrennen, Dich meiner Liebe zu gewinnen, Es schickt sich gar nicht das Besinnen.
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(Er klopft an die Thür.)
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K a i s e r (von innen). Wer klopft? Wer ist vorm Schloß erschienen, R i t t e r . Ich möchte dem Kaiser gerne dienen. K a i s e r . Es fehlet mir nicht an gutem Gesinde. R i t t e r . Doch da ich keinen Thorsteher finde, So mein ich, es könnte der Platz mir passen. K a i s e r . Wird er auch keine Feinde einlassen. R i t t e r . Ich bin ein Ritter von altem Adel, Ich bin der Ritter ohne Furcht und Tadel, Ich bin ein Ritter von der Tafelrund. K a i s e r . Da ist ihm Essen und Trinken gesund. Es ist mir lieb, ich kann ihn brauchen, Wenn er keinen Taback will rauchen. 212
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Erster Aufzug. III/IV/V
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R i t t e r . Ade, geliebte Pfeife, ich werf dich ins Meer, Meinem Kaiser zu Ehren, rauch ich nicht mehr. K a i s e r . Nun wird er mir ganz zum Thürsteher taugen, Er hat ein paar große gesunde Augen. Er kann sich gleich hier ein Wachthaus bauen, Daß er die Straße kann fleißig beschauen. R i t t e r . Wo aber soll ich einen Maurer finden? K a i s e r . Der Kasper ist Maurer vom reinsten System, Läßt Kalk sich bezahlen und nimmt nur den Lehm. Die Steine könnt ihr vom Felsen brechen, Ein altes Dach kann ich euch versprechen, Der Wald steht voll Bäume in Morgengefühlen, Draus könnet ihr schneiden Balken und Dielen, He Kasper, bind deine Schürze mit dem blauen Bande um, Was machst du für Zeichen und stehst da so stumm. K a s p e r (bringt ein Glas und klopft damit auf den Tisch, drückt dem Ritter die Hand, macht seltsame Sprünge, dann spricht er zum Kaiser:)
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Er ist kein Maurer, ich wollte drauf schwören, Er will mir auf alle meine Zeichen nicht hören. K a i s e r . Laß deine Sprünge und deine Zeichen. Du mußt hier Steine und Holz ihm reichen, Du mußt ihm helfen ein Häuschen bauen, Damit er kann auf die Straße schauen. (ab.)
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V. R i t t e r . Nun lieber Hofrath, greift rasch zum Werke, K a s p e r . Ach hätt ich nur Schnaps, noch fehlt mir die Stärke, Ich habe mich heute so müde regiert, Ein neues Gesetzbuch zu Ende geführt. R i t t e r . Das nenn ich ja recht im Großen spaßen, Da mag das Volk euch hier weidlich hassen. K a s p e r . Das Volk ist in uns, wir sind im Volke! Das Volk ist eine ungestaltete Wolke, Ich und der Kaiser, wir sind die Winde, Wir blasen bald stark und bald gelinde, 213
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Das Loch
Und wenn wir einander entgegenblasen, Da stehet sie stille mitten im Rasen. R i t t e r . Das schiene mir noch besonders gescheidt. K a s p e r . Auch ist es das Beste in unsrer Zeit, Wer stehen bleibt, kann der andern lachen, Die fielen und sich die Hälse brachen. Nun seht nur, wie bei Regierungsgedanken Die Arbeit sich fördert, vereint sind die Blanken, Der Dachstuhl beendet, mit Ziegeln behangen, Jetzt thuts mir recht nach Ruhe verlangen. R i t t e r . Das Haus ist gut, jetzt möcht ich nur noch, Daß du mir stießest in den Thurm ein Loch. K a s p e r . Wozu denn das? Da kämen wir ja Dem Bette der hohen Kaiserin nah. R i t t e r . Ich möchte so gern die Kaiserin sehen, Der Kopf soll ihr nicht auf dem Rumpfe stehen, Sie soll ihn nach Gefallen, um ihn zu kühlen, Herunter nehmen und damit spielen. K a s p e r . Das ist ja erstaunlich, das muß ich gestehen, Das Wunder möchte ich gerne ansehen. Er hält sie so heimlich, daß keiner sie sah, Ich meinte schon oftmals, sie sey gar nicht da. R i t t e r . Dies Spiel mit dem Kopf solls eben seyn, Warum er niemand zu ihr läßt herein. K a s p e r . Ich muß sie sehen, ich breche das Loch, Es koste mein Leben, ich thue es doch. R i t t e r . Das Loch ist schon fertig, o Glück sie zu sehen. K a s p e r . Ich kann an dem Kopf nichts besondres sehen, Ich möchte ihr einen Stoß mit der Kelle geben, Ob ich ihr könnte den Kopf abheben. R i t t e r . (Er zerhaut ihn mit dem Schwerdt). Du wolltest sie schlagen, du dummer Tropf. K a s p e r s beide Hälften schreien: Ich will nur probiren den Kopf. Ich will nur probiren den Kopf.
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Erster Aufzug. V/VI
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R i t t e r . Ich bin verwundert, wo steht mir der Kopf. Je mehr ich Stücken aus ihm mag hauen, Je mehr sie fragen und wollen schauen, Ich will euch stecken in meinen Suppentopf, Den ich für die ganze Schiffskompagnie trage, So läßt er doch endlich die neugierige Frage. K a s p e r . (Im Topf!) Kopf! Kopf! Kopf! R i t t e r . Das klinget wie kochendes Wasser am Feuer, Das will ich ihm gönnen zur fröhlichen Feier. Denn jetzt, wo das schwerste Werk ist vollbracht, Die Liebesflamme gedoppelt erwacht.
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K a i s e r i n (von oben). Da will ich eilig zu dir gehen Sie könnte ausgehen. R i t t e r . Das fürcht ich selber und rathe zur Eile, Die Liebe vergeht durch die Langeweile. K a i s e r i n . Ich rutsche durchs Loch, jetzt bleib ich stecken, Die Krone bleibt hängen an allen Ecken. R i t t e r . Ich flehe, die Krone rasch abzulegen, Die Kronen sind nicht der Liebe Segen. K a i s e r i n . Ein edles Herz kann Kronen vermissen, Ich habe sie unter das Bette geschmissen. Ich häng in der Luft, stell dich hier unter, Auf deinen Kopf, da springe ich munter.
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R i t t e r . Mein Kopf kriegt einen gewaltigen Stoß, Mir wars, als schlüg mich mein schwerstes Roß, O wäre der Liebe die Schwere genommen, Sie wäre so leicht zum Himmel gekommen. K a i s e r i n . Ich fühle mich freudig gen Himmel getragen, Dein Rücken mir scheinet ein himmlischer Wagen. R i t t e r . Ich fühle mich wie ein Streiter munter, Es geht mir die Welt in den Röcken unter.
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Das Loch
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K a i s e r i n . Der Kaiser hat mich nie so getragen, Ich möchte ihn von dem Throne verjagen, Der Eifersüchtge ließ mich verschmachten, Den Kaiser muß ich von Herzen verachten. R i t t e r . Der Kaiser scheint ein gemeiner Hund, Der gar nicht paßt an die Tafelrund. K a i s e r i n . Er ist ein alter Krippensetzer, Ich entsage hiemit dem alten Schwätzer, Und schenk dir den Ring, den er mir schenkte, Als er mich mit der Verlobung kränkte. B e i d e . Der Ring hat uns verbunden Zu heimlich selgen Stunden. R i t t e r . Die Vorsicht soll uns schützen. K a i s e r i n . Die Ohren will ich spitzen. B e i d e . Daß niemand uns beschleiche, Wenn ich den Mund dir reiche. R i t t e r . Ich höre etwas gehen. K a i s e r i n . Es wär’ um mich geschehen. B e i d e . Ich hör, daß einer poche, Jetzt eilig zu dem Loche.
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(Die 〈Kaiserin〉 steigt durch das Loch nach ihrer Kammer.)
VII. K a i s e r (von innen). Wie könnt ihr denn die Thüre zumachen. R i t t e r . Ich soll ja des Kaisers Thüre bewachen. K a i s e r . Daß niemand zur Thür hinein soll kommen, Dafür seyd Ihr hier angenommen. R i t t e r . Wer weiß, ob ihr nicht des Kaisers Stimme nachmacht, Da werd ich von euch nachher ausgelacht, Will erst durchs Schlüsselloch euch besehen, Eh ich den Schlüssel wage umzudrehen. K a i s e r . Nun sehet nur recht mein kaiserlich Gesicht. R i t t e r . Ich sehe ein dickes Fleisch, das spricht, Jetzt seh ich die Krone, und öffne die Thür. 216
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K a i s e r . Für diese Vorsicht empfange von mir, Den großen Orden vom Hosenträger, Du scheinest mir gar ein tapferer Schläger. Sag an, hast du nicht den Kanzler gesehen, Ich kann allein die Maschine nicht drehen. R i t t e r . Er ist gegangen zum dunkelen Wald, Er holt noch Bauholz und kommt wohl bald. K a i s e r . Ich meine, das Haus sey schon beendet. R i t t e r . Es fehlt noch die Kunst, die alles vollendet, Die Widderköpfe an allen Seulen, Die müssen die Ritzen der Balken ausheilen; Wir schmückens in reinem griechischen Styl, Hier koch ich im Topfe der Zierrathen viel. K a i s e r . Der Widderkopf hier, ich muß es gestehen, Thut meinem Rathe etwas ähnlich sehen. R i t t e r . Ein jeder Mensch hat etwas vom Thiere, Damit er sich nicht zu edel aufführe. K a i s e r . Nun sagt mir Freund, ich staune schon lange, Was dort für ein Ringlein am Finger euch prange. R i t t e r . Die liebliche Braut, sie hat ihn geschenkt, Und wie ich ihn küsse, sie meiner gedenkt. K a i s e r . Das ist doch gar ein kurioses Ding, Meiner Frau verehrt ich einen gleichen Ring. So ähnlich hab ich noch gar nichts gesehen, Ich muß zu meiner Gattin gleich gehen, Ja nehmt es nicht übel, ein Spas fiel mir ein, Ich werde gleich wieder bei euch seyn.
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R i t t e r . Frau Kaiserin, ich reich dir durchs Loch den Ring, Unser Leben am seidenen Faden hing, Gleich leg dich mit Krone und Ring in das Bette. K a i s e r i n (von oben). Der Alte soll kommen, er dient zum Gespötte. K a i s e r (tritt in das Zimmer der Kaiserin) Die Kaiserin schnarcht, nur Unschuld kann schnarchen, 217
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Die Sünde träumet ganz stille vom Argen, Ich will mit Vorsicht zum Bette hinschreiten, Ich möchte nicht gern mit ihr mich streiten, Und manche Leute, wenn sie schnell erwachen, So schlagen sie um sich wie die Drachen, Liebes Kind, ich küsse dir gerne die Hand. K a i s e r i n . Ich geb dir eine, die ist verwandt. K a i s e r . Victoria, die Ohrfeig that weh, Doch meinen Ring ich wiederseh, Schon dacht ich, es sey ein Liebeszeichen, Das sie dem fremden Ritter thät reichen. Nun gute Nacht. (ab). K a i s e r i n . Jetzt bin ich erwacht, Und rufe dir nach, statt Lebewohl, Daß dich der Teufel hol. Hört Ritter, der Alte war richtig betrogen, Ein neuer Anschlag sey jetzt vollzogen, Ich ziehe gleich an verkehrte Kleider, Die gute Seite, die kennet er leider, Dann komm ich zu euch durchs Loch ins Haus, Und ihr bereitet da einen Schmaus, Und bittet den Kaiser und ihm erzählt, Ich sey die Braut, die ihr erwählt, Die auf dem Schiffe jetzt nachgekommen, Und euch zum Manne sich angenommen, Er möchte uns segnen mit guten Gaben, Dann können wir auf dem Schiffe abtraben. R i t t e r . Du bist gescheidt, mein Herz schlägt munter, Nur komme eilig durchs Loch herunter.
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K a i s e r i n (kommt herab). Jetzt ging es leicht, weil ich mich nicht geziert, Gewohnheit ists, was die Welt regiert, Jetzt sorge nur rasch für Küch und Keller, Der Kaiser segnet aus Eßlust viel schneller.
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R i t t e r . Da haben wir ja den zerstückten Rath, Verzehret stört er uns nicht durch Verrath.
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Erster Aufzug. XIII/IX
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K a i s e r i n . Nein, das ist gegen alles Gefühl, Menschenfleisch ekelt selbst im Schattenspiel. R i t t e r . Da find ich noch Krümeln von Schiffszwieback, Wer weiß, ob er die nicht essen mag. K a i s e r i n . So lade den Kaiser ganz eilig ein, Und bitte ihn selbst um etwas Wein, Der wird uns auf dem Meere behagen, Ich kann die Seefahrt nicht gut vertragen.
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R i t t e r (geht durch die Schloßthüre ins Thronzimmer). O Glück und Wonne in lichter Sonne, O liebliche Luft voll Blumenduft! Luft, die meine Geliebte getrieben, Und in die weissen Segel blies, Die muß ich vor allem auf Erden lieben, Und sie mit schönstem Tone begrüß, Wellen, die meine Geliebte getragen, Und sie gespiegelt in schimmernder Lust, Die seh ich im Meere noch heftig schlagen, So schlägt mir das Herz in meiner Brust, O freundliche Wellen, ihr wollt uns gesellen, O lieblicher Wind, du führtest mein Kind. K a i s e r . Ich hab kein Wort von dir verstanden, Ach warum kam der Kasper mir abhanden. R i t t e r . Nun gnädger Herr, mit dem Dienst ists aus, Ich muß heut wieder zurück nach Haus, Die Braut ist eben mir nachgekommen, Und hat mich gleich zum Manne genommen, Ich wollte euch bitten auf Schiffszwieback Und auf eine gute Prise Taback, Und daß ihr den Wein könnt selber mitbringen, Damit die Gläser recht fröhlig erklingen. K a i s e r . Ich komme sogleich, ich stelle mich ein, Ich meine euch toll, mags selber wohl seyn. R i t t e r . Vergesset nur nicht den herrlichen Wein. (ab.) 219
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X. R i t t e r (kommt zurück ins Thürsteherhaus.) Der Kaiser und der Wein, sie werden gleich kommen. K a i s e r i n . Ich schnüre mich auf, ich werde beklommen. R i t t e r . Fast habt ihr mich zu solchem Spaße verführt, Wobei ihr nun alle Haltung verliert, Eure Arme fächeln wie Windmühlenflügel, Ich höre den Kaiser, er öffnet den Riegel. K a i s e r (kommt). Nun seyd mir gegrüßet, schöne Braut, Es ist mir, als hätt ich euch sonst schon geschaut. R i t t e r . Sie hat ein recht allgemeines Gesicht, Sie ist noch blöde und wenig verspricht, Doch wird sie euch bald viel besser gefallen. K a i s e r (vor sich). Die Eifersucht will mich schier anfallen. (Laut). Ihr habet so etwas in eurem Wesen, Ich hätte euch selber zur Kaiserin erlesen. K a i s e r i n . Ihr wollet nur spotten, ich weiß noch nicht, Wie man zu großen Kaisern spricht, Welcher Fuß im Knien voraus zu setzen, Auch weiß ich von Politik wenig zu schwätzen. R i t t e r . Zum Teufel, das Knixen doch endlich laß, Du scheinst ein lebendiges Butterfaß. K a i s e r (vor sich). Meine Weisheit kommt noch heimlich von Sinnen, Wär meine Frau nicht im Thurme drinnen, Ich glaubte sie in der Braut zu sehen, Vor Neugier bleibt mir mein Herz still stehen, Ob meine Frau im Bette noch liegt, Oder ob sie mich mit dem Ritter betrügt. R i t t e r . Mein gnädiger Herr, ihr scheint nicht vergnügt. K a i s e r . Ein Wunsch, mein Fräulein im Sinne mir liegt, Es spricht so schön euer rother Mund, Mir wäre ein Küßchen darauf gesund. R i t t e r . Das darfst du dem Kaiser nicht versagen, Ein Küßchen in Ehren kann niemand abschlagen.
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Erster Aufzug. X/XI
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K a i s e r i n . So küsset mich, Herr, auf meine Stirn. K a i s e r (küßt sie). Sie schmecket so süß wie die beste Birn. (Vor sich) Sie schmecket so ganz wie meine Braut, Ich fahre vor Eifersucht aus der Haut. (Laut) Es schmeckte der Kuß so trefflich gut, Er hat mir erweckt mein ganzes Blut, Ich will zum Feste die Kaiserin bringen, Sie soll uns heut was Lustiges singen. (ab.)
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R i t t e r . Jetzt rasch durchs Loch und umgekleidet, Sonst wird uns der ganze Spas verleidet. K a i s e r i n (klettert hinauf). Der Kaiser eilet auch gar zu sehr, Kaum kann ich mich legen ins Federmeer. Es sitzet die Krone noch gar nicht fest, Und schon kommt der Kaiser gestapelt ins Nest. K a i s e r (tritt oben ein). Da liegt sie ganz stille, ich dachte recht schlecht, Das kommt von dem Warnen gegen’s schöne Geschlecht, Ich lasse jetzt alle Bücher verbrennen, Worin man ein Weib wagt untreu zu nennen. (Laut) Geliebte Kaiserin, jetzt komme herunter, Bei meinem Thürsteher, da ist es munter, Der will, was man nennt, heut Hochzeit machen, Da kannst du mit tanzen, da kannst du mit lachen. K a i s e r i n . O sage, du Herrscher, zu welcher Strafe Erweckst du mich stets aus meinem Schlafe, Es würde sich doch für mich nicht schicken, Daß ich da tanzte mit Domesticken. K a i s e r . Das nenne ich gute Zucht und Sitten, Nein, Hoheit, ich will dich darum nicht mehr bitten, Weil du die Etikette verstehst, Du nimmermehr im Gespötte vergehst. (Aus dem Zimmer der Kaiserin ab.)
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K a i s e r i n (steht auf). Jetzt werf ich die Krone in tausend Stücke, Sie war nur zu meinem Glücke die Brücke. 221
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Den Scepter steck ich mir in die Tasche, Wenn ich den Ritter einst überrasche, Daß er sich meinen Befehlen nicht fügt, Damit ihn dann mein Ansehn besiegt. Erfahrung macht uns Weiber klug, Doch klüger macht uns der Betrug. R i t t e r (von unten). Ach, Kaiserin, bist du noch nicht fertig, Ich bin des Kaisers schon lange gewärtig, Und ihr Matrosen, kommt eilig herbei, Und macht von der Abfahrt großes Geschrei. K a i s e r i n (kommt herab). Wie ein Schornsteinfeger rutsch ich herab, Und kehre nimmer zu diesem Grab, Zu diesem alten gelben Thurm, Bald spielet mit uns der Meeressturm.
XII. K a i s e r (kommt ins Wachthaus zurück). Ei, ei, hier war ein Poltern im Haus, Ich glaube, ihr werdet vertraulich beim Schmaus. R i t t e r . Ach leider, wir weinten so bittere Thränen, Der Seufzer will ich gar nicht erwähnen, Die Schiffsleute treiben uns fort von hier, Der Wind sey günstig, sagten sie mir. M a t r o s e n (kommen). Der Wind ist gut, Das Schiff ist flott, Auf, junges Blut, Vertrau auf Gott, Er führt uns nah, er führt uns weit, Er führt uns in die Ewigkeit. K a i s e r . Zur Ewigkeit ist eine weite Reise, Ei, bleibt noch hier und trinket euch erst weise, Und dieser Wind wird nicht der einzge seyn, Er bläßt wohl morgen auch noch munter drein. M a t r o s e n . Der Wind ist gut, Das Schiff ist flott, Und wer jetzt ruht, 222
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Der wird zum Spott, Wer einen guten Wind versäumt, Der hat sein bestes Glück verträumt. R i t t e r . Ihr seht, mit diesen Leuten ist nicht viel zu spaßen, Sie haben derbe Fäuste zum Anfassen. K a i s e r . Ach Ritter, ich gäbe euch gerne was mit, Euer Fräulein hat Kleider von schlechtem Schnitt, Ich will zu meiner Frau gleich gehen, Die wird sie willig mit bessern versehen. M a t r o s e n . Kein Augenblick Sey mehr versäumt, Des Sturmes Tücke Das Meer jetzt räumt, Und blauer Himmel überall Und aller Vögel Wunderschall. K a i s e r . Ja wär mein Kasper nur zurück, So störte nichts der Abfahrt Glück, Doch der muß euch erst Pässe geben, Sonst kommt ihr nicht davon mit dem Leben. R i t t e r (vor sich). Ich hol den Kanzler aus dem Topf, Er bleibe bei dem armen Tropf. (Laut) Da kommt der Kanzler schon angegangen, Nach Pässen habe ich kein Verlangen, Weil ich sie alle mir selber kann schreiben, So darf ich länger nicht hier verbleiben. K a i s e r . Wenns also ist, so fahrt mit Gott, Aufm Meere scheint mein Name ein Spott, Dieweil ich nicht kann die Seefahrt ertragen, So mögen die Schiffer nicht viel nach mir fragen. R i t t e r . So ist es leider, mein gnädiger Kaiser, Doch ihr seyd drüber hinaus als Weiser. (Vor sich) Ich kann das eine Bein noch nicht finden, Sonst thät ich den Kanzler ganz eilig verbinden. K a i s e r . Ihr sehet den Kanzler, ich seh ihn nicht. R i t t e r . Jetzt ist er recht nahe euch im Gesicht. (Vor sich) Das Bein ist da und auch das Gesicht, Wir müssen fort, noch ehe er spricht. (Laut) Nun werdet ihr ihn doch erblicken. 223
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K a i s e r . Es will mir wirklich noch nicht glücken. K a i s e r i n . Er steht ja vor euch so kurz und so breit. K a i s e r . Ich dachte, er käm von jener Seit, Willkommen, du lieber Kasper, mein, Wir sollen nun wieder alleine seyn, Geh, küsse die Hand der gnädgen Frau, Und diesen Wein dem Schiffe vertrau. K a s p e r . Wo ist denn der Kopf, sitzt er jetzt fester. R i t t e r . Ich habe noch nichts getrunken, mein Bester. K a i s e r . Der Kasper spricht ja ganz unverständig, Ich glaube, wir werden regieren elendig! So lebt denn wohl, vergeßt mich nicht. K a i s e r i n . Das wäre die allerschlimmste Pflicht. R i t t e r (steigt mit ihr ein). Lebt wohl, mein Kaiser, grüßt eure Frau, Wie kommt es, daß sie nicht niederschau. K a i s e r . Das dumme Ding kommt nicht ans Fenster, Der Hochmuth macht ihr solche Gespenster, Es ist doch lustig anzusehn, Wie sich die Segel alle drehn! K a s p e r . Aber Herr, die Kaiserin zieht ja fort, Wie kann sie denn sehen aus dem Schlosse dort. K a i s e r . Nicht wahr, sie gleicht der Kaiserin sehr Erst dachte ich auch, daß sie es wär, Doch meine Frau, die schnarcht jetzt im Schlosse, Der Ritter wär ihr ein schlechter Genosse, Sie liebet so hübsche runde Leute, Wie ich es bin – ich heirath sie heute. R i t t e r . (Auf dem Meere). Lebt wohl, eure Braut ich stohl, K a i s e r i n . Allzulang litt ich eurer Liebe Zwang. M a t r o s e n . Hat der Wind uns erst ergriffen, Lachen wir des festen Lands, Und dies Lied wird da gepfiffen: Wind, der achtet keines Stands; Ob ein Kaiser unterm Segel, Oder ein gemeiner Flegel, Ist dem Winde einerlei, 224
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Keinem Menschen ist er treu, Doch vor allen mag er necken Ehekrüppel, Liebesjecken, Führt einst Helena von dannen, Weiß die Griechen lang zu bannen, Die sie suchen auf dem Meer, Liebe führt er leicht daher, Liebe führt er schnell zum Ziel, Nun Ade, du Possenspiel. (Das Schiff verschwindet).
K a i s e r . Ich werde aus dem allen nicht klug. K a s p e r . Die Kaiserin weiß wohl mehr als genug. K a i s e r . Ich will bei ihr nach allem fragen. K a s p e r . Ach laßt das in so betrübten Tagen, Wer viel frägt, der muß viel hören, Und schweigen wir, bleiben wir alle bei Ehren, Ich habe doch mehr als ihr ausgestanden, Mir kamen ein Dutzend Glieder abhanden, Und in den andern ist keine Besinnung, Und in dem Kopfe ein großer Sprung. K a i s e r . Ich ahnde schlimme Verwechselung, Die Kaiserin mir vielleicht entsprung? K a s p e r . Ich meine, ihr habt ganz recht gerathen. K a i s e r . Was soll ich beginnen bei solchen Unthaten? Mich hält ein jeder künftig zum Narren, Und meinet, ich hätte wie ihr, einen Sparren. K a s p e r . Ich meine, wir schleichen uns sachte fort. K a i s e r . Und sehen aus einem versteckten Ort. K a s p e r . Wer künftig in unserm Schloß wird regieren. K a i s e r . So werden wir auch die Leute anführen, Wir sind dann die Narren nicht allein, Ein jeder Bürger wird angeführt seyn. (beide ab in den Wald.)
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C h o r d e r S c h l o ß g e i s t e r . Aus den ersten stürmenden Tagen, Wo der glühende Schöpfungswagen Nahe der gährenden Erde fuhr, Steiget die bildende Kraft der Natur, Was sie thut, das muß sie vollbringen, Ohne Freiheit ein Allesgelingen, Denn sie thut nur, was fordert die Noth. Auch der Mensch folgt ihrem Gebot, Seine Gesetze sind ewige Schranken, Seine Träume ewge Gedanken, So entwickelt sich Menschenkraft, Die in spielender Freiheit schafft, Und es geschieht das göttlich Freie, Und er empfängt des Glaubens Weihe. Herrlich ist nur, was frei geschaffen, Was sich versündgen kann und sich bestrafen, Und so steiget im Menschengeschlecht Frei empor, was nichtig und schlecht, Und die Geschlechter wachsen vergessen, Was sie einst als Höchstes besessen, Lassen die Erde aus ihrer Haft, Wo sie gebunden von Schöpfungskraft, Und sie tritt zerstörend hinaus, Freies Wirken erlischt in Graus. D e r Te u f e l (steigt aus der Regierungsmaschine heraus). Verlassen steht der mächtge Thron, Da kann ich sprechen der Welt Hohn, Die Regierungsmaschine ist unbesetzt, O süße Bosheit, wie wirst du ergötzt, Wie will ich spotten der ganzen Welt, Wenn sie in sich selber zerfällt, Ich nehme die Krone, ich nehme das Kleid, 226
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Und geheiligt erschein ich der Welt zum Leid, Ihr Menschen, kommet einmal herbei. M e n s c h e n . Sey uns gegrüßt mit Freudengeschrei, In unsern Festen, mit schönen Künsten. D e r Te u f e l . Ihr ehrt mich allein in Feuersbrünsten, Wenn ihr geistige Thorheit vergeßt, Euch unter einander gierig auffreßt; Das Eine ist nur nöthig der Welt, Der Krieg allein mir wohlgefällt, Die Taktick ist menschliche Wissenschaft, Die Kunst ist eine niedere Kraft. M e n s c h e n . Hohe Weisheit. Unsre Kunst war nichts werth, Nur der Waffenklang Menschen belehrt, Fechtet, streitet, wer übrig bleibt, Das Paradies auf Erden beschreibt. (Sie fechten).
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Te u f e l . Ha, wie sie sich im Streit ermüden, Bald haben wir nichts als Invaliden, Jetzt, dumme Thiere, kommt eilig herbei, Ich mache euch jetzt vom Menschenjoch frei. Kein Mensch darf mehr euch Ochsen braten, Die Affen dürfen die Menschen heirathen, Die Offenbarung wird abgeschafft, Sie würd’ euch schützen, hätte sie Kraft. M e n s c h e n . Wir armen müden lahmen Leute Werden nun sicher der Thiere Beute, Nachdem wir für deinen Thron gestritten, Begeisterung ist uns ganz abgeschnitten. T h i e r e . Wir danken für die Gerechtigkeit, Die uns versaget so lange Zeit, Jetzt wollen wir uns an Menschen rächen, Und ihnen das hohe Genick zerbrechen, Bis sie auch gehen auf allen vieren, Gleich uns andern edleren Thieren. Te u f e l . Ihr kämpft für den größten unendlichsten Wahn, Und große Seelen erzieht große Bahn.
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K r o k o d i l l . Mein gnädiger Kaiser, ich bin so beschämt, Daß ihr mir jetzt die Nahrung nehmt; Wenn ihr die Menschen laßt alle verderben, So muß ich endlich selbst Hunger sterben. Te u f e l . Das Krokodill hat verständige Art, Ich befehl euch, setzt ihm Menschen apart, Es hat sich immer als Leckerbissen, So nach der Mahlzeit einen zerrissen, Das soll man dem lieben Thiere noch gönnen, Es wird ihm dabei so sauer das Rennen, Das liebe Würmchen ist steif in dem Rücken, Da wußten die Menschen es oft zu berücken, Jetzt soll man die Menschen halten und binden, Da kann es sie nach Gefallen schinden. E s e l . Mein gnädger Kaiser, ich will Gerechtigkeit, Ich bin der Prügel gewohnt zur Zeit. Mir juckt der Rücken, wenn sie mir fehlen, Da bitt ich euch, dem Menschen zu befehlen, Daß er mir gebe der Prügel so viel, Als mir nöthig nach meinem Gefühl.
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Te u f e l . Das ist verständig, ich muß es gestehen, Einem jeden Thiere soll seine Lust geschehen.
II. Kaiser und Kasper werden von einem Affen an einem Strick geführt und müssen Kunststücke machen.
A f f e . Aufgeschaut, ihr lieben Thiere, Seht, wen ich am Stricke führe, Die beiden kleinen dicken Leute, Die fand ich im Walde mit großer Beute, Der eine trug eine goldne Krone, Die trage ich jetzt zu seinem Hohne. K a i s e r . Es sind ja unbegreifliche Dinge, Daß ich nicht befehle und daß ich mich zwinge.
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K a s p e r . Es muß sich alles geändert haben, Während wir nach den Trüffeln gegraben. Te u f e l . Ihr Herren, wenn es euch hier nicht gefällt, So hab ich noch drunten die Unterwelt, Der Eingang ist die Regierungsmaschine, Wollt ihr besehen die höllische Bühne. K a i s e r . Ich will gar gerne zum Höllengraus, Damit ich nur komme zur Welt hinaus, Ach hätt ich geglaubt, daß solche Noth In aller Welt um das tägliche Brodt, Ich hätte sicher mit Fleiß regiert, Und kein so faules Leben geführt. Te u f e l . Jetzt ist es zu spät, jetzt geht nur hinein, Wo ihr ins künftge sollt ewig seyn. K a i s e r (steigt in die Maschine). Ich sage euch meinen verbindlichsten Dank, Doch finde ich etwas enge den Gang. Te u f e l . Eure gute Braut mußt durch ein engeres Loch, Eh sie aus eurem Schloß zur Freiheit kroch. K a s p e r . Der gnädige Kaiser mit seinem Bauch Verstopft mir den Gang, das ist kein Brauch. Te u f e l . Was brachst du ein Loch, die Kaisrin zu sehen, Jetzt mußt du länger im Dunkeln stehen. K a s p e r . Seine Majestät bleiben hier schlafend stecken, Te u f e l . So mußt du ihn mit Fußtritten wecken. K a s p e r . Jetzt rollet er ganz glatt herunter; Es ist hier in der Hölle doch munter.
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M e n s c h e n . Wir möchten auch gerne ein Plätzchen da kriegen, Wir gingen zur Hölle mit rechtem Vergnügen. Te u f e l . Ich will sehn, was ich thun kann, Die Hölle ist nicht für jedermann, Man muß sich Verdienste um mich erwerben, Sonst laß ich euch nicht so leicht hier sterben. 229
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M e n s c h e n . Ach gnädger Herr, dich unsrer erbarm, Die Welt ist kalt, die Hölle ist warm. Te u f e l . Ihr sollet dienend zur Hölle mich führen, Zum Zeichen, wie gut ich euch kann regieren. M e n s c h e n . Der Siegeswagen ist schon bereitet. Te u f e l . Auf lustig zum Höllenthor niederschreitet. Ade du Welt, voll wilder und dummer Thiere, Es lohnt nicht der Mühe, daß ich dich regiere.
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(Teufel und Menschen ins Höllenthor).
IV. O c h s . Seitdem mir der Mensch kein Heu mehr reicht, Mir alle Kraft aus den Knochen entweicht. E s e l . Sonst hatten wir’s so bequem im Stall, Nun werden die Bissen mir gar zu schmal. B i e n e . Ich sinke in meinem Honig unter, Sonst ging mir die Arbeit so rasch und munter. H u h n . So soll mich doch Gott davor behüten, Daß ich soll all meine Eier ausbrüten. We i ß f i s c h . Wenn die Hechte nicht weggefangen werden, So bleibet kein Weißfisch hier auf der Erden. H i r s c h . Mir wachsen so entsetzlich lange Geweihe, Daß ich nach dem Tode mit Sehnsucht schreie. H u n d . Ich hätte jetzt rechte Lust, dich zu hetzen, Doch ohne Jäger kannst du mich verletzen. Ach kämen die Menschen doch nur bei Zeiten, Wir wollten sie selbst zum Throne leiten, Und wollten mit allen unsern Kräften Sie schützen in ihren Regierungsgeschäften. S t o r c h . Ihr Freunde, ich sehe ein Schiff von weiten. P f e r d . Ach Jubel, da werden die Menschen mich reiten. O c h s . Da müssen wir gleich entgegenkommen. E s e l . Damit sie sich fühlen gut aufgenommen, Die Eselinnen kleiden sich weiß, Und tragen ein grünes Friedensreis, 230
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Zweiter Aufzug. III/IV/V
O c h s . Auf weissem Küssen die Kaiserskron, Die locket Menschen auf unsern Thron.
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Die Engel ziehn das Schiff am Maste gegen das Land, worin der Ritter, die Kaiserin und Matrosen abfuhren.
D i e E n g e l . Ihr sehet nicht die hohe Hand, Sie führt euch zum Rhabarberland, Ihr sollt die Thiere zu Menschen erziehen, Das ist ein göttlich reines Bemühen. 10
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M a t r o s e . Ritter, welch Wunder ich euch verkünd, Es geht das Schiff heut gegen den Wind. R i t t e r . So müßt ihr lavieren, das ist das Best’. M a t r o s e . Eine höhere Hand hält uns hier fest. K a i s e r i n . Wir sind verloren an dieser Küste. R i t t e r . Die gute Sache mit Muth dich rüste. M a t r o s e n . Umsonst ist unser Widerstand, Uns führet eine höhre Hand. K a i s e r i n . Wir sind verloren in diesem Land, Der Kaiser ist sicher von Wuth entbrannt.
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R i t t e r . Ich schütze dich, schöne Kaiserin, Mein Leben geb ich für deines hin. M a t r o s e n . Ei seht doch, Herr Ritter, den Kreis von Thieren, Sie halten die Krone in ihren vieren.
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R i t t e r . Gewiß war hier eine Staatsaction, Rhabarber herrschet nicht mehr auf dem Thron. E s e l . Als Redner bin ich hier vorgetreten, Ihr guten Menschen, seyd freundlich gebeten, Hier anzulegen. Steiget ans Land, Nehmet die Krone aus meiner Hand, Wir fürchten, sie möchte noch endlich platzen, Wenn wir drauf tappen mit unsern Tatzen.
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R i t t e r . Ich setze sie meiner Frau auf das Haupt, Die ihrer Krone durch mich ward beraubt, T h i e r e . Wir schwören euch Treue, daß alles schallt, Und illuminiren den ganzen Wald, Es lebe der Kaiser, die Kaiserin, Wir gehorchen euch in treuem Sinn. R i t t e r . Nun saget mir doch, ihr lieben Thiere, Wie kommts, daß ich keine Menschen verspüre. E s e l . Den Kaiser, den Kasper, die Menschen alle Hat der Teufel gelockt in eine Falle; Sie gingen in die Maschine hinein, Der Himmel weiß, wo sie jetzt mögen seyn. R i t t e r . Ihr Freunde nehmt die Regierungsmaschine, Sie hat vernichtet alles Freie und Kühne, Und werfet sie in das tiefe Meer, Damit uns kein unnütz Gesetz mehr beschwer, Dann leben wir hier wie im Paradies, Das uns der Himmel nach Leiden verhieß. K a i s e r i n . In deiner Lieb ist mein Paradies, Wo mich sonst jede Freude verließ. Wir wollen in Lieb und Beschaulichkeit Nun treiben unsere Ewigkeit. M a t r o s e n . O selige Fahrt Zum Paradies, Er hat uns bewahrt, Der’s allen verhieß. T h i e r e . Wie hat sich doch alles zur Freude gewendet, Ihr Hörer, jetzt klatschet, das Spiel ist geendet.
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Herr Hanrei und Maria vom langen Markte. Ein Pickelheringsspiel. (Frei bearbeitet nach dem Altdeutschen.) 5
Spieler.
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H e r r H a n r e i , ein Krämer. P e t e r , Hanrei’s Sohn. H a n s P i c k e l h e r i n g , Hanrei’s Bedienter. Brautvater. M a r i a vom langen Markte. Soldat. Nachbar.
Erster Aufzug. 15
(Straße vor Hanrei’s Hause.)
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H a n r e i . Holla, holla, mein treuer Diener Hans? H a n s . Hier, hier alter Narr! H a n r e i . Wie sagst du, Hans? H a n s . Nichts habe ich gesagt, alter Herr? H a n r e i . Höre Hans, mein treuer Hans, heute werde ich Hochzeit machen, so Gott will. H a n s . Wie wollt ihr das machen, mein Herr? H a n r e i . Wie? Ich heirathe eine gar junge schöne Jungfrau, kennst du nicht die schöne Maria vom langen Markte, das wird die Braut seyn, mein lieber Hans.
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H a n s (vor sich). Hoho, die kannte das Peterchen besser als du, alter Narr. (Laut) Da werden wir das Haus wohl einmal ausfegen müssen? H a n r e i . Freilich, du mußt fleißig alles vorbereiten, die bunte Kuh muß geschlachtet werden, damit wollen wir uns fröhlich machen, geh flink, mein treuer Hans. (Hans ab.) H a n r e i . Nun wirds nicht lange währen, so kömmt meine tugendreiche Maria, meine junge Braut. O ich bin so alt nicht als man nach meinem Ansehen glaubt, ich habe nur etwas wild gelebt, siebzig Jahre sind kein Alter, ich bin noch ein rascher Bursche. Mein Sohn Peter ist verschollen, ein Dutzend Söhne, wie die Kegel, sollen mich erfreuen, ich bin noch so frisch auf meinen Beinen, frisch auf, frisch auf. (Er springt ein wenig in die Höhe) So kann ich noch springen. Meine liebe Braut soll so tugendhaft seyn, ihr Vater hat mir geschworen, sie hätte nirgend ihres Gleichen gefunden! Das paßt sich recht, ein alter lustiger ausgefeimter Geselle, wie ich bin und ein unschuldiges Kind, das von nichts weiß, sie wird sehr glücklich werden. – Sieh da, sieh, da kommt meine allerliebste Braut mit dem lieben Brautvater. (Braut und Brautvater treten ein.) Va t e r . Glück zu, Glück zu, mein lieber alter Freund und Zechbruder, da bringe ich dir deine Braut, das arme unschuldige Ding, sie weiß noch nicht, was ihr bevorsteht. H a n r e i . Habt Dank, seyd willkommen. Meine schöne Maria, mein Zuckerplätzchen, seyd von Herzen tausendmal willkommen, seyd nur nicht bange an dem heutigen Tage, ihr werdet auch nicht sterben. Gebt mir einen Kuß. M a r i a . Das schickt sich nicht für eine ehrliche Jungfrau, einen Mann zu küssen. Va t e r . Nun lieber alter Hanrei, ihr seht, wie erschrecklich tugendhaft meine liebe Tochter ist, ich übergebe sie euch, ihr müßt das scheue wilde Füllen zähmen. H a n r e i . Nun Maria, bald sind wir ein Leib und eine Seele; o Maria, seyd doch vergnügter; ich sehe zwar alt aus, aber ich bin noch sehr frisch. Liebt ihr mich auch? M a r i a . Warum nicht, mein herzlieber Bräutigam, das Leben wollte ich für euch lassen, ich hoffe an euch einen wackern Eheherrn zu finden. 234
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Va t e r . Hört nur, wie brav sie spricht, ja das Kind hatte eine kluge Mutter, bei der ich wohl sieben Jahre wie Jakob zur Probe gedient habe, ehe sie mich geheirathet hat. Ihr habts leichter, alter Hanrei! H a n r e i . Das ist mein Glücksstern, meine Klugheit. Habt ihr gehört, sie will das Leben für mich lassen, das liebe Kind. O mein Lämmchen, mein Schäfchen, wie freut es mich, daß du dein Leben für mich lassen willst. Das hätte meine vorige Frau niemals für mich gethan. Nun sag mir doch, wenn ich früher sterbe als du, willst du wieder heirathen? M a r i a . Nimmermehr, lieber ginge ich gleich in ein Kloster, nein, dann will ich mich an eurem Grabe todt weinen. Va t e r . Hört nur, hört, sie ist recht brav erzogen. H a n r e i . Maria, du bist ein rechter Engel, dir zu Gefallen will ich so lange leben wie du, ich schwör es dir, dafür gieb mir einen Kuß. M a r i a . Ich danke euch sehr (sie wischt sich den Mund). H a n r e i . Ja dieser Kuß war süßer als Honig! He Hans, bringe Wein. Ein gutes volles halbes Achtel soll meiner Braut zu Ehren vertrunken werden. H a n s . Hier ist Wein vom allerbesten, ich hab ihn gekostet. H a n r e i . Dies Achtel ist leer. H a n s . Ich muß das Maul voll haben, wenn ich Gesundheit trinken will. Juchhe: Es leben die jungen Verlobten, der alte Herr Hanrei und die junge Maria vom langen Markt? (Hanrei, Maria, Vater und Hans gehen ins Haus.)
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P e t e r (kommt). Das war eine lange Reise, hätte es nicht gedacht, daß ich mich so ablaufen sollte, um gelehrt zu werden. Das ist nun meines Vaters Haus, heißt auf lateinisch domus, der Vater pater, ich, der Sohn, filius, das weiß ich nun alles. Geld heißt pecunia, das weiß ich auch, aber ich habe keins, in den sechs Jahren habe ich alle meine Barschaft zugesetzt, es wäre mir lieb, wenn ich den Vater, pater lebendig fände und wenn er mir Geld, pecuniam geben wollte. Aber wer kommt da aus dem Hause mir entgegen? H a n s (kommt) Hochzeit! Hochzeit. Ho, ho, wen sehe ich da? Ist er’s? Ist er’s nicht? Sollte es nicht Musje Peter, des Herrn Sohn seyn. Ja, er ist’s wahrhaftig. O Herr Peter, Herr Peter, hab ich euch doch in hundert Jahren nicht gesehen, seyd willkommen. 235
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P e t e r . Salve, das heißt, sey mir gegrüßt, oho, noch der alte Hans, habe dich lange nicht gesehen, aber hundert Jahre sind es noch nicht, sondern sechs Jahre, drei Wochen und vier Tage. H a n s . Das habt ihr gut ausgerechnet, ihr kommt wie gerufen, denn heute ist der Hochzeittag eures jungen Vaters mit einer alten Jungfer. P e t e r . Ich bin erfreut, daß meinem Vater noch dergleichen in den Sinn kommt, sage ihm meine Ankunft. H a n s . Es soll gleich geschehen, holla, holla (er pfeift). Mein Herr, kommt eilig heraus. H a n r e i . Was pfeifst du, mein treuer Hans? H a n s . O Herr, unser Sohn ist zu Hause gekommen, das Peterchen und hat einen grausam runden Bart wie ein holländischer Käse. H a n r e i . Eine Freude über die andre, zeige mir meinen lieben Sohn, den ich seit sechs Jahren nicht gesehen. H a n s . Könnt ihr denn nicht sehen, Herr, da steht er ja in dem Sommerkleide aus Flicklappen. H a n r e i . O mein Sohn Peter, hast einen Bart, einen großen Bart dir zugelegt. Das ist mein Sohn, mein einziger, mein liebster Sohn, ganz seiner Mutter Ebenbild, bis auf den Bart, sie hatte einen grauen Bart. P e t e r . Ich danke euch, mein liebster Vater, euch gesund wiederzusehen, ist meine höchste Freude, ich habe unterdessen viel Latein gelernt. H a n r e i . Stehe auf, mein lieber Sohn, du bist zur rechten Zeit gekommen, da ich jetzt Hochzeit mache, vielleicht kannst du mir ein Pickelheringsspiel dazu machen. P e t e r . Comoediam Terentii, die Schauspiele des Terentius weiß ich auswendig, voran aber, indem ich euch Glück und Heil zu dem festlichen Tage wünsche, erbitte ich mir von euch Geld, um mich festlich zu kleiden. H a n r e i . O mein Sohn, sag mir von keinem Gelde, wenn ich dich nicht verfluchen soll, deine Kleider sind noch gut genug. P e t e r . O liebster Vater, warum wollet ihr so kargen, meine Kleider, wie ihr sehet, sind nicht hochzeitlich, was wird eure Braut sagen, die gewiß aus einem vornehmen Geschlechte entsprossen ist. 236
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H a n r e i . Gewiß, du sollst dich verwundern, sie ist von Adel und heißt die Maria vom Langenmarkte. P e t e r . Was? Die Pelzmarie, die am langen Markte wohnte. O verfluchte Stunde, die mich hierher gebracht. H a n r e i . Warum, mein Sohn, soll sie nicht am Markt wohnen. P e t e r . O warum habt ihr kein anderes Mädchen erwählt. So hat meine Liebschaft noch meinem Vater zu Theil werden müssen, sie könnte ja ein Kind von mir haben, wenn es Gottes Wille gewesen wäre. H a n r e i . Was, wie, du ehrloser Schelm, pfui, gehe mir aus den Augen, meine fromme, meine ehrliche Maria zu beschimpfen, weil du mir keine Frau gönnst, weil du deine Erbschaft nicht mit einem Dutzend andrer Kinder theilen magst. Schelm, hab ichs gerathen, daher weht der Wind: aber dir zum Possen will ich mir zwei Dutzend Kinder anschaffen. Fort, mir aus den Augen. H a n s . Aber Peter, wie habt ihr sechs Jahr studirt und seyd noch so dumm, ihm die Wahrheit gerade ins Gesicht zu sagen. H a n r e i . Die Wahrheit, Schurke, die Wahrheit, euch beide verbundene Schelme jage ich fort, laßt euch nie vor meinem Hause oder gar darin sehen, sonst seyd ihr Narren, die Schläge haben wollen. (Er jagt sie mit Schlägen fort.) Meine Braut, meine ehrliche Braut ist so ehrlich, hat mich so greulich lieb, daß ichs kaum glauben kann, gleich will ich sie küssen. (ab ins Haus.) (Peter und Hans kommen wieder.)
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P e t e r . Tausend Dank für deine Treue, mein guter Hans, mein ehrlicher Hans, da habe ich dich um deinen Dienst gebracht und ich selbst bin nun ein Landstreicher, ein verlorner Sohn, filius. H a n s . Mit mir hat’s keine Noth, mich braucht er so nothwendig wie seinen Krückstock, ohne mich kommt er nicht fort, wenn ich nicht von selbst komme, giebt er mir noch gute Worte obenein. Ihr sollt nur sehn (klopft an das Haus). He, alter Herr, aufgemacht, schnell aufgemacht. H a n r e i (im Hause). Bist du draussen, mein Hans, mein getreuer Hans, komm herein und feg die Spinneweben ab.
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P e t e r . Nun bin ich ganz allein, solus, das Haus domus, der Tisch, mensa, ist mir vom Vater, pater, verschlossen, da werde ich vor den Häusern singen müssen, und was werden die Leute sagen, wenn sie einen Gelehrten mit einem langen Bart, wie einen Kurrendeknaben herumlaufen sehen. (Singt): Mein Mann ist nächten voll heim kommen, Da hab ich seinen Huth genommen, Wovon er noch nicht wissen thut, Darum ist er ganz ungemuth. S o l d a t (kommt). Bravo, Bruder Peter, hast noch nicht das Singen verlernt und bist schon ein alter Kerl. P e t e r . Wer seyd ihr, habt ja das Antlitz von Hieben so zerkerbt, als wären zwei Gesichter daraus geschnitten. S o l d a t . Ja freilich, Schwartenmagen hat sich was versucht, seit er die Bibel ins Feuer geschmissen und die Kugelbüchse in den Arm genommen hat. P e t e r . Schwartenmagen, liebster Junge, laß dich küssen ei, ich hab viel gelernt, der Soldat heißt miles, der Vater, pater, aber der Vater, pater, jagt den Sohn, filium, zum Hause hinaus, wenn der Soldat, miles, nicht helfen kann. S o l d a t . Laßt eure viele lateinische Gelehrsamkeit im Kopfe ruhen und erzählt mir, was euch fehlt. P e t e r . Denkt Schwartenmagen, der Vater will meine alte Liebste, die Pelzmarie, heirathen und jagt mich ohne Zehrpfennig in die weite Welt. S o l d a t . Der alte Nußknacker! Geht, mein guter Peter, euch soll geholfen werden, ich will sie ihm schon verleiden. P e t e r . Ach da kommt sie zu meines Vaters Hause heraus, ich mag sie nicht wiedersehen. (ab.) M a r i a (tritt heraus). Man sagt im Sprüchwort, eine harte Nuß, ein stumpfer Zahn, ein junges Weib, ein alter Mann, zusammen sich nicht reimen. Sprüchwort, wahr Wort, der alte Narr ist nach dem Frühstück eingeschlafen und ich soll stille seyn und mich langeweilen. – Je, wer ist doch der Soldat, ich muß ihn kennen. S o l d a t . Maria, Herzens-Maria, kennst du mich noch, lang nicht gesehen, lang nicht mit einander fröhlig gewesen, auch lang nicht die Laute geschlagen. 238
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M a r i a . Ich kenne euch nicht, aber ihr seyd mir lieber, als mein alter Bräutigam, ihr scheint ein wackrer Bursche. S o l d a t . Wer ist denn euer Bräutigam? M a r i a . Ach der alte Herr Hanrei, der verfluchte Wucherer, mein Vater hat mich dazu beredet, er hat mir all sein Geld vermacht. S o l d a t . O der alte Geitzteufel, den wollen wir bald todt machen, ich kann nicht von dir lassen, du nicht von mir und der Alte giebt das Geld, was mir im Kriege ganz flüchtig geworden ist, das Geld hat keine rechte Kurage. M a r i a . Sey zufrieden, das Geld hat sich beim Alten verkrochen, ich will alles für dich bezahlen. (Er küßt sie). S o l d a t . Ich gehe für dich durchs Feuer, steige in stockfinstrer Nacht eine glatte Mauer herauf. M a r i a . Ach wie küßt du dich so anders als der Alte! S o l d a t . Mein Herz steht in Flammen, ich muß den Marsch singen: Falala, la Falala. Komm tanz mit mir! M a r i a . Falala. (Sie tanzen). (Der Alte tritt zum Hause heraus, sieht sie verwundert an). H a n r e i . Ach, ach, ach, ach, falalala. Was will der Kerl mit meiner Braut? (Er schlägt mit seiner Krücke zwischen beide.) Falalala, Falala. Pfui, du Kerl, die Nase will ich dir abschneiden. (Beide erschrekken) Falalala, was zum Teufel Marie, dazu hat dich der Vater nicht in mein Haus geführt, was sollen die Leute sagen. Geht in mein Haus, mein Mariechen. Du weinst jetzt die bittern Thränen, weil ich dich geschlagen habe, aber du hattest Schuld, weil du mit einem fremden Manne tanztest, Falalala. Auch ärgerte es mich, daß der gräuliche Kerl dir beim Umdrehen einen Kuß gab. Du bist mein Lämmchen, weine nicht, dem greulichen Kerl aber will ich die Nase, – gleich will ich sie ihm abschneiden. (Zieht sein Messer). S o l d a t . Beim Element, willst du Nasen abschneiden, so nehme ich dir dein rostig Messer und will dir deine vorerst abschneiden, und will sie dir in deine Tasche stecken, daß du an deinem Gelde riechen kannst. H a n r e i (läuft zurück). Maria, das muß der Teufel selbst seyn, er will mir die Nase mit meinem eigenen Messer abschneiden. 239
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M a r i a . O wie bin ich erschrocken, o herzlieber Bräutigam, wie übel habt ihrs gemacht, der mit mir tanzte und den ihr geschlagen, das ist unser Schwager. Auf unsre Hochzeit hat er kommen wollen, wie übel habt ihr ihm willkommen geheissen. Schwager, der ist mein Bräutigam, euer künftiger Schwager. S o l d a t . Er mag des Teufels Schwager seyn, ich habe, wenn ich sie zusammen rechne, wohl hundert Schwäger, aber so hat mich noch keiner bewillkommt. Schade ists um euch, Schwägerin, daß ihr solchen bösen Mann bekommt, bei dem ihr keinen Augenblick eures Lebens sicher seyd. H a n r e i . O Herr Schwager, vergebt mir meine Heftigkeit wegen meiner Unwissenheit, ich wußte nicht, daß ihr unser lieber Schwager! Allerliebster Herr Schwager, seyd doch fröhlig und guter Dinge, seyd doch freundlich und willkommen. S o l d a t . Wohlan, wegen der Frau Schwägerin will ichs euch vergeben, daß ihr mich so greulich geschlagen habt, ich wills vergessen. H a n r e i . So mein lieber Schwager, recht so, wollen als gute Schwäger leben, kommt in mein Haus, wollen eine Mahlzeit mit einander halten, will es euch vergelten, daß ich euch so unschuldig geprügelt habe, vergelten will ichs reichlich, denn ihr sollt heute mit uns essen, und ich habe viel eingeschlachtet zum heutigen Tage. S o l d a t . Obgleich ich euch alles vergebe, so kann ichs dennoch nicht vergessen; mit euch ins Haus zu gehen, habe ich ein Bedenken, denn wenn ich im Hause wäre, könntet ihr wohl aufs neue mit eurem Krückstock auf mich einhauen, nein, ich will mich zurückziehen. H a n r e i . Liebster Schwager, ich will den Stock bei Seite stellen, will euch wahrlich nicht schlagen; frommer Schwager, ehrlicher Schwager, sanfter Schwager, kommt in mein Haus. S o l d a t . Nein, nein, der Gebrannte scheuts Feuer, die Schläge schmerzen mich noch sehr, ich glaube fast, daß ihr mir die Kreutzwirbel durchgehauen habt. Liebt meine Frau Schwägerin, seyd ihr treu, denn ich höre in der Stadt, ihr wäret bisher ein lockerer Vogel, eine muntere Fliege gewesen und damit Gott befohlen, ich geh in mein Wirthshaus. (will gehn). H a n r e i . Liebe Maria, lauf nach, halt ihn, bitt ihn recht herzlich, daß er bei uns bleibt. 240
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M a r i a . Lieber Schwager, vergebt meinem lieben Bräutigam die wilde Hitze, er hat ein heisses Blut und einen grimmigen Muth, er hat euch nicht gekannt, bleibt bei uns, wenn ihr einmal hitzig gegen ihn werdet, soll er es auch nicht übel nehmen. H a n r e i . Ja Schwager, ich will auch einen Pumps von euch für lieb nehmen. S o l d a t . Nun Frau Schwägerin, weil ihr so sehr bittet, will ich euretwegen bleiben. H a n r e i . Mein großmüthiger Schwager, wie hoch bin ich erfreut, vergeßt alles und bleibt allezeit mein Schwager. S o l d a t . Wir wollen alles bei einem Glase Wein vergeben und vergessen. H a n r e i . Kommt, ich will euch den Weg zeigen, erlaubt, daß ich vorangehe, Maria, führ den Herrn Schwager. (Indem sie ins Haus gehen, küßt der Soldat die Maria; sieht sich der Alte um, so sehen sie einander gravitätisch an, das wiederholen sie).
Zweiter Aufzug. S c h a u p l a t z : Zimmer in Hanrei’s Hause. 20
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H a n r e i (allein). Hum, hum, es ist doch ein rechter Ärger mit dem todtkranken Peter, der den Herrn Pfarrer begehrt hat, nun kann er mich erst spät Abends trauen, was doch der dumme Peter angefangen hat, daß er so todtkrank geworden. Meinetwegen hätte er morgen sterben können, wenn er nur heute nicht den Pfarrer hätte zu sich rufen lassen. Und was mir die Nachbarn in die Ohren sagen, hum, hum, daß meine Frau den Schwager hinter meinem Rücken küßt, hum, hum, kann es doch nicht glauben, hum, hum, und daß es mein Schwager nicht sey, sondern der junge Schwartenmagen. Es ist alles erlogen, meine Braut hat mich greulich lieb, sie ist ein tugendhaftes Mädchen, das beneiden sie mir. Hum, hum, aber weil es doch die Nachbarn sagen, will ich sie einmal auf die Probe stellen und das Gerücht zu schanden machen. Holla, mein treuer Hans komm zu mir. H a n s . Hier bin ich Herr, was ist euer Begehren? 241
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H a n r e i . Komm her, mein Hans, gieb wohl acht, was ich dir sage, ich muß ausreisen und komme in acht Tagen nicht wieder, bis dahin bleibt noch meine Hochzeit ausgesetzt, bewahre mein Haus, schliesse Abends die Thüre gut zu, leg den Schlüssel unter dein Kopfkissen, lasse niemand ins Haus, auch den Schwager nicht. H a n s . Will den Schwager nicht einlassen. Aber Herr, ein Trinkgeld muß ich voraus haben bei solcher beschwerlichen Aufsicht, sonst bleibe ich nicht wach. H a n r e i . Freilich mein Hans, daran habe ich lange schon gedacht, da habe ich einen Schatz, aber ich rathe dir, daß du dich nicht vollsäufst und läßt mir den Schwager ein. Trag den kleinen Schatz nicht zu leichtfertigen Weibern, sie möchten ihn dir aus der Tasche stehlen. (Giebt ihm ein Paket). H a n s . Nun bin ich auf einmal ein gemachter Kerl, hier ist ein Dukaten, oder ein Edelstein innen. Uh, was greulich viel Papiere sind darum gewickelt. Daß dich, potz Schlapperment, ist das der große Schatz? Nicht vollsaufen, nicht mit Frauen verschlampen? H a n r e i . Nun mein treuer Hans, ist es nicht genug, einen alten Heller so mildiglich zu verzehren, hierbei will ich es noch nicht bleiben lassen, sondern wenn ich wieder heim komme, will ich dir noch einen solchen Schatz geben; sofern ich alles in Ordnung finde. Hüt wohl das Haus, daß der Schwager nicht hineinkommt. (ab.) H a n s . Geh du alter Hanrei, geh du alter Schelm (macht ihm nach) geh nicht zu losen Weibern, sauf dich nicht voll. Herr, der Schwager soll mir mehr bezahlen als du. Holla, Holla, Fräulein, wo seyd ihr? Fröhlige neue Zeitung. M a r i a . Was giebts, mein lieber Pickelhering, bringst du mir fröhlige Zeitung, so geb ich dir lustiges Geld. H a n s . Fräulein, der alte Geck ist ausgereiset, wird erst in acht Tagen wieder kommen, so lange ist die Hochzeit ausgesetzt. Ist das gute Zeitung? M a r i a . Acht Tage will er fort bleiben, das ist gute Zeitung. Aber sag, was hat er dir befohlen? H a n s . Erst Trinkgeld her. M a r i a . Da hast du eine Handvoll Groschen, die habe ich eben aus seiner alten Sparbüchse geholt. 242
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H a n s . Frau, er hat mir das Haus befohlen und mir gesagt, ich sollte den Schlüssel unter mein Kopfkissen legen, daß der Schwager nicht ins Haus käme. M a r i a . Ja, ja, das schadet nichts, du mußt ihn doch herein lassen. H a n s . Kein Schweizer ohne Geld. M a r i a . Da hast du ein Goldstück. H a n s . Nun hört, da klopft es schon an der Thüre. Wer da? S o l d a t . (draussen). Der Schwager. H a n s . Mein Alter ist ausgereist und hat mir befohlen, die Thüre zuzuhalten, was gebt ihr mir? S o l d a t . Einen blanken Thaler, da hast du ihn! H a n s . Kommt ein, das Fräulein hat euch viel zu erzählen. S o l d a t (tritt ein). Glück zu, meine schöne Maria. Victoria, der Alte ist aus. M a r i a . Heute wollen wir uns lustig machen, schmausen und singen. S o l d a t . Nun das gibt einmal einen lustigen Tag. Juchhei, ich wollte, der Alte bräch sich den Hals unterwegs. M a r i a . Ach wenn er doch nimmermehr wiederkäme. H a n s . O weh, o weh, da kommt der Alte schon wieder, was soll aus uns werden. (Der Alte klopft). M a r i a . Was soll aus mir werden, er wird mich verstoßen. S o l d a t . Er läßt mich hängen. (Der Alte klopft wieder). H a n s . Wer Teufel ist da vor der Thüre? Unser Herr ist nicht zu Hause. Und er hat mir strengen Befehl gegeben, niemand einzulassen. M a r i a . Wir sind verloren. H a n s . Sorgt nur für euch, ich will ihn noch lange vexiren. (Zum Alten, der wieder klopft). Nein, nein, ich lasse euch nicht herein, ich kenne den schelmischen Schwager wohl, aber der Herr ist nicht zu Hause und da kommt niemand zur Jungfer Braut. Geht, oder ich schlage durchs Loch auf euren Huth. H a n r e i (draussen). Höre nur, Hans, da ich der Schwa ger bin, sag es nur dem Fräulein, die wird mich schon einlassen. 243
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H a n s . Du Schelm, geh nur, das Fräulein will dich nicht einlassen, so lange bis ihr Bräutigam zu Hause, das gäbe nur den Leuten zu reden; sie hat mir gesagt, wenn der Schwager käme, sollte ich ihn mit Wasser begießen. H a n r e i . Ist das wahr? H a n s (gießt Wasser durch das Fenster, über der Thüre). Hast du’s gefühlt, Herr Schwager. H a n r e i . Sakerment, das ist genug, ich habe keinen trockenen Faden am Leibe. – Mein Hans, mein treuer Hans, gieß nicht mehr, kennst du mich jetzt an meiner wahren Stimme, ich bin dein Herr und du bist mein getreuer Knecht. O getreu Volk, was ich in meinem Hause habe. O meine treue Braut, die Nachbarn lügen alle. Hans, mach mir auf, ich bekenne dir, daß ich der Schwager nicht bin. H a n s . O mein lieber Herr, seyd ihr’s? (Der Soldat hat sich unterdessen in einem Winkel versteckt, Hans macht die Thüre auf).
H a n r e i (kommt). O mein treuer Hans, du bist ein treuer Diener, ich habe dich über wenig treu erfunden, ich will dich über mehr setzen. Aber wo ist meine liebe Maria? H a n s . O mein lieber Herr, was sollte sie thun? Sie hat sich auch so sehr, so gar wundersehr gegrämet, ja gegrämet hat sie sich, daß ihr seyd ausgereiset und habt ihr nichts gesagt. Seht, da kommt sie schon. M a r i a . Ach mein herzlieber Bräutigam, warum habt ihr mir nichts gesagt, daß ihr ausreisen wolltet, ich habe mich so sehr gegrämt, daß ich vor Angst und Gram nichts wußte, was ich anfangen sollte. H a n r e i . Meine liebe Braut, ich bitte euch, grämet euch nicht so sehr, ich bin ja bald wiedergekommen. (Er küßt sie). Ich will euch zum Troste recht oft küssen. (Sie wischt sich den Mund.) Auch ein Nössel Wein will ich bringen lassen. O was habe ich für eine treue Braut. M a r i a . Mein lieber Bräutigam, ich fürchte doch, ihr werdet böse auf mich werden, ihr lobt mich mit Unrecht. H a n r e i . Nein mein herzliebes Mariechen, was ist es, ich will nicht böse werden. M a r i a . Lieber Mann, in meinem Gram habe ich das Leinenzeug eurer vorigen seligen Frau besehen und da habe ich gefunden, daß die Mäuse in einem Tischtuche ein großes Loch gefressen hatten. 244
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H a n r e i . Nein Mariechen, darum werde ich nicht auf dich böse, sondern auf die Mäuse und auf den Schlingel, den Hans, daß er keine Mäusefalle aufgestellt hat, dafür soll er auch heute den versprochenen Heller nicht bekommen. Laßt doch sehen. (Maria holt das 5
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Tischtuch und spannt es mit Hans gegen die Thüre, der Soldat schleicht sich aus dem Winkel, wo er versteckt war, hinter dem Tischtuche zur Thür hinaus.)
H a n r e i . O die verfluchten Mäuse, sie hätten mich arm gefressen, wenn ich keine Frau nähme. O welche häusliche Frau werde ich an dir haben, Maria, da du gleich in den ersten Stunden für meine Wirthschaft sorgst. O ich habe dich so lieb. M a r i a . O ihr seyd so gut, ich habe euch so lieb. H a n r e i . Hans, hol uns ein Nössel Wein ins untre Zimmer, geht nur voran, ich muß mir eine warme Binde um meinen Leib legen, es ist mir nicht ganz recht. M a r i a . Wenn ihr krank würdet, stürb ich gleich. H a n r e i . Habt keine Sorge, ich habe alle Tage ein paar mal so meine Noth, das kommt vom wilden Leben. (Maria und Hans ab.) H a n r e i . Bin doch keinen Augenblick sicher mit meiner Gesundheit, aber ich hoffe, die Nähe einer jungen Frau soll mich ganz verjüngen, daß ich stark werde wie ein Löwe. Wer klopft da? (Der Nachbar tritt herein.)
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N a c h b a r . Guten Tag, guten Tag, Herr Nachbar. H a n r e i . Dank, Herr Nachbar. N a c h b a r . Ihr solltet doch euren kranken Sohn besuchen, wer weiß, ob er davon kommt, ihr habt ihm groß Leid zugefügt, ihr habt unrecht. H a n r e i . Unrecht? Was, was? Ich hab ihn zum Teufel gejagt, weil er von meiner Braut gelogen, und die ist so ehrlich und fromm wie ein Lamm. Sollte ich das von ihm leiden. N a c h b a r . Hört Nachbar, mit eurer Braut ists nicht richtig, ich wollte es euch eben sagen. Kaum waret ihr weg, so ist der Soldat ins Haus gegangen und kaum waret ihr wieder zurück, so schlich er davon wie die Katze vom Taubenschlage. H a n r e i . Was eben? Ihr habt euch versehen. 245
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N a c h b a r . Meine Frau hats doch auch gesehen, als er heraus war, lachte er und lief eilig fort. Ich glaube, Nachbar, sie denkt sich mit eurem alten Gelde einen jungen Mann zu erheirathen. H a n r e i . Das ist nicht möglich, sie sprach noch eben, wenn ich krank wäre, möchte sie schon sterben. N a c h b a r . Macht einmal den Versuch und stellt euch todt, ich will sagen, ihr wäret an einem Glase Schnaps erstickt, ihr werdet schon sehen, was sie zu eurem Tode sagt. H a n r e i . Ach meine liebe Maria möchte zu sehr erschrecken; erst bestellet ihr ein Schlagwasser, damit sie aus der Ohnmacht erweckt werden kann. N a c h b a r . (Vor sich.) Ohnmacht fallen, alter Filzhuth, das wäret ihr noch werth. (Laut) Ich hab ein gut Schlagwasser bei mir, seyd ohne Sorge, wenn sie in Ohnmacht fällt. H a n r e i . Ein närrischer Einfall, aber darum gefällt er mir, ich hab mein Lebtage so viel wilde Streiche gemacht, kann auch diesen wohl noch ausführen. Nun seht, hier auf dieses Ruhebett will ich mich legen. Liege ich recht wie ein Todter. N a c h b a r . Die Augen müßt ihr noch zumachen. H a n r e i . Aber, da kann ich sie nicht beobachten. N a c h b a r . Ihr werdet genug zu hören bekommen. (Hanrei legt sich). N a c h b a r . Ach Jungfer Braut, Fräulein Maria vom langen Markt, Hans, kommt herein, der Herr erstickt, er hat sich im Brandwein übernommen, kommt doch schnell, ob ihr ihm helfen könnt. M a r i a . Ist er todt? Wahrhaftig! Nun das hab ich immer geglaubt, er würde nur noch ein Paar Tage leben. Sieh da, da liegt die alte Heuschrecke und dachte heute noch Hochzeit zu halten. Ein Glück ists, daß er mir nach der Verlöbniß sein Geld verschrieben hat, so kann ich mir heute gleich meinen lieben Schwartenmagen, seinen vermeinten Schwager, antrauen lassen. Nun der alte Narr, das hätte er wohl nicht gedacht, daß er sein Haus für einen braven Soldaten eingerichtet hat. Wenn nur der Hans hier wäre. N a c h b a r . Warum? M a r i a . Daß er mir meinen Liebsten aus dem Wirthshause holte, der arme Kerl hat sich vorher hinter einem Tischtuche aus dem Hause schleichen müssen und nun führ ich ihn als Herren hier zurück. 246
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N a c h b a r . Gebt mir das Geld her zu dem Begräbnisse des Alten. M a r i a . Keinen Pfennig, mag er im Nasendrücker abgeholt werden. (ab.)
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N a c h b a r . Wie gefällt euch dies, mein lieber Nachbar? H a n r e i . Ja mein guter Nachbar, was dünkt euch? Nimmermehr hätte ich dem stillen sanften Kinde so etwas zugetrauet. Ich kann es in meinem Leben nicht vergessen – nein, nun heirathe ich nimmermehr wieder. N a c h b a r . Und vergeßt nicht euren Sohn. H a n r e i . Ich muß weinen, daß ich den armen Jungen um solch ein verfluchtes Mädchens so habe hinsterben lassen. N a c h b a r . Seyd nur ruhig, es wird nicht so gefährlich mit ihm seyn, wer weiß, er hat auch wohl euer väterliches Herz auf die Probe stellen wollen, aber jetzt könnet ihr ihn auf die Probe stellen, ich will ihm sagen, ihr wäret gestorben. H a n r e i . Recht so, das ist ein rechter Einfall von euch gewesen mit dem Sterben. Ich wollte, ihr hättet ihn nicht gehabt, so könnte ich noch die schöne Maria herzen. (Nachbar ab). H a n r e i . Mir wird recht bange, nun ich hier allein wie ein Todter liegen soll; wie die Würmer nagen, hu und da läuft eine Maus quer über. – Und da klopft einer, es kömmt einer, gewiß mein Sohn. (Er legt sich.)
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H a n s (sieht den Alten liegen). So ists doch wahr, was die Leute sagen, der Alte hat sich so vorm Tod verkrochen, nun hat er ihn doch erwischt. (Er schlägt ihm aufs Maul). Ich wollte wahrhaftig weinen, wenn der Kerl nicht so erzlächerlich mit seinem Hanreisgesichte aussähe. Du alter Schelm, bist schon so steif wie eine Puppe. Nun wirds hier Hochzeit geben mit dem Schwager, da wirds Gold regnen, du alter Knauser hast mir einen alten Heller verehrt. Was wolltest du auch noch Hochzeit machen, konntest das Geigen nicht mehr vertragen. Will doch einmal zählen, wie viel mir die beiden geschenkt haben; Alter, du mußt als Zahlbrett dienen. (Er setzt sich dem Alten aufs Gesicht und zählt auf seinem Leibe.) Au weh, au weh, es spuckt, der Alte hat mich gebissen, es ist ein blutsaugendes Gespenst (läßt sein Geld liegen und läuft davon). 247
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H a n r e i (nimmt das Geld zusammen). Das Geld hätt ich wieder, es war doch von meinem sauer Ersparten. Halt, da kommt wieder einer. (Legt sich, Nachbar und Peter treten herein). N a c h b a r . Ja, mein guter Peter, euer Vater war nicht zu retten, es thut mir Leid, daß ich euch die traurige Botschaft bringen muß. Ein Schnaps war eures Vaters Tod. P e t e r . O nicht doch, Gott behüte, daß dem also, er läßt sich wohl noch retten, wie mich die Schreckenspost vom Krankenbette aufgerissen hat. O mein armer Vater (er kniet neben ihm) o des verfluchten Brandweins. Wie mag es ihn geschmerzt haben, so aus seiner Freude fortgerissen zu werden und doch möchte ich sagen, daß ihm der Tod viel Leiden erspart hat. O mein Vater, wie glücklich bist du, daß du ihren Jubel nicht gesehen, als sie den Soldaten fand. N a c h b a r . Denkt euch, sie will nichts zu seinem Begräbniß hergeben. P e t e r . Armer Vater, du hast ihr alles geschenkt, ich habe nur wenige Bücher, libri, aber ich will sie gern verkaufen, dir, meinem Vater, ein würdiges Begräbniß zu schaffen. Wie kann ich dir je wiedergeben, was ich dir danke. (Hanrei erhebt sich und legt die Hand auf seinen Sohn.)
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H a n r e i . O mein Sohn, deine Liebe hat mich aus dem Todesschlafe erweckt, du bist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein, du sollst alles Vermögen erben, du allein hast mich lieb auf Erden und dieser brave Nachbar, den Gott segne. Du sollst heirathen und sollst mich pflegen bis an mein Ende.
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Dritter Aufzug. Straße vor Hanrei’s Haus. Ein großer Hochzeitzug, voran Hans mit einer großen Trommel, dann Maria und der Soldat, umgeben von vielen Leuten mit Fackeln, weil es schon später Abend ist.
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H a n s . Ich sag euch, daß ich eine rechte Angst im Magen spüre, hier am Hause des Alten, er spuckt, ich sag euch, er hat mich gebissen. M a r i a . Sey kein Narr, trommle nur ordentlich, der alte Narr wird nicht aufwachen, ich habe befohlen, sie sollen ihn im Nasendrücker gleich abholen.
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S o l d a t . Potz Granaten, habe so viel tausend Todte gesehen, es ist noch keiner lebendig geworden, wenn ich nur wüßte, wo der Peter geblieben. H a n s . Ich weiß nicht, mir wird so eigen zu Muthe, als klebte ich hier ans Pflaster fest, es rührt sich was im Hause. M a r i a . Singt doch, ihr Leute. C h o r . Ach weh, ach weh, Du schöne junge Braut, Deine guten Tage sind nun alle aus. H a n r e i (kommt mit dem Nachbar und Peter aus der Thüre). Habt ihr mich nicht zur Hochzeit eingeladen? M a r i a . Weh mir, der Alte hat im Grab noch keine Ruh. Oder er ist wohl nicht einmal todt. S o l d a t . Mit Geistern hab ich nichts zu schaffen. (Schlägt ein Kreutz und läuft). H a n s . Der Soldat hat auch vom Hasenherz gefressen. An seiner dünnen Stimme höre ich gleich, daß es kein Gespenst ist. H a n r e i . Siehst du Maria, du nichtswürdige Braut, alle verlassen dich, soll ich dich nicht an den Pranger stellen, dich mit Ruthen streichen lassen? M a r i a . Herzlieber Bräutigam, sprich doch nicht so wunderlich. Warum sollte ich mich allein anführen lassen. Es war mein Ernst gar nicht, als ich auf euch schimpfte, als ich den Soldaten heirathen wollte. Ihr wolltet mich mit eurem Tode erschrecken, aber ich sah den Schelm zwischen euren Augen blinzeln und so wollte ich euch auch erschrecken. H a n r e i . Du lügst, Maria, aber ich muß es dir doch glauben, du bist so schön und ich habe dich so lieb. M a r i a . Nun sieh, war es nicht ein recht lustiger Spas, ach wie küsse ich dich so gern und wie wollen wir nach aller Unruhe süß schlafen. H a n r e i . Nun Maria, wenn es dein Ernst mit dem Soldaten nicht war, so war es auch nicht mein Ernst mit dem Sterben. Wären nur die Leute nicht mit den Fackeln davon gelaufen, ich kann keinen Schritt weit sehen, wir wollten gleich mit einander zur Kirche gehen und uns kopuliren lassen. 249
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M a r i a . Laß nur die Leute gehn, sie haben doch nichts gethan, als dir Lügen in den Kopf zu setzen. H a n r e i . Es ist wahr, ich bin ein leichtgläubiger Esel gewesen, aber künftig will ich auch nichts mehr glauben, als was ihr mir versichert. N a c h b a r . Hört Nachbar, daß ihr solch ein Narr wäret, hätte ich doch nimmermehr geglaubt. (ab.) P e t e r . Liebster Vater, euer Wille soll geschehn, ich sehe ein, daß es euch gut ist, alles zu glauben, was euch die Maria sagt, so habt ihr weniger Schimpf und mehr Ruhe in eurem Alter. M a r i a . Ach Gott, das ist ja Peters Stimme, die ich so lange nicht gehört habe. H a n r e i . Ja das ist mein Sohn Peter. Nun Peter, es freut mich herzlich, daß du einsiehst, wie viel klüger meine liebe Maria als wir alle sind, es war ihr Ernst gar nicht mit dem Soldaten. Wären nur die Leute mit den Fackeln zu errufen, wir wollten gleich zur Kirche gehen. He Hans! H a n s . Hier, alter Herr. M a r i a . Ich will keine Fackeln, ich will keine Hochzeitleute, ich will ganz vertraulich mit dir zur Kirche gehen. H a n r e i . O seliger Abend, o selige Nacht. (Indem er voller Freude Maria ergreifen will, um sie zur Kirche zu führen, so faßt er Hans, der noch immer voll Verwunderung da steht, Maria aber faßt Peters Hand, der in Demuth mitgeht, die Musik schmettert laut, der alte Hanrei und Maria liebkosen ihren vermeinten Geliebten, wobei Hans sich in seinen Bewegungen lustiglich wie Maria anstellt, Peter aber betrüblich alles geschehen läßt, so verschwindet der Zug und der Soldat tritt auf.)
S o l d a t . Wenn ich nur immer Zeit hätte, so sollte es mir nicht an Kourage fehlen, ich wollte mich jetzt mit allen Geistern aus Himmel und Hölle herumbalgen. Potz Marter, wo mögen sie alle geblieben seyn, es ist stockfinster, ei, da fall ich ja über eine Fackel. Will sie doch anzünden, denn bei Licht schäme ich mich immer viel mehr, davon zu laufen, als wenn es keiner sieht. (Er schlägt Feuer an) Wenn ich so Feuer schlage, Feuer, Feuer, da packt mich rechter wilder Heldenmuth, ich möchte alle Geister mit den Köpfen zusammenschlagen, daß es Funken gäbe. (Der alte Hanrei kommt mit Hans aus der Kirche zurück, ihnen folgt Peter mit Maria.) 250
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H a n r e i . So soll uns denn nichts mehr scheiden, als der Tod, geliebte Frau. H a n s (mit verstellter Stimme). Ach, geliebter Mann, sprich nicht so ohne alle Umstände von dem Tode, niemand soll den Teufel an die Wand malen. S o l d a t . Halt, du alter Schelm, du willst einem braven Soldaten seine Braut verführen, der Schimpf muß mit Blut ausgewaschen werden, zieh, oder ich stoße dich nieder wie einen Schneemann im Thauwetter. H a n r e i . Maria, liebe Maria, stell dich vor, der Kerl will mich erstechen. H a n s (mit verstellter Stimme). Sey du mein Schild, geliebter Mann, stirb nur dies einzgemal für mich, der Mann soll des Weibes Schutz seyn. H a n r e i . Ach wie hast du mich betrogen, du wolltest so gern für mich sterben, wie wirds mir kalt. Herr Soldat, allerliebster Herr Soldat, nehm er meine Frau, aber laß er mir mein Leben. Was hilft mir nun die Kopulation. S o l d a t . Was deine Frau? Wo ist sie? So lang du lebst, wird sie doch nicht mein. Bete dein Vater unser, du mußt sterben. P e t e r (springt dem Soldaten in den Arm). Bist du ein Narr, deinen alten Degen schmeiß ich übers nächste Haus, domus, was quälst du meinen alten Vater. M a r i a . Peter, schlag den Schwartenmagen todt, ich mag ihn nicht mehr. S o l d a t . Aber Maria, wer ist denn dein Mann, daß du mich nicht mehr brauchst. M a r i a . Ja, lieber Schwartenmagen, seyd ruhig und verwundert euch nicht, es ist alles in die rechte Ordnung gekommen, ich habe in der Dunkelheit den lieben Peter gegriffen und der Predger hat uns zusammengegeben, es ist mir auch recht lieb, denn ich war ihm von erster Jugendzeit recht gut und der alte Hanrei muß doch bald sterben, da beerben wir ihn. S o l d a t . Ei da muß ich mich todtlachen, statt mich todt zu ärgern. Alter Hanrei, was macht ihr jetzt für ein Gesicht, beseht doch eure Marie bei meiner Fackel. 251
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H a n r e i . Gottes Wunder, das ist ja mein Hans, mein treuer Hans, was soll daraus werden, der ist nun meine Frau, wie soll das geschehen seyn? H a n s . Ja, alter Herr, ich bin nun eure Frau, da müßt ihr mir die Schlüssel von Küche und Keller geben, da solls lustig werden. Juchhei, ich will euer Haus wohl versorgen, aber treu will ich euch seyn. Lieber Mann, gebt Geld und Schlüssel her. H a n r e i . Peter, lieber Peter, gieb mir einen Strick, daß ich mich aufhänge, oder hilf mir von dieser Frau, die keine Frau ist, sondern mein Hans. Peter, ich kenne den Hans, hat der die Schlüssel, so wird er nicht ruhen, so lange noch ein Tropfen im Fasse ist. Wie habe ich mich in der Dunkelheit so versehen können. P e t e r . Ich weiß auch nicht, wie ich zu meiner Frau, uxor, gekommen bin, es nahm mich etwas beim Arm und führte mich zur Kirche, ich dachte, es sey ein Hochzeitgast, der Prediger segnete uns ein, und ich dachte noch immer an eure Thorheit, Vater, daß ihr solch junges Mädchen heirathen wolltet. Ich weiß keinen Rath, die Copulation ist geschehen. Ach du armer Vater, daß ihr einen Mann zur Frau habt. H a n r e i . Ich weiß keinen Rath, lieber Peter, wir wollen uns todt weinen. H a n s . So weiß ich einen, ihr Narrn; unter der Bedingung, daß der Alte sich von allem Heirathen in diesem Leben losschwört, will ich mich von ihm scheiden und verlange nichts von meinem Eingebrachten, auch nichts für den Kranz als ein gutes Glas Wein. H a n r e i . Ach du guter Hans, du kluger Hans, nimmermehr will ich wieder ans Heirathen denken, wenn man sich dabei so im Dunkeln vergreifen kann. Wir wollen wieder wie sonst leben, mein treuer Hans. H a n s . Aber eurem Sohne und seiner Frau gebt euren Kramladen und euren Segen, sonst bleib ich nicht.
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H a n r e i . Ich bin so müde, kann auf meinen Beinen nicht stehen, nehmt Geld und Segen, wenn ich nur nicht den Hans zu heirathen brauche. P e t e r u n d M a r i a . Dank, Dank, lieber Vater, pater. 252
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Dritter Aufzug
S o l d a t . Was kriege ich. Schenkt ihr mir gar nichts? Hab ich nicht euer Glück gemacht? (Alle schlagen auf den Soldaten ein, schimpfen auf
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ihn, der Soldat flieht, es sammeln sich wieder die Hochzeitgäste, der alte Hanrei erzählt im Kreise, wie er sich vergriffen hat, Peter und Maria stehen zärtlich lächelnd in der Mitte, alles lacht.)
C h o r . Was sich paßt, das muß sich schicken, Was sich liebt, das muß sich finden, Süßes, freudiges Entzücken Wird die Liebenden verbinden, Und wir rufen gute Nacht! Alter, du hast lang gewacht, Alter, du wirst ausgelacht, Hans, gieb besser auf ihn acht.
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Der wunderthätige Stein. Ein Hanswurstspiel. (Nach dem Altdeutschen.) 5
Spieler. H a n s w u r s t , ein Bauer. Dessen Frau. W i l h e l m , ein Müller. 10
I. S c h a u p l a t z : Wohnzimmer des Bauers. H a n s und F r a u .
H a n s . Frau, was trägst du unter der Schürze herein? – Die Milchsuppe? F r a u . Ja wohl habe ich hier die Milchsuppe, gelt, du möchtest sie wieder allein ausfressen. H a n s . Du mußt mit mir essen, mache nur erst die Thüre zu, daß uns keiner in unsrer Mahlzeit stört. F r a u . Das laß ich fein bleiben, geh selber hin und mach sie zu, kannst sie doch eben sowohl zumachen wie ich, aber du willst nur unterdessen die Suppe allein ausfressen. H a n s . Potz Schlapperment, du mußt zumachen, oder ich werde dir gewaltige greuliche Pumper auf deinen gebenedeiten Kopf geben. F r a u . Gieb her, bist du so keck, sollst fürwahr zehne für einen bekommen, will sehn, wer Herr im Hause ist. H a n s . Hör Frau, wir wollen uns nicht wieder streiten, wer der Oberherr ist, der Kaiser hat über uns beide zu befehlen; aber willst du dies eingehen: Der erste, der ein Wort redet, soll die Thüre zumachen. 254
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F r a u . Ich bins zufrieden. Walte Gott, Vater und Sohn, da ist der Löffel. (Hans ißt mit der Hand, die Frau schüttelt mit dem Kopf, ißt aber doch, ohne ein Wort zu sagen; Wilhelm kommt in die offene Thür getreten.) 5
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W i l h e l m . Wie mags kommen, daß die Thüre so weit offen steht und keiner ist zu Hause. Sieh, da sind sie. Gott grüß. Nachbar, wie könnt ihr fressen. Guten Tag, guten Tag, ihr guten Nachbarn. (Sie nicken ihm zu, aber schweigen.) Wie zum Teufel soll ich das verstehn, seyd ihr beide stumm geworden, mein ehrlicher Hans antwortet mir, es ist noch keine Stunde, daß ich mit euch geredet, ihr konntet des Schwatzens gar nicht genug kriegen von eurem alten Pferde. (Er setzt sich zur Frau). Meine gute Frau Nachbarin, was bedeutet es, daß ihr nicht redet, wie zum Element kommt das, ist euch die Zunge ausgeschnitten, oder narret ihr mich, ein wunderlich Ding ists. (Er giebt ihr einen Kuß). Ich merks schon, ihr seyd eingefroren, ich muß euch aufthauen. H a n s . Halt, laß mir meine Frau, das leid’ ich nicht. F r a u . Ha, ha, du hast verloren und mußt die Thür zumachen. W i l h e l m . Mein lieber Nachbar, was bedeutet das? F r a u . Mein lieber Wilhelm, wir zankten uns darum, wer die Thüre sollte zumachen, da setzten wir fest, wer das erste Wort anfinge zu reden, sollte die Thüre zumachen, nun muß er sie zumachen, siehst du, Hans. H a n s . Ich muß sie nun wohl zumachen, aber Nachbar Wilhelm, ihr habt die Schuld. W i l h e l m . Wenn ich die Schuld habe, so will ich auch die Thür zumachen, aber Frau Nachbarin, kommt einmal mit mir, weswegen ich hereingetreten, da sollt ihr einmal meinen Hahn bei euren Hünern sehen. F r a u . Gleich, Herr Nachbar. (Sie gehen aus der Thüre, legen sie aber nur an und sehen zuweilen hinein und lauschen). H a n s (vor sich). Der Hahn? sein Hahn bei meinen Hünern, daß dich Potz Schlapperment, mir däucht, daß meine Frau mir ein Paar Hörner aufsetzt, denn der Schelm, mein Nachbar Wilhelm, weiß sich sobald mit ihr zu finden, was er ihr vorschlägt, das thut sie, mir zu Gefallen wär sie nimmermehr zur Thür hinausgegangen. Ja, es wird wohl nicht anders seyn, der Schelm hilft, es ist mir diese Nacht eingefallen, da redete meine Frau zu ihm im Schlafe: Mein herzlie255
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ber Nachbar Wilhelm, und dabei küßte sie mich. Nun, ich werds ja erfahren bei dem Teufelsmeister, der eben im Kruge angekommen, die Leute sa gen, daß er einen Stein der Weisen habe, wodurch einer des andern Gestalt annehmen könne. Zu dem will ich gleich gehen; da will ich die Gestalt des Schelm Wilhelm annehmen, in der Gestalt will ich zu meiner Frau gehen. O ich bin listig, Frau, du sollst mich nicht vexiren. (geht ab.) (Frau und Wilhelm kommen bald
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herein.)
W i l h e l m . Er hat uns nicht gesehen, er lief wie besessen vorbei, was mochte ihm im Kopfe stecken? F r a u . Habt ihrs denn nicht gehört, was er will. W i l h e l m . Wenn meine Mühle nicht klappert, kann ich nicht sonderlich hören, auch hat der gute Hans eine schwache Stimme. F r a u . Denkt nur, er hat mich diese Nacht behorcht und erzählte sich eben, wie ich im Schlafe gesagt, mein herzlieber Nachbar Wilhelm und wie ich ihn dabei geküßt. W i l h e l m . Nun, ich will den Kuß von euch abküssen. F r a u . Laßt das jetzt, wir haben Zeit genug dazu, wenn er ackert. – Nachher sagte er, daß ein Schwarzkünstler im Kruge angekommen sey, der könne einen Menschen in den andern verwandeln und da wollte er mich in eurer Gestalt, herzlieber Nachbar Wilhelm, versuchen. W i l h e l m . Wenn er meine eigene Gestalt annimmt, schlag ich ihn todt wie den ärgsten Dieb. Wozu wär ich denn, wenn ein andrer meine Gestalt annehmen könnte. F r a u . Gemach, herzlieber Nachbar Wilhelm, da weiß ich bessern Rath. Er sprach von einem Stein, womit der Schwarzkünstler die Leute so verwandle, der Steine giebts viele, zieht euch an wie der Schwarzkünstler und gebt ihm solchen Rath, daß er eure Gestalt anzunehmen meint, so können wir ihn zum Narren brauchen nach unserm Gefallen. W i l h e l m . Oho, das geht! Hans, Hans, was mußt du alles tragen, auch einen schweren Stein noch. Ist er schon auf dem Wege. F r a u . Seumet euch nicht, er ist schon hingegangen. W i l h e l m . Der Knickbein geht langsam, ich springe über die Gartenzäune schneller nach dem Kruge und den Schwarzkünstler kenn 256
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I/II
ich recht gut, es ist ein Rattenfänger, der leiht mir gleich seinen großen schwarzen Mantel (eilt fort, die Frau sieht ihm freundlich nach).
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S c h a u p l a t z : Zimmer im Kruge, wo der Schwarzkünstler wohnt, mancherlei Flaschen stehen umher. Wilhelm kommt eilig und zieht sich einen schwarzen Mantel über.
W i l h e l m . Mit dem Rock bin ich der Schwarzkünstler, meinem guten Nachbar Hans etwas weiß zu machen, was ihn auf immer beruhigen soll; da kommt der alte Narr. H a n s (kommt). Nun bin ich ja wohl in dem Zimmer, wo der Teufelsmeister wohnen soll; ich kanns nicht vergessen, daß meine Frau sagte: Mein herzlieber Nachbar Wilhelm und wie sie mich dabei küßte, so hat sie mich nie geküßt. W i l h e l m (macht eine Bewegung an dem Buche, woran er sitzt und zieht einen Kreis.)
H a n s . Oho, ich glaube, das ist der Teufelsmeister, erst sah ich ihn für einen Mantel an, ich muß wohl zu ihm gehen. Guten Tag, Herr Teufelsmeister. (Er will ihm im Kreise seine Hand biethen, Wilhelm weißt 20
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ihn zurück.)
W i l h e l m . Ich rathe euch, kommt nicht in diesen Kreis, oder der Teufel nimmt euch mit und ich kann euch nicht helfen. H a n s . Aber warum heißt ihr denn des Teufels Meister, wenn euch der Teufel nicht gehorchen will? W i l h e l m . Warum sagt denn die Bibel jeder Frau, der Mann soll dein Herr seyn, hört eure Frau darauf. H a n s (vor sich). Es ist der Teufelsmeister, er weiß aufs Haar, wie es bei mir steht. (Laut) Sagt mir doch das Eine noch, was hat denn meine Frau in der letzten Nacht gesprochen? W i l h e l m . Sie sagte: Laß mich ungeschoren mit deinem herzlieben Nachbar Wilhelm, wenn du mit ihm trinken willst, so bleib im Wirthshause. H a n s (vor sich). Vom herzlieben Nachbar Wilhelm habe ich wohl gehört, vom übrigen weiß ich nichts. (Er wirft seinen Huth in den 257
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Kreis) Oho, Herr Teufelsmeister, es ist nicht wahr, was ihr vom Kreise gesagt habt. W i l h e l m (vor sich). Ich glaube, er merkt was. (Laut) Warum sollte das nicht wahr seyn, wie weißt du das? H a n s . Ja, seht nur, meinen Huth habe ich in den Kreis geschmissen und der Teufel will ihn nicht wegnehmen. W i l h e l m . Der Teufel frägt viel nach deinem alten verregneten fuchsigen Huth, du aber solltest da nicht halb so lange innen ausdauern. Sag an, was ist dein Begehren? H a n s . Mein lieber Herr Teufelsmeister, ich habe eine Frau zu Hause, die ist ein wenig schön und sehr jung und ich bin eben nicht sonderlich häßlich, aber sehr alt und neben mir an wohnt ein junger Müller, der heißt Wilhelm, der Schelm ist immer bei meiner Frau gewesen, wenn ich von der Arbeit nach Hause gekommen, auch hat meine Frau im Schlafe gesagt: Mein herzlieber Nachbar Wilhelm. Hierüber kann ich mich nicht zufrieden geben, ich muß es recht erfahren, ob der Schelm, der Wilhelm, bei ihr Eingang hat, derhalben wollt ich euch bitten, ihr möchtet mir die Schelmen-Gestalt des Wilhelm geben, mit der will ich sie auf die Probe stellen. W i l h e l m . Wenn ihr weiter nichts verlangt, das kann ich euch bald verschaffen, und euer Anschlag zeigt einen klugen praktischen Kopf. H a n s . Ja, es ist wahr, ein gewaltig praktischer Kopf bin ich. W i l h e l m . Gebt nur einen Dukaten her, so sollt ihr gleich den wunderthätigen Stein der Weisen bekommen, der die Menschen verwandelt. H a n s . Hier ist der Dukaten. W i l h e l m . Da nehmt diesen Stein und steckt ihn in die Tasche. H a n s . Es ist ein sonderlich schwerer Stein, er möchte mir wohl die Tasche zerreissen und da gäbe es Schelte von meiner Frau. W i l h e l m . Haltet euch die Ohren zu, wenn sie keift. H a n s . Dann schlägt sie mir darauf, doch das wird sie ohnedies thun, wenn sie merkt, daß ich hinter ihre Schliche komme. Nun sagt weiter. W i l h e l m . Wenn ihr den Stein auf euren Kahlkopf legt und dabei an Wilhelm denkt, so seyd ihr in Wilhelm verwandelt und jedermann hält euch dafür. 258
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H a n s (legt den Stein auf den Kopf.) Nun Herr Teufelsmeister, wie seh ich jetzt aus. W i l h e l m . Ihr seht aus wie ein junger schöner Kerl, der rothe Bakken hätte, wenn er nicht vom Mehl eingestäubt wäre, ihr habt ein Paar muntre Beine und eine Jacke von hellblauem Tuch. H a n s (vor sich). Das hat er getroffen (steckt den Stein in die Tasche). Herr Teufelsmeister, wie seh ich nun aus. W i l h e l m . Wie ihr vorher ausgesehen, euer Gesicht faltig und bleich, die Zähne stehen ungleich wie Grabsteine, eure Beine wie die Bäume am Wege, woraus die armen Leute den fetten Kiehn gehauen, daß sie auf einen Wind warten, der sie umstoßen soll, wo euer Bauch seyn sollte, da gleicht eure Weste einem ausgenommenen Neste und eure dürren Hände scheinen aus altem Lederzeuge geschnitten. H a n s . Ja, ja, das ist richtig, ihr seyd ein rechter Teufelsmeister, ich kann kaum mehr Abschied von euch nehmen, solche Ungeduld plagt mich, meine Frau zu versuchen, ich schenk euch noch einen Dukaten, wenn alles gut abläuft. Habt Dank, tausend Dank. (ab.) W i l h e l m (wirft den Mantel fort). Wenn ich auch noch so stark übermesse in meiner Mühle, so rasch kann ich doch keinen Dukaten verdienen, wenns nur immer so ginge, ich legte mich von der weißen auf die schwarze Kunst. Doch ich muß mich rasch aufmachen, um den Spas mit anzusehen, der Spas ist mit keinem Gelde zu bezahlen, auch muß ich die Frau von allem unterrichten. (ab.)
III. S c h a u p l a t z . Vor den Häusern des Bauers und des Müllers.
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H a n s (kommt ermüdet mit dem Steine). Uf, die Kunst ist schwer, aber es ist auch eine recht künstliche Kunst. Der Stein ist der wahre Karfunkel. Jetzt will ich ihn gleich auf die Probe stellen, denn der Teufelsmeister könnte mich doch angeführt haben, um meinen Dukaten zu erschnappen. Da kommt der Wilhelm, der soll einmal erschrecken, wenn er sich selbst sieht, da wird er meinen, daß er stirbt. (Er legt den Stein auf den Kopf.) W i l h e l m (kommt in seiner gewöhnlichen Kleidung) (vor sich). Jetzt will der Kerl mich vorstellen, er hat den Stein auf den Kopf gelegt, als 259
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sollte er ihm die Hörner eindrücken, wenn ich so aussähe, wäre ich doch zu nichts gut. (Laut) He, was Teufelsspuck ist das, ein Kerl bei meinem Hause, sieht gerade aus wie ich, habe doch keinen leiblichen Bruder, das ich wüßte, ob wohl mein Vater selig so einen Nebensprösling hinterlassen hat. Freund, wer seyd ihr? H a n s . Ich bin der Müller in diesem Dorf. W i l h e l m . Heiliger Gott, der Müller und wie heißt ihr? Das bedeutet meinen Tod. H a n s . Wilhelm heiß ich. W i l h e l m . Alle gute Geister loben Gott den Herrn. (Er stellt sich er-
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schrocken und läuft davon.)
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H a n s . Lauf nur, du einfältiger Narr, wenn du nicht mehr Herz bei meiner Frau gezeigt hast, da wirst du ihr nichts angethan haben. Nun kommt aber das schwerste Stück mit meiner Frau, ich fürchte, wenn ich ihre Stimme höre, mir wird alle Lust vergehen, sie zum Besten zu haben. – Pfui dich, Hans, faß ein rechtes Herz, klopf an deine Hausthüre. – (Er klopft) – Holla, holla, mein guter Nachbar, kommt ein wenig heraus. F r a u . Wer ist da? H a n s . Ach Gott, was sprech ich jetzt? F r a u (kommt heraus). Seht, Nachbar Wilhelm, seyd ihrs, seyd mir willkommen. Was wollt ihr? H a n s . Ich danke euch. Sagt mir, wo ist euer Mann. F r a u . Mein Mann ist gleich nach dem Essen ausgegangen und ich weiß nicht, wo er bleibt, ich sorge, daß er ein Unglück gehabt habe. H a n s . Laßt ihn laufen. Ich habs um so besser getroffen, Nachbarin, laßt uns mit einander fröhlich seyn. F r a u . Warum denn das? Bringt ihr uns eine gute Nachricht? Steigt das Korn? H a n s . Ja, es steigt, und darum gebt mir einen Kuß, wie ich ihn oft von euch empfangen, wenn wir allein waren. F r a u . Pfui dich an, du schlechter Mensch, denkst du mich zu verunehren? Was weißt du von mir Böses, du Lügner? Wann hab ich dir, Schelm, einen Kuß gegeben? Eine Ohrfeige gäb ich dir lieber in dein lügenhaftes Angesicht. Hab ich nicht meinen herzlieben Mann 260
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III
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Hansen? Wofür wär der? Und ist es nicht immer mein Ärger gewesen, wenn er dich zum Trinken mit ins Haus schleppt. Dich sollen hier alle Elemente holen, ich will dich von der Thür jagen, daß du nicht wissen sollst, wie du davon kommst. H a n s . Frau, das ist euer Spas, ich kenne euch besser. F r a u . Sollst mich gleich noch besser kennen. (Sie geht hinein). H a n s . Das ist mir eine ehrliche Frau, eine fromme, aufrichtige, ehrliche Frau, hätte es doch nie gedacht. F r a u (kommt mit einem Besen und schlägt auf ihn) Kennst du mich nun, du Schelm, du Lügenmaul, willst du noch einmal deine ehrliche Nachbarsfrau beschimpfen. H a n s . Schlag zu, schlag zu. Haben mir doch niemals Schläge so wohl gethan. F r a u . Sollst sie schon fühlen, du diebischer Müller. H a n s . Ja, der war gut. Au weh! Ich hab genug. Hätt ich nur den Stein wieder in die Tasche. (Er steckt ihn ein.) F r a u . Was ist denn das? Wie bist du mir unter die Hände gelaufen, Hans? Wo blieb denn der Wilhelm, der Schelm? Hab ich dich unversehens getroffen, herzlieber Mann? H a n s . Meine liebe Frau, ich dank dir für jeden Schlag, ach, wie hat mir das so wohl gethan? F r a u . Was wohl gethan, wenn hier der Erzschelm, der Wilhelm, in deiner Anwesenheit kommt und will mich küssen und sagt mir, er hätte mich schon oft geküßt. H a n s . Es ist alles gut, ja Gott sey gedankt, ich bin von Herzen darüber froh. F r a u . Was, du ehrvergessener Mann, du freust dich, wenn deine ehrliche Frau beschimpft wird, ei da sollst du auch noch dein Theil haben. (Sie schlägt ihn). H a n s . Juchhei, ich habe die ehrlichste Frau im ganzen Dorfe, es kostet mir aber ein Paar Rippen. Frau, laß jetzt gut seyn und hör mich an. – Ich bin ein großer Künstler. F r a u . Du magst der rechte seyn. Essen ist deine beste Kunst. H a n s . Sieh nur recht zu, wer bin ich? 261
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Der wunderthätige Stein
F r a u . Wer sonst, als mein alter Hans. H a n s (legt den Stein auf den Kopf). Wer bin ich nun, aber schlag mich nicht. F r a u . Ja, da ist ja wieder der ehrvergessene Wilhelm; wart nur, mein Hans ist gekommen, der wird dir den Dank auf den Rücken schreiben. (Sie will ihn schlagen.) H a n s . Frau sey doch gescheidt, ich bin ja der Wilhelm ich habe nur seine Gestalt angenommen, schlag nicht wieder, sieh nur, wie ich den Stein in die Tasche stecke, bin ich wieder Hans. Sieh Frau, so kann ich zaubern. Nicht wahr, das hättest du mit keiner Mistgabel in mir gesucht. F r a u . Ich kann es noch nicht glauben, ich meine, du bist der Wilhelm, der sich wie mein Hans anstellt. (Er macht ihr den Versuch mit allerlei Spässen noch einmal vor und erzählt, wie er alles vom Teufelsmeister gelernt.)
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F r a u . Aber sag mir nur, warum du den Nachbar Wilhelm nachgemacht hast. H a n s . Laß es gut seyn, weiß ich doch nun für einen Dukaten, daß du ein ehrliches Weib bist, darum vergieb mir meinen Unglauben an dir, ich glaubte, er hielte mit dir zusammen. F r a u . O mein lieber Mann, das vergebe dir Gott, ich will dir gern vergeben. Aber sieh, da kommt ja der Wilhelm so verstört. W i l h e l m (kommt und versteckt sein Lachen unter Weinen). Liebe – treue Nachbarsleute, Gott erhalte euch und schenke euch Kinder und Kindeskinder – und wenn es euch gut schmeckt, so denkt an mich, – und pflanzt einen Rosmariensten gel auf mein Grab – meine Tage sind gezählt – wer weiß, heute oder morgen, wann mir mein Stündlein schlägt. F r a u . Je, Nachbar, was fehlt euch. Warum denkt ihr zu sterben. H a n s . Ich weiß es schon, Frau (lacht). W i l h e l m . Ach, lieben Leute, es ist nur zu gewiß, ich muß sterben, denkt nur – ach ich kann es vor Jammer nicht sagen – ich habe mich selbst gesehen, hier wars, an dieser Stelle. Und das weiß ich von meinem Vater selig, als er sich selbst gesehen, da starb er bald. Hätte doch gern noch was vom Heirathen gewußt vor meinem Tode. 262
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III
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H a n s . Nachbar, ihr dauert mich, habt es immer so redlich mit mir und mit meiner Frau gemeint, ich will euch aus dem Irrthum reissen. Beruhigt euch, es war kein Todesgesicht, was ihr gesehen, ich habe zaubern lernen, seht her, ich kann, wie ich den Stein auf den Kopf lege, mich in euch verwandeln. W i l h e l m . Macht mir nichts weiß, ich bin kein Narr. H a n s . So seht nur her. F r a u . Seht nur her. W i l h e l m . Hölle und Satan, da steh ich selber, wie ich leib’ und lebe. Gottes Wunder, dreht euch einmal um, ob ihr auch von hinten so ausseht wie ich? H a n s . Gleich seht zu. (Indem sich Hans umdreht, küßt Wilhelm die Frau.) W i l h e l m . Wahrhaftig, Nachbar, ihr habt einen wunderthätigen Stein, mein lieber Hans, es ist doch gar eine kunstreiche Kunst, die ihr könnt, laßt sie doch all unsern Bauern sehen, ihr müßt sie zusammenläuten, sie müssen euch zum Schulzen wählen, denn wenn die Feinde wiederkommen, so verwandelt ihr euch in eine Schwadron Dragoner und jagt sie alle zum Dorfe hinaus, daß sie unsre Weiber nicht verführen. (Hans will die Glocke ziehn, die Frau hält ihn). H a n s . Laß doch, Frau, es sollen jetzt alle Leute wissen, daß ich so künstlich und du so ehrlich. F r a u . Ei was, wir müssen unser Kunststück hübsch für uns behalten, sonst macht es ein jeder nach und da gilt es nichts mehr, wir müssens nicht an die große Glocke hängen, wir können noch viel damit verdienen. H a n s . Seitdem ich weiß, daß du so ehrlich, da will ich dir in allem folgsam seyn und den Stein geheim halten.
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Jemand und Niemand.
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Ein Trauerspiel. Frei nach dem Altdeutschen. 5
Spieler. Arrial E l l i d o r vier königliche Prinzen von Engelland. Peridor Eduard A r r i a , Arrials Gemahlin. E l i a , Ellidors Gemahlin. Marsian C a r n i o l } zwei Reichsgrafen. Wa c h t m e i s t e r . Schmarotzer. Jemand. Niemand. G a r n i c h t s, Niemands Junge. Volk.
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Erster Aufzug. ( S c h a u p l a t z : Schloßsaal.) M a r s i a n und C a r n i o l legen Briefe zusammen.
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M a r s . Nun Carniol, was sagt ihr hiezu? C a r n . Laß uns Freunde seyn und in gutem Vertrauen leben. M a r s . Da hast du meine Hand. Alle unsre Zwietracht soll von uns verbannet seyn. C a r n . Gute Freunde sind wir jetzt und haben große Ursach, das Unrecht, welches wir erlitten, zu rächen. Mein Leben setz ich 264
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Erster Aufzug
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daran und stehet ihr mir treulich bei, so wollen wir den tyrannischen König Arrial vom Thron stoßen. M a r s . Das tyrannische Urtheil, das uns so viele Grafschaften entreißt, treibt mich zu gleicher Rache. Arria kommt, wir wollen uns auf einer Bodenkammer verstecken, die Mittel zu bedenken, damit wir die Sache recht anfangen. (Beide ab.) Königin Arria , Elia , der Schmarotzer .
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A r r i a . In aller Pracht und Herrlichkeit ziehen wir durch das neugierige Volk, das unserm Befehle unterworfen ist und alles beugt sich vor mir, als wäre ich eine Göttin und das gefällt meinem Herzen, und meine Seele erhebt sich, wenn ich die Ehre mit meinen glückseligen Augen anschaue. Meine Ungnade allen, die anders als knieend vor mir erscheinen. (Schmarotzer kniet, Königin Elia kniet nicht.) Unverständige Elia, kniest du nicht vor mir? Hast du es nicht nöthig? – – – – E l i a . Nein, durchaus nicht, denn du bist nicht mehr als ich. A r r i a . Was? Ich nicht mehr als du? Bist du mir nicht unterthan? Bin ich nicht eben als Königin von England gekrönt? E l i a . Wer weiß, wie lange du herrschest, mir gebührt es auch, Königin zu seyn, denn mein Gemahl ist auch des Königs von England Sohn. A r r i a . Deine hochmüthigen Reden kann ich nicht dulden, denn mein Mann ist der ältere Bruder. Schmarotzer schwatze zu ihr unaufhörlich, das ärgert sie. S c h m a r o t z e r . Gnädige Königin, ich sehe mit Verwunderung die lächerliche Hoffart dieses Weibes, das wohl verdient hätte, mit Geisseln gestrichen zu werden. Pfui, Unwürdige, wollet ihr euch nicht vor der Königin beugen, deren Namen selbst mit dem ersten Buchstaben im Alphabet anfängt. (Arria läßt einen Handschuh fallen.) A r r i a . Hörst du, heb mir den Handschuh auf, der mir entfallen, unwürdige Elia. E l i a . Dir deinen Handschuh aufheben! Nein, durchaus nicht! A r r i a . Diese ungehorsamen Worte sollen nicht unbestraft bleiben. Du bist nicht würdig, in meiner Gegenwart zu erscheinen. Schmarotzer zähme sie, denn ich mag ihren Trotz nicht mehr anschauen. (ab.) 265
Jemand und Niemand 243
S c h m a r o t z e r (droht der Elia). Wirst du künftig die Königin ehren, ich muß ihr nachgehen und ihr sagen, ob du gehorsam seyn willst. E l i a . Nein. (Schmarotzer ab.) M a r s i a n und C a r n i o l kommen.
M a r s . Es bleibt also bei unserm Vorsatz. C a r n . Gewiß. Aber da sehe ich Elia, wollen wir nicht zu ihr gehen, ihr unsern Anschlag offenbaren, damit sie uns behülflich sey, ihren Gemahl auf den Thron von England zu setzen. M a r s . Ein guter Anschlag, ihr Neid gegen die Königin Arria, wird sie uns verbinden. (Zu Elia) Gnädige Königinn, überlaßt euch nicht dem Trübsinn, allen Hohn, welchen ihr von der Königin habt dulden müssen, wollen wir rächen, wenn ihr uns vertrauen wollt, euer Gemahl soll herrschen. E l i a . Ihr lieben Herren, welchen schweren Stein wälzt ihr von meinem Herzen, es müßte zerspringen, wenn ich nicht Königin würde und die Hoffärtige herunterstürzte und über sie triumphirte. Ich schwöre euch, daß ihr die größte Gewalt nach dem Könige, meinem Gemahl, haben sollt, wenn ihr ihn auf den Thron setzet. M a r s . Es ist jetzt Abend, wohlan, unser Plan reift, wir wollen in schnellem Aufruhr den König vertreiben. E l i a . Mein Herz ist nicht eher zufrieden, bis alles beendigt ist. M a r s . Wohlan, laßt uns unerschrocken seyn. E l i a . Was uns widersteht, hauen wir nieder. (Alle drei ab.)
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E l l i d o r kommt mit einem Buche.
In diesem Buche finde ich, wie jeder Mensch sein Leben anordnen soll. Ein König zu seyn, schien mir sonst wünschenswerth, aber seit ich hier gelesen, was dieses Amt für Anstrengung kostet, da freut es mich, daß ich zum Throne nicht berufen bin, ich würde dann nicht Zeit zum Lesen guter Bücher haben. (Er liest) Wunder, was bedeutet dieser späte Trompetenschall, ich weiß doch, daß der König, mein Bruder, längst zur Ruhe gegangen. 244
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König Arrial flüchtig in Schlafkleidern, hinter ihm Marsian und Carniol mit bloßem Degen.
A r r i a l . O Bruder, warum läßt du mich Nachts gewaltsam überfallen? Was habe ich verschuldet, ich will es doppelt vergüten! 266
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Erster Aufzug
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E l l i d o r . Ich bin mehr erschrocken als du, geliebter Bruder, mir unbewußt hat dieser Aufruhr die Ruhe der Nacht und meiner Seele gestört. M a r s . Wir sind des Angriffs Führer, und Arrials Tyrannei hat ihn erregt, den jetzt des Rathes Schluß vom Thron verbannt, unwürdig ist er dieser Krone. (Er nimmt ihm die Krone und will Ellidor die Krone aufsetzen). Darum, mein gnädger Herr, empfanget diese Krone von unsern unwürdgen Händen. E l l i d o r . O nein, ihr irrt, nein, ich begehre nicht der Krone. Ihr Herren, in diesem Buche habe ich erst gelesen, was eine Krone deuten soll und was sie fordert, seht, ihre Spitzen zeigen die Wehrhaftigkeit, ich aber liebe Demuth. (Königin Elia kommt.) E l i a . Geliebter, nimm die Krone, wer ist auf Erden würdiger sie zu tragen als du, sie ist mein Glück, die Niedrigkeit würde mich verderben. E l l i d o r . Es kann, es darf nicht seyn, sieh hier im Buche, so lang mein Bruder noch am Leben, es ist mein ältrer Bruder. E l i a . Du aber bist der Bessre und der Klügere. Ihr Herren, laßt nicht nach, setzt meinem Mann die Krone mit Gewalt auf. M a r s . Mein gnädger Herr, bedenket dieses Landes Wohl, des Bruders Tyrannei, ihm ist die Krone doch verloren, ob ihr sie nehmet, oder einem Fremden überlasset. A r r i a l . Nein Bruder, du hast recht, ich bin der ältre Bruder, nur mir gebührt die Krone, du warst doch immer edel und hab ich dir auch wenig nur zum Lebensunterhalt gegeben, als ich die Krone trug, es war zur Prüfung nur und künftge Zeiten hätten dich entschädigt. M a r s . Tyrann, du bist nicht würdig deinen Bruder anzuschauen, gedenk der Noth, in der dein Bruder hat gelebt, ich will den Weg des Elends dir jetzt zeigen (führt ihn ab und kommt dann wieder). Jetzt Königin, setzt eurem Herrn die Krone auf, daß wir uns nicht in dieser Nacht erkälten, er muß regieren oder sterben. E l l i d o r . Mir bleibet keine Wahl, ich nehm die Krone an, doch denkt daran, wie ungern ich sie habe angenommen. Des Bruders Tyrannei war mir verhaßt, doch lieb ich ihn, sein Schicksal wird mich stets betrüben, ich wünsche, daß ich möge sanft regieren, Gerechtigkeit soll allen werden. 267
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Jemand und Niemand
M a r s . und C a r n i o l . Mit lauter Stimme ruft ein langes Leben, Glück, Sieg und Heil dem Könige von England, Frankreich, Schottland, Irland. A l l e . Der König hoch! (alle ab). J e m a n d (kommt, als alle fortgegangen). J e m a n d bin ich geheissen, in der Welt wohl bekannt, ich ziehe durch alle Reiche, aller Schelmstücken voll, ich setze Könige ab und kröne andre, doch alles in größter Heimlichkeit, denn alle meine Schuld die werf ich auf N i e m a n d und mag er sich noch so dreist wehren und sperren, jetzt such ich ihn auf und bringe ihn zum Galgen. Ich habe in dem Lermen des Königs Schatzkammer bestohlen und den Scepter geraubt, ich aber sag in der ganzen Welt, N i e m a n d sey es gewesen und will ihn so verteufeln, daß es jedermann glaubt. (geht ab.)
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Zweiter Aufzug. 15
Königin Elia kommt mit dem Schmarotzer, Arria sitzt in einem Winkel und spinnet.
E l i a . Himmelsfreude, über stolze Feinde zu triumphiren, diese Lust hat mich aus der Niedrigkeit erhoben und jetzt kann ich sie befriedigen, da es mein Gemahl nicht sieht. – Siehst du nun, abgedankte Königin, wer triumphirt, du bist mir unterthan und ich muß über dich lachen. Da ist mir ein Handschuh heruntergefallen, hole ihn mir. Weißt du noch, gewesene Königin? A r r i a . Ich weiß alles, du hoffärtiger Wurm! E l i a . Gewesene Königin, deine Majestät ist sehr ungnädig, die letzte Nacht war etwas unruhig, sie hat wohl nicht ausgeschlafen. Schmarotzer muntre sie auf, denn sie hat nicht ausgeschlafen. S c h m a r o t z e r . Ich will sie mit einem Strohhalm in der Nase kitzeln. A r r i a . Deine aufgeblasene Hoffart thu ich nicht so viel achten. (Sie schlägt ein Schnipchen). 246
S c h m a r o t z e r (droht ihr mit einem Stecken). Wie zum Teufel, gewesene Königin, seyd ihr so ungeduldig, ehret ihr eure Königin nicht besser? Pfui, Schandschläge habt ihr verdient. 268
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A r r i a . Du gemeiner Tellerlecker, ist dir wohl von den Göttern erlaubt, also zu mir zu reden: Halte dein Hasenmaul zu, daß du kein kaltes Fleisch zu essen bekommst. O Jupiter, leg deinen Blitz in meine Hände. E l i a . Schmarotzer, sie will dich nicht achten, auch spinnt sie nicht mehr fleißig, beides ist Folge ihres großen Hungers, gehe hin, bringe ihr Wasser und Brodt; es thäte mir doch leid, wenn sie stürbe, weil ich sie dann nicht mehr plagen könnte. A r r i a . Ehe ich so schimpflich sterbe, werde ich dich zerreissen, ich bin eine Löwin, der du ihre Jungen, die geliebten Kronen, entrissen hast. E l i a . So nimm dich in acht, da kommt ein Hahn, der wird krähen, daß dir bange wird. S c h m a r o t z e r (bringt Brodt und Wasser). Gewesene Königin, hier bring ich ihrer Majestät königliche Speise, ich hoffe, ihre Majestät werde nicht in Hochmuth gerathen und es verschmähen. Ich bitte ihre Majestät, nehme und esse, hier ist ein goldner Teller, um dies Brödtlein darauf zu verspeisen. A r r i a . Ich will mich todthungern. S c h m a r o t z e r . Es wird wohl nur Ew. Majestät Spas seyn, sie müssen essen. A r r i a . Wer kann mich zwingen. S c h m a r o t z e r . Ich kann und ich soll euch zwingen. A r r i a . Armer Narr, du mich zwingen. (Sie reicht ihm einen Backenschlag) Nimm damit fürlieb. S c h m a r o t z e r . Bei meiner Ritterschaft, das heißt geschlagen, ich bin schon oft geohrfeigt, aber noch nie so gut wie diesmal. E l i a . Ich wünsche Glück zu deiner Ritterschaft, räche dich an ihr mit Hunger und Durst, sie wird dich küssen müssen, daß du ihr Brodt und Wasser reichst. A r r i a . Ich laufe zum König Ellidor, ich weiß, er ist gutmüthig. (ab). E l i a . Halt sie auf. Schnell ihr nach. (Beide ab). (Schauplatz: Schloßplatz. N i e m a n d und G a r n i c h t s kommen.)
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N i e m a n d . Jedermann weiß, daß ich der Niemand und mein Junge, der Garnichts, sehr brav sind, wir schlagen uns für einander und 269
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Jemand und Niemand
lassen hunderte hinter uns herlaufen, und dennoch macht uns der Jemand alle Tage neue Händel. Was er zerbricht, das soll ich gethan haben, wo etwas gestohlen, schiebt er es auf mich, da soll ich nun den königlichen Scepter gestohlen haben in dieser Nacht und N i e m a n d weiß, wie er aussieht, Niemand weiß, daß ihn Jemand hat, aber er darfs nicht sagen, er hat mir Aufpasser gestellt, und selbst bei den Kaufleuten in der Stadt kann ich meine Briefe nicht abgeben, die N i e m a n d sehr ehren. G a r n i c h t s . Herr, Herr, da kommen zwei Leute, die sind gewiß nicht um G a r n i c h t s hier. N i e m a n d . Laß sie nur kommen, N i e m a n d soll ihnen guten Bescheid geben. (Zwei Bürger kommen). E r s t e r . Lieber Nachbar, wie bin ich bestohlen, davon weißt du G a r nichts. G a r n i c h t s . (vor sich) Ich, nein! A n d r e r . N i e m a n d weiß davon. N i e m a n d . (vor sich.) Ich, kein Wort! E r s t e r . Gestern sind mir zwölf silberne Löffel aus der Stube gestohlen, ich habe alles Gesinde ausgefragt, und der eine sagt, ich habe es nicht gethan und der andre sagt, ich habe es nicht gethan, zuletzt habe ich sie mit den Daumschrauben bedroht, da schwören sie alle, N i e m a n d sey in meinem Hause, der sie gestohlen. N i e m a n d (vor sich). Ich weiß nicht, wo der Kerl wohnt, viel weniger habe ich in seinem Hause gestohlen, gewiß war es wieder der Jemand, der sich für mich ausgegeben, ich muß horchen. A n d r e r . Du irrst dich, lieber Gevatter, laß dir sagen, ich weiß und will drauf schwören, daß N i e m a n d deine silbernen Löffel nicht gestohlen hat, ich hab es mehr als einmal versucht, habe Geld hingelegt, wenn N i e m a n d im Zimmer war, und ich habe es immer wiedergefunden, ich habe ihn bei Geld und Gut als einen ehrlichen Kerl gefunden, gewiß wars J e m a n d . N i e m a n d . (vor sich) Ein braver Mann, der mich lobt und ich kenne ihn nicht. E r s t e r . O ja, zuerst ließ ich Jemand fordern, den befand ich aber unschuldig, er schwor es ab bei Seel und Seligkeit, und da soll es nun der N i e m a n d gethan haben. 270
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A n d r e r . O nein, mein guter Nachbar, ihr lasset euch anführen von dem J e m a n d , weil er in Sammt und Seide einhergeht, so siehts ihm keiner gleich an, er wars aber, der mir neulich meine Frühlingsstiefeln gestohlen hatte. Ich sah sie hernach von einem alten Weibe herumtragen, durfte es aber nicht sagen, daß sie mein, weil das Weib es nicht gern sah, daß man wüßte, sie trüge Stiefeln. E r s t e r . Kommt Zeit, kommt Rath, der Herr N i e m a n d soll uns endlich doch den Herren J e m a n d entdecken, wenn wir nur erst den Herrn N i e m a n d haben. (Beide ab.) N i e m a n d . O du ehrvergeßner Schelm, du J e m a n d , er hat darauf geschworen, daß N i e m a n d die Löffel hätte, was soll ich anfangen, ich bin nirgends meines Lebens sicher. G a r n i c h t s . Herr, da kommt ein alter Mann und eine junge Frau, stellt euch in Sicherheit. (Der Alte und die junge Frau kommen.) A l t e r . Frau, dich soll der Teufel holen, sag, wo bist du gewesen. F r a u . Sachte, sachte! Ich darf doch gehen, wohin ich will. Ich bin bei N i e m a n d gewesen. N i e m a n d . (vor sich.) Bei mir? Ich wollt, es wäre wahr. A l t e r . Das ist G a r n i c h t s . G a r n i c h t s . (vor sich.) Keinesweges, wir sind zwei Personen, besonders wo es Liebschaften angeht. F r a u . Ei was, ich muß es am besten wissen, ich bin bei N i e m a n d gewesen, N i e m a n d hat mich geküßt. A l t e r . Ja, ja, bei N i e m a n d , so sagst du immer, wenn du nirgends zu finden bist, bei N i e m a n d könntest du immer bleiben, der thut N i e m a n d etwas zu Leide, aber ich weiß Jemand, dem du nachgehst, der vor dem Fenster die Laute schlägt, dem du Kränze herunterwirfst, aber das schwöre ich dir, du sollst mit dem lieben Jemand noch an dem Pranger ausgestäubt werden. F r a u . Ihr thut ihm und mir großes Unrecht, ich kann darauf schwören, daß ich bei N i e m a n d gewesen bin, N i e m a n d ist mein Buhle, und so soll es bis an dein seliges Ende bleiben. (Beide ab.) N i e m a n d . Da hab ich eine Buhlschaft und weiß nicht, wie es zugegangen, ich sah das Weib zum erstenmal, und doch hat sie mich aufgesucht. – Suchen hat sie müssen, das kann ich mir wohl denken, denn seit dieser Nacht verberge ich mich in allen verschiednen 271
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Winkeln der Stadt, wo N i e m a n d Platz hat. Hör Knabe, sieh zu, wo sie wohnt. G a r n i c h t s . Aber Herr, wenn ihr mich beständig so braucht, so müßt ihr mich auch einmal bezahlen. N i e m a n d . Gewiß, sey ruhig, morgen werde ich dir Garnichts zahlen. G a r n i c h t s . Juchhei: N i e m a n d wird morgen zahlen. (ab.) N i e m a n d . Ach wäre er doch nur hier geblieben, mir vergeht der Athem, da kommt Jemand gegangen mit einem Wachtmeister, sicher suchen sie hier N i e m a n d . (Jemand und der Wachtmeister kom-
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men.)
J e m a n d . Herr Wachtmeister seyd fröhlig und frisch, heute haben wir vergebens gesucht, trinken wir jetzt ein Glas spanischen Wein, N i e m a n d wird sich finden. Wa c h t m e i s t e r . Wenn wir nur den Scepter wiederfänden, der N i e m a n d möchte bleiben, wo er wollte, aber es fehlt alles Ansehen beim Volke, wenn der Scepter verloren ist, was soll denn die neue Majestät in die Hand nehmen? – G a r n i c h t s ? N i e m a n d . Meinem Buben steht große Ehre bevor. J e m a n d . Seyd nur ruhig, wenn ein solcher Herr keinen solchen schweren Stab in der Hand hat, so wird Niemand erschlagen. (Beide
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N i e m a n d . Seit ich von meinem Zwillingsbruder K e i n e r geschieden, habe ich keine ruhige Stunde. (ab.)
Dritter Aufzug.
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S c h a u p l a t z : Waldgegend. Jagdgeschrei in der Ferne.
A r r i a l (als Bettler gekleidet). Des Glückes Unbestand mag an mir betrübten Menschen wohl gezeigt werden. O Armuth, welch ein nüchternes Wasser bist du nach dem köstlichen Weine des Überflusses. O Verachtung, welche Nacht nach dem Glanze der Ehre. Die Jäger treiben das Wild und mich jagen die Vorwürfe, der Gram, die Verzweifelung, in die Netze des Todes. (Jagdmusik, Ellidor tritt auf.) 272
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E l l i d o r . Diana hat nicht umsonst in diesen Tag geschienen und leuchtet noch durch den blauen Himmel, eine schönere Jagd sah ich noch nie. – Doch, warum muß ich jetzt einem Armen begegnen, der finster zur Erde sieht, wird er mich belehren, gewiß nicht umsonst steht er dort am Wege. Was suchst du auf der Erde? A r r i a l . Mein Elend ist groß, eine K r o n e habe ich verloren, die suche ich. E l l i d o r . Ists nicht mehr, sey deswegen unbekümmert, sey fröhlig, hier hast du zwei K r o n e n (giebt ihm zwei Kronenthaler, Arrial will sie nicht nehmen). A r r i a l . O nein, ihr irret, die K r o n e , welche ich verloren, war mit Diamanten besetzt wie mit Gestirnen, mein Wille war die Sonne, welche sie bewegte. E l l i d o r . Wer bist du, wunderlicher Bettler? Wenige haben so viel zu verlieren, wie du verloren hast. A r r i a l . Willst du mich denn nicht kennen? Sind wir nicht von einer Mutter geboren? Hast du deinen Bruder Arrial vergessen, den du ohne Barmherzigkeit vom Throne gestoßen. E l l i d o r (fällt ihm um den Hals). O mein Bruder, in meinen Thränen erkenne meine Liebe, glaub mir, daß ich wider meinen Willen die Krone trage; glaub mir, daß ich sie dir gern wieder übergeben möchte, wenn die Gewalt der Grafen, ihr Haß gegen dich, es mir erlaubte. A r r i a l . Dein getreues Herz hat mich erfrischt, dir vertraue ich, du wirst mich wiedereinsetzen, sey es in Güte oder mit Gewalt. M a r s i a n und C a r n i o l kommen.
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M a r s . Wir waren besorgt, daß des Königs Majestät so lange ausbleibe, jetzt ist die beste Lust, das Wild ist nahe dem Netze. E l l i d o r . Alle Lust ist mir erloschen, sehet Grafen, diesen Mann, der so dürftig bekleidet ist. C a r n i o l . Ich sehe, und täuschen mich nicht meine Augen, so ist es Arrial. M a r s . Der Tyrann, er muß sterben, da er aus dem Reiche verbannt ist und sich doch in dessen Grenzen findet. (Sie ziehen ihre Degen, wollen Arrial erstechen, Ellidor schützt ihn mit seinem Leibe.) 273
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E l l i d o r . O ihr Unbarmherzigen, wißt ihr nicht, was Bruderliebe sey, ermordet erst mich, euren König, dem ihr Treue geschworen. M a r s . Gnädiger König, euer Leib ist uns heilig, aber gedenket der Gewalt, die Arrial über uns hat walten lassen, der Grafschaften, die er uns entrissen und seinen Schmarotzern geschenkt hat. E l l i d o r . Der Mensch ist kein Gott. Vergeßt seinen Übermuth beim Anblicke seines Elends, gedenkt, daß mein Bruder geborner König von England ist, daß er mein älterer Bruder ist. Mein Herz ist voll Unmuth und erlaubt mir nicht, daß ich länger diese Krone trage: Gebt sie meinem Bruder zurück. M a r s . Gnädiger Herr, er ist verbannet durch des Rathes Beschluß. C a r n i o l . Wir sind dem Throne zugesellt, die großen Begebenheiten des Landes zu bewachen, zwischen König und Volk die Vermittler zu seyn, Arrials Gewaltsamkeit hat ihm das Herz des Volkes abgewendet. A r r i a l . Ihr Herren verzeiht, was Jugend versehen, ich gebe euch die Grafschaften zurück, das Volk soll sich meiner Milde freuen, die harte Belehrung will ich nie vergessen. M a r s . Carniol, was denkst du von dem gewesenen Könige? C a r n i o l . Er ist umgeschmolzen und anders geworden, er hat uns alles Gute verheissen, Bruder, wir wollen ihn wieder glücklich machen. M a r s . Laß es uns doch erst wohl bedenken. E l l i d o r . Bedenkt nicht lange, wenn ihr etwas Gutes thun wollt. A r r i a l . Ich will euch doppelt so viele Grafschaften schenken. M a r s . Jetzt zweifle ich nicht mehr, getreuer Bruder Carniol, der gewesene König werde milder regieren; ich meine, wir nehmen ihn wieder in unserm Lande als König an. C a r n i o l . So meinte ich schon vorher. M a r s . Gnädiger König, wir ergeben uns in euren Willen und wollen euren Bruder Arrial als König wieder anerkennen. E l l i d o r . Ich danke euch von Herzen. Nehmt zurück die Krone und übergebt sie ihm in Unterthänigkeit. M a r s . Arrial gedenket, was ihr uns versprochen, wir übergeben euch die Krone, ihr gebt uns die Grafschaften. 274
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C a r n i o l . Langes Leben, Glück, Sieg und Heil dem Könige Arrial von England, Frankreich, Irrland, Schottland. A r r i a l . Glückselige Stunde, in der mein Trübsinn sich in Freudenschein verwandelt, seyd gedankt, meine Freunde, wählt die Grafschaften, welche der Lohn eurer Treue werden sollen, dir lieber Bruder, danke ich vor allen mein Glück. Noch weiß England, Frankreich, Schottland und Irrland nicht, wer sein König ist, Carniol macht es dem Volke bekannt, ihr Marsian bringet die Freudenbotschaft meiner Frau. B e i d e G r a f e n . Ein frommer, ein ganz verwandelter König. (Alle ab.)
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N i e m a n d . N i e m a n d hat ein Pferd, das fliegen kann und weissagen; wo es ihm wohl geht, da wiehert es, wo es todt geschlagen wird, da braust es. Was hörst du von dem Pferde, mein Knabe? G a r n i c h t s . Ich höre G a r n i c h t s ! N i e m a n d . Je nun, da wird uns wohl jetzt noch nichts Besondres bevorstehen. Doch sieh, da kommt ein alter Bauer. B a u e r . O wir armen Bauern, die Jäger, die bösen Jäger, nicht die Jäger, nein, die Hirsche, die bösen Hirsche, nein, die bösen Hunde, die sie über meinen Acker getrieben, die bösen Jäger, Hunde, Hirsche, haben mir meine Saat zertreten. Wir armen Bauern! N i e m a n d . Was begehrst du, kann ich dir helfen? B a u e r . Wer seyd ihr, Herr, seyd ihr unser König? N i e m a n d . Kennst du nicht deinen König? B a u e r . Wie habe ich dazu Zeit, wir haben jetzt alle Viertelstunden einen andern. N i e m a n d ist jetzt König. N i e m a n d . Weißt du das gewiß. B a u e r . Wir armen Bauern müssens wohl am besten wissen, es ist kein Recht und keine Ordnung mehr im Lande. N i e m a n d . Seyd ruhig, guter Freund, wenn ihr recht habt, wenn es wahr ist, was ihr mir verkündet habt, so soll euch geholfen werden. Wenn N i e m a n d König ist, wird N i e m a n d helfen. B a u e r . Ein schöner Trost, ihr seyd ein Eulenspiegel, daß ihr mit armen Leuten so sprecht. 275
Jemand und Niemand
N i e m a n d . Ihr seyd ein Grobian, N i e m a n d wird euch doch helfen. Junge, laß uns doch nach der Stadt ziehen und fragen: ob wirklich N i e m a n d König ist.
Vierter Aufzug. 5
S c h a u p l a t z : Saal im Pallast. Elia und Arria kommen mit dem Schmarotzer, jene besteigt den Thron, diese bleibt unter demselben stehen.
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E l i a . Ich kann es noch nicht vergessen, gewesene Königin, wie ihr mir gethan; eben ist mein Handschuh mir wieder entfallen, hebt ihn mir auf. A r r i a . Nimmermehr. E l i a . Schmarotzer, du scheinst ihr nicht genug vorzuschwatzen. S c h m a r o t z e r . Gnädige Königin, was ich Ihrer Majestät an den Augen habe absehen können, das ist vollbracht, ich habe dem Befehle gemäß, die gewesene Königin so fleißig tormentirt mit Hunger, Durst und Wachen, daß meine Erfindung endlich ganz erschöpft ist. A r r i a . Dafür wird dich Jupiter mit seinem Blitz, Apollo mit seinen Pfeilen strafen. S c h m a r o t z e r . Schweig sie, gewesene Königin, bin ich in der regierenden Majestät Gnade, so fürchte ich den Jupiter nicht. E l i a . Mein getreuer Diener, deine Reden gefallen mir und sollen künftig belohnt werden. Doch seht, da kommt Marsian so eilfertig, was wird er uns bringen. (Marsian kommt eilig zu Arria.) M a r s . Große Freude, Königin von England, Frankreich, Irland und Schottland, verehrte Königin Arria. A r r i a . Träumt ihr, mein lieber Graf? M a r s . Viel Glück soll ich Ihrer Majestät wünschen im Namen des Königs Arrial und anzeigen, daß er von uns wieder als König angenommen sey. E l i a . Ich falle in Ohnmacht. A r r i a . Glückselige Stunde. Willkommen tausendmal. Ich muß euch küssen, mein Graf. Wo ist mein Gemahl, wo habt ihr ihn gefunden? 276
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M a r s . Arm und verlassen wurde er gefunden, als König reitet er mit Ellidor in der Stadt. A r r i a . Schmarotzer, reiß der gewesenen Königin die Krone ab und setzt sie auf mein königliches Haupt. S c h m a r o t z e r . Ich will mit der ganzen Hand in die Haare greifen, da ist die Krone, – wie schön sitzt sie auf eurem Haupte, auch der Blinde muß es euch ansehen, daß ihr die wahre Königin seyd. E l i a . Wehe mir! A r r i a . Herunter vom Throne. (Sie setzt sich auf den Thron.) Wie weich ist ein Thron. S c h m a r o t z e r (hat einen Fuchsschwanz und bürstet damit die Kleider der Arria ab.) Wie tritt der Glanz eures königlichen Kleides so herrlich aus dem Staube hervor, gleich dem Herrscherblick eurer Augen aus der unwürdigen Unterdrückung. A r r i a . O du Fuchsschwänzer, jetzt könnte ich alle Bosheit, die du mir angethan, dir zehnfach bestrafen, aber alles sey dir vergeben, wenn du die gewesene Königin durch Molestiren und Tormentiren aus der Ohnmacht weckest, damit sie unsre Herrlichkeit anschaue. S c h m a r o t z e r . Gleich, Ihro Majestät, gewesene Königin, wacht auf, ich schütte diesen Eimer Wasser über euch. E l i a . Muß ich zu neuen Leiden erwachen. (Trompetenschall. Arrial, Ellidor, die Grafen treten ein.)
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A r r i a l . Geliebte Königin, ich seh dich glücklich wieder. (Er küßt sie). Gesegnet sey der Tag. A r r i a . Glückseliger Tag, der euch als König heimgeführt. A r r i a l . Dem Bruder und den Grafen dank ich diesen Tag. Geliebter Bruder, komm an meine Seite auf den Thron. E l l i d o r . O laß mich noch bei der geliebten Gattin tröstend stehen; die Herrschaft schien ihr stets ein Glück. E l i a . Du hast dies Glück zerstört, und, ohne mein zu denken, es verschenkt. E l l i d o r . Für meinen Bruder sprach das Recht und auch die Liebe. E l i a . Für mich sprach nichts in deinem Herzen. So leb ich schon nicht mehr, so bin ich schon vergessen. (Sie nimmt seinen Dolch und ersticht sich.) 277
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E l l i d o r . O jammervolle Stunde, o möchte sie die letzte meines Lebens seyn, mit ihr stirbt alle meine Freude. A r r i a l . Du armer Bruder, könnt ich sie dir wiederschenken, ich gäb mein Königreich dafür. A r r i a . Mein König, denke unsres Glücks, gedenk, wie mich die Sterbende gequälet, als ich in ihre Macht gegeben war. Mein lieber Graf, bestellet heut ein prächtig Mahl, bestellet Geiger, Kurzweil aller Art, laßt Abends uns ein lustig Spiel bereiten, worin der ernsten Zeiten wir vergessen, worin die Bosheit wird ein Unverstand des Schicksals, Tücke – kindisch Spiel, was uns umgiebt – ein Schein, das Nichts zum Leben. M a r s . Mit eurem Willen ists vollbracht. C a r n i o l . Doch schaut den König an, er wird so bleich. A r r i a l . Ihr Herren, lasset dieses Fest heut abbestellen, gebietet Stille den Trommeten, mir wird so weh, es bebt mein Blut; in allen Gliedern wühlt ein Fieberschauer. A r r i a . Mein König fasset Muth, es ist nur Folge von des Tages Schwüle, es wird vorübergehn. E l l i d o r . Mein Bruder, wie verkehrest du die Augen, wie wird dir, sprich? A r r i a l . Bald ists vorüber, grün wirds vor meinen Augen, ich sterbe auf dem Thron. (stirbt.) A r r i a . O mein Gemahl! O kurzes Glück und langer Jammer. E l l i d o r . Wir bleiben beide hier, wir arme Waisenkinder, denn die uns liebten, sind schon todt. (Peridor und Eduard treten auf, jeder trägt
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einen goldenen Scepter.)
P e r i d o r . Die Krone seh ich hier auf eines Todten Stirn, wo ist der Scepter, edle Grafen? C a r n i o l . Seit vorger Nacht wird er vermißt. E d u a r d . Ich hab den Scepter, seht, den ihr vermisset, ich bin durch ihn zum König über euch gesetzt. P e r i d o r . Seht hier den rechten Scepter und jener ist ein falscher, setzt mich zum König ein, daß nicht ein blutger Krieg dies Land verwüste. 278
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E l l i d o r . Ihr Brüder, welche Sprache, bin ich der ältre nicht? Doch ihr habt recht, das Leiden hat mich tief gebeugt, die Lust der Krone ist mir viel zu schwer, nur handelt friedlich unter euch und theilet sie in Eintracht. P e r i d o r . Ich will die ganze Krone, denn selbst die ganze Krone ist mir viel zu eng. E d u a r d . So sollst du auch die Hälfte nicht erhalten, ich schwörs bei diesem Schwerdt. P e r i d o r . Mein Schwerdt ist gut, so bleibe einer von uns beiden, daß er den andern nicht behindre. S c h m a r o t z e r . Ach Gott, gieb mir doch ein, wer hier in dem Gefecht wird siegen, dem stünd ich gerne bei und stellt dem anderen ein Bein. E l l i d o r . Ich bitt euch, Brüder, denkt der Todten und ehret meine Bitte. (Niemand hört auf ihn, er setzt sich zu den Todten. Gefecht, die Grafen nehmen Partei.)
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E d u a r d . Verzagter, schon dreimal bin ich dir ans Herz gerannt, du ziehest furchtsam dich zurück, willst du denn ewig leben. P e r i d o r . So schwör ich, daß das Licht der Sonne mich nicht mehr bescheinen soll, bis ich mein Schwerdt dir durch das Herz gerannt. (Beide fallen.)
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E l l i d o r . O jammervoller Tag, auch meine beiden jüngern Brüder muß ich fallen sehen, das bricht mein Herz. O thörigte Herrsucht, o arme Ehre! M a r s . Vergeßt dies schreckliche Geschick und beuget größerm Unheil vor, die Krone nehmt zurück, bewahret sie mit starkem Arm. E l l i d o r . Ihr Grafen, nein, zur Herrschaft ließ ich mich von euch bereden, das Blut der Meinen ist darum geflossen, es schreit zum Himmel, dem ich mich versöhnen muß und betend will ich meinen Kreis von Tagen schließen. Der Himmel geb euch einen mächtgen Herrscher, und geb ihm Glück und den verlornen Scepter schenk er ihm zurück. Ich danke euch für alle Treue, lebt wohl, ich will die Todten jetzt bestatten. (Er geht mit einem Trauerzuge ab, die Todten werden fortgetragen, Arria folgt.)
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M a r s . Wer soll nun unser König seyn, wir müssen Jemand doch zum König haben. 279
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C a r n i o l . N i e m a n d soll unser König seyn. M a r s . Vielleicht ist dies der bessre Rath, wir wollen als ein himmlisch Zeichen es betrachten, wer uns von beiden heut zuerst erscheint. (Niemand kommt mit seinem Jungen.) N i e m a n d . (vor sich.) Der Bauer hat sich wohl geirrt, daß N i e m a n d König sey, kein Mensch begrüßt mich hier als einen König. M a r s . Empfang die Krone, edler Fremdling, es wird sie N i e m a n d tragen. N i e m a n d . Ich danke euch, ihr Grafen, ich nehme eure Krone an. A l l e . Glück, Heil und Sieg dem Könige von England, Frankreich, Schottland, Irland. N i e m a n d . Doch bringet mir den Scepter auch, er ist der Herrschaft wesentliches Stück, nicht darf ich länger ihn entbehren. C a r n i o l . In vorger Nacht ist er verloren, es muß ihn J e m a n d wohl entwendet haben, doch als er ward befragt, da schwor er, daß ihn N i e m a n d hab, und ging mit dem Wachtmeister aus, den N i e m a n d einzufangen. N i e m a n d . Ich hab ihn nicht, sonst würde ich ihn führen, doch seht, da kommt der Jemand, wir wollen strenge ihn verhören. (Jemand kommt mit dem Wachtmeister.)
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J e m a n d . So find ich endlich dich, du Bettler, Landläufer, der überall der Missethaten viele hat vollbracht. Wachtmeister, jetzt überfallet ihn. Wa c h t m e i s t e r . Er hat die Krone auf dem Haupt, da hab ich keine Macht. C a r n i o l . Wachtmeister, gleich bindet den verruchten Jemand, der uns scheinheilig hat betrogen. J e m a n d . N i e m a n d hat euch betrogen. N i e m a n d . Du lästerst unsre Majestät, doch sey es dir vergeben, wenn du sogleich den Scepter schaffen kannst, der in der Nacht entwendet worden. J e m a n d . Ach bindet mich nur nicht so scharf, es hat ihn N i e m a n d . N i e m a n d . Schmarotzer tormentire ihn, bis er bekannt. S c h m a r o t z e r . Gleich, gnädger König, mich achtet N i e m a n d und ich bin beglückt, mich brauchet N i e m a n d , N i e m a n d wird mich treu erfinden. 280
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J e m a n d . So zwickt mich doch nicht so erbärmlich, ich muß Gesichter schneiden, daß ihr alle lacht, was macht ihr so viel Lermen um den alten Scepter, da steckt er, hier in meinem Mantel. N i e m a n d . Der Scepter ist in N i e m a n d s Hand, beglücktes Volk, das N i e m a n d wird regieren, laßt die Trommeten schallen, ruft den Frieden aus, G a r n i c h t s sollt ihr bezahlen. G a r n i c h t s . Ich dank euch, gnädger Herr, daß ihr im Glücke meiner nicht vergessen. S c h m a r o t z e r . Ich möchte G a r n i c h t s seyn. J e m a n d . Wer glaubet jetzt bei diesem königlichen Wesen, daß das der arme N i e m a n d sonst gewesen. A l l e . Es lebe der König! (Großer Krönungszug.)
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Die Appelmänner. Ein Puppenspiel.
Puppen. Graf Bretterod. A p p e l m a n n , Burgemeister. Vivigenius dessen Kinder. Apollonia } R e m e l , Pfarrer. Theobald } dessen Kinder. Pura H ä m m e r l i n g , Scharfrichter. H a n s , Wachtmeister. B r u m m e r , Soldat. W i r t h und W i r t h i n zu Bruckhausen. Ort: Stargardt. Zeit: 1576.
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Erster Aufzug. Zimmer im Hause des Burgemeister Appelmann.
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A p o l l o n i a . Die Gänse schrien diese Nacht unleidlich, sie wissen, daß sie sterben sollen. Es wird ein großer Schlachttag heut, die Leute freuen sich! Die armen Gänse, wie hab ich sie so gern gestreichelt, als sie noch klein mit gelben Flaumen dünn bekleidet, sich im Nest zusammendrängten, wie hab ich sie noch heut so gern gefüttert, wie hab ich mich gefreut, als sie so breit, so weiß wie Schwäne, kaum des Stalles Schwelle übersteigen konnten. Der Martinstag steht im Kalen der und alle Güte ist nun aus, das Messer ist 282
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schon scharf, dieselbe Hand, die ihnen sonst das Futter streute, schneidet ihnen ab den Hals. (Der Burgemeister Appelmann tritt ein.) A p p e l m a n n . Heut ist für dich ein wichtger Tag, ich werde prüfen, ob du nun eine tüchtge Wirthin bist, wenn unsre Gänse nicht die besten sind, so wirst du abgesetzt und Margaretha führt die Schlüssel wieder, hier ist die Ausrechnung, wie viel du Gerste hast verbraucht, so viel gab ich noch nie. Hier hast du das Verzeichniß aller Herren, denen unser Haus alljährlich Gänse schickt. A p o l l o n i a (ließt) »Den beiden ältesten Rathsherren von Stralsund.« Warum bekommen die von uns Geschenke, wir kennen sie doch nicht? A p p e l m a n n . Es sind die Enkel jener braven Männer, die einst vor hundert Jahren unsre Fehden mit den Sundischen geschlichtet haben. A p o l l o n i a . Die Ehre erbt sich gar zu lange. A p p e l m a n n . Sie senden uns dafür auch jährlich frischen Hering. A p o l l o n i a . Den Hering brauchen sie doch nicht zu mästen, der Tausch ist ungleich. A p p e l m a n n . Schweig Kind, denn das verstehst du nicht, Stralsund ist mächtiger als Stargardt, wir müssen seine Gunst für unsern Markt gewinnen. A p o l l o n i a . Aber Vater, ihr treibet kein Gewerb und keinen Handel, was nützet euch Stralsund. A p p e l m a n n . Du bist ein unverständig Mädchen, da kann ich dir solch Wort verzeihen, das keinem aller Appelmänner in Gedanken kommen darf; die Stadt ist unsrer Ehre Haus, durch unsre Klugheit manch Jahrhundert schon beschützt. A p o l l o n i a . Ich meine Vater, dies sey unser Haus, das unser Zeichen, unsern Namen eingeschnitten trägt, und das uns heute gegen Schneegestöber schützt. A p p e l m a n n . Dies Haus, das sich so lang in unserm Stamm ererbte, kann uns durch Feuer oder andres Unglück untergehen, doch unsre Stadt besteht und wird in Dankbarkeit die Unsern schützen. A p o l l o n i a . Verzeiht mir Vater, ich sitze nicht im Rath und weiß nicht viel, was da geschieht, ich kenne nur die Meinen. Wie viel der Gänsebrüste soll ich meinem Bruder senden? 283
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A p p e l m a n n . Keine, hab ich dir’s noch nicht oft genug verboten. Er ist ein Schandfleck unsres Hauses, sein Leichtsinn hat in wenig Jahren alles mütterliche Gut verzehrt, er hat in Wittenberg nicht promoviren können, ist davon gelaufen – ich werde roth, wenn ich im Rath von einem ungerathnen Sohne, von einem Missethäter, der davon gelaufen, höre reden und kann den Leuten nicht mehr dreist ins Auge sehen. A p o l l o n i a . Er hat sich ja gebessert, sein Handelsherr rühmt ihn, wie fleißig er sich in Stralsund der Handlung hat beflissen. Ach Vater, ihr seyd so milde gegen jedermann, warum seyd ihr dem einzgen Sohn so unerbittlich strenge? A p p e l m a n n . Das will ich dir erklären, liebe Tochter. Er war mein erstes Kind, ich liebte ihn, wie ich noch nichts geliebt, doch ich verzog ihn, statt durch Schonung ihn mir zu gewinnen, ward er ein kleiner Wütherich im Hause, der unsre Rathssitzung und meine ernste Arbeit oftmals störte, und manchen Brief zerriß, noch eh ich ihn gelesen. Ich klagte meine Noth dem würdgen Pfarrer Remel, der sagte mir ganz im Vertrauen, der Knabe hab ein bös Ingenium, auch seh er ihm an seiner Stirn geschrieben, er werde nicht natürlich sterben. Das Wort erschütterte mein Herz, ich schwor ihm, um der Liebe willen, die ich zu dem Kinde trug und immer tragen werde, ihn strenger zu behandeln, das half auch bald, wir hatten Ruhe, er schmeichelte uns nicht so viel, doch quälte er uns auch nicht mehr. A p o l l o n i a . Der arme Vivigenius hat wenig gute Tage hier genossen, da könnt ihr seinen Leichtsinn in der Fremde wohl verzeihen, die Freiheit war ihm neu, hier ward er wie ein Kind behütet und sollte sich als Mann in fremder Welt gleich zeigen. A p p e l m a n n . Den Leichtsinn hätt’ ich ihm verziehen, doch den Trotz, wie er sein mütterliches Erbe hat von mir zurückgefordert, den mög ihm Gott vergeben. Die gute selge Frau, sie dachte nicht, als sie den Jungen mit so vielen Schmerzen stillte, daß er einst seinem Vater auch die Brust mit Gram durchbohren sollte und dennoch lieb ich noch den Undankbaren, der unsern Namen hat geschändet in der Fremde. – Es klopfet an der Thüre, geh mache auf und eile dann zum Schlachten, daß alles wohlgepackt um dreie fertig stehe, wo der Wagen nach Stettin abgeht. (Apollonia ab). Ein gutes Mädchen, meines Alters Trost, die Ordnung selbst und fleißig, 284
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häuslich, ich kann sie noch nicht missen, sonst gäb ich sie dem jungen Remel. Pfarrer R e m e l tritt ein.
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A p p e l m a n n . Ehrwürdger Herr und werther Freund, was treibt euch schon so früh zu mir, das ist nicht euer Stündchen, doch kein Unglück? R e m e l . Es ist mir gar zu wunderlich, Herr Burgemeister, hochgeehrter Freund, ich habe keine Ruh in meinen Gliedern, kann nicht schlafen, bin doch zum Versinken müde, seit vier Uhr bin ich nun auf alle Thürme unsrer Stadt gestiegen, um zu sehen, wo das Feuer heut auskommt, das unsrer Stadt ward angedroht. A p p e l m a n n . Was für ein Feuer, erlaubt, ehrwürdger Herr, daß ich euch gleich zu Protocoll vernehme, nun sprecht, ich bin bereit. (Setzt sich zum Papier.)
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R e m e l . Schreibts auf, gerichtlich kann ichs nicht beweisen und dennoch wirds gewißlich wahr. Ich lag im Wachen gestern Abend, wie es denn leider oft der Fall mit mir beim Wetterwechsel ist, und sah mit Überdruß, doch ohne Schrecken allerlei Gestalten vor mir übergehen, der eine grüßte mich, der andre nicht, sie sprachen sonderbare Dinge, wie ich sie sonst noch nie gedacht, doch ging das alles im Vergessen unter, als letzlich gar ein wilder starker Mann eintrat, gleich einem niederländschen Kriegsknecht angekleidet, gleich einem Riesen nahm er unser Stadtthor sich als Schild und schritt von einem Dach zum andern über unsre Gasse, und wo er trat, da stieg ein heftig Feuer auf, ich sah mein Haus in hellen Flammen stehn. A p p e l m a n n . Ehrwürdiger Herr, was soll ich dabei thun? Ich weiß, ihr habt die Kraft der Weissagung, seht jedem an, der sterben muß, doch weiß ich auch, daß aller Weissagung stets etwas fehlt, um den Erfolg durch Klugheit zu vernichten. Wo ist der fremde Mann, wer ist es, könnt ihr ihn bezeichnen? In diesem Fall könnt ich ihn wenigstens ganz unbemerkt den treusten Bürgern zu geheimer Aufsicht geben, denn Träume gelten doch noch nicht als Zeugen vor Gericht. R e m e l . Das hab ich mir schon selbst gesagt, ich hätte auch geschwiegen, doch werther Herr – ihr müßt nur nicht erschrecken – müßt’s nicht übel nehmen – der Mordbrenner. 285
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A p p e l m a n n . Ich wars doch nicht, ihr stockt, so leicht läßt sich kein Appelmann erschrecken. R e m e l . Der Brenner war euer – Sohn. A p p e l m a n n . O Gott, gerechter Gott, womit hab ich die Schmach verdient! – R e m e l . Mein edler Freund, Gott prüfet euch, besteht im Kampfe treu. – Es ist mir schon, als hört ich in der Stadt die Tritte jenes Schrecklichen. Er naht, ich höre gehen. A p p e l m a n n . Laßt niemand ein, ich kann mich noch nicht fassen. R e m e l . Bleibt draussen, ich lasse niemand ein. V i v i g e n i u s (draussen.) Ist’s nicht genug, daß ihr mich habt aus meines Vaters Herzen fortgedrängt, wollt ihr mir auch das väterliche Haus verschliessen. R e m e l . Gott ist mein Zeuge, daß ich nimmer solchen Frevel dachte, ich bin nicht hart, ich bin nur allzuweich und weine um die Sünder. V i v i g e n i u s . Weich wie ein Sumpf, der mit dem grünen Gras das Land bedeckt, mit falscher Hoffnung Menschen ins Verderben lockt. A p p e l m a n n . Was willst du, ungerathnes Kind, du kommst zur bösen Stunde, hab ich dir nicht befohlen, nicht ohne meinen Willen herzukommen. Bist du entlaufen deinem Handelsherren? V i v i g e n i u s . Ja, Vater, was hilft das Leugnen, wo die ganze Seele spricht, daß ich hab recht gethan. A p p e l m a n n . Schamloser, du sprichst vom Recht und thatest nie das Rechte. V i v i g e n i u s . Ich that nicht immer, wie ich sollte, ich gesteh das ein, doch ihr wart auch ein strenger Vater, aus Furcht vor euch, wagt ich die kleine Noth euch nicht zu sagen und stürzte mich verzweiflungsvoll in größre Schuld. Nun ich mich von dem alten Leben losgesagt, so kann ich alles recht erkennen. Ich taugte nicht zum Rechtsgelehrten, nicht zum Handelsmann, es war umsonst, daß ich mich dazu zwingen wollte, der Widerspruch war allzulaut in mir, fremdartige Gedanken allzu mächtig, der Streit der Rechtsgelehrten wurde mir zur Schlacht, so sah ich auch die Ausgab’ und die Einnahm in den Handelsbüchern auf Tod und Leben mit einander fechten, und hörte ich nun von den Niederlanden, wo sich der Waffen Glanz um Völkerfreiheit schützend drängt, da wurd die Stirn mir kühl, und heiß 286
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das Blut, ich stürzte mich so wonnetrunken in die spanschen Lanzen, daß ich nie größre Wollust fand als in dem freien Sterben. A p p e l m a n n . So lüg und schwatze nicht zu deinem Vater, ein Narr kann tausend Thaten träumen und hat nicht Muth, das Leichteste zu thun. V i v i g e n i u s . Ja Vater, zweifelnd hab ich mich so oft geprüft, wenn ich aus solchen Planen auferwachte und sah das Licht herabgebrannt bei meinem Pulte, ob mich nicht der Gedanke schon befriedigte, ob ich mir selber nicht genügt, wenn ich das Herrlichste in meiner Seele freudig angeschaut, nein, jammervoll und leer blieb alle Welt, die mich umgab, nach solcher Stunde der Begeisterung, ich schämte mich, daß ich so Großes könne denken und gar noch nichts gewagt zu thun, ich lief gleich einem Rasenden umher und kletterte auf Dächer, meinen Muth zu prüfen und fand mich fest. R e m e l . Hört ihr, Herr Burgemeister, ganz wie ich ihn im Traum gesehn. A p p e l m a n n . Was muß ich noch erleben! V i v i g e n i u s . In wenig Worten sag ich, was so lange mich verzehrte. Ich konnts nicht lassen, wo ich einen schönen Damascener Säbel, schönes Schießgewehr, erblickte, es mir zu kaufen, es ließ mir keine Ruh, auch Helme, Harnisch, Streitaxt, manches Waffenstück, das schon veraltet, erkaufte ich mir in Stralsund, von einem Schiffer, der aus ferner Gegend kam, doch als ichs nun bezahlen sollte, da kam die Wittenberger Noth mir wieder. A p p e l m a n n . Hast jetzt kein Muttergut mehr zu verschwenden, kannst jetzt im Schuldthurm deinen Leichtsinn büßen, vielleicht daß dich die Noth noch bessert. V i v i g e n i u s . Das kann nicht euer Wille werden, wenn ihr erst alles habt vernommen. Es kam ein Niederländer nach Stralsund, ein Graf von Bretterod, der wollte für die Freischaar, die er in den Städten Deutschlands sammelte, sich Waffen kaufen, da stiegen alle Preise und jene Leute, von denen ich die Waffen kaufte..... A p p e l m a n n . Ohne zu bezahlen. V i v i g e n i u s . Sie drängten mich nun doppelt, weil ich sie jetzt fürs Doppelte verkaufen konnte. Nach hartem Kampf entschloß ich mich, den Niederländer aufzusuchen in seinem Wirthshaus, die Waffen hatt ich, um sie fortzubringen, mir selbst angeschnallt, den Degen, Vater, trug ich auch, seht nur das Gold auf seiner Klinge. 287
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A p p e l m a n n . Ich wollt, du hättest es in deiner Tasche – auch soll kein Mensch mit Waffen spielen und wer das Schwerdt zieht, soll durchs Schwerdt umkommen. V i v i g e n i u s . Nein, Vater, herrlicher ist nie ein Gold geehrt, als was auf scharfer wohlerprobter Klinge glänzt in Zierrath und im Heldenspruche. Hier stehts geschrieben: Mit Gott, für Freiheit – und wenn ich je den Spruch vergesse, so soll mich Gott am Auferstehungstage auch vergessen. Mit diesem Degen, mit den andern Waffen, trat ich ganz traurig in des Grafen Herberg ein, weil ich sie hier verkaufen wollte. Im Flur war eine weiße Fahne aufgerichtet mit einem Löwen, der mit starker Klaue viele Pfeile hat verbunden. Es trat ein jugendlicher Held mir huldvoll ernst entgegen, und grüßte mich als Kammeraden und freute sich, daß mich die große heilge Sache des Glaubens und der Freiheit hab ergriffen, daß ich mit ihm den Niederländern dienen wollte. R e m e l . Des Glaubens sollten sich die Niederländer doch nicht rühmen, sie sind in vielen Dogmen falsch befunden, besonders was das Abendmahl betrifft. A p p e l m a n n . Ich weiß es wohl, sie sind Sektirer, ärger als die Katholiken, wenn gleich den Lutheranern scheinbar näher. Hör Sohn, wenn du dich je von Luthers Lehre wendest. V i v i g e n i u s . Nein Vater, glaubet mir, all die Schulfüchserei um Glaubensworte, die von den Predgern hier wie hohe Weisheit wird getrieben, verschwindet dort in hohen Thaten für des Glaubens Freiheit und wer mit solcher Zuversicht kann streiten, der ist vom rechten Glauben nicht entfernt. R e m e l . Der falsche Niederländer hat ihn schon verführt, ihr hört es wohl, Herr Burgemeister, ich kenn des Völkchens List aus dem Colloquio. V i v i g e n i u s . Ehrwürdger Herr, ihr seyd der ärgste Lügner, von Glaubensmeinung war noch nie die Rede zwischen uns. Nein, wie er mich so angesprochen, in der sichern Meinung, als käme ich, zu seiner Freischaar mich zu melden, so war ich sein, von allen Zweifeln frei, auf ihn vertraut ich blind und mit ihm zieh ich, wohin er mich mag führen und meine Waffen laß ich nicht als mit dem Leben. 288
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A p p e l m a n n . Wenn sie die Schuldner dir nicht ausziehn, Landläufer, Kriegsgeissel. V i v i g e n i u s . Nein, Vater, der Graf, obgleich er es nicht billigte, daß ich so theure Waffenrüstung mir geschaffen, hat für mich gut gesagt, bis ich von euch das Geld ihm bringe, er hatte schon sein letztes Geld daran gesetzt, und weil er viel schon ausgegeben hat, so meinen die Philister, er müßte viel noch ha ben. Euch aber sag ichs im Vertrauen, lieber Vater, um leichter euch zur letzten Milde gegen mich zu rühren, ihm bliebe nicht das nöth’ge Geld zur Heimfahrt, sein ganzes Unternehmen, durch einen Zug im Rücken aller spanischen Armeen, den Boden seines Vaterlandes zu befreien, wär gehemmt, wenn ihm die lumpgen hundert Thaler fehlten, die er für mich verbürgte. A p p e l m a n n . Was, hundert Thaler? Wo stehen dir die Sinne, bist du mir eines Thalers werth, so muß ich lügen. V i v i g e n i u s . Ach Vater, ihr sagt mit Ruhe ein so hartes Wort! Wohlan, ich mußte schon so viel verschmerzen, auch dieses sey vergessen, doch werdet ihr noch leichter dieses Unternehmen in der Fremde billgen, weil meine Nähe euch so überlästig ist. Es ist das Letzte, was ich von euch flehe, ihr habt so viel gethan, als ich in der Bestimmung, zu der ich doch nicht taugte, die Zeit versäumte und mein Herz verdarb, ich habs euch nie verhehlt, daß ich mit Widerwillen zu den Wissenschaften und zur Handlung mich verstand, es war nur, weil doch jeder etwas sich zur Nothdurft wählen muß, jetzt aber, Vater, ist in dieser kriegerischen Nothdurft eines ganzen Landes, auch meine Noth gestillt, auch mir ist nun Bestimmung, ernste Thätigkeit, die meine ganze Seele füllt, gegeben. Der Graf hat in den beiden Wochen, wo ich durch Kundschaftbringen und durch Werbung ihm genutzt, sein ganz Vertrauen mir geschenkt, ich bins, dem er die leichte Hälfte seines Unternehmens anvertrauet, und wenn ich ihm das Geld von hier gesendet habe, so gehe ich schon auf geheimen Wegen nach Westphalen, den Hafenplatz ihm zu eröffnen mit der Hülfe seiner treuen Bauern. R e m e l . Aufrührer, Feuer wirst du säen, wohin du trittst, ich hab es wohl im Geist gesehen – der Wiedertäufer Geist hat dich ergriffen, Johann von Leiden wird in dir erstehen, Mordbrenner. V i v i g e n i u s . Du Gleisner, Knicker, Menschenschinder, dir möchte ich zuerst den rothen Hahn aufs Pfarrhaus setzen, daß deine alten 289
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Traumbücher, die alte Heimchensucherei in Glaubensstreitigkeit, die alten Reste von den Kindtaufschmäusen, die du von armer Leute Ehrentag dir mitgenommen, daß alle deine Pillen, Kräuter, Pflaster, womit du eingebildete Übel bei dir pflegst, in einer Flamme heut noch aufgehn. Wart, ich faß dich, Heuchler. A p p e l m a n n . Und ich gebiete dir als Vater und als Burgemeister, Ruhe, Schandrachen. Hast du solch Lästern von dem liederlichen Kammeraden, von den wilden niederländschen Kriegsgurgeln schon gelernt. Mein ehrenwerther Freund, ihr stehet da wie Christus vor dem Volke, als er mit Dornen ward gekrönt. R e m e l . Schafft diesen Satan fort, ich fleh euch an, ich habe keine Luft, und wie Brenngläser sengen seine Augen, er hat in seinem Wesen einen Schauder, daß ich zittre. A p p e l m a n n . Aus meinen Augen fort auf immer, Missethäter, Mordbrenner, dich trifft mein Fluch, wenn du dich ohne meinen Willen je zeigst. Den rothen Hahn willst du aufstecken, viel lieber stecke ich dein blutig Haupt aufs Rad. V i v i g e n i u s . Es ist kein Vaterherz in ihm, ich sprach so reuevoll, ich bat so ganz bescheiden, er stößt mich fort auf immer, o grimme harte Jugendzeit, soll ich die Freiheit nimmer schmecken. Noch einmal Vater, nicht für mich, nein für die große Sache, der ich diene, fleh ich um Unterstützung, ich flehe für das Schicksal eines edlen Helden, meines Grafen, ich flehe für das glückliche Geschick des Lebens, das ich eurer Liebe danke, um meiner Mutter willen flehe ich. A p p e l m a n n . Kein Wort, nenn deine Mutter nicht, sie drehet sich dabei im Grabe um aus Gram, daß sie dich hat geboren, verdorbner Apfel an dem Stamm der Appelmänner. V i v i g e n i u s . Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme, sagt ein Sprichwort, bedenkt euch Vater, ich will euch nicht gleich übereilen, ich weile in der Nähe, in Bruckhausen, da gönnt mir Kunde, ob sich euer Zorn gelegt, erlaubt der Schwester, daß sie zu mir komme, sie wird euch alles besser sagen können, ihr hörts vielleicht von ihr mit andern Ohren an, wenn dieser gräulichgelbe grüne Pfaffe sich entfernt. (ab.) A p p e l m a n n . Bei meinem Zorn verbiet ich ihr, daß sie dich nicht soll sprechen. (Ruft hinaus) He Apollonia. Fort Bursche, he Apollo290
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nia, zurück ins Schlachthaus, du hast hier nichts zu suchen, gieb Achtung. (Zu Remel) Ehrwürdger Herr, ihr zittert noch am ganzen Leibe, was soll ich thun, euch zu beruhigen. R e m e l . Als Bürgermeister diesen Frevler, diesen Mordbrenner strafen, eh hab ich keine Ruh, das Wohl der Stadt verlangt von euch die Überwindung. Ihr werdet still – gedenkt an Abraham, als Gott den Isaak von ihm forderte. A p p e l m a n n . Ich danke euch, fast hätt ich eine heilge Pflicht um ein verworfnes Kind vergessen, ehrwürdger Herr, gebt euer Wort, erzählt vor unserm Rath, was ihr gesehen, was ihr gehört, als wärs von einem Beichtkind euch vertraut, und nennet nicht den Namen des Verworfnen, der solche grimme Drohung gegen euch hat ausgestoßen, ich lasse mich heut krank angeben, was der Rath beschließt, werd ich vollbringen, als Blutsverwandter darf ich in der Sache nicht als Richter sprechen. Geht gleich, es ist schon hohe Zeit. R e m e l . O Segen über unsre Stadt, die solchen Mann als Burgemeister sich erwählte, der selbst den eignen Sohn der Strenge des Gesetzes opfert. (ab.) A p p e l m a n n . Was ist’s denn, was ich fühle, ists Reue, Schmerz, nein Krankheit ists, die eilig naht in Fieberhitze. (Er klingelt.) He Apollonia, schick zu dem Scharfrichter, er möchte seinen Kühlungstrank mitbringen, mir ist nicht wohl. A p o l l o n i a . Gleich Vater, was fehlt euch, hat euch der Bruder denn so sehr geärgert, er sah so fröhlig aus, als er zum Haus eintrat, und wollte mir so vieles sagen, wenn er zurück von euch, und ganz verwirrt lief er zum Haus hinaus und küßte mich und Thränen liefen wie ein Strom aus seinen Augen dann drückte er mich sanft zurück und lief in großer Hast davon, als hätt’ er Feuer unter seinen Füßen. A p p e l m a n n . Feuer unter seinen Füßen! Du hast es auch gesehn! A p o l l o n i a . Ich kann euch nicht verstehen. A p p e l m a n n . Laß gut seyn, es ist nicht nöthig, doch eile zu dem Meister Hämmerling, die Hitze steigt mir schon zu Kopf, geh eile. (Apollonia fort.) Ich wollte, daß ein Fieber die Gedanken mir zusammen schüttelte, wie ein Erdbeben die Städte, um nicht an diesem Schreckenstage selbst als Richter über meinen Sohn das Urtheil zu vollziehen. Ich seh das Schrecklichste voraus, der große Bund von 291
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den Mordbrennern hat alle Strenge aufgedrungen, ich müßte ihn verdammen, wär es nicht mein Sohn, – und da erwacht die alte Liebe wieder, ich denke, wie ich seine Mutter pflegte in den Frühlingstagen, als er noch schuldlos ruhte ihr im Schooß. Gott gab ihn mir, Gott fordert ihn zurück, sein Wille soll geschehen.
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Der Scharfrichter, Meister Hämmerling, tritt mit dem Schwerdte ein.
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A p p e l m a n n . Ich grüß euch, Meister, wer hat das Schwerdt bei euch bestellt, ich wünschte einen Trank zur Kühlung. H ä m m e r l i n g . Verzeiht, Herr Burgemeister, daß ich mit meinem Spielzeug bei euch eingetreten, ich wollte eben auf den Wagen steigen, in Calis bin ich zu Gast gebeten, ich hab da einen Sohn. A p p e l m a n n . Zu Gast? Und nehmt das große Schwerdt mit euch? H ä m m e r l i n g . Es ist ein Handwerksausdruck, es werden dort drei der Mordbrenner mit dem Schwerdt begnadigt, davon soll ich den einen richten, mir ists ein großes Ehrenfest, vierhundert neun und neunzig habe ich justifizirt, der Eine macht mich ehrlich vor der Welt, gleich allen andern Menschen, die sich dem scharfen Handwerk nicht geweihet haben und nicht durch scharfe Hand gegangen sind. A p p e l m a n n . Fünfhundert machen ehrlich, jetzt fällt mir ein, daß ich es schon gelesen habe. Ist euch nicht bange vor dem letztenmal, wo ihr die harte Arbeit thut, es könne euch mißlingen, ihr könntet dieses letztemal nicht treffen. H ä m m e r l i n g . Nein Herr, davon hab ich noch nichts gespürt, nein, seht ein jeder Mensch, der mir wird übergeben zu dem scharfen Werke, den seh ich an wie meinen Sohn, ich wende meinen größten Fleiß darauf, daß ich sein Leiden nicht verlängre, ich habe nie gefehlt, ich bin mit ganzer Seele bei der Arbeit. A p p e l m a n n . Recht so, ihr seyd ein braver Mann, ein Held, ihr müßt noch bleiben, wir haben euch vielleicht in Stargardt nöthig. H ä m m e r l i n g . Herr Burgemeister, kein einziger Gefangner sitzt auf den Tod, und morgen kommt mein Sohn hieher, dem ich das Hochamt übertrage. A p p e l m a n n . Fragt nicht und zweifelt nicht und bleibt nach meinem Willen, mehr kann ich noch nicht sagen, die wengen Worte kosten mir schon viel. 292
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H ä m m e r l i n g . Ihr scheint auf eurer Brust beklemmt, Herr Burgemeister, soll ich euch Blut ablassen. A p p e l m a n n . Hat Zeit – ihr werdet früh genug mein Blut vergiessen. Es klopft, eröffnet nur die Thüre, Meister. (Die beiden andern 5
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Burgemeister und der Pfarrer Remel treten ein.)
A p p e l m a n n . Ich grüß euch, werthe Herren, mir ward so unwohl heut, daß ich der Sitzung nicht beiwohnen konnte, doch weiß ich wohl den Gegenstand, den ihr verhandelt habt, was ist nun euer Wille, ich geb der Mehrheit unter euch die Stimme und unterzeichne, was ihr habt beschlossen. B u r g e m e i s t e r . Wir wissen nicht den Namen des Mordbrenners, den wir zum Schwerdt verdammen, aus Schonung, weil er seine That noch nicht vollführt, der Predger sagte, daß ihr ihn nicht vor der Zeit verkünden wollt, weil es ein Mann aus gutem Hause sey. Es ist entsetzlich, daß trotz der schreckli chen Gesetze noch immer solches Bettlervolk sich findet, das mit der Feuerandrohung sich Geld erzwingt, doch ach die leidgen Kriege ziehen jung zum Frevel auf. Und wärs des Herzogs Sohn, er müßte sterben. A p p e l m a n n . So ists beschlossen, also sterben muß er, mit Gott – ich unterzeichne, doch nenne ich aus Schonung für die Seinen keinen Namen, ich selbst will dieses Urtheil heut vollstrecken, der Pfarrer sey mein einzger Zeuge. Hört Meister Hämmerling, bis heute Abend müßt ihr bleiben, ihr haut euch ehrlich hier an guter Leute Kind. Reicht mir die Feder. (Er unterzeichnet.) B u r g e m e i s t e r . Ihr könnt uns traun, daß wir verschwiegen sind. Die Neugier plagt uns sehr, wer dieser Frevler sey, wir haben schon nach allen Seiten hingerathen. Ist’s wohl des Schlossermeister Gebhard Sohn, der böse Bube, der seit dem letzten Diebstahl ausgetreten ist. A p p e l m a n n . Nein Freund, der ist es nicht, doch fragt nicht weiter, die große Feuersnoth, die überall im deutschen Land von Frevelhänden ward verbreitet, hat die Prozesse schon verkürzt. Gestattet, daß der gute Name eines Hauses unsrer Stadt durch dies Geheimniß sey beschützt, worin ich dieses Frevlers Namen hülle, die Sache fordert Eile, ihr habt nach eurer Pflicht gesprochen, lebt wohl, ihr Herren, ich eile zur Vollstreckung. 293
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B u r g e m e i s t e r . Ich komme heute Abend zu der Martinsgans, nun diesmal soll uns doch nichts wieder stören. A p p e l m a n n . Ich sorge, daß ich nicht so früh heimkehre. A n d r e r B u r g e m e i s t e r . Hätt nicht gedacht, daß dieser frohe Tag so ernsten Werks bedürfen könnte. Lebt wohl. (Beide Burgemeister
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A p p e l m a n n . Mein würdiger Herr Pfarrer, euch kann ich nicht entbehren, denn wo mein ernstes Amt geendet, fängt euer christlich mildernd Wort zu trösten an. R e m e l . Ich fleh euch an, wählt einen andern Tröster für den Sünder, er hasset mich, auch stirbt mir jedes gute Wort in seiner Nähe. A p p e l m a n n . Ihr habt begonnen und ihr müßt auch enden, was ihr im Geist gesehen, müßt ihr mit geistlich frommen Troste mir erleichtern. R e m e l . Der Gram um euch wird jeden Trost ersticken. A p p e l m a n n . Das Schwerste trag ich selbst, – denn jetzt erst fühle ich, daß dieser Sohn das Liebste war, was ich auf Erden hatte, und meine Strenge gegen ihn war meiner Liebe Zeichen. Wir finden uns zusammen vor dem Thore, Mei ster Hämmerling, ich kenne euch, ihr seyd verschwiegen. (Appelmann und Remel fort.) H ä m m e r l i n g . Es sind noch ein Paar Scharten seit der letzten Hinrichtung in meinem Schwerdte, da liegt ein Messer, ich will sie schnell wegstreichen, bei solcher hohen Herrschaft muß es ohne Tadel gehen wie ein Distelkopf herunter. (Er nimmt das Messer der Apollonia und streicht an dem Schwerdt, während Apollonia eintritt.)
A p o l l o n i a . Herr Jesus, der Schinder hat mein Messer in der Hand, da wirds unehrlich. Was untersteht ihr euch, mein Schlachtmesser ohne meinen Willen hier zu brauchen, ihr solltet meine Sachen nicht berühren, es schickt sich nicht. H ä m m e r l i n g . Seyd nur nicht böse, Jungfer Appelmann, es schadet eurem Messer nicht, noch heute werd’ ich ehrlich, daß ich euch dreist zur Ehe könnte fordern. A p o l l o n i a . Ihr frecher Schelm, mein Vater ist zu gut mit euch, weil er von eurem Kühltrank braucht; mir und den Meinen sollt ihr nicht zu nahe kommen, sonst gehts euch übel. 294
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H ä m m e r l i n g . Nicht näher, als mein Schwerdt wird reichen. Nun seyd ihr doch zufrieden. (ab). A p o l l o n i a . Ich möchte räuchern, der Mensch riecht ordentlich nach Menschenblut. – Ach wenn ich denk, wie viele Gänse ich noch schlachten soll, da schein ich selber eine Scharfrichterin – Ich komme heut zu nichts! Was nur der Vater damit wollte, als er mir streng verbot im Weggehn, daß ich das Haus ja nicht verlassen sollte, er meint wohl wegen meines Bruders? Gern spräch ich ihn, doch hab ich heute keine Zeit, kaum werd ich mit dem Schlachten fertig. Mich wundert, daß der Theobald nicht kommt, er wollte mir heut schöne Blumen bringen, die er in seinem Garten zu Bruckhausen unter gläsernen Glocken zog. Gottlob, da kommt ja seine Schwester. P u r a (kommt). Nun guten Tag, wie geht es dir, ich bin schon fertig mit dem Schlachten, die Gänse sind dies Jahr ganz göttlich. Ich wollt dich fragen, ob der Theobald bei dir, es kommen so viel Schüler, die ein Zeugniß fordern. A p o l l o n i a . Ich hab ihn nicht gesehn, er sagte gestern, daß er in seinen Garten nach Bruckhausen gehe. Denk dir, mein Bruder ist gekommen, wohnt in Bruckhausen, vielleicht sind sie beisammen. P u r a . Dein Bruder? Dein Bruder? A p o l l o n i a . Du wirst ja feuerroth! P u r a . Ach Gott, weißt du’s denn nicht, daß wir versprochen sind. A p o l l o n i a . Kein Wort, laß dich küssen, da bindet uns ein doppelt Band. Sieh Pura, da kannst du mir auch den Gefallen thun, du weißt, daß ihn der Vater nicht kann leiden, ich möchte heimlich eine Gans zum heutgen Tag ihm senden, er wohnt in Bruckhausen, dahin schick eine Magd mit dieser Gans und laß ihm recht viel Schönes von mir sagen. P u r a . Das geht nicht, Apollonia, der Vater forscht nach allem, er brächts heraus, da würd er böse, allein – ich selber geh hinaus, du weißt, die Predgersfrau ist meine Muhme, da heißts, daß ich bei der gewesen bin, um Äpfel mir zu hohlen, unsre Gans zu füllen. Gieb mir die Gans, ich nehm sie unter meinen Mantel. A p o l l o n i a . Wie soll ich dir die viele Liebe danken, gewiß, der Bruder wird recht glücklich seyn, er sagte einst als Knabe, im Himmel sey wohl alle Tage Martinstag. Warum mag er bei euch heut früh nicht angesprochen haben? Kaum kann ichs glauben, daß ihr seyd verlobt. 295
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P u r a . Er kam nie gern zu uns, den Vater kann er nicht recht leiden. Der Vater meinte, er müsse ihn noch alle Tage ermahnen wie sonst, da er noch auf der Schule war, auch weiß der Vater nichts von unsrer Liebe, der Vater meint, daß ich noch viel zu jung dazu. A p o l l o n i a . Ich möchte wissen, ob ich auch so werde, wenn ich Kinder habe, daß ich sie nie für voll ansehe und ihnen nie den Willen lasse, wenn sie schon ganz erwachsen sind, ich schwöre dir, mein Vater spricht noch jetzt mit mir wie sonst, als ich ein kleines Kind noch war, obgleich ich alle Arbeit einer Hausfrau ihm muß leisten, und alles unter Händen habe, daß er jetzt ohne mich gar nicht bestehen könnte. P u r a . So ist mein Vater nicht, er läßt mir allen Willen, doch quält er mich fast todt mit seiner steten Angst und Geisterseherei, und was das schlimmste ist, seit mir dein Bruder nicht mehr schrieb, da seh ich auch in unsrer Küche einen kleinen grauen Mann, der geht nicht fort, bis ich mit einem Feuerbrand ihn werfe, da beißt er grimmig drein und schleichet untern Heerd. A p o l l o n i a . Mir wird ganz kalt – nimm dich in acht, daß er kein Feuer zündet. Rufst du den Theobald dir nicht zu Hülfe. P u r a . Der ist jetzt immer fort von Hause, des Vaters Arbeit zu erleichtern, dem sag ichs nicht, der würde mich verlachen, wenn ich vor Angst den Kopf einrennen möchte, der sieht in seinem Blumengarten lauter frohe Geister, wärs nicht dein Bräutigam, ich möchte ihn verspotten. A p o l l o n i a . Ach schick ihn mir recht bald, ich will es an das Herz ihm legen, daß er dich nicht den Geistern überläßt, ich weiß, du hattest schon als Kind so schreckliche Gedanken von Mord und Todtschlag, daß wir uns oft verwunderten, woher du alles das erfahren. Pura. Bei den Blumen fällt mir ein, Daß sie wollen gebrochen seyn, Wenn des Nachts die Kinder schrein, Daß sie gerne sterben klein, Wenn sich Braut und Bräutgam küssen, Daß sie lieber sich vermissen, Und der Sehnsucht ganz allein Möcht ich meine Seele weihn: Sehnsucht, Sehnsucht, sprich wohin dein Drang, Was du suchst, das fürchtest du so bang. 296
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Schenke in Bruckhausen, auf der einen Seite der Wirth mit seinen Gästen, beim Gänsebraten, auf der andern Seite Hans der Wachtmeister mit Soldaten, unter einer Fahne beim Würfelspiele.
Wirth.
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Der beste Vogel, den ich weiß, Ist eine Gans, Sie trägt viel Federn grau und weiß, Und einen langen Hals, Sie hat zwei breite gelbe Füße, Sie hat ein Fleisch, das schmecket süße, Sie ist nicht schnell, Doch ihre Stimm’ klingt hell, Gickgack, gickgack, So schrein wir zum Sankt Martinstag. Gäste. Martine, lieber Herre, mein, Nun schenke uns gar tapfer ein, Ja heut zu deinen Ehren Wollen wir alle fröhlig seyn, Und unser Geld verzehren. Cum jubilo omnes clamate, Ut sit deum rogans, Bratgans, rogans gens, Gänsebraten. H a n s . Nun macht nur keine langen Hälse nach dem Braten, ihr Soldaten, der schmeckt nicht, wenn wir ihn bezahlen, der muß erobert seyn. B r u m m e r . Ja, wenn es auch kein feindlich Land mehr gäbe, ich wäre nicht Soldat geworden, da solls uns schmecken, wo alles uns gehört. Wenn ich mir nun so dächte, wir wären hier in Feindes Land, so ginge ich gerade auf den Tisch los, zög meinen Degen und spießte einen Gänseflügel auf. (Er thut, wie er sagt). W i r t h . Heiliger Martin, schütz deinen Braten. B r u m m e r . Halts Maul, er hat ihn mir geschenkt, doch nehm ich nur das Stück, den Rest sollst du behalten. W i r t h . Die Leute lachen mich aus, immerhin, friß, daß du daran erstickst, nun Kinder, ihr seht, ich hab doch auch was rechts gethan 297
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für eure Freiheitssache, das war kein schlechtes Stück, ich geb es gerne, seyd nur lustig, singt vom Krieg. H a n s . So recht: Das Herz an rechter Stelle, Den Geist in rechter Helle, Die Augen aufgemacht, Gehandelt wie gedacht, Das ist die Heldenkraft, Die alle Siege schafft. Im Glücke nichts vergessen, Im Siege nicht vermessen, Im Unglück unverzagt, Gewagt und nicht geklagt, Das ist der gute Sinn, Der sichert den Gewinn. In Mühe unverdrossen, Im Mangel froh genossen, Was uns noch übrig bleibt, Das ist’s, was Zeit vertreibt, Wer nicht die Sorg entläßt, Den hält die Krankheit fest. Gäste. Cum jubilo omnes clamate, Ut sit deum rogans, Bratgans, rogans gens, Gänsebraten. T h e o b a l d . Das hält kein Mensch hier aus, ich soll bei dem Geschrei vom Gänsebraten, Proklamationen für die Freiheit schreiben! Ich bitt euch Kinder, bleibt bei einem Liede, singt nur nicht zweierlei zusammen, es ist mir sonst, als ob ein Wirbelwind mir die Gedanken in dem Hirn zu einem Strick zusammendrehte. W i r t h . Hört, guten Leute, ihr stört den Herrn Adjunkt, eßt und sprecht kein Wort. T h e o b a l d . Singt nur, Herr Wachtmeister, ihr stört mich nicht, vielmehr rollt mir das Blut so frischer in die Feder, wenn ich vom Kriege höre, nur zweierlei Lieder passen sich zusammen, wie Christus und der Teufel. W i r t h . Singt uns, wie’s in den Niederlanden zugegangen, wir haben hier nur immer Kleinigkeit von dem Krieg gesehen, wo kaum ein 298
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Paar mit großer Müh von beiden Seiten sind zerstochen worden, da ists bei euch ganz anders hergegangen, wenn ihr die Schleusen meilenweit habt aufgemacht, daß gleich ein Paar Millionen Spanier sind ersoffen. Hans. Wir ließen Gott nur walten In allen Todsgestalten, Wenn alles uns verläßt, Er macht uns dennoch fest, Und wessen Leben nützt, Der ist von ihm beschützt. Wer fällt, der bleibet liegen, Wer steht, der kann noch siegen, Wer übrig bleibt, hat recht, Und wer entflieht, wird Knecht, So wird der Friedensschluß, Dem jeder folgen muß. Als Knecht will keiner dienen, Die Freiheit wird ergrünen Auf unserm frischen Grab, Um unsres Feldherrn Stab, Sein Blut gab Gottes Sohn, Und sitzt bei Gottes Thron. T h e o b a l d . Mir geht das Herz recht auf, wenn ich von Schlachten also singen höre. W i r t h . Ich habe immer nicht recht glauben wollen, was die Leut’ erzählen, die in Schlachten sind gewesen, möcht auch wohl eine sehen, doch in aller Sicherheit, so wie die Lerchen, Tauben, Krähen und Mistkäfer übers Schlachtfeld fliegen, wie über jedes andre Feld und keiner schießt nach ihnen. Hans. Erzählen und nicht lügen Ist schwer nach großen Siegen, Doch wer geschlagen ist, Der lüget mit mehr List, Hört zu und glaubt es nicht, Was man vom Kriege spricht. Es ist kein lustig Spielen In herrlichen Gefühlen, Wer etwas unternimmt, 299
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Kämpft lang, eh er bestimmt, Und wer gehorchen muß Knackt manche harte Nuß. Wer Lust hat, Krieg zu sehen, Und will doch sicher stehen, Der träum davon im Bett, Der Krieg treibt gern Gespött, Zur Lust gehört viel Herz, Und nach der That ein Scherz. T h e o b a l d . Das ist nicht recht, daß ihr mit solchen Warnungsworten unsern Leuten Frohsinn nehmt, was könnt ihr ihnen wohl dagegen geben? B r u m m e r . Mir thuts nicht, wenn ich nur zu essen dabei habe. Hans. Die Lüge kann nur schwächen, Die Wahrheit wird euch rächen, Die Wahrheit, die euch schreckt, Bedenkt und nicht versteckt, Bringt heisses Blut zur That, Und kalten Muth zum Rath. Viel thun und wenig sprechen, So.... Was macht ihr Theobald, was habt ihr da zerrissen. T h e o b a l d . Nun sagt ihr nicht, daß Sprechen nichts mehr gelte, ein jeder weiß, woran er ist, darum hab ich die Proclamation zerrissen, ich will nicht schlechter seyn als ihr, ich will nicht schwatzen, wenn ihr handelt. H a n s . In den Gelehrten ist doch nie Vernunft. Seyd ihr des Teufels, Herr, das war nicht euer Werk, das war des heilgen Geistes Eingebung, was ihr geschrieben hattet, die Augen funkelten schon jedem, der den Anfang nur gehört, nein Herr, ich laß euch nicht von dannen, bis ihr die Stücken habt zusammengesetzt. W i r t h . O lest es doch, Herr Theobald, wir hören euch so gerne predigen, und wir sind fertig mit dem Braten. T h e o b a l d . Was sich zusammenfindet, will ich gern euch lesen, doch mir gefällts nicht mehr. (Er liest) Glück auf, ein guter Wind hat unsre Segel übers Meer getrieben und wehet noch in unsern Fahnen, es ist der Freiheit Athem, die euch zuerst vom Meere wieder300
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kehrte, o sammelt euch bei ihren Fahnen mit heilgem Schwure, sie nimmer zu verlassen, wir aber schwören diesem Boden, auf dem wir knieen, diesen alten Eichen eures Landes, die uns mit Schmerzensruf umseufzen, daß wir auf Leben und auf Sterben mit verbrüdert treuem Willen unser ganzes Herz und alle Kräfte weihen, euch deutsche Brüder von den Spaniern zu befreien. Das Große kann nur durch vereinte Kraft gelingen, so ward die Meeresfluth gehemmt und eurer Ströme übermüthge Kraft euch unterworfen, so haben euch durch wohlvereinte Kraft die Spanier in den Pflug gespannt, daß ihr für ihre Wollust euch in Arbeit müht. Dieselbe Kraft, die euch bezwungen, richtet gegen sie, ergreift das Pflugmesser, die Sense, ein jedes Werkzeug ist gewaltig in des Muthgen Hand, und Gott ist mit dem Rechte, mit dem freien Glauben, den sie euch raubten, ist mit den Völkern, die auf ihn vertrauen, ihr habt nichts zu verlieren und alles zu gewinnen, und keiner setzt umsonst sein Leben auf, wenn alle mit ihm sind verbunden, es ist die Zeit der heiligsten Aufopferung gekommen, ihr fühlt das alle und Gott straft wunderbar, die sich ihm nicht mit ganzer Seele hingegeben haben. H a n s . Bravo, Herr Theobald, das greift ans Herz, seht nun, wie thörigt es von euch gewesen, die schöne Predigt zu zerreissen, glaubt mir, mit euren beiden Fäusten hauet ihr in hundert Jahren nicht so viele Spanier zusammen, als ihr durch solch ein Wort zur rechten Zeit in einem Augenblicke schlagt. So machts auch unser Graf, gar selten zieht er seinen Degen, er schlägt den Feind mit seinem Kopf, mit seinem Muth, denkt nur, wie er die erste Schaar von seinen Bauern sammelte, dazu gehörte doch ein großer Geist. W i r t h . Erzählt, ich kann vor Ungeduld mich gar nicht lassen, das Märzbier muß mir heut zu Kopf gestiegen seyn. H a n s . Es ging damals gar schlecht noch in den Niederlanden, die Leut’ verstanden sich nicht recht zusammen, jeder meinte, es sey an ihm noch nicht die Reihe, er werde früh genug zum Kampfe kommen, noch wolle er sich schonen, wir waren überall zu schwach an Zahl, was sprach da der Graf zu uns, ich war auch damals nur ein Bauer, so wie ihr: (Singt):
Kommt zum Schloß, ihr treuen Bauern, Die ihr rings in Hütten wohnet, Wollen heut den Feind belauern, Und kein Blut sey mehr geschonet. 301
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Eh mein Wein des Feindes Beute, Trinkt ihn, meine lieben Freunde, Trinkt ihn, meine braven Leute, Keinen Tropfen gönnt dem Feinde. Öffnet meine alten Fässer, Was zu langsam quillt vom Spunde, Saugt’s mit Röhrlein um so besser, Daß es eilend steigt zum Munde, Und begeisternd uns erfülle, Und belehre alle Schwäche, Daß ein heilig zornger Wille Uns an unsern Feinden räche. W i r t h . Graf Bretterod hoch! Sieg oder Tod! W i r t h i n . Ei Mann, so schrei doch nicht solch Zetermordio, du wirst sonst wieder husten müssen. Hans. Unsre Krieger sind gefallen Durch des Feindes Frevelhände, Laßt ein grimmig Lied erschallen, Zündet an die Feuerbrände. Rache brennet mir im Herzen, Wie das Feuer in dem Holze, Gott gebietet uns in Schmerzen, Und entflammt mit altem Stolze. Todtenbleich wir alle scheinen, Nun die Flamme flackernd steiget, Laßt die Geister uns vereinen, Nun der Tod sich allen zeiget. Seht die alten Waffen wieder, Wie sie bei dem Feuer glänzen, Auf, und rächet eure Brüder, Und beschützt des Landes Grenzen. Ja ihr schwingt die alten Klingen, Auf, ihr seyd bereit zu Thaten, Und im Tod und im Mißlingen Wird kein Zweifel uns berathen. Daß wir sterben oder siegen, Schwören wir, die Hand am Schwerdte, Daß wir nicht der Sorg erliegen 302
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Für die Unsern, für die Heerde, Daß wir alles hier verlieren, Bei dem Feinde mehr erwerben, Muß das Weib den Kriegszug zieren, Und die Kinder mit uns sterben, Und die Heerde mit uns ziehen, Wo die Brüder lange darben, Und nun laßt die Fackeln glühen, Zwischen dieser Scheune Garben, Schwerdt und Kind auf einem Arme, Nehmt die Fackel in den andern, Daß sich unsrer Gott erbarme, Laßt uns so von hinnen wandern. Seht, wie ich mein Schloß anzünde, Also zündet eure Hütten, Daß der Rauch dem Feind verkünde, Wie wir nie um Frieden bitten. W i r t h . Hurra, hurra, Frau bring Feuer, alles soll in Feuer aufgehn, Feurio, Mordio! W i r t h i n . Das Feuer mag dir unter deinem Kahlkopf brennen, der Dampf steigt in die Höhe, hast sicher Sodebrennen. W i r t h . Sieg oder Tod! Feurio! Hans. Jauchzend rufen alle Bauern Ihrem Herrn mit Schwerdterklingen: »Überwunden ist das Trauern, Frei sind wir von irdschen Dingen, Alles ist daran gesetzet, Alles wieder zu gewinnen, Unsre Schwerdter sind gewetzet, Und der Feind soll nicht entrinnen.« W i r t h . Nun gehts drein, pif, paf, puf, es klatscht wie auf dem Tanzboden, nieder mit den Hunden, zerreiß sie mit den Zähnen, tretet sie kurz und klein, vorwärts! W i r t h i n . Mann, Mann! Was hab ich dir gethan, was willst du denn auf mich so grimmig kanonieren. Hans. Aus dem Feuer in das Feuern Führet Bretterod die Bauern, 303
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Bei so mächtigen Befreiern Kann die Schlacht nicht lange dauern. Drein, nur drein, ihr, meine Freunde, Hinter euch ist gar kein Hoffen, Vor euch stehn die blutgen Feinde, Und der ganze Himmel offen. Wer die Rache frommen Blutes Will im Herzen unterdrücken, Dem wird nie des festen Muthes Himmelsstrahl im Auge blicken. T h e o b a l d (küßt den Wachtmeister). Freund, willst du länger mich zurückhalten, mit Tugendreichen für die Tugend leben, ach wie viel herrlicher, als träge Sünder stets umsonst ermahnen. H a n s . Bleibt noch, wir brauchen künftig Prediger, färbt eure Hände nicht mit Blut, auf daß ihr segnen könnt. W i r t h . Ich aber gehe mit, bei Gott, das steht nun fest, will auch einmal was Großes thun; gebt die Muskete her, ich hab vor Zeiten auch schon eine bei dem Förster auf ein Scheunthor losgedonnert und sechzig Schrot hineingeschossen. B r u m m e r . Frau Wirthin, hört doch, euer Mann will auch nach Holland ziehn. W i r t h i n . Er wird sich schon besinnen, da bin ich ohne Sorgen, nur daß er heute sich mit tollem Schreien wird verderben, das fürchte ich. W i r t h . Wirst’s bald mir ansehn, daß es hier mein Ernst. Herr Wachtmeister, ich geb euch meine Hand, ich zieh mit euch für unsern Glauben in das Feld. H a n s . Ich habe nichts dagegen, ihr sorget für Proviant. T h e o b a l d . Herr Wirth, wir kennen uns seit Jahren, ich bin euch dankbar für den Garten, den ihr zu meiner Lust habt eingeräumt, ich möchte gerne euch mit gutem Rath bezahlen. W i r t h . Euch folg ich Herr, denn ihr habt mir nur durch eure zerrissne Predigt zuerst den Kriegsmuth in den Kopf getrieben, ihr wißt, was in der Bibel steht. T h e o b a l d . Die Bibel weiß von Völkern nichts, und nichts von ihrem Streit, sie kennet nur den Menschen und durch Erziehung in 304
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der Liebe führt sie ihn zur Gottesnähe, wo Überzeugung, Einheit ihn durchstrahlt zu allem Thun. Was ich euch sagte, war die eigne Überzeugung, die ich durch keine Stelle aus der Bibel mag beschönigen, in die gewaltsam ich den Sinn gepreßt, das thut wohl mancher, der sich geistlich nennt, ich fühl mich frei von dieser Feigheit, ich sprach aus meinem Geist, ich glaub an einen heilgen Geist in mir, der Wahrheit schafft im Maaße meines heilgen Willens, mehr konnte ich euch nicht verkünden und darum prüft, was ich euch sagte. W i r t h . Mein Geist zeugt, daß in eurem Geiste Wahrheit sey, ich hab geprüft, drum kurz und gut, ich ziehe mit und wenn die ganze Welt mich auslacht. W i r t h i n . Ei Mann, du bist ein Narr, dein Zipperlein läßt dir bei Tag und Nacht nicht Ruhe, wenn du den Fuß nicht warm hältst und mich willst du hier so verlassen! Wer wird einschenken, vorschneiden, aufschreiben, ich habe in der Küch so viel zu thun. Es kann dein Ernst nicht seyn, sprecht ihm doch zu, Herr Candidat, gewiß hat er ein Glas zuviel am Martinstag getrunken. T h e o b a l d . Hört, gute Frau, statt ihn so anzuschreien, wenn ihr nun meint, daß er ein Glas hat übern Durst getrunken, so solltet ihr fein mildiglich ihn schonen, ihr wißt am besten, daß dies sein Fehler sonst nicht ist, wie bei dem Nachbar, freut euch des frohen Tags, der euren Mann des Alters und der Krankheit so vergessen macht und in die muntre Jugendzeit entrückt. W i r t h i n . Ihr wollt ihn auch verführen, seyd auch so’n Seelenverkäufer, wollt auch den alten Narrn zum Besten haben, bei euch heißts auch, auf meine Worte hört, seht nicht auf meine Werke. T h e o b a l d . Ich halt’s nicht aus, dies Keifen nach so tiefer Rührung. Frau Wirthin, überdenkt die Sach in Ruhe. W i r t h . Siehst du, den Herrn hast du gekränkt, du dummes Weib; ich sag dir, schweig du alter Schlüsselbund, bleib doch bei deinen Käsen, denn mehr verstehst du nicht. Du meinst, weil ich zu dir von solchen Dingen nie geredet habe, daß ich noch nie daran gedacht. Seit Jahren denke ich daran, ein Held zu werden, mir ist die Wirthschaft hier ein rechter Greuel, dich mag ich auch nicht leiden, weil du so dumm und schmutzig bist. Herr Wachtmeister, wir wissen, was wir thun. 305
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W i r t h i n . Muß ich aus Gram die grauen Haare noch ausreissen, ich bitte euch, Herr Wachtmeister, redet ihm die Thorheit aus, ich kenn ihn gar nicht mehr und lebe nun schon vierzig Jahre mit dem Manne in christlich friedlichem Ehestande. W i r t h . Schweig Frau, ich sags zum letztenmal, Herr Wachtmeister gebt die Muskete her, will meiner Frau den Kolben zeigen. H a n s . Laßt mich nur einen Augenblick in Ruhe, ich muß erst alles überdenken, es ist ein wunderlicher Fall, der mir in keinem Krieg ist vorgekommen. Hört Frau, könnt ihr denn euren Mann noch nicht entbehren, habt ihr kein Kind, das eure Wirthschaft führen kann? W i r t h i n . Nein Herr, ich hab kein Kind. B r u m m e r . Ich weiß euch einen Rath, Frau Wirthin, wenn euer Mann so groß Gefallen an dem Kriege hat und ihr nicht ohne einen Mann bestehen könnt, so kauft mich los, es kostet euch nur einen Eierkuchen, denn dafür hab ich meine Haut zu Markt getragen, weil ich die schwere Arbeit bei dem Meister nicht recht leiden konnte. Was euer Alter thut, hier vorzuschneiden, einzuschenken, mit der Kreide doppelt anzuschreiben, das kann ich wie ein Daus, das will ich gern verwalten, bis er wieder kehrt. W i r t h . Ihr seyd ein schlechter Kerl, habt keine Ehr’ im Leibe, doch das giebt Gott euch ein. Nun Frau, bist du’s zufrieden? Ich kauf ihn los, er soll mein Stellvertreter seyn, soll auf dem Großvaterstuhl nun sitzen. W i r t h i n . Ich meine, daß ihr all von Sinnen seyd, der alte Kerl will gern zu Felde ziehn, der junge Schmiedegesell möcht’ sich zu Hause pflegen! H a n s . Ja, seht nur, gute Frau, in unsrer Zeit hat sich durch kalte Winter und Kometen viel verwandelt. Die Kinder werden größer, lernen früher sprechen, was noch vor wenig Jahren einen Groschen kostete, das gilt jetzt zweie, in solchen Fällen giebt es keinen bessern Rath, als zu versuchen, ob alles sich verhält, wie man gedacht, und ob es möglich sey, an seine rechte Stell zu kommen. Darum versuchts, ihr Leute. Ihr tapfrer Wirth stellt euch als Schildwach bis zum Abend vor die Thüre, hier habt ihr die Muskete und schreit zu jedem, der vorübergeht: Wer da! 306
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W i r t h . Doch wenn ich ihn nun kenne? H a n s . Das schadet nichts, man kann sich leichtlich irren in den Menschen. W i r t h . Und wenn die dummen Kerls mir keine Antwort geben, weil sie es nicht gewohnt von mir? H a n s . Da schießt drauf los. Links um, Marsch auf den Posten. W i r t h i n . So bleib doch Alter, du hältst es doch nicht aus, es fliegt der Schnee, die Luft ist scharf, ich will dir deinen Pelz umhängen. W i r t h . Halts Maul, Soldaten dürfen gar nicht reden, sonst wollt ich anders dich bedienen. (ab.) B r u m m e r . Er kann ein Unheil stiften mit der Flinte. H a n s . Es ist nur Pulver, keine Kugel drein. Nun Brummer, du magst dir auch dein Heil versuchen, doch Frau, gebt Achtung, daß er nichts versäumt, vertrinkt, ihr müßt zur Ordnung ihn gewöhnen, denn Ordnung fehlt ihm noch. B r u m m e r . Hör Frau, du sollst mit mir zufrieden seyn, will deine Angelegenheiten wohl besorgen. Es muß wohl heut noch Bier gezapfet werden? W i r t h i n . Ja freilich! Gottes Wunder! Werd alt wie eine Kuh, lern alle Tag was zu. Nun hab ich einen jungen Mann. H a n s . Bei eurem nächsten Kinde stehe ich Gevatter. G ä s t e . Die jungen Eheleute sollen leben. W i r t h i n . Ich schäme mich. (Sie geht). B r u m m e r . Ich schäm’ mich nicht. (Geht ihr nach). G ä s t e . Kommt heraus, wir müssens doch dem Wirth erzählen, wie leicht sich alles macht, der alte Kerl ist hier ganz überflüssig. (Gäste fort.)
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H a n s (allein). Kein sonderliches Leben hier, geht einen Tag just wie den andern, ich wollt, wir wären erst bei unsrer Arbeit wieder, der Vivigenius versprach, daß wir schon morgen ziehen, doch ist der junge Herr noch etwas unbesonnen, mich wundert, wie der Graf solch Zutraun zu ihm faßte, es ist ein Tollkopf, der überall, wo er was Großes hat versehn, es gut zu machen meint, wenn er nur seinen eignen Kopf dran setzt, und sich auch mit verspielt. 307
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T h e o b a l d . Wie meint ihr, Alter, der Vivigenius wär nicht geeignet zum Soldaten, zum Feldherrn scheint er mir geboren. H a n s . Er kann es werden, doch fürchte ich, daß er im Lehrjahr untergeht und andere mit ihm, er denkt sich noch viel Schönes bei dem Kriege, da wird er wild, wenns schlimm geht. T h e o b a l d . O sag mir, giebts denn keine Freuden in dem Kriege? H a n s . Recht viele, aber andre, als sich junge Reiter denken, die in den Waffen vor dem Liebchen prunken. Der Krieg ist wie der Ehestand, recht lustig, aber anders als der Junggeselle hofft. Ja gut, daß ich aufs Lieben bin gekommen, habt ihr die Abschiedsverse für mein Mädchen in Stralsund beendigt? T h e o b a l d . Ich hab es wohl bedacht, doch alles, was ich schreibe, paßt nicht recht zu euch, denn wie ihr sagt, der Ehestand giebt andre Lehre als die Buhlerei. H a n s . Ich sag euch, Herr, mich hat das Alter wieder jung gemacht, vergessen habe ich, was zwischen liegt und bin ein frommer Junggeselle, der lange über einen Kuß kann denken. T h e o b a l d . Dann hab ich auch zuweilen an mich selber denken müssen, ich bin verlobt mit Apollonia, der Schwester unsres Vivigenius, hab hier den Garten mir zur Freude angebaut, oft kamen wir darin zusammen. H a n s . Recht schön, es giebt auch einen Garten mit der Kegelbahn vorm Thore von Stralsund, da haben wir manch gut Glas Doppelbier getrunken, sagt eure Abschiedsreime, es muß sich passen. T h e o b a l d (stellt Blumentöpfe zusammen und schmückt daran): Heimlich und versteckt dem Kriege Zog ich diese Maienblume, Darum trägt sie sanfte Züge Aus des Friedens Heiligthume, In den Kelchen klettern Engel, Süße liebliche Gedanken, Die am grünen glatten Stengel Sich um Küsse artig zanken. Aus dem Garten werd ich ziehen In das blutge Feld der Ehre, Sehe nicht, wo Blumen blühen, 308
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Wo ich trete, ich zerstöre! Werde ich den Lorbeer finden, Der beschattet, was ich störe, Blume, kannst du mir verkünden Ob zu dir ich wiederkehre. Sag, wer schützt dich, liebe Kleine, Wird die Sonne immer scheinen? Und sie flüstert: Bleib ich so alleine, Muß ich in den Thau noch weinen! Bleibst du fern in diesen Tagen, Muß ich ganz vergebens blühen, Muß verwelken in den Klagen, Brich mich ab, ich will mitziehen. H a n s . Recht schön, ihr kennt mich, so denke ich, der Teufel hol mich gerade auch. T h e o b a l d . Meine Hand war schon mit Beben Zu der schweren Unthat fertig, Als mein süß vertrautes Leben In dem Garten gegenwärtig, Und die Hand in ihren Händen Freundlich hielt und zärtlich drückte, Daß die Blume sich mußt wenden Zu dem Aug, das mich entzückte. Nimm sie auf in deinem Garten, Pflege sie mit Blick und Thränen, Lange wirst du auf mich warten, Wirst mich oft verloren wähnen, Doch so lang die Blumen blühen Und so lang die Blätter grünen, Werd ich in Gefahr und Mühen Mich zum Kriege frisch erkühnen. Aller Liebe, allem Schaffen, Allen innern Friedenswelten Muß ich heute mich entraffen, Denn das alles soll nicht gelten, Süße Reime, Liederklänge, Fromme Bilder, laßt mich ziehen, 309
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Wie ein Leichenzugsgepränge Muß ich eure Freuden fliehen. Sag mir keine Abschiedsworte, Trost ist nur in blutger Lehre, Schließe deine Friedenspforte Und bewahre deine Ehre; Komm ich einst mit blutgen Händen, Mußt du dich nicht von mir wenden, Wenn ich niemals wiederkehre, Küß’ mich heut zur letzten Ehre. H a n s . Ich hab es Wort für Wort euch nachgeschrieben, ihr seyd ein Wundermann, ich sag euch, sie muß weinen, wozu ich sie noch nie hab bringen können, und doch hätt ichs so gern gesehen, daß sie um mich weinte. T h e o b a l d . Ich aber muß auch weinen, der Vivigenius hat mich mit seiner Heftigkeit so in den Krieg wie in ein Meer hineingestürzt und wie er fort ist, komm’ ich zur Besinnung, finde nirgend Land, um meinen Fuß zu setzen und geh in meiner Wehmuth unter. (Er
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geht weinend ab.)
H a n s . Es kostet freilich etwas, doch sind mir das die tüchtigsten Soldaten, die wissen und auch fühlen, was sie mit dem Frieden aufgegeben haben, die haben rechten innern Grund zum Kriege und möchten für ihr eignes Wohl den ganzen Feind vernichten, das Gift macht erst die Schlange furchtbar und nicht die Zähne, so trift kein Schuß recht ordentlich, wo alles auf Kommando nach ritterlicher Kriegslust geht und nichts von Herzen schießt.
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P u r a (kommt mit einer gebratenen Gans auf einer Schüssel). Kann ich den Vivigenius Appelmann wohl sprechen. 285
H a n s . Der Herr ist nicht zu Haus, doch kommt er bald, setzt euch, machts euch bequem, was wollt ihr bei dem Herrn? Wollt ihr euch werben lassen? Wir werden Zeltkammeraden, gebt einen Kuß auf gute Kammeradschaft.
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P u r a . Ich kann euch nicht verstehn, ihr seyd ein guter alter Mann, ich geb euch gern den Kuß. H a n s . Zeigt her, was habt ihr da? 310
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P u r a . Nein, laßt, sie könnte kalt werden, eh er käme. H a n s . Was? Kalt werden? P u r a . Ja Freund, ich bringe eurem Herrn von seiner Schwester heimlich eine Bratgans, sein Vater darfs nicht wissen, ich schenke ihm ein Bund der besten Federposen, da wird er bei den Handlungsbriefen meiner denken und mir öfter schreiben. H a n s . Da wißt ihr wenig von dem jungen Helden, wenn ihr ihn noch mit einer Feder hinterm Ohr euch denkt, jetzt wachsen ihm die Federn auf dem Kopfe, durch den Huth, zum Himmel und tragen all Oraniens Farbe, er ist der Freischaar unsres Grafen Bretterod mit großer Vollmacht zugesellt, hat seine Fahne hier im Wirthshaus ausgesteckt, und wer die anfaßt, dienet als Soldat. Wir brauchen eine schöne Marketenderin, entschließt euch, faßt die Fahne an, tretet unter unsern Kriegsbaum, und stecket einen Kranz darauf. P u r a . Mein Vater leidet’s nicht, sonst zög ich gerne mit, ein herrlich Leben muß es seyn, in edler Sorge und in hoher Freude über Vivigenius. H a n s . Ei Jungfer, der Vivigenius hat einen Stein bei euch im Brete. P u r a . Mag wohl der Grabstein über meinem Sarge seyn, weiß Gott, mir geht es gar zu übel, der Vater kann den Vivigenius nicht leiden, ich fühlte es, daß er zu großen Ehren reife, als alle Welt noch auf ihn schalt, o könnt ich mit ihm ziehn in seiner Ehre Spur, mein Glück wär ihn von fern zu sehen, doch ohne daß er’s merkte. (Vivigenius tritt mit verschränkten Armen, heftig und in sich gekehrt, ein, ohne um sich zu blicken.)
V i v i g e n i u s (vor sich). O Heldenseele, die wie Christus um ein Lumpengeld verrathen wird, gehemmt in deiner Thaten segensreichem Lauf, wirst du, verehrter Graf, den reichen Geist in Gram verzehren. O Leichtsinn, wie strafst du dich so schwer, die Waffen drücken mich, die alles Unglücks Keim, und alle Freude dran ist mir gestorben, ich streif sie ab wie eine Schlange ihre Haut, um wieder jung zu werden, o fänd ich hier nur einen Käufer, nur fürs halbe, nur fürs Viertel-Geld; ja könnten sie das Schwerdt zum Mähen brauchen, da kauftens hier die Leute gern. (Er entwaffnet sich). H a n s . Ein Brief vom Grafen! 311
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V i v i g e n i u s . Gieb her, laß mich allein! H a n s (zu Pura). Der Herr will ganz allein seyn. (geht ab.) P u r a . Darf ich nicht bleiben, Vivigenius? – Du siehst mich zweifelnd an, hast du die Liebe mit dem Frieden abgeworfen? – Wie hast du dich verändert, wie stark, wie ernst bist du geworden – gefällst mir immer mehr. V i v i g e n i u s . Du hier, o meine Pura, ich war noch nicht bereit, dich zu empfangen, verzeih, wenn ich dich schwermuthsvoll begrüße, es liegt so viel auf meinem Herzen, ich wollte dich nicht sehen, um dir Schmerz zu sparen, jetzt will ich dich nicht küssen, es wird mir sonst, was ich beschlossen, allzuschwer. P u r a . O sags, du holder Mund, was du auch sprichst, es thut mir wohl. V i v i g e n i u s . Ich gehe auf dem schmalsten Wege quer durch ein breites tiefes Wasser, muß mit der höchsten Anstrengung mich selbst im Gleichgewicht erhalten. Wär’s nicht ein Unrecht, wenn ich mich erfrechte, noch einen andern in erlogener Geschicklichkeit des Wegs zu führen, ich würd’ ihn ins Verderben stürzen bei dem besten Willen. Sieh Pura, jetzt sag’ ichs ohne Umschweif, als ich mich dir verlobte, dacht ich noch, den breiten sichern Weg der bürgerlichen Nahrung fortzuschreiten, erkannte noch als Fehler, wo ich davon in muthgen Streichen abgeirrt, das alles hat sich mir verändert, an die Gewalt des Völkerkampfs gebunden, von allgemeiner Liebe für die Freiheit fortbewegt, muß ich im Sternenschein dein Nachtlicht übersehen, das mich so zärtlich glimmend lockt. Das stille Glück an deiner Seite ist verschwunden, die Unruh meines Herzens stürzt mich in den Kampf der Zeiten, und das Gefährlichste ist jetzt die einzge Bahn zu meinem Ziele. P u r a . Wie ist der Krieg, so alles zerreissend, so verderblich, o nun erkenn ich ihn, des Teufels Schandspiel, das sich gleissend mit der Ehre deckt. In den verfluchten Krieg nimm meinen Fluch zum Fluch der deinen, die du mit Leichtsinn aufgiebst, nachdem sie viele Jahre für dich sorgten, für dich beteten, und wo du dich in blinder Wuth willst in Gefahren stürzen, da wollen wir dein Herz mit Geisterhand zurückehalten, daß du zu keinem Ruhm, zu keinem Tod kannst dringen, daß du zu uns einst wiederkehrest, flehend, daß die Verschmähten dich in Liebe tief beschämen. 312
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V i v i g e n i u s . Pura, sey nicht so milde, sey hart und zornig, so scheid’ ich leichter, sieh nicht so thränenschwer mich an, wie eine Wetterwolke, halt mich nicht in der Großmuth Banden, fluch mir, laß über uns geschehn, was unvermeidlich ist. Nicht leichten Herzens, wie ein Sklave, der seiner Arbeit Ketten bricht, nicht übermüthig wie ein Trunkener, dem die Erinnerung erloschen ist, und nicht von eigner Noth gedrungen, hab ich das Schwerdt ergriffen, zwar unbefriedigt, aber überall zur Freude angeregt, entströmten selgen Stunden selge Lieder, und taumelten zu dir im Hauch des Frühlings wie der jungen Vögel erster Flug, und hast du sie auch nicht vernommen, es war das Süßbeklemmende der Luft. P u r a . So soll ich keinen Frühling wiedersehen. V i v i g e n i u s . Nichts weiß ich mehr vom Spiel der Jahreszeiten, von tausend Banden fühl ich mich jetzt frei, seit ich von tausend Leben mich geschieden und wie ich erst so schwer beklommen, so bin ich jetzt der ersten Überzeugung meines Lebens froh, der Tod ist meine Braut, das Leben süße Tage vor der Hochzeit. Du küssest mir die Thränen von den Augen, wie sie noch kaum der Welt geboren sind, o könnte ich dich auch so trösten. P u r a . Bedarf ich eines Trosts? Nenn ich nicht alles Unglück jetzt mein eigen, was ich als fremdes Bild mir sonst nur dachte. Ich hab’ mir Tagelang erzählen lassen von verlaßnen Bräuten, das war als Kind schon eine Seligkeit für mich, den süßen Kern des bittern Unglücks aufzufinden, wer ist verlassener als ich, o welche Seligkeit steht mir bevor. V i v i g e n i u s . Wir sind einander ganz bestimmt, und trennt uns diese Welt, wir finden uns in jener um so früher, um so näher. Denk nur, ich habe oft der Seligkeit im Stillen nachgedacht, wenn du ganz mein, wenn ich in deinem Kusse wäre froh, doch selbst in Ahndungsfülle wollte mirs nicht gnügen gegen eine Welt von Unruh und Geschick. Ich dachte mir, nur wenn ich dich im Kampf errungen, und wenn der Augenblick des ersten Kusses Tod und ewiges Vergessen wäre, dann könnte dir mein ganzes Leben angehören, sonst wärst du mir nur Anklang, von dem Herrlichen der Welt, der freudge Becher nur, der in der Lust, die er geschaffen, selbst zerschmettert wird und meine höchste Liebe wär’ Entwürdigung des vollen Lebens, das du mir geschenkt, sie würde ungenügend seyn für mich und dich. 313
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P u r a . Wo ahndest du denn mehr, o sage es mir, in meiner Art möcht ich zu gleicher Höhe streben und in dem Schwindel untergehn. V i v i g e n i u s . Seit mich die Kampflust für das heilge Recht der Völker hat ergriffen, da ahndet meine ganze Seele eine höhre Wollust, als deiner Küsse Kuß mir je gewähren kann; die Sinne schwinden mir in Freude, wenn ich mir eine Reihe spanscher Spieße denke, in die ich mich mit giergen Blicken stürze, daß ich unzählge wie den schönsten Reichthum, wie einen langersehnten Schmuck zu meinem Herzen reisse, und wie sie mich durchdringen im Zittern aller Feindesarme, die sie mir entgegenstreckten, fühle, daß sie im Geiste, nach solcher That von mir, von meinen Freunden sich schon überwunden meinen; ich fühl der Freunde Fußtritt wie den treusten Händedruck, die muthig diese Bahn verfolgen, welche ich gebrochen habe. P u r a . Du wurdest eben schon so blaß, gewiß, du warst schon drin, du bist schon todt, sie sind schon über dich hinweggeschritten, o Gott, mein Kopf, wie kühl, ich muß mir Feuer machen! (Mit Händeringen fort). V i v i g e n i u s . Sie ist von Sinnen, ich wollt sie trösten, umsonst! Sie war nie recht bei Trost, sie hat mich oft erschreckt, wenn ich in Zärtlichkeit sonst bei ihr saß, da sprang sie auf und rang die Hände, weinte – es war mir oft entsetzlich – ich wär wohl nie bei ihr der Ruhe ganz gewiß geworden und doch wars wunderbare Seligkeit, wenn mich ihr Vater in der Schule ganz zermartert hatte und sie mich nachher heimlich küßte. Leb wohl! Das Schreiben meines Grafen ist ein beßrer Händedruck, ich brech es auf mit heilger Scheu, es wallt mein Blut, daß ichs kaum lesen kann, ich höre seiner Stimme klingende Tiefe, seiner Blicke deutende Begleitung schwebt mir vor. (Er liest und wirft sich mit verhülltem Angesicht auf eine Bank): So ist kein Ausweg – kein Zögern – das ganze Unternehmen würde scheitern, kann ich den Grafen von der Bürgschaft in Stralsund nicht gleich befreien – der edle Nassau wär verloren, der schon im Schiffe seiner wartet – ich unglückselges Haupt, das zum Verderben sich euch zugesellt – durch meine Freundschaft kann ein herrlich Weltgeschick verderben, die Freiheit untergehn, die ihr mit milder Hand im deutschen Norden wolltet säen – Gott! Gott! – Nie quälte mich so grimmer Zorn – wie ist der Vater ach so kalt, vergebens würd ich meine Noth ihm wiederklagen – ich will ihn zwin314
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gen zu dem Rechten, das über alle die Gesetze steht, die er mit Ernst bewacht, er dankts mir einst – will dieses Landes Fest, wo alle schwelgen, kühn benutzen, mein Pflichttheil aus des Vaters Kisten mir zu borgen. – Die Schwester muß den Schlüssel schaffen, ich lege einen Beutel Flintenkugeln an die Stelle, so merkt ers an der Schwere nicht, und lebt bis an sein Ende in dem frohen Wahn, als ob er noch den Mammon, sein volles Geld besitze! – Es geht – fort zur Stadt! – Wer da? Es wird schon dunkel! Es ist zu spät zur Werbung, kommt morgen wieder! (Appelmann, Remel und Hämmerling treten ein.)
H ä m m e r l i n g . Zum Werben ists zu spät, doch nicht zum Sterben. – Herr Burgemeister, er ists. (Er bringt ein Licht aus einer Diebslaterne hervor.) 15
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V i v i g e n i u s . Erkenn ich euch? Ihr seyd mein Vater! – Ihr seyd der unehrwürdge Prediger. A p p e l m a n n . Herr Prediger, thut eure Pflicht, bekehrt den Sünder. R e m e l . Ich habe keinen Athem, es war ein kalter Tag, ich fühle einen Brustkrampf nahen, ich hätte mich im Pelz einhüllen sollen, Herr Burgemeister, Gott steh euch bei, den Frevler zu bekehren. A p p e l m a n n . Mein Sohn, du hast mit wilden Frevelworten heute Geld von mir begehrt, du hast mit Feuer unsre Stadt bedroht, wenn dein Verlangen nicht erfüllet würde, du hast durch diese Drohung nach dem Landsgesetz der höchsten Strafe Missethat theilhaftig dich gemacht. V i v i g e n i u s . Ja Vater, mit meines Herzens frommster Überredung hab ich erst das Geld von euch erfleht, das ich bedarf zu diesem heilgen Krieg für unsern Glauben, für alles, was wir achten auf der Erde, ihr wolltet mich nicht hören! Verzichten wollte ich dafür auf alles, was ich nach eurem Tode, den Gott noch weit hinaus mag setzen, fordern könnte, ich wollte feierlich erklären, daß ich mein Pflichttheil ganz voraus erhalten; ihr aber wolltet mich nicht hören, die Thorheit meiner frühern Jahre glaubtet ihr in meinem Wunsche wieder zu erkennen und glaubtet nicht, daß ich von ganzer Seele mich bekehrt in Gottes Gnad’ erneuet habe. Glaubt einmal nur an mich, versuchts mit mir noch einmal, denn diesmal ists nicht Wunsch nach Besserung, Versprechen aus der Reu hervorgegangen, nein, ich bin besser, ich kenne mich, begehre nur mit Fleiß mich 315
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einer herrlichen Bestimmung würdig auszubilden, die mich in aller anderen Beschäftigung sonst störte. A p p e l m a n n . Bewahr den Glauben, mich würde er beschweren, ich glaub der That und nicht dem Wort. V i v i g e n i u s . O Vater, wie kann es euch so schwer seyn, einem Sohn zu glauben, wenn sich in diesem Glauben alles ganz natürlich und erklärlich findet, was euch von mir verwun dert hat, mein mannigfaltiges Geschick, das sich vor andern bald in jeder Übung ausgezeichnet und dann dies Ungeschick zum Ziele vorzudringen, der Überdruß, der hinter andre mich zurück gesetzt, die unter mir in allen Fähigkeiten; ich paßte nicht zum Rechtsgelehrten, nicht zum Handelsmann, ich suchte alles Unbefriedigte in Wildheit und in Übermuth zu löschen! A p p e l m a n n . Der gleiche Frevelmuth wird alle Kriegszucht frech durchbrechen. V i v i g e n i u s . Gerecht ist euer Mißtraun, in dem gemeinen Kriege, der für die Eitelkeiten eines Fürstenhauses, oder gar für niedre Raubsucht unternommen, in seiner Teufelei den Sieger äfft, da möchte ich gar bald der Mühe überdrüssig werden, – doch überlegt die große Sache, der wir dienen! Wer würde nicht an diesen heilgen Kampf für Glaubensfreiheit die hundert Thaler wenden, wer so reich wie ihr, wenn auch des Sohnes Glück nicht darauf stände, wenn auch die Ungewißheit, ob das Ziel erreichlich sey, es bange noch umhüllte. A p p e l m a n n . Nein! Ich widerspreche! Thörigter, der Pfarrer Remel kann es dir ganz unumstößlich darthun, daß jene Niederländer, für deren Glauben du willst fechten, der falschen Lehre angehören, vielleicht in ärgern Teufelsschlingen liegen als Papisten, auch wollen sie sich ihrem rechten Herrn entziehn, die Frechen wollen überall den Frevel gegen Obrigkeit, die eigenmächtige Gewalt des Volks erwecken, das selbst verwalten möchte, was es nicht versteht und hinter heilgen Worten seinen bösen Sinn versteckt. Wie dich, so hört ich hier in Stargardt manchen reden, der daher gekommen, so schwatzest du von heilger Sache und von Mordbrennerei in gleicher Stunde, das ist der Hölle mächtigster Triumph auf Erden, wenn ihre Frevel heilig gesprochen werden. 316
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V i v i g e n i u s . Verflucht sey jedes demuthvolle Wort, das ich gesprochen, ich schäme mich, daß ihr mein Vater heisset, so irret nur ein schlechtes Herz, mit euch wär Überlegung Thorheit, in schlechtem Willen seyd ihr blind, kurz ab, gebt mir das Geld noch heut, sonst bei Gott muß ich gewaltsam euch die Tasche mit dem Geld entreissen, doch nicht für mich, für eine gute Sache. (Er will aufstehn und fühlt erst jetzt, daß Hämmerling während der letzten Gespräche, ihn mit Schlingen an die Bank befestigt hat, die Hämmerling jetzt anzieht.) Was
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hält mich? Ist das Vaterfluch? – Entsetzlich, ich bin gebunden, Hülfe, ins Gewehr, ihr Leute! A p p e l m a n n . Schweig Missethäter, sieh hier dein Todesurtheil, vom Rathe unsrer Stadt für deine frevelhafte Drohung ausgesprochen, – es ist im Recht begründet, ich muß ihm Zustimmung ertheilen. V i v i g e n i u s . Ich sehe wohl den Greif im blutgen Felde, das Schrekkenszeichen unsrer Stadt, doch habe ich der Freiheit Krieger mir zum Schutz gesammelt. Auf Kammeraden, Wachtmeister, zu Hülfe. H ä m m e r l i n g . Still junger Herr, hier hilft kein Mensch, die Wachen unsrer Stadt sind vor dem Haus vertheilt, was wollt ihr eure wengen Leute im vergebnen Kampfe morden. Um euch vergebne Müh zu sparen, hab ich euch festgebunden, als ihr so eifrig von der Freiheit habt gesprochen, das gilt hier nichts, mein lieber junger Herr. V i v i g e n i u s . Ihr seyd der Scharfrichter, Meister Hämmerling, wenn mich der Schrecken nicht betrügt, den ich seit erster Kindheit schon bei eurem Anblick fühlte und der jetzt alle Wuth erkühlt. Es muß doch eine Ahndung geben, ich war ein kecker Knabe, doch um von eurem sandgen Knochenthale eines Pferdes Kinnbacken mir als Schlitten abzuholen, das kostete mir gar zu viel, wir hielten euch für einen Zauberer, wir hörten euer Singen, wie ihr die Menschen von der Krankheit heiltet, um sie mit scharfem Schwerdte hinzurichten, es war ein gräßlich Schwerdt, was ihr geführt, ich haßte es und einmal hatten wir uns drum verbunden, in eurem Hause einzubrechen, es zu rauben, es zu brechen. H ä m m e r l i n g . Seyd ihrs gewesen, ei seht, ich hab es nicht geahndet, dacht, es gelte meinem Pferdeschinken, das Schwerdt war nicht in meinem Haus zum Glück. 317
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V i v i g e n i u s . Ihr freut euch, daß ihr euer Schwerdt noch habt! Oft dachte ich, daß so wie ihr, so stark und fühllos jene Kriegesknechte ausgesehen haben, die einst um Christi Kleider würfelten. Was wollet ihr von mir, was soll das Schwerdt, denkt ihr, daß ich mit solchen Drohungsworten mich zu unwürdger Buße laß erschrecken. Nein Freund, wer für die Freiheit einem tausendköpfgen Tode will entgegengehn, dem ist der Plunder unsrer Halsgerichtsordnung, die lächerliche Förmlichkeit des kaltblütigsten verruchtesten Mordes, den unsre peinlichen Gerichte üben, nur eins der Zeichen, warum der Tod dem schlechten Leben unsrer Zeit sey vorzuziehen. H ä m m e r l i n g . Ich thue meine Schuldigkeit, und heut komm ich zu Ehren, denn ihr seyd der fünfhunderte, dem ich vom Leben helfe. V i v i g e n i u s . Dieser Sünder-Schaar will mich der eigne Vater zugesellen, doch in dem Himmel wohnt ein bessrer Vater, der wird mich zu den freudgen Seelen zählen, die für ein großes Werk – ach thatenlos – hier untergingen. Und doch thuts weh! Für Todte giebt es keine Ehrenkette, sie hören nicht den Dank, es schmücken sich die Überlebenden mit ihrem Lorbeer, das ist schon hart, doch wehe mir, der eines Frevlers Ruf im frömmsten Unternehmen läßt zurück, auf keinem Kirchhof wird begraben an der Morgenseite, wo das bethaute Gras von früher Sonne selig wird beschienen. O Vater, könnt ihr um hundert Thaler eines Menschen Leben so verderben lassen. A p p e l m a n n . Daß keiner glauben möge, daß mich ein schnöder Geitz in diesem schweren Richterspruch bestärkte, so lege ich die hundert Thaler, die dich zum Missethäter gegen unsre Stadt gemacht, hier neben dir und schenk sie dem, der deine Leiche heimlich will bestatten, daß niemand diesen Schimpf von unserm altberühmten Hause kann vernehmen und nachsagen, denn treulich haben alle die anwesend sind, Geheimniß mir geschworen. Der Meister Hämmerling wird den entseelten Leib nach ferner Gegend bringen, wo niemand dich mag kennen. V i v i g e n i u s . Wo wär ich weniger gekannt als hier, wo weniger beachtet und geehrt als in der Vaterstadt, darum hat auch der Name heilger Taufe, Vivigenius mich hier versteckt, und niemand weiß, daß ich des Burgemeisters Sohn, hier will ich auch begraben seyn, ein alter niederländischer Wachtmeister begleitete mich; er wird den Schmerzenslohn sich wohl verdienen. O wär er weise, wohl, so 318
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brächte er, nachdem er meines Leibes Schuld der Erd entrichtet, diese Seelen Schuld, an die so Großes ist geknüpft, dem edlen Grafen nach Stralsund, und würd’ ihm alles, was ich ihm wollte seyn. A p p e l m a n n . Es ist dir unverwehret, diesen letzten Willen deinem Todesurtheil beizufügen, das ich dir hier im Namen unsres Rathes der Stadt Stargard überreiche, hört Meister, macht ihm frei die rechte Hand – hier ist ein Bleistift – schreib deinen letzten Willen. V i v i g e n i u s (schreibend). Zum letztenmal brauch ich die Hand, die ich dem Feinde aller Welt, mit freudgem Muth mit gutem Schwerdt entgegenstrecken wollte – es ist doch hart, und doch ists Gnade meines Vaters! Das Leben danke ich euch nicht, es kommt von Gott, es kehrt zu Gott, mein irdsches Daseyn habt ihr schmerzlich mir verkümmert seit der ersten Jugend Dämmerung, doch für die eine Gunst reich ich versöhnend euch die Hand, ich weiß es jetzt, ihr wißt nicht, was ihr thut, aus euch spricht heut ein höheres Geschick. Ich hab geschrieben, legt das Blatt zu meiner Leiche. A p p e l m a n n . Nimm meinen Vaterschmerz mit diesem Händedruck von mir, sonst ziehest du mich mit hinab, o könnt ich weinen: Nimm mich mit, grüß deine liebe Mutter und sage ihr, daß ich dich liebte wie sie selbst, von ganzer Seele und mit meinem besten ernsten Willen, daß mir die Welt sey ausgestorben, seit du dich von der Bahn des Guten abgewendet, o Sohn nimm meinen Schwur am Grabesrand, ich liebte dich in meiner Strenge! V i v i g e n i u s . Wer sagt noch, daß des Todes Anblick schrecklich sey, wenn die Gedanken sich so göttlich klar erhellen, des Lebens Irrthum schwindet in dem Augenblick, die Wahrheit siegt, o Vater, Vater, wie hab ich euch verkannt. O Heldenseele, ich fühle, daß ich nur ein Strahl aus dir, doch glaub auch mir, versteh auch mich, daß mich ein heilger ernster Wille, derselbe, der zum ernsten Richter dich gemacht, zum Frevel mich getrieben, ein größres allgemeineres Geschick, dem wir uns demuthvoll und alles opfern; dir ist Gesetz das höchste, mir ists Freiheit, o wärs dasselbe auf der Erde, dann würden mit vereinter Kraft wir beide allen hochverehret leuchten. A p p e l m a n n . Mein Sohn, ich ahnde eine Welt, in der du lebst, doch mehr vermag ich nicht, laß dir’s genügen, daß ich dich nur im Irrthum, nicht im Frevel glaube, dein Wort ist Überzeugung, Gott wird richten, ich habe mich ihm nie verschlossen, sprecht ihr, Herr Pfarrer, denn hier, wo es des Glaubens Prüfung gilt, da hab ich keine Stimme. 319
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R e m e l . Ich hab euch angefleht, die Schmerzensstunde mir zu sparen, schon spannet mir das Herz, ich fühle, daß ein Schlagfluß mich kann treffen, es zittern meine Glieder, hätt’ ich nur eine Herzensstärkung, es ist ein ganz verstockter Sünder, Ermahnung wird bei ihm nicht fruchten, die Sünde bleibt ihm zum Gericht. V i v i g e n i u s . Seht Vater, solch einen Mann habt ihr bisher ganz blind vertraut, hier, wo sein Amt beginnen sollte, wo er den Trost, die Lehre einer höhern Welt, den Balsam der Versöhnung und das Blut des Welterlösers sollte spenden, da zittert er, da fehlen ihm die Worte, nur zum Fluch hat er noch Kraft, zum Heile fehlt ihm alle Liebe, wo ich dem sichern Tod mit Ruh’ entgegensehe, den ewigen Gedanken trauend, die mein Herz bewegten, da fürchtet er das ganz Natürliche, das reine Mitleid, das so weh und mild in seinem ganz verkehrten Herzen hat geschlafen, es möchte ihn der Ewigkeit entgegenführen, der er in falschem Schein von Heiligkeit sein sündlich Herz entzog. R e m e l . Gott, Gott, ein Satan spricht aus ihm, er quält mich wie ein Geist und ärger, die guten Geister loben Gott den Herrn! V i v i g e n i u s . Ich lobe ihn, den Herrn und darum will ich euch, Herr Pfarrer, heut nicht fluchen, auch bindet mich an euch noch alte Zärtlichkeit zu eurer Tochter Pura. Grüßt sie mit meinem letzten Athem, ich schwör es mit der letzten Lebensstimme, daß sie kein andres Mädchen hat verdrängt aus meinem Herzen, sagt ihr, daß nur die höhere Bestimmung mich von ihr geschieden und jetzt der Tod. Lebt alle wohl, o wär des Todes Schwerdt jetzt über mich gezuckt, ich stürbe in der höchsten Ruhe meines Lebens. (Auf einen
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Wink des Burgemeisters enthauptet Hämmerling den Vivigenius.)
R e m e l . Ich sinke um. A p p e l m a n n . Ich folg dir bald, mein Sohn. H ä m m e r l i n g . Weil nun mein letztes blutges Werk geendet ist, so laßt mich feierlich zum Herren beten, der mich als Kind so schmerzlichem Berufe hat geweihet und mir durch dieses edle Stadtkind von der Schmach zur Ehre hat geholfen und gerettet. Dich ewgen Herren kennen und verehren nur die Menschen in deiner Schöpfung stets erneutem Werke, ich lernte dich im Untergang erkennen, wie alles sich zu deinem Lichte wendet und wie kein Mensch auf Erden ganz verloren ist. Mit diesem Glauben stecke ich das blutge 320
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Schwerdt heut in die Scheide, um nimmer es zu führen und will mich bergen bei den Stillen in dem Lande, bei den viel verfolgten Frommen, will allem Blut entsagen, allem Krieg und aller Feindschaft, will beten um den Frieden und ihn halten bis zum Tod. Mein Schwerdt zerbrech ich feierlich, es hat zu Ehren sich gehauen, und kehrt zurück zum Schooß der Erde, woraus der Bergmann es zur bösen Stunde holte. Gott sey uns armen Sündern gnädig, stoßt nicht an dieses Haupt, das von dem Rumpf durch blutgen Streif getrennt, ihm noch verbunden scheint, denn großes Unglück brächt es unsrer Stadt. (ab.) A p p e l m a n n . Gott, welche Qual, Herr Pfarrer ist denn kein Wort des Trostes euch verliehen! R e m e l . Ich fleh euch an, ach bindet mich, daß ich kein Leids mir thue! Ich bin ein Fieberkranker, bin ein Rasender, ach sagt mir, sitzt mein Kopf noch fest, ich meinte, daß der Meister Hämmerling ganz heimlich mir das Band des Lebens, meinen Hals, durchschnitten habe! A p p e l m a n n . Herr Prediger, ich tadle laut und find’ es gottlos, daß ihr den ernsten Vaterschmerz, der mich zerschmettert, mit eurer Thorheit, mit leerer Einbildung von Übeln störet; gedenkt, daß ihr mit Überzeugung diesen Tod gefordert habt, laßt mich nicht glauben, daß ihr jetzt zweifeln könnt, denn meine Rache würd’ euch treffen. Mein armer Sohn, wir sind unschuldig, ich und du! R e m e l . Luft! Luft! Mir wird so heiß, als ob die Hölle in mir brennte, ich bin der größte Sünder auf der Erde und weiß doch nicht warum, nein, werther Burgemeister, ich bin kein Sünder, bin ein Kranker nur, der für das Tollhaus ist geboren. Luft! Luft! (Er öffnet ein Fenster) Gott, Gott, so nah ist dein Gericht, der jüngste Tag bricht an, Posaunen klingen durch den Himmel, der Engel öffnet mit dem feurigen Schwerdt die Gräber, nur wenge Augenblicke hab ich eurem Sohn geraubt, wir sind bald bei ihm. (Appelmann tritt auch ans Fenster.)
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A p p e l m a n n . Gott, welcher Feuerschein, die Stadt in Brand, seht euren Traum erfüllt. Mich ruft die Pflicht, es schweigt der Schmerz, jetzt auf, Herr Pfarrer, jeder kann hier helfen. Wo ist das Feuer, lieben Leute! 321
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E i n e r (draussen). Ich komme aus der Stadt geritten, dem Herren Pfarrer anzusagen, daß es bald ausgebrannt seyn wird. A p p e l m a n n . Wo hats gebrannt. E i n e r . Ei nun, es sind schon zweie hergeschickt, das Pfarrhaus ist verbrannt. R e m e l . Das Pfarrhaus, so ist mein Traum erfüllt, hat meine Tochter viel gerettet, meine Bücher, meine chemische Küche? E i n e r . Wie sollt sie retten? Sie stand ja selber mitten drin und sang zu uns mit lauter Stimm, sie klagte laut um Vivigenius, des Burgemeisters Sohn, eh sie verbrannte. R e m e l . Weh, mein Traum! Ach meine Tochter. E i n e r . Und was unglaublich ist, als ich die Feuerleiter war trotz der Gefahr zu ihr hinauf gestiegen, ich hab sie gar zu lieb gehabt, da sah ich, wie sie schlief im Zimmer. Sie hörte nichts, es stand der Vivigenius bei ihr, des Zimmers Decke stürzte ein, er trug sie auf der Feuerwolke in die Luft. Ich war vom Anblick so erstarrt, daß ich mich selbst zu retten fast vergaß, als hinter ihm das Feuer aufging. R e m e l . So ging doch hinter ihm das Feuer auf. A p p e l m a n n . Laßt thörigt Schwatzen! Wo ist zu helfen! E i n e r . Für alles ist durch unsre Bauherrn wohl gesorgt, sie hindern, daß das Feuer sich nicht mehr verbreite und geben auf, was nicht zu retten ist. A p p e l m a n n . Ich dank dir für die Nachricht, ich eil mit dir zur Stadt. – O Vivigenius, wie schwer wirds mir, von deiner Leiche mich zu trennen, nachdem ich dich im Leben von mir stieß! R e m e l . Es ging doch hinter ihm das Feuer auf, und ich hab meine Tochter auch verloren. Ach fänd ich nur den Theobald zu meiner Hülfe, ich zittre. O helft mir, Leute! A p p e l m a n n . Auf dann, uns beuget gleiches Unglück, doch machtlos ist das Unglück gegen einen reinen Willen, uns rufet unsre Pflicht zur Stadt, in ihr sey unsre Stärke. (Beide ab.) H ä m m e r l i n g . Hab eine volle Viertelstunde auf dem Boden mich verstecken müssen, eh Einsamkeit das große Kunststück will erlauben, nun frisch ans Werk, dem Glauben wird Gewährung. – Doch halt – schon wieder naht ein Friedensstörer – ich muß mich durch das offne Fenster flüchten. (Er springt aus dem Fenster.) 322
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T h e o b a l d (tritt heftig bewegt ein.) Von Liebe, Freundschaft, Pflicht und Zuneigung werd ich geviertheilt, es brennet in der Stadt, auf Apollonia soll ich warten, den Vivigenius muß ich sprechen, auch Pura möcht ich sprechen, ich möchte allen dienen, so kann ich keinem mich ganz weihn. Ich will zum Feuer eilen! Doch findet Apollonia mich nicht, es würd’ ihr Thränen kosten, die Thränen löschen alles Feuer aus, es brennt schon schwächer, ein kalter Schlossenschauer sinkt hinein. Ich bin zu weich, ich tauge nicht zum Kriege, ich wills dem Vivigenius mit offnem Herzen sagen, zu großem Unternehmen gilt nur innerer Beruf und Scham vor fremder Meinung herrscht nur über eitle Seelen. Apollonia will nicht, daß ich der Lehre soll entsagen und zur Wehr mich wenden, in ihrer Liebe ist mein Weltgeschick und achtet Vivigenius mich weniger darum, es thät mir weh, doch darfs mich nicht bestimmen. A p o l l o n i a (kommt). Theobald! T h e o b a l d . Hier Apollonia. A p o l l o n i a . So hab ich dich doch wieder, ach welch ein Sturm, als sollte heut die Welt vergehn, wo mag der Bruder seyn? Jetzt eilet alles zu dem Feuer, nun es in sich verglimmt, als noch zu helfen war, da wollten alle sich noch träg besinnen. T h e o b a l d . Du arme Apollonia, sind deine rothen Wangen doch so kalt wie Eis, wo hat’s gebrannt? Ich wartete auf dich, wir eilen nach der Stadt zurück. A p o l l o n i a . Bleib hier, das Feuer wird sich nicht verbreiten, und euer Haus ist doch verloren. T h e o b a l d . Wie kam das Feuer aus? A p o l l o n i a . Ach Vivigenius ist an dem Unheil schuld, so sagten in der Stadt die Leute. T h e o b a l d . Der Vivigenius, wär er nur hier, gewiß ist er unschuldig, es hassen ihn so viele, die ihn beneiden. Wo ist er? A p o l l o n i a . Täuscht mich der Lampe Schimmer nicht, so sitzt er dort auf jener Bank und schläft, als ob für ihn kein Schrecken in der Welt mehr sey. (Sie leuchtet ihn an). Gott, er ist so blaß, ein rother Streifen läuft um seinen Hals und Blut fließt nieder, so lose schwebt des Menschen Haupt auf Erden. Gott! Gott! (Sie sinkt ohnmächtig auf einen Sessel nieder). 323
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T h e o b a l d . Wem helfe ich, und wie soll ich die Schreckensbilder nun erklären. Hier liegt ein schwerbesiegelt Urtheil gegen Vivigenius, – weh, er ist durch richterliches Schwerdt gemordet! – Hier seine Handschrift! (Er liest:) Wer meine Leiche findet, scharre mich im Boden meines Vaterlandes ein, mit letztem Athem schwör ich, daß ichs liebte. Meine Waffen vermach’ ich dem, der dieses Geld, das ich in meinen todten Händen treu bewahren werde, dem Grafen Bretterod, dem ich es schuldig bin, mit meines Todes Kunde überbringt, doch wer es diebisch mir entwendet, den strafet meine todte Hand! – Was du gewollt, das soll erfüllet werden, dies Blut entreißt mich einer Welt voll Schein und Nichtigkeit, ich geb dir meine Hand, gieb mir das Geld, dein Wille soll erfüllet werden, mehr als du forderst, soll geschehn, was du mit heilgem Eifer wolltest, das will ich vollbringen, ich fasse deine Fahne an und schwöre ihr, und will sie weiter tragen, so weit die träge Sklaverei das Herrlichste der Göttergaben, den hochbegabten Menschen blindwirkenden Gesetzen unterworfen hat. O reicher Geist, der deine Stadt zum Paradies beleben konnte, wenn du, zur rechten Zeit erkannt, des Muthes ewig schaffende Erfindung über sie verbreitet hättest, du wirst wie ein gemeiner Missethäter von einer Welt geschieden, die deiner wartet zu der Wiedergeburt aus dumpfer Dummheit, holer Narrheit, schalem Glauben. Schon seh ich auf die Glut der eignen Vaterstadt, wie nach dem Opferheerd, wo Last und Sünde von Jahrhunderten in einer Flamme wird vernichtet, wie ängstlich laufen sie um todte Habe und keuchen athemlos hieher mit altem Plunder, und keiner war bereit, das Herrlichste, was seit Jahrtausenden die Stadt hervorgebracht, den Glückssohn holder Geister zu beschützen. Eilt, lauft in euren Tod, um mehr von eurem Tod zu retten, wie Schatten seh ich euch am Feuer laufen, und nie ist je aus eurem Auge Licht der Welt erschienen. Dich, Apollonia, haben gute Engel von dem Jammer in den Frieden fortgeführt, du wirst erwachen, wirst in deinem Schmerze wenger an mich denken, ich kann von dir nicht Abschied nehmen. Nenn mich nicht treulos, was mich mit Heftigkeit jetzt fortzieht, würdest du doch nicht verstehen, ich muß den Freund begraben und des Freundes That vollenden, das ist der ganze Inhalt meines Lebens. Es müssen die Soldaten sich versammeln, dem Führer letzte Ehre zu erweisen, dann ziehn wir weiter mit umflorter Fahne! (ab). 324
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H ä m m e r l i n g (schleicht herein). Es ging mir die Geduld zur Neige, noch zwei Minuten und es wär zu spät. Bewähr dich, wunderbar Vermächtniß des Adepten, der mich als jungen Mann einst zwang, ihn hinzurichten, und nachher mit diesem Öhl, der wahren echten Universalmedizin, ihn zu bestreichen, das ihn eilig wieder heilte. Ich hab ihn hingerichtet und geheilt, hab’ Öhl gespart und mocht es immer noch nicht brauchen, ob es mir selbst einst nöthig thäte. Nun denk ich, bin ich über Jugendjahre lang hinaus, wo einer um den Hals sich schwatzt, auch will ich mich von aller Welt zurückziehn und dieser Mann thut mir so bitter Leid, und hat so große Lust nach fremden Ländern, er wird mich nicht verrathen, will ihm den Hals mit Lebensöhl bestreichen, daß er sich recht weit umsehn kann auf dieser Welt. (Er bestreicht ihn.) Das wär geschehn, doch fehlet noch die Hauptsach. Wie hiessen doch die Worte, unter denen dieses Werk gelingt, verflucht, noch gestern wust ich sie und heute bei der Unruh aller Gänseschlachterei, hab ich sie ganz vergessen. – Es wird bald schlagen, dann ists zu spät, schon ruckt der Zeiger ein. – Gott! Gott! – Da fällts mir ein: Kopf und Herz gehört zusammen, Beide aus einander stammen, Kopf ist Vater, Herz ist Sohn, Daß der Geist in beiden wohn’, Und der Geist ist Fleisch geworden, Niemand kann den Geist ermorden, Und auf Erden kann geschehen, Daß das Fleisch muß auferstehen, Wenn ich wie am jüngsten Tage Habera Kadabra sage, Grüßt euch wieder, Doppelquellen, Blitzt im Aug’ wie Meereswellen. (Er lößt die Stricke, welche Vivigenius festgebunden hielten, und entfernt sich.)
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V i v i g e n i u s (erwachend). Leb wohl, geliebte Pura, die irdsche Zeit verschwindet dir und Jahre werden Augenblicke in den großen Tagen deiner Ewigkeit, noch gönne mir der Erde Augenblicke, noch bin ich ihr verschuldet mit Lust und Schmerz, dann trennt uns nichts, ich gehe freudig in den Tod, denn jenseit seiner dunklen Pforte glänzen unsrer Hochzeit Fackeln, wohl mir, daß ich von allem Schmerz dich sah entbunden. (Er springt auf) Ich habe lang 325
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geschlafen, schwer geträumt. – He Wachtmeister, blas’ unsre Leut’ zusammen! A p o l l o n i a (Erwachend.) Ach Bruder, Bruder, erst hat dein Tod mich so erschreckt, nun muß ich ärger noch dein Leben fürchten. Unselges armes Herz, was fürchtest du die Geister, erfreu dich muthig dieses letzten einzgen Trostes von dem Todten. Sey mir gegrüßt, geliebter Geist in Mitternacht und Grausen, da uns die Sonne ihren Schutz versagt, und hat dein Schattenbild noch eine Hand, die mich ergreifen kann, o reich sie her, daß ich sie drücken, sie mit meinen Thränen netzen kann. V i v i g e n i u s . Bin ich ein Geist? O sag es mir, du treue Schwesterseele, denn zweifelnd an dem eignen Daseyn wird mein Kopf, wenn ich das alles überdenke, was mir geschehn und was ich sah, sey auch dem Geiste freundlich, liebe Schwester, wie du mich sonst so milde hast versorgt. A p o l l o n i a . Sprich, theurer Schatten, was ich vollbringen soll, ich könnt mit dir von dieser Erde ziehn, so zieht mich deine ungewohnte Milde an, dies Flehn, das ich noch nie von dir erhörte. O welche Seligkeit in dem vertrauten Umgang mit den Geistern! (Theobald tritt mit Hans, und einigen Soldaten ein, welche einen Sarg tragen). H a n s . Ihr wundert euch, daß ich so ruhig bin, ich sah schon manchen Hauptmann sinken, war allen treu bis in den Tod, nicht weiter, da endet die Soldatentreue. T h e o b a l d . Stellt eure Fackeln in den Kreis umher, will noch ein Freundeswort vom Todten zu euch sprechen. V i v i g e n i u s . Was wollt ihr, Freunde, begrabt den Leib, den Geist umschließt kein Sarg. H a n s . Schlagt zu, ihr Leute, wer todt ist, bleibe todt! (Er und die Soldaten ziehen ihre Degen gegen Vivigenius). T h e o b a l d . Halt, halt, ihr Leute. (Er hält sie zurück, Apollonia wirft sich
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an den Hals ihres Bruders, um ihn zu schützen.)
A p o l l o n i a . Du armer Bruder! 300
H a n s . Macht mich nicht rasend, ich weiß, was Geistern zukommt, um Gotteswillen fasset ihn nicht an, er würde euch verbrennen. (Er will wieder gegen Vivigenius andringen, da tritt Hämmerling ein.) 326
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H ä m m e r l i n g . Still Kinder, thut euch einander keinen Schaden, steckt eure Schwerdter ein, ich weiß allein Bescheid, ihr seyd in Angst verwildert, fasset euch, er ist kein Geist, ist Vivigenius, so wie er leibt und lebt, faßt seine Hände an und seht am Halse diesen weißen Narbenstrich, da hab’ ich ihn gerichtet, da hab’ ich ihn geheilt mit dem geheimnißvollen Öhle, der Kopf ist fester angewachsen, als er je gesessen hat, und seyd damit zufrieden und ziehet eilig mit ihm fort. H a n s . Ist das die Wahrheit? Sonst mußt du sterben, Zaubermeister. T h e o b a l d . Es ist die Wahrheit, die Freude sagt es mir. H ä m m e r l i n g . Glaubts oder glaubt es nicht, genug er lebt. V i v i g e n i u s . Die Wahrheit ists, doch kaum kann ich dran glauben. Vom Leben nahm ich einen vollen Abschiedskuß, und nichts bewegt mich mehr wie sonst, von allem, was mir theuer, die Waffen sind wie abgelößte Glieder, die ich nicht brauchen kann, ich wünschte eine stille Einsamkeit zum Beten, wenn ich die ernste Freundschaftsschuld dem Grafen abgetragen habe. A p o l l o n i a . O könnt’ ich mit dir ziehn zur fernen Einsamkeit, des Hauses Drang scheint eine Hölle mir, seit ich des Himmels Ahndung fühlte. Ach Theobald, daß ich dich lassen muß, thut weh und doch verlangts mein Herz. T h e o b a l d . Das Weltgeschick befiehlt und seinem Willen widersteht umsonst der Mensch, auch ich hab’ seinen Ruf vernommen, was Vivigenius in gutem Willen hat begonnen, und nicht vollenden konnte, ich solls vollbringen, ich zieh zum Grafen, zahle deine Schuld und diene ihm bis in den Tod. H a n s . Der Oberst lebe hoch, es lebe hoch der Hauptmann Theobald. S o l d a t e n . Hoch!
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H ä m m e r l i n g . Gott führt die Menschen gar verschieden, den einen, der nur Frieden wünscht und liebt, zum Krieg, den andern, der nach Kampf gelüstet, zu dem Frieden, ein jeder mag dem höhern Willen sich ergeben, wo er den eignen Willen überwunden fühlt, ich zieh mit Apollonia zum Frieden, zu den stillen Christen, die in Mähren der Apostel alte Sitte treu bewahren. Hier Vivigenius ist deines Bleibens nicht, wir wären beide hier verloren, auf, geh mit mir. 327
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V i v i g e n i u s . Ich folge dir, du hast das Schrecken überwunden, das gegen dich mein Herz empfand. A p o l l o n i a . Ich folg dir mit getheiltem Herzen. Bei dir kann ich nicht bleiben, Theobald, und doch bleib ich dir treu, und wenn du nimmer wiederkehrest. T h e o b a l d . In diesem Kuß nimm meinen Schwur der Treue! – H a n s . Ihr frommen Seelen, betet für uns Sünder, wir wollen für euch fechten. H ä m m e r l i n g . Es giebt verschiedne Arten, Gott zu dienen, ein jeder folge seinem Ruf, und Babels Brut, die Sünder, die Unterdrücker unsres Glaubens werden untergehn, auf, lasset uns ein frommes Kriegslied singen, das eurer Trennung Schmerzen löset. (Er singt vor,
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die andern fallen nach der zweiten Zeile mit ein.)
Auf, auf, auf, ihr Helden, waget Gut und Blut, Würget mit vereinten Kräften Babels Brut! Eure Feldposaunen Trommeln und Kartaunen Lasset tönen, sie erwecken Löwenmuth. Wenn die Blutfahn flieget, so seyd unverzagt, Denn es ist die Sonne, die so blutig tagt, Unser Löwe brüllet Und mit Schrecken füllet, Jeden Frevler, der sich heute an uns wagt. Auf, auf, zuckt die Schwerdter, schlaget muthig drein, Stürmt die Thürme Babels, reißt die Mauern ein. Auf, sie sollen fallen, Wenn Posaunen schallen, Denn die Stunde, sie zu richten, bricht herein. Du, o Jesu, führe deinen heilgen Krieg In uns, durch uns, mit uns, daß der Feind erlieg. In der Kraft erscheinen Wir nun als die Deinen, Können dich erkennen nach erlangtem Sieg. Kraft, Macht, Gnadenstärke, giebst du, starker Hort, Sey von uns gepriesen immer fort und fort, Durch ein tapfres Sterben 328
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Wollen wir erwerben Deine Siegeskrone und dein Friedenswort. ( Graf Bretterod tritt während des Gesangs mit einem Gefolge ein.) 5
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B r e t t e r o d . Sieg, Sieg, mein Vivigenius, zwar ohne uns, doch auch für uns, die Spanier sind vom Nassau auf das stolze Haupt geschlagen, die Freiheit ist begründet, der Friede ist geschlossen, laß dich umarmen, ich bin jetzt reicher, als ich je gewesen und eile, dich von aller Sorge zu befreien, laß dich umarmen, ich lebe keinen Tag mehr ohne dich, so öde war mein Haus, seit du mich hast verlassen. V i v i g e n i u s . Die Freiheit siegt, Gott will sich aller Welt nun zeigen, und giebt ein neues Leben mir in Freundesnähe wieder, o edler Graf, ich hab’ so viel erlebt, daß ich zur Einsamkeit mich flüchten wollte, nun ich dich sehe, fühl ich mich der Welt gebunden. B r e t t e r o d . Du heitrer Geist zur Einsamkeit? Ich zöge mit, dann wär’ es keine Einsamkeit, du sollst bei meiner halbzerstörten Grafschaft, Einsamkeit genug entdecken, wo wir mit kräftgen Söhnen dieses Krieges eine neue Welt uns schaffen wollen. Du sollst der Oberst unsrer Landmilizen werden, wer weiß, wie lang der Friede dauert. V i v i g e n i u s . Du sorgst für alle meine Wünsche, ach wäre Pura zu versöhnen. B r e t t e r o d . Wo ist sie? Wer sind die Männer, die so feierlich sich nahen? V i v i g e n i u s . O Gott, mein Vater. Ich muß mich ihm verbergen? (Burgemeister Appelmann tritt mit Rathsherren ein).
A p p e l m a n n . Von unsrem gnädgen Herzog bringt ein Bote den Befehl, daß wir den Grafen Bretterod, der meinen Sohn hier sucht, als Oberster nach Friesland ihn zu führen, – Gott, mir versagt die Stimme, – mit höchster Ehr’ empfangen, wo finde ich den edlen Grafen. B r e t t e r o d . Ich bin es, den ihr sucht, ihr seyd der Vater meines liebsten Freundes, wieviel verdank ich euch, er ist mein zweites Leben und jeder Tag ist ohne ihn verloren. A p p e l m a n n . Ach schont mein Vaterherz, er lebt nicht mehr. V i v i g e n i u s (fällt ihm zu Füßen): Er lebt, wenn ihr ihm könnt verzeihen, Vater. Ein Wunder hat ins Leben mich zurückgeführt, wo Sieg und Ehre meiner warten ohne Kampf und Mühe. 329
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A p p e l m a n n . Ich muß wohl glauben, denn alles, was ich heut erfahren, übersteiget den gewohnten Lebenskreis, ich muß dir wohl verzeihen, Sohn, denn unser gnädger Herzog will, daß ich dich ehre, er hat von dir gehört und will an seinem Hof dich sehen. V i v i g e n i u s . Dank, Dank, mein Vater, ich habe alles, Pura fehlt mir nur. A p p e l m a n n . Wie wird sich Pura freuen, die mitten in der Gluth, in ihrem Bette ruhig schlafend, ward gefunden, ihr Zimmer blieb verschont, das Feuer war bei ihres Vaters alchemischen Kochereien ausgekommen, sie hat sich bald erholt und seufzt nach dir, mein Sohn und weint um dich. A p o l l o n i a . O Glück, sie lebt! T h e o b a l d . So schwebte Pura in Gefahr? V i v i g e n i u s . Ich eil zu ihr, der Friede segnet unsern Bund, ja alles ist versöhnt, auch du, mein Theobald? T h e o b a l d . Mag Apollonia entscheiden. Nichts zieht mich in die Fremde, denn alles, was ich wollte, ist vollbracht. A p o l l o n i a . Es braucht der Worte nicht, wo alles sich in Seligkeit entwirrt, mein Bruder ist der Welt versöhnt, und Pura lebt und Theobald bleibt seinem Blumengarten treu. B r e t t e r o d . Fremd stehe ich hier zwischen nah verbundnen Seelen, die dieser Zeiten wunderbares Feuer scheint geprüft zu haben, wohl jedem, der vor sich bestanden ist in Reinheit und in Muth, er wird in Friedenstagen freudig dran gedenken, es wird sein Trost in Unglück seyn, erzählt mir alles, wie es euch geschehen ist, durch Vivigenius seyd ihr mir alle nah verwandt. V i v i g e n i u s . Wenn du mich je von Herzen an dein Herz gedrückt, mein theurer Graf, so komm mit mir, versöhne mich mit einer lieben Seele; die ich gefühllos von mir stieß, um ganz dem Kriege mich zu weihn. O Vater, sprecht auch ihr zum Vater, sagt ihm, daß ihr mir habt verziehen und alles ist geschehn. A p p e l m a n n . Die Übereilung schadet. B r e t t e r o d . Hier ist kein Augenblick zu säumen, es gilt des Freundes Wohl. A p p e l m a n n . Komm Sohn, nichts soll uns trennen, wer solchen edlen Freund sich kann gewinnen, den muß ich achten, ich eile, dich mit Pura zu verbinden. 330
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Zweiter Aufzug
B r e t t e r o d . Nun Freunde, hab ich alles recht gemacht? A p o l l o n i a . T h e o b a l d . Der Graf leb’ hoch! (Alle ab, außer Hämmerling.) 5
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H ä m m e r l i n g . Vergessen bleib ich stehen wie ein abgetriebnes Pferd, das einen Reiter aus des Feindes Hand errettet und sich halbtodt für ihn gelaufen hat, der Reiter nimmt den Sattel ab und läßt es ohne Futter auf der dürren Heide liegen. Undank ist Weltlohn, so leb denn wohl, du undankbare Welt, wie wird es dir noch gehen, ich eile zu den stillen Christen, die allem Leben schon entsagen, eh sie den Undank noch erfahren haben. Zum Angedenken will ich mir dies Bündlein Federposen in die Einsamkeit mitnehmen, und will in meinem Pathmos zur Belehrung ferner Zukunft schreiben, was ich erlebte und was ich voraussah: Undank! (ab.) (Wirthin und Brummer kommen in heftigem Streit, jene ist mit einer Ofengabel bewaffnet.)
W i r t h i n . Du schlechter nichtsnutzger Mensch, du schläfst beim Zapfen ein und läßt das beste Bier mir in den Keller laufen, ach hätt’ ich meinen alten Mann zurück! B r u m m e r . Der Teufel halt das aus, nichts mache ich ihr recht, was Wunder, daß ich von dem ewgen Zanken müde werde und einschlafe. Ich häng mich auf, kann ich von dir mich nicht befreien. W i r t h (tritt ein.) Ich friere todt, wenn ich noch eine Viertelstunde dort im Freien Schildwach stehe! Wer da? (Wirthin und Brummer sehen ihn verwundert an). Wer da? Wer da? (Er schießt.) B r u m m e r (stellt sich verwundet.) Ihr habt mich durch und durch zerschossen, grober Kerl! W i r t h i n . Das schadet nichts dem Thunichtgut, aber Mann, Mann, du bringst dich an den Galgen.
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W i r t h . Ei was, ich bin des Lebens überdrüssig, möchte sterben durch des Henkers Hand, ich halts nicht aus bei dem Soldatenleben, da giebt es nichts als Schnee und kalten Wind und Schmerzen in den Armen, in den Beinen. B r u m m e r (springt auf). Juchhe, ich bin gesund, wenn ihr wollt wieder mit mir tauschen, macht mich vom alten Weibe und ihrem Zankmaul los und ledig, so werde ich Soldat für euch. 331
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W i r t h i n . Ach lieber Mann, schick doch den Tagedieb, den Trinker, den faulen schläfrigen Esel fort, sonst geht uns Haus und Hof zu Grunde. W i r t h . Nun Frau, wir sind ja alle einig, er will gern fort, ich komme gern zurück, bereite ein Versöhnungsmahl, mich hungert. W i r t h i n . Wir haben nichts im Hause, heut Mittag ist ja alles aufgezehret von den vielen Gästen. B r u m m e r . Ei seht die Bratgans, auf Erden gab es keine bessere! W i r t h i n . Die liebe Gottesgabe, die ist hier in der Unruh zwischen all den hohen Herren stehen blieben und keiner mocht sie essen, des Pfarrers Tochter brachte sie dem Herren Hauptmann. B r u m m e r . Ich laß mich von der Bratgans zum Soldaten werben und faß die Fahne an. (Er schneidet.) Auf, singt ein lustig Lied dem heilgen Martin, der uns die Gans bescheeret hat. (Wirth schenkt ein) Alle. Martine, lieber Herre, mein, Nun schenke uns gar tapfer ein, Ja heut zu deinen Ehren Wollen wir alle fröhlig seyn, Wir liessen uns belehren. Cum jubilo omnes clamate, Ut sit deum rogans, Bratgans, rogans gens, Gänsebraten.
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(Hans kommt mit den Soldaten).
H a n s . Sieg und Friede ist nun ohne uns gewonnen, lieben Freunde, ihr hättet gern dabei seyn mögen, ich auch, aber denkt daran, daß Gott allein zu gleicher Zeit überall kann gegenwärtig seyn, zur Strafe und zum Segen. Wir waren hier in unsrer Pflicht, so können wir auch freudig triumphiren, des Friedens Gnade geht uns allen auf. Es lebe Nassau hoch, er braucht auch brave Männer in dem Frieden, sagt der Graf! S o l d a t e n . Der Nassau hoch! Der Graf hoch! Hans. Triumph, Triumph! Es kommt mit Pracht Der Siegesfürst heut aus der Schlacht; Wer seines Reiches Unterthan, Schau heute sein Triumphfest an! Triumph, Triumph, Victoria Und ewiges Hallelujah.
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J a n n’ s e r s t e r D i e n s t , hätte wohl auch eine freie Bearbeitung nach dem Altdeutschen genannt werden können, denn das Fastnachtspiel von dem Engeländischen Jann Posset, wie er sich in seinen Diensten verhalten, mit acht Personen in des Rolands Ton, beim Airer, S. 110. war die Veranlassung dazu, doch giebt es eine Grenze, wo die Freiheit einer Bearbeitung zu einer eignen Selbstständigkeit gedeiht, wo die ernsten Geschichtschreiber der Poesie böse werden und meinen, man wolle ihnen eine Nase andrehen, da sie doch schon genug Geruch und Geschmack hätten, um zu unterscheiden, was alt und was neu sey. Wahr ists, das alte Stück, das ich im ersten Bande meiner altdeutschen Bühne werde abdrucken lassen, ward nur als Anekdote darin benutzt, und hatte noch manches Eigenthümliche, was in meinen Kram nicht paßte, ein Paar andre Anekdoten lieferten eben so viel lustige Momente dazu, ich möchte bei dieser Gelegenheit Lustspieldichter, auf Anekdoten, die im Volke gäng und gebe sind, als auf eine der besten Quellen des lustigen Lustspiels aufmerksam machen; wer nicht ohne gute Laune ist, kann leicht einen Scherz erfinden, der sich ihm bewährt, jene sind aber durch das Wiedererzählen vieler Menschen bewährt worden, ohne vom besondern Verhältniß des Einzelnen gestört oder getragen worden zu seyn. D e r A u e r h a h n . In dieser Geschichte ist wenig Geschichtliches, man wird daher verzeihen, daß ich mir ein Stück: Otto der Schütz, dessen ich mich aus Catalogen wohl erinnere, nicht verschafft habe, um zu sehen, in wie fern meine Tragödie dadurch etwa überflüssig gemacht wäre; auch in diesem Frühling sind nicht zwei Blätter von ganz gleicher Gestalt gewachsen, und ich habe die Ueberzeugung, daß meine Arbeit nicht weniger frei und nothwendig in mir entstanden ist als irgend eine andre. Alles in der Welt gelesen zu haben, ist eine Prätension, die weder Gott noch ein Recensent machen kann. Folgende böse Druckfehler sind mir aufgefallen. 333
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Anmerkungen und Druckfehler
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112. Z. 25. st. – – 26. – – – 34. –
Schlusses lies Schlüssel. wir, wollten nicht, l. wir wollten ihn nicht. Haar l. Hand.
D i e F r ü h l i n g s f e i e r . Eigentlich nur ein Zwischenspiel aus meiner Päpstin Johanna (von der ich schon im zweiten Bande meiner Gräfin Dolores Proben gegeben habe), das sich aber unabhängig gemacht hat. Erst war es mein Vorsatz, die Johanna in dieser Schauspielsammlung ganz abzudrucken, aber die Zeiten wurden inzwischen so ernst, daß ich den Raum erheiternden kleinen Stücken aufsparen mußte. M i ß v e r s t ä n d n i s s e . Die Veranlassung dazu gab eine Anekdote in einem französischen alten Roman, dessen Name mir entfallen ist. D i e B e f r e i u n g v o n We s e l . Die Veranlassung ward ein Bild im zweiten Bande des theat. Europ., es stellt den Augenblick dar, wo Peter Mülder das Staket einschlägt, die hinzugefügte Geschichtserzählung ist wenig ergreifend, hat aber doch ein Paar gute Momente geliefert. D a s L o c h . Die Geschichte im ersten Aufzuge schenkte mir das herrliche alte Buch von den sieben weisen Meistern, es hat allein von allen hier gelieferten Schauspielen der Ehre sich erfreut, vor zwei Jahren in einer geistreichen Gesellschaft aufgeführt zu werden, freilich war es damals reicher an Lokalscherzen. Gern hätte ich Kupfer von dem Umrisse der Hauptfiguren, von denen manche sehr wohl gelungen waren, mitgetheilt, aber unsre Zeit, die für Gold Eisen giebt, kann für Kupfer nichts ausgeben. H e r r H a n r e i . Frei bearbeitet nach dem lustigen Pickelherings-Spiel von der schönen Maria und alten Hanrei in dem Buche: Englische Comödien und Tragedien, das ist sehr schöne herrliche und auserlesene geist- und weltliche Comödi- und Tragödie-Spiel samt den Pickelhering, gedruckt im Jahre 1620. Wegen seiner Seltenheit werde ich es vielleicht in meiner altdeutschen Bühne abdrucken lassen, sonst meine ich keinen bedeutenden komischen Moment versäumt, hingegen manches Lustige hinzugefügt, manches durch Abkürzung mehr herausgehoben zu haben.
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D e r w u n d e r t h ä t i g e S t e i n . Aus derselben alten Sammlung, nur im Einzelnen bearbeitet, nicht im Ganzen, ich habe den Bauer, statt Hans Pickelhering, Hanswurst genannt, weil sein Charakter, von allen angeführt zu sein, offenbar von dem Charakter des Pickelherings im vorigen Stücke abweicht, vielleicht hätte ich besser gethan, da der spätere Hanswurst doch noch ein Paar andre Maskenzüge hat, einen andern Namen für ihn zu ersinnen, etwa von einer andern Lieblingsspeise des Volks, Hans Kartoffel. J e m a n d u n d N i e m a n d . Aus derselben Sammlung, wo es ein sehr langes Stück ist. Bei der Umarbeitung ist manches Langweilige verschwunden, aber auch einzelne komische Züge verloren gegangen, in meiner altdeutschen Bühne soll das Original erscheinen. D i e A p p e l m ä n n e r . Die wahre Geschichte findet sich in Paul Friedeborns Stettinischen Geschichten, II. B., S. 113., Stettin 1613. 4to recht schön erzählt, sie hätte auch unverändert Stoff genug zu einem Schauspiele gegeben, gegenwärtig lag mir aber mehr am Herzen, ich wünschte manchen scheinbaren Widerspruch in dem Gemüthe der Menschen zu einer wohlthuenden befriedigenden Einheit zu bringen. Um den Pfau des Titels nicht fälschlich als Krähe ausdeuten zu lassen, die sich mit fremden Federn geschmückt hat, muß ich bemerken, daß der Hauptstoff des Martinliedes S. 272, des geistlichen Liedes S. 301. und des andern geistlichen Liedes, S. 305. nicht mir, sondern der ältern deutschen Zeit gehört, im zweiten und dritten Bande des Wunderhorns findet sich mehr von diesen Liedern. D e r P f a u a u f d e m T i t e l ist als Sinnbild der Schauspielkunst ausgestellt; wie er in seinen kleinen Federspiegeln die ganze Farbenwelt im Kleinen darstellt, so wünscht auch sie in ihren Darstellungen ein Abbild des vollen mannigfaltigen Weltlebens zu geben, kein Kreis ist ihr zu hoch oder zu niedrig, sie macht einen Kreis dem andern deutlich und erfreulich, möchte es auch mir in einigen gelungen seyn.
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Zu: Der Auerhahn
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Zweite Handlung Rheinufer. Morgensturm, der Otto und Jutta, die als Geistlicher gekleidet in einem Nachen ans Land wirft. J u t t a . Gelobt sey Gott, mein Beten ist erhört, er hat uns aus der zweifelhaften Welle an das sichre Land gehoben O t t o : Gelobt sey dieses Ruder, dann lob ich meine Arme beyde, sie sind ein Stück von jenem Gott und fühlen sich recht müde, Dich friert in den durchnassten Kleider, ich meine frommer Freund, ich nehmen mit dem einen Gott mit meinen Händen den andern Gott das Ruder und breche ihn in Stücken und zünde Dir ein Feuer an. J u t t a . Ich lerne jezt die Reden von dir tragen und still bedenken, daß du es besser meinst, als du magst scheinen. Wie treu hast du dein Leben heut für mich gewagt, als mich das Flußweib schon in kalte Arme schloß, ich möchte gern aus voller Brust dir danken, doch fehlet dir die eine Großmuth noch, des Dankes Last von dem hinweg zu nehmen, der alles dir verdankt O t t o . Was soll ich mit dem Danke machen, sag selbst, wenn es mir viel gekostet hätte, was ich gethan, je nun so könnt ich mich damit schon brüsten, doch was ich so kaum halbbewust gethan, wie man sich stolpernd oder auf dem Eise ausgleitend in das Gleichgewicht zu helfen sucht, man weiß nicht wie, das ist mir halberzählt schon ganz verhasst, mir wird mein elend thunlos Leben dann bewust; wenn eine That sovieles kann erschaffen, warum soll ich in müssigem Gebet mein Leben hinverträumen, das aufge〈weckt〉 zu jeglich kühnem Werk die Welt versuchen möchte, wer von beyden Sieger. J u t t a . Du sprichst vom Beten, was nennst du so, dein Fluchen, wenn dir ein Vogel auffliegt eh du ihn erzielt. O t t o . Ach frag nicht weiter, verschwiegnes Leid hat eigne freye Unterhaltung, doch ausgesprochen schämt sich das Herz des unüberwindlichen Gedankens, der über unsre Lippen wie auf Strahlen ist geglitten und keine Spur in unsre Zunge schnit. Das sey für deine vielbesorgte Freundschaft dir genug. Ich sollte ganz wie du nach 339
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Entwürfe
Cöllen gehen, um Geistlicher 〈xxx〉 Lehr 〈eine〉 in Uebung einst zu werden, hier aber, wie ich an dem Strom des Rheins gekommen, da hat ein wunderlicher Mond mich angeglänzt, ein andrer Geist hat mich empfangen, die Heilgen, die ich suche, ist das Wildpret, die ganze Welt ward mein, so hat der Teufel mich versucht, ich setzte mich ganz reuelos um diese Jagdlust allen harten Strafen aus, doch keiner wagt sich, mich hier zu bestehen, oft möcht ich glauben, daß ich ganz unsichtbar geworden.
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(Er zündet Feuer an)
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J u t t a . Zum Glücke geht dein Feuer in die Sonne auf , ich grüsse meines Freundes Züge wieder und höre unter seinem Trit den Boden beben und, noch grössres Wunder sich zum selben Ort hat uns der Strom zurückgeführt, wo wir vor dreyen Tagen streitverwirrt von einander schieden. Siehst du den Baum, unter welchem du mich zwingen wolltest, meine Kleider abzulegen und gleich dir in Schwimmerkunst der Wellen Muthwill zu versuchen. Davon kam erst der Streit, dann wolltest du ein Blätchen lesen, das ich versteckt, als du vom Schwimmen kamst zurück. Du zogst es neckend dann mir aus der Tasche und ich entriß es dir und wieder zogst du heimlich es aus meiner Tasche und trugst es triumphirend um mich her. Da sprang ich auf zu deinem 〈Bart〉, da liessest du es fallen, doch ich zerriß es dann in tausend Stücken. Du zürntest mir, es schützte dann mich der Baum vor deiner Zorn, wir liefen um ihn her und jeder zog die seine Strasse bis du mich rettend aus dem Rhein gezogen auf dem mein Schifflein umgeschlagen war. Ich muß das alles dir erzählen; denn du vergisst, was dir vergangen und ich leb darin. Nun ich das Leben dir muß danken, so ist auch diese Heimlichkeit dir eigen O t t o Nun sprich, du machst mich recht begierig denn Neues hör ich gerne und du bist mir so eigen wunderlich und neu, weil ich noch keinen Knaben je ersehen, der so wie du in frischer Unbertigkeit des Alters Weisheit kann verstecken und, wie ein Kind leichtsinnig scheu und trotzig ist. J u t t a . So fertigst du mich ab mit Schimpf, und was ich damals heimlich schrieb, es war dein Lob, so feurig, daß ich mich jezt schäme, dir’s zu wiederholen. O t t o . Gieb deine Hand mir her, ich drück sie nicht so fest, daß du must schreien, doch nicht so lose, daß du mit deiner ganzen Kraft sie 340
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Zu: Der Auerhahn
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mir entreissen könntest, wir bleiben Freunde, ja ich wüst auf Erden und im Himmel nichts, was ich so liebete wie dich Freund. J u t t a . (singt) Ist es Rauch vom Prasselfeuer, Das den grünen Zweig entflammet, Ist es Rührung dieser Feyer, Die aus Hand in Hand entstamet, Ists der Morgen, der da grauet Was in meine Augen thaut. Nein, es tropfelt von dem Stamme, Aus der Rinde die zerrissen, Von des Blitzes wilde Flamme, 〈xxx〉 da muß ich ihn jezt küssen Treuer Baum der uns geschutzet Als es über uns geblitzet Da ich hör im Blatter Flüstern Der von Zornes Wort noch rauschet Die wir in des Abends Düstern Zankend beyde ausgetauschet, Daß er noch davon muß sprechen Nun wir friedlich Blumen brechen Ists besprochen, ists vergessen Und schon breitet er den Schatten, Wo wir nun in Lieb gesessen, Nun in Sonnen Glanz 〈will gatten〉 Nicht zu viel der heissen Liebe, Nun wir 〈sind〉 des Zornes müde.
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Zu: Jemand und Niemand 1r
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K e i n e r als G e i s t tritt ein S p i e l Tisch, worauf Karten liegen Ich bin K e i n e r , ein Milchbruder von Niemand ein guter seliger Himmelsgeist. (Er gähnt) Ach das war einmal wieder ein recht langweiliger Tag im Himmel. Der Mund thut mir weh, weil ich in meiner Seligkeit beständig lächeln mußte. Der Thau ist kalt und naß auf Erde Sei freudig begrust du liebe kleine Erde in der dunklen Mitternachtstunde, ich werde mich davon noch so bald nicht entwöhnen. Wir armen seligen Geister sind den Zeitungslesern auf dem Lande zu vergleichen, die nur einmal in der Woche, wenn die Post ankömmt, Zeitungen aus der übrigen Welt erhalten. So haben auch wir nur die eine kleine Mitternachtstunde, um etwas Neues von der Erde, von unsern alten Freunden und Gevattern zu erfahren und müssen dabei sehr leise umhergehen und nicht husten, damit wir sie nicht erschrecken. Könnte ich nur im Himmel so ein Spielchen zusammen bringen, wie ich es täglich fast auf der Erde mit meinem Milchbruder N i e m a n d , mit dem listigen J e m a n d , mit dem einfältigen G a r n i c h t s in der Schenke spielte, wobei alle grosse Begebenheiten und Liebesaffären Abends erzählt und in Ordnung disputirt wurden. Wir wusten gar nicht wie wichtig unsre Gespräche und unser Solospiel der Welt war, wir meinten nur zu unserm Spas das alles zu treiben. Erst im Himmel droben von oben habe ich die grosse Wichtigkeit unsrer Karten gesehen. Indem wir die schönen Kartenbilder nur wie Bilder unsres Spiel-Glücks bald heftig bald bedenklich auf den Tisch warfen, bestimmten wir die Begebenheiten der grösten Reiche auf M o n d e dem treuen Gefährten, Thautrinkbruder, Nachtwächter und Gasbeleuchter unsrer Erde. Diese Karten waren Bilder jener Könige im Monde, wir waren unwissend ihr Schicksal, dem sie sich fügen mußten. Wir haben schlimme Schicksale da angestiftet. Verzeihe es guter Mond, der eben mit vollem Glanze die Karten des gestrigen Spiels bescheint und in seinen Nebeln die Begebenheiten des letzten Tages spiegelt. (Er tritt zum Spieltische Leider, ich sehe es schon, eine grosse Mondgeschichte ist mit dem letzten Solo eingeleitet, eine grosse 342
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Zu: Jemand und Niemand (1)
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Mordgeschichte hat es beschlossen. Zwei Könige standen in dem Spiele einander fast mit gleichem Anspruche an den Thron gegenüber, zwei Königinnen reitzen sie zum Kampf, zwei Buben, die jüngeren Königsbrüder warten nur darauf, daß jene älteren einander die Hälse brechen. Die Grossen sind getheilt. So stand das Spiel, da hatte Jemand der zu verlieren fürchtete eine Karte den Herzdaus untergeschlagen der mit einem Scepter gestempelt ist Er stand auf und schwor es sei vergeben und könne nicht gelten Niemand, die brave Seele, gab ihm dafür einen derben Ritterschlag, sie griffen zu den Klingen, durchrannten einander und der Gar nichts erstach sich darüber aus Gram. Da blieb auch nicht einer auf Erden O ihr lieben Spielkammeraden, wie waret ihr so dumm, daß ihr nicht auf der Erde geblieben; ihr müsst nun auf dem Monde eine lange Quarantaine halten, weil ihr Mörder seid. Da steckt ihr nun im Monde wie die Maus in der Falle, müsst in eurem Kartenspiel eine ernste Rolle mitspielen. Helfen kann ich euch nicht, aber doch berathen durch Zeichen. O ihr himmlischen Wolken meine Brüder tragt mich nur auf euren Sturmflügeln zum Monde daß ich dies seltsame Spiel von zweyerlei Schicksal belaure und meinen Freunden durch eure Blitze und Donner meinen Rath kund thue. – Ach Erde lebewohl für immer, denn fremd bist du mir geworden, seit meine Freunde dich verlassen.
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Prolog Keiner als Geist mit einem Regenschirme (Scene. Wirtsstube im Mondschein, ein Tisch mit Karten) Ich bin K e i n e r , der Milchbruder von N i e m a n d ein guter seliger Himmelsgeist. (Er gähnt) Ach das war einmal wieder ein recht langweiliger Tag im Himmel. Der Mund thut mir weh, weil ich in meiner Seligkeit beständig lächeln muß. – Der Mondschein ist kalt, der Thau gar sehr naß auf Erden und doch sei freudig begrüst du liebe kleine Erde in der dunklen Mitternachtstunde, ich werde mich deiner so bald noch nicht entwöhnen! – Wir armen seligen Geister sind den Zeitungslesern auf dem Lande zu vergleichen, die nur einmal in der Woche, wenn die Post ankommt, Zeitungen aus der übrigen Welt erhalten. So haben auch wir nur die eine kleine Mitternachtstunde, um etwas Neues von der Erde,von unsern ehemaligen Freunden und Gevattern zu erfahren und müssen dabei sehr leise umhergehen und nicht husten, damit wir sie nicht erschrecken! Könnte ich nur im Himmel so ein deutsch Solo Spielchen zusammen bringen, wie ich es täglich sonst auf Erden mit meinem Milchbruder N i e m a n d , mit dem listigen J e m a n d , mit dem einfältigen G a r n i c h t s in der Schenke spielte, wobei alle grossen Begebenheiten und Liebesaffären Abends erzehlt und in Ordnung disputirt wurden. Wir wusten gar nicht wie wichtig unser Solospiel der Welt war, wir meinten nur zu unserm Spas das alles zu treiben. Erst im Himmel droben, von oben habe ich die grosse Wichtigkeit unsrer Karten gesehen. Indem wir die schönen Kartenbilder nur wie Bilder unsres Spiel-Glücks bald heftig bald bedenklich auf den Tisch warfen, bestimmten wir die Begebenheiten der grösten Reiche auf dem Monde, dem treuen Gefährten, Thautrinkbruder, Nachtwächter und Gasbeleuchter unsrer Erde. Diese Karten waren Bilder jener Könige im Monde, wir waren unwissend ihr Schicksal, unsrer Klugheit war ihr Geschick hingegeben, dem sie sich fügen musten: Wir haben schlimme Schicksale da angestiftet! Verzeihe es guter Mond, der oben mit vollem Glanze die Karten dieses gestrigen Spiels bescheint und in seinen Nebeln die Begebenheiten des Tages spiegelt ( E r t r i t n ä h e r z u m T i s c h e u n d b e s i e h t d i e K a r t e n ) Leider, ich sehe es schon, 344
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Zu: Jemand und Niemand (2)
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eine grosse Mondgeschichte ist mit dem letzten Solo eingeleitet, eine grosse Mordgeschichte hat es beschlossen. Zwei Könige standen in dem Spiele fast mit gleichem Anspruche an den Thron einander gegenüber; zwei Königinnen reitzen sie zum Kampf. Zwei Buben jüngere Königsbrüder warten darauf, daß jene älteren sich die Hälse brechen und die Grossen sind getheilt. – So stand das Spiel, da hatte J e m a n d , der zu verlieren fürchtete, eine Karte den Herzdaus untergeschlagen, der mit einem Scepter gestempelt ist. Er stand auf und schwor es sei vergeben und das Spiel könne nicht gelten. Doch Niemand, die treue Seele, gab ihm dafür einen derben Ritterschlag. Sie griffen zu den Klingen, durchrannten einander und der G a r n i c h t s erstach sich aus Gram. Da blieb A u c h n i c h t e i n e r auf Erden. O ihr lieben Spielkammeraden, wie waret ihr so dumm daß ihr nicht auf der Erde geblieben, ihr müsst nun auf dem Monde eine lange Quarantaine halten, weil ihr Mörder seid. Da steckt ihr nun im Monde wie die Maus in der Falle müsst in eurem Kartenspiel eine ernste Rolle mitspielen. Helfen kann ich euch nicht, aber doch berathen durch Zeichen. O ihr himmlischen Wolken, meine Schwestern tragt mich auf euren Sturmflügeln zum Monde, daß ich dies seltsame Spiel von zweierlei Schicksalen belaure und meinen Freunden durch eure Blitze meinen Rath kundthue. – Arme Erde, lebe wohl für immer denn fremd bist du mir geworden, seit meine Freunde dich verlassen!
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ABBILDUNGEN
Abb. 1: Titelblatt mit Pfau
Abb. 2: Schmutztitel
Abb. 3: Zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Kupferstich
Abb. 4: Zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Kupferstich (Peter Moller beim Befreiungsschlag)
Abb. 5: Zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Kupferstich (Stadtansicht mit Kartusche rechts oben, auf die sich Arnim in seinem Stück bezieht, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 202,14–15)
Abb. 6: Theaterzettel zur Aufführung in Breslau
Abb. 7: Seite aus der handschriftlichen Skizze zu Der Auerhahn
Abb. 8: Seite aus dem Entwurf zu Jemand und Niemand
KOMMENTAR
Zu dieser Ausgabe Denn es ist vor allen Dingen unerlaubt, ein Werk herauszugeben, das man nicht einmal versteht. (Jacob Grimm an Arnim, 26. September 1812; BJ-VS)
1. Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die erste vollständige, kritische Edition der Schaubühne Ludwig Achim von Arnims seit ihrer Erstveröffentlichung im Mai 1813. Trotz der umfangreichen Produktion von Dramen sind Arnims Stücke nicht annähernd adäquat veröffentlicht. Das meiste blieb zu seinen Lebzeiten ungedruckt. Im Nachlaß befinden sich etwa 1500 Seiten Handschriften, davon neben Vorarbeiten und Varianten zu bereits edierten Dramen etwa 750 Seiten bislang unbekannter Stücke, Fragmente und Entwürfe, die in den folgenden Schaubühnen–Bänden der WAA erstmals überhaupt ediert werden. Während der Band I die Schaubühne von 1813 sowie Entwürfe zu diesen Dramentexten enthält, werden in den beiden Folgebänden Schaubühne II und III alle dramatischen Texte, die nicht Teile anderer Werke sind, ediert. Die Schaubühne von 1813 ist – abgesehen von der erneuten Veröffentlichung in den durch BvA herausgegebenen SW (1840, 1853, 1857) – nach 1900 nur durch Teildrucke publiziert worden. BvA berichtigt in ihrer Schaubühnen–Ausgabe offensichtliche Druckfehler der Editio princeps, bereinigt formale Unregelmäßigkeiten und modifiziert Orthographie und Interpunktion. Zudem ist es ihr Verdienst, daß in die SW nachgelassene Stücke Arnims aufgenommen und dadurch erstmals zugänglich gemacht wurden.1 Lediglich die national-patriotischen Stücke Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Die Appelmänner sowie das satirische Schattenspiel Das Loch 1
Dabei handelt es sich um die Stücke Die Capitulation von Oggersheim, Der echte und der falsche Waldemar, Der Stralauer Fischzug, Glinde, Bürgermeister von Stettin und Markgraf Carl Philipp von Brandenburg.
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Zu dieser Ausgabe
konnten nach dem Erscheinen der SW vereinzelt die Aufmerksamkeit eines Editors auf sich lenken. Es ist auffallend, daß gerade die Dramen mit nationalpatriotischer Kriegsthematik (Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Die Appelmänner) in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg und während der Weimarer Republik der Tradierung für wert befunden und so hundert Jahre nach dem Erscheinen des Ds aus national-patriotischen Gründen erneut publiziert wurden. Das Interesse an Arnims Dramen nimmt im frühen 20. Jh. vor und nach dem 1. Weltkrieg zu und läßt nach 1938 abrupt nach, sieht man von Gerhard Kluges Edition von Das Loch (1968) ab. Bei den Veröffentlichungen zwischen 1906 und 1938 handelt es sich ausschließlich um Leseausgaben, die dem Benutzer keine bzw. nur wenige Erläuterungen an die Hand geben. Textkritisch geht mit Ausnahme von Alfred Schier und Gerhard Kluge keiner der Herausgeber vor. 1906 erscheinen im zweiten Bd. von Achim von Arnims ausgewählten Werken in vier Bänden, die von Max Morris herausgegeben werden, die Dramen Das Loch und Die Appelmänner. In seiner Einleitung zu Arnims Dramen will der Herausgeber eine »Übersicht über die gesamte dramatische Tätigkeit Arnims« darbieten (vgl. Morris Kommentar 1906, S. 4) und liefert Informationen zu sämtlichen autorisierten und zu den in den SW edierten nachgelassenen Stücken Arnims. Seine Bewertung der Dramen fällt durchgehend kritisch aus; »schwere Kunstfehler« werden besonders hervorgehoben (ebd., S. 17). Morris verwendet als Textgrundlage den D der Schaubühne, berücksichtigt aber auch die in den SW vorgenommenen Änderungen in Orthographie und Interpunktion. Die Appelmänner werden in den Bd. 3 der von Monty Jacobs edierten Arnimschen Werke, Auswahl in vier Teilen aufgenommen (1908). Jacobs bietet Arnims Quelle aus Friedeborns Stettinischen Geschichten in seiner Einleitung und geht im folgenden mit einigen Beispielen auf Arnims ›Harmonisierungsbedürfnis‹2 ein (Jacobs Kommentar 1908, S. 13). Die Besonderheit des Dramas Die Appelmänner sieht er v. a. in der Gestaltung der Figur des Scharfrichters Meister Hämmerling. Jacobs kurzer Kommentar am Ende des Bds. berücksichtigt überwiegend historische Aspekte und weist die Quellen einiger Liedtexte nach (vgl. ebd., S. 375–376). Als Textgrundlage verwendet er die Erstausgabe, modernisiert jedoch Orthographie und Interpunktion. Reinhold Steig veröffentlicht 1911 im dritten Bd. von Achim von Arnims Werke u. a. die drei Stücke Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Miß2
Vgl. zu Arnims Harmonisierungsbedürfnis, das für sein Gesamtwerk bestimmend ist,
Hermann F. Weiss, Achim von Arnims Harmonisierungsbedürfnis, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch Neue Folge 15 (1974), S. 81–99.
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Zu dieser Ausgabe
verständnisse
sowie Das Frühlingsfest. Eine Kommentierung der Dramen fügt er der Ausgabe nicht hinzu (vgl. Steig 1911 III).3 1920 ediert Alfred Schier die Stücke Der Auerhahn, Das Loch sowie Die Appelmänner im dritten Bd. der Arnimschen Werke. In seinem Vorwort bewertet er Arnims Talent als Dramatiker als mangelhaft (vgl. Schier Kommentar 1920, S. 6–8). Neben einer Einleitung des Herausgebers, die jedem Drama vorangestellt ist und bisherige Erkenntnisse aus der Sekundärliteratur zu Arnims Schaubühne zusammenfaßt,4 findet sich im Anhang eine knappe Kommentierung von Einzelpassagen, die meist intertextuelle Bezüge zum Werk Arnims sowie anderer Romantiker herstellt. Schier unternimmt darüber hinaus einen Vergleich zwischen dem D der Schaubühne und den von BvA herausgegebenen SW. Die z. T. falschen und unvollständigen Ergebnisse sind in einem textkritischen Apparat zusammengefaßt.5 Die Textdarbietung stellt eine Mischung aus D und der Ausgabe in den SW dar. Heinz Ohlendorf veröffentlicht 1935 Das Loch, bearbeitet und mit Spielanweisungen versehen in der Reihe Spiele der Jugend- und Laienbühne. Das Stück wird stark gekürzt, »allzu zeitbedingte Anspielungen« (Heinz Ohlendorf, Spielanweisung, in: Ohlendorf 1935b, S. 37–40, hier S. 37) sind gestrichen.6 Da
3
Im ersten Bd. findet sich eine Einleitung, die kurz die abgedruckten Dramen charakte-
risiert. Steig hält es nicht für ausgeschlossen, »daß die kundige Hand eines Regisseurs auch heute noch diese Stücke der Bühne gewinnen könnte« (Steig 1911 I, S. XIII). Seine Einleitung schließt mit einem pathetischen Appell an das deutsche Volk, sich mit den Arnimschen Texten, in denen sich die Vaterlandsliebe so vehement ausdrücke, auseinanderzusetzen. 4
Schier stützt sich dabei maßgeblich auf Erkenntnisse von Walther Bottermann (Botter-
mann 1895) und Max Hartmann (Hartmann 1911), die in ihren Forschungsarbeiten v. a. quellenkritisch vorgehen. 5
Einen Teil der Lesarten bietet er im Anhang (vgl. Schier Kommentar 1920, S. 476–477). Dabei unterlaufen ihm bei der Angabe der Varianten einige Fehler (vgl. ebd.: falsch sind die Angaben zu Der Auerhahn 258/22, 263/10, 290/15, 305/30, Das Loch 313/22, 348/864, Die Appelmänner 384/8). 6
Ohlendorf kürzt nicht nur zahlreiche Passagen des Stückes, wie etwa die ersten 58 Verse
aus dem Prolog des Schattendichters, Passagen aus dem Dialog Kaiser-Kasper über die Regierung, die Anspielungen auf die Freimaurer etc., sondern verändert auch Textpassagen.
Ich möchte auch gern ins Freie gehen, / Die Ritter der Tafelrunde besehen (in dieser Ausgabe S. 208,27),
So gibt er z. B. der Replik, in der die Kaiserin in Arnims Stück sagt:
worin ihr Interesse an anderen Männern zum Ausdruck kommt, einen wesentlich neutra-
Ich möchte auch gern ins Freie gehen, / das Schloß, den Garten, den See besehen (Ohlendorf 1935b, S. 10).
leren Anstrich:
361
Zu dieser Ausgabe
sich Ohlendorf um die Spielbarkeit des Stückes bemüht, enthält die Ausgabe außerdem von Dieter Evers angefertigte Schattenrisse einiger Figuren7 sowie den Entwurf eines Bühnenbildes. Die Matrosenlieder (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 222,23–28, 222,33–223,3, 223,10–15, 224,30–225,9) wurden von Karl Seidelmann vertont. In einem im gleichen Jahr veröffentlichten Werkbuch für Schattenspieler, in dem Anleitungen zur Herstellung von Schattentheatern für den Gebrauch auf Privatbühnen enthalten sind, äußert sich Ohlendorf explizit zu der Relevanz einer Etablierung einer spezifisch »deutschen Geselligkeit«, die nationalsozialistischen Prämissen folgt (vgl. Ohlendorf 1935a, S. 3–4). Arnims Text wird zur Etablierung dieser ›deutschen Geselligkeitskultur‹ instrumentalisiert.8 1938 werden die Dramen Der Auerhahn, Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Die Appelmänner (alle Bd. 22) und Das Loch (Bd. 23) durch Paul Kluckhohn in der Reihe Romantik, Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, herausgegeben. Die Kommentierung gibt unvollständige Hinweise zur Editionsgeschichte der Dramen, zu Arnims verwendeten Quellen und zu einigen Rezeptionszeugnissen.9 Der Einzelstellenkommentar zu Die Appelmänner orientiert sich stark an Jacobs Erläuterungen (vgl. Kluckhohn Kommentar 1938a, S. 288–289). Kluckhohn fügt der Edition in Bd. 22 einen Abdruck des
7
Abgebildet sind die Figuren Kaiser, Kaiserin, Ritter, Esel und Ochs (vgl. Ohlendorf 1935b,
S. 13, 15, 21, 33, 34). 8
So schreibt Ohlendorf über die zu erhoffende Wirkung des Schattentheaters: »Die
Volkskünste, die der Familie Anregung und Ermunterung geben, wirken in die Nachbarschaft der Wohngemeinschaft hinein und darüber hinaus dann jenseits aller persönlichen Bekanntschaft in die Volksgemeinschaft hinein. Sie bestimmen uns, fördern die Empfänglichkeit aller uns erreichbaren Volksgenossen und werden damit zu einer entscheidenden Hilfe auf dem Weg zur Gesundung unseres neuen öffentlichen Gemeinschaftslebens« (Ohlendorf 1935a, S. 4). Die Parallele zu Arnims Intention, volksbildend zu wirken, liegt klar auf der Hand. Während sich Arnim 1813 in einer rein kulturell-literarischen Phase befindet, in der die Idee des Nationalen noch keine politischen Auswirkungen zeigt, steht Ohlendorfs Anliegen der Edition von Schattenspielen bereits in der Formierung eines »politischen Werbens für diese Idee« (Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1700. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1998, S. 23) und einer Radikalisierung der rassistischen Position. 9
Allgemeine Informationen zur
Schaubühne bietet Kluckhohns Einführung in Bd. 20,
vgl. Paul Kluckhohn, Einführung zu den Bänden 20, 21, 22, in: Dramen von Zacharias Werner, hg. v. Paul Kluckhohn. Leipzig 1937 (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Romantik. Bd. 20), S. 5–53, hier S. 35–40. In Bd. 21 ist Arnims zweiteiliges Stück
362
Halle und Jerusalem abgedruckt.
Zu dieser Ausgabe
Kupferstichs hinzu, den Arnim als Quelle für Die Vertreibung der Spanier aus Wesel verwendete (vgl. ebd., S. 4 sowie Abb. 4 in der vorliegenden Ausgabe, S. 352). Die kurze Erläuterung zu Das Loch in Bd. 23 enthält keine Hinweise auf die satirischen Anspielungen im Stück, sondern geht nur kurz auf ein Entstehungszeugnis Arnims und auf die Anmerkungen in der Schaubühne ein (Kluckhohn Kommentar 1938b, S. 309–310). Kluckhohns Textdarbietung in beiden Bänden folgt dem D, wobei er eine ›Normalisierung‹ der Orthographie und Interpunktion vornimmt. Erst 30 Jahre später kommt es zu einer weiteren Edition eines der Schaubühnen–Dramen, die sich von den vorangegangenen Ausgaben maßgeblich unterscheidet und als Studienausgabe zu bezeichnen ist. Gerhard Kluge liefert in dieser 1968 publizierten Ausgabe von Arnims Schattenspiel Das Loch eine ausführliche Materialiensammlung, die Auskunft über die Entstehungsgeschichte, über die gattungsgeschichtliche Einordnung des Schattenspiels sowie Worterklärungen gibt. Im Kap. Zur Analyse des Stücks geht er auf die Besonderheiten des Dramas ein, erläutert die satirischen Anspielungen und zeigt Parallelen zu Werken von Arnims Zeitgenossen auf. Kluges Textdarbietung folgt der Editio princeps, ohne die Veränderungen in den SW zu berücksichtigen, und verbessert »lediglich einige offensichtliche Druckfehler in den Angaben der Sprechenden« (Kluge Kommentar 1968, S. 70). 1969 wird die von Paul Kluckhohn besorgte Edition durch die Wiederauflage der Deutschen Literatur in Entwicklungsreihen von 1937/1938 durch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt unverändert publiziert. In französischer Übersetzung erscheint 1970 Der Auerhahn unter dem Titel Le Coq de bruye`re, herausgegeben und übersetzt von Michel Arnaud, jedoch ohne eine erläuternde Einleitung oder einen Kommentar. 1982 werden die von BvA herausgegebenen SW als Faksimile-Ausgabe erneut publiziert. Der Textdarbietung liegt die Auflage von 1857 zugrunde, die im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Auflagen eine andere Bandzählung aufweist, in der Darbietung der Texte jedoch mit den beiden anderen identisch ist. Seitdem hat das Interesse an einer Edition der Schaubühnen–Stücke stark nachgelassen. Selbst die im Deutschen Klassikerverlag 1990 erschienenen Arnimschen Werke in sechs Bänden enthalten lediglich einige Lieder aus Der Auerhahn und Die Appelmänner, eine vom Herausgeber stark gekürzte Version des Nachspiels Das Frühlingsfest10 sowie den Prolog des Schatten10
Die von Ulfert Ricklefs dargebotene Fassung spart insgesamt 390 Verse aus (es fehlen
363
Zu dieser Ausgabe
dichters aus Das Loch. Die Texte sind von Ulfert Ricklefs in seinen Gedichtband (Werke 5)11 aufgenommen und kommentiert worden. Als Textgrundlage verwendet Ricklefs die Editio princeps, ›normalisiert‹ aber gemäß den editorischen Richtlinien des Deutschen Klassikerverlags Interpunktion und Orthographie. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Volker Hoffmanns Diagnose aus dem Jahr 1973, daß die Textedition des Arnimschen Werkes der Textinterpretation hinterherhinke (Hoffmann 1973, S. 274), noch heute zutrifft. In diesem Sinne bezeichnet Stefan Scherer zwar die Schaubühnen–Stücke als die meistbesprochenen Dramen Arnims (Scherer 2003, S. 535), dies sollte aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß im allgemeinen von einer »nahezu vollständige〈n〉 Unkenntnis der ›Schaubühne‹« (Ehrlich 2000, S. 115) auch unter Literaturwissenschaftlern ausgegangen werden muß. Hinzu kommt, daß in der Sekundärliteratur, die sich mit der Schaubühne beschäftigt, größtenteils aus der leicht zugänglichen posthumen Ausgabe der SW12 zitiert wird, was angesichts der von BvA vorgenommenen Veränderungen am autorisierten D, wodurch auch einige Passagen aus der Editio princeps fehlen,13 bedenklich ist. Eine historisch-kritische Edition der Schaubühne erscheint vor diesem Hintergrund, v. a. was die vermehrte Beschäftigung mit dem romantischen Drama innerhalb der Romantikforschung seit Ende der 1990er Jahre angeht, als gerechtfertigt und notwendig. die Verse 21–411, bei denen es sich – so Ricklefs – um »die weniger bedeutenden einleitenden Partien« handelt (Werke 5 Kommentar, S. 1497)). 11
Ursprünglich geplant war für Bd. 5 die Edition von Gedichten und Dramen (vgl. Gott-
fried Honnefelder, Die Editionen, in: Warum Klassiker? Ein Almanach zur Eröffnungsedition der Bibliothek deutscher Klassiker, hg. v. Gottfried Honnefelder. Frankfurt/M. 1985, S. 300–310, hier S. 303). Der Kompromiß, neben den Gedichten auch Teile von Versdramen zu edieren, wird im Vorwort des Herausgebers nicht näher erörtert. 12
Weltweit ließen sich lediglich 17 (18) Schaubühnen-Exemplare, die in Bibliotheken aus-
leihbar sind, ermitteln (vgl. dazu das Kap. Nachweis der verwendeten Schaubühnen-Exemplare, S. 404–412). Die Ausgabe der
SW von 1857 ist durch den faksimilierten Neudruck von
1982 wesentlich greifbarer. Dies rechtfertigt es freilich nicht, für die wissenschaftliche Ar-
D von 1813 vorzuziehen. Die Appelmänner finden sich in den SW häufige Weglassungen einzelner Wörter oder gar einer ganzen Textpassage. So heißt es im D am Ende des Stückes: 〈...〉 laß dich umarmen, ich bin jetzt reicher, als ich je gewesen und eile, dich von aller Sorge zu befreien, laß dich umarmen, ich lebe keinen Tag 〈...〉 (in dieser Ausgabe S. 329,6ff. während die Passage in den SW auf »laß dich umarmen, ich lebe keinen beit die posthum erschienene Edition dem autorisierten 13
V. a. im Stück
Tag 〈...〉« (SW 7, S. 218) reduziert ist.
364
Zu dieser Ausgabe
2. Die vorliegende Ausgabe gliedert sich in den Abdruck der Schaubühnen–Dramen sowie drei handschriftlicher Entwürfe zu den Stücken, in die Darbietung der von Arnim verwendeten Quellen sowie in Überblicksund Einzelstellenkommentare. Zunächst erfolgt der Abdruck der zehn Schaubühnen–Dramen sowie Arnims Anmerkungen zu den einzelnen Stücken, die auch dem D der Dramensammlung beigefügt sind. Zu dem Stück Der Auerhahn hat sich ein Bogen mit einer handschriftlichen Skizze Arnims (GSA 03/10) erhalten, der eine Variation zur ersten Szene der zweiten Handlung darstellt. Ferner gibt es zwei Handschriften (Entwurf und noch einmal überarbeitetes Mundum, FDH 7711,6) eines Prologs zu dem Trauerspiel Jemand und Niemand, die wahrscheinlich erst 14 Jahre nach der Veröffentlichung der Schaubühne – 1829 – entstanden. Von Arnim vorgenommene Änderungen in den Handschriften sind im textkritischen Apparat dokumentiert. Der editorische Kommentar gliedert sich in drei Teile: Teil 1 ist als Einführung in die editorische Arbeit zu verstehen. Neben der Darstellung der Textgrundlage und der vorgenommenen Emendationen erfolgt eine Beschreibung der 17 (18) in Bibliotheken zugänglichen Schaubühnen–Exemplare sowie der handschriftlichen Entwürfe zu Der Auerhahn sowie zu Jemand und Niemand. Teil 2 enthält die allgemeinen Überblickskommentare, d. h. eine Darstellung der Entstehungsgeschichte der Schaubühne sowie Erläuterungen zu den beiden auf Arnims Dramensammlung bezogenen Rezensionen. Beiden Kapiteln sind die Zeugnisse zu Entstehung bzw. Rezeption und Aufführungsbestrebungen vorangestellt. In Teil 3 finden sich die Darbietung der von Arnim verwendeten Quellen, die jeweiligen Überblicks- und Einzelstellenkommentare zu den einzelnen Dramen sowie zu Arnims Anmerkungen. Die Darbietung der Texte der vorliegenden Ausgabe folgt der Editio princeps von 1813, wobei das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München als Grundlage für den Vergleich mit den anderen 16 weltweit in öffentlichen Bibliotheken nachweisbaren Schaubühnen–Ausgaben verwendet wurde.14 Bei dem Vergleich der verschiedenen Exemplare wurde deutlich, daß während des Druckvorgangs keine Preßkorrekturen vorgenommen wurden, wodurch Druckfehler wie verkehrt herum gedruckte Lettern (z. B. »Thanwetter« statt »Thauwetter«) ausgebessert worden wären. Orthographie und Interpunktion wurden in der vorliegenden Ausgabe nur an Stellen korrigiert, bei denen es sich um offensichtliche Druckfehler handelt. Die 14
Vgl. dazu das Kap. Nachweis der verwendeten
365
Schaubühnen-Exemplare, S. 408–412.
Zu dieser Ausgabe
ursprüngliche Version ist im Kap. zur Textgrundlage dokumentiert, vgl. S. 405–408. Den brieflichen Zeugnissen von bzw. an Arnim sind die Handschriften zugrundegelegt. Quellen sowie Zitate und Titel, die von Arnim und seinen Zeitgenossen (bis etwa 1850) stammen, werden als Autortext wiedergegeben. Zitate, die von Späteren (nach 1850) stammen, sind in Anführungszeichen gesetzt. Für die Darbietung der Quellen wurden die von Arnim in den Anmerkungen angegebenen Ausgaben sowie Texte, die sich in Arnims oder Clemens Brentanos Bibliothek nachweisen ließen, zugrundegelegt. Besonderheiten der Interpunktion und Orthographie wurden beibehalten. Aufgrund der Länge einiger Quellentexte war eine Kürzung von Passagen, die Arnim für die Bearbeitung des jeweiligen Dramas nicht berücksichtigte, unumgänglich. Die entsprechenden Auslassungen sind durch 〈...〉 markiert. Bei längeren Kürzungen wird die Passage als Kurzregest in 〈〈doppelten Winkelklammern〉〉 wiedergegeben. Dies betrifft lediglich die Quelle zu Jann’s erster Dienst sowie zu Jemand und Niemand. Offensichtliche Druckfehler in den Quellentexten wurden emendiert und durch 〈Winkelklammern〉 als Eingriff des Editors gekennzeichnet. Der Nasalstrich zur Konsonantendoppelung, der v. a. in den alten Chroniktexten wiederholt auftritt, wurde aufgelöst. Die Kommentierung in dieser Ausgabe erhebt nicht den Anspruch auf (angeblich) objektive, rein auf Fakten zielende Erkenntnisleistung, wie dies traditionell als Aufgabe des Kommentars in historisch-kritischen Ausgaben propagiert wird, sondern versteht sich als zum Teil interpretierender Zugang zu den Texten. Der Benutzer soll dadurch nicht »bevormundet«, sondern zur kritischen Auseinandersetzung mit den Schaubühnen–Stücken angeregt werden. Eine Beschränkung auf die Kommentierung von sachlich, sprachlich und historisch erläuterungsbedürftigen Stellen würde die Fortführung der Tradition des positivistischen Kommentars15 bedeuten. Der Komplexität von literarisch-ästhetischen 15
Ulfert Ricklefs urteilt kritisch über die Form des positivistischen Kommentars: »Der of-
fenkundigen Einseitigkeit hinsichtlich der Erkenntnisfunktion solcher Erläuterungen entspricht auf der Seite der dokumentierenden Materialdarbietung eine prinzipielle Schwäche der Textrelationierung, die auf mangelnder Vermittlung des Erkenntnissinns der Dokumente, auf der methodisch unzureichenden Abgrenzung des zu dokumentierenden Bereichs und auf der Zufälligkeit des Überlieferten bzw. der Auswahl des Dokumentierten beruht« (Ulfert Ricklefs, Zur Erkenntnisfunktion des literaturwissenschaftlichen Kommentars, in: Probleme der Kommentierung. Kolloquien der Deutschen Forschungsgemeinschaft Frankfurt am Main. 12.–14. Oktober 1970 und 16.–18. März 1972. Referate und Diskussionsbeiträge hg. v. Wolfgang Frühwald, Herbert Kraft, Walter Müller-Seidel. Boppard 1975, S. 33–74, hier S. 34–35).
366
Zu dieser Ausgabe
Texten wie der Schaubühnen–Dramen kann durch ein solches Verfahren jedoch nicht entsprochen werden. Durch die Bereitstellung von Erläuterungen, die nicht nur textologisch interpretieren, sondern auch literaturwissenschaftlich deuten16 und Aspekte der bisherigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Dramen einbeziehen, soll das Interesse der Forschung an den Schaubühnen–Stücken und an Arnim als Dramatiker angeregt werden. Wenn die wissenschaftliche Diskussion über die Schaubühne und andere dramatische Texte Arnims durch diese Ausgabe befördert werden würde, hätte sie ihr Ziel erreicht. Die Überblickskommentare zu den einzelnen Dramen wenden sich unterschiedlichen Fragestellungen zu, die der Verschiedenartigkeit der Stücke entsprechen. Zu jedem Drama gibt es ein Kap. über Entstehung und Rezeption, so daß sich der Benutzer einen Überblick über die relevanten Sachverhalte des jeweiligen Stückes verschaffen kann. Besonderer Wert wird auf die Erläuterung und Kontextualisierung der von Arnim verwendeten Quellen gelegt, deren literaturgeschichtliche bzw. historische Bedeutsamkeit dargestellt wird.17 Die Quellensituation der Stücke zeugt von einer formal-inhaltlichen Komplexität, die sich auch auf das Kommentieren der Dramen auswirkt. Im Anhang an die Schaubühne benennt Arnim zwar die Hauptquelle des jeweiligen Stückes, aber es finden sich neben diesen bewußt angegebenen Quellen auch andere intertextuelle Referenzen wie versteckte Zitate und kurze Anspielungen, die offenbar meist durch Assoziationen entstanden sind. In manchen Fällen stützt sich das intertextuelle Verfahren nur auf die Erinnerung an eine Textstelle oder aber es handelt sich um eine in Arnims Gegenwart mündlich tradierte Anekdote.18 Eine systematische Forschung wird aufgrund dieses Tatbestands erschwert. Die Folge ist, daß Zufalls- und Gelegenheitsfunde von intertextuellen Parallelen große Bedeutung erhalten. Als Anhaltspunkte für die Recherche nach den intertextuellen Verweisen fungieren v. a. Arnims Bibliothek, die als Realbestand in der 16
Während der Kommentar v. a. auf die Wissensvermittlung abzielt und in der Argumen-
tation Verweise, Paraphrasierungen und Erklärungen dominieren, ist die Interpretation auf das Verstehen eines Textes angelegt und geht dabei analysierend und begründend vor. Dennoch ist es in vielen Fällen schwierig, Kommentare von Interpretationen abzugrenzen. Zur Terminologie vgl. Siegfried Scheibe, Die Arbeitsweise des Autors als Grundkategorie der editorischen Arbeit, in: editio 12 (1998), S. 18–27, hier S. 18. 17
Auf eine separate Kommentierung der Quellentexte, wie dies z. B. in der historisch-kri-
tischen Brentano-Ausgabe vorgenommen wurde, wird im vorliegenden Fall verzichtet. Grundsätzliche Erläuterungen zu den Quellen finden sich in der Überblicks- und Einzelstellenkommentierung zu den 18
Schaubühnen-Stücken.
Auf die Bedeutung von Anekdoten für seine Stücke weist Arnim in den Anmerkungen
hin, vgl. S. 333,13 in dieser Ausgabe, bzw. die entsprechende Erl.
367
Zu dieser Ausgabe
HAAB Weimar konsultierbar ist (vgl. Arnim-Bibl.), der Auktionskatalog zu Clemens Brentanos Bibliothek (vgl. Brentano-Bibl.) sowie Lektürehinweise bzw. –empfehlungen Arnims im Briefwechsel mit Freunden bzw. vice versa. Aufgrund der intertextuellen Referentialität der Schaubühne steht der Aspekt der Differenz zwischen Arnims Stück und dessen Quelle im Vordergrund. Die Abweichungen und Parallelen werden im Einzelstellenkommentar aufgeführt und dokumentieren somit Arnims Umgang mit der Quelle. Darüber hinaus konzentriert sich der Einzelstellenkommentar v. a. auf den Aspekt des Einflusses: Biographische, historische, kulturelle, politische, geistige und intertextuelle Verweise werden dabei besonders berücksichtigt. Für erklärungsbedürftig werden Anspielungen, Parallelstellen zu Werken Arnims und anderer Autoren sowie Wörter und Begriffe, die z. T. aus den Vorlagetexten übernommen wurden, angesehen. Diese punktuellen Erläuterungen können nur sinnvoll in einem fortlaufenden Einzelstellenkommentar erschlossen werden. Bei Worterklärungen wird in allen Fällen – wenn möglich – auf Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart und zusätzlich auf das Grimmsche Wörterbuch (DWb) zurückgegriffen, um auf etwaige Bedeutungsveränderungen von Begriffen hinzuweisen, wie es z. B. bei dem Lemma »Schlingel« der Fall ist (vgl. Erl. zu S. 13,4 zu Jann’s erster Dienst).
3. Dem Evangelischen Studienwerk Villigst e. V. danke ich für die finanzielle Unterstützung meiner Arbeit von 2002 bis 2005 und für die unvergeßlichen Aufenthalte in Haus Villigst. Der KSW, namentlich insbesondere Herrn Prof. Dr. Lothar Ehrlich, danke ich für das Weimar-Stipendium von April bis Juni 2007, das mir die Endredaktion des Bandes ermöglichte. Mein Dank gilt insbesondere Frau Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, die die Arbeit aufmerksam und mit konstruktiven Hinweisen begleitet hat. Herrn Prof. Dr. Karl Eibl danke ich für kritische Bemerkungen. Herrn Prof. Dr. HansWalter Gabler danke ich für kompetente und amüsante Anregungen und Hinweise. Herr Dr. Roger Lüdeke stand mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Die mehrmonatigen Aufenthalte in Weimar für Recherchearbeiten im GSA und in der HAAB ermöglichte die KSW. Vor allem Herrn Prof. Dr. Lothar Ehrlich und Herrn Dr. Heinz Härtl sei für wissenschaftlichen Austausch und wichtige Hinweise bei der Überarbeitung des Manuskripts gedankt, Frau Dr. Bettina Zschiedrich für ihre Hilfsbereitschaft und Herrn Olaf Wisch für die Unterstützung beim Layout. Herr Dr. Gert Theile danke ich für die Unterstützung bei der
368
Zu dieser Ausgabe
Erstellung des Registers und der Kollation der Zeugnisse. Den WAA-Editoren Herrn PD Dr. Johannes Barth, Frau Prof. Dr. Roswitha Burwick, Frau Dr. Renate Moering, Herrn Prof. Dr. Stefan Nienhaus und Herrn Dr. Ulfert Ricklefs sei für den Gedankenaustausch und die Bereitstellung von Materialien gedankt. Frau Dr. Claudia Nitschke war stets mit kritischen und aufmunternden Hinweisen zur Stelle. Den Leitern der Stadtarchive, Herrn Drs. Gerardus Thissen in Kleve, Herrn Dr. Ulrich Hussong in Marburg und Herrn Dr. Martin Wilhelm Roelen in Wesel, sei für stadtgeschichtliche Hinweise gedankt. Für die Übersetzungen danke ich Frau Hiltrud Kröber, Herrn Prof. Dr. Bernhard Teuber und Dr. Carina de Jonge. Den Bibliotheken und Archiven, die ich im In- und Ausland besuchte, danke ich für die Bereitstellung der Schaubühnen–Exemplare sowie für Informationen zu den Vorbesitzern. Mein besonderer Dank gilt der HAAB Weimar und deren MitarbeiterInnen für die zuvorkommende Betreuung bei meiner mehrmonatigen Recherche, außerdem Herrn Günter Kroll (UB Frankfurt) sowie Frau Eva Rothkirch (Staatsbibliothek zu Berlin). Allen, die Korrektur gelesen haben, danke ich von ganzem Herzen, vor allem meinen Eltern, Dr. Hans-Diether Dörfler und Stefanie Doll – ihnen sei die Arbeit gewidmet –, außerdem Dr. Lavinia Brancaccio, Hildegard Fischer, Dr. Phöbe Annabel Häcker, Dr. Christel Meier, Dr. Alexander Nebrig, Dr. Thomas Wild und Reinhard Winter.
369
Abkürzungen und Zeichen Allgemein / 1
〈 〉 a
Abb. aoRl aoRr
AS A.T. Aufl. auRl auRr Ausg. AZ b
Bd., Bds. bearb. beschr. Bl. BvA c
D d
Dbl. d. h. d. J. ders. / dems. / dens.
Zeilenwechsel Angabe der jeweils beendeten Seite Zusätze des Herausgebers 1. Spalte Abbildung am oberen Rand links am oberen Rand rechts Adels-Spiegel (vgl. Bibliographie) Altes Testament Auflage am unteren Rand links am unteren Rand rechts Ausgabe Zeugnisse zu Aufführungsbestrebungen der Dramen 2. Spalte Band, Bandes bearbeitet beschrieben Blatt Bettina von Arnim 3. Spalte Erstdruck 4. Spalte Doppelblatt das heißt der Jüngere derselbe / demselben / denselben
370
Schaubühnen-
Abkürzungen und Zeichen
Diss. durchges. DV EZ ebd.
EcuT eing. em. epist. ersch. ev. Ex., Exe., Exs.
GC geb. gest. gestr. Hg. / hg. v. hist.-krit.
HJ Hs. Jh., Jhs. Jt. Kap. Kat. kath.
KHM m. E. MA. Mhd., mhd. Mio. n. Chr. ND nd. Nr. N.T. o. O.
Dissertation durchgesehen Druckvorlage Zeugnisse zur Entstehung, zum Ankauf der verwendeten Quellen sowie zum Verkauf der Schaubühne ebenda Engelische Comedien und Tragedien (vgl. Bibliographie) eingewiesen emendiert epistulae erschienen evangelisch Exemplar, Exemplare, Exemplars Gülichische Chronik (vgl. Bibliographie) geboren gestorben gestrichen Herausgeber / herausgegeben von historisch-kritisch Heidelbergische Jahrbücher Handschrift Jahrhundert, Jahrhunderts Jahrtausend Kapitel Katalog der Bibliothek Arnims und BvAs in Wiepersdorf (masch.), Wiepersdorf 1929 katholisch Kinder- und Hausmärchen (vgl. Bibliographie) meines Erachtens Mittelalter Mittelhochdeutschen, mittelhochdeutsch Million(en) nach Christus Neudruck norddeutsch Nummer Neues Testament ohne Ort
371
Abkürzungen und Zeichen
o. S.
ohne Signatur
OT
Opus Theatricum
Q RZ Sign., Sign.verm. sog.
Quelle recto Rezeptionszeugnis Signatur Signaturvermerk sogenannte/n
SW
Sämmtliche Werke
u. a. überarb. übers. udZ üdZ unveränd. ursprgl. V. v. a. v. Chr. vmtl. VS
unter anderem überarbeitet übersetzt unter der Zeile über der Zeile unverändert ursprünglich verso Vers vor allem vor Christus vermutlich Varnhagen-Sammlung
WAA Wh
Weimarer Arnim-Ausgabe Des Knaben Wunderhorn (vgl.
r
V
WZ 〈x〉 〈xxx〉 Z. z. B. z. T. zdZ
ZfE
(vgl. Bibliographie)
(vgl. Bibliographie)
Bibliographie) Wasserzeichen unentziffertes Graph drei oder mehr unentzifferte Graphe Zeile zum Beispiel zum Teil zwischen den Zeilen Zeitschrift für Einsiedler (vgl. Bibliographie)
372
Archive und Bibliotheken Arnim-Bibl. BJ-VS BLHA Brentano-Bibl. FDH Grimm-Bibl. GSA GSTA PK HAAB KSW SPK
Bibliothek Ludwig Achim von Arnims aus Wiepersdorf. Sonderbestand in der HAAB der KSW Biblioteka Jagiellonska, Krako´w, Varnhagen-Sammlung Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam Vgl. Bibliographie Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt / M. Vgl. Bibliographie Goethe und Schiller-Archiv der KSW (03: Arnim-Nachlaß) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin Herzogin Anna Amalia-Bibliothek Weimar Klassik Stiftung Weimar Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin
373
Abgekürzt zitierte Literatur Werke, die in Arnims Bibliothek nachgewiesen werden konnten, die sich als Sonderbestand in der HAAB der KSW befindet, werden mit der Sigle »ArnimBibl.« unter Angabe der Sign. markiert. Arnims Schaubühne sowie zahlreiche andere Werke befinden sich nicht mehr im derzeitigen Bestand der Bibliothek. Wenn möglich wurde aus der von Arnim benutzten Ausgabe zitiert oder aus einem entsprechenden zeitgenössischen Ex. Ansonsten wurden moderne kritische Editionen verwendet. Titel, die nur einmal zitiert werden, erscheinen nicht in diesem Verzeichnis, sondern im fortlaufenden Text der Kommentierung. Adelung 1–4
Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Mit D〈ietrich〉 W〈ilhelm〉 Soltau’s Beiträgen, revidirt und berichtiget von Franz Xaver Schönberger. 4 Bde. Wien 1808. (Arnim-Bibl. B 2871a-d).
Agricola 1537
Johann Agricola, Sybenhundert vnd fünfftzig Teütscher Sprichwörter / verneüert vnd gebessert. Hagenau 1537. (Arnim-Bibl. o. Sign., vgl. Kat.).
Albrecht 1990
Dieter Albrecht, Ferdinand II. 1619–1637, in: Die Kaiser der Neuzeit 1519–1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, hg. v. Anton Schindling, Walter Ziegler. München 1990, S. 125–141.
Angstmann 1928
Else Angstmann, Der Henker in der Volksmeinung. Seine Namen und sein Vorkommen in der mündlichen Volksüberlieferung. Bonn 1928.
Arndt 1807
Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit. 2. Aufl. O. O. 1807.
Arnim 1803
Ludwig Achim von Arnim, Erzählungen von Schauspielen, in: Europa. Eine Zeitschrift, hg. v. Friedrich Schlegel.
374
Abgekürzt zitierte Literatur
Bd. 2, H. 1. Frankfurt/M. 1803, S. 140–192. (Arnim-Bibl. B 1891a). Arnim 1806
Ludwig Achim von Arnim, Etwas über das deutsche Theater in Frankfurt am Mayn, in: Berlinische Musikalische Zeitung, hg. v. Friedrich Reichardt. 2. Jg., Nr. 6, 1806, S. 21–22. (Arnim-Bibl. B 2585).
Arnim 1809
Ludwig Achim von Arnim, Der Wintergarten. Novellen. Berlin 1809. (Arnim-Bibl. B 1183).
Arnim 1810 I–II
Ludwig Achim von Arnim, Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores. Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein. 2 Bde. Berlin 1810. (Arnim-Bibl. o. Sign., vgl. Kat.).
Arnim 1811
Ludwig Achim von Arnim, Halle und Jerusalem. Studentenspiel und Pilgerabentheuer. Heidelberg 1811. (erschienen eigentlich Ende 1810; Arnim-Bibl. B 1181).
Arnim 1812
Ludwig Achim von Arnim, Novellen. Isabella von Aegypten, Kaiser Karl des Fünften erste Jugendliebe. Melück Maria Blainville, die Hausprophetin aus Arabien. Eine Anekdote. Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber. Ein Sittengemälde. Angelika, die Genueserin, und Cosmus, der Seilspringer. Eine Novelle. Berlin 1812.
Arnim 1817
Berthold’s erstes und zweites Leben. Ein Roman. Berlin 1817.
Arnim 1818a
Ludwig Achim von Arnim, Vorrede zu Christopher Marlowes Doktor Faustus, in: Christoph Marlowe, Doktor Faustus. Aus dem Englischen übers. von Wilhelm Müller. Mit einer Vorrede von Ludwig Achim von Arnim. Nebst einem Steindrucke. Berlin, S. III–XXVIII. (Arnim-Bibl. B 1576).
Arnim 1818b
Ludwig Achim von Arnim, »Deutsches Theater«. Herausgegeben von Ludwig Tieck. 1ster und 2ter Band. (Berlin 1817, Realschulbuchhandlung.), in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 2, 128. Bl. (12.8.1818), S. 512. (Arnim-Bibl. B 1994).
Arnim 1819
Ludwig Achim von Arnim, Die Gleichen. Schauspiel. Berlin 1819.
375
Abkürzungen und Zeichen
Arnim 1820
Ludwig Achim von Arnim, Die Majorats-Herren. Erzählung, in: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1820. Mit Königl. Sächs. Allergn. Privilegio. Leipzig, Wien 1820, S. 20–83.
Arnim 1821
Ludwig Achim von Arnim, Owen Tudor, in: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1821. Mit Königl. Sächs. Allergn. Privilegio. Leipzig, Wien, 1821, S. 9–73.
Arnim 1822
Ludwig Achim von Arnim, Die Kirchenordnung. Erzählung, in: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1822. Mit Königl. Sächs. Allergn. Privilegio. Leipzig, Wien 1822, S. 102–199.
Arnim 1824
Ludwig Achim von Arnim, Raphael und seine Nachbarinnen. Erzählung, in: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1820. Mit Königl. Sächs. Allergn. Privilegio. Leipzig 1824, S. 137–217.
Arnim 1826
Ludwig Achim von Arnim, Landhausleben. Erzählungen. Leipzig 1826.
AS
Vgl. Q 2.1, Bibliographie S. 394.
Asper 1980
Helmut G. Asper, Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Phil. Diss. Köln. Emsdetten 1980.
Ayrer 1618
Jacob Ayrer, Opus theatricum. Dreißig Außbündtige schöne Comedien vnd Tragedien von allerhand Denckwürdigen alten Römischen Historien vnd andern Politischen geschichten und gedichten / Sampt noch andern Sechs vnd dreissig schönen lustigen vnd kurtzweiligen Faßnacht oder Possen Spilen. Nürnberg 1618. (ArnimBibl. B 891).
Baesecke 1935
Anna Baesecke, Das Schauspiel der englischen Komödianten in Deutschland. Seine dramatische Form und Entwicklung. Halle/S. 1935. (Studien zur englischen Philologie, Heft 87).
Bahr/Conrad 1996
Ernst Bahr, Klaus Conrad, Stettin, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Mecklenburg Pommern. Bd. 12, hg. v. Helge bei der Wieden, Roderich Schmidt. Stuttgart 1996, S. 281–287.
376
Abgekürzt zitierte Literatur
Barth 1993
Johannes Barth, Der höllische Philister. Die Darstellung des Teufels in Dichtungen der deutschen Romantik. Trier 1993.
Becker-Cantarino 2003
Barbara Becker-Cantarino, Erotisierte Freundschaft in der Konstruktion romantischer Identität am Beispiel Bettina von Arnims, in: Romantische Identitätskonstruktionen: Nation, Geschichte und (Auto-)Biographie. Glasgower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, hg. v. Sheila Dickson, Walter Pape. Tübingen 2003, S. 229–245.
Bingel 1909
Hermann Bingel, Das Theatrum Europaeum – ein Beitrag zur Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Diss. München, Vaduz/Liechtenstein, unveränderter ND der Ausg. v. 1909. München 1988.
Boccaccio 1519
Giovanni Boccaccio, Cento Nouella / Hundert neuwer Historien die in einem grosen sterben zu florentz gesagt wurden / von etlichen kürtzweiligen menschen die da uß der stat hin vff das land fluhen ir leben zuoerretteten vnd da ir ordnung machten ein küng vnd in der zuogebieten het was zu fröden dient / vn ist wol beglimpfet. Straßburg 1519. (Arnim-Bibl. B 3).
Bolte 1894
Johannes Bolte, Niemand und Jemand, in: Jahrbuch der deutschen Shakespeare Gesellschaft, Bd. XXIX. Weimar 1894, S. 4–91.
Bottermann 1895
Walther Bottermann, Die Beziehungen des Dramatikers Achim von Arnim zur altdeutschen Litteratur. Phil. Diss. Göttingen 1895.
Braun 1994
Michael Braun, Untersuchungen zu »Niemand«. Beitrag zur Geschichte einer paradoxen literarischen Figur und ihrer Darstellung im Bild. Stuttgart 1994.
Brentano-Bibl.
Christian und Clemens Brentanos Bibliotheken. Die Versteigerungskataloge von 1819 und 1853. Mit einem unveröffentlichten Brief Clemens Brentanos, hg. v. Bernhard Gajek. Heidelberg 1974. (Beihefte zum Euphorion, 6. Heft).
Briefe und Konzepte 1953
Bettina von Arnim, Briefe und Konzepte aus den Jahren 1806–1846, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur 5 (1953), H. 3 und 4, S. 27–58.
377
Abkürzungen und Zeichen
Brody 1970
Alan Brody, The English Mummers and their Plays. Traces of Ancient Mystery. Philadelphia 1970.
Brunner 1981
Horst Brunner, Genealogische Phantasie. Zu Konrads von Würzburg »Schwanritter« und »Engelhard«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 110 (1981), S. 274–299.
Burwick 1972
Roswitha Burwick, Achim von Arnims Verhältnis zur Bühne und seine Dramen. Phil. Diss. masch. Los Angeles 1972.
Burwick 1978
Roswitha Burwick, Exzerpte Achim von Arnims zu unveröffentlichten Briefen, in: JbFDH 1978, S. 298–395.
Burwick 1990
Roswitha Burwick, Achim von Arnims Ästhetik. Die Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft, Poesie und Leben, Dichtung und Malerei, in: Neue Tendenzen der Arnimforschung: Edition, Biographie, Interpretation; mit unbekannten Dokumenten, hg. v. Roswitha Burwick, Bernd Fischer. Bern, Frankfurt/M., New York, Paris 1990, S. 98–119.
Busch 1790–1798
Gabriel Christoph Benjamin Busch, Versuch eines Handbuchs der Erfindungen. 8 Bde. Eisenach 1790–1798. (Arnim-Bibl. B 2724 a-h).
Büsching 1812
Johann Gustav Büsching, Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812.
Casper 1818
Till Ballistarius 〈= Carl Ludwig Casper〉, Die KarfunkelWeihe, romantisches Trauerspiel. O. O. 1818.
Catholy 1966
Eckehard Catholy, Fastnachtspiel. Stuttgart 1966.
Christiaenzoon 1630
Pieter Bor Christiaenzoon, Gelegentheyt van’s HertogenBosch vierde Hooft-Stadt van Brabandt: haer oorspronck, fundatie ende vergrootinge, verscheyden hare Belegiringen; ende eyntlycke overwinninge verrassinghe ende inneminghe van Wesel ende meer and Gschiedenissen d. Jaers 1629. In’s Graven-Haage 1630.
Clark 2007
Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947. Aus dem Englischen von Richard Barth, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer. Bonn 2007.
378
Abgekürzt zitierte Literatur
Danckert 1963
Werner Danckert, Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern, München 1963.
Deltgen 1966
Matthias Deltgen, Der Hahnrei. Versuch der Darstellung eines komischen Typus im deutschen Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts. Phil. Diss. Köln 1966.
Denecke 1892
A. Denecke, Zur Geschichte des Grußes und der Anrede in Deutschland, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 6. Jg. 1892, S. 317–345.
Denifle 1888
Heinrich Denifle, Ursprung der Historia des Nemo, in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters, hg. v. Heinrich Denifle, Franz Ehrle. Bd. 4. Freiburg/ Br. 1888, S. 330–348.
DNP 1–16
Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. v. Hubert Cancik, Helmuth Schneider. 16 Bde. Stuttgart, Weimar 1996–2003.
Döpler 1693
Jacob Döpler, Theatrum Poenarum, Suppliciorum Et Executionum Criminalium Oder: Schau-Platz, Derer Leibesund Lebens-Straffen; Welche nicht allein vor alters bey allerhand Nationen und Völckern in Gebrauch gewesen, sondern auch noch heut zu Tage in allen Vier WeltTheilen üblich sind. 〈...〉 Sondershausen 1693.
Dorow 1842
Reminiscenzen. Goethe’s Mutter; nebst Briefen und Aufzeichnungen zur Charakteristik anderer merkwürdiger Männer und Frauen, hg. v. Wilhelm Dorow. Leipzig 1842.
Dunkel 2003
Peter F. Dunkel, Schattenspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 363–365.
DWb 1–33
Deutsches Wörterbuch, hg. v. Jacob u. Wilhelm Grimm et al. Leipzig 1854–1960. ND München 1999.
Eckhardt 1902
Eduard Eckhardt, Die lustige Person im älteren englischen Drama (bis 1642). Berlin 1902. (Palaestra 17).
ECuT I
Vgl. Q 5–7, Bibliographie S. 395–396.
ECuT II
Liebeskampff / Oder Ander Theil der Engelischen Comoedien und Tragoedien / In welchen sehr schöne / außerlesene Comoedien und Tragoedien zu befinden / vnd
379
Abkürzungen und Zeichen
zuvor nie in Druck außgegangen. Allen der Comoedi vnd Tragoedi Liebhabern / vnd andern zu liebe vnd gefallen / dergestalt in offenen Druck gegeben / daß sie gar leicht daraus Spielweiß wiederumb angerichtet / vnd zur Ergetzligkeit vnd Erquickung des Gemüths / gehalten werden können. 1630. Spieltexte der Wanderbühne, unter Mitwirkung v. Hildegard Brauneck hg. v. Manfred Brauneck. 2. Bd.: Liebeskampff (1630). Berlin, New York 1975. EdM 1–12
Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke, hg. v. Rolf Wilhelm Brednich et al. 12 Bde. Berlin, New York 1975–2007.
Ehrlich 1970
Lothar Ehrlich, Ludwig Achim von Arnim als Dramatiker. Ein Beitrag zur Geschichte des romantischen Dramas. Phil. Diss. masch. Halle/S. 1970.
Ehrlich 2000
Lothar Ehrlich, Arnims poetisch-politisches Theaterprojekt und die »Schaubühne« von 1813, in: Universelle Entwürfe – Interpretation – Rückzug: Arnims Berliner Zeit (1809–1814). Wiepersdorfer Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, hg. v. Ulfert Ricklefs. Tübingen 2000, S. 101–115.
Estermann 1991
Alfred Estermann, Die deutschen Literatur-Zeitschriften 1815–1850. Bibliographien, Programme, Autoren. 2. verbesserte und erw. Aufl. Bd. 1. 1645–1814. München, London, New York, Paris 1991.
Eulenspiegel 1794
Der wiedererstandene Eulenspiegel, Das ist: Wunderbare doch seltsame Historien Tyll Eulenspiegels, eines Bauern Sohn, gebürtig aus dem Land zu Braunschweig. Aus Sächsischer Sprache auf gut hochdeutsch verdolmetschet, und jetzt wieder aufs neue mit etlichen Figuren vermehret und verbessert, sehr kurzweilig zu lesen, Samt einer lustigen Zugabe aus dem Jahr 1794. O. O. (ArnimBibl. B 918).
FBA IX, 1
Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von Ludwig Achim von Arnim und Clemens Brentano. Teil I. Lesarten und Erläuterungen, hg. v. Heinz Rölleke. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz
380
Abgekürzt zitierte Literatur
1975. (Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Histor.-krit. Ausg. Bd. 9,1). FBA IX, 2
Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von Ludwig Achim von Arnim und Clemens Brentano. Teil II. Lesarten und Erläuterungen, hg. v. Heinz Rölleke. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1977. (Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Histor.-krit. Ausg. Bd. 9,2).
FBA IX, 3
Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von Ludwig Achim von Arnim und Clemens Brentano. Teil III. Lesarten und Erläuterungen, hg. v. Heinz Rölleke. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978. (Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Histor.-krit. Ausg. Bd. 9,3).
FBA XIV
Clemens Brentano, Die Gründung Prags. Ein historischromantisches Drama. Prosa zur Gründung Prags, hg. v. Georg Mayer, Walter Schmitz. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1980. (Clemens Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Histor.-krit. Ausg. Bd. 14).
Flemming 1931
Willi Flemming, Das Schauspiel der Wanderbühne. Leipzig 1931. (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Barock Bd. 3).
Forster 1903
Georg Forsters Frische Teutsche Liedlein in fünf Teilen. Abdruck nach den ersten Ausgaben 1539, 1540, 1549, 1556 mit den Abweichungen der späteren Drucke, hg. v. M. Elizabeth Marriage. Halle/S. 1903.
Frede´n 1939
Gustaf Frede´n, Friedrich Menius und das Repertoire der englischen Komödianten in Deutschland. Stockholm 1939.
Frenzel 1998
Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur: ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. 9. überarb. und erw. Aufl. Stuttgart 1998.
Frisch 1741 I/II
Johann Leonhard Frisch, Teutsch-Lateinisches WörterBuch, Darinnen nicht nur die ursprünglichen, nebst denen davon hergeleiteten und zusammengesetzten allgemein gebräuchlichen Wörter; Sondern auch die bey den
381
Abkürzungen und Zeichen
meisten Künsten und Handwerken, bey Berg- und Saltzwerken, Fischereyen, Jagd- Forst und Hauß-Wesen, u.a.m. gewöhnliche Teutsche Benennungen befindlich 〈...〉. 2 Bde. Berlin 1741. Funk 1995
Julika Funk, Die Kunst der Travestie als romantische Entkleidung des Geschlechts. Zu Achim von Arnims Die Verkleidungen des französischen Hofmeisters und seines deutschen Zöglings, in: Maskeraden: Geschlechterdifferenz in der literarischen Inszenierung, hg. v. Elfi Bettinger, Julika Funk. Berlin 1995, S. 233–253 (Geschlechterdifferenz und Literatur. Publikationen des Münchner Graduiertenkollegs, hg. v. Gerhard Neumann, Ina Schabert, Bd. 3).
GC
Vgl. Q 2.2, Bibliographie S. 395.
Geiger 1895
Ludwig Geiger, Berlin 1688–1840. Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt. 2. Bd. 1786– 1840. Berlin 1895.
Geistliche und Liebliche Lieder 1764
Geistliche und Liebliche Lieder, Welche der Geist des Glaubens durch Doct. Martin Luthern, Joh. Hermann, Paul Gerhard und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet 〈...〉. Nebst einigen Gebeten und einer Vorrede von Johann Porst. Berlin 1764. (Arnim-Bibl. B 2261).
Gerdes 1992
Udo Gerdes, Sieben weise Meister, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, hg. v. Kurt Ruh et al. 2. völlig neu bearb. Aufl. Berlin, New York 1992. Bd. 8, Sp. 1174–1189.
Goethe Werke 2 (1)
Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde., hg. v. Karl Eibl, Volker C. Dörr et al. Gedichte 1800–1832, hg. v. Karl Eibl. I. Abteilung Bd. 2. Frankfurt/M. 1988.
Goethe Werke 4 (1)
Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde., hg. v. Dieter Borchmeyer, Martin Ehrenzeller, Karl Eibl et al. Dramen 1765–1775, hg. unter Mitarbeit von Peter Huber v. Dieter Borchmeyer. I. Abteilung Bd. 4. Frankfurt/M. 1985.
382
Abgekürzt zitierte Literatur
Goethe Werke 6 (1)
Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde., hg. v. Karl Eibl, Volker C. Dörr et al. Dramen 1791–1832, hg. v. Dieter Borchmeyer, Peter Huber. Bd. 6 (1). Frankfurt/M. 1993.
Goethe Werke 7 (1)
Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde., hg. v. Karl Eibl, Volker C. Dörr et al. Faust. Texte, hg. v. Albrecht Schöne. Bd. 7 (1). Frankfurt/M. 1994.
Goethe Werke 7 (34) Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde., hg. v. Karl Eibl, Volker C. Dörr et al. Briefe, Tagebücher und Gespräche vom 10. Mai 1805 bis 6. Juni 1816. Teil II: Von 1812 bis zu Christianes Tod, hg. v. Rose Unterberger. Bd. 7 (34) Frankfurt/M. 1994. Goethe Werke 15 (1) Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. 40 Bde., hg. v. Friedmar Apel, Hendrik Birus, Anne Bohnenkamp et al. Italienische Reise. Teil 1, hg. v. Christoph Michel, Hans-Georg Dewitz. Frankfurt/M. 1993. Göres 1956
Jörn Göres, Das Verhältnis von Historie und Poesie in der Erzählkunst L. Achim von Arnims. Phil. Diss. masch. Heidelberg 1956.
Görres 1807
Joseph Görres, Die teutschen Volksbücher. Nähere Würdigung der schönen Historien-, Wetter- und Arzneybüchlein, welche theils innerer Werth, theils Zufall, Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat. Heidelberg 1807.
Gottfrid 1710
Johann Ludwig Gottfridi Historische Chronica, Oder Beschreibung der fürnehmsten Geschichten / so sich von Anfang der Welt / biß auf das Jahr Christi 1619. zugetragen. Nach Außtheilung der vier Monarchien / und beygefügter Jahr-Rechnung / auffs fleissigste vermehret / und in acht Theil abgetheilet: Mit viel schönen Contrafacturen / und Geschichtmässigen Kupffer-Stücken / zur Lust und Anweisung der Historien / gezieret / Durch Matthaeum Merianum. Auffs neue getruckt im Jahr nach Christi Geburt 1710. (Arnim-Bibl. B 25).
383
Abkürzungen und Zeichen
Gottsched 1757
Johann Christoph Gottsched, Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst, oder Verzeichniß aller Deutschen Trauer- Lust- und Sing-Spiele, die im Druck erschienen, von 1450 bis zur Hälfte des jetzigen Jahrhunderts. Leipzig 1757. (Arnim-Bibl. B 2919).
Gransden 1974
Antonia Gransden, Historical Writing in England c. 550 to c. 1307. London 1974.
Grimm 1816/1818
Deutsche Sagen, hg. v. Jacob und Wilhelm Grimm. 2 Bde. Berlin 1816 / 1818.
Grimm 1835
Jacob Grimm, Deutsche Mythologie. Göttingen 1835.
Grimm-Bibl.
Die Bibliothek der Brüder Grimm: annotiertes Verzeichnis des festgestellten Bestandes. Erarbeitet v. Ludwig Decke, Irmgard Teitge, hg. v. Friedhilde Krause. Weimar 1989.
Gubitz 1813
Friedrich Wilhelm Gubitz, Korrespondenz-Nachricht, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 150 vom 24. Juni 1813, S. 599–600.
Gundolf 1947
Friedrich Gundolf, Shakespeare und der deutsche Geist. Godesberg 1947.
Hagen/Büsching 1812
Friedrich von der Hagen, Gustav Büsching, Literarischer Grundriß zur Geschichte der Deutschen Poesie. Berlin 1812. (Arnim-Bibl. B 856).
Härtl 1971
Heinz Härtl, Arnim und Goethe. Zum Goethe-Verhältnis der Romantik im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Anhang: Ein fragmentarischer Erzählzyklus Arnims (Text). Phil. Diss. masch. Halle/S. 1971.
Härtl 1987
Heinz Härtl, Romantischer Antisemitismus: Arnim und die Tischgesellschaft, in: Weimarer Beiträge 7 (1987), S. 1159–1173.
Härtl 2000
Heinz Härtl, Zu Kafkas Briefen an Josef Körner über Arnim. Mit Körners Artikel Achim v. Arnim und der Krieg als Anhang. In: Brücken nach Prag. Deutschsprachige Literatur im kulturellen Kontext der Donaumonarchie und der Tschechoslowakei. Festschrift für Kurt Krolop zum 70. Geburtstag. Frankfurt/M., Berlin, Bern u.a. 2000, S. 321–346.
384
Abgekürzt zitierte Literatur
Härtl 2003
Ludwig Achim von Arnim, Bettina von Arnim, Clemens Brentano, »Anekdoten, die wir erlebten und hörten«, hg. v. Heinz Härtl. Göttingen 2003.
Hartmann 1911
Max Hartmann, Ludwig Achim von Arnim als Dramatiker. Breslau 1911 (Breslauer Beiträge zur Literaturgeschichte, Heft 24).
HdA 1–10
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. unter besonderer Mitwirkung v. E〈duard〉 Hoffmann-Krayer u. Mitarbeit zahlreicher Fachgenossen v. Hanns BächtoldStäubli. Berlin, Leipzig 1928–1942.
Hebbel 1966
Friedrich Hebbel, Werke. 4. Bd., hg. v. Gerhard Fricke, Werner Keller, Karl Pörnbacher. München 1966.
Hebel 1811
Johann Peter Hebel, Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811. (Arnim-Bibl. B 1255).
Heine 1836
Heinrich Heine’s romantische Schule. Erstes Buch. Hamburg 1836.
Heinse 1792 I / II
Gottlob Heinrich Heinse, Otto der Schütz, Junker von Hessen, Urenkel der heiligen Elisabeth. Geschichte aus dem 14. Jahrhunderte. 1. und 2. Theil. Hohenzollern Wallishausser 1792.
Heldenbuch 1590
Heldenbuch / darinn viel seltzamer Geschichten vnd kurtzweilige Historien / von den grossen Helden vnd Rysen / Wie sie so Ritterlichen vmb eines Königs Tochter gestritten haben / Vnd wies jnen zu Wormbs im grossen vnd kleinen Rosengarten ergangen ist. Jetzundt durchauß / mit newen Figuren gezieret vnd in vier vnderschiedliche Bücher abgetheilet / deßgleichen zuvor nie Getruckt ist. Frankfurt/M. 1590. (Arnim-Bibl. B 899).
Henckmann 1994
Gisela Henckmann, »Vielleicht beginnt nun bald die Zeit der Frauen.« Zum emanzipatorischen Aspekt der Frauengestaltung und Geschlechterdifferenz im Werk Achims von Arnim, in: Grenzgänge. Studien zu Ludwig Achim von Arnim, hg. v. Michael Andermatt. Bonn 1994, S. 79–102.
Herder Werke 13
Johann Gottfried Herder, Werke, hg. v. Heinrich Düntzer, Wollheim da Fonseca. 24 Bde. Bd. 13. Berlin o. J. (1869–1879).
385
Abkürzungen und Zeichen
Hessische Chronik 1855
Karl Wilhelm Piderit, Hessische Chronik. Marburg 1855. Fotomechanischer ND Darmstadt 1993 (Forschungen zur Hessischen Familien- und Heimatkunde, Bd. 82).
Historia Regum Britanniae
The Historia Regum Britanniae of Geoffrey of Monmouth. With Contributions to the Study of its Place in Early British History by Acton Griscom, Together with a Literal Translation of the Welsh Manuscript N° LXI of Jesus College, Oxford, by Robert Ellis Jones. Slatkine Reprints Gene`ve 1977 (Re´impression de l’e´dition de Londres, 1929).
Historienschreiber
Der lustige und poßierliche Historienschreiber. Zum Druck befördert von H.S. Frankfurt/M., Leipzig 〈ca. 1800〉. (Arnim-Bibl. B 918).
Hoffmann 1973
Volker Hoffmann, Die Arnim-Forschung 1945–1972, in: DVjs für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 47 (1973), Sonderheft Forschungsreferate, S. 270–342.
Holberg 1761
Ludwig von Holberg, Die Hexerey oder der blinde Lärmen. Ein Lustspiel in fünf Abhandlungen, in: ders., Die Dänische Schaubühne, hg. u. übers. v. Adam Gottlob Oehlenschläger. 3. Bd. Kopenhagen 1761, S. 253–354.
Hortleder 1617
Friederich Hortleder, Der Römischen Kayser- und Königl. Maiestete / Auch deß heiligen Rö. Reichs, geistlicher und weltlicher Stände, Churfürsten, Fürsten, Graffen, Herrn, Reichs- und anderer Stätte, zusampt der Heiligen Schrifft, geistlicher und weltlicher Rechte Gelehrten Handlungen und Außschreiben, Rathschläge, Bedencken, Send- und andere Brieffe, Bericht 〈...〉 von Rechtmässigkeit, Anfang, Fort- und endlichen Außgang deß Teutschen Kriegs, Keyser Carls deß Fünften, wider die Schmalkaldische Bundsoberste 〈...〉. Frankfurt/M. 1617. (Arnim-Bibl. B 92a-b).
HRG 1
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann. Mitbegründet v. Wolfgang Stammler. 1. Bd. Berlin 1971.
Hüther 1786
Johann Nikolaus Hüther, Von dem spanischen Feste, welches jährlich zu Wesel gefeyert wird, in: Westphälisches Magazin zur Geographie, Historie und Statistik, hg. v. P.F. Weddigen. 1786 (VII), S. 485–501.
386
Abgekürzt zitierte Literatur
Hütter 1793
Karl Hütter, Das Vehmgericht des Mittelalters nach seiner Entstehung, Einrichtung, Fortschritten und Untergang. Leipzig 1793. (Arnim-Bibl. B 2434).
Ibbeken 1970
Rudolf Ibbeken, Preußen 1807–1813. Staat und Volk als Idee und in der Wirklichkeit. (Darstellung und Dokumentation). Köln, Berlin 1970. (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 5).
Israel 1998
Jonathan Israel, Der niederländisch-spanische Krieg und das Heilige Römische Reich deutscher Nation (1568–1648), in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa, hg. v. Klaus Bußmann. (Veranstaltungsgesellschaft 350 Jahre Westfälischer Friede). Münster 1998, S. 111–122.
Jacobs Kommentar 1908
Monty Jacobs, Einleitung des Herausgebers. Anmerkungen zu Die Appelmänner, in: Arnims Werke. Dritter Teil. Halle und Jerusalem – Die Appelmänner – Der Stralauer Fischzug, hg. v. Monty Jacobs. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 1908, S. 5–16. S. 375–376.
Jacobs/Rölleke Kommentar 1980
Jürgen Carl Jacobs, Heinz Rölleke, Kommentar, in: Franz Schmidt, Das Tagebuch des Meister Franz, Scharfrichter zu Nürnberg. ND der Ausg. von 1801, hg. v. Jürgen Carl Jacobs, Heinz Rölleke. Dortmund 1980, S. 207–240.
Jahn 1891
Ulrich Jahn, Volksmärchen aus Pommern und Rügen. Norden, Leipzig 1891.
Japp 1999
Uwe Japp, Die Komödie der Romantik. Typologie und Überblick. Tübingen 1999.
Kafka 1975
Franz Kafka, Briefe 1902–1924, hg. v. Max Brod. Frankfurt/M. 1975.
Kerner 1811
Justinus Andreas Christian Kerner, Reiseschatten. Von dem Schattenspieler Luchs. Heidelberg 1811. (ArnimBibl. B 1270).
KHM 1812/1815
Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. 2 Bde. Berlin 1812 / 1815.
Kindervater 1712
J〈ohann〉 H〈einrich〉 Kindervater, Curieuse Feuer- und Unglücks-Chronica. Darinnen die Feuers-Brünste der uhralten Kayserl. und des H.R. Reichs freyen Stadt Nordhausen / auch anderer sehr vieler Oerter in und ausser
387
Abkürzungen und Zeichen
Teutschland / nicht weniger allerhand andre Glück- und Unglückliche Dinge und Denck-würdigkeiten / ordentlich erzehlet werden. Nordhausen 1712. (Arnim-Bibl. B 54). Kipp 1990
Herbert Kipp, Wesel unter niederländischer Besatzung (1629–1672). Zulassungsarbeit Bonn 1990.
Kipp 1991
Herbert Kipp, Wesel unter niederländischer Besatzung (1629–1672), in: Prieur 1991/I, S. 213–250.
Kirchmeyer 1541
Thomas Kirchmeyer 〈= Thomas Naogeorgus〉, Der Mortbrandt: Eyn neuwe Tragedi. O.O. 1541. (Arnim-Bibl. B 901).
Klein 1792
Anton Edeln von Klein, Deutsches Provinzialwörterbuch. 1. Bd. Frankfurt/M., Leipzig 1792. (Arnim Bibl. B 2881a).
Kleist Werke 1–4
Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, hg. v. Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Walter Müller-Seidel, Hinrich C. Seeba. 4 Bde. Frankfurt/ M. 1987–1997.
Kluckhohn 1933
Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik. Tübingen 1933.
Kluckhohn Kommen- Paul Kluckhohn, Kommentar, in: Dramen von Ludwig tar 1938a Achim von Arnim und Joseph Freiherrn von Eichendorff, hg. v. Paul Kluckhohn. Leipzig 1938 (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Romantik. Bd. 22), S. 285– 290. Kluckhohn Kommen- Paul Kluckhohn, Kommentar, in: Lustspiele, hg. v. Paul tar 1938b Kluckhohn. Leipzig 1938 (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Romantik. Bd. 23), S. 307–312. Kluge 1968
Gerhard Kluge, Das Lustspiel der deutschen Romantik, in: Das deutsche Lustspiel. Erster Teil, hg. v. Hans Steffen. Göttingen 1968, S. 181–203.
Kluge Kommentar 1968
Gerhard Kluge, Materialien, in: Ludwig Achim von Arnim, Das Loch / Joseph von Eichendorff, Das Incognito, hg. v. Gerhard Kluge. Berlin 1968. (Komedia. Deutsche Lustspiele vom Barock bis zur Gegenwart, hg. v. Helmut Arntzen, Karl Pestalozzi, Bd. 13), S. 69–130.
388
Abgekürzt zitierte Literatur
Knaack 1976
Jürgen Knaack, Achim von Arnim – Nicht nur Poet. Die politischen Anschauungen Arnims in ihrer Entwicklung. Mit ungedruckten Texten und einem Verzeichnis sämtlicher Briefe. Darmstadt 1976. (Germanistik Bd. 8).
Körner 1912
Josef Körner, Achim von Arnims Schicksalstragödie »Der Auerhahn«, in: Euphorion 19 (1912), S. 241–264.
Kornmann 1614
Heinrich Kornmann, Mons Veneris, Fraw Veneris Berg / Das ist / Wunderbare vnd eigentliche Beschreibung der alten Haydnischen vnd Newen Scribenten Meynung / von der Göttin Venere, ihrem Vrsprung / Verehrung / vnd Königlicher Wohnung / vnd deren Gesellschaft / wie auch von den Wasser / Erd / Lufft vnd Fewer / Menschen / sampt vielen andern wunderbaren Geschichten / In vnd auff den Bergen vnd Hölen hin vnd wider in der Welt / so am folgenden Blat zu ersehen / gantz lustig vnd mit Verwunderung zulesen / newlich zusammen getragen / vnd allen der Natur Heymligkeiten Erforschern vnd Liebhabern zu gutem an Tag geben. Frankfurt/M. 1614.
Kosegarten 1804
Ludwig Gotthard Kosegarten, Legenden. Berlin 1804. (Arnim-Bibl. B 1273).
Kremer 2001
Detlef Kremer, Romantik. Stuttgart, Weimar 2001. (Lehrbuch Germanistik).
Krogoll 1979
Johannes Krogoll, Religion und Staat im romantischen Drama, in: Vestigia, Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg, hg. v. Heimo Reinitzer. Bd. 1. Hamburg 1979, S. 59–94.
Krogoll 1982
Johannes Krogoll, Geschichte im Drama und im Roman der Romantik, in: Europäische Romantik I, hg. v. Karl Robert Mandelkow. Wiesbaden 1982, S. 319–354. (Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 14).
Kuchenbecker 1730
Johann Philipp Kuchenbeckers Analecta Hassiaca, darinnen allerhand zur Hessischen Historie / Iurisprudentz und Litteratur behörige Urkunden / Abhandlungen / und Nachrichten. Collectio III. Marburg 1730. (Arnim-Bibl. B 318).
Lademacher 1993
Horst Lademacher, Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung. Berlin 1993.
389
Abkürzungen und Zeichen
Lennhoff/Posner/ Binder 2000
Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder, Internationales Freimaurer Lexikon. Überarb. u. erw. Neuaufl. der Ausg. v. 1932. München 2000.
Luther 1674
Herrn D. Martin Luthers Seel. Vielfältig verlangtes Namen-Büchlein, aus dem Lateinischen übers. u. kommentiert von M. Gottfried Wegener. Leipzig 1674. (ArnimBibl. B 2008).
Magnin 1852
Charles Magnin, Histoire des Marionettes. Paris 1852.
Mahlmann 1806
Siegfried August Mahlmann, Marionetten-Theater oder Sammlung lustiger und kurzweiliger Actionen für kleine und große Puppen. Leipzig 1806.
Mallon 1925
Otto Mallon, Arnim-Bibliographie. Berlin 1925.
Marks 1772
Georg Joachim Marks, Geschichte vom Martini-Abend und Martins-Mann. Hamburg und Güstrow 1772. (Arnim-Bibl. B 2009).
Martin 2000
Dieter Martin, Barock um 1800. Bearbeitung und Aneignung deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts von 1770 bis 1830. Frankfurt/M. 2000.
Meinecke 1924
Friedrich Meinecke, Das Zeitalter der deutschen Erhebung (1795 bis 1815). Bielefeld, Leipzig 1924.
Melissantes 1721
Melissantes 〈= Johann Gottfried Gregorii〉, Das Erneuerte Alterthum, Oder Curieuse Beschreibung Einiger vormahls berühmten, theils verwüsteten und zerstöreten, theils aber wieder neu auferbaueten Berg-Schlösser In Teutschland, Aus glaubwürdigen Historicis und Geographis mit vielen denckwürdigen Antiquitäten vorgestellet 〈...〉. Frankfurt, Leipzig 1721. (Arnim-Bibl. B 347).
Merian 1654
Matthäus Merian, Martin Zeiler, Topographia circuli-Burgundici / das ist / Beschreibung und Abbildung der Fürnembsten Örter in den Niederländischen XVII Provincien oder Burgundischen Krayße. Frankfurt/M. 1654. (ArnimBibl. B 753).
Messow 1854
Topographisch-statistisches Handbuch des Preußischen Staats oder: Alphabetisches Verzeichniß sämmtlicher Städte, Flecken, Dörfer, Rittergüter, Vorwerke, Mühlen, oder sonstiger bewohnter Anlagen, Fabriken und Grund-
390
Abgekürzt zitierte Literatur
stücke, welche einen eigenen Namen führen, mit genauer Verzeichnung der letzern; ferner: Angabe der Provinz, des Regierungsbezirks, des Kreises und der Bürgermeisterei; der Unter- und Ober-Gerichtsbehörden; des Landwehr-Bataillons, Regiments und der Landwehr-Brigade; der Pfarrkirche, oder des Kirchspiels; der Anzahl der Feuerstellen und Seelen jedes Orts; der dem Orte zunächst liegenden Post-Anstalt nebst deren Eigenschaft, und endlich der Zoll- und Steuer-Behörden. Nach amtlichen Mittheilungen und allen vorhandenen Quellen bearbeitet von 〈Eduard〉 Messow. Magdeburg 1854. Meyer/Suntrup 1987
Heinz Meyer, Rudolf Suntrup, Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen. München 1987. (Münstersche Mittelalter-Schriften).
Moering 1979
Renate Moering, Achim von Arnims Trauerspiel »Jemand und Niemand« mit einem ungedruckten Prolog, in: JbFDH 1979, S. 248–277.
Molie`re Œuvres
J〈ean〉 B〈aptiste〉 Poquelin de Molie`re, Œuvres. Tome sixie`me. Paris 1798. (Arnim-Bibl. B 1709f).
Molie`re, Der Geizige
Molie`re, L’Avare. Come´die en cinq actes. Der Geizige. Komödie in fünf Aufzügen. Französisch / Deutsch. Übers. u. hg. v. Hartmut Stenzel. Stuttgart 1984.
Möller 1989
Horst Möller, Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763–1815. Berlin 1989.
Morris Kommentar 1906
Max Morris, Arnims Dramen. Einleitung, in: Achim von Arnims ausgewählte Werke in vier Bänden, hg. u. mit Einleitungen versehen v. Max Morris. Bd. 2. Dramen: Halle. – Das Loch. – Die Appelmänner. Leipzig 1906, S. 3–20.
Möser 1776
Justus Möser, Patriotische Phantasien, hg. v. J〈ohanne〉 W〈ilhelmine〉 J〈uliane〉 v〈on〉 Voigt. 2. Theil. Berlin 1776. (Arnim-Bibl. B 1072b).
Müllner 1816
Adolph Müllner, Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten. Zuerst aufgeführt in Wien auf dem Theater nächst der Burg am 27. April 1813. Leipzig 1816.
NA 1
Schillers Werke. Nationalausg. Bd. 1: Gedichte, hg. v. Julius Petersen, Friedrich Beißner. Weimar 1943.
391
Abkürzungen und Zeichen
NA 2 (1)
Schillers Werke. Nationalausg. Bd. 2/1: Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1799–1805 – der geplanten Ausgabe letzter Hand (Prachtausgabe) – aus dem Nachlaß, hg. v. Norbert Oellers. Weimar 1983.
NA 8
Schillers Werke. Nationalausg. Bd. 8: Wallenstein, hg. v. Hermann Schneider, Lieselotte Blumenthal. Weimar 1949.
NA 10
Schillers Werke. Nationalausg. Bd. 10: Die Braut von Messina, Wilhelm Tell, Die Huldigung der Künste, hg. v. Siegfried Seidel. Weimar 1980.
Neuhold 1994
Martin Neuhold, Achim von Arnims Kunsttheorie und sein Roman »Die Kronenwächter« im Kontext ihrer Epoche. Mit einem Kapitel zu Brentanos »Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter« und Eichendorffs »Ahnung und Gegenwart«. Tübingen 1994.
Niefanger 2005
Dirk Niefanger, »Sehepunckte« – Zur Theorie und Funktion der Geschichtsimagination im Drama am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 55 (2) 2005, S. 157–190.
Nipperdey 1998
Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. Bd. 1. München 1998.
Nitsch 1793
Paul Friedrich Achat Nitsch, Neues Mythologisches Wörterbuch nach den neuesten Berichtigungen für studirende Jünglinge und angehende Künstler. Leipzig 1793. (Arnim-Bibl. B 2882).
Nitschke 2004
Claudia Nitschke, Utopie und Krieg bei Ludwig Achim von Arnim. Tübingen 2004.
Noll 1906
Gustav Noll, Otto der Schütz in der Literatur. Phil. Diss. Straßburg 1906.
Ohlendorf 1935a
Heinz Ohlendorf, Das Schattenspiel. Ein Werkbuch für Schattenspieler. Potsdam 1935. (Werkbücher für deutsche Geselligkeit Bd. 2).
Ohlendorf 1935b
Achim von Arnim, Das Loch. Ein Schattenspiel. Figurenentwürfe Dieter Evers. Bearbeitung und Spielanweisung Heinz Ohlendorf. Potsdam 1935. (Spiele der Jugend- und Laienbühne, hg. v. Karl Seidelmann, Bd. 37).
392
Abgekürzt zitierte Literatur
Olf 1988
Norbert Olf, Der Wortschatz Jacob Ayrers. Göppingen 1988 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hg. v. Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher, Cornelius Sommer, Nr. 489).
OT
Vgl. Q 1, Bilbiographie S. 394.
Oven 1872
Anton Heinrich Emil von Oven, Das erste städtische Theater zu Frankfurt/M. Ein Beitrag zur äusseren Geschichte des Frankfurter Theaters. 1751–1872. Frankfurt/ M. 1872. (Neujahrs-Blatt des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt am Main für das Jahr 1872).
Panofsky 1976
Erwin Panofsky, Et in Arcadia ego: Poussin und die Elegische Tradition, in: Europäische Bukolik und Georgik, hg. v. Klaus Garber. Darmstadt 1976. (Wege der Forschung Bd. 355), S. 271–305.
Parker 1979
Geoffrey Parker, Der Aufstand der Niederlande. Von der Herrschaft der Spanier zur Gründung der Niederländischen Republik 1549–1609. München 1979.
Patze 1989
Hans Patze, Geschichtliche Einführung, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Thüringen. Bd. 9. Stuttgart 1989, S. I–LXXV.
Pauli 1542
Johannes Pauli, Schimpff vnnd Ernst / durch alle Welthänndel. Mit vil schönen vnd Warhafften Historien / Kurtzweiligen Exemplen / Gleichnussen vnd mercklichen Geschichten fürgestellet. Einem jeden zuo underweisung / manung vnd leer / in allen händlen. Jetzund von newem weitter dann vormals gemehrt / mit Exemplen vnnd Figuren / fast kurtzweilig / vnnd Nutzlich zulesen. Bern 1542. (Arnim-Bibl. B 903).
Paulin 1985
Roger Paulin, Ludwig Tieck. A literary biography. Oxford 1985.
Paulin 2001
Roger Paulin, Arnim und Tieck, in: Arnim und die Berliner Romantik. Kunst, Literatur und Politik. Berliner Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, hg. v. Walter Pape. Tübingen 2001, S. 172–179.
Pietsch 2003
Yvonne Pietsch, Von einem der auszog, das Dienen zu lernen: Arnims Posse »Jann’s erster Dienst« und John
393
Abkürzungen und Zeichen
Lockes Vertragstheorie, in: Romantische Identitätskonstruktionen: Nation, Geschichte und (Auto-)Biographie. Glasgower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, hg. v. Sheila Dickson, Walter Pape. Tübingen 2003, S. 105–116. Pietsch 2004
Yvonne Pietsch, Das »Fortmalen« ins Weite – zum Umgang mit Text und Bild in Ludwig Achim von Arnims Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, in: Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft, hg. v. Roger Lüdeke, Erika Greber. Göttingen 2004, S. 264–282.
Plutarch
Plutarch, Römische Heldenleben. Coriolan, Die Gracchen, Sulla, Pompeius, Cäsar, Cicero, Brutus. Übertragen und hg. v. Wilhelm Ax. Stuttgart 1953.
Portmann-Tinguely 1989
Albert Portmann-Tinguely, Romantik und Krieg. Eine Untersuchung zum Bild des Krieges bei deutschen Romantikern und »Freiheitssängern«: Adam Müller, Joseph Görres, Friedrich Schlegel, Achim von Arnim, Max von Schenkendorf und Theodor Körner. Freiburg / Schweiz 1989. (Historische Schriften der Universität Freiburg/ Schweiz, Bd. 12).
Prieur 1991/I–II
Geschichte der Stadt Wesel 1 und 2, hg. v. Jutta Prieur. 2 Bde. Düsseldorf 1991.
Pross 2001
Caroline Pross, Kunstfeste. Drama, Politik und Öffentlichkeit in der Romantik. Freiburg / Br. 2001.
Q 1/OT/Ayrer 1618
Jacob Ayrer, Opus theatricum. Dreißig Außbündtige schöne Comedien vnd Tragedien von allerhand Denckwürdigen alten Römischen Historien vnd andern Politischen geschichten und gedichten / Sampt noch andern Sechs vnd dreissig schönen lustigen vnd kurtzweiligen Faßnacht oder Possen Spilen. Nürnberg 1618. (ArnimBibl. B 891).
Q 2.1/Spangenberg 1594/AS
Cyriacus Spangenberg, Ander Teil des Adelspiegels. Was Adel mache / befördere / ziere / vermehre / vnd erhalte: Vnd hinwider schwäche / verstelle / vnd verringere. Darinnen auch am Adler / vnd sonst / durch vielfeltige vnd mancherley Vermanung vnd Warnung / in Sprüchen vnd
394
Abgekürzt zitierte Literatur
Exempeln / ein schöner Regentenspiegel Allen in der Obrigkeit / in allen löblichen Tugenden / aus Gottes Wort furgestellet wird / Durch M. Cyriacum Spangenbergk 〈sic〉. Schmalkalden 1594. (Arnim-Bibl. B 704). Q 2.2/GC
Erich Adelar, Gülichische Chronik, Darinnen der Vhralten Hochlöblichen Grafenn Marggrafenn vnnd Hertzogen von der Marck / Gülich / Cleve / Bergen etc. Ankunfft / Genealogi, Stamm vnd Geschlechtregister / Außbreitung / Succ〈e〉ssion, Verenderung / fürnembliche Thaten zu Friedes vnd Kriegszeiten / neben des NiderRheingeländes / Item der Städte / auch angrentzenden Provintzen vnd Lande / vhralten vnd newen merckwürdigen Geschichten / in 7. vnterschiedlichen Büchern ördentlich beschrieben / vnd biß in das 1610. Jahr continuirt werden. Leipzig 1611. (Arnim-Bibl. B 264).
Q 3/ThE II
Theatri Europaei, Das ist: Historischer Chronick / Oder Wahrhaffter Beschreibung aller fürnehmen vnd denckwürdigen Geschichten / so sich hin vnd wider in der Welt / meisten theils aber in Europa / von Anno Christi 1629. biß auff das Jahr 1633. zugetragen: Insonderheit / was auff das im Reich publicierte Keyserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestierenden eingezogenen Güter / betreffende Edict / so wol in Kriegs- / als Politschen vnd andern Sachen / zwischen den Catholischen / eines: So dann den Evangelischen / mit Assistentz deß Königs in Schweden / andern Theils erfolget: Der Ander Theil: Zusammen getragen durch Joan. Philippum Abelinum: Jetzo revidiert / guten Theils verbessert vnd vermehret / Mit schönen in Kupffer gebrachten Land-Tafeln / Vestungen / Pässen / Schlachten / Belägerungen / vnd dergleichen / wie nicht weniger hoher vnd fürnehmer Personen Contrafacturen gezieret / verlegt / vnd zum dritten mal in Truck gegeben: Durch Matthaeum Merianum, Buchhändlern vnd Kupfferstechern zu Franckfurt am Mayn. Getruckt im Jahr nach Christi Geburt 1646. (Arnim-Bibl. B 32b).
Q 5–7/ECuT I
Friedrich Menius, Engelische Comedien und Tragedien / Das ist: Sehr Schöne / herrliche und außerlesene / geist-
395
Abkürzungen und Zeichen
und weltliche Comedi und Tragedi Spiel / Sampt dem Pickelhering / Welche wegen ihrer artigen Inventionen, kurtzweilige auch theils wahrhafftigen Geschicht halber / von den Engelländern in Deutschland an Königlichen / Chur- und Fürstlichen Höfen auch in vornehmen Reichs- See- und HandelStädten 〈sic〉 seynd agiret vnd gehalten worden / vnd zuvor nie im Druck außgangen. An jetzo / Allen der Comedi und Tragedi Liebhabern / vnd Andern zu lieb vnd gefallen / der Gestalt in offenen Druck gegeben / daß sie gar leicht darauß Spielweiß widerumb angerichtet / vnd zur Ergetzligkeit vnd Erquikkung des Gemüths gehalten werden können. Leipzig 1620. Q 8.1/StChr I
Vgl. StChr I, Bibliographie S. 399.
Reuter 1750
Christian Reuter, Schelmuffskys wahrhafftige, curiöse und sehr gefährliche Reise-Beschreibung zu Wasser und Lande in Zweyen Theilen curiösen Liebhabern vor Augen gelegt, und mit Zweyen Lust- und Trauerspielen versehen. Frankfurt/M., Leipzig 1750. (Arnim-Bibl. B 960).
RGG 1–7
Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4. völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski, Eberhard Jüngel. 7 Bde. Tübingen 1998–2004.
Ribbat 1978
Ernst Ribbat, Ludwig Tieck. Studien zur Konzeption und Praxis romantischer Poesie. Kronberg / Ts. 1978.
Ricklefs 1980
Ulfert Ricklefs, Arnims lyrisches Werk. Register der Handschriften und Drucke. Tübingen 1980.
Ricklefs 1990
Ulfert Ricklefs, Magie und Grenze. Arnims »Päpstin Johanna«-Dichtung. Göttingen 1990. (Palaestra Bd. 285; zuerst phil. Diss. Göttingen 1966).
Robertson 2003
Ritchie Robertson, Antisemitismus und Ambivalenz: Zu Achim von Arnims Erzählung »Die Majoratsherren«, in: Romantische Identitätskonstruktionen: Nation, Geschichte und (Auto-)Biographie. Glasgower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, hg. v. Sheila Dickson, Walter Pape. Tübingen 2003, S. 51–63.
396
Abgekürzt zitierte Literatur
Roelen 1991 Rohmer 1991
Martin Wilhelm Roelen, Wesel im Spätmittelalter, in: Prieur 1991/I, S. 110–165. Ernst Rohmer, Martin Luthers Lied Ein feste Burg ist und der Psalm 46, in: Euphorion 85 (1991), S. 38–69.
unser Gott Röhrich 1–3
Lutz Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 3 Bde. 6. Aufl. Freiburg, Basel, Wien 2003.
Rölleke Kommentar 1975
Vgl. FBA IX, 1, S. 380.
Sachs 1558
Hans Sachs, Sehr herrliche Schöne und warhaffte Gedicht. Geistlich vnnd Weltlich / allerley art als ernstliche Tragedien / liebliche Comedien / seltzame Spil / kurtzweilige Gesprech / sehnliche Klagreden / wunderbarliche Fabel / sampt andern lecherlichen schwenken vnd bossen / Welcher stück seind dreyhundert vnnd sechs vnnd sibentzig. Nürnberg 1558. (Arnim-Bibl. B 904).
Saße 2003
Günter Saße, Rührendes Lustspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 337–339.
Scherer 2003
Stefan Scherer, Witzige Spielgemälde. Tieck und das Drama der Romantik. Berlin, New York 2003.
Schier Kommentar 1920
Alfred Schier, Anmerkungen des Herausgebers, in: Arnims Werke, hg. v. Alfred Schier. Kritisch durchges. u. erl. Ausg. Bd. 3 (Dramen, Von Volksliedern). Leipzig, Wien 1920, S. 464–477.
Schlicht 1782
Friedrich Gustav von Schlicht, Otto der Schüz. Landgraf zu Hessen. Ein Heldenspiel. In vier Aufzügen. Leipzig 1782.
Schmincke 1746
Johann Hermann Schmincke, Historische Untersuchung von Des Otto Schützen Gebohrnen Printzen von Hessen Begebenheiten am Clevischen Hof. Aus noch nie gedruckten Urkunden erläutert, und mit vielen Anmerckungen versehen, worinnen zugleich verschiedene Chronologische und Genealogische Irrthümer entdeckt werden, hg. v. Friederich Christoph Schmincke. Kassel 1746.
Schneider 1779
Ernst Christian Gottlieb Schneider, Otto der Schütz, Landgraf zu Hessen. Ein Singspiel. In drey Aufzügen. Gotha 1779.
397
Abkürzungen und Zeichen
Schoof 1953
Briefe der Brüder Grimm an Savigny. Aus dem Savignyschen Nachlaß hg. in Verbindung mit Ingeborg Schnack von Wilhelm Schoof. Berlin, Bielefeld 1953. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck XXIII, 1).
Schudt 1714
Johann Jacob Schudt, Jüdischer Merckwürdigkeiten / Vorstellende / Was sich Curieuses und denckwürdiges in den neuern Zeiten bey einigen Jahr-Hunderten mit denen in alle IV. Theile der Welt / sonderlich durch Teutschland zerstreueten Juden zugetragen. II. Theil. So vor Augen leget eine vollständige Franckfurter Juden-Chronick / Worinnen der zu Franckfurt am Mayn wohnenden Juden / von einigen Jahr-Hunderten / biß auff unsere Zeiten / Merckwürdigste Begebenheiten enthalten. Frankfurt/M. und Leipzig 1714. (Arnim-Bibl. B 2343).
Schultz, H. 2000
Hartwig Schultz, Schwarzer Schmetterling. Zwanzig Kapitel aus dem Leben des romantischen Dichters Clemens Brentano. Berlin 2000.
Schulz, G. 1989
Gerhard Schulz, Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. 2. Teil. Das Zeitalter der napoleonischen Kriege und der Restauration 1806–1830. München 1989.
Schulz, M. 2003
Monika Schulz, Beschwörungen im Mittelalter. Einführung und Überblick. Heidelberg 2003.
Senckenberg 1739
Heinrich Christian Senckenberg, Selecta Iuris et Historiarum tum iam edita, sed rariora quorum. Tomus V. Frankfurt/M. 1739.
Sengle 1952
Friedrich Sengle, Das deutsche Geschichtsdrama. Geschichte eines literarischen Mythos. Stuttgart 1952.
Shakespeare Works
The Riverside Shakespeare. Second Edition. The Complete Works. Boston, New York 1997.
Spangenberg 1591
Cyriacus Spangenberg, AdelsSpiegel. Historischer Ausführlicher Bericht: Was Adel sey vnd heisse / Woher er komme / Wie mancherley er sey / Vnd Was denselben ziere vnd erhalte / auch hingegen verstelle vnd schwäche. Desgleichen von allen Göttlichen / Geistlichen und weltlichen Ständen auff Erden / v. wie solches alles der
398
Abgekürzt zitierte Literatur
Innhalt nach der Vorrede namhafftig vnd in der ordnung zeiget. Dem gantzen Deutschen Adel zu besondern Ehren / aus etlich hundert Authorn mit grosser mühe und auffs fleissigste beschrieben. Schmalkalden 1591. Spangenberg 1594
Vgl. Q 2.1, Bibliographie S. 394.
Spies 1981
Hans-Bernd Spies (Hg.), Die Erhebung gegen Napoleon: 1806–1814 / 1815. Darmstadt 1981. (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert; Bd. 2).
Stabenow 1921
Herbert Stabenow, Geschichte des Breslauer Theaters während seiner Blütezeit (1798–1823). Phil. Diss. masch. Breslau 1921.
StChr I/II
Paul Friedeborn, Historische Beschreibung der Stadt Alten Stettin in Pommern / Sampt Einem Memorial vnnd Ausszuge etlicher denckwürdigen Geschichten / Handlungen vnd Verträgen / welche sich von zeit angenommenen Christenthumbs / jnnerhalb fünff hundert Jahren / doselbst begeben / vnnd etwan nützlich zu wissen. So dann auch Ein General Beschreibung des gantzen Pommerlandes: Fürstliche Stammlini der Hertzogen von Pommern / vnd Fürsten zu Rügen / in 4. Taffeln abgeteilet / sampt inserirtem kurtzem Bericht ihrer Löblichen Thaten / vnd andere mehr nützliche Sachen. 2 Bde., Alten Stettin 1613.
Steig 1894
Achim von Arnim und Clemens Brentano, bearb. v. Reinhold Steig. Stuttgart 1894. (Achim von Arnim und die ihm nahe standen, hg. v. Reinhold Steig, Herman Grimm. Bd. 1).
Steig 1902
Reinhold Steig, Zeugnisse zur Pflege der deutschen Literatur in den Heidelberger Jahrbüchern, in: Neue Heidelberger Jahrbücher XI, 1902, S. 198–282.
Steig 1904
Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm, bearb. v. Reinhold Steig. Stuttgart, Berlin 1904. (Achim von Arnim und die ihm nahe standen, hg. v. Reinhold Steig, Herman Grimm. Bd. 3).
Steig 1911 I–III
Achim von Arnims Werke. Ausgewählt und hg. v. Reinhold Steig. 3 Bde. Leipzig 1911.
399
Abkürzungen und Zeichen
Steinmetz 2000
Ralf-Henning Steinmetz, Exempel und Auslegung. Studien zu den »Sieben weisen Meistern«. Freiburg / Schweiz 2000.
Streller 1956
Dorothea Steller, Arnim und das Drama. Phil. Diss. masch. Leipzig 1956.
SW 1–22
Ludwig Achim’s von Arnim sämmtliche Werke. Neue Ausgabe. 22 Bde. 3. Aufl. Berlin 1857.
Taube 1995
Gerd Taube, Puppenspiel als kulturhistorisches Phänomen: Vorstudien zu einer »Sozial- und Kulturgeschichte des Puppenspiels«. Tübingen 1995.
ThE I
Theatrum Europaeum, Oder Außführliche und Warhafftige Beschreibung aller vnd jeder denckwürdiger Geschichten / so sich hin vnd wider in der Welt / fürnämlich aber in Europa / vnd Teutschlanden / so wol im Religionals Prophan-Wesen / vom Jahr Christi 1617 biß auff das Jahr 1629 exclus. 〈...〉 zugetragen haben. Beschrieben durch M. Joannem Philippum Abelinum. Frankfurt/M. 1643. (Arnim-Bibl. B 32a).
ThE II
Vgl. Q 3, Bibliographie S. 395.
Tieck 1817 I/II
Deutsches Theater, hg. v. Ludewig 〈sic〉 Tieck. 2 Bde. Berlin 1817.
Tittmann 1880
Die Schauspiele der Englischen Komödianten in Deutschland. Leipzig 1880.
Uhlhorn 1967
Friedrich Uhlhorn, Marburg an der Lahn, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Hessen, hg. v. Georg Wilhelm Sante. 4. Bd. 2. überarb. Aufl. Stuttgart 1967, S. 315–321.
Vanselow 1728
Amando Carolo Vanselow, Gelehrtes Pommern / Oder Alphabetisches Verzeichniß Einiger in Pommern Gebohrnen Gelehrten / Männlichen und weiblichen Geschlechtes, / Nach ihren Merckwürdigsten Umständen und Verfertigten Schrifften, / Aufs kürtzste 〈sic〉 zusammen getragen und zum Druck befordert. Stargard 1728.
WAA
Weimarer Arnim-Ausgabe.
Wander 1–5
Karl Friedrich Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexikon. 5 Bde. Leipzig 1867–1880.
400
Abgekürzt zitierte Literatur
Wehrhan 1920
Karl Wehrhan, Die deutschen Sagen des Mittelalters. 2. Bd. München 1920.
Weichberger Kommentar 1901
Konrad Weichberger, Einleitung, in: Das Incognito. Ein Puppenspiel von Joseph Freiherrn von Eichendorff. Mit Fragmenten und Entwürfen anderer Dichtungen nach den Handschriften, hg. v. Konrad Weichberger. Oppeln 1901, S. 1–37.
Weiss 1986
Hermann F. Weiss, Unbekannte Briefe von und an Achim von Arnim aus der Sammlung Varnhagen und anderen Beständen. Berlin 1986.
Werke 1–6
Achim von Arnim. Werke in sechs Bänden, hg. v. Roswitha Burwick, Jürgen Knaack, Paul Michael Lützeler, Renate Moering, Ulfert Ricklefs, Hermann F. Weiß. Frankfurt/M. 1989–1994. (Bibliothek deutscher Klassiker).
Werke 3 Kommentar
Renate Moering, Kommentar, in: Werke 3 (vgl. Werke 1–6). Frankfurt/M. 1990, S. 999–1391.
Werke 5 Kommentar
Ulfert Ricklefs, Kommentar, in: Werke 5 (vgl. Werke 1–6). Frankfurt/M. 1994, S. 1005–1626.
Werner, M. 2003
Manuela Werner, »Gott geb, daß dis das letzte sey«: Alltag im Krieg und Kampf der Konfessionen im Spiegel der Weseler Chroniken um 1600. Wesel 2003.
Werner, Z. 1807
Friedrich Ludwig Zacharias Werner, Martin Luther oder Die Weihe der Kraft. Eine Tragödie. Berlin 1807.
Werner, Z. 1815
Friedrich Ludwig Zacharias Werner, Der vierundzwanzigste Februar. Eine Tragödie in Einem Akt. Leipzig, Altenburg 1815. (Arnim-Bibl. B 1372).
Weseken 1992
Heinrich von Weseken, Chronik, hg. v. Klaus Bambauer, Hermann Kleinholz, in: Geusen und Spanier am Niederrhein. Die Ereignisse der Jahre 1586–1632 nach den zeitgenössischen Chroniken der Weseler Bürger Arnold von Anrath und Heinrich von Weseken, hg. v. dens. Wesel 1992, S. 260–399.
Westermann 1963
Karl Westermann, Wesel, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Nordrhein-Westfalen, hg. v. Walther Zimmermann, Hugo Borger, Friedrich von Klocke, Johannes Bauermann. Stuttgart 1963, S. 652–655.
401
Abkürzungen und Zeichen
Wh I–III
Ludwig Achim von Arnim, Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. 3 Bde. Heidelberg 1806–1808.
Wierlacher 1968
Alois Wierlacher, Das bürgerliche Drama. Seine theoretische Begründung im 18. Jahrhundert. München 1968.
Wingertszahn 1990
Christof Wingertszahn, Ambiguität und Ambivalenz im erzählerischen Werk Achims von Arnim. Mit einem Anhang unbekannter Texte aus Arnims Nachlaß. St. Ingbert 1990.
Wodick 1912
Wilibald Wodick, Jakob Ayrers Dramen. In ihrem Verhältnis zur einheimischen Literatur und zum Schauspiel der englischen Komödianten. Halle/S. 1912.
Wogenstein 2003
Sebastian Wogenstein, Schicksalsdrama, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 374–377.
Wolff 2002
Fritz Wolff, Marburg an der Lahn. Das Landgrafenschloß im Wandel der Jahrhunderte, in: Das kulturelle Erbe des Hauses Hessen. Moritz Landgraf von Hessen zum 75. Geburtstag gewidmet von der Historischen Kommission für Hessen und der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt, hg. v. Eckhart G. Franz und Hans-Peter Lachmann. Darmstadt, Marburg 2002. (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Bd. 128), S. 10–24.
Wunderlich 1990
Werner Wunderlich, Hahnrei, Hahnreiter, in: EdM 6, Berlin, New York 1990, Sp. 378–383.
Wüthrich 1993
Lucas Heinrich Wüthrich, Das druckgraphische Werk von Matthaeus Merian d. Ae. Bd. 3. Die großen Buchpublikationen I. Hamburg 1993.
Zagari 1979
Luciano Zagari, Revolution und Restauration in Arnims erzählerischem Werk, in: Aurora 39 (1979), S. 28–50.
Zedler 1–64
Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges UniversalLexicon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden 〈...〉. Halle/S., Leipzig 1732–1750. 64 Bde. und 4 Supplemente. ND Graz 1961.
402
Abgekürzt zitierte Literatur
ZfE
Zeitung für Einsiedler. In Gemeinschaft mit Clemens Brentano hg. v. Ludwig Achim von Arnim. Heidelberg 1808. Mit einem Nachwort zur Neuausg. v. Hans Jessen. ND der Ausg., Stuttgart 1962.
403
Überlieferung Textgrundlage Beschreibung der Editio princeps: 308 S. Text in Unger-Fraktur, Schmutztitel und Titel mit Vignette, auf der ein radschlagender Pfau abgebildet ist (vgl. Abb. 1 und 2, S. 349–350). Der Stecher des Kupfers bzw. die verwendete Vorlage waren nicht zu ermitteln. Abgesehen von falschen Heftungen (vgl. Ex. 9, 11) sind keine Besonderheiten festzustellen, die die Darbietung des Textes betreffen. Alle Exe. sind in Orthographie und Interpunktion identisch, sieht man von Flecken im Ex. und nur schwach lesbaren einzelnen Buchstaben ab. Demzufolge kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß es im Falle der Schaubühne zu keinen Doppeldrucken kam. Bei der Textdarbietung wurde darauf geachtet, die Textgestalt des Ds weitgehend nachzuahmen. Offensichtliche Druckfehler wurden emendiert und werden im folgenden für jedes Drama einzeln nachgewiesen. Emendiert wurden die unterschiedliche Schreibung von Eigennamen innerhalb eines Dramentextes (z. B. Jan/Jann, Kasper/Kaspar, Garnichts/Gar nichts) sowie offensichtliche Fehler bei Sprecherangaben (z. B. Elia statt Ellidor, Ellidoria statt Elia). Des weiteren wurde bei verkehrt herum gedruckten Lettern und fehlenden Punkten nach der Sprecherangabe in den Text eingegriffen. Uneinheitlichkeiten in der Orthographie und Interpunktion wurden jedoch beibehalten, da sie den noch nicht normierten Umgang mit Rechtschreibung in der Zeit um 1813 widerspiegeln.1 Druckfehler, die Arnim selbst in seinen Anmerkungen am Ende der Schaubühne angibt, sind verbessert worden. Beim Nachweis der editorischen Emendationen sind die-
1
Abgesehen von Johann Christoph Adelungs Normierungstendenzen durch die Heraus-
gabe der Grundsätze der deutschen Orthographie (Leipzig 1782) und der Vollständigen
Anweisung zur Deutschen Orthographie (Leipzig 1788) war die Rechtschreibung um 1800 noch stark von individuellen Vorlieben geprägt (vgl. Klaus Kanzog, Einführung in die Editionsphilologie der neueren deutschen Literatur. Berlin 1991 (Grundlagen der Germanistik Bd. 31), S. 82–84). Neben Arnims Schreibgepflogenheiten spiegelt der die Schreibgewohnheiten unterschiedlicher Setzer wider.
404
D freilich auch
Textgrundlage / Mitteilungen zum Text
se Fälle besonders markiert, vgl. S. 406 Apparat zu S. 123,7, 123,7–8, 123,14. =Doppelstrichige= Binde- bzw. Trennstriche wurden zu einfachen ›normalisiert‹. Anführungszeichen, die bei längeren Zitaten am Zeilenbeginn wiederholt werden, sind nicht wiedergegeben. Worttrennungen am Zeilenende »kk«, »zz«, »ss« wurden aufgelöst zu »ck«, »tz«, »ß«. Hervorhebungen im Autortext erscheinen in dieser Ausgabe gesperrt. Antiquadruck in der Editio princeps und in den Quellen wird durch Kursivierung wiedergegeben. Beim Abdruck der Dramen wurde der Seitenwechsel mit durch die Angabe der jeweils beginnenden Seite vermerkt.
Mitteilungen zum Text Zu: 5,28 15,3 17,5
Zu:
Jann’s erster Dienst Nun] Nuu D 5,37 habt] habr D 12,2 Maurern] Mauern (kommt] kommt D 15,16 ersten] erste D 15,21 IV.] fehlt einen] eineu D 22,1 (sieht] sieht D
D D
Der Auerhahn
23,20 Wa l p u r g i s .] fehlt D 25,31 Augenblick] Augenblich D 27,7 Ottnit] Otto D 27,10 sagen] sageu D 30,17 einzge Stützen,] einzger Stützen D Die im D verwendete maskuline Flexion ist für das Nomen »Stütze« nicht gebräuchlich (vgl. DWb 20, Sp. 753) und wurde auch in den SW emendiert. 37,16 Ottnit] Ottuit D 40,7 das] daß D 44,30 ein] eiu D 45,16 mich] wich D 47,9 Heinrichs Sohn] Heinrich D 48,1 Heinrichs Sohn] Heinrich D 49,4 Heinrichs Sohn] Heinrich D 49,16 er] erst D 51,15 Heinrichs Sohn] Heinrich D 51,34 Jutta] Juttn D 52,30 günstger] günstge D 55,4 den] dem D 61,29 und] 64,23 einem] einen D 65,18 Hiazinth] Hiazint D nnd D 66,6 im] in D 69,9 einführen] eiuführen D 69,29 Fürst] Fürstin D 70,5 einen] ein D 71,1 an] au D 76,13 meinem] meinen D 76,24 verspottet.] verspottet, D 81,12 seinem] seinen D 84,13 und] uud D 91,15 Pilgerkleidern] Pilgerkleideru D 93,2 und] uud D 96,19 und] nnd D 103,5 Freude] Fteude D 110,17 anerkennt] anerkenut D 111,11 Kuß] Knß D 112,16 mich] 113,24 nach] uach D 120,29 Heinrich.] Heinrich, D mir D 120,29 lieben] lieber D 120,35 Otto.] Otto, D 122,21 dem] den D
405
Überlieferung
123,7 Schlüssel] Schlusses D, vgl. Arnims Berichtigung dieses Druckfehlers in 123,7–8 wir seinen Anmerkungen, in der vorliegenden Ausgabe S. 334,1. wollten ihn nicht wecken,] wir wollten nicht wecken D, vgl. Arnims Berichtigung dieses Druckfehlers in seinen Anmerkungen, in der vorliegenden 123,14 Hand] Haar D, vgl. Arnims Berichtigung dieses Ausgabe S. 334,2. Druckfehlers in seinen Anmerkungen, in der vorliegenden Ausgabe S. 334,3. 124,27 Ottnit] Otto D
Zu:
Das Frühlingsfest
130,32 138,31
Zu:
Jungfrauen] Jungfraun Jungfrauen] Jungfraun D
D
137,2
Chöre.] Chöre
D
Mißverständnisse
Freyer] Freier D 147,20 seinem] seiuem D 148,34 Freyer] 150,2 Freyer] Freier D 155,1 ich gestehe] ichgestehe D 156,23 zu] zn D 161,16 Luise.] Luise D 146,16
Freier
Zu:
D
Die Vertreibung der Spanier aus Wesel im Jahr 1629
Susanna.] Susanna. Reinhart D 173,5 vom] von D unserm] unsern D 174,2 Lozan] Luzan D 178,23 versäum180,25 Jan] Jann D 180,28 Jan] Jann D te] versänmte D 180,29 Jan] Jann D 180,30 Jan] Jann D 181,2 Jan] Jann D 181,5 Jan] Jann D 181,8 Jan] Jann D 181,10 Jan] Jann D 181,15 Amboß] Anboß D 181,20 Jan] Jann D 181,27 Jan] Jann D 182,3 Peter] Pater D 182,22 Jan] Jann D 183,30 Jan] Jann D 183,32 Jan] Jann D 183,33 Jan] Jann D 184,3 Jan] Jann D 184,10 Jan] Jann D 184,13 Jan] Jann D 185,11 Jan] Jann D 185,18 Jan] Jann D 185,23 Jan] Jann D 185,25 Jan] Jann D 185,28 Jan] Jann D 185,31 Jan] Jann D 185,33 Jan] Jann D 186,8 Jan] Jann D 186,15 Jan] Jann D 186,16 ausgebrannten] 186,19 Jan] Jann D 186,24 Jan] Jann D ausgebranntrn D 187,1 Jan] Jann D 187,8 Es] Er D 190,27 Jan] Jann D 190,31 Jan] Jann D 191,1 Jan] Jann D 191,5 Jan] Jann D 191,13 Jan] Jann D 191,23 Jan] Jann D 191,27 Jan] Jann D 191,35 Jan] Jann D 192,7 Didem] Diedem D 194,3 Dierecke] 169,24 173,12
406
Mitteilungen zum Text
Diercke D 194,8 Jan] Jann D 194,13 Jan] Jann D 194,14 Jan] 194,26 beschlossen] beschlosseu D 194,33 Jan] Jann D Jann D 195,1 Jan] Jann D 200,2 Jan] Jann D 200,6 Jan] Jann D 200,8 Jan] Jann D 200,12 Jan] Jann D 200,16 Jan] Jann D 200,20 Jan] Jann D 202,9 Jan] Jann D 202,10 Jan] Jann D Zu:
Das Loch
Verliere] Verlieren D 205,9 Stegereif] Stegegreif D Kasper] Kaspar D 209,2 Kasper] Kaspar D 209,3 Kasper] 213,10 könnt] konnt D 213,19 nicht] uicht D Kaspar D 216,19 Beide.] Beide, D 217,10 Widderköpfe] Widderköfe D 219,5 Kaiserin] Kaiser D 220,7 Arme] Ärme D 220,17 Kaiserin] Kaiser D 220,33 Ritter.] Ritter, D 221,12 Kaiserin] Kaiser D 204,29 208,25
Zu:
Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
Hanrei] 242,24 nicht] n!cht D Maria] Marie D Hanrey D 249,18 du] die D 251,9 Thauwetter] Thanwetter D 252,9 mir] mich D 252,35 pater.] pater D 237,10
Zu:
D
239,24
jetzt] jetzr
D 248,29
240,11
Der wunderthätige Stein
256,22
Zu:
Hanrei.] Alter.
versuchen] versucheu
D
257,24
der] d r
D
Jemand und Niemand
264,14–17 Reichsgrafen. Wa c h t m e i s t e r . S c h m a r o t z e r . J e m a n d .] Reichsgrafen. J e m a n d D 264,19–22 J u n g e . Vo l k . E r s t e r ] Junge. Erster D 266,10 Königin] Königinn D 269,5 Elia] 269,28 Elia] Ellidor D 269,32 Elia] Ellidor D Ellidor D 270,15 G a r n i c h t s .] G a r n i c h t s D 270,34 Erster] Andrer D 271,13 G a r n i c h t s ] G a r n i c h t s D 271,20 G a r n i c h t s ] G a r n i c h t s D 272,3 G a r n i c h t s ] G a r n i c h t s D 272,14 Niemand] 272,21 Niemand] niemand D 275,16 G a r n i c h t s . ] niemand D Garnichts D 277,33 Elia] Ellidoria D 280,11 Schottland] Schotr280,32 N i e m a n d ] n i e m a n d D 281,7 G a r n i c h t s ] land D Gar nichts D
407
Überlieferung
Zu:
Die Appelmänner
285,18 Überdruß] Uberdruß D 288,20 näher] nähern D 293,16 das] daß D 295,18 gehe] gehen D 297,16 Herre] Herrn D 301,7 gelingen] geliugen D 308,24 passen.] passen, D 311,24 von] oon D 318,12 dem] den D 321,31 eurem] euren D 322,9 des] der D 324,7 das] daß D 325,6 Öhl] Ohl D 329,25 Appelmann] Apelman D 331,9 den] dem D
Zu:
Anmerkungen und Druckfehler
333,17
auf] nuf
D
333,27
auch] anch
D
334,5
Gräfin] Grafin
D
Beschreibung der in öffentlichen Bibliotheken nachweisbaren Schaubühnen–Exemplare Im folgenden werden die Exe. angeführt, die sich in Bibliotheken weltweit nachweisen ließen (Stand: September 2008) mit Angabe des Ortes, der Sign. sowie der Besonderheiten des jeweiligen Exs. Die Anzahl der aufgefundenen Exe. beläuft sich auf 17 (18). Stempel der zugehörigen Bibliothek sowie Sign.verm. im Inneren eines Bds., die der angegebenen Sign. entsprechen, werden nicht vermerkt. Wo möglich werden auch Informationen zu Vorbesitzern dargeboten. Die Auflistung der Bibliotheken erfolgt alphabetisch. Dem Abdruck der Dramen in der vorliegenden Ausgabe lag das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek, Sign.: P.o.germ. 2063 h–1 zugrunde (vgl. Nr. 15). 1. Universitätsbibliothek Augsburg, Sign.: 02/III. 8.8.2055–1 (02). Besonderheiten: stark fleckig (vgl. S. 162–163); Exlibris auf Schmutztitelblatt: »LW«. Vorbesitzer war Fürst Ludwig von Oettingen-Wallerstein, bayerischer Staatsmann, der während seiner Studienzeit in Landshut mit Friedrich Carl von Savigny verkehrte. Später Kunst-, Literatur- und Antiquitätensammler, der auch mit Arnims persönlich in Kontakt stand. 2. Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, Sign.: Wack. 2058 Besonderheiten: Stempel »Catalog«, Exlibris »Universität Basel Öffentliche Bibliothek. / Geschenk der Erben des Herrn Prof. / Wilhelm Wackernagel / 1870«; auf der ersten S. vor dem Schmutztitel mit Tinte »Wilh. Wackernagel. Basel 9/55«, auf der letzten S. mit rotem Buntstift »N°2058«.
408
Mitteilungen zum Text / Beschreibungen der Schaubühnen-Exemplare
Vorbesitzer war Wilhelm Wackernagel, Germanist, der ab 1824 sein Studium der Literaturgeschichte und Mythologie an der Berliner Universität u. a. bei Friedrich Heinrich von der Hagen und Karl Lachmann absolvierte. Ab 1833 ordentlicher Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Basel, Gründer der dortigen mittelalterlichen Sammlung. Er wurde als Jacob Grimms Nachfolger Mitglied der Münchener Historischen Commission und des Ordens »pour le me´rite«, Beschäftigung v. a. mit altdeutscher Literatur. 3. Universitätsbibliothek der Humboldt Universität Berlin, Sign.: Yt 32179. Besonderheiten: Exlibris »Aus der Büchersammlung des Dr. Leopold Hirschberg 1913«, mit Bleistift »Dr. Hirschberg« im Einband. Vorbesitzer war Leopold Hirschberg, Musikwissenschaftler, Literaturhistoriker, Bibliophile, dessen ca. 1620 Titel umfassende Büchersammlung von der Humboldt Universität erworben wurde. 4. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Sign.: Ys 3271a. Besonderheiten: Stempel der »Öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek Berlin«, früher Ostberlin. Das Ex. wurde 1952 als Ersatz für das im Krieg verloren gegangene Ex. angekauft; mit Tinte Vermerk »Seh.«, mit derselben Tinte vorgenommene Korrekturen der Sprecherangaben auf S. 200 und 201 sowie Unterstreichungen (S. 197). 5. University Library Cambridge, Sign.: 8002.c.18. Besonderheiten: Vermerk mit Bleistift »14/379/6.«, im Bucheinband rechts mit Bleistift »Jeschke, Meinke & Hauff / Auction 14/1319 / May 1989 «, Schmutztitelblatt fehlt. 6. Lippische Landesbibliothek Detmold, Sign.: D 632c. Besonderheiten: Exlibris »Aus dem Nachlasse / des / Landgerichtsrats B r ö f f e l / Detmold. / 1905.« (1905 aus 1902 mit Tinte verbessert). Schmutztitel fehlt, auf der Rückseite der 1. S. handschriftlicher Vermerk »v. Arnim / Die Schaubühne. / Bd. 1. / Berlin 1913 〈sic〉«; Stempel der »Öffentl. Bibliothek zu Detmold« neben der Pfau-Vignette; mit Bleistift vorgenommene Korrektur auf S. 43, Z. 24 (»erst« »er«), Berichtigung der Sprecherangaben auf S. 246; Verbesserung mit blauer Tinte, S. 239, Z. 23 (»ich bin ja der Wilhelm« »ich bin ja der Wilhelm nicht«). Auf der Rückseite der letzten S. mit Bleistift »HAT 007 786 712«, im Buchdeckel eingeklebte Kennummer zur Ausleihverbuchung. Vorbesitzer war Martin Bröffel, Lippischer Landgerichtspräsident.
409
Überlieferung
7. Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sign.: W 1186. Besonderheiten: Vermerk mit Bleistift »63.728.101«, als Information zu »Erster mit Bleistift »(alle.)«; auf Schmutztitel mit Tinte vmtl. Angabe der Vorbesitzerin, »Gertrud Hof.« (nicht ermittelt). Exlibris: »Sammlung deutscher Drucke 1450 bis 1912, Erworben mit Mitteln der Volkswagen-Stiftung« mit VW-Logo, darüber links mit Bleistift der Preisvermerk des Antiquariats Koch in Berlin: »1200.–〈DM〉«. Titelblatt mit Pfau-Vignette fehlt.
Band«
8. FDH Frankfurt/M. Sign.: IXA39/C11. Besonderheiten: Innenseite im Einband Exlibris mit Bild: Exlibris S. Fischer, mit Kugelschreiber aloR 68492/63, darunter in Bleistift »594 1+1«; in der Mitte mit Bleistift: »–1107111–«, darunter bis zum roR »Zu Luther« in Bleistift; aruR in Bleistift Sign.verm.; aluR Stempel des FDHs. Auf erster Seite mit Tinte: »Hospes Exulibus Domum Condidit. 〈übersetzt: Der Gastgeber hat den Heimatlosen ein Zuhause geschaffen.〉 An S. Fischer, zum 22.10.1911 in Freundschaft und Verehrung Moritz Heimann.« Schmutztitel fehlt. Titelblatt mit Pfau: Stempel des Koenigl. und Stadt Gymnasium Coeslin; auf Rückseite des Titelblattes erneut mit Bleistift Sign.verm. Stempel des FDHs auf letzter S. Vorbesitzer war der Verleger Samuel Fischer, der 1886 den S. Fischer-Verlag in Frankfurt/M. gründete. Moritz Heimann war seit 1895 als Lektor im Verlag tätig und schrieb selbst Dramen, Essays und Novellen. Heimann schenkte die Schaubühne anläßlich des 25-jährigen Jubiläums des Verlages, das am 22. Oktober 1911 bei einem Diner mit berühmten Verlagsautoren wie u. a. Gerhart Hauptmann, Richard Dehmel und Oskar Loerke gefeiert wurde (vgl. Samuel Fischer, Hedwig Fischer, Briefwechsel mit Autoren, hg. v. Dierk Rodewald, Corinna Fiedler. Frankfurt/M. 1989, S. 28; 845). 9. FDH Frankfurt/M., Sign.: IX A 39/C2. Besonderheiten: Im Einbanddeckel: aoRl mit Tinte »36859«, aoRr mit Bleistift »–1107216–«; eine Zeile tiefer, zwischen den beiden Einträgen mittig stehend mit Bleistift »Mallon 79«; auRr Sign.verm. mit Bleistift. Stempel des FDHs von 1859. Auf dem Titelblatt mit der Pfau-Vignette ist der Titel des Stücks Befreiung von Wesel mit Tinte unterstrichen. 10. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign.: DRAM III, 3906 EXE: 01. Besonderheiten: durchgehend wasserfleckig, keine Eintragungen.
410
Beschreibungen der Schaubühnen-Exemplare
11. Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Sign.: GERGA 9080 P 43 1813. Besonderheiten: Stempel der »Friedrich-Schiller-Universität Jena, Theaterwissenschaftliche Abteilung des Deutschen Institutes«; leicht beschädigtes, fleckiges Exemplar; falsche Heftung (ab S. 64 beginnt die Seitenzählung wieder bei S. 49). 12. Universitätsbibliothek Konstanz, Sign.: R 99/51. Besonderheiten: Exlibris »Franz Stoß Nr. 6/171« (nicht ermittelt); Titelblatt mit Pfau-Vignette vor Schmutztitel; mit Bleistift Vermerk »coll. compl. W.«. 13. British Library London, Sign.: 11748cc2. Besonderheiten: Stempel des »British Museum«; als Information zu »Erster Band« mit Bleistift »Discontinued«; falsche Heftung (die S. 293/294 und 307/308 wurden vertauscht, so daß auf S. 292 die S. 307–308; 296–306; 293–294 folgen). 14. Institute of Germanic Studies, School of Advanced Studies London, Sign.: M ARNIA 4.99 SCA 4 (1813) PC. Besonderheiten: Exlibris »This book belonged to the collection of Robert Priebsch, Professor of German in the University of London 1902–1931 and was acquired for the Institute of Germanic Studies and Literatures in 1949«. Priebschs Sammlung umfaßt über 3000 Titel, vorwiegend aus dem späten 18. und frühen 19. Jh., und ging 1949 in den Besitz der Bibliothek über. 15. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign.: P.o.germ. 2063 h–1. Besonderheiten: Kennummer zur Ausleihverbuchung auf der 1. S. eingeklebt. 16. Universitätsbibliothek München, Sign.: Maassen 789(1. Besonderheiten: Exlibris von »C. G. Maassen 〈sic〉«; Fremdeinträge mit Bleistift in lateinischer Schrift: »Gelesen am 20/21.5.39 Die Appelmänner bedeutend«; S. 187: »Das Loch, geles. 2.3.39 (grotesk)«; S. 134: »Mißverständnisse (nettes goldiges Lustspiel, was noch heute aufzuführen / gelesen 24.5.39).« Vorbesitzer war Carl Georg von Maaßen, Herausgeber der kritischen Ausgabe zu E.T.A. Hoffmann (9 Bde., erschienen zwischen 1908 und 1928), Privatgelehrter, dessen ca. 8000 Bde. umfassende Bibliothek v. a. Literatur aus dem späten 18. und frühen 19. Jh. enthält; Maaßen vermachte die Bücher nach seinem Tod
411
Überlieferung
der Universitätsbibliothek München. Bleistiftnotizen von Maaßens Hand finden sich in zahlreichen seiner Bücher. 17. Österreichische Nationalbibliothek Wien, Sign.: 5638-B. Besonderheiten: Stempel der »Kaiserlichen Königlichen Hofbibliothek«; durchgestrichene, vmtl. ehemalige Sign. Eingeklebt: »Sa 7 Ep.S«; im Stück Die Appelmänner Unterstreichungen mit Bleistift zur Hervorhebung einzelner Passagen (S. 262–276; 279; 281–282; 284–295). 〈18. GSA Weimar, Sign.: 28/167 (vgl. Abb. 1 und 2, S. 349–350)〉 Besonderheiten: Hier handelt es sich nicht um ein vollständiges Ex. der Schausondern lediglich um die offensichtlich aus dem Buch herausgerissenen und dadurch in der Mitte stark beschädigten beiden Titelseiten (Schmutztitel und Titel mit Pfau-Vignette) der Schaubühne, die sich als Beilage zu Arnims Brief an Goethe vom 16. Februar 1814 im GSA finden (vgl. AZ 17, S. 488,23). Arnim hatte diesem Brief ein vollständiges Ex. der Schaubühne beigelegt und bei Goethe angefragt, ob er Die Vertreibung der Spanier aus Wesel für aufführungswürdig halte (vgl. dazu AZ 17, S. 488,4–6). Offensichtlich bewahrte Goethe nach der Lektüre des Buches (vgl. AZ 18, S. 489,2–7) lediglich die beiden Titelseiten auf. Der Verbleib der Dramentexte ist unbekannt. Ein Ex. in Goethes Bibliothek ist nicht nachweisbar.2
bühne,
Beschreibung der handschriftlichen Entwürfe Zu:
Der Auerhahn
DV: H. Bezugswerk: Der Auerhahn. H: GSA 03/10. − 1 Dbl.; 345 mm x 205 mm; 1r–2v 4 beschr. S.; einmal quer gefaltet auf 172,5 mm x 205 mm. − Papier: gelblich. − Tinte braun bis schwarz. − 2
In der Beschreibung der Hs. im GSA werden Schmutztitel und Titel der
Schaubühne als
»Werbeanzeigen« bezeichnet. Da aber nicht bekannt ist, daß Arnim weitere solcher »Werbeanzeigen« an Bekannte und Freunde verteilte und in seinem Brief explizit davon die Rede ist, daß er ein
Schaubühnen-Ex. an Goethe sendet, kann davon ausgegangen werden,
daß Goethe es vorzog, nur die Titelblätter der Dramensammlung aufzuheben. Goethes Verhalten ähnelt hier Ludwig Tiecks diskreditierender Ignoranz der über, vgl. dazu S. 828–829.
412
Schaubühne gegen-
Beschreibungen der Schaubühnen-Exemplare / Varianten
WZ: auf Blatt 1 Brustbild im Profil, zum Blattrand gerichtet, in Doppeloval, mit Verzierung des Rahmens; darunter FRIEDRICH WILHELM III zwischen Stegen; Blatt 2 in doppelstrichigen Antiquaversalien und Kapitälchen: I W EBART / IN / SPECHTHAUSEN zwischen Stegen. Spechthausen war Königliche Papiermanufaktur. Fremdeinträge: 1r aoRr Bleistift: 155, auRl Bleistift: 1 2r aoRr Bleistift: 157, auRl Bleistift: 2. Datierung: ca. 1811 (Datierung nach dem Wasserzeichen, vgl. dazu auch Werke Kommentar 3, S. 1017).
Varianten
ans] n aus 〈x〉 339,5 erhört,] , aus . 339,5–6 er hat uns aus 339,8 Dich] D aus m der zweifelhaften 〈...〉 gehoben] zdZ eing. 339,9 in den durchnassten Kleider] üdZ eing. 339,9 ich] aus wir 339,11 Ruder] R aus 〈L〉 339,12 jezt] j aus g 339,17 der] r aus s 339,18 wenn] aus was danach gestr. kann 339,21 oder auf dem 339,22 das] Eise ausgleitend in das Gleichgewicht] über gestr. auf aus doch 339,23 thunlos] üdZ eing. 339,25 aufge〈weckt〉] w aus l 339,26 kühnem] m aus n 339,29 freye] üdZ eing. 339,30 des] aus 〈ver〉 339,33 du] aus die 340,1 Geistlicher] aus geistlich danach 340,9 (Er zündet Feuer an)] gestr. dadurch 340,1 einst] aus mich zdZ eing. 340,10 dein Feuer in] üdZ eing. 340,10 auf] darüber 340,11 Züge] Z aus z 340,11 unter] u aus s gestr. und dein 〈Feur〉 340,13 Strom] aus Sturm 340,14 den] n aus s 340,14 Baum] aus Baumes danach gestr. es Schatten 340,17 versteckt] ve aus 〈im〉 340,18 zurück.] danach gestr. , 340,18 Du] D aus d 340,18 es] es aus m 340,18 dann] üdZ eing. 340,20 trugst] u aus a 340,21 deinem] ei aus ir 340,22–24 Du zürntest mir, es schützte dann mich der Baum 〈...〉 zog die] zdZ eing. und darunter gestr. und 340,27 muß] m aus k 340,27 ist] aus sey danach jeder ging 340,32 wie] i aus 〈e〉 340,34 Jutta.] danach gestr. Ein L gestr. dir 341,1 auf] au aus 〈xxx〉 341,1 Erden] E aus 〈x〉 (L aus so) 341,4 den] d aus e 341,9 Stamme] aus Baume 341,10 Rinde die 341,11 Von] aus 〈xxx〉 zerrissen] aus 〈xxx〉 zerrissnen Rinde 341,12 〈xxx〉 da muß ich ihn jezt] 〈Ganz〉 zerrissen 〈selig〉 341,13 Treuer Baum der uns geschutzet] über gestr. Aller Zorn ist jezt verschwunden 341,14 Als es über uns geblizet] über gestr. Und doch 339,4
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Überlieferung
bluten noch die Wunden 341,15 Da] aus Und 341,15 Blätter] aus Baumes 341,16 Wort noch] aus Worten 341,17 Die] D aus W 341,23 gesessen,] danach gestr. 〈Gegen〉 heisser Sonn 〈ermatten〉 / 〈Uns〉 〈in〉 Liebe 〈hier zu gatten〉 341,24 Nun in Sonn Glanz 〈will gatten〉] über gestr. Seit er 〈xxx〉 341,24 in] aus die 341,25 der heissen Liebe] aus des 〈xxx〉 streit 341,26 Nun wir 〈sind〉 des Zornes müde] aus Wenn der Zorn uns 〈xxx〉 〈xxx〉 Zu:
Jemand und Niemand. Prolog I.
DV: H. Bezugswerk: Jemand und Niemand. H: FDH 7711,6 − 1 Dbl.; 260 mm x 420 mm; 1r–2v 4 beschr. S., wobei die letzte Seite nur bis zur Hälfte (bis 110mm) beschrieben ist; einmal quer gefaltet auf 260 mm x 210 mm. − Papier: gelblich. − Tinte braun bis schwarz. − WZ: auf Rückseite über Blatt 1 und 2 verteilt Posthorn zum rechten Seitenrand gerichtet, mit Verzierung des Rahmens; darunter G E zwischen Stegen. Fremdeinträge: 1r Eintrag in HS, li unter 5. Zeile, unter letztes Wort in Bleistift: Mund (in altdeutscher Schrift),2v auRr Bleistift: 7711,6. Datierung: ca. 1829.
Varianten 342,3 Spiel] üdZ eing. 342,4 ein Milchbruder von Niemand] üdZ 342,8 freudig] freu aus mir eing. 342,5 (Er gähnt)] üdZ eing. 342,11 ankömmt] kö aus ge 342,12 übrigen] über gestr. ganzen 342,13 von] üdZ eing. 342,14 erfahren] f aus h? 342,14 erfahren und müssen 〈...〉 erschrecken.] zdZ eing. 342,15 umhergehen] g aus h 342,15 husten] zdZ eing. husten über gestr. hören 342,17 fast] üdZ 342,18 Gar nichts] eing. 342,17 Milchbruder] Milch aus Zech danach gestr. spielte 342,19 grosse] danach gestr. Erden 342,21 wichtig] danach gestr. unsre Gespräche und 342,23 im Himmel droben] über gestr. hier 342,24 unsrer Karten] über gestr. mit Staunen 342,27 Monde] üdZ eing. 342,28 Erde.] über gestr. auf dem lieben Monde. üdZ gestr. diese Karten 342,28–32 Diese Karten 〈...〉 in] über gestr. der da eben in vollem Glanze sie bescheint und jede Karte des letzten Spiels und bescheint und eben Karte 342,31 gestrigen] aus heutigen 343,1 es] über gestr. sie 343,5 da] d aus D
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Varianten
der zu verlieren fürchtete] üdZ eing. 343,6 den Herzdaus] üdZ 343,7 der mit einem Scepter gestempelt ist] über gestr. und diese bedeutet nach ihrem Stempel Zeichen dem Scepter damit wollte er das ganze Spiel umwerfen, als ob die Karten vergeben gewesen 343,11 da blieb 〈...〉 Erden] üdZ eing. 343,14 im Monde] üdZ eing. 343,18 von zweyerlei Schicksal] üdZ eing. 343,17 nur] üdZ eing. 343,20 thue.] danach gestr. Ach was üdZ gestr. wieso gar nichts ist mir jetzt die Erde, die mir bisher so nahe befreundet war. Lebewohl 343,20 lebewohl] üdZ eing. 343,20 fremd] fre aus ein 343,21 verlassen.] danach gestr. es kon 343,6 eing.
Zu:
Jemand und Niemand. Prolog II.
DV: H. Bezugswerk: Jemand und Niemand. H: FDH 7711,6 − 1 Dbl.; 260 mm x 420 mm; 1r–2v 4 beschr. S., wobei die letzte Seite nur bis zur Hälfte (bis 100mm) beschrieben ist; einmal quer gefaltet auf 260 mm x 210 mm. − Papier: gelblich. − Tinte braun bis schwarz. − WZ: auf Rückseite über Blatt 1 und 2 verteilt Posthorn zum rechten Seitenrand gerichtet, mit Verzierung des Rahmens; darunter G E zwischen Stegen. Fremdeinträge: 1r Eintrag in HS, li unter 5. Zeile, unter letztes Wort in Bleistift: Mund (in altdeutscher Schrift),2v auRr Bleistift: 7711,6. Datierung: ca. 1829. D: Moering 1979, S. 248–277.
Varianten 344,7 Mondschein] über gestr. Thau 344,7–8 der Thau gar sehr] üdZ über gestr. und 344,17 deutsch Solo] üdZ eing. 344,22 unser] ser aus re 345,1 eine] i aus b 345,3 Spiele] danach gestr. einander 345,3 Thron] danach gestr. gegenü 345,22 verlassen] a aus i
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Entstehung Zeugnisse Die Darstellung der Zeugnisse EZ 1–EZ 37 (1808–1818) erfolgt ausschnitthaft und in chronologischer Reihenfolge. Erläuterungen zu den Empfängern und Adressaten der Briefe sowie zu in den Zeugnissen genannten Personen, Werken, geschichtlichen Kontexten und anderen erklärungsbedürftigen Passagen sind v. a. dem Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne, S. 430–461 zu entnehmen sowie den einzelnen Entstehungskapiteln zu den jeweiligen Dramen. EZ 1: Ludwig Achim von Arnim, Ankündigung und Aufforderung, in: VI. Intelligenzblatt der Heidelbergischen Jahrbücher, 5. Abteilung. Heidelberg 1808, S. 61–63 (Arnim-Bibl. B 1897a) 61
Im Verlage der M o h r und Z i m m e r s c h e n Buchhandlung zu H e i d e l b e r g erscheint zur Michaelis-Messe 1808. Alte deutsche Bühne. Erster Band. Auch unter dem Titel: D e s A n d r e a s G r y p h i u s d r a m a t i s c h e We r k e , n a c h A u s wahl. Wir brauchen nicht erst die Aufmerksamkeit unsers Volks auf die bedeutenden Erzeugnisse seiner früheren unbekannten dramatischen Dichter hinzulenken, die seit jener Zeit auf den Puppentheatern Jung und Alt immerdar neu erfreuet haben und in unsrer Zeit zu einer eigentlichen äußeren Zierlichkeit, Correctheit und zu allgemeinem Beyfalle gelangt sind, eben so anerkannt reich und witzig sind viele der Fastnachtspiele und andre gelegentliche Ergießungen dramatischer Laune unter ernstlich beschäftigten Ständen, der Religionshaß gegen diese, das Vornehmthun gegen jene ist längst verschwunden. Weniger scheint man auf manche Dichter geachtet zu haben, die auf der einen Seite die Alten durch Gelehrsamkeit und die sie umgeben416
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Zeugnisse EZ 1
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den Volksbühnen aus lebender Berührung kannten und in ihren Werken zu verbinden suchten (doch immer mit gelehrter Vorliebe für die Alten), die also für unsere Literatur die Stellen des Corneille und Racine in der Französischen bezeichnen, so ist besonders der große Andreas Gryphius oder Greif , der noch vor vierzig Jahren ein Lieblingsschriftsteller der Jugend war, allmählig nur den wenigen gelehrten Freunden unsrer Kunst bekannt geblieben, dennoch ist von H. von Meyer ein Versuch, seinen Piast der Bühne anzueignen, und von der früh verstorbenen berühmten Dichterin, Sophie Brentano , ein Fragment der Bearbeitung des Cardenio in ihrer Bunten Reihe kleiner Schriften erschienen. Viele mochte das Vers maaß der Alexandrinen abschrecken, an dem sich ganz Frankreich noch immer ernstlich erfreut, während er in der äußeren Geschichte unsrer Sprache durch eine Menge seichter nachahmender Tragödien zum Komischen übergegangen, was also in keiner Nothwendigkeit begründet, vielleicht durch einen neuen Versuch ihn würdig auf die Bühne zu bringen, aufgehoben werden könnte. Wir machen diesen Versuch bey der lesenden Welt mit einigen Stücken des Andreas Greif oder Gryphius im ersten Bande der alten deutschen Bühne, die wir hierdurch öffentlich anzeigen; die folgenden werden mehr Mannichfaltigkeit durch abwechselnde Puppenspiele, Fastnachtspiele, Comödien von Christian Weise , Schurh u. a. m. enthalten; von dem öffentlichen Beyfalle begünstigt, würden wir unsern Zeiten uns allmählig nähern; die deutsche Literatur ist viel reicher als die meisten glauben, an vergessenen dramatischen Arbeiten von schönem jungendlichem Talente, das mit Leichtigkeit durch Verkürzung und Ergänzung zu etwas gedeihen kann. Bey Gryphius ist es unser Grundsatz, so wenig wie möglich zu ändern, und was wir ändern, ist uns nun nach vielfachem Vorlesen als nothwendig erschienen, wir theilten unsre Freude an seinen Werken recht vielen mit, und sind uns bewußt, die Auswahl mit Vorliebe und Vorgefühl gemacht zu haben. Wir benutzen diese Gelegenheit zu einer Bitte, die uns auch unabhängig von dieser Arbeit sehr am Herzen liegt. Christian Gryphius , der als Dichter unbedeutende Sohn des berühmten Andreas , spricht in der Vorrede der vollständigsten Ausgabe v. J. 1698, die außer den übrigen poetischen Werken vierzehn Schauspiele enthält, von drey ungedruckten Trauerspielen seines Vaters , Heinrich der Fromme, Ibrahim und die Gibeoniten, die in der Ausgabe abgedruckten Gibeoniten sind Uebersetzung nach Vondel und einem Lustspiele, die Fischer; daß die drey ersten bis auf weniges ganz vollendet von ihm 417
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Entstehung
künftig herausgegeben werden sollten, das Lustspiel hingegen sey durch einen Brand bis auf ein fehlerhaftes Concept untergegangen. Wenn diese Stücke nie im Druck erschienen sind, und ich schließe es, da ich sie in keiner der größeren Bibliotheken Deutschlands gefunden (ungeachtet diese an deutscher a l t e r Literatur meist am ärmsten sind), so giebt es doch wahrscheinlich noch Abschriften davon und andere schriftliche ungedruckte Ueberbleibsel dieses großen Mannes und seines merkwürdigen wandernden Lebens in seinem Geburtslande Schlesien; wir bitten alle Freunde der Kunst, die davon Kenntniß erhalten können, recht angelegentlich, dies entweder der Welt durch den Druck oder uns schriftlich (übersendet an die Mohr und Zimmersche Buchhandlung) zur Ansicht und Benutzung mitzutheilen. Es sind diese 63 ungedruckten Stücke vielleicht die späteren gelungensten Arbeiten dieses Dichters, der uns oft an Shakespeare erinnert, den er doch wahrscheinlich nur aus ihrer und ganz Europa gemeinschaftlichen Quelle der Volksbühne kannte, der aber sicher für die deutsche Bühne ein Shakespeare geworden wäre, wenn er in einer reineren Zeit Deutschlands und in einer größeren gesicherten Hauptstadt gelebt, wo er, wie jener , alle Vorarbeiten der Nationalbühne hätte umfassen und in sich aufnehmen können; aber sein Leben fällt in den schrecklichsten, Deutschland vernichtenden Krieg, wir schließen hierüber mit seinem schönen Sonnete: In meiner ersten Blüt, ach unter grimmen Schmerzen, Bestürzt durchs scharfe Schwerdt und ungeheuren Brand, Durch liebster Freunde Tod und Elend, als das Land, In dem ich aufging, f i e l , als toller Feinde Scherzen, Als Lasterzungen Spott mir rasend drang zu Herzen, Schrieb ich dies, was du siehst, mit noch zu zarter Hand, Zwar Kindern als ein Kind, doch reiner Andacht Pfand. Tritt Leser nicht zu hart auf Blumen erstes Märzen, Hier donnert, ich bekenn, mein rauher Abas nicht, Nicht Leo, dem das Herz an dem Altare bricht, Der Märtrer Heldenmuth ist anders wo zu lesen; Ihr, die ihr nichts mit Lust, als fremde Fehler zählt, Bemüht euch ferner nicht: Ich sag es was mir fehlt, Daß meine Kindheit nicht gelehrt, doch fromm gewesen. H e i d e l b e r g , März 1808. Ludwig Achim von Arnim. 418
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Zeugnisse EZ 1–7
EZ 2: Arnim an Clemens Brentano, 10./11. April 1808
Meine Einsamkeit macht mich zu allerley Unternehmung rüstig, so habe ich eine Alte deutsche Bühne angekündigt, mit einer Auswahl aus Andreas Gryphius eröffnet. EZ 3: Jacob Grimm an Arnim, 6. Mai 1808
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Lange habe ich an nichts so viel Vergnügen gehabt, als an Ihrem Vorhaben mit Gryphius, aber war denn nicht auch die Probe aus Cardenio von Ihnen, welche Sie in der Anzeige verleugnet haben? Ich habe neulich einen Gedanken über den Gryphius gehabt, den ich aber doch erst näher untersuchen will, eh ich ihn Ihnen schreibe. Uebrigens hat er mit Ihrer Herausgabe gar keine Verbindung, in der Ankündigung stand auch von Schurh gedruckt, das wird wohl Schoch haben heißen sollen. EZ 4: Johann Gustav Gottlieb Büsching an Arnim, August 1808
Warum verzögert sich Ihr Wunderhorn und Ihre Altdeutsche Bühne so? EZ 5: Arnim an Clemens Brentano, 22. Oktober 1808
Ueber den Schelmufsky ist noch nicht entschieden, Zimmer ist allzu verthan in einem Geschäfte, das eigentlich über seine Kräfte geht, auch vom Gryphius ist noch nichts gedruckt, woran auch die ungewisse Dauer meines Hierseyns schuld. EZ 6: Arnim an Wilhelm Dorow, 3. Februar 1809 (Dorow 1842, S. 94–95)
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Wissen Sie vielleicht einen vollständigen Hans Sachs, alle fünf Bände? Ueberhaupt würde ich sehr dankbar sein, wenn Sie Ihre Bekanntschaft mit den Büchern und Alterthümern Ihrer Stadt mir zuweilen durch Mittheilung einiger Notizen nützlich machen wollten; ich sammle altdeutsche Sachen, besonders ältere Romane und Comödien, aber beides vor 1750. EZ 7: Arnim an Johann Georg Zimmer, 22. April 1809
An die alte, deutsche Bühne denken Sie wohl nicht mehr? Lassen Sie Sich ja nicht dadurch binden, daß Sie es mir einmal zugesagt, wenn 419
Entstehung
Sie keine Erwartung vom Absatze haben, es soll eigentlich kein Buch gedruckt werden, das sich nicht verkauft, um etwas vor dem Untergange zu bewahren sind Abschriften hinlänglich und das ist bey unsrer ältern Bühne noch gar nicht nöthig. Lasst uns den Krieg abwarten doch in dem Verhältnisse, daß wenn ich inzwischen einen Verleger finde, der Lust zu dem Unternehmen hat, mich die frühere Verabredung nicht bindet. –
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EZ 8: Johann Georg Zimmer an Arnim, 17. Juni 1809
Wegen der altdeutschen Bühne bin ich mit Ihrem Vorschlag ganz einverstanden. Kommen beßre Zeiten u. Sie haben es noch keinem andern übergeben dann drucke ich es mit Lust. EZ 9: Wilhelm Dorow an Arnim 20. September 1809
Einer meiner Bekannten besitzt Opus Theatricum. Dreyzig ausbündige schöne Comedien & Tragödien von allerhand denckwürdigen alten römischen Historien u andern politischen Historien – Gedichten, sampt noch andern 36 schönen lustigen & kurzweiligen Fastnacht oder Possen Spielen, durch Jacobum Ayrer. Nürnberg 1618. fol: (5.) Sollten Ihnen davon einige Comedien noch unbekannt seyn, so kann ich Ihnen davon Abschriften besorgen. –
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EZ 10: Arnim an Wilhelm Dorow, 11. Oktober 1809 (Dorow 1842, S. 97)
Den Ayrer möchte ich gern kaufen und besitzen, ungeachtet ich ihn von einem Freunde leicht geliehen erhalte. 〈...〉 Auf ein Paar Bücher möchte ich Sie noch aufmerksam machen, vielleicht stoßen Sie zufällig darauf, 1) Angeli seraphischer Wandersmann, 2) englische Komödien, 3) Taulers verschiedene Schriften, 4) Oettingers, Werke. Wenn Sie etwas davon finden, wird es Sie für alles schlechte Wetter in der Welt entschädigen.
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EZ 11: Wilhelm Dorow an Arnim, 7. November 1809
Schon längst würde ich auf Ihren lieben Brief mit dem Grafen Brühl geantwortet haben, wenn ich nicht gewünscht hätte Ihnen zugleich das Bestimmte wegen dem Ayrer mitzutheilen. Ich habe selbigen für Sie erhalten zum Preis von f – 8. – für welches Geld Sie vielleicht gelegentlich mir ein alten Kupferstich oder Holzschnitt von Dürer pp senden können. 〈...〉 Soll ich Ihnen den Ayrer mit der fahrenden Post schicken? – 420
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Zeugnisse EZ 7–15
EZ 12: Wilhelm Grimm an Jacob Grimm, 13. November 1809 (Schoof 1963, S. 175)
Eine große Anzahl Erzählungen, Lustspiele und dergl. hat Arnim noch vorrätig, daß glaub’ ich kein Dichter von solcher Produktion lebt. EZ 13: Arnim an Wilhelm Dorow, 25. November 1809 (Dorow 1842, S. 98)
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Lieber Dorow! Vielen, vielen Dank für den Ayrer, es ist ein Hauptbuch, das zwar hier in der Stadt bei Bekannten zu finden, das ich aber schon lange selbst zu besitzen wünschte, auch ist der Preis von acht Florenen sehr billig; ich habe in den beigefügten alten Holzschnitten und Kupferstichen ihn zu ersetzen gesucht, ich wünsche, daß Sie damit zufrieden, die Unterschriften werden Ihnen das Nähere darüber sagen, sollten Sie aber einige davon schon besitzen, so wäre es leicht, sie gegen andere auszutauschen. Wenn Sie irgend eine sichere Gelegenheit finden, das Buch hieher zu senden, so wäre es mir lieber als die Post, die wirklich sehr theuer ist; ich dächte, daß bei der wahrscheinlichen Abreise des Königs viel Frachtwagen hieher abgesendet werden müssten, auf denen es wohl angebracht werden könnte; dem Meere möchte ich es aus Furcht vor den Engländern nicht anvertrauen, selbst wenn sich dazu Gelegenheit fände; die Post bleibt immer als letztes Mittel übrig. EZ 14: Wilhelm Dorow an Arnim, 22. Dezember 1809
Den Ayrer werden Sie hoffentlich schon durch den Grafen Brühl, welchen ich herzlich grüße, erhalten haben. EZ 15: Arnim, Titelaufriß (GSA 03/75), vmtl. gegen Ende des Jahres 1809
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Alte deutsche Bühne. Erster Bande. Kleinere Lustspiele, auf Puppentheatern aufführbar. Alte Englische Theater Ein lustig Pickelheringsspiel. Das zweyte mit dem Stein Maria vom Spittelmarkt und der alte Hahnrey Das Narrenschneiden von HansWurst Peter Squenz. Hans Pfriem prosaisch aufgelöst und abgekürzt Gespräch von der Trag Joh Hussen 421
Entstehung
vom vierten Akt Jüdische Komödie bey Schudt Der schlimme Causenmacher Leipzig 1701 Die beyden David und Goliath der Schweizer kurz ausgezogen 〈Posamentier〉 deposition Die Landsknechte, die nach 〈xxx〉 〈xxx〉 noch in die Hölle kommen Jann Posset Zum Schluß schickt er die Frau mit dem Brief des Friedrich an den alten Emmrich, worin ihm Prügel verheissen, unter dem Vorwand fort, er 〈xxx〉 sein Trinkgeld der bestellt sein zwy 〈Bedienten〉 wird aus dem vorigen Stück genommen sie meint daß sie hingerichtet werden soll und verwundert sich daß alles gut abgegangen
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EZ 16: Arnim an Wilhelm Dorow, 8. Februar 1810 (Dorow 1842, S. 103)
Lieber Dorow! Sowohl den Ayrer durch Graf Brühl, wie auch Ihr späterer an literarischen Notizen so reichhaltiger Brief sind in meinen Händen, für beide sage ich Ihnen meinen Dank; da ich Ihnen ein Paar Holzschnitte gesendet habe, die Sie doppelt erhalten, so werde ich Ihnen nächstens einige andere nachsenden, daß Sie für Ihre gütige Besorgung nicht am Ende gar noch Schaden haben. Da jetzt Stägemann hier ist, so kann ich Ihnen alle baare Auslagen leicht übermachen und so erstlich Sie wieder bemühen.
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EZ 17: Anzeige in Halle und Jerusalem (Arnim 1811, S. 1–2)
Anzeige Die frühere dramatische Bearbeitung der italiänischen Novelle, die einen Theil der Begebenheiten dieses Schauspiels geliefert hat, von dem alten deutschen Dichter Andreas Gryphius, wird im ersten Band meiner Alten deutschen Bühne erscheinen, die gänzliche Verschiedenheit meiner Bearbeitung von der seinen, rechtfertigt mich über die Wahl derselben Erzählung; wenn ich sehr weit zurückgeblieben bin hinter der Vollendung jenes alten Meisters, der zu groß ist, als daß ich gegen ihn eine Art literarischer Nebenbuhlerei hätte ausüben wollen, so hatte ich dagegen manches mir und der Zeit Eigenthümliche mitzutheilen, was ich nach Form und Inhalt nicht zu leicht und nicht zu schwer zu nehmen bitte. Ich wiederhole bei dieser Gelegenheit eine frühere Bitte an Freunde der Literatur, mir ältere, weniger bekannte Schauspiele zur Ansicht und Benutzung, oder käuflich zu übersenden, und verpflichte mich ihnen zu ähnlichen Gefälligkeiten. 422
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Zeugnisse EZ 15–21
EZ 18: Arnim an Jacob und Wilhelm Grimm, 19. November 1811
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Diesem Doktor Thomas habe ich Euch vorläufig bekannt gemacht, er ist Archivar, so könnt Ihr ihm schreiben, es ist keine Verwechselung der Briefe möglich, er hat alle Bibliotheken hier unter sich und manches Altdeutsche gefunden, unter andern eine sehr schöne Abschrift des Heldenbuches, in langen Zeilen, worin es sich vortrefflich lesen läßt, es geht aber nur bis zum Rosengarten. Ferner ein Mpt des Renner, der sieben weisen Meister. Dies letztere hat er in einer eignen Art abgeschrieben, nämlich blos das Leere der Orthographie geändert, aber alle alte Sprachformen beybehalten, ich sagte ihm meine Meinung darüber, daß, wenn er es herausgebe, so möchte er es lieber wie Brentano den Goldfaden behandeln, das heißt, unsern heutigen Dialekt ganz einführen, nur da, wo sich aus dem Alten manches uns glücklich naturalisirt, das Alte etwa mit einer eingeklammerten Erklärung beybehalten, er würde gern auch von Euch darüber hören, auch von den Ausgaben der sieben Meister und Handschriften, es ist ein sehr junger Mann, der aber sehr verständig ist, noch fehlts ihm etwas an Hülfsmitteln. EZ 19: Arnim an Friedrich Carl von Savigny, 2. Januar 1812
Von meiner Frau habe ich das theat: Europ, ein und zwanzig Folianten zum Weihnachten bekommen, ein herrliches Buch, ich habe ihr Korallen geschenkt; wir haben uns jeder ausgesucht, was wir haben wollten, auch manches andre gute Buch beschwert meine Kiste 〈...〉. EZ 20: Arnim an Johann Georg Zimmer, 1. März 1812
Ich bin gewaltig in der Presse, zwey Bücher erscheinen von mir Ostern, das eine hoffe ich soll die Aufmerksamkeit auf Halle und Jerusalem wieder lenken. EZ 21: Arnim an Jacob und Wilhelm Grimm, 4. März 1812
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Ich hätte Euch schon lange meine glückliche Ankunft gemeldet aber es belagerten mich Geschäfte, auch kommen zwey Bücher von mir zur Ostermesse, Erzählungen und Alte deutsche Lustspiele, welche künftig den ersten Band meiner Alten deutschen Bühne bilden soll. Wenn ihr artige kurze Lustspiele noch wißt nennt sie mir, freilich habe ich diesen Band schon übers Doppelte voll indessen bin ich noch immer mit Auswählen beschäftigt. 423
Entstehung
EZ 22: Arnim an Wilhelm Grimm, 5. April 1812
Meine Novellen werden wohl noch zu Ostern fertig, das alte Theater ist aber bis nachher ausgesetzt, seht doch zu, daß Ihr mir noch etwas dafür schafft. – EZ 23: Arnim an Clemens Brentano, 16. April 1812
Den Band Erzählungen, der eben von mir erschienen, habe ich dem Reimer in der Art überlassen daß ich vom Verkauf einer gewissen Zahl Ex. ein Gewisses habe, also für jezt noch nichts, eben so mit meiner altdeutschen Bühne. Ich habe für die Urania eine wunderliche Geschichte halb in Prosa, halb in Versen geschrieben, die Savigny gut gefallen; ich fürchte aber, sie trift zu spät ein, ausserdem noch mancherley, auch dramatisches, was erst noch reifen soll, ich will mich in nichts mehr übereilen.
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EZ 24: Jacob Grimm an Arnim, 6. Mai 1812
Zu deinem altd. Theater ist hier nichts aufzutreiben, soll aber nichts versäumt werden, um noch einigem auf Spur zu kommen. Dein altes Buch (7 weise Meister, Peter von Staufenberg pp) habe ich deiner Erlaubnis nach neulich an Thomas nach Frankfurt gesendet, der es dir also zurückschicken muß.
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EZ 25: Arnim an Clemens Brentano, 16. Januar 1813
Wirklich habe ich viel vorzulesen, ich habe meine Johanna zu ungeheurer Dicke in gereimten Jamben fertig, da mir aber Reimer gesagt hat, daß Verse keinen sonderlichen Absatz haben, so wird täglich eine gewisse Zahl in Prose zusammengezogen, aus Drama in Erzählung. Gewiß ists, es hängt sich viel Unnützes in der Reimlust an, es beschreibt sich so manches, die Leutchen singen so vieles, was andern gleichgültig ist. Dagegen bewährt sich mir immer mehr die Erfindung der unbestimmten Jambenzeilen wie in Halle und Jerusalem versucht ist und die ich auch in einer andern dramatischen Arbeit durchgeführt habe, so wie fürs Lustspiel die Prose mir immer einleuchtender wird.
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Zeugnisse EZ 22–26
EZ 26: Arnim an Friedrich Christoph Perthes, 3. Februar 1813
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Ein gemeinschaftlicher, sehr geehrter Freund, Herr Gst. Niebuhr erzählte mir zufällig im vorigen Herbste, daß meine Erzählungen Ew Wohlgeboren einige Freude gemacht, daß Sie mit Lob davon gesprochen hätten. Da ich alle Gaben des Zufalls immer hochachte und wohlbewahre, so erinnerte ich mich dieses Beyfalls in diesem Augenblicke, wo eine Verlagsangelegenheit mich in einige Besorgniß setzte und ich beschloß Ihnen den Fall vorzutragen. – Wie andre bey schlechter Geldzeit in die Lotterie setzen, so hatte ich den Selbstverlag einiger meiner liebsten Arbeiten unternommen, Papier gekauft, den Druck behandelt, als das Edickt wegen des Papiergeldes eintrat und unserm inländischen Verkehr auf allen Seiten droht. Hiesige Buchhändler befinden sich in derselben Unbequemlichkeit wie ich selbst, ich ersehe daher nur bey Ausländischen eine Möglichkeit mich aus der Sache heraus zu ziehen. Der Inhalt des unternommenen Buchs ist folgender 1) Jann’s erster Dienst. Eine Posse. 2) Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. Ein Schauspiel in drey Handlungen 3) Der Auerhahn. Eine Geschichte in drey Handlungen 4) Mißverständnisse. Ein Lustspiel. 5) Die Päpstin Johanna, ein Mährchen in fünf Perioden. Dieses letztere Werkchen ist die Hauptarbeit und da es hin und wieder etwas ernst spricht, so habe ich die ersten kleineren Stücke als Schwimmgürtel von allgemeiner unterhaltender Art darangebunden, daß die Lesebibliotheken gegen die Beschaffenheit nichts einzuwenden haben. Eine Probe dieses Stücks findet sich im zweyten Bande meines Buchs von der Gräfin Dolores (Berlin, Realschule 1810). Doch hat sich im dort verzeichneten Plane sehr viel verändert. 〈...〉 Bey dem Drucke hatte ich auf 500 Ex gerechnet, es sollten bey engem Druck in groß Oktav 25 Bogen werden. Das Papier, der Ballen zu 25 rt macht 75 rth. Der Druckbogen zu 5 rt 4g behandelt 131 rt 4g. Die Summe der Kosten 206 rt 4g Pr. Cour. Der Druck soll zu Ostern beendigt seyn. Sind Sie geneigt diese Kosten daran zu wenden, so bin ich bereit Ihnen meine literarische Lotteriehoffnungen unter der Bedingung zu überlassen, daß Sie wenn über eine gewisse Zahl Ex: verkauft mir ein von Ihnen festzusetzendes Honorar zu zahlen, wogegen ich es übernehme, wenn in einem Jahre die Unkosten nicht gedeckt sind, Ihnen einen zu bestimmenden Theil zu vergüten. Wollen sie andre Bedingungen, so bin ich auch bereit, so weit es mir möglich, 425
Entstehung
darauf einzugehen, hauptsächlich wünschte ich, der ich nichts von Handlung verstehe, mich ohne Schaden aus der Speku〈la〉zion zu ziehen, wenn ich auch dies Jahr umsonst gearbeitet hätte, es bleibt dennoch ein gutes Jahr. Sehr angenehm wäre es mir, Ihren Endschluß bald zu vernehmen. Hochachtungsvoll Berlin d 3 Feb 1813 Ludwig Achim von Arnim Wilhelmstrasse N 78
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EZ 27: Friedrich Christoph Perthes an Arnim, vmtl. 11. Februar 1813
Sehr angenehm war mir von Ihnen einen Brief der mir Vertrauensbeweiß, zu erhalten; ich bin für die Veranlassung Herrn Niebuhr sehr dankbar. Ich habe Ernst genug um Spaß zu verstehen und das Glück daß mir bey einem ziemlich reichen und bunten Leben ein herzliches Ergötzen am kindlich Einfachen verblieben ist – dies sey zum Beleg meines Geschmacks an Ihren Schriften und des Selbstlobes genug. Hiermit wäre dann aber auch leider alles Gute in diesem Brief beendigt, denn ich muß Ihnen abschläglich antworten auf Ihr gütiges Anerbieten. Risico wäre bey den Bedingungen die Sie machen nicht, ich getraue mir aber in diesem Kriegs- und Papier-Geld Jahr nicht über hundert Thaler zu disponieren, ich bin nicht reich und mein Wohlstand hängt vom Wohlstand des Publikums ab.
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EZ 28: Arnim an Johann Erich Biester, 27. Mai 1813
Ew Wohlgeboren sende ich einliegenden Abdruck der censirten Komödien (in Abwesenheit des H. Reimer) sammt den 1 rth 15 gr Censurgebühren für die 19 ½ Bogen. Ew Wohlgebohren Berlin 27 May ergebener 1813 L. Achim von Arnim Den richtigen Empfang dankbar bescheinigend J Biester 29 Mai 813
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Zeugnisse EZ 26–31
EZ 29: Arnim an die Hauptleute des 7. Landsturmbataillons im Juni 1813, Landsturmakten
〈...〉
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keinem sey durch Vertheilung vorgeschrieben was er giebt, ungeachtet dann freilich kaum 8 gh auf den Mann kämen, der Beytrag sey ganz freywillig, denn wir hoffen für die Freyheit. Ich schenke zum Behufe dieser Kanonenanfertigung die Einnahme von 400 Exp. meiner Sammlung von zehn kleinen Lustspielen die zu Aufheiterung unsrer alzuernsthaften besorglichen 〈Militairs〉 bestimmt sind die auf meine Kosten gedruckt in der Realschulbuchhandlung soeben erscheinen wird. Der Ladenpreis ist 1rh. Sollte der Einkauf gelingen so wären freilich die meisten Kosten schon dadurch gedeckt, aber diese Einnahme kann nur allmählich eingehen und es bedürfte immer eines Vorschusses weil die Ausgabe nahe bevorstehend wäre, es sey denn das einer der H. Schmiede oder Stellmacher unsres Bezirks dem Batallion Credit schenken sollte, noch leichter vermöchte 〈xxx〉 einer der reicheren alteren Manner die durch ihr Alter von dem Dienste des Landsturm nicht verpflichtet sind, aber durch sie geschützet werden. EZ 30: Der Preußische Correspondent, Nr. 47, Montag den 21. Juny 1813
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Mögen diese kleinen, meist lustigen Stücke etwas zur Erheiterung besorgter Gemüther beitragen; ihr ernster Zweck ist, durch die Einnahme das Anschaffen von Kanonen für das siebente Bataillon des hiesigen Landsturms zu erleichtern, dem sie der Verfasser, auf dessen Kosten sie gedruckt sind, zum Geschenk gemacht hat. Ladenpreis 1 Thlr. Courant. EZ 31: Arnim an Friedrich Schlegel, 3. August 1813
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Manche Versuche mich in einer neuen Laufbahn thätig zu zeigen haben meine Zeit aufgezehrt, mit vielem Exercieren hatte ich die Stelle eines Vicebatallionschef im Landsturm erreicht, als wir als nunmehr überflüssig entlassen wurden, Sie sehen daraus, dass man sich bey uns sehr sicher glaubt. Die einliegenden Stücke hatte ich zur Anschaffung von Kanonen für den Landsturm auf meine Kosten drukken lassen, jetzt sind sie mein Eigenthum geworden und ich wünsche, daß Ihnen mein Geschenk gefalle. 427
Entstehung
EZ 32: Arnim an Friedrich Wilken, 29. November 1813 (Steig 1902, S. 281–282)
Ich habe einen Band Schaubühne in der Realschulbuchhandlung herausgegeben, ich sende ihn nächstens, da er in der Zeit der gänzlichen Abtrennung vom übrigen Deutschlande erschien, so wäre mir eine baldige Anzeige in den Jahrbüchern sehr viel werth, sie wurden auf meine Kosten in der Absicht gedruckt, einem Landsturmbataillon Kanonen zu schaffen.
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EZ 33: Preußischer Correspondent Nr. 151. Montag, den 20. Dezember 1813
Allgemeiner Anzeiger. In der Realschul-Buchhandlung, Kochstraße No. 16. sind nachstehende Bücher zu haben: 〈...〉 v. Arnims Schaubühne, 1ster Band, gr. 8. 1 Rthl.
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EZ 34: Arnim an Georg Andreas Reimer, 2. April 1815 (Stargardt Kat. 625, S. 26, Nr. 80)
Ich sende Ihnen 50 Exemplare meiner Schaubühne, die ich damals beym Druck zurückbehalten hatte, um sie zu dem damaligen Landsturmzwecke abzusetzen. Nachher verging mir die Lust, so sind sie bey mir liegen geblieben. Ich hoffe nach der Messe eine kurze Notiz von Ihnen durch Savigny erhalten zu können, wieviel meine Einnahmen von den Novellen und wie viel von der Schaubühne bis jezt beträgt. EZ 35: Arnim an Wilhelm Grimm, 25. November 1815
Meine Schauspiele sind nirgends angezeigt, sonst gäbe ich, wären sie gegangen, einen Band besserer heraus. EZ 36: 〈Arnims Rezension zu〉 »Deutsches Theater.« Herausgegeben von Ludwig Tieck. 1ster und 2ter Band (Berlin, 1817, Realschulbuchhandlung), in: Arnim 1818b, S. 515
Es sind nun über zehn Jahre, als ich selbst eine Sammlung alter deutscher Theaterstücke unter dem Titel: »Alte deutsche Bühne« ankündigte, auch manche willkommene Aufmunterung dazu von verschiedenen Seiten erhielt. Aber die unruhige Zeit verschob das Unterneh428
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Zeugnisse EZ 32–37 5
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men, das keinen Vorteil auch in der leselustigsten Friedenszeit zu versprechen schien, von einer Messe zur andern, und wird jetzt durch das vorliegende Werk eines hochgeehrten Freundes unausführbar gemacht. Ich sage dem Herausgeber dafür meinen aufrichtigen Dank und freue mich, meines Versprechens und meiner Vorsätze und mancher dabei notwendigen unbequemen Nachsuchung entlassen zu sein. Zwar ist dieses deutsche Theater nur eine Auswahl dessen, was ich als charakteristisch für die Entwickelung der deutschen Bühne aufgefunden hatte, ja, eine andre Ansicht und andre geschichtliche Notizen könnten noch Manches als bedeutend und folgereich darstellen, was hier übergangen ist; aber gewiß hätte ich von dem Mitgeteilten nichts auslassen dürfen; es ist hier gewissermaßen die Sahne abgeschöpft, wer mag die dazu gehörige geronnene saure Milch nachessen? EZ 37: Briefentwurf von Arnim an Ludwig Tieck, ca. 1818
An Tieck Sie haben mir die Mühe abgenommen, meine alte deutsche Bühne herauszugeben und so übergebe ich Ihnen die Mühe üb〈er〉 ein Stück.
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Die Entstehungsgeschichte der Schaubühne (1813) Pläne, Sammeltätigkeit und Vorarbeiten Die Entstehungsgeschichte der Schaubühne ist geprägt von Arnims langjähriger Bemühung um die Herausgabe altdeutscher Dramen in mehreren Bänden. Der erste Band sollte den Titel Alte deutsche Bühne tragen. Dieses nie realisierte Vorhaben stellt den Ausgangspunkt für die Konzeption der Schaubühne dar. Der Titel »Schaubühne« tritt erstmalig bei Erscheinen der Dramensammlung im Juni 1813 auf. Das Werk, in dem alte Stoffe und dramatische Vorlagen eine starke inhaltliche Bearbeitung erfahren, geht aus der 1808 begonnenen Planung der Alten deutschen Bühne hervor, einer an philologischen Prämissen orientierten Edition. Die Entwürfe zu diesem Vorhaben, das Arnim immer wieder nach hinten verschiebt, erlauben einen genauen Einblick in seine dramatischen Pläne und deren Realisierung zwischen 1808 und 1813. Arnims Interesse an alter deutscher Dramatik läßt sich bis ins Jahr 1802, die Entwicklung eines Konzepts zur Veröffentlichung von Stücken aus dem 16.– 18. Jh. bis 1808 zurückverfolgen. Anregungen, selbst Dramen zu verfassen, erhält Arnim vmtl. durch seine zahlreichen Theaterbesuche in Deutschland und während seiner Reise (1802/1803) durch Österreich, die Schweiz, Frankreich und England. In seinem vielzitierten Brief vom 9. Juli 1802 an Clemens Brentano, der die Skizze seines großen Lebensplan〈s〉, ein utopisches Programm zur Ausbildung einer volksnahen Musik und Dichtung, enthält, bezieht Arnim auch die Schauspielkunst in seine Überlegungen mit ein. Indem er mit Brentano die in den höheren Ständen verlornen Töne der Poesie dem Volke zuführen will (FDH 7345), plant er die Errichtung einer Schule für Bänkelsänger und den Bau von Sängerherbergen in den Städten, in denen auch die Schauspielkunst gelehrt werden soll (vgl. ebd.). Die Umsetzung dieser kostspieligen und idealistischen Visionen verwirklicht er wenigstens zu einem kleinen Teil gemeinsam mit Clemens Brentano durch die Herausgabe der dreibändigen Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (Wh; 1806–1808). Das Wh enthält »alte Volkslieder«, die von Arnim und Brentano bearbeitet sind. Beide modifizieren
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Pläne, Sammeltätigkeit und Vorarbeiten
ihre Quellen durch das Hinzufügen archaischer und romantischer Elemente. In manchen Fällen arbeiten sie sogar Prosatexte zu Liedern um. Ähnlich wie in der Schaubühne beabsichtigt Arnim keine philologisch exakte Edition alter Texte. Hinter der Herausgabe des Whs steht ein künstlerisches, poetologisches Programm, das sich eng an Arnims Selbstverständnis als Dichter knüpft. Er will in seiner Funktion als Poet nicht nur auf das Volk wirken, sondern ihm auch dienen. Indem er die »alte«, doch zugleich immer für die Gegenwart aktualisierte bzw. modifizierte Literatur neu zum Leben erweckt, versucht er verstärkt ab 1806, nachdem Preußen von Frankreich besetzt ist, ein Gegenbild zur politischen Zersplitterung Deutschlands zu zeichnen. Mit Hilfe der alten deutschen Volkstradition will er ebenso die gesellschaftliche Fragmentierung überwinden, die sich in »der Entfremdung von Volk und Regierung, der Auseinanderentwicklung der verschiedenen Klassen 〈und die damit einhergehende Erstarkung des gebildeten Bürgertums〉, der Kommerzialisierung des Lebens und der damit verbundenen Unterdrückung der Freiheit« (Knaack 1976, S. 24) äußert. Arnim spricht der volkstümlichen Kunst, die vor Jahrhunderten in den unteren Gesellschaftsschichten entstanden ist, das politisch-soziale Potential zu, die in seiner Zeit stark zurückgegangene Volksthätigkeit (Arnim 1806, S. 444) zu einem Aufschwung anzuregen. Die Volksthätigkeit ist in Arnims Verständnis ein »ahistorisch-transzendente〈r〉 Begriff, dessen Überzeitlichkeit sich paradigmatisch in den Volksliedern ausdrückt« (Nitschke 2004, S. 65).1 Arnims Ziel ist die Etablierung eines nationalen Selbstverständnisses aller Deutschen.2 Am Ende der Entwicklung soll auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Kultur die Gründung eines Nationalstaates stehen. Eine solche Idee artikulierte bereits Johann Gottfried Herder, als er in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität forderte, die Deutschen müßten den nationalen 1
So beschreibt Arnim das passive Verhalten seiner Zeitgenossen in seinem Aufsatz Von Volksliedern: Seit ich denken kann, merke ich einen immer langsameren Gang menschlicher Thätigkeit 〈...〉.; die meisten springen von ihrem Geschäfte ab, wie dürres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu der Einigkeit der Welt mit sich vor, wo eines sie erfüllen und befriedigen kann, das sind die sehnenden, wähnenden Embryonen von Menschen, wenigen ist Jugend, wenigen Alter (Wh I, S. 444). 2
Clemens Brentano bestärkt den Freund in einem Brief vom 8. Mai 1805 in seinen Be-
Ich glaube es könnte dir nichts so herrlich gelingen, als ein Plan zu Volks Einheit, und eine stille würkende Gesellschaft dafür, die Sache müßte sich leise anspinnen und nach und nach mächtig alles in sich ziehen und laut werden, dein teutscher Sinn könnte nicht göttlicher mächtiger wirken, als in der Erfindung eines geheimen Plans in deinem Vaterland eine mächtige Nation zu bilden, die leben, siegen, und sterben könnte (Hs UB Heidelberg). strebungen:
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Entstehung
Stolz aufbringen, sich nicht von anderen einrichten zu lassen, sondern sich selbst einzurichten, wie andere Nationen es von jeher thaten (Herder Werke 13, S. 278).3 Das Interesse an altdeutscher Literatur in der Zeit um 1800 knüpft an die Bemühungen Herders insofern an, als dieser u. a. durch seine Untersuchungen des Volksbegriffs oder der Lieder alter Völker die Vergangenheit in unmittelbare Beziehung zur Gegenwart setzte. Seine Veröffentlichung der Volkslieder (1778/1779) umfaßt eine Sammlung von Liedern unterschiedlicher Völker und Zeiten. Eine ähnliche Zielsetzung wie im Wh hat Arnim auch bei der Veröffentlichung seines Erzählzyklus’ Der Wintergarten (1809) sowie bei seinem Plan einer Veröffentlichung alter Stücke im Sinn. Durch die Wiederbelebung alter Dramenstoffe und der damit intendierten identitätsstiftenden ›Bildung‹ des Volkes will Arnim das Theater zum Nukleus einer nationalen Bewegung machen.4 Zeit seines Lebens wendet er sich deshalb kritisch gegen die populären Schauspiele, die auf den deutschen Theatern aufgeführt werden, da diese seiner Meinung nach das Publikum durch ihre Mittelmäßigkeit negativ beeinflussen. 3
Herders Einfluß als Lyriker ist v. a. wegen seiner Nachdichtungen von Romanzen und
Balladen aus spanischen, böhmischen oder persischen Vorlagen prägend für die nachfolgenden Generationen. Der erste, der in der Zeit der Frühromantik die Aufmerksamkeit auf alte Stoffe lenkt, ist Ludwig Tieck mit seinen 1797 veröffentlichten Volksmärchen, in denen
Der gestiefelte Kater und das Märchen Der blonde Eckbert Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeitalter (1803) gelten
u. a. die Märchenkomödie Aufnahme finden. Tiecks
heute als das Pionierwerk der romantischen Erneuerungsversuche. Joseph von Görres publiziert 1807 seinen kritischen Aufsatz über
Die teutschen Volkslieder, in dem er eine
Zusammenstellung von Historien-, Wetter- und Arzneibüchern liefert und jeden angeführten Titel nach Inhalt und Geschichte vorstellt, kommentiert und knapp charakterisiert. Görres’ Intention ist es, das Interesse des Lesepublikums für das alte Volksbuch zu wecken, das
gewissermaßen den stammhaftesten Theil der ganzen Literatur ausmache. Angeregt durch das Wh veröffentlichen die Brüder Grimm nach langjähriger Sammeltätigkeit drei Bände Kinder- und Hausmärchen (1812/1815/1822). Obgleich sie der Herausgebertätigkeit von Tieck sowie Arnim/Brentano mit Skepsis und Kritik begegnen, kommen auch sie nicht umhin, die überlieferten Märchenstoffe zu bearbeiten, was schließlich zum enormen Erfolg der Märchensammlung beitragen sollte. 4
Die Instrumentalisierung des Theaters, um die nationale Einigung zu erreichen, ist auch
Gegenstand der Diskussion im 18. Jh. Die Idee eines Nationaltheaters mit volksbildender Funktion geht bereits auf Johann Elias Schlegel und v. a. auf Gotthold Ephraim Lessing zurück. Lessing äußert sich über die Interdependenz zwischen Nation und Theater folgen-
Wären wir eine Nation, so hätten wir auch ein Theater. Arnim formuliert Von Volksliedern in ähnlicher Weise: 〈K〉ein Volksschauspiel kann entstehen, weil es den Künsten kein Volk giebt (Wh I, S. 443).
dermaßen:
diesen Gedanken in seinem Aufsatz
432
Pläne, Sammeltätigkeit und Vorarbeiten
1808, nach Abschluß des Whs, beginnt Arnim, Pläne zu einer Herausgabe der Schauspiele Andreas Gryphius’ im Rahmen einer mehrbändigen Sammlung zu entwickeln. Für den ersten Band ist der Titel Alte deutsche Bühne bzw. Des Andreas Gryphius Dramatische Werke, nach Auswahl vorgesehen, wie Arnim in seiner Ankündigung und Aufforderung im VI. Intelligenzblatt der Heidelbergischen Jahrbücher bekanntmacht (vgl. EZ 1, S. 416–418). Dieser erste Band soll zur Michaelimesse im Herbst 1808 erscheinen (ebd., S. 416,2). Arnim führt als Begründung für die Herausgabe der Stücke Gryphius’ an, daß sich zwar alte Dramenstoffe in der Gegenwart durch die Aufführung von Puppen- und Fastnachtspielen großer Beliebtheit erfreuen würden, daß aber die alten Dichter, die Gelehrsamkeit und Volksbühnentradition miteinander verbunden hätten, in Vergessenheit geraten seien (vgl. EZ 1, S. 416,7). Gryphius, den er in seiner Bedeutsamkeit für die deutsche Literatur mit Jean Baptiste Racine und Pierre Corneille für Frankreich gleichsetzt, ist Arnims Meinung nach zu unrecht von den Spielplänen der zeitgenössischen Theater verschwunden.5 Mit der Dramenedition beabsichtigt er die Voraussetzung zu schaffen, Gryphius’ Stücke in Zukunft würdig auf die Bühne zu bringen (EZ 1, S. 417,33). Er ruft deshalb die Freunde der Kunst dazu auf, ihm ungedruckte Abschriften bislang unbekannter Stücke von Andreas Gryphius mitzuteilen oder diese selbst der Welt durch den Druck zugänglich zu machen (ebd., S. 418,66–67).6 In den nachfolgenden Bänden seiner Alten deutschen Bühne soll dem Leser mehr Mannigfaltigkeit durch abwechselnde Puppenspiele, Fastnachtspiele, Comödien von Christian Weise7, Schurh8 u. a. m. geboten 5
In diesem Zusammenhang erwähnt Arnim zwei Versuche, den Dramen Andreas Gry-
phius’ in der Zeit nach 1800 zu einer Renaissance zu verhelfen: Johann Friedrich von Meyer, ab 1803 Intendant des Frankfurter Schauspielhauses, bearbeitet 1805 Gryphius’ Stück
Piastus für die Frankfurter Bühne. Von Meyers Bemühungen erfährt Arnim durch Clemens Brentano, vgl. dessen Brief an Arnim vom 2. April 1805 (Hs UB Heidelberg 2110). Sophie
Cardenio (gemeint ist Cardenio und Celinde, oder unglücklich Verliebete, 1657) in ihrer Anthologie Bunte Reihe kleiner Schriften, vmtl. auf Anregung Arnims.
Brentano-Mereau veröffentlicht 1805 ein bearbeitetes Fragment des hier Gryphius’ 6
In Arnims Bibliothek läßt sich die von Christian Gryphius posthum herausgegebene Dra-
mensammlung
Teutsche Gedichte (1698) nachweisen (Arnim-Bibl. B 945), die Arnim in vollständigste〈...〉 Ausgabe der Dramen Andreas Gry-
seinem Artikel auch nennt und als
phius’ bezeichnet (EZ 1, S. 417,51). 7
Die drey ärgsten Ertz-Narren in der gantzen Welt (1673) Wintergarten, indem er die Geschichte mit Elementen aus Christian Reuters Picaroroman Schelmuffsky (1696/1697) verbindet. In Arnims Christian Weises Roman
bearbeitet Arnim für eine Erzählung im
433
Entstehung
werden (EZ 1, S. 417,37–38). In spätere Bände will Arnim auch aktuelle Stücke aufnehmen. Letztendlich soll durch die Darstellung einer Kontinuitätslinie in der deutschen Dramatik gezeigt werden, daß die deutsche Literatur 〈...〉 viel reicher ist als die meisten glauben (ebd., S. 417,40). Besonders interessant und in bezug auf die Schaubühne aufschlußreich ist Arnims Bemerkung am Ende9 seiner Ankündigung, daß es bei der Herausgabe der Dramen Gryphius’ sein Grundsatz sei, so wenig wie möglich zu ändern. Durch vielfache〈s〉 Vorlesen der Texte seien jedoch einige Modifikationen nothwendg geworden (ebd., S. 417,45). Bei der Veröffentlichung der Alten deutschen Bühne verfolgt Arnim demnach keine rein editionsphilologischen Interessen. Von Anfang an plant er – analog zu den Bearbeitungen der Volkslieder im Wh oder den Erzählungen des Wintergartens, wenn auch für die Alte deutsche Bühne in geringerem Maße – Veränderungen an den alten Texten vorzunehmen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Arnim die Eingriffe in Gryphius’ Dramen legitimiert, mag vor dem Hintergrund der heutigen editorischen Praxis verwundern; zu Arnims Zeit, in der sich die universitäre Germanistik überhaupt erst etabliert, ist jedoch eine rein philologische Edition alter deutschsprachiger Texte noch unüblich, auch wenn sich der philologisch exakte UmBibliothek lassen sich zwei Titel nachweisen, die jeweils drei Dramen Weises enthalten (Arnim-Bibl. B 978; B 980). 8
Jacob Grimm bezieht sich in seinem Brief vom 6. Mai 1808 an Arnim auf dessen Artikel
Intelligenzblatt und räumt ein, den Namen »Schurh« nicht einordnen zu können: in der Ankündigung stand auch von Schurh gedruckt, das wird wohl Schoch haben heißen sollen (EZ 3, S. 419,6–8). Damit ist der Dichter Johann Georg Schoch gemeint, dessen einzige dramatische Dichtung, die Comoedia Vom Studenten-Leben, 1657 erim
schien. 9
Ankündigung abgedruckte Sonett Gryphius’ ist der zweiten Sonn- und Feiertagssonette (1657) entnommen. Arnim modernisiert die
Das zum Abschluß seiner
Fassung der
Orthographie und greift lediglich in der 10. Verszeile in den Text ein, der ursprünglich lautete:
Nicht Leo, dem das Herz auff dem Altare außbricht (Andreas Gryphius, Ge-
samtausgabe der deutschsprachigen Werke, hg. v. Marian Szyrocki, Hugh Powell. Bd. 1. Sonette, hg. v. Marian Szyrocki. Tübingen 1963. (Neudrucke deutscher Literaturwerke.
Nicht Leo, dem das Herz an dem Altare bricht EZ 1, S. 418,88). Durch die vorgenommenen Änderungen wird der metri-
Neue Folge 9), S. 243), während es bei Arnim heißt:
sche Fluß der Verszeile gefälliger. Vmtl. bezieht sich Arnims Hinweis auf vorgenommene Änderungen in den Dramen auf vergleichbare ›Verbesserungen‹. Das Gedicht soll Gryphius’ literarische Bedeutsamkeit zum Ausdruck bringen und dient Arnim außerdem als Erklärung, warum der Barockdichter in seinem dramatischen Schaffen nicht die Bedeutsamkeit Shakespeares erreichte. Den Grund dafür sieht Arnim in den Kriegswirren des Dreißigjährigen Kriegs, die Gryphius’ Leben überschatteten (vgl. EZ 1, S. 418,68–73).
434
Pläne/Alte deutsche Bühne und Schaubühne
gang mit alten Texten in der klassischen Philologie längst durchgesetzt hat. Zudem sind die Editoren altdeutscher Werke um 1800 meist nicht universitär gebunden, sondern selbst Dichter, »denen die Anwendung philologischer Verfahren als Beschneidung eigener Kreativität gelten konnte« (Martin 2000, S. 132). Entsprechend schreibt Arnim in seiner unveröffentlicht gebliebenen Rezension zu Clemens Brentanos Bearbeitung von Jörg Wickrams Goldfaden (1809):
Wahrlich nicht ohne Mühe überwindet sich die eigne Tätigkeit, die nur im Eigensten ihre Befriedigung findet, sich der Abschrift und geringfügigen Berichtigung fremder Wortfügungen hinzugeben (Werke 6, S. 282). Die in der Ankündigung erwähnten Veränderungen an Gryphius’ Texten beziehen sich lediglich auf solche geringfügigen Berichtigung〈en〉 fremder Wortfügungen bzw. auf metrische Inkongruenzen, die beim lauten Vorlesen als störend empfunden und deshalb getilgt werden. In den Dramenadaptionen der Schaubühne von 1813 nimmt Arnim dagegen erhebliche inhaltliche Änderungen gegenüber seinen Vorlagen vor, kürzt längere Passagen und weicht v. a. gegen Ende stark von den Originalstücken ab. Alte deutsche Bühne und Schaubühne sind deshalb – auch wenn die beiden Begriffe in einer späteren Arbeitsphase von Arnim synonym verwendet werden – zwei verschiedene Projekte, wobei die Konzeption der Schaubühne wohl erst durch die Pläne zur Herausgabe der Alten deutschen Bühne angeregt wurde. Aus diesem Grund wird im folgenden weiterhin neben der Darstellung der Entstehungsgeschichte der Schaubühne auf Arnims editorische Pläne in bezug auf die Alte deutsche Bühne eingegangen.
Alte deutsche Bühne und Schaubühne: Entwürfe zwischen 1808 und 1813 Im April 1808 hält sich Arnim in Heidelberg auf und berichtet Clemens Brentano, daß ihn seine Einsamkeit 〈...〉 zu allerley Unternehmung rüstig mache (EZ 2, S. 419,1). Dabei scheint er die Herausgabe der GryphiusDramen im Sinn zu haben, denn er weist in seinem Brief auf die Ankündigung im VI. Intelligenzblatt hin. Vmtl. hindert ihn die Überwachung der Druckausgabe des dritten Wh–Bandes und die Arbeit an der ZfE, die als Buch noch im gleichen Jahr erscheint, an der Realisierung seines Vorhabens. Fast sechs Monate später, am 22. Oktober 1808, schreibt er dem Freund, daß vom Gryphius 〈...〉 noch nichts gedruckt sei (EZ 5, S. 419,3).
435
Entstehung
Zu Beginn des Jahres 1809 läßt sich ein verstärktes Interesse Arnims an dem Erwerb alter dramatischer Werke feststellen. In einem Brief vom 3. Februar 1809 fragt er bei Wilhelm Dorow10 nach, ob dieser ihm einen vollständigen Hans Sachs11 – gemeint ist hier die fünfbändige Folioausgabe (vgl. Weiss 1986, S. 189) – oder andere alte Bücher, d. h. ältere Romane und Comödien, aber beides vor 1750, aus Dorows Heimatstadt Königsberg zukommen lassen könne (EZ 6, S. 419). Dorow erweist sich für Arnim als hilfreiche Bezugsquelle. Er empfiehlt und besorgt ihm u. a. zu günstigen Konditionen Jacob Ayrers Opus Theatricum, das Arnim später für die Bearbeitung der Posse Jann’s erster Dienst in der Schaubühne benutzt (vgl. EZ 9–11, EZ 13–14, EZ 16, S. 420–422).12 In einem Brief vom 22. April 1809 wendet sich Arnim an den Heidelberger Buchhändler und Verleger Johann Georg Zimmer, in dessen Verlag neben anderen wichtigen Werken der Heidelberger Romantik Arnims ZfE (1808) und das Wh (1806–1808) erscheinen. Arnim weist Zimmer auf eine vmtl. während seines Heidelbergaufenhaltes im Jahr 1808 geschlossene Vereinbarung hin, die Alte deutsche Bühne in dessen Verlag Mohr & Zimmer13 zu drucken (EZ 7, S. 419,1–2). Vmtl. hat Zimmer Bedenken geäußert, ob sich die projektierte Dramensammlung gut verkaufen werde oder allgemein verlegerische Schwierigkeiten angedeutet. Arnim vereinbart mit Zimmer, daß er – sollte er einen Interessenten finden – die Alte deutsche Bühne in einem anderen Verlag drucken lassen werde. Zimmer erklärt sich in einem Brief vom 17. Juni 1809 mit diesem Vorschlag einverstanden. Er verspricht ihm, daß er das Werk unter der Voraussetzung besserer Zeiten mit Lust publizieren werde (EZ 8, S. 420,3). Die briefliche Nachfrage Johann Gustav Gottlieb Büschings im August 1809, warum sich die Veröffentlichung der Alten deutschen Bühne so verzögere (vgl. EZ 4, S. 419), weist auf das Interesse von Zeitgenossen, die sich ebenfalls mit der Veröffentlichung älterer Literatur beschäftigen, an dem Projekt hin.14 10
Arnim lernt den Publizisten und Historiker Dorow während seines Aufenthaltes in Kö-
nigsberg (Dezember 1806 bis September 1807) kennen. 11
In Arnims Bibliothek lassen sich zwei Titel zu Hans Sachs nachweisen: zum einen Sehr herrliche / Schöne und wahrhafte Gedicht / Fabeln und gute Schwenk (Arnim-Bibl. B 904), zum anderen Hans Sachs’ Werke von 1516–1558 (Arnim-Bibl. B 905). Ob diese Titel erst über Dorows Vermittlung erworben wurden oder bereits vorher im Bestand der Bibliothek vorhanden waren, ist nicht bekannt. 12
Vgl. dazu ausführlich den Überblickskommentar zu
13
Zimmer, seit 1805 als Verleger tätig, ist mit dem Verlagsbuchhändler Christian Benjamin
Jann’s erster Dienst, S. 522–524.
Mohr in Frankfurt/M. assoziiert, der 1810 nach Heidelberg übersiedelt. Während Arnim eine freundschaftliche Beziehung zu Zimmer aufbaut, ist der Kontakt zu Mohr stets rein geschäftlich.
436
Alte deutsche Bühne und Schaubühne
Gegen Ende des Jahres 1809 hat Arnim eine große Anzahl Erzählungen, wie Wilhelm Grimm seinem Bruder berichtet (EZ 12, S. 421). Ob es sich bei den von Grimm erwähnten Lustspielen um Dramen handelt, die Arnim 1813 in die Schaubühne aufnimmt, oder aber um das umfangreiche, z. T. auch komische Passagen aufweisende Stück Halle und Jerusalem, das Ende 1810 veröffentlicht wird, ist nicht bekannt. Ein undatierter Titelaufriß, der konkrete Hinweise zur Konzeption des ersten Bandes der Alten deutschen Bühne enthält, ist mit größter Wahrscheinlichkeit gegen Ende des Jahres 1809 oder kurze Zeit später entstanden.15 Die Notizen sind mit Alte deutsche Bühne. Erster Bande (EZ 15, S. 421,1)
Lustspiele und dergl. vorrätig,
14
Büsching, der ab 1817 an der Breslauer Universität als Professor für Altertumswissen-
Sammlung Deutscher Volkslieder heraus (Arnim-Bibl. B 874). Büschings und von der Hagens Liedersammlung ist ein Konkurrenzunternehmen zum Wh. In ihrem Vorwort grenzen sich die beiden von den Wh-Herausgebern insofern ab, als sie die philologische Ausrichtung ihrer Arbeit betonen. schaft lehrt, gibt 1807 mit Friedrich Heinrich von der Hagen eine
Büsching beschäftigt sich darüber hinaus v. a. mit der Edition mittelalterlicher Literatur. In Arnims Bibliothek lassen sich weitere seiner mit von der Hagen erarbeiteten Editionen
Buch der Liebe, eine Sammlung höfischer Liebesromane (1809; Literarische Grundriss der deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das 16. Jahrhundert (1812; Arnim-Bibl. B 856).
nachweisen, so etwa das
Arnim-Bibl. B 1208) und der 15
Da im Titelaufriß der Inhalt eines Stückes von Jacob Ayrer kurz dargestellt wird (vgl.
EZ 15, S. 422,18–21) und Arnim dessen
Opus Theatricum erst im Dezember 1809 von
Wilhelm Dorow erwarb, kann angenommen werden, daß der Terminus post quem der Titelnotizen frühestens für diesen Zeitraum anzusetzen ist. Auch auf die Engelischen Comedien und Tragedien, aus denen Arnim zwei Stücke für den Titelaufriß auswählt (vgl. ebd., S. 421,3–5), ist er vmtl. erst gegen Ende des Jahres 1809 durch Clemens Brentano aufmerksam gemacht worden. Vgl. die jeweiligen Kap. zur Entstehung zu den Stücken
Jann’s erster Dienst, S. 522–524 sowie zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 748. Der Titelaufriß ist auf ein Dbl., S. 1r geschrieben (die anderen Blattseiten sind leer), in das ein Blatt in gleicher Größe eingelegt ist. Darauf finden sich einige Notizen
Doktor Faustus darstellen, der von Wilhelm Müller ins Deutsche übersetzt und 1818 veröffentlicht wurde. In der Mitte des Blattes ist der fragmentarische Satz zu lesen: An Tieck: Sie haben mir die Mühe abgenommen, meine alte deutsche Bühne herauszugeben und so gebe ich ihnen die Mühe ab üb〈er〉 ein Stück (EZ 37, S. 429,1–3). Diese Notiz wird als
u. a. zu Faust, die vmtl. Vorarbeiten zu Arnims Vorrede von Christoph Marlowes
Exzerpt eines Briefes an Ludwig Tieck aus dem Jahr 1817 angesehen (vgl. Burwick 1978, S. 343), da sie sich eindeutig auf die Veröffentlichung von Tiecks
Deutschem Theater
(1817) bezieht. Vmtl. nahm Arnim den lange Zeit vorher entstandenen Titelaufriß 1817 noch einmal zur Hand, um unter Verwendung der damals angefertigten Notizen einen Brief an Tieck zu verfassen, der sich jedoch nicht erhalten hat.
437
Entstehung
überschrieben. Die Liste enthält 13 Stücke, von denen drei später Eingang in die Schaubühne finden. Es handelt sich dabei um Ein lustig Pickelheringsspiel. Das zweyte mit dem Stein (EZ 15, S. 421,4–5), in der Schaubühne als Der wunderthätige Stein an achter Stelle, Maria vom Spittelmarkt und der alte Hahnrey (ebd., S. 421,6), unter dem Titel Herr Hanrei und Maria vom langen Markte an siebter Stelle der Schaubühne, sowie um das Stück Jann Posset (ebd., S. 422,18), das als Jann’s erster Dienst den Auftakt der Dramensammlung von 1813 bildet. Der von Arnim im Titelaufriß kurz skizzierte Handlungsverlauf von Jann Posset16 sowie die Veränderung des Namens von »Maria vom langen Markte« zu »Maria vom Spittelmarkt«17 weisen darauf hin, daß für die Alte deutsche Bühne inhaltliche Modifikationen an den Originalstücken vorgenommen werden sollten, wie sie dann später auch in der Schaubühne – allerdings in anderer Form – realisiert wurden. Hier nähern sich die beiden Projekte Alte deutsche Bühne und Schaubühne deutlich einander an, die Arnim in späterer Zeit wieder begrifflich und konzeptionell stärker voneinander trennt.18 Die anderen im Titelaufriß genannten Stücke stammen von unterschiedlichen Verfassern aus dem 16. und 17. Jh. Zum großen Teil finden sich die in den Notizen genannten Titel in Arnims Bibliothek, so etwa Andreas Gryphius’ Lustspiel Peter Squenz (EZ 15, S. 421,8; vgl. Arnim-Bibl. B 1791), Martin Hayneccius’ Komödie Hans Pfriem19 (vgl. ebd., S. 421,9; Arnim-Bibl. 16
Während im Titelaufriß angemerkt wird, daß vmtl. Janns Frau mit dem Brief zu Em-
merich geschickt wird (vgl. EZ 15, S. 422,18), ist in der
Schaubühne Janns Vater der Über-
bringer des Briefes. Ferner intendierte Arnim eine Kontamination des Ayrerschen Fasznachts-
pil / Von dem Engelländischen Jann Posset mit dem vorigen Stück (EZ 15, Ein Faßnachtspil der vberwunden Trummelschlager mit siben Personen (vgl. Ayrer 1618, S. 101d–106d) trägt.
S. 422,21), das den Titel 17
Offensichtlich war Arnims ursprünglicher Plan, durch die Anspielung auf den Berliner
Spittelmarkt eine Lokalposse zu verfassen. In der
Schaubühne wird der Name aus dem
Original, Maria vom langen Markte, verwendet. Eine ähnliche Verlagerung des Schauplatzes findet in Arnims Drama
Halle und Jerusalem statt, in dem die Handlung nach Halle
verlegt und (auf eigene Erfahrungen gestützt) mit Anspielungen auf das dortige Studentenleben versehen ist. 18
Anmerkungen zur Schaubühne, daß er drei der von ihm Alten deutschen Bühne unverändert aufnehmen wolle. Es handelt sich dabei um Jann’s erster Dienst (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 333,12–13), Herr Hanrei und Maria vom langen Markte (vgl. S. 334,29) sowie um Jemand und Niemand (vgl. S. 335,11–12). So schreibt Arnim in den
adaptierten Dramen in die geplanten Bände seiner
19
Das Vorhaben, das Stück zu überarbeiten, hat Arnim teilweise realisiert. In seinem Nach-
laß hat sich ein Fragment mit dem Titel
Hans Pfriem. Ein protestantisches Lustspiel
erhalten (vgl. FDH 7711, 7).
438
Alte deutsche Bühne und Schaubühne
B 947) sowie Johann Kuhnaus Schauspiel Der schlimme Causenmacher (vgl. S. 422,13; Arnim-Bibl. B 1046). Die Notiz Gespräch von der Trag Joh Hussen (ebd., S. 421,10) weist auf Arnims Plan hin, über den Reformator, der 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, eine Tragödie zu verfassen. Als dramatische Vorlage – Arnim erwähnt, daß er den fünften Akt einer ungenannten Quelle bearbeiten will – könnte Johann Agricolas Tragedia / Johannis Huss gedient haben, die sich in Arnims Bibliothek jedoch nicht nachweisen läßt.20 Aus Johann Jakob Schudts Jüdischen Merckwürdigkeiten (vgl. ebd., S. 422,12; Arnim-Bibl. B 2343) will Arnim eine Jüdische Komödie bearbeiten, wobei er sich auf das bei Schudt abgedruckte, aus dem Hebräischen übersetzte Stück Mechı´rus Joseph. Die Verkauffung Josephs bezieht (Schudt 1714, S. 226–327). Die Notiz Das Narrenschneiden (EZ 15, S. 421,7) verweist auf ein Faßnachtspiel / mit dreyen Personen / Das Narrenschneiden von Hans Sachs, in dem einem Kranken bei einer Operation acht Narren aus dem Leib geschnitten werden.21 Die Notiz Die beyden David und Goliath (EZ 15, S. 422,14) bezieht sich vmtl. auf eine Adaption eines Dramas aus dem 16. oder 17. Jh. In dieser Zeit avancierte der Kampf Davids mit Goliath zu einem beliebten Dramenstoff. In Frage kommen etwa Johann Tyrolffs Ein Gottseigs / Tröstlichs / vnd fast Lustigs Teutsch
Geheimts Spiel / Aus dem XVII Cap. des Erstenn Buchs Samuelis (1541), Wolfgang Schmeltzls Ein schöne tröstliche hystoria von dem Jüngling David vnnd dem muotwilligen Goliath (1545), Valentin Boltz’ Ölung Davidis deß Jünglings / Vnnd sein streit wider den Risen Goliath (1554), Hans von Rütes Goliath (1555) oder Georg Mauritius’ Comedia von David und Goliath (1606). Arnim besaß ein Ex. des Dramas von Boltz (Arnim20
Arnim wiederholt diesen Vorsatz noch einmal in einer Notiz in seinen Taschenbüchern
(vgl. 〈Taschenbuch aus der Zeit in England〉, GSA 03/185, Bl. 37v). In Arnims Bibliothek findet sich außerdem eine ausführliche Chronik über das Leben Johannes Huß’: History vnd Wahrhafftige Geschicht / Wie das heilig Euangeliion mit Johann Hussen / im Concilio zu Costnitz / durch den Bapst vnd seinen anhang / offentlich verdampt ist / Im Jare nach Christi vnsers Herren Geburt / 1414. Ohne Autor, Ohne Ort 1548 (Arnim-Bibl. B 23). 21
Arnim besaß zwei Werkausgaben (vgl. Arnim-Bibl. B 904; B 905), in denen das Stück jeweils
enthalten ist: Sachs 1558, S. CCCCLXVIr–CCCCLXIXv sowie Hanns Sachsens sehr herrliche Schöne und wahrhafte Gedicht, Fabeln und gute Schwenck. In einem Auszuge aus dem ersten Buch mit beygefügten Worterklärungen von Johann Heinrich Häslein. Nürnberg 1781. Das Stück ist auf S. 275–290 abgedruckt. Johann Gustav Büsching veröffentlichte das Stück in einer Sammlung mittelalterlicher Texte im Jahre 1814. Büsching löste die Verse in ungebundene Rede auf, vgl. Erzählungen, Dichtungen, Fastnachtspiele und Schwänke des Mittelalters, hg. v. Dr. Johann Gustav Büsching. 1. Bd. Breslau 1814, S. 85–115.
439
Entstehung
Bibl. B 895) und erhielt von Wilhelm Dorow – allerdings erst am 12. März 1811 – den Hinweis auf die Comedia von Mauritius (vgl. FDH 9088), der ihn sehr interessierte. Auf welches Drama Arnim konkret anspielt, ist nicht bekannt. Ebenso unklar ist der Vermerk im Titelaufriß der Schweizer kurz ausgezogen (EZ 15, S. 422,15). Ob Arnim an eine Dramatisierung einer Passage aus Johannes von Müllers vierbändigem Werk Die Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft (1786–1805; Arnim-Bibl. B 618a-d) dachte oder an ein anderes Werk über Schweizer Geschichte, kann nicht festgestellt werden. Die Notiz 〈Posamentier〉 deposition (EZ 15, S. 422,16) bezieht sich wahrscheinlich auf ein in Arnims Bibliothek nachweisbares Buch mit dem Titel De-
position, Welche Von der löblichen Posimentier-Innung bey Aufnahme der Ausgelerneten zu einem Ehrlichen Mit-Gesellen gehalten wird (1723; ohne Autor; Arnim-Bibl. B 1003) – ein derb-lustiges Spiel mit Figuren, die Namen wie Nimmernüchtern, Tieff-ehrbahr, Gantzlustig bzw. Vielfröhlich tragen. Neben einem Lob des Posamentier-Handwerks (Anfertigung von Borten und Bändern) finden sich noch weitere schwankartige Darstellungen anderer Handwerkszünfte, deren Vertreter in loser Folge vor die Zuschauer treten. Das projektierte Stück, in dem die Landsknechte doch noch in die Hölle kommen (vgl. EZ 15, S. 422,17), steht in thematischer Verbindung mit einem geläufigen Schwankmotiv, das auch in der ZfE von Clemens Brentano im Zusammenhang mit der Darstellung der Bärnhäuter-Sage erzählt wird: Die Landsknechte vor der Hölle, im Himmel, und endlich zu Warteinweil (ZfE, S. 170–173). Die im Titelaufriß genannten Dramen lassen sich alle – abgesehen von der Trag〈ödie〉 Joh Hussen – dem komischen Genre zuordnen. Arnim selbst subsumiert die Stücke unter dem Begriff Lustspiele, auf Puppentheatern aufführbar (vgl. EZ 15, S. 421,1–2). Dadurch wird die Ausrichtung auf ein in der Romantik als spezifisch volkstümlich rezipiertes Genre evident. Auffallend ist die Heterogenität der ausgewählten Stoffe: Neben zwei aus dem A.T. entlehnten Stücken (Mechı´rus Joseph; Die beyden David und Goliath) finden sich Hinweise auf die Konzeption von Stücken mit historischem Inhalt (Joh Hussen; evtl. Der Schweizer), derb-witzige Hahnreikomödien (Pickelheringsspiel 〈...〉 mit dem Stein, Maria vom Spittelmarkt, Jann Posset) und barocke Typenkomödien und Schwankstoffe von gehobenerer Qualität (Peter Squentz, Hans Pfriem, Narrenschneiden). Ein ähnliches Sammelsurium von Stoffen unterschiedlichster Provenienz und divergentem literarischem Wert kennzeichnet auch die Schaubühne von 1813 und scheint für Arnims dramatische Produktion programmatisch gewesen zu sein. Durch die in der Dramensammlung von 1813 veröffentlichten Stücke Die Appelmänner. Ein Puppenspiel
440
Alte deutsche Bühne und Schaubühne
und Das Loch oder das wiedergefundene Paradies. Ein Schattenspiel setzt Arnim außerdem zumindest teilweise die Idee, daß seine Schauspiele auf Puppentheatern aufgeführt werden können, in die Tat um. 1810 erscheint im Verlag Mohr & Zimmer Arnims erste Dramenpublikation, das zweiteilige Stück Halle und Jerusalem, dessen erster Teil eine Bearbeitung von Gryphius’ Trauerspiel Cardenio und Celinde darstellt. Auch dieses Drama ist von Arnim ursprünglich als Puppenspiel konzipiert worden (vgl. Ehrlich 1970, S. 132). Die in der Erstausgabe von Halle und Jerusalem abgedruckte Anzeige macht deutlich, daß Arnim sein Vorhaben einer Edition von Gryphius’ Werken in einer Alten deutschen Bühne noch nicht verworfen hat. Erneut fordert er die Freunde der Literatur dazu auf, ihm ältere, weniger
bekannte Schauspiele zur Ansicht und Benutzung, oder käuflich zu übersenden (EZ 17, S. 422,13–14). 1812 scheint Arnims Vorhaben, die Alte deutsche Bühne zu veröffentlichen, feste Formen anzunehmen. In Briefen an Zimmer und an die Brüder Grimm berichtet er im März 1812, daß er zur Ostermesse zwei Bücher erscheinen lassen wolle (vgl. EZ 20–21, S. 423). Dabei handelt es sich zum einen um den tatsächlich Mitte April 1812 bei Georg Andreas Reimer in der Berliner Realschulbuchhandlung22 veröffentlichten Novellenband, zum anderen um ein nie erschienenes Buch mit dem Titel Alte deutsche Lustspiele, welche künftig den ersten Band 〈der〉 Alten deutschen Bühne bilden sollen (EZ 21, S. 423,3–4). Diese Dramensammlung ist außerdem dazu bestimmt,
die Aufmerksamkeit 〈des (Lese)publikums〉 auf Halle und Jerusalem wieder 〈zu〉 lenken (EZ 20, S. 423,2–3). Den Grimms berichtet Arnim, daß er den geplanten Band mit Dramen schon übers Doppelte voll habe23 und noch immer mit Auswählen beschäftigt sei (EZ 21, S. 423,6–7). Er bittet sie, ihm artige kurze Lustspiele zu nennen, die er in einen Nachfolgeband aufnehmen wolle (vgl. ebd., S. 423,5). Einen Monat später teilt er den Grimms mit, daß sich die Veröffentlichung der Dramen weiterhin verzögere und fordert sie erneut dazu auf, ihm noch etwas dafür zu schaffen (vgl.
22
Die Berliner Realschulbuchhandlung, Verlags- und Sortimentsbuchhandlung, die zu der
1747 gegründeten Realschule (dem späteren Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium) gehört, wird 1801 von Arnims späterem Verleger Georg Andreas Reimer übernommen. In diesem Verlag erscheinen u. a. wichtige Schriften von Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Schleiermacher sowie die
Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. (vgl. zu Reimer: Doris Reimer,
Passion & Kalkül. Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776–1842). Berlin, New York 1999). 23
Hier könnte sich Arnim auf den Titelaufriß beziehen.
441
Entstehung
EZ 22, S. 424,2–3). Jacob Grimm schreibt ihm als Antwort, daß für das Dramenprojekt hier nichts aufzutreiben sei. Er verspricht ihm aber, nichts zu versäumen, um noch einigem auf Spur zu kommen (EZ 24, S. 424,2–3). In einem Brief an Clemens Brentano teilt Arnim am 16. April 1812 mit, daß er den Novellenband bei Reimer in Kommission gegeben habe und dieser erst nach dem Verkauf einer gewissen Zahl Ex. einen finanziellen Gewinn erzielen werde. Eine ähnliche Abmachung sei zwischen Reimer und ihm für die Alte deutsche Bühne vereinbart worden (vgl. EZ 23, S. 424,1–2). Zur erneut verschobenen Veröffentlichung der Dramensammlung bemerkt er, daß seine dramatischen Arbeiten erst noch reifen soll〈en〉, er wolle sich in nichts mehr übereilen (ebd., S. 424,7–8). Aus dieser Bemerkung wird ersichtlich, daß Arnim Veränderungen an den alten Dramen vornehmen will, die mehr Zeit in Anspruch nehmen als eine rein philologische Edition. Ob es sich bei der Erwähnung, er habe mancherley, auch dramatisches, geschrieben (vgl. ebd., S. 424,6–7), im Zusammenhang mit der Nennung der Alten deutschen Bühne um Dramen handelt, die letztendlich in die Schaubühne eingehen, ist nicht bekannt. Zumindest läßt sich aus dem Brief schließen, daß Arnim in dieser Zeit Dramen verfaßt. Das Editionsvorhaben verschiebt sich weiterhin, wie Arnim retrospektiv beschreibt, von einer Messe zur andern (EZ 36, S. 429,6). Erst 1817 gibt Arnim seinen Plan zur Veröffentlichung einer Alten deutschen Bühne mit dem Erscheinen von Ludwig Tiecks zweibändigem Deutschen Theater (1817) endgültig auf. Arnim äußert sich 1818 in einer Rezension zu Tiecks Werk explizit zum Abbruch seines eigenen Dramenprojekts (vgl. EZ 36, S. 429,6–7 und das Kap. »Parallelaktionen«: Arnims Alte deutsche Bühne und Tiecks Deutsches Theater, S. 458–461). Vier Jahre vor der Aufgabe seines Editionsvorhabens erscheint im Mai 1813 Ludwig Achim von Arnim’s Schaubühne, die sowohl Adaptionen alter Dramen als auch eigenständige dramatische Arbeiten vereint.
Die Veröffentlichung der
Schaubühne
Anfang 1813 finden sich erste Pläne zur Publikation einer Dramensammlung, die sich nicht nur der Herausgabe alter Stücke widmen, sondern auch von Arnim verfaßte Stücke wie etwa Die Päpstin Johanna enthalten soll. Ein Titel steht zunächst noch nicht fest. Am 16. Januar 1813 schreibt Arnim an Clemens Brentano, daß er Die Päpstin Johanna zu ungeheurer Dicke in gereimten Jamben fertig habe (EZ 25, S. 424,1–2) und gerade mit der Überarbeitung des Dramas be-
442
Alte deutsche Bühne und Schaubühne/Die Veröffentlichung der Schaubühne
schäftigt sei. Er übertrage zahlreiche Verse in Prosa, da der Verleger Reimer der Meinung sei, daß Verse keinen sonderlichen Absatz fänden (ebd., S. 424,3–4). Reimer, der bereits für die Veröffentlichung des Romans Gräfin Dolores (1809) und des Novellenbandes (1812) sorgte, wird einige Monate später die Dramensammlung unter dem Titel Schaubühne in seinem Verlag drucken. Die Päpstin Johanna war darin ursprünglich als Hauptstück vorgesehen. Zunächst versucht Arnim jedoch, in dem Hamburger Buchhändler Friedrich Christoph Perthes einen Verleger zu finden. In einem Brief vom 3. Februar 1813 bemüht er sich, diesen in spielerisch werbendem Ton für sein Projekt zu gewinnen. Die Dramensammlung soll fünf Stücke enthalten: Jann’s erster Dienst, Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Der Auerhahn, Mißverständnisse und Die Päpstin Johanna (vgl. EZ 26, S. 425,15–19). Die Editio princeps der Schaubühne umfaßt vier der fünf im Brief an Perthes genannten Stücke (Jann’s erster Dienst, Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Der Auerhahn, Mißverständnisse). Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegen daher diese Dramen im Februar 1813 abgeschlossen bzw. in einer ersten Fassung vor.24 Arnim bittet Perthes um eine Beteiligung an den entstehenden Material- und Druckkosten, die seine finanziellen Mittel übersteigen.25 Da Arnim von Perthes’ lobenden Äußerungen über seine Novellen von 1812 durch den mit Arnim befreundeten Historiker und Publizisten Barthold Georg Niebuhr erfahren hat, hofft er nun auf eine positive Antwort (vgl. EZ 26, S. 425,4–8). In seinem Brief entwickelt Arnim ausführlich seine Vorstellungen über die entstehenden Kosten und entwirft einen Vertrag zur gegenseitigen finanziellen Absicherung (vgl. ebd., S. 425,31–36). Perthes solle die Kosten für Papier und Druck vorerst übernehmen und Arnim nach einer bestimmten Anzahl verkaufter Exemplare am Gewinn beteiligen. Im Falle eines verlegerischen Mißer24
Der Auerhahn. Im Brief an Perthes bezeichnet es Geschichte in drey Handlungen. Die in der Schaubühne publizierte
Eine Ausnahme bildet das Stück
Arnim noch als
Fassung dagegen ist um eine vierte Handlung erweitert. Vgl. ergänzend die Ausführungen im Überblickskommentar zu 25
Der Auerhahn, S. 566.
Arnims finanzielle Situation verschlechtert sich seit dem Inkrafttreten des preußischen
Steueredikts im Mai 1812 permanent. Die von ihm verwalteten westpreußischen Pfandbriefe werfen nur einen geringen Zinsertrag ab. Wegen der dürftigen Einkommenslage können Arnim und sein Bruder Karl Otto Ludwig selbst die Hypothekenzinsen für die nach dem Tod der Großmutter (10. März 1810) ererbten Güter nicht aufbringen. BvA berichtet von der Zeit um 1813, daß sie damals
vom Verkauf der Sachen die uns entbehrlich deuchten
lebten (Briefe und Konzepte 1953, S. 32).
443
Entstehung
folgs werde Arnim ihm einen zu bestimmenden Theil 〈...〉 vergüten (ebd., S. 425,36). Perthes lehnt in seinem Antwortbrief vom 11. Februar 1813 eine Beteiligung an Arnims Vorhaben mit Hinweis auf die gegenwärtig unsicheren Zeiten ab. Zwar sei Arnims Vorschlag ohne Risiko, er wolle derzeit aber nicht mehr als 100 Taler in Unternehmen dieser Art investieren (vgl. EZ 27, S. 426,11–14). Zwischen Februar, dem Zeitpunkt der Korrespondenz mit Perthes, und Mai 1813, dem Monat der Veröffentlichung der Schaubühne, ändert Arnim das inhaltliche Konzept der Dramensammlung grundlegend: Er erweitert sie um fünf neue Stücke (Das Loch, Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, Der wunderthätige Stein, Jemand und Niemand, Die Appelmänner) und streicht das lange, in fünf Perioden angelegte Märchen Die Päpstin Johanna. Nur das Stück Die Frühlingsfeier findet als Nachspiel zu Der Auerhahn mit dem Titel Das Frühlingsfest Eingang in die Schaubühne.26 Dies begründet Arnim in den Anmerkungen zu den Dramen mit dem Bedürfnis der ernsten Zeit nach erheiternden kleinen Stücken (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,8–9). Vmtl. kommt er damit auch seinem Verleger Reimer entgegen, der sich wahrscheinlich bereits im Januar 1813 gegen die Veröffentlichung der Päpstin Johanna aussprach. Die vorgenommenen Änderungen haben Konsequenzen für den Umfang der Schaubühne. Hat Arnim im Brief an Perthes 25 Bogen (400 Seiten) veranschlagt, benötigt die realisierte Editio princeps lediglich 19,5 Bogen (308 Seiten). Vmtl. sind auch finanzielle Gründe für die Neukonzeption der Schaubühne ausschlaggebend. Das Druckbild der Erstausgabe bestätigt diesen Eindruck, sind doch die Dramentexte äußerst platzsparend gesetzt. Noch vor dem Erscheinen der Schaubühne bemüht sich Arnim im März 1813 um die Aufführung des Stückes Die Vertreibung der Spanier aus Wesel auf dem Berliner Theater. Das patriotische Stück, in dem sich die Weseler Bürger im 17. Jh. mit Hilfe von niederländischen Soldaten von der spanischen Fremdherrschaft befreien, spiegelt deutlich das aktuelle Zeitgeschehen der Jahre 1812/1813. Während sich Preußen im März 1813 bereitmacht, mit Rußland gegen Frankreich in den Krieg zu ziehen und damit der seit 1806 bestehenden französischen Besatzung ein Ende zu bereiten, entwirft Arnim in diesem Drama eine erfolgreich verlaufende Befreiung von den spanischen Besatzern Wesels und stellt an das Ende des Stückes den Ausblick auf ein Leben in Harmonie und Frieden. Arnims Schauspiel wird am Berliner Theater unter der Lei26
Das Frühlingsfest, S. 618 sowie WAA 10 zur Päpstin Johanna (WAA 10, S. 527–570).
Vgl. dazu den Überblickskommentar zu
Entstehungsgeschichte der
444
Die Veröffentlichung der Schaubühne
tung August Wilhelm Ifflands einstudiert, jedoch aufgrund der unsicheren Kriegslage wieder vom Spielplan genommen.27 Im Juni 1813 kommt es schließlich zum Druck der Dramensammlung unter dem Titel Ludwig Achim von Arnim’s Schaubühne in Reimers Realschulbuchhandlung, allerdings zu anderen Konditionen als ursprünglich vereinbart. Arnim trägt die Kosten selbst. Er will den Erlös zur Aus-, bzw. Aufrüstung des Berliner Landsturms im »Befreiungskrieg« gegen Napoleon zur Verfügung stellen. Die sich überstürzenden geschichtlichen Ereignisse im Umfeld der »Befreiungskriege« lassen die Schaubühne zu einem öffentlichen patriotischen Bekenntnis werden. Auch der Verleger Reimer gilt als Patriot, der – analog zu der von Arnim gegründeten deutschen Tischgesellschaft – in der Zeit nach 1806 eine »lesende und schießende Gesellschaft« ins Leben ruft, zu der u. a. Schleiermacher, Johann Albrecht Friedrich Eichhorn und Henrich Steffens gehören und in der wohl auch Arnim verkehrt. Zu Beginn der »Befreiungskriege« läßt Reimer Ernst Moritz Arndts Schrift Was bedeutet Landsturm und Landwehr in 50 000 Exemplaren unter die Soldaten verteilen. Reimers Haus ist beliebter Treffpunkt der Berliner Patrioten. Die von Enthusiasmus und Kriegsbegeisterung geprägte Aufbruchstimmung in Berlin im Jahre 1813 scheint zu einer Lockerung der Zensurbestimmungen geführt zu haben, die der preußische Staatskanzler Karl August von Hardenberg in den vorangegangenen Jahren wesentlich verschärft hatte (vgl. Ernst Klein, Von der Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzgebung des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg. Berlin 1965, S. 208–210). Auch die Schaubühnen–Dramen unterstehen der staatlichen Zensur, was ein kurzer Brief Arnims an Johannes Erich Biester28 vom 27. Mai 1813 belegt, dem er 1 rth 15 Gr Censurgebühren für die 19 ½ Bogen beilegt (EZ 28, S. 426,3–4). Die Dramen, von denen inbesondere Die Vertreibung der Spanier aus Wesel und Die Appelmänner kritische Anspielungen auf die politische Gegenwart enthalten, durchlaufen die Zensur offensichtlich ohne Streichungen.
27
Vgl. dazu ausführlich das Kap. Entstehung/Aufführungsbestrebungen zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 651–655. 28 Biester ist Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift und übernimmt in der Zeit der »Befreiungskriege« vmtl. stellvertretend die verlegerischen Arbeiten Reimers, der sich freiwillig zur Landwehr meldet und sich als Offizier einer Kompagnie bis Juni 1814 an den kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt.
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Entstehung
Die
Schaubühne als patriotisches Bekenntnis in der Zeit der »Befreiungskriege«
Napoleons vernichtende Niederlage in Rußland im Herbst und Winter 1812 ändert die Machtverhältnisse in Europa. Das preußische Armeekorps scheidet nach dem Scheitern des Rußlandfeldzugs des französischen Kaisers aus der erzwungenen französischen Allianz aus. Der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps, General David Ludwig von Yorck, vereinbart in der Konvention von Tauroggen (30. Dezember 1812) mit dem russischen Armeeführer Johann Karl Friedrich Anton von Diebitsch die Neutralisierung der preußischen Truppen. Yorck beabsichtigt, sich als Verbündeter Rußlands Napoleon entgegenzustellen. Napoleon kehrt bereits am 19. Dezember 1812 überstürzt nach Paris zurück, da ein gegen ihn gerichteter Staatsstreich droht. In dieser kritischen Situation nach dem Rußlandfeldzug zeigt er nochmals seine »überragende Kraft« (Möller 1989, S. 636). Binnen weniger Monate rekrutiert er im Frühjahr 1813 eine neue schlagkräftige Armee. Die Konvention von Tauroggen ist der Anstoß zur Erhebung Preußens. Yorcks eigenmächtiges Handeln wird in ganz Deutschland mit Jubel begrüßt. Der unschlüssige preußische König Friedrich Wilhelm III. zieht allerdings zunächst entgegen der öffentlichen Meinung Verhandlungen mit Napoleon vor. Er erklärt die Konvention für ungültig, da sie ohne sein Wissen abgeschlossen worden sei und entläßt Yorck aus dem Dienst. Yorcks Handeln ist symptomatisch für den Wandel in der Loyalität des preußischen Establishments: Nicht mehr der König, sondern Vaterland und Nation (und deren Interessen) bestimmen das Pflichtgefühl (vgl. Nipperdey 1998, S. 27). Erst am 27./28. Februar 1813 gibt Friedrich Wilhelm III. im preußisch-russischen Bündnis Breslau/Kalisch dem Druck der preußischen Patrioten nach, da sich in der Bevölkerung und im Establishment eine zunehmend pro-russische Stimmung durchsetzt (vgl. ebd., S. 83). In den Wintermonaten 1813 politisiert sich die deutsche Kulturnation immer mehr. Es bildet sich ein patriotisches Nationalbewußtsein in Abgrenzung zum Feind heraus, das die Nation nicht mehr »partikular, preußisch oder österreichisch z. B., sondern gesamtdeutsch versteht« (ebd., S. 30). Die »Nationalisierung des Krieges« (Möller 1989, S. 638) wird durch eine Vielzahl von politischen Flugschriften, Pamphleten, Kriegsliedern und –gedichten, Romanen und Dramen begleitet, die bereits ab 1806 entstehen. Mit dem Niedergang der napoleonischen Macht werden sie in ihren antifranzösischen, national-patriotischen Formulierungen zunehmend konkreter und beeinflussen maßgeblich die öffentliche Meinung. Zu den Autoren dieser Zeit gehören Ernst Moritz Arndt, Joseph von Eichendorff, Friedrich Heinrich de la Motte-Fouque´, Heinrich von Kleist, Karl
446
Die Schaubühne als patriotisches Bekenntnis
Theodor Körner, Friedrich Rückert, Max von Schenkendorf und Ludwig Uhland. Die antifranzösische patriotische Literatur zwischen 1806 und 1815 weist im allgemeinen aufgrund der unterschiedlichen politischen Überzeugungen und individuellen Ambitionen ihrer Verfasser eine Formenvielfalt auf, die auch in bezug auf Qualität und Wirkung divergent ist.29 Einige dieser Texte wie etwa Körners martialische Kriegslieder erfreuen sich – v. a. auch nach dem »Heldentod« Körners in einem Gefecht bei Gadebusch im August 1813 – größter Beliebtheit; andere Texte, darunter die Dramen Fouque´s, Kleists oder Arnims Schaubühnen–Stücke, werden kaum wahrgenommen oder erleben im Falle von Kleists Hermannsschlacht erst im späten 19. Jh. eine Uraufführung.30 Trotz der Unterschiede in Gestaltung, Gattung und Wirksamkeit spiegeln die in dieser Zeit veröffentlichten Texte deutlich die patriotische Leidenschaft und Energie wider, die 1813 im Ausbruch der »Befreiungskriege« kulminieren. Nicht alle Bevölkerungsteile sind gleichermaßen von dieser patriotischen Begeisterung durchdrungen. Die kleine Gruppe der patriotischen Wortführer, die sich aus der adligbürgerlichen Bildungsschicht, der Jugend, den Beamten und Offizieren der Reformpartei in Preußen zusammensetzt, prägt besonders im Jahr 1813 die öffentliche Meinung (vgl. Nipperdey 1998, S. 31). Preußen beginnt bereits vor dem Bündnis mit Rußland am 27./28. Februar unter dem Schein der Rekrutierung neuer Hilfstruppen für Napoleon mit der Aufrüstung. Am 9. Februar führt Preußen die allgemeine Wehrpflicht ein. Angehörige des Bildungsbürgertums und Grundbesitzer haben die Möglichkeit, sich selbst auszurüsten und sich zu einer Einheit zu melden (vgl. Nipperdey 1998, S. 54). Innerhalb kurzer Zeit wird so ein Heer von 280 000 Soldaten aufgestellt (vgl. Möller 1989, S. 640). Bis 1814 melden sich etwa 28 000 »Freiwillige« – ein Hinweis darauf, wie nachhaltig die öffentliche Kriegsbegeisterung auf den einzelnen wirkte.31 29
Vgl. ausführlich zur patriotischen Literatur der Jahre zwischen 1806 und 1815 Gerhard
Schulz, Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. 2. Teil. Das Zeitalter der napoleonischen Kriege und der Restauration 1806–1830. München 1989, S. 3–77, der die Schaubühnen-Dramen Die Vertreibung der Spanier aus Wesel und Die Appelmänner als Arnims »eigentümlichste〈n〉 Beitrag zur patriotischen Literatur« (ebd., S. 61) bewertet. 30
Kleist schreibt das Drama 1808. Es wird erst 1821 gedruckt und 1839 uraufgeführt. Vgl.
dazu auch Wolf Kittler, Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege. Freiburg/Br. 1987. 31
Hier muß einschränkend bemerkt werden, daß »die Freiwilligkeit nicht ganz so freiwil-
lig« ist. Jeder, der versucht, sich der allgemeinen Wehrpflicht zu entziehen, muß mit »erheblichen Einschränkungen seiner bürgerlichen Rechte rechnen« (Nipperdey 1998, S. 83).
447
Entstehung
Nach dem Bekanntwerden des preußisch-russischen Bündnisses verlassen die französischen Besatzer am 3./4. März Berlin. Unter dem Jubel der Berliner Bevölkerung marschieren am 4. März russische Truppen in die preußische Hauptstadt ein (vgl. Geiger 1895, S. 333). Besonders der Einzug Yorcks wird in der Stadt öffentlich gefeiert. In Berlin, wo sich Arnim mit seiner schwangeren Frau aufhält, herrscht im März patriotisch-enthusiastische Aufbruchstimmung: Die Stadt wird illuminiert, es finden öffentliche Feiern statt, patriotische Texte werden in den Zeitungen publiziert. Ähnliches ereignet sich auch in anderen Städten Preußens. Am 16. März 1813 erklärt Friedrich Wilhelm III. Napoleon den Krieg und appelliert einen Tag später mit den beiden Aufrufen An mein Volk und An mein Kriegsheer an den patriotischen Kampfgeist der Preußen. So heißt es in dem von Theodor Gottlieb von Hippel verfaßten Aufruf An mein Volk:
So wenig für Mein treues Volk als für Deutsche, bedarf es einer Rechenschaft, über die Ursachen des Kriegs welcher jetzt beginnt. Klar liegen sie dem unverblendeten Europa vor Augen. 〈...〉 Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litthauer! Ihr wißt was Ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt, Ihr wißt was euer trauriges Loos ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. 〈...〉 Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten der Russen, gedenkt der Spanier, der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen. Erinnert Euch an die heldenmüthigen Schweitzer und Niederländer (Spies 1981, S. 254). Die Hoffnung auf den Sieg über Napoleon wird durch den Vergleich mit historischen Siegen der Schweizer Eidgenossen über die Habsburger (1315 bei Morgarten) sowie der Niederländer im Achtzigjährigen Krieg über die spanischhabsburgische Militärgroßmacht untermauert.32 Der patriotisch-agitatorische Duktus des Aufrufs spiegelt zwar die Auffassung der preußischen Patrioten wider, die in dem Krieg eine »Erhebung der Deutschen«, einen »Kreuzzug gegen Tyrannei« und einen Kampf »um Befreiung und Freiheit« (Nipperdey 1998, S. 84) sehen; für die verbündeten Regierungen gegen Napoleon, insbesondere derjenigen Österreichs, geht es aber vorrangig um die Klärung dynastischer Rechte und Machtinteressen, um die »Wiederherstellung der Stabilität« und weniger »um ein neues Zeitalter der Nation und der Freiheit« (ebd., S. 85). So 32
Die Parallelisierung historischer Ereignisse des Achtzigjährigen Krieges mit der eigenen
Situation zu Beginn der »Befreiungskriege« nimmt Arnim auch in zwei seiner SchaubühnenDramen vor, vgl. dazu die Kommentare zu sowie zu
Die Vertreibung der Spanier aus Wesel
Die Appelmänner. 448
Die Schaubühne als patriotisches Bekenntnis
erhält der Krieg von vornherein einen »eigentümlichen Doppelcharakter« (ebd., S. 84). Preußen und Rußland tragen die Hauptlast der »Befreiungskriege«: In Preußen leisten 6 % der Bevölkerung aktiven Wehrdienst. Die wehrfähigen Männer im Alter von 15 bis 60, die nicht bereits im Heer oder in der Landwehr dienen, werden am 21. April 1813 in den Waffendienst gestellt. Diese »Verordnung über den Landsturm« erfolgt auf Antrag von Scharnhorst und Gneisenau. Die durch Kreisausschüsse organisierte Aufstellung des Landsturms soll zur Verteidigung bedrohter Städte sowie als Kriegsreserve fungieren. Seine Aufgabe besteht laut Verordnung darin, dem Feinde den Einbruch wie den Rückzug zu ver-
sperren, ihn beständig außer Atem zu halten; seine Munition, Lebensmittel, Kuriere und Rekruten aufzufangen; 〈...〉 nächtliche Überfälle auszuführen; kurz ihn zu beunruhigen, zu peinigen, schlaflos zu machen, einzeln und in Trupps zu vernichten, wo es möglich ist (zitiert nach Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. Der Melancholiker auf dem Thron. Berlin 1992, S. 373). Als Vorbild fungieren dabei die spanische Guerillataktik gegen die napoleonische Besatzungsarmee. Im Landsturm findet Arnim sein Betätigungsfeld. Nach Kriegsausbruch erleiden die verbündeten preußischen und russischen Truppen zunächst empfindliche Niederlagen. Die militärische Macht beider ist ohne weitere Verbündete zu gering, um sich siegreich gegen das neurekrutierte napoleonische Heer durchzusetzen. Besonders die preußischen Truppen, die sich aus begeisterten, jedoch unerfahrenen, meist sehr jungen Soldaten zusammensetzen, sind der kriegsgewandten französischen Armee nicht gewachsen. Napoleon siegt am 2. Mai 1813 bei Großgörschen/Sachsen über die vereinigten preußischen und russischen Heere und gewinnt damit die Kontrolle über Sachsen zurück. Die Festung Torgau sowie die sächsischen Streitkräfte stehen von nun an unter Napoleons Oberbefehl. Drei Wochen später, am 20. Mai, ist er bei Bautzen erneut siegreich und zwingt die Verbündeten zum Rückzug (vgl. Möller 1989, S. 640). Die preußischen und russischen Truppen ziehen sich daraufhin nach Schlesien zurück, wobei sich die ursprünglich überschwengliche Stimmung im Heer allmählich eintrübt. Napoleon, dessen Truppen in beiden Schlachten große Verluste verzeichnen mußten, geht am 4. Juni auf ein Waffenstillstandsabkommen ein, das bis zum 10. August andauert. Beide Parteien nutzen die Zeit zur Aufrüstung und erneuter Truppenaushebung. Weit entscheidender sind die Verhandlungen, die zwischen Rußland, Preußen und Österreich in diesen Monaten stattfinden. Österreich stellt sich in deren Folge schließlich trotz der familiären Verbindung mit Napoleon33 gegen 33
Napoleons zweite Frau, Marie Louise, war die Tochter des österreichischen Kaisers
Franz I., des früheren deutschen Kaisers Franz II.
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Entstehung
Frankreich und tritt ab 12. August 1813 in den Krieg auf der Seite Preußens und Rußlands ein. Das Bündnis wird darüber hinaus durch den Beitritt des »Dauerund Hauptgegner〈s〉« England (Nipperdey 1998, S. 85), aber auch Schwedens, später Spaniens und Portugals, erweitert. Die preußischen Patrioten sehen im Waffenstillstand vom 4. Juni die Gefahr, daß die nationale Idee durch einen Kompromißfrieden verhindert werden könne. Die Nachricht vom Scheitern der Friedensverhandlungen, von der Kriegserklärung Österreichs an Frankreich sowie von der Wiederaufnahme der militärischen Auseinandersetzungen läßt die Kampfbereitschaft im preußischen Heer wieder aufleben (vgl. Spies 1981, S. 9). Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober bringt die endgültige Niederlage Napoleons. Durch die Überzahl der Verbündeten werden die französischen Truppen, mit großen Verlusten auf beiden Seiten, vernichtend geschlagen. Die Franzosen sind dadurch zum Rückzug gezwungen. Napoleons Herrschaft über die deutschen Staaten bricht zusammen. An die Niederlage der Franzosen bei Leipzig schließen sich in schneller Folge die Auflösung des Rheinbundes sowie das Ende der napoleonischen Modellstaaten, des Königreichs Westfalen und der Großherzogtümer Berg und Frankfurt/Main an. Nach dem Friedenskongreß in Chaˆttilon (5. Februar–19. März 1814), dem Abschluß eines Bündnisses der Alliierten »zur Wahrung des Gleichgewichts in Europa« auf zwanzig Jahre (1. März, vgl. Möller 1989, S. 642) sowie der Einnahme von Paris erfolgt Napoleons Abdankung. Die Frage nach der Neuordnung Europas und damit auch einer territorialen Neugliederung Deutschlands wird im Wiener Kongreß von 1814/1815 verhandelt. Der österreichische Kanzler, Fürst Clemens Lothar von Metternich, setzt sich mit seinem Ziel durch, eine stabile, dauerhafte Ordnung in Europa unter Einschluß Frankreichs herzustellen. Diese Ordnung fußt jedoch nicht auf der Freiheit und Selbstbestimmung der Völker, sondern auf der Legitimität von Staaten und Dynastien (vgl. Nipperdey 1998, S. 89). Die Hoffnungen der deutschen Patrioten auf eine nationale Einheit und Selbstbestimmung erfüllen sich auf dem Wiener Kongreß nicht. Die folgende Zeit der Restauration ist gekennzeichnet durch repressive Maßnahmen gegen die gerade 1813 geweckten freiheitlich-patriotischen Ideale. Arnim verfolgt die hier skizzierten historischen Ereignisse zum größten Teil aus der Perspektive des am Kriegsgeschehen unbeteiligten Patrioten. Abgesehen von seinem viermonatigen, engagierten, aber wirkungslosen Auftreten im Landsturm wählt er statt des Schwertes die Feder – eine Entscheidung, für die er sich immer wieder vor seinen Freunden rechtfertigen muß.34 Diesen Konflikt zwi34
Vgl. dazu und zu Arnims politischer Einstellung im allgemeinen Helene M. Kastinger-
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Die Schaubühne als patriotisches Bekenntnis/Arnims Engagement im Landsturm
schen aktiver Kriegsbeteiligung und dem Glauben, in gleicher Weise durch das Verfassen patriotischer Schriften etwas für das allgemeine Wohl des Staates ausrichten zu können,35 überträgt Arnim auch auf einige seiner Figuren in der Schaubühne.36 Arnim scheint während der napoleonischen Kriege, wie dies Franz Kafka treffend charakterisiert hat, »förmlich die ganzen Jahre in vollständiger Ausrüstung hinter der Tür« (Kafka 1975, S. 227)37 zu stehen, ohne sich wie andere seiner Freunde aktiv an den kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen.
Arnims Engagement im Landsturm Arnims Eintritt in den Berliner Landsturm gehen einige Versuche voraus, sich als Soldat in der Landwehr an den napoleonischen Kriegen zu beteiligen. Im Dezember 1805 bietet er dem preußischen Prinzen Louis Ferdinand seine Dienste an. Er wird jedoch durch den nach dem Vertrag von Schönbrunn vom 12. Dezember 1805 eintretenden Waffenstillstand an seinem Vorhaben gehindert, militärisch aktiv zu werden. In der folgenden Zeit widmet er sich vermehrt ideellen, literarischen Projekten wie etwa im September 1806 der Verteilung seiner Kriegslieder an preußische Soldaten, die durch Göttingen marschieren.38 Zudem Riley, Die Feder als Schwert. Ludwig Achim von Arnims politische Aufsätze, in: Etudes Germaniques 27 (1982), S. 444–456, besonders S. 455 sowie Knaack 1976. Am 8. September 1806 schreibt Arnim an Clemens Brentano: 〈L〉aut und vernehmlich will ich reden und will kein Blatt vors Maul nehmen und mag das Wort wie leerer Wind tausendmal gesprochen worden seyn, ich will es doch thun, mitfreuen, mitfallen, aufmuntern und trommeln, während andre fechten (BJ-VS). 36 Die herausragendste Figur ist dabei Theobald im Stück Die Appelmänner, vgl. Erl. zu 35
S. 323,8–14. 37
Vgl. zu Franz Kafkas Äußerung über Arnims Drama
Die Appelmänner Erl. zu
S. 308,8–9. 38
Über seine eigene Situation im Herbst 1806 und über die Wirkung der verteilten Kriegs-
lieder schreibt Arnim an BvA am 22. September 1806: 〈...〉
wenn mich etwas trösten kann, nun da alles wandert und singt, daß ich zu alt bin, um von unten auf zu dienen, und zu friedlich gewöhnt bin an allerlei Wesen und Genuß, der auf keiner Wachparade sich zeigen darf und keine Feinde bloßstellen, dies ist es allein, daß ich mit meiner Gestalt, so weit ich reiche, den ungeheuren, hohlen, kalten, metallnen Rüsttraum der Zeit erfülle, anschlage an die Wände, daß sie sich erklingen, es verhallt, es war doch, so nehmen Sie das Blättchen 〈gemeint sind hier die von Arnim an die Soldaten ausgeteilten Kriegslieder〉, was ich unter meinen Landsleuten verteilt habe, keiner wußte, woher es kam, da hört ich mit Tadel und Lob: die alten Soldaten meinten wohl, wenn es solchen Wisches bedürfte, da wär es 451
Entstehung
plant er 1806, ein Volksblatt mit dem patriotischen Titel Der Preuße herauszugeben. Das Vorhaben kommt über den Planungsstatus nicht hinaus, da er nach der Niederlage Preußens in der Doppelschlacht von Jena/Auerstedt und der Besetzung Berlins durch französische Truppen im Oktober/November 1806 dem preußischen Königshof auf dessen Flucht nach Königsberg folgt. Während seines Aufenthaltes in Königsberg verkehrt er am Hof und nimmt aufmerksam Anteil an den Diskussionen der führenden Reformpolitiker Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, August Neithardt von Gneisenau und Gerhard Johann David von Scharnhorst. Sein starkes Interesse an der Tagespolitik äußert sich in mehreren Schriften, in denen er sich nahezu euphorisch für die militärische Aufrüstung und die Reorganisation des preußischen Heeres nach 1806 einsetzt.39 Als die Mobilmachung Preußens im Februar 1813 beginnt, faßt Arnim erneut den Entschluß, sich als Soldat aktiv am Kriegsgeschehen zu beteiligen. Im März 1813 meldet er sich bei der Landwehr. Als adliger Grundbesitzer unterzieht er sich dem gängigen Verfahren bei der Auswahl der Freiwilligen, die »hauptsächlich 〈...〉 durch Auslosung« (Ibbeken 1970, S. 395) erfolgt. Bei seinem ersten Gesuch entscheidet das Los gegen ihn. Beim zweiten Mal wird er wiederum aufgrund einer neuen Verordnung abgelehnt, nach der Adlige nicht unter Offiziersrang dienen dürfen. Da die Offiziersposten bereits besetzt sind, ist Arnim zur Untätigkeit verurteilt. In einem Brief an Gneisenau vom 29. April 1813, in dem er vorschlägt, die Festung Spandau für Kriegszwecke zu verwenden und neu aufzurüsten, führt er als Begründung für seine Ablehnung bei der Landwehr seine Betätigung als Dichter an: Ich hatte mich als Freiwilliger
gemeldet bei der Landwehr und meinte, daß man mich zum Offizier wählen würde; der Ausschuß hatte aber mehr Zutrauen zu Andern, was ich ihm nicht übel nehme; denn Poeten haben überall viel gegen sich (GSTA PK, Kap. 92, Bl. 26). Arnims Argumentation zeigt recht deutlich, daß er sich wegen der Abweisung schämt und nach plausiblen Gründen sucht, um sich vor seinen Zeitgenossen rechtfertigen zu können. Die Möglichkeit, sich selbst militärisch auszurüsten und sich einem der Freikorps anzuschließen, scheidet aufgrund seiner schlechten finanziellen Situation und seiner militärischen Unerfahrenheit aus. Erst durch die »Verordnung über den Landsturm« vom 21. April eröffnet sich ihm die Chance zur aktiven Beteiligung an den »Befreiungskriegen«. Sein Schwager Friedrich Carl von Savigny und andere aus Arnims
schlecht bestellt. Freilich sie bedürfen es nicht, sie sinds, sie meinens, aber ich bedarf es und viele, die zusehen müssen, ohne helfen zu können (FDH 7230). 39 Vgl. dazu seine Schriften 〈Es mußte ein Krieg sein〉, 〈Das Unglück ist geschehen〉, 〈Indem ich die Feder ansetze〉, Was soll geschehen im Glücke, (Werke 6, S. 189–205). 452
Arnims Engagement im Landsturm
Freundeskreis wie etwa Karl Friedrich Schinkel,40 Barthold Georg Niebuhr und Carl Philipp Heinrich Pistor41 treten ebenfalls in den Landsturm ein. Am 5. Mai wird Arnim zum Hauptmann und Vize-Bataillonschef im Berliner Landsturm gewählt. BvA berichtet über diese Zeit retrospektiv und sehr eindringlich in einem Briefentwurf, den sie nach 1816 verfaßt. In diesem Brief ergreift sie vehement Partei für Arnim, da sich dieser wiederholt Vorwürfe gefallen lassen muß, warum er nicht in der Landwehr gedient habe.42 Ihr Bericht nimmt Bezug auf die Ereignisse im Mai 1813, als die Einnahme von Berlin durch französische Truppen droht und zahlreiche Bürger die preußische Hauptstadt verlassen:43
Nachdem die Ängstlichen geflüchtet und Berlin einem stillen Dorfe ähnlich geworden war, meldete er 〈Arnim〉 sich als Offizier bei der Landwehr, es war kurz vorher der Befehl eingegangen, daß die Edelleute nahmentlich die Gutsbesizzer nicht unter diesem Grade dienen sollten; (vorher hatte Arnim schon ums Loos gezogen und war ausgefallen) Arnim wurde abgewiesen mit dem Bedeuten daß die Offiziere der Landwehr schon vollzählig seyen; er kam zerschmettert nach Hauße; womit hatte er diese Herabsezzung diesen Mangel an Zutrauen verdient? – Die Freunde die ihn nicht verlieren wollten fanden alle Gründe auf ihm zu beweisen wie nothwendig es sey daß er die geringe Anzahl derjenigen Bei dem Landsturm die noch Geistesgegenwart hatten nicht vermindere sie drangen alle in ihn zu bleiben besonders da er den Jahren nach nicht mehr zur Landwehr verpflichtet war. sie stellten ihm vor daß wenn alle besseren weggingen, sich aus diesem lahmen rohen Haufen nie ein Landsturm bilden könne; die gewisse Überzeugung in kurzer Zeit den Landsturm als das bedeutendste Vertheidigungsmittel sich entwickeln zu sehen; indem der Feind 40
Schinkel ist 1811 Mitglied der von Arnim gegründeten deutschen Tischgesellschaft. Zur
künstlerischen Zusammenarbeit von Schinkel und Arnim vgl. Roswitha Burwick, Dichtung und Malerei bei Achim von Arnim. Berlin, New York 1989, S. 152–156; 216–233. 41
Arnim bewohnt in Pistors Haus in der Mauerstraße 34 in den Jahren 1809/1810 zeit-
weilig zwei Zimmer. Pistor ist ein Schulfreund Arnims und studierte mit Clemens Brentano in Halle. 1813 ist er als Postrat tätig. 42
Es entsteht im Laufe der Zeit das Gerücht, Arnim habe sich aus Feigheit nicht am Krieg
beteiligt. So schreibt Jacob Grimm an seinen Bruder am 6. April 1814 von seiner Reise mit
Die meisten Preußen, die ich über Arnim gesprochen habe, nehmen es ihm übel, daß er nicht 〈in den Krieg〉 mitgegangen ist (Schoof
dem Hauptquartier nach Paris: 1963, S. 295). 43
Unter den Fliehenden befindet sich auch BvAs Schwester, Gunda von Savigny und deren
Kinder. BvA entscheidet sich, bei Arnim zu bleiben. Durch die Bedrohung der Stadt wird eine Evakuierung der Archive und Kassen und die Abberufung von Behörden angeordnet, so daß der von BvA hier vermittelte Eindruck wohl tatsächlich der Wirklichkeit entsprach.
453
Entstehung
mit jedem Tag erwartet wurde, die Rohheit dieser noch nicht organisierten masse die Arnims ganze Thätigkeit und Interesse in Anspruch nahm liesen ihn keinen Blick werfen auf die Seite wo die Glorie des Ruhms aber auch die Prahlerei ihre Fahnen entwickelten. Ein Beweiß daß Arnims Fähigkeiten erkannt waren daß er das Zutrauen Aller genoß war: daß er bestimmt war, die eine hälfte des Landsturms zu commandieren. (Briefe und Konzepte 1953, S. 31–32). BvA beschreibt das Engagement ihres Mannes für den Landsturm in realistischer Einschätzung der damaligen Verhältnisse. Sie berücksichtigt die Zweifel und Unzufriedenheit, die er durch die kompromißartige Entscheidung für eine Beteiligung am Landsturm empfunden haben mag. Freilich berichtet BvA im Rückblick auf die drei Jahre zurückliegende Situation und argumentiert dabei rein defensiv, so daß die historischen Ereignisse aus diesen Gründen zugunsten Arnims stilisiert werden.44 Dies ist jedoch auch für die Selbstzeugnisse Arnims der Fall, in denen die von BvA erwähnten Bedenken Arnims in bezug auf den Landsturm gänzlich fehlen. BvAs Charakterisierung des Landsturms als lahmen rohen Haufen entspricht weitestgehend den Tatsachen. Durch die miserable Ausrüstung der Truppen ist der Landsturm in seiner Wirkung eher mit der eines »Sandkastenspiel〈s〉 alter Militärs und nicht 〈mit einer〉 spontane〈n〉 Selbstbewaffnung des Volkes« (Knaack 1976, S. 96), die ursprünglich intendiert ist, zu vergleichen. Vielen der rekrutierten Landsturmsoldaten, die in Zivil gekleidet und mit unzureichenden Waffen ausgerüstet sind, mangelt es an Disziplin und an der Bereitschaft zur Beteiligung an den militärischen Waffenübungen (vgl. Ibbeken 1970, S. 402). So besteht die Bewaffnung der 114 Männer der Kompanie, die Arnims Befehl untersteht, laut der erhaltenen Landsturmakten aus 109 Piken.45 Einige der Män44
So ist es z. B. falsch, daß er die Hälfte des Landsturms zu befehlen hatte. Außerdem
scheint die Veröffentlichung der
Schaubühne unter dem Vorzeichen, als »patriotischer
Dichter« in die Geschichte des Landsturms einzugehen, gestanden zu haben. Darauf deuten Arnims Briefe an Freunde aus den Jahren 1813 hin, in denen er stolz auf sein Engagement für den Landsturm zu sprechen kommt. 45
In einer 1813 erschienenen »Anleitung« zum Gebrauch der Piken im Landsturm wird die
National-Waffe bezeichnet, welche unsere Vorfahren unter mancherlei Wechsel der Gestalt in ihren Kriegen, für Freiheit und Vaterland, mit Erfolg anwendeten, weil sie ein kräftiges Vertheidigungs-Mittel, in der festen Faust unserer mannhaften Vorfahren war (H. J. von Wallhausen, Ueber das Pike mit patriotischer Begeisterung als
Exercitium mit der Pike, im Anfange des 17ten Jahrhunderts. In Hinsicht auf den Gebrauch der Pike, bei den 〈sic〉 Landsturm. Berlin 1813, S. 3). Die historisierende Heroisierung der Waffe in diesem Pamphlet spiegelt einmal mehr die patriotischen Legitimierungsstrategien zur Zeit der »Befreiungskriege«.
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Arnims Engagement im Landsturm
ner sind ausserdem mit Säbel und Pistole, dreye mit Büchsen, zweye mit Gewehren versehen (BJ-VS). Die miserable Ausrüstung und Moral kennzeichnet auch die anderen Kompanien des siebten Bataillons, dem Arnim angehört. Arnim will dem entgegenwirken. So schreibt er nach dem Waffenstillstand von Poischnitz vom 4. Juni 1813 an die anderen Hauptleute seines siebten Bataillons und ruft sie auf, für die Anschaffung von zwei Kanonen Geld zu spenden.46 Der Kauf dieser Kanonen sei zur Verteidigung Berlins von großer Wichtigkeit und könne durch das Einsammeln eines bestimmten Betrags von den Landsturmsoldaten des Bataillons leicht realisiert werden. Das Schreiben, das von den anderen Hauptleuten eingesehen, abgezeichnet und kommentiert wird, findet Befürworter und Gegner. Grund für die ablehnende Haltung ist die Armut der meisten Landsturmsoldaten sowie die Furcht, das Vertrauen der Kompanie zu verlieren, wenn von den Soldaten ein bestimmter Geldbetrag einkassiert werden würde. In einem weiteren Schreiben Arnims wenige Tage später, das die Reaktionen der anderen Hauptleute auf seinen Vorschlag zusammenfaßt, ruft Arnim erneut zu Spenden für die Anschaffung der Kanonen auf. Anstelle des ursprünglich intendierten Pflichtbeitrags sollen die Landsturmsoldaten nun ganz freywillig 〈Geld geben〉, denn wir hoffen für die Freyheit (EZ 29, S. 427,3). Zugleich geht Arnim mit gutem Beispiel voran. Er kündigt an, zum Behufe dieser Kanonenanfertigung die Einnahme von 400 Exp. 〈s〉einer Sammlung von zehn kleinen Lustspielen bereitzustellen (ebd., S. 427,3–5), die soeben erschienen und zur Aufheiterung unsrer alzuernsthaften besorglichen 〈Militairs〉 bestimmt seien (ebd., S. 427,5–6). Da die aus dem Verkauf der Schaubühne erhofften Gewinne die meisten Kosten für die Kanonen zwar decken würden, die Einnahmen aber erst nach und nach zu erwarten seien, zählt Arnim auf Kredit bei den Stellmachern und Schmieden, die mit der Herstellung der Kanonen betraut werden. Außerdem setzt er sein Vertrauen in die reicheren alteren Manner 〈sic〉 die durch ihr Alter von dem
Dienste des landsturm nicht verpflichtet sind, aber durch sie geschützet werden (ebd., S. 427,14–16).
46
Bereits im Februar 1811 engagiert sich Arnim in ähnlicher Weise für die Aufrüstung des
preußischen Heeres. Er fordert die Mitglieder der deutschen Tischgesellschaft dazu auf, für das Wohl des
neu zu bildenden Kriegsheere〈s〉 zu spenden (GSA 03/262, 8). Da sich in
der Kasse der Tischgesellschaft bereits 180 rth. befinden, die Kosten für die Bereitstellung eines Reiters aber 250 rth. betragen, soll jedes Mitglied 70/52 rth. (= 1,35 rth.) aufbringen, um dieses Vorhaben in die Tat umsetzen zu können.
455
Entstehung
Arnim verbindet mit der Veröffentlichung seiner Schaubühne national-patriotische Intentionen, die einen pragmatischen Charakter nicht verleugnen können und wollen (vgl. Ehrlich 1970, S. 139). Zu der Spende des durch den Verkauf der 400 Exemplare eingenommenen Geldes – ein Buch kostet einen Reichstaler – kommt es jedoch nicht mehr, da der Landsturm bereits am 17. Juli 1813 faktisch aufgehoben wird. Friedrich Wilhelm III. fürchtet die potentielle revolutionäre Kraft, die eine solche »jakobinisch egalitäre Truppe des institutionalisierten patriotischen Enthusiasmus« (Nipperdey 1998, S. 54) entwikkeln könne. Ein weiterer Grund für die Auflösung ist wohl auch, daß die Gefahr einer französischen Invasion Preußens durch den sich inzwischen anbahnenden Kriegsbeitritt Österreichs nicht mehr akut ist. Durch das am 17. Juli erlassene neue Landsturmedikt befinden sich nur noch einige »Bürgerkompanien unter Führung der Ortspolizeibehörden« (Ibbeken 1970, S. 402) im Einsatz. Für Arnim endet damit seine Zeit als Soldat. Ein erneuter Versuch, bei der Landwehr zu dienen, wird zurückgewiesen, woraufhin er sich endgültig ins Privatleben zurückzieht (vgl. Steig 1894, S. 315). Während das Gros der Landsturmsoldaten das Edikt vom 17. Juli wohl mit Erleichterung aufnimmt, erlebt Arnim die Auflösung des Landsturms als große Enttäuschung. Wie sehr er von der Bedeutsamkeit des Landsturms als »verfassungsbildende Kraft« (Knaack 1976, S. 43) überzeugt ist, geht aus zwei Entwürfen für eine Eingabe an Friedrich Wilhelm III. hervor, die er zwei Tage vor dem Landsturmedikt am 15. Juli 1813 verfaßt. In beiden Entwürfen preist Arnim die Vorzüge des Landsturms, den er als Vorschule der heranwachsenden Soldaten ansieht (GSA 175/U 9). Seine unbedeutenden Schauspiele 〈d. h. seine Schaubühne〉 gedenkt er dem Brief in dem Bewustseyn der guten Absicht, unter welcher sie ans Licht traten, beizulegen (AZ 13, S. 484,2–3; vgl. auch ähnlich AZ 12, S. 483,1–2). Arnim berichtet dem König, auf welche Probleme sein Plan gestoßen sei, mit dem zu erhoffenden Gewinn vom Verkauf der Schaubühne Kanonen zu finanzieren. Im Juli seien eine größere Anzahl der Bürger, die vor der Bedrohung durch französische Truppen Berlin ohne Befehl verlassen hatten in Folge des Waffenstillstands in die Hauptstadt zurückgekehrt und hätten versucht, ihr Vergehen hinter allerlei
erträumten Anschuldigungen gegen den Landsturm zu verstecken, auch mein Bemühen wegen der Kanonen wurde vielen verdächtigt gemacht (ebd., S. 485,34–36). Des weiteren ist sein siebtes Bataillon vor kurzem getrennt worden – ein Hinweis darauf, daß die Auflösung des Landsturms bereits einige Tage vor Verlautbarung des Edikts beginnt. Sowohl die erwähnten Anschuldigungen als auch die Teilung des Bataillons scheinen Arnim noch vor Inkrafttreten des Landsturmedikts von seinem Vorhaben abgebracht zu
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Arnims Engagement im Landsturm
haben, den Erlös der Schaubühne zur Anschaffung von Kanonen zu spenden. Ob der Brief an den König tatsächlich abgeschickt wurde bzw. welcher der beiden Entwürfe für eine Endfassung genutzt wurde, kann nicht sicher festgestellt werden (vgl. Weiss 1986, S. 47). Die Schaubühne geht, wie Arnim an Friedrich Schlegel am 3. August 1813 schreibt, in sein Eigenthum über (EZ 31, S. 427,7). Zum Absatz der Schaubühne läßt sich kaum etwas ermitteln. Arnim schickt am 15. April 1815, also fast zwei Jahre nach der Veröffentlichung, seinem Verleger Reimer 50 Exemplare zurück, die bei ihm liegengeblieben seien. Er habe die Lust verloren, sich nach der Aufhebung des Landsturms für den Absatz der Dramensammlung einzusetzen (vgl. EZ 34, S. 428,1–4). Ganz richtig ist diese Behauptung Arnims nicht, da er sein Werk einigen Freunden (z. B. den Grimms, Clemens Brentano, Joseph von Görres) und einflußreichen Zeitgenossen wie Friedrich Schlegel und Goethe zusendet, wobei er jedes Mal das patriotische Anliegen der Schaubühne hervorhebt. Eine Antwort Reimers auf seine Bitte, ihm den Betrag der Einnahmen für die Novellen von 1812 und für die Schaubühne zu nennen, hat sich nicht erhalten. Die dürftige Rezeption, die sich fast ausschließlich auf Arnims Freundeskreis beschränkt,47 weist auf das geringe Interesse beim Lesepublikum an der Schaubühne hin. Der finanzielle Ertrag aus dem Verkauf der Dramensammlung muß entsprechend gering gewesen sein (vgl. dazu Reimer 1999, CD-Rom Anhang E [Tabellen aus den Hauptbüchern des Verlags]). Im Winter 1813 bemüht sich Arnim noch darum, die Schaubühne durch Anzeigen im Preußischen Correspondenten, den er in dieser Zeit redigiert, bekannter zu machen, so etwa durch Werbeanzeigen im Juni sowie am 20. bzw. am 24. Dezember 1813 (vgl. EZ 30, S. 427; EZ 33, S. 428). Dabei verweist er auf den ernste〈n〉 Zweck 〈...〉, durch die Einnahme 〈der verkauften Exemplare der Schaubühne〉 das Anschaffen von Kanonen für das
siebente Bataillon des hiesigen Landsturms zu erleichtern, dem sie der Verfasser 〈...〉 zum Geschenk gemacht hat (EZ 30, S. 427,2–4). In einem Brief vom 29. November 1813 bittet er Friedrich Wilken, einen der Herausgeber der Heidelbergischen Jahrbücher, eine baldige Anzeige in den Jahrbüchern zur Verbesserung des Absatzes der Schaubühne abdrucken zu lassen (vgl. EZ 32, S. 428,3–4). Der Bitte Arnims entspricht Wilken nicht. In den Heidelbergischen Jahrbüchern findet sich weder eine Werbeanzeige noch eine Besprechung der Dramensammlung.
47
Vgl. dazu ausführlich die Kap. im Überblickskommentar zur Rezeption der einzelnen
Schaubühnen-Stücke. 457
Entstehung
Im November 1815 zieht Arnim in einem Brief an Wilhelm Grimm das bittere Resumee, daß seine Schauspiele 〈...〉 nirgends angezeigt seien. Andernfalls, so fährt er fort, gäbe ich, wären sie gegangen, einen Band besserer heraus (EZ 35, S. 428). Obwohl die Schaubühne als mehrbändige Ausgabe konzipiert worden ist – die Editio princeps von 1813 ist mit Band 1 überschrieben – erscheint zu Lebzeiten Arnims kein weiterer Band. Erst BvA veröffentlicht einige Stücke aus dem Nachlaß unter dem Titel Schaubühne I–III in den 1840 erscheinenden Sämmtlichen Werken. Insgesamt ergibt sich eine auffällige Parallele zwischen Arnims ergebnislosem Engagement im Landsturm und seiner ebenso von Mißerfolg bestimmten Veröffentlichung der Schaubühne, die ihm nicht den erwarteten Durchbruch als Dramatiker beschert. Beide Projekte scheitern und sind für Arnim mit einer tiefen persönlichen Enttäuschung verbunden. In den Folgejahren zieht sich Arnim immer mehr vom Theater und dessen Publikum zurück, das seine Begeisterung für alte Stoffe und deren Bearbeitung nicht verstehen will oder kann. So schreibt er am 22. April 1814 an Brentano mit einem resiginierten Unterton:
Hab au〈ch〉 allerlei Stücke verfasst, aber zum Aufführen fehlt mir die Courage 〈...〉 (FDH 7365). Der Rückzug ins Private als persönliche Konsequenz aus einem politischen und literarischen Mißerfolg ist in dieser Aussage deutlich angelegt. Als 1817 Ludwig Tiecks Deutsches Theater, eine Edition alter Dramen aus dem 17. Jh., in Reimers Realschulbuchhandlung erscheint, gibt Arnim endgültig seinen Plan auf, eine Alte deutsche Bühne herauszugeben.
›Parallelaktionen‹: Arnims Alte Tiecks Deutsches
deutsche Bühne und Theater
Am Ende von Arnims Bemühungen um die Veröffentlichung alter Dramen bzw. um die Herausgabe einer mehrbändigen Schaubühne steht seine Rezension zu Ludwig Tiecks 1817 erschienenem Deutschen Theater. In dem 1818 im Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz veröffentlichten Aufsatz schreibt er, daß ihm Tieck durch diese Veröffentlichung für seine geplante Edition der Alten deutschen Bühne gewissermaßen die Sahne abgeschöpft habe (EZ 36, S. 429,16). Tiecks zweibändige Dramensammlung, die Stücke von Hans Rosenplüt, Hans Sachs, Jacob Ayrer, den englischen Wanderbühnen, Martin Opitz, Andreas Gryphius und Daniel Caspar von Lohenstein darbietet, mache sein eigenes Vorhaben unausführbar (ebd., S. 429,6–7). Er bedankt sich bei dem Herausgeber, daß er ihm dieses Unternehmen abgenommen habe, obwohl das deutsche Theater nur eine Auswahl dessen, was 〈er〉
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Arnims Engagement im Landsturm / ›Parallelaktionen‹: Arnim und Tieck
als charakteristisch für die Entwickelung der deutschen Bühne aufgefunden habe, enthalte (ebd., S. 429,11–12). Tieck, der sich zuvor mit mittelalterlicher Literatur und der Übersetzung englischer Stücke beschäftigte und dessen Sammeltätigkeit alter englischsprachiger Dramen – ähnlich wie bei Arnim – in die Zeit der napoleonischen Kriege fällt, beginnt sich um 1816 auch für deutschsprachige Schauspiele des 16. und 17. Jhs. zu interessieren. Zwischen Tieck und Arnim lassen sich einige Parallelen darlegen, die Roger Paulin in zwei Aufsätzen (vgl. Roger Paulin, Tieck’s Deutsches Theater and its Significance, in: From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Studies in Literature in Honour of Leonard Forster, hg. v. H. Green, L.P. Johnson, Dieter Wuttke. Baden-Baden 1982, S. 569–577; Paulin 2001, S. 172–179) und seiner Monographie über Tieck bereits umrissen hat (vgl. Paulin 1985). Paulin stellt in seinen Analysen fest, daß es viele Gemeinsamkeiten zwischen beiden Dichtern gibt. Jedoch ist der sieben Jahre ältere Tieck Arnim immer ein Stück voraus: »gleichgültig, in welche Richtung Arnim als Dichter auch vorstößt, Tieck ist irgendwie schon dagewesen« (Paulin 2001, S. 172). Arnim ist besonders um 1800 ein großer Verehrer Tiecks; sein Interesse an dessen Werken läßt auch später nicht nach: Als Arnim 1831 unerwartet stirbt, hält er Tiecks Sternbalds Wanderungen in der Hand. Trotz der Verehrung, die Arnim dem »König der Romantik« entgegenbringt, gibt es einige prägnante Unterschiede zwischen beiden Dichtern. Während Arnim z. B. häufig den aktuellen politischen Kontext in seine Werke integriert, wodurch seine Texte einen stark operationellen Charakter aufweisen, vermeidet Tieck jede Politisierung. Obwohl beide Dichter alte Stoffe, Sagen, Märchen und Volksbücher adaptieren, kritisiert Tieck stets die Arnimsche Arbeitsweise. Tieck ist der Auffassung, daß Arnim durch seine Eingriffe den »Anschluß an die kollektive Imagination« verfehle (Pross 2001, S. 143) und so das »Volksmäßige« der Stoffe zerstöre. Hinter dem Deutschen Theater steht das Anliegen, dem (gebildeten) Leser die bedeutendsten Texte der »nationalen« Dramatiker von den Anfängen des deutschen Theaters im 16. Jh. bis in die Gegenwart vorzustellen. »Das Prädikat des Volksmäßigen und des Populären sagt für Tieck etwas über die Art und Weise ihrer Verwendung aus. Was einen Text als Dichtung des ›Volkes‹ oder der ›Nation‹ auszeichnet, ist sein fortgesetztes Zirkulieren und seine Bekanntheit in breiten Kreisen der Bevölkerung« (ebd., S. 142). Sein Anliegen besteht v. a. darin, bislang unbekannte Texte populär werden zu lassen. Während sich Tieck an den gebildeten Leser richtet, will Arnim idealiter alle Schichten des Volkes mit seinen Werken erreichen. Tieck plant eine sechsbändige Edition deutschsprachiger Stücke. Wie die Schaubühne stößt das Deutsche Theater beim Lesepublikum jedoch auf
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Entstehung
geringes Interesse. Statt der ursprünglich geplanten sechs Bände endet das Deutsche Theater aufgrund des schlechten Absatzes mit dem Erscheinen des zweiten Bandes (vgl. Marek Zybura, Ludwig Tieck als Übersetzer und Herausgeber. Zur frühromantischen Idee einer »deutschen Weltliteratur«. Heidelberg 1994, S. 143). Tieck leitet beide Bände mit einer ausführlichen Vorrede ein, in der er über die verschiednen Dramen, ihre Verfasser, und die Zeit in welcher sie galten, kritische Bemerkungen entwickelt (Tieck 1817 I, S. IV). Die Darbietung der Texte folgt dem Original und weicht lediglich durch die Modernisierung von Interpunktion und Orthographie von den alten Stücken ab. Als erste philologische Edition dieser Art markiert das Deutsche Theater damit den Beginn einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen dramatischen Literatur des 17. Jhs. (vgl. Paulin 1985, S. 205). In seiner Rezension bedauert Arnim, daß Tieck in seinen Vorreden keine vollständige Literaturgeschichte des deutschen Theaters angestrebt habe und ergänzt Tiecks Ausführungen durch Hinweise auf die höfische Theaterkultur des 17. Jhs. und die Bedeutung der Aufklärung für die Entwicklung einer deutschen Bühne.48 Am Ende seiner Rezension legt er ein Bekenntnis ab, das sich auf die gegenwärtige Situation des deutschen Theaters bezieht: 〈W〉ir 〈...〉
müssen aber unser Bekenntnis ablegen: daß in dem gänzlichen Umsturz aller Vermögens-Verhältnisse durch Europa ein seltsames Hindernis aller dramatischen Entwickelung entstanden ist, welches auch die einsichtsvollsten Direktionen nicht ganz überwinden können. Erst nach einer Generation wird Reichtum und Bildung sich wieder verbunden haben, inzwischen wird auch manches mimische Talent und mancher dramatische Schriftsteller erschienen sein; (Arnim 1818b, S. 521).
Dieses »Bekenntnis« läßt sich nicht nur als kritische Bewertung der aktuellen politischen Umstände nach den »Befreiungskriegen« und dem Wiener Kongreß 48
Deutschen Theaters nicht geäußert. Schaubühne, die sich in seiner Bibliothek nachweisen läßt
Tieck selbst hat sich zu Arnims Rezension des
Auch auf die Publikation der
(Albert Cohn, Catalogue de la bibliothe`que ce´le`bre de M. Ludwig Tieck qui sera vendu a` Berlin le 10. de´cembre 1849 et jours suivants par Mm. Adolf Asher & Comp. Vorwort von Erich Carlsohn. Unveränd. ND der Ausg. von Berlin 1849. Wiesbaden 1970, S. 4, Nr. 74)
Deutschen Theaters wird Arnims Dramensammlung nur in einer Fußnote erwähnt. Diese Distanzierung gegenüber Arnim thematisiert auch Heinrich Heine in Die romantische Schule: Warum hat Herr Tieck nie von Arnim gehörig gesprochen, er, der über so manches unbedeutende Machwerk so viel Geistreiches sagen konnte? (Heine 1836, S. 232–233). Vgl. dazu auch den Überblickskommentar zu Jemand und Niemand, S. 828–829.
reagiert er auffallend distanziert. In seiner Vorrede zum ersten Band des
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›Parallelaktionen‹: Arnim und Tieck
lesen, sondern kann auch als »Selbstbekenntnis« des Dramatikers Arnim aufgefaßt werden. Arnim macht die politischen Umwälzungen, die sich durch die napoleonischen Kriege und den Sieg der Verbündeten über Frankreich ergeben haben, für die Stagnation der zeitgenössischen Dramatik verantwortlich. Damit parallelisiert er implizit die eigene Gegenwart mit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – ein Verfahren, das im frühen 19. Jh. durchaus üblich ist (vgl. Martin 2000, S. 217). Schon in seiner Ankündigung und Aufforderung im Intelligenzblatt von 1808 (vgl. EZ 1, S. 416) argumentiert er in bezug auf Andreas Gryphius’ dramatische Werke in ähnlichem Schema: Gryphius wäre sicher für die deutsche Bühne ein Shakespeare geworden 〈...〉, wenn er
in einer reineren Zeit Deutschlands und in einer größeren gesicherten Hauptstadt gelebt hätte (ebd., S. 418,72–74). Arnim, der sich aus finanziellen Gründen und aus Enttäuschung über die politische Entwicklung Preußens, das zum »klassische〈n〉 Staat der Restauration« (Nipperdey 1998, S. 334) wird, ab 1814 auf sein Gut Wiepersdorf zurückzieht, scheint sich mit dem Schicksal Andreas Gryphius’ zu identifizieren. In Wiepersdorf distanziert er sich nicht nur von der Tagespolitik, sondern auch vom Berliner Literaturbetrieb. Zeit seines Lebens wird er sich selbst als unverstanden gebliebener Dramatiker sehen, dessen Bemühung um die Verbesserung des Theaters nicht wertgeschätzt worden ist. Entsprechend gering ist seine dramatische Produktivität seit 1813/1814. In den folgenden Jahren erscheinen lediglich zwei weitere dramatische Werke: 1819 das Schauspiel Die Gleichen, 1826 im Rahmen des Erzählzyklus’ Landhausleben das Stück Marino Caboga. Mit beiden Stücken verfolgt Arnim nicht mehr so hochgesteckte Ziele wie mit seiner Dramensammlung von 1813 und bemüht sich auch nicht mehr um eine Aufführung: Die Schaubühne ist Arnims ambitioniertestes Dramenprojekt. Durch die Veröffentlichung in einer Zeit geschichtlicher und politischer Umbrüche verfolgt Arnim nicht nur literarisch-ästhetische, sondern auch politische Ziele, doch scheitert er mit seiner Schaubühne wie auch Tieck mit seinem Deutschen Theater am Desinteresse des Publikums.49
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Vgl. dazu auch Hendrik Birus, Wiederholung der Anfänge. Zur Rezeption des europäischen Dramas des 16./17. Jahrhunderts in der deutschen Romantik. In: Theater im Aufbruch. Das europäische Drama der Frühen Neuzeit, hg. v. Roger Lüdeke, Virginia Richter. Tübingen 2008, S. 199–214. 461
Rezeption Zeugnisse zur Rezeption Erläuterungen zu den hier abgedruckten Rezeptionsquellen RZ 1–RZ 16 (1813– 1854) finden sich in den jeweiligen Unterkapiteln Rezeption in den Überblickskommentaren der einzelnen Dramen. Des weiteren sei auf das Kap. Die beiden Rezensionen zur Schaubühne verwiesen, das näher auf RZ 6 und RZ 9 eingeht, vgl. S. 495–498. RZ 1: Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten an Heinrich Theodor von Schön, 6. August 1813 (Aus den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön. 3. T. Ergänzungs-Blätter. 6. Bd. Berlin 1883, S. 200)
In Ludwig Achim-Arnim’s Schaubühne erster Band steht pag. 191–192 eine himmlische Stelle. RZ 2: Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schroetter an Johann George Scheffner, 14. August 1813 (Briefe an und von Johann George Scheffner. Hg. v. Arthur Warda und Carl Diesch. Bd. 4. München, Leipzig 1931, S. 319)
Den gestrigen Abend habe ich mit Ihrem Herrn Bruder beim Prof. Hüllmann zugebracht, wo wacker politisirt wurde u. der HE Canzler die erste Nachricht von Gaudi’s Erhebung zum Gouverneur von Schlesien brachte, die von allen gemisbilligt wurde, es wäre denn, dass man es gethan um ihn auf manierliche Art vom Cronprinzen zu entfernen. Hier sagt man auch, daß Moreau Generalquartiermeister bei unserm Könige geworden, u. dass die Russen und Preussen sich am 6ten zur Vereinigung mit Oesterreich nach Böhmen gezogen, denn der ViceKönig von Italien soll mit 80 000 Mann auf Wien gehen, wozu man ihm vermuthlich gehörige Zeit lassen wird. Wie recht haben EwExc. wenn Sie sagen es werde bald einerlei sein Feind oder Freund, u. das Plündern sei vorzuziehen dem geplündert werden. – Auch wurde ge462
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stern viel gesprochen von einer Flugschrift: B a y e r n s R e g i e r u n g u n t e r M o n t g e l a s in der vieles ganz genau auf uns passen soll, wie in Arnims Schauspiel d a s L o c h , dessen Lesung der HE Canzler empfahl – Von was besserm wurde nicht viel gesprochen, ob man gleich recht aufgeräumt war u. das wissensch. Departement auslachte, das die Erfurtsche hochgelehrte starke Bibliothek durch einen geschwornen Auctionator hatte taxiren lassen, der einen unverständig niedrigen Preiss angegeben, so wie ihn vielleicht auch unsre Tandelweiber gemacht hätten. – RZ 3: Friedrich Carl von Savigny an Arnim, 7. September 1813
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Die Stadt hier ist nicht übel, aber in den Leihbibliotheken ist von Deinen Schriften nichts als Halle und Jerusalem, insbesondere noch nicht die Schauspiele, die ich sehr gesucht habe, als Graf Dohna an H. von Schön schrieb, in diesen Schauspielen stehe p. 191. 192. eine himmlische Stelle, er solle sie gleich lesen. RZ 4: Clemens Brentano an Arnim, Anfang Oktober 1813
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Ich habe vorgestern deine Schauspiele und dein Schreiben vom 3ten August durch Schlegel erhalten, er hat sie lange liegen gehabt und mir e r b r o c h e n zugestellt. Mit einer ganz wunderbaren Rührung durch die Schwühle der Zeit, die auf deinem Briefe lag, erfüllt, habe ich schnell, Wesel, Appelmänner und Auerhahn gelesen. Alle diese drei Arbeiten sind ganz ungemein vortreflich, Wesel ganz Klassisch, der einzige Lozan erscheint auf Momente zu leicht, man wünschte ihn nur einmahl im Verhältniß mit der Garnison zu sehn, waß Diego nicht lebendig genug vermittelt, sonst ist eine Stille, eine Heimlichkeit, eine Luft, eine Bescheidenheit, Originalität und Wahrheit im Ganzen, die jeder mann hinreißen muß, und hinreißt. Gundel hatte mir ja gesagt, Ifland habe es angenommen, in deinen Noten sehe ich nichts davon gemeldet, wäre es nicht gedruckt, ich würde es gewiß mit kleinen Veränderungen die Religion und Croaten betreffend, auf die Bühne bringen können, aber für gedruckte Stücke erhält man nichts, auch hier ist die Bühne Geldarm, doch ist der Kreiß der Schauspiele weit größer als in Berlin, auch die höhere Gattung, ein Trauerspiel d i e S c h u l d von einem gewissen Müllner aus Weissenfels, im hohen Stil (Blutschuld) macht Fureur. Die Appelmänner sind ganz herrlich, sie müßten bei Beschränkung der Rede, und mit einem tragischen End 463
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von der ungeheuersten tragischen Wirkung sein, so originell sich die Kopfanleimung macht, so wird doch dem Leser der Kopf auch ein wenig mit angeleimt, und das zu entschuldigen hast du wohl allein dem lebendigsten fleischernen Stück das holzerne Prädikat Puppenspiel gegeben, als poetisches Werk hat es mich noch mehr ergriffen und ist Goldhaltiger als Weßel. Der Auerhahn aber ist in dieser Hinsicht ganz groß, die Karacktere sind alle ganz gelungen in Hülle und Fülle, nur thut es einem leid von Franz und Albert nichts mehr zu hören, und das ganze aus der vertrauten speziellen Marburger Lokalität wie einen Fluß austreten zu sehen. Der große Lirische Drang in der Rede, der durch die höchst reitzende Ressonanz der Situationen überall für dich goldherzigen, lockichen und mündigen unmündigen Sänger überall mit angenehm überstürzenden Ueberschwemmungen schöne grüne Insellokale für die Handlungen hervorbringt, hat dies herrliche Trauerspiel zur dramatisirten Geschichte gemacht, und so reitzend, so schön, so lieber und goldener es ist, als alles andere, so möchte man es doch als Drama sehen, der Karackter des alten Heinrich will es auch mit aller Gewalt dazu hin fluchen, aber Aelius Celestis führt es mit seinem Schwan den poetischen Fluß in der ebenen Gegend schön hinab, und das Tragischste in dem herlichen Gedicht ist der Untergang des Dramas als Held im Epischlyrischen Schicksal. Die Lieder sind meist wunderschön. In keiner poetischen Erscheinung der neuen Zeit habe ich das Zußammentreten des Schäckspearschen und Calderonschen Gestirns so wunderbar gefühlt, und darin mag wohl liegen, daß es dramatische Geschichte geworden. Das Maaß der Rede und sein Wechsel ist ganz in der von dir erfundenen Art herrlich gelungen. Doch ich muß aufhören, sonst werde ich nicht fertig, dich zu loben, du bist ein herrlich Mensch, und wenn dich das Schicksal je an eine Stelle stellt, die dich veranlaßt mehr zu münzen (Wesel) als zu schnitzen (Appelmann) und zu wirken, sticken, und einzulegen (Auerhahn) so kannst du dich der neuen Bühne bemeistern. Die Misverständniße stehen in diesem Kreiß, wie der Groskophta, in Göthes Werken, für den unverständigen schwach, für den Verständigen klar und bescheiden, sie liegen wie eine reine Schreibmeister Vorschrift zwischen den Skitzen, und vollendeten Zeichnungen in einer Malermappe. Das Loch scheint mir seit ich in Töplitz hineinsah, viel reicher und schöner, der zweite Akt ist voll herrlicher Erfindung und tiefer ewiger Satire. Das Frühlingsfest ist reich an schönen lyrischen Stellen, es ist ganz aus einer der süßen weichen reichen Quellen, von denen das Urgebirg deiner Poesie 464
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wie mit silbernen Bändern überströmt ist, es ist aus deiner natürlichsten Natur; deine spätere höhere und belebtere Kunst hast du erlebt, diese hat dich belebt. Die Possen sind ganz anmutig, doch ist das hineingearbeitete nicht so roh, als die alten Gerippe, und daher hie und ein Moment der Auferstehung, der nicht so künstlerisch rein ist, als das Geripp, das wieder Fleischwerden, doch fällt mir das wohl allein auf, weil ich das Alte kenne. Doch ist mein fatal kritisches Aug nie drin beleidigt, und alles ist recht schön, und noch keines deiner Werke hat mich wie dies Buch entzückt, alle Genien und alle Dämonen deines poetischen Himmels sind drinn, jene triumphirender, diese gefesselter, als irgend wo anders. RZ 5: Jacob Grimm an Friedrich Carl von Savigny, 24. Dezember 1813 (Schoof 1953, S. 151)
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Grüßen Sie 〈Arnim〉 tausendmal, für seine Schauspiele danke ich ihm aber noch ausdrücklich, der Auerhahn ist eins seiner schönsten Werke, nur gestehe ich auch hier, daß mir die Handlung nicht genug lebt. Im Einzelnen ist herrliches, die meisten Lieder manchmal außerordentlich schön, z. B. wann die Vögel aufwärts steigen, so verstummet ihr Gesang, meinstu daß sie droben schweigen, wir nur hören nicht den Klang. Das Buch ist verliehen und ich habe das behalten, was ich selten kann. Unter den kleinen Puppenspielen steht sich die alte Fabel besser; bes. das von der Pelzmarie und ich wollte auch der Auerhahn pp. wäre unjambisch geschrieben, mir däucht daß der Vers einigemal die Wendungen härter oder beschnitten gemacht hat. Doch möchte ich das Gesagte besser und nach meiner Weise umständlicher sagen, der Wilhelm kann das, und der Arnim soll mir darum doch gut sein. Ob ich gleich kein Singvogel bin, noch aufwärts steige, sondern nur in die Ferne gehe, so denke ich doch in den nächsten Monaten gewiß mehr als je an Sie 〈...〉. RZ 6: Wolfram, Schauspiele. Ludwig Achim von Arnim’s Schaubühne. Berlin 1813, in: Wiener Allgemeine Literaturzeitung (2), H. 6 (Freitag, den 21. Jänner). Wien 1814, S. 99–104
Schauspiele. L u d w i g A c h i m v o n A r n i m ’ s S c h a u b ü h n e . Erster Band. 1813. Auch mit dem zweyten Titel, der zugleich Inhaltsanzeige: J a n n ’ s e r s t e r D i e n s t , Posse; d e r A u e r h a h n , dramatische Geschichte; 465
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d a s F r ü h l i n g s f e s t , Nachspiel; M i s s v e r s t ä n d n i s s e , Lustspiel; d i e B e f r e y u n g v o n We s e l , Schauspiel; d a s L o c h , Schattenspiel; H a n r e i u n d M a r i a , Pickelheringsspiel; d e r w u n d e r b a r e S t e i n , Hanswurstspiel; J e m a n d u n d N i e m a n d , Trauerspiel; d i e A p p e l m ä n n e r , Puppenspiel, von Ludwig Achim von Arnim. (Darunter ein Holzschnitt, einen Pfau mit ausgebreitetem Schweife vorstellend). Berlin 1813. In der Realschulbuchhandlung. (Ladenpreis 1 Thaler.) 308 S. in 8. Nicht allein durch die Laune mehrerer, oft unserer vorzüglichsten Schriftsteller, welche auf der Bühne undarstellbare Sachen schrieben, sondern auch, und besonders, durch die gründliche und gereifte Schlechtigkeit unserer Bühnen und der meisten Vorsteher derselben, hat sich das deutsche Bücherwesen der Bühne zahlreich mit einer Menge von Schau-, Trauer- und Lustspielen vermehrt, die ihren Pappband nicht überschreiten werden. Es ist so weit gekommen, dass es einen Bühnenleisten gibt, über dem alle neuen Stücke geprüft werden. Da er nun aber keinen hohen Spann hat, sondern sehr glatt, etwa wie ein Entenfuss ist, so wird gar vieles als unpassend bey Seite gelegt und die tiefe Murmelthier-Schlafseuche bey unsern Bühnen wächst von Jahr zu Jahr. Die Vorsteher der Bühnen arbeiteten sich dabey recht eifrig mit der Schauwelt in die Hände, einer wälzte immer die Schuld auf den andern, und bey diesem Abwälzen gelangten sie endlich zu einer solchen durchgreifenden Seichtigkeit, dass sie es für anstössig halten, links und rechts zu sehen; nur immer der Nase nach, die ihnen ihre Freunde eingedreht haben. Wir kennen manche Bühnen, von der der Vorsteher ein so verstockter und eingefleischter Sünder in dem Verdeck der Schauwelt ist, dass der blosse Name eines verdienten und wahrhaften Bühnendichters, der blosse Gedanke an die mögliche Darstellung wahrer Kunstwerke, ihm ein Fieber zuziehen könnte. Es würde uns nicht schwer werden, wenn wir uns in den Standpunct dieser Geschmacksverderber setzten, dennoch zu beweisen, dass sie sich gerade den grössten Schaden thun, 100 besonders ihrer Geldbüchse, dass sie so einseitig sind. Wann wir eine gänzliche Umwandlung unserer Bühne zu erwarten haben, können wir nicht einmal ahnden, aber das Ungeglaubte, Ungeahndete kommt ja diesen Zeiten so plötzlich und bricht so schnell herein, dass wir auch noch immer hoffen, es wird uns bald einmal eine starke Hand aus dem Abgrund der Schlechtigkeit retten, in dem unsere Bühnen mit ihren 466
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Vorstehern herumtappen, und sich mit ihrem Jan Hagel ganz wohl befinden. Der langen Vorrede kurzer Zweck ist dieser, die Vorsteher der Bühnen zu Versuchen mit Stücken, die jetzt gar nicht daran denken dürfen, die Bücher zu beschreiten, aufzufordern, damit die Spaltung, die wir oben angaben, und die in diesem Zweige des Bücherwesens herrscht, verschwinde. Bey sehr vielen Stücken sind wir überzeugt, sie können gegeben werden, sie sind darstellbar, sie werden und müssen gefallen. Nach dem jetzigen Zuschnitt unserer Bühnen können wir nicht begreifen, wie so manche Stücke des Grafen Gozzi haben gegeben werden können, und dennoch hat die Gesellschaft Sacchi, wie bekannt, sie mit hoher Kunstfertigkeit und glänzendem Beyfall aufgeführt. Wir wollen nicht läugnen, dass die Lesewelt mit vielen aberwitzigen Erzeugnissen, die Schauspiele betitelt sind, überschüttet wurde, die zu einer eigenen Aufführung sich gar nicht eignen, und die so gut Schund sind, wie der Schund, welcher auf unseren Bühnen erscheint. Jetzt aber, da gar keine Versuche in dieser Hinsicht angestellt werden, weiss man nicht, was sich auf der Bühne ausnehmen würde, und man kann es daher manchen Schriftstellern nicht verdenken, dass sie wie toll und blind ins Zeug hinein schreiben, und sich immer entschuldigen: es ist wohl darstellbar, macht nur den Versuch. Diese unberufenen Geister würden dann auf eine wirksame Art zurückgewiesen werden, und in ihr Nichts zurücksinken, wenn man Versuche mit ihren Stücken anstellte; durch die andern würde die Bühne auf eine bedeutende Weise bereichert werden können. – Das wir hier von den Meisterwerken, die eine schauspielmässige Gestalt von ihren Verfassern erhielten, und nie zur Darstellung bestimmt waren, nicht sprachen, brauchen wir wohl kaum anzuführen, und doch sind diese gerade in diesen Zeiten häufig zurecht geschneidelt worden, wofür man auch früher die jetzt vergessenen Ausdrücke verplümmiken hatte, denn Plümmike schnitt die Zwitter aus den Räubern, dem Fiesko u.s.w. zu, die noch immer unsere Bühne nicht abschütteln kann. Die vorliegende Sammlung enthält eine Reihe von Schau-, Lust- und Possenspielen, von denen wohl nicht so leicht irgend eines bey den Vorste hern der Bühnen in ihrer Verblendung Eingang finden möchte und zu einer Darstellung gedeihen wird, so ergötzlich es auch ausfallen würde, am ehesten vielleicht noch die Befreyung von Wesel. J a n n ’ s e r s t e r D i e n s t , eine Posse, ist nach einem alten Dichter des sechzehnten Jahrhunderts, Jakob Ayrer, der in den Jahren 1570–1589 467
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eine beträchtliche Anzahl von Trauer-, Schau- und Fastnachtspielen dichtete. Es ist ein verständiger und geistreicher Umguss des alten Fastnachtsspieles und sollte, wie wir glauben, wohl auf der Bühne neben dem Rochus Pumpernickel, dem Thaddädel und dergleichen eine zulässige Stelle finden. Die eilf Kinder am Ende sollten doch nicht anstössiger seyn, als ein ähnlicher Auftritt im ersten Theile des Rochus Pumpernickel, dieses durch mehrere Theile ins Breite gedehnten Lieblings einer beträchtlichen Schauwelt. Für Leute, die wie Bandwürmer sind, davon, wenn man sie abreisst, immer wieder eine neue Länge wächst, passt dieses Stück gar sehr; denn wie oft kann der Jan nicht ausziehen? Ayrer hat ihn auch zweymal in die Welt geschickt, und seinen ersten Auszug nicht allein als Fastnachtspiel, sondern auch als Singspiel gedichtet. D e r A u e r h a h n . Eine Geschichte in vier Handlungen. Alle diejenigen, welche Gemüthsbestimmtheit (Character) in Schauspielen wünschen und verlangen, werden in diesem strenge und fast mehrere solcher Gemüthsarten neben einander angesponnen und durchgeführt sehen. Die wunderlichste und wohl etwas zu grell gehaltene Sinnesart trägt Heinrich der Eiserne, doch schildert ihn Günther wohl ganz richtig, wenn er S. 41 sagt: »Du nimmst des Vaters Worte viel zu streng, du bist so sanft, er ist ein heft’ger Mann. Dir bleibet jedes Wort stets gegenwärtig, was du gesprochen, du wägst sie nach, ob du darin gefehlt; er hat im nächsten Augenblick sein zornig Wort vergessen, und fühlt die alte Liebe wieder. Sein Wort verhallet wie ein heft’ger Pulsschlag, wenn wir gelaufen sind. Ich sage dir, mein Heinrich, er braucht zum Leben etwas Ärger, wie unser Magen zur Verdauung bittre Galle nöthig hat; ganz recht wirst du’s ihm nimmer machen, doch dass du ihn am wenigsten beleidigst, das will ich dir bey jedem Anlass sagen.« Wie kommt aber der Verfasser dazu auf diesen Heinrich den Eisernen das anzuwenden, was alle Zeitbücher von L u d w i g dem Eisernen erzählen? der in der Schmiede zu Ruhla hart geschmiedet ward. Der Verf. hat sich wohl nicht recht die Geschichte Thüringens angesehen; denn da einmal das Ganze auf einem geschichtlichen Ereignis gebaut ist, sollte doch so ein arger Verstoss nicht darin vorkom102 men. Wir wollen gerne zugeben, dass das Meiste nicht ge schichtlich ist, am wenigsten der Schluss, wie der Verfasser selbst sagt, aber daraus folgt wohl noch keine Rühmung dieser Übertragung. Das Stück hat unverkennbar und unläugbar glänzende Seiten. Über Muth, Tapferkeit und Siegesfreudigkeit sagt der Verf. S. 42 ein eigenes Wort: »Glaubt 468
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mir, die grössten Thaten sind durch Furcht geschehen, und die Verzweiflung der Furcht, die der Gefahr nicht weichen kann, ist mächtiger als aller Übermuth: Ich sage dir, in der Feldschlacht steht der eine, weil er von andern wird gesehen und den Verlust der Ehre fürchtet, die Frommen fürchten sich vor Gott und seiner Strafe; die Lust am Streit ist nur in denen, die von dem Teufel sind besessen oder von dem heissen Blut des Weins.« Zu den Druckfehlern gehört noch S. 102.: »Es reut m i r manche Schuld.« Man wird übrigens schon aus den angeführten Stellen nicht verken〈n〉en, dass das Ganze sich grösstentheils in Jamben fortbewegt, gegen das Ende erscheinen auch bisweilen trochäische Stellen, doch sind keine Verse, ein paar geringe Stellen ausgenommen, abgesetzt. D a s F r ü h l i n g s f e s t ; ein Nachspiel. Ein freudiges Gedicht am Strande des alten, nun wohl bald ganz wieder vaterländischen deutschen Rheines, in wohlklingenden Versen sanft und schmeichelnd verschlungener Gesang. Das Ganze fassen wohl bedeutend die Schlussgesänge der Chöre in sich: Beyde Chöre: Frühling ward der Welt entrissen, Schönheit reisst er mit sich fort, Sehnsucht weilt und schmerzlich Wort: Ein Chor: Hart und schrecklich ist das Leben! Zweyt. Chor: Untergang sein innres Streben. Beyde Chöre: Seligkeit ist nur im Tode! M i s s v e r s t ä n d n i s s e . Ein Lustspiel. Das Alte, oft Gebrauchte, wird auch hier wieder neu; es ist auch keine Person im ganzen Stücke, die wir nicht schon hundertmal (im strengen Verstande des Worts, und wir glauben gewiss nicht zu viel zu sagen) auf der Bühne gesehen haben. Wir halten es für einen der ersten Versuche des Verf.; die Gespräche schliessen sich leicht und fliessend an einander und so mag es denn immer friedlich mit seinen vielen Brüdern in der Welt umherlaufen und der Vergessenheit zueilen. D i e Ve r t r e i b u n g d e r S p a n i e r a u s We s e l i m J a h r e 1 6 2 9 . Schauspiel in drey Handlungen. Dass dies kraftvolle, markige, sehr anziehende Stück nicht mit allgemeiner Eile und Freude von den Vorstehern der Bühnen aufgenommen worden, ist ein offenbarer Beweis von der wenigen Umsicht derselben und wie der Blick der meisten nur starr auf einen Punct gerichtet ist, auf die Verschlechterung der Bühne und der Schauwelt. Dieser Vorwurf gebührt besonders den Bühnen, welche im Vaterlande des Dichters sind, die wohl am ersten und näch469
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sten davon Kunde haben konnten. Wir glauben, dass, wenn es Kotzebue einmal einfiele, über ein paar zusammengeheftete Bogen Papier sein Dintenfass auszugiessen und diesen Klecks für ein Schauspiel auszugeben, die meisten Bühnen sich eifrig bemühen würden, diesen Klecks durch irgend eine geistreiche Darstellung zu verherrlichen, wobey denn manchem berühmten Schauspieler, der sich besonders in flachen Stücken gefällt, Raum genug zu Reden aus dem Stegreife bliebe. Das vorliegende Stück hat höchst ergreifende Stellen, die besonders in der jetzigen Lage Deutschlands, vorzüglich noch vor einigen Wochen, einen tiefen Eindruck würden gemacht haben. Wir loben es auch, dass die eigentlichen Kampfauftritte, die auf der Bühne immer etwas Lächerliches mit sich führen, wenigstens leicht dahin gelangen können, alle hinter der Bühne vorgehen, wir nur ihre grossen Wirkungen sehen. D a s L o c h , o d e r : d a s w i e d e r g e f u n d e n e P a r a d i e s . Ein Schattenspiel. Ein tüchtiges, belustigendes Possenspiel, in dem man denn doch lachen kann, welches bey so vielen neueren Possenspielen nicht der Fall ist. Die erste Handlung ist aus den sieben weisen Ministern genommen, die Geschichte des Königs, der seine Frau aus Eifersucht in einem Thurm verschlossen hält und die ein Ritter durch ein Loch in der Mauer befreyt, vorher aber den König mehrmal auf listige Art mit der Königinn betrügt. Wir können indessen nicht läugnen, dass uns die ernsthafte Erzählung weit besser gefällt, als ihre lächerliche Behandlung. Vielen Scherz und manche Stachelreden, besonders in der zweiten Handlung, mögen die Leser sich weiter selbst ausdeuten. H e r r H a n r e y u n d M a r i a v o m l a n g e n M a r k t e . Ein Pickelheringsspiel. Ein derber Schwank, bisweilen etwas unbeholfen und von unsern Possen sehr abstechend, aber doch recht zum Lachen, S. 230 bemerken wir wieder einen Druckfehler: oder hilf m i c h von dieser Frau. D e r w u n d e r t h ä t i g e S t e i n . Ein Hanswurstspiel. Nach dem Altdeutschen. Wir erinnern uns eines ähnlichen Scherzes, den wir in einem Singspiel, der Unsichtbare, gesehen. Beide sind nicht gleich, sondern nur mit einander verwandt. Warum bearbeitete Herr von A. die meisten der kleinen Possen nicht als Singspiele? In dieser Gestalt 104 wer den erheiternde Scherze noch am ehesten auf unsern Bühnen geduldet. J e m a n d u n d N i e m a n d . Ein Trauerspiel. Frey nach dem Altdeutschen. Der Schwank mit Jemand und Niemand und dieses jungen 470
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Garnichts ist sehr erheiternd und belustigend. Die trauerspielige Einfassung möchte doch vielen etwas bunt und sonderbar vorkommen, wie sie es denn auch ist. Von einer Darstellung dieses Stückes wollen wir auch fürs erste nichts verlangen. Die Urschrift ist uns nicht bekannt, das Ganze sieht aber sehr zusammengeschrumpft aus, wenigstens sind ein paar Aufzüge doch allzu kurz. Jemand, Niemand und der Schmarotzer sind höchst erheiternde Larven. D i e A p p e l m ä n n e r . Ein Puppenspiel. Diess Stück wird den meisten Lesern, aufs gelindeste gesprochen, wunderlich vorkommen, und wirklich ist es denn auch ein gar wunderliches Ding, bey dem wir glauben möchten, der Verfasser wolle sich zum Schluss noch über alle seine Leser lustig machen. Feyerlichst entsagen wir jedem Gedanken, dass diess Puppenspiel einmal auf der Bühne erscheinen sollte. Bey diesem Trefflichen, welches diess Stück unläugbar, bis über seine Hälfte, enthält, wird es gegen Ende doch so wunderbunt, fällt wieder in solchen Aberwitz, den Manche als hohe Geistesstärke anpreisen möchten und werden, dass es nur Lächeln und Achselzucken erregt. Der Pfarrer Remel ist die unausstehlichste Gemüthsstimmung, die man sich nur ersinnen kann, höchst widerlich und gesucht. Das Stück kommt uns wie ein Mann vor, der bis zu seinem dreissigsten Jahre vernünftig gewesen und dann rein toll geworden ist.– So möchten wir dann den auf dem Titel befindlichen Pfau für ein Sinnbild des Buches halten; denn wenn man die Füsse ansieht, möchte einem der ganze oft schön gemahlte Schweif zusammen sinken; so möchte es wohl mehrern gehen und die Appelmänner dem ganzen Buche manch unbilliges Urtheil zuziehen. Wie diese Stücke sich übrigens auf der Bühne ausnehmen würden, das wird wohl nimmer zur Sprache kommen, da wir gewiss überzeugt sind, dass die Bühnenvorsteher, deren wir oben mit gerechter Würdigung gedachten, nichts weniger thun, als – gelehrte Anzeigen und Beurtheilungen zu lesen. Wir müssen daher auch verzweifeln, an d i e s e n Prüfsteinen das Zeichen ihres inneren Gehalts je zu finden. Wolfram. RZ 7: Joseph von Görres an Arnim, 5. März 1814
Deine Possen habe ich erhalten, und gestern Abend Jann gelesen, ich weiss nun, warum man hier sprüchwörtlich sagt, Du dummer Jann! Hinein hab ich ins Andere gesehen, da ist wieder tolles Zeug, die 471
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Leute werden sich darob höchlichst wundern. Ich danke Dir dafür, und freue mich auf die Abhende, wo ichs lesen kann.
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Alle deine Bücher die ich außer Dolores habe, haben manche große Freunde gefunden. Von deinen Schauspielen ist eine in mancher Hinsicht gute, im ganzen sehr empfelende Kritick in der Wiener LtaturZeitung, die niemand ließt, von einem mir unbekannten Wolfram. RZ 9: 〈Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld〉, Über Ludwig Achim von Arnim’s Schaubühne. Erster Band. Berlin 1813, in: Blätter zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst. Nr. 1. 1816, Beiblatt zu den »Erholungen, thüringisches Unterhaltungsblatt für Gebildete«. Erfurt 1816, S. I–II. I,1
Über Ludwig Achim von Arnim’s Schaubühne. Erster Band. Berlin 1813. Auch unter dem ausführlichen Titel: J a n n ’ s e r s t e r D i e n s t , Posse; der Auerhahn, dramatische Geschichte; das Frühlingsfest, Nachspiel; Mißverständnisse, Lustspiel; die Befreiung von Wesel, Schauspiel; das Loch, Schattenspiel; Hanrei und Maria, Pickelhäringsspiel; der wunderthätige Stein, Hanswurstspiel; Jemand und Niemand, Trauerspiel; die Appelmänner, Puppenspiel, von L u d w i g A c h i m v o n A r n i m , Berlin 1813. In der RealschulBuchhandlung (Ladenpreis 1 Rthlr.)
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Wer noch schaulustigen Sinn hegt, wem die Nebel und Dünste und die Sonnen der Zeit das Auge nicht verschlossen haben für die Herrlichkeit der Poesie, für die Aussicht in ein schöneres Leben, wo jeder Widerspruch zugleich seine Aufhebung, jeder Kampf sein Ende und seine Verklärung in sich trägt: der komme heran zu dieser Schaubühne, die ein ehrenwerther Mann uns aufgethan hat. Lasse sich Keiner bethören von einem alten Vorurtheile gegen ihn, als treibe er sich umher in thörichten, unfruchtbaren Kreisen; als spotte er, seiner falschen Genialität einzig fröhnend, mit unmäßiger Willkühr aller Gesetze des guten Geschmacks und der aufgeklärten Sitte. Es gab eine Zeit – und sie spukt noch hin und wieder – wo man Alles, was der Verstand nicht sogleich kritisch zerlegen und in einen tüchtigen Magensaft verwandeln konnte, thörig, unsinnig, und mit dem ärgsten Schimpfworte mystisch nannte. Eben so wurden die Erzeug472
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nisse des Mittelalters meistens verachtet: weil sich die Leute zu vornehm dünkten, als daß sie an den alten, treuherzigen und phantasiereichen Gedichten, die nicht blos für das Volk, sondern sogar zum Theil vom Volke gemacht waren, sich hätten ergötzen mögen. Freilich ging man von der andern Seite auch wieder zu weit. Manches wirklich Unwürdige ward erhoben, manches Schlechte oder Mittelmäßige laut gepriesen; und Dichter, die weit Besseres vermochten, lieferten – vielleicht blos aus Trotz gegen die andere Parthei – Erzeugnisse, welche diese allerdings mit Recht tadeln und verwerfen mochte. Dahin gehören auch manche von unsers Arnim früheren Schriften, als: die Gräfin Dolores, der Wintergarten, Halle und Jerusalem. In diesen Gedichten offenbart sich allerdings eine gar zu ungeregelte Phantasie, eine Freiheit des Genies, wie wir sie nicht billigen können; und auch in seiner Sammlung von Volksliedern (des Knaben Wunderhorn), so unschätzbar sie auch in jeder andern Beziehung ist, findet der unbefangene Beurtheiler nicht den rechten kritischen Geist, sondern die Laune eines phantastischen Wohlgefallens, das sich selbst für Geschmack hält, und eben deshalb in seinen Äußerungen oft als der wahre Ungeschmack erscheint. Um so angenehmer überraschten die Novellen, die unser Dichter vor einiger Zeit heraus gab, weil sie zwar nicht ohne Tadel, aber doch so reich an Interesse des Inhaltes und der Form waren, daß man fast allgemein in ihrem Lobe überein stimmte. Aber als die Krone seiner dichterischen Bestrebungen gilt uns dieses vorliegende neueste Werk. Nicht als ob die zehn dramatischen Stücke, die er darin gibt, alle für sich und in ihren einzelnen Bestandtheilen gleich vollendet wären: aber es offenbart sich doch im Ganzen ein so ausgezeichnetes dramatisches Talent und ein so lebender Geist volksthümlicher Deutschheit, daß ich dieses Erzeugniß eine der schönsten Blüthen des neu erwachten deutschen Frühlinges nennen möchte. Auf die neueste Zeit der Befreiung wird aber auch besonders und unmittelbar angespielt in den beiden schönsten Stücken der Sammlung, die B e f r e i u n g v o n We s e l und die A p p e l m ä n n e r . Beide verherrlichen den Haß gegen Unterdrückung, die Begeisterung für Recht und Freiheit; und zeigen zugleich mit umfassender Wahrheit, wie sich ein und dasselbe Gefühl in verschiedenen Charakteren verschieden gestaltet und äußert. In beiden erscheint der Dichter in seiner höchsten Glorie. Er formt seinen Stoff mit einer Kraft, mit einer Gewandtheit, wie man sie in unsern Tagen selten findet. Und nicht todte Bilder 473
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stellt er hin: ihm ward vielmehr die prometheische Gabe, jedem seiner Gebilde Leben einzuhauchen, daß sie sich selbständig bewegen, und des Geistes Inwohnen durch freie Handlungen vielgestaltig kund geben. Manche werden zwar, auf gewisse Autoritäten gestützt, daran Anstoß nehmen, daß beide Stücke in Prosa geschrieben sind: aber wir möchten ihnen gerade deßwegen den Vorzug geben vor mehreren anderen Erzeugnissen unseres Verfassers. Denn seine Verse – wie auch das in Versen geschriebene, sonst sehr tiefsinnige und ideenreiche Nachspiel » D a s F r ü h l i n g s f e s t « (ursprünglich ein Zwischenspiel aus der Päpstin Johanna) unleugbar beweist – sind meistens so gezwungen, eckig und dunkel, daß man ihm deren Gebrauch beinahe nur in der satyrisch-komischen Gattung, wozu das feine Schattenspiel » D a s L o c h « gehört, verzeihen und gestatten möchte. Am meisten aber schadet er seiner Prosa durch die angewöhnte Neigung zur gebundenen Rede, und vorzüglich zum Jambus: indem er diesem oft die reine Wortstellung, den harmonischen Fluß der Rede aufopfert, ohne doch etwas Anderes dafür zu gewinnen, als unvollkommene, durch Härten verunstaltete Verse, die er nicht einmal für solche ausgeben darf. Rhythmus gehört zum Wesen der Prosa; aber gebt ihr ein Versmaß, einen gemessenen Schritt: so begeht ihr den nämlichen Fehler, wie die, so einer Marmor-Statüe bunte Kleider anziehen. Unser Dichter verleidet dem Leser durch die Durchführung jenes unvollkommenen jambischen Versmaßes besonders die dramatische Geschichte » d e r A u e r h a h n «, die aber auch in anderer Hinsicht weniger Lob verdient. Daß der Verfasser ihre Mängel durch die Benennung einer dramatischen Geschichte selbst angedeutet hat, kann ihm wenig frommen; denn eine dramatische Geschichte ist weder Drama noch Geschichte, und alles Interesse der Handlung, aller Reichthum an interessanten Charakteren und Szenen mag sie nicht zu dem Range eines wahren Kunstwerks erheben. Einheit gehört nun ein Mal zum Wesen des Drama’s, und sie vermissen wir in dem erwähnten Stücke, das auf der andern Seite wieder durch die Form von der epischen Gattung ausgeschlossen wird. Dessenungeachtet ergötzt und erhebt es: denn der reiche kraftvolle Genius des Dichters ist auch hierin nicht zu verkennen. Am wenigsten hat uns das Lustspiel » M i ß v e r s t ä n d n i s s e « gefallen, das in Betracht des sehr gewöhnlichen Kreises, worin es sich bewegt, beinahe flach genannt werden muß. Wir möchten daher wün474
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schen, der Dichter überließe das Feld konvenzioneller Intriguenstücke schwächeren Geistern, und wendete seine Kraft lieber auf den wahren lustigen Humor, wie er in den drei Stücken » H a n r e i u n d M a r i a , d e r w u n d e r t h ä t i g e S t e i n , J e m a n d u n d N i e m a n d « keck und fast ausgelassen übersprudelt. Sie sind sämtlich nach dem Altdeutschen bearbeitet; und wenn uns auch manchmal ein Witz flach und unbedeutend erscheint: so werden wir doch dafür durch eine unerschöpfliche Laune entschädigt, und durch ein gewisses Gefühl von behaglichem Wohlseyn, das alle Produkte der mittleren deutschen Zeit so unverkennbar bezeichnet. Nur die Posse » J a n n ’ s e r s t e r D i e n s t « stellt ein gar zu gemeines und bedeutungsloses Zerrbild dar; und der Schluß, in welchem ein höherer Humor auf eine recht eigenthümliche Weise sich äußert, kann mit dem Ganzen nicht versöhnen. Am Wenigsten hätte der Verfasser mit dieser Posse im schlimmern Sinne des Wortes die Reihe seiner meistentheils trefflichen Ausstellungen eröffnen sollen. So schließen wir diese Anzeige mit der Erinnerung an die Leser, daß wir weniger recensiren, als einladen wollten, und mit der Bitte an den Verfasser: daß er uns mit seinem a l t d e u t s c h e n T h e a t e r versprochener Maßen recht bald beschenken möge. Bi. RZ 10: BvA an Arnim, 4. Juni 1822
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Mein Klavier mitzunehmen macht zu viel Noth, es könnte sich ja vielleicht eins zu mieten finden in Dahme oder Jütterbog, in der letzten Zeit war ich reich an Melodien, ich habe manche große Stücke aus Deinem Frühlingsfest am Abend gesungen, die mir sehr ans Herz sprachen; wenn mich nicht am andern Tag der Bleistift wieder verführt hätte, so würde ich vielleicht manches aufgeschrieben haben, vielleicht gelingt mirs in der Einsamkeit, das läßt sich alles besprechen, wenn wir erst beisammen sind. RZ 11: BvA an Arnim, 21. September 1825
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Gestern hat uns Klingemann ein Lied von Dir aus dem Auerhahn vorgespielt, was Otto singt, wie er im Kahn ist. »Starkes Herz das atmet freier« – so trefflich, daß ich mirs auf keine Weise besser denken kann, ja Du selbst bist im Jugendfeuer Deiner Poesie drinnen ausgesprochen. Dieser Mensch hat Dich wirklich lieb in Deinen Dichtun475
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gen, so hast Du manchen stillen Anbeter, von dem Du nichts ahndest; und obschon Du Deinen Namen nicht so oft nennen hörst wie andre, so kannst Du doch auf tieferes Gefühl rechnen bei denen, die Dich verstehen, das kommt daher, weil Du eine Tiefe hast, in die man sich versenken kann.
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RZ 12: BvA an Arnim, 4. Dezember 1825
Klingemann ist feierlich bei Savigny eingeführt; er hat aus dem Auerhahn komponiert: »Wenn die Vögel aufwärts steigen«, aber wenn ich Dir sage: »Göttlich schön,« so sage ich nicht zu viel, mein Herz war halb unter Wasser, und halb schwebte es in dem Duft seeligster Wonne, und das ganze ist Deinen Worten so untergeordnet daß diese als das Herrlichste den Menschen rühren, auf mein Lob gab er mir zur Antwort, daß Du es ihm mit ein paar Worten so ans Herz gelegt, daß er diesen es zu verdanken habe, wenn die Melodie befriedige. Dieser Mensch verdient wahrlich Dein Freund zu werden weil er Dich so im Herzen trägt daß er Dich ganz versteht; er kann mit schönen Enthüsiasmus alles Treffliche von Dir darstellen, daß man sieht: Du hast auf ihn eingewirkt.
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RZ 13: Heinrich Heine, Die romantische Schule (Heine 1836, S. 236–237)
Ludwig Achim von Arnim ward geboren 1784, in der Mark Brandenburg, und starb den Winter 1830. Er schrieb dramatische Gedichte, Romane und Novellen. Seine Dramen sind voll intimer Poesie, namentlich ein Stück darunter betitelt »der Auerhahn«. Die erste Scene 237 wäre selbst des allergrößten Dichters nicht unwürdig. Wie wahr, wie treu ist die betrübteste Langeweile da geschildert! Der eine von den drei natürlichen Söhnen des verstorbenen Landgrafen sitzt allein, in dem verwaisten weiten Burgsaal, und spricht gähnend mit sich selber, und klagt, daß ihm die Beine unter dem Tische immer länger wüchsen, und daß ihm der Morgenwind so kalt durch die Zähne pfiffe. Sein Bruder, der gute Franz, kommt nun langsam hereingeschlappt, in den Kleidern des seligen Vaters, die ihm viel zu weit am Leibe hängen, und wehmüthig gedenkt er, wie er sonst um diese Stunde den 〈sic〉 Vater beim Anziehen half, wie dieser ihm oft eine Brodkruste zuwarf, die er mit seinen alten Zähnen nicht mehr beißen konnte, wie er ihm auch manchmal verdrießlich einen Tritt gab; diese letztere Erinnerung rührt den guten Franz zu Thränen, und er beklagt, daß nun der Vater todt sey und ihm keinen Tritt mehr geben könne. 236
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RZ 14: Tagebucheintrag Friedrich Hebbels vom 20. Februar 1842 (Hebbel 1966, S. 472–473)
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d. 20. Feb. Las die Appelmänner, Puppenspiel, von Arnim. Eine tiefe, eigenthümliche Schöpfung. Wie konnte dieser Dichter so unbeachtet bleiben! Die Natur hat dem Menschen doch wenig vertraut, als sie es für nothwendig fand, selbst die Zeugung und das Essen und Trinken mit Ve r g n ü g e n zu verbinden, um ihm einen Sporn zu geben, Beides nicht zu versäumen. Las den Auerhahn, Drama von Arnim. Auch höchst eigenthümlich. Ein fürchterlicher Gedanke, daß der Vater den Sohn so haßt, eben weil er sein Ebenbild ist. Die Kunst ist das Gewissen der Menschheit. RZ 15: Joseph von Eichendorff, Ueber die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland. Leipzig 1847, S. 96–97
(Hervorhebung von Vf.).
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Die gesinnungskranke Zeit, mit den widersprechendsten Medicamenten künstlich überfüttert, konnte nur im stärkenden Luftbad auf den heimathlichen Höhen genesen; von Innen heraus allmählig und allmächtig wachsend, mußte erst die S i t t e sich wiederherstellen, auf der allein die Rettung stand. Und in diesem Sinne, um dieses Heimweh und jenen Gedanken rechter Baukunst im Volke wieder zu wecken, unternahm er »des Knaben Wunderhorn«, den fast verschollenen Klang der Herderschen Volksstimmen vertiefend, indem er ihn auf Deutschland konzentrirte. In gleichem Sinne auch verflocht er große Erinnerungen der Vorzeit, alte Sagen und Geschichten keck mit der Gegenwart, damit diese sich daran besinne, denn »nur Völker, sagt er, die sich selbst nicht achten, können verächtlich mit den Gebeinen ihrer Vorältern verfahren.« So namentlich im »Wintergarten« und in den »Appelmännern«, wo das Grauen, die Ehre, Lust und Noth, die den Be freiungskrieg geheimnißvoll vorbereiteten, und die verschiedenartigen Zustände und Stimmungen der Jugend, die ihn ausfocht, in einem alten Puppenspiele sich wunderbar abschildern: der wildschöne Vivigenius, »der gleich einem Riesen von einem Dach zum andern über die Gassen schreitet, und wo er tritt, da steigt ein heftig Feuer auf«; und der dichterische Theobald, der von jenem mit in den Krieg hineingestürzt, von seinem Liebchen Abschied nimmt: 477
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»Aller Liebe, allem Schaffen, Allen innern Friedenswelten Muß ich heute mich entraffen, Denn das alles soll nicht gelten, Süße Reime, Liederklänge, Fromme Bilder, laßt mich ziehen, Wie ein Leichenzugsgepränge Muß ich eure Freuden fliehen. Sag’ mir keine Abschiedsworte, Trost ist nur in blut’ger Lehre, Schließe deine Friedenspforte Und bewahre deine Ehre; Komm’ ich einst mit blut’gen Händen, Mußt du dich nicht von mir wenden, Wenn ich niemals wiederkehre, Küss’ mich heut zur letzten Ehre.« »Doch sind mir das die tüchtigsten Soldaten, die wissen und auch fühlen, was sie mit dem Frieden aufgegeben haben, die haben rechten inneren Grund zum Kriege.« 〈...〉
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RZ 16: Joseph von Eichendorff, Zur Geschichte des Dramas. Leipzig 1854,
S. 161–163. Da er 〈Arnim〉 den wunderbaren überirdischen Zusammenhang der Geisterwelt überall herausfühlt, das eigentliche Motiv aber ihm nicht deutlich wird, so greift er, zur Vermittelung zwischen dem Diesseits 162 und Jenseits, häufig nach einer phantastischen Mystik, und wirft dadurch eine seltsamfremde, fast gespensterhafte Beleuchtung über seine Dichtungen, die sie unpopulär gemacht hat. So ist z. B. sein »Halle und Jerusalem« im Grunde ganz katholisch gedacht: ein hochbegabter Student, der nach vielen genialwüsten Irrwegen sich männlich zusammenraffend, der Welt und ihrer liederlichen Geistreichigkeit entsagt, und mit seiner gleichfalls bekehrten Geliebten büßend zum Heiligen Grabe wallfahrtet. Allein in diese einfache Geschichte blitzen und spielen von allen Seiten so viele geheimnißvolle Lichter hinein, daß die ursprüngliche religiöse Idee, weil sie eben nicht intensiv genug erfaßt ist, zuletzt in phantastischer Abenteuerlichkeit ganz verwildert. Dieselbe Vorliebe für außerordentliche Motive, die höher 161
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sein sollen als die einfach religiösen, stört mehr oder minder auch in seinen »Gleichen« und verwandelt seine »Appelmänner«, diese prächtige Tragödie des Befreiungskrieges, unversehens in ein Puppenspiel. Sein schönstes, weil am objectivsten gehaltenes, Schauspiel ist ohne Zweifel »Der Auerhahn«. – Dagegen können wir einem andern Vorwurfe, der diesem Dichter von Vielen gemacht worden, ganz und gar nicht beistimmen; dem Vorwurf nämlich, daß bei ihm Trauriges und Lustiges, Hohes und Niederes, Tod und Leben, Engel und Teufel konterbunt durcheinandergehen. Dieser Vorwurf angeblicher Formlosigkeit scheint uns nicht den Dichter, sondern vielmehr die invalidgewordene Phantasie und Tonlosigkeit des Publicums zu treffen, das ja auch an dem Shakspeare’schen Scenenwechsel so wähligen Anstoß nimmt und sich durch ein paar Coulissen mehr oder weniger in seinen scharffsinnigen Meditationen gestört und beeinträchtigt fühlt. 〈...〉 Arnim ist ein durchaus objectiver Dichter; in der Welt aber geht es nicht um ein Haar ordentlicher zu, als in seinen Dichtungen, auch die äußere Welt ist nur ein Kaleidoskop, wo sich das Licht bei jeder Wendung neu und anders bricht. Zeugnisse zu Aufführungsbestrebungen Die im folgenden abgedruckten Quellen AZ 1–AZ 29 (1811–1826) zu Arnims Aufführungsbestrebungen werden in den Überblicks- und Einzelstellenkommentaren zu Jann’s erster Dienst, Der Auerhahn, Mißverständnisse, Die Vertreibung der Spanier aus Wesel und Das Loch erläutert. AZ 1: Arnim an Friedrich Carl von Savigny, 27. Dezember 1811
Dabey fällt mir ein, daß ich für Quaitas Geistesverein ein Schattenspiel, d a s L o c h , geschrieben habe, das Succeß hatte, ich lese es Euch in Berlin. AZ 2: Arnim an Clemens Brentano, 28. Dezember 1811
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Ich rathe Dir, da Du soviele andre Kasten noch in Böhmen bewahrst, Dir einen Fuhrmannswagen mit ein Paar Pferden zu kaufen, die ganze Musick fortzufahren, Christian mit aufzusetzen und in Dresden und Leipzig bis Berlin Ausstellungen zu machen, wobey Du deklamiren, Christian über die Fortschritte der Schmiedebaukunst Vorlesungen halten kann, ich käme euch mit einem Schattenspiele entgegen, das ich 479
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bey Quaita gespielt habe, und welches den schönen Titel führt: D a s Loch. AZ 3: Clemens Brentano an Meline und Georg Friedrich von Guaita, 8. Dezember 1812 (Georg Freiherr von Hertling, »Aus meiner Autographensammlung«, in: Hochland. 1. Jg., Bd. 1, 1903, H. 3, S. 285–302, hier S. 294)
Mit wäßrigtem Munde habe ich mir in Töplitz von Arnim und Bettine die fröhlichen Tage schildern laßen, die sie bei dir zugebracht, Arnim muß recht fröhlich und geliebt worden seyn, das sehe ich aus dem Schattenspiel, das er mir vorgelesen. AZ 4: Arnim an August Wilhelm Iffland, 3. 〈März〉 1813
Ew Hochwohlgeboren wünschte ich eine dramatische Kleinigkeit, die vielleicht bey dem nahen Einzuge der Russen einige Wirkung machen könnte, vorzutragen. Ihr Urtheil, wenn Sie es der Bühne nicht angemessen fänden, würde mich ohne Widerrede und Kränkung von dem Unternehmen zurückhalten, denn ich fühle zu lebhaft wie gute Absicht und gute Freunde in solchen Fällen blenden. Es ist kein Stück aus der Zeit, sondern die Befreiung von Wesel im Jahre 1629, es kann also der Direktion im Allgemeinen kein Vorwurf gemacht werden und es kommt immer noch auf die Empfänglichkeit des Publikums an, ob es einzelne Anspielungen auffindet. Bestimmen Sie eine müssige Viertelstunde, wo ich Ihnen das kleine Stück vorlesen kann, ich bin frey in meiner Zeit. Ew Hochwohlg ergebener Ludwig Achim von Arnim Wilhelmstrasse N 78
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AZ 5: August Wilhelm Iffland an Arnim, 3. März 1813
Hochgebohrner Herr Nachmittag, bei Eintritt ins Theater, finde ich Ihre geehrte Zuschrift. Ich bitte das Stück mir einsenden zu wollen. Meine Zeit ist mannigfach besezt, ich werde aber das Stück nicht aufhalten, da aber die Tendenz des Kabinets uns völlig unbekannt ist, kann ich nichts entscheiden, sondern werde in der Reihe des Repertoirs bleiben, bis die Regierungs Komißion, schriftlich anders entscheidet. 480
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AZ 6: August Wilhelm Iffland an Arnim, 7. März 1813
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Hochgebohrner Freiherr! Den Zeitpunkt wo die Vertreibung der Spanier aus Wesel in Berlin gegeben werden kann, und ob es in dem Plane der Regierung liegt daß sie gegeben werde, kan nicht die Direktion bestimmen, wie Sie gewiß übersehen, sondern die Regierungs Komißion, wohin ich, ohne Sie zu nennen, das Stück senden muß. Das Erste und Eilende, ist, daß das Stück ab und die Rollen ausgeschrieben werden. Dies soll beeilt werden. Ich sende es Ihnen um einiger Bemerkungen willen zu, welche ich mittheile und Ihnen anheimstelle, welchen Gebrauch Sie davon machen wollen. Die Rede des Reinhart »Thuts die ganze Welt, thu Du es auch und der Susane »Mein Vater will mich v e r k u p p e l n . mögte wiedrigen Effekt machen, den eine geänderte Wortfügung hebt. P e t e r »Ihr sollt in dieser Nacht mir beistehen die Spanier t o d t z u s c h l a g e n , wäre es nicht beßer – »zu v e r t r e i b e n , Sie wissen daß die Besorgnis vor Sicilianischer Vesper, hier sehr gewürkt hat und muß man bei dem wandelbaren Glücke, nicht an die Möglichkeit der Wiedererscheinung denken? »Christus ist zu Leiden gebohren aber für alle gestorben. Wenn dieß auch characteristisch ist, wird der Cultus die Zitation nicht auf der Bühne paßiren laßen können. »Wär ich der liebe Gott, ich hielt eine große Rolle und führe so einmahl über Spanien hin, dann wäre das Ungeziefer t o d t g e k n a c k t Freimüthig bekenne ich, daß diese Stelle mir sinnlich wiedrig scheint, Peter zu Suschen. »Du bist so weiß wie Linnen auf der Bleiche an des Sommers Ende, wie seelig werde ich a u f d i r r u h e n . Diese Stelle würde arg mißverstanden werden und auch die Folgende »du bist ein kostbar Hochzeitsbett und wann ich mit dem Schlüßel öffne, dann haben wir nichts mehr zu sorgen, dann schlaf ich ruhig in den weißen Armen, zu einer Gattung Wiederwillen reitzen müßen. Die Mehrheit prüft so etwas, nicht wie es gedacht ist, sondern wie sich es hört. » P e t e r der alte Gott lebt noch! – Hast Du ein Bette u n s bereitet, ich werde müde, möchte b e i d i r ruhen. 481
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Dieß kann nicht bleiben. Überhaupt dünkt mich die Szene, wo Peter auf des Spaniers Schooße sizt, zu lang für die Wahrscheinlichkeit. Daß Judith mit Jann ringt, ist ein characteristischer Zug in einem Flammändischen Gemählde, aber so nahe dem Schluße, und so dicht an der Erhebung, schadet er der letzten Wirkung. In Ansehung des Schlußchores, muß ich Ihnen anzeigen, daß, als die Weihe der Kraft, 1810, nachdem sie von 1806 an, bis dahin gelegen hatte, wiedergegeben ward, der Clerus es dahin zu bringen wußte, daß die M e l o d i e zwar vom orchestre g e s p i e l t , aber vom Chore, nicht g e s u n g e n werden durfte. Was Sie von meinen Bemerkungen, v o r der Abschrift, annehmen wollen, was nicht, überlaße ich Ihnen und erbitte dann das Stück zurück um es abschreiben laßen und vorlegen zu können.
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AZ 7: August Wilhelm Iffland an Arnim, 14. März 1813
Ewer Hochwohlgebohren Berichte ich, daß, nachdem das Mscpt copirt, gestern vom Binder zurückgekommen, es heute der höheren Behörde vorgelegt worden ist. Das Original geht indeß hiebei an Sie zurück. So wie ich beschieden bin, gebe ich mir die Ehre Ihnen das Weitere zu melden.
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AZ 8: Konferenzprotokoll der Oberregierungskommission vom 15. März 1813 in Berlin (Paul Czygan, Zur Geschichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege. Aktenstücke. Bd. 2, 1. Abteilung. Leipzig 1911
Schuckmann trägt eine Anfrage des Schauspieldirektors Iffland vor, welcher bei dem Allgemeinen Polizei-Departement das Manuscript eines Schauspiels, betitelt die Vertreibung der Spanier aus Wesel eingereicht und um Bescheidung gebeten hat, ob dasselbe einstudiert werden könne, indem der hier befindliche Verfasser auf baldige Aufführung desselben dringe. Schuckmann bemerkt, dass in diesem Stück allerdings Anspielungen auf die Bedrängnisse vorkommen, welche Deutschland und Preußen von den Franzosen erlitten, dass die Ver63 weigerung zur Aufführung desselben mißdeutet werden könne, die Bescheidung des Iffland aber, da die bei der Sache obwaltenden Bedenken politischer Natur seien, sich für die Commission eigne. Es wurde beschlossen, da dem Stücke historische Wahrheit zum Grunde liegt, dem Iffland Seitens der gedachten Commission zu eröffnen, dass das Stück einstudiert werden könne. 62
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AZ 9: August Wilhelm Iffland an Arnim, 30. April 1813
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Hochwohlgebegohrener Herr Es bleibt, Ihrem Verlangen nach, dabei, daß Niemand den Verfaßer der Befreiung v Wesel, von hier aus erfährt, daß ihn der, welcher an meiner Seite arbeitet, H Esperstedt, Uberbringer dieses, weiß, ist unbedenklich. Sie dürfen ihm, so sehr als mir vertrauen. Er wird Ihnen einige Dinge sagen, welche die Eigenthümlichkeit der Theatersituation, in Betreff etlicher Vorschläge dH Beschordt anlangen, und darüber Ihre Willensmeinung vernehmen. Die, uns mögliche Aehnlichkeit von Wesel zu erreichen, frage ich, ob Sie ein Kupfer des damaligen Wesel besitzen; wo nicht, so müste ich mich aus Zeilers Topogr: unterrichten. AZ 10: Berliner Theaterkommission an Arnim, 15. Mai 1813
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Die eingetretenen Umstände haben den Herrn General-Director Iffland bestimmen müssen die Aufführung des Schauspiels: Die Vertreibung der Spanier aus Wesel noch auf einige Zeit auszusetzen, welches wir in dessen Abwesenheit Euer Hochwohlgebohren anzuzeigen, nicht verfehlen nicht verfehlen. 〈sic〉 Da bereits alles dazu gemacht ist, und alle Anordnungen zum Proben getroffen waren, so wird es uns sehr angenehm seyn, bei veränderten Umständen die Darstellung dieses gehaltvollen Stücks möglichst zu beschleunigen. AZ 11: Korrespondenz-Nachricht aus Berlin, in: Gubitz 1813, S. 600
Am 14. May sollte im Theater gegeben werden, die Ve r t r e i b u n g d e r S p a n i e r a u s We s e l i m J a h r e 1 6 2 9 , ein Schauspiel in drey Akten. Die Darstellung unterbleibt aber. Als Kunstschöpfung soll es von gar geringer Bedeutung seyn. AZ 12: Briefentwurf Arnims an Friedrich Wilhelm III., 15. Juli 1813
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E.M. übergebe ich diese nur sehr unbedeutenden Schauspiele mit dem Bewußtseyn u n d der guten Absicht, unter welcher sie ans Licht traten, zu Füssen. Ich ließ sie in der Zeit grosser Besorgnisse fur unsere Stadt auf meine Kosten drucken, um für die Einnahme verbunden mit freiligen Beyträgen dem damaligen siebten Landsturm Batallion, Kanonen anzuschaffen, welche denen bey der Armee eingeführten durch483
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aus gleich werden sollten, wenn die Gefahr für Berlin verschwinde, derselben überlassen werden sollten. Der Mangel an Gewehren, ungeachtet ich nach meinem geringen Vermögen meine Compagnie damit zu versehen suchte, machte eine solche Waffe für die Entfernung uns wesentlich nothwendig, die Hauptleute jenes Batallions schienen diese Gründe zu billigen, sie versprachen Beyträge zu sammeln als das Batallion getrennt, der ganze Landsturm für Berlin, durch die erneute Absonderung der Bürgergarde wenn auch nicht äusserlich, doch innerlich in seiner eigentlichen bewegenden Kraft in der 〈xxx〉 zerstört wurde. 〈 ..〉 Ohne einige Hoffnung unter den gegenwärtigen Umständen Beyträge zur Anschaffung von Kanonen zu erhalten, und doch auf der andern Seite völlig zu versichern, daß die zehn bisher für den Landsturm bestimmten, theile ich E. Majest meine Absicht mit, in derselben ehrfurchtsvollen Gesinnung, wie der Mensch sich in allen Unternehmen, die er selbst nicht auszuführen vermag, höherer Gnade des Himels empfiehlt.
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AZ 13: Briefentwurf Arnims an Friedrich Wilhelm III., 15. Juli 1813
Allergnädigster König! Ihrer Majestät übergebe ich meine unbedeutenden Schauspiele im Bewustseyn der guten Absicht, unter welcher sie ans Licht traten. In der Zeit allgemeiner Besorgnisse für unsre Stadt berief mich das Zutrauen meiner Mitbürger zur ersten öffentlichen Thätigkeit bey der Anordnung des Landsturms. Der Mangel an Gewehren und Kanonen war bei allem guten Willen ein grosses Hinderniß wirksamer Bewaffnung, für die Anschaffung von Gewehren sorgten inzwischen die Kompagnien nach Vermögen und Gelegenheit, die Anfertigung von Kanonen schien über die Kräfte der einzelnen Kompagnieen hinauszugehen. Dennoch glaubte ich für dieses Wichtigste einen Anstoß geben zu müssen, ich ließ die vorliegenden Schauspiele auf meine Kosten drucken, und hoffte von der Aufführung einiger, und vom Verkauf, verbunden mit freywilligen Beyträgen dem damaligen siebenten Batallione, zu welchem ich gehörte, zwey eiserne sechspfündige Kanonen giessen und aufrichten zu lassen, welche, denen bey der Armee gebrauchten ganz ähnlich, der Armee übergeben werden sollten sobald sich die Gefahr von der Stadt entfernt hätte. Hätte mein Vorschlag Unterstützung gefunden, so könnten Ihre Majestät ü b e r a c h t u n d v i e r z i g S t ü c k R e s e r v e 484
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K a n o n e n gebiethen und in Verhältniß über die nöthige Zahl Artilleristen, die sich hier bey der bedeutenden Zahl alter Artilleristen unter Zusicherung der Landwehrfreiheit bald gebildet hätten. Meinem Unternehmen stellten sich aber unerwartete Hindernisse entgegen. Bey der zurück ziehenden Bewegung der Armee verlor die hiesige Theaterdirektion Muth, eins der Stücke, d i e Ve r t r e i b u n g d e r S p a n i e r a u s We s e l , das schon einstudiert war aufzuführen. Dies minderte die wahrscheinliche Einnahme von dem Buche; Hamburg, wohin das Stück auch gesendet, sank in Verwirrung und ging verloren. Inzwischen hatten die Hauptleute des Batallions Beyträge zu sammeln versprochen, da wurde das Batallion getrennt. Dennoch glaubte ich mein Unternehmen, wenn gleich in beschränkterem Sinne durchzuführen, da kamen die Flüchtigen, welche Berlin o h n e B e f e h l verlassen hatten, in Folge des Waffenstillstands zurück und suchten ihr Vergehen hinter allerlei erträumten Anschuldigungen gegen den Landsturm zu verstecken, auch mein Bemühen wegen der Kanonen wurde vielen verdächtig gemacht. Gleichzeitig wurde die Disciplin des Landsturms durch Befehle des Justizministers untergraben, auch dies lähmte den guten Willen. AZ 14: Arnim an Clemens Brentano, 3. August 1813
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Ein neues Werk, das zum Anschaffen der Landsturmkanonen von Stapel gelaufen erhältst du beyliegend, wenn Du mit den Theaterdirektoren dicke dran bist, so frag sie doch ob sie nicht die Befreiung von Wesel, den Jann oder die Mißverständnisse aufführen wollen, doch möglich ohne meinen Namen, und mit der Bitte mir noch viel Geld dafür zu geben, denn seit der Landsturm aufgehoben ists mein Eigenthum, will ein Buchhändler Ex〈emplare〉 in Commission nehmen, sie stehen bereit, ich verlange nur Bezahlung in Nachdrücken. AZ 15: Clemens Brentano an Arnim, Anfang Oktober 1813
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Waß dein Wesel angeht, habe ich es jetzt abschreiben laßen, und die Stellen die das Lutherthum betreffen, weggestrichen, um es v i e l l e i c h t als Mspt auf die Bühne zu bringen. Der Gewinn wird klein sein, denn die Bühnen sind durch l i e d e r l i c h e Wirthschaft hier so herunter, daß dem Direcktor Lobkowitz von den Schauspielern, die seit 11 Monat keine Gage erhalten, 6 Staatskutschen, alle Möbel, aller Wein, kurz, waß er hat Konfiszirt ist, es ist ein Skandal, und doch sind 485
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6 hiesige Theater täglich angefüllt, es ist eine Theaterwuth im Volk, das bei der gänzlichen Verbotenheit, jeder geschloßenen Gesellschaft, jedes Kränzchens und Picknicks und Gastmahls (Qua Massonerie) kein anders Vergnügen hat. 〈...〉 Wärst du hier, es könnte dir bei deiner Schnelligkeit der Produckzion sehr leicht sein, die Stelle des bei Wallmoden gebliebenen Hoftheaterdichters Körner zu erhalten, er hatte fix 1500 fl und stand sich auf 3000 unter den angenehmsten Verhältnißen, dafür lieferte er 3 Stücke jährlich, die noch extra honorirt wurden. Man sucht einen neuen, ich bin zu ängstlich, zu persönlich, zu langsam, zu ungeschickt im Connexionensuchen, mich drum zu bewerben, ich bin versichert, ja gewiß, wenn du hier wärst, nur 6 Wochen, du hättest die Stelle schon für Wesel und die Misverständnisse, willst du emigriren, so thue es hierher, ich bringe dann auch meine Bibliothek her, und arbeite mit, fürs Theater könntest du viel, hier alles thun. Aber es fodert einen baldigen Entschluß, ich bin versichert, so etwas würde dich bei deinem Character, und deinem Talent glücklich machen und ganz deine Spähre sein. Waß den Absatz deiner Schaubühne gegen Nachdruck betrifft, so will Ekstein sehn, waß er thun kann, laße durch Reimer eine Anzahl hierher an die Schaumburgische Handlung senden, meine Idee dich um die Theaterdichterstelle zu bemühen ist ein durchaus nicht zu verwerfende, du könntest mit dem Ueberbringer dieses bequem in Wohlfeil hierher reisen und dich umsehen, bringe dann ein paar kleine Sachen mit, kann ich bis dahin deine Stücke, welche ich mit der Aufschrift von einem preusischen Landsturmmann einreichen werde, deine Stücke zur Aufführung bringen, so wäre dies eine herrliche Vorarbeit zum gewiß gelingenden Zweck, laße diese herrliche schöne Aussicht nicht fallen. – .
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AZ 16: Clemens Brentano an Arnim, 18. Dezember 1813
Die Befreiung von Wesel habe ich, wie auch die Mißverständniße zweimahl abgeschrieben, und in ersterer was die Religion betrift verändern müßen, im zweiten muß ich die Scene vom Wurstmachen, welches hier anstößig, umschreiben müßen, es ist auf der Censur zum Aufführen am Wiedner Theater, der Ertrag wird klein sein, weil es gedruckt ist, übrigens melde ich dir, sobald es aufgeführt ist. Wo ich mich noch mit dem Theater berührte, habe ich es niederträchtig gefunden. Graf Palfi, ein in Händen von Wucherern, Kammerdienern, Regisseu486
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ren, lebender verschuldeter Roue´, ohne Treu und Glauben, ja selbst ohne Unterschrifts Glaubwürdigkeit, hat das Wiedner Theater, ich war mit ihm zussammen, ich habe die grösten Versprechungen und Maulverehrungen und die grösten Kränckungen durch Unwahrheit und Zerstreuung und Verlumptheit erfahren. Nachdem ich ihm ein groses Festspiel, das einen ganzen Abend füllt, voll Leben und Getümmel und in recht braven Versen auf den Leipziger Sieg in Vierzehn Tagen, mit einer Anstrengung, die ich nicht gekannt bis jezt, geschrieben, nachdem ich ihm unter der Arbeit Scene vor Scene vorgelesen, keine Zeile ohne seinen Willen geschrieben, geriethen seine Meister die Kammerdiener u.s.w. in Sorge, weil ich ihm vertrauter nahte, und dachten ich könnte dem verlohrnen Sohn ein Licht aufstecken, und es ward beschloßen, meine Arbeit zu unterdrücken, ich erfuhr es, während er mir immer zu schwor sie entzücke ihn, sie werde ihm viel Geld eintragen, und somit ward ich von ihm geprellt, daß ich nach sechs Wochen kaum mein Manuskript, das mich meine Gesundheit gekostet zurück erhielt, bei Allem dem drängt er mich um Stücke, und weiß nicht, waß er will, dein Wesel und die Mißverständniße hat er noch, nach der gemachten Erfahrung suchte ich sie ihm durch zwanzigerlei Mittel zu entreißen, da er sie nicht erkauft, sondern nur zur Ansicht hatte, jezt scheint er sie aufführen zu wollen, den Erfolg erwarte ich. Das Burgtheater welches durch den schändlichen Banquerott Lobkowitzens unter die Regierung eines Hofagenten Hartl, der auch hundertlei Spinnereien und Prozesse führt, gekommen ist, habe ich auch jezt attaquirt, mit der Bearbeitung der Libussa für die Bühne bin ich mit der des Ponce werd ich fertig, ein Festspiel die Siegsfeier Deutschlands am Rhein hab ich eingereicht, Gott weiß, waß die Hunde thun. Bei alle dem ist jezt Geld mit dem Theater hier zu verdienen, und du thust dir wohl, wenn du schnell mancherlei Arbeitest, Stücke folgender Art, werden an den vier stehenden Theatern mit 3 . 4 . bis 500 Gulden bezahlt. An der Wieden einiger Pomp, historische Paralellen, (wie dein Wesel doch mit etwas Cavallerie) auf dem Burgtheater neue leichte Lustspiele, besonders in fünf Akten, auch einfache heroische Trauerspiele im edelsten Stil, beim Kasperl und auf der Josephstadt, patriotische leichte Landwehr und sturm Anecktoden mit gemeinen komischen Bürgermilitair Karikaturen, Kleinstädtereien, Liebschaften, Spiesbürgereien u.s.w. vermischt. Hast du dergleichen, kannst du dergleichen schnell skitziren, es muß dir bei dem Troubel in Berlin viel Stoff vorgekommen sein, so sende mirs in höchster R o h e i t , ich ver487
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wienere es eben so schnell und kann dir alle Monate wenigstens so viel als der Correspondent eintragen, und habe selbst den Vortheil in schnellere Berührung mit der Bühne zu kommen, auch wenn du dort von anderen Bekannten Manuskripte der Art erhalten kannst, ja Theatralia jeder Art, nur lebendig und nicht zu übernatürlich neuschülerlisch, so sende sie mir ein, ich werde thun, waß ich kann, und ich lerne jezt die Schliche täglich mehr. Du brauchst nicht zu ängstlich wegen der Originalität zu sein, nimm altes und schneide es zu, irgend aus der Ungrischen besonders aus der Oestreichischen Geschichte thut seinen Effeckt besonders, Kunz von der Rosen Maximilians Narr, gäbe auch ein schön Spiel, wenn ich nur meine Bibliotheck hier hätte, es fehlt mir an allem. Willst du oder kannst du mir aber nichts senden, so schreibe mir wenigstens einige Sujets. Eine e l e n d e Befreiung Moskaus durch die Russen von den Pohlen im Vorigen Jahrhundert hat hier großen Effeckt gemacht, so etwas über Stettin oder aus alter Hamburger, Danziger Chronick wäre Herrlich, und würde dir rendiren, du hast in We s e l bewießen mit welcher Leichtigkeit du das Treflichste Leisten kannst, das ist eine klassische Arbeit. Wenn du nicht selbst dran gehst, arbeite ich den Apelmann und Auerhan fürs Theater, – nur bedencke, daß du in allem den Schwiegersohn nicht berührst, es muß nur heißen der Feind, von Druck, Qual und leiden, kannst du sagen, waß du willst, nur nichts von Religion, die ist hier ganz verboten.
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AZ 17: Arnim an Johann Wolfgang von Goethe, 16. Februar 1814
Die einliegenden Reime mögen Ew. Excellenz erklären, wie es kommt, daß ich Sie von zeitzuzeit mit Übersendung meiner Versuche belästige, ungeachtet ich keinen Anspruch darauf mache, Sie dafür zu interessieren, es ist eine Angewohnheit. Vielleicht könnte ich den Vorschlag diesmal wagen das kleine Stück, die B e f r e i u n g v o n We s e l anzusehen, ob es aufführbar ist, ich habe es für die Bühne geschrieben, es war auch hier schon einstudirt, als die Schlacht von Lützen der Theaterdirektion den Muth benahm. Der Abdruck dieser Schauspiele wurde durch die Absicht dem Landsturme aus dem Ertrage Kanonen zu verschaffen, beeilt, ich war Landsturmhauptmann und zuletzt Batallionschef. Die Absicht ging mit der Auflösung des Landsturms unter, vier Monate waren mit unglaublicher Mühe verexercirt, nachher habe ich vier Monate zum Troste aller guten zweifelnden Seelen den Preussischen Correspondenten, eine hiesige politische Zeitung, mit einem Beyfall 488
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geschmiert, der mir um so verwunderlicher war, da Mangel an Verbindung mir nicht verstatteten etwas zu leisten, was mir selbst genügt hätte. AZ 18: Johann Wolfgang von Goethe an Arnim, 23. Februar 1814
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Lassen Sie mich also wieder einmal nach geraumer Zeit auf Ihre Sendung etwas erwiedern. Die Vorzüge dieser kleinen Stücke haben mir, als einem Schauspieldirector, abermals die unangenehme Empfindung gemacht, daß talentvolle Männer nicht die Beschränkung des Theaters berücksichtigen wollen, und ein für allemal verschmähen, in den nothwendigen, unerläßlichen und so leicht zu beobachtenden Formen ihr Gutes mitzutheilen. Wie manches Geistreiche, Herzerhebende brächte man da unter das Volk, das man jetzt immer mit seiner eigenen Gemeinheit füttern muß. Geistreiche Autoren würden durch diese geringe Beengung sich leise gewarnt fühlen; sie würden nicht, wie jetzo meist geschieht, unversehens nach allen Seiten hin transcendieren; sie würden gar bald gewahr werden, worüber der Mensch lachen und weinen, wobey er empfinden und denken mag. Das Seltsame wäre ein recht hübsches Ding, wenn es sich nur selbst zu regeln wüßte. Das angedeutete Stück wäre wohl aufführbar; in meiner Lage aber bemerke ich folgendes. Alles was auf den Augenblick anspielt und die Gemüther stoffartig erregt, habe ich immer vermieden; nicht weil ich es in Ganzen für unzuläßig halte, sondern weil ich gefunden habe, daß der Enthusiasmus eigentlich nur die große Masse wohl kleidet. Man muß sich einander unbekannt seyn, und sich nur zusammen fühlen, wenn man sich zusammen erwärmen, ja erhitzen will. Geschieht dieß unter Bekannten, so leidet immer der eine Theil, indem der andre sich freut. Sodann auch ist das ungeheure Siegesglück aufs schnellste soweit vorgeschritten, daß wir auf heftige Incentive nicht mehr zu denken brauchen. Das Beharren in Thun und Leiden ist es eigentlich was wir schon jetzt der Masse zu predigen haben. Das andre hat sich alles von selbst gegeben, und wir brauchten jetzt gar kein Worte mehr, um mit wenigen Anstoß noch einen großen Theil unserer Bevölkerung über den Rhein zu treiben. AZ 19: Arnim an Clemens Brentano, etwa 10. März 1814
Von Göthe empfing ich einen sehr freundlichen Brief über meine Schauspiele. 〈...〉 Zwey Dramen habe ich kürzlich geschrieben von sehr 489
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eigenthümlicher Art, aber das was Göthe mir dringend ans Herz legt, auf die Bühne strenge Rücksicht zu nehmen, erfüllen sie nicht ganz. Ueberhaupt ist mir aber diese Rücksicht auf unsre jezige Bühne ein eignes Ding, da ich sie gar nicht sehe und nicht sehen mag; es gehört dazu glaube ich ein Mitschauspielen; wunderlich aber ists daß einem bekannten Namen unzählige Dinge erlaubt sind, und als bühnenrecht geachtet werden, die niemand in ersten Versuchen verzeiht. Ich bleibe bey meiner alten Leyer, daß die Kritik an allem schuld ist, würde alles wohlwollend aufgenommen, es gäbe keinen Dichter, der nicht Lust bekäme, etwas Besseres zu machen, als er bis dahin leistete, niemals kann aber in der Welt zuviel geschrieben werden, denn so viel weniger wird gesündigt. Das Tollste ist jezt, daß die Schranken der Zeit auch das Theater immer weiter aus den ehemals erlaubten Grenzen zurück drängen, so schreibt Göthe, daß er die Befreiung von Wesel für ganz aufführbar halte, aber er hätte es sich zum Grundsatz gemacht, alles auf dem Theater zu meiden, was die Zeit stoffartig ergreifen könnte. Wie viele menschliche Interessen kommen aber jezt wirklich nach ihrem Wesen zur Sprache, ich wüste nicht wozu die Menschen ins Theater gingen, wenn gar nichts ihren einzelnen Standpunkt, sondern alles nur die allgemeinsten Interessen der ganzen Menschheit, um die ich mich wenig kümmere, berührte.
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AZ 20: Clemens Brentano an Arnim, 5. April 1814
An meinem langen Schweigen ist nichts weniger als mein Glück und Uebermuth schuldig, sondern vielmehr mein Unglück und meine Resignation. Ich bin nun am Rande aller meiner Bemühungen für das Theater, es war die gutmüthigste Thorheit von mir etwas dafür zu thun, ich habe gearbeitet, wie nie, man hat sich meiner bedient, wie eines armen Poeten, ich habe tausend Gänge gemacht, in Antichambren und vor Logen gestanden, Komödianten und Adliches Lumpengesindel kennen gelernt, und bin zu nichts gekommen, als zu Verdruß, Aerger, unsäglicher Arbeit, u.s.w, was uns einst mündlich unterhalten soll, deine Befr. v. W. und Misv. habe ich dreimahl mit eigner Hand abgeschrieben und umgearbeitet, und nichts ist erfolgt, unter andern hat die Zensur in d. B. v. W. gestrichen, waß wird der Mensch in der Sklaverei, ein rechtes Vieh, statt dessen schrieb die k. Oberhofpolizeistelle, wie sincket die Würde der Menschheit unter eisernem Scepter – bei »so ist sie dumm wie ein Ochs, wie ein Ochs ausgestrichen, die 490
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Ganze Scene zwischen Dierecke u Peter wo von Brutus die Rede ausgestrichen u.s.w. Jezt nach langen Anstrengungen meines hiesigen Aufenthalts Müde gehe ich die Woche nach Ostern, da Ekstein auf die Leipziger Messe geht, mit diesem bis Prag, um dort noch ein Paar Monate ganz wieder in Einsamkeit und Vergessenheit mich zu sammlen und alte poetische Fäden anzuknüpfen, und zu sehen, ob aus dem angeknüpften Verkauf von Buckowan etwas wird. AZ 21: Arnim an Friedrich Carl von Savigny, 7. Mai 1814
Mittags war grosse Tafel bey mir, der Prediger und die Amtleute, es wurde Landwein getrunken aber sehr gut gegessen, nachher die gewöhnliche musikalische Belustigung und Schauspiel: Die Befreiung von Wesel. AZ 22: Clemens Brentano an Arnim, 29. Juli 1815
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Ich habe hier die Bekanntschaft des Schauspielers Devrient gemacht, er ist eines der außerordentlichsten Talente, die ich kenne, auch in seinem Wesen nichts vom Komödianten, nur hat er sich leider dem Trunck inkurabel ergeben, was er selbst b e w e i n t , im Geschmack von den Abendbegeisterungen des Steffens. Er ist ein groser begeisterter Verehrer deiner Schauspiele, er wünscht nichts als daß du den Auerhahn für die Bühne bearbeiten mögest, um den eisernen Landgraf zu spielen. Die Befreiung von Wesel ehrt er ungemein, in Breslau ist sie dreimahl, doch ohne Glück wegen der ganz gränzenlos schlechten Besetzung gegeben, weil er krank war. Wenn er es hier dazu bringen kann, will er den Gouvernör spielen. AZ 23: Arnim an Clemens Brentano, 3. August 1815
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Und wenn ich da von Dir höre, wie meine Befreiung von Wesel, die auf so manches Zeitinteresse anspielt, in Breslau so gleichgültig aufgenommen ist, so machts mir wenig Lust, mich einem Schauspielpublico anzuvertrauen mit Arbeiten, die noch weniger von Theatergewohnheiten an sich tragen. Vielleicht kommt eine bessre Zeit, die einem die Lust wiederbringt, für sie thätig zu seyn, in diesem Augenblicke scheint die ganze Welt abgerichtet, ein grosses politisches Resultat hervozubringen, und was darin zerstreuen könnte bringt keinen sonderlichen Segen. Vielleicht kommt eine Zeit, wo sich die Leute 491
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nach allem Edelmuth und vielen grossen Thaten dennoch etwas leer fühlen und dann mag die Kunst wieder hervortreten. Berlin ist leer und überspannt zugleich, jeder macht übermässige Anforderungen und bringt doch nichts mit zur Erfüllung; in solcher Stimmung ist Krieg wahres Bedürfniß und die Menschen werden dadurch leidlich.
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AZ 24: BvA an Arnim, 18. Juni 1818
Der Schauspieler Wolf hat Deine Schauspiele gelesen und den Wunsch geäußert, Dich kennen zu lernen, 〈...〉. – Ich gestehe Dir, daß es mein größter Wunsch wäre, etwas von Dir aufführen zu sehn, und es wäre mir ein leichtes, ohne alle Um- und Nebenwege, die Sache in Anregung zu bringen; jedoch mag ich ohne Deine innere Beistimmung nicht daran denken.
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AZ 25: BvA an Arnim, 28. Juni 1818
Gestern war der Theater-Schulz bei mir, und hat mich um Erlaubniß gefragt (nachdem er viel über Deine Schauspiele gesprochen hatte) uns den Schauspieler Wolf der Deine Bekanntschaft schon lange gewünscht, einen Morgen zu presentieren – ich habe keinen Anstand genommen es ihm zu erlauben indem er bei der Stägemann, Hellvig und mehreren andern honetten Leuten sehr gut aufgenommen ist, Schulz sagte mir noch, daß schon oft die Rede von Deinem Auerhahn war, daß es mit etwas Verändrung ein treffliches Stück zum Aufführen sey, daß man aber nie gewagt habe Dir eine Umarbeitung vorzuschlagen, noch selbst eine zu machen; ich hab von alle dem Savignys nichts gesagt, denn ich würde so glücklich seyn etwas von Dir aufführen zu sehen, daß mir bei dem bloßen Gedanken schon die Thränen aufsteigen, und Savignys würden mich für närrisch halten mit meinem Enthusiasmus. Schulz wunderte sich sehr daß Du nie dem Brühl ein Wort gesagt habest, von dem er behauptet daß er auch nur des kleinsten Anstoßes bedürfe zu so etwas; ich sagte ihm, daß Du dem Schicksal das Deine Stücke auf der Bühne haben könnten; gewiß auch nie die kleinste Anregung gegeben haben möchtest, daß Du Dich gewiß aber nicht wehren würdest, wenn man Dich dazu aufforderte. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, Dir Vorwürfe zu machen, Du selbst kannst Dir nicht leugnen daß wenn Deine Zeit mehr Anteil an Dir genommen haben würde, es gewiß einen großen Einfluß auf Dich gehabt hätte; Du hast aber nicht allein niemals was dazu gethan, 492
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sondern Du fürchtest Dich auch vor dem Ausgang einer solchen Sache, was läge nun daran, wenn ein Stück von Dir nicht grade gefiel wenn Du darüber nur nicht niedergeschlagen würdest; verlohren kannst Du nie gehen, Du kommst mir vor wie eine Pflanze die alle Hundert Jahr nur einmal blühet die Zeit der Blüthe ist da, aber unbedeutende Hindernisse halten sie zurück, der Trieb zum Blühen läßt sich doch nicht vernichten, und wird immer stärker, alle gehen bis jezt an dem staubigen Gewächse vorüber keiner weiß das heiße, geheimnißvolle Leben daß dicht an der Pforte stehet um sich auszubreiten, um aller Blicke auf sich zu ziehen, um jedem unendlichen Genuß zu gewähren. – AZ 26: BvA an Arnim, 22. Mai 1821
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Ich hab der Stollberg und Hedgen Reventlow Jahns ersten Dienst vorgelesen; am andern Tag wurd ich gebeten, der Gräfin Dernath und noch ein paar Zuhörern auch etwas vorzulesen, ich las die erste Hälfte vom Auerhahn; und zwar hier und da so gut wie ich die doch keine geringe Idee von sich hat, mir nicht ein mal zugetraut. Die Dernath mag eine seyn wie sie will, so hat sie doch eine lebendige Seele bei der Hand um etwas mit Genuß in sich aufzunehmen. Sie hörte mit dem größten Interesse zu, sie glühte mit dem eisernen Heinrich und erstarb vor Wehmuth, mit Heinrichs Sohn; ich hab auch gehört, daß sie am andern Tag mit der Brühl und Clausewitz gesprochen, warum ein so lebendiges Stück nicht aufgeführt würde, das hat mir die Stollberg als ein Beweis daß die Lectüre gefallen habe, erzählt. Ja ich wünsche mir nichts mehr, nächst dem was zum Glück D e i n e s Lebens gehört, als ein Stück von Dir auf dem Theater zu sehen, damit erstens Deine Ansicht von Dir in diesem Bezug deutlich werde, und Du über das Auspfeifen hinaus sein mögest, 2tens so wie jeder der sich als Mann fühlt, seine Kräfte benützt um noch einmal geistig in andern aufzuleben, und für andere zu leben, so wie er für sich physisch lebt, daß auch der, der vom Apoll die schönste goldene Leyer bekommen dieselbe für andere und in die empfänglichen Herzen hineinspiele, das Plectrum ist ein heiliger Zepter der durch Töne seine Befehle giebt und den Gehorsam und Liebe erzwingt, wer gekrönt ist dem ist es Pflicht zu herrschen, daß Du die Leyer empfangen ist ein Zeichen, daß Du durch sie herrschen sollst.
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AZ 27: BvA an Arnim, 16. März 1822
Gestern sagte mir Dein Bruder, daß Devrient gar gern die Befreiung von Wesel auf das Theater bringen möchte. AZ 28: BvA an Arnim, 21. Oktober 1826
Gestern erhielt ich von Hrn v Holthei eine Einladung seiner Vorlesung beizuwohnen ich ging mit Fr v Helvig in Begleitung von Strampf hin er las Kain von Beyron und Jahns erster Dienst: sehr gut, es war gedrängt voll das Publikum blieb in einem Lachen; nach der Vorlesung bedankte ich mich bei Holthei, er sagte mir daß er auf Veranlassung von dem Schauspieler Wolf diese Vorlesung gehalten weil er es gern zur Aufführung bringen wolle. Bethmann ist vom Königstädter Theater ab und ich habe Dein Stück noch nicht zurückbekommen;
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AZ 29: Karl August Varnhagen von Ense an Arnim, 21. Oktober 1826
Gestern hörten wir im englischen Hause eine der dramatischen Vorlesungen des Hrn von Holtei mit an, ein gedrängtes Publikum von etwa 300. Personen, weit über die Hälfte Damen. Der geschickte Vorleser war diesmal nicht ganz auf ebnem Wege; der Kain von Lord Byron bietet nicht Gestalt genug dar; sein Gehalt war wenigstens dieser Fassung nicht erreichbar, der Teufel wurde ganz vergriffen; aber Wirkung und Beifall blieben dennoch nicht aus. Dann kam Jann’s erster Dienst, mit guter Laune, aber gleichwohl mit zu scharfer Übertreibung vorgetragen; die Zuhörer waren vom ersten Augenblicke lebhaft angeregt, Fröhlichkeit und Lachen begleitete das ganze Stück, eifrigster Beifall krönte den Schluß. Der Dichter konnte sehr zufrieden sein, selten giebt eine wirkliche Aufführung solchen Triumph. Vielleicht giebt Frau von Arnim, welche mit der Generalin von Helvig und Frau Professorin Schleiermacher unter den Zuhörerinnen war, näheren Bericht, in welchem Lob und Tadel sich schärfer hervorheben; ich wollte, heute schreibend, nur eben nicht unerwähnt lassen, was gestern vorging. –
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Zeugnisse AZ 27–29/Die beiden Rezensionen zur Schaubühne
Die beiden Rezensionen zur
Schaubühne
Arnims vielzitierter Satz Meine Schauspiele sind nirgends angezeigt, sonst gäbe ich, wären sie gegangen, einen Band besserer heraus (EZ 35, S. 428), den er 1815 in einem Brief an die Grimms schreibt, entspricht nicht ganz den Tatsachen. Die Schaubühne wird in zwei öffentlichen Blättern besprochen, zum einen in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung am 21. Januar 1814 (vgl. RZ 6, S. 465–471), zum anderen im Januar 1816 in den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst, einem Beiblatt der in Erfurt verlegten Zeitschrift mit dem Titel Erholungen, thüringisches Unterhaltungsblatt für Gebildete (vgl. RZ 9, S. 472–475). Beide Rezensionen werden in dieser Ausgabe erstmalig erneut veröffentlicht. Aus brieflichen Zeugnissen geht nicht hervor, ob Arnim beide Rezensionen gelesen hat. Über die Veröffentlichung der Rezension in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung wird er von Clemens Brentano informiert. Dieser hält sich nach seiner Flucht aus Preußen von Juli 1813 bis April 1814 in Wien auf und macht Arnim im April 1814 auf die in mancher Hinsicht gute, im ganzen sehr empfelende Kritick in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung aufmerksam (RZ 8, S. 472,2–3). Verfaßt wurde sie, so Brentano weiter, von einem mir unbekannten Wolfram (ebd., S. 472,4). Zu einem Rezensenten dieses Namens läßt sich nichts ermitteln. Evtl. handelt es sich um ein Pseudonym, das jedoch ebenfalls nicht dechiffriert werden konnte. Die Wiener Allgemeine Literaturzeitung (1813–1816), von der Brentano berichtet, daß sie niemand ließt (RZ 8, S. 472,4), ist ab 1813 das Nachfolgeorgan der Annalen der österreichischen Literatur (1802–1805; 1807– 1812)1, einer ab 1808 von Franz Sartori redigierten Zeitschrift, die neben Rezensionen auch wissenschaftliche Abhandlungen enthält (vgl. Estermann 1991, S. 180–182). Während die Annalen der Aufklärung sowie Immanuel Kants Philosophie verpflichtet sind und darüber hinaus hauptsächlich österreichische Literatur besprechen, orientiert sich die Wiener Allgemeine Literaturzeitung stärker an ausländischen Texten und rezensiert v. a. auch Werke der Romantik. Die Redaktion der Zeitung steht zunächst unter der Leitung von Sartori, später wird sie von C. F. A. Hartmann, Joseph von Hormayr und schließlich von Matthäus Casimir von Collin übernommen, der die Zeitschrift bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1816 redigiert. 1
Die Annalen wurden ab 1810 unter dem leicht veränderten Titel Annalen der Literatur und Kunst des In- und Auslandes herausgegeben (vgl. Estermann 1991, S. 180).
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Wolframs Rezension wendet sich einleitend nicht nur kritisch gegen das damalige Repertoire der Wiener Bühnen, in besonderer Weise gegen August von Kotzebues Stücke (vgl. RZ 6, S. 470,1–7), sondern auch gegen das schlechte Niveau der meisten Theater und der in der letzten Zeit veröffentlichten Schauspiele, die den Büchermarkt überschwemmen. Auch das Publikum bezeichnet er polemisch als Jan Hagel (RZ 6, S. 467,1), als Pöbel (vgl. DWB 10, Sp. 2263). Des weiteren spielt er auf Carl Martin Plümike an, der als Dramaturg in den 1780er Jahren aktuelle deutsche Erfolgsstücke umarbeitete, u. a. Schillers Die Räuber (1783) und Die Verschwörung des Fiesko (1784). Plümikes Dramenadaptionen waren bereits zu seiner Zeit heftig umstritten. Wolfram kritisiert, daß die Bühnen jedoch auch heute noch Stücke dieser Art in ihr Repertoire aufnähmen (vgl. RZ 6, S. 467,31). Der Schaubühne attestiert er durchaus Qualitäten für wirkungsvolle Aufführungen, fügt aber mit realistischem Blick auf die Bühnenverhältnisse an, daß die Schaubühne wohl nicht so leicht 〈...〉
bey den Vorstehern der Bühnen in ihrer Verblendung Eingang finden möchte und zu einer Darstellung gedeihen wird (ebd., S. 467,34; vgl. dazu auch Herbert Seidler, Österreichischer Vormärz und Goethezeit. Geschichte einer literarischen Auseinandersetzung, in: Veröffentlichungen der Kommission für Literaturwissenschaft. Nr. 6. Wien 1982, S. 184–192, hier S. 185). Nach dieser Einleitung bespricht Wolfram jedes einzelne Drama ausführlich, indem er in zwei Fällen auch Vergleiche zu populären österreichischen oder deutschen Volksstücken zieht (vgl. dazu den Überblickskommentar zu Jann’s erster Dienst, S. 524 sowie zu Der wunderthätige Stein, S. 780) und vereinzelt aus den Schaubühnen–Dramen zitiert. Darüber hinaus erweist sich der Rezensent als versierter Kenner der älteren deutschen Literatur, indem er z. T. ergänzende Informationen zu Arnims Vorlagen liefert. In bezug auf den Auerhahn geht er z. B. kenntnisreich auf die Kontamination der beiden Sagen von Ludwig dem Eisernen und Heinrich dem Eisernen ein (vgl. den Überblickskommentar zu Der Auerhahn, S. 567). Des weiteren führt er akribisch zwei Druckfehler an (vgl. zu Der Auerhahn, S. 112,16; zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 252,9). Ausdrückliches Lob wird lediglich dem Stück Die Vertreibung der Spanier aus Wesel zuteil. Hier erweist sich der Rezensent als überzeugter Patriot, der bedauert, daß das kraftvolle, markige, sehr anziehende Stück nicht mit
allgemeiner Eile und Freude von den Vorstehern der Bühnen aufgenommen worden sei (RZ 6, S. 469,33–35; vgl. auch den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 659). Die Appelmänner hingegen verurteilt er v. a. wegen der Widersprüchlichkeiten als 496
Die beiden Rezensionen zur Schaubühne
Aberwitz (RZ 6, S. 471,16). Durch dieses letzte Stück könne seiner Meinung nach der gesamten Schaubühne manch unbilliges Urtheil zufallen (vgl. ebd., S. 471,24–26). Die Rezension endet mit einer erneuten Polemik gegen die Bühnenvorsteher, die gelehrte Anzeigen und Beurtheilungen ohnehin nicht lesen würden (ebd., S. 471,27–31), was ein Grund dafür sei, daß die Schaubühnen–Stücke trotz Wolframs empfehlender Rezension wohl nie aufgeführt werden würden. Dieses weitsichtige Urteil bewahrheitet sich tatsächlich, sieht man von der mißglückten Aufführung des Stückes Die Vertreibung der Spanier aus Wesel ab (vgl. dazu den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 652–658). Zu Wolframs Besprechung der einzelnen Dramen en detail sei auf die jeweiligen Kap. zur Rezeption in den Überblickskommentaren zu den Schaubühnen–Stücken verwiesen. Bei den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst (1813–1819) handelt es sich um ein Beiblatt zur thüringischen Zeitschrift Erholungen, thüringisches Unterhaltungsblatt für Gebildete (1812–1819), die von Friedrich Keyser und J. M. Laublin herausgegeben wird (vgl. Estermann 1991, S. 524–529). Der Rezensent, der sich durch das Kürzel »Bi« ausweist, ist Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld, der Schriftsteller, Theaterdirektor und Jurist in Heidelberg, Berlin und Weimar war und Beiträge für die Erholungen verfaßte (vgl. ebd., S. 528). Die Rezension fällt überwiegend positiv aus. Biedenfeld bezeichnet die Schaubühne als Krone seiner 〈Arnims〉 dichterischen Bestrebungen (RZ 9, S. 473,24), nachdem er auf die vorangegangenen Werke des Dichters wie z. B. Gräfin Dolores, Wintergarten sowie Halle und Jerusalem kritisch eingegangen ist und sie als Ausdruck einer ungeregelte〈n〉 Phantasie, eine〈r〉 Freiheit des Genies, wie wir sie nicht billigen können, bezeichnet (ebd., S. 473,12–13). Ein ähnliches Urteil fällt er über Des Knaben Wunderhorn (vgl. ebd., S. 473,13–19). In den meisten der Schaubühnen–Dramen offenbare sich dagegen ein so ausgezeichnetes dramatisches Talent und ein so lebender Geist volksthümlicher Deutschheit, daß Biedenfeld dieses Erzeugniß eine der schönsten Blüthen des neu erwachten deutschen Frühlings nennen möchte (ebd., S. 473,27–30). Die national-patriotischen Stücke Die Vertreibung der Spanier aus Wesel und Die Appelmänner werden entsprechend lobend hervorgehoben, u. a. aufgrund ihrer Aktualität in bezug auf die »Befreiungskriege«. Kritisch beurteilt Biedenfeld v. a. die Verwendung von Versen und Arnims Neigung zur gebundenen Rede, und verzüglich zum Jambus (RZ 9, S. 474,14–16) – eine Manier, die Arnim selbst als innovativ und für seine
497
Rezeption
größeren Damen als adäquates Ausdrucksmittel hält (vgl. EZ 25, S. 424,7–8). Überraschend ist auch die negative Beurteilung des Auerhahns, wobei hier erneut die Durchführung jenes unvollkommenen jambischen Versmaßes (ebd., S. 474,23–24), aber auch die Formlosigkeit des Stückes kritisiert werden (vgl. den Überblickskommentar zu Der Auerhahn, S. 568). Des weiteren mißfallen die Stücke Mißverständnisse und Jann’s erster Dienst wegen der Banalität ihrer Handlung (vgl. RZ 9, S. 474,37–38; S. 475,11–16). Auch hier sei für Einzelheiten auf die jeweiligen Kap. zur Rezeption in den Überblickskommentaren verwiesen. Biedenfeld beschließt seine Rezension mit der Bitte an den Verfasser, das Publikum bald mit seinem altdeutschen Theater zu beschenken (RZ 9, S. 475,19–20). Damit spielt er auf Arnims Plan an, eine mehrbändige Edition alter Dramen zu veröffentlichen, den er bereits 1808 in einer Ankündigung im Intelligenzblatt der Heidelbergischen Jahrbücher vorstellte (vgl. EZ 1, S. 416–418) und den er in den Anmerkungen zur Schaubühne noch einmal artikuliert. Arnim hat diesem Wunsch nicht entsprochen. 1817 gibt er seine Pläne zur Veröffentlichung einer Alten Deutschen Bühne vollständig auf (vgl. dazu das Kap. zur Entstehung der Schaubühne, S. 458–461).
498
KOMMENTARE UND QUELLENTEXTE ZU DEN DRAMEN
Zu: Jann’s erster Dienst. Eine Posse Quelle: Jacob Ayrer,
Fasznachtspil / Von dem Engelländischen Jann Posset, in: Ayrer 1618, S. 105d–110a
Das Fastnachtspiel Ayrers ist in zwei thematisch unterschiedliche Handlungsstränge aufgeteilt, wobei Arnim sich bei seiner Bearbeitung auf den ersten, die Darstellung von Janns Dienstantritt, konzentriert. Der zweite Teil des Ayrerschen Fastnachtspiels setzt unvermittelt mit einer derb-witzigen Episode aus Janns Eheleben ein, was in der Arnimschen Neufassung zugunsten einer konsequent zu Ende geführten Handlung gekürzt wird. Beim Abdruck der Quelle wurde deshalb und aus Gründen der Platzersparnis auf die von Arnim getilgten Passagen verzichtet und statt dessen eine kurze Zusammenfassung der Handlung in 〈〈doppelten Winkelklammern〉〉 gegeben.
Fasznachtspil / Von dem Engelländischen Jann Posset wie er sich in seinem Dienst verhalten / mit acht Personen. 5
Roland der Alt geht ein / rufft vnd schreyt.
Willanda geh her laß dir sagen Sie laufft ein.
Vber vnsern Buben Jann klagen Derselb wil kurtzumb wegkziehen / 10
Willanda spricht.
Der Schelm thut die Arbeit fliehen Als wie der Teufel den Weyrauch Ich habs die tag gemercket auch 501
105d
Zu: Jann’s erster Dienst
Der Lecker ist schier bey sein Jahrn Wil er nicht bleiben laß jhn fahrn Wir können sein gar wol empern Er frist zu viel / arbeit nicht gern Er leyrt nur gern spaciren vmb Laß jhn versuchen wenn er nauß kumm / Ob man jhn setz auff ein Stülein Schau da kommt der faul Lümmel rein.
5
Jann geht ein hat sein Bündel an einer Stangen / vnd spricht.
Hört jhr Eltern ich wil wandern Darumb so dracht nach ein andern Knecht / der euch eure sach versicht Bey euch da mag ich bleiben nicht Ihr gebt viel Arbeit vnd klein Lohn / Roland S.
106a
Was wolst du einen Herrn han Daß er dich bey jhm hilt an mengl Du bist ein grosser fauler Pengl Schläffst gar gern lang vnd frist zuvil Kein rechte Arbeit auß dir wil Darumb bleib noch ein Jahr im Hauß Keim Herrn kanst du nichts richten auß / Daß man ein Ehr legt ein mit dir / Wilt du aber nicht bleiben bey mir So wil ich dir den Puckel reiben
10
15
20
25
Jann S.
Nein bey euch mag ich gar nicht bleiben Ihr seyd ein alter grober Baur Vnd secht gar ernstlich vnd auch saur Heist ein arbeiten alle stund Vnd zanckt vnd grand als wie ein Hund Den man hat an ein Ketten glegt Vnd die Mutter jhre Zähn pleckt Als ob sie einen beisen wöll / Sicht wie der Teufel in der Höll / Ist bucklet / runtzelt vnd eyßgrab /
502
30
35
Quellentext
Willanda S.
5
Fall den Halß vber ein bessen ab / Du Lecker wend nicht alt wilt wern Wir wolten all lang leben gern Vnd wölln doch alt Leut verachten Roland S.
10
Komm her ich lerne dich betrachten Wie du solst deine Eltern ehrn Vnd thu das viert Gebott vor lehrn Darnach zieh gleich an Galgen hin Mit freuden ich versehen bin. Er schlägt den Jannen wol ab / vnd so er auffhört / sagt der Jann.
15
So sol das mein Zehrpfenning sein Solcher Müntz acht ich mir gar klein Doch es geh mir gleich wie da wöll Kein Mensch mich lenger halten söll. Er geht ab / vnd weind. Roland S.
20
Komm Alte laß den Lecker gehn Er thut die sach nicht recht verstehn Kommt er vnter die fremmten nauß Kehrt man jhm die Lend besser auß / Sie gehn ab.
25
30
35
Kommt Herr Emerich der Alt geht an eim Stab / vnd S.
Nun bin ich je ein alter Mann Vnd auff den Füssen nicht fort kan Vnd ob ich schon geh an eim Stab Doch wenn ich niemand bey mir hab Daß mir ein wenig endgeh ein Füß Ich gar zu boden fallen muß Darumb mein Weib mich auff der Gassen Nicht mehr allein wil gehen lassen Sagt ich sol mir ein Knecht diengen Vermittelst deß könd ich rein bringen Daß ich noch etlich Jahr könd leben 503
106b
Zu: Jann’s erster Dienst
Schau dorten kommt ein Kerl eben Wenn ich west daß er gut wolt than So wolt ich jhn gleich nemmen an / Er ist starck vnd könd wol arbeiten Jann Posset geht ein / mit dem Bündel. Herr Emerich S.
5
Hör du Junger thu mich bescheiden Wer bist du vnd wo wilt du hin / Jann S.
Rolands meins Vatters Sohn ich bin Vnd weiß fürwar selbst noch nichts drumb Wo ich noch auff die letz hinkumm Dann ich zieh einem Herrn nach /
10
Herr Emerich S.
Was kanst du eim verrichten sag Wenn dich ein Herr hie diengen solt /
15
Jann S.
Als was er von mir haben wolt Vnd was er deßhalb macht mit mir Ein Brieff must er mir schreiben für So kond ich mich richten darnach Was ich zuthun hett alle tag Das wolt ich treulich richten auß /
20
Herr Emerich S.
Du gebst mir ein Knecht in mein Hauß Deßgleich auch draussen in mein Garten Vnd daß du thest auff mich warten Vnd anders was man dich sonst hieß /
25
Jann S. 106c
Ey nein ich muß es wissen gwiß / Vnd weil ich nicht wol mercken kan So muß ichs als auffgschriben han Daß ich mich richten kan darnach /
30
Herr Emerich S.
Das thet ich vor kein Knecht mein tag Allein sag mir von wann du bist 504
35
Quellentext
Jann S.
Schlöpsweiler mein Heimet das ist Ligt vngefehr drey Meil von hinnen Herr Emerich S. 5
Es dunckt mich in all mein sinen Du seist einfeltig fromm vnd schlecht / Jann S.
So bin ich auch ehrlich vnd grecht Mein Herr versucht den Dienst mit mir / 10
Herr Emerich S.
Geh heiß ein Schreibzeug geben dir So wil ich dirs als balt auffschreiben Was du für arbeit hast zu treiben / So lang du bist in meinem Hauß / 15
Jann kommt bald wider bringt ein Feurzeug vnd S.
Da bring ich euch den Feurzeug rauß Den mir in der Kuchn die Köchin gab / Herr Emerich S. 20
25
Ein Schreibzeug ich gefordert hab / Was solt ich mit dem Feurzeug thon Damit ich dir nicht schreiben kan Was du verrichten solst bey mir Geh bring ein Dinten mir darfür Jann geht wider ab / kommt balt wider bringt ein Krug / vnd S.
Secht da Herr hie habt jr den Krug Darauß könd jr euch trincken gnug Es geht ja mehr dann ein Maß drein / 30
Emerich lacht vnd S.
Ein rechter Knecht wirst für mich sein Weil du kanst so gut Bossen reissen Dinten hab ich dich bringen heissen So kommst du vnd bringst mir ein Krug 35
Jann S.
Jetzt hab ich es verstandn gnug 505
106d
Zu: Jann’s erster Dienst
Ein Dinten meint jr ists also nit Emerich S.
Ja bring aber auch ein Federn mit Das ich dir auffschreib dein arbeit / Jann S.
5
Solchs zuverrichten bin ich bereit / Er geht ab / Herr Emerich S.
Der Knecht sich also willig stelt Daß er mir darumb wol gefelt Aber das gefelt mir schon nicht Das er so gar ist vnbericht Darumb will ichs jhm als auffschreibn / Sein arbeit dabey soll es bleibn / Jann geht ein bringt ein Dintenvaß vnd ein lange Hannefedern vnd S.
Herr ist das da ein rechte Dinten Kein lengre Federn kund ich finden Jetzt dahinden auff vnseren Mist
10
15
20
Emerich lacht vnd S.
Ey die Federn gar kein nutz ist Ein Federn solst du bringen rein Jann S.
Sollen dann das kein Federn sein Nun hab ich je bey all mein tagn So lange Federn nie getragn Ich meint jhr als ein alter Mann Solt auch wol Federn gnug habn dran Kein grössre Federn weiß ich nit
25
30
Emerich S.
Ich kan aber nicht schreiben mit / Ein Gänßfedern zum schreiben taug / Jann S.
Nun so wil ich sie bringen auch Er geht ab. 506
35
Quellentext
Kommt balt wider bringt ein vngeschnittenen Kiel vnd S.
Günstiger Her ist diese recht / Emerich S. 5
Fürwar du bist ein arger Knecht Oder du bist nicht halb bey sinnen / Jann S.
Ich hab mein tag nie schreiben können Hab mich aber sonst viel geliten Emerich S. 10
Wenn diese Federn wer gschniten Vnd ich hett dabey ein Papier So wolt ich sein zufriden schier / Dir schreiben die bezahlung dein Geh bring Federn vnd Papier rein.
15
Jann wend sich zu den Leuten vnnd spricht.
20
25
30
Ich weiß nicht wie es mein Herr macht Vor hab ich jhm ein Wein gebracht In einem zimblichen Maßkrug Da hett er jhm wol gsoffen gnug So hatt ers doch nicht habn wölln Jetzt sol man jhm ein Bier bestelln Nun ich wil gehn jhm Bier hertragen Laß hörn was er darnach wird sagen Er geht ab. Emerich sagt lachet.
Ich lach / vnd solt billicher fluchn Mit dem Knecht so wil ichs versuchn Ein halbs Jahr sehen wie er sich helt Dann sein einfalt mir wol gefelt Wenn er nur sonst getreu ist mir / Jann geht ein bringt ein Glaß mit Bier / vnd spricht.
35
Herr da ist Federn vnd auch Bier / Hoff jhr solt damit sein zufriden
507
107a
Zu: Jann’s erster Dienst
Emerich dunckt in die Dinten wil schreiben / vnd S.
Ist doch die Federn noch nicht gschniden So sichst ich bin ein alter Mann Der kein zuschneiden gsehen kan / So hab ich nicht befohlen dir Daß du mir bringen sollest Bier Sonder Papier darauff man schreibt /
5
Jann S.
Mein Herr noch ein wenig da bleibt b
107
10
Emerich S.
Drumm bring Federn vnd Papier rein Jann S.
Herr ich bitt jhr wolt nicht zornig sein Ich weiß nicht wie man schreibt noch list Was geschniden oder gstochen ist
15
Er geht wegk / bringt ein andere Federn vnd Papier / vnd spricht.
Ich hoff das sol ein rechte sein.
20
Emerich S.
Damit schreib ich die Bstallung dein / Emerich schreibt lang / der Jann sicht als neben nein / vber ein weil sagt er zu den zusehern.
25
Ey die Kunst möcht ich gern können Lieber sagt was ist gschrieben drinnen Emerich S.
Hör Jann ich wil dirs lesen für Was du sollest verrichten mir Du solst mein vnd der Pferd warten Vnd drauß arbeyten im Garten Solst mich auffziehen / vnd der Frauen Wasser tragen vnd Holtz hauen Keren im Hof / vnd vor der Thür 508
30
35
Quellentext
5
Vnd solst vber Land lauffen mir / Darzu getreu / verschwiegen sein Das ist vngefehr die Arbeit dein Wilt du n〈u〉n diesen kommen nach Mir es mit globter Hand zusag. Jann nimmt den Brief von jhm / vnnd spricht.
Das als ich wol vernummen han Als was drinn steht das wil ich than. 10
Er gibt jhm die Hand. Emerich S.
Nun so komm mit mir in das Gmach Vnd verricht als was ich dir sag. 15
Emerich geht fort felt zu boden / würfft den Stab weit von sich / vnd spricht.
Jann komm eilend gschwind vnd lauff Vnd thu mich wider heben auff Dann ich allein nicht auffstehn kan / 20
Jann nimmt sein Brieff sicht drein / vnd S.
Nein in meim Brief steht nichts davon / Wolt jhr nicht auffstehn so bleibt ligen / Emerich S. 25
Ey daß ich nur ein hilff möcht krigen So lang mir doch nur her mein stab / Jann S.
30
Davon in meim Brieff auch nichts hab / Darumm möcht jhr wol selbst auffstehn Auß meim beding werd ich nicht gehn / Nicht mehr thun als drinn ist geschrieben Emerich steht auff / vnd S.
35
Wer ich mit dir zufriden blieben Wer sich vmb Narrn thut annemmen Muß sich auch Narrn lassen beschemen Vnd wirst dus anderst machen nit 509
107c
Zu: Jann’s erster Dienst
So kriegst du gar balt den abschied / Jetzt aber magst du hernach gahn / Jann geht hernach / stürtzt die Arm vnter / thut Reverentz / vnd S.
5
Gnad Herr ich wil es nimmer than Wenn ich vnrecht jetzund thun hab / Emerich sicht sich vmb / schlägt jhn mit dem Stab auff die Achsel / vnd S.
10
Du grober Pengl ziehe den Hut ab / Wenn dein Herr dich thu ansehen Jann zeucht den Hut ab / vnd spricht.
Ja gnad Herr das sol auch gschehen /
107d
Der Alt sicht sich etlichmal vmb / er zeucht allzeit ab / knapt vnd folgt jhm nach. So gehn sie beyde ab. Emerich kommt balt wider hat ein Körblein voll Birn / vnd spricht.
Es hat die tag Herr Friderich Auffs aller fleissigst betten mich Ich soll jhm schickn mein erste Frucht Die wolt er gern haben versucht Was mein jung Baumen tragen heur In seim Garten sey das Obs teur Es hab jhm heur als vmb geschlagn Weil nun mein jung Baumen wol tragn Wil ich jhm was schicken zu Hauß /
15
20
25
30
Er schreyt.
Jann / Jann komm eylend zu mir rauß Jann schweygt. Emerich schreyt wider.
Jann komm rauß / du must jetzt außgehn Jann schreyt / vnd S.
Ich meint jhr solts selbst wol verstehn Daß ich zu euch nicht kommen kan / 510
35
Quellentext
Emerich schreyt.
Was hast du den drinnen zuthan Daß du nicht wilt zu mir herauß / Jann kommt vnd S. 5
10
15
Ja ich saß drinn auff den Scheißhauß Daß ich nicht herauß kommen kund Weil ich nun fertig bin jetzund So sagt mir balt was sol ich than / Emerich gibt jhm die Birn / vnd spricht.
Du solst nauff zu Herr Fridrich gahn / Bring jhm die Birn vnd thu jhm sagn Es habens lauter jung Baum getragn Der zuvor keiner nie nichts trug Ob schon derselben nicht seind gnug So sol er mit haben verlieb / Jann S.
Die Birn ich Herr Friderich gib / Emerich geht ab. 20
Jann setzt die Birn nider / thut etliche rauß / red mit jhm selber / vnd spricht.
Jann das seind warlich schöne Birn Wenn du dich etwan list verführn. 25
Er pausirt / vnd S.
Ja ich hett wol lust drein zu peissen Er pausirt wider / vnd S.
Nein es möcht dich der Teufl bescheissen Vnd dörfft dein Herr gar schellig wern / 30
Er pausirt wider / vnd S.
Ja ich freß aber die Birn gar gern O ich laß nicht ich greiff sie an Weil doch niemand nichts weiß davon. 35
Er setzt sich nider frist ein Birn / oder etlich / vnd S.
Hört / fürwar die Birn seind gar gut 511
108a
Zu: Jann’s erster Dienst
Drumb mich bey leib nicht hindern thut Vnd last doch die Birn fressen mich / Er thut noch ein Birn auß dem Korb / vnd S.
Die Birn hab all gefressen ich Nur eine noch hab ich behaltn Die bring ich Herr Fridrich dem Altn / Wenn ers versucht kan er wol sagen Was meines Herrn jung Baum han tragen Schau dort kommt gleich Herr Fridrich rein /
5
10
Er geht zu jhm / vnd S.
Günstiger Junckherr der Herr mein Lest euch sein willig Dienst ansagn Sein jung Baumen haben heur tragen Die Birn / die solt jhr versuchen
15
Friderich S.
Du Lecker man solt dich verfluchen Hat mir dein Herr nicht gschicket mehr Hat er mir thun ein kleine Ehr So trag die wider heim deim Altn Sag jhm er sol die auch behaltn Ich gib jhm drumb kein danck dir Gott Sonder ich halt es für ein Spott Damit er mein verschonen sollen / Jann zeicht den Hut ab / vnd spricht.
108b
20
25
Mein Herr hat mir gleichwol befollen Daß ich der Birn den gantzn Korb voll Zu euch herauffer tragen soll Aber es kam mich halt ein Lust an / Friderich S.
30
Wo hast du dann die Birn hinthan Dasselbig ich wolt wissen gern / Jann S.
Ich wolt daß sie wider da wern Aber sie seind wärlich schon hin
512
35
Quellentext
Friderich S.
Wie hast du dann gehaust mit jhn Dein Kötzen ist da worden leer / Jann S. 5
Herr langt mir diese Birn auch her So wil ich euch balt zeigen an Wie ich den andern hab gethan / Friderich gibt jhm die Birn / vnd spricht.
10
So möcht ichs dennoch auch wol sehen Jann frist die Birn / vnd S.
Also ist den andern alln geschehen Seind all gfressen worden von mir Friderich S. 15
20
Das Trinckgelt hast selbst geben dir Aber mir gschicht drüber vnrecht / Bist du deß Herrn Emerichs Knecht Wie lang bist du bey jhm gewesen Kanst auch rechnen / schreiben vnd lesen Vnd was machst du in seinem Hauß / Jann zeicht sein bedieng Brief rauß / vnd spricht.
25
Wir habens allzwen dinget auß Was ich arbeit im Hauß vnd Gartn Muß meines Herrn / vnd der Pferd wartn Kehrn / Wasser tragen vnd Holtz hauen In der Kuchn sehen auff die Frauen Wie jhr klärlich find hierinnen / Friderich S.
30
Ich thu aber kein Wort von finnen / Daß du mir fressen solst mein Birn / Jann S.
Dargegen wil mir nicht gebürn Daß ich euch Birn rauff sol tragen 35
Friderich S.
Kanst auch lesen thu mir sagen 513
108c
Zu: Jann’s erster Dienst
Jann S.
Nein keinen Buchstab ich versteh / Friderich S.
So sprich A. Jann S.
5
A. Friderich S.
Wehe / Jann S.
Nein / es thut mir gar nichts wehe /
10
Friderich S.
CDE/ Jann S.
Ja die Birn die kriget ich ehe / Friderich S.
15
F Geh / Jann S.
Ey ja das wil ich gar gern than / Jann wolt weg gehn / Friderich helt jhn / vnd S.
20
Ey schweyg vnd hör mich besser an / H I K L M N O P Q. Jann S.
Ey nein es was ein Ochß darzu Friderich S.
25
R. eß / Jann S.
Ich hab die Birn all schon gefreß / Friderich S.
T V W X Y Zet. Wer nun die Buchstaben versteht Der kan balt schreiben vnd lesn lern / Jann S.
Ich hab mir des dings gnug thun hörn 514
30
Quellentext
Wolt jhr mir geben ein verehrung So hab ich drauff gewart lang gnung
108d
Friderich S.
Zeuch deins Wegs fort hab dir den feiffel 5
10
Jann S.
Gebt jhr mir nichts / lohn euch der Teufel Ihr habt mich lang gnug vmb genart Vnd mit bösen Worten angschnart Wil mich mein Herr nicht lenger han So nimm ich vrlaub zieh davon Vnd nimm mir wol selbst ein Frauen Friderich S.
Zieh hin du magst wol mit zuschauen Sie gehn beyde ab. 15
20
25
30
Kommt El deß Jannen Weib vnd spricht.
Ach wie hab ich so vbel than Daß ich mir gnommen hab den Mann Fürwar ich hab mich vbl bedacht Mein Mann mich schier schwindsüchtig macht Thut sich gleich einem Narrn stellen / Henckt sich nur an lose Gsellen Vnd verthut mir vbel mein gut Dasselb mir wehe im Hertzen thut / Ich thets jhm schon offt vntersagn Bedrohet jhn derhalb zuschlagn Doch lest er sich sein Gselln verführn Darumb wil ich mich jetzt probirn Ob etwan ein ernst darzu döcht / Daß ich jhm das abziehen möcht. Jann geht ein mit seiner Stangen / zeucht den Hut ab vnd spricht.
Ein guten morgn El mein Haußfrau 〈...〉
35
〈〈Ela wirft Jann seine Faulheit vor, lädt ihm einen Korb auf und droht ihm Schläge an. (Beide ab.) Dietrich und Heinrich, zwei Trabanten, haben von dem so mißhandelten Jann gehört und beschließen, ihn von seinem bösen Weib zu erlösen. (Beide ab.) Der nächste Auftritt zeigt, wie Ela ihren Mann beschimpft, schlägt und zur Arbeit zwingt. Die zwei Trabanten kommen hinzu und berichten
515
109d
Zu: Jann’s erster Dienst
Ela von dem angeblichen Befehl des Königs, daß die Frauen ihren Männern unter Todesstrafe gehorsam sein müssen. Jann entreißt Ela daraufhin die Schlüssel und läßt sie den Korb tragen, mit dem er sich zuvor abgeschleppt hat. Ela weigert sich den »königlichen« Befehl anzuerkennen und jagt am Ende nicht nur ihren Mann, sondern auch die Trabanten mit Schlägen davon.〉〉 110a
5
Ela S.
Kummt all drey ich wils mit euch wagn Sie erwischt deß Janen stangen schlegt ernstlich auff sie / vnd jagt sie alle ab / dann sagt sie.
Also habt jr vernummen schlecht Wie Jann der grobe Baurn Knecht Seinen beruff verendert hat Vnd sich verdingt rein in die Stadt Das er nit hart arbeiten solt Zu besserm stand er kommen wolt / Vnd wie es jm ist vbl gerathen Also erfehrt mancher mit schaden Der tracht nach grossem stand vnd ehrn Darinn sich thut sein vnglück mehrn Darumb so wer der beste rath Warzu ein Gott versehen hat / Daß er im selben Stand fort fahr / Wünschen wir euch zum neuen Jahr.
Die Personen in das Spil. Herr Emerich der reich Burger Herr Friderich der reich Nachbaur Dietrich Heinrich Roland deß Janen Vatter / Willand sein Mutter / Jann Posset von dem das spil Ela sein Weib
516
1 2 3 Zwen Trabanten 4 5 6 7 8
10
15
20
25
30
Jacob Ayrer – Leben und Werk
Zur Quellensituation Vorlage für die Posse Jann’s erster Dienst ist Arnims Anmerkungen am Ende der Schaubühne zufolge Jacob Ayrers Fastnachtspiel von dem Engländischen Jann Posset, 〈...〉 beim Airer, S. 110 (in der vorliegenden Ausgabe S. 333,4–6). Ayrers Opus Theatricum aus dem Jahr 1618 enthält zwei Versionen des Faßnachtspil〈s〉, die beide als Vorlage für Arnims Jann’s erster Dienst in Frage kommen, obwohl sich Arnim durch die präzise Seitenangabe eindeutig auf das Stück Nr. 22 in Ayrers Dramensammlung bezieht. Bei den beiden Fassungen handelt es sich um das Fasznachtspil / Von dem Engelländischen
Jann Posset wie er sich in seinem Dienst verhalten / mit acht Personen (vgl. Q, S. 501–516; Ayrer 1618 (II), S. 105 –110 ; Nr. 21) sowie um das darauf folgende, von Arnim erwähnte Stück Ein Faßnachtspil von dem Engelendischen Jann Posset wie er sich in seinen dinsten verhalten / mit acht Personen / in deß Rolandts Thon (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, d
a
S. 110a–114b). Walther Bottermann stellte 1895 richtig fest, daß Arnim bei der Quellen- bzw. Seitenangabe ein Fehler unterlaufen sei, da er sich von den zwei existierenden Versionen des Stückes auf die zweite (Nr. 22) beziehe, obwohl er vorwiegend Motive und wörtliche Ausdrücke aus der ersten (Nr. 21) übernommen habe, die in dem von ihm genannten Stück Nr. 22 nicht vorkämen (vgl. Bottermann 1895, S. 43). Wegen der größeren Affinität der Arnimschen Posse zu Stück Nr. 21 wurde auf eine Darbietung des Fastnachtspiels Nr. 22 verzichtet. Auf Ähnlichkeiten mit Stück Nr. 22 wird im Einzelstellenkommentar verwiesen.
Jacob Ayrer – Leben, Werk und Rezeption seines
Opus Theatricum Zu Jacob Ayrers Leben und Werk liegen nur wenig gesicherte Fakten vor. Ayrer, ein Zeitgenosse Shakespeares, schrieb seine von englischen Wanderbühnen beeinflußten Dramen im späten 16. Jh. Das Gesamtwerk umfaßte ursprünglich etwa 106 Stücke. Dreißig Außbündtige schöne Comedien und Tragedien (Teil I) sowie Sechs vnd dreißig schöne lustige und kurtzweilige Faßnacht oder Possen Spilen (Teil II) wurden posthum im Jahre 1618 in der als Opus Theatricum (OT) betitelten Dramensammlung publiziert. Die Fastnachtspiele lagen 1610 bereits gedruckt vor (vgl. Ayrer 1618, S. 167), der komplette Band wurde jedoch erst acht Jahre später, vmtl. aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, publiziert. Das OT wurde – wie im Vorwort angegeben ist – von Ayrers Erben 1619 auf eigene Kosten gedruckt (vgl. Ayrer 1618, S. III). Zur Veröffentlichung
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Zu: Jann’s erster Dienst
weiterer 40 Stücke, wie dies in der Vorrede des OT angekündigt wurde (vgl. ebd., S. III), kam es indes – wohl wegen des Beginns des Dreißigjährigen Krieges – nicht. Lediglich drei weitere Stücke sind durch eine Dresdener Handschrift überliefert (vgl. Olf 1988, S. 1). Neben seiner Betätigung als Dramatiker verfaßte Ayrer eine Reimchronik der Stadt Bamberg mit dem Titel Von Ankunfft, vnd Erbauung der Stadt Bamberg (Nachdruck im Jahr 1838). Ayrers Wirkungskreis konzentrierte sich auf die Städte Nürnberg, seinen Geburtsort, und Bamberg, wo er als Hof- und Stadtgerichtsprokurator arbeitete. Aus konfessionellen und familiären Gründen wurde er des katholischen Bambergs verwiesen und zog erneut nach Nürnberg, wo er 1593/94 das Bürgerrecht erhielt, wiederum als Gerichtsprokurator arbeitete und das Amt eines Notarius innehatte. Wann Ayrer mit dem Verfassen seiner Dramen und Fastnachtspiele begann, ist ungewiß. In der Dresdner Handschrift sind einige der Stücke datiert und wurden somit nach 1593 geschrieben bzw. überarbeitet. Für die Annahme, Ayrer habe sich bereits in Bamberg schriftstellerisch betätigt und seine elf Kinder hätten bei privaten Aufführungen einige Rollen übernommen (vgl. Hans Probst, Jakob Ayrer und Bamberg, in: 85. Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg (1937), S. 5–27, hier S. 16–17), gibt es keine Belege. In zwei Fällen lassen sich Interferenzen zwischen Dramen William Shakespeares und Komödien Ayrers feststellen. Die thematischen Parallelen zwischen Shakespeares Much ado about Nothing und Spiegel weiblicher zucht vnd ehr. Comedia von der schönen Phänicia 〈...〉 (Ayrer 1618 (I), Nr. 26) sowie zwischen The Tempest und Ayrers Comedia von der schönen Sidea 〈...〉 (Ayrer 1618 (I), Nr. 28) weisen darauf hin, daß beide Dichter auf dieselben Quellen zurückgriffen (vgl. Adelbert Keller, Leben des Dichters, in: Ayrers Dramen, hg. v. Adelbert Keller. Bd. 5. Stuttgart 1865, S. 3421–3425, hier S. 3422– 3423). Ayrers im Vergleich mit Shakespeare einfache, von burlesker Derbheit geprägte, z. T. obszöne Sprache, die ungewöhnlich starke Gewichtung von Nebenfiguren und -episoden, die mangelhafte Ausgestaltung der dramatis personae sowie seine unbefangene Handhabung der Vorlagen sind in der Forschungsliteratur häufig bemängelt worden (vgl. u. a. Wodick 1912, S. 20; 37–38; 40; 81; Richard Newald, Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit 1570–1750. 4. verbesserte Aufl. München 1963 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Helmut de Boor, Richard Newald. Bd. 5), S. 59–61). Ayrer ging es weniger um die ästhetischkünstlerische Gestaltung eines Stoffes als vielmehr um die Vermittlung religiöser bzw. moralischer Werte, verbunden mit burlesker Unterhaltung des Publikums. In den hier relevanten Fastnachtspielen wird den Zuschauern im Epilog eine
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Jacob Ayrer – Leben und Werk
jeweils unterschiedliche moralische Lehre präsentiert: Stück Nr. 21 warnt davor, den Stand, in den man hineingeboren wurde, verlassen zu wollen (vgl. Q, S. 516,21–24). Stück Nr. 22 schließt mit dem Rat, bei der Wahl der Ehegattin auf ihre Tugend und Frömmigkeit zu achten, damit der Mann Herr im Hause sei und bleibe (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114a). Beide moralischen Appelle, die unmittelbar an das Publikum gerichtet werden, zielen auf die Erhaltung eines patriarchalen bzw. hierarchischen Gesellschaftssystems, das innerhalb der Handlung pervertiert und so dem Verlachen durch die Zuschauer preisgegeben wird. Zu den gestalterischen Mitteln gehören der Gebrauch von groben Ausdrücken wie »Lecker« (= Schuft, vgl. Q, S. 502,1, passim; Nr. 22: Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110b, passim), »gsoffen« (vgl. Q. 1, S. 507,20), »Scheißhauß« (Q, S. 511,5), »bescheissen« (Q, S. 511,28) »Dilldap« (= alberner Mensch; Nr. 22: Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111b) etc., das Mißverstehen des anderen zum Erzeugen komischer Effekte sowie Prügelszenen. All diese Elemente lassen sich in die derbburleske Gestaltungstradition des 16. Jhs. eingliedern (zu Ayrers Sprache vgl. ausführlich Olf 1988). Seine Stücke verfaßte Ayrer in der Tradition seiner Nürnberger Vorgänger, v. a. Hans Sachs, aber auch Hans Folz sowie Hans Rosenplüt, und übernahm von ihnen beispielsweise den Knittelvers, der im späten 17. Jh. immer mehr durch die populär werdenden Singspiele der englischen Wanderbühnen verdrängt wurde. Ob Ayrers Stücke jemals auf öffentlichen Bühnen gespielt wurden, ist nicht bekannt. Für das 17. Jh. ist lediglich die Aufführung eines seiner Fastnachtspiele belegt (vgl. Wodick 1912, S. 109). Der Hinweis in der Vorrede, das man alles Persönlich agirn kan (Ayrer 1618, S. III), läßt darauf schließen, daß erst mit der Herausgabe des OT der Versuch unternommen wurde, die Stücke auf die öffentliche Bühne zu bringen. Einen wichtigen Einfluß auf Ayrer übten des weiteren die Stücke der englischen Wanderbühnen aus, die seit dem späten 16. Jh. auch im deutschsprachigen Raum auftraten und zur Verbreitung von tragischen und komischen dramatischen Stoffen unter dem nicht-höfischen Publikum sorgten. Ayrer weist im Titel von Stück Nr. 21 und 22 selbst auf den Einfluß der englischen Schauspiele hin: von dem Engelendischen Jann Posset. Kreiert wurde diese lustige Person, vmtl. als erste ihrer Art in Deutschland, von dem englischen Schauspieler Thomas Sackeville. Dieser kam 1592 mit seinen Schauspielerkollegen Robert Brown und Thomas Bradstreet nach Deutschland, wo er am Hof in Braunschweig/Wolfenbüttel eine längere Anstellung erhielt. Als Spaßmacher trat Sackeville in den komischen Stücken unter dem Namen Jann Posset (auch Bouschet, B(o)uset, Buscheten) auf, der in seiner Rolle und Funktion gleichzusetzen ist mit anderen lustigen Figuren wie etwa Pickelhering, Stockfisch und Hanswurst. Der Name Posset wird auf das englische Wort
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Zu: Jann’s erster Dienst
»posset« (Milchsuppe, gemischt mit Bier) zurückgeführt. Damit gliedert sich die Figur in die auch im deutschsprachigen Raum übliche Tradition ein, die lustige Figur nach einer Speise zu benennen (vgl. Eckhardt 1902, S. 332; Asper 1980, S. 9). Die Figur des Jann entstand durch die Verschmelzung von Clown und »fool«, dem englischen derb-witzigen Narren. Sackevilles Dienste am Hof des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig sind zwar erst für das Jahr 1597 urkundlich belegt, aber es ist durchaus wahrscheinlich, daß er dort bereits vorher eine Anstellung erhalten hatte (vgl. Asper 1980, S. 9). Ähnlich wie Ayrer ließ sich der Herzog von Braunschweig von den dramatischen Stoffen und Figuren der englischen Schauspieler inspirieren. Die Dramen des Herzogs wie die Co-
moedia Hidbelepihal von einem Weibe, wie dasselbige ihre Hurerey für ihrem Ehemann verborgen oder die Tragoedia Hibeldeha1 sind jedoch durch eine eigenständigere Bearbeitung als die von Ayrer geprägt und wurden vmtl. mit Hilfe Sackevilles angefertigt (vgl. Frede´n 1939, S. 190). 1596 und 1597 gastierten Sackeville und seine Theatertruppe in Nürnberg (vgl. Wodick 1912, S. 45), wo Jacob Ayrer sie vmtl. in Aufführungen erlebte. Sackeville trat auf diesen Gastreisen nur noch unter dem »Künstlernamen« Johann Bouset auf (vgl. Frede´n 1939, S. 190). Ayrer übernahm die lustige Figur Jann/Johan Posset (auch Jann klan/Clown) in fünf seiner Fastnacht- oder Possenspiele (vgl. Ayrer 1618, Nr. 7–8; 20–23). Während Ayrers Werk zu seinen Lebzeiten und im 17. Jh. kaum rezipiert wurde, wurde dem OT im 18. und 19. Jh. mehr Aufmerksamkeit zuteil. In Arnims Bibliothek lassen sich drei Titel nachweisen, die in je unterschiedlicher Weise über Ayrers OT urteilen. Durch Johann Christoph Gottscheds Erwähnung der Dramen Jacob Ayrers in seinem bibliographischen Kompendium Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst (1757) wird im 18. Jh. erstmals wieder auf Ayrers OT aufmerksam gemacht. Die Fortsetzung dieser Rezeption erfolgte – durch bewußte Abgrenzung gegen Gottsched – v. a. in der Romantik. Der folgende Abriß der Rezeptionsgeschichte orientiert sich an Werken, die in Arnims Bibliothek nachweisbar sind. In Gottscheds Nöthigem Vorrat finden sich drei Verweise auf Ayrers Tra-
gödien, Komödien, Fastnachtspiele und was am merkwürdigsten ist, singender Spiele (Gottsched 1757, S. 36; 121; 142–149). Das von Arnim bearbeitete Stück gehört zur letztgenannten Kategorie der Singspiele. In Arnims eigenem Exemplar des Nöthigen Vorrats (Arnim-Bibl. B 2919) sind die letzten beiden Wörter (singender Spiele) unterstrichen, ein Kreuz am Rand hebt die 1
In beiden Stücken tritt – wie in vielen anderen Stücken des Herzogs – Iohan Bouset bzw.
Iohann Bousett auf.
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Jacob Ayrer – Leben und Werk
Stelle zusätzlich hervor. Daß es sich um eine Unterstreichung von Arnims Hand handelt, ist eher unwahrscheinlich, da sich die im Buchdeckel befindlichen handschriftlichen Notizen in der Farbkonsistenz der braunen Tinte als nahezu identisch mit den Unterstreichungen auf Seite 36 erweisen. Diese Notizen stammen nachweislich nicht von Arnims Hand. Auf den Seiten 142–149 seines Nöthigen Vorraths listet Gottsched die Titel der im OT enthaltenen Stücke auf und hebt am Ende Ayrers Nähe zu Hans Sachs hervor (vgl. Gottsched 1757, S. 149). Ferner stellt er die später durch Ludwig Tieck revidierte These auf, daß in Deutschland noch eher, als in benachbarten Landen singende Schauspiele gewesen, was man anhand der Singspiele Ayrers ersehen könne (vgl. ebd., S. 148). Gottscheds Intention ist freilich vor dem Hintergrund seiner Bemühungen um die Ausbildung eines deutschen Theaters recht offensichtlich. Wie an anderen Stellen seines Kompendiums will er hier die in Vergessenheit geratenen Vorzüge 〈seines〉 Vaterlandes in vollem Lichte erscheinen lassen (ebd., S. II), unterschlägt dabei jedoch, daß das eigentliche Ursprungsland der Singspiele England ist. Dies ist im Kontext seines Kampfes gegen englischen Geschmack und englische Stilgewohnheiten zu sehen, was ihn auch ablehnend über Shakespeares Werke urteilen ließ. Das OT erfährt in der Romantik zum einen eine positive Hervorhebung hinsichtlich der zugeschriebenen »nationalen« Bedeutung (August Wilhelm Schlegel), zum anderen auch kritische Würdigung (Ludwig Tieck) . August Wilhelm Schlegel sieht in dem Werk des Nürnberger Dichters neben Rosenplüt und Sachs die rohen Anfänge einer nationalen deutschen Dichtung begründet (August Wilhelm Schlegel, Über dramatische Kunst und Litteratur. Heidelberg 1809, S. 378; Ausgabe von 1811 in Arnim-Bibl. B 1323). Zu den Fastnachtspielen bemerkt er, daß sie etwas derb, aber, so wie überhaupt die Schwänke, nicht selten sehr lustig seien, bezieht sich jedoch stärker auf die Werke von Sachs (vgl. ebd., S. 379). Schlegel erkennt das Potential, das in dieser noch unmündigen dramatischen Kunst liege (ebd.). Ludwig Tieck weist im Vorwort seines Altenglischen Theaters von 1811 auf die literaturgeschichtliche Besonderheit des OT hin. Dort beschreibt er die Einflüsse des englischen Theaters auf das deutsche:
Seine 〈Hans Sachs’〉 letzte Lebenszeit fällt mit der Jugend Shakspears zusammen, und Jak-Ayrer, der nach Hans Sachs lebte und schrieb, hat schon in der dramatischen Kunst einen großen Fortschritt gethan; seine Schauspiele scheinen aber meist Nachahmungen des alten Englischen Theaters zu sein, ja er führt sogar in den meisten seiner Dramen einen Narren J a h n auf, den er den Engelländischen Narren nennt, und der ganz nach dem Clown geschaffen ist; 521
Zu: Jann’s erster Dienst
wir finden bei ihm schon eine Bearbeitung des H i e r o n i m o , oder der S p a n i s h Tr a g e d y , und so sind uns wahrscheinlich in seinem Opus theatricum viele jetzt untergegangene Alt-Englische Schauspiele erhalten (Ludwig Tieck, Vorrede zum ersten Theil, in: Alt-Englisches Theater. Oder Supplemente zum Shakspear. Übers. u. hg. v. Ludwig Tieck. 1. Bd. Berlin 1811, S. I–XXIII, hier S. XII; Arnim-Bibl. B 1613a).
Tieck fällt später in seinem Deutschen Theater (1817) ein kritischeres Urteil über den Stil des Dichters aus dem 16. Jh. In dieser Dramensammlung bietet er das von Arnim in seinen Anmerkungen zur Schaubühne erwähnte und angeblich bearbeitete Faßnachtspiel Nr. 22 dar. Er folgt dabei – abgesehen von einigen geringfügigen Eingriffen in die Orthographie und dem Hinzufügen von Interpunktion – dem Originaltext. Im Vorwort weist Tieck kenntnisreich auf einige motivische Parallelen zu anderen Stücken aus dem 16. Jh. hin und urteilt dann über das Stück sowie über die Bedeutsamkeit der Fastnachtspiele Ayrers:
Im Fassnachtspiel verliert Ayrer unbedingt gegen seinen Vorgänger H. Sachs, die Sprache ist matt und hart, die Verse sind oft ganz ohne Ton, dabei ist er weitschweifig, wiederholt sich, und seine Erfindungen sind sehr ungleich (Tieck 1817 I, S. XX).
Während Tieck an anderer Stelle seines Deutschen Theaters auf Arnims Schaubühne in einer Fußnote Bezug nimmt (vgl. Tieck 1817 I, S. XXVII sowie den Überblickskommentar zu Jemand und Niemand, S. 828), unterläßt er dies hier, obwohl er offensichtlich von der Existenz der Arnimschen Adaptionen wußte. Das hier zu Tage tretende offenkundige Desinteresse Tiecks gegenüber der Schaubühne ist nicht nur befremdlich vor dem Hintergrund der sonst sehr ausführlichen und genauen bibliographischen Hinweise im Deutschen Theater; sie ist nicht zuletzt auch ein Zeugnis für das geringe Interesse des (Lese)publikums an der Schaubühne, was Arnim letztendlich den Mut nahm, weitere dramatische Arbeiten zu veröffentlichen (vgl. den Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne, S. 430–461).
Entstehung Im Zuge seiner Suche nach altdeutsche〈n〉 Sachen, besonders ältere〈n〉 Romane〈n〉 und Comödien (EZ 6, S. 419,4), bittet Arnim Wilhelm Dorow in einem Brief vom 3. Februar 1809, ihm einige Werke zu empfehlen. Für »alt« hält Arnim alles, was vor 1750 gedruckt wurde (ebd., S. 419,6). Dorow, den Arnim während seines Aufenthaltes in Königsberg von Dezember 1806 bis September 1807 kennengelernt hatte und der mit ihm bei den Familien Schwinck und Staegemann verkehrte, war ähnlich wie Arnim ein Liebhaber alt-
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Jacob Ayrer – Leben und Werk/Entstehung
deutscher Poesie und Kunst. In dem Briefwechsel zwischen Arnim und Dorow finden sich zahlreiche Lektüreempfehlungen oder Beschreibungen von Kupferstichen, die das breite Spektrum der Interessengebiete beider dokumentieren. Arnim wird von Dorow am 20. September 1809 auf Jacob Ayrers OT aufmerksam gemacht (vgl. EZ 9, S. 420). In seinem Antwortbrief an Dorow vom 11. Oktober 1809 äußert Arnim den Wunsch, das Werk zu kaufen und 〈zu〉 besitzen, obwohl er es von einem Freunde leicht geliehen erhalte (EZ 10, S. 420,1–2). Der Hinweis auf die Möglichkeit, über einen Freund Zugriff auf Ayrers Dramen zu erhalten, läßt vermuten, daß sich Arnim das Buch zu diesem Zeitpunkt bereits angesehen hat und es für sein Projekt, alte deutsche Stücke zu edieren, verwenden wollte. Bei dem erwähnten Freund handelt es sich vmtl. um Clemens Brentano, da sich im Versteigerungskatalog zu dessen Bibliothek ein Exemplar des Ayrerschen Werkes nachweisen läßt (Brentano-Bibl. Nr. 36, S. 7) und sich Arnim und Brentano ab September 1809 gemeinsam in Berlin aufhielten. Dorow schreibt am 7. November 1809 an Arnim, er habe das Buch inzwischen erworben und werde es ihm zusenden (vgl. EZ 11, S. 420,3–4. Am 25. November 1809 bestätigt Arnim in einem Brief an Dorow schließlich die Ankunft des OT, das ihm durch den Grafen Karl Friedrich Moritz Paul von Brühl (vgl. auch EZ 14, S. 421) übermittelt worden sei. Arnim bezeichnet das Werk als Hauptbuch (EZ 13, S. 421,1), ein Hinweis darauf, wie sehr er die dort abgedruckten Dramen schätzt und sie als kanonische Texte beurteilt. Arnim vergütet Dorow durch die Zusendung einiger Holzschnitte und Kupferstiche (vgl. ebd., S. 421,4–5). Am 4. April 1810 schreibt Arnim in einem Brief an Wilhelm Grimm, er besitze inzwischen zwei Exemplare von Ayrers Dramensammlung (vgl. Brief Arnims an Wilhelm Grimm nach Kassel, Berlin 4. April 1810; Steig 1904, S. 56). Clemens Brentano kommt als Verkäufer seines OT nicht in Frage, da seine Ausgabe im Auktionskatalog von 1819 noch angeboten wird. Von wem Arnim das zweite Exemplar erwirbt oder geschenkt bekommt, ist nicht bekannt. Nach einer Absprache, wie das OT auf dem günstigsten Weg zu den Grimms nach Kassel gelangen könne, bedanken sich die Grimms bei Arnim in einem Brief vom 3. August 1810 (vgl. Steig 1904, S. 63; Nachweis des Exs. in Grimm-Bibl. Nr. 2972 mit Verlust-Vermerk). Die genaue Entstehungszeit der Posse kann nicht ermittelt werden. Als Terminus post quem wird das Jahr 1809 angenommen, da Arnim in dieser Zeit Ayrers OT erwirbt bzw. sich dafür zu interessieren beginnt. Eine erste Skizzierung des Stückes mit dem Titel Jann Posset nimmt Arnim in einem undatierten Titelaufriß vor. Dort wird eine letztendlich auch realisierte Kontamination des
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Zu: Jann’s erster Dienst
Fasznachtspils / Von dem Engelländischen Jann Posset wie er sich in seinem Dienst verhalten mit dem vorigen Stück (EZ 15, S. 422,21 Faßnachtspil der vberwunden Trummelschlager (Ayrer 1618, S. 101d106d) vorgesehen. In diesem Stück überlistet der Schreiber Virgilio, der von dem Possenreißer Jann schon oft gequält worden ist, den Analphabeten Jann, indem er ihm einen falschen Botenbrief aushändigt und ihn damit zum Abt schickt. Jann wird in diesem Brief als Besessener dargestellt, der nach Anweisung des übermittelten Briefs von den Gehilfen des Abts verprügelt wird. Den Botengang mit dem Prügel verheißenden Brief übernimmt Arnim auch in die Posse Jann’s erster Dienst (vgl. S. 18,5–16). Die im Titelaufriß skizzierte Handlung, in der der Frau Janns eine tragende Rolle zukommt, fehlt jedoch (vgl. EZ 15, S. 422,18–22). Am 3. Februar 1813 scheint das Stück abgeschlossen zu sein. Arnim erwähnt den Titel in seinem Brief an Friedrich Christoph Perthes (EZ 26, S. 425,15–16).2 Ob er danach bis zur Veröffentlichung der Schaubühne noch Änderungen – wie etwa im Fall von Der Auerhahn – vornahm (vgl. den Überblickskommentar zu Der Auerhahn, S. 566), läßt sich nicht feststellen.
Rezeption Da Jann’s erster Dienst den Auftakt der Schaubühne bildet, ist es im Vergleich zu den anderen heiteren Stücken verhältnismäßig häufig in der Rezeption erwähnt worden. Clemens Brentano äußert sich wohlwollend und allgemein über die Possen (vgl. RZ 4, S. 465,62–70), geht aber kritisch auf die von Arnim veränderten Stellen ein, da er das Alte kenne (ebd., S. 465,66). Joseph von Görres liest im März 1814 zuerst Jann’s erster Dienst und findet auch in den anderen Stücken tolles Zeug (RZ 7, S. 471,3). Der Rezensent in der Wiener Literaturzeitung beurteilt die Posse als
verständige〈n〉 und geistreiche〈n〉 Umguss des alten Fastnachtsspieles und hält sie für aufführbar (RZ 6, S. 467,38–468,5). Die Figur Jann wird mit dem Titelhelden des beliebten Stücks Rochus Pumpernickel verglichen, das 1809 von dem Wiener Musiker und Schauspieler Matthäus Stegmeyer verfaßt wurde, sowie mit der Wiener Spaßmacherfigur Thaddädel (ebd., S. 468,3). Rochus Pumpernickel verkörpert in dem gleichnamigen Stück den tölpelhaften Freier vom Land, dem bei seiner vergeblichen Werbung um Sophie, der Tochter des reichen Herrn Borthal, zahlreiche Streiche gespielt werden. U. a. wird ein Treffen zwischen Rochus und der ihm unbekannten Agatha vor den Augen 2
Vgl. dazu das Kap. Zur Entstehung der
Schaubühne, S. 443–444. 524
Entstehung / Rezeption
Borthals organisiert. Agatha gibt dabei vor, die Geliebte Pumpernickels zu sein, und ruft zum Beweis ihre neun Kinder herbei (vgl. Matthäus Stegmeyer, Rochus Pumpernickel. Ein musikalisches Quodlibet in drey Aufzügen. Wien 1811, S. 75–77). Diese Szene erinnert in gewisser Weise an den VI. Auftritt in Jann’s erster Dienst (vgl. RZ 6, S. 468,5–8), wie der Rezensent in seiner Besprechung des Stückes anmerkt. Weit kritischer wird die Posse in der zweiten Rezension, die 1816 in den
Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst erscheint, als gar zu gemeines und bedeutungsloses Zerrbild beurteilt (RZ 9, S. 475,11–16). Sie hebe sich von den anderen nach dem Altdeutschen bearbeiteten Stücken der Schaubühne negativ ab. Als Arnim seine Schaubühne im August 1813 an Clemens Brentano nach Wien schickt, hat er einen auf die Aufführung seiner Stücke zielenden Hintergedanken. Er greift drei Dramen heraus, die er für das Wiener Theater geeignet hält, und bittet Brentano darum, sie den dortigen Theaterdirektoren anzubieten. Unter den genannten Dramen ist auch Jann’s erster Dienst (vgl. AZ 14, S. 485,4). Brentano, der sich auf seiner Flucht vor den Kriegswirren in Preußen nach Wien begeben hatte, mit der Intention, dort als Dramatiker Fuß zu fassen, bietet den Wiener Theatern daraufhin auch andere Dramen Arnims wie Die Befreiung von Wesel sowie das Lustspiel Mißverständnisse an (vgl. AZ 20, S. 490,10), bleibt aber in seinen Bemühungen erfolglos. Jann’s erster Dienst wurde zwar nie auf einer öffentlichen Theaterbühne aufgeführt, wohl aber zu Lebzeiten Arnims zweimal vor Publikum vorgelesen. So berichtet BvA in einem Brief vom 22. Mai 1821 an Arnim nach Wiepersdorf, daß sie das Stück in Berliner Gesellschaft, d. h. Sophie Charlotte Eleonora Gräfin zu Stolberg-Stolberg und Hedwig Gräfin von Reventlow, vorgelesen habe. Da sie am nächsten Tag noch einmal gebeten worden sei, im kleinen Kreis befreundeter adliger Damen ein Stück Arnims vorzutragen, mag die Posse bei den beiden Zuhörerinnen auf Gefallen gestoßen sein (vgl. AZ 26, S. 493,1–4). Auch einer weiteren erfolgreichen Lesung, jedoch vor größerem Publikum am 20. Oktober 1826 bei Carl Eduard von Holtei, wohnt Arnim selbst nicht bei, da er sich in Wiepersdorf aufhält. BvA, die in Begleitung der Dichterin Anna Amalie von Helvig, Henriette Schleiermachers und General Heinrich Leopold von Strampf(f)s anwesend war, sowie Varnhagen von Ense berichten ihm darüber nach Wiepersdorf (vgl. AZ 28, S. 494,1–2; AZ 29, S. 494,1–3). Holtei betätigt sich in dieser Zeit nicht nur als Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Publizist, sondern auch als Schauspieler, Dramaturg und Regisseur. Besondere Popularität gewinnt er durch seine Tätigkeit als Dramenvorleser und Rezitator. Hierin folgt er Ludwig Tieck, den er an Bekanntheit jedoch übertrifft (vgl. Literaturlexikon.
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Zu: Jann’s erster Dienst
Autoren und Werke deutscher Sprache. Bd. 5, hg. v. Walther Killy. München 1990, S. 453). BvAs Hinweis, die Posse sei auf Veranlassung des Schauspielers Wolf (AZ 28, S. 494,5–6) von Holtei vorgelesen worden, zeigt, daß sich neben Ludwig Devrient (vgl. AZ 22, S. 491; AZ 27, S. 494) ein weiterer berühmter Schauspieler der Zeit für Arnims Dramen einsetzt. Pius Alexander Wolff, neben seiner Schauspieltätigkeit auch Lustspieldichter, ist seit 1816 am Berliner Theater engagiert. Seine ersten Erfahrungen als Schauspieler macht er in den Jahren 1803–1815 in Weimar unter dem Theaterdirektor Goethe. Offensichtlich setzt Wolff die von BvA bereits in Briefen vom Juni 1818 angekündigten Pläne, Stücke von Arnim aufzuführen, nicht in die Tat um. Gründe dafür sind nicht bekannt. Vmtl. kommt es nicht dazu, weil Arnim keine Bereitschaft signalisiert, sich durch eine Umarbeitung der Stücke für die Bühne an Wolffs Aufführungsbestrebungen zu beteiligen. Dies geht aus Briefen BvAs hervor, in denen sie generell über Arnims Angst, seine Stücke könnten auf dem Theater nicht gefallen, eingeht und versucht, ihn zur Aufführung seiner Dramen zu ermuntern (vgl. AZ 24, S. 492,2–6; AZ 25, S. 492,11–493,33).
Erläuterungen 3,3 P o s s e . ] Der Gattungsname wurde von Arnim gegenüber der Vorlage von Fasznachtsspil zu Posse geändert, was an den von Arnim gekürzten Familiennamen Janns bei Ayrer, »Posset«, erinnert (vgl. zur Tradition dieser Figur den Überblickskommentar, S. 519 sowie Erl. zu S. 3,10). Der Begriff »Posse« als Bez. einer Komödie, der sich erst im 18. Jh. durch Gottsched etabliert, geht auf das Wort »bosse« zurück, das ursprünglich zur Benennung der komischen Figuren auf Brunnen oder Gesimsen diente. Bei Ayrer wird die Bez. »Possenspiel« nicht mit »Jan Posset« in Beziehung gebracht, sondern als Synonym für das v. a. auf die Spieltradition des 15./16. Jhs. fußende Genre »Fastnachtspiel« verwendet. In der weiteren begriffsgeschichtlichen Entwicklung wird die ältere Kurzform »Posse« statt »Possenspiel« bevorzugt und avanciert im 19. Jh. zu einer häufig gebrauchten Gattungsbez. in Deutschland und Österreich. Als »Fastnachtspiele« werden um 1800 die Literaturfarcen Goethes und anderer betitelt, die in »bewußter Kontrafaktur« (Catholy 1966, S. 79) zum Genre des 15./16. Jhs. stehen (vgl. zu Fastnachtspiel und Posse Hedda Ragotzky, Fastnachtspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 1. Berlin, New York 2003, S. 568–572; Herbert Herzmann, Posse, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 134–136). – In einem Brief an Clemens Brentano vom 20. September 1804 schreibt Arnim, daß Tragödien und Possen wie Arznei wir-
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Erläuterungen
ken würden (vgl. Heidelberg 2110, 3). Dem Genre eignet also bei Arnim ein kathartischer Effekt. 3,5 Spieler.] Arnim streicht die in Ayrers beiden Versionen des Stücks (vgl. S. 517) auftretenden zwei Trabanten Heinrich und Dietrich, die jeweils im zweiten Dramen-Teil Partei für den inzwischen verheirateten Jann ergreifen, vgl. Q, S. 516,28–29; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114a. 3,6 H e r r v . E m m e r i c h , 〈...〉 Dorfes.] Bei Ayrer taucht der Name, allerdings in anderer Schreibung (Emerich), bereits auf (Q, S. 516,26). Neu hinzu kommt bei Arnim Emmerichs Zugehörigkeit zur Aristokratie. Bei Ayrer ist er nur ein reich Burger (Q, ebd.) bzw. der alt Mann (Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114a), der im Gegensatz zu dem vom Land kommenden Jann in der Stadt wohnt. – »Emmerich« in Arnims Schreibweise ist in Martin Luthers NamenBüchlein (Arnim-Bibl. B 2008) als Vorname im Ungarischen nachgewiesen und hat die Bedeutung der daheim reich ist / und wohl haußt / das Reich hegt und mehret (Luther 1674, S. 154). 3,7 H e r r v . B r a n d e i s , dessen Schwager.] In Ayrers Fastnachtspielen trägt die Person den Namen Friderich. Arnim erhebt die Figur – ebenso wie Herrn von Emmerich – in den Adelsstand. Bei Ayrer ist Friderich der reich Nachbaur (Q, S. 516,27; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114a). Das Stilmittel des Oxymoron »Brand« – »Eis« könnte Arnim zudem verwendet haben, um den widersprüchlichen Charakter des Schwagers bereits im Namen zu offenbaren. Brandeis ist ferner der Name einer Ortschaft in Böhmen, vgl. Erl. zu S. 16,19–22. 3,8 E r d w u r m , ein Bauer.] Bei Ayrer trägt Janns Vater den Namen Roland bzw. Rolandt (Q, S. 516,30; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114b). »Erdwurm« (= Regenwurm, vgl. Frisch 1741 I, S. 231b) ist eine gängige Bez. für Personen der unteren Stände (vgl. DWb 3, Sp. 784). 3,9 D e s s e n Frau.] Bei Arnim ohne Namen, bei Ayrer heißt sie Willand (Q, S. 516,31) bzw. Willanda (ebd., S. 501,6; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114b). Vmtl. verzichtet Arnim hier zugunsten einer stärkeren Typisierung der Figur als ängstliche »Übermutter« auf eine individualisierende Namensgebung. 3,10 J a n n , deren Sohn.] Bei Ayrer hat Jann den Zunamen »Posset«, der auf das Wort »posset« (engl. für Milchsuppe, gemischt mit Bier) zurückgeführt wird. Damit gliedert sich Ayrers Figur in die auch im deutschsprachigen Raum übliche Tradition ein, die lustige Person nach einer Speise zu benennen (vgl. Eckhardt 1902, S. 332). Obwohl Arnim in den Stücken Der wunderthätige Stein und in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte die Personen Hanswurst und Hans Pickelhering auftreten läßt, zwei Figuren also, die dieser Tradition folgen, verzichtet er in diesem Stück auf den Namenszusatz, an den allenfalls der von Arnim gewählte Gattungsname »Posse« erinnert, vgl. Erl. zu S. 3,3.
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Zu: Jann’s erster Dienst
3,11 G r e t h e ] Bei Ayrer heißt Janns Frau Ela (Q, S. 516,33; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 112d). Ausschlaggebend für die Änderung des Namens mag für Arnim der Typenname Grethe gewesen sein, der u. a. im Puppenspiel häufig für die Figur der Dienerin verwendet wird. Arnim nutzt zudem den Phraseologismus »Hans (= Jann) und Grethe« als Begründung für die Verlobung zwischen Jann und der Köchin in der III. Szene, vgl. Erl. zu S. 15,9. Die Personenkonstellation des Ayrerschen Stückes wird insofern verändert, als Jann Grethe erst im Verlauf des Stückes kennenlernt und sich mit ihr verlobt. In Ayrers Fastnachtspielen macht sich Jann zwar nach Abschluß des ersten Teils auf die Suche nach einer Frau (vgl. Q, S. 515,11; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 112d), der zweite Teil der Stücke handelt aber bereits von ehelichen Differenzen. Die bei Ayrer erwähnte Köchin des Herrn Emerich hat keine Bühnenpräsenz. Kinder werden in Ayrers beiden Stücken nicht erwähnt. 3,11 mit eilf Kindern.] Von Arnim hinzugefügt; »eilf« als veraltete Form von ursprünglich ndt. »elf« (vgl. DWb 3, Sp. 109; 413). Die Zahl wird in der Zahlenallegorese negativ bewertet. Sie gilt als Zeichen der Sünde und Unvollkommenheit unter Verweis auf ihre Nachbarzahlen 10 (Dekalog) und 12 (Anzahl der Apostel; vgl. Meyer/Suntrup 1987, Sp. 616). Da im Stück immer wieder in bezug auf die Figur Jann auf die biblische Josefs-Geschichte angespielt wird (vgl. Erl. zu S. 3,22; S. 4,5–7; S. 4,11; S. 21,21) könnte Arnim auch beim Entwurf seiner Figurenkonstellation eine Parallele zu Josefs elf Brüdern angestrebt haben, vgl. 1. Mo 35, 22. 3,13–14 Auf der 〈...〉 Bauerhofe.] Gegenüber der Vorlage erzielt Arnim eine geschlossenere Einheit von Ort und Handlung. Während Jann bei Ayrer drei Meilen (vgl. Q, S. 505,3; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110d) zurücklegen muß, um bei seinem neuen Herrn in Dienst zu treten, sind Herr von Emmerich und Erdwurm bei Arnim Nachbarn. Damit entfällt das bei Ayrer thematisierte Gefälle zwischen Land (Jann) und Stadt (Emmerich). Durch die Einheit des Ortes ist es für Arnim möglich, am Ende alle Figuren miteinander auf die Bühne zu bringen, vgl. Szene VI, in der vorliegenden Ausgabe S. 18,22–22,18. 3,17 Muttersöhnchen] Von Arnim hinzugefügte Komponente. In Ayrers Stükken wird Jann von beiden Elternteilen gleichermaßen beschimpft (vgl. Q, S. 502,15–503,11; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110b–110c). 3,22 Dreissig Jahr] Von Arnim hinzugefügt. In Ayrers beiden Versionen des Stückes weist Janns Mutter lediglich darauf hin, daß Jann schier bey sein Jahrn (Q, S. 502,1) bzw. nun bey sein Jaren sei (Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110b). Bei Arnim liegt vmtl. eine weitere Parallelisierung mit der alttestamentarischen Josefs-Geschichte vor (vgl. Erl. zu S. 3,11). Der biblische Josef ist ebenfalls dreißig Jahre alt, als der Pharao ihn in hohe Ämter einsetzt (vgl. 1. Mo 41,46).
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Erläuterungen
3,23–24 Er will 〈...〉 laufen.] In Arnims Quelle, Ayrers Stück Nr. 21, beschwert sich der Vater ebenfalls über die Faulheit des Sohnes. In Ayrers Stück Nr. 22, das Arnim fälschlicherweise als Quelle angibt, will Jann hingegen seine Eltern verlassen, um lesen und schreiben zu lernen (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110b). 3,28–29 Der Schelm 〈...〉 viel] Vgl. die wörtliche Entsprechung zu Ayrers Stück Nr. 21 (Q, S. 501,11–12). 4,3 todten Leichnam] Als »Leichnam« wurde ursprünglich der menschliche Körper im allgemeinen bezeichnet, so etwa in Luthers Bibelübersetzung (vgl. Adelung 2, S. 2002; DWb 12, Sp. 626). 4,5–7 da schwatzt 〈...〉 wolle.] Da im folgenden noch zweimal auf die biblische Josefs-Geschichte Bezug genommen wird (vgl. Erl. zu S. 4,11; S. 21,21), könnte es sich um eine Anspielung Arnims auf Josefs Träume handeln, in denen er sich über seine Brüder und seine Eltern erhebt (vgl. 1. Mo 37, 5–11). 4,8 Großvaterstuhl] Bequemer Stuhl mit Armlehne (vgl. Adelung 2, S. 819; DWb 9, Sp. 588). 4,9 ob ihm 〈...〉 fliegen.] Redensart (vgl. Wander 4, Sp. 1045, Nr. 85). 4,11 ward doch 〈...〉 Aegypten,] Vgl. 1. Mo 37, 5. Zu weiteren Anspielungen auf die Josefs-Geschichte vgl. Erl. zu S. 3,11; S. 3,22; S. 4,5–7; S. 21,21. 4,13–14 ließt in der Bibel,] Im Verlauf des Stückes wird deutlich, daß weder Jann noch seine Eltern lesen können, vgl. Szene III. »Lesen« hier also im Sinne von »auslegen«, »erkennen« (DWb 12, Sp. 785). 5,15 brümmeln] Eigtl. »brummeln«, ein wenig brummen (DWb 2, Sp. 428). 5,19 Brich das 〈...〉 Besen,] Als Redensart weder bei Wander noch bei Röhrich zu ermitteln, vmtl. orientiert sich Arnim an der Passage in Ayrers Stück Nr. 21: Fall den Halß vber ein bessen ab (Q, S. 503,2) und fügt assoziativ die vorangegangene Redensart »jemanden an dem Hals haben« (vgl. Wander 2, Sp. 283, Nr. 92) hinzu. 5,25 Rücken reiben] Im Sinne von »seinen Zorn am Rücken des anderen auslassen« (vgl. Wander 3, Sp. 1601, Nr. 6), in Ayrers Stück Nr. 21 und Nr. 22 in ähnlicher Form verwendet (Puckel/Buckl reiben, vgl. Q, S. 502,25; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110b). 5,27–28 du sollst 〈...〉 Erden.] Auch in Ayrers Stücken Nr. 21 und Nr. 22 wird auf das vierte Gebot (2. Mo 20, 12; Eph 6, 2) hingewiesen (vgl. Q, S. 503,8; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110c). 5,29 Zehrpfennig] 〈G〉eld zum unterhalt für die reise (DWb 31, Sp. 472; vgl. auch Adelung 4, S. 1669). Arnim übernimmt den Ausdruck aus Ayrers Stück Nr. 21 (vgl. Q, S. 503,13).
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5,35 letzten rothen Heller] Redensart. Die Farbe »rot« wegen der Kupferprägung (vgl. DWb 10, Sp. 971). 6,8–9 wie dem verlornen 〈...〉 müssen.] Von Arnim hinzugefügt. Eine Anspielung auf das biblische Gleichnis Vom verlorenen Sohn (Luk 15, 11–32) findet sich auch in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie in Der Auerhahn. Die Parabel wurde bereits im 16. Jh. dramatisiert und vielfach in literarischen Texten anzitiert (vgl. zur Verarbeitung des Stoffes ergänzend Bretschneider 1958). 6,15 Ich meine, 〈...〉 Mutter] Während Ayrer durchgehend den Knittelvers in Paarreimen (Q; Stück Nr. 21) bzw. dreihebige Verse in Kreuzreimen (Stück Nr. 22) verwendet, ist bei Arnim die Prosa vorherrschend. Nur die Monologe Emmerichs sind z. T. in Blankversen abgefaßt. In seiner Theorie in Fragmenten bemerkt Arnim zu der Handhabung von Versen und Prosa im Drama: Schil-
lers Don Karlos und sein Wallenstein kaum Maria Stuart sind völlig unnöthigerweise in Verse gebracht, es wäre eine schöne Pflicht sie in eine gute Prose um zu wandeln, und nur Selbstgespräche und ähnliche Erhebungen in den Versen zu lassen. 〈...〉 Wir solten sparsam seyn mit Versen und Reimen, denn jedem ist nur eine kleine Zahl guter verliehen und der Mechanismus darin stumpft am ende alle ihre sinnliche Kraft ab und läßt nur ein Gefühl für das Maaß übrig (FDH B 44). 6,23–24 Krücke ist 〈...〉 nennen.] Bereits in der Antike wird die Krücke/der Stock als drittes Bein eines alten Menschen bezeichnet, vgl. etwa das Rätsel der Sphinx, das Ödipus aufgegeben wird. 7,12 reichen Bauren Erdwurm] Von Arnim hinzugefügt. In Ayrers Stück Nr. 21 wird über die Besitzverhältnisse von Janns Eltern nichts berichtet. Jann weist in Ayrers Stück Nr. 22 darauf hin, daß seine Mutter gar zerlampet (Ayrer 1618, Nr. 22, S. 110c) ist. 7,26–30 Wenn ichs aufgeschrieben 〈...〉 gethan,] Von Ayrer übernommen. In Arnims Vorlage möchte Jann seine Aufgaben aufgeschrieben haben, weil er sich Dinge nicht gut merken kann (Q, S. 504,31), in Ayrers Stück Nr. 22 um lesen zu lernen (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111d). Bei Arnim läßt sich eine stärkere Affinität zu Ayrers Stück Nr. 22 erkennen, in dem Emmerich ebenfalls erwähnt, daß er all 〈s〉ein lebtag / Keim Diner eine Anstellung geschrieben habe (ebd., S. 111d). 7,33–37 Ihr scheint 〈...〉 kannst.] Die Vertauschung der Rolle Herr-Diener in Janns Repliken ist eine Zutat Arnims, die im folgenden wiederholt wird. 8,9 Feuerzeuge] Bestehend aus Stahl, Stein und Zunder oder Schwamm (Adelung 2, S. 138; DWb 3, Sp. 1609).
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Erläuterungen
8,10 Reibzeug] Der von Arnim hinzugefügte Ausdruck ist weder bei Adelung, im DWb, noch bei Zedler zu ermitteln. Bei Ayrer begründet Jann nicht, warum er statt des Schreibzeugs ein Feuerzeug bringt. Wie bei anderen Mißverständnissen in Folge versteht Jann offensichtlich den ersten Teil des Wortes nicht. 8,12–14 wir haben heute weißen 〈...〉 denn....] Von Arnim hinzugefügt. 8,18 Tintfaß] In Ayrers Stück Nr. 21 und Nr. 22 wird Jann aufgetragen, Dinten zu holen (Q, S. 505,23; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111a). Die Verwechslung der Wörter beläuft sich bei Ayrer auf Dinten-Trinken (Q, S. 1095, 113–114; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111a), bei Arnim auf Tintfaß-Trinkfaß. Ludwig Tieck bemerkt in seinem Deutschen Theater (1817) zu der Stelle in Stück Nr. 22 in bezug auf das engl. Drama, das Ayrer vmtl. als Vorlage diente: auch ist die
Verwechslung mit inkhorn, wie es wohl im Englischen hieß, mit einem Trinkgeschirre 〈= drinkhorn〉 natürlicher, als im Deutschen mit einem Schreibzeuge (Tieck 1817 I, S. XIX). 8,24 Kovent] Eigtl. der Kofent: Dünnbier, auch Nachbier genannt, entsteht durch zweiten (oder dritten) Aufguß auf den Treber (Adelung 1, S. 177; DWb 11, Sp. 1574). Ursprünglich diente der Ausdruck zur Bez. des Biers, das für die Klosterbrüder (conventus) gebraut wurde, im Gegensatz zu dem für die Oberen bestimmten, qualitativ besseren Getränk. In Q bringt Jann seinem Herren einen Wein (vgl. Q, S. 507,18). 8,32 du hast Brei im Maul.] Redensart, die bereits bei Luther belegt ist: sie mummeln, als hetten sie heiszen brei im maule (Röhrich 1, S. 252; vgl. auch DWb 2, Sp. 354). 9,30–31 da müßte 〈...〉 schreiben,] Von Jann wörtlich genommene Redensart (vgl. Röhrich 2, S. 114), von Arnim hinzugefügt. 10,5–11 die Einfalt 〈...〉 Narren.] Der in Jamben gehaltene Monolog erscheint in der Editio princeps nicht mehr in Versform wie zu Beginn von Szene III, sondern als fortlaufender Text, vmtl. um Platz zu sparen. 10,13 Klebebier] Malzreiches Bier (vgl. DWb 11, Sp. 1042), von Arnim hinzugefügt. In dem bei Arnim und Clemens Brentano beliebten satirischen Reisebericht Schelmuffsky (1696/1697) Christian Reuters wird wiederholt von Klebebier gesprochen. Dies könnte als Anregung zu dieser Passage im Stück gedient haben, da Arnim Teile des Schelmuffsky auswendig konnte: an den 〈sic〉 Orte, wo ich 〈Schelmuffsky〉 zu Hause wäre 〈= Schelmerode〉, da
braueten die Leute Bier, welches sie nur Klebe-Bier nenneten, und zwar aus der Ursachen, weil es so Maltzreich wäre, daß es einen gantz zwischen die Finger klebete, und schmeckte auch wie lauter Zucker so süsse, daß, wer von demselben Biere nur ein Nössel getruncken hätte, derselbe hernachmahls flugs darnach predigen könte (Reuter 1750, S. 81; vgl. ebd. auch S. 121–122; 159).
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10,14 Herrenbier] Tafelbier (DWb 10, Sp. 1137). 10,18–21 einen Barbier, 〈...〉 besser.] on Arnim hinzugefügt. 10,20 übern Löffel 〈...〉 abbarbieren,] Bei Dorfbarbieren war es gebräuchlich, die eingefallenen oder faltenreichen Wangen für das Bartscheren dadurch zu glätten, daß sie an die Innenseite der Wange das Hohlrund eines Löffels (oder aber ihren Daumen) führten. »Über den Löffel barbiert/balbiert werden« wurde im folgenden zur Redensart: zum einen im Sinne von »wie ein Bauer, nicht zart, behandelt werden«, zum anderen in der negativeren Bedeutung von »Opfer eines Betrugs werden« (vgl. DWb 1, Sp. 1125). 10,23 daß du ein Narr bist.] Vmtl. Umkehrung der sprichwörtlichen Redensart »Dass ich kein Narr bin!« (Wander 3, Sp. 930, Nr. 1180), von Arnim hinzugefügt. Bei Ayrer wird Jann ebenfalls als Narr bezeichnet (vgl. Q, S. 509,34; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111c). 10,33–36 seine Lehne 〈...〉 heirathen.] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. handelt es sich bei dieser Wortspielerei um eine der in den Anmerkungen erwähnten Anekdote〈n〉 (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 333,13). In der Schwankliteratur ist es ein gängiges Wortspiel, das noch von dem bayerischen Kabarettisten und Komiker Karl Valentin im 20. Jh. verwendet wurde, so in seinem Dramolett Im Schallplattenladen: K〈arl〉 V〈alentin〉 hat sich gesetzt: Sie,
sagen Sie mal, wo ist denn jetzt eigentlich die Lehne? Verkäuferin: Wie meinen Sie? Was für eine Lene? Bei uns war noch nie eine Lene (Karl Valentin, Alles von Karl Valentin, hg. v. Michael Schulte. München, Zürich 1978, S. 522).
11,1–2 weil mir diese Nacht 〈...〉 sollte.] Von Arnim hinzugefügt. 11,5–6 ihr seyd der Herr 〈...〉 Knecht.] Die Stelle erinnert an Verse des Wh–Liedes Vom Buchsbaum und vom Felbinger, in dem sich die beiden Bäume streiten, wer der bessere von beiden sei, vgl. Wh II 34, V. 55–56: Bist du so gerecht, / So bist du mein Herr, und ich dein Knecht. Vgl. die Variation in Wh II 37, V. 70. 11,13–14 Wie soll ich lesen 〈...〉 Mutter.] Von Arnim hinzugefügt. Noch zu Beginn des 19. Jhs. waren 50% der Bevölkerung Analphabeten (vgl. Knaack 1976, S. 21). 11,17 Schelm] Hier in der Bedeutung »durchtriebener Kerl«, »Betrüger» (vgl. Adelung 3, S. 1410; DWb 14, Sp. 2507). 11,28 abraupen] Bäume von Raupen befreien, ablesen (vgl. Adelung 1, S. 81; DWb 1, Sp. 86). 11,32 Da nun der Müßiggang 〈...〉 ist,] Sprichwort, von Arnim hinzugefügt (vgl. Wander 3, Sp. 791, Nr. 17).
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Erläuterungen
11,32–12,5 so soll er in Nebenstunden 〈...〉 dreschen.] Die Aufzählung der unterschiedlichen Betätigungsfelder, die auch den Aufgabenbereich einer Magd mit einschließen, wurde von Arnim gegenüber der Vorlage erweitert. In der Q besteht der Vertrag ebenfalls aus einer Aufzählung unterschiedlicher Tätigkeiten (vgl. Q, S. 508,32–509,2). Auch dort ergeben sich komische Elemente durch Enjambements oder die Verwendung von Zeugmata. In Ayrers Stück Nr. 22 wird nur sehr allgemein über den Vertrag gesprochen (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111d). In der Absicht, ihm noch mehr über seine Aufgaben mitzuteilen, will Emmerich in Stück Nr. 22 ins Haus gehen und stürzt dabei. Arnim hat die Szene durch die Vertauschung der Herr-Diener-Rollen erweitert. 11,33 Nebenstunden] Stunden der Muße, Freizeit (vgl. DWb 13, Sp. 507). 11,35–36 spanischen Fliegen auflegen] Als »spanische Fliegen« werden die in Südeuropa vorkommenden goldfarbenen Käfer bezeichnet, die im getrockneten Zustand von stark blasenziehender Wirkung sind (vgl. Zedler 9, Sp. 1359) und die auch zur Steigerung der sexuellen Potenz bei Männern verwendet wurden. 12,4–5 Kind meines Sohnes abhalten] bei den mägden: das kind abhalten, bei seite halten, dass es seine nothdurft verrichte (DWb 1, Sp. 53). 12,8–9 da habt 〈...〉 Hand.] Der Handschlag findet sich auch in der Q, vgl. S. 509,10. 12,31 Lieferei] Eigtl. »Liverei«, nach frz. Livre´e, »Dienerkleidung«. Wie andere aus dem Frz. stammende Ausdrücke verwendet Arnim in der Schaubühne bevorzugt die verdeutschte Schreibweise, vgl. z. B. das Stück Mißverständnisse (Erl. zu S. 146,14), während in den posthum von BvA herausgegebenen SW die frz. Form verwendet wird. 12,32–13,6 (Er steht hastig auf, 〈...〉 Papiere,] Die Szene kommt bei Ayrer in beiden Versionen des Stücks vor (vgl. Q, S. 509,14–23; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111d). 12,33–13,3 er fällt.) Jannchen, 〈...〉 liegen.] In Johannes Paulis Schimpff vnnd Ernst (Arnim-Bibl. B 903) gibt es eine ähnliche Geschichte, so daß davon ausgegangen werden kann, daß es sich hier um einen beliebten gängigen Schwankstoff handelt: Eine Frau läßt sich von ihrem Mann in einer Art Ehevertrag aufschreiben, welche Aufgaben sie erfüllen müsse. Auf dem Heimweg von einer Kirchweih stürzt der betrunkene Mann von einem Steg und bittet seine Frau, ihm zu helfen. Diese entgegnet ihm, sie müsse erst nach Hause gehen und nachsehen, ob es auch inn meinem brieff stand / ob ich dir helffen
soll. Also da jm das wasser in das maul gieng / da kroch er selber herauß / vnnd da er heim kam / da zerriß er seiner frawen den brieff 533
Zu: Jann’s erster Dienst
vnnd sprach: Thuo selber was du meinst das recht sey / vnnd läbten darnach wol mit einander (Pauli 1542, S. XXVII ). 12,35 Obstruktion] Von lat. obstructio, Widerstand. Janns Verwechslung des d
Wortes »Instruktion« mit »Obstruktion« enthält damit einen Hinweis auf die »Verzögerungstaktik«, die Jann bei der Ausführung der Dienstbotengänge anwendet (vgl. Pietsch 2003, S. 115). 13,4 Schlingel] 〈T〉räger und ungesitteter Mensch (Adelung 3, S. 1535); müsziggänger, taugenichts (DWb 15, Sp. 728). 13,12–13 Wenn ich euch einen Finger 〈...〉 Hand,] Sprichwort (vgl. Wander 1, Sp. 1019, Nr. 61 sowie Wander 4, Sp. 132, Nr. 65). 13,15 (Er hebt ihn auf).] Von Arnim gegenüber der Vorlage verändert. Bei Ayrer muß sich Emmerich in Stück Nr. 21 und 22 selbst behelfen und – wie der betrunkene Mann in Johannes Paulis Exempla-Geschichte (vgl. Erl. zu S. 12,33–13,3) – alleine wieder aufstehen (vgl. Q, S. 509,32; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 112a). In Stück Nr. 22 wird dies durch den Zusatz mit grosser mühe / Jann lacht/ noch verstärkt (ebd., S. 112a). 13,16–17 Wer einen Narren 〈...〉 beschämen.] Vgl. die fast wörtliche Entsprechung in der Q: Wer sich vmb Narrn thut annemmen / Muß sich auch Narrn lassen beschemen (Q, S. 509,34–35). Bei Wander als Sprichwort nicht zu ermitteln. 13,20–21 beim Fallen, 〈...〉 seyn,] Von Arnim hinzugefügte Paronomasie (›Fallen-Einfall‹), ein in Arnims Werk häufig auftretendes Stilmittel, vgl. für weitere Bspe. und Verweise Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 13,28–29 so hat 〈...〉 Tugend.] Von Arnim hinzugefügte Umdeutung des Sprichworts »Jugend hat keine 〈oder: nicht allezeit〉 Tugend« (vgl. Wander 2, Sp. 1045, Nr. 91). 13,30–31 Tugend hat keine Jugend] Vgl. das vorangegangene Sprichwort, hier durch die Inversion sinnverstellend. Von Arnim hinzugefügt. 13,34–35 vor dem Herren 〈...〉 ihm).] Vgl. die wörtliche Entsprechung in Ayrers Stück Nr. 21 (Q, S. 510,11). In Ayrers Stück Nr. 22 will Emmerich seinem Diener höfische Manieren beibringen (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, S. 112a). Arnim orientiert sich stärker an Stück Nr. 21, in dem Jann ebenfalls Prügel erhält (vgl. Q, S. 510,8). 14,1–9 So bewahrt 〈...〉 zanken] Von Arnim hinzugefügt. 14,14–22 Ich bin nun alt 〈...〉 Schenken,] Von Arnim hinzugefügt. 14,32–36 Was hast du denn 〈...〉 beten.] In Arnims Q hat Jann eine derbvulgäre Begründung für sein längeres Fortbleiben: Er sitzt auff den Scheißhauß (Q, S. 511,5). Diese Szene findet sich nicht in Ayrers Stück Nr. 22.
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Erläuterungen
15,8 Catechismus] Diese Anspielung konnte nicht entschlüsselt werden. Daß es sich um den ev. (Arnim-Bibl. B 2267) oder kath. (Arnim-Bibl. B 2266) Katechismus handeln könnte, ist unwahrscheinlich, da durch die komische Situation eine Profanierung des Religiösen ausgelöst werden würde, die Arnims Intention wohl nicht entsprochen hätte. Zu Arnims Zeit wurden mit »Katechismus« nicht nur Lehrbücher zur Unterweisung im christlichen Glauben bezeichnet, sondern auch Lehrbücher mit weltlichen Inhalten, welche die charakteristische FrageAntwort-Form aufweisen, vgl. z. B. den in Arnims Bibliothek nachweisbaren Gesitteten Harlequin oder Masquen Catechismus (1783; Arnim-Bibl. B 375), aber auch Friedrich Schleiermachers Katechismus der Vernunft für edle Frauen (1798) oder Johann Georg Schlossers Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk (1771), der sich zu verschiedenen Themen äußert und appellativ auf die Landbevölkerung einwirkt. 15,9 da stand 〈...〉 Grethen,] Das Paar »Hans und Grethe« tritt häufig in Puppenspiel, Märchen und Schwank auf. In den von Jacob und Wilhelm Grimm herausgegebenen KHM wird nicht nur die Geschichte von Hänsel und Gretel (Nr. 16, KHM 1812, S. 49–58) erzählt, sondern auch das Märchen Der gescheidte Hans (Nr. 32, KHM 1812, S. 138–142), in dem Hans um Grete wirbt. Das Wörtlichnehmen von Redensarten erfüllt dort eine ähnliche Funktion zur Erzeugung von Komik wie in Jann’s erster Dienst. Im Wh–Lied I 46, Schürz dich Gretlein, überläßt Hänßlein die Kleider seines Gretleins der Wirtin als Pfand. Auch in Ayrers OT sind die Figuren Hans und Gret nachweisbar, etwa in dem Stück Ein schöns neus Singets Spil, ist genant der Münch im Keszkorb, wo Gret ihren alten Mann Ott mit dem Mönch Hans betrügt (Ayrer 1618, Nr. 33, S. 153b–156c) bzw. in dem Fassnachtspil, von einem Pfaffen, der
den Teufel beschwern wolt, dass er ihm sein Köchin nicht hinführn solt, wo die zuvor vielseitig umworbene Köchin Gretha mit Hans, dem Pfaffen, in ehelicher Gemeinschaft lebt und dafür vom Teufel geholt wird. – Im Zusammenhang mit dem ev. Katechismus könnte es sich auch um eine scherzhafte Anspielung auf Martin Luthers Eltern, Hans und Margarethe Luther, handeln, die z. B. in Zacharias Werners Stück Martin Luther, oder Die Weihe der Kraft (gedr. 1807) unter den Namen Hans und Grete auftreten (vgl. Werner, Z. 1807, II, 1, S. 72–134). Grete, die mit ihrem Mann nach Wittenberg kommt, um ihren berühmten Sohn zu besuchen, ist dort – ähnlich wie Janns Mutter – als überbesorgte Mutter charakterisiert. 15,9–10 nun haben wir 〈...〉 Gut.] Umgangssprachlich bezeichnet »das liebe Gut« Nahrungsmittel, die als lebenswichtig angesehen werden, milch mit brot und zucker (DWb 9, Sp. 1355). Das Sprichwort »Da haben wir’s liebe Gut, und es ist nicht ausgebacken« dient zur Bez. eines jungen Menschen, der »unwis-
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Zu: Jann’s erster Dienst
send, sittenlos und unbrauchbar von der Universität oder von seinen kostspieligen Reisen zurückkommt« (Wander 2, Sp. 185, Nr. 19). 15,14 Das sey nun abgethan.] Redensart im Sinne von »das sei abgeschlossen« (vgl. DWb 1, Sp. 138). 15,21 IV.] Im D wird dieser Auftrittswechsel nicht mit einer Ziffer markiert, die nächste Szene ist jedoch mit »V.« gekennzeichnet. Da zwischen den beiden Auftritten III und V kein feststellbarer Bruch zu bemerken ist und damit die Vermutung, Arnim habe hier eine zusätzliche Szene gestrichen, unwahrscheinlich ist, handelt es sich bei dieser Auslassung wohl um ein Versehen Arnims bzw. des Setzers. Nach dem Abgang Emmerichs mit Jann und dem Auftritt Grethes wäre in logischer Konsequenz der IV. Auftritt anzusetzen, wie es an anderer Stelle in der Posse bei einer völligen Änderung des Personals auf der Bühne gehandhabt wird. In den von BvA herausgegebenen SW wurde diese Inkongruenz ebenfalls übernommen (vgl. SW 5, S. 23; 25). 15,25 jung gewohnt alt gethan,] Sprichwort schlesischen Ursprungs, von Arnim hinzugefügt (vgl. Wander 2, Sp. 1054, Nr. 25). 15,26–27 hab ich 〈...〉 gerathen.] Von Arnim hinzugefügt. 15,31 Bälge] Pejorativ, abwertend für »Kinder« (vgl. Adelung 1, S. 699; DWb 1, Sp. 1096). 15,32 nudle] Eigtl. stopfen, mästen, hier pejorativ für »die Kinder versorgen« (vgl. DWb 13, Sp. 977). 15,34–16,8 Nun, wer 〈 ..〉 nichts.] on Arnim hinzugefügt. In Ayrers Stücken Nr. 21 und Nr. 22 ißt Jann die Birnen mit der Begründung, daß es nicht auffallen werde (vgl. Q, S. 511,33), wenn er nur die Hälfte liefere (vgl. Ayrer 1618, Nr. 22, S. 112b). 16,1–3 schöne Birnen, 〈...〉 Mann!] Im Volksglauben gelten die Birnen als Fruchtbarkeitssymbol und versinnbildlichen das weibliche Geschlecht (vgl. HdA 1, Sp. 1340). 16,12 Eile mit Weile] Sprichwort, von Arnim hinzugefügt (vgl. Wander 1, Sp. 775, Nr. 7). 16,19–22 Was willst du Bursche 〈...〉 lachend.)] In Ayrers Stück Nr. 21 und Nr. 22 zieht Jann den Hut, ohne von Herrn Friderich vorher ermahnt werden zu müssen (vgl. Q, S. 512,25; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 112c). Es könnte sich bei der Namensgebung »Brandeis« in Verbindung mit dieser Hut-Szene um eine Anspielung auf ein historisches Ereignis aus dem Jahr 1627 handeln. Im Dezember dieses Jahres machte Wallenstein dem Kaiser seine Aufwartung in der böhmischen Ortschaft Brandeis. Der Kaiser gestattete ihm als Ausdruck seiner Gewogenheit, in Gegenwart der Majestät den Hut aufzusetzen und ihn weiterhin zu tragen (vgl. Golo Mann, Wallenstein. Frankfurt/M. 1997, S. 424).
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Erläuterungen
16,19–20 hast du einen Vogel 〈...〉 abnimmst?] Redensart (vgl. Wander 4, Sp. 1669, Nr. 571; Röhrich 3, S. 1428). 16,23 es ist ein alter Filz,] Der Ausdruck »alter Filzhut/Filz« ist auch ein zu Arnims Zeit veraltetes Schimpfwort und diente zur Bez. eines groben oder geizigen Menschen. Arnim verwendet den Ausdruck auch in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 246,12. 16,32–17,20 Daß ich euch diese Birnen, 〈...〉 gefressen.] Die Szene erinnert, wie bereits Ludwig Tieck in seinem Deutschen Theater (vgl. Tieck 1817 I, S. XX; XXIX) bemerkte, an ein weiteres Stück Ayrers aus dem OT mit dem Titel Comedia von einem alten Buler vnnd Wucherer, wie es jhme auff der Bulschafft ergangen vnd wie er seines Weibs Lieb probirt 〈...〉. Dort trinkt der Diener Grundo eine Flasche Wein fast leer und überbringt Marina, der Angebeteten seines Herrn, den kümmerlichen Rest (vgl. Ayrer 1618, Nr. 29, S. 140c–143c). Auch in diesem Stück zeigt der Diener, indem er vor den Augen Marinas den Wein leert, was mit dem übrigen geschehen ist. 17,2–3 Läßt er mir das zum Spott 〈...〉 habe.] Von Arnim hinzugefügt. 17,10 Ich wollte, 〈...〉 wären,] Aus Arnims Q übernommene Passage, vgl. Q, S. 512,34. 17,22 Du sollst 〈...〉 bekommen.] In Arnims Q fragt Jann ebenfalls nach einer Belohnung (vgl. Q, S. 515,1), woraufhin ihn Herr Friderich ohne Trinkgeld fortschickt. Der Streich, der sich bei Arnim anschließt, ist hinzugefügt, in der Schwankliteratur jedoch geläufig: In zwei Volksmärchen aus Pommern und Rügen, Alten-Sattel (Jahn 1891, Nr. 24, S. 145–153) und Der Bauer, der Edelmann und der alte Fritz (ebd., Nr. 25, S. 151–153) wird das Auszahlen einer Belohnung ähnlich wie bei Arnim durch Schläge ersetzt: Ein Bauer wird zu Friedrich dem Großen von Schildwache und Kammerdiener nur unter der Bedingung durchgelassen, daß sie einen Teil dessen erhalten, was der König dem Bauern schenken wird. Der Bauer erbittet vom König eine Tracht Prügel, die er an die Bediensteten austeilen läßt. – Als unmittelbare Vorlage diente Arnim wahrscheinlich das bei Ayrer abgedruckte Faßnachtspil der vberwunden Trummelschlager (Ayrer 1618, S. 101d–106d). In diesem Stück wird der Analphabet Jann von dem Schreiber Virgilio überlistet, indem er ihm einen falschen Botenbrief aushändigt. 17,26–27 doch könnt es wohl in meiner Obstrukzion 〈...〉 vergessen.] In Arnims Vorlage kann Jann seine Pflichten auswendig hersagen (Q, S. 513,23–27). Er begründet das Essen der Birnen damit, daß Botengänge nicht zu seinem Aufgabenbereich gehören (vgl. Q, S. 513,33–34). 17,30 grober Knollen] Verächtliche Bez. für einen groben ungeschickten Menschen (vgl. Adelung 2, S. 1668) oder für einen Bauern, um dessen derb-
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Zu: Jann’s erster Dienst
heit, plumpheit, grobheit, roheit zu akzentuieren (DWb 11, Sp. 1466); von Arnim hinzugefügt. 17,33–34 Sieh nur, 〈...〉 nicht?] In Arnims Q versucht Herr Friderich ihm das gesamte Alphabet beizubringen und wird dabei von Jann immer wieder durch Kommentare unterbrochen (Q, S. 514,4–32). 17,36–18,2 Mein Vater 〈...〉 gegessen,] In der Q findet sich, abgesehen von der Anspielung auf die Brandmarke des Vaters, eine ähnliche Pointe (vgl. Q, S. 514,28). Seit dem 9. Jh. wurde die Bestrafung rückfällig gewordener Diebe und Münzfälscher durch eine Brandmarke vorgenommen, zunächst auf Stirn oder Backe, später am Rücken oder an der Hand. Zum Brennen wurde ein glühender Schlüssel oder ein Stempel mit dem Stadtwappen verwendet (vgl. HRG 1, Sp. 503). In Spanien wurde den Sklaven ein gedoppeltes S auf die Backe gebrannt (vgl. Döpler 1693, S. 912). Es konnte nicht ermittelt werden, auf welche Quelle sich Arnim stützt. 18,5–6 Er kann wirklich nicht lesen, 〈...〉 Spas] In Johann Georg Schlossers Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk wird eine ähnliche Geschichte als warnendes Exempel herangezogen, um zu zeigen, welche fatalen Folgen der Analphabetismus haben kann. Die von Arnim hinzugefügte Handlung ist demnach ein gängiger Stoff und gehört vmtl. zu den von Arnim in den Anmerkungen erwähnten Anekdote〈n〉 (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 333,13): Es giebt böse Menschen, denen man auf ihr Wort nicht trauen darf, wollt ihr diese zwingen ihr Versprechen zu halten, so müßt ihr euch ihr Wort schriftlich geben lassen. Könnt ihr nun nicht lesen, so können sie euch hinschreiben, was sie wollen. Unser voriger Schulmeister war ein böser Mann. Ein gutherziger Freund von mir borgte ihm eine kleine Summe Geld. Da er ihm aber nicht völlig trauen wollte, so ließ er sich eine Handschrift geben. Mein Freund konnte nicht lesen, und der böse Schulmeister schrieb, anstatt der Handschrift, einen Vers aus einem Lied auf ein Papier, und läugnete darnach die Schuld, und betrog auf diese Art meinen zu leichtglaubigen Freund. Wenn ihr lesen könnt, so seyd ihr wenigstens vor einem so groben Betrug gesichert (Johann Georg Schlosser, Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk, Frankfurt/M. 1771, S. 69). 18,17–18 Ich glaube, wenn ich eine Brille 〈...〉 ihr,] Die Brillen-Szene ist von Arnim hinzugefügt worden. In Der lustige und possierliche Historienschreiber (Arnim-Bibl. B 918) findet sich eine Anekdote, die motivische Parallelen aufweist. Vmtl. verwendet Arnim auch hier ein gängiges Motiv, was er in seinen Anmerkungen unter Anekdote〈n〉 subsumiert (vgl. S. 333,13): Der
zum Lesen begierige Bauer / Ein Bauer sahe, daß alte Leute, wenn sie 538
Erläuterungen
lesen wollten, eine Brille brauchten, und kam in die Stadt zu einem Brillenmacher, und sprach: Er sollte ihm eine gute Brille verkaufen. Der Brillenmacher setzte ihm eine auf. Der Bauer nahm das Buch verkehrt in die Hand. Als der Brillenmacher solches sahe, sprach er: Freund, ihr möget wohl gar nicht lesen können. Ey Kerls, sprach der Bauer, wenn ich lesen könnte, wollte ich euch eure Brillen wohl lassen (Historienschreiber, S. 37). 18,18–19 ihr seht mir nicht aus, 〈...〉 hättet.] Redensart (vgl. Wander 3, Sp. 1421, Nr. 25). 18,20–26 Lauf mit 〈...〉 Vaters Fenster)] Das Durchstoßen der Fensterscheibe erinnert an die Streiche Till Eulenspiegels, der – ähnlich wie Jann – die Anweisungen von höher stehenden Personen wörtlich nimmt. Die Szene könnte durch die Erwähnung Eulenspiegels in Ayrers Stück Nr. 22 angeregt worden sein, in dem Jann als Eilenspigels Knecht bezeichnet wird (Ayrer 1618, Nr. 22, S. 111c). In den Historien um Eulenspiegel findet sich das Motiv des Fensterzerbrechens an zwei Stellen: In der 38. Historie in einer Ausgabe aus Arnims Bibliothek (Arnim-Bibl. B 918) rächt sich Eulenspiegel an einem Stiefelmacher, der ihm die Schuhe mit Bratspießen gespickt hat: Indem so lief
Eulenspiegel wieder zurück zum Haus, und stieß den Kopf und die Schultern durch das Fenster 〈...〉 (Eulenspiegel 1794, S. 80). In der 66. Historie richtet sich Eulenspiegel nach der Wegbeschreibung des Barbiers, bei dem er eine Anstellung bekommen hat: Siehest du das hohe Haus da gegen
über, da die hohen Fenster sind? da gehe hinein, ich will bald nachkommen (ebd., S. 140–141). Vmtl. handelt es sich um eine von Arnim hinzugefügte Anekdote, deren Bedeutung für das Stück in den Anmerkungen am Ende der Schaubühne hervorgehoben wird (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 333,13). 19,13–14 sechs Pferde 〈...〉 bringen.] Redensart, eigtl. mit zehn Pferden (vgl. Wander 3, Sp. 1315, Nr. 183; Röhrich 2, S. 1167). 19,34 pufft er mich ab.] 〈M〉it der Faust wacker schlagen (Adelung 1, S. 79; DWb 1, Sp. 84). 19,35 Groschen] Silbermünze, im Wert unter Taler und Gulden liegend. 19,36 Milchgelde] Geld, das durch Milchverkauf eingenommen wird (vgl. DWb 12, Sp. 2193). 21,21 Jakob hatte zwölf Söhne.] Vgl. 1. Mo 35, 22. 21,32 als hätte 〈...〉 geschienen.] Vgl. die Redensart »Die Sonne scheint ihm ins Bett« (Wander 4, Sp. 624, Nr. 320). 22,12 ludeln] Weinerliche Töne ausstoßen, greinen, leiern (DWb 12, Sp. 1231). Das DWb führt Arnim als einzige Belegstelle an. Das Wort verwen-
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Zu: Jann’s erster Dienst
det er noch einmal mit derselben Bedeutung in Die Kronenwächter II (vgl. SW 16, S. 297). 22,12–13 Emmerich hustet, 〈...〉 niest).] Husten und Niesen werden z. B. in Arnims Erzählungen Landhausleben (Sonntags-Erzählung des Landpredigers) als Motiv verwendet, das Eduard dazu dient, seiner Angebeteten die Langeweile zu vertreiben (vgl. Arnim 1826, S. 53). In Ludwig Tiecks Schauspiel Die verkehrte Welt (1799) weinen und niesen die Figuren ebenfalls am Ende des Stückes. Dort gibt die Regieanweisung vor: (Ein großes Getümmel unter den Zuschauern 〈auf der Bühne〉, einige weinen, andre lachen, andre niesen aus Verlegenheit.) (Ludwig Tieck, Die verkehrte Welt. Ein historisches Schauspiel in fünf Aufzügen, in: Bambocciaden, hg. v. August Ferdinand Bernhardi. Bd. 3, 2. Teil. Berlin 1799, S. 105–276, hier S. 208; Arnim-Bibl. B 990). 22,14 Dieses war 〈...〉 Probestück,] Ayrers Fastnachtspiele schließen häufig mit einer moralischen Lehre (vgl. Q, S. 516,21–24; Ayrer 1618, Nr. 22, S. 114a), die unmittelbar an die Zuschauer gerichtet wird, oft verbunden mit einem Wunsch zur »guten Nacht« oder für »ein gutes Jahr« (vgl. den Neujahrswunsch in Q, S. 516,24). Dieser moralische Impetus fehlt bei Arnim, vielmehr wird der Ausblick auf weitere Späße Janns gegeben.
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Zu: Der Auerhahn.
(Eine Geschichte in vier Handlungen) Quellen Q 1.1–1.4 Q 1.1: Cyriacus Spangenberg,
gegen ihre Obrigkeit,
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Wie sich Christlicher Adel verhalten sol in: Spangenberg 1594, S. 119v–120v.
Das Neunde Buch. Das Dritte Capittel. Wie sich Christlicher Adel verhalten sol gegen ihre Oberkeit. 〈...〉
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Das dritte stück / darinnen Junckern iren Oberherrn dienstbaren willen erzeigen können / ist / das sie nach allem vermögen derselben nutz / ehre vnd wolfart befördern / dessen wil ich ein lustig Exempel erzelen. Anno 1326. nam Landgraff Heinrich von Hessen zur Ehe Frewlein Elisabeth / Marggrauen Friedrichen des frewdigen zu Meissen Tochter / mit derselben zeugete er zwene Söhne vnd eine Tochter / dem ältern Sohn Heinrichen beschied er das Land / nach ihm zu besitzen / den andern Otten schicket er gen Pariß / da solte er studieren / vnd darnach geistlich werden. Nu hatte dieser junge Herr Landgraff Otto zur Geistligkeit keine lust / kauffte im derwegen zwey gute Roß / vnd zeugete jhm einen guten Harnisch / vnd ein starck Armbrust / ritte also ohne bewust seines Herrn Vattern an des Hertzogen zu Cleue Hoff / vnd nandte sich Ott Schützen / begerte daselbst Dienst / Vnd weil er eine feine gerade starcke Person war / nam jhn der Hertzog auff / vnd hielt er sich so redlich vnd wol / das jhn der Hertzog für andern herfür zog / vnd jhm / als einem vom Adel / 4. Pferde hielte / vnd ward jm jederman günstig / verschickt jn auch der Hertzog in vielen sachen / die er sonst nicht gern jederman vertrawte.
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Zu: Der Auerhahn
Dieses bestunde also etliche Jar / biß das endlich ein Hessischer Edelman / Heinrich von Homberg genandt / eine Wallfahrt gen Ach gelobet hatte / welcher in seiner jugend auch an des Hertzogen zu Cleue Hoff gewesen / vnd auff dieser fahrt seinen alten Herrn ein mal besuchen wolte. Als er nu zu Cleue einritte / ersahe er Otten Schützen / erkandte denselben / vnd thet im mit neigen / vnd sonst / als seinem Erbherrn / gebürliche reuerentz. Dieses sahe der Hertzog an einem Fenster / vnd verwunderte sich / warumb Homberg sich gegen Ott Schützen also ehrerbietig erzeigete / fragte derwegen jhn in geheim / ob jhm Ott Schütz bekandt were / vnd wie es vmb jhn ein gelegenheit hette. Homberg stellete sich auff Otten begeren (der jm verboten / solche reuerentz hinfort des orts nicht zu erzeigen) als wüste er mehr nicht von Otten / denn das er guter ankunfft / vnd ein ehrlicher Gesell were / damit aber der Hertzog nicht zu frieden sein wollen / denn er sich wol düncken lies / das etwas mehr dahinden stecken müste. Hielte derwegen bey Hombergen an / biß er jm alle gelegenheit berichtete / wer er were / vnd wie er nicht mehr denn einen Bruder gehabt / welcher ohne Erben gestorben / vnd der Vatter gar alt / nit anders wüste / denn sein ander Son Otto were numehr lengst todt / denn er in viel Jaren nichts von jhm vernomen / noch erfahren können / hette jhn zum studieren gen Pariß geschickt / darzu Otto keine lust gehabt / darüber also hinweg komen / vnd verloren worden. Derwegen der alte Landgraff Heinrich sein Vatter bedacht / das Land zu Hessen seiner Tochtermann dem Hertzogen zu Brunschwieg zu vermachen / darüber das Land in grosser trawrigkeit stünde / denn sie alle ein mißfallen vnd abschew an dem Brunschweiger hetten / stünde also alles Erbe auff Ott Schützen / lobte den darneben / vnd rhiet dem Hertzogen / er solte jhm seine Tochter geben / denn er sie nicht wol besser versorgen köndte. Hiemit brachte Heinrich von Homberg so viel zu wegen / das der Hertzog Otten Schützen seine Tochter Elisabeth zum Ehegemahel gabe / welchs Heinrich von Homberg dem alten Landgrauen mit grossen frewden zu newer zeitung brachte / das er seinen Sohn Landgraff Otten wider funden / vnd das derselbige so wol geheyrhatet / welcher dann auch bald hernach mit seiner Brawt zu Marpurg ankommen / 1352. und hernach auff Spangenberg Haus gehalten / da jm endlichen Anno 1361. mit gifft vergeben worden. 〈...〉
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Quellentexte Q 1.1–1.2
Q 1.2: Erich Adelar, 〈Otto-Schütz-Sage〉, in: GC, S. 261r–262r.
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Das VIII. Capitel. Vonn Graff Engelberts Söhnen Bischoff Engelberto vnd Graff Adolpho. 〈...〉
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Es hat auch Gr. Adolff von der Marck / erster Gr. zu Cleve eine Tochter gehabt / die sie Elisabetham nennen / Landgraff Otten zu Hessen vermählet / mit welcher heyrhat sichs also zugetragen. Landgraff Heinrich der Eiserne hat zweene Söne / Henricum vnd Ottonem, jenen wolte er zum Successorn am regimente haben / dieser aber solte studieren vnd Geistlich werden / darumb jn der Vater gen Pariß auff das studium abfertigte. Es war jhm aber kein Pfaffenfleisch gewachsen / vnd erhub sich nit lang hernach von dannen wider naher Deutschland / kam gen Cöln / vnd da stal er sich mit dreyen Dienern von seinen gefehrten / vnd kam an den Clevischen Hoff. Demnach aber Otto ein guter Bogenschütz / auch ein schöner gerader Jüngling / nam ihn Graff Adolff auff geschähnes ansuchen an seinen Hoff vnd dienst / als vor einen Schützen / vnwissend seines hohen stands. In welchem dienst er bey sieben Jahren blieben / vnd sich anders nicht als Otto Schützen nennen lassen. Mitlerweil / als vmb das Jar 1347. gieng an das vnerhörte Weltsterben / so etliche Jar geweret / darinnen etliche Städte / Flecken vnd Dörfer gar außgestorben / dergleichen man in keiner Chronica lieset / den Jüden ward schuld gegeben als hetten sie die Brunnen vergifften lassen / da gieng allenthalben ein solch Würgen vber die Jüden / daß man meinet sie würden gar außgerottet werden / jrer wurden viel tausent dem Vulcano auffgeopffert. Es starb auch in dieser zeit der junge Fürst auß Hessen / Landgraff Heinrich / Otto schützen Brüder / derwegen der alte Herr / der eiserne Landgraff in grosse bekümmerniß gerhiet / vornemblich weil sich sein anderer Sohn Otto / der Student / nicht widerfand / vnd man achtete er were vmbkommen. Derselbe aber befliesse sich in mittelst an seinem dienst solcher redligheit vnd Tugend / daß jhm männiglich wol gewogen sein muste. Der Gr. selbst auch seine trew vnd auffrichtigkeit spürende setzte jhn vber andere seine Schützen zum Häuptmanne / hielt jm daneben vier Diener vnnd so viel Pferde / gleich andern vom Adel an seinem Hofe. Als aber vnter dessen das hefftige Land vnd Weltsterben noch immer anhielt / vnd die arme Leut / von ihren Seelsorgern den Geist-
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Zu: Der Auerhahn
lichen vbelangefürt / bey den verstorbenen h. hülffe suchten / daß also allenthalben von reichen vnd armen / edl〈e〉n vnd vnedlen vnd was nur fortkommen konte / täglich viel Wal vnnd Pilgerfartens geschahe: nam jm auch ein Edelman auß Hessen Heinrich von Homburg eine Achfart vor. Denn zu Ach / wie oben erwehnt / vor andern Städten Deutschlandes ein sonderer vorrhat an Heilthumb vnnd reliqvien der verstorbenen Heiligen / dahin ein grosser zulauff war auß aller Welt. Weil denn sein weg auff Ach nicht weit vom Clevischen Hofe / an welchem er vnter andern edlen Knaben in seiner jugent erzogen / gedachte er seinen Herrn einsmals zubesuchen. 262 Als er nu allda eine zeitlang am Hofe war / begab sichs daß jm OttoSchütz etwa fürm Schloß begegnete / den er denn als bald erkennet / vnd jhm als seinem Fürsten gebürliche reverentz gethan. Welchs Otto zwar geschehen lassen / aber den Edelmann als bald ernstlich verboten / seiner / weder an diesem / noch an seines Vaters Hofe einige meldung zuthun. Es hat sich aber / durch sonderliche schickung Gottes begeben / daß der Graff eben zu der zeit / als Otto Schutz dem Edelman auß Hessen auffgestossen / am Fenster gestanden / vnd gesehen wie seinem diener von jenem reverentz erwiesen angesehen / darob er leichtlich von seinem stande etwas mutmassen können. Forschet derwegen bey dem von Homburg gantz fleissig nach jenes stand gelegenheit / vnd fragt warumm er jn mit solcher demut verehret. Der sahe nu wol daß er mit dieser frage fast gefangen / wendet doch dagegen ein / wie er den Otten für eine vorneme Person vnd hoffdiener des Gr. angesehen / vnd habe er jn als einen außländer gefragt / wannen er herkome. Der Gr. mit solcher antwort wenig begnügt hielt ferner an. Vnd wiewol der auß Hessen / endlich genötiget zuverstehen gegeben / wie jm zwar vmm den Schützen etwas bewust sey / jm aber jchts davon zu melden verboten / vnd gelange dasselbe niemande zu nachtheil: hat doch der Gr. damit ja so wenig zu frieden sein wollen. Als nu zu letzt der Gr neben vnablässigem anhalten zu gesaget vnd beteuret / daß es wol in geheim bleiben / auch jhnen beyden ohne schaden sein sollte / hat sich endlich der Homburger bewegen lassen / vnd frey herauß bekennet / daß dieser sein Diener der Schütz ein geborner Landgraff von Hessen / vnd der rechte Erbe zum Lande sey / auch erzehlet wie er von Hause komen vnd verloren worden. Darüber sich der Graff vber die masse verwundert / von stundan den Homburg durch einen Diener gen Ach beleiten lassen. Vnter dessen fleissig nachdenckent / wie vnd womit ein so vngewönlicher Diener
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zubelohnen. Beschloß endlichen bey sich jm mit vermählung seiner Tochter seine trew zuvergelten. Dessen sein Gemahl / eh sie von Ottens zustand ettwas berichtet worden / nicht wenig erschrocken / besorgende / es möchte jrgent jhre Tochter sich mit dem Otten in Ehverbündnis eingelassen haben / vnd werden also beydes die Mutter vnd das Fräwlein in sorgen / bestürtzung vnd zweifel gelassen / biß der Homburger von seiner Walfahrt wider dahin gelanget. Da den mit allerseits sonderlich der Rhäte vnd Ritterschafft auch des Ottschützens selbst verwunderung / nachmals aber auch mit so viel desta 〈sic〉 hertzlicherm frolocken jhrer aller die heyrhat in Gottes namen geschlossen vnd die Copulation erfolgt. Damit aber auch der alte Fürst zu Hessen seines widergefundenen Sohns vnd Erbens / dazu das Land seines langverhofften jungen Fürsten verständiget werden möchte / ist als bald der von Homburg mit einer ansehnlichen verehrung / die bona nova anheim zubringen dimittirt worden. Da denn / mit was erfrewung der alte dieses angehöret ein jeder leichtlich erachten kan. Nach vollzogener heyrats vereinigung hat sich Landgraff Otto schläunig nach Marpurg verfüget / beym Vater eingestellet / vnnd sich verlauffener sachen halben leichtlich entschüldigt. Dahin jhm die Clevische Braut seine vertawte 〈sic〉 Gemählin bald hernach gefolget worden. Q 1.3: Erich Adelar, 〈Zu Aelius Gracilis〉, in: GC, S. 251v–252v
Das III. Capitel. Von den Vhralten vnd allerersten Graffen zu Cleve / von welchem der Altenaische Graffenstamm herrhüret. 5
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Der hochlöbliche Stamm des Fürstlichen Hauses Gülich / so die nechsten hundert Jhar her dieselben Lande jnngehabt vnd beherschet / hat der Mans lini nach / seinen vrsprung auß der Hertzogen von Cleve Geschlecht: Die Hertzogen von Cleve / auß der Grafen von der Marck Prosapia: Die Graffen von der Marck haben zuvor die von Altena geheissen: Vnd diese vor derselben zeit / die Graffen von Teysterband: Die Graffen von Teysterband sind entsprossen auß dem aller ersten vnd ältesten Stamm der Graffen von Cleve. Derhalben Continuirt sich die Genealogia hochbemeldter Hertzogen zu Gülich von Elio Gracili dem ersten Graffen zu Cleve durch jtzterzehlte gradus, biß auff den letzten Herrn dieses Geschlechts den weiland Durchläuchtigen Hoch545
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Zu: Der Auerhahn
gebornen Fürsten vnd Herrn / Herrn Johan Wilhelmen Hertzogen zu Gülich / Cleve / vnd Bergen / Graffen zu der Marck / Mörß / vnd Ravensburg / Herrn zu Ravenstein etc. Christseliger gedechtnis / in welches ableibung / Anno 1609. geschehen die manliche lini dieses Vhralten Fürstlichen Geschlechts nach dem vnwandelbaren Rhat vnd Willen des Allmächtigen Gottes / erloschen. Vmb das Jahr vor der Gnadenreichen Menschwerdung vnsers Heilandes vnd Herrn Jesu Christi 309. als die Stadt Rom gestanden 441. jar / welches da gewesen 252 ist das 3658. Jahr der Welt / sind zweene vortreffliche Hel den / edle Römer des Vrsiner Geschlechts vber das hohe Alpgebürge her in Deutschland kommen / den Rein hinab gezogen / vnd haben sich in dem Niderlande zwischen Maaß vnd Rein nidergelassen / allda eine zeitlang jhre wohnstete gehabt / vnd sich wider die / so jhnen Feindlich beygewolt / als tapffere Helden Ritterlich auffgehalten vnd beschützet. Vnnd ist diese ankunfft der beyden Römischen Ritter geschehen vmb das zwölffte Jahr nach Alexandri M. Tode / etliche vnd zwentzig Jahr vor dem berhümten Heerzuge der Celten auß diesen Landen in Macedonien zur zeit Promlomaei Cerauni 〈...〉. Desselben Stams einer nach etlicher verlaufffener zeit / Dietrich genannt / hatte zur Eh Fr. Beatricen des Graffen von Teysterband Tochter. Die zeugeten vnd liessen nach sich eine Tochter / gleichsfals Beatrix genant. Dieses Fr. Beatrix hatte ein groß Land vnd Gebiet vnter jhr / vnnd war jhre residentz, auff der berümten Burg Neumägen an der Wal. Munsterus in Cosmogr. vnd Peucerus in Chron. Phil. schreibe sie habe das Castel Cleve auff die höhe gegen dem Rein vber gebawet. Vnd es vmb des gelagers oder gelgenheit willen Cliviam, auff Niderländisch Deutsch Cleve genant / den Clivus heist ein Bergle oder auffgeworfener Hügel / vnd die Niderländer behalten auch das Wort Clivus in jhrer sprach bey angezogener bedeutung / vnd heissen einen Hügel Cleff. Vnd hat ermeldtes Fräwlein gelebt zur zeit des Römischen Keisers Justiniani II. vmb das Jahr Christi 711. Vnd hat ermeldtes Fräwlein gelebt zur zeit des Römischen Keisers Justiniani II. vmb das Jahr Christi 711.
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In nachgehender zeit nam sie zur eh ein strenger vnnd tapfferer Ritter mit namen Elius Gracilis, vnd als er ein gewaltiger Herr war / nennte man jhn den Graffen von Cleve und Teysterb〈a〉nd. 〈...〉
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Quellentexte Q 1.3–Q 1.4
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Ich habe im zwölfften Capittel des dritten Buchs die herrliche thaten Fürst Carln des Hammers beschrieben / bey demselben hat nun dieser Edle Ritter vnnd Graff Elius von Cleve vnnd Teysterband als ein trewer Vasall des Fränckischen Reichs sich tapffer erwiesen / vnnd wieder die Friesen / Sachsen / Tyringer / Bäjern / etc. weidlich brauchen lassen / denn er die Herrschaft Cleve vnd Teysterband an die 22. Jahr jnne gehabt / vnnd gelebt biß ins Jahr 732. da er / vnnd nicht lang auch nach jhm / sein Gemahl Fr. Beatrix auß dieser Welt geschieden. Vnd sind sie beyde Christenleute gewesen / denn vnter der Fränckischen Könige Regierung / das Gottlose Heidenthumb langst abgeschafft / vnd die Lehr von Christo in diesen Landen gepflantzet worden. Wird also dieser ELIVS mit dem zunamen der Schlancke / für den ersten Herrn zu Cleve vnd Teysterband / vnd zu der Clevischen Graffschafft Stammvater von den Historicisten gesetzet / hat hinterlassene Söhn vnnd Töchter / darunter insonderheit namhafft / Graff Dietrich dem Vater in der Regierung nachgehend vnnd Gottfried / der da Graff zu Loen ist worden. Q 1.4: M. Johannes Praetorius, 〈Schwanrittersage〉, in: M. Johannes Praetorius, Blockes-Berges Verrichtung 〈...〉 Frankfurt/M. 1668, S. 359
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Im Bißthum Cöln ist ein weitberühmter trefflicher Pallast über den Rhein hinauß gebauet / Iuvamen genant / in welchem als vor Zeiten viel grosser Fürsten und Herrn bey einander waren / ist unversehener Sach / ein Schifflein daher gefahren / welches ein Schwan mit einem silbern Ketlein an dem Halß nach sich zoge; auß dem Schifflein ist ein neuer und Allen unbekanter Kriegsmann auf das Land hinauß gesprungen / und der Schwan mit dem Schifflein hinweg gefahren. Dieser Kriegsmann hat folgends ein Weib genommen / und Kinder von ihr erzeuget. Als er aber längst hernach wiederumb in demselben Pallast war / und den Schwan mit dem Schifflein an der Ketten sahe daher fahren / ist er ohne allen Verzug darein gesprungen / und darnach nimmer gesehen worden. Seine Nachkommen aber sind noch auff den heutigen Tag vorhanden / und ist diese Historia auff dem Schlosse zu Cleve / da dann ein hoher Thurn ist / der SchwanenThurn genennet / angemahlet.
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Zu: Der Auerhahn
Zu Arnims Quellen Q 1.1–1.4 Im Unterschied zu den meisten anderen Schaubühnen–Stücken äußert sich Arnim in seinen Anmerkungen im Anhang der Dramensammlung nicht explizit zu den von ihm verwendeten Quellen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 333,23–27). Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß er für die dramatische Bearbeitung der Otto-Schütz-Sage sowie der Schwanrittersage Quellentexte aus dem 16./17. Jh. heranzog. Bei Q 1.1–1.4 (vgl. S. 541–547) handelt es sich um Texte, die sich in Arnims Bibliothek nachweisen lassen und die thematische Entsprechungen zu einigen Passagen im Auerhahn enthalten. In der bisherigen Forschung wurde Cyriacus Spangenbergs Adels-Spiegel (AS; 1594; Arnim-Bibl. B 704b) als einziger Vorlagentext für die im Stück in der ersten und zweiten Handlung zur Darstellung kommende Otto-Schütz-Sage angegeben (vgl. Noll 1906, S. 77; Körner 1912, S. 242; Ehrlich 1970, S. 222). In der Tat lassen sich einige Parallelen zwischen der Beispielerzählung bei Spangenberg (Q 1.1) und Arnims Auerhahn herstellen, auch wenn im Schaubühnen-Stück zahlreiche Handlungsstränge und Personen hinzugefügt und der Schluß der Sage grundlegend geändert wurden.1 Übereinstimmungen zu Q 1.1 ergeben sich durch die exponierte Rolle Homburgs/Hombergs2, durch die Anagnorisis-Szene Homburg-Otto und deren Beobachtung durch den Klever Grafen in 2, XI/XII (in der vorliegenden Ausgabe vgl. S. 79,20–80,2), durch das Fehlen eines Ritterturniers und einer Ständeversammlung, wie sie in anderen Darstellungen der Sage thematisiert werden, sowie durch die Absenz der Mutter Elisabeths. Während es Spangenberg v. a. auf die Darstellung ankommt, 〈w〉ie sich Christlicher Adel verhalten sol gegen ihre Oberkeit, was an dem gegenüber Spangenbergs Vorlage stark gekürzten lustig Exempel (Q 1.1, S. 541,6) des Edelmanns Heinrich von Homburg veranschaulicht wird, übernimmt dieser in anderen Überlieferungen eine weitaus untergeordnetere Rolle. Eine beratende Funktion wird ihm nur in Spangenbergs Text zuteil (vgl. Noll 1906, S. 77).
1
Arnim verwendet Spangenbergs
AS auch bei der Bearbeitung von zwei Wh-Liedern AS bereits
über Georg von Fronsberg, woraus sich die Schlußfolgerung ergibt, daß er den
Whs (1806–1808) gekannt haben muß (vgl. Ehrlich 1970, Georg von Fronsberg sowie um Wh II, 344a Wie Georg von Fronsberg von sich selber sang. in der Zeit der Herausgabe des
S. 222). Es handelt sich um Wh II, 343 2
Obwohl die Schreibung des Namens in den überlieferten Texten variiert, wird im fol-
genden der Name Homburg verwendet, da Arnim diese Form für sein Stück gewählt hat.
548
Zu Arnims Quellen
Zu Erich Adelars Gülichischen Chronik (GC; 1611; vgl. Arnim-Bibl. B 264) und der dort abgedruckten Sage ergeben sich ebenfalls Parallelen, was bislang in der Forschung übersehen wurde. In der Version der Otto-Schütz-Sage in Q 1.2 finden sich Übereinstimmungen mit einzelnen Passagen im Auerhahn, die sich bei Spangenberg nicht nachweisen lassen, so etwa die Erwähnung Kölns als Aufenthaltsort Ottos (vgl. die Erl. zu S. 40,22), die Nennung der Pest (vgl. ergänzend Erl. zu S. 48,20–21), die heimlichen Heiratspläne des Klever Grafen in bezug auf seine Tochter (vgl. ergänzend Erl. zu S. 85,11–12) sowie das Vorbringen von Gegenargumenten gegen die Verbindung zwischen einer Adligen und einem angeblich gemeinen Schützen (vgl. Erl. zu S. 89,29–30). Während Spangenberg in seinem AS v. a. didaktische Prämissen verfolgt und die Sage als unterhaltsames Exemplum für die Verpflichtung des Adels zur Gehorsamkeit vor der Obrigkeit anführt, bemüht sich Adelar in seiner GC um die authentische Darstellung historischer Sachverhalte und bindet die Sage, die er – ähnlich wie Spangenberg – für eine wahre Begebenheit hält, in einen weitläufigeren geschichtlichen Kontext ein, indem er den Ausbruch der Großen Pest im Jahr 1347 und die unmittelbar danach einsetzenden Judenprogrome erwähnt (vgl. Q 1.2, S. 543,19–25). Auch die GC hat eine didaktische Intention. Im Stil eines Fürstenspiegels will sie den noch lebenden eine anreitzung sein den
löblichen Vorfahren mit fleiß / Lust vnd Ernst in der Gottseligkeit vnd Tugenden nachzufolgen (GC, S. IV). Die These, Arnim habe die GC für den Auerhahn verwendet, wird durch eine weitere Parallele zwischen dem Stück und diesem Chroniktext gestützt. Sowohl in der GC (Q 1.3) als auch bei Arnim findet Aelius Gracilis als Ahnherr des Grafengeschlechts Kleve Erwähnung (vgl. ergänzend die Erl. zu S. 64,19). Durch Arnims eigenwilligen Umgang mit der mittelalterlichen Geschichte Hessens3 ist es außerdem denkbar, daß er Johann Philipp Kuchenbeckers Analecta Hassiaca (1730; Arnim-Bibl. B 318) für die Darstellung der historischen Kontexte im ersten Akt heranzog.4
3
Da Arnim eine Verschmelzung der Figuren Heinrich des Eisernen von Hessen und Ludwig
des
Eisernen
von
Thüringen
vornimmt,
wird
im
Auerhahn der Landgraf als
t h ü r i n g i s c h e r Herrscher bezeichnet, obwohl Hessen bereits 1247 zu einer eigenständigen Landgrafschaft geworden war, vgl. dazu die Erl. zu S. 23,6. Im folgenden wird deshalb immer dann von der hessischen Sage bzw. Landgrafenfamilie gesprochen, wenn es sich nicht um ein direktes Zitat aus Arnims 4
Auerhahn handelt.
Die relevanten Passagen aus Kuchenbeckers Geschichtswerk werden wegen ihrer Kürze
nicht im Quellenteil abgedruckt, sondern sind in den Einzelstellenkommentar aufgenommen worden, vgl. Erl. zu S. 38,32 und S. 55,16.
549
Zu: Der Auerhahn
Arnims Stück weist insgesamt eine sehr komplexe Quellenlage auf, so daß weitere etwaige Vorlagentexte, z. T. nur wenige Zeilen lang, in den Einzelstellenkommentar aufgenommen wurden. Die Otto-Schütz-Sage wurde im frühen 16. Jh. durch Johannes Nuhn in seiner Hessischen Chronik erstmalig handschriftlich fixiert (Druck der Handschrift in: Senckenberg 1739, S. 434–436)5 und erlebte von dieser Zeit an eine kontinuierliche Tradierung in der hessischen Geschichtsschreibung und darüber hinaus, aber auch in literarischen Texten. In Nuhns Darstellung der Sage, die als wahre Geschichte exponiert wird, ist Otto der zweitgeborene Sohn Heinrichs des Eisernen, der von seinem Vater dazu bestimmt wird, in Paris das Studium der Theologie aufzunehmen, um Geistlicher zu werden. Otto handelt gegen den Willen des Vaters: Er flieht und tritt unerkannt als ›gemeiner Schütz‹ in die Dienste des Grafen6 von Kleve. Dort zeichnet er sich vor allen anderen Schützen durch seine Geschicklichkeit aus. Der hessische Adlige Heinrich von Homburg (bei Nuhn unter dem Namen Henrich von Hoenberg, vgl. Senckenberg 1739, S. 435), der eine Pilgerfahrt nach Aachen unternimmt und dabei in Kleve haltmacht, erkennt Otto als den tot geglaubten Sohn seines Landesherren. Homburg unterrichtet den Grafen von Kleve über die adlige Abstammung seines Schützen. Ottos älterer Bruder ist inzwischen verstorben, wodurch er offizieller Erbe der hessischen Landgrafschaft geworden ist. Der Klever Graf verkündet nun seine Absicht, seine Tochter Elisabeth mit Otto zu verheiraten, verheimlicht aber dem Klever Hof die adlige Abstammung des 5
Diese mehrbändige Chronik befindet sich weder in Arnims, Clemens Brentanos noch in
Grimms Bibliothek. Arnim hat aber allem Anschein nach den 5. Bd. der Chronik gekannt, in der Nuhns Otto-Schütz-Sage abgedruckt ist. Dies geht aus einer Herkunftsangabe zu Wh II, 119 (Des König Ladislaus Ermordung im Jahre 1457) hervor, in der als Quelle Senkenberg Sel. Juris et hist. T. 5 angeführt ist. Da jedoch der bibliographischen Notiz im Wh – wie sonst eigentlich üblich – keine Seitenzahl beigefügt ist, haben Arnim oder Brentano bei der Bearbeitung des Liedes vmtl. nicht das Buch Senckenbergs verwendet, sondern eine Abschrift daraus (vgl. FBA IX, 2, S. 220). Im 3. Bd. von Senckenbergs Chronik wird die Otto-Schütz-Sage ebenfalls nacherzählt (vgl. Heinrich Christian Senckenberg, Selecta Iuris et Historiarum tum iam edita, sed rariora quorum. Tomus III. Frankfurt/M. 1735, S. 343–364). 6
Der Adelstitel wird in den Quellen der Sage nicht einheitlich verwendet. Der Klever Graf
erscheint auch als Herzog oder Fürst. Arnim bezeichnet seine Figur als
Fürst von Cleve.
Tatsächlich herrschte in dieser Zeit in Kleve ein G r a f e n geschlecht. Im Überblickskommentar wird deshalb von dem Graf von Kleve gesprochen, sofern nicht von Arnims Stück die Rede ist.
550
Zu Arnims Quellen
Bräutigams. Die eheliche Verbindung über Standesschranken hinweg löst bei den Hofleuten Verwunderung und Entsetzen aus. Erst nach Aufdeckung der wahren Identität Ottos wird die Verbindung zwischen Elisabeth und Otto gebührend gefeiert. Aufgrund der stringenten Erzählstruktur der Sage, die über den Umweg eines scheinbaren Konflikts, der durch den Standesunterschied ausgelöst wird, geradlinig auf ein glückliches Ende zusteuert, veränderte sich der Stoff der Sage vom 16. bis zum 19. Jh. nur um einige wenige Details. Unterschiede lassen sich lediglich in bezug auf die Funktionalisierung der Sage, sei es in historischen oder literarischen Kontexten, feststellen (vgl. Frenzel 1998, S. 611). Entsprechend wird die Handlung entweder um geschichtliche Fakten oder um ein klischeehaftes mittelalterliches Zeitkolorit erweitert. Mit Spangenbergs
AS
(Q 1.1) liegt 1594 die erste gedruckte Darstellung der
Sage vor. Wie bereits deutlich wurde, erfährt der Stoff dabei starke Kürzungen. Daß der aus Thüringen stammende Spangenberg auf die vorher nur im hessischen Raum verbreitete Sage zurückgreift und sie durch den Abdruck in seinem
AS
einer Leserschaft auch außerhalb Hessens zugänglich macht, liegt in den
Lebensumständen Spangenbergs im späten 16. Jh. begründet. 1591 darf sich der stellenlose Pfarrer während des Verfassens des 2. Bandes des
ASs
unter
dem Schutz des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel in Vacha an der Werra niederlassen. Während seines dortigen Aufenthaltes hat er offenbar Gelegenheit, die handschriftliche Fassung Nuhns einzusehen (vgl. Noll 1906, S. 20). Erich Adelar verwendet als Vorlage die
Hessische Chronik
(erste Ausgabe
1605) Wilhelm Schäffers, dessen Geschichtswerk vier Auflagen erfährt und damit zur weiteren Verbreitung der Sage über die Landesgrenzen Hessens hinaus beiträgt (vgl. Noll 1906, S. 25–26). Adelar orientiert sich stark an dieser Vorlage und übernimmt einige Passagen wortwörtlich. Im 18. Jh. entlarvt Johann Hermann Schmincke die bislang als wahre Bege-
Historische Untersuchung von des Otto Schützen Gebohrnen Printzen von Hessen Begebenheiten am Clevischen Hof (posthum erschienen 1746) prüft die Ge-
benheit tradierte Otto-Schütz-Erzählung als Sage. Seine
schichte auf Widersprüche, Unwahrscheinlichkeiten und augenfällige Fehler. Schmincke kommt zu dem Schluß, daß der Stoff
für nichts anders als einen Roman gehalten werden könne, welchen ein Ungeübter und in der wahren Geschichte nicht sattsam erfahrner Scribent im XV. Jahrhundert ausgebrütet ha〈be〉, um nach dem Geschmack seiner Zeiten dem Leser die Zeit zu vertreiben (Schmincke 1746, S. 8). 551
Zu: Der Auerhahn
Johann Philipp Kuchenbecker weist auf Schminckes Untersuchung hin, die zur Zeit der Veröffentlichung der Analecta Hassiaca noch nicht publiziert war:
Woher er 〈Otto Schütz〉 also genennet worden / wird mit nächstem der GrundGelehrte Herr Rath Schmincke in einem besonderen tractat zeigen / und zugleich die von ihm bishero geglaubte Fabeln gründlich widerlegen (Kuchenbecker 1730, S. 270).
Von der »Enttarnung« des Stoffes als Sage kann Arnim also durch die Lektüre von Kuchenbeckers Chronik (Arnim-Bibl. B 318) erfahren haben.7 Vor diesem Hintergrund erhält seine Anmerkung, das Drama weise wenig Geschichtliches auf (in der vorliegenden Ausgabe S. 333,23), eine ambivalente Bedeutung, die sich aus der Fiktionalität des verwendeten Stoffes ergibt. Eine erste Dramatisierung der Otto-Schütz-Sage ist in der Handschrift (um 1600) des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel überliefert, dessen Anliegen wohl besonders darin bestand, die Geschichte seines Hauses zu glorifizieren. Das Stück, das über einen Entwurf nicht hinaus kam, wurde unter dem Einfluß der englischen Wanderbühnen verfaßt, enthält komische Zwischenspiele und gibt Raum zum Extemporieren (vgl. Noll 1906, S. 21–22; zum Inhalt des Stücks ebd., S. 22–25). Im späten 18. Jh. entstehen weitere Dramatisierungen, die sich z. T. großer Beliebtheit erfreuen. Ausgelöst wird das erneuerte Interesse an dem Stoff vmtl. durch einen Abdruck der Sage in der Hessen-Darmstädtischen privilegierten Land-Zeitung 1777 (vgl. ebd., S. 49). Der Regierungsadvokat Ernst Christian Gottlieb Schneider verfaßt das (anonym herausgegebene) Singspiel Otto der Schütz (1779).8 Das Stück wird von dem Kurkölnischen Komponisten Ferdinand d’Antoine vertont (1792) und verzeichnet am Ende des 18. Jhs. u. a. in Köln erfolgreiche Aufführungen. In seinem Vorwort zur gedruckten Ausgabe ruft Schneider andere Dichter dazu auf, sich um eine Dramatisierung des Stoffes zu bemühen. 1782 folgt Friedrich Gustav von Schlicht diesem Aufruf, arbeitet Schneiders Singspiel in Prosa um und publiziert das nahezu identische Stück unter dem Titel Otto der Schüz. Landgraf zu Hessen. Ein Heldenspiel (zu den Unterschieden zwischen beiden Stücken vgl. Noll 1906, S. 62–65). Friedrich Gustav Hagemanns vaterländisches und z. T. gesellschaftskritisches Schauspiel Otto der Schütz, Prinz von Hessen (1791; zwei weitere Auflagen 7
Durch private oder briefliche Überlieferung ist nicht bezeugt, daß Arnim Schminckes
Abhandlung kannte. 8
Otto der Schütz ist das einzige überlieferte literarische Werk Schneiders. 552
Zu Arnims Quellen
1792, 1794) stellt eine eigenständigere Bearbeitung des Stoffes dar, obwohl er sich an Schneider und Schlicht orientiert (zum Inhalt vgl. Noll 1906, S. 65–67). Hagemanns Ritterdrama erfährt ebenfalls zahlreiche Aufführungen, u. a. auf der Weimarer Bühne unter der Leitung Goethes, und wird bis ins frühe 19. Jh. häufig gespielt. Arnim erwähnt in seinen Anmerkungen, daß er sich ein Stück: Otto der Schütz, dessen 〈er〉 〈s〉ich aus Catalogen wohl erinnere, nicht verschafft habe, um zu sehen, in wie fern 〈s〉eine Tragödie dadurch etwa überflüssig gemacht wäre (in der vorliegenden Ausgabe S. 333,24–27). Da die Dramen Schneiders, Schlichts und Hagemanns alle den Titel Otto der Schü(t)z tragen, kann nicht geklärt werden, auf welches Drama sich Arnim mit dieser Bemerkung bezieht. Die Berührungspunkte zwischen dem Auerhahn und den Otto-Schütz-Dramen beruhen – ist man gewillt, Arnims Anmerkungen Glauben zu schenken – auf Koinzidenz. Bei einem Vergleich der Stücke mit Arnims Schauspiel ergibt sich eine stärkere Affinität zu Schneiders und Schlichts Stück als zu Hagemanns Ritterdrama.9 Eine Prosabearbeitung der Sage aus dem späten 18. Jh. sei hier noch erwähnt, die einmal mehr zeigt, daß die Otto-Schütz-Sage zu Arnims Zeit einem breiten (Lese)publikum bekannt war. Gottlieb Heinrich Heinse veröffentlicht 1792 seinen der Ritter- und Räuberromantik zuzuordnenden Roman Otto der Schütz, Junker von Hessen, Urenkel der heiligen Elisabeth. Auf 488 Seiten erscheint dort die Sage in ihrer »breiteste〈n〉 Bearbeitung« (Noll 1906, S. 31), erweitert durch die Beschreibung von kriegerischen Auseinandersetzungen, zu bestehenden Abenteuern, Intrigen, Ritterturnieren und Liebesgeschichten. Die melodramatischen Versatzstücke, die hier aneinander montiert werden, erzeugen klischeehaft einen mit mittelalterlichem Zeitkolorit aufgeladenen Erzählraum. Seine epische Breite erhält der Roman v. a. auch durch die Doppelung der Handlung: Otto verliebt sich zunächst in die Herzogstochter Oda, die jedoch stirbt. Erst nach einigen zu bestehenden Abenteuern kommt er nach Kleve, wo er sich am Hof als Schütze verdingt und im folgenden um Elisabeth wirbt, ohne seine Identität preiszugeben. Bei einem Vergleich von Heinses Trivialroman und Arnims Stück lassen sich einige Berührungspunkte feststellen, die möglicherweise ebenso dem Zufall zuzurechnen sind wie die Parallelen zu Schneiders und Schlichts Dramen. Die Übereinstimmungen ergeben sich durch die Erwähnung eines Probeschießens10, durch die Thematisierung der Zwistigkeiten zwischen Heinrich dem Eisernen und 9 10
Im Einzelstellenkommentar wird auf Parallelen näher eingegangen. Bei Heinse zum ersten Mal verwendet.
553
Zu: Der Auerhahn
seinen Brüdern, die bei Arnim allerdings als unehelich dargestellt werden, sowie durch die Einbeziehung einer Schwester Ottos – bei Heinse mit dem Namen Adelheid – in die Handlung.11 Außerdem erwähnt Heinse das Fehmgericht, das bei Arnim eine wichtige Rolle spielt.12 Auch die Charakterisierung der Figuren ist ähnlich: Heinrich der Eiserne ist bei Heinse ebenfalls ein jähzorniger, aber auch geiziger Mensch (vgl. Heinse 1792 I, S. 79). Zudem wird der Klever Graf als begeisterter Jäger dargestellt, was bei Arnim ebenso eine Rolle spielt (vgl. Heinse 1792 II, S. 165). Es ist nicht bekannt, ob Arnim von Heinses Trivialroman gewußt bzw. ob er ihn gelesen hat. Wahrscheinlich handelt es sich bei den dargestellten Übereinstimmungen um reine Zufälle. Es wäre aber auch möglich, daß beide auf eine bislang unbekannte gemeinsame Quelle zurückgreifen. Bei einem abschließenden Vergleich der überlieferten Quellen der Sage bis 181313 und ihrer literarischen Verarbeitung mit Arnims Drama bleiben einige Fragen offen. Mit großer Sicherheit kann angenommen werden, daß Arnim Spangenbergs AS nicht als einzige Quelle verwendet hat, da es sich bei Q 1.1 um eine verkürzte Form der Sage handelt, wodurch einiges entfällt, was im 11
Bei Heinse rettet Adelheid, die mit dem polnischen König Kasimir verheiratet ist, ihren
Bruder Otto und dessen Freund Elgar davor, dem wegen Ottos Flucht erzürnten Heinrich dem Eisernen ausgeliefert zu werden. 12
Arnim könnte sich jedoch auch an Stücken aus dem Sturm und Drang sowie seiner
eigenen Zeit orientiert haben, da das Fehmgericht gerade im dramatischen Bereich gerne verwendet wurde, vgl. ergänzend die Erl. zu S. 33,6–8. 13
Die Beschäftigung mit dem Stoff bricht im 19. Jh. nicht ab. Prosabearbeitungen liegen
von Aloys Wilhelm Schreiber, Vincenz von Zuccalmaglio, Johann Philipp Simon und Alexandre Dumas d. Ä. vor. Gustav Noll nimmt an, daß Zuccalmaglio das Probeschießen aus Arnims
Auerhahn übernommen habe (vgl. Noll 1906, S. 38). Da jedoch in den bei Zuc-
camaglio angegebenen Quellen Arnims Stück nicht erscheint (vgl. Montanus 〈= Vincenz von Zuccalmaglio〉, Die Vorzeit der Länder Cleve-Mark, Jülich-Berg und Westphalen. 1. Bd. 2. Aufl. Solingen, Gummersbach 1837, S. 225) und das Probeschießen bereits in Heinses Ritterroman verwendet wird, ist Nolls Annahme einer Kohärenz zu bezweifeln. Johanna Kinkel, die Frau Gottfried Kinkels und Freundin BvAs, verfaßt um 1840 »unter den Einwirkungen des Arnimschen
Auerhahns« (Noll 1906, S. 89) ein Liederspiel, das jedoch nie
gedruckt wird (vgl. zum Inhalt ebd., S. 90–97). Eine Veröffentlichung dieses Liederspiels bleibt weiterhin Desiderat. 1930 schreibt Heinrich Reinhart Franz Wilke ein Volksfestspiel, das auf einer Spangenberger Freilichtbühne aufgeführt wird. In dem Stück werden die Stadt Spangenberg, der Regierungsort des historischen Otto Schütz, sowie Otto und seine Gemahlin in pathetisch-patriotischen Lobeshymnen gefeiert. Zu den lyrischen Bearbeitun-
Otto der Schütz. Eine rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern (1843) das bekannteste sein dürfte, vgl. ausführlich Noll
gen, von denen wohl Gottfried Kinkels Gedicht
1906, S. 99–129. Vgl. ebd., S. 129–137 auch den Überblick über Libretti.
554
Zu Arnims Quellen
Auerhahn thematisiert wird. So werden in Q 1.1 z. B. weder die Sternenritter noch der Besuch Heinrichs des Eisernen am Klever Hof oder die Erwähnung einer Schwester Ottos des Schützen erwähnt. Die im Auerhahn auftretende Jutta, deren Name der historischen Jutta, einer der Schwestern Ottos, entspricht (vgl. Erl. zu S. 23,9), gibt Rätsel auf. Sie wird in keiner der ermittelten geschichtlichen oder literarischen Quellen, die sich mit Otto Schütz beschäftigen, mit Namen erwähnt. Nur Schmincke berichtet von ihr, indem er aus einer ungedruckten Hessischen Chronik zitiert: Dieser Fürste (Landgraff Henrich) hatte mit seiner elichen Gemahel einen Soen genant Otto und drey Töchter / eyne hieß Alheid / die wart eine Kuniginne zu Crakau in Polen umbe yre Schone willen / als sie des von den Herolden dem Konnige berochtiget wart / unde in Polen so gesant wart. Die andere Tochter hiß Elisabeth die wart Hertzoge Albrechte von Brunswig. 〈...〉 Die dritte hieß Jutta / die ist an Liebeserben gestorben / unde ist zu Cassel zu Annaberge begraben (Schmincke 1746, S. 18).
neuere〈...〉 Scribenten von unserem Vatterland hin, die ebenfalls von Jutta bzw. sogar von zwei Töchtern Heinrichs des
Des weiteren weist Schmincke auf
Eisernen mit diesem Namen berichten (vgl. ebd., S. 19). Arnim hat also vmtl. ein weiteres geschichtliches Werk aus dem 18. Jh. verwendet, aus dem er den Namen Jutta entlehnte. Ob es sich dabei um Schminckes Darstellung oder um einen anderen Quellentext handelt, konnte nicht ermittelt werden. Abschließend läßt sich sagen, daß die Charaktere im
Auerhahn
im Gegen-
satz zu anderen Dramatisierungen, die sich dem Genre Singspiel (Schneider), Ritterdrama (Schlicht) oder Heldengedicht (Hagemann) zuordnen lassen, komplexer angelegt sind. Außerdem kommen bei Arnim Themen wie Fluch, Prophezeiung, Gelübde und Relevanz des Schicksals hinzu. Während die anderen Überlieferungen der Geschichte mit der glücklichen Verbindung von Elisabeth und Otto schließen, endet Arnims Drama auf den ersten Blick tragisch. Elisabeth geht ins Kloster, Otto wird beim Zweikampf mit dem eigenen Vater tödlich verwundet. Die Verbindung von Jutta und Ottnit hingegen wird kontrastiv dazu als harmonische Beziehung dargestellt, die die Aussicht auf eine sorgenfreie Zukunft mit einem gerechten Herrscherpaar eröffnet. Durch diese hinzugefügten Elemente entfernt sich Arnim von den klischeehaften Aspekten der Otto-SchützSage und begibt sich auf eine höhere Ebene der Reflexion. Gerade auch die in den Passagen anklingende Auseinandersetzung mit dem Schicksal eröffnet einen interessanten Blick auf Arnims eigene Auffassung, wie das Schicksal und das Eingreifen des Menschen in geschichtliche Prozesse miteinander konvergieren.
555
Zu: Der Auerhahn
Die Schwanrittersage Die Schwanrittersage wird im Auerhahn scheinbar beiläufig eingeführt, indem sie von der Figur Walpurgis episch vermittelt, dem ahnungslosen Otto und seiner Schwester Jutta erzählt wird (vgl. S. 64–65). Walpurgis’ Geschichte leitet nicht nur über zur Bewährungsprobe Ottos als bestem Schützen, sondern fungiert auch als Spiegelung der späteren Handlung im Auerhahn. Darüber hinaus ist die Schwanrittersage das Bindeglied zwischen der Geschichte in vier Handlungen und dem Nachspiel Das Frühlingsfest. In beiden Stücken wird – in je unterschiedlicher Weise – der Schwanritter thematisiert (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 64,22–65,1 und S. 137,3–17 sowie Johannes Barths Kommentar zur Päpstin Johanna, WAA 10, S. 699–703). Die an der überlieferten Schwanrittersage vorgenommenen Veränderungen sind ähnlich gravierend wie die bei der Umgestaltung der genealogischen Vorgeschichte des hessischen Landgrafengeschlechts (vgl. ergänzend die Erl. zu S. 106,24). Gemeinsam ist beiden Erzählungen, daß sie eine negative Wendung enthalten, die sich auf die Figuren der Handlung unmittelbar auswirkt. Von dem Klever Ahnherrn berichtet Walpurgis, daß er in einem Schwanennachen in Kleve an Land gestiegen sei, an einem Probeschießen teilgenommen, gewonnen und dieses Landes einzige Erbin, Beatrix (S. 64,25–26), zur Frau genommen habe. Nach der Geburt des ersten Kindes habe er wegen des Geschreis fluchtartig das Land wieder verlassen und sei nie wieder zurückgekommen. Aufgrunddessen finde zur Erinnerung an dieses Geschehen alljährlich ein Probeschießen statt, an dem dann auch Otto später erfolgreich teilnimmt. Er verliebt sich in Elisabeth, die ihm den goldenen Siegeskranz überreicht und ihm einen Kuß gibt. In zirkulärer Bewegung vollzieht sich auf der Figurenebene noch einmal in ähnlicher Weise die in der Sage dargestellte Handlung. Wie der Schwanritter erreicht Otto Kleve in einem Kahn. Seine Identität ist ähnlich geheimnisvoll wie die des Ritters. Die Beziehung Elisabeths und Ottos wird bald von widrigen Umständen überschattet. Mißverständnisse häufen sich, das Paar gelangt zu keinem kommunikativen Konsens. Stets kollidiert Ottos Wildheit mit der Sensibilität und der keuschen Zurückhaltung Elisabeths. Die von Walpurgis erzählte Sage antizipiert demnach bereits ein negatives Ende der Verbindung Ottos und Elisabeths, da in Walpurgis’ Geschichte die Beziehung zwischen Beatrix und dem Ritter ebenfalls keinen Bestand hat. Daß sich Arnim eingehend mit der Schwanrittersage beschäftigt hat, beweisen nicht zuletzt seine Päpstin Johanna sowie eine burleske Vorfassung und die autorisierte Version des Frühlingsfestes. In diese Texte ist die Sage, z. T. wiederum in starker Abänderung, integriert (vgl. die Erl. zu S. 64,19 und S. 66,18–22).
556
Zu Arnims Quellen
Die Schwanrittersage stammt aus dem 12. Jh. und wurde zunächst auf das Grafengeschlecht Boulogne, später auf das Haus Brabant übertragen. Sie ist in mehreren Fassungen überliefert, u. a. auch als Vorgeschichte für das Märchen von den Schwanenkindern, in der das gängige Märchenmotiv des ›Tierbräutigams‹ variiert wird. Die Übertragung der Sage auf das Klever Grafengeschlecht resultiert vmtl. aus der Verbindung der Häuser Kleve und Brabant durch Heirat in der Mitte des 12. Jhs. (vgl. Wehrhan 1920, S. 216; Frenzel 1998, S. 716–719). Die Ursache dafür ist in der »Erhöhung des Glanzes bestehender hochadliger Häuser – Brabant, Geldern, Kleve, Rieneck« zu sehen (Brunner 1981, S. 280, vgl. die Übersicht über den Stammbaum ebd., S. 282). Die bekanntesten deutschsprachigen Fassungen aus dem 13. Jh. wurden von Wolfram von Eschenbach und Konrad von Würzburg verfaßt. Während Wolfram von Eschenbach den Sagenstoff in seinem Parzival (1200/1210) mit der Figur Lohengrin verbindet, verlegt Konrad von Würzburg in seinem fragmentarisch gebliebenen Lohengrin–Epos (1260/1270) den Schauplatz nach Kleve.14 In der Romantik wächst das Interesse an dem Sagenstoff, so daß aus Arnims Freundeskreis Joseph von Görres und Wilhelm Grimm jeweils eine mittelalterliche Fassung edieren. Görres gibt ein anonym verfaßtes Versepos mit dem Titel Lohengrin heraus (vgl. Arnim-Bibl. B 881), das in Anlehnung an den Parzival Wolfram von Eschenbachs entstand.15 Wilhelm Grimm veröffentlicht 1816 im 3. Band, 2. Heft der mit seinem Bruder herausgegebenen Zeitschrift Altdeutsche Wälder Konrad von Würzburgs Fragment unter dem Titel Der Schwan-Ritter (vgl. Altdeutsche Wälder, hg. durch die Brüder Grimm. 3. Bd., 2. Heft. Frankfurt/M. 1816 (Arnim-Bibl. B 1244h), S. 49–66). Des weiteren sind im 2. Bd. der von den Grimms veröffentlichten Deutschen Sagen drei unterschiedliche Fassungen der Sage abgedruckt. Arnim kannte mit großer Sicherheit mehrere Versionen der Sage. Die Veränderung des Stoffes im Auerhahn beruht vmtl. auf einer Kontamination von mindestens zwei Fassungen. So läßt sich die Flucht des Ritters, die bei
14
Konrad von Würzburg führt die Schwanrittersage zum ersten Mal auf das Klever Grafenge-
schlecht zurück. In seiner fragmentarisch erhaltenen Dichtung ist der Ritter ein namenloser Fremder, über dessen Herkunft und Bestimmung weder die handelnden Personen noch der Leser Auskunft erhalten (vgl. Brunner 1981, S. 278). Bei Konrad wird der Schwanritter göttlich überhöht (ebd., S. 280), während er bei Arnim in dieser Hinsicht unbestimmt bleibt. 15
Arnim bekommt sein Exemplar des von Görres herausgegebenen
Lohengrin erst im
November 1813 von den Grimms zugeschickt (vgl. Brief Wilhelm Grimms an Arnim, 16.– 25. November 1813, BJ-VS). Richard Wagner hat diese Fassung für sein gleichnamiges Musikdrama (1847) verwendet.
557
Zu: Der Auerhahn
Arnim durch die Geburt des ersten Kindes begründet wird (vgl. ergänzend die Erl. zu S. 64,29–30), vmtl. auf Johann Praetorius’ oder auf Heinrich Kornmanns Nacherzählung der Sage zurückführen, in welcher der Ritter Frau und Kinder ohne weitere Erklärung verläßt (vgl. Q 1.4, S. 547,11; Arnim-Bibl. B 2366).16 Die Thematisierung des als lästig empfundenen Kindergeschreis mag zudem autobiographischen Ursprungs sein, da Arnim selbst am 5. Mai 1812 zum ersten Mal Vater geworden war. Am 13. Juni 1812 berichtet er den Grimms von seinem Kind:
Es wurde am 28. Mai durch den Pfarrer Ritschl Johannes Freimund getauft, sollte aber Schreimund heißen, solch ein grausamer Krischer ist es (SPK Nachlaß Grimm 647/ II).17
Die Verwendung autobiographischen Materials ist bei Arnim nicht selten und mag bei der Veränderung der Sage eine Rolle gespielt haben. In Adelars GC (Q 1.3) wird – wie bereits erwähnt – der Name Elius Gracilis als Stammvater der Grafen zu Cleve angeführt.18 Obwohl die Schwanrittersage in der GC nicht erscheint, hat Arnim hier offensichtlich eigenständig die Transferleistung erbracht, daß mit dem in der GC als Stammherrn des Klever Grafengeschlechts genannten Aelius Gracilis (auch als Helias bzw. Elias Grail überliefert, vgl. Wehrhan 1920, S. 216) der Schwanritter der Sage gemeint sein muß. Durch die von Arnim vorgenommenen Änderungen wird einmal mehr sein selbständiger Umgang mit alten Stoffen deutlich. Er bezieht sich nicht ausschließlich auf eine Vorlage, sondern berücksichtigt mehrere Quellen. Durch das Hinzufügen von Versatzstücken, die durch Assoziation entstanden sind, gelangt er zu einer neuen Aussage, die im Kontext des jeweiligen Werkes von Bedeutung ist. 16
Bei Praetorius wird auch der Schwanen-Thurn (Q 1.4, S. 547,14–15) genannt, der im Auerhahn ebenfalls thematisiert wird, vgl. ergänzend Erl. zu S. 64,33 Eine mit Praetorius nahezu identische Fassung der Sage findet sich bei Kornmann (Kornmann 1614, S. 188–189), dessen Schrift über
Mons Veneris, Fraw Veneris Berg Arnim ebenfalls
bekannt war. Da sich Q 1.4 in Arnims Bibliothek nachweisen läßt, Kornmanns Schrift jedoch nicht, wird hier auf einen Abdruck des Textes aus
Mons Veneris verzichtet. Zur
Bedeutung von Kornmann und Praetorius für Arnims Gesamtwerk vgl. Ricklefs 1990, S. 130–131. 17
Vgl. zu Arnims Verhältnis zu seinen Kindern Renate Moering, Achim von Arnims Gedich-
te auf seine Kinder, in: Dies Buch gehört den Kindern. Achim und Bettine von Arnim und ihre Nachfahren. Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zur Familiengeschichte, hg. v. Ulrike Landfester, Hartwig Schultz. Berlin 2003, S. 83–111. 18
Arnim verwendet die
GC vmtl. auch als Vorlage für seine Päpstin Johanna, da sich Päpstin-Johanna-Erzählung und Arnims Text auf-
einige Parallelen zwischen der dortigen zeigen lassen (vgl. GC, S. 196r).
558
Zu Arnims Quellen
Ähnlich verfährt er mit dem Auerhahn-Motiv. Die Darstellung des leidenschaftlichen Jägers auf der Auerhahnjagd verwendet er zunächst in zwei antisemitischen Texten, die vmtl. beide aus dem Jahr 1811 stammen. Im Schaubühnen–Stück kehrt das Motiv wieder, das deutliche Parallelen zu den beiden Vorläufertexten aufweist.
Das Auerhahn-Motiv und der Schicksalsbegriff in Arnims Drama Das im Stück verwendete Auerhahn-Motiv steht in intertextuellem Bezug zu einem Entwurf einer Rede vor der deutschen Tischgesellschaft sowie zu einem Liederspielfragment Arnims. Diese beiden Texte werden als Vorläufer des Auerhahns bewertet und sind demnach in gewisser Weise ebenfalls ›Quellen‹, aus denen Arnim bestimmte Passagen übernimmt. Diese Texte entstanden beide wahrscheinlich im Jahr 1811 und stehen im Kontext von Arnims Engagement für die deutsche Tischgesellschaft. In seinem Nachlaß befinden sich einige fragmentarische Konzepte und Entwürfe zu einem Liederspiel, das den Titel Roar und die schwärmenden Schäfer19 trägt (GSA 03/21). Die Geschichte von dem Christen Roar, der bei dem Juden Elieser als Schäfer arbeitet und in den sich dessen Tochter verliebt, hat Arnim ursprünglich auch in seine Tischrede Ueber die Kennzeichen des Judenthums integrieren wollen (GSA 03/262, 9, Bl. 31–34 vgl. WAA 11, S. 140,109–145,283 sowie Erl. S. 388–389). Der Entwurf zu dieser Rede entstand wohl im Frühjahr 1811, das Liederspiel vmtl. etwas später.20 In dem fragmentarisch erhaltenen Entwurf zur Tischrede skizziert Arnim kurz die geschichtlichen Ereignisse, die sich in einer spanischen Stadt zugetragen haben sollen.21 Elieser vergiftet aus Geiz Roars Hund. Roar läßt, nun 19
Andreas Gryphius verfaßte zwei Dramen mit den Titeln Der schwermende Schäfer Lysis (1661) bzw. Der Schwermende Schäffer. Satyrisches Lust-Spiel (1663), die aber keine intertextuellen Parallelen zu Arnims Dramenentwürfen aufweisen. Trotzdem ist es möglich, daß sich Arnim bei der Namensgebung an Gryphius’ Titel orientierte. 20
Begründet wird diese Vermutung dadurch, daß Arnim die Anregung für das Schaubühnen-Stück Die Appelmänner ebenfalls durch einen Vortrag bei der Tischgesellschaft erhielt, vgl. den Überblickskommentar zu Die Appelmänner, S. 848–850. Ähnlich mag es auch bei der Roar-Geschichte gewesen sein. Ausgehend von dem Entwurf der Tischrede wurde Arnim vmtl. zur dramatischen Bearbeitung angeregt. 21
Auf welche Quelle sich Arnim bei dieser Geschichte stützt, konnte nicht ermittelt werden. Im
Liederspiel wird die spanische Stadt Estella als Schauplatz genannt, in dem Entwurf zur Tischrede bleibt Arnim dagegen unbestimmt. In Friedrich Rühs’ antisemitischer Abhandlung über die
schichte der Juden in Spanien
Ge-
(1816) ist über die spanischen Judenprogrome im 14. Jh.
folgendes zu lesen, was an die Darstellung Arnims in der Tischrede erinnert:
559
Bisweilen über-
Zu: Der Auerhahn
ganz allein für die Herde verantwortlich, seine Schafe im Stich, als er den Ruf eines Auerhahns hört. Da während Roars Abwesenheit ein Wolf die Schafherde angreift und einige Tiere reißt, entläßt Elieser seinen Schäfer aus dem Dienst. Daraufhin sammelt Roar andere Schäfer um sich und zettelt ein Judenprogrom an. Arnim artikuliert in dem Entwurf der Rede seine Besorgnis darüber, daß solche spanischen Schäfereyen durch das Fehlverhalten (!) der jüdischen Mitbürger auch in seiner Zeit möglich werden könnten. Arnims Antisemitismus drückt sich in der Rede Ueber die Kennzeichen des Judenthums, die zu Recht auch als »der schlimmste antisemitische Text der Romantik« (Härtl 1987, S. 1162) bezeichnet wird, am deutlichsten aus. Der im Text explizit artikulierte Judenhaß, der in scherzhaftem Ton vorgetragen wird, bezieht Vorurteile, die für das MA. belegt sind, in die Argumentation mit ein (z. B. Ritualmord, Hostienfrevel, Brunnenvergiftung), macht sich aber insbesondere die »moderne〈...〉 Polemik gegen den jüdischen Handelsgeist« (Robertson 2003, S. 52) zu eigen.22 In der Endfassung der Tischrede taucht die Roar-Geschichte nicht mehr auf (vgl. WAA 11, S. 107–128, Nr. 19). Dagegen weitet sie Arnim in den Liederspiel-Fragmenten zu einer dramatischen Handlung aus, in der ebenfalls antisemitische Vorurteile gegen Juden deutlich zutage treten. Das Stück endet mit der Bestrafung des Juden, der hier Asan heißt. Dieser muß am Ende sein gesamtes Vermögen hergeben, wodurch ein Kreuzzug gegen die Sarazenen finanziert werden kann. Roar und die Tochter Asans, Delila, werden ein Paar. Gemeinsamkeiten zwischen dem Auerhahn und dem handschriftlichen Material zu Roar und die schwärmenden Schäfer ergeben sich insofern, als der Auerhahn in beiden Fällen ein Bindeglied zwischen den auftretenden Figuren darstellt. In beiden Texten fungiert er als ein Symbol für inbrünstige, gleichzeitig aber auch problembehaftete Leidenschaft.23 In den Liederspiel-Fragmenten ist
ließ auch das aufgebrachte christliche Volk auf seine Weise sich dem Ausbruche der Rache. Wenn es lange genug unter der Misshandlung der jüdischen Rachsucht geseufzt hatte, so bedurfte es nur einer zufälligen Veranlassung, um den Haß und die Erbitterung zu einer Verfolgung zu entflammen, die von schrecklichen Grausamkeiten begleitet ward. Das Volk rottete sich zu Räubereien und Mordscenen zusammen, wo das Blut der Unschuldigen sich mit dem der Schuldigen mischte (Friedrich Rühs, Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht. 2. Aufl. Mit einem Anhange über die Geschichte der Juden in Spanien. Berlin 1816, S. 54). In den in Arnims Bibliothek nachgewiesenen Geschichtswerken über das 14. Jh. konnte nichts ermittelt werden, was mehr Aufschluß über die historischen Umstände liefern könnte. 22
Vgl. dazu Robertson 2003, S. 52–53 sowie Härtl 1987, S. 1166.
23
Michel Edouard Tourniers 1978 erschienene Sammlung von Erzählungen mit dem Titel
560
Zu Arnims Quellen
Roar der Figur Otto ähnlich: Wie Otto ist er ein begeisterter Armbrustschütze und entpuppt sich am Ende als Grafensohn, auch wenn er davon – anders als Otto – nichts wußte (vgl. zu weiteren Parallelen die Erl. zu S. 85,3–4 und S. 94,32–95,5). Das Liederspiel ist Fragment geblieben. Daß Arnim Teile der Handlung in ähnlicher Form in den Auerhahn integrierte, weist darauf hin, daß der RoarText vor dem Schaubühnen–Stück entstanden ist und Arnim Auszüge aus diesem Entwurf später für die Konzeption seines Auerhahns nutzte. Dort wird das Motiv insofern noch erweitert, als der Auerhahn in unmittelbare Verbindung mit der Genealogie des thüringischen Landgrafengeschlechts gebracht wird. In der vierten Handlung des Stücks wird die Geschichte des thüringischen Ahnherrn Asprian erzählt, dessen Seele aufgrund seiner großen Jagdleidenschaft in den
Auerhahn, des Auerhahnes Seele wieder in des Fürsten Leib geflüchtet sei (in der vorliegenden Ausgabe S. 106,33). Im Volksglauben gehe nun die Sage um, daß es in den Wäldern um Marburg einen sprechenden Auerhahn gebe, der untrennbar mit dem Schicksal des Landgrafengeschlechts verbunden sei. Wird dieser Vogel erlegt, stirbt auch die Linie Heinrichs des Eisernen aus. Vor diesem Hintergrund erhält der von Ottnit in der ersten Handlung geschossene Auerhahn (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 24) retrospektiv eine für das Schicksal der Familie bedrohliche Bedeutung, sofern die im Volk grassierende Geschichte ernst genommen wird. Arnim hat hier die eigentliche genealogische Vorgeschichte der hessischen Landgrafen zugunsten des Auerhahn-Motivs völlig verändert. Traditionell gilt dort die Heilige Elisabeth als Ahnherrin (vgl. ergänzend die Erl. zu S. 106,24). Die Geschichte über den thüringischen Ahnherrn steht somit in enger Verbindung mit der zentralen Fragestellung des Stücks nach der Bedeutung des Schicksals, das von den Figuren entweder als göttlich bestimmtes oder willkürlich waltendes Fatum empfunden wird. Der Auerhahn ist aufgrund dieser immer wiederkehrenden Frage nach der Prädisposition des menschlichen Geschicks und der Möglichkeit, dieser Vorbestimmung entgegenzuwirken, in der älteren Sekundärliteratur immer wieder als Schicksalsdrama oder –tragödie klassifiziert worden (vgl. den Forschungsüberblick bei Ehrlich 1970, S. 236 bzw. 371). Das pejorativ besetzte ›Schicksalsdrama‹24, das an grelle Effekte, tabui-
Le coq de bruye`re (frz. »der Auerhahn«) hat zwar mit Arnims Drama den Titel gemein, anderweitige intertextuelle Bezüge lassen sich aber nur insofern herstellen, als auch hier der Vogel als Metapher für glühende Leidenschaft dient (Michel Tournier, Le coq de bruye`re. Mayenne 1978, S. 187–233). 24
Der Begriff ›Schicksalstragödie‹, der zunächst mit ›Schicksalsdrama‹ synonym verwendet
wurde, ist seit dem 20. Jh. nicht mehr üblich. Der Terminus ›Schicksalsdrama‹ soll dem
561
Zu: Der Auerhahn
sierte Themen wie Inzest und Verwandtenmord und klischeehafte Versatzstücke denken läßt (vgl. Wogenstein 2003, S. 375), ist in der Romantik und v. a. in der Restaurationszeit eine weit verbreitete Modeerscheinung auf dem deutschen Theater. Zacharias Werners Stück Der vierundzwanzigste Februar (Uraufführung 1809, gedruckt 1815), Adolph Müllners Der neunundzwanzigste Februar (1812), Die Schuld (1813) – »das populärste Stück dieses Dramentyps« (Ehrlich 1970, S. 237) – König Yngurd (1817) und Die Albaneserin (1819) sowie Franz Grillparzers Die Ahnfrau (1817) sind nur einige Beispiele für die »beträchtlich größere, heute weithin verschollene Anzahl solcher Stücke« (Gerhard Schulz, Die deutsche Literatur zwischen französischer Revolution und Restauration. Zweiter Teil. Das Zeitalter der napoleonischen Kriege und der Restauration 1789–1830. München 1989, S. 572). Diese Dramen weisen durch ihre analytische Struktur, durch die Verwendung nur leicht variierter Motive und Themen sowie durch die Einbeziehung fataler Requisiten viele Gemeinsamkeiten untereinander auf (vgl. Ehrlich 1970, S. 239). Einige Elemente kehren zwar auch in Arnims Auerhahn wieder, erhalten aber eine komplexere Funktion innerhalb des Stückes. Arnim besucht am 24. August 1811 eine Aufführung von Werners Drama Der vierundzwanzigste Februar in Halle. In einem Brief an Clemens Brentano vom 14. September 1811 urteilt er über das Stück:
ich besuchte das Theater, wo der 24ste Februar gespielt wurde, eine Art Centaur, im Anfang herrlich menschlich, der schauerlichste Tragödieneingang, das Ende, eine gemeine Creatur, die alles niederstampft (GSA 03/1050). Aus dieser Bewertung geht bereits Arnims ablehnende Haltung gegenüber dem trivialromantischen Schicksalsdrama hervor. In späterer Zeit sollte sich Arnims Kritik in Äußerungen über Müllner noch einmal intensivieren.25 Während in »Umstand gerecht werden 〈...〉, daß die Stücke der Regelpoetik der Tragödie nicht entsprechen« (Wogenstein 2003, S. 376). Der Begriff wurde von Heinrich Blümners in seiner Schrift
Ueber die Idee des Schicksals in den Tragödien des Aischylos (1814) geprägt.
»Daher mag es kommen, daß 〈der Begriff〉 zunächst undifferenziert für klassisch-antike und romantische Dramatik bemüht wurde, denn sogar Schillers
Braut von Messina galt als ein
Stück aus dem Umkreis der Schicksalstragödien« (Ehrlich 1970, S. 236). 25 1827 werden in den Berlinischen Blättern für deutsche Frauen Arnims Erinnerungen eines Reisenden veröffentlicht, in denen er sich noch einmal mit dem Schicksals-
drama auseinandersetzt. Seine Kritik richtet sich v. a. gegen Adolph Müllners Stücke, die er zu dessen Lebzeiten nicht öffentlich kritisierte, um Müllner nicht zu verletzen (vgl. Arnims
Erinnerungen eines Reisenden bemängelt Arnim v. a., daß das Schauerliche in Müllners Dramen nicht gedeutet werde, und fragt, ob der Dichter nicht eben sein Geschäft da anfangen müßte, wo Müllner es niedergelegt habe (Ludwig Achim von Arnim, Reise bis Halle, in:
Brief an August Amadeus Wendt vom 9. März 1818, DSB Berlin). In seinen
562
Zu Arnims Quellen
Werners Stück das Schicksal als unausweichlich erscheint, spiegelt sich im Schicksalsbegriff des Auerhahns eine komplexere Sichtweise auf die Vorbestimmung des Menschen wider, die v. a. auf die Zukunft gerichtet ist und ein versöhnendes Moment enthält (vgl. Ehrlich 1970, S. 238). Für Arnim drückt sich im Schicksal ein göttlicher Wille aus, eine transzendental wirkende Macht, die sich in Traum, Ahnungen, Weissagungen und im Volksglauben manifestiert. Dieses Schicksal, dem sich Heinrich der Eiserne und sein Sohn Otto entgegenstellen und an dem sie zugrunde gehen, ist auf eine harmonische, auf Gerechtigkeit basierende Zukunft ausgerichtet, die sich in den Figuren Jutta und Ottnit am Ende des Dramas verwirklicht. Das Schicksal entpuppt sich also nicht als ausschließlich determinierender, destruktiver Faktor. Solange sich der Mensch in eine religiös fundierte Weltordnung harmonisch einfügt, besteht die Möglichkeit, fatalen Schicksalsschlägen zu entgehen. So bleiben z. B. Jutta und Ottnit vom Fluch Heinrich des Eisernen unberührt, während sich der Fluch des verstorbenen alten Landgrafen (in der vorliegenden Ausgabe S. 36,4) unmittelbar auf die Figuren auswirkt, die sich seinem letzten Willen entgegenstellen. Zu Werners Der vierundzwanzigste Februar ergeben sich trotz Arnims Abneigung dem Genre gegenüber einige Parallelen (vgl. ergänzend die Erl. zu S. 23,2, S. 23,6, S. 38,16–23). Da sich Arnim vom Anfang des Wernerschen Stückes begeistert zeigt – in einem Brief an Friedrich Carl von Savigny vom 30. August 1811 betont er, daß die Einleitung 〈...〉 ein tragisches Meisterstück sei (SPK, Haus I) – ist es denkbar, daß er sich von einigen Stellen in Werners Drama inspirieren läßt – etwa »in der mystisch-wilden Charakterisierung einzelner Figuren« (Ehrlich 1970, S. 240), bei der Verwendung fataler Requisiten wie der Armbrust des Ahnherrn oder bei der Wahl des Titels. Die Darstellung des Schicksals in Arnims Auerhahn ist jedoch vielschichtiger. Josef Körner bemerkte, daß die »doppelte〈...〉 Motivierung eines Verhängnisses 〈der〉 Schicksalsidee im Auerhahn eine ganz eigenartige Gestalt« verleihe (Körner 1912, S. 252). Der Fluch über dem thüringischen Landgrafengeschlecht tritt zum einen wegen des geschossenen Auerhahns, zum anderen wegen Heinrichs des Eisernen Auflehnung gegen den letzten Willen seines Vaters in Kraft. Elisabeths Schwur, ins Kloster zu gehen, wird durch das vorangegangene Gelübde ihrer Mutter bestärkt. Geschehnisse aus der Vergangenheit werden also mit Handlungen bzw. Entscheidungen, die in der Gegenwart getroffen werden, verknüpft und erfahren dadurch noch einmal eine Bestätigung. Die Erkenntnis, daß das Schicksal unausweichlich ist, wird von den Figuren widerwillig in ohnmächtiger Wut (Heinrich), Berlinische Blätter für deutsche Frauen 9 (1829), S. 107–138 (Arnim-Bibl. B 3524), hier S. 146).
563
Zu: Der Auerhahn
unter Schmerzen (Hubertus, Otto) oder in Demut (Elisabeth) aufgenommen. Hieran läßt sich erkennen, daß Arnims Charaktere wesentlich komplexer angelegt sind als die Figuren in den Schicksalsdramen Werners oder Müllners, die sich widerstandslos in ihr Schicksal ergeben. Ferner kommt es Arnim darauf an, die Aussicht auf eine harmonische Zukunft am Ende zu akzentuieren und damit eine hoffnungsvolle Perspektive zu eröffnen. Von einer Zuordnung des Stückes zur Schicksalsdramatik ist demnach Abstand zu nehmen (vgl. Ehrlich 1970, S. 238–241). Arnim selbst hat sein Stück als Geschichte in vier Handlungen bezeichnet, wodurch er der »epischlyrischen« Breite, wie sie von Clemens Brentano in seiner Beurteilung des Auerhahns genannt wurde (vgl. RZ 4, S. 464,41), gerecht zu werden versucht. Das Stück enthält eine Vielzahl von episch vermittelten (Vor)geschichten sowie einige Liedeinlagen, die den Eindruck des Epischlyrischen dieses Dramas noch verstärken. Eben diese Fusion von »epischlyrischen« und dramatischen Elementen hat Arnim auch in anderen Werken wie in der Gräfin Dolores oder in seiner Päpstin Johanna angestrebt. Der Auerhahn ist demnach eher zu den aus dramatischen Dialogen, lyrischen Einlagen und narrativen bzw. deskriptiven Passagen zusammengesetzten Mischformen zu rechnen, die für Arnims Werk typisch sind.
Arnims Entwurf von II,1 Zur ersten Szene der zweiten Handlung ist ein handschriftlicher Entwurf (Hs.) von Arnims Hand erhalten (vgl. GSA 03/10, Abdruck in der vorliegenden Ausgabe S. 339–341). Aufgrund des Wasserzeichens kann die Entstehung auf die Zeit von 1811 festgesetzt werden, da Arnim dieses Papier auch für die Einführung des gelehrten Canarienvogels (Rede vor der deutschen Tischgesellschaft vgl. WAA 11, S. 18–21, Erl. S. 317), Die Versöhnung in der Sommerfrische und die Päpstin Johanna verwendete (vgl. Werke 3 Kommentar, S. 443, 1017). Der Entwurf ist gegenüber der endgültigen Fassung kürzer. Einige Passagen behält Arnim in der Schaubühne wortwörtlich bei, in vielen Fällen fügt er jedoch weitere Repliken hinzu, wodurch es in der Endfassung zu einem stärkeren dialogischen Austausch der Figuren kommt. In der Hs. fehlt das geistlich Lied Ottos Starkes Herz, das athmet frei (in der vorliegenden Ausgabe S. 59,26; 59,30–60,5), das in der späteren Fassung als Kontrast zu Juttas im folgenden gesungenen Ist es Rauch vom Prasselfeuer (in der vorliegenden Ausgabe S. 63,8–31) steht. In der Hs. geht Otto auf die durchnäßten Kleider Juttas ein (vgl. S. 339,8). Dies wird in der späteren Version nicht von Otto,
564
Zu Arnims Quellen/Arnims Entwurf von II,1
sondern von Jutta selbst geäußert (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 60,8). Dadurch verliert die Situation in der Endfassung an Anzüglichkeit, was wohl dem Publikumsgeschmack der Zeit geschuldet ist. Ebenso verhält es sich mit der Bemerkung Ottos über die erste Begegnung mit Jutta in der Hs., bei der er Jutta zum Schwimmen im Rhein zwingen will und durch die Weigerung Juttas ein Streit zwischen den beiden entsteht. Die Auseinandersetzung intensiviert sich durch das von Jutta versteckte Blatt Papier (vgl. S. 340,16–25), auf dem sie ein Lob auf Otto, so feurig, daß ich mich jetzt schäme aufgeschrieben hat (S. 340,17–35). In der Schaubühnen–Fassung kommt es zu einem Streit zwischen den beiden, weil Jutta Ottos Namen, den er in eine Baumrinde geschnitzt hat, erfahren will und sich dieser weigert, ihn preiszugeben (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 60,29–31; 62,31–34). Auch in diesem Fall wird der Aspekt der Geschlechtlichkeit zugunsten einer harmloseren Szene ausgespart. Dagegen werden Anspielungen auf die BruderSchwester-Beziehung in der endgültigen Version verstärkt. Dort berichtet Otto von seiner Schwester, die – ähnlich wie die als Geistlicher verkleidete Jutta – stets von überirdischen Wesen gesprochen habe (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 60,21–24). Jutta will daraufhin mehr von dieser Schwester erfahren, bekommt aber von Otto keine weitere Auskunft (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 60,26–28). Die Anspielungen auf Ottos Vergangenheit sind durch seine Erzählung über das Zerwürfnis mit dem Vater, die Beschreibung der Schwester und die in den Baum eingeschnittene Krone als Ausdruck seines Herrscherwillens in der Schaubühnen–Fassung wesentlich ausführlicher gestaltet als im Entwurf. Otto wird in der Editio princeps außerdem aggressiver dargestellt. Er berichtet davon, daß er einen Jäger niedergeschlagen habe und sich seitdem bereits zwei Monate als Wilderer im Wald herumtreibe (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 62,13–15). Außerdem fügt Arnim in der endgültigen Fassung den Ausbruch des Feuers hinzu, das auch den Kahn, in dem die beiden unterwegs waren, zerstört, was freilich symbolischen Aussagewert hat und Rückschlüsse auf Ottos Temperament zuläßt. Im Entwurf entfacht Otto erst nach der Erzählung seiner Vorgeschichte das Feuer, ohne daß sich im folgenden ein Brand ausbreitet. Das Lied Juttas, das in der Hs. noch starke Bearbeitungsspuren aufweist (vgl. S. 341,3–26), wird in der Schaubühne bis auf einige Veränderungen in Strophe drei und vier weitgehend übernommen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 63,8–31). Die Entwurfsfassung von 1811 scheint also von Arnim in späterer Zeit grundlegend überarbeitet worden zu sein. Die endgültige Version ist im Aufbau deutlich komplexer angelegt. In der Hs. zeigen sich jedoch schon Ottos Anlage zum
565
Zu: Der Auerhahn
Jähzorn und gottfernen Handeln sowie Juttas versöhnliche Haltung, die im Auerhahn noch intensiviert wird.
Entstehung Alfred Schier vermutet, daß Arnim »wohl gegen Ende 1807« auf die OttoSchütz-Sage durch die Grimms und deren Exemplar des ASs aufmerksam gemacht wurde. In dieser Zeit hält er sich in Kassel auf (vgl. Schier Kommentar, S. 191). Weitere Belege werden für diese These nicht angeführt. Auch Max Hartmann gibt als Entstehungszeit Arnims Aufenthalt in Kassel zwischen November 1807 und Januar 1808 an (vgl. Hartmann 1811, S. 32). Da Arnim selbst ein Exemplar des AS besaß (vgl. Arnim-Bibl. B 704a-b) und der Titel im Bestand der Grimm-Bibl. nicht nachgewiesen werden kann, sind Hartmanns und Schiers Datierungsversuche nicht schlüssig.26 Anhand eines Briefes vom 3. Februar 1813 von Arnim an Friedrich Christoph Perthes (vgl. EZ 26, S. 425–426), der einen vorläufigen Titelaufriß der Schaubühne enthält,27 läßt sich feststellen, daß Der Auerhahn vier Monate vor der Veröffentlichung offensichtlich noch nicht abgeschlossen war. In seinem Brief an Perthes nennt Arnim den Auerhahn Eine Geschichte in d r e y Handlungen (ebd., S. 425,17–18; Hervorhebung von Y. P.). Die in der Schaubühne abgedruckte Fassung dagegen weist vier Akte auf. Daraus kann geschlossen werden, daß Arnim noch vor der Veröffentlichung der Dramensammlung entweder Änderungen an der Szenen- und Akteinteilung vornahm oder das Stück um einen weiteren Akt ausdehnte.28 Über die Genrebezeichnung scheint er sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch unklar zu sein. Im Brief ist der Begriff Trauerspiel gestrichen und darüber das Wort Geschichte geschrieben worden. Da das vmtl. 1811 entstandene Liederspielfragment Roar und die schwärmenden Schäfer als Vorläufer des Schaubühnen–Stückes betrachtet wird (vgl. Erl. S. 559–561), ist als Entstehungszeit des Auerhahns demnach die Zeit zwischen Frühjahr 1811 und Mai 1813 denkbar.29 26
Einschränkend muß hierzu bemerkt werden, daß die Grimms in ihre
Deutschen Sagen
(1816/1818) die Otto-Schütz-Sage in Anlehnung an Spangenberg abdruckten (vgl. Grimm 1818, Nr. 562,
Otto der Schütze, S. 353–355 sowie Noll 1906, S. 29). Vmtl. verhielt es
sich genau umgekehrt, daß nämlich nicht die Grimms Arnim, sondern Arnim den Grimms durch das Ausleihen des
AS zu dieser Quelle verhalf.
27
Vgl. dazu die Darstellung der Entstehungsgeschichte der
28
In dem Brief an Perthes zählt Arnim den
Schaubühne, S. 437–441. Auerhahn zu den kleineren Stücken der
Schaubühne (vgl. EZ 26, S. 425,21). Dies verwundert v. a. vor dem Hintergrund, daß es Schaubühne handelt.
sich bei diesem Drama um das umfangreichste der
566
Arnims Entwurf von II,1 / Entstehung / Rezeption
Rezeption
Der Auerhahn nen–Stücken von
ist im Gegensatz zu den meisten anderen Schaubühvielen Zeitgenossen Arnims wahrgenommen und besprochen worden. Bis auf eine Ausnahme fallen die Urteile überwiegend positiv aus. Clemens Brentano äußert sich im Zusammenhang mit der Besprechung der auf historische Stoffe zurückgehenden Dramen Die Vertreibung der Spanier aus Wesel und Die Appelmänner. Er findet alle drei Dramen ganz ungemein vortreflich (vgl. RZ 4, S. 463,6). Besondere Hervorhebung erfährt die Konzeption der Figuren, die alle ganz gelungen in Hülle und Fülle (ebd., S. 464,27) seien. Brentano nennt das Stück ein Gedicht über den Untergang des Dramas als Held im Epischlyrischen Schicksal (ebd., S. 464,40–41). Die in das Stück integrierten Lieder hält Brentano für meist wunderschön (ebd., S. 464,41–42). Das Einzigartige des Dramas sieht er im Zußammentreten des Schäckspearschen und Calderonschen Gestirns (ebd., S. 464,43–44), womit er wohl die Verwendung von (englischen) Jamben und (spanischen) Trochäen meint. Kritik übt Brentano an dem von Arnim gewählten Genre. Hier argumentiert er ähnlich wie Wolfram in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung. Dieser urteilt insgesamt kritischer als Brentano. Er erkennt zwar die unläugbar glänzende〈n〉 Seiten (RZ 6, S. 468,38) des Stückes an, aber zur Exemplifizierung der wunderlichste〈n〉 und wohl etwas zur grell geratene〈n〉 Sinnesart Heinrichs des Eisernen zitiert er Passagen aus dem Dramentext. Daß der Rezensent hinlänglich über die Geschichte Thüringens bzw. Hessens informiert ist und die von Arnim vorgenommene Übertragung der Sage von Ludwig dem Eisernen auf Heinrich den Eisernen als unhistorisch bemängelt (vgl. ebd., S. 468,29–35), läßt ihn als versierten Kenner der Zeitbücher (ebd., S. 468,30) erscheinen.30 An den Hinweis auf einen Druckfehler (ebd., S. 469,7) schließt sich die Bemerkung an, daß Arnim v. a. Jamben, aber auch Trochäen verwendet habe (vgl. ebd., S. 469,8–12). Eine Bewertung dieses Stilprinzips wird nicht vorgenommen. 29
Ehrlich hält es zudem für wahrscheinlich, daß die Entstehungszeit des Stückes erst nach
dem 24. August 1811 anzusetzen ist, da Arnim an diesem Tag Zacharias Werners Schicksalstragödie
Der vierundzwanzigste Februar in Halle besucht. Da es einige Parallelen Auerhahn gibt, mag Arnim durch diesen Theaterbe-
zwischen Werners Drama und Arnims
such zum Schreiben seines Stückes inspiriert worden sein (vgl. Ehrlich 1970, S. 222). 30
Wolframs Verweis auf die Zeitbücher spielt vmtl. auf Sagensammlungen an wie etwa die
Johann Gustav Gottlieb Büschings, in der die Sage von Ludwig dem Eisernen enthalten ist; vgl. dazu ausführlich die Erl. zu S. 23,6
567
Zu: Der Auerhahn
In den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und in der sonst im allgemeinen positiv über die Schaubühnen–Stücke geurteilt wird, findet sich für das längste Drama der Sammlung eine vorwiegend negative Rezension. Eine dramatische Geschichte sei weder Drama noch Geschichte (RZ 9, S. 474,28–29), dem Stück fehle es an Einheit (ebd., S. 474,31–32) – meint der Rezensent Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld – ein Aspekt, den auch Brentano in seinem Brief bemängelt, indem er anmerkt, daß das Stück ab der zweiten Handlung aus der vertrauten speziellen Marburger Lokalität wie ein 〈...〉 Fluß austrete〈...〉 (RZ 4, S. 464,29–30). Ferner wird die Verwendung des unvollkommenen jambischen Versmaßes kritisiert (RZ 9, S. 474,23–24). Einschränkend bemerkt Biedenfeld, daß sich zwar durch den Reichthum an interessanten Charakteren und Szenen (ebd., S. 474,29–30) der reiche kraftvolle Genius des Dichters ausspreche, aber das Stück könne den Rang〈...〉 eines wahren Kunstwerk〈s〉 nicht erreichen (ebd., S. 474,30–31). Andere Stimmen äußern sich lobend, so z. B. Jacob Grimm in seinem Brief an Friedrich Carl von Savigny (vgl. RZ 5, S. 465,2). Heinrich Heine meint in der Romantischen Schule (1836)31 zur ersten Szene des Auerhahn, daß sie selbst des allergrößten Dichters nicht unwürdig wäre (RZ 13, S. 476,5). Obwohl Heine bei der Zusammenfassung der Handlung Franz mit Albert verwechselt32 (vgl. ebd., S. 476,10–11), ist diese lobende Würdigung einer Szene des Stückes bemerkenswert, da er bei der Besprechung anderer Romantiker in seiner Abhandlung häufig polemisch vorgeht und auch nicht vor der persönlichen Diffamierung einiger Autoren haltmacht. Friedrich Hebbel liest im Februar 1842 den Auerhahn einen Tag nach seiner Lektüre der Appelmänner (vgl. den Überblickskommentar zu Die Appelmänner, S. 858). In sein Tagebuch notiert er, daß er dieses Stück als höchst eigenthümlich bewerte (RZ 14, S. 477,8). Besonders eindrücklich sei für ihn die Ähnlichkeit der Charaktere Heinrich der Eiserne und Otto Schütz, wobei er der Ansicht ist, daß der Vater den Sohn aufgrund dieser Ebenbildlichkeit so haßt (ebd., S. 477,9–10).
Kunst,
31
Der Arnim betreffende Teil der
Romantischen Schule wurde vmtl. Mitte 1833 fertig
gestellt (vgl. Manfred Windfuhr, Kommentar, in: Heinrich Heine, Hist.-krit. Gesamtausgabe der Werke, hg. v. dems. Bd. 8/2: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Die romantische Schule. Apparat, bearb. v. Manfred Windfuhr. Hamburg 1979, S. 1014; 1019). 32
Weitere Fehler unterlaufen Heine bei der Nennung von Arnims Geburts- und Sterbejahr,
die er als 1784–1830 statt 1781–1831 angibt (vgl. RZ 13, S. 476,1–2).
568
Rezeption
Joseph von Eichendorff behandelt 1854 den Auerhahn in Die Geschichte Arnims schönstes, weil am objectivsten S. 479,19). Bemerkenswert ist v. a. Eichendorffs Zurückweisung des gängigen Vorwurfs, Arnims Arbeiten seien formlos. Eine Kritik dieser Art hält Eichendorff für ein Symptom der invalidgewordene〈n〉 Phantasie und Tonlosigkeit des Publicums (ebd., S. 479,25–26). Da die äußere Welt sich kaleidoskopartig schnell und willkürlich verändere, bieten Arnims Werke – so Eichendorff – ein getreues Abbild dieser Wirklichkeit (vgl. ebd., S. 479,30–33). Einige der Auerhahn–Lieder sind von zeitgenössischen und späteren Komponisten vertont worden, so z. B. von Carl Klingemann. Klingemann, ein Mitglied der hannoverschen Gesandtschaft in Berlin, vertont 1825 Starkes Herz, das athmet frei (vgl. RZ 11, S. 475–476) und Wenn die Vögel aufwärts steigen (vgl. RZ 12, S. 476,1–2).33 BvA äußert sich begeistert über die Kompositionen in zwei Briefen an Arnim (vgl. RZ 11–12, S. 475–476). Das Lied Im Wald, im Walde, da wird mir so licht wurde von Louise Reichardt unter dem Titel Stolze Einsamkeit vertont. Ernst Karl Friedrich Rudorff setzt am Ende des 19. Jhs. Wenn die Vögel aufwärts steigen (op. 11) sowie Im Walde, im Walde, da wird mir so licht (op. 44, Nr. 2) in Musik um (vgl. Mallon 1925, S. 51). Obwohl Arnim von BvA dazu angeregt wird, das Stück für eine Aufführung zu überarbeiten, scheint er es nach dem Mißerfolg der gedruckten Schaubühne nicht mehr gewagt zu haben, das Drama auf die Berliner oder eine andere öffentliche Bühne zu bringen. Auf Clemens Brentanos Bericht, der Schauspieler Ludwig Devrient sei ein groser begeisterter Verehrer der Stücke Arnims (AZ 22, S. 491,5–6) und wünsche nichts als daß 〈Arnim〉 den Auerhahn für die Bühne bearbeiten 〈möge〉, um den eisernen Landgraf spielen zu können (ebd., S. 491,6–8), fällt zusammen mit der Mitteilung über drei mißlungene Aufführungen des Schauspiels Die Vertreibung der Spanier aus Wesel in Breslau (ebd., S. 491,9–; vgl. ausführlich den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 657–658). Arnims Reaktion auf die durch Brentano übermittelten Pläne Devrients ist resignativ – eine Haltung, die Arnim in den darauffolgenden Jahren bis zu seinem Tod v. a. in bezug auf seine dramatischen Arbeiten beibehalten wird. Die Chance, eines seiner Schaubühnen–Stücke in Berlin aufzuführen, nachdem 1815
des Dramas. Der Auerhahn sei gehaltenes, Schauspiel (RZ 16,
33
Er läßt sich später weitere Liedtexte von Arnim zusenden, z. B. aus dem unpublizierten
Drama
Die Capitulation von Oggersheim. Da Klingemanns Nachlaß nicht erhalten ist,
kann über den Verbleib der Vertonungen nichts Näheres ausgesagt werden.
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Zu: Der Auerhahn
Carl Friedrich Moritz Paul Graf von Brühl,34 ein Mitglied der von Arnim gegründeten deutschen Tischgesellschaft, die Leitung des Theaters übernommen hat, nutzt er nicht (vgl. Burwick 1972, S. 98). BvAs Bemühungen, Arnim zur Aufführung oder zur Veröffentlichung seiner Dramen zu bewegen, bleiben ebenfalls vergeblich. Am 28. Juni 1818 berichtet sie Arnim, daß der Theater-Schulz (AZ 25, S. 492,1), d. h. der Berliner Theaterkritiker Friedrich Schulz, mit ihr gesprochen und Interesse an einer Aufführung des Auerhahn bekundet habe. Da Arnim aber offenbar kein Interesse zeigt, das Stück für die Bühne zu bearbeiten, verlaufen diese Aufführungspläne im Sande. In einem Brief von 1821 berichtet sie Arnim nach Wiepersdorf, daß sie die erste Hälfte des Auerhahn im Beisein der Gräfin Dernath u. noch ein paar Zuhörern vorgelesen habe (AZ 26, S. 493,2–5). Erneut macht sie sich Hoffnungen aufgrund der positiven Resonanz der Zuhörerinnen. Gräfin Charlotte von Dernath berichtet am nächsten Tag Jenny Gräfin von Brühl und Marie Sophie von Clausewitz, daß sie sich darüber wundere, warum ein so lebendiges Stück nicht aufgeführt würde (ebd., S. 493,10–11). Der Auerhahn hat trotz seiner vorwiegend positiven Aufnahme bei den Lesern bis heute keine Uraufführung erlebt.
Erläuterungen
D e r A u e r h a h n . ] Ähnlich wie in Zacharias Werners Schicksalsdrama Der vierundzwanzigste Februar (Uraufführung 1809, gedruckt 1815; Ar23,2
nim-Bibl. B 1372) benennt der Titel des Stückes das eng mit dem Schicksal der thüringischen Landgrafenfamilie verknüpfte »fatale〈...〉 Requisit« (Ehrlich 1970, S. 239). Erst gegen Ende des Dramas wird deutlich, daß mit dem Auerhahn der in diesen Vogel verwandelte Ahnherr des thüringischen Landgrafengeschlechts gemeint ist (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 106,23–107,3). – Gleichzeitig
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Brühl, der Nachfolger Ifflands, »umgab sich mit einem ausgedehnten Verwaltungsapparat und
verwandelte das Theater bald in eine pedantische Beamtenstube« (Burwick 1972, S. 98–99). In
Mit Brühl ist wirklich nicht viel anzufangen, sein Hauptbestreben ist, es einer Zahl miserabler Menschen recht zu machen (Brief an Clemens Brentano nach Berlin, Wiepers-
einem Brief an Brentano äußert sich Arnim sehr abfällig über Brühls Art der Theaterleitung:
dorf 3. August 1815, FDH 7368). Arnims Widerwillen gegen Brühls Handhabung des Theaterbetriebs ist insofern nicht gerechtfertigt, als dessen Hauptanliegen der Förderung junger einheimischer Talente galt, für die er eigens eine Schule einrichten ließ. Vmtl. war es eher Arnims Angst vor einem erneuten Mißerfolg seiner Stücke, die ihn zu einem derart harten Urteil verleitete (vgl. Burwick 1972, S. 99).
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Erläuterungen
dient der Auerhahn als Dingsymbol, das meist im Kontext der Darstellung inbrünstiger Liebe auftaucht (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 24,16–21; S. 84,24–85,12; S. 94,32–95,3; S. 116,26–27). Neben dem Auerhahn werden auch andere Vögel als Metapher und Allegorie im Drama verwendet, vgl. z. B. Erl. zu S. 39,32; S. 76,10–14. – In Arnims Werk begegnet der Auerhahn weiterhin in einem Entwurf zu einer Rede vor der deutschen Tischgesellschaft sowie in einer Skizze zu einem Liederspiel mit dem Titel Roar und die schwärmenden Schäfer (GSA 03/21; GSA 03/262,9, Bl. 35–36), in dem der Vogel eine ähnliche Funktion wie im Schaubühnen–Drama innehat (vgl. den Überblickskommentar zu Der Auerhahn, S. 559–561). 23,3 H a n d l u n g e n ] Im 17. und 18. Jh. gebräuchliche Bez. für Akt, verwendet u. a. von Andreas Gryphius (vgl. Adelung 2, S. 956; DWb 10, Sp. 405). Arnim gebraucht den Ausdruck auch für die Gliederung seines Stücks Die
Vertreibung der Spanier aus Wesel. 23,6 H e i n r i c h d e r E i s e r n e , Landgraf von Thüringen.] Als historische Vorbilder für die Dramenfigur dienten sowohl Heinrich II., der eiserne Landgraf von Hessen, als auch Ludwig IV., der Eiserne, Landgraf von Thüringen. Während die Otto-Schütz-Sage auf das hessische Landgrafengeschlecht zurückgeht, wird die Sage um den Beinamen des Landgrafen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 49,10–36 sowie Erl. zu S. 49,10–36) dem thüringischen Fürsten Ludwig IV. zugeschrieben. Die Kontamination der beiden historischen Gestalten bei Arnim wurde von Wolfram in seiner Rezension in der Wiener Allgemeinen Zeitung bemängelt, vgl. RZ 6, S. 468,29–35. – Arnims Bez. der Figur als Landgraf von T h ü r i n g e n ist historisch nicht korrekt. Hessen, bis 1247 Bestandteil Thüringens, wurde im 13. Jh. zu einer eigenständigen Landgrafschaft. Nach dem Aussterben des thüringischen Herrschaftsgeschlechts und der damit einhergehenden thüringisch-hessischen Erbfolgekriege erhielt Hessen in Heinrich I. dem Kind, dem jüngsten Sohn Sophie von Brabants, seinen ersten eigenen Landgrafen, der damit die Dynastie der hessischen Landgrafen begründete (vgl. Patze 1989, S. XXXVIII). – Heinrichs Charakter ist geprägt von Jähzorn und Hochmut – Eigenschaften, die nicht nur an die Figur Kunz Kuruth in Werners Schicksalstragödie Der vierundzwanzigste Februar erinnern (vgl. Ehrlich 1970, S. 238), sondern die Arnim auch seiner Figur Cardenio (Halle und Jerusalem; 1810) und dem Titelhelden des Stückes Marino Caboga (1826) verleiht (vgl. ebd., S. 231; Burwick 1978, S. 308). 23,7 H e i n r i c h ] In der Otto-Schütz-Sage ist Heinrich der ältere Bruder Ottos. Der historische Otto (vgl. Erl. zu S. 23,8) hatte keinen Bruder, sondern vier Schwestern (Adelheid, Elisabeth, Jutta (auch Judith) und Margarete). In den Überlieferungen der Sage in Geschichtswerken und literarischen Bearbeitungen
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variiert die Anzahl der Kinder Heinrichs des Eisernen. Entweder gilt Otto als einziger Sohn des Landgrafen (vgl. u. a. Hessische Chronik 1855, S. 9; Noll 1906, S. 1) oder es werden mehrere Kinder genannt (vgl. u. a. Q 1.1, S. 541,10: zwei Söhne, eine Tochter; Q 1.2, S. 543,7: zwei Söhne; Heinse 1792 I, S. 3: zwei Söhne, zwei Töchter; Eduard Rudolf Grebe, Otto der Schütz. Eine niederrheinisch-hessische Sage. Vortrag, gehalten im evangelischen Arbeiterverein Kassel im März 1910. Kassel 1910, S. 5: zwei Söhne, drei Töchter). 23,8 O t t o ] Im Alter von 16 Jahren heiratete der historische Otto die 31-jährige Witwe Elisabeth von Kleve. 1340 wurde er Mitregent an der Seite seines Vaters Heinrich des Eisernen (vgl. Margret Lemberg, Otto der Schütz. Literatur, Kunst und Politik. Ein Bilderzyklus in der Alten Aula der Philipps-Universität Marburg. Marburg 1997, S. 9–10). Zur Entwicklung der Sage vgl. den Überblickskommentar, S. 550–555. – Die Figur in Arnims Stück erinnert – ähnlich wie Heinrich der Eiserne – an Cardenio in Halle und Jerusalem (vgl. Ehrlich 1970, S. 231). 23,9 J u t t a , dessen Tochter.] Durch die Stammtafel der Hessischen Landgrafen ist Jutta als eine der vier Schwestern Ottos belegt. Die historische Jutta (auch Judith) blieb unverheiratet. Den Namen Jutta hat Arnim einem bislang nicht zu ermittelnden Quellentext entnommen. Es könnte sich jedoch auch um Koinzidenz handeln, daß er zufällig einen historisch belegten Namen für seine Dramenfigur wählte. In Q 1.1 und Q 1.2 sowie in den im Überblickskommentar genannten anderen Bearbeitungen der Sage wird er nicht erwähnt. Vgl. dazu den Überblickskommentar, S. 550–555. 23,10 O t t n i t ] Von Arnim hinzugefügter Name, der auf den Helden Ortnit/Ottnit aus dem mhd. Heldenbuch zurückgeht (Heldenbuch 1590, S. 1–102; Arnim-Bibl. B 899). Dort schwängert der Zwerg Elberich, getarnt durch einen unsichtbar machenden Ring, die Königin in Lamparten 〈= Lombardei〉 〈...〉 auff einer Burg hieß Garden (Heldenbuch 1590, S. 1r). Nach dem Tod des vermeintlichen Vaters, König Ottnit des Älteren, erbt der junge Ottnit das Königreich und wird später römischer Kaiser. Als ihm eines Tages Elberich begegnet, offenbart dieser ihm seine wahre Herkunft: Wie vngleich wir 〈Elberich und Ottnit〉 / Hie gegen einander sind / Ich sag dir bey meim Eyde / So bist du doch mein Kind (ebd., S. 11v). Im folgenden zwingt Ottnit die Tochter des Königs Machahol aus dem Surgenland zur Ehe, wird aber später von einem durch den erzürnten Brautvater ausgesandten Lindwurm verschlungen. Arnim hat einige dieser Stoffelemente für die Konzeption seiner Dramenfigur verwendet, deutet sie jedoch um: So ist Arnims Ottnit »scheinbar unehelich«, während der Ottnit des Heldenbuchs »scheinbar ehelich« ist. Beide werden mit einem zornigen Brautvater konfrontiert, der ihren Tod wünscht. Eine
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Erläuterungen
weitere Parallele ergibt sich in dem Auszug der beiden als Pilger gekleideten Freunde WolffDieterich und Ottnit auf der Suche nach WolffDietrichs Gemahlin (vgl. Heldenbuch 1590, S. 82r–83v) und den Freunden Ottnit und Günther bei Arnim, die verbunden danach streben, Jutta zu finden. – In Cyriacus Spangenbergs Adels-Spiegel (AS; Arnim-Bibl. B 704b), der Arnim vmtl. als Quelle bei der Verwendung der Otto-Schütz-Sage diente, wird die Geschichte des Helden Ottnit ebenfalls kurz nacherzählt (vgl. Spangenberg 1594, S. 270v). Das Heldenbuch stieß in der Zeit der Romantik auf breites Interesse, wobei auf weitreichendes Forschungsmaterial aus dem 18. Jh. zurückgegriffen werden konnte (vgl. Jens Haustein, Der Helden Buch. Zur Erforschung deutscher Dietrichepik im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Tübingen 1989 (Hermae. Germanistische Forschungen. Neue Folge, Bd. 58), S. 8–9). Es wurde zu Beginn des 19. Jhs. mehrfach übersetzt und publiziert. Von der Beliebtheit der alten Stoffe zeugt auch ein von Goethe 1810 inszenierter Maskenball, der anläßlich des Geburtstages der Herzogin Louise von Sachsen-Weimar und Eisenach am 30. Januar 1810 aufgeführt wurde. Dort treten einige Figuren aus dem Heldenbuch auf (vgl. den Bericht dazu im Journal des Luxus und der Moden. März 1810, H. 3, S. 145). Daß sich Arnim an der zeitgenössischen Beschäftigung mit dem Heldenbuch beteiligte, beweist die Aufnahme eines von Ludwig Tieck übersetzten Stückes aus dem Heldenbuch in die ZfE (ZfE, Sp. 22–36) sowie der Besitz der 1811 von Friedrich Heinrich von der Hagen herausgegebenen Ausgabe Der Helden Buch (Arnim-Bibl. B 871). – Jacob Ayrer bedient sich des Ottnit-Stoffes für ein Drama mit dem Titel Tragedi, Ander Theil / von dem Kayser Ottnit /
was er biß an sein Endt erstritten vnd außgericht / auff das getreulichste der Hystori nach in 6. Actus / gebracht / mit 35 Personen dramatisch bearbeitet (vgl. Ayrer 1618, Nr. 13, S. 206 –224 ; Arnim-Bibl. B 891; vgl. zu Ayrers Werk den Überblickskommentar zu Jann’s erster Dienst, a
d
S. 517–519). Bei diesem Stück handelt es sich um den zweiten Teil einer Trilogie um die Sagengestalt WolffDieterich. Der Stoff des Dramas ist dem ersten Teil des Heldenbuchs entlehnt (vgl. Heldenbuch 1590, S. 1r–102r). Parallelen zwischen Ayrers und Arnims Stück lassen sich nicht feststellen. 23,11 F r a n z ] Von Arnim hinzugefügte Figur. Nach Luthers Namen-Büchlein (Arnim-Bibl. B 2008) aus »fry« (= frei) und »anck« (= Jüngling) entstanden (vgl. Luther 1674, S. 32). 23,12 A l b e r t ] Wie die beiden anderen natürlichen Brüder eine von Arnim dem Stoff hinzugefügte Figur. 23,12 natürliche Brüder,] Uneheliche Kinder galten in der Zeit, in der das Stück spielt, als unehrlich, d. h. als gesellschaftlich verfehmt, solange sie nicht unter dem Schutz eines Aristokraten standen. Arnim hat diese Komponente
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dem Stoff hinzugefügt. Inspiration mag von Goethes Drama Die natürliche Tochter (ersch. 1804) ausgegangen sein, das Arnim sehr schätzte. – Das Thema »Unehelichkeit« taucht auch an anderen Stellen in seinem Werk auf: So ist etwa Lehne in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber eine uneheliche Tochter des Predigers (Arnim 1812, S. 291). Die natürlichen Kinder auf Schloß Hohenstock in den Kronenwächtern I werden als das uneheliche〈...〉 Zeugs bezeichnet (Arnim 1817, S. 352). In den Gleichen begegnet das Thema ebenfalls. Dort wollen die beiden Grafensöhne Gangolph und Norbert den DreiBrüderSchatz heben, tragen jedoch Bedenken, daß ihr Bruder Joseph unehelich sein könne, was die Hebung des Schatzes unmöglich machen würde (vgl. Arnim 1819, S. 18). Am Ende erweist sich Joseph als eheliches Kind, während die anderen beiden Bastard Söhne sind (ebd., S. 155). In der Erzählung Holländische Liebhabereien (1825) entpuppt sich Jan als das natürliche Kind von Hemkengriper und Bathseba. – Auch in der Familie von Arnim gab es illegitime Kinder: Arnims Bruder Carl Otto Ludwig wurde 1807 Vater eines unehelichen Sohnes. Arnims Onkel Magnus Wilhelm von Arnim versuchte vergeblich, seine neun unehelichen Kinder aus einer Verbindung mit Maria Sabina Junker zu legitimieren. 23,14 K a n z l e r H e i n r i c h v o n H o m b u r g . ] Heinrich von Homburg wurde der Otto-Schütz-Sage zufolge am Hof Adolfs oder Dietrichs von Kleve erzogen (vgl. Q 1.1, S. 542,25–26; Q 1.2, S. 544,45–46). Seine Stellung als Kanzler des hessischen Landgrafen ist von Arnim hinzugefügt worden. In Q 1.1 erscheint er als Edelmann unter dem Namen Homberg (Q 1.1, S. 542,24) und dient als vorbildliches Beispiel 〈w〉ie sich Christlicher Adel verhalten sol gegen ihre Oberkeit (Q 1.1, S. 541,3). 23,16 G ü n t h e r , Markgraf von Meissen.] Von Arnim hinzugefügte Figur. Die historischen Markgrafen von Meißen in der 2. Hälfte des 14. Jhs. waren Friedrich III. der Strenge im Ostland und Wilhelm der Einäugige in Meißen. Verwandtschaftliche Verbindungen zwischen dem hessischen Landgrafengeschlecht und den Markgrafen von Meißen bestanden insofern, als Heinrich der Eiserne
Frewlein Elisabeth / Marggrauen Friedrichen des frewdigen zu Meissen Tochter ehelichte (Q 1.1, S. 541,8–10). – Der Name der Figur erinnert an Günther, König Gibichs Sohn aus dem Nibelungenlied, der seine Braut Brünhild nur mit Hilfe Siegfrieds gewinnt. In ähnlicher Weise will Günther in Arnims Drama zunächst über Heinrich den Jüngeren, später dann freundschaftlich verbunden mit dem Konkurrenten Ottnit, die Liebe Juttas für sich gewinnen, scheitert jedoch. 23,17 F ü r s t H u b e r t u s von Cleve.] Der Sage nach hieß der Graf von Kleve Adolf/Adolph oder Dietrich/Dieterich der IX./XI. (vgl. Noll 1906, S. 27). Die
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Erläuterungen
Zählung variiert aufgrund von Lücken in der Genealogie im 12. Jh. Die Namensgebung bei Arnim orientiert sich vmtl. am Hl. Hubertus, der Legende nach ein begeisterter Jäger, ähnlich wie die Figur in Arnims Drama. In der Heiligenlegende wird Hubertus durch den Anblick eines Hirsches mit einem Kruzifix auf dem Geweih bekehrt (vgl. HdA 4, Sp. 97 sowie das vmtl. von Clemens Brentano bearbeitete St. Hubertuslied, Wh III, 110b). 23,18 E l i s a b e t h , dessen Tochter.] Vgl. Erl. zu S. 23,8. 23,19 F r ä u l e i n v o n F e l s , ihr Hoffräulein.] Von Arnim hinzugefügt. Der aristokratische Name »von Fels« ist historisch belegt und wird in Spangenbergs AS u. a. im Kontext der Kämpfe um Mailand gegen die Franzosen im Jahr 1527 sowie in anderen kriegerischen Auseinandersetzungen im 16. Jh. erwähnt (vgl. Spangenberg 1594, S. 240v, des weiteren S. 242v; 244r; 254r). Der Name geht auf die uralte adeliche und nunmehro Gräfliche Familie Colonna von Fels zurück, die sich v. a. in Tyrol, Mähren, Böhmen, Schlesien etc. niederließen (Johann Friedrich Gauhen (Hg.), Des Heil. Röm. Reichs Genealogisch-Historisches Adels-Lexicon, Darinnen die älteste und ansehnlichste adeliche, freyherrliche und gräfliche Familien nach ihrem Alterthum, Ursprunge, Vertheilungen in unterschiedene Häuser etc. nebst den Leben derer daraus entsprossenen berühmtesten Personen, insonderheit Staats-Minister, in mehr denn 6000 Artickeln, mit bewährten Zeugnissen vorgestellet werden. 〈...〉 Leipzig 1740, Sp. 356; Arnim-Bibl. B 687). Bei Arnim vmtl. als sprechender Name verwendet. 23,20 Wa l p u r g i s .] Arnim führt die Figur Walpurgis im Personenverzeichnis nicht an, die in Akt II, Szene 2–3 sowie in II, 10 als handelnde Figur auftritt. Auch in den SW erscheint sie nicht in der Liste der dramatis personae. Zur Bedeutung des Namens vgl. Erl. zu S. 64,2. 24,3 auf dem Schlosse in Marburg.] Sitz der hessischen Landgrafen mit einigen Unterbrechungen ab 1267 nach dem Aussterben der thüringischen Landgrafen mit der Nachfolge des Hauses Brabant. Herzogin Sophie von Brabant, Tochter der Hl. Elisabeth, residierte dort von 1264–1275, Landgraf Otto I. (das historische Vorbild des verstorbenen Landgrafen im Drama) von 1308–1311 (vgl. Ulrich Reuling, Historisches Ortslexikon Marburg. Ehemaliger Landkreis und kreisfreie Stadt. Marburg 1979 (Historisches Ortslexikon des Landes Hessen, Heft 3), S. 190). 24,4 So lang der Vater lebte,] Der Vater des historischen Heinrichs des Eisernen war Otto I. 24,5 knotterte] 〈M〉ürrisch brummen, brummend schelten (DWb 11, Sp. 1512).
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24,8 ich möchte 〈...〉 seyn,] Franz ist der Sohn einer dem Bauernstand angehörenden Mutter, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 27,22–23. Im folgenden werden ihm klischeehaft Charaktereigenschaften eines Bauernsohnes zugeschrieben. So etwa fehlen ihm – wie in dieser Passage deutlich wird – zum Herrschen und Regieren die Geduld und die Umsicht. Vgl. auch Erl. zu S. 25,25. 24,16 das nenn ich Glück,] Der Auerhahn ist nach dem Trappen das größte Feder-Wildbret (Frisch 1741 I, S. 40c). In Zedlers Universal-Lexikon wird das Fleisch des Auerhahns als trocken, hart und schwärtzlich beschrieben: dennoch von einem lieblichen Geschmack, und wird denen Fa-
sanen gleich gehalten, auch nirgends aufgetragen, als auf großer Herren Tafeln (Zedler 2, Sp. 2139). 24,16–18 der erste, 〈...〉 blind.] Die Eingangsszene hat Konsequenzen für den gesamten Verlauf des Stückes. Dies wird jedoch gemäß der analytischen Struktur des Stückes erst in Akt IV, Szene 7 durch Landgraf Heinrichs Erzählung vom Fluch, der über seinem Geschlecht liegt, deutlich (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 106–107). 24,20 Chorbuch] Eigtl. Choralbuch, Gesangbuch (vgl. Adelung 1, S. 1329; vgl. DWb 2, Sp. 618). 24,34 wer schläft, 〈...〉 nicht,] Sprichwort (vgl. Wander 4, Sp. 201, Nr. 100). 25,21–22 Ein kalter 〈...〉 Guts,] Als Sprichwort bei Wander nicht zu ermitteln. 25,25 Nun du kannst weinen,] Die Brüder werden ihrer Wesensart nach den drei Ständen Bauer (Franz), Bürger (Albert) und Adel (Ottnit) zugeordnet und mit stereotypen Kennzeichen versehen, die sie aufgrund der Herkunft ihrer Mütter in unterschiedlichen sozialen Bereichen ansiedeln. Albert ist Repräsentant der bürgerlichen Gefühlskultur und Empfindsamkeit, vgl. dazu Erl. zu S. 28,2–3. 25,26 Ich bin kein Stock,] Vgl. die Redensart »Du bist a rechter Stock« zur Bez. eines rohen Menschen (vgl. Wander 4, Sp. 871, Nr. 80). 26,7–8 weisen. 〈...〉 weiser] Paronomasien dieser Art (weisen-weiser) sind für Arnim typisch. Bspe. lassen sich in fast allen seinen Texten nachweisen, vgl. für weitere Bspe. Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 26,10 Duckmäuser] Bez. für einen hinterlistigen, tückischen Menschen, der
seine Schalkheit zu verbergen weiß. Zuweilen auch eines Menschen, der nicht frey aus den Augen siehet (Adelung 1, S. 1567; vgl. DWb 2, Sp. 1495). 26,10 Heimchensucher] Aufstöberer von Kleinigkeiten, Kleinigkeitskrämer (vgl. DWb 10, Sp. 869).
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Erläuterungen
26,16 Ritter Arnold] Von Arnim hinzugefügt. Der Name Arnold bedeutet laut Luthers Namen-Büchlein Ehrlich / ein Liebhaber der Tugend und Erbarkeit (Luther 1674, S. 17, Arnim-Bibl. B 2008). 26,16–17 die eheligen 〈...〉 gewogen.] Auch in Goethes Die natürliche Tochter ist der eheliche Sohn des Herzogs der Widersacher, der dort die Entführung der Schwester in die Wege leitet, um ihre bevorstehende Legitimation zu verhindern: Herzog 〈zu Eugenie, seiner unehelichen Tochter〉: Mein
eig’ner, wüster Sohn umlauert ja / Die stillen Wege, die ich dich geführt. / Der Güter kleinen Teil, den ich bisher / Dir schuldig zugewandt, mißgönnt er schon. / Erführ’ er, daß du höher nun empor, / Durch unsres Königs Gunst, gehoben, bald / In manchem Recht ihm gleich dich stellen könntest; / Wie müßt’ er wüten! Würd’ er tückisch nicht, / Den schönen Schritt zu hindern, alles tun? (Goethe Werke 6 (1), S. 319, V. 548–556). 26,27 nicht Fisch, nicht Fleisch] Redensart (vgl. Wander 1, Sp. 1039, Nr. 282–283). 27,24 verlaufnes] In der figürlichen Bedeutung des Versündigens bezeichnet es bereits Adelung als veraltet (vgl. Adelung 4, S. 1079), auch im Sinne von ›weggelaufen‹ (vgl. DWb 25, Sp. 739–740). 27,32 Voigt] Verwaltungsbeamter (vgl. DWb 26, Sp. 441), der für den wirtschaftlichen Bereich der Burg zuständig ist. Er kann auch als Vormund agieren oder die Funktion eines wichtigen Beamten, auch in Rechtsdingen, einnehmen (vgl. Adelung 4, S. 1222). 28,2–3 graut mir, 〈...〉 hören.] Alberts Empfänglichkeit für Geisterglauben mag wiederum eine Anspielung auf seine bürgerliche Herkunft sein. Seine Geistererzählung ist der Schauerromantik verpflichtet, die in der Zeit um 1800 zahlreiche triviale Gespensterromane hervorbrachte. Dieses Genre war von der englischen gothic novel inspiriert und beim (bürgerlichen) Lesepublikum äußerst populär. 28,27 Eisenfressern] Prahler, der seine Tapferkeit zur Ungebühr erhebet, und gleichsam Eisen fressen zu können vorgibt (Adelung 1, S. 1770; vgl. auch DWb 3, Sp. 368–369). 28,29–30 Reib dich 〈...〉 schwarz.] Vgl. das Sprichwort »Wer sich an russige Kessel stösst, kann leichtlich schwarz werden« (Wander 2, Sp. 1257, Nr. 40; ähnlich auch ebd. Nr. 32, 37 sowie Sp. 1256, Nr. 11, 12). 28,32 bei dem heilgen Kristophel] Der Hl. Christophorus schützt als Nothelfer vor dem plötzlichen Tod ohne Sterbesakramente. 28,32–33 der Schlag war gut.] Die Entschärfung einer Prügelszene durch das Lob auf die eben eingesteckten Hiebe begegnet an mehreren Stellen in der
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Schaubühne, vgl. die kleinen Stücke mit schwankartigen Stoffen Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, Der wunderthätige Stein, aber auch Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. Die Passage erinnert an die Reaktion Hans’ in Der wunderthätige Stein, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 261,12, und ist wohl vor dem Hintergrund der Typisierung der Figur Franz als Bauernsohn zu verstehen, die Schläge gut einsteckt. 29,7–8 in Welschland mit des Kaisers Heer.] Von Arnim hinzugefügt, historisch nicht zu belegen. 29,10–11 Maulesel nennt 〈...〉 Bruder.] Vgl. das Sprichwort »Der Maulesel macht viel palarn, wie seine Eltern (Ahnen) gut Pferdt waren« (Wander 3, Sp. 528, Nr. 2) sowie Johannes Paulis in Schimpff vnnd Ernst mitgeteilte Fabel (Arnim-Bibl. B 903): Gefragt ward ein maulesel / wz er von ge-
schlecht eynes thiers wer. Der maulesel Sprach: Er were edel / wann des künigs pferdt von Hispania wer sein vatter / vnn gloriertstes vff seinen vatter. Vnd einer fragte jn / wer sein muotter wer / das wolte er nit sagen / wann es was deß müllers esel. 〈...〉 Also sein vil die glorieren auß ihrem adel / von jrem vatter / der ettwann ein ritter ist / vnd die muotter ein bewrin. Darumm als vil einer hoffart treibt deß vatters halb / alß fast sol er sich demütigen der muotter halb (vgl. Pauli 1542, S. XXXIIa-b). Die Fabel findet sich bereits bei Äsop, begegnet aber auch bei Hans Sachs, Johann Agricola u. a. 29,17 geahndet] In der Schaubühne verwendet Arnim das Wort »ahnden« bzw. »Ahndung« in der Bedeutung dunkele Empfindung des Zukünftigen und nicht als Bezeichnung einer Bestrafung, so wohl mit Worten, als mit der That (Adelung 1, Sp. 187). »Ahnden« wurde zu Arnims Zeit synonym zu dem heute gängigen Begriff »Ahnen« verwendet. BvA als Herausgeberin der SW markiert bereits den Unterschied zwischen »Ahnen« und »Ahnden«, was sich durch die in den Dramen vorgenommenen Ähnderungen belegen läßt. Sie gebraucht durchgängig »ahnen«, »Ahnung«. – Ludwig Tieck verwendet – ähnlich wie Arnim – stets »Ahnden« und gibt in einem Brief an Karl Wilhelm Ferdinand Solger vom 6. Januar 1815 folgende Begründung dafür an (Hervorhebungen in der Vorlage): Warum wollen Sie aber mit Vo ß und andern
a h n d e n und a h n e n unterscheiden? Mir scheint der Reichthum und die poetische Schönheit und philosophische Richtigkeit einer Sprache nicht blos darin zu bestehen, daß wir recht vieles sondern und unterscheiden, sondern auch gegenüber recht viele mannigfaltige Nuancen, ja Widersprüche (die doch nur scheinbar sind) in demselben Worte dulden, wie in dem schönen A h n d e n (das Ahnen kann ich gar nicht leiden): Vorempfindung und Rache sind doch gewiß ein und dasselbe, 578
Erläuterungen
in der Erfüllung, in der Furcht; Rache, Strafe bleibt dabei doch immer etwas anderes als Ahndung. Die Unterschiede, die man bei den Alten zeigen will, genügen nicht; es ist nur provinziell, daß wir es bald so, bald anders finden, auch hatten ja unsre guten Vorfahren gar keine Orthographie. – (〈Karl Wilhelm Ferdinand〉 Solger’s nachgelassene Schriften und Briefwechsel, hg. v. Ludwig Tieck, Friedrich von Raumer. 1. Bd. Leipzig 1826, S. 335). Tieck bleibt dieser Auffassung weiterhin treu, was ein Brief an Georg Ernst Reimer, Pfingsten 1844, im Zusammenhang mit der 3. Drucklegung des Phantasus beweist (Hervorhebungen in der Vorlage): Dann bitte ich
beim neuen Abdruck m e i n e Orthographie beizubehalten. So ist es seit 20 Jahren bei den Herrn Correktoren Mode, A h n e n und a h n d e n zu unterscheiden: ich schreibe aber immer a h n d e n , wie früher G o e t h e , S c h i l l e r , L e s s i n g : der Unterschied ist neu u unrecht, es ist viel poetischer, daß das Wort Strafe, Rache und Vorgefühl z u g l e i c h bedeutet (Letters of Ludwig Tieck. Hitherto Unpublished. 1792–1853. Collected and edited by Edwin H. Zeydel, Percy Matenko, Robert Herndon Fife. New York, London 1937, S. 490). Auch für Arnim hatte der Begriff »Ahnden« eine besondere Bedeutung, da er darin 〈d〉as Princip aller Bildung sieht sowie die gemeinsame Grundlage von Poesie und Wissenschaft, vgl. seine Erl. in einem Briefkonzept an Stephan August Winkelmann (vmtl. vom Mai 1803; vgl. WAA 30, S. 556). Weiterführende Lektüre zu Arnims Verwendung des Begriffs »Ahndung« im Kontext seiner poetologischen Äuerungen vgl. Burwick 1990, S. 249; Neuhold 1994, S. 29. 30,2 Eva Rosen] Von Arnim hinzugefügter, vmtl. sprechender Name. 30,4 Schößlinge] Bei Adelung neben der Bedeutung »neue Triebe eines Baumes« auch im übertragenen Sinn ein junger schnell aufgewachsener Mensch (Adelung 3, S. 1637). 30,8 Ohrenbläser] Zuträger von Dingen, die dem Hörenden schmeicheln und andere bei ihm verleumden (vgl. Adelung 3, S. 601; DWb 13, Sp. 1254). 30,21 vor jeder Hütte 〈...〉 Bruder nicht.] Vmtl. Anspielung auf ein gängiges Märchenmotiv: Der hartherzige Reiche weist seinen armen Bruder ab (vgl. Max Lüthi, Bruder, Brüder, in: EdM 2, Berlin, New York 1979, Sp. 844–861, hier Sp. 850). 31,4–5 Des Vaters 〈...〉 gerunzelt;] Die psychologische Motivierung und Begründung für die auffahrende, tyrannische Art Heinrichs aufgrund seiner Kindheit ohne Liebe wurde von Arnim hinzugefügt. 31,9–10 meiner Mutter 〈...〉 nicht leiden,] Die Mutter des historischen Heinrichs des Eisernen war Adelheid, die Tochter des Grafen Ottos III. von Ravensberg. Die Details über die Befindlichkeit der Mutter wurden von Arnim hinzugefügt.
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Zu: Der Auerhahn
31,14–15 wie im Spiel 〈...〉 stechen.] Die Anspielung auf den Turnierkampf, der in anderen Otto-Schütz-Dramen eine tragende Rolle spielt, dient hier vmtl. der Intensivierung des mittelalterlichen Kolorits. 31,23 ich bin ihr Augapfel,] Redensart (vgl. Wander 1, Sp. 169, Nr. 5). 31,32–33 da ist 〈...〉 Federlesen,] Redensart (vgl. Wander 1, Sp. 955, Nr. 2–3). 32,4 Oheim] Bruder der Mutter oder des Vaters (vgl. DWb 13, Sp. 1198). Bei Adelung auch zur allgemeinen Bez. eines nahen Verwandten gebräuchlich (vgl. Adelung 3, S. 590). 32,10 Ritterbund] Vgl. Erl. zu S. 55,16. 33,6–8 An diesem Messer seht, 〈...〉 Wissende gehören.] Die Feme, besonders in Westfalen im 14./15. Jh. verbreitet, wurde gewöhnlich unter einer Femlinde abgehalten und bestand aus einem Stuhlherren und den Freischöffen, die das Urteil fällten. Für gewöhnliche Prozesse tagte sie als »offenes Gericht«, zur Aburteilung von auswärtigen Rechtssachen wurde unter Ausschluß der Öffentlichkeit das »heimliche« oder »stille« Gericht einberufen (vgl. Busch 1795 I, S. 291–292; Arnim-Bibl. B 2724a; Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 278). In der Auslegung deutscher Sprichwörter gibt Johann Agricola an, daß sich die Wissenden des heimlichen Gerichts untereinander daran erkannten, daß sie ein Messer mit der Spitze zu sich vnd die schalen nach der schüsseln von sich gekeret hätten (vgl. Agricola 1537, S. 31; in Arnim-Bibl. o. Sign., vgl. Kat.). Durch Justus Mösers Abhandlung Von dem Faustrechte (1770) wurde das mittelalterliche Femgericht im 18. Jh. erst wieder bekannt. In Arnims Bibliothek läßt sich das vierteilige Werk Justus Mösers mit dem Titel Patriotische Phantasien nachweisen, in dem sich Eine kurze Nachricht von den Westphälischen Freygerichten befindet (vgl. Möser 1776, S. 193–206; Arnim-Bibl. B 1072b; weitere Literatur zum Femgericht des MAs vgl. Hütter 1793; ArnimBibl. B 2434). Möser schreibt zur Heimlichkeit des Gerichtes: Es ward dem
Volke nicht bekannt gemacht wer Freyschöpfe war; und diese waren durch einen fürchterlichen Eyd verbunden, Vater und Bruder, Mutter und Schwester, Freunde und Verwandte anzugeben, wenn sie etwas begangen hatten, was vor dem freyen Stuhl zu rügen war (Möser 1776, S. 196). Im späten 18. Jh. findet sich das heimliche Gericht v. a. als Motiv im dramatischen Genre (vgl. zur Verwendung im Ritterdrama Otto Brahm, Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts. Studien über Joseph August von Törring, seine Vorgänger und Nachfolger. Straßburg 1880 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker, Bd. 40), S. 145–147). Goethe integriert es z. B. in den 5. Akt des Götz von Berlichingen (1773), wo Richter des heimlichen Gerichts Adelheid von Weislingen wegen Ehebruchs und Mordes an ihrem Ehemann zum Tode verurteilen
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Erläuterungen
(In
einem finstern engen Gewölbe, Goethe Werke 4 (1), S. 384–385). Kleists Käthchen von Heilbronn beginnt mit einer Verhandlung vor dem Femgericht, vor dem Graf Wetter vom Strahle angeklagt ist (vgl. Kleist Werke 2, S. 323–347). – Arnim verwendet das Motiv auch in seinem erzählerischen Werk. Ein Bote des Freigerichts tritt in den Kronenwächtern I auf (vgl. Arnim 1817, S. 47; 203). Auch in den Gleichen wird das heimliche Gericht thematisiert: Plesse. 〈...〉 ich bin ein Ritter, frey, / Will stehn in meinem Lande dem Gericht, / Das heimlich richtet und doch hört (Arnim 1819, S. 74–75). Des weiteren existiert ein satirischer Text Arnims Vom heimlichen Gerichte (Werke 6, S. 205–206), in dem der Grund für die politischen und kulturellen Umbrüche der Zeit in der Existenz der heimlichen Gerichte gesucht wird. 33,31–32 Ämter all im Oberland] Hessen umfaßt sehr unterschiedliche Landschaften, wobei berücksichtigt werden muß, daß Arnim von der Landgrafschaft Thüringen, zu der Hessen im hohen MA. (vor 1264) gehörte, ausgeht. Mit ›Oberhessen‹ wurden die im südlichen Teil gelegenen Bezirke des Landes bezeichnet (vgl. Georg Wilhelm Sante, Vorwort, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Hessen., hg. v. dems. 4. Bd. 2. überarb. Aufl. Stuttgart 1967, S. I–LVII, hier S. XXXIII). Da Heinrich der Eiserne im folgenden das Oberland als die reichsten Ämter charakterisiert (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 33,33–34), könnte es sich um die fruchtbaren Rhein-Main-Gegenden handeln. 34,16–17 Weil er die Mutter 〈...〉 gezwungen,] Das Motiv der Vergewaltigung der Mutter begegnet auch in Arnims zweiteiligem Drama Halle und Jerusalem. Dort berichtet Ahasver, daß sein Sohn Cardenio einer ebensolchen Verbindung entsprungen ist (vgl. Arnim 1811, S. 370). Zur Ähnlichkeit zwischen Heinrich dem Eisernen, Otto und Cardenio vgl. Erl. zu S. 23,6, S. 23,8. 34,19 wahner] Töricht, in Klever Mundart unklug, albern, ohne Witz und Verstand. Von Arnim auch in seinem Volkslied–Aufsatz verwendeter Ausdruck (vgl. DWb 27, Sp. 644). Adelung bemerkt, daß das Wort veraltet sei, und führt zusätzlich die Bedeutung 〈e〉inen Fehler habend, er sey von welcher Art er wolle an (Adelung 4, S. 1341). 34,30 gepflegt von 〈...〉 Horst,] Von Arnim hinzugefügt. 34,31–33 Wie viele Bäume 〈...〉 versteckte;] Das Motiv des Bäumepflanzens taucht wiederholt in Arnims Werk auf, so etwa in Jann’s erster Dienst (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 14,15–19). Grund für die Verwendung dieses Motivs mag Arnims persönliche Vorliebe für gärtnerische Tätigkeiten gewesen sein, die er v. a. später in Wiepersdorf als Gutsherr kultivierte. 34,36–37 Schloß Meyenfeld,] Von Arnim hinzugefügt, als Ort/Bauwerk in Hessen/Thüringen nicht ermittelt.
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Zu: Der Auerhahn
35,6 hier ist 〈...〉 Gruft] Die Familiengruft der (historischen) Hessischen Landgrafen befindet sich in der Marburger Elisabethkirche im sogenannten »Landgrafenchor« (vgl. Wolff 2002, S. 14). 35,12 ich thue, 〈...〉 kann.] Redensart (vgl. Röhrich 3, S. 1649). 35,23 Grab der 〈...〉 Elisabeth] 1228 gründete Landgräfin Elisabeth von Thüringen, die Urgroßmutter Heinrichs des Eisernen, in der Nähe von Marburg auf ihrem Witwengut ein Hospital und unterstellte es den Franziskanern. Nach ihrem Tod wurde sie dort bestattet. Der Deutsche Orden, in dessen Besitz das Hospital 1234 übergegangen war, errichtete über ihrem Grab die Elisabethkirche, die erste gotische Kirche Deutschlands (1235; vgl. Uhlhorn 1967, S. 316). Elisabeth avancierte zur »Hauptfrau des Hauses Hessen« (vgl. Wolff 2002, S. 13). Eigentlicher Stammvater der hessischen Landgrafen ist Heinrich I., das Kind, vgl. Erl. zu S. 23,6. In Arnims Bibliothek lassen sich zwei Bücher zur Lebensgeschichte der Hl. Elisabeth nachweisen, vgl. die kritische, aus protestantisch-aufklärerischer Sicht geschriebene Abhandlung von Carl Wilhelm Justi, Elisabeth die Heilige, Landgräfin von Thüringen. Nach ihren Schicksalen und ihrem Charakter dargestellt. Zürich 1797 (Arnim-Bibl. B 426) sowie die Darstellung von Legenden bei Kosegarten 1804, S. 259–294 (Arnim-Bibl. B 1273). 35,33–36 Der ältere 〈...〉 folgen.] Der Zwist zwischen Heinrich dem Eisernen und seinem Vater wurde von Arnim ebenso hinzugefügt wie die unterschiedliche Veranlagung der Söhne Heinrich und Otto. 36,8–10 Er werde geistlich, 〈...〉 herrschen:] Die Betonung des Herrscherrechts des Älteren, ein gängiger literarischer Topos und Ausgangspunkt für Intrigen und Konflikte, begegnet auch in Q 1.1 (vgl. Q 1.1, S. 541,10–13), während in Q 1.2 keine Begründung angeführt wird, warum Heinrich d. J. später regieren und Otto Geistlicher werden soll. 37,15–16 Durch Kaisers Wort] Uneheliche Kinder konnten durch kaiserlichen bzw. königlichen Beschluß »ehrlich« gemacht, d. h. in die »ehrenhafte« Gesellschaft reintegriert werden, vgl. z. B. Goethes Drama Die natürliche Tochter, in dem der König seine Erlaubnis erteilt: König 〈zum Herzog und Eugenie, dessen uneheliche Tochter〉: Wir wollen bald einander wie-
dersehn, / An jenem Fest, wo sich die treuen Meinen / Der Stunde freun, die mir das Licht gegeben. / Dich geb’ ich, edles Kind, an diesem Tage / Der großen Welt, dem Hofe, deinem Vater / Und mir. Am Throne glänze dein Geschick. (Goethe Werke 6 (1), S. 315, V. 399–404). 37,26 dies Pergament 〈...〉 geduldig,] Sprichwort (vgl. Wander 3, Sp. 1174, Nr. 1), eigtl. »Papier ist geduldig«. Punktuelle Eingriffe in Sprichwörter lassen sich auch in anderen Schaubühnen–Dramen nachweisen, vgl. Erl. zu Jann’s
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Erläuterungen
erster Dienst, zu S. 19,13–14–14 sowie zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, zu S. 172,9–11. 37,29–30 giftger Baum beschattete] In Zedlers Universal-Lexikon wird auf die schädliche Wirkung des Schattens eines giftigen Baumes hingewiesen (vgl. Zedler 34, Sp. 976). 37,30–31 Tollkirsch heut gegessen,] Hier im übertragenen Sinn verwendet. Der Genuß der Tollkirsche bewirkt Geistesverwirrung, Halluzinationen sowie Tobsucht und kann in größeren Dosen zum Tod führen (vgl. HdA 8, Sp. 1011). 38,7–8 Mäuse scheu gemacht,] Als Redensart weder bei Wander noch bei Röhrich zu ermitteln. Geläufig ist dagegen »die Pferde scheu machen«. Vgl. weitere Hinweise zu punktuellen Veränderungen von Sprichwörtern bei Arnim die Erl. zu S. 37,26. 38,16–23 Was hatte ich verbrochen, 〈...〉 gehört,] Eine ähnliche Stelle gibt es in Zacharias Werners Schicksalsdrama Der vierundzwanzigste Februar (Werner, Z. 1815, Arnim-Bibl. B 1372): Dort hängt das Messer, mit dem Kurt als Knabe seine kleine Schwester tötete, ebenfalls Jahre später immer noch an der Wand (ebd., S. 58). Ein Blutfleck, der von dieser Tat herrührt, bleibt sichtbar (ebd., S. 74). Auch in Werners Stück ist die Familie wie die Landgrafenfamilie in Arnims Stück fluchbeladen. – Arnim sieht das 1809 in Weimar uraufgeführte Stück am 24. August 1811 in Halle (vgl. Ehrlich 1970, S. 222). Trotz der hier angeführten Parallelen und der bei Ehrlich angegebenen formalen Gemeinsamkeiten (vgl. ebd., S. 238–239) ist Arnims Drama nicht dem Genre der Schicksalstragödie zuzuordnen, vgl. ebd., S. 241–242 sowie den Überblickskommentar
Der Auerhahn, S. 561–564). 38,23 wunderliche Fabel 〈...〉 Auerhahn] Die Fabel wird erst in Akt IV, Szezu
ne 1 von Heinrich dem Eisernen erzählt, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 106,23–107,3.
38,32 als meine Frau gestorben,] Der historische Heinrich von Hessen war mit Elisabeth verheiratet, die getrennt von ihrem Mann lebte, vgl. Kuchenbekkers Analecta Hassiaca: 1340. Kame Elisabeth von Thüringen bey ih-
rem Herrn / Landgraf Henrich zu Hessen / durch Zuschiebung ihres Schwagers Ludewigs in Verdacht mit einem Diener / daß er ihr gram ward / und sie derowegen verschupt / derowegen ließ sie ihr Vatter heimlich mit ihren Jungfrauen von Cassel nach Eisenach bringen 〈...〉 (Kuchenbecker 1730, S. 20; Arnim-Bibl. B 318).
39,1–9 Da kommt die Frau 〈...〉 stören.] Die Beschreibung, die an anakreontische Schäferidyllen erinnert, dient als Kontrast zur Befindlichkeit und Denkungsart Heinrichs des Eisernen.
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Zu: Der Auerhahn
39,10 Mein Weib 〈...〉 trinken,] Zu diesem Lied sind keine weiteren Fassungen überliefert, vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1090. 39,13–17 Da wird 〈...〉 kränk.] Die Passage weist Ähnlichkeiten mit dem Märchen Das Todtenhemdchen (KHM 1815, Nr. 23, S. 132–133) auf, in dem das tote Kind der weinenden Mutter erscheint und bittet: »ach Mutter, hör’
doch auf zu weinen, sonst kann ich in meinem Sarge nicht einschlafen, denn mein Todtenhemdchen wird gar nicht trocken von deinen Thränen, die alle darauf fallen.« (ebd., S. 133). 39,32 er sey 〈 ..〉 Vogel.] Die Vogel-Metapher für Otto wird im folgenden wieder aufgegriffen, v. a. in bezug auf seine Liebe zu Elisabeth (vgl. u. a. in der vorliegenden Ausgabe S. 75,4–76,24 sowie Erl. zu S. 76,10–14). 40,22 Cölln zur hohen Schule,] In Q 1.1 und Q 1.2 wird Otto zum Studium gen Pariß geschickt (Q 1.1, S. 541,12; Q 1.2, S. 543,9). Arnims antifranzösischer Tendenz ist es wohl zuzuschreiben, daß er den Studienort in eine deutsche Stadt verlegt. Q 1.2 erwähnt einen Aufenthalt Ottos in Cöln (Q 1.2, S. 543,12), nachdem er eine Zeit lang in Frankreich geblieben war. 40,26–28 Doch sieh mich 〈...〉 gewönne.] In Q 1.1 und Q 1.2 bindet Otto kein Schwur; seine Abneigung dem geistlichen Stand gegenüber wird jedoch erwähnt (vgl. Q 1.1, S. 541,13–14; Q 1.2, S. 543,10–11). 40,30 Karthäuser-Schweigen] Die Kartäuser, die einem im 12. Jh. gegründeten, streng asketisch lebenden Orden angehören, sehen ihre Berufung darin, in der Einsamkeit und im Schweigen Gott zu finden und damit eine harmonische Verbindung aus Eremitentum und Zönobitentum zu erreichen. 40,33 Domherr] Titel, der den Herr〈n〉 〈einer〉 Cathedral-Kirche bezeichnet (Zedler 7, Sp. 1197). 40,35 Churfürst] Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurden die Erzämter von drei geistlichen und vier weltlichen Kurfürsten verwaltet. Zu ihren Aufgaben gehörte u. a., nach dem Tod eines Kaisers dessen Nachfolger zu bestimmen. Die Kurfürsten gehörten zu den einflußreichsten Männern im Reich. 41,3–4 es giebt 〈...〉 überwand,] Analog zu Ottnit, dessen Name aus dem Heldenbuch entlehnt wurde (vgl. Erl. zu S. 23,10), könnte es sich bei dieser – freilich unbestimmt gehaltenen – Anspielung um den Mönch Ilsan handeln, der im Heldenbuch nicht nur den Riesen Staudenfuß (Heldenbuch 1590, S. 218v), sondern auch 52 weitere Helden überwindet (vgl. ebd., S. 228v–229r). – Denkbar ist auch eine Anspielung auf den Helden Walther (vgl. ZfE, IV. Die Helden vom Rheine, Sp. 209–216, hier Sp. 212), der sich nach zahlreichen kriegerischen Erfolgen in ein Kloster zurückzieht. Er schützt das Kloster vor dem Despotismus der Leute des Königs (vgl. dazu die Sage in Grimm 1818, Nr. 407, Walther im Kloster, S. 55–62).
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Erläuterungen
die schöne Armbrust, 〈...〉 dir,] In Q 1.1 nimmt Otto ebenfalls eine starck Armbrust auf seine Reise mit. Entgegen der Angabe Gustav Nolls wird
41,7–8
sie ihm nicht von seinem Vater geschenkt (vgl. Noll 1906, S. 77); Otto erwirbt sie mit der Absicht, seinem Vater nicht zu gehorchen (vgl. Q 1.1, S. 541,14–16). Zu der von Arnim gestalteten Szene ergibt sich eine Parallele zu dem Drama Die Gleichen, in dem der Graf dem Knaben Gottschälkchen die Armbrust des Ahnherrn, Graf Hug, schenkt (vgl. Arnim 1819, S. 137). 41,26 Sarazenen] Die Anspielung auf die Kreuzzüge ist von Arnim hinzugefügt worden. Vmtl. auf Ludwig den Eisernen bezogen (vgl. Erl. zu S. 23,6), der auf Barbarossas Kreuzzug vor Akkon starb (vgl. Patze 1989, S. XXXV). 41,32 Glück zu,] Gruß- und Segenswort (vgl. Wander 1, Sp. 1774, Nr. 1007). 42,12–13 Schwäger hab 〈...〉 Bastardbrüder.] In den Schaubühnen–Dramen Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie in Jann’s erster Dienst haben die Schwager-Figuren stets einen ambivalenten Charakter. Auch in Sprichwörtern findet sich häufig die Warnung vor dem Schwager, wie etwa in »Bei einem Schwager ist die Freundschaft mager« bzw. »Schwägerei ist Betrügerei« (Wander 4, Sp. 410, Nr. 1; Sp. 411, Nr. 1).
42,17–18 heilgen Brunnen der Elisabeth.] Das Wasser des Elisabethbrunnens soll die wunderbare Eigenschaft gehabt haben, schmutzige Wäsche durch bloßes Eintauchen weiß werden zu lassen, v. a. während der Pfingstzeit (vgl. HdA 2, Sp. 790). 42,33 Wetterstrahl] Blitz. 43,1–2 Gewohnheit, die 〈...〉 Last.] Vgl. das hier vmtl. ins Gegenteil verkehrte Sprichwort »Gewohnheit ist eine leichte Bürde« (Wander 1, Sp. 1681, Nr. 50). 43,9 Wallfahrt] Während die ältere Forschung davon ausgeht, daß Marburg im MA. zu den vier wichtigsten Wallfahrtsstätten der christlichen Welt gehört habe (vgl. Uhlhorn 1967, S. 316), gilt es inzwischen als gesichert, daß Marburg selten von Pilgern besucht wurde, die von weit herkamen. Wolfgang Brückner unterscheidet zwischen »Wallfahrt«, »die weit über Land ging und als Pilgerschaft das Verlassen der Heimat mit unbestimmter Wiederkehr einschloß« und »geläuff«, dem »Zusammenströmen des Volkes«. Nur letzteres läßt sich für den Marburger Raum im MA. feststellen (vgl. Wolfgang Brückner, Zu Heiligenkult und Wallfahrtswesen im 13. Jahrhundert. Einordnungsversuch der volksfrommen Elisabeth-Verehrung in Marburg, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige: Aufsätze, Dokumentation, Katalog; Ausstellung zum 750. Todestag der heiligen Elisabeth, hg. v. der Philipps-Univ. Marburg in Verbindung mit d. Hess. Landesamt für geschichtl. Landeskunde. Sigmaringen 1981, S. 117–127, hier S. 119). Arnim macht diese Unterscheidung noch nicht.
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Zu: Der Auerhahn
44,4 dispensiren] entbinden (vgl. DWb 2, Sp. 1190). 44,8–9 Leumund mich verläumdet,] Im DWb wird die Passage aus Arnims Drama zitiert, um zu zeigen, daß die neuere sprache 〈...〉 leumund wieder im sinne eines umlaufenden gerüchtes gebraucht, insofern es
den moralischen ruf eines menschen beschlägt, und manchmal hier personifiziert (DWb 12, Sp. 837). Bei Adelung wird es als ein im Hochdeutschen veraltetes Wort bezeichnet (vgl. Adelung 2, S. 2039). Zu weiteren Paronomasien (›Leumund-verläumden‹) in der Schaubühne vgl. Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 44,12 zeihen] anklagen (DWb 31, Sp. 510). Adelung führt an, daß das Verb nur noch in der höhern Schreibart gebraucht wird. Im Sinne von »beschuldigen« und »anklagen« kommt es selten oder aber im schwäbischen Dialekt vor (vgl. Adelung 4, S. 1673). 44,31 Chorkleid] Kleid eines Chorschülers (vgl. analog zu Chormantel, DWb 2, Sp. 618).
45,7 Grille] Einbildung (vgl. DWb 9, Sp. 323). 46,3 Rittersaal] Der historische Landgraf Heinrich I. ließ Ende des 13. Jhs. das Marburger Schloß zu einer fürstlichen Residenz ausbauen. Zur Erweiterung des Gebäudes um einen großen Nordflügel gehörte u. a. einer »der größten und eindrucksvollsten in Deutschland noch erhaltenen profanen gotischen Säle von 482 qm Fläche« (Christa Meiborg, Helmut Roth, Die Ausgrabungen auf dem Marburger Landgrafenschloß (1989/90), in: Hessen und Thüringen – Von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen. Marburg 1992, S. 47–48, hier S. 48). 46,14 Pfaffenherz] Im DWb wird ohne weitere Erl. zu Arnim als Belegstelle verwiesen (vgl. DWb 13, Sp. 1588). »Pfaffe« hat seit der Reformationszeit eine abwertende Bedeutung und kann auch die abgöttischen, heidnischen Priester bezeichnen (vgl. ebd., Sp. 1584–1585). Arnim könnte das Wort analog zu dem Ausdruck »Pfaffenfleisch« in Q 1.2, S. 543,10) geprägt haben. 47,29–31 Büchlein voll Gebete, 〈...〉 geschmückt,] Anspielung auf die illuminierten Gebetbücher des MA.s. 48,20–21 jüngst zur 〈...〉 Verpesteten] Q 1.2 berichtet im Kontext der OttoSchütz-Sage vom Ausbruch der Pest im Jahr 1347. Bei der als vnerhörte〈s〉 Weltsterben bezeichneten Seuche (Q 1.2, S. 543,19–20), der Tausende von Menschen zum Opfer fielen, kam laut Q 1.2 auch der junge Landgraf Heinrich von Hessen, der Bruder Ottos, ums Leben (vgl. ebd., S. 543,25–26; ebenso in Heinses Ritterroman thematisiert, vgl. Heinse 1792 II, S. 190–191). Der Ausbruch der großen Pest im Jahr 1346 ist historisch belegt.
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Erläuterungen
48,36–38 mit frecher 〈...〉 Einverständnis.] Das Motiv des verliebten Malers, der eine Madonna nach dem Vorbild seiner Angebeteten malt, findet sich bei Arnim in abgewandelter Form auch in den Kronenwächtern II (vgl. SW 16, S. 23) sowie in der Erzählung Raphael und seine Nachbarinnen: Endlich
fiel er darauf, sie als Madonna vorzustellen, gab ihr Benedettens Auge, Farbe und Haar, und erreichte einen Ausdruck, der von Allem, was er bei den Vorbildern gesehen, abwich, und doch daraus hervorgegangen schien (Arnim 1824, S. 161). Die »Vergötterung« und anbetende Verehrung der Geliebten begegnet auch in Werken anderer Romantiker und führt zu einer (scheinbaren) Aufwertung der Frau im romantischen Liebesdiskurs. Die Frau wird zur Priesterin und Mittlerin für den romantischen Künstler, der Gedanke an die Frau vermischt sich mit dem Gedanken an die Madonna (vgl. Kluckhohn 1933, S. 330). 49,10–36 dein Vater 〈...〉 genannt.] Ursprünglich wurde die Sage dem Landgrafen Ludwig IV. dem Eisernen von Thüringen zugeschrieben. Heinrich war »keineswegs ein harter und fühlloser Regent, vielmehr hatte ihm seine ungewöhnliche Riesenstärke den ehrenden Beinamen eingebracht« (Greber 1910, S. 5). Auf die Verwendung der Sage von Ludwig dem Eisernen und deren Übertragung auf Heinrich, Landgraf von Hessen, macht bereits Wolfram in seiner Rezension der
Schaubühne
1814 kritisch aufmerksam (vgl. RZ 6, S. 468,29ff.).
Die Sage über Ludwig von Thüringen läßt sich in Arnims Bibliothek in Melissan-
Das erneuerte Alterthum (Melissantes 1721, S. 418–419; Arnim-Bibl. Dieser Land-Graf Ludwig der Eiserne war vorher ein milder und gar zu gütiger Herr, dessen Milde und Gnade aber seine Beamten und Edelleute mißbrauchten und nach ihrem Gefallen lebten, die Unterthanen über Gebühr beschwereten. Da sich nun der Land-Graf obgedachter massen auff der Jagd verirrete und zu dem Schmidte in die Ruhl kam, bey welchem er sich vor einen Bedienten des Landgrafen ausgab und geherberget zu werden begehrete. Der Schmidt eröffnete ihm seine Meynung von dem Landgrafen und seinen Bedienten, wie greulich die Unterthanen mitgenommen würden, doch gab er ihm endlich das Quartier. Als aber der Schmidt, so vielmahl er das glüende Eisen schlug, zu jedem Schlage sagte: werde hart Land-Graf, werde hart; so nahm er dieses einfältigen Mannes Worte in acht, erkundigte den Zustand seines Landes, und wurde darüber seinem Adel und Beambten mehr als zu hart. Der Adel wolte sich wohl widersetzen, wurde aber bald gedemüthiget, und etliche davor in den Flug gespannet 〈...〉 (ebd., S. 418). tes’
B 347) nachweisen:
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Zu: Der Auerhahn
1812 erfuhr die Sage einen Nachdruck in Johann Gustav Gottlieb Büschings
Volks-Sagen, Märchen und Legenden (vgl. Büsching 1812, Nr. 42, S. 187– 188). In den Deutschen Sagen der Brüder Grimm von 1816/1818 wurde die Sage ebenfalls aufgenommen (Grimm 1818, Nr. 550, Der hart geschmiedete Landgraf, S. 333–335). Das Motiv des inkognito auftretenden Herrschers, der als unerkannter Beobachter über die Mißverhältnisse und Unterdrückungen seiner Untertanen aufgeklärt wird, begegnet auch im Hausmärchen in Arnims Kronenwächtern I, wo der König in Verkleidung in das Schloß eines seiner Grafen gelangt (vgl. Arnim 1817, S. 276–281). 49,11–12 Herrschaft in 〈...〉 hatte,] Der historische Heinrich II. von Hessen regierte ab dem Jahr 1328. 49,12–15 da täuschten ihn die Räthe 〈...〉 werden.] Hierin könnte evtl. eine Anspielung auf die Hardenbergschen Reformen gesehen werden, die Arnim u. a. in seinem Schattenspiel Das Loch satirisch angreift. 49,16 Waldschmidt] Die Schreibung »Schmidt« statt des heute geläufigen »Schmied« begegnet auch in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel und war um 1800 noch gebräuchlich. 49,29 schmirt dirs Maul 〈...〉 eignen Schmalz;] Vgl. die Redensart »Einem das Maul schmieren« (Wander 3, Sp. 516, Nr. 367). 49,30 der wische 〈...〉 Mund!] Vgl. die Redensart »Da mut he den Mund vör wischen« als Ausdruck des Unwillens oder wenn jemandem eine Situation oder ein Sachverhalt zu hoch erscheint (vgl. Wander 3, Sp. 775, Nr. 241). 50,8 Huldigung] Treuegelöbnis von seiten der Untertanen (vgl. Adelung 2, S. 1311; DWb 10, Sp. 1892). 50,34–35 frommes Herz 〈...〉 Gestirn,] Als Sprichwort weder bei Wander noch bei Röhrich zu ermitteln. 51,2 statt meiner Nadel, 〈...〉 üben.] Von Arnim auch in Die Päpstin Johanna gebrauchte Wendung. Dort sagt Johannes/Johanna über den als Frau verkleideten Pfalzgrafen: Diese Jungfrau wird wacker tyostiren / Den
Speer statt einer Nadel führen, / Wird sitzen auf einem edlen Thron 〈 ..〉 (SW 20, S. 336). 52,9–10 Noch heute will er 〈...〉 Hände] Ein weiteres Bsp. für Arnims Affinität zu paronomastischen Wortspielen: Hände-Verlobungsringe-Händeringen, vgl. für weitere Bspe. Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 52,12 schwindeln] Im Sinne von »Schwindel erwecken« (vgl. DWb 15, Sp. 2664–2665). 52,21–22 Unechte Kinder] »Unecht« hier im Sinne von »unehelich« (vgl. Adelung 4, S. 842; DWb 24, Sp. 445).
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Erläuterungen
52,33 wunderbar] Bei Adelung ein glimpflicher Ausdruck für das härtere seltsam (Adelung 4, S. 1622). In der Bedeutung von »wunderlich«, »geheimnisvoll« auch bei Goethe gebräuchlich (vgl. DWb 30, Sp. 1853–1854). 53,12–14 es deckt 〈...〉 scheint.] Die Konvention des ›Cross-dressing‹ wird von Arnim auch in anderen Dramen eingesetzt, vgl. u. a. die als Schmiedegeselle verkleidete Judith in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, der als Wöchnerin getarnte Warsch in Die Capitulation von Oggersheim oder Johannes/ Johanna und der Pfalzgraf Stephania in Die Päpstin Johanna. Das Spiel mit den Geschlechterrollen, theatralische und z. T. karnevaleske Maskierungen begegnen auch in Arnims narrativen Texten, so etwa in Die Verkleidungen des
französischen Hofmeisters und seines deutschen Zöglings, Die zerbrochene Postkutsche, Holländische Liebhabereien sowie in Die Kronenwächter II. Vgl. dazu Wingertszahn 1990, S. 372–376; Henckmann 1994; Funk 1995. 53,20–23 Wenn wir uns wiedersehn, 〈...〉 mieden.] Vgl. Joh 16, 22. 54,22 edlen Gang] Schichtweise Einlagerung des edlen Metalls im Gestein (vgl. Kluckhohn Kommentar 1938a, S.°286). 55,4 Affenliebe] Blinde Liebe, besonders in bezug auf die eigenen Kinder (vgl. DWb 1, Sp. 184). 55,12–13 tollen Dirne] »Dirne« hier noch im allgemeinen Sinn von »unverheiratete Frau«. 55,16 Sternen-Ritter] Eigtl. »Sternerbund«, ein hessischer Ritterbund, der sich auch »Gesellschaft« oder »Bund von Sternen« nannte und einen Stern als Erkennungszeichen aufwies. Die Mitglieder kämpften für die Unabhängigkeit des Adels gegenüber dem Landesherrn. Der Ritterbund wurde 1372 gegen den betagten Landgrafen Heinrich den Eisernen von Hessen und seinen Mitregenten Landgrafen Hermann den Gelehrten gestiftet. Als Thronanwärter favorisierten die Sternen-Ritter Heinrichs Enkel, Herzog Otto den Quaden (= den Bösen) von Braunschweig-Göttingen. 1373 schloß Hermann der Gelehrte eine Erbverbrüderung mit den thüringischen Landgrafen ab, die ihm daraufhin helfend zur Seite standen. Hessen litt unter den durch den Sternerbund entstandenen Fehden und Kriegszügen, die erst nach dem Tode Heinrichs des Eisernen 1376 endeten (vgl. Geschichte Thüringens, hg. v. Hans Patze, Walter Schlesinger. 2. Bd., 1. Teil: Hohes und spätes Mittelalter. Köln, Wien 1974, S. 110; 115–116). – Arnim könnte das in seiner Bibliothek nachweisbare historische Werk zu Hessens Geschichte von Johann Philipp Kuchenbecker (Arnim-Bibl. B 318) als Informationsquelle herangezogen haben: Landgraf Herman als er zum Regi-
ment kame / fand er nicht viel in seinen Aemtern und Schlössern / darum entsetzte er der Amt-Leute viel / machte geringe Kosten / daß 589
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er wiederum zu einem Vorrath kame. Da ward er verhaßt von der Ritterschafft / die schuben etzliche Knecht an gewaffen auf die Strassen / und wo sie in ein Land kamen / und darinnen nicht sonderlicher Widerstand war / unterstunden sich auch etzliche von der Ritterschafft / darnach Fürsten / Graffen und Herrn 〈...〉. Die Obersten des Bundes waren albereit eins worden / was jeglichem vom Land werden solte / und niemand dorffte sicher wandern im Lande / sie versprochen den frommen Fürsten / und nenneten ihn den blöden Hessen / hatten sich gleich gezeichnet / und trugen silbern Stern an ihren Bügeln hinden / nach dem Wappen ihres Hauptmanns von Ziegenhayn / und hierum hiessen sie die Sterner (Kuchenbecker 1730, S. 24–25). Auch Spangenberg verweist auf den Stern-Ritterorden in seinem AS (vgl. Spangenberg 1591, S. 346r). Die Thematisierung der Sternenritter in Arnims Stück greift den tatsächlichen historischen Ereignissen vor. Die Sternenritter werden auch in Friedrich Gustav Hagemanns Drama Otto der Schütz erwähnt, treten dort jedoch nicht als Figuren auf. 56,6 Wissender des Freigerichts] Schöffe des Femgerichts, der die Verpflichtung hat, Verbrechen anzuzeigen und zur gerichtlichen Verfolgung zu bringen, von denen er erfahren hat. Warum die Mitglieder des heimlichen Gerichts als »Wissende« bezeichnet werden, ist nicht geklärt – entweder weil ihnen die Geheimnisse des Gerichts bekannt waren oder weil ihnen als Wissende idealiter kein Verbrecher verborgen blieb. Bei Übertretung der Regeln erfolgte die Todesstrafe (vgl. Hütter 1793, S. 52). 56,25–26 doch muß 〈...〉 vertrauen.] Aus dem Gespräch zwischen Heinrich dem Eisernen und dem Kanzler in Akt III, Szene 8, wird deutlich, daß Homburg dies unterläßt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 117,30–118,13). 56,30 Schloßcaplan] 〈G〉eistlicher berater der schloßbewohner (DWb 15, Sp. 778). 56,34 Nach Cölln 〈...〉 Grab] Wallfahrten zum Kölner Dom, mit dessen Bau 1248 begonnen wurde, sind schon für das 13. Jh. belegt, wurden jedoch erst im 15. Jh. populär (vgl. Brückner 1981, S. 120). In den Kronenwächtern I erwähnt Arnim die Grabstätte, an der große Wunder (Arnim 1817, S. 27) geschehen. 56,37 Seelenmessen] Messe, die bei den Katholiken für einen Verstorbenen gesungen wird, um ihn aus dem Fegefeuer zu erlösen (vgl. DWb 16, Sp. 50). 57,29 Zauberkreisen] 〈Z〉aubrischer bann, der nicht durchbrochen oder übersprungen werden kann (DWb 31, Sp. 344). 57,33 Schwiegervaters] »Stiefvater« wäre eigtl. korrekt, wenn es sich um den Bauern Jost handelt, von dem vorher gesprochen wurde (vgl. in der vorlie-
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Erläuterungen
genden Ausgabe S. 27,25–26). Der Ausdruck »Schwiegervater« dient zur Bez. des Vaters der Ehefrau/des Ehemanns und hat keine weitere allgemeinere Bedeutung (vgl. DWb 15, Sp. 2615). Daß Franz verheiratet ist und von seinem Schwiegervater spricht, ist durch die Repliken des Dramas nicht zu belegen. 58,17 zerschroten] Im Sinne von »schroten« (Adelung 4, S. 1692). 58,25–26 Wer uns 〈...〉 Himmel.] Die Passage erinnert an Akt III, Szene 3 in Shakespeares Hamlet, wo Claudius im Gebet seine Sünden bereuen und Hamlet ihn ermorden will. In Hamlets Entschlossenheit zur Tat mischen sich Bedenken, die an Ottnits Replik erinnern: Ham. Now might I do it [pat], now ’a is
a-praying – / And now I’ll do’t [Draws his sword] and so ’a goes to heaven, / And so am I revenged ... That would be scanned: / A villain kills my father, and for that / I, his sole son, do this same villain send / To heaven... (Shakespeare Works, S. 1166; in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels: Jetzt könnt’ ichs thun, bequem: er ist im Bethen, / Jetzt will ichs thun – und so geht er gen Himmel, / Und so bin ich gerächt? Das hieß’: ein Bube / Ermordet meinen Vater, und dafür / Send’ ich, sein einz’ger Sohn, denselben Buben / Gen Himmel; – Shakespeares dramatische Werke, übersetzt von August Wilhelm Schlegel und Johann Joachim Eschenburg. 4. Bd. Hamlet. Wie es euch gefällt. Wien 1812, S. 106). 58,27 (richtet sich 〈...〉 spricht).] Das Motiv des sprechenden Toten begegnet häufig in Sage und Märchen. Vgl. u. a. auch das Wh–Lied II 289, Graf Friederich, V. 129–132. 58,33 seine Wege 〈...〉 Wort,] Vgl. Jes 2, 3; Mi 4, 2, in die Zukunft gerichtet, bezogen auf Gott. 58,35 ich habe 〈...〉 vernommen.] Vgl. Jer 23, 18, dort als Frage formuliert. 59,10 (Er und die Seinen] Mit Abschluß der ersten Handlung wird der Schauplatz von Marburg an den Rhein und nach Kleve verlegt. Franz und Albert treten nicht mehr auf, während Ottnit im weiteren Verlauf des Dramas eine tragende Rolle zukommt. Die den Brüdern gegenüber vorrangige Stellung Ottnits kündigt sich in dieser Inszenierungsanweisung bereits an. Clemens Brentano hat in seiner Besprechung des Auerhahns bedauert, von Franz und Albert
nichts mehr zu hören, und das ganze aus der vertrauten speziellen Marburger Lokalität wie einen Fluß austreten zu sehen (RZ 3, S. 464,27–30). 59,14 I.] Vgl. zu dieser Szene den handschriftlichen Entwurf Arnims, S. 339–341 sowie den Überblickskommentar, S. 564–566. 59,22 es war Gottes Arm,] In der Bibel wird der starke Arm Gottes häufig in dem Kontext genannt, daß Gott die Israeliten aus Ägypten herausgeführt habe, vgl. 5. Mo 4, 34; 5. Mo 5, 15; Jes 2, 3; Mi 4, 2; Jer 23, 18; Bar 2, 11; Apg 13, 17.
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59,22–24 lob’ ich 〈...〉 Gott] Vgl. die Ähnlichkeit des verwendeten Bildes mit Arnims Brief an BvA vom 11. Mai 1806 (FDH 7224): Meine Flinte bleibt
indessen mein kleiner Gott, mit silbernen Buchstaben auf braunem Grunde steht der berühmte Name Kuchenreuters darauf, ihr Styl ist vortrefflich, sie spricht bestimmt und leicht und treffend und versagt mir nie, so wenig sie mir verspricht, meinen Hut schmückt sie mit Federn. 59,30 Starkes Herz 〈...〉 frei,] Eine erste Fassung des Liedes findet sich in Arnims engl. Taschenbüchern (Heft III, S. 11; 8 Z.). Ricklefs stellt es in Zusammenhang mit Arnims Überfahrt nach England oder seiner ersten Seefahrt (Werke 5 Kommentar, S. 1130–1131). Die achtzeilige Fassung wird in dem Stück Markgraf Otto von Brandenburg (Februar 1805) verwendet. Für den Auerhahn wurde sie erweitert. Vgl. auch BvAs Brief vom 21. September 1825 an Arnim, in dem sie von Carl Klingemann berichtet, der dieses Lied vertont habe (vgl. RZ 11, S. 475).
60,16–18 Wie treu 〈...〉 hattest.] Das Motiv des Helden als Lebensretter der Geliebten, das u. a. in August von Kotzebues Schicksalsdramen häufig eine Rolle spielt, tritt hier bei der Personenkonstellation Bruder-Schwester auf (vgl. Körner 1912, S. 257). Bei Heinse und in anderen Überlieferungen der Sage ist Otto dagegen der Lebensretter Elisabeths (vgl. Heinse 1792 II, S. 173–175) oder aber ihres Vaters (vgl. Schneider 1779, S. 17; Schlicht 1782, S. 25). 60,18–20 kalte Flußweib 〈...〉 an.] Die Anspielung auf die Natur- und Elementargeister reiht sich in die Tradition von Volkssagen und Märchen ein, die von oft tragischen Begegnungen zwischen Nixen und Menschen erzählen. In den Kunstmärchen der Romantik spielen Nixen ebenfalls eine Rolle. Berühmtestes Beispiel ist hier wohl Friedrich de la Motte Fouque´s Undine (1811). In Arnims Werk läßt sich ebenfalls eine Affinität zur Elementen- und Wassersymbolik feststellen, die in Undinen, Nixen und Sirenen Gestalt annimmt (vgl. Ricklefs 1990, S. 87). 60,21–24 Du faselst 〈...〉 sonst!] Vgl. Pura in Die Appelmänner, die ebenfalls übernatürliche Phänomene wahrnimmt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 296,14–17). 61,30 Ich war geübt 〈...〉 Lanze,] In Q 1.1 und Q 1.2 begibt sich Otto, ausgerüstet mit zwey gute Roß und gute〈m〉 Harnisch (Q 1.1, S. 541,14–15) an den Klever Hof, in Q 1.2 begleitet von dreyen Dienern (Q 1.2, S. 543,12). In beiden Überlieferungen der Sage wird er vorher nicht zum Wilderer, da dies der damaligen Auffassung gemäß seinem adligen, ehrenhaften Stand nicht entsprochen hätte.
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Erläuterungen
62,6–7 um mir ein Reich zu gründen;] Der Wunsch, mit Otto in ein Reich zu ziehen, wird auch von Elisabeth in der III. Handlung geäußert, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 90,10–15. 62,13–14 so lauf ich 〈...〉 näher!] Wenn Arnim in seinen Anmerkungen zum Stück schreibt, es enthalte wenig Geschichtliches (in der vorliegenden Ausgabe S. 333,23), so könnte man für diese Passage des Dramas hinzufügen, daß es auch »wenig Geographisches« aufweist. Der Weg von Marburg nach Kleve an der Lahn und am Rhein entlang führt den Reisenden unweigerlich über Köln. Ottos Replik, er käme auf seinem Weg von Marburg Köln nicht näher, ignoriert die tatsächlichen topographischen Begebenheiten. 62,18–19 oder gar auf einen Hirsch 〈...〉 werden,] Bei dieser Anspielung wird auf einen alten Rechtsbrauch angespielt, Wilddiebe auf Hirsche zu schmieden und diese dann in den Wald zu jagen (vgl. HdA 4, Sp. 94). 62,36 Unbärtigkeit] Knabenhaftigkeit, Unreife (vgl. DWb 24, Sp. 250). 63,8 Ist es 〈...〉 Prasselfeuer,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 910. Anhand der überlieferten Handschrift können sowohl die Entstehung des Gedichtes als auch die erste Fassung nachvollzogen werden, vgl. S. 341,3–26. 63,34–35 pflücke Blumen. 〈...〉 Arbeit!] Evtl. Anspielung auf die im folgenden erzählte Sage über Die Braut Christi zu Groß-Wardein in Ungarn (vgl. S. 66,32–67,28), wo die Braut mit Christus Blumen pflückt. Otto ist eine kontrastiv zu Christus angelegte Figur. 64,2 Walpurgis] Die Figur mag der Hl. Walpurgis nachempfunden sein, die noch jung ihren Brüdern aus Irland nach Deutschland folgte und dort später Äbtissin wurde. Die Heilige ist u. a. Schützerin der Feldfrucht (vgl. HdA 9, Sp. 89). Bei Arnim trägt das Mädchen Walpurgis Sorge um die Feldblumen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 64,6). Die Hexen können in den Walpurgisnächten u. a. »kleine, dreieckige Spiegel von der Hl. Walpurgis verlangen, durch die man in die Zukunft blicken kann« (HdA 9, Sp. 86) – dies erinnert in gewisser Weise an Walpurgis’ Prophezeiungen in Arnims Drama. – Eine Ähnlichkeit der »religiös-mythische〈n〉 Gestalt« im Auerhahn (Ehrlich 1970, S. 226) mit dem Knaben Otto in Adolph Müllners Schuld wurde von Josef Körner festgestellt (Körner 1912, S. 257). Die Prophezeiung in Müllners Stück hat jedoch eine andere Funktion als die in Arnims Drama. In Müllners Trauerspiel sieht Otto im Traum seine Mutter und seinen Stiefvater heiter und verklärt, was zunächst auf einen guten Ausgang des Dramas hindeutet (vgl. Müllner 1816, S. 189–190). Der Traum bewahrheitet sich, jedoch anders, als Otto angenommen hat. Das Stück endet nicht mit einer harmonischen Lösung des Konflikts, sondern mit dem Doppelselbstmord des Stiefvaters und der Mutter, die mit sich verklärendem Blicke stirbt (ebd., S. 201). Während in Müllners Stück der Knabe zur
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Familie gehört, kommt Arnims Walpurgis von außen und bleibt unbestimmter; ihre Wahrsagungen sind konkreter gefaßt, realisieren sich explizit und präsentieren sich nicht als Traumbilder. 64,10 zweiten Schießtag.] Der hier erwähnte zweite Schießtag findet nicht statt, vmtl. deshalb, weil Otto bereits am ersten Tag den besten Schuß vollbringt. 64,19 Aelius Grazilis] Eigtl. Elius Gracilis (»gracilis«, lat.: schlank, dünn, schmächtig), gilt laut Q 1.3 als erster Graf zu Kleve, als der Clevischen Graffschaft Stammvater (vgl. Q 1.3, S. 547,63–65). In der GC wird die Schwanrittersage in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Die Chronik berichtet lediglich von der Hochzeit von Elius Gracilis und Beatrix sowie von seinen kriegerischen Erfolgen. – In der Verarbeitung des Stoffes gehört die Sage dem größeren Kreis der Mythen von der gestörten Mahrtenehe an, welche die geschlechtliche Verbindung zwischen einem Menschen und einem überirdischen Wesen thematisieren. Dadurch wird, ähnlich wie etwa in der Melusinen- oder Stauffenbergsage (vgl. dazu das von Arnim verfaßte Wh–Lied I 407, Ritter Peter von Stauffenberg und die Meerfeye), der Ursprung des mittelalterlichen Adelsgeschlechts mystifiziert und damit der Legitimitätsanspruch der adligen Familie durch Einbeziehung des metaphysischen Bereichs aufgewertet. In einigen Fassungen der Schwanrittersage, die durch die eheliche Verbindung des Klever Grafengeschlechts mit dem lotharingischen Herzoghause im 12. Jh. durch brabantischen Einfluß entstand (vgl. Albert K. Hömberg, Kleve, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Nordrhein-Westfalen, hg. v. Walther Zimmermann, Hugo Borger, Friedrich von Klocke, Johannes Bauermann. Stuttgart 1963, S. 345–348, hier S. 345), haben sich die Namen der Stammeltern erhalten, so etwa in dem der Sage als Vorgeschichte vorangestellten Märchen von den Schwanenkindern, wo sechs der sieben Kinder des Königs Oriant und der Nixe Beatrix durch die Großmutter in Schwäne verwandelt werden. Nur eines der Kinder, der Schwanritter Helias, dessen Name an »Elius« erinnert, behält seine menschliche Gestalt und kann im folgenden seine Geschwister erlösen. Auch in anderen Versionen der Sage taucht der Name Beatrix als der der Gattin des Schwanritters auf. – In einem Frühlingsspiel Arnims, das als älteste Fassung des Frühlingsfestes bewertet werden kann, tritt Elius Gracilis ebenfalls auf. Dort befreit er Beatrix von dem groben Ritter Kunz, vgl. Abdruck in: WAA 10, S. 449–456, hier S. 453. 64,22–24 Vor vielen 〈...〉 hergezogen,] In Die Päpstin Johanna verwendet Arnim ebenfalls das Bild des von Schwänen gezogenen Nachens, der Johanna und den Pfalzgrafen in einem inszenierten Traumspiel durch die Lüfte an den Rhein bringt (vgl. WAA 10, S. 273–274).
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Erläuterungen
64,29–30 da floh 〈...〉 hören.] In der Schwanrittersage wird ein anderer Grund für das Scheitern der Ehe angeführt: Da die Gemahlin des Ritters die vor der Hochzeit gestellte Bedingung, ihn nicht nach seiner Herkunft zu fragen, nicht einhält, verläßt er seine Familie und das Land auf seinem Nachen (vgl. Grimm 1816/1818 Nr. 312–314: Der Ritter mit dem Schwan, Das Schwanschiff am Rhein, Der Schwanritter). – Inspiration für die Veränderung der Sage mag Johann Praetorius’ Nacherzählung der Schwanrittersage gewesen sein (vgl. dazu den Überblickskommentar, S. 556–558). Dort verläßt der Ritter Frau und Kinder ohne Grund (vgl. Q 1.4, S. 547,11). – In einer ersten Fassung von Arnims Die Päpstin Johanna wird das Motiv des schreienden Kindes in ähnlicher Weise verwendet. Dort will Luzifer den weinenden Säugling Johanna wieder loswerden: Verflucht Geschrei, ich halt es nicht mehr aus, / Was ich gewünscht wird mir zum rechten Graus, 〈...〉 Es
schneidet mir der Ton im Eingeweide, / Ach wär ichs los, ich schrie noch mehr vor Freude (WAA 10, S. 342). 64,33 Schwanenthurm] Der 54 m hohe Schwanenturm, der seit dem 15. Jh. mit einem Schwan auf der Spitze gekrönte Burgfried der Schwanenburg von Kleve, erinnert noch heute an die sagenhafte Abstammung des Herzoggeschlechts. Die kupferne Wetterfahne war so konstruiert, daß bei Wind ein geisterhafter Schwanengesang ertönte, so daß sich als Bez. des Turms schnell der Name »Schwanenturm« etablierte (vgl. Gerard Lemmens, Die Schwanenburg Kleve. München, Berlin 1989, S. 10). – Arnim mag von der Existenz des Turmes durch Praetorius’ kurze Schwanritter-Erzählung gewußt haben (vgl. Q 1.4, S. 547,14–15). 65,1–2 ihm zum 〈...〉 geblieben,] In der Schwanrittersage nicht belegt. 65,6 lundisch] Eigtl. »lündisch«, aus London stammend (vgl. DWb 12, Sp. 1302). 65,7–9 die gnädige 〈...〉 bestanden.] In Schneiders Singspiel Otto der Schütz wird – wie auch in anderen dramatischen Bearbeitungen des 18. Jhs. – ein Ritterturnier zu Ehren Elisabeths abgehalten. Der Sieger soll ihr Bräutigam werden (vgl. z. B. Schneider 1779, S. 9; Schlicht 1782, S. 14). 65,18 Hiazinth] Der Name kann sowohl als Anspielung auf den antiken Mythos um den spartanischen Heros Hyacinthos als auch auf den Hl. Hyazinth gedacht sein, wobei sich eine stärkere Affinität zur antiken Gestalt feststellen läßt. In der gr. Mythologie wird der Königssohn Hyacinthos von Apollo und vom Wind Zephyr umworben. Zephyr tötet den Geliebten aus Eifersucht. Daraufhin verwandelt Apollo den toten Hyacinthos in eine Blume (vgl. Nitsch 1793, Sp. 1074–1075 sowie Arnims Sonett Apollo und Hiazint, Ricklefs 1980, Nr. 1113). Die Parallele zu diesem Mythos findet sich auf S. 97,27–98,20 der
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vorliegenden Ausgabe, als Otto den vermeintlichen Rivalen Hiazinth-Jutta aus Eifersucht umbringen will. Arnim gebraucht den Namen auch in Wh I 174, V. 45 in Anspielung auf den Dominikanermönch Hyazinth sowie im Drama Markgraf Carl Philipp von Brandenburg, wo ein Einsiedler Hyazinth heißt (vgl. SW 10, S. 59). 65,23 Schimpf] Veraltet für »Verspottung«, »Kränkung« (vgl. Adelung 3, S. 1471; DWb 15, Sp. 173). 66,3–4 eh du schlafen 〈...〉 sterben.] Diese Warnung bezieht sich auf die spätere Szene, in der Jutta von Otto bedroht wird, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 97,27–98,20. 66,18–22 Es ist ein gar verwirrt 〈...〉 Lügen.] Hier läßt sich eine Parallele zu Arnims Erzählung Die Kirchenordnung (1822) feststellen: Ich gehe ins ade-
lige Fräuleinstift, sagte Klelie trocken; die Ritter sind mir jetzt viel zu unritterlich, unartig und träge. Wenn ich so in den Büchern lese, wie es sonst gewesen, da gehen mir die Augen über; sie sind bald nicht mehr von den Großknechten zu unterscheiden, unsere jungen Ritter, und es thät Noth, daß man ihnen noch gute Worte gäbe, damit sie nur nicht neben einem in Gesellschaft einschlafen (Arnim 1822, S. 121). Eine ähnliche Scheu vor der Ehe begegnet auch bei Johanna in Die Päpstin Johanna. Die Kritik an den groben Rittern und das Lob der alten, besseren Zeit ist auch in dem Frühlingsspiel, aus dem das Frühlingsfest hervorging, zu finden, wo Beatrix mit dem groben Ritter Kunz konfrontiert wird, ehe sie durch Elius Gracilis gerettet wird (vgl. Ricklefs 1990, S. 221; Abdruck des Frühlingsspiels in WAA 10, S. 449–456). Das Motiv der Ehescheu findet sich jedoch auch noch in Das Frühlingsfest, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 134,33–38. 66,22–23 Im nächsten 〈...〉 gut.] Scherzhaft-kokettierend gemeint, was bereits durch den Diminutiv »Nönnchen« markiert ist, vgl. die Verwendung des Ausdrucks im Lied Klosterscheu im Wh I 32a, V. 5, worin jedoch der Verdruß darüber geäußert wird, ins Klosterleben eintreten zu müssen, obwohl die Frau bereit ist, Liebe zu empfinden. Historisch ist das Lied auf das Pestjahr 1348/ 1349 zu datieren, »das den Klöstern großen Zulauf brachte« (Rölleke Kommentar 1975, S. 101). – In Schneiders Singspiel Otto der Schütz bittet Elisabeth ihre Mutter, eine heil’ge Zelle aufsuchen zu dürfen, um der Ehe mit einem ungeliebten Ritter, dem Sieger des bevorstehenden Turniers, zu entgehen: Viel
lieber will ich ewig Jungfrau seyn, / und in des Klosters heiligen Mauren / mein junges Leben einsam vertrauren, / und stillen Todesbetrachtungen weih’n, / als einem Mann’ auf ewig mich verbinden, / und nicht mit ihm der Liebe Glück empfinden (vgl. Schneider 1779, S. 12). Auch hier ist die fehlende Liebe der Grund für die Ablehnung der Ehe.
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Erläuterungen
66,25–26 ich möchte 〈...〉 jung,)] Der Eintritt ins Noviziat, der mindestens ein Jahr lang dauernden Probe- und Einführungszeit ins Klosterleben, ist erst im Alter von 18 Jahren möglich. 66,27 St. Egidien] Von Arnim hinzugefügt; ein Kloster dieses Namens ist in der Umgebung Kleves nicht historisch belegt. 66,28 Weihe] Consecratio virginum: die Feier, in der sich eine Jungfrau Gott weiht und den Schleier wählt. 66,32–67,28 Braut in 〈...〉 Erden.] Arnim hat die Sage in Liedform mit anderem Ende im Wh I 64 unter dem Titel Die Eile der Zeit in Gott aufgenommen (vgl. Schier Kommentar, S. 469). Die Sage läßt sich als Gedicht mit dem Titel Die Braut Christi zu Groß-Wardein in Ungarn auch in Johann Gustav Büschings Volks-Sagen, Märchen und Legenden nachweisen (vgl. Büsching 1812, Nr. 31, S. 163–167). In Büschings Gedicht trifft die Braut Theresia, Tochter des Kommandanten der Stadt, die sich gegen den Willen ihrer Eltern dem Himmel geweiht hat, auf Jesus, mit dem sie verliebt Blumen bricht und der sie in den Garten seines Vaters führt. Nach 120 Jahren kehrt sie zurück in ihre Heimatstadt und stirbt nach dem Empfang der Heiligen Sakramente eines seligen Todes. Büsching weist in seinen Anmerkungen im Anhang auf die vielfältige Tradition der Sage hin, die in ihren Varianten immer wieder von Personen berichtet, die an himmlischen Orten 〈...〉 nur Stunden lang verweilen
glauben und dennoch Jahre, ja oft Jahrhunderte lang, sich aufhalten und dan〈n〉 mit einemmale in die ihnen ganz fremd gewordene Welt zurückkehren (ebd., S. 438). In diesem Zusammenhang wird auch Arnims Wh–Lied erwähnt (vgl. ebd., S. 439). – Die Parallele zwischen der Sage und Elisabeths eigenem Schicksal erschließt sich erst im weiteren Verlauf der Handlung. Auch ihre Hochzeit steht – ihr selbst noch nicht bewußt – unmittelbar bevor. Die Verbindung mit dem irdischen Bräutigam schlägt fehl; als Nonne ist sie dem »himmlischen Bräutigam« verbunden (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 109,34–36). – Das Motiv des Seelenbräutigams begegnet auch im Wh–Lied I 15, Des Sultans Töchterlein und der Meister der Blumen. 67,23 zerfällt gleich 〈...〉 Asche.] Die von Arnim hinzugefügte Beschreibung des Zerfalls des Körpers erinnert an die in der Romantik weitläufig bekannte Erzählung vom Bergmann zu Falun, der bei einem Bergunglück verschüttet, durch Eisenvitriol konserviert und fünfzig Jahre später entdeckt wurde. Nach seiner Bergung zerfiel 〈...〉 jener merkwürdige Leichnam 〈...〉 in eine Art von Asche (Gotthilf Heinrich von Schubert, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden 1808, S. 215). Arnim bearbeitet den Stoff in seiner Romanze Des ersten Bergmanns ewige Jugend (vgl. Ricklefs 1980, Nr. 482), die in mehreren Fassungen vorliegt und u. a. in die Gräfin Dolores integriert
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wurde (Arnim 1810 II, S. 336–342). Arnim wandelt die Geschichte gegenüber der historischen Vorlage um: In seinem Gedicht wird die Braut nach dem Verschwinden ihres Geliebten eine Nonne, die den zur Statue erstarrten Bräutigam zu sich nehmen darf. 68,4 euch nah verwandt,] Von Arnim hinzugefügt. 68,23 Martha] Im N.T. ist Marta die Schwester Marias und des Lazarus, die sich als Dienerin um das leibliche Wohl Jesu kümmert, vgl. Luk 10, 40. Evtl. mag der biblische Hintergrund Anlaß für die Verwendung dieses Namens gewesen sein. In Arnims Erzählung Martin Martir übernimmt eine Figur mit dem Namen Martha Greifenklau ebenfalls dienende Funktion als Haushälterin Martin Martirs. 68,25 vor drei Jahrhunderten] Diese Zeitangabe würde sich auf das Jahr 1000 beziehen. In Q 1.3 wird davon berichtet, daß Beatrix, die Gattin des ersten Grafen von Kleve, vmb das Jahr Christi 711 (Q 1.3, S. 546,44–45) gelebt habe. 69,14 Corvey] Mönchskloster Corvey, 815/816 errichtet; Das Kloster erlangte im 9. Jh. große wirtschaftliche, kulturelle und kirchliche Bedeutung. Die hauptsächlich vom sächsischen Adel getragene Gemeinschaft wurde zur bedeutendsten Pflegestätte der westfränkisch-karolinischen Kultur in Sachsen. Mit dem 10. Jh. hörten die Beziehungen zur westfränkischen Kultur auf. Im späteren MA., also in der Zeit, in der die Handlung des Dramas situiert ist, sank die Abtei zur Bedeutungslosigkeit herab (vgl. Wolfgang Leesch, Corvey, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Nordrhein-Westfalen, hg. v. Walther Zimmermann, Hugo Borger, Friedrich von Klocke, Johannes Bauermann. Stuttgart 1963, S. 129–132). 69,25–26 schreit kein 〈...〉 hinein,] Vgl. die Redensarten »Ein Loch durch den Himmel bohren« bzw. »Ein Loch in den Himmel beissen« (Wander 3, Sp. 217, Nr. 106, 109) zur Bez. eines Menschen, der hochmütig ist. 69,31 erste] Hier im Sinne von »der vorzüglichste, beste« (vgl. DWb 3, Sp. 1001). 70,5 Kernschuß] Schuß in gerader Richtung auf ein Ziel (im Gegensatz zum Bogenschuß; vgl. Adelung 2, S. 1556; DWb 11, Sp. 611). In einer Hessischen Chronik aus dem Jahr 1855 ist zu Ottos Geschicklichkeit im Schießen folgendes zu lesen: »Otto war ein kriegerischer Fürst, und mag besonders mit seiner (noch jetzt vorhandenen) Armbrust gut umzugehen gewußt haben« (Hessische Chronik 1855, S. 9). 70,6–7 Da kleines Bübchen 〈...〉 vergißt,] Mit dieser Ohrfeige wird auf einen alten Rechtsbrauch angespielt, der bei Vertragsabschlüssen, beim Festsetzen von Grenzzeichen etc. angewendet wurde. Zu diesem Zweck wurden Knaben
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Erläuterungen
als Zeugen hinzugezogen, denen man zur Erinnerung und zur Unterstreichung des Bedeutsamen der Handlung eine Ohrfeige gab (vgl. die Redensart »sich etwas hinter die Ohren schreiben«, Röhrich 2, S. 1114). 70,28–31 hat er 〈...〉 Sold?] In Q 1.1 verdingt sich Otto beim Herzog von Kleve, ohne vorher an einem Ehrenschießen teilgenommen zu haben. Der Herzog nimmt ihn auf, weil er eine feine gerade starcke Person war (vgl. Q 1.1, S. 541,17–18). Auch in Q 1.2 wird Otto unter der Begründung in den Dienst des Klever Grafen genommen, daß er ein guter Bogenschütz / auch ein schöner gerader Jüngling sei (Q 1.2, S. 543,14). 71,17 Stecher] Die an einer Kugelbüchse angebrachte Zunge unter dem Schlosse, womit man die Büchse abdruckt (Adelung 4, S. 318). 71,30 ich setz ihn 〈...〉 Schützen.] In Q 1.1 und Q 1.2 sowie in anderen Überlieferungen der Sage wird Otto ebenfalls vom Grafen bevorzugt (vgl. Q 1.1, S. 541,19–20; Q 1.2, S. 543,31–34). 72,30–31 um solchen Kranz 〈...〉 Grab gewallt;] Das Pilgern zum Hl. Grab, dem Mittelpunkt der Erde (Arnim 1811, S. 436), bildet v. a. im zweiten Teil von Arnims Stück Halle und Jerusalem das zentrale Thema. 73,11 verzogen] In der Bedeutung von »eigensinnig« (vgl. Adelung 4, S. 1188), dreist, anmaßend (DWb 25, Sp. 2613). 73,26 wie der Vampir 〈...〉 entsaugt,] Der Begriff »Vampir« etabliert sich im Deutschsprachigen bereits im frühen 18. Jh. (vgl. Adelung 4, S. 975; DWb 25, Sp. 10). 73,32–34 Geweb von Perlen 〈...〉 Himmelreich.] Vgl. die in der vorliegenden Ausgabe auf S. 66,32–67,28 erzählte Sage von der Braut im Himmelreich, wo jede Blume hell aus Edelsteinen 〈...〉 verbunden war (S. 67,1–2). 74,13 verschienen] verblichen, schadhaft (DWb 25, Sp. 1064; vgl. Adelung 4, S. 1116). 74,20–21 Wer denkt 〈...〉 Sorgen.] Vgl. Mt 6, 34. In Arnims Erzählung Martin Martir in abgewandelter Form: jeder Tag hat seine Freuden und seine Sorgen (SW 4, S. 130). 74,29 Ich soll ihr Vögel fangen.] Arnim erwähnt die Vogelstellerei auch in anderen Werken, u. a. in den Kronenwächtern II (SW 16, S. 91). Arnim selbst war ein begeisterter Vogeljäger, der in einem Brief vom 11. Mai 1806 an BvA berichtet, daß er täglich auf Vogelfang unterwegs sei (vgl. FDH 7224 sowie Erl. zu S. 59,22–24). 74,31 Da drüben 〈...〉 Fang,] Die Stelle erinnert an Papageno aus Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel Die Zauberflöte (Libretto: Emanuel Schikaneder), in dessen Arie Der Vogelfänger bin ich ja seine Suche nach einer Frau ebenfalls mit der Vogelstellerei verglichen wird.
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74,34–75,4 Ich Ihres Gleichen? 〈...〉 achten.] Ein ähnlicher Monolog, in dem sich Ottos Konflikt offenbart, begegnet in Schneiders Singspiel Otto der Schütz: Otto (allein.) 〈...〉 Was säum’ ich noch, es ihr, es ihrem Vater, /
es ihren Räubern kund zu thun, / daß ich ein Fürst, wie sie, und würdig bin, / Trotz ihnen, in Turnier um diesen Preiß / zu kämpfen? / Ein Fürst? Elender! du? – / Verstoßner Flüchtling! du? – / (Schneider 1779, S. 24; im Wortlaut nur leicht variiert bei Schlicht 1782, S. 37). 75,6–7 Adler, die 〈...〉 verkünden.] In antiker Vorstellung war der Adler, der Vogel des Zeus bzw. Jupiters, ein Orakeltier. Es existieren zahlreiche Sagen, in denen davon berichtet wird, daß sich bei der Geburt eines großen Herrschers ein Adler auf dem Dach des Hauses niedergelassen habe (vgl. HdA 1, Sp. 187). 75,15 Laß los 〈...〉 Welt,] Zu diesem Lied liegen keine weiteren Fassungen vor (vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1003). 75,26–27 Trost der Einsamkeit,] Der Ausdruck erinnert an die von Arnim und Clemens Brentano unter dem Titel Tröst-Einsamkeit 1808 veröffentlichte Sammlung der zuvor in der ZfE erschienenen Aufsätze und Beiträge. In einem Brief an Wilhelm Grimm vom 4. Juni 1827 erklärt Arnim den Zusammenhang zwischen den beiden Nomen, die er zu einem Kompositum verschmolz (SPK, Nachlaß Grimm, 647/II): Trösteinsamkeit, 〈...〉 ist freilich ein Wort, das ich
erfunden habe, aber Tausende verstehen die Sache besser als ich, der statt ihrer das Wort nur finden konnte. Ich suche die Einsamkeit mit aller ihrer Sehnsucht, aber selten finde ich in ihr, was mich trösten kann. 76,8 Finke] Gebräuchliche Bez. für das Vogelweibchen, bei Arnim mit maskulinem Artikel, also für den männlichen Vogel, verwendet (vgl. DWb 3, Sp. 1663). 76,10–14 Gebt her, 〈...〉 und sing?] Die Allegorisierung des Vogels ist ein weit verbreitetes Motiv im romantischen Liebesdiskurs (vgl. Erl. zu S. 39,32). 76,20 Bolzen] Ein vorne zugespitzter, hinten gefiederter Pfeil, der von der Armbrust geschossen wird (vgl. Adelung 1, S. 1122; DWb 2, Sp. 234). 76,21 Was auf 〈...〉 schwebt,] Die Strophen stellen eine Variante der vier Anfangszeilen des Gedichts Der Jäger dar (Druckvorlage: H im 2. Gedichttaschenbuch (Pergamentbd. II, Nr. 59 – 1806/1807; vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1549)). Vgl. außerdem ebd., Nr. 1351: Sing Vöglein, das den Zweig bewacht aus der Gräfin Dolores (vgl. Arnim 1810 II, S. 402–403), das Arnim am 14. Februar 1810 aus Berlin an BvA nach Landshut mit der Bitte um Vertonung sandte (vgl. FDH 7317). 76,29 Ach wär 〈...〉 zart!] Die erste Verszeile des Liedes Wenn ich ein Vöglein wär aus Herders Der Flug der Liebe (im Wh I 231 unter dem Titel
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Erläuterungen
Wenn ich ein Vöglein wär
abgedruckt) war sprichwortartig verbreitet und wurde im romantischen Liebesdiskurs immer wieder verwendet, war aber auch im 16. Jh. bei Jacob Ayrer geläufig, vgl.: wolt gott, ich wer ein vögelein, / so könt ich öffter bey dir sein (vgl. DWb 26, Sp. 434; zur Wirkung des Liedes durch das Wh vgl. Rölleke Kommentar 1975, S. 399–400). Im Wh I 363 wird das Bild ebenfalls gebraucht, V. 17–20: Wollt Gott, ich wär
ein kleins Vögelein / Waldvöglein klein, / Zur Lieben wollt ich mich schwingen, / Ins Fenster springen. Arnim verwendet das Sprachbild auch in einem Brief an BvA vom 22. Dezember 1809, Berlin, nach Landshut, während er die von Ludwig Emil Grimm angefertigte Radierung, eine Abbildung BvAs, auf dem sie Arnims Wintergarten in Händen hält, kritisiert: allenfalls hätte er auch einen Vogel malen können, der Dir eben ins Fenster flöge – und das wäre ich (FDH 7314; 22/3–6). 77,26 daß du 〈...〉 Jäger,] Die Quellen zur Otto-Schütz-Sage aus dem 17. Jh. sparen das Thema Liebe gänzlich aus. Erst in den Dramen am Ende des 18. Jhs. sowie in Heinses Ritterroman wird die heimliche Liebe zwischen Otto und Elisabeth über die (angeblichen) Standesschranken hinaus thematisiert.
78,6–10 Es ist ein wunderliches 〈...〉 kann.] Der Würfel als Metapher für das willkürliche Schicksal wird von Arnim auch in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel sowie in Das Loch verwendet; vgl. ebenso das Lied Das Schicksal als Dichter in Ariel’s Offenbarungen, 1. Buch: Es liegt der Würfel auf dem Tische, / Für Lust und Trauer gleich gestellt; (Ludwig Achim von Arnim, Ariel’s Offenbarungen. Roman. Göttingen 1804, S. 187; Arnim-Bibl. B 1182). In einem Brief vom 4. Mai 1809 an BvA schreibt Arnim mit Bezug auf die zeitlichen Umstände: Da sind die Würfel fürchterlich ge-
flogen, und mancher Würfelbecher ist zersprungen, aber das Spiel ist nicht zu Ende, und wer am wenigsten mehr zu verlieren hat, mag das am wenigsten bewahren (FDH 7299). 78,18–19 Pilgerin mit 〈...〉 Geissel).] In dieser Szene erinnert Walpurgis an den »kleinen Buben« in Arnims Drama Halle und Jerusalem, der in Anlehnung an Christus, mit einem Kreuz beladen, Ahasverus, Cardenio und Celinde auf dem Weg zum Hl. Grab begleitet, um dann den Platz eines eben verstorbenen Einsiedlers einzunehmen. In Walpurgis und diesem Buben verkörpern sich Unschuld, die Wandlung zu tiefem Glauben (Arnim 1811, S. 358–359; 367) und eine Affinität zum Wunder (Wahrsagefähigkeit bei Walpurgis, wunderbare Errettung des Buben aus dem Meer; vgl. ebd., S. 357).
78,24–25 ich seh 〈...〉 Garten.] Diese Prophezeiung erfüllt sich in IV, 9, in der vorliegenden Ausgabe S. 123,20.
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78,31 Thut Buße,] Vgl. Apg 2, 38; 3, 19; 8, 22. 79,20–22 Erst jetzt tritt 〈...〉 nicht,] In Q 1.1 wird Otto von Homberg schon erkannt, als er in den Klever Hof einreitet (vgl. Q 1.1, S. 542,27–28), Q 1.2 läßt unbestimmte Zeit verstreichen, bis sich die beiden begegnen (vgl. Q 1.2, S. 544,47–48). 79,22–23 verlornen einz’gen Sohn] Eine Anspielung auf das biblische Gleichnis Vom verlorenen Sohn (Luk 15, 11–32) begegnet auch in Jann’s erster Dienst (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 6,8–9 und Erl. zu S. 6,8–9) sowie in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 237,27 und Erl. zu S. 237,27). 79,35 Liebe will 〈...〉 Stande,] Vgl. Erl. zu S. 77,26. 80,21 Nebenmenschen] Synonym für »Mitmenschen«, »die Nächsten«; von Arnim wird das Wort v. a. in seinen Schriften aus der Schüler- und Jugendzeit gebraucht. 80,28–29 sah von 〈...〉 niederfielet,] In Q 1.1 und Q 1.2 wird ebenfalls berichtet, daß der Herzog/Graf die Szene vom Fenster aus beobachtet und anschließend Homberg/Homburg zur Rede stellt (vgl. Q 1.1, S. 542,29–33; Q 1.2, S. 544,52–58). 80,36 laß den Goldring ...〉 fallen.] Beliebtes Märchenmotiv. 81,3–4 Ring mir 〈...〉 versöhnet.] Von Arnim hinzugefügt. In Q 1.1 und Q 1.2 sowie in anderen Überlieferungen der Sage will Homburg auf seiner Wallfahrt nach Aachen seinem ehemaligen Herrn, dem Herzog/Graf von Kleve, einen Besuch abstatten und macht bewußt den Umweg über Kleve (vgl. Q 1.1, S. 542,23–27; Q 1.2, S. 544,44–46). 81,28 so leb 〈...〉 umsonst.] Kontrast zu Heinrichs Replik: So leb ich ganz umsonst (in der vorliegenden Ausgabe S. 107,20; vgl. Erl. zu S. 107,20). 81,31–34 Verzeihet ihm, 〈...〉 Tochter,] Q 1.1 hebt die Rolle Homburgs für die weitere Entwicklung ebenfalls hervor. Dort ergreift er gezielt für Otto Partei (vgl. Q 1.1, S. 542,49–51). In Q 1.2 beschließt der Klever Herzog erst nach Homburgs Abreise für sich, Otto mit seiner Tochter zu vermählen (vgl. Q 1.2, S. 544,74–545,77). 82,16 Zeisig] 〈V〉erschlagener, leichtfertiger Mensch (Adelung 4, S. 1675). Im DWb nur in Verbindung »lockrer Zeisig« als beliebter Ausdruck angeführt für jemand, der ein verschwenderisches und sittlich loses leben führt (DWb 31, Sp. 520). 82,27 nahen Dorfe Löwen] Von Arnim hinzugefügt; ein Ort dieses Namens ist in der Umgebung Kleves historisch nicht belegt. 83,4–7 Ich habe Gott 〈...〉 haben.] In Q 1.2 gibt der Klever Graf Homburg einen Diener zur Beendigung seiner Wallfahrt mit (vgl. Q 1.2, S. 544,74). Q 1.1 liefert hierzu keine Informationen.
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Erläuterungen
83,17 große Jäger] Allegorie für den Tod, bereits im MA. belegt (vgl. HdA 8, Sp. 977). 84,15–16 an dem eigenen 〈...〉 feiern.] Von Arnim hinzugefügt. 84,22 Besorgen?] Ähnlich wie bei dem Wort »Ahnden« (vgl. Erl. zu S. 29,17) wird »Besorgen« zu Arnims Zeit in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet, zum einen als (1) »etwas erledigen, beschaffen«, zum anderen als (2) sorge, angst um etwas haben (DWb 1, Sp. 1635). 84,30 Seidenschwänze] Etwa 18 cm langer kurzbeiniger Singvogel mit seidenweichem Gefieder und Federhaube, mit roten Hornplättchen an den Armschwingen. Das Gefieder ist schwarz, am Schwanz auch gelb (vgl. Zedler 36, Sp. 1431). 84,34 gefalzt] Bez. für das Balzen des Auerhahns (vgl. DWb 3, Sp. 1304). 85,3–4 Nichts verliebters 〈...〉 Welt,] Während der Balzzeit versammeln sich die Hähne zur Baumbalz. Am Morgen kehren sie zurück auf den Boden und stoßen Schreie in einer eigentümlichen Lautfolge aus. Adelung beschreibt dies als durchdringend〈...〉 kollernde〈s〉 Geschreye (Adelung 1, S. 467). In Arnims als Fragment überliefertem Liederspiel Roar und die schwärmenden Schäfer wird der Ruf des Auerhahns in einem Monolog Delilas, die nachts aus dem Haus, in dem sie von ihrem Vater eingeschlossen ist, auf einen Baum geklettert ist, ebenfalls thematisiert: Der Auerhahn, der seine Sehnsucht seufzt, er-
weckt mich wieder, ich bin ein furchtsam Mädchen und liebe nicht, wie er jezt lockt mit gleichgemessnem Ruf, der aus des Herzens Schlägen dringt, der Vater hat mir einst erzählt, daß er sich so in diesen Liebesruf verliert, daß sich der Jäger, wenn seine Schrit den gleichen Takt nur hält, sich unbemerkt dem Baume nahen kann, der seiner Sehnsucht Morgen? O wär ich die Geliebte, ich wollte mich ihm unbemerkt gleich einem Jäger nahen und wenn er Morgens sehnlich nach mir umgeblickt, da ständ ich unter ihm und könnte ihm kaum näher seyn (GSA 03/21, Bl. 182). 85,11–12 und nichts 〈...〉 vermählen.] Vgl. Schneiders Singspiel Otto der Schütz, in dem Elisabeth durch ein Turnier mit dem besten Ritter vermählt werden soll. Der Graf von Kleve teilt dies Otto mit folgenden Worten mit: noch hab’ ich dirs nicht offenbar’t, / daß diese meine Tochter eine Braut / noch heute werden soll (Schneider 1779, S. 21). Der dadurch eintretende Konflikt Ottos dient sowohl bei Schneider als auch bei Arnim zum Aufbau der Spannung und löst im folgenden die Peripetie aus. In Q 1.2 verschweigt der Klever Fürst ebenfalls zunächst die wahren Beweggründe seiner Heiratspläne in bezug auf die Tochter (vgl. Q 1.2, S. 545,76–79).
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85,17 Den Schlag, 〈...〉 empfangen,] Vgl. Schneiders Singspiel Otto der Schütz, in dem Otto in ähnlicher Wortwahl auf die Nachricht der bevorstehenden Hochzeit Elisabeths reagiert: Otto (allein.) Ha! Welch eine Nachricht! / So nah’ der Schlag? der langgefürchtete, / der letzte meines Missgeschicks? In Schneiders Stück entschließt sich Otto daraufhin, Elisabeth seine Liebe zu gestehen (Schneider 1779, S. 23). 86,12–19 Du warst wohl nie verliebt 〈...〉 Nacht,] Im romantischen Liebesdiskurs wird die Nacht als die Zeit der Liebenden verherrlicht, wobei wohl als die berühmtesten Bspe. Friedrich Schlegels Lucinde und Novalis’ Hymnen an die Nacht genannt werden können. Auch in Arnims Werk begegnet die Verbindung von ›Nacht‹ und ›Liebenden‹ häufig, vgl. z. B. das Drama Markgraf Carl Philipp von Brandenburg: Oft fragte ich, wozu die Nacht geschaffen, / Die Liebe ists, die mir heut Antwort giebt (SW 10, S. 97). 87,8 Wie verwundern 〈...〉 Stunden,] Zu diesem Lied lassen sich keine weiteren Fassungen nachweisen (vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1764).
Ein herrliches Tuch.] Das Lob der weiblichen Handarbeit findet sich an Die Vertreibung der Spanier (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 178,29) und in den Kronenwächtern II (vgl. SW 16, S. 91). – Motivisch erinnert das Tuch in Verbindung mit
88,3
vielen anderen Stellen in Arnims Werk, so z. B. in
dem Namen Hubertus an eine Heiligenlegende, in der Hubertus bei seiner Weihung zum Bischof von der Mutter Gottes eine Stola geschenkt bekommt, die sehr kunstvoll gewebt ist (vgl. P. Dionysius von Lützenburg, Martin von Cochem, Verbesserte Legend der Heiligen, Das ist: Eine schöne, klare und anmüthige Beschreibung des Lebens / Leydens und Sterbens / Von Den lieben Heiligen Gottes, / Auf alle und jede Täg des gantzen Jahrs. München, Mündelheim 1755, S. 1079; Arnim-Bibl. B 2041).
88,3–7 Braut bei uns 〈...〉 gewebt.] Die Quelle dieser Erzählung ließ sich nicht ermitteln. Motivisch ähnelt sie der in Johann Peter Hebels Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds veröffentlichten Erzählung über den Bergmann aus Falun mit dem Titel Unverhofftes Wiedersehen (vgl. zur vielfältigen Bearbeitung des Stoffes Erl. zu S. 67,23). Dort fertigt die Braut ein Halstuch für den Bräutigam an, das sie ihm erst 50 Jahre später, anläßlich seiner Beerdigung, umlegen kann (Hebel 1811, S. 292–294. In Arnims Ex. des Schatzkästlein fehlt die Geschichte; das Buch endet mit S. 286; Arnim-Bibl. B 1255). 88,10–12 wir wären 〈...〉 hielt,] Die hier entworfene märchenhafte Szenerie erinnert an das Märchen Rapunzel, in dem das schöne Mädchen von einer Fee in einen Turm gesperrt wird (vgl. KHM 1812, Nr. 12, S. 38–43). 88,18 einzig] unvergleichlich (vgl. DWb 3, Sp. 356).
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Erläuterungen
89,11–12 was du nicht weißt, 〈...〉 heiß,] Sprichwort (vgl. Wander 5, Sp. 297, Nr. 204). 89,29–30 Ein ganz gemeiner 〈...〉 Vater,] Der Standesdünkel, der gegen die Hochzeit zwischen adligem Fräulein und »gemeinem« Schützen spricht, wird in den Ritterdramen über die Otto-Schütz-Sage ausführlich thematisiert. In Q 1.2 sind sowohl Elisabeth als auch ihre Mutter bestürzt, nachdem der Graf von Kleve ihnen mitgeteilt hat, Elisabeth solle den (vermeintlich) unadligen Schützen heiraten (vgl. Q 1.2, S. 545,77–78). Hinzu kommen die Zweifel der Ständeversammlung. Die Bedenken werden bei Arnim stellvertretend von Jutta geäußert, die hier die freundschaftlich-beratende Funktion der Vertrauten übernimmt. 90,4 kahlen Scheitel] In gehobener Sprache kann »Scheitel« auch den Kopf bezeichnen (vgl. Adelung 3, S. 1405; DWb 14, Sp. 2476). 90,21 Grasemücken] Graue Singvögel, Baumnachtigall (vgl. Adelung 2, S. 783; DWb 8, Sp. 1990). 90,31 Wär mirs 〈...〉 geschrieben,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1523. Eine erste Fassung (Die heimligste Heimat) findet sich im ersten Gedichttaschenbuch (Pergamentbd. I, Nr. 69, Frühjahr 1805; vgl. Werke 5 Kommentar, S. 1149). Die vier von dieser Fassung abweichenden Schlußzeilen des im Auerhahn vorliegenden Gedichtes sind laut Ricklefs später hinzugekommen (vgl. ebd., S. 1149). Mit geringen Varianten wurde das Lied auch in Dichtung in Bildern (1808) verwendet (Druck in: Herbert P. Liedke, Vorstudien Achim von Arnims zur »Gräfin Dolores«. Dritter Teil: Die Handschrift »Dichtung in Bildern«. Fragment aus einem Druckmanuskript der »Gräfin Dolores«, in: JbFDH 1966, S. 229–308, hier S. 242). 91,6–7 Ja der Herr verläßt 〈...〉 Seinen.] Vgl. die Redewendung »Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe« (Röhrich 3, S. 1347). 91,10–12 Wir schlafen 〈...〉 mich!] Die homoerotische Szene zwischen Jutta und Elisabeth gelangt hier zu ihrem Höhepunkt und ist Voraussetzung für die in der vorliegenden Ausgabe ab Szene VII einsetzende Peripetie, die in Verbindung mit einer Anagnorisis-Szene steht, wie es Aristoteles in seiner Poetik als ideal für die Tragödie beschrieb. Die Darstellung von erotisierter Frauenfreundschaft fußt auf keiner so weitreichenden literarischen Tradition wie die Schilderung der Freundschaft zwischen Männern/Männerbünde, die auf zahlreiche historische und mythologische Bspe. zurückgreifen kann (vgl. Becker-Cantarino 2003, S. 240). Barbara Becker-Cantarino sieht die erotisierte Freundschaft allgemein als »Signum der Romantik 〈...〉, besonders der schreibenden oder in literarischen Zirkeln lebenden jungen Frauen (und Männer) in der Generation der Romantiker, der etwa zwischen 1765 und 1785 geborenen Generation der Literaten« (ebd., S. 245). Die Darstellung der sich küssenden Frauen auf der Bühne kann
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als Novum mit provozierendem Potential für die zeitgenössischen Leser/(potentiellen) Zuschauer bewertet werden. 91,30–31 Ritterbund bekämpft, 〈...〉 nicht.] Vgl. Erl. zu S. 55,16. 91,36 Kapelle] Der Schrein der Hl. Elisabeth befindet sich in einem sogenannten Tresor, der aus einem kunstvoll gearbeiteten Eisengitter mit bemalten Figuren besteht (1. Hälfte des 14. Jhs.; vgl. Richard Hamann, Die Elisabethkirche zu Marburg. Mit 80 Abbildungen. Burg bei Magdeburg 1938, S. 46). 91,36–92,7 Ein wunderbarer 〈...〉 gemalt.] Die Vision zwischen Traum und Wirklichkeit ähnelt Bertholds Begegnung mit Barbarossa in den Kronenwächtern I (vgl. Arnim 1817, S. 38; 54): Es that ihm 〈Berthold〉 leid, daß der Alte 〈Barbarossa〉 ihn nicht wieder besuchte und daß er die Kapelle der
heiligen drei Könige nicht wieder finden konnte, allmählig schien es ihm sogar, als sei er etwas eingeschlafen gewesen und ein Traum habe ihn getäuscht, denn die schmerzliche Wirklichkeit von Martins Tode hatte jene Anschauungen in Schatten gestellt (Arnim 1817, S. 48). Ein ähnliches Motiv findet sich auch in Wh II 319, Tragödie (V. 141–144). 92,1 Karfunkel] Feuerrubin (DWb 11, Sp. 212). 92,7 Bild] In der Elisabethkirche in Marburg gibt es zahlreiche Darstellungen der Hl. Elisabeth: zwei Statuen, die sie als Gründerin der Kirche zeigen, Abbildungen einiger Lebensstationen auf dem Elisabethschrein und auf Glasfenstern sowie den Elisabethaltar, der auf seinen Seitenflügeln die Heilige in verschiedenen Situationen zeigt. Das im Stück thematisierte Bild der Hl. Elisabeth ist vmtl. eine Erfindung Arnims. 92,11 trug in 〈...〉 Rosen] Das Attribut des Rosenkörbchens geht auf eine Legende zurück, die erst ab dem 15. Jh. überliefert ist. Elisabeths Mann, Ludwig IV. von Thüringen, wird in diesem Zusammenhang als geizig und eifersüchtig auf Elisabeths gute Taten beschrieben. Durch seine Umgebung gegen die angebliche Verschwendungssucht seiner Gemahlin aufgehetzt, stellt er sie zur Rede, als sie den Hof mit einem Deckelkorb verlassen will. Obwohl Elisabeth im Korb eigentlich Brot für die Armen trägt, enthält er beim Aufdecken nur Rosen (vgl. Hiltgart Keller, Reclams Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten, 2. Aufl., Stuttgart 2001, S. 196–199). 92,13–14 geheimen Gang 〈...〉 kennt,] Von Arnim hinzugefügt. Die Elisabethkirche besitzt keine unterirdischen Gänge, die Grabmäler der Landgrafen sind oberirdisch. 92,16 Saltzkothen] Hütten, in denen das Salz gesotten, das Küchensalz hergestellt wird (vgl. Adelung 3, S. 1260; DWb 14, Sp. 1717). 92,20 Fegefeuer] Nach altem Volksglauben befindet sich das Fegefeuer in der Luft, zwischen Himmel und Erde. Zu weiteren Darstellungen des Fegefeuers von
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Erläuterungen
Arnim/Clemens Brentano vgl. Wh II 210, Zucht bringt Frucht sowie Wh II, 219, Sündenlast. 92,21 Sode] Trübe Flüssigkeit, Brühe; auch Siedendes (vgl. DWb 16, Sp. 1394; 1399). 93,10–11 ich hab ihn 〈...〉 versteckt.] Vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 97,4. 94,3 glühen] Als Adjektiv weder bei Adelung noch im DWb nachweisbar. In den SW übernommener Ausdruck. 94,11–12 ein blizendes 〈...〉 entsteigen.] Die Stelle erklärt sich aus der Sage über den Ahnherrn der thüringischen Landgrafen, die von Heinrich später erzählt wird, vgl. Akt IV, Szene 1, in der vorliegenden Ausgabe S. 106,23–107,3. 94,14 Heimchen] Grillen. 94,32–95,5 Was hörte 〈...〉 verglühen.] Eine ähnliche Stelle findet sich in dem fragmentarischen Entwurf zu dem Liederspiel Roar und die schwärmenden Schäfer (vgl. dazu den Überblickskommentar, S. 559–561). Dort glaubt Roar ebenfalls, einen Auerhahn im Baum sitzen zu sehen; tatsächlich handelt es sich um Judith, die Tochter seines Herrn: Wirds nicht helle?
Hats nicht gerauscht im Baum, dort in dem Aste, da sitzt er, ich seh ihn still, ich muß schiessen, eben will er fortfliegen, welch ein Vogel, jeder Flügel wie eine Scheunthüre und der gebogene Schnabel – ach es war wohl nur ein Ast und durch die Flügel kann ich jezt sehen, das war er nicht (GSA 03/21, Bl. 157–158). 94,38 Altan] Balkonartiger Überbau, offener Teil eines Gebäudes, der aus einem oberen Stockwerk einen Austritt ins Freie gestattet. 95,11 Im Walde, 〈...〉 licht,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 874. Das Lied wurde von Louise Reichardt unter dem Titel Stolze Einsamkeit vertont. Als Gedicht schickt es Arnim am 9. November 1808, mit einigen Änderungen, an BvA (vgl. Werke 5 Kommentar, S. 1410–1441; 1497). 96,9 Kranzmusik] Hochzeitsritual, vmtl. bezogen auf das Ende des Festes, wenn der Braut statt des Kranzes die Haube aufgesetzt wird. Dies wird traditionell von Tanz und Musik begleitet (vgl. HdA 5, Sp. 414–415). 96,15 verbotnen Nebenwegen] Seitenweg, auch im bildlichen Sinne, Abweg (vgl. Adelung 1, S. 132; DWb 13, Sp. 509). 96,33–34 es sey 〈...〉 Bund.] Der hier beschriebene »Männerbund« erinnert an die Freundschaft zwischen Siegfried und Günther/Gunther/Gunnar im Nibelungenlied. 97,23 VI.] Die Szene hat Ähnlichkeit mit einer Anekdote, die sich in dem in Arnims Bibliothek nachweisbaren Buch Abwechselungen (Arnim-Bibl. B 1168) befindet. Dort tötet der Kommandant eines Bataillons seine Verlobte und seine
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Zu: Der Auerhahn
als Mann verkleidete Schwester aus Eifersucht, als er sie bei einem vermeintlichen teˆte-a`-teˆte überrascht. Das Mißverständnis deriviert aus einem fatalen Scherz der Schwester, der – im Gegensatz zum Auerhahn – für alle Beteiligten tödlich endet (vgl. Abwechselungen. Ernsthaft, komisch, rührend, sinnreich, nützlich. Ein Ersatz für Romane. 2. Theil. Berlin 1806, S. 81–82). 98,13–14 Herz hier unter 〈...〉 Stelle,] Das Ersetzen des Herzens durch Holz, Stroh oder Stein ist besonders in der mittelalterlichen Literatur ein beliebtes Motiv. Im Volksglauben gilt das Herz als Sitz der Seele (vgl. HdA 3, Sp. 1797– 1798), das im Totemismus durch ein beliebig gewähltes Tier, eine Pflanze oder ein lebloses Objekt substituiert werden kann (vgl. Christa Tuczay, Der Unhold ohne Seele. Ein 〈sic〉 motivgeschichtliche Untersuchung. Wien 1982 (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie, 18), S. 114). 98,17 Helden aus der Fabelzeit,] Vgl. Erl. zu S. 23,10. 99,13 (Sein Bolzen fällt herab.)] Die Lösung des Konflikts findet hier nicht »rationell-dialogisch, sondern, – typisch für Arnim – wunderbar-phantastisch« statt (Ehrlich 1970, S. 227). Zudem könnte auch eine sexuelle Anspielung impliziert sein. 100,3 Freistadt] Asyl. 100,28–31 so fallen ...〉 gezeigt.] Eine ähnliche Szene, in der die gefallenen Würfel als Gottesurteil aufgefaßt werden, begegnet in der für die Novellensammlung von 1812 konzipierten Rahmenhandlung Die Versöhnung in der Sommerfrische, in der Max und Joseph um die Hand Theresens würfeln. Max glaubt sich durch die geworfenen zwei Sechser sicher, als Sieger aus dem Spiel hervorzugehen, bei Josephs Wurf splittert jedoch der Würfel, so daß neben den zwei Sechsern ein 13. Auge, das Auge des Herrn, erkennbar wird (vgl. Werke 3, S. 596). 101,21 Wenn die Vögel 〈...〉 steigen,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1635; 1837; Arnim verwendet das Gedicht im Auerhahn zunächst als Hochzeits-, später als Sterbelied (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 103,9–18). Jacob Grimm erwähnt das Lied lobend in einem Brief an Friedrich Carl von Savigny (vgl. RZ 5, S. 465,4–7). 102,14–15 verlornen Kindern.] Vgl. Erl. zu S. 79,22–23. 102,23 (Sie sinkt 〈...〉 nieder.] Auch in anderen dramatischen Bearbeitungen der Otto-Schütz-Sage aus dem 18. Jh. fällt Elisabeth in Ohnmacht, als sie erfährt, daß Otto ihr auserkorener Bräutigam ist (vgl. Schneider 1779, S. 52; Schlicht 1782, S. 92). Als sich Otto als Fürst zu erkennen gibt, wird sie erneut ohnmächtig und droht zu sterben (vgl. Schneider 1779, S. 71; Schlicht 1782, S. 166). – Bei Arnim ist der Konflikt, in dem sich Elisabeth befindet, jedoch komplexer. Ähnlich wie in Heinrich von Kleists Dramen ist ihre Ohnmacht ein
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Erläuterungen
Signal dafür, daß ein Widerspruch nicht ausgehalten werden kann. Indem Elisabeth ihrem Vater das Versprechen gibt und sich sprachlich auf eine bestimmte Haltung festlegt, der sie nicht treu bleiben kann, verliert sie durch den Widerspruch von Wort und Wirklichkeit das Bewußtsein (vgl. z. B. Kleists Käthchen von Heilbronn, Kleist Werke 2, S. 346). Die vorangegangenen dramatischen Bearbeitungen des Stoffes kennen diesen inneren Konflikt Elisabeths nicht. Dort wird der innere Kampf Elisabeths zwischen Pflicht und Neigung fokussiert. 102,27–103,18 Wache auf, 〈...〉 Himmelsthor.] Das Umschlagen des jambischen Rhythmus in vierhebige Trochäen betont hier die Bedrohlichkeit der Situation. In der Verwendung der spanischen Trochäen sieht Gustav Noll einen Einfluß Pedro Calderon de la Barcas (vgl. Noll 1906, S. 87), der auch von Clemens Brentano in seiner Besprechung des Stückes angeführt wird. Brentano erwähnt das Zußammentreten des Schäckspearschen und Calderonschen Gestirns (RZ 3, S. 464,43–44), jedoch ohne sich dabei auf konkrete Passagen im Stück zu beziehen. 103,9 Wenn die Vögel 〈...〉 steigen,] Vgl. Erl. zu S. 101,21. 103,22 Kirche eines Nonnenklosters.] Um die Einheit von Ort und Zeit zu wahren, verlegt Arnim das Kloster in die unmittelbare Nähe der Burg. Im historischen Kleve gab es lediglich ein Schwesternkonvent, das sich in einer Vorstadt Kleves befand, die 1340 erst in den Stadtmauerbereich integriert wurde. 103,26–28 hier setzt 〈...〉 willkommen.] Der hier geschilderte locus amoenus erinnert u. a. an die Rahmenhandlung des dritten Tages in Giovanni di Boccaccios Dekamerone: Mitten in dem garten ein schöne grüne wissen
ein fliessendes küles brünlein mit etlichen fischen / Darumb etlich iunge malarantzen baum / winter vnn summer grün / darauf die alten vnd neuwen frücht mit der blüe. Der fliessendt brunn vmb geben mit einem schneweissen merbelsteinen meurlein / mit kostlichem bildwerck durchgraben (Boccaccio 1519, S. LVII ; Arnim-Bibl. B 3). Auch in Arnims d
Stück handelt es sich wie bei Boccaccios Novellensammlung um einen Ort, an dem im folgenden Geschichten erzählt werden. 103,32 Nun tanzt, 〈...〉 Frühling] Evtl. handelt es sich hier um einen impliziten motivischen Verweis auf Das Frühlingsfest, das als Nachspiel zum Auerhahn konzipiert ist. Auch dort tanzen die Jungfrauen, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 129,8. 104,10 Die Liebe 〈...〉 binden,] Das Lied ist nur in dieser Fassung überliefert (vgl. Ricklefs 1980, Nr. 371). 104,29 Die welschen 〈...〉 geschlagen,] Von Arnim hinzugefügt. »Welsch« wird in meist abwertender Bedeutung für Franzosen und Spanier bzw. alle Fremdländischen verwendet.
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Zu: Der Auerhahn
104,30 Und hochgeschmückt 〈...〉 Hallen,] Vgl. Erl. zu S. 103,22. 105,24–34 Nach schwerem 〈...〉 erwählen.] Von Arnim hinzugefügte Erzählung. In älteren Überlieferungen der Otto-Schütz-Sage lebt Elisabeths Mutter noch und übernimmt eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Einwände gegen die Verheiratung ihrer Tochter mit einem (vermeintlich) Bürgerlichen. Lediglich in Spangenbergs AS wird die Mutter nicht erwähnt – für Gustav Noll ein zu hinterfragender Hinweis darauf, daß diese Chronik Arnim als Vorlage diente (vgl. Noll 1906, S. 77). – Arnims Mutter, Amalie Caroline geb. von Labes, starb kurz nach seiner Geburt am 26. Januar 1781. Der Verlust dieses Elternteils bzw. das Aufwachsen ohne die Mutter werden in Arnims Werk bzw. in privaten Aufzeichnungen vielfach thematisiert. Im Auerhahn wachsen nicht nur Elisabeth, sondern auch die Kinder Heinrichs des Eisernen ohne Mutter auf. Die Absenz der Mutter läßt sich für zahlreiche andere Dramen und das erzählerische Werk Arnims feststellen (vgl. u. a. Luise in Mißverständnisse, Susanna in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, die Kinder Appelmanns und Remels in Die Appelmänner, Apollonia in den Kronenwächtern I etc.). Nolls Begründung und die damit einhergehende Rechtfertigung von Q 1.1 als maßgeblicher Vorlage für den Auerhahn erscheint aus diesem Grund nicht schlüssig. 105,34 Eidam] Schwiegersohn (vgl. Adelung 1, S. 1666; DWb 3, Sp. 83). 106,7–8 Bedingung, daß 〈...〉 vermählt;] Weder historisch, noch durch den Stoff der Sage belegt. 106,24 Asprian] Von Arnim hinzugefügt. Für das hessische Landgrafengeschlecht gilt die Hl. Elisabeth als Ahnfrau, nach der sich die Landgrafen als »Enkel der Hl. Elisabeth« benannten. Der erste Landgraf Hessens war eigtl. Heinrich das Kind. Spangenberg erwähnt Asprian in seinem AS: Aißrant /
wird sonst genandt der Rieß Asperian / fürete zwey Schwerdter in einer Scheiden / vnd war ein greßlicher feindseliger Mann anzusehen (Spangenberg 1594, S. 272r). Spangenberg bezieht sich hier auf die Beschreibung Asprians im Heldenbuch, wo er einer der zwölf Wächter im Rosengarten zu Worms ist (vgl. Heldenbuch 1590, S. 197v). Im Kampf mit Wittich unterliegt Asprian jedoch und flieht vor ihm (vgl. ebd., S. 217r-v). Ludwig Tieck bearbeitet für die ZfE ein mhd. Fragment mit dem Titel König Rother zieht einer Jungfrau die Schuhe an (ZfE, Sp. 22–36). Unter Rothers Dienern befindet sich auch hier der Riese Asprian. 106,27 Falzzeit] Bez. für die Balzzeit von größerem Wildbret-Geflügel (vgl. Zedler 9, Sp. 195). 107,4–5 kein Auerhahn 〈...〉 halten.] Der Auerhahn kommt in waldreichen Gebieten vor, seine Verbreitung beschränkt sich im allgemeinen auf die Mittelgebirge (Vogesen, Schwarzwald) und die Alpen.
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Erläuterungen
107,15 alle Weissagung 〈...〉 sey.] Das Bezweifeln von Orakeln und Weissagungen ist ein literarischer Topos, der sich häufig in Arnims Werk findet, so z. B. in seiner Rezension zu Ritters Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers (1810): In unserem Volke ist also 〈...〉 alle Weissagung und
aller Glaube, wozu der Apostel aufmuntert, zur Wissenschaft und Kunst übergegangen, ein jeder Deutsche möchte lernen und erfinden, die Politik ist allen eine lästige Störung, denn eine geheime Stimme scheint uns zu sagen, daß die Ereignisse der Welt uns fern liegen, und andere Völker aufgerufen haben (HJ 1810, S. 118). Auf der anderen Seite wird in Halle und Jerusalem auf die Gefahren des Aberglaubens aufmerksam gemacht: o es ist unerhört, was roher Aberglaube noch für Wahnsinn zeugt (Arnim 1811, S. 291). Arnim setzt dem fatalistischen Schicksalsglauben »seine Idee vom Schicksal als g ö t t l i c h e m W i l l e n entgegen« (Ehrlich 1970, S. 242; Hervorhebung v. Vf.). Solange der Mensch sich nicht der harmonischen Weltordnung widersetzt, droht ihm kein willkürlicher Schicksalsschlag. Ehrlich sieht darin eine »ideologische Kritik des Schicksalsdramas«, das durch Zacharias Werners Stück Der vierundzwanzigste Februar zu einem populären Genre avancierte. 107,16–18 Das nicht, 〈...〉 Volksgeschwätz.....] Vgl. das Briefexzerpt Arnims an Johann Ernst Wagner vom 12. August 1809: Wer sich je zu etwas berufen
fühlte muß an ein Geisterreich glauben, er mag es nennen wie er will. Wer die Ahndungen leugnet, kann consequent nicht einmal die Möglichkeit eines Verses, viel weniger die einer That zugeben (FDH 12426; zum Gedanken der doppelten Struktur der Welt in anderen Werken Arnims vgl. Burwick 1978, S. 330). 107,20 So leb 〈...〉 umsonst,] Vgl. den Kontrast zur Replik des Kanzlers: so leb ich nicht umsonst (in der vorliegenden Ausgabe S. 81,28; vgl. Erl. zu S. 81,28). 107,20–21 nichts als Gottes leidge 〈...〉 Erden,] Puppen und Marionetten, seit dem späten 18. Jh. beliebte literarische Motive, werden in der Romantik häufig als Symbol für den unfreien, determinierten Menschen verstanden. Entweder resultiert diese Unfreiheit aus einem fatalistischen Lebensgefühl oder sie ist Folge einer als mechanisch empfundenen Umwelt, in der sich der Mensch als von Außen gesteuerter Automat empfindet (vgl. Rudolf Majut, Lebensbühne und Marionette. Ein Beitrag zur seelengeschichtlichen Entwicklung von der Genie-Zeit bis zum Biedermeier. Berlin 1931. (Germanische Studien, 100), S. 84; zu Arnim S. 95–96). 108,11 wunderlicher Heiliger,] Sonderling, die Redensart beruht auf Ps 4, 4 (vgl. Röhrich 2, S. 690).
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Zu: Der Auerhahn
112,16 es reut mich manche Schuld,] Im D lautet die Stelle: es reut mir manche Schuld. In der Rezension der Schaubühne durch Wolfram in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung wird auf diesen Druckfehler hingewiesen (vgl. RZ 6, S. 469,7–8). In den SW wurde allerdings der Dativ aus dem D übernommen. 112,24–26 Der wilde 〈...〉 wiederkehren.] Vgl. die Legende vom Hl. Hubertus, Erl. zu S. 23,17 sowie Luk 15, 7 (Vom verlorenen Schaf). 112,36 minder] geringer, weniger (vgl. Adelung 3, S. 213; DWb 12, Sp. 2223). 113,4 Liebe in 〈...〉 Gnadenfülle.] Die Stelle erinnert an 1. Joh 4, 16b. Dieser Spruch gehört zu Arnims Lieblingsstellen in der Bibel und sollte ursprünglich Hollins Liebeleben als Motto vorangestellt sein. Vgl. BvAs Brief im Winter 1810/1811 an Arnim, als die beiden bereits verlobt sind. BvA spielt auf einen Brief Arnims vom 22. Dezember 1809 (FDH 12426) an: Ich verspreche Dir
dagegen, daß ich die Worte aus der ersten Epistel Johannis, die Du mir schon einmal in einem Brief nach Baiern geschrieben hast, gewiß innig beherzigen werde: »Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm!« – ich will durch Deine Liebe in allem Guten bleiben und setze die Hoffnung meines Lebens auf Dich! (FDH 7327). 113,16 Weltkind] Ein den weltlichen freuden ergebener mensch, weltling (DWb 28, Sp. 1607; vgl. Adelung 4, S. 1484). 113,34 Glatzüngiger] Schmeichelnder Betrüger (vgl. DWb 7, Sp. 7763). 114,17–18 mein Land 〈...〉 Hand,] Historisch nicht belegt. 114,28–30 aus einem tiefen 〈...〉 wieder.] Das Bergwerkmotiv ist in der Romantik sehr beliebt und wird z. B. in Novalis’ Heinrich von Ofterdingen, Ludwig Tiecks Runenberg oder in E.T.A. Hoffmanns Die Bergwerke von Falun verwendet. Der Gang in die Tiefe führt zu Selbstfindung oder –verlust. Das Bergwerk ist stets poetische Gegenwelt zur Realität und birgt dämonische oder wunderbare Kräfte in sich. Im Auerhahn erhält es eine pejorative Konnotation. 114,29 Flimmer] Taube, gehaltlose Bergart (vgl. Adelung 2, S. 211; DWb 3, Sp. 1798). 114,34–35 Kreis geweihter 〈...〉 leben.] Einen ähnlichen Wunsch äußert auch der Scharfrichter Hämmerling in den Appelmännern, dem sich zunächst weitere Figuren anschließen, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 321,1–5. 115,15–16 Rohr beugt 〈...〉 oder stürzt.] Diese Fabel, die auf Äsop zurückgeht (vgl. Helga Stein, Baum und Rohr, in: EdM 1, Berlin, New York 1977, Sp. 1386–1389, hier Sp. 1386), findet sich auch bei Johannes Pauli in seiner Sammlung von Predigtmärlein und Exempla mit dem Titel Schimpf 〈= Spaß〉
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Erläuterungen
und Ernst (Arnim-Bibl. B 903): Von eym grossen windt ward ein Eychbaum vmb geworffen in eynn weier / da wuochsen vil ror vnd kolben inn. Der eychbaum sprach zuo den roren / wie gath es zuo das ich so groß bin / vnd der wind wirfft mich vmb / vß dem grund / vnd jr ror seind so schwach / thuot euch nichts / vnd bleiben ston. Die ror gaben jm antwurt vnn sprachen: Thetestu wie wir / so ließ dich der wind auch mitt friden / wann der wind kompt / so neigent wir vnnsere häupter / so lauffet er über vns hin / vnd wir demütigen vnß gegen jm / vnn wann er wider hinweg kompt / so richten wir vnsere häupter wider auff. Aber du vnd andere bäum seind hoffertig / vnnd wöllen dem wind widerstandt thuon / darumb wirfft er euch vmb / neigten jr auch ewer häupter / als wir / so bliben jr auch vffrecht ston. Also geystlich / die frummen menschen demütigen sich hie auff erden gegen dem wind der straff / es sy von Got / oder von den menschen / dz lassen sie über gon / seind gedultig vnnd schweigen / demütigen sich hie durch penitentz / darumb an dem letsten vrtheyl so werden sie jre häupter frölich auff heben / vnd werden luogen wa die hoffertigen ligen / vnn vmbgeworffen sein / die sich hie nit haben wöllen demütigen / durch die penitentz (Pauli 1542, Nr. 174, S. XXXII ). Brentano c-d
macht Arnim in einem Brief vom 15. Februar 1805 auf dieses bis zum 17. Jh. sehr beliebte Volksbuch aufmerksam und empfiehlt es ihm zum Kauf (vgl. FDH 7791; ein Ex. konnte auch in Brentano-Bibl. II 2789, 158 nachgewiesen werden). Zur Überlieferung der Fabel vgl. ergänzend Österley Kommentar 1866, S. 493. In Schneiders Singspiel Otto der Schütz wird Heinrich der Eiserne wegen des vermeintlichen Verlusts beider Söhne als zerstörte Eiche beschrieben:
Majestätisch, schön belaubt, / groß und herrlich vor dem Volke, / hob die Eich’ ihr stolzes Haupt / triumphirend in die Wolke: / Unüberwindlich bot / sie allen Wettern Trotz, der Sturmwind war ihr Spott: – / Da trafen tödende Blitze, / in ihres Lebens innrem Sitze, / der edlen Wurzel: – ihrer Kraft beraubt / und mählig welkend, senkt sie nun ihr Haupt, / in düstre Donnerwolken eingehüllt. – / dies ist des Helden Bild! – (Schneider 1779, S. 30; beinahe wörtlich übernommen bei Schlicht 1782, S. 52–53). Ob es sich bei dieser Parallele um Koinzidenz oder aber um ein Indiz dafür handelt, daß Arnim Schneiders oder Schlichts Drama – entgegen der Anmerkungen im Anhang der Schaubühne – gekannt hat, muß offen bleiben. 115,21–22 wenn du, 〈...〉 Nacht.] Vgl. die in Büschings Volks-Sagen, Märchen und Legenden abgedruckte Erzählung Die entführte Nonne (Nr. 26), in der die Nonne Judith durch Brzetislaus, dem Sohn Herzogs Ulrich in Böhmen, entführt wird und sich ohne Gegenwehr in ihr Schicksal ergibt (Büsching 1812,
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Zu: Der Auerhahn
S. 134–140). Vgl. auch die in einem Volksbuch erweiterte Geschichte (vgl. Görres 1807, S. 85–90). 115,36 mißkannt] Im 18. und 19. Jh. gängig für »verkennen« (vgl. Adelung 3, S. 225; DWb 12, Sp. 2300). 117,17 verfehmt] In die Acht erklärt (von mhd. veˆme, »Strafe«), verbannt (vgl. Möser 1776, S. 206). 117,19–20 dem Schicksal 〈...〉 Wille.] Zur Bez. des Dramas als Schicksalstragödie bzw. -drama vgl. den Überblickskommentar, S. 561–564. 118,16–18 bei dem geheimen 〈...〉 bezeichnet,] »Drei« ist nicht nur im Juden- und Christentum eine hl. Zahl, sondern auch bei Geheimbünden, vgl. u. a. ihre vielseitige Verwendung in der Ritualistik im Lehrlingsgrad der Freimaurer (vgl. Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 920–922). 118,35 Wer seinen Willen 〈...〉 Gott.] Vgl. zu Ottos Glaubensauffassung auch Akt II, Szene 1, in der vorliegenden Ausgabe S. 59,22–24 sowie S. 59,27–60,5.
119,9
Fehme Zeichen] Nach Brauch der Fehmgerichte wurde als Zeichen ein
Messer neben den Hingerichteten gesteckt (vgl. Hütter 1793, S. 50). Die gewöhnliche Hinrichtung der Verfehmten erfolgte durch Erhängen an einem
Widersetzte er sich so, daß sie ihn niederstechen mußten: so bunden sie den Körper an den Baum, und steckten ihr Messer dabey, zum Zeichen, daß er nicht ermordet, sondern von einem Freyschöpfen gerichtet wäre (Möser 1776, S. 200). Wie hier bleibt Arnim bei der Erwähnung des Fehmzeichens auch in den Kronenwächtern I unbestimmt: Dann hing er ihn an eine Eiche mit dem Gürtel und machte als Freigraf das Zeichen des heimlichen Gerichts zum Schutz seines sinnlosen Frevels über den Todten (Arnim 1817, S. 231). In seinem Drama Die Gleichen, in dem das heimliche Gericht nur am Rande thematisiert wird, wird über den toten Körper Plesses ebenfalls der heilg’en Vehme Zeichen gelegt (Arnim 1819, S. 130). 120,5–6 sie spielten 〈...〉 Blätterkränzen] Die kurze Beschreibung der Idylle Baum.
erinnert an die Teichoskopie Heinrichs des Eisernen zu Beginn des Dramas, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 39,1–9. 120,24–121,22 Wo mein Schwerdt 〈...〉 Wehe!] Wie auf S. 102,27–103,18 ändert sich hier der jambische Rhythmus an einer besonders emphatischen Stelle in Trochäen. Vgl. auch die dazugehörige Erl. 120,33 weiß doch 〈...〉 Vater.] Vmtl. Anspielung auf Ottnit als Figur des Heldenbuches, der erst im Verlauf der Handlung erfährt, daß Elberich sein tatsächlicher Vater ist, vgl. Erl. zu S. 23,10.
614
Erläuterungen
121,30 durch Feld 〈...〉 schweifen] Die hier verwendete Phrase ist mit dem 1. V. eines Liedes von Goethe mit dem Titel Der Musensohn identisch, das 1800 im 7. Bd. seiner Neuen Schriften gedruckt erschien (Johann Wolfgang Goethe, Neue Schriften. Siebenter Band. Berlin 1800, S. 6–7; Arnim-Bibl. B 1143) und später mehrfach vertont wurde, u. a. von Franz Schubert (vgl. ergänzend zur Thematik des Wandermotivs sowie zum Musensohn Heinrich Bosse, Harald Neumeyer, »Da blüht der Winter schön«. Musensohn und Wanderlied um 1800. Freiburg / Br. 1995, v. a. S. 67–88). 124,21 Ein anderes Geschlecht 〈...〉 Jutta.] Der historische Otto der Schütz starb 1366. Nach Ottos Tod wurde Hermann der Gelehrte ab 1367 Mitregent Heinrichs des Eisernen, nach dessen Tod 1376 übernahm er die Regierung der gesamten Landgrafschaft. Arnim stellt an das Ende des Dramas die Aussicht auf eine harmonische Weltordnung, die dem triadischen Geschichtsmodell entspricht: die drei dargestellten Generationen (toter Großvater, Heinrich der Eiserne, dessen Kinder) repräsentieren ein dreistufiges Modell, das die Welt zunächst in Harmonie zeigt, die aber durch den Despotismus Heinrichs des Eisernen zerstört wird. Erst durch seinen Tod kann ein harmonischer Zustand wiederhergestellt werden. 124,29 Lacrimosa dies illa,] Hier wird das Lacrimosa aus dem lat. Requiem zitiert, übersetzt: »Tränenvollster aller Tage, wenn die Welt der Asch’ entsteiget, sündvoll sich dem Richter neiget: Herr, dann wolle ihr verzeihen. Treuer Jesu, Weltenrichter, schenke ihnen Ruhe. Amen.« Lothar Ehrlich sieht in dem Aufzug der Nonnen und dem »festlichen Charakter« des Schlusses, der durch »eine weitere Integration musikalischer und tänzerischer Elemente die Freude über den Beginn der neuen, glücklicheren Zeit monumental und plastisch zum Ausdruck« gebracht werden könnte, eine »opernhafte Tendenz« (Ehrlich 1970, S. 235). Hier muß einschränkend bemerkt werden, daß es sich bei diesem Schlußlied in erster Linie um das Beweinen der Toten handelt und die Vergebung, um die gebeten wird, für den jüngsten Tag angesetzt ist. Es läßt sich demnach eher eine moralisch-didaktische Tendenz feststellen, die den Kontrast zu dem glücklichen Paar Jutta-Ottnit noch einmal pointiert.
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Zu: Das Frühlingsfest. Ein Nachspiel
Das Frühlingsfest als Nachspiel zu Der Auerhahn und als Zwischenspiel in der Päpstin Johanna Das Frühlingsfest ist – wie Arnim in seinen Anmerkungen schreibt – ursprünglich nur ein Zwischenspiel aus 〈s〉einer Päpstin Johanna (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,4). Das Nachspiel wirkt durch diese Bemerkung wie ein belangloses Beiwerk, dem Arnim selbst scheinbar wenig Beachtung schenkt. Das wertende »nur« trägt erheblich zu diesem Eindruck bei. So ist das Stück auch in der Rezeption der Schaubühne weitestgehend außer acht gelassen worden. Ulfert Ricklefs hat das Drama dagegen als »perspektivische〈n〉 Fluchtpunkt der Päpstin Johanna« bewertet (Ricklefs 1990, S. 219), so daß dem Schaubühnen–Stück zumindest im Rahmen der Rezeption der Päpstin Johanna ein hoher Stellenwert zuteil wurde. Ähnlich wie in der Päpstin Johanna und im Auerhahn wird in diesem Nachspiel aus naturmagischen, aber auch aus belegbaren biographischen Begebenheiten sowie aus von Arnim modifiziertem Sagenstoff ein neuer Zusammenhang hergestellt, der dem Stück einen hochgradig symbolischen Charakter verleiht. Das Frühlingsfest ist somit die Schnitt- und Berührungsstelle zwischen Päpstin Johanna und Auerhahn, hat sich aber – wie Arnim in seinen Anmerkungen hervorhebt – auch unabhängig gemacht (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,6). Gerade der Vergleich zwischen Auerhahn und Frühlingsfest ist in der bisherigen Forschung vernachlässigt worden.1 Grundsätzlich ist für eine ausführliche Beschäftigung mit dem Stück die von Johannes Barth vorgenommene Kommentierung in der WAA 10, S. 696–706 sowie S. 904–914 heranzuziehen. 1
Auerhahn ein (Körner, Das Frühlingsfest bleibt jedoch im Zusammenhang
Josef Körner und Lothar Ehrlich gehen z. B. umfassend auf den
J. 1912, Ehrlich 1970, S. 222–242),
mit der Besprechung des Stückes unerwähnt. Lediglich Ulfert Ricklefs hat ausführlich auf die Bedeutung des Nachspiels hingewiesen (vgl. Ricklefs 1990, S. 219–236; Werke 5 Kommentar, S. 1497–1499), allerdings v. a. im Kontext der
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Päpstin-Johanna-Dichtung.
Nachspiel und Zwischenspiel
Zwischen Auerhahn und Frühlingsfest lassen sich einige Parallelen herstellen, die v. a. thematischer und motivischer Art sind. In beiden Dramen werden der Schwanritter, der Frühling und der Tanz thematisiert. Darüber hinaus geht es sowohl im Auerhahn als auch im Frühlingsfest um die Überwindung eines widersprüchlichen Zustands. Im Auerhahn ist es die vielfach thematisierte Diskrepanz zwischen menschlichem Willen und göttlichem Schicksal, an der einige Figuren zugrunde gehen, andere dagegen zu einer versöhnenden Einsicht gelangen. Die Lösung des Konflikts wird durch den Untergang Heinrichs des Eisernen und seiner Söhne sowie durch die Vision einer harmonischen Zukunft, in der Gerechtigkeit und Liebe walten, verkörpert durch das neue Herrscherpaar Jutta und Ottnit, herbeigeführt. Im Frühlingsfest wird der Gegensatz zwischen irdischer Liebe und Sehnsucht nach dem Jenseits betont. Der Dualismus wird durch weitere Oppositionspaare wie etwa »Traum und wirkliches Glück, Zweifel und Einheit, 〈...〉 unendliche Sehnsucht und irdisches Bleiben« (Ricklefs 1990, S. 224), Krieg und Frieden noch verstärkt. Die Disharmonie löst sich durch den Selbstmord Beatas, wodurch ihre Sehnsucht nach dem Jenseitigen, Höheren, die durch die unglückliche Liebe zum Frühlingsgott nicht erfüllt werden konnte, letztlich doch gestillt wird. Dies wird durch den die Handlung kommentierenden Chor am Ende des Stückes deutlich ausgesprochen:
Seligkeit ist nur im Tode
(in der vorliegenden Ausgabe S. 145,8). Arnim stellt in beiden Stücken eine Konfliktsituation dar, die sich mit der in der Romantik geläufigen Vorstellung der Geschichte als triadischem Modell verbindet: Im
Frühlingsfest
wird ein paradiesisches Leben in Unschuld und Frieden
durch eine Zeit der Disharmonie abgelöst, in der Ahn(d)ung und Sehnsucht nach einer Rückkehr in den idealen Zustand eine maßgebliche Rolle spielen und der Dualismus zwischen Realität und Wunschwelt virulent wird. Diesem unharmonischen Zustand folgt (idealiter) ein drittes Zeitalter, in dem die Dissonanzen überwunden werden und Harmonie einkehrt. Die Darstellung von Beatas Liebe zum Frühlingsgott und das Scheitern dieser Beziehung macht die folgenschwere Tragweite der zweiten Epoche deutlich, in der sich »Seligkeit der Liebe 〈...〉 nur
Frühlingsfest geriert sich hier also Auerhahn, an dessen Ende ein neues Zeitalter im Diesseits proklamiert wird. In der Päpstin Johanna schließt die Geschichte ähnlich wie im Auerhahn mit dem Ausblick auf Liebe und Versöhnung (vgl. zur Bedeutung des Frühlingsfestes für die Päpstin Johanna Rickim Tode erfüllt« (Ricklefs 1990, S. 231). Das
als pessimistisches Gegenmodell zum
lefs 1990, S. 219–236 sowie Barths Kommentierung in der WAA 10, S. 696–706; S. 904–914).
617
Zu: Das Frühlingsfest
Daß Arnim mit dem Frühlingsfest zudem Karoline von Günderrode ein literarisches Denkmal setzte, indem er Beatas Selbstmord ähnlich wie Günderrodes Freitod gestaltete, hat Ulfert Ricklefs in seiner ausführlichen Analyse des Stückes zum ersten Mal dargestellt (vgl. Ricklefs 1990, S. 233–236). Clemens Brentano und BvA haben sich zu diesem Bezug, falls sie ihn bemerkten, nicht geäußert, finden jedoch ausnahmslos lobende Worte über das Stück.
Entstehung
Das Frühlingsfest ist aus einem burlesken Frühlingsspiel hervorgegangen (vgl. GSA 85, 8/1–7, erstmals abgedruckt in: Ricklefs 1990, S. 384–390 sowie in WAA 10, S. 449–456), das möglicherweise bereits während Arnims Arbeit an der Gräfin Dolores entstand (vgl. Ricklefs 1990, S. 221). In dieser Vorfassung treten Beatrix, der grobe Ritter Kunz und Elius Gracilis auf. Elius ist ein schöner Knabe, der hier noch nicht mit dem Frühling identifiziert wird. Der von einem Schwan gezogene Nachen ist dem Knaben von Frau Minne gegeben worden, um den Minnesang / Zu führen durch süßen Mayes Klang (Ricklefs 1990, S. 388). Elius gewinnt die Liebe Beatrix’. Der spöttische Kontrahent Kunz wird durch den Flügelschlag des Schwans getötet. Die spätere Fassung des Frühlingsfestes, die in die Schaubühne aufgenommen wurde, entbehrt des burlesken Tons der frühen Fassung, der u. a. durch das Lied von den Heiligen drei Königen evoziert wird. Das Frühlingsspiel weist eine größere Nähe zu der von Walpurgis erzählten Schwanrittersage im Auerhahn auf, wie Johannes Barth konstatiert (vgl. WAA 10, S. 703). Ricklefs und Barth datieren die Entstehung des Frühlingsfestes in seiner endgültigen Form für die Veröffentlichung in der Schaubühne auf Mitte September 1812 bis Mitte Januar 1813. Rezeption Clemens Brentano äußert sich in seinem Brief vom Oktober 1813 lobend zu dem Stück, es sei reich an schönen lyrischen Stellen, 〈...〉 ganz aus einer
der süßen weichen reichen Quellen, von denen das Urgebirg deiner Poesie wie mit silbernen Bändern überströmt sei. 〈E〉s ist aus deiner natürlichsten Natur; deine spätere höhere und belebtere Kunst hast du erlebt, diese hat dich belebt (RZ 4, S. 464,57–465,62).2 2
Hermann und seine Kinder Die Prosaische Einleitung an den Frühling ist hinreißend, sie ist du selbst, wie man dich liebt. Zu motivischen Vgl. ein ähnliches Lob, das Brentano über das Vorspiel zu
ausspricht (Brief an Arnim vom 23. Mai 1804, UB Heidelberg):
618
Nachspiel und Zwischenspiel/Entstehung/Rezeption
In der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung wird Das Frühlingsfest aufgrund des Schauplatzes am Rhein als patriotisches Stück bewertet und entsprechend als freudiges Gedicht am Strande des alten, nun wohl bald ganz wieder vaterländischen deutschen Rheines bezeichnet (RZ 6, S. 469,13–15). Das Drama sei in wohlklingenden Versen geschrieben. Wolfram beurteilt es als sanft und schmeichelnd verschlungene〈n〉 Gesang (ebd., S. 469,15–17). Dieser positiven Wertung steht die scharfe Kritik an den Versen des Frühlingsfestes, die als gezwungen, eckig und dunkel empfunden werden (RZ 9, S. 474,11–12), in den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst diametral entgegen. Der Rezensent Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld lenkt jedoch insofern ein, als er das Stück als ein sonst sehr tiefsinnige〈s〉 und ideenreiche〈s〉 Nachspiel (ebd., S. 474,9) bezeichnet. BvA berichtet Arnim in einem Brief vom 4. Juni 1822, daß sie manche große Stücke aus Deinem Frühlingsfest am Abend gesungen habe (RZ 10, S. 475,3–4). Einige der von BvA verfaßten Kompositionen zu Teilen des Frühlingsfestes haben sich erhalten (vgl. Ann Willison, Bettines Kompositionen. Zu einem Notenheft der Sammlung Heineman, in: Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft Bd. 3. Berlin 1989, S. 183–208, hier S. 190).
Übereinstimmungen zwischen dem
Vorspiel und dem Frühlingsfest sowie zu weiteren
Parallelen zu Arnims Werk vgl. WAA 10, S. 696–699.
619
Zu: Mißverständnisse. Ein Lustspiel Zu Arnims »Quelle« In seinen Anmerkungen zur Schaubühne führt Arnim an, daß er die Veranlassung für das Stück in einem französischen alten Roman, dessen Name 〈ihm〉 entfallen sei, gefunden habe (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,10–11). Durch diese ungenaue Herkunftsangabe nimmt Arnims Lustspiel eine Sonderstellung innerhalb der Schaubühne ein, in der mit Ausnahme von Der Auerhahn und Das Frühlingsfest die herangezogenen Quellen stets genau benannt werden. Aus Arnims unpräziser Anmerkung ergeben sich dennoch einige Anhaltspunkte: Zum einen handelt es sich bei dieser Quelle um einen französischen Text, der jedoch auch in deutscher Übersetzung vorgelegen haben könnte. Zum anderen bezeichnet Arnim die Vorlage als alten Roman. Durch das Attribut »alt« ist die Entstehungszeit der Quelle auf die Zeit vor 1750 zu datieren.1 Daß sich Arnim nicht mehr an den Titel des Romans erinnert, läßt zwei Möglichkeiten offen, die sich jedoch nur auf Vermutungen stützen können: Vmtl. liegt die Niederschrift des Stückes so weit zurück, daß Arnim die verwendete Quelle tatsächlich vergessen hat. Diese These wird durch die Vermutung in Wolframs Rezension in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung untermauert, in der er die Mißverständnisse als einen der ersten Versuche Arnims im dramatischen Bereich bewertet (vgl. RZ 6, S. 469,28). Es ist jedoch auch denkbar, daß es sich bei der vorliegenden »Quellenangabe« um eine als Parodie zu verstehende Relativierung des eigenen Stückes handelt. Unterstützt wird diese These durch den letzten Satz des Dramas, der einen intertextuellen Bezug zu Schillers Shakespeares Schatten (1797) herstellt, ei1
Für »alt« hält Arnim alles, was
vor 1750 gedruckt wurde, was aus einem Brief an
Wilhelm Dorow vom 3. Februar 1809 hervorgeht (EZ 6, S. 419,6–).
620
Zu Arnims »Quelle«
ner Satire auf das an f r a n z ö s i s c h e n Vorbildern orientierte rührende Lustspiel der Zeit (vgl. Erl. zu S. 168,25–26). Eine tatsächliche, benennbare inspirative Quelle gäbe es dann nicht. Beide Möglichkeiten werden im folgenden diskutiert. Bei einer ausgiebigen Recherche in Arnims Bibliothek konnte kein Titel ermittelt werden, der sich mit den Angaben Arnims – »französisch«, »alt« und »Roman« – vollständig decken würde.2 Intertextuelle Parallelen ergeben sich lediglich durch die Ähnlichkeit des Schauplatzes zu einem aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzten Drama mit dem Titel Die Schwestern von Pietro (Peter) Chiari (Arnim-Bibl. B 1016; vgl. Erl. zu S. 146,14–15) sowie zur Personenkonstellation und zu einem Dialog in Jean-Baptiste Poquelin Molie`res L’Avare (Arnim-Bibl. B 1709f; vgl. Erl. zu S. 148,27–30 und S. 164,31–165,9). Ob Chiaris oder Molie`res Dramen die Anekdote lieferten, die Arnim zu seinem Stück inspirierten, muß offengelassen werden. Der Grund für die partiellen Entsprechungen könnte darin zu finden sein, daß Arnim in seinem Lustspiel konventionelle Motive und Figurentypen verwendet, die sich auch mit anderen Stücken aus dem französischen Klassizismus und deren deutschen Nachahmungen dekken.3 Insgesamt läßt sich eine stärkere Nähe zwischen den Mißverständnissen und anderen d r a m a t i s c h e n Werken feststellen als Parallelen zur epischen Gattung. Als Ergebnis der Recherche nach einer expliziten Quelle kann deshalb festgehalten werden, daß Arnims Herkunftsangabe hermetisch bleibt, wenn man sie als ernst zu nehmenden Hinweis begreift. Versteht man sie jedoch als fingierte Quellenangabe, so läßt sich daraus ein spielerischer Umgang mit dem Genre des rührenden Lustspiels und durch das angebliche Vergessen der verwendeten Vorlage eine selbstironische Distanzierung vom eigenen Stück ablesen oder von dem eigenen Verfahren der Quellenbearbeitung. Die Mißverständnisse sind Arnims einziges Drama, das im Stil eines rührenden Lustspiels geschrieben ist, das »in dieser ausgeprägten Art einmalig in Arnims Dramatik ist« (Streller 1956, S. 88).4 Arnim übernimmt in den Mißver2
Auch eine Durchsicht der französischen Titel in Clemens Brentanos Bibliothek blieb er-
gebnislos. 3
Das rührende Lustspiel der Goethezeit fußt auf dem Prinzip der Nachahmung und ar-
rangiert »das schon Bekannte und Wirkungsmächtige immer wieder anders 〈...〉, um zumindest den Anschein des Ungewohnten zu erwecken. Was sich in der Rezeption durch das breite Publikum bewährt hatte, was augenscheinlich die Bedürfnisse der Rezipienten zu befriedigen vermochte, wurde immer wieder aufs neue aufgenommen und variiert« (Krause 1982, S. 132). 4
In Arnims zu Lebzeiten unedierten dramatischen Arbeiten finden sich weitere Stücke
bzw. Entwürfe, die er als Lustspiele bezeichnet. Dabei handelt es sich um
621
Die Capitula-
Zu: Mißverständnisse
ständnissen
einige Versatzstücke des im 18. und 19. Jh. äußerst populären Genres, wodurch sich offensichtliche Parallelen durch die »realistisch-konventionelle Handlungsführung« (Japp 1999, S. 62) zwischen den Mißverständnissen und dem rührenden Lustspiel ergeben.
Das zeitgenössische rührende Lustspiel Das »rührende Lustspiel« etabliert sich in der Zeit der Aufklärung als beliebter Lustspieltyp und wird im 19. Jh. zum Publikumsmagnet auf deutschen Bühnen. Unter dem Begriff lassen sich all diejenigen Stücke subsumieren, in denen »die komischen Elemente zugunsten von empfindsamen zurücktreten« (Saße 2003, S. 337).5 Allen diesen Dramen ist gemeinsam, daß die Figuren als »Repräsentanten von positiven, gefühlsorientierten Werten wie Freundschaft, Selbstlosigkeit, Mitleid, Nachsichtigkeit« (ebd., S. 337) und anderen »bürgerlichen« Tugenden dargestellt werden. Durch die Thematisierung des Privaten, der Familie, werden für den Zuschauer Identifikationsangebote bereitgestellt. Die intakte Welt der Familie wird im Rahmen der Handlung insofern gestört, als Ränke und Intrigen, Liebeskummer oder Unglücksfälle auftreten. Am Ende kehrt alles zu einem harmonischen Zustand zurück, »Liebes-, Ehe-, Standes- und Finanzprobleme« werden gelöst (Krause 1982, S. 128), wodurch den Figuren die
tion von Oggersheim (Heroisches Lustspiel), den Stralauer Fischzug (Lustspiel) und Hans Pfriem (Fragment zu einem protestantische〈n〉 Lustspiel, einer Bearbeitung der Komödie Martin Hayneccius’). Diese drei Stücke orientieren sich jeweils an einem historischen bzw. literarischen Stoff und unterscheiden sich grundsätzlich in Figurengestaltung, Sprachstil und Aussagegehalt sowohl untereinander als auch in bezug auf die
Mißverständnisse. Ponce de
In seinem Briefwechsel mit Clemens Brentano beurteilt Arnim Brentanos Lustspiel
Leon kritisch und geht auf die Funktion dieses Genres ein (vgl. Arnim an Brentano am erhalten und steigern, was an Ursprünglichkeit und Lebenskraft, an Originalität und Individualität im Menschen angelegt ist, es soll den Menschen in seinen Daseinsbezügen festigen, in seinem Wirkungsfeld stützen. 20. September 1804; Heidelberg 2110, Briefnr. 9): Es soll
5
Saße verwendet den Begriff des »rührenden Lustspiels« als Sammelbezeichnung für
bürgerliche Schauspiele, Familiengemälde und rührende Dramen, wie es auch in der Goethezeit üblich war. In Ermangelung einer sämtlichen Ausprägungen des bürgerlichen Schauspiels gemeinsamen Theorie herrscht bei den Verfassern dieser Stücke in bezug auf die Genrebezeichnung Willkür vor (vgl. Krause 1982, S. 133). In der Forschung werden ebenfalls unterschiedliche Begriffe für das »rührende Lustspiel« verwendet, so etwa »Familiendrama« (Birk 1967), das »bürgerliche Rührstück« (Glaser 1969), »Trivialdrama« (Krause 1982) oder das »ernsthafte Lustspiel« (Wierlacher 1968).
622
Zu Arnims »Quelle»/Das zeitgenössische rührende Lustspiel
»Integration in die gesellschaftliche Ordnung« wieder ermöglicht wird (Saße 2003, S. 337). Die Wirkung dieser Stücke zielt nicht auf grelle Effekte, sondern auf emotionale Rührung des Publikums ab: Der Zuschauer soll »weder lachen noch reflektieren, sondern fühlen« (Wierlacher 1968, S. 19). Wenn sich die Figuren am Ende zu einem Schlußtableau zusammenfinden und die Familienordnung wiederhergestellt ist, soll sich im Zuschauerraum gerührte Erleichterung ausbreiten (vgl. Saße 2003, S. 338). Neben dem Mitleiden mit den Figuren erhält die moralisch-didaktische Aussage einen hohen Stellenwert. Dabei werden die »bürgerlichen« Tugenden wie Großmut, Bescheidenheit, maßvolles Leben oder Gehorsam gegenüber dem Hausvater der Nachahmung für würdig befunden. Um eine möglichst problemlose Rezeption der Stücke zu gewährleisten, ist außerdem »Verständlichkeit das oberste Gebot 〈...〉« (Krause 1982, S. 148). Die Lustspiele sind in Prosa geschrieben und orientieren sich an den Sprachgepflogenheiten der Zeit. Viele Dramatiker, darunter z. B. Heinrich Beck, August Wilhelm Iffland, Friedrich Ludwig Schröder und – mit Einschränkungen6 – August von Kotzebue, folgen diesem Muster, »das entsprechend seiner Automatisierung und Trivialisierung beim zeitgenössischen Publikum großen Anklang findet« (Saße 2003, S. 338). Schon durch die kurze Skizzierung der wichtigsten Merkmale des rührenden Lustspiels des 18. und 19. Jhs. wird deutlich, daß Arnims Stück Mißverständnisse offensichtlich eine Nachahmung dieses Spieltyps darstellt. In Arnims Drama lassen sich folgende für das rührende Lustspiel charakteristische Elemente nachweisen: Die Figuren in den Mißverständnissen gehören dem gehobenen Besitz- und Bildungsbürgertum an und sind vorwiegend positiv gezeichnet, was durch den Kontrast zur intriganten Figur Wetz noch pointiert wird. Die Familie ist von innen – durch die Heiratspläne Goldmanns für seine Tochter und die nicht autorisierte Liebe zwischen Freyer und Luise – sowie von außen – durch Intrigen, finanzielle Betrügereien, Neid, Verleumdung und Mißverständnisse – in ihrem Bestand bedroht. Goldmann erweist sich als patriar-
6
Kotzebue unterscheidet sich insofern von den anderen Trivialdramatikern seiner Zeit, als
er erstmals »die eingefahrenen Pfade der Schwarz-Weiß-Kontrastierung von moralisch zweifelhaften und moralisch vorbildlichen Charakteren« verließ, »indem er neuartige Figuren wie die Ehebrecherin (Menschenhaß
und Reue) oder die ledige Mutter (Bruder Moritz)
auf die Bühne brachte, diese jedoch nicht verurteilte, sondern mit dem Vorrang des ›Herzens‹ gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen zu entschuldigen versuchte« (Krause 1982, S. 138). Durch die Verwendung dieser neuen Themen wurde Kotzebue zum Skandalautor seiner Zeit.
623
Zu: Mißverständnisse
chalischer Hausvater, der zunächst seine Heiratspläne in bezug auf seine Tochter durchzusetzen bestrebt ist. Geld und Ehre, die beiden Faktoren, die maßgeblich das Handeln der Vätergeneration bestimmen, drohen, das Glück aller zu zerstören. Die Darstellung von Problemen dieser Art sind maßgebliche Bestandteile des rührenden Lustspiels dieser Zeit. Durch die additiv aneinander gereihten Mißverständnisse, die sich im Schlußtableau schließlich in Harmonie auflösen, werden scheinbare Konflikte evoziert, was der »heitere〈n〉 Belanglosigkeit und repetitive〈n〉 Banalität« (Schulz, G. 1989, S. 639) des Lustspieltyps entspricht. Philiströse Genügsamkeit, die Arnim 1811 in der deutschen Tischgesellschaft anprangerte, wird in den Mißverständnissen nicht kritisch, sondern als »bürgerliche« Tugend dargestellt (vgl. etwa Luises Beschreibung ihres »Ideals«, in der vorliegenden Ausgabe S. 152,6–11). Hier liegt eine deutliche Diskrepanz zwischen Arnims eigener Einstellung gegenüber philiströsen Werten und der positiven Zeichnung der Figuren vor. Die Figur des Grafen Pergament weist karikierende Züge auf, was auch für das rührende Lustspiel allgemein bei der Darstellung adliger Figuren charakteristisch ist.7 Pergament gehört, bedingt durch seine Spielleidenschaft, zum verarmten Adel, hält jedoch am Standesdünkel und an einer damit zusammenhängenden »Titelsucht« (Denecke 1892, S. 342) fest, die sich in absurden Auszeichnungen ausdrückt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 157,31 sowie Erl. zu S. 157,32 und S. 157,32–34). Neben der Adelskarikatur findet sich in Arnims Drama auch eine Parodie auf das Militär. In der Beschreibung des Manövers durch den Rittmeister Pergament wird nicht nur auf das preußische Krümpersystem angespielt (vgl. Erl. zu S. 164,3), sondern auch eine parodierte, höchst fragwürdige militärische Strategie vorgestellt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 164,9). Vereinzelt begegnen in Arnims Drama weitere Anspielungen auf aktuelle Entwicklungen, wie sie das rührende Lustspiel durch die Verwendung milder zeitkritischer Späße ebenfalls kennt. Der spöttische Verweis Luises auf die preußische Vermögenssäkularisation (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 149,31–32 oder die unterschwellige Kritik an Ministern und ökonomischen Tendenzen der Zeit (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 148,22–25 und Erl. zu S. 148,22–25) beschränken sich auf einige wenige Passagen. Im Vor7
»Müßiggang und Verschwendungssucht des Adels, der mit Geld nicht umzugehen weiß,
sein Vermögen einbüßt und daher auf allerlei zweifelhafte Mittel sinnen muß, seine glanzvolle Lebensweise zu finanzieren, stehen in diametralem Gegensatz zum bürgerlichen Ethos der Selbstgenügsamkeit und Bescheidenheit« (Krause 1982, S. 169). Letzteres wird in Arnims Drama durch das »Ideal« Luises artikuliert, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 152,6.
624
Das zeitgenössische rührende Lustspiel/Entstehung/Rezeption
dergrund stehen die familiären Probleme, deren Lösung innerhalb der Handlung Priorität hat. Arnims Stück entspricht also der geläufigen Form des rührenden Lustspiels. Dies zeigt auch die verwendete Sprache, die – im Gegensatz zu den anderen Schaubühnen–Dramen – keiner metrischen Rhythmisierung unterliegt und der Alltagssprache angenähert ist. Die Lösung der Konflikte in den Mißverständnissen geriert sich als vordergründig und banal. Der »Böse«, Wetz, wird abgeführt. Die »Guten« setzen sich gemeinsam an den Mittagstisch. Die eigentliche Botschaft des Stückes ist, daß es auf die Standesgleichheit bei der Eheschließung ankommt. Das Tauschgeschäft von Geld durch Ansehen geht nicht auf. Das Schiller-Zitat am Ende des Stückes, auf das bereits verwiesen wurde, bringt die parodistische Wende. Indem Arnim hier einen intertextuellen Bezug auf Schillers Satire auf die rührenden Lustspiele Kotzebues und Schröders herstellt, können die Handlung des Stückes, sein Untertitel sowie die Anmerkungen zur angeblichen Quelle für ein feinsinniges Spiel mit dem Genre angesehen werden (vgl. auch Erl. zu S. 168,25–26).
Entstehung Zur Entstehung des Stücks, das in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung als einer der ersten Versuche des Verf. im dramatischen Bereich (vgl. RZ 6, S. 469,28) bewertet wird, ist wenig bekannt. In seinem Brief an Friedrich Christoph Perthes vom Februar 1813 führt Arnim das Lustspiel an vierter Stelle auf (vgl. EZ 26, S. 425,18). Zu diesem Zeitpunkt ist es also fertiggestellt. Wann Arnim daran konkret arbeitete, konnte nicht ermittelt werden.
Rezeption Bemerkenswert ist, daß die Rezeptionsgeschichte zu diesem Stück kaum Aufschluß darüber gibt, ob die Zeitgenossen den intertextuellen Verweis auf Schillers Shakespeares Schatten am Ende des Lustspiels erkannten und das Stück daraufhin als Parodie des rührenden Lustspiels dechiffrierten. Lediglich die Beurteilung Clemens Brentanos kann implizit als Würdigung der von Arnim vorgenommenen Parodie verstanden werden. Brentano äußert sich zu den Mißverständnissen positiv, indem er das Stück mit den anderen Schaubühnen–Dramen vergleicht:
Die Misverständniße stehen in diesem Kreiß, wie der Groskophta, in Göthes Werken, für den unverständigen schwach, für den Verständigen klar und be625
Zu: Mißverständnisse
scheiden, sie liegen wie eine reine Schreibmeister Vorschrift zwischen den Skitzen, und vollendeten Zeichnungen in einer Malermappe (vgl. RZ 4, S. 464,51–55). Der Vergleich zwischen Goethes Groß-Cophta und den Mißverständnissen verwundert zunächst. Schließlich gehört dieses Stück (uraufgeführt 1791, Veröffentlichung 1792) zu Goethes heute nahezu unbekannten Lustspielen, die auch beim zeitgenössischen Publikum auf wenig Beifall stießen.8 Da Brentano wie selbstverständlich auf den Groß-Cophta zu sprechen kommt, kann davon ausgegangen werden, daß sich Arnim und Brentano mit dem Werk auseinandergesetzt und es vmtl. während ihres gemeinsamen Arbeitens in Berlin studiert haben.9 Aus Brentanos Äußerung geht nicht eindeutig hervor, was er an Arnims Lustspiel konkret schätzt. Ob er mit der Bez. des Stückes als Schreibmeister Vorschrift andeuten will, daß Arnim hier mit den Versatzstücken des rührenden Lustspiels souverän umgeht oder ob Brentano die Mißverständnisse als Parodie dieses Genres begreift, wird nicht deutlich. Es bleibt festzuhalten, daß er das Drama im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen lobend hervorhebt und es nicht zwangsläufig in die Kategorie der Trivialstücke seiner Zeit einordnet. Wolfram beurteilt das Lustspiel in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung als eines von Arnims Erstlingswerken, in dem das Alte, oft Gebrauchte (vgl. RZ 6, S. 469,24) noch einmal wiederholt werde. Hier wird also auf das Prinzip der Nachahmung und auf die Automatismen des rührenden Lustspiels angespielt, die von Wolfram kritisch bewertet werden. Obwohl die Gespräche 〈...〉 sich leicht und fliessend aneinander schließen, diagnostiziert Wolfram, daß es friedlich mit seinen vielen Brüdern in der Welt umherlaufen und der Vergessenheit zueilen werde (vgl. ebd., S. 469,30–31). In den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst fällt die Bewertung des Stückes noch kritischer aus. Die Mißverständnisse hätten wegen ihres konventionellen Inhalts 〈a〉m wenigsten 〈...〉 gefallen (vgl. RZ 9, S. 474,37). In Betracht des sehr gewöhnlichen Kreises, worin es sich bewegt, sei es beinahe flach zu nennen (ebd., S. 474,38f.). 8
Goethe selbst war von der Qualität seines Lustspiels überzeugt und reagierte auf die
Kritik seiner Freunde empfindlich. Für den Mißerfolg auf der Bühne machte er das Publikum verantwortlich, das die gesellschaftliche und historische Relevanz des Stoffes und seiner künstlerischen Bewältigung nicht zu würdigen verstand. Goethe verarbeitete den Pariser Skandalprozeß, die sogenannte »Halsbandaffäre« von 1785, im Stück (vgl. Martini 1974, S. 139). 9
In ihren Briefen gibt es keinen weiteren Hinweis auf das Stück. Lediglich ein Meinungs-
austausch über Goethes Drama
Die natürliche Tochter im Frühjahr/Sommer 1803 ist
brieflich belegt.
626
Erläuterungen
Der Rezensent Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld äußert deshalb den Wunsch, daß Arnim das Feld konvenzioneller Intriguenstücke schwächeren Geistern überließe und seine Kraft lieber auf den wahren lustigen Humor konzentriere, der sich in den Dramenadaptionen Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, Der wunderthätige Stein sowie Jemand und Niemand ausdrücke (ebd., S. 475,1–5; zur positiven Beurteilung dieser Stücke in den Blättern zur Kritik und Charakterisitk deutscher Literatur und Kunst vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 749). Arnim bittet Clemens Brentano in seinem Brief vom 3. August 1813, sich für eine Aufführung des Stückes auf dem Wiener Theater einzusetzen (vgl. AZ 14, S. 485). Clemens Brentano schreibt das Stück daraufhin zweimahl ab und berichtet, daß er die Scene vom Wurstmachen, welches hier anstößig, umgeschrieben habe (AZ 16, S. 486,3–4). Im Moment befinde sich das Stück auf der Censur zum Aufführen am Wiedner Theater10 (ebd., S. 486,4–5). Im April 1814 teilt Brentano dem Freund mit, daß er die Mißverständnisse inzwischen zum dritten Mal abgeschrieben habe (vgl. AZ 20, S. 490,10). Diese Handschriften Brentanos, die wegen der vorgenommenen Änderungen von großem Interesse wären, sind nicht erhalten. Der Versuch, die Mißverständnisse auf die Wiener Bühne zu bringen, scheitert schließlich endgültig (vgl. dazu auch den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 655–656). So wurde dem Lustspiel tatsächlich das Schicksal zuteil, das ihm in Wolframs Rezension attestiert wurde: Es geriet in Vergessenheit. Daran änderte auch die Notiz des Germanisten Carl Georg von Maaßen in seinem Exemplar der Schaubühne nichts, in der er das Stück als »nettes goldiges Lustspiel, was noch heute aufzuführen« bezeichnet (vgl. das Kap. Nachweis der verwendeten Schaubühnen–Exemplare, S. 411). Das Stück hat – wie die Mehrzahl der anderen Schaubühnen–Dramen – bis heute keine Uraufführung erlebt.
Erläuterungen 146,6 G o l d m a n n ] Vmtl. sprechender Name, Goldmann »als Inkarnation des finanziellen Besitzes« (Ehrlich 1970, S. 217). Der Name tritt im MA. zur 10
Das Wiedner Theater, auch Theater an der Wien genannt, ist zu dieser Zeit der größte
und technisch am besten ausgestattete Theaterbau in Wien (erbaut 1801). Berühmt wurde er v. a. unter der Leitung Emanuel Schikaneders, der dort von 1801 bis 1804 Theaterdirektor war (vgl. Kindermann 1976, S. 293–296).
627
Zu: Mißverständnisse
Benennung von Goldarbeitern bzw. -schmieden auf (vgl. Hans Bahlow, Deutsches Namenlexikon. Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt. München 1967, S. 177). Das Namensglied »Gold-« ist auch für jüdische Namen geläufig, z. B. Goldberg(er), -mann, -schlag, -schmidt, -stein (vgl. Dietz Bering, Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812–1933. Stuttgart 1987, S. 382). Arnims Lustspiel gibt keine konkreten Hinweise darauf, ob Goldmann Jude ist oder nicht. Im Verlauf des Stückes wird angedeutet, daß er Wechselgeschäfte mit Juden abschließt. Durch seine abweisende Haltung gegenüber den jüdisch-orthodoxen Gläubigern des Grafen in Luises erfundener Geschichte zeigt sich, daß er sich von dieser sozialen Gruppe jedoch abgrenzen will (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 159,6–12). 146,6 Stettin] Heute Szczecin, an der West-Oder und Reglitz gelegene Hansestadt, die mit dem Vorhafen Swindemünde Zugang zur Ostsee besaß. Stettin war bereits im 16. Jh. eine aufstrebende Hafen- und Handelsstadt. Zahlreiche Kaufleute ließen sich dort nieder und führten ihre Geschäfte von Kontoren aus. Ab 1720 gehörte Stettin zu Preußen, bis die Stadt 1806 an die Franzosen fiel. 1813 eroberte Preußen, das durch die siebenjährige französische Besatzungszeit und die durch die Kontinentalsperre bewirkte Sperrung der Elbe einen wirtschaftlich Niedergang erfahren hatte, Stettin zurück (vgl. Bahr/Conrad 1996, S. 286). Arnim hält sich 1806 in Stettin auf und bleibt dort bis Anfang November. – Da sich Arnim um keinerlei »Lokalkolorit« bemüht, wodurch die Handlung eindeutig auf den genannten Ort festgelegt werden würde, ist zu vermuten, daß für ihn das Typische der Stadt im Bereich des Bankwesens und des Handels lag.
146,7 L u i s e ] In Preußen beliebter Name, v. a. wegen Königin Luise, Gattin Friedrich Wilhelms III. von Preußen, die in weiten Kreisen hohes Ansehen genoß und auch von Arnim sehr verehrt wurde. 146,8 F r e y e r ] Sprechender Name, der über die Funktion der Figur im Stück bereits Auskunft gibt. 146,9 We t z ] »Wetz« wird zur Bez. eines Schwertes in den Sprüchw. Sal. von 1400 verwendet (vgl. Adelung 4, S. 1516). 146,10 G r a f P e r g a m e n t .] Auch hier liegt – wie bei Freyer – ein sprechender Name vor. Pergamentpapier zeichnet sich durch seine hohe Beständigkeit aus. In der Antike und im MA. wurde es für geistliche und literarische Handschriften, später nur noch für wichtige Urkunden verwendet. Hier dient der Name vmtl. als Persiflage für die Unvergänglichkeit und Beständigkeit der Aristokratie. Möglich ist auch, daß Pergament »als lediglich durch seine adlige Urkunde existierender Mensch« dargestellt werden soll (Ehrlich 1970, S. 217).
628
Erläuterungen
146,11 R i t t m e i s t e r ] Entspricht dem Hauptmann der Infanterie (vgl. Adelung 3, S. 1135; DWb 14, Sp. 1078). 146,14 Kontor] Arnim verwendet – abgesehen von Banquier (vgl. Personenverzeichnis) – stets die verdeutschte Form der aus dem Fanzösischen entlehnten Begriffe, vmtl. um einer Überfremdung des Deutschen mit französischem Wortmaterial entgegenzuwirken, während in den SW zahlreiche deutsche Wörter französiert werden (z. B. Comptoir, militairisch, Manövre). Der Grund für diese zunächst unmotiviert erscheinende Änderung der SW liegt vmtl. in veränderten, »moderneren« Schreibgewohnheiten um 1840 gegenüber antifranzösischen Tendenzen um 1813. 146,14–15 mit zwei großen Spiegeln 〈...〉 steht.] Vgl. die Ähnlichkeit des Schauplatzes in dem italienischen, der Commedia dell’ arte verpflichteten Stück Die Schwestern als Nebenbuhlerinnen von Pietro (Peter) Chiari (Arnim-Bibl. B 1016): Ein Saal mit Seitenthüren, auf einer Seite stehet ein Schreib-
tisch mit Tinten, Feder, und Papier, auf der andern ein Tisch mit einem vollkommenen Schachspiele (Peter Chiari, Le Sorelle Rivali, Die Schwestern als Nebenbuhlerinnen, oder Brauth, und Bräutigam in einer Person / ein Lustspiel von drey Aufzügen / Dem Italiänischen des Herrn Abbten Peter Chiari nachgeahmet, und auf der kaiserl. königl. Privilegirten deutschen Schaubühne zu Wien aufgeführet im Jahr 1767. Wien 1767, S. 4). In Chiaris Stück übernimmt das Schachspiel eine wichtige Bedeutung und bildet, an zentraler Stelle des Stückes gelegen, den Wendepunkt der Handlung. Neben der Ähnlichkeit des Schauplatzes lassen sich zwischen den beiden Stücken nur insofern Parallelen feststellen, als beide Dramen dem komischen Genre angehören, von Intrigen geprägt sind und sich die dargestellten Konflikte am Ende in Harmonie auflösen. 147,21 Lukrinsky] Vmtl. ein Neologismus Arnims durch die Kompositabildung von »lukriren« (= gewinnen, vgl. auch »luck« = leichtsinnig, locker; Klein 1792, S. 287) und »–insky«, einer polnischen Endung zur Verballhornung (vgl. den Ausdruck »Knoblinsky« = Würfelspiel). Das Wort wurde nicht im DWb aufgenommen und läßt sich weder in Lexika zur Studentensprache/Dialekten, noch im Provinzialwörterbuch (Arnim-Bibl. B 2881a-b) nachweisen. 147,27–32 Die Welt schreit 〈...〉 seyn.] Aus der alten ständischen Gesellschaft entwickelt sich im frühen 19. Jh., bedingt durch das Gedankengut der Aufklärung und der in Preußen durchgesetzten Reformen, eine neue Gesellschaftsform: »Das ständische Merkmal der Geburt«, bislang Legitimation der Vorrangigkeit des Adels, wird durch »das moderne Prinzip der Leistung und des Berufes abgelöst«. Auch wenn sich die Entwicklung langsam und »mit Überhängen ständischer Relikte« vollzieht, entsteht so bis zur Jahrhundertmitte die
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Zu: Mißverständnisse
Klassengesellschaft, in der Besitz und ökonomischer Erfolg das Ansehen und die gesellschaftliche Geltung bestimmen (Nipperdey 1998, S. 255). In Arnims Stück machen sich diese sozialen Umbrüche insofern bemerkbar, als die Heirat zwischen einer reichen Bürgerlichen und einem verarmten Adligen aus Prestigegründen und ökonomischem Interesse mit keinen (gesellschaftlichen) Hindernissen mehr konfrontiert wird. Goldmanns Bestreben, durch den Adelstitel »salonfähig« zu werden, steht jedoch einer weiteren Zeittendenz diametral entgegen: In den oberen Schichten gründen sich Ehen nicht mehr ausschließlich auf »Besitz, Arbeit, Lebensbehauptung«, sondern auch auf die personalisierte, romantische Liebe (ebd., S. 118). 147,33 Handlung] Alte Form für Handel, Handelsgeschäfte (vgl. Adelung 2, S. 955). 148,6 geahndet] Zum Gebrauch des Nomens »Ahndung« bzw. des Verbs »Ahnden« vgl. Erl. zu S. 29,17 zu Der Auerhahn. 148,22–25 In unsrer Zeit 〈...〉 machen.] Vmtl. kritische Anspielung auf die Reformen des preußischen Staatskanzlers Carl August Freiherr von Hardenberg. Seine Reformmaßnahmen zielten auf die Mittelbeschaffung zur Aufbringung der Kontributionszahlungen an Frankreich nach der Niederlage 1806/1807 ab. Der stark verkleinerte preußische Staat mußte aufgrund des enormen finanziellen Drucks seine Einnahmen schnell und effizient steigern (vgl. Nipperdey 1998, S. 43). »Steuererhöhungen, Domänenverkäufe, Säkularisierung von geistlichem Besitz« stellten bislang nie dagewesene Eingriffe in die Ökonomie und Gesellschaftsstruktur des preußischen Reststaats dar (ebd., S. 50). 148,27–30 Das soll ihm 〈...〉 Pult.] Vgl. die ähnliche Intrige in Molie`res Stück L’Avare, wo die intrigante Dienerfigur Maıˆtre Jacques ebenfalls ein Selbstgespräch führt: Maıˆtre Jacques, bas, a` part. Voici justement ce qu’il me faut
pour me venger de notre intendant. Depuis qu’il est entre´ ce´ans, il est le favori; on n’e´coute que ses conseils; (Molie`re Œuvres, S. 97–98, ArnimBibl. B 1709f; vgl. die Übersetzung: »Jacques. Genau das brauche ich, um mich an unserem Verwalter zu rächen: Seit er hier eingetreten ist, wird er bevorzugt, hört man nur auf seinen Rat 〈...〉.« – Molie`re, Der Geizige, S. 151). 149,31–32 seitdem die 〈...〉 aufgehoben.] Anspielung auf die 1810 in Preußen vorgenommene Vermögenssäkularisation, vgl. Erl. zu S. 148,22–25. 150,22 Paris soll 〈...〉 seyn,] In der gr. Mythologie Sohn des Priamos und der Hekabe, des Königs und der Königin von Troja. Paris erlangte mit den Jahren eine sehr große Schönheit und Stärke (Nitsch 1793, Sp. 1581; Arnim-Bibl. B 2882). 150,22 Adonis] Im gr. Mythos der von einem Eber (= der verwandelte Hephaistos oder Mars) getötete Geliebte der Aphrodite, Gemahlin des Hephaistos;
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Erläuterungen
Adonis war von ungemeiner Schönheit (Nitsch 1793, Sp. 41; Arnim-Bibl. B 2882); später wurde sein Name auch allgemein für die Bez. eines schönen Jünglings gebraucht. Der Name Adonis begegnet in Arnims Drama Die Gleichen sowie in einem Brief Arnims aus London an Clemens Brentano vom 2. März 1804 nach Marburg (Heidelberg 2110, 3, Briefnr. 3). 150,23 Endimion] In der gr. Mythologie ein außergewöhnlich schöner Hirte oder Jäger, der von der Mondgöttin Selene in ewigen Schlaf versenkt wurde, damit er nur ihr gehöre (vgl. Nitsch 1793, Sp. 770–772; Arnim-Bibl. B 2882). Der Endymion-Mythos, künstlerisch umgesetzt, läßt sich in Arnims Werk an mehreren Stellen nachweisen: Eine Alabasterlampe mit der Darstellung von Luna und Endymion wird in der Gräfin Dolores erwähnt (vgl. Arnim 1810 II, S. 310). In Angelika, die Genueserin singt Cosmus ein Duett zwischen Diana und Endymion (Arnim 1812, S. 310). 1820 schreibt Arnim über die
Ausstellung des Kartons des Herrn Direktors Cornelius in Düsseldorf und nennt auch den auf dem Bild dargestellten Endymion. In einem Brief vom 29. Januar 1825 aus Berlin nach Wiepersdorf berichtet BvA ihrem Mann über die Korrekturen, die sie an einer ihrer Zeichnungen vorgenommen hat, auf der Endymion und Luna zu sehen sind (vgl. FDH 12/113). 152,9 Pettschaft] Handstempel zum Siegeln, Siegelring (vgl. Adelung 3, S. 697; DWb 13, Sp. 1579). 154,4 Ehrlich währt am längsten.] Sprichwort (vgl. Wander 1, Sp. 748, Nr. 10). 154,10 Wers Glück 〈...〉 Haus.] Sprichwort, bereits zu Martin Luthers Zeiten geläufig (vgl. Röhrich 1, S. 250). 155,5 Spandau] Das Gefängnis in der Zitadelle in Spandau, zu Arnims Zeit noch ein eigenständiger Bezirk vor Berlin, war seit 1806 in den Händen der Franzosen. Durch Hinrichtungen auf dem Spandauer Markt und durch die Inhaftierung von namhaften Staatsverbrechern und Kriminellen in der Zitadelle wurde die Stadt recht früh ausschließlich mit ihrem Gefängnis als Ort des Schreckens assoziiert. 155,13–15 Wer ist er? 〈...〉 Wetz,] Die graduellen Unterschiede in den Anredegepflogenheiten sind im 19. Jh. noch stark ausgeprägt, wobei eine Systematik der Anredeformeln nicht geleistet werden kann. Grundsätzlich gilt, daß »er« bzw. »sie« (3. Person Singular) als Anrede weniger respektvoll ist als das von Goldmann hier verwendete »Sie« (3. Person Plural). »Er« und »Ihr« gelten ab 1800 zunehmend als veraltet und werden seltener verwendet (vgl. Denecke 1892, S. 327–328). Bereits im 17. Jh. war der Gebrauch von »Monsieur« sowohl in hohen als auch niedrigen Ständen gebräuchlich (vgl. ebd., S. 333), wurde aber laut Bertuchs Journal des Luxus und der Mode später für junge Män-
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Zu: Mißverständnisse
ner verwendet, die noch nicht mit »Herr« angeredet werden sollten (vgl. ebd., S. 338). 155,14 Musje] Volkstümliche Form für französisch »Monsieur«, Verballhornung. Arnim verwendet den Ausdruck auch im Wintergarten in der Erzählung Die drey Erznarren (Arnim 1809, S. 326), in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte in der vorliegenden Ausgabe S. 235,34) sowie in der Erzählung Das Städtchen Salamander (Neu Orleans), wo es in pejorativer Bedeutung auftritt. 155,30 kopulirt] vermählt. 156,7–8 Hörner kann 〈...〉 kleiden.] Das beliebte Schwankmotiv des alten Hahnreis, der von seiner jungen Frau Hörner aufgesetzt bekommt, bestimmt die Handlung in den Schaubühnen–Stücken Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie in Der wunderthätige Stein, während es hier nur angedeutet wird, vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 746. Eine etwaige Quelle für den hier verwendeten gereimten Vers konnte nicht ermittelt werden. 156,25 kullert] Das Poltern der verschlossenen Winde in den Gedärmen, niedersächsisch, auch in der Bedeutung »sich irrsinnig stellen« (Adelung 2, S. 1694). 156,27 Sie scheint genial.] Hier nicht im Sinne von »sympathisch«, »gemütlich« (DWb 5, Sp. 3393), sondern durchaus kritisch zu verstehen. Vgl. die ähnliche Verwendung des Wortes in der Päpstin Johanna, wenn Johanna ihre Meinung über die Fürstin Venus äußert: Sie ist gemein, doch ist sie genial, sie ist mein Trost, wenn alles mir zur Qual (WAA 10, S. 192 sowie Johannes Barths Erl., ebd., S. 983–984). 156,30–31 Straßburger Leberpastete] Foie Gras, eine Spezialität aus dem Elsaß, die bei Arnim in anderen Kontexten oft abwertend verwendet wird. In einem Brief an Clemens Brentano aus Genf nach Düsseldorf (über Marburg) vom 18. November 1802 bezeichnet Arnim Novalis’ Heinrich von Ofterdingen als Gänseleberpastete, woran man sich leicht den Magen verdirbt (FDH 7349). Auch in der Tischrede Der Philister vor, in und nach der Geschichte wird die Gänseleber zu einem polemischen Vergleich herangezogen: Dort werden philosophierende Philister mit gemästeten Gänselebern verglichen. 156,33–157,9 ich habe 〈...〉 machen!] Schweinefleisch galt zu Arnims Zeit als »Fleisch der ärmeren Klassen« (Nipperdey 1998, S. 153). In seinem Brief aus Wien vom 18. Dezember 1813 an Arnim nach Berlin berichtet Clemens Brentano, daß er für eine eventuelle Aufführung des Stückes auf einer österreichischen Bühne die Scene vom Wurstmachen, welches hier anstößig empfunden habe umschreiben müssen (vgl. AZ 16, S. 486,3–4).
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Erläuterungen
157,17 blutdürstige Amazone] Die Männliches und Weibliches in sich vereinigende Amazone erfährt im Geschlechterdiskurs um 1800 eine ambivalente, tendenziell negative Bewertung. Vgl. zu Arnims Verwendung des Motivs in anderen Werken Vickie Ziegler, Arnims Amazonen, in: Grenzgänge. Studien zu Ludwig Achim von Arnim, hg. v. Michael Andermatt. Bonn 1994, S. 169–186. 157,32 grand maitre 〈...〉 rape´] Übersetzt: Großmeister des Schnupftabaks, hier parodistisch-satirisch verwendet. 157,32–34 Ritter des 〈...〉 Stiftung.] In August von Kotzebues Stück Die deutschen Kleinstädter (1803) werden – ebenfalls satirisch – möglichst ausgefallene Titel wie etwa Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut oder Unter-Steuer-Einnehmerin verwendet (vgl. August von Kotzebue, Neueste deutsche Schaubühne (Die deutschen Kleinstädter, Die Kreuzfahrer, Das Erbtheil des Vaters). 2. Bd. Augsburg 1803, S. 2). Nur durch die Titel erhalten die Bürger des Provinzstädtchens Krähwinkel das nötige Ansehen in der Gesellschaft, eine Anspielung auf die allgemeine »Titelsucht« im 19. Jh. (Denecke 1892, S. 342). 162,21 Stickfluß] Krankheitsfluß im Körper, der den plötzlichen Tod durch Ersticken herbeiführt (vgl. Adelung 4, S. 322; DWb 17, Sp. 1360; DWb 18, Sp. 2747). 162,31 Saul] Im folgenden werden zwei weitere jüdische Namen genannt, die an alttestamentarische Herrscher bzw. wichtige Persönlichkeiten erinnern. Im A.T. ist Saul der erste König des alten Israels, vgl. 1. Sa 8–15. Die in dieser Passage erwähnten jüdischen Namen bleiben zwar scheinbar neutral, sind aber vor dem Hintergrund, daß die negativ angelegte Figur Wetz mit ihnen Verkehr hat, als Wetz’ kriminelles Umfeld assoziiert. Es ist also eine implizit antisemitische Tendenz festzustellen. 162,31 diskontirt] Eine später fällige Forderung, einen Wechsel unter Zinsabzug kaufen oder verkaufen (DWb 2, Sp. 1190). 163,3–4 Judas Maccabäus] Der Name ist vmtl. aus dem A.T. entlehnt und erinnert an den israelischen Herrscher und Heerführer Judas Makkabäus, vgl. 1. Makk 3, 1–9, 22. 163,4 Jephta] Jüdischer Name, vmtl. aus dem A.T. entlehnt. Jephtha war einer der bedeutendsten Richter Israels, vgl. Ri 11–12. 163,14 Friedrichsd’or] Ein Friedrichsd’or, die preußische Entsprechung des Louisd’or, enstpricht dem Wert von fünf Talern. 164,1 Hasendonner] Neologismus Arnims. Als Kompositum vereint der sprechende Name assoziativ Ängstlichkeit (Hasen-) mit Naturgewalt (-donner), unterliegt also dem Stilmittel des Oxymoron (ähnlich wie der Name Brandeis in Jann’s erster Dienst).
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Zu: Mißverständnisse
164,3 Krümper] Anspielung auf das »Krümpersystem« in Preußen, das 1808 durch Gerhard Johann David von Scharnhorsts Militärreform eingeführt wurde: Durch vorzeitige Beurlaubung und Neueinstellung gelang es, die Zahl der ausgebildeten Soldaten – sogenannte Krümper – über die von Napoleon erlaubte Zahl von 42 000 Mann zu erhöhen (vgl. Nipperdey 1998, S. 53). 164,31–165,9 Freyer, finde 〈...〉 ist.] Die Stelle erinnert an Molie`res Stück L’Avare, in dem das im Garten versteckte Gold des Geizigen Harpagon gestohlen wird. Durch den Diebstahl aufgebracht, macht dieser seinen Diener und Verwalter Vale`re dafür verantwortlich, der ihm sonst treu und ehrlich gedient hat. Durch den neidischen Maıˆtre Jacques, einen weiteren Bediensteten, wurde Harpagon zu diesem Verdacht angestiftet. Als der Hausherr den verdächtigen Diener Vale`re gemeinsam mit einem Polizeibeamten verhört, glaubt Vale`re, daß seine Liebe zu Harpagons Tochter Elise, mit der er ein Heiratsversprechen unterzeichnet hat, aufgedeckt wurde. Er bekennt sich schuldig und hört sich geduldig die Vorwürfe Harpagons an, der wieder zu seinem gestohlenen Geld gelangen will. Erst am Ende der langen Szene tritt das Mißverständnis zutage. Sowohl Vale`re als auch Harpagon erkennen, daß sie von zwei unterschiedlichen Dingen gesprochen haben:
Harpagon. Approche, viens confesser l’action la plus noire, l’attentat le plus horrible qui jamais ait e´te´ commis. Vale`re. Que voulez-vous, monsieur? Harpagon. 〈 ..〉 Comment! abuser ainsi de ma bonte´, et s’introduire expre`s chez moi pour me trahir, pour me jouer un tour de cette nature! 〈...〉 Vale`re. C’e´toit mon dessein de vous en parler, et je voulois attendre pour cela des conjonctures favorables; mais puisqu’il est ainsi, je vous conjure de ne vous point faˆcher, et de vouloir entendre mes raisons (Molie`re Œuvres, S. 100–101; Arnim-Bibl. B 1709f, vgl. die Übersetzung: Harpagon 〈zu Vale`re〉. Tritt näher: gestehe sogleich die schwärzeste Tat, den fürchterlichsten Anschlag, der je begangen worden ist. Vale`re. Was wünscht Ihr, gnädiger Herr? 〈...〉 Harpagon. 〈...〉 Wie kann man derart meine Güte mißbrauchen, sich absichtlich bei mir einschleichen, um mich zu hintergehen? 〈...〉 Vale`re. Gnädiger Herr, da man Euch alles entdeckt hat, will ich keine Ausflüchte suchen und die Sache nicht abstreiten (Molie`re, Der Geizige, S. 155).
168,8 Noch habe 〈...〉 Schwerdt] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1170. Es liegen keine weiteren Varianten dieses Lieds vor. 168,13 Wittwenkasse] Kasse, an die Beiträge gezahlt wurden, um verwitweten Frauen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren (vgl. DWb 30, Sp. 848). 168,24 Aber die Moral, 〈...〉 die?] Im rührenden Lustspiel ist neben einem harmonischen Ende stets eine Moral enthalten. In Arnims Lustspiel wird dies im folgenden persifliert.
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Erläuterungen
168,25–26 Wenn sich 〈...〉 Tisch.] Dorothea Streller hat als erste darauf hingewiesen, daß Arnim den letzten Satz des Stückes aus Goethes und Schillers Xenien entlehnte (vgl. Streller 1956, S. 89). Der von Schiller verfaßte Dialog in Distichen mit dem Titel Shakespeares Schatten erschien 1797 im Musenalmanach. Es handelt sich um ein Streitgespräch zwischen »Er« und »Ich«. Mit »Er« ist Heros gemeint, d. h. Shakespeare als Anwalt des klassischen Theaters, mit »Ich« der Repräsentant der gegenwärtigen Bühne als Vertreter des rührenden Lustspiels.
Er Also eure Natur, die erbärmliche trift man auf euren Bühnen, die große nur nicht, nicht die unendliche an? 〈Ich〉 Der Poet ist der Wirth und der letzte Actus die Zeche, Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch
(NA 1, S. 359–360).
Die einzige Änderung, die Arnim vornimmt, ist die Umwandlung des Wortes »erbricht« in »bestraft«. – Shakespeares Schatten gehört zu den von Goethe und Schiller verfaßten Xenien, die als Abrechnung mit ihren Gegnern und auch mit den mittelmäßigen Theaterverhältnissen intendiert waren. In dem vorliegenden Dialog beabsichtigt Schiller, die beliebte Dramatik des rührenden Lustspiels und deren Verfasser, insbesondere August von Kotzebue und Friedrich Ludwig Schröder, in einer allgemeinen Satire zu verspotten. »Schiller durchschaute den Zusammenhang von Form und Gehalt der bürgerlichen Rührstücke, wie ihn eine Moral stiftete, die zwar Herrschaft in der Privatsphäre des einzelnen beanspruchte, für die Sphäre des Großen, der Politik aber auf jede Geltung von sich aus verzichtete« (Franz Schwarzbauer, Die Xenien. Studien zur Entstehung der Weimarer Klassik. Diss. Konstanz. Mikrofiche 1990, S. 307).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier aus Wesel im Jahre
1629. Schauspiel in drei Handlungen Quelle: Joan. Phillipum Abelinus, 〈Bericht über die Befreiung der Stadt Wesel〉, in: ThE II, S. 95a–97b 95a
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Dann als die Stadischen gesehen / daß ein gute Zeit hero ein grosser Vorrath an Proviand vnd allerley Kriegs-Nothturfft / wie auch ein grosser Schatz vnnd Reichthumb in die Statt Wesel zu Behuff deß Königlichen Lägers gebracht worden / haben sie dahin getrachtet / wie sie den Spanischen diesen Vortheyl abschneiden möchten / derowegen dem von Dyden / Capitain Wolffen / vnnd mehr andern KriegsObristen / einen Anschlag auff diese Statt ins Werck zu richten befohlen: Diese haben darauff sechtzehenhundert zu Fuß / so theyls FewerRohr / theyls halbe Lantzen hatten / vnd acht Compagnyen Reutter zu sich genommen / vnnd sich angestellet / als wann sie auff die Convoy von Wesel / so eben damals nach dem Spannischen Läger gehen solte / passen wolten / welches der Gubernator in Wesel auch also geglaubt / und deßwegen die Convoy mit etlich Compagnyen Reutter verstärckt. Wie nu besagte Convoy den siebenzehenden Augusti dem Läger zugangen / haben die Stadische in aller Still vmb Wesel her sich zusammen gethan / vnd den neunzehenden dises deß Morgens zwischen drey vnnd vier Vhren jhren Anschlag ins Werck gerichtet / vnd die Statt mit Behändigkeit erstiegen. Welches dann eygentlich folgender Gestalt zugangen. Es war in vorgedachter Statt einer / Nahmens Peter Mülder / dem gieng das Elend der Bürgerschafft / als welche nun so viel Jahr lang vnter dem verdrießlichen Spannischen Gubernament leben / vnd darüber vielfältige Trangsalen erdulden müssen / zu Hertzen / name jhm derhalben vor / die Statt von solchem Joch zu befreyen / vnd loß zu machen: Vnd auf solche seine Meynung bewegte er auch seinen Bruder Dirick Mülder / vnd noch seiner guten Bekandten einen Jan RottLeer genant. Diese nach dem sie alles wol bedacht vnd berathschlaget / 636
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gaben sie sich in geheimb bey den Stadischen an. Worauff allerhandt Anstellung den Anschlag zu effectuiren gemacht worden. Worzu dann dieser Zeit gute Befürderung vnd Gelegenheit praesentirte ein new Bollwerck / so an der OstSeiten der Statt gemacht wurde / vnnd noch nicht verfertiget war / dardurch an selbiger Seiten die Statt gleichsamb offen / vnd nur mit einer Stacket / so kein grossen Gewalt abkehren kondte / versehen war. Peter Mülder hatte auch an demselbigen Orth die Beschaffenheit deß Grabens / vnd dergleichen gar eygentlich erkundiget / auch ein schweren eysern Hammer verfertiget / die Stacket darmit zu brechen. Wie nun alle Sachen bestellet / ist er den 18. Augusti deß Nachmittags / etwan drey Stundt vor dem Thorschliessen auß Wesel gegangen. Ein Stundt hernach ist zu einer andern Porten hinauß gefolget sein Bruder / vnnd dann endtlichen Jan Rootleer / welcher eben vor dem Thorschliessen gleichfals zu einer andern Porten hinauß gangen / auff das alles vnvermerckt zugehen möchte / vnd also der letzte den ersten avisiren könte / ob vielleicht auch etwan in der Statt einige Kundschafft von dem Anschlag eingebracht were. Welches aber alles nach Wunsch ablieff / vnnd kamen diese drey auff einem bestimbten Orth zusammen / vnd baten GOtt vmb fernern Beystandt / Klugheit / Muth vnd Stärcke / jhr Vorhaben zu vollbringen. Erwarteten also deß Freyherrn von Dyden / welcher das OberCommandement hatte vber diesem Anschlag / vnd nach Mitternacht mit seinem bey sich habendem Volck von vnderschiedlichen Strassen heran kam. Darauff ist geloset worden / wie das Volck einander folgen solte / vnd ist das erste Loß gefallen auff Capitain Jann Huygens / das ander auff den Drost von Beefort / das dritte auff Mons. Diest / das vierdte auff Mons. Marquette, das fünffte auff Mons. Lauwyck / ein jeder mit 150. Mann. Der Anfall geschahe auf das vorgesagte Bollwerck; gegen welchem Peter Mülder mit seinen zween Gesellen voran gieng / die Pallisaden mit seinem eysern Hammer zerbrach / vnnd also den Stadischen ein guten Zugang machte. Welche darauff mit tapfferm Muth folgeten / vnnd mit grosser Couragy in die Statt hinein trungen. Was sie in den nechsten Corpdgarden antraffen / ward nieder gemacht. Darauff sie fortruckten nach dem grossen Marckt. Capitain Huigens / so der erste war / hatte drey Scharmützel mit den Spanischen / darunter der vornembst vnter der GefängnußPort geschahe / darbey er vber 40. Mann nicht hatte: Dann mit den vbrigen er die eingenommene Porten vnd Strassen besetzt / darmit er nicht von hinden vberfallen werden 637
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
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möchte. Vnter dessen ist Peter Mülder mit etlich Stadischen Soldaten in grosser Eyl nach eines Schmidts Hauß / so in der nähe war / gelauffen / vnd als derselbige / so seiner gute Kundtschafft hatte / auffgemacht / alsobald die gröste Hämmer zu sich genommen / worauff deß Schmidts Knecht jhnen auch gefolget / vnn an der Braunischen Port die Schloß mit Gewalt abgeschlagen / dieselbe eröffnet / auch die Fallbrücke nidergelassen. Darauf ist die Reuterey / so draussen auffgewartet / auch in die Statt ein vnd die Strassen vnd Gassen auf vnd nidergeritten / vnd endlich sich auf den Marckt zusammen gesamblet. Vnter dessen ist auch dz vbrige Fußvolck hinein kommen / vnd alle Porten wie auch den Wall / rund vmb die Statt eingenommen / nach dem sie alle Corps de Guarden glücklich vberwältiget. Auff dem Marckt wurde eine Compagny Kürisser / welche die Munition / Proviant vnnd andere Kriegs-Bereitschafften so auff Wagen vnnd Karren geladen daselbs stunden / verwacheten / weil sie sich zur Wehr stelleten / meistentheyls nidergehawen. Die vbrige Spannische deren ohn die Officirer 1042. gemeine Soldaten gewesen / wurden sampt dem Gubernatorn / Francisco Lozano gefangen genommen; Davon aber der von Dieden nur die vornehmste behielte / die andere aber vber Rhein führen / vnnd wohin sie wolten / lauffen liesse. Die zwo Schantzen haben sich darauff auch ohne erwartet einiges Schusses / mit Accord vbergeben. Blieben also die Statischen Meister in der Statt / deren vber zehen nicht bey diesem Wesen vmbkommen / aber doch viel verwundet worden: der Spannischen aber sind bey siebentzig neben drey Capitänen auff dem Platz geblieben. Der von Dyden ließ alsbald die Schiffbrück abhawen / damit er desto besser / biß er mehr Volck zu sich bekähme / vnd die Statt vor einen feindtlichen Anfall ein mehrers verwahret würde / versichert seyn köndte. Zu welchem End er auch stracks nach der Eroberung die Statt mit newen Schantzen zuversehen anfienge. In der Statt ward ein grosser Schatz gefunden / nemblich an bahrem Geld fünffhundert tausend Gülden / so in das Spanische Läger / zu Bezahlung der Soldaten sollen geführet werden; vber dieses noch viertzig tausent Ducaten / viel Kleynodien vnd ander Gold vnd Silber; ein grosse anzahl Waffen vnd Munition / etliche hundert mit Munition vnnd Proviand geladene Wägen / so nach dem Spannischen Läger gesolt / vnd siebenzig Stück Geschütz. 638
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Von den Bürgern ist niemand geplündert / aber alle Brabandische Kramladen / köstliche Kleynodien / sampt 22. Fäßlein voll Realen von achten / vnd fünff von Pistoleten vnn andere Wahren sind den Soldaten preiß gegeben worden. Die beste Pagagy Graff Heinrichs von dem Berg / wie auch deß Graven Monte Cuculi / ingleichem der Kayserlichen Officirer vnd Soldaten / vnd sonderlich der Crabaten hin vnn wider zusammen gebrachter Raub ward alda gefunden. In beygefügtem Kupffer bedeuten die Buchstaben a. S. Willebrods Kirch. b. den grossen Marckt. c. den Vercken Marckt. d. die Stein-Port. e. deß Gubernators Hauß. f. die Gefängnuß Port. g. die Burg oder Junckers Hauß. h. S. Antonij Kirch. i. Fleßtens Port / so zugemacht. k. Ein Kornmühle / welche von von 〈sic〉 einem kleinen Wasser / die Yselt genandt / getrieben wird. l. das new angefangene Bollwerck darvff der Anfall von den Stadischen gethan worden. Als diese glückliche Eroberung in den vereynigten Niderlanden erschollen / ist allenthalben grosse Frewd vnd Frolocken gewesen / auch offentliche Dancksagungen deßwegen angestellet worden. Im Läger vor Hertzogenbusch ließ Printz Friderich Henrich alle Stück abschiessen / auch die Musquetirer Frewden Schüß thun / die Pickenierer hatten oben an jren Picken Büschlein Stroh gebunden vnn angezündet / welches also schimmerte / als wann das gantze Läger im Brand stünde. Hingegen entstunde vber dem Verlust dieser so vornehmen Statt groß Leyd vnnd Trawrigkeit / wurden auch dardurch so wol in Teutschland / als in den Niderlanden viel wichtige Consilia geändert vnd zu nicht gemacht. Der Spanische darinn gewesene Gubernator Franciscus Lotzanus vnnd sein Obrister Wachtmeister de la Plare Galleron genant / so gefangen nach Arnheimb gebracht / vnd nach Erlegung ihrer Rantzion wider loß gelassen worden / sind nachmals zu Antorff / vmb daß sie die Statt ntt besser verwahret / enthauptet worden. Zu Arnims Quelle Arnims Anmerkung am Ende der Schaubühne zufolge gab die Veranlassung für das Stück ein Bild im zweiten Bande des theat. Europ. (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,12–14). Weiter führt er aus, daß der das Bild begleitende Chroniktext, obgleich wenig ergreifend, doch ein Paar gute Momente geliefert habe (ebd., S. 334,14–15).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Bei der genannten Quelle handelt es sich um das von Matthäus Merian d. Ä. herausgegebene Geschichtswerk mit dem Titel Theatri Europaei, Das ist:
Historische Chronick / Oder Wahrhaffter Beschreibung aller führnehmen vnd denckwürdigen Geschichten / so sich hin vnd wider in der Welt / meisten theils aber in Europa / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633. zugetragen 〈...〉. Arnim besaß den zweiten Band in der dritten Auflage aus dem Jahr 1646 (vgl. Arnim-Bibl. B 32b). In dieser Ausgabe befindet sich auf den Seiten 95–97 der Bericht über die Befreiung der Stadt Wesel, der Arnim als Vorlage diente. Neben der Beschreibung des Kriegsverlaufs sind dort zwei die Geschehnisse illustrierende Kupferstiche abgedruckt (vgl. Abb. 4–5, S. 352–353). Offenbar dienten ihm beide als Anregung, wenn auch nur für einzelne Repliken innerhalb des Dramas (vgl. die Erl. zu S. 193,7, S. 194,33 und S. 202,14–15; zur Text-Bild-Relation im Stück vgl. Pietsch 2004). Auf dem explizit als Quelle benannten Kupferstich ist »Peter Mülder«, der exponierte Held des Stücks, in der Bildmitte zu sehen. Drei weitere Personen werden mit Namen genannt: »Jan Rotleer« und »Direk Mülder«, zwei Bürger Wesels, sowie der niederländische Befehlshaber »H van Dieden«. Die namentliche Nennung einzelner Personen auf den Kupferstichen ist im Theatrum Europaeum (ThE) nicht selten. Beispielsweise werden Offiziere oder Ingenieure am Bildrand erwähnt, die dem Verlag Merian gegen Entgelt Zeichnungen und erklärende Berichte übersandten. Diese wurden dann vom jeweiligen Verfasser des Chronikbandes – in Bd. 2 durch den Kompilator Johann Philipp Abelinus – noch einmal überarbeitet (vgl. Bingel 1909, S. 121). Bei dem von Arnim erwähnten Kupferstich handelt es sich um die Retusche eines Stiches (Künstler nicht zu ermitteln), der dieselbe Szene seitenverkehrt darstellt, jedoch mit dem niederländischen Zusatz in der oberen Bildmitte: Inde naere duystre nacht / Quam dit Wesel onverwacht (In der unheimlichen finstren Nacht / Kam man unerwartet nach Wesel; vgl. Abb. 3, S. 351). Ist der Kupferstich im ThE bereits eine Spiegelung des Originals, so ist Arnims Drama im metaphorischen Sinn eine weitere Spiegelung der Spiegelung. Denn die von ihm als Folie genutzten historischen Ereignisse aus dem Achtzigjährigen Krieg enthalten zahlreiche Anspielungen auf die eigene Situation während der Besatzungszeit Preußens durch die Franzosen und bieten damit Raum für eine historisch-kontextualisierende Interpretation (weiterführende Literatur u. a. bei Ehrlich 1970, S. 148–152; Pross 2001, S. 207–244; Pietsch 2004, S. 276–281). Das ThE dient Arnim auch für sein zu Lebzeiten nicht veröffentlichtes Drama Die Capitulation von Oggersheim (Erstdruck in SW 6, S. 225–348) als historiographische Vorlage. Dieses Lustspiel kann als »komische〈s〉 Pendant« zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel bewertet werden (Ehrlich 1970,
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Zu Arnims Quelle
S. 178).1 Beim ThE handelt es sich um eine reich bebilderte, rein kompilatorische Chronik in 21 Bänden, die die Jahre 1618 bis 1718 umfaßt. Dieses Geschichtswerk beschäftigte die Familie Merian und ihren Verlag in der protestantischen Reichsstadt Frankfurt/M. über drei Generationen hinweg und stellt die sowohl aufwendigste als auch umfangreichste Unternehmung des Merianischen Verlages dar (vgl. Wüthrich 1993, S. 118). Aus dem 17. Jh. existiert kein vergleichbares Werk, das in ähnlicher Weise Zeitgeschichte umfassend, unmittelbar und detailreich schildert (vgl. ebd., S. 116). Das ThE verzeichnete von Anfang an einen großen Publikumserfolg und erfuhr zahlreiche, z. T. überarbeitete Auflagen.2 1633 erschien zuerst der Bd. 2 (Arnim-Bibl. B 25), zunächst noch unter dem Titel Historische Chronik analog zu dem unter diesem Namen bei Merian veröffentlichten achtteiligen Geschichtswerk, das von Johann Ludwig Gottfrid verfaßt worden war. Bd. 2 berichtet über die historischen Ereignisse der Jahre 1629 bis 1632. Zwei Jahre darauf wurde Bd. 1 veröffentlicht, nun mit dem in späteren Neuauflagen auch auf Bd. 2 übertragenen Haupttitel Theatrum Europaeum. Im 17. Jh. wurden Chroniken und andere Schriften häufig als »Theatrum« bezeichnet.3 In der Vorrede zu Bd. 1 wird außerdem erklärt, wie es zu dem Zusatz »Europaeum« kam:
Dieweiln aber auch bey vns Hoch-Teutschen / die wir vns vnter dem Teutschen Römischen Reich befinden / seithero Anno 1618. eine merckliche grosse Bewegung in jhre Wirckung getretten / in welche das Fatum noch viel andere mehr Monarchien vnnd Königreiche zeitlich mit eingeflochten / daß wir diese 1
Der von Arnim für dieses Lustspiel verwendete Quellentext befindet sich im 1. Band des
ThE I, S. 538b–539a: Ein Schafhirt zu Ogersheim accordirt mit den Spanischen. Auch in diesem aus drei Akten bestehenden Lustspiel steht die Tat eines einzelnen im Vordergrund: Der Schäfer Hans Warsch bewahrt die von den Bürgern verlassene Stadt Oggersheim im Jahr 1621 vor der Plünderung durch die Spanier. Die im
ThE geschilderte »unpatrio-
tische Begebenheit wird bei Arnim patriotisch 〈...〉« (Ehrlich 1970, S. 361). Charakteristisch ist auch die satirisch-humoristische Überbietung der Quelle, wie z. B. in III, 1–3, wo Warsch als Wöchnerin verkleidet auftritt (vgl. SW 6, S. 315–335). 2
Der für das
Schaubühnen-Stück als Quelle verwendete Bd. 2 wurde sogar ins Nieder-
ländische übersetzt, Veröffentlichung 1642 (vgl. Wüthrich 1993, S. 152). 3
Allein in Arnims Bibliothek befinden sich zwei weitere Titel dieses Namens, vgl. Elias
Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum Containing Severall Poeticall Pieces of our Famous English Philosophers 〈...〉. London 1652 (Arnim-Bibl. B 1516); Christian Matthias, Theatrum Historicum Theoretico-Practicum: Das ist: Nutz- und Lehr-reicher Historischer Schau-Platz / Auff welchem Die vier grossen Monarchien der Welt / 〈...〉 höchste Gewalt getragen. 〈...〉. Frankfurt/Leipzig 1699 (Arnim-Bibl. B 29).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
weit außsehende Commotionem wol pro Europaea halten / v〈n〉nd sie also nennen mögen 〈...〉 (ThE I, S. 1 ). a
Der Kompilator dieser ersten beiden Bände war der gebürtige Straßburger und aus dem Schuldienst suspendierte Lehrer Abelinus (Abele). 1637, drei Jahre nach Abelinus’ Tod, erfuhr Bd. 2 eine Revision durch Johann Flitner, um die Partheyligkeit vnnd eigene〈n〉 Vrtheils (ThE II, An den Leser S. Iv) des verstorbenen Chronisten zu tilgen. Abelinus hatte in der ersten Ausgabe des 2. Bds. 1633 deutlich für die protestantisch-schwedische Seite Partei ergriffen. Der Grund dafür war der Aufenthalt der verbündeten Schweden in Frankfurt während der Zeit der ersten Veröffentlichung der Chronik. Nach der Niederlage des schwedischen Heeres bei Nördlingen 1634 und der darauf folgenden unmittelbaren Bedrohung Frankfurts durch die Katholiken wurden die pro-schwedischen Formulierungen im ThE z. T. abgeschwächt. Vor diesem Hintergrund ist auch die harsche Kritik an Abelinus in Merians Vorrede zur Neuauflage zu verstehen (vgl. Bingel 1909, S. 18; 21–22). Die durch Flitner vorgenommenen Änderungen sind für Bd. 2 jedoch nicht so umfassend wie in der Vorrede angekündigt. So läßt sich die protestantisch-proschwedische Prägung der Texte noch in späteren Auflagen, also auch in der von Arnim verwendeten, deutlich nachweisen (vgl. ebd., S. 20). Die Anordnung der kompilierten historischen Berichte erfolgt nicht streng chronologisch, sondern durch kausale Verknüpfungen. Die beiden ersten Bände des ThE konzentrieren sich auf die Glaubenskämpfe im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation des frühen 17. Jhs. Ausgehend von den deutschen Territorien werden parallele Entwicklungen in anderen europäischen und z. T. auch außereuropäischen Ländern beschrieben. Die geschichtlichen Daten und Informationen sind Augenzeugenberichten, Flugblättern sowie anderen gedruckten Schriften entnommen. Dabei werden die verwendeten Quellen nur selten bzw. ungenau angegeben. An das Ende einer Schilderung sind häufig moralische Sentenzen angefügt, die der geschichtlichen Darstellung im Sinne der Historia-magistra-vitae-Formel eine belehrend-didaktische Tendenz verleihen, wie es dem humanistischen Bildungsideal entsprach (vgl. Rüdiger Landfester, Historia Magistra Vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts. Genf 1972. (Travaux d’Humanisme et Renaissance CXXIII), S. 133–134). Dies ist ein typisches Verfahren für die Geschichtsschreibung vor ihrer Verwissenschaftlichung im 19. Jh. Die Kupferstiche haben neben ihrem illustratorischen Unterhaltungswert auch die Funktion, die Authentizität der geschilderten Ereignisse zu unterstreichen und damit die Autorität des ThE zu vergrößern. Zudem sollen die Bilder »den Wert des Werkes als historisches Lesebuch für alle Stände erhöhen« (Wüthrich 1993, S. 116).
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Zu Arnims Quelle / Wesel um 1629
Wesel um 1629 in anderen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts Da der historische Quellenwert des ThE umstritten ist (vgl. Wüthrich 1993, S. 116), stützt sich der vorliegende Kommentar auf weitere zeitgenössische Quellen zu Wesel im 17. und 18. Jh. sowie auf die neuere Forschung zur Stadtgeschichte. Dadurch können die durch Quellen gesicherten historischen Begebenheiten von fiktionalen Elementen des Stückes geschieden und so sowohl Arnims literarische Bearbeitung des Stoffes als auch die historische Dimension der dargestellten Ereignisse besser eingeordnet werden. Die im folgenden erwähnten Quellen aus dem 17. und 18. Jh. hat Arnim vmtl. nicht gekannt.4 Daß diese historiographischen Texte dennoch im Einzelstellenkommentar Erwähnung finden, soll der Einordnung des Dramas in den historischen Kontext dienen. Schließlich soll gezeigt werden, welche Akzentsetzungen Arnim bezüglich des historischen Stoffs vornimmt und inwiefern sich die im ThE geschilderten Ereignisse von anderen Quellentexten unterscheiden. Der Kommentar intendiert dabei nicht, die überprüfbare historische Faktizität auf Arnims Drama zu applizieren. Arnims Stück wird als literarisches Produkt seiner Zeit wahrgenommen, das den historischen Quellentext für seine Zwecke instrumentalisiert und fiktionalisiert. Der Kommentar dient dazu, die von Arnim vorgenommenen Änderungen entsprechend zu würdigen, aber auch die historische Bedeutung der dargestellten Geschehnisse besser einordnen zu können. Der früheste Augenzeugenbericht zu den geschichtlichen Ereignissen in Wesel im August 1629 findet sich in der Chronik des Weseler Bürgers und lutherischen Presbyters Heinrich von Weseken.5 Weseken beschreibt die Einnahme der Stadt durch die Niederländer aus der Perspektive des an den Kampfhandlungen unbeteiligten Bürgers weniger detailreich und weit nüchterner als der Chronikbericht im ThE:
Item Sontagh, den 19. Tag Augusti so frühe es Licht worden am Morgen, sind die Stadischen zu Fuß und zu Pferd starck alhier ankommen und uber das newe 4
Eine der Quellen lag zu Arnims Zeit nur in handschriftlicher Form vor, eine weitere
ausschließlich in niederländischer Sprache. Die dritte Quelle, die im folgenden behandelt
Westphälischen Magazin zur Geographie, Historie und Statistik veröffentlicht – eine Zeitschrift, die Arnim wahrscheinlich nicht gekannt haben
wird, wurde im 18. Jh. im dürfte. 5
Erstdruck Weseken 1992. Die Überlieferung der Chronik ist in der Abschrift (in Auswahl)
des Weseler Pastors Anton von Dorth überliefert (vgl. Werner, M. 2003, S. 19; 24). Weseken zeichnete die geschichtlichen Ereignisse der Jahre 1596 bis 1632 auf. Das Exzerpt Dorths enthält v. a. Berichte über den Niederrhein (vgl. Weseken 1992, S XVII).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Rondeel zwischen der Brunschen und Demschen Porten die Schiltwacht bekrapen und umbbracht. Darnha vort die Demsche Pfort opgeschlagen und hauffenweiß einkommen. Drey Capiteins und viel andere Spanjer umbgebracht. 〈...〉 Der Her von Dieden und Captein Wolff mit seinem Sohn und Rittmeister Isselstein seind es principaliter, die den Anschlag gemacht haben. Haben also die Spanjer 15 Jahr weniger 3 Wochen diese Statt eingehabt (vgl. Weseken 1992, S. 378–379).
Bemerkenswert ist an diesem Bericht das vollständige Fehlen von Peter Mülders/Mollers Engagement, das im ThE ausführlich Erwähnung findet. In diesem Punkt unterscheidet sich Weseken von allen übrigen Quellen. Erst ein Jahr später vermerkt er im Zusammenhang mit Mülders überraschendem Tod am 19. Oktober 1630, daß dieser mit ein Ursach gewesen, daß die Stadischen in diese Statt kommen sein wie auch sein Bruder (Weseken 1992, S. 389). 1630 erschien die niederländische Abhandlung von Pieter Bor Christiaenzoon mit dem Titel Gelegentheyt van’s Hertogen-Bosch vierde Hooft-Stadt
van Brabandt: haer oorspronck, fundatie ende vergrootinge, verscheyden hare Belegiringen; ende eyntlycke overwinninge verrassinghe ende inneminghe van Wesel ende meer and Gschiedenissen d. Jaers 1629. Darin wird die Geschichte von ’s-Hertogenbosch, einer der wichtigsten Städte in Brabant, behandelt, die von den Niederländern im Jahr 1629 eingenommen wurde. Ferner wird ausführlich über den niederländischen Überraschungsangriff auf die Stadt Wesel und über die dabei gemachte reichhaltige Beute berichtet. Christiaenzoons und Wesekens Berichte sind v. a. aufgrund der gegensätzlichen Positionen ihrer Verfasser lesenswert. Während Weseken aus der Perspektive eines Weseler Bürgers beschreibt, wie die Stadt über Nacht von den Niederländern eingenommen wurde, um dann über die Folgen der erneuten Besatzung zu berichten, argumentiert Christiaenzoon aus der Siegerperspektive. Werden bei Weseken v. a. Privatpersonen und deren Schicksal fokussiert, geht Christiaenzoon stärker auf die politischen Konsequenzen der Einnahme Wesels ein. Die Stilisierung Mülders/Mollers zum »Befreiungshelden« findet sich weder bei Weseken noch bei Christiaenzoon in größerem Ausmaß. Erst in dem vier Jahre nach der Eroberung Wesels erschienenen ThE kündigt sich diese Tendenz an und prägt sich in späteren Berichten weiter aus. Ein Grund für diese schließlich zur Glorifizierung neigende Stilisierung könnte der frühe Tod des historischen Mülders/Mollers sein, der bereits 1630 bei einem Unfall ums Leben kam6. 6
Vgl. dazu den Bericht in Wesekens Chronik: 19. Octobr〈is〉, saterdags, ist Peter Möller oder Kuyper von sein eigen Cammeraedt unversehens todt geschossen (Weseken 1992, S. 389).
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Wesel um 1629/Die geschichtliche Situation
Eine Nacherzählung der Ereignisse von 1629 unternahm im späten 18. Jh. Johann Nikolaus Hüther (vgl. Hüther 1786). Hüther berichtet detailliert von Peter Mülders/Mollers heranreifendem Plan, die Niederländer über die schlechte Befestigung der Stadt in Kenntnis zu setzen, und von dem Überraschungsangriff auf die Spanier. Es geht Hüther v. a. um die Klärung des Ursprungs des »Spanischen Festes« (informell auch als »Spanisches Blutsaufen« bezeichnet), das die Bürger Wesels bis zur Besatzung durch die Franzosen 1806 alljährlich zur Erinnerung an die Ereignisse von 1629 feierten. Seine Schilderung spiegelt die Tradierung des geschichtlichen Stoffes im 18. Jh. wider. Die Mythenbildung um die Gestalt Peter Mülders/Mollers hat sich gefestigt, die Niederländer werden unkritisch als »Befreier« dargestellt, obwohl sie die Besatzung der Stadt kontinuierten. Durch den Vergleich der Quellen wird deutlich, daß die Bewertung der geschichtlichen Ereignisse stark abhängig von der Perspektive und der zeitlichen Befindlichkeit des jeweiligen Geschichtsschreibers ist. Entsprechend führen die vorgenommenen Änderungen des Dichters Arnim zu einer fiktionalen Re-Perspektivierung der Historie, in der sich die geschichtlichen Begebenheiten seiner Zeit wiederspiegeln. Durch die Re-Perspektivierung der Quellen-Perspektive innerhalb des Kommentars kann Arnims dichterische Umgestaltung des Stoffes und die national-patriotische Akzentuierung vor dem Hintergrund der »Befreiungskriege« 1813 dem heutigen Leser besser zugänglich gemacht werden.
Die geschichtliche Situation Wesels im 16./17. Jahrhundert Im folgenden interessiert v. a. die Frage, warum es überhaupt zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Spaniern und Niederländern außerhalb der Niederlande kam und aus welchen Gründen die spanische Militärgroßmacht dem wesentlich kleineren Aufgebot von niederländischen Truppen unterliegen konnte. Wesel, seit 1407 Mitglied der Hanse, profitierte wirtschaftlich stark von seiner topographisch günstigen Lage im nördlichen Zusammenflußwinkel von Rhein und Lippe. Ein Großteil der Einwohner folgte früh der lutherischen Lehre. Zwischen 1544 und 1583 nahm die Stadt religiöse, meist aus den Niederlanden stammende Flüchtlinge auf und vermehrte so die Zahl ihrer reformierten Einwohner. Katholiken und Lutheraner bildeten von da an eine Minderheit, so daß nach der Besetzung der Stadt durch die Spanier ein in Sevilla publiziertes Nachrichtenblatt zu der Einschätzung gelangte, Wesel sei »noch viel schlimmer als Genf« (zitiert nach: Israel 1998, S. 118).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Zum Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Spaniern und Niederländern 1568 kam es aus politischen und religiösen Gründen. Zum einen bemühte sich Philipp II. um die Einführung einer zentralistischen Monarchie in seinen habsburgischen Erbländern, zu denen neben Spanien auch die Niederlande, Italien und Amerika gehörten. Die Zentralisierungsversuche beschnitten die seit dem Mittelalter bestehenden Freiheiten, Privilegien und Rechte der niederländischen Städte und Provinzen, die in dieser Zeit das blühendste Handelsgebiet Europas darstellten. Zum anderen eskalierte in den Niederlanden seit den 1520er Jahren der Glaubenskampf zwischen Protestantismus und dem von Spanien unterstützten Katholizismus immer mehr. Nicht nur die lutherische Reformation, sondern auch die Einflüsse Ulrich Zwinglis, Martin Bucers, der Wiedertäufer und schließlich in den 1550er Jahren des Calvinismus durchdrangen die niederländische Gesellschaft. Dieser Entwicklung versuchte bereits Kaiser Karl V., der Vater Philipps II., durch die Inquisition entgegenzuwirken (vgl. Israel 1998, S. 111). Philipp II. fühlte sich als Katholik verpflichtet, die Christenheit unter spanischer Führung im katholischen Glauben zu einen. Er duldete keine religiösen Freiheiten. 1565 verschärfte er die Inquisition und entsandte 1567 Herzog von Alba als Statthalter in die Niederlande, wo dieser eine Militärdiktatur errichtete und mit seinem Heer von 10 000 spanischen und italienischen Soldaten Angst und Schrecken verbreitete. Deshalb flüchteten viele Nicht-Katholiken vor seiner Gewaltherrschaft nach Nordwestdeutschland, England, Dänemark und in das Baltikum. Den »Hispanisierungstendenzen« setzten die Niederländer hartnäckigen Widerstand entgegen. 1568 begann unter der Führung Wilhelm von Oraniens der bewaffnete Aufstand gegen die Spanier. Während die religiös motivierte Gewaltherrschaft Albas in den Niederlanden zum kriegerischen Widerstand führte, spitzte sich auch die Frage um die religiöse Vorherrschaft am Niederrhein und in Westfalen immer mehr zu (vgl. ebd., S. 114). Nachdem sich der Erzbischof von Köln, Gebhard Truchseß von Waldburg, zum Protestantismus bekehrt hatte, wurde er 1583 vom Papst Gregor XIII. abgesetzt. Neuer Erzbischof wurde Herzog Ernst von Bayern. Dies führte zum Kölner Krieg (1583–1589), an dessen Kampfhandlungen sich auch zeitweise spanische und niederländische Truppen beteiligten. Das Herzogtum Kleve und damit auch Wesel wurden so zu einem Nebenschauplatz des Spanisch-Niederländischen Krieges (vgl. Franz Petri, Im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500–1648), n: Rheinische Geschichte, Bd. II: Neuzeit, 31980, hg. v. dems., Georg Droege, S. 3–217, hier S. 83–95). Zwischen 1586 und 1590 schlugen die Spanier in unmittelbarer Nähe von Wesel ihre Lager auf und erpreßten nach ihrem Grundsatz »Der Krieg ernährt den Krieg« – wie damals üblich – von den Weseler Bürgern die Unterhaltskosten
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Die geschichtliche Situation
des Heeres (vgl. Werner, M. 2003, S. 26–27). Zur unmittelbaren Bedrohung Wesels wurden die Spanier jedoch erst 1598, nachdem sie unter dem Oberbefehl von Francisco de Mendoza benachbarte Städte wie Orsoy, Rheinberg und Brüderich eingenommen hatten. Wesel konnte sich mit hohen Tributzahlungen freikaufen und entging somit einer spanischen Besatzung (vgl. Prieur 1990 I, S. 197–201). Konnte Wesel also vorerst die spanischen Übergriffe noch verhindern, gelang dies im folgenden Erbfolgestreit um die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg nicht mehr. Nachdem Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg gestorben war, setzte der Streit um die Erbfolge in den vereinigten Herzogtümern ein, der als Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg bewertet wird (vgl. Israel 1998, S. 117). Der Kurfürst von Brandenburg, Johann Sigismund, und der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, beide zunächst protestantisch orientiert, beanspruchten gleichermaßen die Erbfolge. Der habsburgische Kaiser Ferdinand II. wollte zur Beilegung des Konflikts zunächst einen Reichsverweser einsetzen, was von seinen spanischen Verwandten unterstützt wurde. Der französische König Heinrich IV., der einer Machtausweitung der habsburgischen Familie entgegentreten wollte, besetzte gemeinsam mit niederländischen Truppen das kaisertreue Herzogtum Jülich-Berg. Nach der Ermordung Heinrichs IV. im Mai 1610 zogen sich die französischen Truppen zurück und ließen die Niederländer allein in Jülich zurück (vgl. ebd., S. 118). Während die brandenburgische Seite 1613 zum Calvinismus übertrat, bekannte sich der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm nach seiner Hochzeit mit der Schwester des Herzogs von Bayern, Magdalena von Bayern, ab 1614 zum Katholizismus. Dadurch rückte er in die Nähe des Kaisers und der Spanier. Aufgrund des Glaubensgegensatzes der konkurrierenden Fürsten bestand erneut die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts. 1614 einigten sich die Parteien im Frieden von Xanten, in dem die Teilung der vereinigten Herzogtümer unter Aufrechterhaltung der gemeinschaftlichen Regierung beschlossen wurde (vgl. Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715. München 1991 (Neue Deutsche Geschichte 5), S. 184). Brandenburg erhielt Kleve, Mark und Ravensberg (und damit auch die Stadt Wesel), Pfalz-Neuburg übernahm die Landesherrschaft über Jülich und Berg. Religionsfreiheit bestand zwar laut Xantner Vertrag, aber die Fürsten unterstützten in der Folgezeit verstärkt die jeweils ihrer Konfession zugehörigen Untertanen (vgl. Dorothea Coenen, Die katholische Kirche am Niederrhein von der Reformation bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Geschichte der Konfessionsbildung im Bereich des Archidiakonates Xanten unter der klevischen und brandenburgischen Herrschaft. Münster 1967 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 93), S. 88–89).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Im August 1614, noch vor Abschluß des Xantner Friedens, rückte der spanische General Marquis Ambrosio Spinola zur Unterstützung der Erbansprüche des Pfalzgrafen mit 22 000 Soldaten an den Niederrhein vor und nahm Wesel mit seinen damals ca. 6000 Einwohnern unter Beschuß (vgl. Israel 1998, S. 118). Nach zwei Tagen starker Gegenwehr kapitulierte die Stadt am 5. September 1614. Obwohl im Xantner Vertrag festgelegt worden war, daß die Spanier die Stadt räumen sollten, hielten sie Wesel 15 Jahre lang besetzt (vgl. Prieur 1990 I, S. 203): 1200 spanische Soldaten bezogen Quartier in der Stadt (vgl. Israel 1998, S. 118). Wesel, die größte und wirtschaftlich bedeutendste Stadt im Herzogtum Kleve, lag strategisch günstig und diente den Spaniern als Waffendepot und Ausgangspunkt für weitere Kampfhandlungen (vgl. Kipp 1991, S. 216). Die spanische Besetzung Wesels fand durch den Einfall von niederländischen Truppen ein gewaltsames Ende: Am 19. August 1629 drangen die Niederländer in die Stadt ein, nachdem sie von Weseler Bürgern benachrichtigt worden waren, daß die Befestigung an der Ostseite leicht zu durchbrechen sei. Weseler Bürger öffneten den Niederländern die Tore. Der Verlust der Stadt als Ausgangsbasis für kriegerische Operationen schwächte die militärische Präsenz der Spanier am Niederrhein erheblich, v. a. auch, als ’s-Hertogenbosch ebenfalls im Jahre 1629 an die Niederländer fiel. Grund für die Schwäche des spanischen Militärs war neben der allgemeinen Zerrüttung der spanischen Staatsfinanzen die Teilnahme Spaniens am Mantuanischen Erbfolgekrieg (1628–1631). Die daraus resultierenden Truppenrückzüge aus den Niederlanden führten dazu, daß »Anfang des Jahres 1629 〈...〉 die niederländische Armee zum ersten Mal im Achtzigjährigen Krieg größer und auch besser organisiert und finanziert 〈war〉 als die spanische« (Israel 1998, S. 120). Spaniens Ansehen sank durch die niederländischen Siege beträchtlich, »denn es war die größte spanische Niederlage in Europa zwischen dem Verlust der Armada und der Schlacht von Rocroi im Jahre 1643« (ebd., S. 121). Die Niederländer blieben weit über den Westfälischen Frieden hinaus bis 1672 als Besatzungsmacht in Wesel. Die Lage der Bürger verbesserte sich während der 43 Jahre nur durch den Wegfall der religiösen Konflikte, die es mit den Spaniern gegeben hatte (vgl. Kipp 1991, S. 216–221). Sogenannte »Servisgelder« zur Finanzierung der Besatzungstruppen, wie sie unter den Spaniern hatten gezahlt werden müssen, gehörten weiterhin zum Alltag der Weseler Bürger (vgl. ebd., S. 220). Bei Arnim erfährt der historische Stoff zum einen eine Reduktion auf das Wesentliche, indem Peter Mülder als modellhaftes Beispiel für Mut und patriotisches Engagement in bedrohlicher Situation dargestellt wird, zum anderen eine
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Die geschichtliche Situation
Erweiterung um zahlreiche Figuren und einige Handlungsstränge.7 Zudem fügt Arnim mehrere Anspielungen auf die eigene Zeit hinzu. Jeder Leser um 1813 wird die im Drama dargestellte Handlung auf die eigene Zeit bezogen haben. Zahlreiche Repliken im Stück weisen Parallelen zur zeitgenössischen Situation auf. In einigen Passagen finden sich subtile Anspielungen auf den von Arnim gefeierten Major Ferdinand von Schill (vgl. Erl. zu S. 184,27 und S. 194,26–28). Dieser galt in seiner Zeit als herausragendes Beispiel für militärisches Engagement gegen Napoleon und wurde nach seinem Tod als Märtyrer der preußischfranzösischen Kämpfe gefeiert. Nach Schills gescheitertem militärischem Vorhaben wurden seine Offiziere durch die Franzosen in Wesel hingerichtet. Arnims Zeitgenossen werden die Stadt mit diesem geschichtlichen Ereignis assoziiert haben (vgl. Pietsch 2004, S. 277–279). Am Ende des Schauspiels wird nicht die erneute Besatzung Wesels durch die Niederländer thematisiert, was der historischen Quellenlage entsprochen hätte, sondern die Aussicht der Protagonisten auf eheliches Glück und ein Leben in Freiheit. Das agitatorische Luther-Lied Ein feste Burg ist unser Gott bildet den Schlußchor. Das unhistorische Ende wie auch andere von Arnim vorgenommene Änderungen des geschichtlichen Stoffes zeigen deutlich, daß er nicht eine detailgenaue Umsetzung des Chroniktextes bzw. Kupferstiches in den Dramentext beabsichtigte. Die überlieferten historischen Begebenheiten werden im Drama zugunsten einer aktuelleren Aussage umgestaltet. Peter Mülders/Mollers Befreiungstat im Jahr 1629 wird zum Ideal für eine Befreiung Preußens von französischer Fremdherrschaft. Zugleich enthält das Stück implizit den Aufruf zur Mobilisierung der Kräfte für diese Befreiung, die in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 erste einschneidende Erfolge der Verbündeten gegen Napoleon zeigt (vgl. zur politischen Brisanz des Stückes Pietsch 2004, S. 276–281).8 7
Innerhalb der Einzelstellenkommentare werden ausführliche Informationen zum ge-
schichtlichen Hintergrund der Zeit um 1813 geliefert, ebenso im Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der 8
Schaubühne, S. 442–451.
Das Aufgreifen eines Stoffes aus der Geschichte des eigenen Volkes entsprach auch den
Vorstellungen August Wilhelm Schlegels, der 1806 in einem Brief an Friedrich Heinrich de la Motte-Fouque´ schreibt: Wer wird uns Epochen der deutschen Geschichte, wo gleiche Gefahren 〈wie heute〉 uns drohten, und durch Biedersinn und Heldenmuth überwunden wurden, in einer Reihe Schauspiele, wie die historischen von Shakspeare, allgemein verständlich und für die Bühne aufführbar darstellen? Tieck hatte ehemals diesen Plan mit dem dreißigjährigen Kriege, hat ihn aber leider nicht ausgeführt. Viele andere Zeiträume, z. B. die Regierungen Heinrichs des Vierten, der Hohenstaufen u.s.w. würden eben so reichhaltigen Stoff darbieten. Warum unternimmst du nicht dieß oder etwas Aehnliches? (Brief vom 12. März 1806, in: August
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Die Tendenz, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges mit der eigenen napoleonischen Ära zu parallelisieren, ist ein allgemeines Zeitphänomen zu Beginn des 19. Jhs. (vgl. Martin 2000, S. 217). Die geschichtlichen Stoffe aus dem Achtzigjährigen Krieg stoßen darüber hinaus bereits Ende des 18. Jhs. auf Interesse bei Schiller und Goethe, die Dramen über historische Figuren aus dieser Zeit verfassen – Dom Carlos (1787) und Egmont (1788) – sich dabei aber grundsätzlich von Arnim durch die Akzentuierung völlig anders gelagerter Themenschwerpunkte unterscheiden. Während Schiller und Goethe jeweils zwei bedeutende Persönlichkeiten des Achtzigjährigen Krieges als Protagonisten ihrer Stücke wählen, zieht es Arnim vor, einen gewöhnlichen Mann »aus dem Volk« als Held zu exponieren. In Goethes und Schillers Dramen wird v. a. das Individuum im Konflikt mit einer ihm übergeordneten Machtinstanz dargestellt. Letztendlich scheitern beide Protagonisten an der Wirklichkeit und an ihren Idealen. Arnims Die Vertreibung der Spanier aus Wesel entwirft dagegen ein optimistisches Szenario. Hier geht es weniger um die charakterliche Ausgestaltung der Figur Peter Mülders, als vielmehr um die national-patriotische Appellfunktion, die von Mülders beherztem, mutigem Auftreten gegen den Feind ausgeht. Während sich Schiller und Goethe um die Darstellung allgemeingültigerer Problemzusammenhänge vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit absolutistischen Regierungsstrukturen im geschichtlichen Umfeld der Französischen Revolution bemühen, hat für Arnim die Instrumentalisierung eines historischen Stoffes für seine unmittelbare Gegenwart Priorität.9 Arnims Stück gehört wie andere seiner kleinen historischen Schauspiele, etwa Die Capitulation von Oggersheim, Der Stralauer Fischzug oder Glinde, zu einer Ausnahmeerscheinung des romantischen Dramas. Während mythischreligiöse Elemente weitestgehend in den Hintergrund treten, wird die historische Tat eines einzelnen, gewöhnlichen Mannes exponiert. Im Stück erscheint der Mensch befähigt, zugunsten der Gesellschaft geschichtliche Abläufe zu steuern.
Wilhelm von Schlegel’s sämmtliche Werke. Vermischte und kritische Schriften, hg. v. Eduard Böcking. Bd. 8. Leipzig 1846, S. 145–146). 9
In der Geschichtstheorie des späten 18. Jhs. erhält die
imaginatio eine wichtige Bedeu-
tung. Die Einbildungskraft, die die Geschichte neu belebt und »produktiv für die historische Erkenntnis zuständig ist« (Niefanger 2005, S. 162), nimmt auch entscheidenden Einfluß auf Goethes und Schillers Geschichtsdramen. Die Sprengkraft der
imaginatio ist ebenso für
die Änderung der historischen Fakten wie für die »Überwindung alter Theaterregeln« verantwortlich (ebd., S. 166). Dies ist u. a. ein Grund für die epische Breite von Schillers
Karlos und Goethes Egmont. 650
Dom
Entstehung/Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption
Friedrich Sengle hat in Abgrenzung zum romantischen Geschichtsdrama, das im allgemeinen pessimistischen geschichtsphilosophischen Vorstellungen folgt, Arnims Vertreibung der Spanier aus Wesel demnach als Anekdotendrama klassifiziert (vgl. Sengle 1952, S. 96). Lothar Ehrlich bezeichnet es als » d r a m a t i s c h e S k i z z e , als eine dramatische Kleinform ganz besonderer Art«, obgleich das Stück gestalterisch einige Schwächen aufweise (Ehrlich 1970, S. 148; Hervorhebung vom Vf.).
Entstehung Arnim erhält die 21 Bde. des ThE als Weihnachtsgeschenk von seiner Frau im ersten Ehejahr 1811 (vgl. EZ 19, S. 423). Wann genau die Beschäftigung mit dem historischen Stoff einsetzt, ist durch schriftliche Zeugnisse nicht belegt. Eine erste Fassung scheint vor dem 3. Februar 1813 fertiggestellt worden zu sein, da Arnim das Stück in seinem Brief an Friedrich Christoph Perthes vom 3. Februar 1813 erwähnt (vgl. EZ 26, S. 425,16). Im Titelaufriß steht es an zweiter Stelle mit dem in der Schaubühne wiederkehrenden Titel Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. Ein Schauspiel in drey Handlungen (vgl. EZ 26, S. 425,16–17). Einen Monat später, am 3. März 1813, sendet Arnim das Drama an den Generaldirektor der Königlichen Schauspiele in Berlin, August Wilhelm Iffland, und bietet es ihm zur Aufführung an (vgl. AZ 4, S. 480). Iffland empfiehlt ihm, einige Änderungen am Stück vorzunehmen. Arnim arbeitet daraufhin einige Passagen des Schauspiels um. Das revidierte Manuskript sandte er wahrscheinlich zwischen dem 11. und 13. März 1813 zurück an Iffland, der es kopieren und am 13. März vom Binden zurück erhielt. Am 14. März ließ Iffland es den höheren Behörden vorlegen (vgl. AZ 7, S. 482). Die auf Anregung Ifflands veränderten Passagen wurden auch beim Abdruck des Stückes in der Schaubühne von Arnim übernommen.
Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption
Die Vertreibung der Spanier aus Wesel ist das einzige Stück, das zu Arnims Lebzeiten in einem Theater uraufgeführt wurde. Dadurch nimmt es gegenüber den anderen Schaubühnen–Dramen eine besondere Position ein. Zudem wird durch die vorerst positive Resonanz auf das Stück deutlich, daß Arnim mit der Art seiner Bearbeitung des geschichtlichen Stoffes einer Zeittendenz entsprach, in der agitatorische Kriegsliteratur mit der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung korrespondierte.
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Das politisch hoch brisante Stück, das während der französischen Besatzung nicht hätte aufgeführt werden können, gelangt zu einem Zeitpunkt in Ifflands Hände, als sich die politische Lage zugunsten der preußischen Seite verschiebt: Nachdem am 12. Februar 1813 die Mobilmachung in Preußen begonnen und am 27. Februar in Breslau das Bündnis mit Rußland unterzeichnet worden war, findet es Arnim an der Zeit, mit dem Stück an die Öffentlichkeit zu treten. In der Nacht vom 3. auf den 4. März 1813 zogen die französischen Truppen aus Berlin ab, »am 4. Morgens 5 Uhr rückten die Russen ein«, die von den Berlinern jubelnd begrüßt wurden (vgl. Geiger 1895, S. 333).10 Wie Arnim später in einem Brief an Goethe betont, ist das Stück für die Bühne geschrieben worden (AZ 17, S. 488,6). Iffland zeigt sich interessiert und bittet noch am selben Tag um Zusendung des Manuskripts (vgl. AZ 5, S. 480,3). Auf die Andeutung Arnims, daß das Schauspiel viel-
leicht bey dem nahen Einzuge der Russen einige Wirkung machen könnte (AZ 4, S. 480,2–3), reagiert Iffland mit dem Hinweis, daß er aufgrund der politischen Aktualität und Brisanz des Dramas die Regierungskommission über die Aufführung entscheiden lassen wolle (vgl. AZ 5, S. 480,6–7). Das Schauspiel wird so zum Politikum, über das an höchster Stelle beraten wird. Nach dem Einzug der Russen herrscht patriotische Aufbruchstimmung in Berlin. Die Ereignisse werden öffentlich gefeiert: Die Stadt wird illuminiert, es finden Huldigungen der Verbündeten auf den Straßen statt, patriotische Gedichte werden in den Zeitungen veröffentlicht.11 Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum Arnim das Stück gerade in dieser Zeit für aufführbar hält und weshalb Iffland sich, vorsichtig abwägend, an die Regierungskommission wendet. Aus einem Konferenzprotokoll der Oberregierungskommission12 vom 15. März 1813 10
Hermann F. Weiss datiert die Zusendung des Manuskripts aufgrund eines von Arnim ange-
gebenen Datums auf den 3. Februar 1813 (vgl. Weiss 1986, S. 249). Bei quellenkritischer Betrachtung ist dieses Datum jedoch als Schreibfehler bzw. Irrtum Arnims zu bewerten, denn zu diesem Zeitpunkt war von dem
nahen Einzug〈...〉 der Russen,
den Arnim in seinem Brief explizit
erwähnt, noch nichts zu erahnen (vgl. AZ 4, S. 480,2–3). Das von Arnim als
3. Feb 1813
ange-
gebene Datum wird deshalb als Fehler/Verschreibung bewertet. 11
Vgl. dazu ausführlich das Kap. zur Enstehungsgeschichte der
12
Zu den preußischen Reformen von Heinrich Friedrich Karl von und zum Stein und Karl
Schaubühne, S. 442–451.
August von Hardenberg gehörte auch die Modernisierung von Regierung und Verwaltung. Die bisherigen Oberbehörden wurden durch »ein nach dem Ressortprinzip gegliedertes Ministerium, das – ohne Störung durch Nebenbehörden – dem König direkt verantwortlich war« (Nipperdey 1998, S. 36) ersetzt. Die daraus resultierende bürokratisch-monarchische Doppelführung räumte den Ministern entschieden mehr Machtbefugnisse ein (vgl. ebd., S. 36–37).
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Entstehung/Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption
geht hervor, daß Arnims Schauspiel den Ministern vorgelegt wurde (vgl. AZ 8, S. 482). Kaspar Friedrich von Schuckmann, seit 1810 Geheimer Staatsrat und u. a. im Vorstand für Kultus und Unterricht im Ministerium des Innern tätig, trägt dem Plenum die Anfrage des Theaterdirektors Iffland vor, ob das Stück trotz der Anspielungen auf die Bedrängnisse 〈...〉, welche Deutschland und Preußen von den Franzosen erlitten (ebd., S. 482,7–8), aufgeführt werden könne. Arnim wird als Autor des Stückes nicht genannt. Dies beruht auf einer Vereinbarung zwischen ihm und Iffland, daß Niemand den Verfaßer der Befreiung v Wesel (AZ 9, S. 483,2) erfahren solle.13 Schuckmann gibt zu bedenken, daß eine Ablehnung des Dramas mißdeutet werden könne (AZ 8, S. 482,8). Da dem Stück historische Wahrheit zugrunde liege, wird es schließlich von der Kommission für eine Aufführung auf dem Berliner Theater bewilligt (ebd., S. 482,12–14). Die Befürwortung durch die Regierungskommission fügt sich stimmig in die national-patriotische Kampf- und Aufbruchstimmung in Preußen zu dieser Zeit. Einen Tag nach dem Beschluß gipfelt die Stimmung in der preußischen Kriegserklärung an Frankreich. Bereits eine Woche zuvor macht Iffland in einem Brief an Arnim Vorschläge zur Revision einiger Textpassagen, die noch vor der Einreichung bei der Regierungskommission von Arnim umgearbeitet wurden. Die von Iffland genannten Stellen, zu denen er Verbesserungsvorschläge liefert oder kritische Kommentare im Hinblick auf die Zensur macht, können in dem uns heute vorliegenden Drama erschlossen werden, so daß ersichtlich wird, an welchen Stellen Arnim auf Ifflands Anregung hin den Text revidiert. Eine erste Fassung des Stückes kann dadurch zumindest punktuell rekonstruiert werden (vgl. AZ 6, S. 481–482 sowie ausführliche Erl. zu S. 179,32, S. 180,2–3, S. 184,4–5, S. 186,5–6, S. 187,5–8, S. 189,28–30, S. 189,33–36, S. 199,2–3, S. 200,18–19 und S. 202,27). Die Vorbereitungen der Aufführung im Berliner Theater nehmen in der darauffolgenden Zeit Gestalt an. Das Stück wird einstudiert, wie Arnim später z. B. in seinem Brief an Goethe berichtet (vgl. AZ 17, S. 488,6–8). Am 30. April 1813 erkundigt sich Iffland bei Arnim nach historischen Stichen von Wesel. Er läßt ihn über einen Beamten des Berliner Hoftheaters, Johann Friedrich Esperstedt, über die Theaterverhältnisse aufklären, die von Friedrich Jonas Beschordt, seit 1796 Schauspieler am Nationaltheater Berlin und Mitglied der Theaterkommission, eingeführt wurden. Ob Arnim der Bitte Ifflands nachkommt und ihm für die Bühnendekoration die Kupferstiche aus Bd. 2 seines ThE14 zur Verfügung stellt, konnte nicht ermittelt werden.15 13
Den Wunsch, anonym zu bleiben, äußert Arnim auch gegenüber Clemens Brentano, den
er in seinem Brief vom 3. August 1813 darum bittet, das Schauspiel den Theatern in Wien zur Aufführung anzubieten (vgl. AZ 14, S. 485,4).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Als Termin für die Uraufführung des Stückes ist der 14. Mai 1813 anvisiert (vgl. AZ 10, S. 483; AZ 11, S. 483,1), wie es im Morgenblatt für gebildete Stände retrospektiv angezeigt wird. Doch am 15. Mai 1813 erhält Arnim einen Brief der Berliner Theaterkommission (vgl. AZ 10, S. 483), der die Hoffnung auf eine baldige Aufführung des Stückes zunichte macht. Wegen der eingetretenen Umstände (ebd., S. 483,1) sei diese bis auf weiteres vertagt worden. Diese Umstände führt Arnim in seinem Brief an Goethe (vgl. AZ 17, S. 488,7–8) genauer aus. Die aktuellen politischen Geschehnisse lassen es nicht mehr ratsam erscheinen, ein derart patriotisches Schauspiel zu geben: Napoleon schlägt am 2. Mai 1813 bei Großgörschen, von französischer Seite auch als »Schlacht bei Lützen«16 bezeichnet, das verbündete preußischrussische Heer. Drei Wochen später ist Napoleon bei Bautzen erneut siegreich. Die Angst vor den Franzosen nimmt wieder zu. Für politisch so anspielungsreiche Schauspiele wie Die Vertreibung der Spanier aus Wesel ist nun auf der Berliner Bühne kein Platz mehr. Im Morgenblatt für gebildete Stände wird 14
Die von Iffland erwähnte
Topographia Martin Zeillers, ebenfalls ein mehrbändiges
Werk aus dem Merianischen Verlag, ist in Arnims Bibliothek nachweisbar (Arnim-Bibl. B 725–727; B 753–754). Die topographischen Berichte enthalten historische und geographische Informationen. Die bildnerischen Darstellungen zeigen weniger Städteansichten als Pläne der Befestigungen, so daß für die Bühnendekoration sicherlich die Kupferstiche aus dem 15
ThE zweckdienlicher gewesen wären.
Ludwig Tieck schreibt über Ifflands Tendenz, für Theateraufführungen historische Ko-
stüme möglichst getreu nachzubilden, in seinen Dramaturgischen Blättern: So viel ich weiß, war Iffland, und auch nur in seinen späteren Tagen, der Erste, der eine genauere Nachahmung der wirklichen Trachten beabsichtigte (Ludwig Tieck, Dramaturgische Blätter. Nebst einem Anhange noch ungedruckter Aufsätze über das deutsche Theater und Berichten über die englische Bühne, geschrieben auf einer Reise im Jahre 1817. Bd. I. Breslau 1826, S. 212; Arnim-Bibl. B 1349a). Ifflands Anfrage nach Kupferstichen aus der Zeit lassen vermuten, daß er nicht nur bei den Kostümen, sondern auch beim Bühnenbild in dieser Weise verfuhr. 16
Arnim verwendet diesen Ausdruck in seinem Brief an Goethe (vgl. AZ 17, S. 488,7). Der
Name erklärt sich nicht nur dadurch, daß Großgörschen südlich von Lützen liegt. Durch diese Bezeichnung wird zudem eine Verbindung zum Dreißigjährigen Krieg hergestellt: Am 6. November 1632 kämpfte das Heer des Schwedenkönigs Gustav Adolf II. gegen Albrecht von Wallensteins Truppen in der Schlacht bei Lützen. Der Kampf endete unentschieden, mit leichtem Vorteil für die Schweden. Gustav Adolf II. fand im Kampf den Tod (vgl. Konrad Repgen, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. v. Franz Bosbach, Christoph Kampmann. Paderborn, München, Wien, Zürich 1998. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Neue Folge, Bd. 81), S. 305).
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Entstehung/Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption
in einer Korrespondenz-Nachricht aus Berlin darauf hingewiesen, daß die Aufführung unterbleibe (vgl. AZ 11, S. 483,3). Warum es später nicht zu einer Wiederaufnahme des Schauspiels ins Repertoire des Berliner Theaters kommt, war nicht zu ermitteln. In einem Briefentwurf an König Friedrich Wilhelm III. schreibt Arnim zudem von einer weiteren erfolglos verlaufenden Bemühung, das Schauspiel auf einer öffentlichen Bühne spielen zu lassen: Hamburg, wohin das Stück auch gesendet, sank in Verwirrung (AZ 13, S. 485,27–28). Das Schauspiel wurde auch dort nicht zur Aufführung gebracht.17 Clemens Brentano, der sich im Oktober 1813 in Wien aufhält und sich darum bemüht, im dortigen Theatermilieu Fuß zu fassen, wird von Arnim gebeten, das Stück den Wiener Bühnen anzubieten und zudem noch viel Geld dafür zu verlangen (AZ 14, S. 485,5). Brentano hält das Schauspiel in seiner Besprechung der Schaubühne in einem Brief an Arnim zwar für aufführbar, weist aber darauf hin, daß es kaum Geld einbringen werde, da es bereits gedruckt vorliege. Brentano läßt Die Vertreibung der Spanier aus Wesel abschreiben und streicht für eine potentielle Aufführung im katholischen Wien ungeeignete Passagen, die das Luthertum betreffen (AZ 15, S. 485,1–2). In einem weiteren Brief von Anfang Dezember 1813 wiederholt Brentano seine Einschätzung, daß derzeit mit gedruckten Stücken schlechte Verdienstmöglichkeiten bei den Wiener Theatern beständen, und berichtet ausführlich von der Verschuldung der dortigen Bühnen (vgl. AZ 16, S. 486–487). Das Schauspiel habe er zum zweiten Mal abgeschrieben und es dem Wiedner Theater18 angeboten. Derzeit befinde sich das Stück auf der Censur (ebd., S. 486,4). Mit Ferdinand Graf Pa´lffy von Erdöd habe er sich überworfen. Dieser sei im Besitz eines der abgeschriebenen Manuskripte der Vertreibung der Spanier. Brentano stellt die Möglichkeit, daß es von Pa´lffy aufgeführt werden könnte, in Aussicht (vgl. ebd., S. 487,29). Doch der Versuch, die Stücke auf die Wiener Bühnen zu bringen, scheitert schließlich aufgrund der miserablen finanziellen Situation der beiden Hoftheater endgültig.19 Seines hie-
17
Eine Anfrage beim Stadtarchiv Hamburg blieb ohne Ergebnis. Vmtl. spielt Arnim hier auf
den Hamburger Buchhändler Friedrich Christoph Perthes an, den er im Februar 1813 um
Schaubühne bat, vgl. den Überblickskommentar Schaubühne, S. 443–444. Vgl. zum Wiedner Theater den Überblickskommentar zu Mißverständnisse, S. 627.
finanzielle Unterstützung beim Druck der zur Entstehung der 18 19
Nachdem sich Josef Franz Fürst von Lobkowitz als Leiter des Wiener Hoftheaters finan-
ziell übernommen hatte, engagierte sich ab April 1814 als neuer Pächter Pa´llfy, der aber das Stück ebenfalls nicht in den Spielplan aufnahm.
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
sigen Aufenthalts Müde20 (FDH 7548) bricht Brentano seine Bemühungen im April 1814 ab und verläßt Wien. Die von Brentano erwähnten Abschriften sind nicht erhalten. Schließlich schickt Arnim im Februar 1814 eine Schaubühnen–Ausgabe an Goethe. Im Begleitschreiben merkt er leicht resigniert an, daß er keinen An-
spruch darauf mache, Sie dafür zu interessieren, es ist eine Angewohnheit (AZ 17, S. 488,3–4).21 Goethe zeigt sich in seinem Antwortbrief an Arnim vom 23. Februar 1814 (vgl. AZ 18, S. 489) äußerst kritisch gegenüber dem politisch brisanten Inhalt des Stückes und bleibt aus persönlichen und politischen Gründen patriotischen Dramen gegenüber reserviert. Den nationalpatriotischen Stücken der Schaubühne setzt Goethe seinerseits »napoleonisch-kosmopolitisches Engagement« (Härtl 1971, S. 320) entgegen. Eine Aufführung des Dramas in Weimar zieht er nicht in Erwägung. In seiner Rolle als anerkannter Weimarer Theaterdirektor und verantwortungsvoller Politiker kritisiert er apodiktisch generell die Form dieser kleinen Stücke (AZ 18, S. 489,2) und weist darauf hin, daß er 〈a〉lles, was auf den Augenblick anspielt und so die Gemüther stoffartig erregt, 〈 ..〉 immer vermieden habe (ebd., S. 489,16–17). Arnims Reaktion auf Goethes Brief in einem Schreiben an Brentano läßt eine kritische Distanz zu Goethes Urteil erkennen, obwohl Arnim dem Freund zunächst berichtet, von Göthe 〈...〉 einen sehr freundlichen Brief über meine Schauspiele (AZ 19, S. 489,1–2) erhalten zu haben. Erst einige Zeilen weiter drückt er seinen Unmut über Goethes Kritik aus (vgl. ebd., S. 490,3–11). 20
In dieser Zeit machen sich erste Anzeichen einer Wende in Brentanos Leben bemerkbar.
»Tiefgreifende Selbstzweifel, die zur Besinnung auf die religiösen Grunderfahrungen führen« prägen seine Gedanken (Schultz, H. 2000, S. 346). Ab 14. September 1814 hält sich Brentano auf Arnims Gut in Wiepersdorf auf, wo er wieder zur literarischen Produktivität zurückfindet. 21
Goethes Tagebuch verzeichnet am 22. Februar 1814
Arnims Schauspiele (vgl. Goethes
Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. III. Abtheilung. Goethes Tagebücher. 5. Bd. 1813–1816. Weimar 1893, S. 97). Vmtl. hat Goethe an diesem Tag darin gelesen und schreibt Arnim daraufhin seinen Antwortbrief. Es handelt sich um den letzten erhaltenen Brief Goethes an Arnim, wobei Arnim später noch Briefe an ihn schreibt und ihn 1820 in Weimar besucht (vgl. Goethe Werke 7 (34) Kommentar, S. 734). Die freundschaftliche Beziehung zwischen Goethe und Arnim endete nach dem öffentlichen Streit zwischen BvA und Christiane am 13. September 1811 während ihres Weimaraufenthaltes. Heinz Härtl bemerkt dazu, daß »die persönlichen Beziehungen zur selben Zeit abgebrochen 〈wurden〉, in der sich die konzeptionellen Diskrepanzen auf Grund der Zuspitzung der politischen Situation verschärft und in extreme Gegensätze versteift hatten« (Härtl 1971, S. 320).
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Entstehung/Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption
Die Uraufführung des Dramas geht nicht auf den großen Einsatz Arnims für das Stück zurück. Sie erfolgt am Dienstag, den 22. Februar 1814 im Breslauer Theater, verbunden mit der Darbietung des Lustspiels Das Morgenständchen von Friedrich Kind. Daß es zu dieser Aufführung kommt, ist vielmehr dem Einsatz des Schauspielers Ludwig Devrient zu verdanken, der von 1809–1815 in Breslau engagiert war und dann nach Berlin wechselte. Laut Clemens Brentano ist er ein groser begeisterter Verehrer (AZ 22, S. 491,5–6) der Schauspiele Arnims und insbesondere Wesel ehrt er ungemein (ebd., S. 491,8). In Breslau herrscht in dieser Zeit eine »besonders vaterländische Stimmung« vor, »bevor sie – nach dem Ausscheiden L. Devrients – niederging« (Ehrlich 1970, S. 150). Arnim erfährt von der Aufführung erst knapp 1,5 Jahre später, im Juli 1815, durch Clemens Brentano. Dieser lernt Devrient in Berlin kennen, der ihm wahrscheinlich davon erzählt (vgl. AZ 22, S. 491). Um 1800 ist es keine Besonderheit, wenn ein Autor erst später von der Aufführung eines seiner Stückes erfährt. Da es noch kein Urheberrecht gibt und die Schaubühnen–Dramen im Druck vorliegen, muß Arnim nicht in Kenntnis gesetzt werden, wenn eines seiner Stücke auf einer öffentlichen Bühne gespielt wird. Auch ein Honorar wird üblicherweise nicht gezahlt. Der kurze Bericht über die Breslauer Uraufführung der Vertreibung der Spanier aus Wesel ist indes wenig erfreulich: Das Stück stellt sich als Mißerfolg heraus. Brentano schreibt an Arnim, daß das Stück dreimahl, doch ohne Glück wegen der ganz gränzenlos schlechten Besetzung gegeben (AZ 22, S. 491,9–10) wurde.22 Brentano führt das Durchfallen des Stückes darauf zurück, daß Devrient aus Krankheitsgründen – vmtl. aufgrund seines Alkoholismus – nicht auftreten konnte (zu Devrient vgl. Stabenow 1921, S. 20–23). Das Stück wird dreimal aufgeführt und danach vom Spielplan genommen (vgl. ebd., S. 48). Da das Breslauer Theater 1798 zu einem Aktionärtheater umgestaltet worden war, wurden Dramen, die nicht Einnahmen von ca. 125 Talern23 allabendlich einspielten, sofort abgesetzt (vgl. ebd., S. 45). Arnim reagiert 22
Die Begründung mag der Sympathie des Freundes geschuldet sein, da die erfolgreiche Schau-
spielerin Friederike Unzelmann, die die Susanna spielte, zu dieser Zeit bei den Kritikern nicht unter die Kategorie »grenzenlos schlechte Besetzung« fiel. Friederike Unzelmann verließ nach der Trennung von ihrem Mann, dem Schauspieler Karl Wolfgang Unzelmann, das Weimarer Theater und spielte ab 1809 auf der Breslauer Bühne (vgl. Eduard von Bamberg, Der Schauspieler der Goethezeit. Karl Friedrich Leo, Karl Wolfgang Unzelmann, Marianne Schönberger-Marconi. Leipzig 1927, S. 33). 23
Etwa 1500 Personen fanden im Zuschauerraum des Theaters Platz, das unter der Lei-
tung des »Triumvirats« Johann Gottlieb Rhode, Websky und Schmiege in den Jahren von
657
Zu: Die Vertreibung der Spanier
auf diese Nachricht entsprechend mit Resignation über den Geschmack des Publikums und hofft auf eine bessre Zeit (AZ 23, S. 491,5). Eine weitere Aufführung der Vertreibung der Spanier aus Wesel, die jedoch anderweitig nicht belegt ist, findet Arnims Brief an Savignys vom 7. Mai 1814 zufolge anläßlich eines Siegesfestes des Ländchens Bärwalde am 24. April 1814 statt (vgl. AZ 21, S. 491). 1822 gibt es offensichtlich einen weiteren Versuch, das Stück auf das Berliner Theater zu bringen. BvA schreibt an Arnim, daß Ludwig Devrient das Stück aufführen lassen wolle (vgl. AZ 27, S. 494). Doch auch diese Bemühungen bleiben ergebnislos. Die Rezeption dieses Schauspiels ist im Gegensatz zu anderen Schaubühnen–Drama sehr umfangreich. Noch vor der Veröffentlichung urteilt Friedrich Wilhelm Gubitz im Morgenblatt für gebildete Stände (1813) in seiner Nachricht über die abgesagte Aufführung des Stückes, daß es als Kunstschöpfung 〈 ..〉 von gar geringer Bedeutung sein solle (vgl. AZ 11, S. 483,3–4). Gubitz bemerkt jedoch, allgemein kritisch eingestellt, über den literarischen Betrieb, daß es nichts Bedeutendes zu erwähnen gäbe (Gubitz 1813, S. 600). Clemens Brentano bezeichnet das Stück dagegen als ganz klassisch24, bemängelt jedoch, daß die Figur des Lozans gegenüber den anderen zu flach in der Gestaltung ausfalle (vgl. RZ 4, S. 463,6–7). Abgesehen von diesem Kri-
1813–1819 zu einer Blütezeit gelangte (vgl. Stabenow 1921, S. 10). Rhode war für den Spielplan verantwortlich, auf dem v. a. Erfolgsstücke der Zeit von August von Kotzebue und August Wilhelm Iffland standen. Abgesehen von Arnims Die Vertreibung der Spanier aus Wesel gelangten keine Dramen anderer Romantiker auf die Breslauer Bühne (vgl. ergänzend zum Repertoire der Breslauer Bühne Stabenow 1921, S. 47–53). 24
Ähnlich urteilt Brentano auch über das im Wintergarten enthaltene Gedicht Nelson und Meduse, über das er in einem Brief vom 1. Juli 1809 an BvA schreibt: 〈...〉 ganze Stellen herrlich klassisch, andre ganz verwirrt, mehr geleimt als gereimt (vgl. Reinhold Steig, Gesammelte kleine Bemerkungen zu Dichtern und Schriftstellern des 18. und 19. Jahrhunderts. (Euphorion, 15. Ergänzungsheft), S. 69). Im Widerspruch dazu steht Bren-
scharf strafen 〈würde〉, daß er nicht klassisch ist, daß er nur theilweise ehrlich arbeitet, daß er es ungemein ernst meint, und eben so leichtsinnig arbeitet (Steig 1904, S. 87). Der Mangel an stilistischer
tanos Äußerung, daß er Arnim als Rezensent
Gestaltung gehört nicht nur zu den von Brentano wiederholt vorgebrachten Vorwürfen, sondern ist auch ein gängiger Topos in der Rezeptionsgeschichte der Werke Arnims (vgl. Neuhold 1994, S. 60). »Klassizität gehört kaum zu den prominenten Forderungen, die Arnim an ein Kunstwerk und seine Gestaltung richtet, der Begriff bedeutet ihm wenig« (ebd., S. 60).
658
Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption
tikpunkt, der in späterer Sekundärliteratur wieder aufgenommen wird (vgl. Ehrlich 1970, S. 145–146), lobt Brentano die im Stück enthaltene Stille, 〈...〉 Heimlichkeit, 〈...〉 Luft, 〈...〉 Bescheidenheit, Originalität und Wahrheit (vgl. RZ 4, S. 463,9–10). Im Heft vom 21. Januar 1813 der Wiener Allgemeine〈n〉 Literaturzeitung (1814) wird das Stück von allen Schaubühnen–Dramen am ehesten für eine Aufführung geeignet gehalten. Aufgrund einiger höchst ergreifende〈r〉 Stellen hätte es in Deutschland, vorzüglich noch vor einigen Wochen 〈...〉 einen tiefen Eindruck gemacht (RZ 6, S. 470,8–10). Damit wird wohl auf den am 19. Oktober 1813 erzielten Sieg gegen die Napoleonischen Truppen während der Völkerschlacht bei Leipzig angespielt. In den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst (1816) werden Die Appelmänner und Die Vertreibung der Spanier aus Wesel als patriotische Dramen gewürdigt, in denen der Dichter in seiner höchsten Glorie erscheine (vgl. RZ 9, S. 473,37–38). Die Darstellung unterschiedlicher Positionen und Charaktere wird vom Rezensenten Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld positiv hervorgehoben (vgl. ebd., S. 473,38ff.). Zugleich weist er darauf hin, daß Kritiker bemängeln könnten, daß das Stück in Prosa geschrieben sei. Biedenfeld beurteilt dies jedoch als Vorzug des Stückes im Gegensatz zu den Versdramen der Schaubühne, auch wenn er die Neigung zur gebundenen Rede negativ bewertet (ebd., S. 474,14–19). In diesem Zusammenhang liest sich eine Äußerung Arnims über die Verwendung von Jamben und Versen in seiner Theorie in Fragmenten wie eine Antwort auf diese Kritik:
Zu Schakespeares Zeiten waren Verse gewiß ein Bühnengesetz, sonst wäre er prosaist 〈sic〉 geworden. Calderonn hingegen scheint sich nur durch Verse entwickeln zu können. Wo Verse häufig aus einer Art Vornehmthuerei wie bey uns gemacht werden sind sie der Untergang, manches sonst guten Theaterstücks geworden. Ich glaube in den Stücken die durchaus zwischen phant. und historischer Wahrheit schweben eine Art freye jambische Retorik angemessen, in der Befreyung von Wesel war sie eigentlich überflüssig und hat mich doch wohl zu weilen an dem rechten Ausdruck behindert. Der Vers darf nie blos seines Wohllauts wegen da seyn, dieser Wohllaut muß einem inneren Grund als Folie dienen (FDH B 44).
Die Vertreibung der Spanier aus Wesel hat Arnim selbst offenbar noch lange Zeit beschäftigt. Ein Indiz dafür, daß er sich mit diesem historischen Stoff besonders intensiv auseinandersetzte, ist ein von ihm verfaßter Aufsatz. Er erschien 13 Jahre nach der Publikation der Schaubühne mit dem Titel Die Einnahme der Stadt Wesel 1629 in der Zeitschrift Der deutsche Jugend659
Zu: Die Vertreibung der Spanier
garten 2
(1826), H. 9, S. 204–206 (vgl. Wiederabdruck in Werke 6, S. 818). Die geschichtlichen Ereignisse werden z. T. durch Übernahme wörtlicher Passagen aus dem ThE nacherzählt. Ähnlich wie in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel wird die Tat Peter Mülders besonders hervorgehoben, was v. a. am Anfang und am Ende des Aufsatzes sowie an der Umstellung und Kürzung einiger Passagen über die niederländischen Befehlshaber deutlich wird. Die beiden einleitenden Sätze und das Resumee am Schluß weisen einen pathetischen Sprachduktus auf und zeugen von der zugrundeliegenden patriotischen Intention des Verfassers:
Harten Trotz erfuhr Deutschland zu der Zeit, als bei der Verbindung Spaniens mit Österreich die Krieger des erstern auf unserm vaterländischen Boden eine gewöhnliche Erscheinung waren. Auch die Stadt Wesel seufzte im dreißigjährigen Kriege Jahre hindurch unter der drückenden Herrschaft Hispaniens. 〈...〉 So ward der kühne Gedanke eines einfachen Mannes 〈= Peter Mülder/Moller〉, der sich nur zwei entschlossene Vertraute zugesellte, schnell vollführt, ein Beweis, was in den verwickeltsten Lagen Verschwiegenheit, Entschlossenheit und Raschheit vermögen (Werke 6, S. 818; 820). Durch diese Bewertung erschließt sich noch einmal retrospektiv die Intention beim Abfassen des patriotischen Stückes, das für Arnim nicht nur um 1813 beispielgebende Funktion besaß.
Erläuterungen 169,4 H a n d l u n g e n .] Im 17. und 18. Jh. gebräuchliche Bez. für Akt, u. a. von Andreas Gryphius verwendet (vgl. Adelung 2, S. 956; DWb 10, Sp. 405). Die Bez. dient auch im Stück Der Auerhahn zur Akteinteilung. 169,7 G r a f L o z a n , ] Im Chroniktext lautet der vollständige Name Franciscus Lozanus (vgl. Q, S. 638,18). 169,7 Gubernator] Befehlshaber, Gouverneur (vgl. DWb 9, Sp. 1027). 169,8 D i e g o , sein Wachtmeister.] Im Chroniktext nicht belegt. Clemens Brentano kritisiert im Rahmen seiner Besprechung der Schaubühnen–Dramen im Brief von Anfang Oktober 1813, daß die Darstellung der Spanier nicht plastisch genug, zu leicht (RZ 4, S. 463,7) sei. Diego vermittle Lozans Verhältniß mit der Garnison nicht lebendig genug (vgl. ebd., S. 463,8–9). 169,9 R e i n h a r t , Gastwirth zu Wesel.] Von Arnim hinzugefügte Figur. Auf die Bedeutung des Namens »Reinhart« wird in Luthers Namen-Büchlein (Arnim-Bibl. B 2008) hingewiesen: Reinhart aus Rugenhart / das ist / Ruh
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Aufführungsbestrebungen, Uraufführung und Rezeption/Erläuterungen
oder Friedens-Stärcke (Luther 1674, S. 26) bzw. aus Reinart / oder Reiner Rath (ebd., S. 202). 169,10 S u s a n n a , ] Im Chroniktext nicht belegt. Der Name »Susanna« begegnet in Arnims Werk auch in den Kronenwächtern II, wo Susanna ebenfalls ihre Integrität und Keuschheit erfolgreich bewahrt. In Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber heißt die Älteste 〈der Schwestern〉, welche erwachsen und recht schön war (Arnim 1812, S. 255), Susanna. – Der Name hat auch eine Belegstelle im A.T., vgl. Dan 13, 1–64, Die Rettung der Susanna durch Daniel: Dort wird Susanna, die Frau Jojakims in Babylon, von zwei Ältesten, die sie vergeblich zum Beischlaf zwingen wollten, aus Rache des Ehebruchs beschuldigt (vgl. die Parallele zu Arnims säkularisierter Dramenfigur, der eine Liebschaft mit dem Spanier Lozan nachgesagt wird, in der vorliegenden Ausgabe S. 182,35). – Johann Franckens Versgedicht In deutsche Tracht verkleidete 〈...〉 Susanna (1658) erzählt die Geschichte aus dem A.T. nach. Das Buch befindet sich in Arnims Bibliothek (vgl. ArnimBibl. B 895). Bei Arnim lag also ein allgemeines Interesse an diesem Stoff vor. Vmtl. orientiert er sich bei der Namensgebung an der Redensart »eine keusche Susanna sein«, d. h. eine ehrbare Frau sein (vgl. Röhrich 3, S. 1590). 169,11 P e t e r M ü l d e r , ein Holzhändler] Im Weseler Kirchenbuch als Peter Moller belegt (Kipp 1991, S. 214), aber auch unter dem Namen Muller (Christiaenzoon 1630, S. 294), Mölder (Westermann 1963, S. 654), Müller (Hüther 1786, S. 496;) überliefert. Der von Arnim angegebene Beruf des Holzhändlers ist im Chroniktext nicht dokumentiert. Der Holzhandel in Wesel über die Lippe kommt v. a. im 17. und 18. Jh. auf, ist aber keine der wirtschaftlichen Haupteinnahmequellen der Stadt (vgl. Clemens von Looz-Corswarem, Wirtschafts- und Sozialgeschichte in brandenburgisch-preußischer und französischer Zeit, in: Geschichte der Stadt Wesel, hg. v. Jutta Prieur. Bd. 2. Düsseldorf 1991, S. 230–278, hier S. 268). – In Johann Nikolaus Hüthers Aufsatz Von dem spanischen Feste, welches jährlich zu Wesel gefeiert wird, ist als Beruf Mollers Walker angegeben. Laut Hüther bemerkte Moller, als er an der Westseite
der Stadt seine Rahmen zum Trocknen der Tücher aufstellte, daß die Stadt an dieser Seite schlecht befestigt war, und beschloß, die Möglichkeit zu nutzen, um die Spanier aus Wesel zu vertreiben (Hüther 1786, S. 496). Während bei Arnim Peter Mülder erst am Ende des Stückes um Susannas Hand anhält, war der historische Moller seit 1628 mit Maria Ewichs verheiratet (vgl. Kipp 1990, S. 26). Zu seinem plötzlichen Tod 1630 vgl. den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 644. 169,12 D i e r e c k e M ü l d e r , 〈...〉 Schule] Dierecke, auch als Dirick Mülder (vgl. Q, S. 636,26) oder Dietrich Müller, im Kirchenbuch als Derick Moller
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
(Hüther 1786, S. 496) überliefert. Beruf und Bildungsstand sind von Arnim hinzugefügt worden. Es handelt sich vmtl. um den älteren Bruder des historischen Peter Mollers. Im Archiv der ev. Kirchengemeinde Wesel läßt sich ein Eintrag ins Kirchenbuch zur Hochzeit Derick Mollers mit Trintgen Rebbers 1618 nachweisen. 1652 wird er letztmalig erwähnt (vgl. Kipp 1990, S. 27). 169,13 J u d i t h M ü l d e r ] Im Chroniktext nicht belegt. In Arnims Werk begegnet der Name »Judith« auch in der Erzählung Die Ehenschmiede, in der Judith als starke Tochter eines Schmieds beschrieben wird. Dadurch ergibt sich eine Parallele zum vorliegenden Stück, in dem Judith gegen Ende als Schmiedegeselle verkleidet auftritt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 199,23). Wie im Falle der Figur Susanna könnte die Namensgebung durch eine biblische Gestalt angeregt worden sein, vgl. Jdt 8, 1–16, 25: Die von Nebukadnezars Heer belagerten Städte Israels leiden unter der Besatzung. Die Hebräerin Judit, eine gottesfürchtige Witwe, besitzt den Mut, sich dem Oberbefehlshaber Holofernes schmeichelnd zu nähern und ihm, als er betrunken eingeschlafen ist, den Kopf abzuschlagen. Diese Tat führt dazu, daß die assyrischen Truppen vor den Israeliten fliehen. Das Motiv wurde v. a. in der italienischen Barockmalerei und -bildhauerei häufig verwendet, vgl. ausführlich Bettina Uppenkamp, Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barock. Berlin 2004. Auch in dieser Geschichte des A.T.s führt die Tat einer einzelnen zum Erfolg. Gerade der Aspekt, daß es sich um eine Frau handelt, die das Heer des Königs Nebukadnezars geschlagen hat, wird in der Bibel wiederholt betont. Arnims weltliche Judith wird analog zur biblischen Vorbildfigur als Befreierin der Stadt gefeiert, indem sie den spanischen Kommandeur Lozan während des Befreiungsschlags der Niederländer im Gasthaus betrunken macht; vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 202. 169,14 M e i s t e r S c h l a c k e , Waffenschmidt.] Im Chroniktext nicht belegt, sprechender Name (»Schlacke« als Bez. für das Abfallprodukt beim Schmieden, vgl. DWb 15, Sp. 255). 169,15 J a n R o t l e e r , dessen Geselle.] Auch RottLeer, Rootleer (Q, S. 636,26; S. 637,14), Rohleer (Westermann 1963, S. 654), Roleer (Kipp 1990, S. 27), Johann Rothleder (Hüther 1786, S. 496). Rotleers Zugehörigkeit zur Schmiedezunft ist von Arnim hinzugefügt worden. Arnims Q berichtet davon, daß sich Peter Mülder und weitere Mitstreiter während der Befreiungstat Waffen und Geräte bei einem Schmied beschaffen. Der Knecht dieses Schmiedes schließt sich den Kämpfenden an und öffnet das Schloß am Braunischen Tor (vgl. Q, S. 638,1–5). Vmtl. diente dieser Hinweis in der Q Arnim als Anregung, die Figur als Schmied zu konzipieren. – Der historische Jan Roleer heiratete dreimal. Aus diesen drei Ehen gingen 15 Kinder hervor (vgl. Kipp 1990, S. 27).
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Erläuterungen
169,16 F r e i h e r r v o n D i d e m , staatischer General.] Auch als von/ van Dyden (Q, S. 636,6; Christiaenzoon 1630, S. 295), von Dieden (Q, S. 638,19; Hüther 1786, S. 496) überliefert. Als staatischer General oblag ihm der Oberbefehl über die Soldaten der Generalstaaten der Niederlande (vgl. Q, S. 637,22). 169,17 H u y g e n s , ] Jann Huygens, auch in der Schreibung Huigens (Q, S. 637,35) oder Johann Huygens (Kipp 1991, S. 214; Hüther 1786, S. 497) belegt. Christiaenzoons Chronik bezeichnet ihn als Gouverneur von Emmerick (Christiaenzoon 1630, S. 298). 169,17 D r o s t v o n B e e f o r t ] Im Chroniktext belegt (vgl. Q, S. 637,26–27), auch Drost von Breefort (Hüther 1786, S. 497). Der Titel »Drost« kennzeichnet ihn als Vertreter des Landesherrn, der sich in seinem Distrikt um Verwaltung und Justiz kümmert. Nach der Aufteilung der Niederlande in Departementes und Quartiere wurde zwischen Landesdrosten und Drosten unterschieden (seit dem 13. April 1807). Ernannt wurden die Droste vom König. Nach der Annektierung der Niederlande durch Frankreich wurde der Titel nicht mehr gebraucht (1795 in Belgien, 1810 in den Niederlanden). Drost von Beefort ist also nur der Titel, der Name der historischen Figur ist durch Christiaenzoons Chronik überliefert und lautet Wolf Mislick, Gouverneur van Brevoort (Christiaenzoon 1630, S. 298). 169,17 D i e s t ] Im Chroniktext belegt (vgl. Q, S. 637,27). 169,17 M a r k e t t e ] Im Chroniktext in der Schreibung Mons. Marquette belegt (Q, S. 637,27f.). Arnim deutscht den Namen ein. In ähnlicher Manier verfährt er bei französischen Ausdrücken u. a. in Jann’s erster Dienst, vgl. Erl. zu S. 12,31 sowie u. a. bei dem Begriff Kontor (Comptoir) in Mißverständnisse, vgl. Erl. zu S. 146,14. 169,18 L a u w y k ] Auch als Lauwyck (Q, S. 637,28), Lauwijck (Christiaenzoon 1630, S. 296) oder Lauwick (Hüther 1786, S. 497) für die historische Figur überliefert. 169,18 staatische Hauptleute] Laut Q Kommandanten einer niederländischen Kompanie von je 150 Mann (vgl. Q, S. 637,28). 169,19 Rathsherrn.] Um 1600 wurde Wesel von einem zwölfköpfigen Rat, zwölf Schöffen sowie zwölf »Gemeinsfreunden« verwaltet. Die Stadt war in vier Viertel unterteilt, aus denen jeweils drei »Gemeinsfreunde« gewählt wurden. Durch diese wurden die Schöffen bestimmt, die aus ihrer Mitte die beiden Bürgermeister wählten. Schöffen und »Gemeinsfreunde« beriefen ferner jeweils sechs Räte ins Amt (vgl. Werner, M. 2003, S. 16). 169,20 Der 18. August 1629.] Im Chroniktext ist der genaue Zeitpunkt des Angriffs der 19. August deß Morgens zwischen drey vnnd vier Vhren (Q, S. 636,16–17). Arnim bemüht sich insofern um die Einheit der Zeit, als die
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Handlung am 18. August morgens mit dem Kirchenläuten beginnt und etwa um Mitternacht desselben Tages endet. Traditionell fand in Wesel am 19. August bis zur Besatzung durch die Franzosen 1806 das »spanische Blutsaufen« statt, ein Fest, das zur Erinnerung an die Befreiung der Stadt begangen wurde (vgl. Hüther 1786, S. 485–501). 169,25–26 du siehst 〈...〉 lesen.] Das Motiv der Chiromantie tritt wiederholt in Arnims Werken auf, z. B. in Die Kronenwächter II, wo Zigeuner die Zukunft vorhersagen (SW 16, S. 290–292). Das Handlesen steht auch dort in keinem Widerspruch zum protestantischen Glauben, der wie in dem Stück Die Vertreibung der Spanier aus Wesel als der wahre Glauben dargestellt wird. Ähnliches gilt für die Erzählung Owen Tudor, in der sich der Ich-Erzähler die Lebenslinie einer Kinderhand genauer ansieht (Arnim 1821, S. 72). In Raphael und seine Nachbarinnen tritt eine Wahrsagerin auf, die sich bei der Tanzgesellschaft die Hände der Anwesenden zeigen läßt. Ihre Prophezeiungen in bezug auf Raphael bewahrheiten sich (vgl. Arnim 1824, S. 178). 170,1 wie eine Schwalbe, 〈...〉 baut.] Bei Arnim werden die Schwalben häufig als positiv bzw. religiös besetztes Zeichen verwendet; in den Kronenwächtern II werden sie als fromme〈...〉 Schwalben bezeichnet, deren Schutz 〈...〉 Segen über die Häuser bringt (vgl. SW 16, S. 265). In der Erzählung Die Majoratsherren wird die Tätigkeit der Schwalben, die alle Lücken der menschlichen Architektur mit ihren Nestern füllen, in dem Lied Die Sonne scheinet an die Wand besungen (vgl. Arnim 1820, S. 41–42). Vgl. ebenso Arnims Gedicht Die Schwalbe (Ricklefs 1980, Nr. 1721; Werke 5, S. 321–323) sowie Wh III 61, Die Schwalben. 170,3 (Sie bürstet 〈...〉 Kleide).] Das Abbürsten der Kleidung wird auch in Arnims Erzählung Raphael und seine Nachbarinnen als eine Art freundschaftlicher Liebesdienst thematisiert (vgl. Arnim 1824, S. 160). 170,6 schanze] Einen Wall graben, eine Befestigung bauen (vgl. DWb 14, Sp. 2167). Bei Adelung auch 〈m〉ühsame Arbeit verrichten, wo es noch hin
und wieder im gemeinen Leben von jeder beschwerlichen und mühsamen, besonders körperlichen, Arbeit gebraucht wird (Adelung 3, S. 1355). 170,6 Bollwerk] Eigtl. Bohlengerüst; früher: Befestigung, Festung. Die Schanzarbeiten Peters sind von Arnim hinzugefügt. 1624 kaufte sich die Weseler Bürgerschaft für 12 000 holländische Gulden von der Beteiligung an den Festungsarbeiten an der Ostseite der Stadt frei (vgl. Prieur 1991 I, S. 209). 170,12–13 nicht arm ...〉 Geld.] Von Arnim hinzugefügt. Die Auflösung dieses Widerspruchs folgt am Ende des Stückes, als von Didem berichtet, daß ihm Peter sein ganzes Vermögen zum Pfand ließ, um seine Glaubhaftigkeit den Nie-
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Erläuterungen
derländern gegenüber zu beweisen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 193,18). Erst durch dieses Zugeständnis hatte sich von Didem dazu bereit erklärt, das Wagnis auf sich zu nehmen, die Stadt anzugreifen. 170,13–16 Zerrissen ist 〈...〉 trägt;] Die Interessen der Kaufleute wurden durch die von den Spaniern erlassene Lizenzbelastung niederländischer Schiffe (ab 1616) stark beeinträchtigt. Die Niederländer blieben dem Weseler Hafen von da an fern (vgl. Prieur 1991 I, S. 209). – Hier intendiert Arnim vmtl. eine Anspielung auf die Kontinentalsperre, die Napoleon 1806 als Wirtschaftsblockade gegen England erlassen hatte (Berliner Dekret vom 21. November 1806). Import und Export sämtlicher Rohstoffe aus und nach England waren verboten, wodurch die Folgen des Krieges im bürgerlich-zivilen Bereich deutlich spürbar wurden. Gerade in Norddeutschland führte die Kontinentalsperre in bezug auf den Handel mit Getreide, Holz und Leinen zu einer ernst zu nehmenden wirtschaftlichen Krise (vgl. Nipperdey 1998, S. 17–18). Arnim thematisiert das Berliner Dekret auch in Aufsätzen, u. a. glossierend in Neue Religion, in Aprilscherz Berlin April 1 sowie in Austern und Butterbrote, die an den Bäumen wachsen. Auf wirtschaftliche Folgen der Kontinentalsperre wie etwa das Aufblühen des Leinenhandels in Schlesien weist Arnim in seinem Aufsatz Beiträge
zur Kenntnis des gewerblichen und comerziellen Zustandes der preußischen Monarchie hin. 170,27 Kroaten] Als Kroaten wurden im Dreißigjährigen Krieg allgemein Soldaten bezeichnet, die aus Südosteuropa rekrutiert wurden. 170,30–31 es trägt ihn 〈...〉 davon.] Redensart für »das ist ein lächerlich geringer Gewinn« (vgl. Röhrich 2, S. 1015). 171,4 Kreuzer] Silberne Groschenmünze von geringem Wert, die zwei ineinandergestellte Kreuze zeigt. 171,6 brauen sich ihr Bier.] In der wirtschaftlichen Not verlegte sich eine Vielzahl von Weseler Bürgern unterschiedlicher Provenienz auf das Bierbrauen. Dies gilt jedoch v. a. für das ausgehende 17. und 18. Jh. Das Bier wurde in der Wohnstube ausgeschenkt und fand seine Abnehmer beim Militär, das ständig in der Stadt anwesend war (vgl. Clemens von Looz-Corswarem, Wirtschafts- und Sozialgeschichte in brandenburgisch-preußischer und französischer Zeit, in: Geschichte der Stadt Wesel, hg. v. Jutta Prieur. Bd. 2. Düsseldorf 1991, S. 230–278, hier S. 249). 171,6–8 Der Spanier 〈...〉 Ländern.] Vgl. Erl. zu S. 170,13–16. 171,9–13 ich geh 〈...〉 hören.] Das »Hollandgehen« war auch im späten 18. Jh. unter Norddeutschen verbreitet. Als Gastarbeiter verbrachten sie die Zeit von Lichtmess bis Allerheiligen oder zum Martinstag 〈= 11. November〉 in Holland, um dort Geld zu verdienen (Justus Möser, Patriotische
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Phantasien, hg. v. J.W.J.v. Voigt. 1. Theil. Berlin 1775, S. 85–109, S. 85; ArnimBibl. B 1072a). In Justus Mösers Abhandlung in Patriotische Phantasien werden Pro und Contra dieser Abwanderungstendenz diskutiert. 171,22–23 wie leicht 〈...〉 seyn.] Vgl. das Stück Der Stralauer Fischzug, wo Reich in einer Replik sagt: Ich habe alles verloren, nur nicht den Verstand, und neben dir 〈= Agnes, seiner zukünftigen Braut〉 ist mir alle Arbeit leicht (SW 9, S. 297). 171,26 s c h m u g g e l n ] Die Stelle kann auch als Anspielung auf Arnims Gegenwart gelesen werden. Aufgrund der Kontinentalsperre, die Napoleon 1806 erlassen hatte (vgl. Erl. zu S. 170,13–16), blühte der Handel mit geschmuggelten Gütern; er erstreckte sich von der Nord- und Ostsee über Dänemark, Schweden, das 1808 von England besetzte Helgoland, Bremen, Hamburg, Lübeck bis nach Frankfurt und Leipzig (vgl. Nipperdey 1998, S. 17). 171,28 so treu wie Geld] Die Redensart heißt eigtl. »Jemand ist treu wie Gold« (vgl. Röhrich 3, S. 1638). Die von Arnim verwendete Variation hat einen ironischen Unterton, nicht nur in bezug auf die Treue Peter Mülders, sondern auch als Eigencharakterisierung Reinharts, der den Wert des Geldes sehr hoch schätzt. 171,34 Kaiser] Gemeint ist Ferdinand II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Mit dem am 6. März 1629 erlassenen Restitutionsedikt wollte er die Rekatholisierung aller nach 1552 säkularisierten oder an die Protestanten übergegangenen Kirchengüter erwirken. Aufgrund des Edikts erlitten die protestantischen Territorien, insbesondere Brandenburg, Sachsen und Württemberg, Gebietsverluste und damit einhergehend schwere wirtschaftliche Einbußen (vgl. Albrecht 1990, S. 134). 172,1 Sankt Willebrandt] Eigtl. Willibrordikirche, protestantische Hauptkirche von Wesel, vgl. Erl. zu S. 172,3–4. Zur topographischen Lage der Kirche in der Stadt auf dem Kupfperstich vgl. Abb. 5, S. 353, zu ihrer Nennung in der Q, vgl. ebd., S. 639,9–10. 172,1–2 Die Spanier kreutzgen 〈...〉 Messe.] Während der Besatzungszeit führten die Spanier im Zuge der Rekatholisierungsbestrebungen katholische Zeremonien in der Öffentlichkeit ein, wie etwa Prozessionen durch die Stadt, die als Provokation der protestantischen Bürger intendiert waren (vgl. Prieur 1991 I, S. 208). 172,3–4 Uns haben 〈...〉 werden.] Im Zuge der Rekatholisierungsbestrebungen der Spanier in Wesel wurde am 27. und 28. Juni 1628 die Willibrordikirche und eine weitere Kirche für die Katholiken gewaltsam in Besitz genommen. Dies geschah mit Hilfe der jahrzehntelang unterdrückten Weseler Katholiken. Die protestantischen Pfarrer wurden aus ihren Pfarrhäusern vertrieben. Dies wurde
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Erläuterungen
entgegen den Bestimmungen des Kapitulationsvertrags zwischen Wesel und den Spaniern durchgesetzt, in dem den Bürgern eigtl. Religionsfreiheit zugesichert worden war (vgl. Prieur 1991 I, S. 209; Prieur 1991 II, S. 22). Protestantische Gottesdienste konnten während der spanischen Besatzungszeit zwar abgehalten werden, die Versammlungen wurden aber öfters durch Prämonstratensermönche gestört. Arnim rekurriert hier vmtl. auf seine eigene Zeit, vgl. Erl. zu S. 202,5–8. 172,5–6 daß sie uns 〈...〉 andre.] Vgl. Erl. zu S. 172,3–4. 172,6–8 Sie sahens 〈...〉 erweckt,] Gemeint ist hier wohl Herzog Albas Einzug in die Niederlande im August 1567, der in seiner Position als Generalstatthalter der Lage in den Niederlanden durch gewaltsame Repressionen Herr zu werden versuchte. Die Niederländer wehrten sich in kriegerischen Auseinandersetzungen, die erst mit dem Westfälischen Frieden 1648 endeten (vgl. Lademacher 1993, S. 102–111). 172,9–11 jener, der 〈...〉 seiner Last] Vgl. das Sprichwort »Wer das Kalb getragen, wird bald auch einen Ochsen tragen«. Ursprünglich auf den Krotonienser Milo bezogen, »der dadurch zu der Kraft gelangt war, einen ausgewachsenen Stier zu tragen, dass er ein Kalb von dessen Geburt an täglich ein paar Stunden getragen hatte« (Wander 2, Sp. 1105, Nr. 116; vgl. ebd., Nr. 119: »Wer das Kalb trägt, dem wird man bald die Kuh aufladen«; bzw. ebd., Nr. 121: »Wer ein Kalb gewent zu tragen, der kans auch noch halten, wenn’s zum Stier wird«). Der unglückliche Ausgang des »Kälbertragens« kommt bei Arnim neu hinzu, eine explizit benennbare Quelle ist nicht zu ermitteln. Eine ähnliche Umdeutung des Endes einer Sage läßt sich im Stück Der Auerhahn feststellen, vgl. Erl. zu S. 66,32–67,28. Ähnlich geht Arnim auch bei der Veränderung von Sprichwörtern und Redensarten vor. 172,17 Sonntag heut,] Der 18. August 1629 war ein Samstag (vgl. Weseken 1992, S. 378). Arnim will vmtl. die konfessionellen Unterschiede zwischen den Weseler Bürgern und den Spaniern stärker akzentuieren und läßt sein Stück an einem Sonntagmorgen zur Zeit des Gottesdienstes beginnen. 172,22–23 Gubernator Excellenz] Ehrerbietige Anrede des Gouverneurs, von Arnim hinzugefügt. 172,28–30 wenn uns 〈...〉 bestrafen.] Vmtl. handelt es sich um eine Anspielung auf Arnims Gegenwart. Die Zahl der Übergriffe oder Ausschreitungen der Spanier in Wesel im 17. Jh. war verhältnismäßig gering. Kapitalverbrechen wurden hart bestraft (vgl. Prieur 1991 I, S. 205; ausführlich zum Alltag der Weseler Bürger während der Besatzungszeit vgl. Werner, M. 2003). 173,2–3 wie sie 〈...〉 verdeutschte,] Martin Luthers vollständige Bibelübersetzung Biblia das ist die ganze Heilige Schrift Deutsch erschien 1534.
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
173,7–8 Was wird doch 〈...〉 Vieh!] Clemens Brentano berichtet in seinem Brief an Arnim vom 5. April 1814 über die Streichungen, welche die Wiener Zensurbehörde an dieser Passage von Arnims Stück vornahm, vgl. AZ 20, S. 490,11–491,17. Vgl. auch den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 655–656. 173,10 Nun wie 〈...〉 giebt.] Bei dem im Pietismus beliebten Brauch wird durch zufälliges Aufschlagen oder »Däumeln« in Bibeln oder Andachtsbüchern ein Spruch zur Stärkung für den Tag gefunden. Hier dient der Spruch als Basis für eine Bibelexegese. 173,11–12 »So gebt 〈...〉 Gottes ist!«] Vgl. Die Frage nach der kaiserlichen Steuer, Mt 22, 15–22, Mk 12, 13–17; Luk 20, 20–26; hier Mt 22, 21; Mk 12, 17; Luk 20, 25. Die Bibelstelle wird von Arnim wiederholt in historischpolitischen Kontexten eingesetzt, so etwa im Wh–Lied II 103, Halt dich Magdeburg, in dem die Belagerung der Stadt durch den katholischen Kurfürsten Moritz von Sachsen während des Schmalkaldischen Krieges (1550/1551) thematisiert ist. In den V. 73–76 wird auf die Bibelpassage angespielt, wenn vom Widerstand der Protestanten gegen die Katholiken die Rede ist: Dem Kaiser
wollen wir geben / Jetzt und zu aller Frist, / Was ihm gebühret eben / Und nicht, was Gottes ist. Außerdem legt Arnim die Bibelstelle in einem Brief an BvA vom 6. Februar 1808 aus: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gotte, was Gott ist, das heist macht euch erst allen Menschen gleich, eh ihr euch über sie erhebet (FDH 7242). – In Schillers Wilhelm Tell wird das Bibelwort ebenfalls im Kontext einer Verschwörung gegen die Unterdrücker zitiert, vgl. 2, II: Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers ist (NA 10, S. 188, V. 1357) bzw. verfremdet in Ihr gebt dem Kloster was des Klosters ist (ebd., V. 1364). 173,12 Dem Kaiser, 〈... gern,] Diese Aussage verwundert vor dem Hintergrund des von Ferdinand II. (vgl. Erl. zu S. 171,34) 1629 erlassenen Restitutionsedikts, das sich gegen den protestantischen Glauben richtete und härtere Ausschreitungen (im Vergleich zur spanischen Besatzungsmacht) gegen Protestanten bedeutete. Hier steht das Interesse am Bestehen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Vordergrund, Reinhart legt die Bibelstelle auf »deutsche« Weise aus (vgl. Krogoll 1979, S. 75). 173,15–16 daß unser Heiland 〈...〉 werden.] Vgl. Mt 22, 18; Mk 12, 15; Luk 20, 20: Jesus wird von Pharisäern gefragt, ob es recht sei, Steuern an den römischen Kaiser zu zahlen, wobei diese Frage eine Falle in sich birgt, da Jesus Partei für eine der Positionen ergreifen muß: Bejaht er die Frage, geht er konform mit der römischen Besatzungsmacht und stellt seine Rolle als Erlöser in Frage; verneint er sie, kann er Pilatus als Zelot überantwortet werden.
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Erläuterungen
173,22 Helleparte] Eigtl. Hellebarde; im späten MA. eine Stoß- und Hiebwaffe, die aus einem langen Stiel mit axtförmiger Klinge und scharfer Spitze besteht. Auf dem Kupferstich, den Arnim als Veranlassung für sein Stück angibt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 334,12), steht vorne in der Bildmitte ebenfalls ein Mann mit einer Hellebarde in der Hand, der dem Betrachter des Bildes den Rücken zukehrt (vgl. Abb. 4, S. 352). 173,28–30 Sie ist schon 〈...〉 rufe?] Die Bedrängung der Braut Peter Mülders durch Lozan ist von Arnim hinzugefügt worden. Der historische Gouverneur war (wie auch Peter Moller, vgl. Erl. zu S. 169,11) verheiratet, Lozans Gattin hielt sich 1629 in Wesel auf (vgl. Kipp 1991, S. 216). 174,6–7 verwandt 〈...〉 Base] »Base« steht hier vmtl. im weiteren Sinn für »weibliche Verwandte« (Adelung 1, S. 742; DWb 1, Sp. 1147–1148), von Arnim hinzugefügt. Es könnte sich freilich auch um eine »Schutzbehauptung« handeln. 174,14 sticken] Alte Form von »ersticken« (vgl. Adelung 4, S. 368; DWb 18, Sp. 2742). 174,14 Hund] Als Schimpfwort gebräuchlich für einen nichtswürdigen, lasterhaften, verächtlichen Menschen (Adelung 2, S. 1319; vgl. DWb 10, Sp. 1918). Vgl. die Verwendung des Ausdrucks »deutsche Hunde« in Wh II 327, St. Jakobs Pilgerlied, V. 85, 110. 174,20–22 luthrisch Nachtmahl, 〈...〉 Gottesgabe.] Wein zum hl. Abendmahl, der – im Unterschied zu den Katholiken – bei den Protestanten als Sakrament des Altars gilt und nicht nur vom Priester, sondern auch von der Gemeinde getrunken werden darf. In den gemeinen Sprecharten tritt der Begriff Nachtmahl anstelle von Abendmahl häufig auf (Adelung 1, S. 23). »Gottesgabe« dient als Bez. von angenehmen, erfreulichen dingen, die jemandem zufallen. häufig vom wein (DWb 8, Sp. 1243). Vgl. auch die Verwendung des Begriffs in Die Appelmänner, Erl. zu S. 332,9. 174,34 Dornen] Die Ortschaft Dornen konnte nicht ermittelt werden, evtl. ist das Dorf Dornik bzw. Dornick bei Emmerich gemeint (vgl. Messow 1854, S. 160). 175,6–8 Stimme grüßte 〈...〉 Fee.] Ein vergleichbares Phänomen begegnet dem Grafen in der Gräfin Dolores in Form eines »unsichtbaren Mädchens«, das jedoch Teil eines Gauklerstücks ist, das ursprgl. auf Jahrmärkten gezeigt wurde (vgl. Arnim 1810 II, S. 61–65; 71–75). Ferner handelt es sich um ein gängiges Märchenmotiv, wenn der Held einen gedeckten Tisch, aber keinen Gastgeber vorfindet. 175,16 Mondur] Eigtl. Montur, Uniform. 175,20 Der Deutsche 〈...〉 zahlt.] Sonderzahlungen der Weseler Bürger an die spanische Besatzungsmacht waren keine Seltenheit. Wiederholt erpreßten
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
die Spanier Summen von jeweils 4000–5000 Gulden (vgl. Prieur 1991 I, S. 209).
Ueberdem wurde ihnen noch ihr Getrayde zur Futterung für die Garnison u.s.w. abgemähet und ruiniret, worüber sie oft laute und bittere Klagen führten, aber nicht gehöret wurden (Hüther 1786, S. 490). – Ähnlich war die Situation in Preußen nach der Niederlage 1806. Napoleon forderte Tributzahlungen in Höhe von zunächst 154,5 Mio. Franken. Preußen verhandelte vergeblich über eine Minderung und mußte schließlich nachgeben, um die Räumung einiger Gebiete zu erreichen. Am 8. September 1808 unterzeichnete Preußen einen Vertrag, der die Kontributionszahlungen an Frankreich auf 140 Mio. Franken festlegte. Am 8. November wurden die Forderungen der Siegermacht auf 120 Mio. reduziert und eine Zahlung in Monatsraten von je vier Mio. Franken vereinbart (vgl. Möller 1989, S. 594). 175,24 Galleron] In Arnims Q ist von Lozans Obrister Wachtmeister de la Plare Galleron die Rede (Q, S. 639,28). Hüther berichtet von Galleron als Vicekommandanten (vgl. Hüther 1786, S. 500). 175,27 die Stadt 〈...〉 offen.] Vgl. die Ähnlichkeit zur Q, S. 637,5–6. 175,30 Schanzzeug] Älterer militärischer Ausdruck zur Bez. des zum Schanzen nötigen Werkzeugs, z. B. von Picke und Spaten (vgl. Adelung 3, S. 1356; DWb 14, Sp. 2196). 175,33–176,2 wie er 〈...〉 bezahlen.] Im Chroniktext nicht belegt, vmtl. Anspielung auf die eigene Zeit. 176,2 Königs] Philipp IV., König von Spanien und Portugal. 176,16 Meerkatz] Affenart mit langem, katzenähnlichem Schwanz (vgl. Adelung 3, S. 138; DWb 12, Sp. 1852f.). 176,22–27 Nie suchte 〈...〉 Krieg.] Von Arnim hinzugefügt. Bei Hüther wird Lozan als alter erfahrner Spanier beschrieben, der allein wegen seiner Verdienste zu dieser Stelle befördert worden war (Hüther 1786, S. 496). Die Erzählung Lozans weist Parallelen zur Josefsgeschichte im A.T. auf, in der Potifars Frau von Josef verschmäht wird. Aus Rache läßt sie ihn ins Gefängnis werfen (vgl. 1. Mo 39, 1–20). In den Grimmschen Sagen (1816–1818) wird in Anlehnung an die Josefsgeschichte ein Ritter von der Frau des Kaisers Otto III. fälschlich beschuldigt und zum Tode verurteilt (vgl. Grimm 1818, Nr. 473 und 474, S. 170–173: Der unschuldige Ritter, Kaiser Otto hält Witwen- und Waisengericht). Vergleichbar ist auch die Handlung der Rahmengeschichte in dem Volksbuch Von den sieben alten Meistern, das Arnim als Vorlage für Das Loch verwendete, vgl. den Überblickskommentar S. 693–697. 176,29 Rosenmund] Rosemunda, daß ist Rosener Mund (vgl. Luther 1674, S. 31; Arnim-Bibl. B 2008). Vgl. Arnims Gedicht Bitte einiger berlinischer Armen An Rosamund, in dem die Trägerin des Namens idealisiert wird und in die Nähe des Frühlings gerückt ist.
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Erläuterungen
177,26 Daß ich 〈...〉 sah,] Das Lied stellt eine Variation des im 1. Gedichttaschenbuch befindlichen Liedes mit dem Titel Die Weinende dar. Es wurde durch einige situationsbezogene Elemente erweitert (Ricklefs 1980, Nr. 238, vgl. Werke 5, S. 248–250; ebd. Kommentar, S. 1177). 178,21 Schenk ein 〈...〉 träumte] Eine weitere Strophe des umgearbeiteten Liedes Die Weinende (vgl. Erl. zu S. 177,26). 178,29–30 Du bist ein Wunderkind 〈...〉 gefallen,] Das Lob der weiblichen Handarbeit findet sich an vielen anderen Stellen in Arnims Werk, so z. B. in Der Auerhahn (vgl. Erl. zu S. 88,3) und in den Kronenwächtern II (vgl. SW 16, S. 91). 179,7 Nun ade, auf Neuigkeiten] Das Lied liegt in keiner weiteren Fassung vor (vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1173). 179,32 Thut’s die 〈...〉 auch,] In seinem Brief an Arnim vom 7. März 1813 kritisiert Iffland, daß die Stelle wiedrigen Effekt machen 〈könne〉, den eine geänderte Wortfügung hebt (vgl. AZ 6, S. 481,14). Arnim behält den Wortlaut der Passage bei, evtl. fügt er aber den Zusatz »sagt das Sprichwort« hinzu. Bei Wander als Sprichwort oder Redensart nicht zu ermitteln. 179,36 Gräfin nennen hörte.] Vgl. Goldmanns ähnlich ambitionierte Pläne in dem Stück Mißverständnisse, seine Tochter Luise mit dem Grafensohn Pergament zu verheiraten, in der vorliegenden Ausgabe S. 147,27–32. 180,2–3 mein Vater 〈...〉 los seyn,] Evtl. handelt es sich hier um eine von Arnim auf Anregung Ifflands hin veränderte Stelle. In seinem Brief vom 7. März 1813 kritisiert Iffland, daß die Passage Mein Vater will mich verkuppeln 〈...〉 wiedrigen Effekt machen 〈könne〉 (vgl. AZ 6, S. 481,13–14). Da sich der von Iffland zitierte Satz im Drama nicht mehr findet, könnte Arnim ihn an dieser Stelle modifiziert haben. 180,13–14 daß euer Hammer 〈...〉 wird.] In der Q wird angedeutet, daß Mülder den Hammer selbst herstellt (vgl. Q, S. 637,9–10). 180,21–22 Steiermark, aus Kaisers Ländern,] Ferdinand II. (vgl. Erl. zu S. 171,34) wurde 1578 als Sohn des Erzherzogs Karl II. von Steiermark in Graz geboren. Ab 1595 war er Regent von Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain), 1617 König von Böhmen, 1618 von Ungarn, 1619 Kaiser. 180,25–26 Ich wär 〈...〉 Schmiede frei.] Ab 1810 verloren die Zünfte jedes Recht auf Zulassung zu einem Gewerbe, auf dessen Abgrenzung sowie auf Lehrlingsausbildung, jedoch hielten sie noch längere Zeit an der traditionellen Art der Betriebsführung, der Ausbildungspraxis und sogar am Zunftverhalten fest (vgl. Nipperdey 1998, S. 49; 215). Arnim ruft also einen aktuellen Diskurs der Zeit ins Gedächtnis (vgl. Krogoll 1979, S. 73; Pross 2001, S. 219).
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
180,27 In aller Welt 〈...〉 gebacken.] Redensart aus dem Niederdeutschen, im Sinne von »Man findet überall Arbeit« (vgl. Röhrich 1, S. 263). 181,5–6 so schmeiß 〈...〉 Rhein,] Vgl. das Sprichwort »Man möchte in den Rhein springen« (Wander 3, Sp. 1666, Nr. 39). Vgl. auch den Chor der Jungfrauen in Das Frühlingsfest: Zu Hülfe, will uns keiner retten, / So stürzen wir uns in den Rhein (in der vorliegenden Ausgabe S. 130,33–34) sowie in der Päpstin Johanna der mißglückte Selbstmordversuch Johannas: Die Thür schließt zu! – ich stürz mich in den Rhein – – (SW 10, S. 193). 181,10–11 dumm wie ein Ochs] Clemens Brentano berichtet in seinem Brief an Arnim vom 5. April 1814, daß die Wiener Zensurbehörde, der er das Stück zur Begutachtung vorlegte, an dieser Stelle Anstoß nahm und »wie ein Ochs« aus dem Text strich (vgl. AZ 20, S. 490,15). 181,13 Wichtelmänner] Zwerge, die Hausarbeiten und andere handwerkliche Tätigkeiten für den Menschen unbemerkt verrichten (HdA 9, Sp. 1011f.; 1083; vgl. u. a. KHM 1812, Nr. 39 Von den Wichtelmännern. I. Von dem Schuster, dem sie die Arbeit gemacht, S. 180–182). Das Motiv des »heimlichen Helfers« begegnet auch in Die Kronenwächter I. Dort sprechen die Frauen von einem Kobold, der ihnen das Geschirr am Brunnen wasche, tatsächlich handelt es sich jedoch um Anton (vgl. Arnim 1817, S. 340). 181,17 Glück und 〈...〉 das.] Sprichwort, vgl. Wander 1, Sp. 1749, Nr. 436. 181,30 Traume] Der prophetische Traum ist ein von Arnim und anderen Romantikern häufig verwendetes Motiv und begegnet auch in anderen Dramen Arnims wie etwa in Halle und Jerusalem (1810) oder Die Gleichen (1819). 181,30 Staketen] Lattenzäune (DWb 17, Sp. 410). 182,25 Seit einem 〈...〉 daran.] In den Chroniktexten nicht belegt. 182,30 Klosterweg] Als Straßenname für Wesel nicht zu ermitteln, vmtl. hier als Weg zum im Nordosten der Stadt gelegenen Kloster gemeint (vgl. Abb. 5, S. 353). 182,30 lange Gasse] Als Straßenname für Wesel nicht zu ermitteln, von Arnim hinzugefügt. 183,16–18 ich denk 〈...〉 kneipe] Vgl. Arnims Briefexzerpt aus einem Schreiben an BvA: Ich brachte einen Theil der Nacht in einem Eisenhammer 〈zu〉, welch ein prächtiger Schlag, die rechten Köpfe darunter, die jezt auf die andern hämmern 〈...〉 (vgl. Burwick 1978, S. 323–24). 183,20–23 braucht die Schwester 〈...〉 erklärt.] Eine ähnliche Abmachung wird in Die Kronenwächter I getroffen, als Berthold den Schneidermeister Fingerling darum bittet, für ihn bei Anna um seine Hand anzuhalten. Statt der verschiedenfarbigen Bänder wird dort ein Becher, der ins Fenster gestellt werden soll, als Zeichen vereinbart (vgl. Arnim 1817, S. 185; 192).
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Erläuterungen
183,24–25 spanschen Rohrstock] Biegsamer Stock aus Peddigrohr, eine spanische Rohrart. 183,30 Eine feste 〈...〉 Gott,] Gemeint ist das von Luther verfaßte Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott, das sich mit den ersten drei Strophen auf Ps. 46 gründet (entstanden um 1529; in der Arnim-Bibl. u. a. in Geistliche und Liebliche Lieder 1764, S. 452, Nr. 519, Arnim-Bibl. B 2261). Vgl. Erl. zu S. 202,27 zum Schlußchoral des Dramas. In den Kronenwächtern I wird auf das Lied ebenfalls angespielt (vgl. Arnim 1817, S. 258). Arnim erinnert Clemens Brentano in einem Brief nach Heidelberg, Berlin Ende April 1805, an das von Luther damals gedichtete herrlige Lied und schreibt ihm die erste und letzte Strophe ab (vgl. HS Heidelberg 2110, 4). Gerade der kriegerische Impetus der Schlußstrophe, die mit dem ambivalent sowohl theologisch als auch säkular zu verstehenden Vers »Das Reich muß uns doch bleiben« endet, mußte in der Zeit der Koalitionskriege von äußerster Brisanz sein. Vgl. ausführlich zur Bedeutung des Liedes Rohmer 1991, S. 38–69. 183,32 Ja,] Das Gespräch zwischen Judith und Peter findet erst in der Handlung II, Szene 5 statt (in der vorliegenden Ausgabe S. 186–187). 184,4–5 diese Nacht 〈...〉 Ewigkeit] In einer ersten Fassung, die Arnim an Iffland sandte, hatte die Stelle folgenden Wortlaut: Ihr sollt in dieser Nacht mir beistehen die Spanier totzuschlagen (vgl. AZ 6, S. 481,15–16). Iffland schreibt dazu, ob es nicht beßer 〈wäre〉 »zu vertreiben zu verwenden (vgl. ebd., S. 481,16). Arnim gebraucht in der nun modifizierten Fassung einen Euphemismus für »totschlagen«. Ifflands Veränderungsvorschlag resultiert aus dem Bedenken, die hier dargestellte Verschwörung könnte die Besorgnis vor Sicilianischer Vesper erneut entfachen (vgl. ebd., S. 481,17–18). Dabei bezieht er sich auf den Aufstand der Sizilianer gegen die Franzosen am 30. März 1282, der an einem Ostermontag zur Vesperzeit in Palermo ausbrach und sich schnell ausbreitete. Die Franzosen, die von Papst Klemens IV. durch Lehen die Herrschaft über Sizilien übertragen bekommen hatten, wurden vertrieben. Die von Iffland geäußerten Bedenken zeigen deutlich die politische Brisanz in Arnims Stück. 184,6–8 nachher will 〈...〉 setzen.] Bei Arnim läßt Peter Jan und Dierecke aus Vorsicht bis zum entscheidenden Befreiungsschlag uninformiert. In der Q arbeiten die drei gemeinsam an dem Befreiungsplan und nehmen zusammen Kontakt zu den Staatischen auf (vgl. Q, S. 636,21–637,1). Arnim stellt v. a. die Tat eines einzelnen und deren positive Folgen in den Vordergrund. 184,8–9 Wenns nicht geräth, so 〈...〉 gerädert.] Die Verwendung von Paronomasien ist für Arnim typisch. Bspe. lassen sich in fast allen seinen Texten nachweisen, vgl. etwa Erl. zu S. 201,2–3 zu Die Vertreibung der Spanier
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
aus Wesel,
S. 13,20–21 zu Jann’s erster Dienst, S. 26,7–8, S. 44,8–9, S. 52,9–10 zu Der Auerhahn, S. 204,9, S. 209,9, S. 218,35–36, S. 228,11–25 zu Das Loch und S. 284,5 zu Die Appelmänner. 184,11 rädern ist ein Schimpf.] Das Rädern, in Preußen 1811 abgeschafft, war im Spätmittelalter die gebräuchliche Todesstrafe für Staatsverbrecher und Räuber (vgl. Döpler 1693, S. 603; Röhrich 2, S. 1220) oder für Mörder (HdR IV, Sp. 135). Dem Delinquenten wurden Arme und Beine gebrochen, wonach er auf ein Rad geflochten und anschließend auf einem Pfahl den Zuschauern ausgestellt wurde. Zedlers Universal-Lexikon beschreibt das Rädern als eine derer schwersten und abscheulichsten Todes-Straffen, 〈...〉 nächst dem
Feuer die schärffeste, sonderlich wenn der Verbrecher den GnadenStoß nicht bekommt, das ist, wenn nicht bald im Anfang ihm das Genicke oder das Hertze angestossen wird (Zedler 30, Sp. 569; 507; vgl. ferner ausführlich Jacobs/Rölleke Kommentar 1980, S. 216). 184,12 ihr seyd mein Schwager.] In Christiaenzoons Chronik von 1630 sowie bei Hüther 1786, S. 496 wird berichtet, daß Peter den Anschlag gegen die Spanier mit seinem Bruder und mit seinem Schwager plant (vgl. Christiaenzoon 1630, S. 294: Eyndelicke als den Prince van Oragnien gingh beleggen
de stadt van ’s Hertogenbossche / is oock gheemplyeert Peter Muller/ ingebooren Borger binnen Wesel / seggende binnen de Stadt te hebben synen Broeder ende Swager / die hem souden assisteren (übersetzt: Als der Prinz von Oranien schließlich die Stadt s’Hertogenbusch zu belagern anfing, wurde dabei auch Peter Muller, gebürtiger Bürger Wesels, angeheuert, der sagte, seinen Bruder und Schwager in der Stadt zu haben, die ihm helfen würden). Da dieses Verwandtschaftsverhältnis in der Q nicht erwähnt wird, mag es sich um eine zufällige Parallele oder um einen indirekten Hinweis handeln, daß Arnim auch eine andere, nicht ermittelte Quelle zur Bearbeitung des geschichtlichen Stoffes herangezogen haben könnte. 184,13 Glück zu!] »Gruß- und Segenswort« (Wander 1, Sp. 1774, Nr. 1007). 184,24 Hast böse 〈...〉 Brutus auch.] Marcus Junius Brutus, Haupt der Verschwörung gegen Caesar. Grund für die Ermordung Caesars war der Versuch, die republikanische Senatsherrschaft zu erhalten. Nach dem Mord im Jahre 44 wurde die Lage in Rom für Brutus unhaltbar, weshalb er nach Griechenland und Asien zog und dort ein Heer um sich sammelte. In Plutarchs Römische Heldenleben wird von einer unheimlichen Erscheinung berichtet, die Brutus in der Nacht kurz vor Verlassen Asiens begegnete: Eine Lampe erhellte nur
schwach das Zelt, und das ganze Lager lag in tiefem Schweigen. Brutus, tief in seine Gedanken versunken, glaubte jemand eintreten zu hören. Als er zum Eingang blickte, sah er eine seltsame, furchtbare 674
Erläuterungen
Gestalt von ungeheurer, schreckenerregender Größe vor sich stehen. Er riß sich zusammen und fragte: »Wer bist du? Gott oder Mensch? Was soll dein Kommen?« Leise erklang die Antwort: »Ich bin dein böser Geist, Brutus. Bei Philippi wirst du mich sehen.« Ruhig antwortete Brutus. »Ja« (Plutarch, S. 362). Die Gestalt erschien ihm laut Plutarch tatsächlich noch einmal in der Nacht vor der Entscheidungsschlacht bei Philippi, blieb aber dieses Mal stumm. Bei Philippi besiegt, stürzt sich Brutus in sein Schwert. Vmtl. spielt Dierecke durch seinen Hinweis auf die »böse Ahndung« auf diese Stellen bei Plutarch an. – Brutus taucht auch in Arnims Schülerarbeiten auf (vgl. WAA 1, S. 18; Übersetzung der VIII. Szene aus dem Trauerspiel Der Tod des Julius Cäsar von Voltaire, S. 150–153). – Zudem zieht Arnim eine interessante Parallele zwischen Brutus und Major Ferdinand von Schill in einem Brief an Clemens Brentano vom 25. Mai 1809. Schill hatte 1809 ein Freiwilligenheer um sich gesammelt, um gegen Napoleon zu kämpfen. Im Mai desselben Jahres wurde er bei der Verteidigung von Stralsund gegen die mit Napoleon verbündete Übermacht von 5000 Dänen und Holländern tödlich verwundet und starb kurz darauf. 543 Soldaten wurden gefangengenommen, seine elf Offiziere in Wesel erschossen. Vor Schills Tod schreibt Arnim an Brentano am 25. Mai 1809: Was mich aber erfreut daß alle Menschen versichert, sie
hätten so etwas gar nicht in ihm gesucht und kein Mensch hat es gewust und ist Brutus umgekommen als der letzte Römer, so wird er auch nicht schlechter sterben als letzter Preusse (FDH 5716). Plutarchs Römischen Heldenleben zufolge bezeichnete Brutus seinen Mitstreiter Gaius Cassius Longinus , der mit Junius Brutus gegen Augustus gekämpft hatte, als letzten Römer (vgl. Plutarch, S. 370). Daß Brutus bei Arnim als »letzter Römer« benannt wird, ist vor dem geschichtlichen Hintergrund zu sehen, daß sich Brutus für das Weiterbestehen der römischen Republik einsetzte, während Caesars Politik die Entmachtung des Senats und die Etablierung des Amtes »Diktator auf Lebenszeit« erwirken wollte. Da sich Brutus somit – für Arnim vergleichbar mit Schill – für die Belange des Volkes einsetzte, hat er für Arnim Vorbildcharakter. – Clemens Brentano berichtet in seinem Brief vom 5. April 1814, daß die österreichische Oberhofpolizeistelle bei der Zensur des Stückes die Ganze Scene
zwischen Dierecke und Peter wo von Brutus die Rede ausgestrichen habe (AZ 20, S. 490,15–491,16). 184,24 Ahndung] Vgl. zum Gebrauch des Nomens »Ahndung« bzw. des Verbs »ahnden« Erl. zu S. 29,17 zu Der Auerhahn. 184,27 Cäsar, der 〈...〉 nahm.] Gaius Julius Caesar übernahm 45 v. Chr. die Alleinherrschaft als Dictator perpetuus, bis er von republikanischen Verschwörern unter der Führung von Brutus ermordet wurde. Napoleon wurde im 19. Jh.
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
als »zweiter Cäsar« angesehen, vgl. z. B. Heinrich von Kleists Gedicht An Friedrich Wilhelm den dritten König in Preussen, gesungen zur Feier seiner Rückkehr nach Berlin (Kleist Werke 3, S. 437. Zum Vergleich Cäsar-Napoleon siehe Nipperdey 1998, S. 79). Es könnte sich hier also auch um eine kritische Anspielung auf Napoleon handeln. In der Ikonographie der Zeit wird Napoleon ebenfalls als Cäsar dargestellt. 184,31–185,3 Ich möcht 〈...〉 Werkes.] Die Passage erinnert an Arnims eigene Tatenlosigkeit während des Krieges, die er häufig vor sich selbst und seinen Freunden rechtfertigte, indem er sich als »Mann der Feder« stilisierte, vgl. ausführlich Erl. zu S. 323,8–14 zu Die Appelmänner. 185,4–5 du hast 〈...〉 gehn.] Vgl. Erl. zu S. 323,8–14 zu Die Appelmänner. 185,9–10 Horazius davon 〈...〉 hat.] Quintus Horatius Flaccus stellte sich während des Bürgerkrieges auf die Seite von Brutus und kämpfte als Militärtribun bei Philippi. Nach der verlorenen Schlacht floh er und stilisierte sich später in seinen Carmina als »rhipsaspis« (gr. »Schildwegwerfer«, vgl. Carmen 2, 7; ergänzend zu Rhipsaspie vgl. Gregor Maurach, Horaz. Werk und Leben. Heidelberg 2001, S. 196). Arnim studiert in seiner Schülerzeit durch seinen Lehrer Johann Heinrich Ludwig Meierotto die Oden des Horaz ausführlich, die auch Bestandteil seiner mündlichen Abiturprüfung waren (vgl. WAA 1, S. 325–332; 449f.).
185,22 Livius] Titus Livius, römischer Historiker aus Padua. Livius war im Gegensatz zu früheren Historikern nie politisch oder militärisch tätig. Spätestens 30 v. Chr. zog er nach Rom und verfaßte in völliger Abgeschiedenheit eine Geschichte Roms von den Anfängen bis zum Tod des Drusus 9 n. Chr. in 142 Büchern unter dem Titel Ab urbe condita libri. Beeinflußt von den Stoikern sah Livius in der Geschichte einen sinnvollen Plan. Historische Details haben daher bei Livius nicht Eigenwert, sondern Beweiskraft im Sinne dieser Teleologie. – Arnim beschäftigt sich in seiner Schülerzeit mit Livius (vgl. WAA 1, u. a. S. 96–99) und kommt in einer seiner auf Latein abgefaßten Arbeiten zu dem Schluß: Sallustius et Livius veri stili historici exempla sunt pulcherrima, et materia et ratione narrandi delectant (vgl. WAA 1, S. 311, Übersetzung S. 765: »Sallust und Livius sind die schönsten Bspe. des wahren historischen Stils, sie erfreuen sowohl durch ihren Stoff als auch durch die Art des Erzählens«). 185,24 Kriege Hannibals] Hannibal, karthagischer Feldherr. Arnim erwähnt Hannibals Kriegsstrategie in seiner Schülerarbeit mit dem Titel Allgemeine Weltgeschichte von L v Arnim (vgl. WAA 1, S. 18). 185,36 der alte Gott lebt noch.] Sprichwort, vgl. Wander 2, S. 6, Nr. 124.
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Erläuterungen
186,5–6 Christus ist 〈...〉 gestorben.] Vmtl. hieß die Stelle ursprünglich so, wie sie Iffland in seinem Brief an Arnim vom 7. März 1813 zitiert: Christus ist zu Leiden gebohren aber für alle gestorben (vgl. AZ 6, S. 481,20). Iffland bemerkt hierzu: Wenn dieß auch charakteristisch ist, wird der Cultus die Zitation nicht auf der Bühne paßiren laßen können (ebd., S. 481,21f.). 186,8 du Jan zuerst,] Die Chronik beschreibt genau die umgekehrte Reihenfolge: Mülder geht zuerst, gefolgt von seinem Bruder, zuletzt Jan (vgl. Q, S. 637,11–14). 186,9 Fischthor] Im 13. Jh. erbautes Tor an der Westseite der Stadt, das im 14./15. Jh. neu errichtet wurde (vgl. Roelen 1991, S. 112). 186,10 Klosterthor] Im 13. Jh. erbautes Tor an der Westseite der Stadt, das im 14./15. Jh. neu errichtet wurde (vgl. Roelen 1991, S. 112). Vom Klostertor führte eine Brücke über den Rhein (vgl. Abb. 5, S. 353). 186,10 Deichthor] In der spanischen Besatzungszeit erbautes Tor zur besseren Befestigung der Stadt in Richtung Westen (vgl. Volker Schmidtchen, Wesel – Fester Platz in sieben Jahrhunderten, in: Geschichte der Stadt Wesel, hg. v. Jutta Prieur. Bd. 2. Düsseldorf 1991, S. 203–229, hier S. 214). 187,5–8 Wär ich 〈...〉 wohl.] Aus Ifflands Brief an Arnim vom 7. März 1813 geht hervor, daß diese Passage von Arnim später modifiziert wurde. Iffland zitiert die Stelle und äußert Kritik: Wär ich der liebe Gott, ich hielt eine
große Rolle und führe so einmahl über Spanien hin, dann wäre das Ungeziefer totgeknackt. Freimüthig bekennt Iffland, daß diese Stelle 〈ihm〉 sinnlich wiedrig scheint (AZ 6, S. 481,25). 187,17 Ohn Gottes Wille 〈...〉 Haupte.] Arnim verwendet die (weder bei Röhrich noch bei Wander nachweisbare) Redewendung auch in einem Brief an Clemens Brentano vom 23. Oktober 1812 (GSA 03/1050). 187,24 grünen Keller] In Wesel nicht nachweisbares Gasthaus, der Name ist eine Erfindung Arnims. 188,4 patrulliren] Eigtl. patrouillieren, einen Wachrundgang machen. 188,22–23 die Leute 〈...〉 euch.] Vgl. Meister Schlackes Behauptung, Susanna würde mit Lozan leben (Handlung 1, Szene II, in der vorliegenden Ausgabe S. 182,35–36). 188,26–27 Fabers Tochter 〈...〉 finden.] Faber, lateinisch Handwerker. Es geht Arnim wohl um die Verallgemeinerung eines Phänomens, das auch in seiner Zeit nicht selten war, d. h. um die Verbindung zwischen einer Deutschen und einem französischen Soldaten. Eine solche Verbindung wird in Arnims Erzählung Seltsames Begegnen und Wiedersehen thematisiert, in der sich Julie und der französische Rittmeister verloben (vgl. Ludwig Achim von Arnim, Seltsames Begegnen und Wiedersehen, in: Die Sängerfahrt. Eine Neujahrsgabe
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
für Freunde der Dichtkunst und Mahlerey, gesammelt von Friedrich Förster. Berlin 1818, S. 71–106, hier S. 75). 189,28–30 du bist 〈...〉 wiedersehen,] Iffland rät Arnim in seinem Brief vom 7. März 1813, die Passage zu ändern. In der ersten Fassung hieß die Stelle, wie sie Iffland in seinem Brief zitiert: Du bist so weiß wie Linnen auf der
Bleiche an des Sommers Ende, wie seelig werde ich a u f d i r r u h e n (AZ 6, S. 481,27–28). Iffland kritisiert die Unsittlichkeit der Passage, woraufhin sie Arnim verändert und dies für den Druck der Schaubühne beibehält. Trotz allem bleibt die sexuelle Konnotation durch die spätere Replik Peters, in der er Susanna als Mirtenkrone bezeichnet und darauf hofft, im Grünen zu schlafen, weiterhin erhalten (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 189,33–36). 189,33–36 du bist 〈...〉 Grünen,] In seinem Brief an Arnim vom 7. März 1813 schreibt Iffland, daß er die Stelle arg mißverstehen würde, und zitiert die ihm vorliegende, ursprüngliche Fassung der Passage: du bist ein kostbar Hoch-
zeitsbett und wann ich mit dem Schlüssel öffne, dann haben wir nichts mehr zu sorgen, dann schlaf ich ruhig in den weißen Armen. Iffland bemerkt, daß dies zu einer Gattung Wiederwillen reitzen müßte (AZ 6, S. 481,33). Arnim modifizierte die Stelle leicht und behielt die Änderung auch für den Druck der Schaubühne bei. 189,34 Mirtenkrone] Die Myrte ist wegen ihres dichten Wuchses, in dem man sich verstecken kann, der Venus heilig, in kranz- oder strauszform bei
unsern dichtern als sinnbild der liebe und des brautstandes hingestellt (DWb 12, Sp. 1845). Am Ende des Stückes setzt Peter seiner Braut statt einer Myrtenkrone einen Lorbeerkranz als Zeichen des Sieges auf (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 201,19). 190,7 Ja winkt 〈...〉 Bäume,] Das Lied ist in Variationen in fünf Handschriften überliefert. In seiner frühesten Stufe steht das Lied in der Dramenskizze Der mytische Polterabend. Aufgeschrieben hat es Arnim im Sommer 1803 während seines Englandaufenthaltes (Englische Taschenbücher, Heft I, GSA 03/183, S. 9r, 1803/04), bearbeitet im Dramenfragment Friedrichs Jugend (Frühjahr 1804) sowie im Dramenentwurf Der Edelknabe und die Müllerin (FDH 18067, G 110, Bl 3r, Pergamentbd. I, Nr. 13, Herbst 1804). Eine weitere Variation des Liedes findet sich in der Vorstufe und der letzten Fassung des Liederspiels Markgraf Otto von Brandenburg. Unter dem Titel Einsamkeit wurde die Fassung von 1804 aus dem Pergamentbd. durch Johann Friedrich Reichardt vertont und in der von ihm herausgegebenen Liedersammlung Troubadour italien, franc¸ais et allemand erstmals gedruckt (Friedrich Reichardt, Le Troubadour italien, franc¸ais et allemand. Berlin 1805/06, S. 6–7; vgl. Mallon 1965, S. II, Nr. 26; Ricklefs 1980, Nr. 923; Werke 5, S. 149 sowie ebd.
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Erläuterungen
Kommentar, S. 1122; zur Entstehungsgeschichte des Liedes vgl. Renate Moering, Arnims künstlerische Zusammenarbeit mit Johann Friedrich Reichardt und Louise Reichardt. Mit unbekannten Vertonungen und Briefen, in: Neue Tendenzen der Arnimforschung: Edition, Biographie, Interpretation; mit unbekannten Dokumenten, hg. v. Roswitha Burwick, Bernd Fischer. Bern, Frankfurt/M., New York, Paris 1990, S. 198–288, hier S. 218; Renate Moering, »Ja winkt nur, ihr lauschenden Bäume...«, in: »Spielende Vertiefung ins Menschliche«. Festschrift für Ingrid Mittenzwei. Heidelberg 2002, S. 21–31). 191,10 Reben aufzubinden.] In der Umgebung von Wesel wurde kein Wein angebaut. Vmtl. verwechselt Arnim hier die Örtlichkeiten und spielt auf den Weinanbau in Oberwesel, bis zum 17. Jh. nur Wesel genannt und am Rhein gelegen, an. 191,18 reiche Beute 〈...〉 führen] Auch der Chroniktext berichtet von großen Schätzen, die an die Niederländer gingen (vgl. Q, S. 636,3; S. 638,32–38). In Christiaenzoons Chronik von 1630 findet sich ein genaues Verzeichnis der erbeuteten Gegenstände (vgl. Christiaenzoon 1630, S. 299–300). 191,24–26 Meister Schlacke 〈...〉 erstochen,] In der Q nicht belegt, wo alles nach Wunsch ablieff (Q, S. 637,18–19). 191,27 weile laut.] »Weile« im Sinne von »Zeit zubringen, sich aufhalten, verweilen«, allgemein in gehobener Rede verwendet. Das Adverb »laut« ist als Bestimmung der Art des Weilens ungewöhnlich und weder bei Adelung noch im DWb belegt (vgl. Adelung 4, S. 1455; DWb 28, Sp. 807–813, insbesondere Sp. 813). Arnim verwendet in einem Brief an Johann Nepomuk Ringseis vom 25. April 1817 das Adjektiv »weilelaut«, das sich jedoch auch nicht in den zeitgenössischen Wörterbüchern auffinden läßt. 191,28 Nun kann 〈...〉 Stadt.] Vgl. Erl. zu S. 180,25–26. 191,29 Memento mori.] Lateinisch für »Bedenke, daß du sterben mußt«. Vmtl. als Anspielung auf die Vanitas-Symbolik in der Barockzeit intendiert. 192,2 sie kannten 〈...〉 Sklaverei] Zwischen 1609 und 1621 beruhigte sich die Lage der Niederländer durch den spanisch-niederländischen Waffenstillstand. König Philipp III. von Spanien erkannte die Selbständigkeit der Niederlande an. Zu einer internationalen Anerkennung der Republik durch die Spanier und durch die am Dreißigjährigen Krieg beteiligten Mächte, darunter Kaiser und Reich, kam es jedoch erst 1648 im Westfälischen Frieden. 192,5 Sallustius] Gaius Sallustius Crispus, römischer Historiker (Werke: Bellum Catilinae, Bellum lugurthinum). Sallust folgte in seinen Werken der Tradition der politischen Historiographie. Dabei waren ihm historische Details weniger wichtig als »tiefere Wahrheiten«, Fakten spielten eine untergeordnete Rolle. Statt dessen arbeitete er mit Charakterisierungen und psychologischen
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
Deutungen. Sein Stil ist stark archaisierend. – Arnim erwähnt Sallust in seinen Schülerarbeiten, vgl. WAA 1, S. 307, 311 sowie Erl. zu S. 185,22. 192,10 Alles in der Stille.] Vorher ausgemachter Erkennungsspruch zwischen Peter und den Staatischen, in den Chroniktexten nicht belegt. Bei Arnim kehrt die Parole im folgenden wieder, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 194,30. Der Spruch erinnert an eine Passage im Lied des Verfolgten im Thurm, Wh III 38, V. 27–34: Der Gefangene. So sey es wie es will, / Und wenn es
sich schicket, / Nur alles in der Still; / Und was mich erquicket, / Mein Wunsch und Begehren / Niemand kanns mir wehren; / Es bleibet dabey, / Die Gedanken sind frey. 192,13 treuer Freund] In Arnims Q wird Jan nur als gute〈r〉 Bekandte〈r〉 bezeichnet (Q, S. 636,26), in anderen Chroniktexten als Schwager Mülders, vgl. Erl. zu S. 184,12. 192,15–16 Marketenderin heraus 〈...〉 müssen.] Durch diesen Bericht enthüllt sich die Identität der geheimnisvollen Unsichtbaren, von der Lozan in Handlung 1, Szene II sowie in 5, III berichtet (in der vorliegenden Ausgabe S. 175,1 und S. 196,8). – Marketender sind Wirte oder Lebensmittelverkäufer bei den Soldaten (vgl. DWb 12, Sp. 1638). 192,22 Kaufhaus] Das durch die Spanier erbeutete Geld war beim Weseler Kaufmann Bottermann hinterlegt worden (vgl. Kipp 1991, S. 216). 192,22–23 dem Bergschen Herzog 〈...〉 Spanier dient.] Graf Henrich van den Berg stand in spanischen Diensten und war Gouverneur von Geldern, einem Teil des Herzogtums Kleve-Jülich (vgl. Kipp 1991, S. 236). 192,26–27 Croaten. Die 〈...〉 tödten.] Die Kroaten waren wegen ihrer Grausamkeit berüchtigt. In Schillers Wallensteins Lager werden sie ebenfalls nicht wertgeschätzt, vgl.: Oder ich lasse mich eben schlachten / Wie der Kroat – und muß mich verachten (NA 8, S. 46, V. 915–916). 192,28 Thorschluß] Auf Befehl der spanischen Besatzung war seit 1616 eine Ausgangssperre ab 21 Uhr verhängt worden (vgl. Prieur 1991 I, S. 209). Laut der Q verläßt Mülder die Stadt bereits etwan drey Stundt vor Thorschliessen (Q, S. 637,12). Jan geht als letzter eben vor dem Thorschliessen gleichfals zu einer andern Porten hinauß (Q, S. 637,14–15). 193,1 zwei Stunden 〈...〉 Mitternacht.] In der Q beginnt der Anschlag erst nach Mitternacht (vgl. Q, S. 637,23). Um die Geschlossenheit der Handlung und der Zeit zu wahren, läßt Arnim weniger Zeit verstreichen. 193,3 Braunschen Thore] Vgl. die Bez. Braunische〈...〉 Port im Chroniktext (Q, S. 638,5), diphthongiert niederdeutsch aus ursprgl. »Brüner Tor«. Die Befestigung war wegen größerer Bauvorhaben der Spanier im August 1629 teilweise offen. Durch dieses Tor gelangten die niederländischen Reiter in die Stadt (vgl. Kipp 1991, S. 214).
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Erläuterungen
193,7 Es geht 〈...〉 weiter,] Vgl. die Darstellung der den Graben überquerenden Soldaten auf dem Kupferstich, der Arnim zu seinem Stück inspirierte. Das Wasser reicht den dargestellten Personen nur bis zum Knie (vgl. Abb. 4, S. 352). 193,7–8 ich hab’s 〈...〉 ausgefüllt.] Im Chroniktext nicht belegt. 193,9 Staket] Vgl. Erl. zu S. 181,30. 193,10 Kolbenstoß] Stoß mit dem Flintenkolben (vgl. DWb 11, Sp. 1610). 193,12–14 Ich wollte 〈...〉 zum Sturm.] Von Arnim hinzugefügt, in der Q folgen die Soldaten mit tapfferm Muth 〈...〉 / vnd mit grosser Couragy (Q, S. 637,32–33). Indem Arnim die historischen Begebenheiten für seine Belange verändert, werden Peter Mülders Handlungsdrang und Mut stärker exponiert, die Tat zur heroischen Einzeltat stilisiert (vgl. Ehrlich 1970, S. 146). 193,18–20 Vertraut dem Mann 〈...〉 gab.] Im Chroniktext nicht belegt. Eine ähnliche Abmachung findet im Stück Der Stralauer Fischzug statt, als Arm einen tückischen Anschlag gegen die eigenen Reihen anzettelt, den seine Frau, Brunhilde, beschreibt: die Waffen hat er sich hinausgeschickt durch sei-
nen Knaben, er wird des Kurfürsten Reisigen, die zu dem Kriege gegen Pommern in der Näh versammelt standen, eilig an die schwächsten Stellen unserer Stadtmauer führen, noch eh sich hier die Bürgerschaft bewaffnet und geübt kann haben, noch ehe sie an die Gefahr gewöhnt, der Kurfürst will mit wenig Blutvergießen hier zum Herrn sich machen (SW 9, S. 284–285). 193,21–22 Würfel, setzt 〈...〉 Mondenschein.] Das Losen um die Aufgabenverteilung übernimmt Arnim aus dem Chroniktext (vgl. Q, S. 637,24–25). Bei Arnim werden offenbar drei Würfel verwendet. Wer die höchste Zahl würfelt, hat verloren. Unstimmig ist die Augenzahl »Zwei«, die von Lauwyk geworfen wird. Beim Losen handelt es sich um einen militärischen Brauch, der z. B. auch in der Bibel beschrieben wird, vgl. u. a. Mk 15, 24 und Lk 23, 34. In Arnims Drama Markgraf Carl Philipp von Brandenburg wird das Würfelspiel als Glücksspiel thematisiert (vgl. SW 10, S. 30), im Stück Die Gleichen wird das Würfeln um die Magd Anneliese durch die Dunkelheit verhindert (vgl. Arnim 1819, S. 157). Vgl. auch das Würfelspiel zum Zeitvertreib in Der Auerhahn (in der vorliegenden Ausgabe S. 78,4–5) oder den Vorschlag in Das Frühlingsfest, um den Besitz des Landes zu würfeln (in der vorliegenden Ausgabe S. 134,14). 193,24–29 achtzehn. Hab 〈...〉 Zehne.] Arnim übernimmt die Reihenfolge, die in der Q angegeben ist: Auf Huygens folgen Beefort, Diest, Marquette und schließlich Lauwyck (vgl. Q, S. 637,25–28). 193,32 Blanken] Eigtl. Planken, dicke Bretter als Bauholz für Bretterzäune. 193,34 kleinen Markt,] Oberhalb des Großen Markts gelegen, in der Q ist lediglich von dem grossen Marckt (Q, S. 637,35) die Rede. Vgl. auch
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
den Kupferstich mit topographischen Einzelheiten, auf dem »Der Grosse Marck« markiert ist, Abb. 5, S. 353. 193,34–194,1 Mit euch, Herr Huygens 〈...〉 ein,] Im Chroniktext übernimmt Huygens diese Aufgabe allein (vgl. Q, S. 637,35–36). Mülder holt unterdessen Hilfe bei einem Schmied, um das Braunische Tor einzuschlagen und die Reiter einzulassen (vgl. ebd., S. 638,1–6). 193,35 Hauptwach] Hauptwache (Alte Wache) am Großen Markt (vgl. Kipp 1991, S. 214). 194,1 blaue Bohnen] Scherzhaft für Gewehrkugeln. 194,4 lange Gaß] Von Arnim hinzugefügt, für die historische Stadt Wesel nicht zu ermitteln. 194,5 Kreutzweg] Entweder als Bez. einer Stelle, wo zwei Wege sich kreuzen oder als Name eines Wallfahrtsweges (vgl. DWb 11, Sp. 2200). In Wesel gibt es die im MA. von Pilgern benutzte Kreuzstraße. Der Weg führte durch das Kreuztor zum Kalvarienberg (vgl. Paul Bernds, Wesel. Lebendige Stadtgeschichte. Bd. 2. Wesel 1993, S. 235).
194,6
Paradeplatz]
Der Paradeplatz der Spanier befand sich auf dem Markt-
platz der Stadt.
194,9 verbrannten Kloster.] Aus militärischen Gründen zerstörten die Bürger zwei Klöster in Wesels unmittelbarer Umgebung: 1587 wurde das Prämonstratenserinnenkloster verwüstet (vgl. Prieur 1991 II, S. 15), 1590 das Kartäuserkloster. Dadurch sollte verhindert werden, daß die wehrhaften Klostergebäude, die vor dem Stadtgraben lagen, den Feinden als Belagerungspunkte zufallen könnten. 194,12 hängt ihnen 〈...〉 Beine.] Redensart (vgl. Röhrich 1, S. 213). 194,21–29 Du gnädger Gott 〈...〉 treu! –] Auffallend an diesem Gebet ist die Berufung auf nationale Freiheit im Namen Gottes (vgl. Ehrlich 1970, S. 147; Krogoll 1979, S. 76). In der Q wird berichtet, daß Peter, Dirick und Jan gemeinsam beten, bevor sie auf die Niederländer treffen (vgl. Q, S. 637,19–21). 194,22 dein Wort 〈...〉 Welterlöser] Vgl. Joh 1, 14, gemeint ist Christus. 194,26–28 laß uns 〈...〉 höhne.] Vmtl. Anspielung auf Ferdinand von Schills Offiziere, die in Wesel, als Briganten verurteilt, erschossen wurden (vgl. Karl Emsbach, Politische Geschichte der Stadt Wesel 1666–1815, in: Geschichte der Stadt Wesel, hg. v. Jutta Prieur. Bd. 1. Düsseldorf 1991, S. 251–307, hier S. 296). Schill selbst erlag im Mai 1809 seinen Verwundungen und entging damit der öffentlichen schmachvollen Hinrichtung, die seinen Offizieren am 16. September 1809 beschieden war. Gerade diese öffentliche Hinrichtung trug jedoch in Preußen dazu bei, die Schillschen Offiziere zu Märtyrern zu verklären.
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Erläuterungen
Musketen] Soldatenflinte; die waffe war durch romanische krieger im heere Albas zunächst in den Niederlanden bekannt geworden, der name daher zufrühest hier (DWb 12, Sp. 2747; vgl. auch Adelung 3,
194,31
S. 326). 194,33 er ist 〈...〉 Jan.)] Vgl. die Darstellung des Kupferstiches, Abb. 4, S. 352. 195,2 Weiß nicht 〈...〉 fort.] Im Chroniktext nicht belegt. 196,10–11 so ruhte 〈...〉 Weib.] Vgl. wiederum das unsichtbare Mädchen in Arnims Roman Gräfin Dolores (vgl. Erl. zu S. 175,6–8), dessen schöne Stimme über seine Unscheinbarkeit und Kränklichkeit hinwegtäuscht (vgl. Arnim 1810 II, S. 72). 196,12 nach Feenart] Feen (von irisch-keltischer Herkunft, früh auch im Französischen belegt) besitzen als Halbgöttinnen übermenschliche Fähigkeiten. Angeregt durch Shakespeares Sommernachtstraum entwickelte sich in Deutschland erst im 18. Jh. eine Feenromantik (Wieland) (vgl. HdA 2, Sp. 1287–1288). 196,22 Amor will 〈...〉 Seligkeit.] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 109. Es liegen keine weiteren Fassungen des Liedes vor. 196,26–27 Und tauchet 〈...〉 Wein,] Vgl. die ähnliche Motivik im 2. Teil des Gedichts Die Kellerin: Tauchet die Händchen ein / Kostet verstohlen. (Werke 5, S. 317, Z. 77–78). Auch in diesem Gedicht geht es um Amor, der beim Keltern im Herbst hilft. 197,12 Wie ich 〈...〉 Trinken] Das Lied, eine Fassung in Langzeilen, geht auf ein Gedicht Arnims mit dem Titel Der Becher von Tule zurück, vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1729 sowie Werke 5 Kommentar S. 1134. 199,1–2 Gieb Lozans 〈...〉 geleert.] Umkehrung der Szene vom Anfang, vgl. Handlung 1, Szene II, in der vorliegenden Ausgabe S. 174,17–18. 199,2–3 Der alte 〈...〉 ruhen.] Vgl. Erl. zu S. 185,36; ursprünglich hatte Arnim hier folgende Replik gesetzt: Peter der alte Gott lebt noch! – Hast Du ein Bette uns bereitet, ich werde müde, möchte b e i d i r ruhen (vgl. AZ 6, S. 481,35–36). Iffland kritisiert die Stelle als zu sinnlich und empfiehlt, sie zu streichen (vgl. ebd., S. 482,37). Arnim hat Ifflands Kritik berücksichtigt und die Stelle entsprechend modifiziert. Ob er auch Kürzungen der gesamten Szene vorgenommen hat, die Iffland als zu lang empfand (vgl. ebd., S. 482,37–38), ist nicht bekannt. 199,12 Herr H a r t m a n n ] Im Chroniktext nicht belegt. Der Name »Hartmann« begegnet auch in dem Drama Die Gleichen (vgl. Arnim 1819, S. 32). 199,23 Judith Mülder 〈...〉 Männermantel] Cross-dressing ist ein von Arnim häufig verwendetes Motiv, vgl. z. B. die als Geistlicher verkleidete Jutta in Der Auerhahn. Zur Verwendung des Motivs in Arnims Erzählungen vgl. Wingertszahn 1990, S. 372–376; Henckmann 1994; Funk 1995.
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
199,25–26 du sollst 〈...〉 Beute haben.] In der Q nicht belegt. 199,29–30 sonst schlag 〈...〉 Kopf ein.] In der Q wird berichtet, daß Lozan von den Niederländern gefangengenommen, später wieder freigelassen und von seinen eigenen Leuten enthauptet wurde, vmb daß 〈er〉〉 die Statt ntt 〈sic〉 besser verwahret (Q, S. 639,30–31). 200,8–9 andrer Schmiedgesell, 〈...〉 aufsprengen,] Im Chroniktext wird ein Schmidts Knecht (ohne Namen) erwähnt, der am Aufsprengen des Tores beteiligt ist (vgl. Q, S. 638,4–5). Daß es sich dabei um eine Frau handelt, ist von Arnim hinzugefügt worden. Auch in den Kronenwächtern II (vgl. SW 16, u. a. S. 255) und in Die Capitulation von Oggersheim (vgl. SW 6, u. a. S. 283; 292; 311) sind (verkleidete und nicht verkleidete) Frauen bzw. als Frauen verkleidete Männer maßgeblich an der Befreiung einer Stadt von ihren Feinden beteiligt. 200,18–19 Du mußt 〈...〉 nicht.] Vgl. Brünhild im Nibelungenlied, die sich nur dem stärksten Mann, der sie besiegen kann, hingeben will. Iffland erinnert die Passage, wie er in seinem Brief an Arnim vom 7. März 1813schreibt,anein Flammändische〈s〉 Gemählde (AZ 6,S. 482,39–40). Vmtl. bezieht sich die Anspielung auf eine bildliche Darstellung zweier miteinander ringender Kämpfer, wie etwa in Rembrandts Gemälde Jakob ringt mit dem Engel. Iffland gibt ferner zu bedenken, daß die Szene so nahe dem Schlusse, und so dicht an der Erhebung, 〈...〉 der letzten Wirkung 〈schade〉 (ebd., S. 482,40–41). Arnim behält das Motiv trotzdem bei. Da der »Ringkampf« nur in zwei Repliken erwähnt wird, ist zu vermuten, daß Arnim die Stelle kürzte. 200,24–26 Susanna küß 〈...〉 werden.] Die Verknüpfung des Sieges über die Spanier mit der Aussicht auf die eheliche Verbindung mit der Geliebten begegnet auch im Stück Die Appelmänner (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 330,14–37). 201,1 Die stillen 〈...〉 tief.] Sprichwort (Wander 4, Sp. 1813, Nr. 314), das sich thematisch an die Eingangsparole »Alles in der Stille« anschließt. 201,2 Ihr werdet Burgemeister,] In der Q nicht belegt. »Burgemeister« als alte Form von Bürgermeister, von Arnim häufig verwendet (vgl. u. a. Die Appelmänner, Der Wintergarten, Die Kronenwächter II). Die freie Wahl zum Bürgermeister durch die Bürger stellt einen Anachronismus dar; denn erst die preußische Städteverordnung vom 19. November 1808 eröffnete eine bis dahin nicht vorhandene Möglichkeit der kommunalen Selbstbestimmung, die im 17. Jh. noch nicht denkbar war (vgl. Krogoll 1979, S. 73; Pross 2001, S. 219). Im frühen 17. Jh. erfolgte die Ernennung zum Bürgermeister in Wesel durch die Räte und ›Gemeinsfreunde‹ (vgl. Erl. zu S. 169,19). Peter Müller, sein
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Erläuterungen
Bruder Diedrich Müller, und Johann Rothleder ihr Schwager bekamen 〈...〉 jeder ein Geschenk von 1000 Gulden, die Gedächtnißmünze in Gold, und eine Pension auf Zeitlebens von 600 Gulden jährlich (Hüther 1786, S. 500), die sogar auch an die Nachkommen bis ins dritte Glied gezahlt wurde (vgl. Kipp 1990, S. 28–29). 201,2–3 General schenkt 〈...〉 Realen,] In der Q nicht belegt, denn dort 〈b〉lieben also die Statischen Meister in der Statt (Q, S. 638,23). Die erhoffte Besserung der Verhältnisse für die Weseler Bürger trat indes nicht ein: Wesel blieb knapp 43 Jahre unter niederländischer Besatzung, der Befehlsgewalt des jeweilig amtierenden niederländischen Gouverneurs unterstehend (vgl. Kipp 1991, S. 216–217). Das paronomastische Wortspiel ›General-Realen‹ ist ein typisches Verfahren Arnims, vgl. für weitere Bspe. Erl. zu S. 184,8–9. 202,5–8 das sey 〈...〉 stärkten.] In der Q nicht belegt. Zu Arnims Zeit übernahmen in Berlin patriotische Prediger wie der protestantische Theologe Gottfried August Ludwig Hanstein seelsorgerische Funktion und veröffentlichten ihre Predigten mit deutlichen Anspielungen auf die Zeitereignisse, die z. T. hohe Auflagen erzielten (vgl. Geiger 1895, S. 241–242). 202,14–15 Gott hat 〈...〉 legten,] Anspielung auf den zweiten Kupferstich, der den Bericht über die Befreiung der Stadt im ThE begleitet (vgl. Abb. 5, S. 353). Der Kupferstich (253 x 233 mm), der im ThE auf einem separaten Blatt (einseitig bedruckt) zwischen S. 94 und 95 eingeheftet ist, zeigt auf der linken oberen Seite eine allegorische Kartusche: Ein Spanier hält ein Wiesel, das Wappentier Wesels, an einer Kette, die im Augenblick der Darstellung von der Hand Gottes durchschnitten wird. Die Kartusche ist auf vier weiteren Kupferstichen aus der Zeit abgebildet, vgl. Volkmar Braun, Geschichtliches Wesel. Bd. 1. Stiche zu Ereignissen im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Köln, Bonn 1976, S. 67–73. Die Kupfertafel stammt nachweislich nicht von Merian, der Urheber ist nicht zu ermitteln (vgl. Wüthrich 1993, S. 160, Nr. 7). In den SW wurde diese Anspielung nicht verstanden und »Wiesel« zu »Wesel« verbessert. 202,15 doch ihr wart Gottes Hammer.] Das Eingreifen Gottes durch einzelne Menschen, »durch die der Weltgeist der Geschichte spricht«, gehört zu einem gängigen Topos der Romantiker. Dabei kämpft Gott auf preußischer Seite (vgl. Portmann-Tinguely 1989, S. 206). 202,15–16 Mensch hilf 〈...〉 Gott.] Sprichwort (vgl. Joachim Christian Blum, Deutsches Sprichwörterbuch. 2 Bände in 1 Band. Bd. 1. Mit einem Vorwort von Wolfgang Mieder. ND der Ausg. Leipzig 1780 und 1782. Hildesheim, Zürich, New York 1990, S. 39). 202,20 Des Volkes 〈...〉 Mund,] Die Überzeugung, daß sich in der Völkerstimme 〈...〉 Gottes Wille äußert, begegnet bei Arnim mehrfach, so z. B. in
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Zu: Die Vertreibung der Spanier
seinem Gedicht Der deutsche Völkerbund (Werke 5, S. 842, 33; 69) oder in seiner Rezension von Johann Wilhelm Ritters Fragmenten aus dem Nachlasse eines jungen Physikers (1810): 〈D〉ie Stimme des Volkes ist Gottes Stimme 〈...〉 (HJ 1810, S. 117). 202,24–25 Gebt Gott allein 〈...〉 Lehre.] In einem Briefentwurf (BJ-VS) an König Friedrich Wilhelm III. vom 28. Juli 1813 schlägt Arnim dem König die Errichtung eines Denkmals für den Berliner Landsturm vor, das aus aufgetürmten Waffen unter der Wölbung einer Krone bestehen sollte. Arnim gebraucht dabei ähnliches Vokabular wie in seinem Stück Die Vertreibung der Spanier aus Wesel: Eine Inschrift müste in aller Deutlichkeit und Kürze die
Tage dem Gedächtnisse bewahren, wo sich das französische Heer aus Furcht vor dem Landsturm zurückzog, dabey aber Gott allein die Ehre geben, denn bey unserer damaligen Ungeübtheit, bey dem Mangel an Waffen, unter der Führung alter hinfälliger Offiziere, die der ganzen Sache höchst abgeneigt waren, sahen wir einem, wie es uns schien, unvermeidlichen Untergange entgegen 〈...〉. 202,27 Eine feste 〈...〉 Gott,] Vgl. das im Wh erschienene Kriegslied des Glaubens (Wh I 112), eine Kontrafaktur zu Luthers Ein feste Burg ist unser Gott, das Arnim hier in gekürzter Form wiedergibt. »〈D〉ie Konfrontation des lutherischen Nationalbekenntnisses mit dem katholischen Glauben der Unterdrücker 〈verleiht〉 dem Religionsmotiv 〈...〉 eine 〈...〉 politische Komponente« (Krogoll 1979, S. 73–74). – Iffland gibt in seinem Brief an Arnim vom 7. März 1813 im Hinblick auf Zacharias Werners Stück Martin Luther, oder die Weihe der Kraft (gedr. 1807) zu bedenken, daß das in dieses Drama ebenfalls integrierte Lied Ein’ feste Burg ist unser Gott bei einer Aufführung 1810 auf Veranlassung des Clerus nur vom orchestre g e s p i e l t , aber 〈...〉 nicht g e s u n g e n werden durfte (AZ 6, S. 482,45–46). In Werners Stück steht das Lied an zentraler Stelle (Werner, Z. 1807, Akt III, Szene 3, S. 214–221): Als Luther zum Widerruf auf den Reichstag zu Worms geladen wird, zieht er mit Melanchthon und seinem Famulus Theobald auf den 〈o〉effentliche〈n〉 Platz vor dem Reichstagspallaste ein (ebd., S. 213). Während die geistlichen und weltlichen Würdenträger im Vorübergehen warnende, verächtliche oder freundschaftliche Kommentare an Luther richten, singt dieser mit seinen Freunden mit bei jedem Halbvers wachsender Begleitung des Volks (ebd., S. 214) alle vier Strophen des Liedes und ruft in Kombination mit dem häufig proklamierten Wahlspruch Kraft – Freiheit – Glauben – Gott (ebd., S. 379) explizit zum Widerstand gegen die Herrschenden auf. Das Lied, das Luther im Stück kurz vor seinem Auftritt in Worms dichtet (vgl. III, 2), erhält dadurch revolutionäres Potential. Arnim besuchte eine Aufführung des Stückes im Juni 1806 und berichtet
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Erläuterungen
darüber enttäuscht an Clemens Brentano (vgl. Brief nach Heidelberg, Berlin 14. Juni 1806, Heidelberg 2110,5, Briefnr. 62). Im Preußischen Correspondenten (21. Januar 1814, Die Weihe der Unkraft) bespricht er das Stück kritisch. – Das Glaubens- und Bekenntnislied Luthers hat in seiner ursprünglichen Fassung vier Strophen. Arnim läßt die letzte Strophe weg, in der die häufig politisch umgedeutete Phrase »Das Reich muß uns doch bleiben« vorkommt (vgl. zur Bedeutung des Liedes Rohmer 1991, S. 38–69). Heinrich Heine bezeichnet das Lied in seiner Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland noch 1833 als Schlachtlied und Marseiller Hymne der Reformazion, die bis auf unsere Tage seine begeisternde Kraft bewahrt hat (Heinrich Heine, Histor.-krit. Gesamtausgabe der Werke, hg. v. Manfred Windfuhr. Bd. 8/1: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Die romantische Schule, bearb. von Manfred Windfuhr. Hamburg 1979, S. 41).
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Zu: Das Loch. Ein Schattenspiel Quelle: 〈Manuskript aus dem Nachlaß von Johann Gerhard Christian Thomas〉, Bestand der UB Frankfurt/M. (Ms. FS. J. G. Ch. Thomas I. 3, Bl. 29r1–31r2)1 29r1
29v1
Es was ein Konig in dem Lande Zypern, als wir lesen in dem Buche der Könige. Derselbe Konig hat sin Frauen uber alle Maß gar lieb und von großer Lieb, so er zu ihr hätte, so furcht er ihr gar übel vor andren Mannen, und ließ ihr zu einigem2 ein schone Burg machen und einen schonen Thurn, wohl geziert nach allem Lust und Kurzwile, so man mocht erdenken und schloß die Fraue darin uf daß er ihr desto sicherer wäre und ihr nit durfte so sehre fürchten. Und hat der Konig die Schlüßel selber bey ihm Tag und Nacht, daß er Niemand an sinem Hof hätt, dem er die Schlüßel wollt getruen.3 Durch solch Inschließen nu was die Fraue allwegen trostlos und allein, daß sie nit viel Freude mocht gehaben, wann sie allzit allein mußt sin und ihr die groß Liebe, so der Konig zu ihr hätte lützel und wenig Freude mocht bringen. Und es geschah, daß in fremden fernen Landen was gar ein vornehmer Ritter und ein wohlgebohrner Mann, dem träumte einer Nacht; wie er eine Konigin sahe. Der ward er also hold, und ihn bedeuchte,4 sähe er des Morgens ein solche Fraue in der Gestalt und Forme, als ihm in der Nacht in sinem Traum erschienen und vorkommen was, er wollt sie wohl erkennen. Und deßelben gleichen was auch des Konigs Frauen geträumt, die der wohlgenannt Konig in dem wohlgezierten Thurn verschloßen hätte, wie sie also einen schonen Ritter hätt’ gesehen. Und solchs ge träumt dem Ritter so viel und mannich mahle, daß er vor 1
Die kurzen Erläuterungen, die Thomas am linken Rand des Manuskripts notierte und die
sich auf unverständliche Wörter beziehen oder einen Vergleich zwischen unterschiedlichen Textfassungen unternehmen, werden im folgenden in den Fußnoten wiedergegeben. 2
zur Einsamkeit? Einigkeit s. vita solitaria Kürzer. 1515. 1520. 1546. 4 semeliche. 1480. 3
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Quellentext
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sich nahm, er wollt fahren durch alle Lande, ob er der Konigin Glich5 mocht finden, so ihm in dem Schlaf vorkommen und erschienen was. Also fuhre er us und zog mannich Jahre durch die Lande, die er dann erfahren mocht und zuletzt da kam er in ein große Stadt in ein große Stadt in dem Lande zu Zypern. Do was der vorgenannt Konig ingeseßen, da blieb er etweviel Zit in und uf ein Zit von ungeschüht6 fügt es sich, daß er gieng vor der Burge hin, do sahe er uf und sach des Konigs Frauen, oben an einem Eisen Fenster, als ihr Gewohnheit was. Da erblickt sie der Ritter und sach sie gar ernstlich an und erkannt’ balde, daß es die was, die ihm so mannichmahle in dem Schlaf fürkommen was und fienge do an zu singen von der Liebe. Und die Konigin, do sie ihn hört also frohlich singen, sie nahm sin eben wahre und bekannt’ alsobald auch, daß es der Ritter was, von dem ihr auch getraumt hätt’. Der Ritter blieb da, in derselben Stadt und trieb ritterlich Sachen mit Stechen und Turnieren in Schimpf und mit Ernste, daß er dadurch fast werth und vornehm worden in der Stadt und auch an des Königs Hof. Und er gieng viel um den Thurn spazieren. Die Fraue gab ihm Auge7 und ihrs Herzens Heimlichkeit offnet sie ihm zu einer Zit gar behendlich mit einem Briefe, den sie ihm hinabe warfe. Darnach ward er gar freudenreich und sine guter Leumund8, kam vor den Konig und der Konig besandt ihn und sprach zu ihm: viel Guts sagt man mir von Dir, willt Du mein Diener werden? Do sprach der Ritter: Ja gnädiger Herr gern und ich han sonderlich Bitt zu Euren Gnaden, daß Ihr mich laßet ein Wohnunge bauen und machen ußen an eurem Pallast. Ich bin ein fremder Mann und mags auch wohl geschehen, daß Ihr mein des Nachts würdet bedorfen, so wäre ich Eurer Gnade desto trostlicher. Der Konig nahm das vor ein große Treue uf und gefiel ihm gar wohl von dem Ritter und vergunnt ihm also zu bauen ussen an sin Pallast, wo ihm solches allerfüglichst was. Es geschah! Der Ritter baute bald gar ein hurdlichs9 Haus ussen an den Thurn, darin die Konigin ihr Wesen hätt, und do das us gebauen was, do nahm er heimlich ein Maurer und macht ein Loch durch die Mauern des Thurns gar verborgenlich und do es also heimlich vollbracht ward, do 5
Ebenbild. ungeschätzt, ungefähr 7 bemerkte ihn 8 Ruf 9 schön 6
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ertodet er den Maurern uf daß er ihn nit vermelde. Und durch das Loch kam er heimlich us und ein, wann er wollt’ zu der Konigin.10 Der Ritter gefiel dem Konig, auch Rich und Armen also wohl mit siner Mannheit und mit sinem Wesen, daß es über alle Maas was, doch unkundlich was dem Konig und auch aller männiglich des Ritters Heimlichkeit mit der Konigin. Und einsmahls da gab die Konigin dem Ritter ein kostlich Fingerlin, das hat ihr der Konig geben und darnach über unlang ward der Konig us riten uf das Gejägs und entbot dem Ritter, daß er bereit wäre mit ihm zu riten.11 Daß was der Ritter frohe und reit mit dem Konig Jagen in den Wald und do sie nu ein Wile hätten gejagt, da begunnten sie ruhen und essen und trinken. Der Ritter was von dem Jagen müde worden und hätt’ sich geleint an einen Rain und was entschlafen und hätt’ des Fingerlins, so ihm die Konigin geben hätt’ an seiner Hand vergeßen. Und der Konig ersach das Fingerlin und beschaut es recht eben und gedacht in ihm selbs, wie ist es meinem Fingerlin so glich, das ich meiner Frauen geben han? Und ließ do ein großen Sufzen. Indem erwacht der Ritter und merkt bey dem Sufzen des Konigs, daß er ihm das Fingerlin an der Hand hatt’ gesehen, und er erschrak gar übel und nahm sich einer Krankheit an, er wäre schwach worden und reit heim vor dem Konig und gab der Konigin das Fingerlin wieder und seit ihr, wie es ergangen was. Der Konig eilt auch balde heim zu der Konigin und fragt sie um das Fingerlin, das er ihr geben hätt’, wie es damit ein Gestalt hätte. Do zeigte sie ihm das an ihrer Hand. Do sprach der Konig: unser Ritter hat glich eins, als das. Ich gesah ein keins dem andern glich sin.12 Do sprach die Konigin gar tugendlich und us sänftiglicher Stimm zu dem Konig: Mein lieber Herre, es ist mannich Fingerlin dem andern glich, wann ein Mahler kann wohl zwey Bilde machen einander glich, also kann auch ein Goldschmitdt zwey Fingerlin einander glich machen. Damit ließ es der Konig gut sin und sprach die Konigin: Mich wundert sehre von Euch, ob Ihr mich utz13 Args bedenken, so Ihr mich so wohl verschloßen hand. Darauf zu kurzer Zit macht der Ritter ein Gesell10
Weitläufiger 1515. 1520. 1546. Er erklärt der Königin seine Liebe u. zwingt sie mit dem Schwert, ihm zu Willen zu seyn. 11 Der Ritter wird Marschalk bey dem Könige. Die Bekanntschaft mit der Königin wird auf eine weitläufigere Art gemacht. (I.) 16. Ebenso 1515. 1520. 1546. 12 Etwas weitläufiger. 1515. 1520. 1546. 13 etwas 690
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schaft und gieng vor den Konig und sprach: sin Gemahel wäre von fremden Landen kommen, und bat den Konig, daß er ihm zu Ehren wollt bey ihm eßen. Das verhieß ihm der Konig und seit ihm zu, solches zu thun. Do leit der Ritter mit der Konigin an, daß sie sich bekleide und zierte und durch das Loch hinein schlüpfte und gegen dem Konig zu Tische säße. Das geschah! Die Konigin ward dem Ritter zu willen nach siner Begierde und so sie der Konig ansach, do gedacht er: wie ist die Fraue der meinen so rechte glich und wunderte ihn sehre in seinem Sinn, ob dem Tische, wie den Sachen wäre. Do sprach die Konigin: allergnädigster Herre, seid fröhlich und fahret Muth! Wie sehret Ihr so gar unmüthiglich und ich so gern Freude mit Euch hätte und ich danken Euch flißlich aller Tugend und alles Guten, so Ihr uns thuend und daß Euer Gnade und Würdigkeit so demothig ist, daß Ihr zu uns kommen sied und uns nit hand verschmahet. Und do sie der Kunig horte reden, do ward ihm noch übeler zu Muthe und gedacht in ihm selber, wie sie seiner Frauen so recht glich red’te.14 Und do der Tisch uf gehebt ward, und der Imbs was vergangen, do sprach der Ritter zu der Konigin: Fraue ich begehre an Euch, daß Ihr meinem Herrn, dem Konig und uns allen zu Gehore eins wollent singen um Kurzwil willen. Die Konigin sprach, sie wollt es gern thun, dem Konig zu Ehre und hub an zu singen. Do sie aber der Kunig erhorte so süßlicher Singen, do wollt er von Wunder verdorben sien und begehrt do Urlaub von dem Ritter und heim zu gahn zu siner Frauen, und was ihm zu mahl Noth heim in die Burg. Und do er Urlaub genam von der Konigin siner Frauen und auch von dem Ritter und von dannen geschiede, do macht sich die Fraue wieder durch das Loch und was ehe an ihrem Gemach dann der Konig und hätt’ sich bald anders gekleid’t und thät glich als ob sie um kein Ding nit wußte. Und do der Konig die Konigin fande, er seit ihr alle Geschicht, wie der Ritter ein Frauen hätte, die wäre ihr als recht glich an Gestalte, an Worten und Stimmen, daß ihn über alle Dinge verwundert, und wie er nie kein Fraue der andern also glich hätt’ gesehen. Do sprach die Konigin: ich weiß wohl, daß ihr Euch an mir großlich versündet, wann ich merke wohl, daß ihr mich in Argem verdenkent, wie wohl ich verschloßen bin und Ihr doch die Schlüßel Niemand getrauen, als ich gedenk dann Euch 14
und herauf. Frau Sancta Maria das Weib ist so gar gleich meinem Weib an Stymmen, an gewand an geberden an Reden und an allen Dingen 1515. 1520. 1546. 691
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selbs, darum Ihr auch billig zu keinem Argen sollten verdenken. Man finds mannich Fraue der andren glich.15 Der Konig sprach: Du sagst wahre, man find’t mannich Fraue der andern glich, darum ich als Du meinst Dich darum nicht verdenk oder von dir gered’t habe, daß du mich mit Worten so balde sahest. Darnach balde do kam aber der Ritter vor den Konig und sprach: Gnädiger Herre! ich hab Euch lang Zit gedient und begehre ein Urlaub zu dieser Zit von Eurem koniglichen Gnaden, daß Ihr mir meinen Gemahel, die Ihr nu gesehen hand mit Eure koniglichen Person selber zu der Ehe wollent geben in der Kirche offentlichen vor dem Volke, wann in meinem Land ward sie nur auf ein gemähelt und begehre auch fürbaß keinen Sold von Euren Gnaden zu fordern. Der Konig antwurtet dem Ritter: er wollt es gern thun, wie wohl er ihn doch lieber bey ihm hätte behalten. Aber der Ritter gieng zu der Frauen, der Konigin und seit ihr diese Geschicht16 und hieß sie, sich bereiten uf den Tag des Kirchgangs. Do nu die Zit und der gesetzt Tag kam, von dem Ritter mit der Frauen angeleit, do ließ er es den Konig wißen. Der Konig kam zu siner Frauen, der Konigin und seit ihr, wie der Ritter Urlaub hätt’ genommen und von dannen wollt scheiden und wie er dem Ritter durch Bitt willen mußte zu Willen werden und den Kirchgang mit ihm thun und mit siner Frauen. Das wüßt die Fraue alles nur wohl und baß, dann ihrs der Konig konnte gesagen, und was dem Konig nicht wißen, um ihr Heimlichkeit und um ihr Falschheit. Und balde do der Konig von ihr kam, do nahm sie zu ihr, was sie gern hätte, das zu ihrem Leibe gehört und zierte sich kostlich und kam durch das Loch in des Ritters Hus. Dar kam auch der Konig mit großem Schall und wohnte, sin Fraue da heimen beschloßen haben. Do gieng sie mit dem Ritter ihre Kirchgang und fürhtent sie zween Ritter und gab sie der Konig dem Ritter zu einem Eheweibe war männiglichen und bat sie, daß sie dem Ritter getreulichen thäte, und nahm sie darauf und führt17 sie selber an das 15
Kürzer 1480. Sonst die mainlichen Werke. Der Ritter leit es mit der Konigin an. 1480. 17 Gnädiger Herr, das Schiff ist bereitet, darin ich heimfahren soll. Ich bitte Eure Gnade, daß ihr mich begnadigt bey dem Schiffe, u. davor mein Weib unterweiset, daß sie mich lieb u. sonst Niemand. Der König sagte, ich will es gerne thun u. 31r1 gieng mit ihm zu Schiff als sie zu dem dem Schiff kamen, sprach der König zu der Königin: liebe Frau, höret meinen Rath, das ist Euer Ehemann, den sollt Ihr für alle Welt lieb haben, als Ihr gegen Gott schuldig seyed u. auf daß ihr ihm treu u. gehorsam seid in allen Dingen.16 1515.1520.1546. In 1480. ist neben dem 16
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Meere. Do hätt’ der Ritter ein kostlich Schiff wohl bereit, darinn führt sie der König aller Ehren und alles Guten. Der Ritter nahm auf des Konigs Seegen und gieng in das Schiff mit der Frauen. Also gab der Konig ihn’n beyden seinen Seegen. Der Ritter mit der Frauen, der Konigin fuhre dahin auf dem Meere. Der Konig sahe ihn’n nach als lange, bis er sie nit meh sehen mocht. Und darnach kam der Konig wieder in die Festen und wollt zu siner Frauen und Kurzweile bey ihr haben, do war sie hinweg. Das mogt der Konig verdorben sin vor Leide und vor Jammer18 und schrey’ mit luter Stimm: Aweh ich armer thorichter Mann, wie bin ich so eins thorrichten Sinns, daß ich dem Ritter seine falschen Wort gelaubt 〈sic〉 han, baß dann meinen Augen. Wie hat mich der Ritter so fälschlich betrogen. Do sprach die Kaiserin zu dem Kaiser: also wollent Euch Eure Sieben Meister auch betrügen mit falschen Worten, daß ihr ihn ihrer falschen glatten Worten meh glaubent, dann daß Ihr mit Euren Augen gesehen hand, wie er mich so jämmerlich und schändlich zerzerrt und Euch und mir unsere Ehe unterstanden hat zu schwächen und zu krauben. Ueberdieß alles so glaubent Ihr Eure Meistern und lasent ihn leben. Der Keiser sprach: Gehab dich wohl, More so muß er sterben! Zu Arnims Quelle Arnim führt als Quelle für das Schattenspiel Das Loch das herrliche alte Buch von den sieben weisen Meistern an (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,16–17). Die Vorlage, ein Erzählzyklus mit Rahmenhandlung, ist orientalischen Ursprungs und wurde in mehreren Varianten überliefert. Die Rahmenhandlung ist stets beibehalten worden, auch wenn sich Namen und Schauplatz ändern: Ein Kaiser- oder Königssohn wird von seiner Stiefmutter, deren Zärtlichkeiten er ausgewichen ist, beim Vater verleumdet. Sie zerreißt ihre Kleider und täuscht eine Vergewaltigung durch den Sohn vor. Der Vater verurteilt ihn daraufhin zum Tode. Aufgrund einer besonderen Sternenkonstellation und deren Auslegung durch die sieben weisen Meister, die Erzieher des Sohnes, ist dem Prinzen sieben Tage Schweigen auferlegt worden, so daß er sich nicht selbst vor seinem Vater verteidigen kann. Die sieben Weisen übernehmen im folgenden die
Holzschnitt vom Entschlafen des Ritters im Wald auch einer wo der Ritter am Tisch entschläft, mit der Ueberschrift: Wie der Ritter entschläft ob dem Tisch und ein Fingerlin an d’hand hett. 18 Do wurden alle sine glieder bewegt. 1515. 1520. 1546. 693
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Zu: Das Loch
Funktion, dem Vater die Unschuld des Sohnes durch Beispielerzählungen darzulegen. Dadurch wird dessen Hinrichtung immer wieder aufgeschoben. In der abendländischen Tradition des Stoffes erzählt die Stiefmutter ebenfalls Geschichten, die den Sohn bzw. seine Erzieher belasten sollen. Auch diese finden beim Vater Gehör, so daß er sich erneut für die Hinrichtung des Sohnes entscheidet. Als der Prinz nach sieben Tagen wieder reden darf und sich selbst rechtfertigen kann, wird seine Schuldlosigkeit aufgedeckt und die Stiefmutter bestraft. Am sechsten Tag erzählt die Stiefmutter die Historie, wie nemlich ein Ritter einem König seine Gemahlin aus einem Thurn listig entführet. Diese Geschichte ist Grundlage für den ersten Aufzug des Arnimschen Schattenspiels (vgl. Q, S. 688–693). Die in den Erzählungen Die sieben weisen Meister stets wiederkehrenden Themen sind die Untreue der Frauen (Stiefmutter), das gerechte oder ungerechte Urteil eines Herrschenden (Vater) sowie die zentrale Bedeutung von Weisheit und Erziehung (Sohn, die sieben Weisen), die von verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden (vgl. Gerdes 1992, Sp. 1175). Die Beispielerzählungen wollen vor zu großer Gutgläubigkeit und vor der Falschheit der Frauen warnen. Im 16. Jh. avancieren Die sieben weisen Meister zum beliebtesten deutschen Volksbuch (vgl. ebd., Sp. 1184). Kein anderer weltlicher Erzähltext in deutscher Sprache wird häufiger gedruckt: Ca. 60 Auflagen erscheinen zwischen 1473 und 1620 (vgl. Steinmetz 2000, S. 4). Die Vulgatfassung geht, wie fast alle der insgesamt 14 Fassungen des Erzählzyklus, auf die vor 1372 entstandene Historia septem sapientum zurück. Auf dieser beruhen auch die zahlreichen Bearbeitungen in fast allen anderen europäischen Volkssprachen.1 Die von Arnim verwendete Quelle läßt sich nicht eindeutig identifizieren. Im Realbestand von Arnims Bibliothek ist keine Ausgabe des Volksbuches nachzuweisen. Doch läßt sich anhand des Bibliothekskatalogs (1929) feststellen, daß Arnim im Besitz eines Exemplars mit dem Titel Von den Sieben Weisen und der Weiber Untreu war, das jedoch nach 1813 veröffentlicht wurde.2 Daher 1
Vgl. ausführlich zur Druck- und Rezeptionsgeschichte der
Sieben weisen Meister Stein-
metz 2000, S. 1–6. Vgl. ebd., S. 177–180 die Auflistung der überlieferten europäischen Fassungen und Versionen, die sich auch z. T. bei von Görres in dessen Schrift Die deutschen Volksbücher finden (vgl. Görres 1807, S. 162–166). Görres bezeichnet die Erzählung von der Königinn im Thurme in seiner Abhandlung als gediegen komisch und vollendet (ebd., S. 157). 2 Im Bibliothekskatalog ist der Titel Von den Sieben Weisen und der Weiber Untreu (o.J., Frankfurt/Oder, 136 S. mit Miniaturen) nachweisbar. Aufgrund der Angabe der Sei-
Nützliche Unterweisung / Der Sieben / Weisen Meister, / wie / Pontianus der Kaiser zu Rom, /
tenzahlen im Katalog konnte folgende Ausgabe ermittelt werden:
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Zu Arnims Quelle
kann es sich nicht um die gesuchte Quelle handeln. In seinen schriftlichen Zeugnissen gibt Arnim keinen eindeutigen Hinweis, welches Exemplar er als Vorlage für sein Stück benutzte. Arnim hält sich zur Zeit der Entstehung des Schattenspiels im November 1811 in Frankfurt/M. auf. Dort lernt er den Bibliothekar und Archivar Johann Gerhard Christian Thomas kennen, der seit der preußischen Vermögenssäkularisation auch die wertvollen Bücher aus der Bibliothek des aufgehobenen Dominikanerklosters in der Reichsstadt verwaltet. Am 19. November 1811 berichtet Arnim Wilhelm Grimm von seiner Bekanntschaft mit Thomas und läßt ihm dessen Adresse zukommen. Daraus entwickelt sich in den folgenden Jahren aufgrund der gleichen Interessengebiete eine enge Freundschaft zwischen den Grimms und Thomas. Weiter schreibt Arnim, der Archivar habe ein Manuskript des Renner,3 der sieben weisen Meister gefunden (EZ 18, S. 423,6f.), das er in einer eigenen Art abgeschrieben (ebd., S. 423,7) habe. Die Besonderheit von Thomas’ Abschrift liegt vor allem darin begründet, daß er am linken Rand des Manuskripts Vergleiche mit anderen Versionen des Volksbuches anführt und Erläuterungen zu unklaren Textpassagen liefert. Es läßt sich nicht feststellen, ob Arnim bereits vorher das Volksbuch Die sieben weisen Meister
seinem Sohn Diocletianum, den sieben / weisen Meistern befiehlet, die sieben freien / Künste zu lernen, und wie derselbe hernach durch Untreu sei-/ ner Stiefmutter, siebenmal zum Galgen geführet, aber alle-/ weg durch schöne Gleichnisse derer Meister vom Tod er-/ rettet, und ein gewaltiger Kaiser zu Rom ward. Sehr lustig und nützlich wider der falschen Weiber Untreu zu lesen. Frankfurt/Oder und Berlin: Trowitzsch & Sohn. Der Verlag Trowitzsch zog erst 1815 nach Frankfurt/Oder, so daß die Ausgabe nicht die Vorlage für Das Loch gewesen sein kann (vgl. zur Verlagsgeschichte Reinhard Würffel, Lexikon deutscher Verlage von A-Z. 1071 Verlage und 2800 Verlagssignete vom Anfang der Buchdruckerkunst bis 1945. Adressen – Daten – Fakten – Namen. Berlin 2000, S. 887). In Arnims Bibliothek findet sich ein Buch
Der alten Weisenn exempelsprüch / mit vil schönen Beyspilen vnd Figuren erleüchtet. Darinnen fast aller menschen wesen / Händel / Vntrew / List / Geschwindigkeyt / Neyd vnd Hassz / figuriert vnd angezeygt werden 〈...〉 Straßburg 1539 (Arnim-Bibl. B 903). Aufgrund des Titels ließe sich eine Nähe zum Volksbuch Die sieben weisen Meister vermuten. Das Buch enthält jedoch allgemeinere Sentenzen, die v. a. durch Fabeln verdeutlicht werden. 3
Gemeint ist hier das mittelhochdeutsche Lehrgedicht
Der Renner von Hugo von Trim-
berg, das zwischen 1290 und 1300 entstand. Das über 24 000 Verse lange Gedicht richtet sich gegen die sieben Todsünden und erfuhr zahlreiche Auflagen. Gottsched, Gellert und
Renner zugleich mit den Sieben weisen Meistern nennt, mag es sich bei Thomas’ Entdeckung um einen Sam-
Lessing würdigten es als enzyklopädisches Werk. Da Arnim den
melband gehandelt haben, in dem beide Werke enthalten waren.
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Zu: Das Loch
gekannt hat. Vmtl. macht ihn erst Thomas auf den Erzählzyklus aufmerksam. Eine andere Möglichkeit ergibt sich durch Joseph von Görres’ Abhandlung Die teutschen Volksbücher (1807), in der Görres den Inhalt der Sieben weisen Meister beschreibt und auf die Bedeutsamkeit des Volksbuches hinweist (vgl. Görres 1807, S. 154–173). Schließlich gibt es eine dritte Möglichkeit. Jacob Grimm schreibt in einem Brief vom 6. Mai 1812, daß er Arnims altes Buch (7 weise Meister, Peter von Staufenberg pp) an Thomas nach Frankfurt geschickt habe (EZ 24, S. 424,2–4). Bei dem erwähnten Buch handelt es sich vmtl. um einen Sammelband, den u. a. Friedrich von der Hagen und Johann Gustav Gottlob Büsching in ihrem Literarischen Grundriß zur Geschichte
der Deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis ins 16. Jahrhundert erwähnen (Arnim-Bibl. B 856; vgl. Hagen/Büsching 1812, S. 311–312 sowie Kluge Kommentar 1968, S. 74). Hagen/Büsching zufolge gehört der Band zum Bestand der Universitätsbibliothek Frankfurt/M., ist aber im jetzigen Bestand nicht mehr nachweisbar. Das Exemplar enthält mehrere Drucke aus dem späten 15. Jh., darunter Peter von Staufenberg, Sigismunda und Guiskardo sowie Griselda (vgl. Hagen/Büsching 1812, S. 191–192). Vmtl. irrt sich Jacob Grimm bei der Besitzerangabe (dein altes Buch). Ob Arnim dieses Buch später verkauft hat oder ob Thomas der Bitte der Grimms, es an Arnim zurückzuschicken, nicht nachkam (vgl. EZ 24, S. 424), konnte nicht ermittelt werden. Es ist also möglich, daß Arnim entweder die heute noch in der Frankfurter Universitätsbibliothek vorhandene Handschrift des Volksbuches aus den Jahren 1477–1498 im Original oder in der Abschrift von Thomas verwendete4 oder den von Jacob Grimm erwähnten Sammelband als Vorlage heranzog. Eine weitere Möglichkeit, sich das Buch von den Grimms oder von Clemens Brentano zu leihen, bestand zwar,5 aber es gibt dafür keine brieflichen Belege. 4
In der Frankfurter Bibliothek befindet sich seit 1781 ein weiteres Exemplar des Volks-
buches (Augsburg 1494), das jedoch als Vorlage nicht in Frage kommt, da »ausgerechnet in der Geschichte der Königin im Turm eine Seite unbedruckt geblieben« ist, Sign.: Inc. fol.g. 133 (Kluge Kommentar 1968, S. 74). Die Geschichte bricht in dem Augenblick ab, als der Ritter den Kaiser zu Gast zu sich bittet, um mit seinem liebste〈n〉 buol den 〈er〉 ye gewan zu essen (Sieben weisen Meister 1494, o. S., Bogen ej). Die Geschichte wird auf der nächsten Seite fortgesetzt, als der Kaiser bereits zu seiner Frau in den Turm zurückgekehrt ist und ihr von der Ähnlichkeit zwischen der Braut des Ritters und ihr berichtet. Da bei Arnim die Szene, in der der Kaiser beim Ritter zum Essen eingeladen ist, detailliert ausgespielt wird, ist zu vermuten, daß er dieses Exemplar aus der Frankfurter Bibliothek nicht als Quelle verwendete. 5
Auch Clemens Brentano und die Grimms besaßen Exemplare des Volksbuches, vgl. Bren-
tano Bibl. I, Nr. 109, S. 18 (im gleichen Band mit
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Lesenswürdige Geschichte v. Herzog
Der erste Aufzug
Da also nicht mit vollständiger Gewißheit eine dieser schwer zugänglichen Fassungen als Quelle ermittelt werden kann, wird in der vorliegenden Ausgabe die Abschrift aus Thomas’ Hand dargeboten, auch wenn sich Belege finden lassen, daß Arnim eine ausführlichere Version des Volksbuchs verwendete.
Die Inclusa-Erzählung und deren Dramatisierung im ersten Aufzug Die von Arnim für das Stück verwendete Geschichte gehört zu dem geläufigen Erzähltyp der Ehebruchschwänke: Einer eingesperrten Frau, der Inclusa, gelingt es mit Hilfe ihres Geliebten, ihren Ehemann zu hintergehen und ihm zu entfliehen (vgl. Kühne 1993, Sp. 109). Während in den Sieben weisen Meistern durch die gehäufte Darstellung von Frauenlist und »falsitas mulierum« eine misogyne Tendenz zutage tritt (die u. a. ein Grund für die Beliebtheit des Volksbuches darstellte, vgl. Gerdes 1992, Sp. 1176), sind Inclusa-Erzählungen nicht allgemein als Exemplifizierung weiblicher Verderbtheit aufzufassen. In der Q wird die Frau zunächst zum Beischlaf gezwungen (vgl. Q, S. 690, Fußnote 10). Ihre Liebe zum Ritter ist zu Beginn von moralischem Schuldbewußtsein geprägt, auch wenn sie im Traum bereits zu ihm in Liebe entbrannt ist (vgl. ebd., S. 688,18–20) und ihm ihre Gegenliebe brieflich versichert (vgl. ebd., S. 689,19). Bei Arnim tritt die Kaiserin als eigentliche Akteurin auf. Sie unterbricht den in Knittelversen sprechenden Ritter und unterbreitet ihm, unvermittelt in Prosa überwechselnd, den Plan, wie sie gemeinsam aus dem Rhabarberland fliehen können (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 212,8). Als Versbearbeitung erscheint die Geschichte der im Turm eingesperrten Frau erstmalig im 13. Jh. in den Sieben weisen Meistern. Das Motiv der Täuschung durch einen Geheimgang mit anschließender Flucht zu Schiff findet sich bereits in Plautus’ Miles gloriosus (206 v. Chr.), das Motiv der eingesperrten Frau in der Erzählung Turris/Puteus im von Johannes de Alta Silva auf Lateinisch verfaßten Dolopathos (kurz vor 1200; vgl. Heinrich Adelbert Keller (Hg.), Li Romans des sept sages. Nach der Pariser Handschrift. Tübingen 1836, S. 227). Die Verknüpfung der beiden Texte erscheint erstmals in der französischen Fassung der Sieben weisen Meister. Die Geschichte wird von der Stiefmutter der Rahmenerzählung erzählt und fungiert im Rahmen des Erzählzyklus als Exemplum, um den König/Kaiser von der angeblichen Schuld des Sohnes zu überzeugen.6 Gleichzeitig kann die Ge-
Ernst in Bayern u. Österreich); Grimm-Bibl. Nr. 2187, S. 201 (Nürnberg, um 1800). Ein weiteres Exemplar von 1842 ist ebenso vorhanden (vgl. ebd., Nr. 2188). 6
In anderen Überlieferungen der
Sieben weisen Meister wird die Inclusa-Geschichte 697
Zu: Das Loch
schichte als indirekte Drohung der Stiefmutter der Rahmenerzählung ihrem Ehemann gegenüber gelesen werden: Immerhin verläßt in der Erzählung die Frauenfigur, mit der die Stiefmutter identifiziert werden kann, ihren Mann. Dessen zu große Gutgläubigkeit und das Verkennen der eigenen Frau machen die Vergewaltigung und Entführung der Frau überhaupt erst möglich (vgl. Bea Lundt, Weiser und Weib. Weisheit und Geschlecht am Beispiel der Erzähltradition von den »Sieben Weisen Meistern« (12.–15. Jahrhundert). München 2002, S. 413). Eigentlicher Garant für die Beziehung zwischen Ritter und Königin ist in der Q der Traum, in dem sich beide ineinander verlieben. Der Ritter bricht aus diesem Grund auf, um die Königin zu suchen (vgl. Q, S. 688,20f.). Der Normverstoß ist also nicht in der Handlung des Ritters, sondern in der Eifersucht des Königs zu sehen, der seine Frau einsperrt, um sie vor der Öffentlichkeit fernzuhalten. Bei Arnim kennen sich Kaiserin und Ritter bereits aus ihrer Jugendzeit, so daß die Traumvision aus der Vorlage einen anderen Stellenwert erhält (vgl. Erl. zu S. 210,26–27). Arnim gestaltet die Figuren als Typen, von denen es im Prolog des Schattendichters heißt, daß sie ihrem Wesen nach einseitig angelegt seien (in der vorliegenden Ausgabe S. 206,21). Eine psychologisierende Deutung der Personen schließt sich deshalb von vornherein aus, denn die Figuren ändern ihr Ansehn bei des Lichtes Stand (ebd., S. 206,22). So wird der Kaiser am Ende des ersten Aufzugs nicht zu einer tragischen Figur, sondern dem Verlachen des Publikums preisgegeben. Auch der Mord an Kasper geriert sich als bloßer Scherz im freien Spiel. Gerade der erste Aufzug enthält zahlreiche satirische Anspielungen auf Arnims Gegenwart, insbesondere auf die politischen Reformbemühungen Carl August Freiherr von Hardenbergs, die die Zeitgenossen durchaus wahrnahmen (vgl. RZ 1, S. 462). In keinem anderen Schaubühnen–Stück instrumentalisiert Arnim derart den Dramentext für satirisch-kritische Äußerungen über die eigene Zeit. Dabei richtet sich seine Kritik v. a. gegen Hardenbergs Auffassung vom Staat sowie die von ihm als »Revolution von oben« eingeführten Reformgesetze (Nipperdey 1998, S. 32). Arnim ist der Auffassung, daß Hardenbergs rigoroses politisches Vorgehen despotische Tendenzen aufweise und dieser sich über die Belange des Volkes hinwegsetze. Den von aufklärerischem Denken geprägten
vom Sohn erzählt. »Die Möglichkeit, diese Geschichte für so gegensätzliche Zwecke argumentativ einzusetzen, ergibt sich daraus, daß ihr eigentlicher, von der Deutung der Parteien ganz unabhängiger Sinn ein Hauptthema der ›Historia‹ darstellt 〈...〉. Es geht um Täuschung und Wahn, darum, wie weit man dem Augenschein trauen darf und wie weit man es sollte« (Steinmetz 2000, S. 115).
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Der erste Aufzug/Der zweite Aufzug
politischen Maximen Hardenbergs setzt Arnim die romantische Vorstellung eines organischen Staatsgefüges entgegen, das aus dem Volksgeist erwachsen sei. Durch die Regierungsmaschine (vgl. Erl. zu S. 207,7), die im Schattenspiel von Kasper und Kaiser beim Verfassen neuer Gesetze verwendet wird, spielt Arnim auf den in seinen Augen durch Hardenberg mechanistisch und volksfremd gewordenen preußischen Staatsapparat an. Gerhard Kluge vermutet, daß sich Arnim bei der Konzeption der Regierungsmaschine von Ernst Moritz Arndts Geist der Zeit (1805–1818) inspirieren ließ (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 90), in dem der friderizianische Staat mit einer Maschine verglichen wird7 – ein Bild freilich, das auch schon Johann Gottlieb Fichte und andere zuvor gebraucht hatten (vgl. ebd., S. 91; Erl. zu S. 207,7). Der Rhabarberland-Staat gerät durch diese Regierungsform aus den Fugen. Die Regierungsmaschine wird zur Allegorie für ein mechanistisches Lebensverständnis. Dies führt im zweiten Aufzug unweigerlich zur Katastrophe.
Der zweite Aufzug
Das Loch
ist keineswegs eine bloße »politische Zeitsatire« (Streller 1956, S. 37), die sich ausschließlich auf aktuelle Tendenzen der Zeit beziehen läßt. Das Stück handelt gleichzeitig, insbesondere im zweiten Aufzug, allgemein von den Folgen einer mechanischen Regierung und Lebensführung, die durch die Darstellung der »verkehrten Welt« zur Anschauung gelangen. Im zweiten Aufzug entfernt sich Arnim völlig von der Vorlage und läßt die Handlung in ein revo7
Zwischen Arnims Schattenspiel und Arndts
Geist der Zeit ergeben sich motivisch und
thematisch einige Parallelen, die im Einzelstellenkommentar vorgestellt werden (vgl. Erl. zu S. 207,7, S. 209,9–12, S. 209,21, S. 226,14) Zu Arnims kritischer Einstellung zu Geist der Zeit vgl u. a. Herbert P. Liedke, Literary Criticism and Romantic Theory in the Work of Achim von Arnim. New York 1966, S. 13. Eine weniger politisch ausgerichtete intertextuelle Deutung gibt Konrad Weichberger, der in der Verwendung der Regierungsmaschine eine Analogie zu Ludvig Holbergs Doktormaschine in dem Lustspiel Die Hexerey oder der blinde Lärmen (Holberg 1762, S. 268) vermutet (vgl. Weichberger Kommentar 1901, S. 24). In Holbergs Stück treten zwei Schauspieler auf, die am Abend eine Tragödie und das Nachspiel
vom Doctor Cembalon des Cembalonazzo aus dem Theatre Italien
aufführen wollen (Holberg 1762, S. 268). Für das Nachspiel hat Heinrich, einer der Schauspieler, eine
Doctormaschine entwickelt, die im folgenden von anderen Figuren im Stück
als Hexerei gedeutet wird (ebd., S. 269). Arnim hat sich erst 1823 mit Holbergs Lustspielen auseinandergesetzt. Weichenbergers Vermutung einer Analogie stellt sich demnach als unwahrscheinlich heraus. Arnim besaß die zweibändige, von Adam Gottlob Oehlenschläger übersetzte Lustspielsammlung von 1822 (Arnim-Bibl. B 1816a-d).
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Zu: Das Loch
lutionäres, anarchisches Szenario übergehen. Der Teufel übergibt den Tieren die Regierung über das Rhabarberland. Es herrscht der Zustand der ›verkehrten Welt‹, der an Darstellungen des ›mundus inversus‹ auf Inkunabeln und Flugblättern des 16./17. Jhs. erinnert. Die thematische Verbindung von Treuebruch und Revolution begegnet auch in Arnims Roman Gräfin Dolores (1810) sowie in der Erzählung Melück Maria Blainville (1812). Offensichtlich liegt hier eine für Arnim signifikante Verknüpfung der beiden Bereiche vor: Störungen im Mikrokosmos Ehe können symptomatisch auf die Fehlentwicklung einer Gesellschaft hindeuten. Freilich entbehrt Das Loch der Ernsthaftigkeit und des paradigmatischen Charakters, der in der Gräfin Dolores und in Melück Maria Blainville vorherrschend ist. Das Schattenspiel geriert sich mehr als freies, arabeskenhaftes Spiel, das auf die aktuelle Gegenwart Bezug nimmt (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 86). Entscheidend ist jedoch die Verwandlung der am Ende des zweiten Aufzuges verkehrten Welt in einen Zustand von Harmonie, in ein »wiedergefundenes Paradies«. Die utopische Vorstellung einer erneuerten Welt nach Gewaltherrschaft, Despotismus, Krieg und dem Walten des Bösen wird durch das Eingreifen des Wunderbaren in die Handlung erst ermöglicht.8 Engel geleiten das Schiff mit Ritter, Kaiserin und Matrosen gegen die Windrichtung wieder ins Rhabarberland zurück. Am Ende preisen die Figuren den Anbruch einer neuen Zeit. Der in diesem Zusammenhang mehrmals wiederholte Begriff »Paradies« ist hier nicht synonym mit dem biblischen Garten der Schöpfungsgeschichte zu sehen, sondern als Ausdruck einer wiedergefundenen Einheit von Mensch und Welt im 8
Hierin kann eine Parallele zu Shakespeares
Sommernachtstraum gesehen werden,
dem ein ähnlicher triadischer Aufbau zugrunde liegt. Auch dort greift die phantastische (Elfen)welt in die Wirklichkeit der Menschen ein. Arnim kannte Shakespeares Stück und
Erzählungen von Schauspielen (1803) im Gespräch zwischen Sommernachtstraum durch den Erzähler als ein im Style des höheren Lustspiels verfaßtes Drama bezeichnet (Arnim 1803,
thematisiert es in seinen
dem Erzähler und der Kranken. Dort wird der
S. 159), was bei der Kranken Bedenken hervorruft. Sie äußert sich daraufhin zu dem Stück:
Ich sinne immer noch darüber nach, wie du den Sommernachtstraum Shakspeare’s zu den Lustspielen rechnen kannst. Es ist mir die tragische Ansicht des Lebens ganz und vollständig. Was sind wir anders denn Sommernachtsträume? Durch uns hin zieht der leichte Elfenflug der Gedanken, die mutwillig froh sich necken, und die kläglichen Schauspieler im dunklen Walde unsre Handlungen aufschrecken, dazwischen spielt die unglückliche Liebe aller Natur, die sie hin zum Tode neigt, in der unglücklichen Hermia. Und alles das quält, liebt und treibt sich zu einem aufgeschobenen Hochzeitfeste, das doch außerhalb des Sommernachttraums, außerhalb seines Schauplatzes liegen bleibt (ebd., S. 161). 700
Der zweite Aufzug/Das Schattenspiel
Diesseits.9 In Arnims Vorstellung gelingt es nur Liebenden – wie der Kaiserin und dem Ritter – und den Dichtern, die irdische und die höhere Welt, die einst eine Einheit bildeten, mittels der Liebe bzw. der Phantasie zu erleben oder zumindest zu erahnen. Der Darstellung zugrunde liegt damit die Auffassung von Geschichte als triadischem Modell, was bereits der Untertitel des Stückes ausdrückt (vgl. Erl. zu S. 204,4).
Das Schattenspiel und seine Tradition Das Schattenspiel als literarisch anspruchsvolles Genre stellte zu Arnims Zeit ein »literarisches Novum« dar (Kluge Kommentar 1968, S. 75). Gleichwohl wandten sich im späten 18. und in den ersten beiden Dritteln des 19. Jhs. einige Literaten in ihren Werken diesem Genre zu. Den Anfang macht Goethe bereits im 18. Jh. mit seinem 1774 in einer ersten Fassung erschienenen Jahrmarktfest zu Plundersweiler, das er zwar nicht als Schattenspiel bezeichnet, in dem er aber seine Eindrücke von Schattenspielaufführungen verarbeitet.10 Im 19. Jh. verfassen Clemens Brentano, Ludwig Uhland, Franz Grillparzer und Eduard Mörike11 Schattenspiele. Durch Justinus Kerner wurde das Genre 1811 erstmals in den literarischen Diskurs eingeführt. In seiner szenischen Collage mit dem Titel Reiseschatten kombiniert Kerner nicht nur Auszüge aus Briefen an Freunde zu einem Text, den er während seiner einjährigen Bildungsreise (1809) verfaßte. Das Werk enthält auch mehrere Schattenspiele bzw. Beschreibungen von Aufführungen. Uhland ermutigt Kerner zur Veröffentlichung seines Reiseschattens, denn er könne dadurch ein neues und den ästhetischen Theoretikern noch nicht bekanntes dramatisches Genre, das Schattenspiel, begründen. Als Stoff empfiehlt ihm Uhland alte Volksbücher, interessanterweise auch die Novellen 〈...〉 aus den 7 weisen Meistern (vgl. Justinus Kerners Briefwechsel mit seinen Freunden, hg. v. Theobald Kerner. Bd. 1. Stuttgart, Leipzig 1897, S. 42). Nach dem Erscheinen der Reiseschatten veröffentlicht Kerner keine weiteren Schattenspiele. Arnim wird durch Jacob Grimm im Juli, durch Wilhelm Grimm im November 1811 – also während der Entstehungszeit des Schattenspiels – auf 9
Zu weiteren Beispielen des von Arnim häufig gestalteten Paradies-Motivs vgl. Kluge
Kommentar 1968, S. 99–100. 10
Die zweite, wesentlich umfangreichere Fassung erschien 1778.
11
Das Schattenspiel vom König Orplid, das in Mörikes Roman
Maler Nolten integriert ist,
zeigt einen ganz anderen Umgang mit dem Schattenspiel-Genre. Dort finden sich keinerlei satirische Anspielungen, vielmehr ist ein melancholischer Ton vorherrschend.
701
Zu: Das Loch
Kerners Werk aufmerksam gemacht. Das Urteil der Grimms fällt in beiden Fällen kritisch aus.12 Arnim besaß selbst ein Exemplar der Reiseschatten (vgl. ArnimBibl. B 1270). Schriftliche Äußerungen zu Kerners Werk liegen jedoch ebensowenig vor wie sich thematische Bezüge zwischen Arnims Stück und Kerners Reiseschatten herstellen lassen. Kerners Schattenspiele repräsentieren einen »andersartigen Spieltyp«, der auf der Tradition der Laterna magica fußt (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 76 sowie Erl. zu S. 215,2–3). Das Loch ist somit ein Stück, das »am Anfang der Geschichte des Schattenspiels als einer literarischen Gattung steht, die nicht mehr nur improvisatorischen Charakters ist« (Kluge Kommentar 1968, S. 76). Zu Beginn des 19. Jhs. war das Schattentheater eine etablierte Institution auf Messen, Jahrmärkten sowie in privaten Gesellschaften und stellte eine der beliebtesten Unterhaltungsformen dar. Gespielt wurde vor einem gemischten Publikum für Kinder und Erwachsene. In der Zeit der napoleonischen Besatzung diente das Schattenspiel auch als satirisches Mittel der Auseinandersetzung mit den aktuellen Zeitumständen (vgl. Peter F. Dunkel, Schattenspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 363–365, hier S. 365). Insofern greift Arnim mit seinen Anspielungen auf Politik und Zeitgeschichte auf die traditionellen Gestaltungsmittel des Schattenspieles zurück. Neu ist an dem Stück, daß es – ähnlich wie Kerners Schauspiele im Reiseschatten – auf einer stofflichen Grundlage basiert und einen geschlossenen Handlungszusammenhang herstellt. Die sonst übliche Form der Schattenspiele stützt sich v. a. auf die Improvisation, »die textliche Grundlage ist nicht mehr als ein Gerüst für die freie Entfaltung eines pantomimischen und bilderreichen Spieles« (Kluge Kommentar 1968, S. 82). Meist wurden auf den Jahrmärkten nur einzelne Szenen und keine vollständigen Handlungen aufgeführt. Der Begriff »Schattenspiel« fand auch im übertragenen Sinn Verwendung und bezeichnet hierbei das Spiel der Phantasie (vgl. DWb 14, Sp. 2266) bzw. das – nun pejorativ gewendet – sinnlose Bemühen um eine Sache (vgl. ebd., Sp. 2267). Bereits seit dem Barock wird das Wort als literarischer Topos im Kontext der Vanitas-Motivik gebraucht. Zudem dient es auch späterhin zur Kontra12
Reiseschatten der verhaßte Misbrauch der Volkspoesie auftrete. Wilhelm Grimm urteilt etwas gemäßigter in seinem Schreiben an Arnim vom 26. November 1811: Die Reiseschatten haben mir nicht gefallen wollen, es fehlt am Grund, wiewohl manches einzelne gleichfalls gern gelesen werden kann. Es ist eine Art Experiment, muß ich denken Jacob Grimm schreibt an Arnim nach dem 14. Juli 1811, daß in den
ihm
〈...〉
(BJ-VS).
702
Das Schattenspiel
stivierung von Sein und Schein, Wahrheit und Imagination. »Das Bild des Schattens wird Signum neuzeitlicher Bewußtseins- und Erkenntnisproblematik« (Kluge Kommentar 1968, S. 84–85). Durch diese zusätzlichen bildhaften Bedeutungen des Begriffs erhält Arnims Genrebezeichnung gleichzeitig eine pessimistische Zusatzbedeutung. Das Stück indiziert letztendlich durch den utopischen Entwurf einer neuen Welt am Ende ein Bild der Phantasie, Ausdruck einer Wunschvorstellung einer in Arnims Gegenwart nicht realisierbaren idealen Lebensform. Die Tendenz, das Schattenspiel-Genre unter pejorativem Vorzeichen zu verwenden, begegnet weitaus radikaler gefaßt in Ernst Moritz Arndts Vorrede zum ersten Teil seiner Schrift Geist der Zeit (1805). Arndt gebraucht dort die Metapher des Schattenspiels, um den Inhalt seines Buches zu beschreiben. Er verwendet im Zuge dieser Darstellung auch den alten Topos der Welt als Theater. Indem er das »Theatrum Germaniae« jedoch explizit als Schattentheater bezeichnet, betont er das Flüchtige der Erscheinungen im nihilistisch anmutenden »Spiel«:
So kommt denn her und schauet! Ich stelle den Spiegel auf, und lasse in meinem Panorama einige bedeutende Bilder der Zeit als flüchtige Erscheinungen vorüberwallen. Schauet auf! es ist ein wahres Schattenspiel, nicht bloß eines zum Scherz, und nachdem ihr euch satt gesehen – satt lachen werdet ihr euch nicht – so weinet euch satt mit mir. Das Theatrum ist Teutschland, auch Germanien genannt; der Marionettenspieler steht hinter seinen Gardinen und zerrt ungesehen die Puppen hin und her; Wursthans, der alte Schalksnarr, quäckt die Stimmen nach, deren Personen er kennt, aber er wird es ungeschickt machen, denn der Pulverdampf, womit Teutschlands Luft von einem Ende bis zum andern versetzt ist, hat dem armen Buben die Kehle gar heiser gemacht. Das Stück könnt ihr nennen wie ihr wollt, werdet ihm wohl einen Namen finden, wann ihr es ausgesehen habt. Hans Wurst hat es zugenannt die S c h ö p f u n g a u s N i c h t s ; auch die l e i b h a f t e , d o c h b i l d l i c h e G e s c h i c h t e d e s j ü n g s t e n Ta g e s . Er mag euch erklären, wie sich dies zusammen reimt (Arndt 1807, S. 14–15; Hervorhebungen vom Vf.).
Die von Arndt hier vorgeschlagenen Titel für sein Schattenspiel erinnern in gewisser Hinsicht auch an Arnims Titelei sowie an die Erläuterungen des Schattendichters im Prolog. In beiden Texten werden in diesem Zusammenhang das Wort »Nichts« (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 206,37) sowie biblische Begriffe (»jüngster Tag« – »Paradies«) gebraucht. Allerdings existiert ein entscheidender Unterschied: Arndts Diagnose fällt durchweg kritisch und pessimistisch aus, wie besonders die Wahl des Endzeitmotivs des jüngsten Tages deutlich macht. Dagegen ist Arnims Schattenspiel – trotz der Ambivalenz des GenreBegriffs – optimistischer auf die Zukunft ausgerichtet.
703
Zu: Das Loch
Entstehung Das Stück ist mit großer Wahrscheinlichkeit im Winter 1811 entstanden.13 Mitte November hält sich Arnim in Frankfurt/M. auf und schreibt Rezensionen für die Heidelbergischen Jahrbücher,14 arbeitet an seinen Novellen, die er 1812 veröffentlichen wird, und verfaßt in dieser Zeit wohl auch das Schattenspiel. In seinem Brief vom 28. Dezember 1811 an Clemens Brentano nach Böhmen erwähnt Arnim das offenbar fertiggestellte Stück mit dem schönen Titel 〈...〉 D a s L o c h (AZ 2, S. 480). Zur Wahl des Genres »Schattenspiel« mag Arnim u. a. durch die Erlebnisse des Sommers 1811 bewogen worden sein, als er und BvA sich einige Wochen in Weimar aufhalten und der Aufführung von Schattenspielen beiwohnen, worüber er seinem Schwager Friedrich Carl von Savigny am 30. August 1811 berichtet:
Göthe war unendlich gütig gegen uns, sein Geburtstag traf ihn so jugendlich, daß er sich erstaunte zum dreyundsechzigstenmale ihn zu begrüssen, wir sind fast alle Tage in seinem Hause und mit den Seinen gewesen, gestern Abend unter andern in einer sehr angenehmen Gesellschaft auf dem Schießhause, das jezt durch ein dreywöchentliches Vogelschiessen belebt wird, wo Katzenkomödie, Schattenspiel und Volkssängerinnen in angenehmer Abwechselung mit Lotteriespielern und Würfelspielern den schönen Baumgang nach dem Schießhause beleben (SPK Haus I). Von Weimar fahren die Arnims weiter nach Frankfurt/M. und anschließend zur Weinlese nach Winkel am Rhein, wo die Brentanos ein Gut besitzen. Die Arnims bleiben dort bis Oktober und bilden mit George und Marie Brentano, Meline und Antonie Georgine de Guaita, Lulu und Karl Jordis, Nachbarn und anderen Gästen eine illustre Gesellschaft, die sich abends u. a. mit improvisierten Reim13
Gerhard Kluge weist in seinem Kommentar darauf hin, daß die Vordatierung eines
Briefes von Arnim an Clemens Brentano in Steigs Briefedition (Steig 1894, S. 296) dazu geführt hat, die Entstehungszeit des Stückes ein Jahr früher anzusetzen (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 71). 14
Arnims Engagement für die
Heidelbergischen Jahrbücher setzt 1809 ein, als das
Blatt noch von Georg Friedrich Creuzer redigiert wird. 1809–1810 schreibt er zahlreiche
Jahrbüchern durch Friedrich Wilken, Anton Friedrich Justus Thibaut und Philipp August Böckh
Rezensionen und Aufsätze. Mit der Übernahme der redaktionellen Arbeit an den
ändern sich die Verhältnisse, so daß Arnims Beiträge aufgrund der Streitigkeiten mit Johann Heinrich Voß nicht mehr gewünscht sind. Erst im November 1811 wird Arnims Verbindung zu den
Jahrbüchern durch einen Besuch in Heidelberg wieder gefestigt (vgl. dazu Herbert
P. Liedke, Literary Criticism and Romantic Theory in the Work of Achim von Arnim. New York 1966, S. 64–66).
704
Entstehung
spiele〈n〉, wo Gedichte zusammengedichtet werden,15 unterhält (Arnim an die Grimms, 22.–26. Oktober 1811, SPK Nachlaß Grimm 647/II). Arnim will daran zwar keinen großen Gefallen finden, ist aber dafür selbst umso thätiger (ebd.). Ende Oktober besucht er Freunde in Heidelberg und hält sich dann längere Zeit in Frankfurt/M. auf. Das Stück wird, wie Arnim in Briefen vom 27. und 28. Dezember 1811 an Friedrich Carl von Savigny und Clemens Brentano schreibt (vgl. AZ 1, S. 479; AZ 2, S. 479–480), bei Arnims Schwager Georg Friedrich von Guaita aufgeführt.16 In seinen Anmerkungen zur Schaubühne führt Arnim an, daß diese erste Fassung des Stückes noch reicher an Lokalscherzen war (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,20). Die Handschrift dieser ersten Version ist nicht überliefert. 1812 überarbeitet Arnim das bei Guaita aufgeführte Drama. Während seines Kuraufenthaltes mit BvA im Sommer in Teplitz (heute: Teplicˇe), wo sich auch Clemens und Christian Brentano einfinden, hat er noch die unüberarbeitete Fassung im Gepäck. Clemens Brentano bemerkt in seiner Besprechung der Schaubühnen–Dramen im Oktober 1813, daß die Schaubühnen–Version viel reicher und schöner sei, seit er in Töplitz hineinsah (RZ 4, S. 464,55–57). In einem Brief an seine Schwester Meline und ihren Mann Georg Friedrich von Guaita berichtet er, daß das Stück ihm von Arnim vorgelesen wurde (vgl. AZ 3, S. 480,3–4). 15
In der Familie Brentano war es üblich, zu festlichen Gelegenheiten wie Geburts- oder
Namenstagen, aber auch an langen Winterabenden oder bei Gartenfesten Komödien, Puppen- oder Schattenspiele aufzuführen oder Maskeraden zu inszenieren. Clemens Brentano war im Besitz eines Puppentheaters mit Figuren nach Entwürfen von Friedrich Tieck (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 185). Auch von Christian Brentano ist ein Schattenspiel, das im
Der unglückliche Franzose oder Der Deutschen Freiheit Himmelfahrt (gedruckt 1850) überliefert. Die Tradition wurde
Kreise der Familie 1816 gespielt wurde, mit dem Titel
auch in der Familie Arnim fortgesetzt, was ein Brief vom 8. November 1823 des elfjährigen Sohns Johannes Freimund an Arnim dokumentiert (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 81). 16
Eine weitere Aufführung auf Schloß Schönfeld, dem Domizil der Jordis-Brentanos in der Nähe
von Kassel, wird von Philipp Losch angegeben. Losch führt jedoch nicht an, auf welche Quelle er sich stützt: »Arnims Schattenspiel ›Das Loch in der Wand‹ 〈sic〉, zu dem Clemens und Christian Brentano die Figuren in Pappe ausschnitten, wurde in Jordis Hause zuerst aufgeführt. Die Vorstellung wurde aber unterbrochen, weil der ängstliche westfälische Hofbankier an einigen Witzen über die Regierungsmaschine Anstoß nahm, trotz des Spottes seiner Frau und seiner Schwägerin Bettine« (Philipp Losch, Schönfeld. Bilder aus der Geschichte eines hessischen Schlößchens und seiner Besitzer. Leipzig 1913, S. 46–47). Es konnte nicht ermittelt werden, woraus Losch diese Informationen schöpft (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 71).
705
Zu: Das Loch
Rezeption und Aufführung Ein interessantes Rezeptionszeugnis von einem der wichtigsten preußischen Staatsmänner der Zeit, Alexander zu Dohna-Schlobitten, hat sich in einem Brief an den preußischen Minister Heinrich Theodor von Schön erhalten (vgl. RZ 1, S. 462). Schön ist 1813 Zivilgouverneur für das Gebiet von der russischen Grenze bis zur Weichsel sowie Mitglied des Verwaltungsrates, der am 20. März von den Verbündeten gegen Napoleon gebildet wurde. Er hält sich in Breslau auf, wohin ihm Dohna-Schlobitten einen Brief sendet, der mit einem Verweis auf Arnims Schaubühne endet. Dohna-Schlobitten folgte 1808 Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein als Innenminister nach. Seine ablehnende Haltung gegen Hardenberg führte 1810 zu seinem Rücktritt aus Protest gegen dessen in seinen Augen despotische Amtsführung. Mit Carl von Clausewitz arbeitet Dohna-Schlobitten zu Beginn des Jahres 1813 an Plänen für die Landwehr, für deren Umsetzung er als Präsident der Generalkommission die Verantwortung trägt. Auch er wird – wie Schön – zum Zivilgouverneur für das Gebiet östlich der Weichsel ernannt. Nur einige Wochen nach der Veröffentlichung der Schaubühne empfiehlt Dohna-Schlobitten in seinem Brief vom 6. August 1813 an Schön Arnims Dramensammlung, da es im Schattenspiel Das Loch eine herrliche Stelle gebe. Dohna-Schlobitten nennt die Seiten 191 und 192 mit ihrer Anspielung auf die Hardenbergschen Reformen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 209,1–210,15), die freilich vor dem Hintergrund der kritischen Einstellung gegen Hardenberg bei beiden Staatsmännern auf Belustigung stoßen mußte (vgl. RZ 1, S. 462). Friedrich Carl von Savigny berichtet Arnim von dem Brief Dohna-Schlobittens und drückt indirekt seine Neugierde auf das Stück aus, indem er schreibt, er habe die Schaubühne deshalb sehr gesucht (vgl. RZ 3, S. 463,3). Neben Dohna-Schlobitten schlägt noch ein weiterer preußischer Staatsmann einer um den Historiker Karl Dietrich Hüllmann versammelten Berliner Herrengesellschaft Arnims Schattenspiel zur Lektüre vor: Es ist Reichsfreiherr Karl Wilhelm von Schroetter, 1807 preußischer Staatsminister und enger Mitarbeiter des damaligen Innenministers Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein.17 Mit Heinrich Theodor von Schön wurde Schroetter in dieser Zeit beauftragt, einen Gesetzesentwurf zur Reform des Agrarsystems in Preußen zu entwickeln. Das Ergebnis ihrer Bemühungen war das sogenannte Oktoberedikt den erleichterten Besitz
und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend vom 9. Oktober 1807, »das er17
Für diesen Hinweis danke ich Heinz Härtl.
706
Rezeption und Aufführung
ste und berühmteste Gesetzesdokument der Reformära«, (Clark 2007, S. 382). 1809 wurde Schroetter Präsident des ostpreußischen Oberlandesgerichts, wobei er den Hardenbergschen Reformen als Fürsprecher des agrarischen Liberalismus – ähnlich wie Schön – kritisch distanziert gegenüberstand (vgl. ebd., S. 329). Dies geht aus dem Brief seines Bruders Reichsfreiherr Friedrich Leopold von Schroetter an den sich im Ruhestand befindenden Königsberger Literaten und Kriegsrat Johann George Scheffner18 vom 14. August 1813 hervor (vgl. RZ 2, S. 462f.). In seinem Brief berichtet Friedrich Leopold von Schroetter, seit 1810 Mitglied des preußischen Geheimen Staatsrats, von den neuesten politischen Entwicklungen, die in der Herrengesellschaft besprochen wurden. Er erwähnt zunächst die Ernennung des Gouverneurs des preußischen Kronprinzen, Freiherr Friedrich Wilhelm von Gaudi, zum Generalmajor und Militärgouverneur von Schlesien. Des weiteren führt er an, daß Jean-Victor Moreau, der als Divisionsgeneral 1804 von Napoleon verbannt wurde und sich daraufhin in Nordamerika ansiedelte, im Frühjahr 1813 die Aufforderung von Zar Alexander I. erhielt, ihn im Kampf gegen Napoleon zu unterstützen. Außerdem kommt er auf den Vizekönig Italiens, Euge`ne de Beauharnais und dessen Truppenbewegungen zu sprechen. Beauharnais war als Adoptivsohn Napoleons 1813 Oberbefehlshaber der französischen Armee in Deutschland. Im Anschluß an die knappe Darstellung der politischen Zeitereignisse, die in der Herrengesellschaft diskutiert wurden, erwähnt Schroetter in seinem Brief zwei Texte: zum einen die Flugschrift: Baiern unter der Regierung des Ministers Montgelas, über die viel gesprochen wurde (RZ 2, S. 463,13), zum anderen Arnims Schattenspiel Das Loch, das ein ganz ähnliches Szenario entwerfe wie die Flugschrift (vgl. RZ 2, S. 462,12–463,14), in der die politischen Verhältnisse in Bayern und die Regierungspolitik Montgelas’ äußerst kritisch dargestellt werden.19 Montgelas wird u. a. Nepotismus, Willkürherrschaft, politische Ziellosigkeit, Dominanz über den König und die aus der Aufstückelung der Zuständigkeitsbereiche resultierende Undurchschaubarkeit des Staatsgefüges vorgeworfen – Aspekte, die auch in Arnims Schattenspiel satirisch in Bezug auf Preußens Monarchie thematisiert
18
Der Adressat des Briefes, Johann George Scheffner, hatte Arnim 1806 während seines
Aufenthalts in Königsberg kennengelernt und forderte ihn 1807 in einem Brief vom 8. Februar 1810 (vgl. FDH 15801) dazu auf, seine Biographie zu schreiben, die sich jedoch 1807 bereits in einer Überarbeitungsphase befand und posthum 1823 veröffentlicht wurde (vgl. Arnim-Bibl. B 425). Von Hüllmann, dem Veranstalter der Herrengesellschaft, besaß Arnim außerdem die Schrift 19
Geschichte des Ursprungs der Stände (vgl. Arnim-Bibl. B 231).
In Arnims Bibliothek ist die erwähnte Schmähschrift auf die politische Situation Bayerns
ebenfalls nachweisbar (vgl. Arnim-Bibl. B 244).
707
Zu: Das Loch
werden. Die Bez. des bayerischen Königreichs als Maschine kommt in der Schrift – analog zur Regierungsmaschinerie bei Arnim – ebenfalls zur Sprache. So heißt es dort:
Und wie ist es möglich, daß ein Mann die Leitung, und die Uebersicht einer so verwickelten Maschine führen kann? Auch mit der größten Thätigkeit, mit einem eisernen Fleiß, und einer alles umfassenden Einsicht wären hier Unordnung und Stockungen nicht zu vermeiden. Um wie viel mehr muß dieß aber bei einem Minister der Fall seyn, der mehr seinem Vergnügen und dem Eigennutz, als den Geschäften lebt 〈...〉 (Baiern unter der Regierung des Ministers Montgelas. O. O. 1813, S. 59).
Reichsfreiherr Karl Wilhelm von Schroetter, der Arnims Stück hier empfiehlt, zieht durch den Vergleich der beiden Texte eine Parallele zwischen den satirischen Anspielungen Arnims auf die Regierung des Ministers Hardenberg in Preußen und der kritischen Darstellung der Regierungsführung des Ministers Montgelas in Bayern. Hardenberg und Montgelas hatten in dieser Zeit äquivalente Positionen inne, wodurch sich Arnims Satire auch auf Montgelas und dessen Politik beziehen lassen. Ob der Adressat des Briefes, Johann George Scheffner, der Lektüreempfehlung Schroetters nachkam und die Schaubühne tatsächlich las, konnte nicht ermittelt werden. In seiner Autobiographie Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben, die 1823 posthum erschien, wird Arnim zwar als Bekannter Scheffners erwähnt, von Arnims Werken, die Scheffner mit Verwunderung las, werden aber nur namentlich die Gräfin Dolores und Halle und Jerusalem genannt (Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, gedruckt 1816, veröffentlicht 1823, S. 303). Clemens Brentano äußert sich in seinem Brief von Anfang Oktober 1813 lobend zu dem Stück, v. a. der zweite Akt sei voll herrlicher Erfindung und tiefer ewiger Satire (RZ 4, S. 464,56–57). In der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung wird das Schattenspiel als tüchtiges, belustigendes Possenspiel bezeichnet, jedoch gefalle die ernsthafte Erzählung im Volksbuch besser. Der Rezensent erwähnt zwar die satirischen Anspielungen, insbesondere in der zweiten Handlung, überläßt es aber dem Leser, die 〈v〉ielen Scherz und manche〈n〉 Stachelreden selbst zu entschlüsseln (RZ 6, S. 470,24). Der Rezensent Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld in den Blättern zur
Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst geht nur kurz Das Loch ein, indem er es als feine〈s〉 Schattenspiel lobend hervorhebt.
auf
708
Rezeption und Aufführung/Erläuterungen
Er kritisiert die Verwendung von Versen in den Schaubühnen–Dramen im allgemeinen, die mit Ausnahme der satyrisch-komischen Gattung, zu der er Das Loch zählt, als gezwungen, eckig und dunkel empfunden werden (RZ 9, S. 474,11–12). Eine weitreichende Wirkung des Stückes bleibt aus. August Graf von Platen, der Arnims Schattenspiel mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kannte, verwendet den gleichen Stoff wie Arnim für seinen Einakter Der Turm mit sieben Pforten, setzt jedoch andere Schwerpunkte als Arnim.
Erläuterungen 204,4 d a s w i e d e r g e f u n d e n e P a r a d i e s .] Das Bild des verlorenen Paradieses (vgl. 1. Mo 2, 9; 17; 3, 6), das wiedergefunden werden muß, begegnet in Arnims Werk wiederholt und ist für das vorromantische und romantische Geschichtsbewußtsein charakteristisch. Geschichte präsentiert sich dabei als triadisches Modell. Einer Phase der Harmonie und Einheit schließt sich ein Zeitalter der Diskontinuität und des Zerfalls an. Dieses wird schließlich durch die Wiederherstellung des alten harmonischen Zustands abgelöst. Arnim verwendet den Begriff des wiedergefundenen Paradieses auch für den zweiten Winterabend seines Wintergartens (1809). Sein Roman Armuth Reichthum Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810) weist ebenfalls die triadische Struktur auf, indem Arnim darstellen will, daß jeder Sünder 〈...〉 in sich ein verlornes Paradies trage, zu dem er zurückfinden müsse (Brief Arnims an Wilhelm Grimm, 2. November 1810, SPK Nachlaß Grimm 647/I). Während in der Gräfin Dolores der Mensch seine höhere Bestimmung durch die Sünde verliert und nur durch Buße und tätiges Leben wieder zu einem harmonischen Zustand zurückkehrt, ist in Das Loch die Rückkehr ins Paradies am Bsp. typenhafter Schattenfiguren dargestellt, die von dem Schattendichter gelenkt werden (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 97). In den Kronenwächtern II gibt es eine weitere Stelle, welche die Wiedergewinnung des Paradieses thematisiert. Ähnlich wie in der Gräfin Dolores erfolgt hier eine christliche Auslegung, da vor Gottes Herrlichkeit 〈...〉 alles gut wird, was auf Erden geschieht (SW 16, S. 192). – Die Thematisierung der Wiedererlangung des Paradieses tritt auch in Heinrich von Kleists berühmter Schrift Über das Marionettentheater auf. Dort wird die Verheißung einer Rückkehr ins Paradies anders als bei Arnim zukunftspessimistisch gebrochen und ironisiert, indem folgendes Szenario entworfen wird: Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter
uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist (Kleist Werke 3, S. 559). 709
Zu: Das Loch
Kleist nimmt damit eine Gegenposition zu Arnims Vorstellungen ein, da bei ihm die Sicherheit, daß das Ziel erreicht werden kann, nicht gegeben ist. 204,5 E i n S c h a t t e n s p i e l .] Die Wahl des dem Puppenspiel nahestehenden Genres ist im Kontext von Arnims Bemühungen um ein volkstümliches Theater zu sehen, was durch die Verwendung des Knittelverses noch stärker akzentuiert wird (vgl. Barth 1993, S. 118). Zur gattungsgeschichtlichen Einordnung vgl. den Überblickskommentar, S. 701–703. 204,8 D i c h t e r . ] Der Schattendichter fungiert als auktoriale Vermittlerfigur zwischen dem Publikum und den Spielerfiguren, die im Prolog illudierend und autoreferentiell in die Handlung einführt, vgl. Erl. zu S. 204,17. 204,9 K a i s e r vom Rhabarberlande.] In einigen Fassungen der Sieben weisen Meister erhält der König keine nähere Herkunfts- bzw. Titelbezeichnung (vgl. z. B. Die nützliche Unterweisung der sieben weisen Meister, Wie Pontianus, der König zu Rom seinen Sohn Diocletianum den sieben weisen Meistern befiehlt, die sieben freyen Künste zu lernen 〈...〉: Sehr lustig und nützlich, wider falschen Weiber Untreu zu lesen. Ganz von neuem aufgelegt. O. O. ca. 1800, S. 101), während er in Thomas’ altem Manuskript als »König von Cypern« bezeichnet wird (vgl. Q, S. 688,1). Gründe für den von Arnim verwendeten Ausdruck »Rhabarberland« können sich nur auf Vermutungen stützen. – Die Rhabarberpflanze war auch unter dem Namen »rha barbarum«, die Wurzel der Barbaren, bekannt (vgl. DWb 14, Sp. 853). Arnims Vorliebe für paronomastische Wortspiele könnte ein Grund für die Verwendung der Pflanze als Ortsbez. sein (vgl. für weitere Bspe. von Paronomasien Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel). Dadurch werden indirekt die Einwohner des Rhabarberlandes als Barbaren gekennzeichnet. In einer Replik des Kaisers wird explizit auf die Verbindung zwischen »Rhabarber« und »Barbar« hingewiesen, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 211,5. – Rhabarber galt im 18./19. Jh. noch als Heilmittel, das importiert werden mußte: Als Medizin verabreicht dienet 〈ein Aufguß auf die getrocknete Wurzel〉 zum
Durchfalle, den Magen zu reinigen und zu stärcken, Appetit zu erwecken und die Würmer zu tödten. 〈...〉 〈D〉er Hauptnutzen der 〈sic〉 Rhabarber ist, daß sie abführet und reiniget (Zedler 31, Sp. 1034; 1036). Da Arnim später die »Hypekakuana«, eine Pflanze, die ebenfalls purgative Wirkung besitzt, als einen weiteren phantastischen Ort einführt (vgl. Erl. zu S. 210,35), könnte es sich hier – in Verbindung mit dem Titel des Schattenspiels – um eine derbe Anspielung auf den menschlichen Verdauungsapparat handeln. 204,10 K a i s e r i n , dessen Frau.] Wie im folgenden deutlich wird, ist die Kaiserin nicht die Gemahlin, sondern die Braut des Kaisers (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 212,12). Wie im Stück Herr Hanrei und Maria vom
710
Erläuterungen
langen Markte ist das Paar noch nicht verheiratet, so daß die spätere Flucht der Kaiserin nicht gegen eheliche Pflichten und damit gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt. 204,11 K a s p e r , sein Rath.] Kasper entspricht der Figur des Maurers in Arnims Q (vgl. Q, S. 689,31–32). Er ist nach dem Vorbild der lustigen Figur des Puppen- oder Volksschauspiels konzipiert, trägt aber gleichzeitig Züge des Staatskanzlers Carl August Freiherr von Hardenberg, wie im folgenden deutlich wird. 204,13 R i t t e r von der runden Tafel.] Der Zusatz »von der runden Tafel« weist die Figur als Artus-Ritter aus. Vmtl. sieht Arnim eine Analogie zwischen der in der Artus-Epik wiederholt auftauchenden Ehebruch-Motivik und dem Stoff seiner Q. Die Dreierkonstellation Ehemann-Gattin-Geliebter begegnet in der Artus-Epik bei Tristan-Isolde-Marke sowie bei Artus-Guinevere-Lanzelot. 204,15 D e r Te u f e l .] Johannes Barth hat festgestellt, daß der Teufel in Arnims Stück nicht nur die »destruktiven Elementarkräfte« repräsentiert, sondern daß auch mit dieser Figur eine Personalsatire auf Napoleon vorgenommen wird (Barth 1993, S. 122–123), vgl. Erl. zu S. 226,35–227,1. 204,17 P r o l o g d e s S c h a t t e n d i c h t e r s .] Der Prolog erinnert an den Prolog des Dichterkopfes in der Gräfin Dolores (vgl. Arnim 1817, S. 287–289). 204,18 Euch Aktionärs 〈...〉 Schauspielhaus,] Anspielung auf die Situation im Frankfurter Schauspielhaus, das 1782 eröffnet worden war und von einer Aktiengesellschaft getragen wurde. Vier Aktionäre, meist Kaufleute und Bankiers, bildeten jeweils das Direktorium und entschieden über das Repertoire und das Engagement der Schauspieler. Der Magistrat der Stadt hatte kaum Mitspracherecht (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 87). Die Familien Brentano und Guaita, die bei der ersten Aufführung des Schattenspiels im privaten Kreis anwesend waren (vgl. den Überblickskommentar, S. 704–705), besaßen Aktien des Frankfurter Schauspielhauses. 1796–1800 war ein nicht zu ermittelnder G. Guaita Mitglied des Theaterdirektoriums, 1824 hatte George Brentano im erweiterten Direktionskommittee eine Stimme (vgl. Oven 1872, S. 101; zur Geschichte des Frankfurter Theaters vgl. auch Ludwig Holthof, Zur Geschichte des Frankfurter Schauspielhauses. Historische Skizze. Frankfurt/M. 1878). 204,22–25 Wer Geld gegeben, 〈...〉 droben.] Erneut handelt es sich hier um eine Anspielung auf die Frankfurter Theaterverhältnisse. Probleme des Frankfurter Schauspielhauses durch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft ergaben sich insofern, als sich die Aktionäre »zu jeder Kritik an Stücken und Schauspielern berechtigt 〈fühlten〉, um so mehr als damals eine professionelle öffentliche Kritik noch fehlte;« (Kluge Kommentar 1968, S. 87; vgl. auch Oven 1872, 711
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S. 48). – Arnim, der sich zeit seines Lebens gegen die zerstörerische Kraft der öffentlichen Kritik aussprach, veröffentlicht 1806 einen Aufsatz über das Frankfurter Theater und schreibt in diesem Zusammenhang über die negativen Auswirkungen der Kritik: dazu kommt das Zerstörende einer gemeinen
tückischen Kritik alter Sünder, die selbst zum Verfall des Theaters am meisten beitragen (Arnim 1806, S. 21). In einem Brief an Clemens Brentano vom 10. März 1814 schreibt er, daß er bei seiner alten Leyer 〈bleibe〉, daß die Kritik an allem schuld sei (vgl. AZ 19, S. 490,9–10). 204,26–27 Oel gespart 〈...〉 Stadtbeleuchtungsart] Vmtl. handelt es sich hier um eine Anspielung auf die mangelhafte Stadtbeleuchtung im frühen 19. Jh. In Berlin z. B. wurde die Gasbeleuchtung erst ab 1827 allmählich eingeführt (vgl. Geiger 1895, S. 467–468). 205,9 Stegereif] Bei der von Arnim im D verwendeten Form »Stegegreif« handelt es sich vmtl. um einen Druckfehler, der in den SW emendiert wurde. »Stegereif« ist eine alte, noch bei Goethe, Tieck und Immermann nachzuweisende Form für »Stegreif«, (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 105). 205,12–13 Die Nacht 〈... frei.] Zu Arnims Zeit war die Polizei für die Stadtverwaltung sowie für die Sicherheit der Regierung zuständig. In diesem Paarreim wird die Ambivalenz des Freiheitsbegriffs angesprochen: Zum einen wird die von Arnim als positiv verstandene Freiheit jenseits einer staatlichen Kontrollinstanz artikuliert, zum anderen aber auch die Gefahr einer falschen Auffassung von Freiheit, die zu Chaos und Anarchie führen kann. 205,31–35 Beseelte Bilder, 〈...〉 befunden,] Der Ursprung des Schattenspiels liegt in China. Als Entstehungsmythos ist die Geschichte eines chinesischen Prinzen überliefert, der um seine tote Geliebte trauert und sich durch nichts trösten läßt. Im Traum erscheint ihm der Schatten seiner Braut hinter einem weißen Leinentuch. Ein Priester deutet ihm den Traum und läßt das erste Schattentheater erbauen, das eine derart therapeutische Wirkung auf den Prinzen ausübt, daß er gesundet und seine Regierungsgeschäfte wieder aufnehmen kann. Aus Dankbarkeit läßt er im ganzen Land Schattenspiele aufführen (vgl. Ohlendorf 1935a, S. 10–11). 205,36–37 Die Liebe gönnte 〈...〉 schneiden,] Die Erfindung des Schattenrisses geht auf die chinesischen Schattenspiele zurück, wird aber z. B. in Buschs Versuch eines Handbuchs der Erfindungen der Tochter des corinthischen Töpfers Dibutades zugeschrieben, die den Schattenriß ihres Geliebten an einer Mauer oder Wand nachzeichnete (Busch 1795, S. 78–79). Auch hier findet sich der Schatten wie im Mythos zur Entstehung des Schattentheaters (vgl. Erl. zu S. 205,31–35) im thematischen Kontext von Liebe und Substitution des/der Geliebten.
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Erläuterungen
206,3–4 In einem Haus, 〈...〉 schaut.] Hier kündigt sich bereits das Motiv der »verkehrten Welt« an, das v. a. im 2. Akt die Handlung dominiert. 206,9 Und da das alte Schauspielhaus verdorben,] Diese Anspielung kann sich nicht auf das Frankfurter Schauspielhaus beziehen, da das dortige Theater im Jahr 1782 eröffnet worden war und seit dieser Zeit bespielt wurde (vgl. Oven 1782, S. 28). Die Verlängerung des Vertrags der Aktionärsgesellschaft mit der Stadt Frankfurt erfolgte am 1. Mai 1811, ist aber nicht mit dem Niedergang eines alten Schauspielhauses verbunden gewesen (vgl. ebd., S. 47). Alfred Schier bezieht die Stelle auf das »1802 vollendete neue Berliner Schauspielhaus« (Schier Kommentar 1920, S. 470). Da dieses Ereignis 1811 – zur Zeit der Entstehung des Stückes – bzw. 1813 schon einige Jahre zurückliegt, ist hier vor dem Hintergrund der sonst allgemein aktuellen Anspielungen in Arnims Stück eher keine Anspielung auf die Berliner Theaterverhältnisse zu vermuten. – Naheliegender ist dagegen eine Kritik am Niedergang des Schauspiels an sich – in seinen Rezensionen über das Theater äußert sich Arnim häufig äußerst kritisch über die Qualität der zeitgenössischen Aufführungen und setzt sich für eine Erneuerung des Theaters ein. 206,31 heulen mit den Wölfen] Redensart (vgl. Wander 5, Sp. 379, Nr. 637). 206,39 n e u g e f u n d n e P a r a d i e s , ] Ulfert Ricklefs sieht darin eine »Kunstmetapher. In diesem Sinn errichtet täglich jede Aufführung das Schauspielhaus neu« (Werke 5 Kommentar, S. 1494). Vgl. zum Begriff »Paradies« auch Erl. zu S. 204,4. 207,2 Doch Rom 〈...〉 erbaut] Sprichwort (vgl. Wander 3, Sp. 1716, Nr. 52). 207,7 Regierungsmaschine] Kritische Zeitgenossen Arnims charakterisieren Preußen um 1806 als Maschinenstaat (vgl. Nipperdey 1998, S. 33) – eine Bez., die sich an die Kritik am alten preußischen Staat gegen Ende des 18. Jhs. anlehnt. So kritisiert Johann Gottlieb Fichte die uneingeschränkte Monarchie und ihre Folgen in seinem Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution (1793): Das Reiben des mannigfalti-
gen Räderwerks dieser künstlichen politischen Maschine von Europa erhielt die Thätigkeit des Menschengeschlechts immer in Athem. Es war ein ewiger Kampf streitender Kräfte von Innen und von Außen. Im Innern drückte, durch das wunderbare Kunststück der Subordination der Stände, der Souverain auf das, was ihm am nächsten stand; dieses wieder auf das, was zunächst unter ihm war; und so bis auf den Sclaven herab, der das Feld baute (Johann Gottlieb Fichte, Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution. O. O. 1793, S. 91–92).
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Auch Ernst Moritz Arndt konstatiert in seiner dreiteiligen Schrift Geist der daß der preußische Staat einer Maschine gleiche (vgl. Arndt 1807, passim). Gerhard Kluge vermutet, daß die Regierungsmaschine in Arnims Schattenspiel von Arndts Geist der Zeit inspiriert wurde. Dessen Schrift rezipiert Arnim zwar nicht kritiklos (vgl. Arnims Brief an Clemens Brentano vom 1. Juli 1806, UB Heidelberg 2110, 5, Bl. 172r–177v), aber die wiederholte Bez. des Staates als Maschine bei Arndt könnte für Arnim als Anregung für sein Stück gedient haben (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 90–91). Das Bild der Maschine verwendet Arnim u. a. auch in seinem Gedicht Der Reichsapfel (vgl. SW 21, S. 160–161). 207,26 genieren] Von französisch »geˆner«, belästigen, sich Zwang antun (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 105). 208,11 versitzen] Durch zu langes Sitzen steif und träge werden (vgl. Adelung 4, S. 1141; DWb 25, Sp. 1345). 208,28 Die Ritter der Tafelrunde] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. in Rekurrenz auf die Angabe im Personenverzeichnis, in dem der Ritter »von der runden Tafel« stammt (vgl. Erl. zu S. 204,13). 209,2 Tintenklecker] Verächtlich für Schreiber (vgl. Adelung 2, S. 1613; DWb 11, Sp. 1055). 209,3 gewärtig] aufmerksam, treu (DWb 6, Sp. 5353). 209,9 Regeneriren] Abgesehen von der auf S. 209,9–12 erwähnten Anspielung auf Hardenbergs Politik könnte hier wiederum ein paronomastisches Wortspiel (»regieren–regenerieren«) vorliegen, vgl. für weitere Bspe. Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel sowie S. 204,9, S. 218,35–36, S. 228,11–25 zu Das Loch. Arnim kritisiert an Hardenbergs Politik v. a. die Übereilung der Gesetzgebung (Werke 6, S. 709) und die Durchsetzung der Reformen ohne ständische Vertretung, wie er in seiner Rezension Über die Schrift: Die Verwaltung des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg (1821) rückblickend schreibt (vgl. dazu Hermann F. Weiss, Unveröffentlichte Prosaentwürfe Achim von Arnims zur Zeitkritik um 1810, in: JbFDH 1977, S. 251–291, hier S. 276–277). 209,9–12 Das nennen wir dann 〈...〉 bluten.] Die satirische Anspielung soll verdeutlichen, daß die Untertanen im despotischen Staat zu Opfern der Willkürherrschaft werden. Etwa Ende 1814, also kurz nach dem Krieg, schreibt Arnim retrospektiv in sein Taschenbuch: Dem Soldatenspiel der Fürsten ist
Zeit,
auch das Freywilligenwesen nur ein Spiel gewesen, wie alle so willig der Trommel folgten, mit denen sie sonst viel Umstände machen mußten, das gefällt ihnen, sie wiederholen ohne Noth (FDH B 44, 55; vgl. Knaack 1976, S. 94). Hardenberg, der sich gegen eine gewählte Ständevertre-
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Erläuterungen
tung ausspricht und der dem von Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein forcierten Staatsrat nur den Status eines Scheinparlaments zuteilt (vgl. Nipperdey 1998, S. 37), wird von seinen Zeitgenossen z. T. scharf kritisiert. Der märkische Junker und Gegner Hardenbergs, Friedrich August Ludwig von der Marwitz, beschreibt, wie Hardenberg, ich weiß nicht, ob aus bösem Wil-
len oder aus Verblendung, oder, um durch Nachgiebigkeit nicht seinen Posten zu verlieren, in seinem System beharrte, die Verfassung umwarf, alle Rechte mit Füßen trat, indem er von Regeneration des Staates redete 〈...〉 (Aus dem Nachlasse Friedrich August Ludwig’s von der Marwitz auf Friedersdorf, Königlich Preußischen General-Lieutenants a. D. Bd. 1. Lebensbeschreibung. Berlin 1852, S. 324). Auch Arndt kritisiert, daß die Untertanen zu Opfern des Staates werden: Unter der Arbeit stöhnt die Mehrzahl
der Menschen, den Genuß, welchen sie haben sollte, nimmt der Staat für seine Bedürfnisse. 〈...〉 Wie die Kräfte überspannt sind, weil die Staatsmaschine, welche die Menschen umtreibt, sie wie Mühlenpferde mit verbundenen Augen rundlaufen läßt, weil sie bei der neuen Ordnung in Ausnahmen und Vorrechten so viele alte Ungleichheit und Ungerechtigkeit sehen, so hat sich ein schlauer und spitzbübischer Sklavensinn bei ihnen angesetzt, der, wo er durch das Gesetz kann, allenthalben durchdringt und wie ein Dieb wieder stiehlt, was er als ein ehrlicher Mann gab (Arndt 1807, S. 110–111). 209,14–20 Nun steht 〈...〉 überraschen.] Arnim äußert sich wiederholt kritisch zu Hardenbergs Reformen, so etwa in einem Brief an BvA vom 12. März 1809 in bezug auf das vom Staatskanzler durchgesetzte Silberedikt (Verordnung wegen Ankauf des Gold- und Silbergeräts durch die Münzämter):
Dieses neue Edikt macht es endlich den Menschen fühlbar, daß dieser jetzige Zustand gänzlich unerträglich ist, daß kein Krieg so verderblich wie dieser Friede, der bis zum Aermsten selbst das Nothwendigste des Lebens aufzehrt (FDH 7293). Vgl. auch Arnims Klage im Brief an Goethe vom 6. Januar 1811: Es haben einige an wirksamer Stelle so viel Liebhaberey für ihre Idee gewonnen, daß sie das Volk einmal auf einige Zeit wieder nach ihrer Art zum Glück zwingen möchten, der Widerspruch scheint ihnen frevelhaft... (GSA 03/236). 209,17–19 Da werden die Gesetze 〈...〉 bleiben.] Anspielung auf das Beamtentum sowie im folgenden auf die Einführung von Gewerbe-, Einkommenund Vermögensteuer. Das Eindringen des Staates in die Privatsphäre wurde zu Arnims Zeit als revolutionärer Akt empfunden (vgl. Nipperdey 1998, S. 50). Vgl. zu einem Rezeptionszeugnis zu dieser Passage den Überblickskommentar, S. 706.
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Zu: Das Loch
209,19 Kreuzer] Silberne Groschenmünze von geringem Wert, die zwei ineinandergestellte Kreuze zeigt. 209,21 Geist der Zeit] Vgl. den Titel des Buches von Ernst Moritz Arndt (Arndt 1807) – bereits vor Arndts Veröffentlichung nahm die Formel Geist der Zeit einen sprichwörtlichen Status ein. 209,26 Lichtputze] Lichtschere zum Beschneiden des Kerzendochtes, hier laut Kluge im übertragenen Sinn als Bez. für jemanden, der diesen Beruf ausübt (vgl. Adelung 2, S. 2054; Kluge Kommentar 1968, S. 105). Vgl. Arnims Gedicht Kanon auf einen Lichtputzer (vgl. Ricklefs 1980, Nr. 670; Werke 5, S. 984). 209,27 Blaffert] Norddeutsche und skandinavische Münze des 14./16. Jhs. im Wert von zwei Pfennigen. 209,28 wer nun 〈...〉 Fingern,] Vgl. das Sprichwort »Wo es an einer Lichtschere fehlt, putzt man das Licht mit den Fingern« (Wander 3, Sp. 127). 209,31 Wir stempeln ein jedes 〈...〉 Zahlen,] Vmtl. Anspielung auf das am 10. November 1810 von der Regierung Hardenberg erlassene Stempeledikt. Diese Umsatzsteuer wurde durch Anbringen einer Stempelmarke oder durch Stempelaufdruck erhoben (vgl. Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit: die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810–1820). Göttingen 1983, S. 179–183). 210,4–5 Da nehm 〈...〉 Schulkammeraden] Vmtl. Anspielung auf Hardenberg, der es gegenüber dem König durchsetzen konnte, seine Brüder aus der Freimaurerloge auf Schlüsselpositionen in Regierung und Wirtschaft zu setzen (vgl. Ingo Hermann, Hardenberg. Der Reformkanzler. Berlin 2003, S. 308). Arnim kritisiert den Nepotismus in der Regierung und den Parlamenten (vgl. dazu Knaack 1976, S. 30, 33, 39). Eine explizite Abneigung gegen das Freimaurerwesen von seiten Arnims, wie Kluge annimmt (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 90), kann indes nicht festgestellt werden. Vmtl. war Arnim während seines Londonaufenthalts selbst Mitglied einer Loge. Das Buch mit der Sign. B 2356 in seiner Bibliothek, das das Freimaurertum von verschiedenen Seiten her beleuchtet und u. a ausführliche Erläuterungen zu den Ritualen von Freimaurerlogen enthält, läßt eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik vermuten. 210,11 Solon] Athenischer Staatsmann, Gesetzgeber, Dichter. 210,17 Winkt mir nicht, 〈...〉 Schiffe,] Bei Ricklefs 1980 nicht zu ermitteln. Das Lied erinnert thematisch an das in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel integrierte Gedicht Ja winkt nur, ihr lauschenden Bäume (in der vorliegenden Ausgabe S. 190,7–16). 210,26–27 Träumend hab 〈...〉 Träumen,] Auch in der Vorlage sehen sich die Königin und der Ritter gegenseitig in ihren Träumen, bevor es zu einem ersten Treffen kommt (vgl. Q, S. 688,14f., S. 688,18f.). Von Arnim hinzugefügt ist lediglich die Jugendfreundschaft zwischen Kaiserin und Ritter.
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Erläuterungen
Hypekakuana] Die Ipecacuanha, auch Hypecacuanha, brasilianische Ruhr-Wurtz oder Brechwurzel, ist eine kleine Wurtzel, so dicke als ein kleiner Feder-Kiel, welche uns gedörret von unterschiedenen Orten aus America zugeführet wird (Zedler 14, Sp. 1235). Als Heilpflanze dient sie in der Homöopathie zur Purgation: Sie purgiret von oben und unten weg, was sich nur lösen lässet, hernach zühet sie die Fibern und Gedärme zusammen 〈...〉 (ebd., Sp. 1236). Sie wurde v. a. zur Heilung der Ruhr ange210,35
wendet. In dieser Wirkung ist sie dem Rhabarber ähnlich, vgl. Erl. zu S. 204,9. Der Hinweis im nächsten V. auf das gelbbraun widerliche Schloß mag als derber Scherz und als Anspielung auf die purgative Wirkung der Pflanze gemeint sein und evoziert die Assoziation »Hypekakuana« – »Kacke« (von lat. »cacare«; es läßt sich demnach zwischen beiden Begriffen auch eine etymologische Verwandtschaft herstellen). – Arnim war im Sommer 1811 selbst an Ruhr erkrankt und von dem Mitglied der Tischgesellschaft, Dr. 〈Heinrich〉 Meyer, kuriert〈...〉 worden, wie er Clemens Brentano am 17. Juli 1811 schreibt (vgl. Steig 1902, S. 275, Nr. 91). Im Oktober desselben Jahres berichtet Arnim außerdem in Briefen an die Grimms, Friedrich Carl von Savigny und Clemens Brentano von seinem Besuch bei Joseph von Görres, dessen Frau und Kinder an der Ruhr krankten (Brief an die Grimms vom 22.–28. Oktober 1811, SPK Nachlaß Grimm 647/II; vgl. außerdem den Brief an Friedrich Carl von Savigny vom 25. Oktober 1811, SPK-NS, sowie den Brief an Clemens Brentano vom 26. Oktober 1811, GSA 03/1050). 211,4 stohl] Arnim verwendet diese ungewöhnliche Form des Präteritums zugunsten eines Reimes auch im Wh–Lied I 44, Der Rattenfänger von Hameln im von ihm hinzugefügten Schlußresümee, V. 39–40. 211,9 posttäglich] An jedem Tag, an dem die Post abgeht oder ankommt (DWb 13, Sp. 2053). 211,31 Der Kindheit holde Schäferwelt,] Anspielung auf bukolische Schäferidyllen und Schäfermode, die jedoch zu Beginn des 19. Jhs. bereits als veraltet galten (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 88). Im folgenden gibt es weitere Anspielungen, vgl. Erl. zu S. 212,16. 212,8–9 Ja wenn du keine 〈...〉 Freund,] Der unvermittelte Wechsel vom Knittelvers zur Prosa, der nur in dieser Replik auftritt, markiert einen Bruch auf performativer Ebene. Die Handlung erhält durch Verwendung der Prosa ein »realistischeres« Moment, die Illusion wird durchbrochen. Zugleich wird die Kaiserin als pragmatisch denkend charakterisiert. 212,9–10 du mußt meinem Rathe folgsam seyn,] In Arnims Q übernimmt der Ritter allein die Initiative und entwickelt eigenständig den Plan, ein Loch durch den Turm brechen zu lassen (vgl. Q, S. 688,20–690,6).
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212,16 Schäfern nach Arcadien] Arkadien ist die von Vergil in den Hirtengedichten Bucolica (42–39 v. Chr.) idyllisch verklärte Landschaft im Zentrum der Peloponnes. 212,17 Auch ich 〈...〉 Arcadien.] Wiederum in Anspielung auf Vergil (vgl. Erl. zu S. 212,16) kommt der Satz, zunächst in der lateinischen Version »Et in Arcadia ego« in der Epigrammliteratur im 17. Jh. vor. Die Formulierung stammt vmtl. von dem Maler Giovanni Francesco Guercino, der die erste bildliche Darstellung des Themas »Tod in Arkadien« schuf (vgl. Panofsky 1976, S. 282). Der Spruch diente häufig als Grabinschrift, um auszudrücken, daß der Tod auch an einem idealen Ort wie Arkadien beheimatet ist. In der Weimarer Klassik erfuhr der Satz eine Umdeutung und wurde von Goethe und Schiller lediglich als Bez. eines idealen Ortes verwendet, an dem sich das jeweilige Ich aufgehalten habe. »Auch ich in Arcadien!« ist Goethes Italienischer Reise als Motto vorangestellt (vgl. Goethe Werke 15 (1), S. 9). In Schillers Gedicht Resignation fungiert Arkadien als Ort der Kindheit, wobei ein elegischer Ton des lyrischen Ichs aufgrund des Verlusts dieses Ortes vorherrschend ist: Auch ich
war in Arkadien geboren, / Auch mir hat die Natur / An meiner Wiege Freude zugeschworen, / Auch ich war in Arkadien geboren, / Doch Thränen gab der kurze Lenz mir nur (NA 2 (1), S. 401–403, V. 1–5). Ins Deutsche übersetzt und in der bei Arnim verwendeten Form begegnet der Ausspruch auch bei Herder, E.T.A. Hoffmann, Eichendorff u. a. (zur elegischen Tradition des Spruchs in der Malerei und Literatur vgl. Panofsky 1976, S. 271–305). 212,27–28 Doch da 〈...〉 passen.] Die Bitte des Ritters an den Kaiser, ihm als Torhüter dienen zu dürfen, ist von Arnim hinzugefügt worden. In der Vorlage gewährt der König dem Ritter lediglich die Bitte, sein Haus an den Turm anzubauen (vgl. Q, S. 689,21–25). 212,32 Ich bin ein Ritter 〈...〉 Tafelrund.] Vgl. Erl. zu S. 204,13. 213,9 Kalk] Im folgenden finden sich einige satirische Anspielungen auf die Freimaurer, die bereits auf S. 213,8–9 der vorliegenden Ausgabe mit dem Wortspiel »Maurer–(Frei)maurer« eingeführt wurden. So könnte auch hier bereits eine Anspielung auf die freimaurerische Terminologie vorliegen. Kalk gilt dort als wichtiges Symbol: Die Bereitung des Kalks zeigt die Vereinigung aller
Dinge untereinander an. Denn gleichwie Ziegel und verschiedne Steine vermittelst des Kalks einen Körper ausmachen, also vereiniget die Lehre des Ordens die Gemüther, so von einander ganz unterschieden, und einander zuwider sind (Allerneuste Geheimnisse der Freymäurer, deren Sitten und Gebräuche bey ihren Versammlungen der Brüder Diener, Lehrlinge, Gesellen, Meister, u. Obermeister. Mit Kupfern. O.O. 1770, S. 79; Arnim-Bibl. B 2356).
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Erläuterungen
213,14 Schürze mit dem 〈...〉 Bande] Parodistische Anspielung auf die Gebräuche der Freimaurer. Gemeint ist hier nicht eine Schürze, sondern der Maurerschurz, die typische Bekleidung der Freimaurer, die als Sinnbild der Arbeit fungiert. In den europäischen Johannislogen sind die Schurze meist mit blauer Einfassung und Bandrosen versehen, die den erlangten Grad bezeichnen. Blau ist zudem die freimaurerische Hauptfarbe (vgl. Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 761–762). Die Parodie auf die Freimaurerei mag eine weitere Anspielung auf Hardenberg sein, der bereits während seiner Amtstätigkeit in Hannover (1771– 1781) Meister der Loge »Friedrich zum weißen Pferde« war und zeit seines Lebens Freimaurer blieb. 213,15–17 Zeichen und stehst 〈...〉 Sprünge,] Erneut handelt es sich hier um eine Anspielung auf einen Brauch der Freimaurer. Jedem Grad des freimaurerischen Rituals ist ein eigenes, aus der Symbolik der betreffenden Stufe heraus entwickeltes Zeichen zugeordnet. Zeichen, ein Geheimwort und ein »Griff« (= eigenartige Form des Händedrucks) konstituieren sich als die wichtigsten Merkmale, die den Freimaurern einen Bruder äußerlich als solchen kenntlich machen (vgl. Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 925). 213,16 Glas] Hier wird vmtl. auf den zylinderförmigen Trinkbecher angespielt, der v. a. in englischen Logen des 18. Jhs. verwendet wurde (englisch »mug«). Eigtl. ist er nicht aus Glas, sondern aus Ton oder Steingut. Die »mugs« wurden zum Punschtrinken genutzt (vgl. Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 445). 214,4–6 Auch ist es das Beste 〈...〉 brachen.] Diese satirische Anspielung auf die eigene Zeit enthält zum einen eine Kritik an der fehlenden Entwicklung, die Arnim in der Reformpolitik Hardenbergs zu erkennen glaubt, zum anderen könnte ein impliziter Verweis auf den Reichsfreiherrn vom und zum Stein enthalten sein, der auf Befehl Napoleons im November 1808 aus seinem Amt als preußischer Wirtschafts- und Finanzminister zurücktreten mußte. Dieser vertrat »den Grundsatz, daß die Teilnahme der Nation an Gesetzgebung und Verwaltung bei einer Reform des Staatswesens beachtet werden müsse« (Kluge Kommentar 1968, S. 91), eine Auffassung, die Arnim teilte. 214,8 Blanken] Mitteldt. Ausdruck für eigtl. Planken. 214,15–18 Ich möchte so gern 〈...〉 spielen.] Von Arnim hinzugefügt. In der Q wird nicht erwähnt, wie der Ritter den Maurer dazu überredet, ein Loch durch den Turm zu brechen. 214,29 Kelle] Die Kelle stellt das symbolische Werkzeug der Freimaurer dar, das Sinnbild der verbindenden Arbeit innerhalb der Bruderschaft (vgl. Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 460). 214,31 Schwerdt] Kasper bedient sich der Kelle, der Ritter des Schwertes. Kelle und Schwert stehen bei den Freimaurern in enger Verbindung. Das
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Schwert ist »Sinnbild des Heldentums, der Schützer der Einigkeit, das Symbol der Gerechtigkeit und Waffe im Kampf für die Wahrheit« (Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 461; zur Kelle vgl. Erl. zu S. 214,29). Hier parodistisch verwendet, da Kasper durch den Schwerthieb getötet wird. In der Q wird der Maurer ebenfalls vom Ritter umgebracht (vgl. Q, S. 689,33–690,1). 215,2–3 Je mehr ich 〈...〉 schauen,] Die Szene erinnert an Goethes Ballade Der Zauberlehrling, in welcher der in zwei Teile zerschlagene Besen nicht davon abzuhalten ist, weiterhin Wasser herbeizutragen (vgl. Goethe Werke 2 (1), S. 141–144, hier S. 143, V. 67–83). Kluge vermutet eine Parallele zu Justinus Kerners Reiseschatten (Kerner 1811; Arnim-Bibl. B 1270), bei dem sich die Figuren bei einem Auftrittswechsel »auseinanderlegen und gleichsam multiplizieren« (vgl. Kerner 1811, S. 22; 26; 37; 44; passim). Da sich das in Kerners Erzählungen dargestellte Schattentheater der Technik der Laterna Magica bedient, liegt dort ein anderes Spielverfahren vor: Während die Silhouettenfiguren in Arnims Schattenspiel aus Pappe geschnitten sind, werden bei der Laterna Magica auf Glas gemalte Bilder an eine Wand projiziert. Das Austauschen bzw. Übereinanderschieben der Glasplatten führt dazu, daß eine Figur durch eine andere ersetzt wird, so daß es zu einem multiplikatorischen Effekt kommt.
215,4 Ich will euch 〈...〉 Suppentopf,] Das Aufbewahren eines zerstückelten Menschenkörpers in einem Topf ist ein geläufiges Sagen- und Märchenmotiv. In Johann Gustav Büschings Volks-Sagen, Märchen und Legenden (1812) findet sich z. B. in der Sage Nr. 53 Der durch einen Poltergeist getödtete Knabe, eine ähnliche Stelle: Ein näschiger Küchenbube trinkt die Milch, die dem Poltergeist des Hauses allabendlich hingestellt wird. Als dieser sein
Milchnäpfchen leer fand, erzürnete er heftig, ergriff den frechen Thäter, zerriß ihn, hackte ihn in kleine Stücke und steckte ihn in einen irdenen Topf (Büsching 1812, S. 208–209, hier S. 209). Vgl. auch die Sage Kobold Hütchen zu Hildesheim (ebd., Nr. 80), in der ein Küchenjunge ebenfalls zerstückelt und in einem Topf gekocht wird (vgl. ebd., S. 385–387; ähnlich in Grimm 1816, Nr. 74,
Hütchen,
S. 97–103).
216,7 Krippensetzer] Ursprgl. Bez. eines Pferds, das die Vorderzähne auf die Krippe setzt, hier im übertragenen Sinne für »zänkischer Mensch« (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 105). 216,9 Und schenk dir 〈...〉 schenkte,] Aus der Q übernommen (vgl. ebd., S. 690,6–7). 216,27–29 Wer weiß, 〈...〉 besehen,] Eine ähnliche Szene begegnet in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 243,28.
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Erläuterungen
217,2 Orden vom Hosenträger,] Vmtl. satirische Anspielung auf den im 14. Jh. durch den engl. König Edward III. gestifteten Hosenbandorden, die höchste britische Auszeichnung (engl. »The Most Noble Order of the Garter«; vgl. Zedler 10, Sp. 957–958). 217,18–19 Nun sagt mir 〈...〉 prange.] Vgl. Q, S. 690,14–16. 218,8 Victoria, die 〈...〉 weh,] Von Arnim hinzugefügtes Schwankmotiv, das auch in anderen Schaubühnen–Stücken verwendet wird, vgl. Der wunderthätige Stein, Erl. zu S. 261,12–13. 218,35–36 zerstückten Rath 〈...〉 Verrath.] Diese Form von Kannibalismus begegnet auch in Märchen, z. B. in dem von Philipp Otto Runge gelieferten Beitrag für die ZfE, Von den Machandel Bohm (ZfE, Sp. 229): Dort köpft die Mutter den Stiefsohn und setzt ihn dem Vater zum Abendessen vor. Die paronomastische Verbindung von »Rath–Verrath« ist ein typisches Verfahren Arnims, vgl. Erl. zu S. 204,9, S. 209,9, S. 228,11–25 sowie allgemein S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 219,1–2 Nein, das ist 〈...〉 Schattenspiel.] Die parabatische Durchbrechung des Spiels durch die selbstreferentielle Thematisierung des Spiels im Spiel begegnet in der Romantik häufig, v. a. bei Ludwig Tieck (vgl. dazu Japp 1999, S. 29–35). 220,31–32 euer rother 〈...〉 gesund.] Vgl. den im Wh auftretenden Paarreim Küß mir den Mund, ich bin gesund (Wh II 214, V. 19–20, Es ist der Mensch weh und ach So 〈sic〉 tausendfach). 220,34 Ein Küßchen 〈...〉 abschlagen.] Vgl. das Sprichwort »Einen Kuss in Ehren kann niemand verwehren« (Wander 2, Sp. 1733, Nr. 16), bei Arnim aufgrund des Reims leicht abgeändert. 221,15 gestapelt] Stapeln: bezeichnung eines langsamen, steifen schreitens (DWb 17, Sp. 854). 222,23 Der Wind ist gut,] Es liegen keine weiteren Fassungen zu diesem Lied vor, vgl. Ricklefs 1980, Nr. 321. 223,20–21 ich hol 〈...〉 armen Tropf.] Die Wiederbelebung Kaspers erinnert an die des Vivigenius in Die Appelmänner, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 325. – Die in England entstandenen »mummers’ plays«, die vmtl. im MA. aufkamen und deren Spieltexte erst im 19. Jh. schriftlich fixiert wurden, sind hier wegen der thematischen Ähnlichkeit ebenfalls zu nennen. In diesen Stükken wird stets als zentrales Element der Handlung eine der auftretenden Figuren (oft ein türkischer Ritter) getötet und später von einem herbeigerufenen Arzt wieder lebendig gemacht. Vgl. dazu Brody 1970, S. 47–59 sowie Erl. zu S. 325,4–6 zu Die Appelmänner.
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Zu: Das Loch
225,3 Liebesjecken] Narr aus Liebe (vgl. DWb 10, Sp. 2284). 225,4–5 Führt einst Helena 〈...〉 bannen,] Anspielung auf die Entführung Helenas, der Gattin Menelaos’, durch Paris. Damit zitiert Arnim neben den Rittern der Tafelrunde (vgl. Erl. zu S. 204,13) ein weiteres berühmtes mythologisches Bsp. für Ehebruch bzw. für die Entführung einer Frau durch den Rivalen. 225,21 ahnde] Zum Gebrauch des Nomens »Ahndung« bzw. des Verbs »Ahnden« vgl. Erl. zu S. 29,17 zu Der Auerhahn. 225,26 ich hätte wie 〈...〉 Sparren.] »〈V〉olkstümlich, ich wäre im Kopfe nicht ganz in Ordnung« (Kluge Kommentar 1968, S. 105). 225,30–32 So werden wir auch die Leute anführen, 〈...〉 seyn.] Der Kaiser, der von seiner Gemahlin und dem Ritter getäuscht wurde, will nun seinerseits das Volk täuschen und zieht sich von seinen Regierungsgeschäften zurück. Während in der Q der König über die Untreue seiner Gemahlin und des Ritters klagt (vgl. Q, S. 693,9–12) und die Kaiserin der Rahmenerzählung die Warnung vor zu großer Gutgläubigkeit artikuliert, potenziert Arnim das Geschehen, indem der Getäuschte andere täuscht und dabei erneut zu Schaden kommt. »Die Täuschung, die sich über sich selbst täuscht, ist ein Zentralmotiv in Arnims Dichtungen. So löst ein Scherz den andern ab, und durch eine Folge an sich belangloser Schwanksituationen rundet sich das Stück zu einer arabeskenhaften Form« (Kluge Kommentar 1968, S. 94–95). 226,4 C h o r d e r S c h l o ß g e i s t e r .] In Anlehnung an den Chor der antiken Tragödie erfolgt hier eine Kommentierung des Geschehens mit deutlicher Akzentuierung der Freiheit als notwendig in der Natur des Menschen verankerte, aber gleichzeitig zerstörerisch wirkende Kraft (vgl. zum ambivalenten Freiheitsbegriff an vorhergehender Stelle Erl. zu S. 205,12–13). Der Chor setzt reflektierend die Kaiser- und Kasper-Regierung mit dem Werk des Teufels in Verbindung, deutet aber gleichzeitig eine Lösung des Konflikts an, der sich am Ende des Stückes realisiert (vgl. Kluge Kommentar 1968, S. 96–97). 226,14 Menschenkraft] Vgl. die Verwendung des Begriffs in Arndts Geist
der Zeit: Wo die Menschenkraft wirkt, will ich Schöpfung sehen, denn zum Erschaffen und Bilden ist der Mensch auf Erden. Was hat eure Schwärmerei gethan, gewollt, wo ist sie geblieben? was thut, was will sie noch? Wo sie Verwilderung und Knechtschaft bringt, da war sie eine Schwäche, eine Krankheit, die mit dem Tode endigt (Arndt 1807, S. 119–120). 226,35–227,1 Ich nehme 〈...〉 Leid,] In der Usurpation des Kaiserthrones durch den Teufel, der im folgenden den Krieg herbeiführt, könnte eine Anspielung auf Napoleon gesehen werden. Für Arnim ist Napoleons Konzentration auf
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Erläuterungen
das Militärische dämonisch (vgl. Barth 1993, S. 121). Zwar entwickelt sich bei Arnim über die unmittelbare Begegnung mit ihm eine differenziertere Meinung, Arnims Abneigung gegen die Ungerechtigkeit in bezug auf die Freiheitsidee bleibt aber weiterhin bestehen (vgl. dazu Werke 6, S. 200–201). 227,6–9 Wenn ihr geistige Thorheit 〈...〉 wohlgefällt,] Der Teufel ist hier Allegorie für zerstörerisch wirkende Kräfte und steht in der »manichäisch-dualistischen Tradition vom Teufel als Repräsentanten des Irdisch-Materiellen und Feind alles Geistigen« (Barth 1993, S. 118). In Arnims Schrift 〈Es musste ein Krieg sein〉 wird ein ähnliches Teufelsbild entworfen: In der Vernunft ist Gott, Unvernunft ist der Teufel (Werke 6, S. 190). 227,18 Bald haben 〈...〉 Invaliden,] Neben der parodistischen Anspielung auf die Französische Revolution (vgl. Erl. zu S. 227,29–34) findet sich hier eine Implikation auf die napoleonischen Kriege und die Kriegsinvaliden in der Zeit von 1806–1813. 227,23–24 Die Offenbarung 〈...〉 Kraft.] Vgl. die in der Offenbarung geschilderte Vision, in der der Tod und die ihm nachfolgende Hölle Macht über den vierten Teil der Erde erhält und wo durch Schwert, Hunger, Pest und wilde Tiere die Menschen getötet werden (Off 6, 8). Wenn die Offenbarung abgeschafft wird, entfällt ihre warnende Funktion. Zu einem weiteren apokalyptischen Szenario, das jedoch mit anderen Motiven und Symbolen arbeitet, vgl. Die Appelmänner. Johannes Barth weist darauf hin, daß die zeitgenössischen Kriegsereignisse mit der Apokalypse in Verbindung gebracht und Napoleon durch anagrammatische Buchstabenumstellung mit dem Teufel Apollyon identifiziert wurde (vgl. Barth 1993, S. 121). 227,29–34 T h i e r e . Wir 〈...〉 Thieren.] Sprechende Tiere treten häufig in Märchen und Sagen auf. Die hier dargestellte verkehrte Welt kann als »Parodie der entarteten Revolution« (Barth 1993, S. 119) verstanden werden. Arnim steht dem Ergebnis der Französischen Revolution kritisch gegenüber. Insbesondere das »Gespenst der Gleichmacherei« ist ein in Arnims Werk vielfältig verwendetes und gestaltetes Motiv (vgl. Zagari 1979, S. 28). Statt für eine durch Gewalt und Erniedrigung erzwungene Gleichheit setzt sich Arnim in dieser Zeit für den Verdienstadel ein (vgl. Knaack 1976, S. 13, 83; Zagari 1979, S. 28–50). 228,6 apart] bei seite (DWb 1, Sp. 532). 228,11–25 steif in dem Rücken, 〈...〉 berücken,] Die Verwendung von Paronomasien (hier »Rücken–berücken«) ist für Arnim typisch, vgl. für weitere Bspe. Erl. zu S. 204,9, S. 209,9, S. 218,35–36 sowie allgemein S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 228,24 Affen] Der Affe gilt im MA. als Tier des Teufels, das von ihm als mißratenes Geschöpf geschaffen wurde (vgl. Rudolf und Susanne Schenda, Af-
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Zu: Das Loch
fe, in: EdM 1, Berlin, New York 1977, Sp. 137–146, hier Sp. 138). Auch in Arnims Päpstin Johanna wird dies thematisiert, vgl. WAA 10, S. 9: Daß er 〈der Teufel〉 gleich Gott sich Menschen möchte schaffen, / Und schuf
bis jezt doch nur die leidgen Affen. 228,24–25 Kaiser und Kasper 〈...〉 machen.] Die Szene erinnert an künstlerische Darstellungen des »mundus inversus« auf Inkunabeln und Flugblättern im 16./17. Jh. Die dargestellten Inversionen zeigen die Vertauschung der Pole binärer Oppositionen und bilden z. B. die Rollenvertauschungen, die etwa die des Jägers und des Hasen oder die des Bettlers und des Königs betreffen. Die Vorstellung der verkehrten Welt als Gegenwelt zur göttlichen gehört zu den religiösen Anschauungen im Barock, stellt aber auch vorher einen weit verbreiteten Topos dar. Sie rangiert zwischen scherzhafter Spielerei und satirischer Auseinandersetzung mit der Realität, die auf eine Infragestellung der gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen abzielt (vgl. v. a. Michael Kuper, Zur Semiotik der Inversion. Verkehrte Welt und Lachkultur im 16. Jahrhundert. Berlin 1993, S. 10–18; Petra Kabus, Verkehrte Welt. Zur schriftstellerischen und denkerischen Methode Grimmelshausens im »Abentheurlichen Simplicissimus Teutsch«. Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1993. (Europäische Hochschulschriften Reihe I, Bd. 1416), S. 6). 230,19 We i ß f i s c h ] Mundartlich alle Fische, die weiße oder silberfarbene Schuppen haben (Adelung 4, S. 1468; DWb 28, Sp. 1209). 230,34 Friedensreis] Zweig eines Baumes, der als Friedenszeichen fungiert (vgl. DWb 14, Sp. 714). 231,12 lavieren] Im Zickzack gegen den Wind ansegeln (vgl. DWb 12, Sp. 394). 231,24 Staatsaction] Bez. für ein schauspiel worin staatsbegebenheiten dargestellt werden (DWb 17, Sp. 287). Die Dramengattung geriet unter Gottscheds Einfluß in Mißkredit und kann auch eine pomphaft in scene gesetzte verhandlung (ebd., Sp. 289) benennen.
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte.
Ein Pickelheringsspiel Quelle: Ein lustig Pickelherings Spiel / von der schönen Maria vnd alten Hanrey, in: ECuT I, hg. v. Friedrich Menius S. 648–688.1
Ein lustig Pickelherings Spiel / von der schönen Maria vnd alten Hanrey.
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Personae. Hans Pickelhering. Alter H a n r e y . Braut Vater. M a r i a die Braut. P e t e r / Hanreys Sohn. Soldat. Nachbar.
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A l t e r H a n r e y . Holla / holla / mein getrewer Diener Hans mein lieber Diener wo bistu? H a n s . Hie hie alter Narr bin ich. A l t e r . Wie sagstu Hans? Mein Hans wie sagstu? H a n s . Wie sollte〈...〉 ich sagen / ich sagte alter Herr. Ad spectatores. Alter Schelm. A l t e r . Höre Hans mein getrewer Hans / morgen werd ich Hochzeit halten / ja Hochzeit werde ich halten. 1
Die für den Abdruck in dieser Ausgabe verwendete Vorlage von 1620 weist keine Zäh-
lung auf, die hier erfolgende Darbietung des Dramentextes wurde paginiert. Dies betrifft auch die Q zu
Der wunderthätige Stein sowie Jemand und Niemand. 725
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
H a n s . Hochzeit machen / mein Herr? O sagt mir es doch / was wird es doch für eine Braut seyn / lieber Herr? 650 A l t e r . Meine Braut ist noch eine reine Jungfraw / Ja eine gar reine schöne Jungfraw / kennestu nicht die schöne Mariam von langen Margte / daß das wird die Braut seyn / mein getrewer Hans? H a n s . Ad spectatores. Ho ho die offenbahre Hure / von welcher jederman zusagen weiß. A l t e r . Aber höre mein Hans / du must nun zu helffen praepariren vnd fertig machen / die bundeste Kuhe muß abgeschlachtet werden / darbey darbey werden wir vns frölich machen / auch der arme Bock / auff den ich offt geritten / muß vmb dieser Hochzeit willen auch sein Leben verlassen / gehe nun hin / mein lieber getrewer Hans vnd bestelt mir dieses / aber zuvor gehe hin vnd hole jo die Braut / vnd Braut Mutter. H a n s . Ja mein Herr ich wil hingehen / vnnd sie holen. Gehet hinein. A l t e r . Nun wirts nicht lang wehren / so kömpt mein Tugentreich Maria / mein liebe Braut / vnd werden Hochzeit machen / ja Hochzeit werden wir machen / O ich bin so alt nicht / wie man 651 mich wol ansiehet / mein schön Maria sol es noch wol erfahren / drey / wo nicht 4. Söhne wil ich noch mit ihr zeugen / ich bin noch so frisch auff mein Beinen / frisch auff / frisch auff. Springet ein wenig in die Höhe. Also kan ich noch / meine liebe Braut ist so ein Tugentreiche Jungfraw / O gar Tugentreich / daß ihrs gleichen auch nicht in der gantzen Stadt zu finden / wie ihr Vater gesagt. Sieh da sieh da kömpt mein allerliebste Braut / der Vater vnd Braut Bruder. Va t e r . Glück zu Glück zu lieber alte. A l t e . Habt danck habt danck / seyd mir von Hertzen willkommen / Braut Vater / Braut Br〈u〉der / aber mein schön Maria mein Zukkerdöckchen / von Hertzen 1000 mal willkommen / O mein schön Maria / wie habt ihr mich geängstiget / fürwar weret ihr nicht bald gekommen / hette ich zu euch kommen müssen / O O mein gebt mir ein Kuß. Sie speyet an die Erde.
Va t e r . Lieber alter hier bring ich euch meine liebe Tochter Marien / vmb welche ihr habt werben lassen / sie für ewer ehlich Weib 726
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zunehmen / so thue ich sie euch hie vbergeben / vnd wünsche euch ein langes Leben. A l t e r . Nun nun Maria seyd ihr mein mit Haut vnd Haar / O Maria bey alten Männern ist sachte schlaffen / ich bin noch frisch / O bin noch starck / saget aber liebet ihr mich auch sehre. M a r i a . Warumb nicht hertzlieber Breutgam / von Hertzen thue ich euch lieben / also das ich auch mein Leben für euch lassen wolte / verhoffe auch ihr immer trewe Liebe von mir erfahren solt. A l t e r . Das ist grosse Liebe / das Leben für mich lassen / O mein Lämmichen vnd mein Schäffchen wie sehr erfrewt ihr mich / ja das Leben für mich lassen / nein mein vorige Fraw hat nimmer solches für mir thun wollen / O schon / O mein Zuckersüsse Maria nur ein Küßchen.
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Küsset / sie speyet auß. 15
Ja süsser wie Honig / nun last vns hinein gehen / Braut Vater Braut Bruder / vnnd Hochzeit machen / aber drey Stuffe Wein / ja drey Stuffe Wein sollen vmb meiner Braut willen noch verdruncken werden. Gehen hinein.
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ACTUS SECUNDUS. P e t e r . Jetzt bin ich durch langwirdig reisen / wieder in mein Vaterlandt kommen / vnd diß ist das Hauß meins Vaters / viel Glück auch Vnglück habe ich erfahren / in den 6. Jahren / do ich von hie gewesen / darbey meine studia mit allen Fleiß tractiret / würde ich nun mein alten Vater lebendig zu Hause finden so solt mein Hertz mit Frewde die Fülle gesettiget werden. H a n s kömpt. Hochzeit Hochzeit / ho ho wen sehe ich da / ist ers / oder ist ers nicht / mich düncket nicht anders sol vnser Monsier Peter seyn / ja / er ist es leibhafftig / O Herr Peter Herr Peter / in hundert Jahren nicht gesehen / wolt ihr nicht mehr / seyd willkommen zu Hauß. P e t e r . O ho noch der alte Hans / habt danck / habt danck / lange nicht gesehen / aber nicht hundert Jahr. H a n s . O ihr kommet gleich weret ihr geruffen / denn heute helt ewer Vater Hochzeit mit einer schönen jungen Madonen. 727
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
P e t e r . Ich bin darumb erfrewet / aber gehet hin saget dem Vater mein Ankunfft. 654 H a n s . Es sol geschehen / holla / holla mein Herr wer seyd ihr / kömpt eilents herauß? A l t e r . Was ist da / mein getrewer Hans / mein alter Hans? H a n s . O Herr vnser Vater 〈sic〉 ist zu Hauß kommen / vnd hat solch einen grawsamen / grossen runden Bart gleich einen Holendischen Käse. A l t e r . Ho ho eine Frewde / ein Frewde vber die ander / zeuge mir meinem lieben Sohn / drawn ich in 6. Jahren ihn nicht gesehen.
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Zeuget ihm / gehet vor ihm auff die Knie sitzen.
O mein Sohn Peter / einen Bart / einen grossen Bart zugelegt / daß ist mein Sohn / willkommen mein Sohn / mein liebster Sohn. P e t e r . Ich dancke euch mein liebster Vater / die höchste Frewde / so ich jemals empfangen / ist diese / das ich euch in Gesundtheit wieder finde. 655 A l t e r . Stehe auff mein lieber Sohn / du bist nun kommen zu rechter Zeit / denn ich jetzt Hochzeit halte / Hochzeit / hastu auch Comoedien womit du die Hochzeitleute lustig machest. P e t e r . Viel Glück vnnd Heil thue ich euch wünschen / ihr sehet aber lieber Vater / das ich gar vbel bekleidet / darumb bitte ich / gebet mir / gebt daß ich mich zuvorkleide. A l t e r . O mein Sohn sag mir von keinen Geldt / keinen Geld / die Kleider seyn noch gut genug. P e t e r . O liebster Vater warumb wollet ihr so vber mir kargen / meine Kleider sehet ihr / seyn nicht hochzeitlich / nun sagt mir erst auß welchen Geschlecht ist die Person / mit welcher ihr jetzt Hochzeit habt. A l t e r . Mein Sohn verwundern soltu dich / es ist eine von Adel / aber Geldt hat sie wol nicht viel / sondern schöne Kleider / Kleider die schöne Maria von Langenmarckte / kennestu die nicht.
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Verschrickt. 656
P e t e r . O verfluchte Stunden / verflucht der mich darbey gebracht. A l t e r . Warumb / warumb mein Sohn Peter / mein Sohn Peter / dann alle Leute loben ire Schönheit / O mein schön Maria hat mich so hefftig lieb / so hefftig lieb. 728
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P e t e r . Ja wol lieb haben / Vater vbel seyd ihr gefahren / von ihrer Leichtfertigkeit / vnd hören loben / weiß nun ein jedermann zusagen / ja wie sie auch in dero Laster offentlich betroffen / O warumb habt ihr nicht in ein ehrliches Geschlechte gefreyet / pfuy der böse bestia, hastu meinem alten Vater noch zu Theil müssen werden. A l t e r . Speyet ihn an. Was / wie du ehrloser Schelm / pfuy gehe mir auß den Augen / meine Fraw eine Hure? meine Fraw eine Hure? O du Schelm / meine Maria meine fromme ehrliche Fraw hat mich lieb / das wunder ist / ja grewlich lieb hat sie mich / du Schelm gehe nur auß meinen Augen. P i c k e l h e r i n g . Wo zum Teufel Peter kompt ihr / vnd sagt die Wahrheit. A l t e r . Die Wahrheit / die Wahrheit / wann ir Schelmen vber einen Hauffen.
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Jaget sie zusammen auß dem Hause.
Meine Fraw ein ehrliche Fraw / hat mich so grewlich lieb / daß mans kaum glauben kan / so lieb hat sie mich / ja meine ehrliche Fraw. Jetzt kömpt herauß vnd spricht. 20
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M a r i a . Man sagt ein Sprichwort / ein harte Nuß ein stumpffer Zahn / ein junges Weib ein alter Mann / zusammen sich nicht reumen / vnd fürwar es kan sich auch nicht reumen / denn ich erfahre es am meisten / drumb weiß ichs / ich habe meinen alten Narrn im besten Strick genommen / bey dem solt ich mein junges Leben zu bringen / er sol Mann heissen / hat doch noch keine Manbare Stärcke sehen lassen / fürwar ein Knabe vonn sechzehen Jahren solte ihme im VenusStreit weit vberlegen seyn / er ligt bey mir in Bette / fein stille / der alte Narre meynet mich nicht im Schlaffe zu / verstöre do ich doch viellieber die gantze Nacht wache denn schlaffe / aber in der Warheit ich wil dirs bezahlen / wie du solt ein jung Weib nehmen / vnnd ihr nicht gnug zu thun vermögest / NonnenFleisch ist warlich mir nicht gewach sen / es were Schande / solte ich dem Hanrey nit ein baar Hörner auffsetzen. S o l d a t . Steht in Gedancken / vnd spricht hernach. Potz Element / wie wil es mit mir werden / weil mein Seckel lehr / vnd kein Gelt mehr bey mir vorhanden / zwar wo nicht junge Frawen das beste thun / werde ich beym Element müssen den Bawren die Hüner weg 729
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stehlen / wunder was ich suche /:/ stundt ich zu rechter Zeit / Glück zu /:/ Hertzliebe Maria lang nicht gesehen / auch lang nicht mit einander frölich gewesen / auch lang nicht die Laute geschlagen. M a r i a . Seyd mir willkommen mein lieber Soldat / fürwar vber ewre praesentz bin ich zehen mal mehr erfrewet / denn vber meines Mannes. S o l d a t . Ich dancke euch schöne Maria aber / wanne wanne / ich bitte euch sagt mir die Wahrheit? 659 M a r i a . Ja glaubt mir ich habe einen Mann / den alten Kuntzen / den alten Kröler denselben ihr wol kennet. S o l d a t . O ho wie solt ich den alten Geitz Teufel nicht kennen / fürwar ihr habt nicht Närrisch gefreyet / denn pecunia ist da die Fülle / mein schön Maria man kan ihm helffen / ihr wisset ich euch ehe bey gestanden / des Sinnes ich noch bin / denn ich nicht kan von euch lassen / weil ich euch von Hertzen lieben thue / ihr wisset da ich von hier zog / war ich mal bekleidet / Goldt vnnd Silber thet mir nichts mangeln / In Summa ich hielt mich wie einen praven Cavelirer wol anstehet / ihr wie euch wol bewust / thetet meiner am meisten geniessen / nun aber ist es schon nicht mit mir so beschaffen / denn in Krieg ich alles verzehret / darumb liebe Maria / ich bitte euch helffet mir wiederumb / ich euch auch helffen will / vnd zu dienen gefliessen seyn / bey Tag vnnd Nacht / wollet ihr mir so viel thun / vnnd in meiner Herberge für mir bezahlen / alles was ich verzehre / so thut ihr mir fürwar den angenehmesten Dienst / O mein schöne Maria / seyd eingedenck.
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Küsset sie. 660
Ihr könnet es wol thun / denn ewers alten sein lang außgesamleter Schatz kan solches alles wol außführen? Was sagt ihr hierzu / meine liebste vnd schonste Maria / vber alle Welt ich euch lieben muß. M a r i a . Dafern ihr ewer Zusage steiff vnd fest halten wollet / bin ich resoviret / alles vor euch zubezahlen was ihr schuldig seyd. S o l d a t . Nicht halten? So müst ich ein toller Narr seyn / beym Element ich hab es ehe gehalten / durch mein groß Müh vnd Vnkosten wie euch selber bewust. Da habt ihr meine Handt / ich gelobe euch daß er steiff vnd feste sol gehalten. Fürwar begehrt ihr mich heint folgende Nacht / ich komme / vnd solte ich gleich in finstern / eine gleiche Mawre hinauff klettern so wage ichs / vnd were gleich darzu noch ein Fewer / so komme ich hindurch. 730
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M a r i a . Gar wol / wir vns förder von solchen Sachen bereden wollen / legt euch zur Herberg wo ihr wollet von mir sollet ir genug empfangen zu bezahlen. S o l d a t . So sag ich euch höchlich danck schön Maria / wie hoch ich euch betrübet war / je höher ich mich nunmehr erfrewet / fürwar voller Frewde bin ich / ich muß einmal mit euch ohne Musica tantzen.
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Singet fa la la la fa la la. Interim kömpt der alte. Soldat küsset sie / alt reisset die Augen auff / sie tantzen fort. 10
A l t e r . Ach ach ach ach / fa la la la la mich zum Hanrey / wil er machen fa la la la / fa la la la. Nicht lang darnach schlegt er mit der Krücken darzwischen.
Fa la la la fa la la la. Pfuy du Kerl die Nase wil ich dir abschneiden. Sie verschrecken / sie stellet sich gar betrübet gleich als weinete sie. 15
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Fa la la la :/: Wor zum Teufel Maria wollet ihr mich nun zum Hanrey :/: Ich mercke wol ihr wollet mich zum Hanrey machen / nein lange nicht / darzu habe ich euch nicht genommen / was wollen die Leute davon sagen / gehet mit mir nach Hauß /:/ Mein Maria ir steht jetzt wol vnd weinet bitterliche Thränen / darumb daß ich euch geschlagen / aber ihr habt auch Schuldt / ihr habt mich vervrsachet: / : Weil ihr mit einen frembden Mann tantzet / fa la la la la fa :/: Ich hett solches noch wol lassen gehen / aber dieses verdreust mich daß der Kerl der grewliche Kerl / euch solch ein Kuß gab wie ich pflege. Ihr seyd mein liebes Lämbchen / weint nicht / den grewlichen Kerl aber wil ich die Nase / nun wil ich sie ihn abschneiden. Zeucht seinen Rühting auß / wil zu ihm.
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S o l d a t . Beym Element so du wilt Nasen abschneiden / so neme ich dir deinen rostigen Dolch / vnd wil dir deinen vorerst abschneiden / vnd wil sie dir in deinen Wadsack oder Taschen stecken. Alt leufft zu rücke.
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A l t e r . Maria daß muß der Teufel selbst seyn / er wil mir die Nase abschneiden / vnd ich hab in nichts gethan / sagt er woll mir die Nase in mein Tasch stecken / worin ich mein Geldt verwahre. M a r i a . O wie hefftig bin ich erschrocken / hertzlieber Mann wie vbel / O wie gar vbel habt ihrs gemacht / der da mit mir tantzete / vnd den ihr geschlagen / derselb ist vnser Schwager / ja vnser 731
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
Schwager ist er / auff vnser Hochzeit hat er kommen wollen / vnd gemeint daß sie nun erst seyn würde / Wie vbel habt ihr ihn willkommen heissen / was mag der Schwager gedencken. S o l d a t . Er mag des Teufels Schwager seyn / vnd fürwar Fraw Schwägerin schonete ich seyn nit ewrenthalben / ich wolt ihme den alten Bart gantz vnd gar außreissen / ich habe viel Schwäger / ja wenn ich sie solte zusammen rechen / so würde ich ihr wol vber 100. haben / aber so hat mich mein Tage noch keiner willkommen geheissen wie er / schade ist es vmb euch Fraw Schwägerin / vnd es thut mich jammern / daß ihr so einen vberauß bösen Mann bekommen / bey welchen ihr keinen einigen guten Tag haben werdet. A l t e r . O Monsier Schwager / vergebt es mir / weil ich nicht gewust / daß ihr vnser Schwager waret / mein Monsier Schwager seyd doch freundlich / seyd doch freundlich willkommen. Mein lieber Herr Schwager. S o l d a t . Wolan vmb der Fraw Schwägerin willen / ichs euch vergeben thue / daß / ihr mich so grewlich geschlagen / wil ich vergessen. 664 A l t e r . So mein lieber Schwager seyn wir gute Schwäger wieder worden / ich bitt kommet mir ins Hauß / da wollen wir Mahlzeit mit einander halten / wil es also vergelten daß ich euch so vbel vnd vnschuldig geschlagen / vergelten wil ichs / denn ihr solt mit vns essen. S o l d a t . Ob ich euch wol lieber dieses vergeben / so kan ichs dennoch nicht vergessen / mit euch ins Hauß zu gehen habe ich in bedencken / denn wenn ich ins Hauß were / sollet ihr wol wieder auffs new auff mich anfahen zu schlagen / nein ich wil nicht mit gehen. A l t e r . O Monsier Schwager fürwar ich euch nicht schlagen wil / fürwar nicht / frommer Schwager seyn wil / mein ehrlicher Schwager kompt mit mir ins Hauß mein Schwager. S o l d a t . Solch ein Narr muß ich nicht seyn / die Schmertzen der Schläge mir noch hefftig wehe thun. Derhalben liebe Fraw Schwägerin ade / bleibt günstig vnd seyd Gott befohlen. 663
Stellt sich gleich als wolte er weg gehen. 665
A l t . Meine liebe Maria / laufft / haltet / bittet ihn fleissig / daß er bey vns bleibe. 732
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M a r i a . Mein geliebter Schwager / vergebet es meinem hertzlieben Mann / weil es ihn vnbewust daß ihr Schwager gewesen / ich bitte bleibet bey vns / vnd haltet mit Mahlzeit. S o l d a t . Fraw Schwägerin / weil ihr so sehr bittet / wil ich ewrethalben bleiben / wiewol ich mir gäntzlich fürgenommen / hie nicht zuverharren / ich wil mit euch einkehren. A l t . Mei〈n〉 lieber Schwager / wie hoch erfrewet ihr mich / daß ihr bey vns bleiben wollet / ich bitt / vergest es gantz v〈n〉d gar / vnd bleibet doch allezeit mein Schwager. S o l d a t . Zuvor ich es euch nur halb vergeben hatte / nun aber wil ich es euch gantz vergeben / vnd allezeit ewer lieber Schwager seyn. A l t . Nun nun bin ich mit meinem lieben Schwager wieder zu recht kommen / so folget mir nur eben nach / mein lieber Schwager / denn ich muß es vergelten / wir nun zusammen essen wollen / folget mir mein lieber Schwager. S o l d a t . Der Herr Schwager gehe nur voran / ich wil ihn wol folgen.
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Der Alte gehet hinein / der Soldat gehet mit Fraw Maria hinter ihme / vnd küssen sich / wenn sich der Alte vmbsiehet / lassen sie es bleiben / biß er wieder vor sich geget / so küssen sie sich wieder. 20
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A l t e r . Hum / hum / hum / alle meine Nachbarn / hum hum / hum / die thun mir sagen / hum / hum / hum / wie meine Fraw Maria / hum / hum / eine lose Hure seyn / hum / hum / hum / vnn bey den Schwager auch wol schlaffen sol / wol schlaffen sol / hum / hum / welches denn traun ein grosses were / ein grosses were / hum / hum / ich kan es nicht gläuben / noch nicht gläuben / hum hum / nein noch nicht gläuben kan ich das / denn die Fraw helt mich auch gar zu werth vnd lieb / ja grewlich lieb hat sie mich / O ein tugendtsam Weib / in 9. Herren Landen wird ihres gleichen nicht gefunden werden / ja mein Fraw sagt / sie wolle ihr Leben vor mich lassen / ehe mir böses wiedefahren solt :/: Sie ist zwar mit keinem Gelde zu bezahlen / mein ehrliche vnd fromme Fraw / den noch meine Nachbarn vbels von ihr sagen dürffen / aber alle wil ich zu schanden machen. Sie haben mir alle gesagt / sie hielt es gewiß mit dem Soldaten / darumb solt ich sie nur probiren / vnd es also verlassen in meinem Hauß / daß ich in acht Tagen nicht wieder würde kommen / vnd wenn ich denn fort an den Abendt wieder keme / so würde ich den Schwager gewiß da finden / ja auch wol bey ihr in meinem ehelichen Bette. N〈u〉n / 733
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
nun ich sol solchs probiren / Holla / holla mein trewer Hans / mein trewer Diener kom zu mir. P i c k e l h e r i n g . Hie bin ich Herr / was ist ewer begehren? A l t e r . Kom zu mir mein trewer Hans / observire meine Wörter wol was ich dir sagen werde / alßbald werde ich hinweg reisen / vnd in acht Tagen nicht wieder heim kommen / siehe zu / daß du mir wol zum Hause siehest / vnd des Abends die Thoren recht verschliessest / vnd die Schlüssel vnter dein Häupt legest. Aber bey Leib vnd Halse / laß mir den Schwager nicht ins Hauß. Hörstu? 668 P i c k e l h e r i n g . Ja Herr ich höre es wol / ich wil den Schwager nicht einlassen. Aber hört Herr / ihr müsset mir erstlich Trinckgeldt geben / ehe ihr weg ziehet. A l t e r . Gibt ihn einen Schilling / drüber seyn wol 50, Zettel gewunden. Sieh da mein lieber Hans / hier hab ich einen Schatz vor dich / aber ich rathe dir / daß du dich nicht voll säuffest / vnd lest mir den Schwager nicht ein. Gehe auch nicht zu leichtfertigen Weibern / daß sie ihn dir nicht stelen. P i c k e l h e r i n g . Wanne / wanne / nun werde ich ein prav Kerls werden / denn hier ist ein Ducaten innen / oder gar ein Edelgestein.
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Machets auff / siehet den Schilling.
Daß dich potz schlapperment / ist das der grosse Schatz. Nicht voll sauffen / nicht mit jungen Frawen verzehren / Harre / harre / es ist nichts dran gelegen / obs ein Ducat oder Schilling ist / der Schwager sol mir wol Ducaten geben / wenn ich ihn nur holen werde. A l t e r . Nein nein Pickelhering nicht Schwager holen. Wie düncket 669 dich / ist es nicht genug / einen gantzen alten Schilling so mildiglich zuverzehren / hierbey aber wil ichs noch nicht bleiben lassen / sondern wenn ich wieder heim komme / wil ich dir noch einen solchen Schatz geben / so fern du mir wol zusiehest / jetzt gehe ich hinweg / vnd komme in acht Tagen nicht wieder, Aber seume dich nicht / sondern frewe dich / daß wann ich wider komme / du noch einen solchen Schatz kriegest / siehe nur wol zu mein getrewer Pickelhering daß der Schwager nicht ins Hauß komme. P i c k e l h e r i n g . Gehe du alter Hanrey daß dich der Teuffel hole du alter Schelm / sauff dich nicht voll / gehe nicht zu losen Weibern / 734
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damit du nicht vmb deinen Schatz kommest. Ja ein herrlicher Schatz / man sol sich wol voll darauff sauffen / ich wolte daß dir dein Schatz mit meiner Scheiden im Leibe stecke. Harr / harr / der Schwager sol mir wol geben / dafür ich mich voll sauffe. Holla / holla Fraw / wo seyd ihr? fröliche newe Zeitung wil ich euch sagen. M a r i a . Was ist es mein lieber Pickelhering / sag doch her / so fern du mir fröliche Zeitung bringest / sol gewißlich Geldt deine belohnung seyn. P i c k e l h e r i n g . Hört Fraw gute Zeitung / der alte Geck ist außgereiset / vnd hat mir viel befohlen / wird auch in 8. Tagen nicht wieder kommen. M a r i a . In 8. Tagen nicht wieder kommen? Das ist eine gute Zeitung. Aber sag mir doch was er dir so viel befohlen. P i c k e l h e r i n g . Ja Fraw ich wils euch sagen / aber 〈g〉ebt mir erstlich Trinckgeldt.
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Sie gibt ihm eine gantze Hand voll / erfrewet sich vnd spricht:
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Meine Fraw / er hat mir das Hauß befohlen / vnd gesagt / ich solte die Schlüssel immer vnter meinem Häupt legen / vnd wol zusehen / daß der Schwager nicht ins Hauß keme. M a r i a . Ja ja das schadet nicht. Höre mein Pickelhering / du must mir hin gehen zum Schwager / vnd zu mir kommen heissen. P i c k e l h e r i n g . Ja Fraw penunce, daß ich auffm Wege eins trincken kan. M a r i a . Siehe da du versoffener GeldtNarr hastus zusammen / aber eile bald / vnd bringe ihn mit dir. P i c k e l h e r i n g . Ja Fraw ich wil wol hingehen / aber hörestu nicht Fraw / sol er mir auch nicht etwas geben? M a r i a . Ja ja gehe du nur hin / er wird dir wol geben. Hans gehet hin zum Schwager oder Soldaten / welcher / da er ihn sieht / spricht:
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S o l d a t . Sag an mein lieber Hans / was bringestu mir guts von deiner Frawen? P i c k e l h e r i n g . O gute Zeitung. Aber doch sagte sie / ihr solt mir zuvor Trinckgeldt geben. S o l d a t . Sieh da hastu. P i c k e l h e r i n g . Vnser alter Scheisser ist von Hause gezogen / vnd wird in 8. Tagen wieder kommen / darumb lesset vnser Fraw euch 735
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
bitten / ihr wollet bald zu ihr kommen / sollet die Zeit vber Herre im Hause seyn. S o l d a t . Potz schlapperment gute Zeitung bringstu mir / die Schantze muß ich nicht verseumen / kom nur / vnd laß uns geschwinde 672 fort gehen / aber du gehe ein wenig vorhin / vnd bestelle die besten köstlichsten Essen / vnd allerbesten Spanischen Wein / denn heute wollen wir corasi lustig seyn.
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Kömpt zu Hause.
Glück zu mein allerschönste Maria. M a r i a . Danck müst ihr haben / vnd mir freundlich willkommen seyn. Ihr sollet wissen / daß der Alte vber Land gezogen / derowegen hab ich nach euch geschicket / daß wir vns beyde wollen lustig vnd frölich machen. S o l d a t . O hertzliebe Maria / das höre ich gerne / daß der Narr nicht zu Hauß ist / last vns nun zusammen allegrament lustig seyn. M a r i a . Pickelhering verwahre du vns das Hauß / vnd laß keinen Menschen in die Thür. A l t e r . Nun nun sollen die 8. Tage zum ende seyn / nun wil ich sehen ob meine Frawe ehrlich sey / ob ich den Schwager auch im Hause finde. Holla / holla / mach auff die Thür. P i c k e l h e r i n g . O Fraw der alte Dieb ist dafür / vnd ist schon wieder kommen. 673 F r a w . O mein Pickelhering / sag mir / gib Rath / wie sol mans nun machen? P i c k e l h e r i n g . Schweigt nur Fraw / ich wil den alten Narren gleichwol vexiren / hört last nur den Soldaten achter den Kasten sich verstecken.
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Solches geschiehet / vnd machet Pickelhering seltzame Possen / gehet hernach vor die Thür / vnd spricht:
Wer zum Teuffel ist da vor der Thür / nun vnser Herr nicht zu Hause ist. A l t e r . Hörstu nicht Pickelhering / kom mach die Thür auff / kömpstu nicht? P i c k e l h e r i n g . Stellet sich als wenn er meynte daß der Schwager draussen were. Nein / nein / ich wil dir Schelmen die Thür nicht auffmachen / kömpstu nun schelmischer Schwager / nun mein Herre nicht zu Hause ist? Gehe weg / ich mache dich nicht auff / 736
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denn mein Herr hat mirs verboten / gehe bald / oder ich schlage dich auff die verlöffelte Schnautzen. Lachet. 5
A l t e r . Meynet sein Pickelheri〈n〉g sey ihm gar zu getrew / redet zu sich selber. Höre nun mein Pickelhering. O es ist mir doch so ein getrewer Diener / ja ein getrewer Diener ist es mir. Er meynet dz ich der Schwager sey / aber ich wil meinen getrewen Diener auch noch besser versuchen.
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Spricht zu Pickelhering. 10
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O mein Pickelhering sag es nur der Frawen / die wird mich wol einlassen. P i c k e l h e r i n g . Du Schelm gehe nur weg / die Fraw wil dich auch nicht einlassen / denn sie hat mir befohlen / wo der Schwager keme / solt ich ihn mit Wasser begiessen. A l t e r . Zu sich selber. Ja ja nun höre ich gleichwol / daß es meine Fraw nicht mit dem Schwager halten muß / wie meine Nachbarn sagen / nun bey Gott trew ist meine Fraw. Getrew ist mein ehrlicher Pickelhering. O getrew Volck / getrew Volck hab ich in meinem Hause. Zu Pickelhering.
Aber mein Pickelhering ich wil dir bekennen / ich bin nicht der Schwager / sondern dein Herr. P i c k e l h e r i n g . O mein lieber Herr seyd ihrs? Gehet hin vnd machet die Thür auff. 25
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A l t e r . streicht Pickelhering auffm Kopff. O mein getrewer Pickelhering / du bist mir ein getrewer Diener / ja solch einen Diener möchte man noch wol eine Fraw vertrawen. Aber sag doch an mein getrewer Pickelhering sag doch an / wo ist mein allerliebste Fraw Maria doch? P i c k e l h e r i n g . O mein lieber Herr was solte sie thun / sie hat sich auch so sehr / ja so gar wunder sehr gegrämet / ja gegrämet hat sie sich / daß ihr seyd außgereiset / v〈n〉d habts ihr nicht gesagt. Seht da kömpt sie her. M a r i a . Ach mein hertzlieber Mann / warumb habt ihrs mir nicht gesagt / daß ihr wolt außreisen / ich habe mich auch so sehr gegrämet / daß auch schier vor Angst vnd Gram nicht wuste / was ich anfahen solte. 737
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
A l t e r . O mein hertzliebe Fraw / ich bitt grämet euch nicht so sehr / ich bin ja bald wieder kommen / vnd nit lang außgeblieben. O mein trew Maria / ihr habt mich doch so lieb / vnd halt so viel von mir. 676
Küsset sie / spricht zu sich selbst.
Potz schlapperment / ich habe doch eine getrewe Fraw / ja sie hat sich vmb meinet willen gegrämet / vnd den Schwager nicht einlassen wollen. O eine getrewe Fraw / ihres gleichen ist in der Stadt nicht zu finden. O mein getrewe Fraw / gebt mir noch ein Küßgen / meine getrewe Fraw / ewer Trew sol euch von mir belohnet werden / ein Nössel Wein wil ich euch noch heute zum besten geben. F r a w . O mein hertzlieber Mann / aber ich bin zu Schaden kommen / vnd gräme mich sehr darumb / denn ich fürchte ihr werdet böse auff mich werden. A l t e r . Nein mein hertzliebest Mariechen / sagt mir was es ist / ich wil nicht böse werden. F r a w . Ja mein lieber Mann / aber wenn ihr den Schaden sehet / müsset ihr mich auch nicht schlagen. O mein lieber Mann / heut hab ich lassen ein Bettlacken außwaschen / vnd ist mir vnversehens ein groß Loch darein gebrandt / ich fürchte ihr werdet vbel zu frieden seyn. 677 A l t e r . Nein nein / darumb wil ich mich mit euch nicht zancken / last nur her holen / daß ichs nur sehe wie viel es ist.
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Hier holet die Fraw das Lacken / Pickelhering hilfft ihr das hart bey den Kasten von einander spreiten / halten es ins schraw in die höhe / der Soldat kömpt hinter dem Kasten hervor / vnd gehet hinter dem Lacken zur Thür hinauß,
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A l t e r . O welch ein häußliche fleissige Fraw hat schon das Loch wieder zugenehet / vnnd ist darzu nur ein klein Löchlein / O meine Fraw ich wolte euch nicht schlagen / wenn es auch ein groß Loch were als eine Hand groß. O ich habe euch doch so lieb / kompt last vns hinein gehen vnd essen / ja meine trewe Fraw / vor ewer Trewe wird euch noch heute ein halb Nössel / ja ein gantzes halb Nössel Wein zum besten geben.
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Gehen zusammen hinein.
N a c h b a r . Kömpt zum Alten. Guten Tag / guten Tag Herr Nachbar. 678 A l t e r . Danck habt mein guter Monsoir Nachbar / was sagt ihr guts / mein Monsoir Nachbar. 738
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N a c h b a r . Ihr sollet wissen das ewer Sohn Peter bey mir gewesen / welcher sich bey Gott sehr vber euch beklagte / daß ihr ihn so vbel habt willkommen heissen / als der Jüde eine Saw / aber fürwar bedencket euch wol / ihr habet nicht recht dran gethan. A l t e r . Was was vbel gethan / vbel gethan? Ich hab ihn den Teuffel auff den Kopff gethan / er sagte meine Fraw wer ein ehrlose Hure / das solte er nicht gethan haben / solte ich das von ihme leiden? Meine Fraw ist wol solch ein ehrlich / from / keusch / züchtig / auffrichtig Fraw / das wunder ist / O sie hat mich auch so lieb / daß es ungläublich außzusagen ist. N a c h b a r . Aber hört doch immer / sagt ihr ewer Fraw sey solch ein züchtig / from / ehrlich Fraw / daß ihres gleichen in der Stadt nicht ist / dagegen sag aber ich / daß ihres gleichen in der Stadt nicht ist / die mehr Hurerey treibet / als eben sie / denn es gehet kein Tag hin / daß ich den Schwager (der euch fürlängst zum Hanrey gemacht) nicht solte in ewrem Hause sehen entweder ein oder auß gehen / davon ihr aber nichts wisset. A l t e r . Ihr müget mir sagen was ihr wollet / so kan ich es doch nicht gläuben / denn sie hat mich all zu Elementisch ding lieb. N a c h b a r . Nun wenn ihrs nicht gläuben wollet / so probiret es selbst / vnd folget meinen Rath / hört doch ich wil hingehen zu ewer Frawen / vnd ihr sagen / daß ihr mit mir getruncken / vnd in Brandtewein ersticket seyd / ihr aber sollet euch hier hin legen / als wann ihr todt weret / wenn ich denn werde ewer Fraw herzu bringen / vnd siehet euch todt liegen / sollet ihr wunder hören / wie sie vber ewerm todt frolocken wird. A l t e r . Mein Nachbar / es ist wol ein guter Rath / aber sie hat mich gar zu grewlich lieb / ihr sollet doch erstlich etwas Krafftwasser bestellen / daß wann sie etwann vor schrecken in Ohnmacht fiele (welchs ich wol gläube) man sie wieder damit erquicken könte. N a c h b a r . Ja / ja in Ohnmacht fallen / alter Schapensis / dafür befürchtet euch nicht / ich wil es wol schweren / daß es derenthalben keine Noth hat / wenn es aber ja so kommen solte / wil ich es ihr bald sagen. Gehet hin zur Frawen.
A l t e r . Geht nieder liegen. Nun gehet nur hin / vnd holet mir meine liebe Fraw / aber ich befürchte mich / sie werde sich grewlich sehr verfärben. Nun wil ich es versuchen. Nun bin ich all todt. 739
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
N a c h b a r . Kömpt wieder mit der Frawen. Sehet hie meine liebe Fraw Nachbarin / allhie liegt ewer lieber Mann / vnd hat sich in Brandtewein allda todt gesoffen / sehet nur recht zu / aber erschrecket auch nicht. M a r i a . Sieh da / sieh da / liegestu hie du alter Ochse? Ja ja wie lang habe ich darnach gewartet / vnd solche fröliche Zeitung noch nie haben mögen / wie mir jetzo mein lieber Nachbar gebracht. Pfui dich in alles alten Schlüngels / daß du müst vnter den Galgen 681 begraben werden / ich wil dich nicht begraben lassen. Nun nun ich wil hingehen zu meinen hertzlieben Schwager vnnd meine Lust vnnd Frewde mit ihme haben. N a c h b a r . Wie gefelt euch dieses mein lieber Nachbar? A l t e r . Ja mein guter nachtbar was düncket euch? Sagt die Hure sie wolte mich vnter den Galgen begraben lassen / vntern Galgen lassen begraben / wanne wanne. Ja mein lieber Nachtbar ihr habt mir wol offtmaln wargesagt / ich sey ein elender Hanrey. Ist war ich bins auch / aber ich hab es nicht glauben wollen. Nun nun ich vergesse deiner / alle mein Tage nicht /:/ Pfuy pfuy daß dich alles Vnglück bestehe / du ehrlose alle Mannes Hure / das hette ich dir mein Tage nicht zugetrawet / O welch ein ehrvergessene tausent Hur / O ich kan es alle mein Tage nicht vergessen / nein alle mein Tage nicht mein lieber Nachtbar. N a c h b a r . Nun habt ihr gesehen mein alter Nachtbar / welch ein ehrlose Hur ewer Weib ist. Von ewren Peckelhering meynet ihr 682 auch nichts anders / denn er sey euch ein getrewer Diener / aber er ist ein Schelm in der Haut / er sehe euch lieber fliessen denn schwimmen / vnd lieber todt denn lebendig / vor den Augen stellet er sich from kegen euch / aber hinter ewren Rücken ist er euch so falsch / daß fast nicht a〈u〉ßzusagen ist. Ich habs offtermals mit meinen Augen gesehen / daß er in ewren Abwesen den Schwager hat geholet / vnd ins Hauß gebracht / redet auch sonst alles böses von euch / wanne wanne / wie hat euch der Schelm verspottet daß ihr ihn den Pfennig nehermaln gegeben / vnnd ermahnet er sol sich nicht vollsauffen / daß er ihme nit gestolen würde / vnnd was er sonsten vor leichtfertige Possen vbete. A l t e r . O nein / o nein / mein Pickelhering ist mir so ein getrewer Diener / vnnd ich weiß er ist mir auch so trew / wenn er mich so hette / vor todt liegend gesehen / er hette sich vor Sorgen erhencket / denn er ist mir auch so getrew. Ja so getrew ist er mir. 740
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N a c h b a r . Mein lieber Nachbar leget euch noch ein mal nieder / so wil ich hingehen / vnd wil ewern getrewen Diener Pickelhering auch herbey holen / so werdet ihr hören welch ein getrewer Pikkelhering er euch ist. A l t e r . Mein lieber Nachbar ihr habt wol gesagt. Legt sich nieder vnd spricht bey sich selbst. Nun bin ich all todt. N a c h b a r . Bringt Pickelhering. Sieh hier mein lieber Pickelhering / dein alter Herr ist all todt / sieh wie er liegt / weine doch nicht. P i c k e l h e r i n g . Ich wolt potz schlapperment weinen / schlegt den Alten auffs Maul. Ho ho du alter Hanrey bistu nun eins todt / du Joseph / du Hanrey / du alter Schelm liegstu so steiff als ein Klotzch. O ho wie mannich 100. mal hat der Schwager bey deiner Marien geschlaffen / wenn du gleich in Hause gewesen. Ich weiß daß ich jetzo muß hin gehen vnd den Schwager holen / so macht er morgen Hochzeit mit ihr. Lieg du mant hier du alter Scheisser / du köntest doch nicht mehr fiedeln.
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Helt in den hintersten auffs maul.
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Sieh da beiß mir ein Stück darauß du alter Stanck. Gib noch ein Pfennig / sag man sol in nit verhuren / nit versauffen / nit verlieren. Daß dich alten Schelm potz schlapperment. Ich bedenck mich bald vnd schlag dich auff den Kopff. Aber ich hab nicht Zeit. Nun muß ich hinlauffen zum Schwager der wird mir ein new Kleidt vor die Botschafft geben / lieg du nur hier du alter Scheisser mit deinem Pfennig. A l t e r . Stehet auff. Nun nun du Schelm / den Pickelhering wil ich seine Nasen / seine Nasen davor abschneiden. Das hat ich mein Tage nicht gegleubet. Nun nun dich sol potz schlapperment darfür holen. N a c h b a r . Höret doch weiter mein Nachtbar. Ihr habt ewern Sohn Peter in verdacht / alß wenn er euch nicht gut were / aber versuchet es auch auff diese Art mit ihm / ihr sollet sehen / wie grosses Leidt er darüber haben wird. A l t e r . O nein O nein / mein Peter ist mir so feindt / mag nicht von mir hören / wenn er mich hier so legend finde / wird er mir vor Haß den Halß abschneiden / doch wil ich ewern Rath versuchen / aber gebt ihr wol Achtung drauff / daß er mir nicht den Halß abschneide / der Nachtbar gehet weg / der alte gehet liegen. 741
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
N a c h b a r . Kömpt mit Petern. O mein domine Petre eine trawrige Botschafft muß ich euch bringen. Ich war mit ewren Vater an einen Ort / da truncken wir Brandtewein / vnd wie er in die Lufft kommen / ist er alßblad nieder gefallen / vnd in Brantewein ersticket. P e t e r . O nicht doch / O behüt Gott ist dem also / O erbärmlichere Zeitung habe ich mein Tag nicht gehöret / setzet sich auff die Knie vor den Vater nieder. O weh mir daß ich den Tag erlebet / daß ich meinen Vater so eines jämmerlichen Todes müssen sterben sehen / O verfluchet sey der Brantewein / vnd der Autor so ihn erfunden. Ja ich weiß wie das boßhafftige Weib vber seinen Todt jubiliren soll / die bestia wirdiget ihn noch nicht so viel / daß sie ihn ehrlich zur Erden bestatten liesse / sondern lest ihn allhier jederman zu Schimpff vnd Spott auff der Gassen liegen / do doch die Hure all Heil vnd Wolfarth von ihme hat. Nun was hilfft es / er muß gleichwol begraben seyn / solte ich auch meine Bücher verkauffen. O Gott O Gott, etc. A l t e r . Richtet sich auff leget dem Sohne beyde Hände an die Wangen. O mein lieber Sohn du bist Fleisch von meinem Fleisch / vnd 686 Bein / von meinem Bein / du solt alle mein gantz Gut haben / ich bin nicht todt sondern hab dich nur versuchen wollen / ob du mich auch lieb hettest. Nun soltu bey mir bleiben so lang ich lebe. Aber mit meinem vngetrewen Weibe wil ich mich scheiden lassen / die sol nimmer an meine Seiten kommen. N a c h b a r . Nun Nachbar habt ihr also Sachen gesehen / kompt mit mir vnd verberget euch so lang in meinem Hause / biß ihr das Ende von ewern Weibe ansehet. 685
Sie gehen alle 3. abe. Kömpt die Fraw mit den Soldaten vnd wollen sich vertrawen lassen / Pickelhering gehet forne an mit der Trummel / da sie aber mitten auff die Gassen kommen / begegnet ihn der alte / hat in der einen Handt eine Fackel / in der andern ein Stieffel / stellet sich gar vngestalt / zertrennet die Ordnung / der Soldat leufft mit Pickelhering / der lest vor Angst die Trummel fallen / der alte kriegt daß Weib in der mitten vnd spricht. 687
A l t e r . Sieh nun du lose Curtisana wiltu mich vnter den Galgen begraben lassen / harre du lose Hure dich wil ich lassen an Pranger streichen Du bestia nimmer soltu an meine Seiten wieder kommen. M a r i a . O mein hertzlieber Mann / ich bitte vmb Gottes Willen verzeiht mir / es ist wahrhafftig mein Ernst nicht gewesen / ich wolt euch nur versuchen was ihr darzu sagen wollet? Vergebet mirs. 742
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Quellentext/Zu Arnims Quelle
P e t e r . O mein lieber Vater / ob es wol lauter falsch erlogen Ding ist / so deucht mich doch thut ihr sie von euch / so habt ihr noch nimmermehr Schimpff vnd Vngelegenheit von ihr / drumb nehmt sie nur wieder zu euch / vnd habts besser in acht wie vorhin. 5
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Gehet betrübet weg.
A l t e r . Nun ich wil meines Sohns Peters Rath / vnd meiner lieben Frawen Bitte folgen. Kom her meine liebe Fraw / dieweil es dir nicht ist Ernst gewesen / so ist es mir auch nicht Ernst gewesen. Aber den Schelm den Pickelhering wil ich alle mein Tage nicht gut seyn. Siehe stehestu da / du Schelm / siehe deine Nase wil ich dir abschneiden. Speyet auß / vnd jagen sich beyde lang hin vnnd her / schlegt ihn mit den Fuß vor den Arß / vnnd lauffen hinein. Hans singet Hanrey Hanrey.
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FINIS. Zu Arnims Quelle und deren Vorläufern Die Vorlage für Arnims Pickelheringsspiel bildet das neunte Stück der Dramensammlung Engelische Comedien und Tragedien von 1620 mit dem Titel
Ein lustig Pickelherings Spiel / von der schönen Maria vnd alten Hanrey (vgl. Q, S. 725–743 und Arnims Anmerkungen, in der vorliegenden Ausgabe S. 334,24–28). Auch die Vorlagen zu den Schaubühnen–Stücken Der wunderthätige Stein sowie Jemand und Niemand stammen aus dieser Sammlung, die in Leipzig bei der angesehenen Verlegerfamilie Große gedruckt wurde, was allein schon auf die Popularität der Wanderbühnen aus England und ihre Aufführungen hinweist (vgl. Flemming 1931, S. 33). Da die Dramen der englischen Schauspieler üblicherweise nicht im Druck vorlagen, um ein Nachspielen der Stücke durch konkurrierende Theatertruppen zu verhindern, stellte diese Veröffentlichung ein absolutes Novum dar. Nachdem sich die Engelischen Comedien und Tragedien (ECuT I) als großer Publikumserfolg erwiesen hatten, wurde vier Jahre später eine zweite Auflage gedruckt. 1630 erschien eine weitere Sammlung unter dem Titel Liebeskampff oder ander Theil der Engelischen Comoedien und Tragoedien (vgl. ebd.), von deren Existenz Arnim gewußt haben dürfte. In seiner Vorrede zu Wilhelm Müllers Marlowe-Übersetzung (1818) weist Arnim indirekt auf das Buch hin, indem er von zwei gedruckte〈n〉 Bände〈n〉 Englische Comödien 1629 〈sic〉) berich-
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
tet (Arnim 1818a, S. XIII). Dabei müßte es sich – trotz der falschen Jahresangabe Arnims – um die beiden Bände der EcuT handeln, da hier die frühesten gedruckten Zeugnisse altenglischer Dramen in deutscher Sprache vorliegen. Als Herausgeber des Werkes wurde von Gustaf Frede´n der Gelehrte Friedrich Menius ermittelt, der zur Zeit der Veröffentlichung in Wolgast tätig war. Menius, der sich in unterschiedlichsten Berufsfeldern versuchte – als Dichter, Notar, Professor, Bergwerksdirektor und Theologe (vgl. Moering 1979, S. 251) – unterzog die originalen englischen Bühnenfassungen einer derart eigenwilligen Bearbeitung und Umformung, daß die von ihm in Druck gegebenen Texte so gut wie keinen dokumentarischen Wert für die tatsächlich stattgefundenen Aufführungen der englischen Wanderbühne liefern (vgl. Frede´n 1939, S. 12). Diverse Ungereimtheiten innerhalb der Stücke wie etwa Brüche in der Handlung, unmotiviert erscheinende Repliken sowie drastische Unterschiede im Vergleich mit englischen Originalstücken resultieren aus Menius’ qualitativ mangelhafter Bearbeitung der englischen Dramen und sind wohl auf seine ungenügende Kenntnis derselben zurückzuführen. Aus diesem Grund sieht Frede´n in Menius nicht so sehr den Herausgeber, sondern den eigentlichen Verfasser der gegenüber den englischen Originalstücken qualitativ stark abfallenden Bearbeitungen von 1620 (vgl. ebd., S. 491). Arnims Untertitel Frei bearbeitet nach dem Altdeutschen für das Stück Herr Hanrei und Maria vom langen Markte wird dadurch zu einer unwissentlich korrekten Bezeichnung (vgl. Moering 1979, S. 253). Dennoch erscheint es zunächst verwunderlich, warum Arnim die explizit unter dem Titel Engelische Comedien und Tragedien veröffentlichten Dramen in seiner Schaubühne als altdeutsch bezeichnet und in den Anmerkungen nicht auf die dahinter stehende Tradition des englischen Schauspiels eingeht. Die Betonung des deutschen Ursprungs der Stücke mag v. a. den patriotischen Bemühungen Arnims um ein »Volkstheater« zuzuschreiben sein. Die neuere Forschung sieht das Verdienst der Dramensammlung von 1620 nicht so sehr in ihrem literarischen Wert, sondern in der Bereitstellung der für Deutschland neuen Stoffe, die nun erstmals in gedruckter Form vorlagen. Der Herausgeber der
ECuT I weist in seiner Vorrede außerdem darauf hin, daß die
Wanderbühnen-Dramen ein breites Publikum ansprachen und bei gebildeten und ungebildeten Schichten gleichermaßen beliebt waren, auch wenn jeder Stand unter sich blieb und ein heterogen zusammengesetztes Publikum – wie etwa in England – nicht üblich war:
Wann dann zu vnsern Zeiten die Englischen Comoedianten, theils wegen artiger Invention, theils wegen Anmuthigkeit ihrer Geberden / auch offters Zierligkeit im Reden bey hohen vnd Niederstands Personen mit grosses Lob erlan744
Zu Arnims Quelle
gen / vnd dardurch viel hurtige vnd wackere Ingenia zu der gleichen Inventionen lust vnd beliebung haben / stch 〈sic〉 darin zu üben / Also hat man ihnen hierinnen willfahren / vnd diese Comoedien vnd Tragedien ihnen zum besten in öffentlichen Druck geben wollen / (ECuT I, S. III–IV). Die dramatischen Stoffe der englischen Wanderbühnen orientieren sich an der höfischen Welt und bringen v. a. weltliche Stoffe zur Darstellung. Dadurch gewannen sie Vorbildfunktion für die Dramen Heinrich Julius von Braunschweigs oder Jacob Ayrers (vgl. Gundolf 1947, S. 47–48). Zudem sind die ECuT I frei von politischen und konfessionellen Tendenzen, da sie ohne zweckgebundenen Anlaß vor einem heterogenen Publikum gespielt wurden. Auch Arnims Adaptionen enthalten, abgesehen von der Bearbeitung des Stückes Jemand und Niemand, keine politischen Anspielungen (vgl. zu den satirischen Implikationen in diesem Drama den Überblickskommentar zu Jemand und Niemand, S. 826–827). Herr Hanrei und Maria vom langen Markte ist eine Verlachkomödie, die sich aus von Arnim zusammenmontierten Schwankmotiven speist. Die Adaption zeichnet sich zunächst durch zahlreiche wörtliche Übernahmen aus der Vorlage aus. Im Verlauf des Stückes nimmt die Orientierung an den ECuT I immer mehr ab, wodurch sich insbesondere Unstimmigkeiten bei der Gestaltung der Figur Maria ergeben (vgl. Ehrlich 1970, S. 209). Auffällig an den Stücken aus den ECuT I ist die Ausdrucksstereotypie der dramatischen Rede. Die besonderen Charakteristika der Wanderbühnen-Stücke liegen u. a. in den monologischen, direkten Ansagen und Beschreibungen, den ausführlichen Einleitungen für Ein- und Abgänge der Figuren, den expliziten Ankündigungen der Handlungsintention und in den direkten Ortsangaben in den Repliken. Wiederholungen formelhaft gebrauchter Wendungen wie die Anrede »lieber«, »mein herzlieber«, »mein liebster«, »allerliebster« etc. begegnen in allen drei Stücken aus den
ECuT I
(vgl. Baesecke 1935, S. 81). Charakteri-
stisch ist außerdem die Wiederholung bestimmter »Stichwörter« aus vorangegangenen Repliken, die zu dem in den Rezensionen (vgl. RZ 6, S. 470,27) konstatierten unbeholfenen Sprachduktus führen. Arnim übernimmt diese Gestaltungsprinzipien aus den Vorlagentexten, was auf eine für die
Schaubühne
allgemein typische Affinität hindeutet, das Dargestellte mit sprachlichen Mitteln derart zu verdeutlichen, daß die Plurimedialität des Dramas durch die Dominanz des Mediums Sprache eingeschränkt wird. Vgl. dazu Yvonne Pietsch, »Wie soll ich mich gebährden, was soll ich sprechen?« Die sprachlichen Gestaltungsprinzipien Arnims im Drama am Beispiel der »Schaubühne«. In: Das »Wunderhorn« und die Heidelberger Romantik: Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Performanz, hg. v. Walter Pape. Tübingen 2005, S. 135–144.
745
Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
Der Name »Hahnrei« dient zur spöttischen Bezeichnung des betrogenen »gehörnten« Ehemanns. Die Figur läßt sich bereits in der Antike nachweisen. Die Figur des »Hahnrei« ist im 14. Jh. in Deutschland erstmals belegt und bezeichnet den sexuell untätigen Ehemann, der von seiner meist wesentlich jüngeren Frau betrogen wird. Die Etymologie des Begriffs ist nicht geklärt (vgl. dazu die verschiedenen Deutungen bei Wunderlich 1990, Sp. 378–379). V. a. in Italien, etwa in Giovanni di Boccaccios Novellen oder in der Commedia dell’arte und später auch in Frankreich, z. B. bei Molie`re, wird der Figurentypus häufig verwendet. In Deutschland erreicht die Hahnreikomödie im 17. Jh., angeregt durch die Aufführungen der englischen Wanderbühnen, einen hohen Beliebtheitsgrad (vgl. Deltgen 1966, S. 103). So tritt der Hahnrei nicht nur in der Komödie, sondern allgemein auch in der Schwankliteratur, in Spottliedern und Epigrammen auf. Im 19./20. Jh. bleibt die schwankhafte Tradition der Figur durch mündliche Überlieferung erhalten und lebt heute noch in Form des Ehebruch-Witzes weiter (vgl. Wunderlich 1990, Sp. 380). An der Struktur der Hahnreikomödie fallen allgemein die variantenarme Schematisierung des Themas und eine damit einhergehende streng symmetrisch angeordnete Figurenkonstellation auf. Die Handlung zielt stets auf dasselbe Ergebnis, aus dem gutgläubigen Ehemann einen Hahnrei zu machen. Die Darstellung dient v. a. dem Verlachen intellektueller und sexueller Mängel (vgl. Wunderlich 1990, Sp. 380). Um die drei Hauptfiguren, die zur Darstellung der problematischen Dreierkonstellation Ehemann-Gattin-Geliebter vonnöten sind, können sich funktionalisierte Nebenfiguren gruppieren wie etwa der wohlgesinnte Nachbar oder der verschlagene Diener (vgl. Deltgen 1966, S. 97). Dies ist für Arnims Herr Hanrei und Maria vom langen Markte der Fall, während das Stück Der wunderthätige Stein mit drei Personen auskommt. Die Handlung der Hahnreikomödie ist geprägt von retardierenden, sich wiederholenden Momenten, wobei der sogenannten »Liebesprobe« eine wichtige Rolle zukommt. Mit Hilfe dieser Probe(n) versucht der mißtrauisch gewordene Ehemann, die Treue seiner Frau zu überprüfen. So gibt er z. B. vor, eine Woche zu verreisen, kommt aber nach einer kurzen Zeit wieder, um nachzusehen, ob der Geliebte der Frau im Hause ist. Eine weitere typische Liebesprobe besteht darin, daß sich der Gatte tot stellt und anhand der Reaktion seiner Frau feststellen möchte, wie sehr sie um ihn trauern würde. Die Liebesproben schlagen jedoch fehl, so daß der Ehemann am Ende doch der gehörnte ist. In den zahlreichen Komödien des 17. Jhs. wurden die Liebesproben immer wieder variiert. Aufgrund dieser schematisierten Handlungsstruktur bleiben die Figuren in ihrer Darstellung einseitig, da jeder der dramatis personae eine feste Funktion zugewiesen ist.
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Zu Arnims Quelle/Die Figur des Pickelhering
Die Figur des Pickelhering und ihre Tradition Der Pickelhering entwickelt sich im 17. Jh. zu einer beliebten, attraktiven Figur auf deutschen Wanderbühnen. Der Begriff wurde auch als Bez. der Dramensammlung von 1620 verwendet, da in der Mitte des Titelblattes großgedruckt »Sampt dem Pickelhering« stand (vgl. Flemming 1931, S. 34).2 In älterer Forschung wird dem englischen Schauspieler Robert Reynolds, der um 1616 nach Deutschland kam, die Erfindung der Figur zugeschrieben. Der Name »Pickl Häring« war jedoch bereits vor Reynolds im deutschsprachigen Gebiet bekannt. Am Hof von Wolfenbüttel, an dem Thomas Sackeville mit seiner Truppe spielte, taucht der Name »Picklehering« im Zusammenhang mit dem Musikanten George Vincint in einem Rechnungsbuch aus dem Jahr 1615 auf (vgl. Wilhelm Schrickx, ‘Pickleherring’ and English Actors in Germany, in: Shakespeare Survey. An Annual Survey of Shakespearian Study and Production 1983, S. 135–147, hier S. 139). Der Name stammt vmtl. aus dem Deutschen oder Holländischen, da er sich in England nicht nachweisen läßt (vgl. Asper 1980, S. 25). Begriffsgeschichtlich erfährt der Name im 18. Jh. eine zunehmende Erweiterung. In Zedlers Universal-Lexikon werden unter dem Begriff eine gewisse Art von
Comödianten oder Gaucklern, welche entweder auf öffentlichem Schau-Platze, oder auch außerdem bey einer iedweden andern Gelegenheit, so wohl andere Leute Personen und Stellungen, als deren Reden und gantzes Thun nachäffen, subsumiert (Zedler 28, Sp. 55). In den Stücken der Wanderbühne gehört Pickelhering zu den Prototypen der lustigen Figur mit ihren charakteristischen Merkmalen, die er mit der Clownfigur teilt: Er trinkt gerne und ist bestechlich. Ferner ist sein Agieren stets ichbezogen und von Gerissenheit und Schlauheit geprägt. Daß dies nicht immer so sein muß, geht aus dem Stück Der wunderthätige Stein hervor, das in der Dramensammlung von 1620 ebenfalls als »Pickelheringsspiel« bezeichnet wird. Dort ist Hans Pickelhering der betrogene Ehemann und übernimmt die Funktion des Hahnrei. So bewertet Anna Baesecke die dem Pickelhering in diesem Stück zugeschriebenen Eigenschaften – Dummheit und Überheblichkeit – als prototypisch (vgl. Baesecke 1935, S. 86; zu Arnims Umbenennung der Figur in Der wunderthätige Stein vgl. seine Anmerkungen, in der vorliegenden Ausgabe S. 335,2–8). In Arnims Stück Herr Hanrei und Maria vom langen Markte ist der Pickelhering dagegen der »spiritus rector« (Ehrlich 1970, S. 207), der die
2
Schaubühne alte〈...〉 Sammlung (in der vorliegenden Ausgabe
Arnim kannte diesen Kurztitel offenbar nicht, in seinen Anmerkungen zur
bezeichnet er das Buch u. a. als S. 335,1).
747
Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
entscheidenden Impulse für die Handlung oder für die Lösung von Konflikten liefert.
Entstehung Präzise Hinweise zur Entstehung des Stückes konnten nicht ermittelt werden. Von der Existenz der ECuT I kann Arnim durch Johann Christoph Gottscheds
Nöthigem Vorrath zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst (Arnim-Bibl. B 2919) gewußt haben. Dort wird der Inhalt der Dramensammlung angeführt, jedoch ohne wertende Hinweise zu ihrer literaturgeschichtlichen Bedeutung (vgl. Gottsched 1757, S. 182–184). In Arnims Bibliothek ist die Dramensammlung von 1620 nicht vorhanden. Vmtl. lieh er sich das Buch von Clemens Brentano (Brentano-Bibl. I, Nr. 122, S. 43–44). Während ihrer gemeinsamen Zeit in Berlin 1809–1811 könnte Brentano den Freund auf das seltene Werk hingewiesen und es ihm überlassen haben, als er sich in Böhmen und Wien aufhielt (vgl. Moering 1979, S. 252). In seinem Brief vom 11. Oktober 1809 macht Arnim Wilhelm Dorow auf die englische〈n〉 Komödien aufmerksam (vgl. EZ 10, S. 420,4–6). Ob Arnim bereits zu diesem Zeitpunkt die Adaption abschloß, ist ungewiß. Bei der Konzeption (vmtl. 1809) seines ersten Bandes der Alten Deutschen Bühne nimmt er das Stück unter dem leicht geänderten Titel Maria vom Spittelmarkt und der alte Hahnrey (EZ 15, S. 421,6) auf. Die Änderung des Namens von »Maria vom langen Markt« zu »Maria vom Spittelmarkt« deutet darauf hin, daß Arnim ein Stück mit Lokalscherzen, bezogen auf Berlin, schreiben wollte. Es ist nicht bekannt, ob Arnim diese Idee schriftlich ausarbeitete. In seinem Titelaufriß der Schaubühne vom 3. Februar 1813 in einem Brief an Friedrich Christoph Perthes (vgl. EZ 26, S. 425–426) erwähnt Arnim die Bearbeitung des Stückes noch nicht. Erst nachdem er Die Päpstin Johanna aus dem vorläufigen Inhaltsverzeichnis herausgestrichen hatte, um den Raum 〈 ..〉 erheiternden kleinen Stücken aufsparen (in der vorliegenden Ausgabe S. 334,9) zu können, integrierte er die drei Schauspiel-Adaptionen aus den ECuT I. Es ist also möglich, daß diese erst in der Zeit zwischen Februar (vgl. Titelaufriß im Brief an Perthes, EZ 26, S. 425–426) und Juni 1813, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Schaubühne, entstanden sind. Die zahlreichen Übernahmen wörtlicher Passagen aus der Vorlage könnten als Indiz für eine schnelle Bearbeitung bewertet werden.
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Die Figur des Pickelhering/Entstehung/Rezeption
Rezeption Die Rezeption der drei Adaptionen aus der Dramensammlung von 1620 fällt spärlich aus. Clemens Brentano äußert sich wohlwollend und allgemein zu den Dramenadaptionen, geht aber kritisch auf die von Arnim veränderten Stellen ein, da er das Alte kenne (vgl. RZ 4, S. 465,66). Hier drückt sich die Auffassung Brentanos aus, daß die Bearbeitung alter Texte mit Behutsamkeit vor sich gehen solle und die seiner Meinung nach durch »Arnims ungezügeltes Vermischen von Altem und Neuem« zerstört werde (vgl. Heinz Rölleke, Anmerkungen zu »Des Knaben Wunderhorn«, in: Clemens Brentano. Beiträge des Kolloquiums im FDH 1978, hg. v. Detlev Lüders. Tübingen 1980. (FDH Reihe der Schriften Bd. 24), S. 276–294, hier S. 287). Dadurch ist ein prinzipieller Unterschied zwischen Arnim und Brentano angesprochen, der sich bereits bei der Bearbeitung der Volkslieder für Des Knaben Wunderhorn manifestierte. Während Arnim den überzeitlichen Gehalt der alten Dichtung durch sprachliche Aktualisierung einem zeitgenössischen Publikum näherbringen möchte, geht es Brentano mehr um die Erhaltung der Gesamtgestaltung alter Dichtung, deren Gerippe durch Arnim künstlich und deshalb nicht so künstlerisch rein eine »Auferstehung« erfahren (RZ 4, S. 465,64).3 In der Rezension der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung bezeichnet Wolfram das Stück als derbe〈n〉 Schwank (RZ 6, S. 470,27), dessen Witz zwar funktioniere, sich aber von den gängigen Possen der Zeit wegen seiner Unbeholfenheit stark unterscheide. Während der österreichische Rezensent die Ungeschliffenheit betont, lobt Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld in seiner Besprechung der Schaubühne in Blätter zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst den keck und fast ausgelassen übersprudel〈nden〉 Humor (RZ 9, S. 475,3–5) der drei Dramenadaptionen und akzentuiert indirekt die nationale Bedeutung der altdeutschen Stücke aus der mittleren deutschen Zeit (ebd., S. 475,9), indem er Alter und Herkunft der Dramen besonders hervorhebt. Ein kurioses Rezeptionszeugnis, das satirisch auf Arnims Drama Bezug nimmt, soll zum Schluß noch erwähnt werden. 1818 veröffentlicht der 22-jährige Medizinstudent Johann Ludwig Casper ein Stück mit dem Titel Die KarfunkelWeihe, romantisches Trauerspiel. Caspers in der Art von August von Kotzebues Hyperboreischem Esel angewandte Polemik stellt die Romantiker, zu denen neben Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, Clemens Brentano und Arnim 3
Zu Brentanos eigener poetischen Bearbeitung alter Texte und ihrer poetologischen Fun-
dierung vgl. u. a. Neuhold 1994, S. 66–69.
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
auch Joseph von Eichendorff, Zacharias Werner, Franz von Maltitz u. a. gerechnet werden, als esoterische Hochstapler dar, die der Meinung seien, den richtigen Begriff der Kunst wiedergefunden zu haben (Casper 1818, S. 123), jedoch in Wahrheit unverständliche Phrasen oder Sätze obszönen bzw. absurden Inhalts produzieren. Das Stück setzt sich größtenteils aus Zitaten romantischer Texte zusammen, die Casper im Fußnotentext mit präziser Angabe des Titels und der Seite versieht. Arnims Schaubühne wird – neben der Gräfin Dolores – zweimal zitiert (vgl. Erl. zu S. 237,7–9 zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte und Erl. zu S. 262,10–11 zu Der wunderthätige Stein). Das aus Herr Hanrei und Maria vom langen Markte ausgewählte Zitat zeigt, dass die darin enthaltene sexuelle Anspielung zu Arnims Zeit als anstößig empfunden wurde.
Erläuterungen 233,2 H e r r H a n r e i u n d M a r i a v o m l a n g e n M a r k t e . ] Von Arnim gegenüber der Vorlage geringfügig veränderter Titel. In den ECuT I lautet er Ein lustig Pickelherings Spiel / von der schönen Maria vnd alten Hanrey (vgl Q, S. 725). Die Herkunftsangabe »vom langen Markte« taucht an zwei Stellen in der Vorlage auf (vgl. Q, S. 726,4; S. 728,31), Arnim verwendet sie im Stück dagegen viermal. In seinem Titelaufriß für die Alte deutsche Bühne (vgl. den Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne, S. 437–441) ist das Stück ebenfalls aufgelistet, hier mit dem Titel Maria vom Spittelmarkt und der alte (EZ 15, S. 421,6). Offensichtlich war Arnims ursprüngliche Intention, eine Berliner Lokalposse (mit Bezug auf den Berliner Spittelmarkt) zu verfassen. Ludwig Tieck äußert sich in seinen Vorbemerkungen im Deutschen Theater (1817) ebenfalls zu diesem Stück und bringt es in thematischen Zusammenhang mit einer Komödie bei Jacob Ayrer: Der Tit. Andronikus ist das letzte größere Stück des alten Buches 〈= EcuT I〉, es folgt noch ein lustig
Pickelheringsspiel von der schönen Maria, welches willkührlich aus mehrern kleinen Farcen und anderswo oftmals wiederkehrenden Theaterspäßen zu einem größeren Lustspiel zusammengesetzt ist; noch mehr erweitert hat Ayrer dieselbe Comedie unter dem Titel: der alte Buhler (Tieck 1817 I, S. XXIX). Der Hinweis auf Ayrers Comedia von einem alten Buler vnnd Wucherer, wie es jhme auff der Bulschaft ergangen vnd wie er seines Weibs Lieb probirt (Ayrer 1618, Nr. 29, S. 443 –453 ) a
c
erscheint gerechtfertigt, auch wenn die Anzahl der dramatis personae bei Ayrer erweitert sowie die Figurenkonstellation und das Handlungsgefüge verändert
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Rezeption/Erläuterungen
wurden. Arnim mag die Comedia aus dem Opus Theatricum gekannt haben, da er selbst ein Ex. besaß (Arnim-Bibl. B 891, vgl. den Überblickskommentar zu Jann’s erster Dienst, S. 523), integrierte jedoch keine der von Ayrer hinzugefügten Motive oder Episoden in seine Bearbeitung des Stückes. 233,3 E i n P i c k e l h e r i n g s s p i e l .] Die Genrebez. wurde von der Vorlage übernommen (vgl. Q, S. 725,3). Zur Struktur der Hahnreikomödie vgl. den Überblickskommentar, S. 746. 233,4 ( F r e i b e a r b e i t e t 〈...〉 A l t d e u t s c h e n . ) ] Zu Beginn des Stükkes lassen sich zahlreiche wörtliche Übernahmen aus der Vorlage nachweisen. Im weiteren Handlungsverlauf nimmt die Orientierung an der Q immer mehr ab. Ab dem 3. Aufzug gestaltet Arnim völlig frei von der dramatischen Vorlage, vgl. Erl. zu S. 248,29. »Altdeutsch« dient um 1800 zur Bez. des »gesamten Bereich〈s〉 der deutschen Dichtungsüberlieferung vom Hildebrandslied bis zur Barockliteratur« (Ribbat 1978, S. 156). 233,7 H e r r H a n r e i , ein Krämer.] Aus der Vorlage übernommen. Zur Stoffgeschichte der Figur vgl. den Überblickskommentar, S. 746. Arnim fügt die Berufsangabe »Krämer« hinzu. Mit dem unterständischen Krämerberuf verbunden ist ein niedriger sozialer Status (vgl. dazu die Abhandlung Der nothwendige Unterschied zwischen dem Kaufmann und Krämer in: Möser 1776, S. 302–307; Arnim-Bibl. B 1072b). 233,8 P e t e r , Hanrei’s Sohn.] Aus der Vorlage übernommen. Neu hinzu kommt Peters Status als Pseudogelehrter, vgl. Erl. zu S. 235,27–31. 233,9 H a n s P i c k e l h e r i n g , Hanrei’s Bedienter.] Aus der Vorlage übernommen. Zur Stoffgeschichte der Figur vgl. den Überblickskommentar, S. 747–748. 233,11 M a r i a vom langen Markte.] Aus der Vorlage übernommen. Die Herkunftsbez. »vom langen Markte« sollte vmtl. eine Anspielung auf Leipzig (Langenmarkt) darstellen (vgl. Tittmann 1880, S. XVII), könnte aber auch auf den »langen Markte« in Danzig Bezug nehmen (vgl. Mallon 1925, S. 50; Th. Hirsch, Zur Kunstgeschichte Danzigs. Der Springbrunnen auf dem langen Markte, in: Neue Preußische Provinzial-Blätter, hg. v. A. Hagen. 2. Bd. Königsberg 1852, S. 161–169, hier S. 162). 234,1 die kannte das Peterchen 〈...〉 du,] Die Verbindung zwischen Peter und Maria wurde von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage wird an dieser Stelle von Maria als einer offenbahre〈n〉 Hure / von welcher jederman zu sagen weiß (Q, S. 726,6–7) gesprochen. Bei Arnim hat Maria eine ambivalente Position inne: Sie ist einerseits Geliebte Peters und Schwartenmagens, andererseits potentielle Braut Hanreis und schließlich zufrieden gestellte Gattin Peters (vgl. zum widersprüchlichen Aufbau der Figur bei Arnim: Ehrlich 1970, S. 207–209).
751
Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
234,9–10 siebzig Jahre 〈...〉 Alter,] Die konkrete Nennung des Alters ist von Arnim hinzugefügt worden. In der Zahlenallegorese bezeichnet 70 die irdische Zeit, die der Mensch auf Erden verbringt (vgl. Meyer/Suntrup 1987, Sp. 758–759). 234,11 ein Dutzend 〈...〉 Kegel,] In der Vorlage spricht Hahnrei davon, drey / wo nicht 4. Söhne 〈...〉 noch mit ihr 〈zu〉 zeugen (Q, S. 726,20–21). Durch den von Arnim hinzugefügten, vergleichenden Zusatz »wie die Kegel« wird der Phraseologismus »wie Kind und Kegel« einbezogen, der bereits seit dem 15. Jh. geläufig war und mit »Kegel« die unehelich gezeugten Kinder bezeichnet (vgl. Röhrich 2, S. 836). 234,12–13 ich bin noch 〈...〉 springen.] Gustav Frede´n weist bei dieser Passage, die auch die Q kennt (vgl. Q, S. 726,21–23), auf vergleichbare Szenen in Stücken der Commedia dell’arte hin (vgl. Frede´n 1939, S. 243). 234,16 ausgefeimter] Eigtl. abgefeimt, d. h. abgeklärt (vgl. DWb 1, Sp. 38; 856). 234,19 (Braut und 〈...〉 ein.)] Arnim entfernt sich hier insofern von der Vorlage, als er die stumme Rolle des Brautbruders streicht. 234,20 Glück zu,] Aus der Vorlage übernommenes Gruß- und Segenswort (vgl. Wander 1, Sp. 1774, Nr. 1007; Q, S. 726,28). 234,20 Freund und Zechbruder,] Diese freundschaftliche Beziehung zwischen Brautvater und Hanrei ist von Arnim hinzugefügt worden. In der Vorlage redet der Brautvater ihn als lieber alter an (Q, S. 726,36). 234,24 Zuckerplätzchen] Bez. für kleine dünne runde Kuchen, von
Eyern, Mehl und Zucker, Zuckergebackenes in Gestalt der Plätzchen (Adelung 4, S. 1745), hier als Kosename verwendet. In der Vorlage wird Maria als
Zuckerdöckchen
(umgangssprachlich für »Zuckerpüppchen«; vgl. Klein
1792, S. 85) bezeichnet (Q, S. 726,30–31).
234,27–28 Das schickt ...〉 küssen.] Von Arnim hinzugefügt. 235,2–3 sieben Jahre wie Jakob 〈...〉 habe,] Vgl. 1. Mo 29, 18. 235,8–14 Nun sag 〈...〉 dir,] Von Arnim hinzugefügt. Die Fragen weisen voraus auf das Ende des 2. Aufzugs, wo Hanrei Marias Treue auf die Probe stellt, indem er sich tot stellt. 235,15 (sie wischt 〈...〉 Mund.)] Arnim modifiziert die Vorlage, in der es heißt: Maria speyet an die Erden (Q, S. 726,35). 235,17 Ein gutes 〈...〉 Achtel] Von Arnim hinzugefügt. 235,19–23 Hier ist 〈...〉 Markt?] Von Arnim hinzugefügte Passage, die die stereotype Trinklust der lustigen Figur herausstreicht. Eine vergleichbare Szene findet sich in Jann’s erster Dienst, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 8,23.
752
Erläuterungen
235,21–22 Ich muß das Maul 〈...〉 will.] Der Ausspruch weist Parallelen zu einer Replik des Studenten Frosch in Goethes Faust I auf, Szene In Auerbachs
Keller: Schafft Ihr ein gutes Glas, so wollen wir Euch loben. / Nur gebt nicht gar zu kleine Proben; / Denn wenn ich judizieren soll, / Verlang’ ich auch das Maul recht voll (Goethe Werke 7 (1), S. 96, V. 2552–2555). Bei Wander ist lediglich die Redensart »Wenn er nur sein Mäul voll hat, so kümmert er sich nicht um andere« belegt (vgl. Wander 3, Sp. 526, Nr. 655). 235,27–31 meines Vaters Haus, heißt 〈...〉 wollte.] Das Aufsagen lateinischer Vokabeln wurde von Arnim hinzugefügt und fungiert hier als Mittel der karikierenden Charakterisierung des Pseudogelehrten. Ähnliches findet sich in Shakespeares Love’s Labour’s Lost, wo der Schulmeister Holofernes die Gelehrten- und Alltagssprache dergestalt vermischt, daß er für die anderen Figuren nicht mehr verständlich ist und sie zu Wortspielen anregt (vgl. Shakespeare Works, S. 192–194; 199–209). Durch dieses Gestaltungsmittel wird auf den alten Topos der Verachtung und Entlarvung des akademisch Gebildeten zurückgegriffen. Ähnlich karikierend wird die Gelehrtensprache auch in der Komödie der Aufklärung verwendet, z. B. in Lessings Der junge Gelehrte. – Die von Peter im folgenden wiederholten lateinischer Vokabeln werden zwar stets in der korrekten Flexionsform verwendet, aber Peters Wortschatz beschränkt sich auf lediglich elf Lexeme (pater, filius, miles, domus, mensa, liber, pecunia, solus, salve, comoedia, uxor). 235,34 Musje] Volkstümliche Verballhornung von frz. »Monsieur«. In der Vorlage wird Peter als Monsier angesprochen (Q, S. 727,28). Vgl. zur Verwendung des Begriffs bei Arnim Erl. zu S. 155,14 zu Mißverständnisse. 236,3 sondern sechs 〈...〉 Tage.] Von Arnim hinzugefügt. 236,12 unser Sohn] Das Possessivpronomen »unser« könnte als Hinweis auf die spätere Heirat zwischen Hanrei und Hans verstanden werden, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 252. 236,13 hat einen grausam 〈...〉 Käse.] Den Vergleich übernimmt Arnim aus der Vorlage (vgl. Q, S. 728,7–8). 236,16–17 da steht 〈...〉 Flicklappen.] In der Q tritt der Sohn gar vbel bekleidet auf (Q, S. 728,21). Die Szene erinnert nicht nur an das biblische Gleichnis Vom verlorenen Sohn, sondern auch an eine Anekdote, die Arnim von einem Onkel väterlicherseits erzählt, der auf die Universität zu Halle geschickt worden war: Das Briefschreiben war damals noch nicht ge-
bräuchlich ausser zu Neujahr, der arme Sohn schien sich nicht gut in die Welt zu schicken, oder sein Geldbeutel hatte geringer Maaß als sein Magen, genug nach einem Jahr in welchem die Aeltern nichts von 753
Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
ihm wahrgenommen geht ein junger Bettler ganz in Lumpen auf den Gerswalder Hof ein 〈...〉. Arnims Anekdote zufolge wollte der Vater den Sohn zunächst nicht erkennen (Härtl 2003, S. 19). Zur weiteren Verwendung der Parabel Vom verlorenen Sohn in diesem Stück und anderen Dramen vgl. Erl. zu S. 237,27. 236,19–21 ganz seiner Mutter 〈...〉 Bart.] Von Arnim hinzugefügt. Frauen mit männlichen Attributen oder männlich-dominantem Auftreten begegnen in Arnims Werk häufig. 236,26–27 kannst du mir ein Pickelheringsspiel machen.] Im 17. Jh. war es Brauch, daß Studenten zu feierlichen Anlässen Komödien aufführten (vgl. Frede´n 1939, S. 253). In der Vorlage bittet Hanrei seinen Sohn um Comoedien (vgl. Q, S. 728,18), während Arnim einen autoreferentiellen Bezug auf den Gattungsnamen des Stückes einfügt. 236,28–29 Comoediam Terentii 〈...〉 auswendig,] Anspielung auf den römischen Komödiendichter Publius Terentius Afer oder Terenz, dessen fünf Komödien – sieht man von dem sechsten Stück mit dem Titel Die Schwiegermutter ab – beim römischen Publikum begeistert aufgenommen wurden. Die Figuren der Komödien folgen einem stereotypen Prinzip, das der Struktur der Hahnreikomödie zum Teil entspricht. Bei Terenz lassen sich für die Figurenkonzeption drei Hauptgruppen ausmachen: Erstens gibt es die Familie, bestehend aus dem meist geizigen, strengen Vater, dem verliebten Sohn und der Mutter. Zweitens findet sich eine Gruppe, die die familiäre Ordnung stört, z. B. ein Zuhälter oder die Hetäre, in die der Sohn verliebt ist. Drittens gibt es Vermittlerfiguren, etwa den schlauen Diener oder den miles gloriosus, den prahlerischen Soldaten, der auch als Nebenbuhler fungieren kann. Mit Ausnahme des Stückes Der Eunuch thematisieren Terenz’ Komödien stets den Konflikt zwischen Vätern und Söhnen, der durch den Starrsinn des Vaters ausgelöst wird: »Bemerkenswert ist, daß die Verwicklungen, zu denen es in den Komödien kommt, ganz primär aus den Vater-Sohn-Verhältnissen entstehen, die vor die Herausforderung einer Liebschaft des Sohnes gestellt werden. Fehlende Offenheit und fehlender Mut auf seiten des Sohnes treffen dabei regelmäßig auf fehlende Offenheit 〈...〉« (Peter Kruschwitz, Terenz. Hildesheim, Zürich, New York 2004. (Studienbücher Antike Bd. 12), S. 196). Die Parallelen in der Personenkonstellation zu Arnims Stück sind offensichtlich. Aus Arnims Schülerzeit ist ein Aufsatz (1796) in lateinischer Sprache zum Thema Mores juvenum aequalium 〈...〉 überliefert (vgl. WAA 1, S. 288–293), der sich in seiner dialogischen Form an Terenz orientiert. In Arnims Bibliothek befinden sich Terenz’ Komödien in lateinischer und deutscher Sprache (vgl. Terentius 1709, Terentius 1626; Arnim-Bibl. B 1506, B 1507).
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Erläuterungen
237,3 Pelzmarie] Von Arnim hinzugefügter Name. 237,6–7 So hat meine 〈...〉 müssen,] Die Liebesbeziehung zwischen Peter und Maria wurde von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage spricht Peter von Marias schlechtem Ruf und beschimpft sie als böse bestia (Q, S. 729,5). 237,7–9 sie könnte ja schon 〈...〉 wäre.] Fast wörtlich übernommene Passage in Johann Ludwig Caspers parodistischem Stück Die Karfunkel-Weihe, mit Referenz auf Arnims Schaubühne in der Fußnote (vgl. Casper 1818, S. 42; vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 749–750). In einem Dialog bei Casper zwischen dem »Nackten« und der Königin, die sich heimlich in der Nacht treffen und deren Unterhaltung sich aus langen Zitaten aus Friedrich Schlegels Lucinde, Clemens Brentanos Godwi, Arnims Gräfin Dolores, Zacharias Werners Weihe der Kraft etc. zusammensetzt, wird die Schaubühnen–Stelle im Zusammenhang mit einem Vergleich zwischen der Geburt eines Kindes und der Erschaffung eines Kunstwerks verwendet. Vgl. auch Erl. zu S. 262,10–11 zu Der wunderthätige Stein. 237,10 Schelm] Hier in der Bedeutung »durchtriebener Kerl«, »Lügner« (vgl. Adelung 3, S. 1410; DWb 14, Sp. 2507–2508). 237,14 dir zum Possen] Etwas gegen den Willen eines anderen tun, in der Absicht, ihm damit zu trotzen (Adelung 3, S. 812), auch als übler Streich zu verstehen (vgl. DWb 13, Sp. 2013). 237,14–15 zwei Dutzend Kinder] Von Arnim hinzugefügte Übertreibung. 237,23–24 (Peter und 〈...〉 wieder.)] Das Gespräch zwischen Peter und Hans sowie der sich anschließende Dialog zwischen Peter und Schwartenmagen sind von Arnim hinzugefügt worden. In der Vorlage schließt sich unmittelbar an das Zerwürfnis zwischen Hanrei, Peter und Hans ein Monolog der Maria an, der bei Arnim erst auf S. 238,30–32 in der vorliegenden Ausgabe erfolgt. 237,27 ein verlorner Sohn] Von Arnim hinzugefügt. Eine Anspielung auf das biblische Gleichnis Vom verlorenen Sohn (Luk 15, 11–32) findet sich auch in Jann’s erster Dienst (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 6,8–9) und im Auerhahn (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 79,22–23). 238,3 was werden die Leute sagen] Vgl. an anderer Stelle auch in der Q, S. 731,17–18. In dem in Arnims Bibliothek nachweisbaren Buch Abhandlungen von Sprüchwörtern wird der Frage »Was werden die Leute sagen?« als Redensart kritisch nachgegangen: Von der Wickelschnur bis zur Leichen-
bestattung entspriesen alle Narrheiten aus dem besorglichen: Was werden die Leute sagen? (Johann Christoph Rasche, Antons Pansa von Mancha Abhandlungen von Sprüchwörtern. Leipzig und Franckfurt 1777, S. 2; ArnimBibl. B 1086). In Arnims Stück wird die Redensart leicht abgeändert ein weiteres Mal verwendet, vgl. Erl. zu S. 239,23.
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Zu: Herr Hanrei und Maria vom langen Markte
238,4 Kurrendeknaben] Bez. für arme Schüler, welche auf den Gassen um ein Almosen singen (Adelung 1, S. 1355; vgl. DWb 2, Sp. 640). 238,6 Mein Mann 〈...〉 kommen,] Bei diesem ›Lied‹ handelt es sich um die erste Strophe eines in den ECuT I enthaltenen Zwischenspiels, das traditionell nach Beliebung zwischen die Comoedien agiret werden (ECuT I, S. 715) kann. Es trägt in der Dramensammlung von 1620 den Titel Den Windelwäscher zu agiren mit drey Personen (ECuT I, S. 728–733). In den 26 Strophen zu vier Versen wird der betrunken nach Hause gekommene Ehemann, dessen Hut die Gattin versteckt hat und ihn deswegen schilt, zum Windelwaschen gezwungen, wobei ihn ein teilnahmsvoller Nachbar tröstet. Arnim hat lediglich die Orthographie und den Satzbau modernisiert, vgl. den Originaltext: I. /
Mein Mann ist nächten voll heim kommen / Den hab ich seinen Hut genommen / Davon er nichts drumb wissen thut / Drumb wird er seyn gantz vngemuth (ECuT I, S. 728). 238,10 Bruder Peter] In der Vorlage kennen sich Peter und der Soldat nicht. Durch die Freundschaft zwischen den beiden wird bei Arnim der Generationenkonflikt zwischen Hanrei und den anderen Figuren stärker pointiert. 238,14 Schwartenmagen hat sich was versucht] Schwartenmagen ist ein typischer Name für einen herumziehenden, armen landsknecht (DWb 15, Sp. 2299). Ein ähnlicher Name für einen vagabundierenden Schmarotzer begegnet in dem Wh–Lied I 24, Der arme Schwartenhals. In Christian Reuters Schelmuffskys Reise-Beschreibung (Arnim-Bibl. B 960) wird eine ähnliche Redewendung verwendet, die Arnim evtl. bei dieser Passage in Erinnerung kam: Schelmuffsky antwortet einer Dame, die ihn heiraten will: wie daß ich ein
brav Kerl wäre, der sich schon in der Welt was rechts versucht hätte, und auch versuchen wollte, könnte also mich nicht flugs resolviren 〈...〉 (Reuter 1750, S. 69). 238,14–16 seit er die Bibel 〈...〉 hat.] Von Arnim hinzugefügte Passage, die vmtl. der historischen Verortung des Stückes im 16./17. Jh. dienen soll. Bücherverbrennungen wurden z. B. auf Befehl Kaiser Karls V. in den 1550er Jahren durchgeführt (vgl. Israel 1998, S. 111). Auch für die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ist belegt, daß protestantische Schriften und die von Luther ins Deutsche übersetzte Bibel durch die Inquisition verbrannt wurden. 238,26 Nussknacker] Im übertragenen Sinn Bez. für jemanden, der den anderen die Kerne reicht und selbst leer ausgeht (vgl. DWb 13, Sp. 1017). 238,30–32 Man sagt 〈...〉 reimen.] Das Sprichwort findet sich bereits in der Vorlage (vgl. Q, S. 729,20–22), wurde aber von Arnim im Wortlaut modifiziert. In Wanders Sprichwörter-Lexikon steht ein moralischer Zusatz am Ende: Ein
harte Nuß vnd stumper Zan, ein junges Weib vnnd ein alter Man 756
Erläuterungen
zusammen sich nicht reimen soll; seins gleichen ieder nemen sol (Wander 3, Sp. 1072, Nr. 16, ferner Sp. 1073, Nr. 49). 238,32 Sprüchwort, wahr Wort,] Von Arnim hinzugefügtes Sprichwort (vgl. Wander 4, Sp. 744, Nr. 5). 238,32–34 der alte Narr 〈...〉 langweilen.] In Arnims Vorlage ist Maria inzwischen mit Hanrei verheiratet und ergeht sich ausführlich über die von ihrem Gatten vernachlässigten sexuellen Ehepflichten (vgl. Q, S. 729,25–33). Arnim dagegen wahrt die Einheit von Zeit und Handlung, indem er Maria weiterhin als Verlobte darstellt. Dadurch ist es für ihn möglich, das Ende neu zu gestalten und den Bereich des Sexuellen, der in der Q explizit zur Sprache kommt, auszusparen. 239,1 Ich kenne euch nicht,] Von Arnim hinzugefügt. Während Maria in der Vorlage als offenbahre Hure bezeichnet wird (Q, S. 726,6), versucht Arnim in seiner Adaption, Marias Integrität weitestgehend zu bewahren, indem er lediglich die sexuelle Beziehung zwischen ihr und Peter andeutet und die Bekanntschaft mit Schwartenmagen nicht über das Küssen hinausgeht.
239,6 den wollen wir 〈...〉 machen,] Von Arnim hinzugefügt. 239,8 Geld, das 〈...〉 ist,] In der Q spricht der Soldat ausführlicher vom Krieg, in den er mit Goldt vnnd Silber versehen gezogen war und in dem er alles verlor (vgl. Q, S. 730,17–18). Arnim streicht diese Beschreibung der negativen Auswirkungen des Krieges auf das Nötigste zusammen, vmtl. aufgrund der Zeitumstände des Veröffentlichungsjahres 1813. 239,8–9 das Geld 〈...〉 Kurage.] Als Sprichwort oder Redensart weder bei Wander noch bei Röhrich zu ermitteln. 239,15 den Marsch singen] Von Arnim hinzugefügt, in der Vorlage will der Soldat mit Maria ohne Musica tanzen (Q, S. 731,6–7). Dieser explizite Hinweis läßt vermuten, daß eine musikalische Begleitung des Tanzes auf den Wanderbühnen sonst üblich war (vgl. Frede´n 1939, S. 245). 239,21 die Nase 〈...〉 abschneiden.] Vgl. Q, S. 731,13. Das Nasenabschneiden war im MA. eine gängige Form der Bestrafung für Delinquenten,
welche einer Schand-That / oder sonst groben Bubenstücks halber in Hafft gerathen / und zwar zu dem Ende / damit durch solche abscheuliche Verstellung des Gesichts Münniglichen die a t r o c i t ä t und Grausamkeit der That repraesentieret und vor die Augen geleget werden sollte (Döpler 1693, S. 930; Hervorhebung vom Vf.). Auch Ehebrecherinnen konnten so bestraft werden. Das Motiv erhielt damit Eingang in die Schwankliteratur (vgl. Siegfried Neumann, Nase: Die abgeschnittene Nase, in: EdM 9. Berlin, New York 1999, Sp. 1225–1230, hier Sp. 1226).
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239,23 was sollen die Leute sagen.] Vgl. Q, S. 731,17–18 sowie Erl. zu S. 238,3. 239,32–33 daß du an deinem Geld 〈...〉 kannst.] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. angeregt durch die Vorlage, in der darauf hingewiesen wird, daß Hanrei sein Geld in der Tasche verwahrt (vgl. Q, S. 731,34). Das Kombinieren verschiedener ›Stichwörter‹ aus der Vorlage zu einer neuen Aussage ist ein für Arnim typisches Verfahren. 240,3 Schwager] Nicht nur Bez. für Verwandtschaftsgrad (= in weitem Sinn jeder durch Heirat Verwandte), sondern auch für den Nebenbuhler (vgl. Adelung 3, S. 1704; DWb 15, Sp. 2177–2178). Daß das Verhältnis unter Schwägern nicht immer gut war, ist durch zahlreiche Sprichwörter dokumentiert (vgl. Wander 4, Sp. 410–411, Nr. 1–26). 240,29 der Gebrannte scheuts Feuer,] Von Arnim hinzugefügtes Sprichwort (vgl. Wander 1, Sp. 1387) anstelle von: Solch ein Narr muß ich nicht seyn (Q, S. 732,32). 240,32–33 denn ich höre 〈...〉 gewesen] Von Arnim hinzugefügt. 241,1–2 die wilde Hitze 〈...〉 Muth,] Von Arnim hinzugefügt. 241,3–6 wenn ihr einmal 〈...〉 nehmen.] Von Arnim hinzugefügt. 241,5 Pumps] schlag, stoß (DWb 13, Sp. 2232). 241,13 Kommt, ich 〈...〉 zeigen] In der Q bittet der Soldat den Hanrei, voranzugehen (vgl. Q, S. 733,16). Bei Arnim wird hingegen Hanreis Arglosigkeit stärker exponiert, indem dieser ohne Aufforderung als erster geht und den beiden den Rücken zukehrt. 241,16 gravitätisch] Arnim übernimmt die Regieanweisung der Vorlage, fügt jedoch das Adverb »gravitätisch« als genauere Anweisung für die Schauspieler ein. Explizite und implizite Inszenierungsanweisungen in Repliken und im Nebentext sind typische Gestaltungsprinzipien Arnims. 241,20–25 es ist doch ein rechter 〈...〉 lassen.] Von Arnim hinzugefügt. Peters Krankheit dient als Vorwand, um die Hochzeit zu verschieben. 241,26–27 hinter meinem Rücken küßt,] In der Q hat Hanrei von den Nachbarn gehört, daß Maria bey den 〈sic〉 Schwager auch wol schlaffen sol (Q, S. 733,23). 241,30 das beneiden sie mir.] Von Arnim hinzugefügt. Psychologisierende Momente dieser Art sind der Vorlage fremd. 242,4 Kopfkissen] Von Arnim modernisierte Stelle. In der Vorlage ist von »Häupt« die Rede (vgl. Q, S. 734,8). 242,7–8 bei solcher 〈...〉 wach.] Von Arnim hinzugefügt. 242,17 verschlampen] Durch gutes Essen Geld durchbringen (vgl. DWb 25, Sp. 1092).
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Erläuterungen
alten Heller] Kleinste Münzeinheit. In der Vorlage wird von einem gantzen alten Schilling gesprochen (Q, S. 734,28). 242,28 so geb 〈...〉 lustiges Geld.] Von Arnim hinzugefügt. 242,29 Geck] Narr, törichter Mensch (Adelung 2, S. 459; DWb 4, Sp. 1914), 242,18–19
übernommener Ausdruck aus der Q, vgl. S. 735,9. 242,30 so lange ist 〈...〉 ausgesetzt.] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. um die Einheit von Zeit und Handlung zu wahren. 242,35 Groschen] Silbermünze, im Wert unter Taler und Gulden liegend, 1/24 Reichstaler. 242,35–36 die habe ich eben 〈...〉 geholt.] Zusatz Arnims, wahrscheinlich um die Habsucht Marias zu akzentuieren. 243,5 Kein Schweizer ohne Geld.] Von Arnim hinzugefügt, im Sinne von »Man bekommt nichts umsonst«. Das Sprichwort ist von den Schweizer Söldnern hergeleitet, die stets darauf bedacht waren, pünktlich ihren Lohn ausgezahlt zu bekommen (vgl. Röhrich 1, S. 528).
243,6 ein Goldstück.] Die Vorlage bleibt bei dieser erneuten Trinkgeldzahlung ungenauer und nennt nicht den Geldwert (vgl. Q, S. 735,24). 243,7 Nun hört, 〈...〉 da?] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. um die Einheit von Ort, Zeit und Handlung zu wahren. In der Q findet ein Schauplatzwechsel statt, indem Hans zum Soldaten geht, der sich nach Empfang der Nachricht auf den Weg zu Maria macht. Ähnlich geht Arnim auch in Jann’s erster Dienst vor, wo Jann die Birnen zu Herrn von Brandeis bringen soll, dieser ihm jedoch zufällig entgegenkommt (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 16,12). 243,9 Alter ] Arnim modifiziert hier die Derbheit seiner Vorlage, in der es heißt, daß 〈u〉nser alter Scheisser nicht zu Hause sei (vgl. Q, S. 735,35). 243,11 Einen blanken Thaler,] Von Arnim hinzugefügt. Die Q bleibt hinsichtlich des Geldbetrages unspezifisch (vgl. Q, S. 735,34). Der Reichstaler war die wichtigste deutsche Silbermünze ab Ende des 15. Jhs. bis ins späte 19. Jh. Ab 1750 betrug der Wert eines Reichstalers 24 (gute) Groschen. 243,13–14 Victoria, der 〈...〉 aus.] Von Arnim hinzugefügt. 243,15 schmausen und singen.] In der Q ist lediglich von Essen und gemeinsamem Munter- und Lustigsein die Rede. Arnim fügt das Singen hinzu und entfernt die Fremdwörter »corasi« (nicht ermittelt) und »allegrament« (frz. eigtl. allegrement, munter; vgl. Q, S. 736,7, S. 736,15). 243,16–18 Juchhei, ich wollte 〈...〉 wiederkäme.] Von Arnim hinzugefügt. 243,21–22 er wird 〈...〉 hängen.] Von Arnim hinzugefügt. In der Q bittet Maria Hans um Rat, der den Soldaten daraufhin versteckt (vgl. Q, S. 736,23). 243,24–27 Und er hat mir 〈...〉 euch,] Von Arnim hinzugefügt.
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243,27 vexiren] quälen. 243,31 durchs Loch 〈...〉 Huth.] Arnim modifiziert den derben Ausdruck in der Q, in der es heißt: oder ich schlage dich auff die verlöffelte Schnautzen (Q, S. 737,1–2). 244,1–3 so lange bis 〈...〉 reden;] Von Arnim hinzugefügt. 244,5–10 H a n r e i . Ist das wahr? ...〉 Stimme,] Von Arnim hinzugefügt. In der Q droht Hans zwar damit, Hanrei mit Wasser zu begießen, der Leser des Stückes wird aber darüber im Unklaren gelassen, ob die Handlung tatsächlich ausgeführt wird oder nicht (vgl. Q, S. 737,13–14). Auch das Verstellen der Stimme ist ein Zusatz Arnims. 244,15 Winkel] In Arnims Vorlage ist der Soldat in einem Kasten verborgen (vgl. Q, S. 736,26–27). Die Darstellung dieser Liebesprobe stellt sich im Kern als konstant dar, Abweichungen in den literarischen Fassungen betreffen vor allem die Täuschungsgegenstände (Mobililar, Hausgerät). 244,16–17 ich 〈...〉 setzen] Von Arnim hinzugefügtes Bibelwort, vgl. Mt 25, 21, aus dem Gleichnis Von den anvertrauten Zentnern. Arnim verwendet die Formel auch in der Päpstin Johanna, als der neue Papst Oferus den Fischer Thalmann als Siegelbewahrer mit den Worten einsetzt: Sey du über vieles gesetzt, denn ich habe dich treu bey wenigem erfunden (WA 10, S. 250). 244,20 wundersehr] Vgl. Q, S. 737,31. 244,28 (Sie wischt 〈...〉 Mund.)] Von Arnim hinzugefügt, in Analogie zu S. 235,15 in der vorliegenden Ausgabe. 244,29 Nössel] Flüssigkeitsmaß von unterschiedlicher, im allgemeinen kleiner Größe, ca. ½ Liter. Aus der Vorlage übernommen (vgl. Q, S. 738,10). 244,35–37 Leinenzeug eurer 〈...〉 hatten.] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage gibt Maria vor: heut hab ich lassen ein Bettlaken außwaschen / vnd ist mir vnversehens ein groß Loch darein gebrandt sei (vgl. Q, S. 738,18–20). Die darin enthaltene sexuelle Anspielung hat Arnim modifiziert. 245,1–4 sondern auf die Mäuse 〈 ..〉 bekommen.] Von Arnim hinzugefügt. 245,8–9 O die verfluchten 〈...〉 nähme.] In Arnims Vorlage stellt Hanrei fest, daß Maria das angeblich vorhandene Loch bereits wieder zugenäht hat (vgl. Q, S. 738,27–28). 245,12 M a r i a . O ihr 〈...〉 lieb.] Von Arnim hinzugefügt. 245,13–21 geht nur 〈...〉 Löwe.] Von Arnim hinzugefügt. 245,25–26 Ihr solltet 〈...〉 zugefügt,] In der Vorlage ist Peter nicht krank, sondern hat sich lediglich beim Nachbarn über die Herzlosigkeit des Vaters beklagt (vgl. Q, S. 739,1–2).
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Erläuterungen
245,29–30 wie ein Lamm.] Von Arnim hinzugefügt. 245,31–246,5 mit eurer Braut 〈...〉 sterben.] Die Beobachtungen des Nachbarn als Übergang von der ersten zur zweiten Liebesprobe sind von Arnim hinzugefügt. 246,6 Macht einmal den 〈...〉 todt,] Diese Art der Liebesprobe findet sich in vielen Schwänken und Hahnreikomödien sowie in Johannes Paulis Schimpff vnnd Ernst / durch alle Welthänndel (Arnim-Bibl. B 903). Dort beginnt die Frau erst um den vermeintlich toten Mann zu trauern, nachdem sie sich satt gegessen und Wein aus dem Keller geholt hat (vgl. Pauli 1542, S. XXVIIId–XXIXa). Das Schwankmotiv begegnet auch in der kurzen Erzählung Eine Kurtzweil von zweyen Bierträgern aus Der lustige und poßierliche Historienschreiber (Arnim-Bibl. B 918), in der zwei Bierträger um ein Faß wetten: Der eine will dem anderen die Treue seiner Frau beweisen, indem er sich tot stellt. Diese ist jedoch bereit, gleich in der ersten Nacht der Trauer untreu zu werden. Der Ehemann verliert also die Wette (vgl. Historienschreiber, S. 54–55). Arnim erweitert die Szene gegenüber der Vorlage um einige Repliken und räumt dem Nachbarn eine größere Rolle ein. 246,7 einem Glase Schnaps] In Arnims Vorlage ist Hanrei angeblich in Brandtewein ersticket (Q, S. 739,22–23). 246,10 Schlagwasser] Aus Rosmarinblüten destilliertes aromatisches Wasser, das gegen den Schlaganfall helfen soll. In der Q ist von Krafftwasser die Rede (vgl. Q, S. 739,28). 246,12 Filzhuth] »Filz« dient auch als (veraltete) Bez. eines groben oder geizigen Menschen (vgl. Adelung 2, S. 151; DWb 3, Sp. 1632). In der Vorlage wird der Ausdruck alter Schapensis (= nicht ermittelt; evtl. Verballhornung von lat. sapiens, verständig, weise) verwendet (Q, S. 739,31). 246,13–21 Ich hab 〈...〉 bekommen.] Von Arnim hinzugefügt. 246,25–247,3 Ist er todt? 〈...〉 werden.] Arnim erweitert die Szene gegenüber der Vorlage durch diesen Dialog zwischen Maria und dem Nachbarn (vgl. Q, S. 740,5–11). 247,2 Nasendrücker] Umgangssprachlicher Ausdruck für einen Sarg mit plattem Deckel (vgl. DWb 13, Sp. 411). In der Q weigert sich Maria, ihren Mann überhaupt begraben zu lassen (vgl. Q, S. 740,9). 247,7–8 nein, nun 〈...〉 wieder.] Von Arnim hinzugefügt. 247,9 Und vergeßt 〈...〉 Sohn.] Die Erinnerung an den Sohn ist ein Zusatz Arnims. In der Q macht der Nachbar Hanrei lediglich auf die Untreue seines Dieners Pickelhering aufmerksam (vgl. Q, S. 740,25–29). 247,23 (sieht den Alten liegen.)] In der Vorlage wird Pickelhering vom Nachbarn ins Haus zu Hanrei geführt, während er bei Arnim scheinbar ohne Zeugen agieren kann.
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247,26 erzlächerlich] Gesteigerte Form von »lächerlich« (Präfix »erz-« von griechisch »archi«, führend; vgl. Adelung 1, S. 1956). 247,26–27 wenn der Kerl 〈...〉 aussähe.] Von Arnim hinzugefügt. 247,27 Puppe] In der Vorlage bezeichnet Hans den toten Hanrei als Klotzch (= Klotz, vgl. Q, S. 741,11). 247,30–31 konntest das Geigen 〈...〉 vertragen.] »Geige« wird in alten Redensarten auch sinnbildlich für »Frau« verwendet (vgl. Röhrich 1, S. 524; DWb 5, Sp. 2578). In der Q bedient sich Pickelhering eines ähnlichen Ausdrucks, auch hier mit sexueller Konnotation: 〈...〉 so macht er 〈der Schwager〉 mor-
gen Hochzeit mit ihr. Lieg du mant hier du alter Scheisser / du köntest doch nicht mehr fiedeln (Q, S. 741,15–16). 247,31–248,2 Will doch 〈...〉 einer.] Das Geldzählen sowie die Verwendung des Toten als Zahlbrett sind von Arnim hinzugefügt worden. In der Vorlage hält Pickelhering dem Hanrei den hintersten auffs maul und fordert ihn auf, ihm ein Stück herauszubeißen (vgl. Q, S. 741,17–18). Arnim setzt diese in der Vorlage nicht weiter ausgeführte Passage szenisch um. 248,7–9 er läßt sich 〈...〉 hat.] Von Arnim hinzugefügt. 248,22–23 du bist Fleisch 〈...〉 Bein,] Vgl. 1. Mo 2, 23. Dieses Bibelzitat kommt bereits in der Q vor. Für Gustav Frede´n gilt dies als Hinweis, daß der Autor der Sammlung von 1620 deutschen Ursprungs gewesen sein muß, da er über fundierte Bibelkenntnisse in deutscher Sprache verfügte (vgl. Frede´n 1939, S. 254). 248,23–25 du allein 〈...〉 Ende.] Von Arnim hinzugefügt. In der Q beschließt Hanrei, sich von seiner Frau scheiden zu lassen (vgl. Q, S. 742,21–23). 248,29 umgeben von 〈...〉 Fackeln,] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage hält nur Hanrei eine Fackel in der Hand, weitere Personen außer den Hauptakteuren treten nicht auf (vgl. Q, S. 742,29–32). In der Q sind nie mehr als fünf Personen gleichzeitig auf der Bühne, so daß das Stück – wie alle anderen Singspiele in den ECuT auch – von fünf Schauspielern bestritten werden konnte, was anfangs die gängige Größe einer Wanderbühnentruppe darstellte (vgl. Frede´n 1939, S. 246). Arnim hingegen läßt am Ende – vergleichbar mit dem Schlußtableau in Jann’s erster Dienst – alle Figuren – und im Falle von Herr Hanrei und Maria vom langen Markte – noch weitere »Hochzeitsgäste« – auf der Bühne erscheinen. Das altenglische Stück schließt mit dem Rat Peters an seinen Vater, doch bei seiner Frau zu bleiben, nachdem Pickelhering und der Soldat vor Hanrei geflohen sind (vgl. Q, S. 743,1–4). Ab hier gestaltet Arnim frei von der Vorlage. 249,7 Ach weh, ach weh,] Beginn eines von Arnim häufig variierten, als Hochzeitsklage gemeinten Gedichtes mit dem Titel Komm heraus, komm
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Erläuterungen
heraus du schöne, schöne Braut. Als Vorlage diente das Lied aus dem Wh II 12, Die traurig prächtige Braut. Weitere Bearbeitungen des Liedes sind in der Päpstin Johanna (WA 10, S. 260, 261, 263) sowie in Der echte und der falsche Waldemar (SW 9, S. 43) zu finden (vgl. auch Ricklefs 1980, S. 119, Nr. 977). Auch Brentano integriert einige Verse des Liedes in sein Schauspiel Die Gründung Prags (vgl. FBA XIV, S. 333). In seinen Anmerkungen zu diesem Drama erläutert Brentano die Tradition der Hochzeitsklage: Bei man-
chen slavischen Stämmen versammeln sich die Dirnen am Abend vor dem Hochzeitstage an der Thüre der Braut, und singen ein altes Lied um den unwiederbringlichen Verlust zu beklagen, den sie erleiden soll (FBA XIV, S. 512). 249,14 Mit Geistern 〈...〉 schaffen.] In präanimistischer Auffassung bleibt die Seele nach dem Tod noch eine Zeit lang in der Nähe ihres Körpers, so daß der Tote als Geist erscheinen kann. Die Berührung eines Geistes kann tödlich sein oder zu einer Erkrankung führen (vgl. HdA 3, Sp. 477–478; 483). In einem weiteren Schaubühnen–Stück kommt es zu einer ähnlichen Szene: In Die Appelmänner tritt der Wachtmeister Hans der vermeintlichen Geistererscheinung (Vivigenius) beherzt entgegen, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 326,33–35. 249,16 vom Hasenherz gefressen.] Abgewandelte Form der sprichwörtlichen Redensart »jemand hat ein Hasenherz«, ist furchtsam (vgl. Adelung 2, S. 990; DWb 10, Sp. 537); »Hasenherz« kann auch als Bez. für den ängstlichen Liebhaber (vgl. Röhrich 2, S. 670) oder für ein »Spiessbürgerherz« (Wander 2, Sp. 380, Nr. 2) verwendet werden. 249,25 Schelm zwischen 〈...〉 blinzeln] Redensart (vgl. Röhrich 3, S. 1299). »Schelm« hier als Steigerung anstelle von dem sonst geläufigen »Schalk« (vgl. DWb 14, Sp. 2510). 249,35 kopuliren] trauen (DWb 2, Sp. 636). 250,21–27 (Indem er voller Freude Maria 〈...〉 auf).] Eine Erzählung in M. Johannes Praetorius’ Gazophylaci Gaudium, das sich in Arnims Bibliothek befindet (Arnim-Bibl. B 62), weist thematische Parallelen zu dieser Szene auf. Dort findet bei der Hochzeit zweier Paare ebenfalls eine Verwechslung statt, die allerdings nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (vgl. M. Johannes Praetorius, Gazophylaci Gaudium Das ist / Ein Ausbund von Wündschel-Ruthen Oder sehr lustreiche / und ergetzliche Historien Von wunderseltzamen Erfindungen der Schätze. Leipzig 1667, S. 143–144). Die Vertauschung der Braut erweist sich allgemein als gängiges Schwankmotiv. 250,30 Potz Marter] Vmtl. aus der Interjektion »Gotts!« entstandener Ausruf der Verwunderung, in der Verbindung mit »Marter« bei Adelung und im DWb nicht geläufig (vgl. Adelung 3, S. 818; DWb 13, Sp. 2039–2040).
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251,4–5 niemand soll 〈...〉 malen.] Von Arnim hinzugefügte Redensart (vgl. Wander 4, Sp. 1112, Nr. 1227). 251,13–14 der Mann soll 〈...〉 seyn.] Vgl. 1. Mo 3, 16 sowie 1. Ko 11, 3; Eph 5, 22–23; 1. Tim 2, 12. Das Bibelwort wurde im 18. Jh. als Argument in der Auseinandersetzung über emanzipatorische Fragen verwendet, etwa in Lazarus Bendavid, Und er soll dein Herr sein. 1. Mose, Kap. 3, Vers 16, in: Berlinische Monatsschrift 1796, Bd. 28/10, S. 354–367 (zur darauf folgenden Auseinandersetzung mit Bendavids These vgl. Kluckhohn 1933, S. 301). 252,8–10 gieb mir 〈...〉 Hans.] Diese Passage erinnert an Shakespeares The Merry Wives of Windsor, wo der französische Arzt Cajus in dem Glauben, er heirate Anne Page, einen postmaster’s boy zur Ehe nimmt: Caius. 〈...〉 By
gar, I am cozen’d I ha’ married oon garsoon, a boy; oon pesant, by gar. A boy! It is not Anne Page. By gar, I am cozen’d (Shakespeare Works, S. 355, Z. 204–205; (Vgl. die Stelle in einer zeitgenössischen Übersetzung, die sich in Arnims Bibliothek nachweisen läßt: Pardieu, man ’aben mick be-
trogen; ick ’aben ge’eirathet un garcon, einen Musje, un paisan, pardieu, einen Jungen; es seyn nicht Anne Page; man ’aben mick betrogen, parbleu. Ik sein geführt an. Ik ’aben geheirath un garcon, heine Jong« (Shakespeare’s von Schlegel noch unübersetzte dramatische Werke, übers. von mehreren Verfassern. Dritten Theils erste Hälfte. (Die lustigen Weiber von Windsor, übers. von Hans Karl Dippold). Berlin 1810, S. 191; Arnim-Bibl. B 1604b). 252,9 hilf mir von dieser Frau,] In seiner Rezension in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung korrigiert Wolfram den Grammatikfehler, der sich im Erstdruck findet (»hilf mich von dieser Frau«; vgl. R 5, S. 470,28). Arnim verwendet den Akkusativ in Verbindung mit dem Verb »helfen« jedoch auch an anderer Stelle, vgl.: Es giebt Kanarienvögel, die sich zwischen
dem Busen ihrer Herrin mit ihren Flügeln decken, was die wohl träumen? Ich weiß es nicht, aber sie liegen ganz still bis sie dem Morgenlicht mit Gesang ihren Traum verkünden, die haben mich auch auf diese Lehre geholfen (GSA 03/227). 252,24 Eingebrachten] Mitgift, alles, was die Frau in die Ehe bringt (vgl. Adelung 1, S. 1691). 253,2–5 (Alle schlagen, 〈...〉 lacht.)] Regieanweisungen dieser Art, die nur in groben Zügen den weiteren Verlauf der Handlung skizzieren und damit den Schauspielern die Möglichkeit des Stegreifspiels, des Extemporierens der Szene an die Hand geben, gehen u. a auf die Tradition der Commedia dell’ arte zurück. 253,6 Was sich paßt 〈...〉 schicken,] Dieses die Handlung kommentierende Schlußlied erinnert an die Tradition des Fastnachtsspieles, in dem häufig der Wunsch zur guten Nacht am Ende geäußert wird. Eine etwaige Vorlage ist nicht bekannt.
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Zu: Der wunderthätige Stein. Ein Hanswurstspiel Quelle: Ein ander lustig Pickelherings Spiel / darinnen er mit einen Stein gar lustige Possen machet, in: ECuT I, hg. v. Friedrich Menius, S. 689–714.1
Ein ander lustig Pickelherings Spiel / darinnen er mit einen Stein gar lustige Possen machet.
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Personae. H a n s der Bawr. F r a w die Bawrin. W i l h e l m der Müller.
5
Hans kömpt mit der Frawen herauß.
10
15
H a n s . Fraw hastu da die Milchsuppen? F r a w . Ja hie habe ich eine / aber du solt sie nicht allein außfressen. H a n s . Awe ja du must mit mir essen / aber gehe hin vnd mache erstlich die Thür zu / auff daß vns keiner verhindere an vnser Mahlzeit. F r a w . Das laß ich wol stehen / gehe selber hin vnd mache sie zu / kanst〈u〉 sie doch eben so wol zumachen wie ich. H a n s . Potz schlapperment du must zu machen / oder ich werde dir gewaltige grewliche Pumpes auff dein gebendedeyten Kopff geben. 1
Die für den Abdruck in dieser Ausgabe verwendete Vorlage von 1620 weist keine Zäh-
lung auf, die hier erfolgende Darbietung des Dramentextes wurde paginiert. Dies betrifft auch die Q zu
Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie Jemand und
Niemand. 765
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F r a w . Gib her bistu so keck / solt fürwar 10. vor einen bekommen / du weist wer Oberherr vnter vns zu seyn pfleget. 691 H a n s . Ad spectatores. Es ist war / so offt ich sie nur hab schlagen wollen / ist sie mein Oberherr worden: Hör Fraw wiltu dieses eingehen? Der erste so ein Wort redet / sol die Thür zu machen. F r a w . Ich bin solches wol zu frieden.
5
Essen / Hans isset mit der Handt.
Jetzt kömpt der Müller W i l h e l m . Wie mag dieses kommen / daß die Thür so weit offen stehet / vnd keiner ist im Hause. Sieh da seynd sie / wanne wie kan mein Nachbawr Hans fressen. Guten Tag guten Tag mein guten Nachbarn.
10
Antworten ihm nicht / zeuget auff ihr / sol antworten.
Wie zum Teufel sol ich diß verstehen / seynd sie nun beyde stum worden / mein getrewer Hans antwortet mir / denn für ein Stunde hab ich ja 〈n〉och mit euch geredt.
15
Zeuget auff ihr / sie auff ihn.
Mein gute Nachbawrin was bedeutet dieses daß ihr nicht redet / wie zum Element kömpt dieses / sind ihnen die Zungen außgeschnitten / oder narren sie sich / ein wunderlich Ding ist es / Mein Nachbawrin dieses muß ich erfahren / kompt mit mir in mein Hauß.
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Sie gehet mit im. 692
H a n s . Hier laß mir mein Fraw. F r a w . O du hast verlohren / vnd must die Thür zu machen. W i l h e l m . Mein lieber Nachbawr sagt mir was bedeut dieses. F r a w . Mein lieber Wilhelm ihr wir zancketen vns darumb / wer die Thür solte zumachen / da satzten wir dieses wer erst anfieng ein Wort zu reden / solt die Thür zu machen / nun muß er sie zu machen. H a n s . Ich muß sie nun zu machen / aber Nachbawr Wilhelm / ihr habet aller Schuldt. W i l h e l m . O ho was habe ich dieses gewust / ich sahe auch vnd könte mich nicht gnugsam verwundern / warumb die Thür so sperrweit offen stund vnd war kein Mensch im Hause. Gehet hinein. 766
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H a n s kömpt herauß. Daß dich potz Schlapperment / mich düncket daß mir mein Fraw ein baar Hörner auffsetzet / denn der Schelm mein Nachbawr Wilhelm weiß sich so bald bey ihr zu finden / wann ich auß dem Hause gehe / ja ja es ist nicht anders der Schelm hülffet mir / denn hierdurch kan ichs gnug abmercken / mein Fraw die ehrlose Hure redete diese Nacht im Schlaff von ihm. Sie sagt mein hertzlieber Nachbawr Wilhelm :/: aber einen gewaltigen lustigen practischen Rath habe ich bey mir bedacht / es wohnet in der Statt ein grewlicher heßlicher Kerls / der des Teuffels Meister ist / vnd die schwartze Kunst kan / zu dem wil ich jetzunder gehen / daß er mich mache in die Gestalt des Schelms Nachbawrs Wilhelms. Denn wil ich recht vnd gewiß erfahren vnd in der Gestalt zu meiner Frawen gehen / ich werde es bald sehen / befinde ich es also / daß der Schelm Nachbawr Wilhelm bey ir schläffet / so sol ich ihr potz Element auff den Kopff geben. O ich bin listig Fraw / du solt mich nicht vexiren. Nun ich kan nicht lenger hier verharren / sondern ich muß mich zu des Teuffels Meister machen / denn das lieget mir zu sehr im Kopffe / mein hertzlieber Nachbawr Wilhelm. Mein hertzl. etc.
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Gehet hinein / kömpt die Frau vnd Wilhelm.
F r a w . Mein hertzlieber Nachbawr Wilhelm / eins muß ich euch erzehlen. W i l h e l m . Sagt her / sagt her. F r a w . Hie habe ich gestanden vnd also angehöret / was mein Hans beschlossen vnd gesaget. Ihm dauchte er were gar allein vnd sagte / er hielte dafür / ihr müstet bey mir schlaffen / denn er von mir in Schlaffe gehöret / das ich gesaget hette / mein hertzlieber Nachbawr Wilhelm / ich habe mich vber den Narren / bald den Bauch in 4. Stücken gelacht. W i l h e l m . Nun wie es war ist? sagt fürder. F r a w . Darnach sagt er / er müste es recht erfahren / vnd zwar also / es wohnete ein Schwartzkünstler in der Stadt / zu dem wolt er gehen / der solt ihm ewer Gestalt geben / vnd damit wolt er zu mir kommen / vnd so erfahren / ob ich euch auch lieb hette / darumb ist mein Rath daß ihr euch alßbald dahin verfüget / vnd euch ankleidet / alß weret ihr der Schwartzkünstler / vnd gebt ihm solch einen Rath / daß er ewer Gestalt an sich bekomme daß wir genug den Narren mit ihm treiben können. 767
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Zu: Der wunderthätige Stein
W i l h e l m . O ho? dieses sol recht angehen / Hans Hans du must gleich ein paar Hörner tragen. Sagt mir ist er schon auff den Wege daß er hingehe. 695 F r a w . Ja er ist schon hingangen / darumb müst ihr euch nicht seumen. W i l h e l m . So ist mein Wesen nicht lenger hie / ich weiß daß ich eher komme denn er.
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Gehen hinein.
H a n s . Nun bin ich kommen an den Orth / da der Teufels Meister seyn sol / aber ich kan ihn nicht außfragen / wenn ich nur zu den Kerl kommen soll / so wolte ich frölich seyn / denn ich kans nicht vergessen / es ist mir vnmüglich / daß mein Fraw sagte / mein hertzlieber Nachbawr Wilhelm / den Teufels Meister muß ich wissen / oder gebe mich nimmer zu Frieden. Gehet hinein. Wilhelm kömpt in schwartzen Rock.
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W i l h e l m . Nun bin ich der Schwartzkünstler worden / meinen Nachbawr Hans muß ich Rath geben / wie er Wilhelms Gestalt an sich nehme / da kömpt der alber Narr hergangen. Hans kömpt / Wilhelm macht einen Circul / creutzet / schlägt das Buch auff.
H a n s . O ho ich gleub daß derselb des Teuffels Meister seyn soll / ich muß zu ihm gehen / guten Tag. 696 Wil in den Circul gehen / schlägt ihn zu rück. W i l h e l m . Ich rahte dir komme nicht in diesen circulum oder der Teuffel nimpt dich mit. H a n s . Mein Herr seyd ihr nicht des Teuffels Meister? W i l h e l m . Ja der bin ich. Ich habe hier etwas zu thun / laß mich vnmolestiret.
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Fantesiret / Hans schmeist sein Hut in den Circul.
H a n s . O ho Herr Teufel Meister es ist nicht war was ihr von Circkel saget. W i l h e l m . Warumb solt das nicht war seyn / wie weistu das? H a n s . Ja seht ihr wol / mein Hut habe ich in den Circul geschmissen / vnnd der Teufel wil ihn nicht weg nehmen. W i l h e l m . Ja der Teufel fragt viel nach deinen alten beschißnen Hut / du aber soltest da nit halb so lang inne seyn. Sage n〈u〉n an was ist dein Begehren vnd was wiltu haben? 768
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H a n s . Mein lieber Herr Teuffels Meister / ich bin derhalbe〈n〉 zu euch kommen / ich hab ein Fraw zu Hause / die ist ein wenig schön / vnd allda wonet ein Müller der heist Wilhelm / derselbe Schelm gehet zu meiner Frawen / wenn ich nicht zu Hause bin / daß mich auch deucht / der Schelm muß bey meiner Frawen schlaffen / auch habe ich dadurch solches abnehmen können / denn diese vergangene Nacht sagte meine Fraw im Schlaffe / mein hertzlieber Wilhelm :/: hierüber ich mich nicht kan zu frieden geben / ich muß es recht erfahren: Derhalben könt ihr mir die Gestalt des Wilhelms geben / so wil ich euch einen Ducaten dafür schencken / auff daß ich denn recht sehen möge / ob der Schelm Willhelm bey meiner Frawen schlaffe. W i l h e l m . Oho wenn ich euch nicht Willhelms Gestalt könte geben / so were ich ein armer Teuffels Meister / ich weiß alle statur vnd Gestalt des Menschen / wenn sie auch tausendt Meilwegs von hier weren / vnd kan diese Gestalt einen andern geben / der sie begehrt. Zwar keinen bessern Rath konte ich euch geben / daß ihr zum füglichsten erfahren köntet / ob ewer Nachbar Willhelm auch bey ewer Frawen schlaffe / ihr seyd wol simpel anzusehen / aber gar weißlich dieses bedacht. H a n s . Ja es ist wahr / ein gewaltig practischer Kopff bin ich. W i l h e l m . Wollet ihr mir ein Ducaten geben / so wil ichs machen wie ihr Wilhelms Gestalt sollet bekommen. H a n s . Hie ist ein Ducat / so lernet mir es auch. W i l h e l m . Das wil ich thun / höret mir fleissig zu. Diese zukünfftige Nacht vmb 12. Vhr gehet auff ewren Kirchhoff / vnd gehet vmb die Kirche dreymal herumb / vnd allemal betet ein Vater vnser / zu letzt gehet recht vor die Kirchthür / da creutziget euch offt hin vnd her / denn werdet ihr finden ein grossen Stein für der Thür liegen / derselbe Stein ist seiner Kunst vnd Tugendt wegen hundert Ducaten werth / denn wenn ihr denselben auff ewre Achseln leget / so habt ihr die Gestalt ewers Nachbars Wilhelms / vnd jederman siehet euch dafür an / so bald ihr aber denselben wieder von euch leget / seyd ihr in ewer eigen Gestalt / wie jetzunder. Diese Kunst hab ich viel tausenden mitgetheilet / die auch auff diese Weise ihre Weiber probiret / ob sie auch andere lieben / sie ist gar gewiß / vnd verhelt es sich nicht also / so kommet wieder / vnd holet ewren Ducaten. 769
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Zu: Der wunderthätige Stein
H a n s . Ah ah / Herr Teuffels Meister / ihr seyd mir gleich ein Engel vom Himmel gesand. Nun bin ich ein prav Kerl / wenn ich solch eine Kunst weiß / gewaltig werde 〈i〉ch meine Fraw versuchen / vnd wo sie den Schelm meinen Nachbar Wilhelm liebet / so sol ich ihr potz schlapperment auff den Kopff geben. Herr Teuffelsmeister die Nacht vmb 12. Vhr sol ich auff den Kirchhoff gehen. W i l h e l m . Ja mitten in der Nacht / vnd wie gesagt für der Kirchthür werdet ihr einen Stein finden / der solche Kunst in sich hat. H a n s . Nun Herr Teuffels Meister / so habt ihr danck für diese herrliche Kunst / ich wil nun hingehen / vnd es also machen / wie ihr mir befohlen.
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Gehet hienein.
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W i l h e l m . Das mag wol vexiret heissen / wenn ich so viel Ducaten verdienen köndte / beym Element ich würde mein Tage nicht mehr Müller. Nun muß ich mich auffmachen / daß ich ehe komme als er / vnd ihm einen Stein vor die Kirchthür lege / damit er darnach die Fraw probire / vnd wir den Gecken weiter an ihn scheren.
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ACTUS SECUNDUS. Jetzt kömpt H a n s herauß. Ahah / ahah / nun bin ich voller Künste / ja ein kunstreich Kerl. Legt den Stein bey sich. Hier habe ich ein Kleinodt / vnd dieser Stein ist seiner Tugendt wegen tausendt Thaler werth. Den Stein habe ich in der Nacht vmb 12. Vhr für der Kirchthür funden / der Teuffels Meister sagets ich würde einen finden / vnnd ich fand ihn auch. Aber / voll Künste / voll Künste ist der Stein.
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Leget ihn auff die Achsel.
Ahah / ahah / ich bin nun gar verwandelt / vnd sehe Leibhafftig auß als Nachbar Wilhelm. Wanne / wanne ich bin ein kunstreich Kerl / voll eitel Kunst / voll eitel Kunst / so bald ich diesen Stein nieder lege / so bin ich wieder der listige practische Hans. 701 W i l h e l m . Kömpt eilends herauß. Ich habe so gar eilends etwas zuverschaffen. Kömpt für ihn zu stehen / verwundert sich. 770
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Wie zum Element siehet dieser Kerl auß? potz schlapperment: eben als ich / dieses kömpt mir wünderlich vor / denn ich gar keinen Bruder habe / hörstu was bistu vor einer / gib dich kund. H a n s . Kennestu mich nicht / ich bin der Müller hie in diesem Dorffe. W i l h e l m . Du der Müller? das leugstu wie ein Schelm / der Müller bin ich / vnd heiß Wilhelm. H a n s . Das wollen wir wol treffen / ich heiß Wilhelm vnd bin der Müller / vnd du solt sehen auff den Abendt wil ich in der Mülle bey deiner Frawen schlaffen. W i l h e l m . Darfür sol dir potz Element auff deinen Kopff fahren. Läufft hienein / Hans legt den Stein nieder / Wilhelm kömpt vnd hat ein Prügel.
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Du Schelm wiltu mir bey meiner Frawen schlaffen? Aber? wo zum Teuffel ist der Schelm geblieben / sieh nirgendt ist er. Mein guter Nachbar Hans / was ich doch sagen wil / habt ihr keinen Kerl gesehen / der eben so außsieht wie ich? H a n s . Nein mein guter Nachbar Wilhelm ich hab keinen gesehen / aber sagt mir warumb fragt ihr? W i l h e l m . Jetzund war ein Schelm hier / der hatte eben solche Kleider an wie ich / sahe auch gleichsam eben so auß wie ich / also daß ein jederman ihn vor mich ansahe. Derselb Schelm sagt er hieß Willhelm / er were Müller allhie / vnd wolte auff den Abend auch in die Mülle kommen / vnd bey meiner Frawen schlaffen. Wodurch ich denn zu Zorn bewogen / vnd holete einen Prügel / wolt ihn abschlagen / wie ich wieder herausser komme / ist der Schelm weg. H a n s . Ja ich wil euch rathen mein guter Nachbar / daß ihr ewer Fraw in acht habet / auch nimmer von Hause ziehet / denn alßdenn solte der Schelm kommen / geben sich vor euch auß / vnd schlaffen die gantze Nacht bey der Frawen. W i l h e l m . Ja gewiß ich befürchte mich vor den Schelm gewaltig / nun darff ich keine Nacht / ja keine Stunde mehr auß dem Hause bleiben. A l t e r . Mein guter Nachbar / sagt mir doch mehr von dem Schelm / wo stundt er denn? W i l h e l m . Alßbald wil ichs euch sagen / wil nur zuvor den Prügel ins Hauß tragen. 771
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Zu: Der wunderthätige Stein
Gehet hinein.
H a n s . Legt den Stein auff die Achsel. Dieser Edelgestein ist mit keinem Gelde zu bezahlen. W i l h e l m kömpt wieder. Mein guter Nachbar. Sieh sieh du Schelm bistu da wieder / dich sollen potz schlapperment holen.
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Laufft hinein / er legt den Stein abe.
Wo ist der Schelm? wo blieb er mein guter Nachbar Hans / ihr habt ihn ja gesehen? Wo lieff er hin. H a n s . Ja ich hab ihn gesehen / vnd hette geschworen ihr werets selbst / hie lieff er hin.
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Er läufft hin. 704
Nun Teuffels Meister ich werde dir mehr Geldt geben / denn du hast mich eine solche Kunst gelehret / davon ich mehr halte als von meiner Frawen. W i l h e l m . Nein / nein der Schelm ist nirgendt. H a n s . Er muß da seyn / denn jetzt lieff er da hinein. W i l h e l m . Er ist da nicht / denn es ist kein Orth ich habe ihn gesucht / derhalben deucht mich er kan kein Mensch seyn / sondern der Teuffel selbst. H a n s . Vnd ich gläub es auch / denn jetzt war er hie / vnd nun ist er verschwunden. W i l h e l m . Wann der Schelm nur möcht stehen / ich wolt ihn zerschlagen / vnd were er auch des Teuffels Vater. Potz schlapperment / ich muß nach Hause lauffen / denn der Schelm möchte wol bei meiner Frawen seyn.
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Gehet hinein.
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H a n s . Lauff hin du einfältiger Narr / jetzt wirstu mich bey deiner Frawen nicht finden / aber auff ein ander Zeit werde ich wünderlich mit deiner Frawen spielen. Diese gewisse Kunst ist besser denn Goldt / denn sehen kan man ob seine Fraw auch getrew ist / ja nun weil ich dieses weiß / bin ich sechsmal besser vnd weiser dann zuvor. Nun / nun sol es erst recht angehen mit meiner Frawen / ich wil alßbald sehen / ob sie bey meinem Nachbar Wilhelm schlaffe / Nun wil ich sie herauß fordern / vnd mit meiner Kunst probiren. 772
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Klopfft an.
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Holla / holla mein gute Nachbarin / kompt ein wenig herauß. F r a w . Wer ist da? Kömpt herauß. Seht Nachbar Wilhelm seyd ihrs? Seyd mir willkommen. H a n s . Ich dancke euch. Sagt mir wo ist ewer Mann? F r a w . Mein Mann ist in zweyen Tagen nicht zu Hause gewesen / ich verwundere vnd betrübe mich sehr / wo er so lange bleibet. H a n s . So? nun hab ichs recht vnd wol getroffen / Mein hertzliebe Nachbarin / so last vns nun mit einander frölich seyn / weil er nicht zu Hause ist. F r a w . Aber / wie frölich? das versteh ich nicht. H a n s . Wo nu? wo nu? wolt ihrs nicht verstehen / gebt mir einen Kuß / denn solches hab ich wol öffter von euch empfangen. F r a w . Pfui dich an / pfui du Hurenschelm / denckestu mich zu vnehren? Wenn hab ich dir Schelmen einen Kuß gegeben? nimmer. Hab ich nicht meinen hertzlieben Mann Hansen / wofür ist der? Dich sollen hiervor potz Element holen / denn ich wil dich so von der Thür jagen / daß du nit wissest wie du darvon kömpst.
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Läufft hinein / Hans legt den Stein abe. 20
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H a n s . Das ist mir eine ehrliche Fraw / ein fromme auffrichtige ehrliche Fraw. F r a w . Bringt ein Prügel in der Hand. Dich sollen potz! Der Schelm ist schon weg. Sieh da mein hertzlieber Mann Hans willkommen. H a n s . Mein hertzliebe Fraw ich dancke dir / sag mir wen woltestu schlagen mit deinem Prügel? F r a w . O mein hertzlieber Mann / solches muß ich euch klagen. Hier kömpt der ehrvergessene Schelm der Müller Wilhelm her / vnd wolte mich zu Vnzucht nötigen / sagte ich hette ihm ja wol ehe einen Kuß gegeben / da ich doch mein Tage dem Schelm mit meinem keuschen Mund an sein vnkeusches Maul nicht gekommen / denselben Schelm wolte ich dafür schlagen / vnd er ist mir entlauffen. H a n s . Wanne / welch ein Schelm / woltestu bey meiner Frawen schlaffen? Nun nun das sol dir redlich bezahlet werden / Fraw wiltu es gleuben / ich kan zaubern / vnd wils machen / daß der Schelm Wilhelm sol alßbald vor dich zu stehen kommen. 773
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Zu: Der wunderthätige Stein
F r a w . O wenn ihr das köntet thun / beym Element ich wolte den Schelm grewlich zerschlagen. 708 H a n s . Nein dißmal schlage ihn nicht / so sol er alßbald kommen. F r a w . Nun so wil ich ihn nicht schlagen / machet daß er kömpt. H a n s . Das sol alßbald geschehen / stehe nur vmb / vnd sieh mich nicht an. F r a w . Ich kan es noch nicht gläuben / ich sehe es denn.
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Gehet vmbstehen / er leget den Stein auff.
Sieh wunder / wunder / wie geht doch dieses zu? da steht der ehrlose Schelm / der mein jetzo nach seinen Willen begehrete. Mein lieber Hans wo seyd ihr geblieben? H a n s . Kehret euch vmb Nachbarin / so wird ewer hertzlieber Mann Hans wieder bey euch seyn.
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Kehret sich vmb / er leget den Stein abe.
Sieh nun Herr wer bin ich nun? F r a w . O mein hertzlieber Mann Hans. Ey mein lieber Hans saget mir doch wie gehet diß zu? 709 H a n s . Das wil ich dir sagen / ich habe allezeit gemeynet das vnser ehrlicher Nachbar Wilhelm bey dir schlaffen solte / derhalben gieng ich in die Stadt zum Teuffels Meister / vnd gab ihn einen Ducaten / der muste mich lernen / daß ich des Nachbar Wilhelms Gestalt könte an mich nemen / als ich denn nun kan. Wormit ich dich versuchet / vnd ehrlich / from vnd redtlich funden. F r a w . O mein lieber Mann / das vergelte euch Gott / ich wils euch allwege gerne vergeben. Ich wuste auch nicht wie das kam / fürwar ihr habt dem Teuffels Meister das Geldt nicht vergebens geben. W i l h e l m kömpt. Ey ey ich armer Kerl / höret doch mein guter Nachbar vnd Nachbarin / was ich euch klagen muß: Es kam ein ehrvergessener Schelm zu mir / der sahe Leibhafftig auß wie ich / vnd sagte er hieß Willhelm / er were Müller / vnd wolte auch in der Mühle die Nacht bey meiner Frawen schlaffen. Es war kein Mensch / sondern der Teuffel müst es seyn / denn wenn ich ihn schlagen wolte / so verschwand er / wie euch mein lieber Nachbar bewust / weil ihrs selbst mit Augen angesehen. 710 F r a w . Hoho. 774
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H a n s . Halt das Maul Fraw vnd sage kein Wort / bey vnser höchsten Vngnade / ja mein lieber Nachbar ich sahe ihn wol / es war der Teuffel selbsten / ihr müsset ewer Fraw wol verwahren / vnd nicht weit von ihr seyn / denn der Schelm schwur / er wolte bey ihr schlaffen. W i l h e l m . Es gibt mir wol groß verhinderniß / daß ich allezeit / wenn ich weg gehe / meine Fraw sol verwahren. Jetzund da ich von ihr gangen bin / hab ich sie in die Kammer verschlossen / drey grosse Schlösser dafür gehangen / vnd ein hauffen Creutzgen an die Thür geschrieben. H a n s . Ja mein guter Nachbar Wilhelm / der Teuffel ist so ein Schelm / er brühet euch gleichwol / er fraget den Teuffel nach den Creutzigen / der Schelm kan durch Eiserne verschlossene Thüren kommen / vnd ich weiß / jetzund ist er bey ewer Frawen. W i l h e l m . Hey ich armer Kerl / wie bin ich zu dem Kerl kommen / nun muß ich wiederumb nach Hause lauffen / vnd wo ich den Schelm bey ihr finde / so wil ich ihme die Augen auß dem Kopffe schlagen.
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Wil hin lauffen. 20
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H a n s . Halt halt mein guter Nachbar / laß dir erstlich was sagen / hie / hie ist der Mann voll Künste / ich bin der Mann / der sich in Wilhelms Gestalt machen kan / ich wil euch sagen / ich kan zaubern. W i l h e l m . Ey mein guter Hans / das möcht ich wol gerne sehen. H a n s . Kehret euch beyde vmb / vnd sehet mich nicht an / alßdenn solt ihr sehen wie ich ewer Gestalt habe. W i l h e l m . Wir haben vns nun vmbgekehret. Hans legt den Stein auff.
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H a n s . Sehet nun her. W i l h e l m . Wanne / wanne beym Element das ist derselbe Kerl / der da sagt ihm gehöre die Mülle z〈u〉. Sehet meine gute Nachbarin / siehet 〈e〉r nicht eben so auß wie ich? F r a w . Ja Leibhafftig sieht er so auß wie ihr. Wanne wanne Hans könt ihr solches / vnd sitzet hier, H a n s . Ich bin nun nicht Hans / sondern Nachbar Wilhelm / stehet ein wenig vmb / so sol Nachbar Hans wieder kommen. W i l h e l m . Ja wir wollen vmbstehen. 775
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Zu: Der wunderthätige Stein
Stehen vmb / legt den Stein abe.
H a n s . Hie bin ich nun Leibhafftig wieder. Hahaha / habt ihr wol ewr Tage so ein kunstreich Kerl gesehen wie ich bin. W i l h e l m . Nein all mein Tage nicht. F r a w . Vnd ich auch nicht. H a n s . Derhalben must ihr mich nun fürder in grossen Ehren halten / als zuvorhin. W i l h e l m . O Hans das versteht sich / viel in grössern Ehren / denn ihr seyd nun ein Doctor, wegen ewer Kunst. Aber mein lieber Hans / 713 ich befürchte mich gleichwol für euch / denn ich kans nicht vergessen daß ihr saget / ihr weret der Müller Wilhelm / vnd wollet auch in die Mühle bey der Fraw / es ist war ich befürcht mich trefflich sehr / denn ihr sehet auch leibhafftig wie ich / vnd ewr Sprache ist auch eben wie die meine / daß meine Fraw nicht anders meynen solte / als were ichs / vnd ir soltet wol 1000. Nacht bey ihr schlaffen / vnd sie solte meynen ich were es. H a n s . Ist die Sprache auch eben wie ewer / wenn ich so außsehe? W i l h e l m . Ja gar recht als redet ich selber. H a n s . A ha haha / das habe ich noch nicht eins gewust / ja daß ist ein Kunst. O wenn ich diese Kunst vor ein Jahr oder 12. gewust aha / so solte es recht angangen seyn. Denn wenn mich alßdenn ein Kerl viel gebrühet hette / vnd were es auch der König gewesen / so wolte ich in darfür bey seiner Frawen geschlaffen haben / gleubt mir dieses zu bey meiner ehrnvesten Redligk〈e〉it / denn nun frage ich so sehr nicht nach / vnd vornemlich wil ichs derhalben nicht thun. Vmb ewrenthalben habe ich diese edle Kunst mich lernen lassen / dieweil ich euch in Verdacht hielt mit meiner Frawen / als soltet ihr bey ihr schlaffen: Nun hab ichs probiret vnd habe euch 714 vnd meine Fraw redlich vnd ehrlich funden / denn wie ich in ewer Gestalt zu ihr kam / vnnd fragte nach der Schantz / begönnete sie zu schlagen / sagte ich hab meinen hertzlieben Hans da / den liebte ich allein. W i l h e l m . O das vergebe euch Gott i〈hr〉 habt so ein ehrliche Fraw. Ich dancke euch aber darneben freundtlich / daß ihr meine Fraw verschonen wollet. 776
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Quellentext/Zu Arnims Quelle
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H a n s . Das habe ich euch gelobet vnd wils auch halten / gleich eim ehrlich Hans. Aber hette ich meine Fraw vntrew funden / so hette ich ewer Fraw auch gar behalten. W i l h e l m . Ja derhalben ist ewr Fraw vnn ich gar zu ehrlich. Mein lieber Hans / es ist doch gar ein Kunstreiche Kunst / laß sie doch all vnsere Bawren sehen / ich wil die Glock ziehen / vnn sie zusammen leiten. H a n s . Das wil ich thun / die Lawren werden sich gewaltig verwundern. Sehet euch vmb / ich wil Wilhelm werden. W i l h e l m . Seht seht / er sieht wieder als ich / leibhafftig siehet er auß alß were er mir hinden auß dem Auge / damit ich ihn muß sehen / gekrochen. Wanne wanne ein Kunstreich Hans. FINIS. Zu Arnims Quelle und deren Vorläufern Wie Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie Jemand und Niemand ist Der wunderthätige Stein eine Adaption eines Stückes aus der 1620 von Friedrich Menius herausgegebenen Dramensammlung Engelische Comedien und Tragedien (ECuT I, vgl. Q, S. 765–777 und Arnims Anmerkungen, in der vorliegenden Ausgabe S. 335,1–2). Neben Arnims Bearbeitung des Stoffes um den wundertätigen Stein, der angeblich seinem Besitzer die Macht verleiht, eine beliebige Gestalt anzunehmen, gibt es sechs weitere Dramenversionen, die sich mit demselben Thema befassen. Vorlage für das Pickelherings Spiel in den ECuT I ist das englische Stück The Dumb Knight, dessen Stoff auch für ein Zwischenspiel der Danziger Tragicomoedia vom stummen Ritter verwendet wurde. Ferner existieren zwei niederländische Bearbeitungen des englischen Originals. Jacob Ayrer verwendet den Stoff mit wenigen Abweichungen von der in den ECuT I abgedruckten Version in seinem Zwischenspiel in der Comoedia vom König in Cypern (Ayrer 1618, S. 399c–400a; 401a–402c; 403b–404b), auf die auch Ludwig Tieck in seiner Vorrede zum Deutschen Theater hinweist (vgl. Tieck 1817 I, S. XXIX). Die dort agierenden Personen sind Jahn, Labia und Guilhelm, die am Ende der Akte 1–3 der Comoedia auftreten und die Haupthandlung unterbrechen. Arnim dürfte das Zwischenspiel aus dem Opus Theatricum gekannt haben, da er Ayrers Dramen besaß (Arnim-Bibl. B 891, vgl. den Überblickskommentar zu Jann’s erster Dienst, S. 523), übernahm jedoch
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Zu: Der wunderthätige Stein
keines der von Ayrer hinzugefügten Motive bzw. keine der Episoden in seine Bearbeitung des Stückes. Daß der Stoff weit verbreitet und beliebt war,2 läßt sich durch eine Parallele zu einer Novelle in Giovanni di Boccaccios Dekameron belegen, in der sich der einfältige Maler Calandrino einen Stein beschafft, von dem man ihm erzählt, er sei der unsichtbar machende Heliotrop3 (Boccaccio 1519, S. CLXVIa–CLXVIIId). Arnim zieht keine der anderen Versionen für seine Bearbeitung heran, sondern orientiert sich stark an der Q. Die vorgenommenen Änderungen beschränken sich auf den ersten Blick auf geringfügige, die Handlung nicht beeinträchtigende Elemente und sprachlich-stilistische Aspekte. Bei der Konzeption der Figuren nimmt Arnim allerdings Änderungen vor, die Konsequenzen für die Aussage des Stückes und dessen Gattungsbezeichnung haben. Wie bei Herr Hanrei und Maria vom langen Markte handelt es sich beim vorliegenden kurzen Stück mit drei Personen um eine Hahnreikomödie mit den für diesen Typus konstitutiven Elementen der Liebesprobe und der erfolgreichen Intrige gegen den am Ende gehörnten Ehemann (vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 746). Die Figur des Pickelhering in der Q ist nicht wie bei Herr Hanrei der »Gewinner« des Spiels, sondern bleibt der Angeführte. Dies veranlaßt Arnim, wie er in seinen Anmerkungen ausdrücklich vermerkt, der Figur einen anderen Namen zu geben und die Gattungsbezeichnung von »Pickelheringsspiel« (vgl. Q) in »Hanswurstspiel« zu ändern (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 335,2–8). In der Q zeichnet sich Hans durch seine selbstgefällige, dreiste und verschlagene Art aus, wodurch die gegen ihn gesponnenen Intrigen in gewisser Hinsicht gerechtfertigt erscheinen. So droht er Wilhelm etwa als sein vermeintlicher Doppelgänger, du solt sehen auff den Abendt wil ich in der Mülle bey deiner Frawen schlaffen (Q, S. 771,9–10). Arnim gestaltet die Figur zum dummen alten Hahnrei/Hanswurst um, der Angst vor seiner dominanten jungen Frau hat. Dadurch verstärkt Arnim die klassische Personenkonstellation einer Hahnreikomödie. Die Q läßt das Alter der Personen offen. Außerdem ist der Nachbar Wilhelm dort verheiratet. An seiner Vorlage dürfte Arnim v. a. der Umgang mit dem Aberglauben fasziniert haben, fügt er doch der stofflichen Vorlage weitere abergläubische Erscheinungen hinzu (vgl. die Erl. zu S. 259,32–33, S. 260,7 und S. 262,24–28). Die simple Moral des Stückes besteht in der Warnung vor Gutgläubigkeit. 2
Aufführungen des Stückes sind in Dresden z. B. noch bis in die Jahre 1672 und 1676
belegt (vgl. Tittmann 1880, S. LV). 3
In der Dekameron-Ausgabe Arnims von 1519 heißt der Stein Europicho, vgl. Boccaccio
1519, S. CLXVIa (Arnim-Bibl. B 3).
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Zu Arnims Quelle/Entstehung
Außerdem verstärkt Arnim den in der Vorlage bereits vorhandenen Aspekt der Künstlerthematik leicht und greift damit ein in der Romantik beliebtes Motiv auf. Während in der Q Hans wiederholt betont, er sei ein kunstreich Kerl (Q, S. 770,21; S. 770,29f.; S. 776,3), bezeichnet sich Hans bei Arnim als große〈n〉 Künstler (in der vorliegenden Ausgabe S. 261,32), der eine recht künstliche Kunst (ebd., S. 259,28) beherrsche. Durch die Tautologie »künstliche Kunst«, die an Friedrich Schlegels programmatischen Satz Ein Roman ist ein romantisches Buch erinnert, sowie durch die Hervorhebung des angeblichen Künstlertums erfahren die ›Wirkung‹ und Anwendung des ›wundertätigen Steins‹ einen scheinbar gehobeneren Stellenwert. Hans, der sich für einen großen Künstler hält, schmückt sich jedoch mit fremden Federn, indem er das Kunststück mit dem Stein als seine eigene Leistung, als s e i n e ›Kunst‹, ausgibt, obwohl er diese nur durch die Beratung durch den ›Schwarzkünstler‹ und die anschließende Bezahlung eines Dukaten »erlernt« hat. Dieser Aspekt wird bei Arnim gegenüber der Vorlage stärker hervorgehoben. Dennoch bleibt das Hanswurstspiel insgesamt handlungsarm und ist offensichtlich als reines Unterhaltungsstück intendiert.
Entstehung Wie im Falle von Herr Hanrei und Maria vom langen Markte ist eine exakte Datierung nicht möglich. Die ECuT I leiht sich Arnim wahrscheinlich von Clemens Brentano während ihres gemeinsamen Berlinaufenthaltes 1809–1811 (vgl. ergänzend dazu den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 748). Die starke Orientierung an der Vorlage deutet auf eine schnelle Bearbeitung und demnach kurze Entstehungszeit hin. Da Arnim das Stück in seinem Titelaufriß der Schaubühne, den er an Friedrich Christoph Perthes am 3. Februar 1813 schickt (vgl. EZ 26, S. 425–426), nicht erwähnt,4 ist es möglich, daß er die Adaption erst danach, wenige Wochen vor Veröffentlichung der Schaubühne im Juni 1813, niederschreibt. Für die Konzeption seines ersten Bandes der Alten deutschen Bühne ist der Abdruck des Stückes jedoch vorgesehen. Dort wird es als erstes erwähnt (vgl. EZ 15, S. 421,5).
4
Vgl. dazu das Kap. zur Entstehungsgeschichte der
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Schaubühne, S. 443–444.
Zu: Der wunderthätige Stein
Rezeption Zu dem in der Editio Princeps nur acht Seiten umfassenden kürzesten Stück der Schaubühne gibt es wenig Rezeptionszeugnisse. Unter den Freunden findet nur Clemens Brentano lobende Worte. Er bezieht sich jedoch nicht explizit auf das Hanswurstspiel, sondern allgemein auf die Dramenadaptionen und kritisiert die vorgenommenen Änderungen. Andere Rezeptionszeugnisse von Freunden konnten nicht ermittelt werden. Die Wiener Allgemeine Literaturzeitung (Ausgabe von 1814), die bei der Wiedergabe des Inhalts der Schaubühne den Titel des Stücks zunächst als Der wunderbare Stein anführt, zieht einen Vergleich zu dem Stück Der Unsichtbare. Damit ist wohl die in dieser Zeit sehr beliebte Operette in einem Akt Der Unsichtbare des Lustspieldichters und Schauspielers am Wiener Burgtheater Karl Ludwig Costenoble gemeint. Karl Eule schrieb dazu die Musik.5 Arnim mag die Operette nicht gekannt haben, da er weder Costenoble noch dessen Stück in seinen Briefen oder anderen schriftlichen Äußerungen erwähnt. 5
Die Parallelen zu
Der wunderthätige Stein sind offensichtlich. Unterschiede ergeben
sich v. a. in bezug auf die Anzahl der auftretenden Personen und den Schluß. Kurz zum Inhalt der Operette: Der eifersüchtige Wirt Hanns Plattkopf geht mit seiner Frau Käthchen eine Wette ein: Wenn es ihr gelingt, ihn an der Nase herumzuführen, wird er seine krankhafte Eifersucht bezähmen müssen. Soldaten, die gerade in die Stadt eingezogen sind, werden bei Hanns einquartiert. Dabei handelt es sich um den Lieutenant Lernau und den Cornett Steinfeld, den Hanns als den Sohn seines ehemaligen Herrn erkennt. Steinfeld verspricht Hanns zu helfen, als dieser ihm von der vermuteten Untreue seiner Frau erzählt. Steinfeld berichtet ihm von einem Magus, der sich unter den Soldaten befinde und der ihn unsichtbar machen könne. Lernau, als Zauberer verkleidet, gibt Hanns im folgenden einen »Zaubergürtel«. Um unsichtbar zu werden, muß Hanns das Wort »cornutto« rufen (was freilich gleich an den gehörnten Ehemann denken läßt, vgl. ital. corno, Horn), um den Vorgang wieder rückgängig zu machen, »berlocki«. Hanns probiert den Gürtel aus, indem er ein Gespräch zwischen zwei Wirtshausgästen, die in den Streich eingeweiht wurden, belauscht. Danach beobachtet er Lernau, der Käthchen umwirbt, zunächst von ihr abgewiesen wird, aber zuletzt doch einen Kuß erhält. Zornentbrannt wegen dieser Liebesszene vergißt Hanns das Lösungswort, das ihn wieder sichtbar machen würde, und ruft um Hilfe. Alle dramatis personae eilen auf die Bühne, treiben zunächst noch ihren Spaß mit Hanns und klären ihn dann über den Streich auf. Wegen der verlorenen Wette muß Hanns nun seiner Frau versprechen, nicht mehr eifersüchtig zu sein. Sollte er wieder in die alte Manie verfallen, wird Käthchen ihn durch das Wort »cornutto« an sein Versprechen erinnern. Die Handlung wird durch zahlreiche Arien, Duette und Terzette unterbrochen, die meist als lustige Kommentare der vorangegangenen Szenen intendiert sind (vgl. Karl Ludwig Costenoble, Der Unsichtbare. Operette in einem Akte. Handschriftliche Partitur des Staatstheaters München. 1809–1850).
780
Rezeption/Erläuterungen
Der Rezensent Wolfram der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung hält den Stoff des Hanswurstspiels für geeignet zur Umarbeitung in ein Singspiel (vgl. RZ 6, S. 470,34). Um 1800 wurde unter diesem Begriff noch allgemein eine Oper mit deutschem Libretto verstanden. In Wien entwickelte sich eine neue Richtung des Singspiels als musikalische Komödie mit eingestreuten Sprechpassagen (vgl. Jörg Krämer, Singspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearb. des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 437–440), ähnlich dem oben erwähnten und als »Operette« bezeichneten Stück Costenobles. Zum allgemeinen Urteil über die Dramenadaptionen in den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie RZ 9, S. 475,2–10. Ludwig Tieck weist auf Arnims Stück in einer Fußnote seines Deutschen Theaters (1817) hin, jedoch ohne den Titel zu nennen. Er bezeichnet Arnims wunderthätigen Stein als kleinen Schwank nach dem alten deutschen Buche 〈= ECuT I〉 bearbeitet (Tieck 1817 I, S. XXVII) und fügt keine weitere Wertung hinzu (ausführlicher zu Tiecks Bemerkungen über Arnims Schaubühne im Deutschen Theater vgl. den Überblickskommentar zu Jemand und Niemand, S. 828).
Erläuterungen 254,3 E i n H a n s w u r s t s p i e l .] »Hanswurstspiel« oder »Hanswurstkomödie« war zu Beginn des 18. Jhs. ein gängiger Name für schwankartige Stücke (vgl. DWb 10, Sp. 466). Arnim wählt den neuen Titel bewußt entgegen der Vorlage, die das Stück als lustig Pickelherings Spiel bezeichnet, vgl. dazu seine Anmerkungen zum Stück, S. 335,2–8 in der vorliegenden Ausgabe sowie den Überblickskommentar, S. 778. 254,4 ( N a c h d e m A l t d e u t s c h e n . ) ] Diese Angabe impliziert, daß an der Vorlage nur geringfügige Veränderungen vorgenommen wurden. Bei anderen Dramenadaptionen akzentuiert Arnim dagegen durch die Bemerkungen »Frei« (Herr Hanrei und Maria vom langen Markte) bzw. »Frei bearbeitet« (Jemand und Niemand) die eigene dichterische Leistung. »Altdeutsch« diente um 1800 zur Bez. des »gesamten Bereich〈s〉 der deutschen Dichtungsüberlieferung vom Hildebrandslied bis zur Barockliteratur« (Ribbat 1978, S. 156). 254,7 H a n s w u r s t ] Arnim erweitert den Namen der Vorlage von »Hans« zu »Hanswurst« und begründet dies in seinen Anmerkungen am Ende der
781
Zu: Der wunderthätige Stein
Schaubühne,
vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 335,2–8. Der Name diente ursprünglich allgemein zur Bez. eines groben menschen von unbeholfner figur (DWb 10, Sp. 461), taucht erstmalig als Name für den Narren im 16. Jh. auf und bürgert sich erst im späten 17. Jh. für die lustige Person auf der Bühne ein. 254,9 Müller] Das Müllerhandwerk gehört allgemein in der Überlieferung durch Märchen und Volkslied zu den unehrlichen Berufen. Die Müller galten als betrügerische Leute, denen nicht zu trauen war (vgl. dazu Danckert 1963, S. 125–145). Auch die Verbindung zwischen dem Motiv des Müllers und dem des Ehebruchs ist in zahlreichen Volksschwänken und –balladen belegt und fand selbst Eingang in die höhere Literatur. So beschreibt etwa Goethe die Mühle als erotischen Ort im Wilhelm Meister und in den Wahlverwandtschaften. In der Romantik entstehen zahlreiche Lieder, die die Mühle als Ort der Liebe, aber auch des Schicksalhaften beschreiben (vgl. Danckert 1963, S. 76). 254,13–14 Frau, was trägst 〈...〉 Milchsuppe?] Der Beginn in medias res wurde aus der Q übernommen (vgl. Q, S. 765,9). Wie in anderen Dramenadaptionen der Schaubühne ist die Orientierung an der Vorlage am Anfang des Stückes besonders stark. 254,20–21 aber du willst 〈...〉 ausfressen.] Von Arnim hinzugefügte Begründung. 254,23 Pumper] 〈s〉chlag, stoss (DWb 13, Sp. 2230). 254,23 gebenedeiten Kopf] Der Vorlage entnommen (vgl. Q, S. 765,17). 254,26 Oberherr] Der Vorlage entnommen (vgl. Q, S. 766,4). 254,27 der Kaiser hat 〈...〉 befehlen;] Von Arnim hinzugefügt. Die EcuT vermeiden weitestgehend politische und religiöse Anspielungen. 255,1 Walte Gott, 〈...〉 Sohn,] Von Arnim hinzugefügtes ›Tischgebet‹. In der Vorlage lautet die Replik der Frau auf den Wettvorschlag: Ich bin solches wol zu frieden ohne weiteren Zusatz (Q, S. 766,6). In Johann Agricolas Sprichwortsammlung, die Arnim besaß, wird darauf hingewiesen, daß durch »Das walt Gott« ein Glaubensbekenntnis prägnant zusammengefaßt ist, das bedeutet: Mit Got will ichs anheben / er wirt mir auch zu dem ende helffen (Agricola 1537, S. 301v; in der Arnim.-Bibl. o. Sign., vgl. Kat.). 255,2–3 Hans ißt 〈...〉 sagen;] In der Q wird nur erwähnt, daß Hans mit den Händen ißt. Eine Reaktion der Frau darauf wird von der Regieanweisung nicht vorgegeben (vgl. Q, S. 766,7). Gustav Frede´n beurteilt dies als logischen Bruch, der im englischen Original nicht vorhanden sei. Dort will der Bauer seine Frau durch schlechte Manieren provozieren und zum Reden bringen. In der Q, der vom englischen Original deutlich abweichenden Fassung, erscheint das Essen mit Händen dagegen als unmotivierter Zusatz (vgl. Frede´n 1939, S. 236).
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Erläuterungen
Arnim hat die Regieanweisung der Vorlage so gedeutet und ergänzt, wie es das englische Originalstück The Dumb Knight vorgibt (vgl. dazu den Überblickskommentar zu Der wunderthätige Stein, S. 777–778). 255,5 Gott grüß.] Der Nachbar in der Q grüßt mit Guten Tag guten Tag (Q, S. 766,10). 255,14–15 (Er giebt ihr einen Kuß). 〈...〉 aufthauen.] Von Arnim hinzugefügt, während in der Vorlage Wilhelm die Frau bittet, mit ihm zu kommen, die ihm daraufhin auch folgt (vgl. Q, S. 766,22). Der Verdacht und die Eifersucht des Ehemanns wird bei Arnim stärker motiviert. 255,25–26 so will ich 〈...〉 zumachen,] Von Arnim hinzugefügt. In der Q wehrt sich Wilhelm gegen die Anschuldigung (vgl. Q, S. 766,32–34). 255,27–28 da sollt ihr einmal meinen Hahn 〈...〉 sehen.] Diese Begründung ist von Arnim hinzugefügt worden und ist wortspielerisch vmtl. ein Verweis auf die ›Hahn‹-rei-Situation, in der sich Hans befindet. 255,31 (vor sich).] Der Monolog folgt inhaltlich in wesentlichen Punkten der Vorlage, die Arnim jedoch kürzt und deren vulgäre Ausdrücke, wie z. B. »die ehrlose Hure« (Q, S. 767,6), er entfernt. 255,33 Schelm] Hier in der Bedeutung »durchtriebener Kerl«, »Lügner« (vgl. Adelung 3, S. 1410; DWb 14, Sp. 2507–2508). 255,36 der Schelm hilft,] Der Vorlage entnommen (vgl. Q, S. 767,4–5), als Sprichwort weder bei Wander, Röhrich noch im DWb zu ermitteln. 256,1–2 Nun, ich werds ja erfahren 〈...〉 angekommen,] In der Vorlage wohnt der Schwarzkünstler in der Stadt, so daß Hans eine längere Strecke Wegs zurücklegen muß und zwei Tage vergehen, bis er wieder nach Hause zurückkehrt (vgl. Q, S. 773,6). Arnim ändert dies, um die Einheit von Ort und Zeit zu wahren. 256,3 Stein der Weisen] Bereits im MA. machten sich Alchemisten auf die Suche nach dem Stein der Weisen, mit dessen Hilfe niedere Metalle in Gold umgewandelt werden sollten (vgl. Hans Biedermann, Handlexikon der magischen Künste von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert. Graz 1968, S. 334–336). Im 16. Jh. erkannte Paracelsus, daß es unmöglich sei, diesen Stein zu finden. Dennoch hielt sich in der Folgezeit weiterhin der Glaube an die Möglichkeit des Goldmachens, begleitet von metaphysischen Vorstellungen und Hochstapelei, schwarzer Magie und Betrug. 256,7 vexiren] quälen. 256,23–25 Wenn er meine eigene Gestalt 〈...〉 könnte.] Von Arnim hinzugefügt. Die Frage nach der Identität arbeitet Arnim gegenüber der Vorlage stärker heraus, vgl. auch die Doppelgänger-Szene und Wilhelms (gespielte) Reaktion darauf, S. 260 in der vorliegenden Ausgabe.
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Zu: Der wunderthätige Stein
256,35 Knickbein] als schimpfwort von einem alten (DWb 11, Sp. 1416). 256,36–257,1 den Schwarzkünstler 〈...〉 gut,] Von Arnim hinzugefügt. Daß der Müller Wilhelm mit einem Schwarzkünstler verkehrt, ist ein weiterer Hinweis darauf, daß er wegen seines Berufes im Milieu der Betrüger angesiedelt ist, vgl. Erl. zu S. 254,9. 257,1 Rattenfänger] In Anlehnung an den Rattenfänger von Hameln Bez. für jemanden, der dumme Leute betört (vgl. DWb 14, Sp. 206). Arnim beschäftigte sich mit der Thematik im Wh–Lied Der Rattenfänger von Hameln (Wh I 44). 257,8–9 Schwarzkünstler, meinem 〈...〉 machen,] Von Arnim hinzugefügtes Wortspiel, das durch den Kontrast zwischen ›Schwarz‹künstler – ›weiß‹ machen (eigtl. weismachen) entsteht. Die Farbe »weiß« ist außerdem assoziativ mit dem Müllerhandwerk verbunden. Eine Wiederholung des Wortspiels findet sich auf S. 263,6 in der vorliegenden Ausgabe. 257,15–16 zieht einen Kreis.)] Von Arnim aus der Vorlage übernommene Regieanweisung. Bei Geisterbeschwörungen dient der Kreis zur Bannung gefährlicher Mächte, die dem Beschwörer gegebenenfalls schaden könnten (vgl. HdA 5, Sp. 465). Das Zeichnen eines magischen Bannkreises zum Schutz vor dem Bösen ist ein gängiges Märchenmotiv (vgl. u. a. KHM 1812, Nr. 31, Mädchen ohne Hände, S. 132–138, hier S. 133). 257,25–26 Bibel jeder Frau 〈...〉 seyn,] Vgl. 1. Mo 3, 16 sowie 1. Ko 11, 3; Eph 5, 22–23; 1. Tim 2, 12, von Arnim hinzugefügt. Vgl. Erl. zu S. 251,13–14 zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte. 258,8 fuchsigen] Fuchsfarben, fuchsrot. In der Vorlage ist, typisch für die derb-vulgäre Sprache der Wanderbühnen-Dramen, von dem alten beschißnen Hut die Rede (Q, S. 768,34–35). 258,11–12 und sehr jung 〈...〉 alt] Von Arnim hinzugefügt. Die Q läßt das Alter der Personen offen. Durch die Kontrastierung jung-alt wird das HahnreiMotiv stärker pointiert (vgl. auch die ähnliche Personenkonstellation in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte). 258,12 junger] Das Adjektiv wurde von Arnim hinzugefügt. In der Q ist Wilhelm verheiratet, sein Alter wird nicht angegeben. 258,17 derhalben] Schon zu Arnims Zeit ungebräuchlich für »aus diesem Grund« (vgl. Adelung 1, S. 1464; DWb 2, Sp. 1017). Arnim übernimmt das Wort aus der Vorlage (vgl. Q, S. 769,1). 258,22 gewaltig praktischer Kopf] Wörtliche Entlehnung aus der Vorlage (vgl. Q, S. 769,21). 258,23 Dukaten] Goldmünze, die seit 1559 Hauptzahlungsmittel in Deutschland und bis 1857 im Umlauf war. Der Wert eines Dukaten betrug 2 Reichstaler 20 Groschen.
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Erläuterungen
258,27 Da nehmt 〈...〉 Tasche.] In der Q muß Hans sich den Stein um Mitternacht auf dem Kirchhof beschaffen, zuvor aber dreimal um die Kirche laufen und dabei ein Vaterunser beten (vgl. Q, S. 769,25–30). Um eine final ausgerichtete, stringente Handlungsführung zu erzielen, streicht Arnim diese Passage in seiner Adaption. 258,28–33 er möchte mir wohl die Tasche 〈...〉 weiter.] Die bereits zu Beginn des Stückes deutlich werdende dominante Stellung der Frau im Haus wird durch diesen Zusatz Arnims noch einmal stärker betont. 258,34 Wenn ihr den Stein 〈...〉 legt] In der Vorlage soll Hans den Stein auf die Achsel (= Schulter, vgl. DWb 1, Sp. 163) legen (vgl. Q, S. 769,31). Die Kahlköpfigkeit des Bauern ist ebenfalls ein von Arnim hinzugefügtes Detail. 259,1–14 (legt den 〈...〉 geschnitten.] Die Beschreibungen des Aussehens der Figuren wurden als implizite Inszenierungssignale von Arnim hinzugefügt und fungieren hier als Kontrast zu Hans’ Selbsteinschätzung, daß er nicht sonderlich häßlich sei (S. 258,11 in der vorliegenden Ausgabe). 259,10–11 Bäume am 〈...〉 umstoßen soll,] Kiefernbäume, aus deren harzreichsten Teilen die Kienspäne gehauen werden (Adelung 1, S. 764; DWb 11, Sp. 682). 259,28 künstliche Kunst] Die hier verwendete Tautologie gehört zu den von Arnim häufig eingesetzten Wortwiederholungen in den Stücken. »Künstlich« wird hier im Sinne von Kunst besitzend, 〈...〉 〈l〉istig ränkvoll (Adelung 2, S. 1835) gebraucht oder als kunst, die eben niemand kann, genauer geredet von zauberkunst, geheimen künsten (DWb 11, Sp. 2713). In der Vorlage ist von dem kunstreich Kerl bzw. der eitel Kunst die Rede (Q, S. 770,29–30). 259,28 Karfunkel] Feuerrubin (vgl. DWb 11, Sp. 212). 259,32–33 da wird er meinen, 〈...〉 stirbt.] Im Aberglauben wurzelnde Vorstellung, daß das Erscheinen des Doppelgängers ein Zeichen des bald bevorstehenden Todes ist (vgl. HdA 2, S. 347–348). 259,34–260,2 (vor sich). Jetzt 〈...〉 nichts gut.] Die frontal-deskriptive Beschreibung, ein in den Wanderbühnen-Stücken häufig auftretendes Gestaltungsprinzip, ist hier von Arnim hinzugefügt worden. 260,4–5 das ich wüßte, 〈...〉 hinterlassen hat.] Von Arnim hinzugefügt. 260,7 Heiliger Gott 〈...〉 ihr?] Das in der Romantik oft verwendete Motiv des Doppelgängers dient in Arnims Stück nicht der Darstellung der Zerrissenheit des Menschen, wie dies etwa in Jean Pauls Siebenkäs (1796) und Titan (1792–1802), in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte (1814) oder in E.T.A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels (1815/1816), Der Sandmann (1816), Prinzessin Brambilla (1820), Lebens-
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Zu: Der wunderthätige Stein
ansichten des Katers Murr (1819/1821) u. a. der Fall ist, sondern evoziert Bühnenkomik und betont den Aspekt des Aberglaubens, der ad absurdum geführt wird. Die Szene mag zunächst an Kleists Amphitryon (1807) erinnern, entbehrt aber jegliche Vergleichsmöglichkeit mit den dort witzig und pointiert in Szene gesetzten Verwirrspielen, etwa in Akt I, Szene 2 (vgl. Kleist Werke 1, S. 386–395). 260,10 Alle gute 〈...〉 Herrn.] Stoßgebet, um böse Geister oder Gespenster abzuwehren. Der Spruch war der ersten ZfE als Motto vorangestellt (vgl. ZfE, Sp. 1–2), vgl. auch Johanna in Die Päpstin Johanna, die vor dem plötzlich eintretenden Spiegelglanz erschrickt und Ach alle gute Geister loben Gott den Herrn! ausruft (WAA 10, S. 71), sowie Remels’ Reaktion auf kritische Äußerungen Vivigenius’ im Drama Die Appelmänner, in der vorliegenden Ausgabe S. 320,18. Arnim streicht den längeren Dialog zwischen Wilhelm und Hans aus der Q (vgl. Q, S. 771,8–772,26). Während Wilhelm dort keine Angst vor seinem Doppelgänger hat und diesen zweimal verprügeln will, läßt Arnim die Figur Wilhelm im vorliegenden Stück als vermeintlich abergläubischen Feigling auftreten. Nur am Anfang des Hanswurstspiels kündigt er an, daß er Hans totschlagen würde wie den ärgsten Dieb (in der vorliegenden Ausgabe S. 256,23), wenn dieser seine Gestalt annehmen würde. 260,12–13 wenn du nicht mehr 〈...〉 haben.] Von Arnim hinzugefügt. 260,14–17 ich fürchte, 〈...〉 Hausthüre.] Von Arnim hinzugefügt. 260,17 mein guter Nachbar] In der Vorlage ruft Hans nach der Nachbarin (vgl. Q, S. 773,2). 260,20 Ach Gott, 〈...〉 jetzt?] Die Furcht vor der eigenen Frau ist von Arnim hinzugefügt worden. 260,24–25 Mein Mann ist 〈...〉 habe.] In der Vorlage war Hans zwei Tage nicht mehr zu Hause. Arnim wahrt hingegen die Einheit der Zeit und Handlung, indem er das Stück an einem Tag spielen läßt. 260,28–30 Steigt das Korn? 〈...〉 steigt,] Von Arnim hinzugefügt, doppeldeutig auch im sexuellen Sinn zu verstehen. (So ist z. B. »Mahlen« eine alte Metapher für den Geschlechtsakt, vgl. Danckert 1963, S. 139). Vgl. die ähnliche Wortwahl in einer altenglischen SingeComoedien aus den ECuT II, in der ein Mönch und eine verheiratete Frau während eines Liebesmahls im Beisein der das Geschehen kommentierenden Magd dargestellt werden: M〈önch〉. Ja warlich ich bin gleich wie ein Thor / Hett bald das best vergessen. Doch lest sich’s Vbel essn und schlingn / Wenn man nicht thut hoffirn vnd singn / Mein liebes Mensch / was könt ihr guts / M〈agd〉. Ja Herr es soll geschehen jetzt / Das Korn das thut schon reiffen (ECuT II, S. 411). In seiner Vorrede zu Wilhelm Müllers Marlowe-Übersetzung (1818) weist Arnim
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Erläuterungen
indirekt auf diesen zweiten Bd. der EcuT hin, indem er von zwei gedruckte〈n〉 Bände〈n〉 (Englische Comödien 1629) berichtet (Arnim 1818a, S. XIII). Dabei müßte es sich – trotz der falschen Jahresangabe Arnims – um die beiden betreffenden Bde. der EcuT handeln, da sie die frühesten gedruckten Zeugnisse altenglischer Dramen in deutscher Sprache darstellen. 260,32 du schlechter Mensch] Arnim modifiziert die Beschimpfung der Vorlage (»Hurenschelm«; Q, S. 773,14). 260,34–35 Eine Ohrfeige 〈...〉 Angesicht.] Von Arnim hinzugefügt. 261,1–2 Und ist es 〈...〉 schleppt.] Von Arnim hinzugefügt. Trinklust ist eine typische Eigenschaft der lustigen Figur. Eine ähnliche Andeutung findet sich bereits in einer Replik Wilhelms, vgl. S. 257,31 in der vorliegenden Ausgabe. 261,2–3 Dich sollen hier alle 〈...〉 holen,] Vgl. Q, S. 773,16–17, vmtl. analog zu der Redensart »Ich will dich elementen, man soll dich sacramenten« (Wander 1, Sp. 805, o. Nr.). 261,5–6 Frau, das ist 〈...〉 kennen.] Von Arnim hinzugefügt. 261,9 Besen] In der Q wird – wie in der vorhergehenden Szene mit Hans und Wilhelm – ein Prügel verwendet (vgl. Q, S. 773,22). 261,9–16 Kennst du mich 〈...〉 Tasche.] In der Q wird Hans von seiner Frau nicht geschlagen. Bevor die Frau mit dem Prügel wieder kommt, hat er dort den Stein von der Achsel genommen und entdeckt ihr das Geheimnis (vgl. Q, S. 773,19–23). 261,12–13 Haben mir doch 〈...〉 gethan.] Die Entschärfung einer Prügelszene durch das Lob auf die eben eingesteckten Hiebe begegnet an mehreren Stellen in der Schaubühne, selbst in ernsteren Stücken wie dem Auerhahn und Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, aber auch in Herr Hanrei und Das Loch. 261,20–262,1 ich dank dir 〈...〉 alter Hans.] Von Arnim hinzugefügt. 262,2 (legt den Stein 〈...〉 Kopf.)] In der Vorlage muß sich die Frau dazu außerdem umdrehen (vgl. Q, S. 774,5). 262,10–11 das hättest du 〈...〉 gesucht.] Von Arnim hinzugefügte Redensart (vgl. DWb 12, Sp. 2270; Wander 3, Sp. 674, Nr. 2). Nahezu wörtlich übernommen in Johann Ludwig Caspers satirischem Stück Die Karfunkel-Weihe, mit Referenz auf Arnims Schaubühne in der Fußnote (vgl. Casper 1818, S. 21; zu Caspers satirischer Kollage vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 749–750). Das Zitat ist bei Casper in einen Dialog zwischen dem Hauslehrer Dorus und seinem Schüler Hänschen integriert, in dem Dorus häufig Passagen aus romantischen Werken unterschiedlichster Provenienz zitiert (stets durch gesperrten Druck und durch Fußnoten als Zitate markiert). Neben der Schaubühne (vgl. Erl. zu S. 237,7–9 zu Herr Hanrei
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Zu: Der wunderthätige Stein
und Maria vom langen Markte) findet auch Arnims Gräfin Dolores Eingang in Caspers satirisches Drama. 262,13–15 (Er macht ihr 〈...〉 gelernt.)] Von Arnim hinzugefügt. Den Schauspielern wird Freiraum zum Stegreifspiel gewährt, ähnlich wie in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, in der vorliegenden Ausgabe S. 253,2–5. 262,23 versteckt sein 〈...〉 Weinen).] Von Arnim hinzugefügt. 262,24–28 Gott erhalte 〈...〉 schlägt.] In der Q berichtet Wilhelm lediglich von seinem Doppelgänger (vgl. Q, S. 774,27–34). Durch die von Arnim hinzugefügten pathetischen Äußerungen tritt der Aberglauben noch stärker in den Vordergrund. 262,26 pflanzt einen Rosmarienstengel 〈...〉 Grab] Der Rosmarin gilt als Symbol für den Tod (vgl. HdA 7, S. 788–789). Wie Myrte und Zitrone gehört der Rosmarin außerdem zum Hochzeitskult. Traditionell wird nach der Hochzeit ein Pflanzenstengel in die Erde gesteckt. Faßt er Wurzeln, wird die Ehe glücklich. Später weist Wilhelm auch auf seinen Wunsch zu heiraten hin, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 262,35. 262,29 Je, Nachbar, 〈...〉 sterben.] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage lacht die Frau, woraufhin ihr Hans mit derben Worten befiehlt zu schweigen: Halt das Maul Fraw und sage keine Wort / bey vnser höchsten Vngnade (Q, S. 775,1–2). 262,31–34 ich muß sterben, 〈...〉 bald.] Die abergläubische (vermeintliche) Angst vor einem baldigen Tod aufgrund der Begegnung mit dem Doppelgänger ist von Arnim hinzugefügt worden. In der Vorlage hat Wilhelm angeblich Bedenken, daß sein Doppelgänger die Nacht bey 〈s〉einer Frawen schlaffen wird (Q, S. 774,31). 262,35–36 Hätte doch gern 〈...〉 Tode.] Von Arnim hinzugefügt. In der Q ist Wilhelm ebenfalls verheiratet, und der als Wilhelm verkleidete Hans hält es nicht für ausgeschlossen, auff ein ander Zeit 〈...〉 wünderlich mit 〈Wilhelms〉 Frawen 〈zu〉 spielen (Q, S. 772,28–29). 263,10–12 Gottes Wunder, 〈...〉 Frau.)] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage müssen sich Wilhelm und die Frau umdrehen, bevor Hans den Stein auf die Achseln legt (vgl. Q, S. 775,25). Hans verspricht daraufhin, daß er den Stein nie dazu verwenden wird, um zu Wilhelms Frau in dessen Gestalt zu gehen (Q, S. 776,25–26). 263,16 Schulzen] Schultheiß, der die Gerichtsbarkeit ausübt und für Ordnung sorgt (vgl. Adelung 3, S. 1675; DWb 15, Sp. 1993). In der Q bezeichnet Wilhelm ihn als Doctor wegen seiner Kunst (vgl. Q, S. 776,9). 263,16–17 denn wenn die Feinde wiederkommen] Kriegsmotiv, von Arnim hinzugefügt.
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Erläuterungen
263,17–18 so verwandelt 〈...〉 hinaus,] In der neueren Heeressprache bedeutet Schwadron nach dem DWb die unter einem rittmeister stehende reiterabtheilung von etwa 100 pferden (DWb 15, Sp. 2175). Dragoner sind leichte Reiter (vgl. Adelung 1, S. 1533; DWb 2, Sp. 1327). 263,19 die Frau hält ihn).] In der Q will Wilhelm die Glocke ziehen (vgl. Q, S. 777,6). Hans legt sich daraufhin wieder den Stein auf die Achseln. Das Stück schließt mit diesem offenen Ende.
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Zu: Jemand und Niemand. Ein Trauerspiel Quelle: Eine schöne lustige Comoedia / von Jemand vnd Niemandt, in: ECuT I, hg. v. Friedrich Menius, S. 423–525.1
VI.
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Eine schöne lustige Comoedia / von Jemand vnd Niemandt. Personae Marsianus Carniel Arcial Arcials Ellidor Ellidoris Jemandt. Niemandt. Gar nichts. Zweene Bürger. Alter M a n n . Junge F r a w . Wa c h t m e i s t e r . Bawer. Thorwächter. 1
}
Zweene Graffen.
König. sein Gemahl. König. Königin.
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Niemands Jung. 15
Die für den Abdruck in dieser Ausgabe verwendete Vorlage von 1620 weist keine Zäh-
lung auf, die hier erfolgende Darbietung des Dramentextes wurde paginiert. Dies betrifft auch die Q zu
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Herr Hanrei und Maria vom langen Markte sowie Der wunderthätige
Stein. 790
Quellentext
Secretarius Edovvart Kellner. Soldat. 5
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König Ellidori Bruder. König Ellidori Bruder.
Marsianus. Nun Carniel, was sagt ihr hierzu / wie gefelt euch dieses? Carniel. Wie es mir gefelt / kanstu wol erachten / laß vns nun Freunde seyn / vnd in guten vertrawen leben. Marsianus. Sieh da hastu meine Hand. All vnser Mißverstand vnd Zwietracht sol von vns verbannet sein. Carniel. Also mit mir auch. Gute Freunde seynd wir nun / vnd haben grosse Vrsache / vnser groß vnrecht zu rechnen / vnd schmertzet mich so hefftig / daß wenn ich mich nur rechnen könte / mein Leben in die Schantze zu schlagen / ich gering achtete. Bruder Marsiane, wiltu trewlich bey mir stehen / so wollen wir nach mügligkeit sehen / wie wir den tyrannischen König von seinen Thron stürtzen / denn 6. Graffschafftthümer habe ich noch in possession, dieselben wil ich all dran setzen vnd mich rechnen. Marsianus. Ja Bruder eben solch groß vrsach hab ich mich zu rechnen als du / darumm wil ich mit macht darnach streben / das ich mich an den Könige rechne / wegen seiner vnerhörten tyrannischen Vrtheils. Laß vns jetzt hienein gehen / vnd bedencken / wie wir vnsere vorhabende Sache recht anfahen wollen. Abeunt. Ellidoria, 〈Königin〉 Arcial / vnnd der Schmarrotzer kommen herauß.
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K ö n i g 〈 i n 〉 Arcial. In aller Pracht vnd Herrligkeit steigen wir jetzo den Pallast auff. Ein jederman muß sich vor vns beugen / gleich were ich eine Göttin / solches gefelt minem Hertzen / solches erhebet meine Seele / wenn ich nur die Ehre / so mir angethan / mit meinen glückseligen Augen anschawe. Vngnade vnd disgratiam seyn / die von mir gewertig / die sich vor mein Praesentz nicht vnterthänig kniend kommen. Schmarrotzer kniet.
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Du vnverständige kniestu nicht vor mir? Du hast es nicht nöhtig. K ö n i g 〈 i n 〉 Ellidoria. Nein durcha〈u〉ß nicht / denn du bist nicht mehr als ich. 791
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Zu: Jemand und Niemand
K ö n i g 〈 i n 〉 Arcial. Was? Ich nicht mehr denn du? Bistu nicht mein Vnterthanen? Wer ist jetzt vber mich? Bin ich nicht gekrönte Königin in Engellandt. K ö n i g 〈 i n 〉 Ellidoris. Dein Vnterthan bin ich gantz vnd gar nit / wer weiß wie lang du do dominirest / eben so genah gebühret mir Königin zu seyn / wie dir. Denn mein Gemahl ist eben so wol eines Königes Sohn gebohren von Eng. wie deiner. K ö n i g 〈 i n 〉 Arcial. Deine hohmütige Wörter kan ich doch nicht dulden. Schmarrotzer molestire sie auffs ärgste du kanst / denn dadurch solstu in Gnaden kommen. S c h m a r r o t z e r . Gnädige Königin / ich sehe mit Verw〈u〉nderung an / den grossen Hoffart vnd Vbermuth / dieses nichtwirdigen Menschen kegen ihr Majestät / denn dieselbe ist jo Königin / derhalben wir denn auch ihr Majestät Ehre anzeigen / die sich aber nicht credentzen wollen / vnd ihr Majestat in Vnterthänigkeit Ehre erzeigen wollen / fürwar die seynd wirdig / dz sie mit geisseln gestriechen werden. Pfuy euch vnwirdigen Menschen / kegen d’ Königin wollet ir euch vor ir May: nit neigen? Herfür herfür / vnd also wie ich machet ein Reverentz kegen d’ Königin. 427 K ö n i g i n Arcial . Last den Handtschuch fallen. Hörestu? Thu mir den Handtschuch so mir entfallen / wieder herauff langen. K ö n i g 〈 i n 〉 Ellid. Dir dein Handtschuch wider zu langen? Nein durchauß nicht / wiltu deinen Handtschuch wieder haben / so hebe ihn selber auff. K ö n i g 〈 i n 〉 Arcial. Diesen vngehorsam vnd schimpffliche Wörter / wil ich an dir nicht vngerochen lassen. Pfuy du bist nicht wirdig / daß du in mein Praesentz kommen solst / was gilt es / ich wil dich zähmen vnnd vnterthänig machen. Schmarrotzer schlage ja sie / denn ich mag sie nicht mehr anschawen. 426
Schmarrotzer schlägt sie mit den Stecken. Gehen hienein.
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S c h m a r r o t z e r . Hier herein du vngehorsame / wiltu nicht die Königin ehren? Jetzt kommen die beyden Graffen.
Marsianus Lieber getrewer Bruder / das groß Vnrecht so vns beyden der König gethan / liegt mir hart an / vnd kan bald darfür nicht ruhen. 792
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Quellentext
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Carniel . V〈n〉d ich auch nicht wann ich nur daran gedencke / dorumb laß vns mit vnsern vorhaben fortfahren. Aber da sehe ich die Königin Ellidoris gar betrübt stehen? Wollen wir nicht zu ihr gehen / vnd ihr vnsern Anschlag offenbahren / damit sie vns behülfflich sey / vnd ihr Gemahl wieder die Crone vonn Engellandt führe. Marsianus Fürwar daß ist ein guter Anschlag / denn sie mit müglichen Fleiß darnach trachten wird / wie Arcial möge vertrieben werden. Weil sie mit der Königen in tödtlichen Haß vnd Neidt lebet / wolan ich hoffe vnsern Feind wollen wir gar vertreiben.
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Gehen zu ihr.
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Gnädigste Königin ihr Majestät stehe nicht so betrübet / vnd verschlage alle Melancholey / denn der Hohn vnd Spott so ihr Majestät von der hoffertigen Königin dulden muß / wollen wir schwerlich an ihr rechnen / dafern ihr Majestät vns Hülff vnd Beystandt zusagen vnnd thun wil. K ö n i g 〈 i n 〉 Ellidoris . O ihr meine lieben Herrn / welch einen schwe ren Stein weltzet ihr jetzt von meinem Hertzen / ich gehe in Betrübnüß vnd mein Hertz wil mir zerspringen / dofern ich nicht Königin werde / vnd die hoffertige / herunter stürtze vnd vber ihr triumphire / wie hoch erfrewet ihr mich durch ewer Wörter. Ich gelobe vnd schwere euch bey den vnsterblichen Göttern Hülff vnd Beystandt zu leisten / vnd dofern ihr mich zur Königin setzet / schwere ich die grössest Gewalt ihr nechst dem König haben sollet. Marsianus. Gnädigste Königin durch ewr Majestät Hülff vnd Beystandt / wollen wir es nicht vnterlassen / gefelt aber ihr Majestät dieser Anschlag / auff den Abend alsobald wenn der König zur Ruhe / wollen wir ein Geschrey vnnd Tumult anfangen / vnd den König gar vertreiben. Ellidoris Ewern Anschlag laß ich mir auß dermassen wolgefallen / mein Hertz legt sich nun nimmer zu frieden / biß wir dz vollendet. Kompt nun mit vnn seyd vnerschrocken / denn der Abend ist vorhanden. Marsianus Wolan laß vns vnerschrocken seyn / weil wir so ein tapffer Gemüthe in ihr Majestät sehen, Bruder Carniel hawe nieder der dir wiederstehen wil. Ziehen die Schwerd auß / gehen hienein. 793
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Zu: Jemand und Niemand
Ellidorus. Hat ein Buch in der Handt. Allhie in diesen Buch finde ich / wie der Mensch sein gantzes Leben reguliren vnd richten soll. Wie Könige vnd Potentaten ihre Vnterthanen beschirmen vnd in Hut haben sollen. Dieses Buch lese ich mit grossen sonderlichen Fleiß / hette zuvor zwar nimmer gegleubet / daß so viel einen König oder Potentaten gebühre / wie ich jetzt gelesen. Ein König seyn / es ist ein grosses vnd hat ein sehr groß Ansehen. Aber so er seinen Standt vnd was sein Ampt erfordert zu thuende / recht betrachtet / fürwar / derselb solte lieber ein gemeiner Bürger darfür sein. Ja eine Krone zu führen. Wenn mans recht bedächte / was sie in sich habe / fürwar sie würde so schwer seyn / das sie vnter hundert Menschen nicht einer würde auffheben.
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Lieset ein wenig / nicht lang nach diesen hört er trompeten.
Wunder wunder was bedeutet vns dises trompeten so gar spät. Denn ich weiß der König mein Herr Bruder ist schon vor le〈ng〉st zur Ruhe gewesen. 431
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Kommen die beyden Graffen mit blossen Gewehr / der König gar flüchtig in der Schlaffhauben.
Arcial K ö n i g . O Bruder / warumb last ihr mich sampt meinem Gemahl / in der finstern Nacht mit Kriegesmunition so schleunig vberfallen? Sagt mir was ist die Vrs〈a〉che? vnd worin bin ich euch zu wieder gewesen / so wil ichs duppelt poenitirn. Ellidorus. O ihr könnet nie so verschrocken werden / hertzlieber Bruder denn ich jetzt worden. Verzeihet mir mein liebster Bruder / an disen nächtlichen Auffruhr / bin ich kein Vrsache / ich weiß auch nicht / was es vor Gelegenheit hat / wer die Auffrührer seyn / vnd was das Parlament bedeuten soll. Marsianus. Dieses Tumult Erreger seynd wir / vnd solchen nächtlichen Aufflauff zu erregen / hat auß des Arcials Tyranney bewogen / denn der gantze Senat dieses Reichs / hat einhellig entschlossen / ihn wegen seiner Tyranney zuverbannen. Das grosse Vnrecht so er vns bewiesen / ist männiglichen bewust / derwegen er nicht würdig die Krone von Engellandt zu führen.
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Geht zu Ellidor. 432
Drumb gnädigster Herr empfahet diese Krone von vnsern vnwirdigen Händen. 794
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Quellentext
Non vult habere.
Ellidorus. O nein ihr irret weit / die Kron begehre ich nicht zuführen / denn sie mir gar zu schwer. Ihr Herrn / in diesen Buch habe ich erst gesehen / was eine Krone auff sich habe. 5
Ellidoris regina accipit coronam.
Ellidoris. Hertzliebstes Gemahl accaptiret diese Krone / weil ein jederman ruffet / daß E. Liebe hinfuro sol gubernieren. Er wil sie nicht auffsetzen / gehet in schweren Gedancken.
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Gnädigster Herr / warumb wollet ihr nicht Hoheit vor Niedrigkeit annehmen? O ihr Majestät ist allein wirdig sie zu führen. Wil sie ihn auffsetzen / wegert sich.
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Ellidorus. Liebes Gemahl / es kan doch nicht seyn / daß ich mir ein Gewissen darüber machen solte / weil mein Herr Bruder noch am Leben. Ellidoris. Gnädiger Herr hierüber gar kein Gewissen.
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Wil sie ihn auffsetzen / wegert sich vnd lieset.
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Ihr Herrn ich bitte / lasset nimmer aber zu bitten / dringet sie ihn mit Gewalt auff. Marsianus. Gnädigster Herr ihr Gnaden bedencken / den Nutz vnd Heil von Engellandt. Ihr Gn. wissen / wie tyrannisch der gewesene König regieret / welch groß Vnrecht er beydes mir vnd andern gethan / die gantze Gemeine schreyet vber des Vnrecht / vnnd daß er auch deßwegen soll verbrennet werden. Darumb gnädigster Herr / weil ihr Gn. würdig König zu seynd / vnd solches von ein jederman gewünschet wird / so wegere sich doch ihr Gn. nicht lenger / vnnd lasse sich jetzo krönen / denn es ist gäntzlich beschlossen / daß Arcial sol vertrieben weden, Arcial. Lieber Bruder bedenck was du thust / O bedenck? bin ich nicht der edelste Bruder / O Bruder wilstu so tyrannisch mit mir handeln / Ich bitte denck ein wenig zu rück / vnnd laß dich nicht so jämmerlich einnehmen. Ellidorus ist sehr betrübt / wil herunter / sie helt ihn mit Gewalt.
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Marsianus. Du Tyrann / bist nicht würdig / den Königlichen Pallast anzuschawen / hie mach dich hienein / in kurtzen dir andere Wege sollen gezeiget werden. 795
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Zu: Jemand und Niemand
Die Graffen leiten ihn vnnd sein Gemahl hinauß / kommen wieder / vnd setzen ihn die Kron auff.
Marsianus. Rufft alle mit lauter Stim auß. Alle langes Leben victori Glück vnnd Heil / wünsche ich den Großmächtigsten König vonn Engellandt Franckreich / Schottlandt / Jerlandt. Ellidorus. Wie vngerne ich die Kron führe / könnet ihr nimmer gleube es ist mir leidt an meinen Bruder / daß er so tyrannisch gehandelt / mein Sinn Muth vnd Gedancken werden doch immer derwegen beschweret seyn / mein Wunsch ist / das ich möge sanfft regieren. Darumb ir Graffen vnd Herrn allen so vnrecht wiederfahren / sol nach Anhörung mein selbst nach Gelegenheit d’ Sachen Recht vnnd Gerechtigkeit administriret vnd mitgetheilet werden.
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Gehen hienin.
Jetzt kömpt J e m a n d t . Jemandt jemandt bin ich geheissen / in der Welt durch vnd durch wol bekandt / vnd ziehe durch alle Königreich vnd Fürstehnthümber / vnd die ärgesten Schelmstücken / bring ich zu wegen vnd auff die Bahn / ich bin ein heimlicher Mörder / Brenner / ein Rauber / viel Jungfrawen thu ich schenden / doch geschicht es alles heimlich. In Summa alle Schelmerey / so auff Erden heimlich geschicht / darin bin ich der Autor. Es ist aber ein ander Schelm / der heist Niemand / auff den ich alle meineSchuld werffe / der muß alles was ich thue entgelten / derselb Schelm machet mir viel Vnruh / denn er wil kein Schuldt haben / sondern thut sich verantworten. Derhalben gehe ich jetzt allenthalben / vnd suche den ehrvergessenen Schelm / den Niemandt / vnd wo ich ihn antreffe / wil ich in anklagen / vnd an den höchsten Galgen hencken lassen. Ich hoffe ich hoffe / ich wil ihn vberteuben / vnd alles was ich thue sol er verbüssen. Mein Wort muß gelten / weil ich schöne Kleider anhabe / vnnd in prächtigen Ansehen bin. Der arme Schelm Niemandt ist ein armer elender Sünder / hat nicht so viel Macht daß er einen Bissen Brodt kan auff essen. Der Schelm hat gar kein geldt / er kan sich kein wambs 436 machen lassen / sondern muß nur allein in den Hosen gehen / Wanne wanne / hette ich den Schelm / jetzunder / wie wolt ich ihn zuschlagen. Gestern Abend habe ich ein groß Diebstück in des Königes Schatzkammer begangen / der meiste der gefragt ward / sagt er hette es nicht gethan / niemand hat es gethan / vnd der Schelm dürfft sich wol verantworten vnd sagen / ich jemand hette es ge435
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than. Nun nun du Schelm / wilstu die Warheit sagen / ich wil dir das nimmer schencken / du bist doch nur ein armer elender Schelm vnd nichtswürdig / laß mir erst reden für den Herrn Senatorn, ich werde dich doch alsobald vberteuffeln / vnd alles auff dich werffen was ich thue / vnd gäntzlich darfür an den Galgen bringen / denn es ist nur ein armer Schelm. Nirgend nirgend kan ich den Schelm finden / es macht dz er vor mir fleucht / er leufft wie all der Teuffel / denn der Schelm hat ein wunderliche Nase damit er drey Meil Wegs weit riechen kan / aber was gilts ich finde dich doch noch / vnnd vbefall dich mit Gewalt. Nun muß ich weiter suchen / ich habe keine Ruhe ehe ich den Schelm finde. Gehet hienein. Kömpt der Schmarrotzer mit der Königinnen / Ellid. gehet auf den Pallast / die ander sitzet vnd spinnet.
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〈Königin〉
Ellidoris. Dieses ist mir eine Himmelfrewd wann ich vber meine Feinde so triumphire / darnach ist auch mein tichten vnd trachten gewesen / wann solches nicht würde / ich in Hoheit nicht gerahten / sondern in Verachtung vnd Niedrigkeit. Mein Gemahl ist gar zu from / vnnd hette ich ihn die Krone nicht erworben / vnd gäntzlich auffgedrungen / so were er nimmer so glückselig worden. Siehestu nun gewesene Königin / wer triumphiret / ich kan doch nicht vergessen vnd muß darüber lachen / du bist mein vnterthan / sieh da mein Handtschuch ist mir entfallen / hole mir ihn wieder. Weistu wol gewesene Königin? 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Ich weiß wol du hoffertiger Wurm / der Teuffel hole dich mit den Handtschuchen. 〈 K ö n i g i n 〉 Ellidoris. Gewesene Königin ihr Majestät ist gewaltig vnd vngedültig / ich gleube ihr Majestat habe nicht außgeschlaffen? Schmarrutzer muntere sie auß / denn sie hat nicht außgeschlaffen. 〈Königin〉
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Arcial steht auff.
〈Königin〉
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Arcial. Dein außgeblasene hoffertig wörter thu ich nit Schlegt ein Schnippichen. So viel achten. S c h m a r r o t z e r . Schlegt sie mit ein Stecken. Wie zum Teuffel gewesene Königin / seyd ir so vngedültig / ehret ewr Königin nicht besser? Pfuy Schandtschläge seyd ihr wirdig. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Du wirdiger Hundt vnnd toller Lecker / halt dein Hasenmaul zu / auff daß du kein kalt Fleisch essest. Ist dir wol vergönnet mich also anzureden. 797
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Zu: Jemand und Niemand
〈Königin〉
Ellidoris. Dieses muß ich ja lachen Schmarrotzer / dz sie dich nit achten / vnd dein autoritet nicht an sehen wollen / ich mercke aber wol daß sie derhalben nicht mehr spinnen kan / weil sie der Hunger so hefftig sehr plaget / denn sie heut noch nichts zu essen / noch zu trincken bekommen / derowegen Schmarrotzer gehe alßbald hin / vnd hole ihr Wasser vnd Brodt.
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Gehet hin.
Denn ich nicht gerne sehe / daß sie sterben solte / weil ich mich noch besser an ihr rechnen muß / vnd sie also plagen / daß sie vnter meinen Füssen muß l〈i〉egen. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Du stinckender Mensch solt ich vnter deinen 439 Füssen liegen? Nein nimmermehr ehe wolt ich dich in zwey Stück zerreissen. 〈 K ö n i g i n 〉 Ellidoris. Du reissen? Ja deine Nase magstu vielleicht meynen? Was wiltu Weib doch reissen / bistu ein Löwin. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Ja gleub mir ein Löwens Hertz wolt ich kegen dir schöpffen. S c h m a r r o t z e r . Bringt Wasser vnd Brodt. Gewesene Königin / hie bring ich ihr Majestät Königliche Speise / ich hoffe ihr Majestät werde nicht in Hohmuth gerahten / vnd es verschmehen? Ich bitte ihr May: nehme vnd esse. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Du loser Tellerlecker / friß selbst vnd laß mich unmolestiret. S c h m a r r o t z e r . O nein ich darff nicht ihr must essen. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Muß ich? wer wil mich darzu zwingen? S c h m a r r o t z e r . Derselb bin ich / der euch zwingen kan. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Du armer Narr wolstu mich zwingen?
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Gibt ihn ein Ohrfeig.
Sieh da nim damit verlieb. 440 S c h m a r r o t z e r . Auff meiner Ritterschafft das heist geschlagen. 〈 K ö n i g i n 〉 Ellidoris. Mein Schmarrotzer / ich wünsch dir Glück zu deiner Ritterschafft / Schmarrotzer denck nun / wie du sie wieder zur Königin krönest. Vnd laß vns jetzund hienein gehen / vnd weiter mit Hunger vnn Durst tormentiren. Schlag vnd jage sie / rechne an ihr dein Leidt. 798
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Schlegt sie darnach / gehen hienein. Jetzt kömpt Niemandt / vnd gantz vnd gar nichts.
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N i e m a n d t . Ich bin ein gewaltig prav Kerl / Niemandt Niemandt ist mein Nam / vnd dieser ist mein Jung / heist gantz vnd gar nichts / der Schelm dienet mir gewaltig trewlich / alle Tag schlegt er sich vor mich / ja offt ein hundert Mann / macht er gar todt. Ein jederman weiß das ich from bin / ehrlich redlich vnd auffrichtig / vnnd der Schelm jemandt machet allen Tumult / nunmehr in der gantzen Welt / er stillt er raubet / er mordet / er treibet Vnzucht / mit andern Mannes Frawen vnd schendet Jungfrawen. In Summa alle Schelmerey thut er / dz auch nun endlichen die Könige Fürsten vnn gubernatores in allen Landen dises nit mehr dulden vnd leiden können / sondern forschen nach dem d’ die schelmstücken anfähet / vnd wollen ihn vom Leben zum Tode bringen. Nun wil der ehrvergessen Schelm es alles auff mich bringen / vnd mich vberteuffeln / ich muß mich vor den Schelm fürchten / denn er hat ein grossen Anhang. Die Flucht habe ich schon vor ihn genommen / auß den Dörffern hat er mich schon verjagt. Nun muß ich mich nothhalben in die Stadt verfügen / zu den praven Stadt Junckern vnd reichen Kauffherren / die sich vber mein Ankunfft höchlich erfrewen werden / denn sie halten viel von mir / vnd haben mich lange citiren lassen. Nun werde ich kommen / aber ich weiß daß ich keinen Friede haben werde / denn ein jeder wird gute conversation mit mir halten wollen / ein jeder wird mich wollen zu gaste laden / ich weiß sie werden sich vmb meinet willen schlagen. O Niemand / Niemand wird hoch in Ehren gehalten / Niemand / weiß ich / werden die KauffJunckern in gülden Stücken kleiden / wenn er nur ankömpt / Wagen vnd Pferde werden sie mir auß freyen Willen verehren. G a r n i c h t s . Herr / Herr / da kommen zween gangen / die werden vielleicht mit euch reden. N i e m a n d . Laß sie ankommen / Niemand sol ihn guten bescheid geben. Zweene Bürger kommen.
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D e r E r s t e . Höre mein lieber Nachbar / was Dieberey mir wiederfahren. 799
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Zu: Jemand und Niemand
A n d e r . Das ist nicht müglich mein lieber Freund / ich bitte sagt was ist es so euch gestolen. E r s t . Gestriges Tages seynd mir zwölff Silberne Löffel auß der Stuben gestolen worden / ich hab all mein Gesinde vor mir gehabt / vnd von ihnen erfahren wollen / wer mir die Löffel gestolen / da ist keiner vnter / der es gethan / die sage ich habe es nicht gethan / der ander ich auch nicht / zu letzt hab ich sie mit der Daumenschrauben bedrewet / da schweren sie alle / Niemand ist in meinem Hause der sie gestolen.
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Niemandt höret mit fleiß zu
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Der ehrvergessen Schelm vnd Dieb Niemand thut alle Schelmerey / so je geschicht / vnd in dieser Stadt in vielen Häusern / wo grosser Diebstall begangen wird. Aber ich schwere es den schelmischen 443 Dieb / nimmer zuverzeihen. Denn zur stunde wil ich ihn anklagen vnd fahen lassen / ja den Schelm der so grossen Zwiespalt / Schelmenstück / Dieberey / Mordt in der Welt anrichtet / wil ich an den liechten Galgen hencken lassen. A n d e r . Mein guter Nachbar last euch sagen / ich weiß vnd wil drauff schweren / das Niemandt ewer Silberne Löffel nicht gestolen / denn ich hab es probiret, nit einmal / sondern wol huntertmal / vnd Geldt hingelegt / darbey niemand gekommen / fürwar wie ich es hingelegt / so hab ich es auch funden. In Summa / Niemand ist mir allzeit getrew / vnd hab ihn auch also befunden / ich laß ihn zu allen meinen heimlichen Sachen / zu Silber / Goldt vnd Brieffen gehen / fürwar ich spürr bey Niemandt eine reine Hand. Ich muß euch aber erst fragen / habt ihr nicht lassen fordern Jemand? E r s t . O ja / allererst ließ ich den Jemand fordern / den befand ich vnschüldig / denn er schwur bey seiner Seelen Seligkeit / daß ers nicht gestolen / sondern wüste gewiß / daß es Niemandt gethan / auff den er mir zeugete / daß ers gethan hette. 444 A n d e r . O nein mein guter Nachbar / ihr lasset euch bereden / der Jemand ist ein Schelm / ein Dieb / ein Huren Jäger / in Summa ein tausendt Schelm / vnd wil den armen Niemand gar zu grunde haben / alle Schelmstücke vnd Dieberey so er anfähet / wirfft er auff den armen Niemand. E r s t . Mein Herr Nachbar / ihr werdet / wie ich verstehe / den jemand nicht kennen / denn er ist prechtig / der da ja solche Laster nimmer an sich haben kan / die ihr all erzehlet. 800
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A n d e r . O ho wie? solt ich den Schelm nicht kennen? Er gehet gar prechtig / seine Kleider seynd mit güldenen Borten bezogen / wollet ihr es nicht gläuben / daß er ein solcher Schelm ist / so wil ichs euch darthun vnd beweisen / zu Rom ist er öffentlich zu einen Schelm gemacht worden / zu Prag hat er des Königes Schatzkammer bestolen / vnd ist darvon gelauffen / zu Venedig hat er mit eines vornehmen Mannes Frawen gebuhlet / da er auff den Halß gesessen / daß ihn der Hencker solte das Häupt abschlagen / eben in dem bricht er sich auß dem Gefengniß / der Schelm brauchet Teuffels Künste mit / sonsten were es ihn unmüglich / daß er sich so offt vom Galgen stelen solte / zu Pariß hat er den König erstochen / vnd ist darvon gekommen / zu Lunden hat er falsche Müntze geschlagen / zu Leiptzig hat er Panckerot gespielet / dieses alles / gläubt mir / ist gewiß vnd warhafftig / vnd seynd wol vber etliche hundert Bürger in dieser Stadt / die solches wissen / wil euch auch noch heute etliche vorstellen / die es bezeugen sollen / ich hette es zuvor auch nicht gleubet / der Schelm ist nicht hoffertig / er stielt auch schlechte Sachen / denn vergangene Wochen worden mir meine alten Ledern Hosen vor dem Bette weg gestolen / da kam auch der Schelm Jemand / vnd schwur daß ihm die Augen möchten außgefallen seyn.
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Niemand gefelt es wol / lachet.
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Niemand hatte sie mir in meinem Hause gestolen / zuletzt find ich dieselben Hosen bey einem alten Weibe / die trägt sie vmb / vnd wil sie verkäuffen / die sagt mir da ich sie fragte / Jemand hette sie ihr zu verkäuffen geben / da fand ich ja den Schelm in einen geringen / daß er ein Dieb war / Was solt ich mit den Schelm machen / ich durfft ihn nicht anklagen / weil es meine alte Sommerhosen / wormit mich die Herren außgelachet hetten. Fürwar mit ewern Leffeln ist es eben so / forschet nun / so werdet ihr es nicht anders befinden. E r s t . Das ist ein Schelm :/: der Jemandt. Nun nun ich muß mit liste forschen / wenn er es gethan / wil ich wol gläuben / daß er sie auch verkauffen lest. A n d e r . Das thut / ihr werdet es nicht anders befinden / vnd daß euch Niemand getrew / vnd nichts gestolen hat. Gehen hienein. 801
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Zu: Jemand und Niemand
N i e m a n d t . Das dich potz schlapperment / so werde ich armer Niemandt auch beschuldigt vor ein Dieb. Ja / ja der Schelm vnd Dieb Jemandt thut mich so mit Haß vnd Neidt verfolgen / klaget mich allenthalben an / ich habe es gethan / wie dieser Kerl / Jemandt hette hoch vnd thewer darauff geschworen / daß ich ihn die Löffel gestolen. O du ehrvergessener Schelm du Jemandt machst mir viel Mühe vnd Sorge. Der ander aber war ein auffrichtig from vnd ehrlich Mann / der verthädigt mich wie einen ehrlichen Mann zustehet. O ein prav Mann war es / er sagte fürwar die rechte Warheit / ist es nicht wahr / was er von den Schelm erzehlete? vnd solches wil der Schelm auff mich bringen. 447 G a r n i c h t s . Herr / Herr da kömpt ein alter Mann vnd junge Fraw. A l t e r . Fraw dich sol bald der Teuffel holen / sag wo bistu diese gantze Nacht vber gewesen? F r a w . Wie nun sachte / ich mag ja gehen wo ich hin wil? Ich bin bey Niemande gewesen. A l t e r . Ja ja bey Niemandt / so offt du Hure auß dem Hause bleibest / sagstu du seyst bey Niemand gewesen / solches wolt ich dir wol vergönnen / denn Niemand ist ein außbündiger ehrlicher Mann / den ich meine Frawe wol hundert Nacht auß guter Freundschafft lehnen wolte. Aber ich erfahre andere Possen / daß du bey Jemandt des Nachts seyn sollest / vnd bey ihn schlaffen / dieses ist mir vor eine Warheit gesagt worden / höre / du weist daß derselbe Jemandt mein ärgester Feind ist / vnd daß ich dir niemalen gestatten wollen mit ihm zu reden. Ich schwer es dir zubezahlen / denn ich dich / mit sampt den Huren Jäger Jemandt wil an den Kack außstreichen lassen. 448 F r a w . Thut was ihr wollet / ihr habt es nicht gesehen / daß ich bey Jemand / ich kan drauff schweren daß ich bey Niemand gewesen. A l t e r . Nein / nein / dein schweren thue ich nicht gleuben.
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Gehen hienein.
N i e m a n d . Ja das ist eine Hure / sagt sie ist bey mir die Nacht vber gewesen / fürwar sie ist nicht zu mir kommen / hab sie auch zuvor mein Tage nicht gesehen. Die ehrlose Hure wolte darauff schweren. O welch leichtfertige Weiber / sie ist fürwar bey den Schelm Jemand gewesen / das ist doch ein tausendt Schelm der Jemand / daß er sie auff mich alle weiset / alles sol ich gethan haben / aber da 802
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höret ihr / daß der ehrliche fromme Mann sie mir wol hundert Nacht lehnen wolt / denn er weiß daß ich niemand in der gantzen Welt / nur allein den Frawen vnd Jungfrawen nichts thue / es ist wahr / ich habe groß gratiam bey allen Männern / bey Fürsten vnd Herrn / derhalben daß sie mir ihr Gemahl lehnen wol hundert Nachte. Diese künfftige Nacht muß ich bedacht seyn / bey welcher Frawen ich schlaffen wil, Bedenckt sich.
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Bey der Königin auß Franckreich / wenn ich sie vom Könige begehre / so hab ich sie gewisse. Niemande / Niemande werden alle Frawen vertrawet / denn sie wissen das Niemandt ihnen nichts thue. G a r n i c h t s . Herr / Herr / da kommen noch zwey.
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〈〈Zwei Nachbarn, »Erst« und »Ander«, reden über den abgebrannten Meierhof des zweiten Sprechers. Während der »Ander« »Niemand« die Schuld zuweist, ist der erste Sprecher von dessen Unschuld überzeugt. Am Ende des Gesprächs sieht der zu Schaden gekommene ein, daß »Jemand« den Brand gelegt haben muß. Ein kurzer Monolog, in dem »Niemand« sein Schicksal bejammert, schließt sich an.〉〉
G a r n i c h t s . Mein Herr / ihr wisset wie ich euch nun eine lange Zeit gedienet habe / vnd nun wolte ich gerne meine Bezahlung haben. N i e m a n d t . Wie lang hast〈u〉 mir gedienet? G a r n i c h t s . Ich weiß nicht. N i e m a n d t . Vnd ich auch nicht. Mein lieber Jung trag keinen zweiffel / ich wil dich also bezahlen / daß du mir dancken solst. Du wirst ohne zweiffel gehört haben / wie ich all mein vorige Diener duppelt bezahlt / hilff mir nur morgen dran gedencken / so wird dir Niemand / den du lang gedienet / von gülden Stücken / mit Perlein vnd Diamanten gezieret / ein Kleid machen lassen / Niemand soll dich auch duppelt bezahlen.
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Kömpt Jemandt mit den Wachtmeister / Niemand erschrickt / gehet beyseit.
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J e m a n d t . Mein Herr Wachtmeister / seynd frölich vnd frisch / helffet fleissig suchen / können wir den Schelm antreffen / fürwar ein Zeche geb ich euch zum besten / in lauter Spanischen Wein. 803
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Zu: Jemand und Niemand
Wa c h t m e i s t e r . Gestrenger Herr mit allem Fleiß wil ich suchen / denn ich bin insonderheit den Schelm Niemand von Hertzen feind / weil er mir grossen Schaden in meinem Hause thut. Aber wo hat ihn ihr Gestrengigkeiten zum letzten verjaget? J e m a n d t . Wie ich schon gesagt / auß allen Dörffern / auß allen Flecken ist er vor mir geflohen / wie all der Teuffel / O der Schelm fürchtet sich hefftig / wenn er mich nur höret reden / er ist ein armer elender Schelm / von gantzem Hertzen thue ich den Schelm mit Haß vnd Neid verfolgen / vnd habe keine Ruhe / ehe denn ich ihn an den Galgen gebracht / denn mein ehrlich Gemüth zwinget mich / vnd kan solche Vnrecht vnd Schelmstücken / die er in der Welt treibet / nicht dulden vnd vertragen. Suchet / suchet / ist da keiner / der Niemand den Huren Sohn gesehen?
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Kömpt ihn bald auff den Halß / er Niemandt gehet hinein.
Herr Wachtmeister last vns forder gehen / denn mich deucht wir werden ihn hier nicht finden. 454 Wa c h t m e i s t e r . Dasselb deucht mich auch / wir wollen ihn in der Stadt besser suchen.
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Gehen hienein.
ACTUS SECUNDUS. Jetzt kömpt Arcial K ö n i g . Wie das Glück so vnbeständig / lesen wir in vielen Historien / solch Vnbeständigkeit mag von mir betrübten Menschen wol gesagt werden. Ich war ein reicher vnd prechtiger König von Engelland / mein eigen Vnterthanen verbanneten mich auß dem Lande / vnd theten mich gäntzlich vertreiben / da ich nun ein geraume zeit in Elend vnd Armuth mein Leben hab spendiren mussen. O Armuth welch ein sawre Last bistu zu tragen / mit was Kummer / Hertzeleidt vnd Elende muß ich mein Brodt suchen.
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Wird zur Jagd geblasen / nicht lang darnach kömpt Ellidorus.
Ellidorus K ö n i g . Du unsterbliche Göttin Diana, mit Glück vnd Segen thustu vns jetzt beywohnen / fürwar die Tage meines Lebens bin ich bey solch einer lustigen Jagd nicht gewesen. Sieh da ein 455 Armer / sieht gar melancholisch auff die Erden / was mag der in diesem weiten Walde machen? Hörest〈u〉 armer Mann wie bistu so betrübet / vnd siehest so elendiglich zur Erden? 804
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Arcial. Mein Elend vnd Betrübniß ist schwer vnd groß / denn eine Krone habe ich verlohre〈n〉 / die suche ich. Ellidorus. Ists nicht mehr / sey derhalben nicht so betrübet / armer Mensch / sey frölich / hie hastu 2. wider. 5
Wil ihn geben / er wil nicht annehmen.
Arcial. O nein / ihr irret weit / diese Crone war thewr edel vnd vnschätzlich / sie war mit Diamanten besetzet / vnd leuchtet wie die Sonn vnd Sternen / es war solch ein Crone / dem Könige von Engelland gebührete sie zu tragen. 10
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Verwundert sich.
Ellidorus. Was bistu denn vor einer? Arcial. O wiltu mich nicht kennen? Ich bin dein armer Bruder Arcial, den du wider all Barmhertzigkeit von seiner Cron vnn Scepter gestossen. Ellidorus. Weint felt ihn vmb den Halß. O verzeih mir hertztrauter Bruder / vergib mir das vnrecht / so ich an dir gethan. O hertzlieber Bruder / gleub mir in der Warheit / dz ich wider all meinen Willen die Crone führen müssen / denn sie mir mit Gewalt auffgedrungen worden. O mein Hertz wil mir zerspringen / daß ich dich hertzlieber Bruder in solch Armuth sehe. O betrübe dich nicht mehr / denn dein Kron vnd Scepter wil ich dir wieder vbergeben / vnd ist mir von Hertzen leid / daß ich dich so gekränckt habe. Arcial. Hertzlieber Bruder / dein frommes / getrewes vnd mildreiches Hertz erquickt mich jetzt vber alle massen / von Hertzen thue ich mich bedancken / daß du mich in mein Königliche Ehre gerne wieder setzen wollest. Aber Marsianus vnd Carniel werden sich mit aller Macht darwider legen / vnd es nimmer zugeben wollen. Ellidorus . Fürchte nicht / ich hoff es sol alles gut werden / denn ich sie bitten wil / ich weiß sie werden drein consentiren. Kommen die beyde Graffen.
Marsianus. Gnädigster König vnd Herr / es nimbt vns gar sehr wunder / daß ihr Majestät so lang aussen bleibet / jetzt ist die beste Frewd vnd Lust anzuschawen / denn das Wildt ist kurtz vor den Netze. Ellidorus. O nein die Lust ist mir jetzt gar vergangen. Sehet ihr wer dieser ist / der so arm bekleidet. 805
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Zu: Jemand und Niemand
Marsianus. Ich sehe ich sehe / vnd so mich meine Augen nicht falliren deucht mich es sey Arcial. Carniel. Fürwar es ist der Tyrann / der vns wieder alle Billigkeit die Graffschafften genommen / sein Leben muß er verlieren / drumb weil er sich allhie finden lest / vnnd doch verbannet ist.
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Ziehen ihr Gewehr auß / wollen ihn erstechen / Ellidorus springet vor Arcial.
Ellidorus. Nicht / nicht / haltet an euch / O ihr Vnbarmhertzigen / was vbels habt ihr in Sinn / wollet ihr mein lieben Bruder ermorden / so nemet mir vor erst das Leben. Marsianus. Gnädigster Herr / ihr Majestät seynd wir willig zu gehorsamen / vnd vmb das willen / behelt er jetzt sein Leben. Denn es ist E. Majestät bewust / was groß Schmertzen er vns zugefüget / do er vns die Graffschafften / die vns gehöret / so vnbarmhertzig vnd wieder alle Recht vnnd Billigkeit / zu sich gerissen. Ich bitte vnterthänig / ir Majestät perponderire solches bey sich selbst / ob wir nicht Vrsache genug / es vindiciren hetten. Ellidorus. O mein liebe getrewen gedencket doch / daß der Mensch kein Gott ist / sondern solch einer der täglich fehlen kan / ich bitte verzeiht es ihm / vnd gedencket es nicht mehr / denn es ist ihme von Hertzen leidt / daß er so vnrecht an euch gehandelt hat. O vergesset solches sehet an sein Armuth / vnd Elende / vnd gedencket gleich wol / daß er ein König in Engellandt gebohren. Ich bitte 459 lasset zu daß er möge zum Könige wieder gekrönet wer den. Denn mein Hertz ist voll Vnmuths / vnd kan nicht nachgeben / daß ich die Krone länger führe. Weil ich meinen Bruder / dem sie gebühret / vnd der älter denn ich / also vor mir elendiglich stehen sehe / ihr wisset zum Theil wol / wie Vngern ich mich habe krönen lassen / wie ich bald nimmer frölich / derhalben gewesen bin. Marsianus. Gnädigster Herr vnmüglich ist solches / er ist ewig verbannet / vnd muß verbannet bleiben. Carniel. Großmächtigster König / wir seynd gesetzet / auff der Gemein Laster zu sehen. Nun wissen wir ja der vielgewehnten gewesenen Königes Gemüthe / wie er tyran〈n〉isiret / wie ein jederman arm vnd reich / sich zum hefftigsten vber ihn beschwert / solten wir nun nachgeben / daß er wieder gekrönet / so hetten wirs immer zuverantworten. Wenn Tyranney vnd injustitia solte wieder eingeführet werden / fürwar solch ein Tumulte vnnd blutiger Krieg 458
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würde sich in Königreich erheben / wie niemaln erhöret / vnd darumb wenn wir es nachgeben / weren wir vnsers Lebens nicht sicher. Derohalben Gnädigster König vnd Herr / dieses kan gantz vnd gar nicht seyn / denn wir müssen betrachten den Nutz vnnd Friede des Königreichs / vnd damit aller Zwispalt / Krieg vnd Blutvergiessen vnter ihr Majestät Vnterthanen verhütet werde / vnd entkegen dahin komme / muß Arcial verbannet bleiben. Arcial. O ihr Herren verzeiht mir dz Vnrecht / so ich an euch auß Vnbedachtsamkeit begangen. O legt ab den Grul vnnd Haß / weil es mir von Hertzen leidt. Gedenckt doch daß ich der eldeste Bruder bin / vnnd mir allein gebühret die Krone zu führen. Lasset zu / das ich zur Regierung gelangen vnd wieder König seyn möge. Mein tyrannisch Hertz sol außgerottet / vnd die affectus verstorben vnd gleich den wasser vergangen seyn. Mit duppelter affection werde ich auch gewogen seyn / vnd die Graffschafften so ich euch genommen / wil ich duppelt wieder geben.
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Die Graffen gehen allein besonders.
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Marsianus. Getrewer Bruder was deucht dich / von den gewesenen König. Carniel. Fürwar er ist gar vmbgeschmoltzen vnd an ders worden / wie er verheissen hat an vns / möchten wir fürwar einen bessern König nicht begehren. Was deucht dich lieber Bruder / ob wir ihn wieder glückselig machen. Marsianus. Ich weiß fürwar nicht / laß vns wol bedencken. Stehn ein wenig in tieffen Gedancken.
Ellidor〈u〉s 〈 . 〉 Last es also seyn mein lieben Getrewen / denn was wollet ihr mehr begehren / weil er sein alt Tyranney wil ablegen / vnd alles das jenige was er euch genommen / zweyfeltig wieder geben / vnd stets in groß Gnaden bey ihn leben sollet / so ihr mich liebet / werdet ihrs concedirn, die Krone begehre ich nicht lenger zu führen / weil sie mir nicht gebühret. Gehen wieder z〈u〉sammen.
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Marsianus. Getrewer Bruder ich zweifele gäntzlich nit / der gewesene König Arcial werde seiner Zusage nicht vergessen. Was wollen wir mehr vnd bessers begehren? drumb gebe ich meinen Rath / man nehme Arcial wiederumb auff / 〈v〉or den König. 807
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Zu: Jemand und Niemand 462
Carniel. Hertzlieber getrewer Bruder / so laß ich es auch gerne geschehen / weil er sich solches versprochen. Marsianus. Gnädigster König vnd Herr / ihr Majestät Willen sol gefolgt werden / denn wir beschlossen / Arcial den gewesenen König / wieder vor vnsern Gnädigsten König auff- vnnd anzunehmen. Ellidorus. Es ist mir lieb von Hertzen.
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Gibt ihnen die Krone.
Da nembt die Krone / vnd ubergebet sie ihn in Vnterthanigkeit. Marsianus. Solches seynd wir resolviret zu thun / gnädigster Herr. Wünschet nun alle mit lauter Stim / Glück vnd Heil den gewesenen König Arcial. Gnädigster Herr / diese Krone von Engellandt / wolle ihr Majestät jetzt in Vnterthänigkeit von vns empfangen.
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Setzet sie ihn auffs Heupt.
A l l e z u s a m m e n . Langes Leben Glück vnd Heil wünschen / wir den großmächtigsten König / von Engellandt / Franckreich / Jrrlandt / Schottlandt. 463 Arcial. So sey diese Stund glückselig / in welcher sich mein Trübnüß verwandelt. Liebe getrewe acceptiret wie der von mir liebe / vnd duppelt gratiam. Hertzlieber Bruder / dein grosse Trew vnd Liebe ist nimmer zuvergelten / in Ruhe vnd guten Friede wollen wir nun vntereinander vns beywohnen / all Vnrecht / so ich zuvor meinen Vnterthanen bewiesen / wil ich mit Iustitia recompensiren / hertzlieber Bruder / lebet ihr zu meiner Rechten in grosser Liebe / vnnd ihr Herrn Graffen zu meiner Lincken. Graff Marsiane werdet ihr ein angenehmer Bote / vnnd bringet meinem Gemahl die Zeitung / daß sie in kurtzen mich wieder in meiner vorigen Gewalt vnnd Macht sehen werde. Ein groß Verlangen trag ich nach ihr / möchte ich sie nur in guter Gesundheit wissen / were ich sehr erfrewet. Marsianus. Gnädigster Herr vnd König / die angenehme Botschafft wil ich mit Fleiß verrichten. Arcial. Nun wolan / so last vns jetzt fürder nach v〈n〉sern Pallast kehren. Ihr Graffen vnd Herrn / geht bey mir zur Lincken / vnd ihr hertzlieber Bruder zur rechten Handt. 464 Ellidorus. Gerne gnädigster Herr vnd hertzlieber Herr Bruder. 808
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Marsianus. Großmächtiger König wir bitten vmb Verzeihung / es wil vns nicht gebühren an ihr Majestät Seiten zu gehen / sintemal wir darzu zu gering / vnd ihr Majestät in Unterthänigkeit auffzuwarten / wir schuldig sey〈n〉d. Arcial. Ihr seyd es wol wirdig / es ist vnser Wille wegert euch nicht. Carniel. Fürwar ein frommer König. Marsianus. Ist es denn ihr Kön: May: gäntzlicher Wille / so seynd wir zu gehorsamen schuldig. Gehen hienein.
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Jetzt kömpt Niemandt vnd sein Diener.
N i e m a n d t . Das mag ein grosse Ehr heissen. Nun kom ich von den Bürgern auß der Stadt / da haben sie mir bald die Hosen entzwey gerissen, denn wie ich Herr Niemandt kam / wanne wanne / welch ein groß ansehen war da / ein jeder treckete mich bey den Hosen / vnnd solt ihr Gast seyn. Mein Jung gantz vnd gar nichts / ist ein reicher Kerl darinnen worden / denn meinet halben ward er in grossen Ehren gehalten. Jung sag vnser ehrnveste wie dich die Bürger tractiret haben? G a r n i c h t s . O Herr auß dermassen wol / meine Hosen hetten sie mir auch bald entzwey gerissen / denn ein jeder wolt mich haben. N i e m a n d t . O ho ho das ist ein Ehre meinet wegenn / sag weiter was hettestu vor tractament? G a r n i c h t s . Mein Herr da waren vnzehlich viel Braten / gleich einer Königlichen Taffel / da waren so mancherley Gerichte / Pasteten / Schawessen / daß ich mir auch bald die Augen außgesehen / In Summa es ist nit außzuzehlen / vnd außzusprechen / wie mancherley da war. N i e m a n d t . O ho ho ho / so wird Niemandts Jung geehrt. Mein Jung hatte eine Königlich Taffel / vnd weil ich der Herr war / ward mir ein Key serliche Taffel zubereitet / die Stube darin ich die Keyserliche Taffel hielt / war mit Schaarlach vmbher bezogen ich saß gar allein bey der Taffel / alß ein grosser Thomas / die Bürgermeister vnd Rathmänner st〈u〉nden vorn Tische vnnd dieneten mir / wann ich ihnen auß meinen gorssen Ochsenkopff zu Tranck auch den obersten Burgermeister / so waren sie so ehrerbietig / vnd wolten auß den Ochsenkopff nicht trincken / sondern liessen ihnen 809
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Zu: Jemand und Niemand
in ein sonderlichen Pocal einschencken / vnnd thaten mir darauß Bescheidt / es war zu viel / daß sie mich so stattlich respectirten. Aber hör mein Jung / was gaben sie dir vor Geschencke. G a r n i c h t s . Mein Herr ein gewaltig schatzbar Goldes haben sie mir geben / denn ein eisserne Lade vol geele Ducaten biß oben an / worvon ich ein Königlich Leben kan geführen. N i e m a n d t . O ho ho daß ist eine Gabe / meinen Jungen haben sie eine gantze Lade voll Ungerische Gülden geben / mir aber weil ich seyn Herr war / wolten sie so kein Goldt nicht geben / dann sie wissen / daß ich dessen ohne dz mehr denn zu viel habe / sondern sie schenckten mir ein Pferdt / das hat Flügel / das ist mit keinem 467 Gelde zubezahlen / denn es hat diese Tugendt an sich / es kan mit einem in die Lufft fliegen / weil es Flügel hat. Es kan bald riechen / da keiner verhanden ist / vnd kan weissagen. Denn wann ich wohin soll / daß ich da Glück haben vnd Preiß erlangen soll / so schreyet es hin hin hin hin / wo aber nicht / daß es weiß / daß sie mich werden todt schlagen / so brummet es hum / hum / hum / hum / ja solche ein Pferdt hat allein Niemandt / vnd desgleichen ist in der gantzen Welt nicht. Aber Jung sag weiter / wer beleitet dich / da du weg reisest / vnnd was geschahe dar vor Pracht. G a r n i c h t s . Mein Herr / das gieng auß dermassen prächtig zu / alle Handtwergsleute / von allen Gülden Stunden mit Fahnen Pfeiffen Trummeln / in voller Rüstung / vnnd beleiteten mich also hinauß in voller Pracht vnd in allen Gassen / wordurch ich ritt biß ans Thor / war eytel Frewde / vnn vor Frewden hatte sie Fewrwercke gemacht / vnd ein Hauffen Pechpfannen in die Hohe gesetzt / die musten so brennen. In Summa es gieng alles prächtig zu. 468
N i e m a n d t . O ho ho / dz mag ein Ehre heissen meinen Jungen musten alles Handtwerger beleiten auß der Stadt / do eitel Pechpfannen vor Frewden angezündet worden. Ich aber weil ich der Herre war / ward begleitet von den Bürgermeistern / vnd Rathsherrn / mit gewaltigen grossen prangen / da war eitel Frewde / ein Hauffen Fewrwerck vnd etzlich hundert grosse Geschütz / mir zu Ehren worden abgeschossen. Dieses mag ein Pracht heissen / so niemand wiederfahren. Kömpt ein alter Bawr. 810
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G a r n i c h t s . Herr Herr / da kömpt ein alter Kerl. B a w r . O wir armen Bawren / O wir armen Bawren / wie sollen wirs machen / die Soldaten die Soldaten / haben vns vnsere Kirchen zu Grunde verstöret / vnd ist kein Gelt vorhanden / worvon wir sie wieder bawen lassen / O wir armen elenden Bawren / wie sollen wirs machen / wann sie vns Jemandt möchte wieder bawen lassen / wir wollen alle Tag vor ihn bitten / hundert tausend Gottes Lohn / O wir armen Bawren / O wir armen Bawren. N i e m a n d t . Was begehrestu sag an / vnser ehrenveste sol dir helffen? B a w r . O ehrenvestester Herr / ich klage vnd meine da umb / das v〈n〉sere Kirche / gantz vnd gar von den Soldaten ist zerstöret worden / vnnd ist nun da kein Geldt vorhanden / worvon man sie wieder bawen kan. Vnd daß wir armen Leute / nicht mehr Gottes Wort hören können / darumb bin ich so betrübet / vnnd wünsche / daß vns sie jemand doch wieder möchte bawen lassen / so wolten wir täglich 100000 Gottes Lohn vor ihn beten. N i e m a n d t . Du alter Bawr / worvor siestu mich an? Sieh da hastu Geldt. Darvor laß ewer Kirch wieder bawen. B a w r . O wie gut mein allerliebster Herr / alle Tage wollen wir 100 Gottes Lohn vor euch beten / aber wie ist doch des Herren Namen / denn denselben wollen wir mit güldenen Buchstaben / zum Gedächtnüß / an die Kirchthür schreiben lassen: N i e m a n d t . Vnser ehrnveste Name ist Niemandt. B a w r . O allmächtiger ehrnvester Herr Niemandt / seyd ihr der grosse reiche Herr / vnser Priester / mercke ich nun erst / ist ein rechter Prophet / denn wenn er vns vnter den freyen Himmel ein sermon zu machen pfleg / propheceyet er allezeit Niemandt / ja Nimandt wird vns die Kirche bawen lassen. O ehrnvester allmächtiger Herr Niemandt / für Niemand wollen wir immer beten / der vns vnsere Kirche hat bawen lassen. O Herr Niemandt grossen Danck / O Herr Niemandt grossen Danck. Gehet hinein.
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N i e m a n d t . Ja welch ein tausend Schelm der Jemandt ist / nun hat er den armen Bawren die Kirch verstöret / wenn ich gethan / hetten sie ihr Tage kein ander bekommen. Ja der Schelm thut Schaden gnug / wenn ich ihnen nicht wieder hülffe / die Leute musten verzagen. 811
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Zu: Jemand und Niemand
〈〈Es folgt eine Szene, in der »Niemand« Soldaten aus dem Schuldgefängnis auslöst. Im anschließenden Auftritt (»Jemand«, Secretarius) kauft »Jemand« für 800 Gulden ein Viertheil des Pfundes Gerechtigkeit vor 800. Gulden, die er »Niemand« schadenfroh zeigt. »Niemand« erhält vom Secretarius ein Pfund Gerechtigkeit umsonst. In der folgenden Szene begegnet »Niemand« einem alten Mann mit einem kleinen (unehelichen) Kind, das »Niemand« gezeugt 481 haben soll. »Niemand« nimmt das Kind zu sich. (Alle ab.).〉〉
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ACTUS TERTIUS. Jetzt kommen die beyden Königin vnd Schmarotzer herauß / König〈in〉 Ellidoris steigt auff den Pallast / die andere bleibet unten sitzen.
Ellidoris. Gewesene Königin / ich kan noch nicht ver gessen / mein Handschuch ist mir entfallen / hole mir ihn wieder. Ich muß dich tormentiren, ich muß dich beängstigen / daß ich dich mir vnterthänig / vnd dein trotzig Gemüth weich mache. Schmarotzer sag an hastu sie wol geplaget? S c h m a r r o t z e r . Gnädige Königin / wenn ich Ihr Majestät an den Augen mercken könte / was ihr geliebte / habe ich keine Ruhe / es muß vollendet werden. Nun weiß ich vollkömlich vnd genugsam / was ihr Majestät Will vnd begehren / nemblich diese nichtswirdige gewesene Königin wol z〈u〉 plagen. Gnädigst Königin / wann ich solches nicht mit allem fleiß verrichtete / würde ich mir ein groß Gewissen machen / ja ich müste mich befürchten / daß ich in Ihr Majestät Vngnad geriethe. O ich wolte nicht das Leben begehren / wenn mir Ihr Majestät solte vngnädig seyn / ich wolte nicht der Welt Gut begehren / vnd von Ihr Majestät Vngnade haben. Denn weil ich nun in Gnaden / fürchte ich mich vor den Teuffel nicht / vnd schätze mich vor den Glückseligsten. Gnädigst Königin / so es mag plagen heissen habe ich damit meine Kunst meisterlich bewiesen / begehret Ihr May: mehr von mir / so gebe sie mir nur ein Zeichen / ich wils verrichten / ehe ihr May: es gedencken vnd vermeynen soll. 483 Ellidoris. Mein getrewer Diener / deine Reden gefallen mir wol / laß vns bedencken was wir weiter mit ihr wollen anfahen / aber da kömpt Marsianus, welchen ich hertzlich gerne sehe / denn ich hoffe er wird mir gute Zeitung bringen / daß mein gnädiger Herr König in Gesundheit von der Jagd wird wieder angelangen.
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Marsianus. Geht zur Königin Arcial. Grosse Frewde Königin von Engelland / Franckreich / Jrrland vnd Schottland. Sie verwundert sich / stehet auff.
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Viel Glück sol ich Ihr Majestät wünschen / wegen des Königs Arcial, Ihr Majestät vielgeliebtes Gemahl vnd König / darneben offenbaren vnd vermelden / wie er wieder zum Könige angenommen / vnd jetzo die Krone von Engelland führe. Ellidoris verschrickt.
Arcial K ö n i g i n . O glückselige Stunde. Willkommen zu tausendtmal. Küsset den Graffen.
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O sagt an wo ist mein Gemahl? Marsianus . Gnädigst Königin / Ihr May: sol wissen / daß wir den König Arcial gar arm vnd elende im Walde funden / da er dann wieder gekrönet / vnd verhoff in diesen Orthen werden ihn Ihr Majestät wieder anschawen / denn sein Majestät mit den gewesenen König Ellidoro auff dem Weg seyn / vnd von der Jagd reitent kommen wird.
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Schmarotzer credentzet sich. Sie läufft dem Pallast auff / reisset ihr die Krone vom Häupt / reisset sie herunter. 20
〈Königin〉
Arcial. Herunter zum tausendt Teuffel / wie du mich / wil ich dich wieder tormentiren. Läufft zum Graffen / wil ihn das Rappier außziehen / er wil nicht.
Marsianus. Wanne? wolt ihr mich selbst erstechen. Nun harret ewer Gemahl wird bald kommen / last sie doch stehen. 25
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Schmarotzer hat ein Kleiderbürsten / feget die Kleider der Königin auß / lest sich gar emsiglich angelegen seyn.
K ö n i g i n Arcial. O du Schmarotzer vnd Fuchsschwäntzer / dein Boßheit so du an mir begangen / wolt ich dir jetzt duppelt bezahlen / so du nun aber die gewesene Königin wol tormentirst, will ich dich zu Gnaden auff vnd annehmen. S c h m a r r o t z e r . Gnädigst Königin / mein müglichen fleiß wil ich anwenden / die gewesene Königin wil ich also tormentiren vnd plagen / daß sie zu Ihr May: Füssen fallen soll. K ö n i g i n Arcial. Das thu. 813
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Zu: Jemand und Niemand
Wird getrommetet / kommen die Könige / 〈Königin〉 Arcial läufft ihren Gemahl entgegen.
Arcial K ö n i g i n . O hertzliebster Gemahl / zu tausendtmalen seyd vns willkommen. Küsset ihn.
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Glückselig sey dieser Tag gepreiset. K ö n i g Arcial. Glückselig sey die Stunde / in der ich euch / geliebte Gemahlin in Gesundheit funden. Nimpt sie bey der Hand / vnd führet sie auffn Pallast. 486 〈〈Arcial
kündigt an, daß er die Erziehung der Söhne Marsians und Carniels übernehmen wird. König Arcial verspricht dem Land Recht und Gerechtigkeit. Ellidorus kümmert sich um seine Gemahlin, die sich nicht von ihm trösten lassen 488 will und sich abwendet.〉〉
K ö n i g i n Arcial. Weil wir denn diese glückselige Zeit erlanget / wollen wir sämptlich diesen Tag pancketiren vnd frölich seyn. Lieber Graff Marsiane, verschaffet daß ein groß Mahl werde zubereitet. denn ein jederman sol heute mit mir frölich seyn. Verschafft auch / daß allerley Kurtzweil mögen gehalten werden / mit turnieren / Kräntzlein lauffen / vnd am Abend die Comoedianten eine schöne Comoediam agiren, verschaffet ja alles mit fleiß / daß nichts mangele. Marsianus. Gnädigster König / es sol alles wol außgerichtet / vnd mit fleiß praepariret werden. K ö n i g 〈 A r c i a l 〉 . Also wollen wir diesen gantzen Tag in aller Frewde zubringen.
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Stehet ein wenig stille / verkehrt die Augen. 489
Aber? Was für ein Vnglück kömpt mich jetzt an / mein gantzes Geblüt verwandelt sich / in Zittern vnd Beben / fanget an in allen Gliedern / ein grawsam Fieber / vberleufft mir jetzt mein Hertz. Sie verschrecken alle. 〈Königin〉
Arcial. O wie kan müglich seyn / daß die vnsterblichen Götter vns so mißgünstig / vnd ihr Majestät in dieser Frewde ein Kranckheit sollen zu handen senden. 814
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Quellentext
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K ö n i g 〈 A r c i a l 〉 . Ja je mehr vnd mehr nimbt es mir mein gantzen Leib ein / mein Häupt kan ich nit mehr auffheben / b〈r〉ingt mich nur zu Bette. Ellidorus. Weh diesen Vnglück / Graff Carniel laufft alsobald vorauß zum Medico, daß er zur Stunde zu ihr Majestät komme. Carniel. Sol er alsobald kommen? K ö n i g 〈 A r c i a l 〉 . Mich deucht es ist eitel grün vor meinen Augen worden / ich kan nit lenger auff seyn / drumb führt mich zu Bette. Ellidorus, Marsianus gehen hinauff vnd nemen ihn bey den Armen.
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K ö n i g 〈 A r c i a l 〉 . Hertzliebes Gemahl betrübet euch nicht / ich hoffe es sol bald besser werden. Marsianus. Gnädigster König / sol gleich alles verschaffet werden / daß ihr Majestät befohlen? K ö n i g 〈 A r c i a l 〉 . O nein laß alles bleiben / mich deucht alle Frewde mit mir auff Erden / werde ein Ende nehmen. Leiten ihn hienein. 〈〈Ellidoris wird von Königin Arcial und dem Schmarotzer verhöhnt vnd schikaniert.〉〉
K ö n i g 〈 i n 〉 Ellidoris . 20
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〈〈Sie reißt sich eine Papierkrone vom Kopf, mit der
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sie »gekrönt« wurde 〉〉
Du unwirdigste Königin / jetzt bin ich rasend vnd toll worden / nun bitte ich vmb Gnade / doch so viel daß mir ein I〈n〉strument möge in die Handt gegeben werden / damit ich mein Leben möge verkürtzen. K ö n i g 〈 i n 〉 Arcial. Ja solch Gnade sol dir wiederfahren. Schmarrotzer gib ihr ein Schwerdt / damit sie sich ersteche. S c h m a r o t z e r gibts der Königin. Da hastu nun den Todt in deinen Händen empfang ihn freundlich.
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Sie besiehet das Schwerdt / setzet es auffs Hertz / schmeist es an die Erden.
Ellidoris. Nein ich habe mich bedacht / dir wil ich zu Trotz leben. 30
〈〈In einem Botenbericht verkündet Marsianus den Tod des Königs Arcial. Die beiden Königinnen tauschen erneut ihre Machtposition und schmähen sich gegenseitig.〉〉
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Zu: Jemand und Niemand 497
ACTUS QUARTUS. Jetzt kömpt Ellidorus zween Brüder Carniel. 〈〈Carniel berichtet, daß die Stände beschlossen hätten, Ellidorus erneut die Krone zu übergeben.〉〉
Wil sie ihn auffsetzen / sie reissen zu rück.
Peridorus. Was ihr Herren / sol vnser Bruder wieder gekrönter König seyn? Nein nimmermehr lasset solches zu / oder ein gefährlichen 498 blutigen Krieg / werdet ihr vervrsachen. Worfür bin ich? Sey ich nicht eben so wol ein Erbe des Kö〈n〉igreichs / denn mein Bruder? Drumb weil er allbereit gekrönter König gewesen / so nehmet mich auff / vor ewern König. E d w a r t . Ihr Herrn bedencket euch wol / damit kein blutiger Krieg vervrsachet werde / denn ich in eben so wol ein Erbe des Königreichs wie meine Brüder / darumb krönet mich / oder ein schweres Blutbadt werdet ihr vervrsachen. Peridorus. Bruder was sagt ihr? Begehret ihr vor mir König zu werden / der ihr doch jünger seyd alß ich? E d w a r t . Daran ist mir nichts gelegen / jung oder alt. Wann solches jetzo gelten solt / so müste vnser Bruder Ellidorus / welches der elteste unter vns ist / die Crone führen: Aber ich wils seyn / vnd zu trotz auch allen / die mirs nicht gönnen / steig ich den Pallast auff.
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Gehet hinauff.
Darfür ich mein Leben adventiren wil. Ellidorus. Hertzlieber Bruder ich bitte / so eine Bitte helffen mag / seyd zufrieden / vnnd lebet eintrechtig / strebet doch nit also nach 499 einer Hand voll Ehre bedencket doch erst recht / was es auff sich habe / ein Kron vnd Scepter zuführen / fürwar wüstet ir es / betrübet würdet ir seyn / wann ir die Kron nur anschawet. Wie Vngern ich sie führe / werdet ihr nimmer gleuben können / auch wie gerne ich sie dem gönnen wolte / der des Reichs bestes zu suchen wüste / vnd dem darmit gedienet were. Peridorus. Ist dieses nit ein unverschambte Sache / daß vnser jüngster Bruder sich mit Gewalt / vor ein König auffwerffen wil / fürwar Bruder ich rahte dir gehe herunter / oder der Teufel sol dich hernunter führen. 816
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E d w a r t . Vor dir werde ich nimmermehr herunter gehen / der an meine Statt wil König seyn / muß mit mir vmb mein Leben streiten / ich stehe hier / ich wil per fas & nefas gekrönet seyn / der Teufel / vnd keiner nicht / sol mich herunter holen. 5
Er leufft mit grossen Vngestüm hinauff / reisset ihn herunter / ziehen beyde von Läder / hawen unverzagt kegen einander ein / wird jeglichen eingehalten.
Peridorus. Ich schwere / so war mich die vnsterblichen Götter erschaffen / dir nicht zuverzeihen / vmb Leib vnnd Leben wollen wir derhalben streiten. 10
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Wollen wieder zusammen / lassen sie nicht.
E d w a r t . Der Teuffel hole dich / dafern du kommen kanst vnd thust es nicht. Achtestu dich ehrlich / so streite mit mir vmb Leib vnd Leben / vnd höre nimmer auff / ehe du mich zu Boden hast. Ellidorus. Ach hertzlieber Brüder / ist es müglich / vertragt euch / vnd seyd doch nicht so gehässig auff einander. Peridorus. Nein hertzlieber Bruder / es ist unmüglich. Den Kampff vmb Leib vnd Leben zu streiten / vnd nimmer auffzuhören / hat er mir angeboten / so were ich nit ehrenwirdig / solt ichs ihm versagen. Darumb laß ich nicht abe / du hast mich zu Grunde oder ich dich / ihr Herrn habt Achtung drauff / damit dieser vnser Streit ehrlich gehalten werde. Ellidorus gehet trawrig sitzen / die Trummel wird geschlagen / die Schwerter klingen / wird ein zimlich Weil trompetet.
25
Ellidorus. Weh diesen betrübten Zustande / was thut der schändlich Hoffart nicht? Was bringet nit Ehrgeitz zu wege? Diese sein mein leibliche Brüder / die da Ehrgeitzes wegen / leider / nit auffhören / biß einer davon zu Boden liegt. Sie kommen wieder / sein voll Bluts.
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E d w a r t . Du blöder verzagter Hundt / dreymal bin ich dir nahe den Hertzen gerandt / vnd nicht hafften können / nun soltu gleich / oder ich das Leben auffgeben. Peridorus. Daß ich ein verzagter Hundt bin / soltu erfahren / des Tages Liecht / vnd die Sonne soll mich nimmer beleuchten / wann ich / ehe dann ich mit mein Schwerdt / durch dein Hertz / oder du durch meines gedrungen / ablassen wil. 817
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Zu: Jemand und Niemand
Lauffen wieder zusammen / seynd beyde verwundet / wollen nieder fallen erschiessen sich beyde mit den Schwerdten.
Ellidorus. O du schändlicher Hoffart / was Mordt vnd Elend bringestu zu wegen? Ist dieses nicht zubeklagen / daß meine beyde Brüder sich selbsten so jämmerlich vmbs Leben gebracht. Was ist die Vrsache? Hoffart. O Hoffart :/: Wie manches junges Blut bringestu vmbs Leben. Was haben sie nun vor Ehre beyde eingeleget? O weh diesen jämmerlichen Zustande. 502 Carniel. Gnädigster Herr / vber diesen Zustand ist ihr Gn. billich betrübet. Dennoch ihr May: kan nichts darwieder / vnd ist daran gantz vnd gar unschuldig / dann sie / leider / selber ihr Leben vmb Ehre willen verlohren / darumb Gnädigster Herr / ihr Gn. seynd nun ein einiger Erbe des Königreichs / derhalben er diese Königliche Krone von meinen unwirdigen Händen / in Gnaden annehmen vnd empfangen / vnd vnser Gnädigster König vnd Herr seyn wolle. Ellidorus. Wie ich die Krone zu führen Lust hatte / ist euch ohn Zweifel sambtlich wol bewust / weil es aber die Götter also ordiniret / daß ich jetzt zum andern mal gekrönter König werde / laß ichs geschehen. Setzt ihn auff.
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〈〈Ellidorus ordnet die Begräbnisse seiner Brüder an.〉〉 503
Gehen hinein / die Todten werden hinein getragen. Jetzt kömpt Niemandt vnnd sein Jung.
〈〈»Niemand« berichtet von den Verfolgungen durch »Jemand«. Am königlichen Palast angekommen, begehrt (und erhält) er vom Torwächter / Kellermeister den allerbesten Wein und läßt sich beim König für den Abend anmelden. Der Kellermeister bittet ihn, wegen der großen Melancholey des Königs früher zu kommen. Der Monolog eines Soldaten schließt sich an, der mit seiner Tapferkeit und seinen Erfolgen prahlt. »Niemand« bezeichnet ihn als Meister der Lüge, worauf sich der Soldat mit ihm schlägt. In dem »Scheinkampf«, der nicht auf der Bühne gezeigt wird, kommt keiner der beiden zu Schaden. »Jemand« und 514 der Wachtmeister nehmen »Niemand« fest.〉〉
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Quellentext
ACTUS QUINTUS. Jetzt kömpt der König / beyde Königinnen vnd beyde Graffen herauß.
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〈〈König Ellidorus warnt vor der Hoffart und bittet die Königinnen, von diesem Laster abzulassen. Königin Arcial vnd Königin Ellidoris versöhnen sich. Marsianus kündigt den Auftritt »Jemands« und »Niemands« an, die von König Ellidorus einen Urteilsspruch erbitten. »Jemand« klagt in einem langen Plädoyer »Niemand« verschiedener Vergehen an, u. a. des Diebstahls in der königlichen Schatzkammer. »Niemand« verteidigt sich und bittet, daß er und »Jemand« durchsucht werden sollen, um die gestohlenen Gegenstände zu Tage zu bringen. Bei »Jemand« finden sich zahlreiche Beweise, daß er der Schuldige ist. »Niemand« wird daraufhin freigesprochen. Er enttarnt »Jemand« als den ärgste〈n〉 Schelm auff Erden, dessen schöne Kleider ihn noch lange nicht zum Edelmann machen.〉〉
K ö n i g 〈 E l l i d o r u s 〉 . Nun willkommen zu huntert tausend malen / mein gerechter Herr Niemandt / wegen ewr Gerechtigkeit seyd ihr in solch gratiam gerahten / daß ihr immer in Pallast bey vns leben sollet. N i e m a n d t . Macht Basis manus. Höchlich thue ich mich bedancken. K ö n i g 〈 E l l i d o r u s 〉 . Liebes Gemahl auch Fraw Schwägern / heist diesen Niemandt freundlich willkommen / denn er gerecht vnd lauter Gottes Furcht in ihn ist / vnd so bekandt / bey jederman wegen / seiner Gottes Furcht worden / daß auch die Männer ire Frawen bey ihn schlaffen legen / denn sie wissen sein Gottsfürchtigkeit / daß er sie derwegen nit berühret. K ö n i g i n 〈 E l l i d o r i s 〉 . Solch einer ist billich in Ehren zuhalten / willkommen willkommen / gerechter Herr Niemandt lebet bey vns. N i e m a n d t . Höchlich / höchlich / thue ich mich bedancken / ich gehe immer mit. 〈 K ö n i g i n 〉 Arcial. Willkommen gerechter frömbster Herr Niemandt / der du den Frawen so ingetrew vnnd holdt bist. N i e m a n d t . Höchlich thue ich mich bedancken. K ö n i g 〈 E l l i d o r u s 〉 . Ich bin voller Frewde / daß ich Niemandt bey mir haben sol / der mir nur die Zeit vertreiben wirdt. Seinet halben sol heut Frewde vnd Triumph gehalten werden. In Summa / so viel Goldt vnd Silber / wil ich seinet wegen vor Geschenck außgeben / ich weiß nicht wie viel. Alle mein heimliche Sachen / die ich kei819
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Zu: Jemand und Niemand
nen Menschen offenbahret / werde ich Niemandt zeugen. Nun lasset vns hinein gehen / vnd den Tag in Frewden zubringen.
FINIS. Zu Arnims Quelle und deren Vorläufern Wie Herr Hanrei und Maria vom langen Markte und Der wunderthätige Stein ist Jemand und Niemand eine Adaption eines Stückes aus der 1620 von Friedrich Menius herausgegebenen Dramensammlung Engelische Comedien und Tragedien (ECuT I), die dort den Titel Eine schöne lustige Comoedia / von Jemand und Niemandt trägt (vgl. Q, S. 790–820 und Arnims Anmerkungen, in der vorliegenden Ausgabe S. 335,9–12; zu den ECuT I vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 743). Der Stoff des Stückes stammt demnach aus England. 1606 wurde eine englische Version erstmalig in London unter dem Titel Nobody and Somebody gedruckt.2 Ferner gibt es eine deutschsprachige Fassung von 1608, die sich vom englischen Original deutlich unterscheidet (vgl. dazu ausführlich F. J. Kramer, The Origin of the Manuscript Version of Niemand und Jemand, in: Monatshefte für den Deutschen Unterricht. Vol. XXXVII, Number 4, 5 (April-May 1945), S. 85–95 sowie Moering 1979, S. 251). In umgearbeiteter Form wurde der Stoff zum ersten Mal in den von Menius besorgten ECuT I von 1620 abgedruckt. Im Vergleich zum englischen Original, das sich insgesamt von der deutschsprachigen Fassung durch Sprachgewandtheit und versierte Repliken positiv abhebt, findet sich im Stück von 1620 der typisch barocke Komplimentierstil, der auch hier mit derber Ausdrucksweise vermischt ist. Der pathetische Sprachduktus wird bei Arnim an manchen Stellen noch verstärkt (vgl. Erl. zu S. 272,29–33, S. 277,12–14 und S. 278,6–11). In der deutschsprachigen Version ist im Vergleich zum englischen Original insgesamt ein wesentlich derberer Umgangston vorherrschend, was v. a. für die Repliken der Königinnen und des Schmarotzers gilt. 2 Der vollständige Titel lautet Nobody and Somebody / With the true Chronicle Historie of Elydure / who was fortunately three seuerell times / crowned King of England. / The true Copy hath beene acted / by the Queens Maiesties seruants
(vgl. Bolte 1894, S. 4). Ludwig Tieck kannte diese englische Fassung, war im Besitz einer Abschrift und übersetzte das englische Stück ins Deutsche (vgl. ebd., S. 5; Druck der Übersetzung ebd., S. 36–91). In Tiecks Deutschem Theater wird in einer Fußnote auf Nobody and Somebody verwiesen. Tieck hält das Stück für vortrefflich (Tieck 1817 I, S. XXVII). Zu seiner Besprechung der von Arnim verwendeten Vorlage vgl. Erl. auf S. 828–829.
820
Quellentext/Zu Arnims Quelle
Das Stück hat in den Fassungen aus dem 17. Jh. wie auch bei Arnim zwei Handlungsreihen und bildet somit ein Ineinander von Figuren aus der englischen Sagenwelt und allegorischen Zwischenspielen, die erst am Ende zusammengeführt werden: die Staatshandlung um das englische Königshaus und daneben die Auftritte von »Jemand« und »Niemand«, die dem Stück auch den Namen geben. Die Geschichte um die Krönung und Entthronung der Herrscher Arthal und Eleidir ist von Geoffrey of Monmouth (auch Galfridus Monemutensis) erstmalig in seiner zwölfbändigen Historia Regum Britanniae (1136/1138) aufgezeichnet worden. In dieser Chronik verbinden sich sagenhafte Elemente mit historischen Überlieferungen. Die Geschichte um Eleidir basiert auf einer Erfindung Geoffreys (vgl. Gransden 1974, S. 201–203; Geoffrey Ashe, Kings and Queens of Early Britain. London 1982, S. 14–18). In der Umgestaltung des Stoffes zu einer dramatischen Haupt- und Staatsaktion wurden in allen vorliegenden dramatischen Fassungen die Königinnen sowie der Schmeichler/Schmarotzer als handelnde Figuren sowie der Zweikampf zwischen den jüngeren Brüdern hinzugefügt. Während sich die mehrmalige Krönung und Entthrohnung Eleidirs in der Historia Regum Britanniae auf eine Zeit von mehr als 22 Jahren erstrecken, erfährt die Handlung in den dramatischen Bearbeitungen von 1606, 1608 und 1620 eine zeitliche Straffung. In Arnims Adaption wird dies insofern verstärkt, als sich die dargestellten Geschehnisse zwischen Sonnenauf- und -untergang des darauffolgenden Tages abspielen. Dadurch wirken einige Passagen, wie z. B. die Anagnorisis-Szene zwischen Ellidor und Arrial oder die Auseinandersetzung über das gestohlene Szepter, ungleich absurder. Auf Unterschiede zwischen historiographischer Überlieferung und ihrer Dramatisierung wird im Einzelstellenkommentar hingewiesen (vgl. Erl. zu S. 265,3–4, S. 266,7–8, S. 273,3, S. 278,25–26).3 Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich aus den »Jemand«-und-»Niemand«-Episoden im Gegensatz zum englischen Stück eine erweiterte Handlung mit mehreren auftretenden Personen. Dabei erhält die Figur des »Niemand« einen bzw. zwei Diener: »Gantz und gar nicht« und »Etwas« sind die Begleiter »Niemands« in der Grazer Handschrift. Die Q kennt nur den Jungen »Gar nichts«. Arnim hat dieser Figur einen deutlich größeren Sprechpart zugeteilt, wodurch der Wortwitz an einigen Stellen gesteigert wird. In den Anmerkungen zur Schaubühne hebt Arnim hervor, daß er durch Kürzungen manches Lang3
Für den Kommentar wurde eine Übersetzung der
Historia Regum Britanniae aus
dem Altenglischen ins Englische von 1929 verwendet (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 296–299).
821
Zu: Jemand und Niemand
weilige vermieden habe, wobei aber auch einzelne komische Züge verloren gegangen seien (in der vorliegenden Ausgabe S. 335,10–11). Die von Arnim vorgenommenen Streichungen betreffen »etwa ein Viertel des ursprünglichen Umfangs« (Moering 1979, S. 255), so daß die Aussage des Stückes auf einige wesentliche Punkte komprimiert ist.
Die Stoffgeschichte der Figuren »Jemand« und »Niemand« Insbesondere die Figur »Niemand« fußt in ihrer Darstellung in Kunst und Literatur auf weit zurückreichenden Traditionen. Einige Beispiele aus dem europäischen Kontext sollen dies veranschaulichen. Neben Homers Odysseus, der vor Polyphem behauptet, »Niemand« zu sein, wird »Niemand« bzw. »Nemo« im späten 13. Jh. zum Gegenstand satirischer Schriften, in denen die Figur durch Belegstellen aus der Bibel zum Heiligen stilisiert wird, zu dessen Ehre von Radulfus aus Anjou die »secta Neminiana« gegründet wurde (vgl. Denifle 1888, S. 351; Bolte 1894, S. 8; Moering 1979, S. 249). Für Radulfus war »Niemand« »wesensgleich mit dem Sohne in der Dreifaltigkeit« (vgl. Denifle 1888, S. 331). Ab dem Ende des 15. Jhs. befassen sich bildliche Darstellungen mit der Figur. Auf Flugblättern wird »Niemand« in Text und Bild als Verantwortlicher für allen Unbill der Welt dargestellt (vgl. Braun 1994, S. 15).4 Dies erfährt eine Fortsetzung in Spruchgedichten und auf weiteren Holzschnitten und Kupferstichen. Großer Beliebtheit erfreute sich Ulrichs von Hutten Gedicht Nemo (erste Fassung 1510, Druck der überarbeiteten Version 1518), das auch ins Deutsche übersetzt wurde. In doppeldeutigen Sentenzen wird dort die menschliche Ignoranz aufs Korn genommen (vgl. Moering 1979, S. 249–250). Ein erstes Agieren von »Jemand« und »Niemand« im Drama läßt sich für das frühe 16. Jh. nachweisen. In dem portugiesischen Moralitätenstück Auto da Lusitaˆnia (Spiel von Lusitania, 1532) von Gil Vicente treten die Figuren »Jedermann« (»Todo o Mundo«) und »Niemand« (»Ninguem«) in einem Gespräch miteinander auf. Dessen allegorischer Gehalt wird durch die beiden Teufel Beelzebub und Donati satirisch kommentiert und führt am Ende zu einer Pa4
Johannes Bolte bietet Bild und Text des ersten nachweisbaren Flugblattes mit einer
Darstellung »Niemands«, das von dem Staßburger Jörg Schan verfaßt wurde (vgl. Bolte 1894, S. 10–13). Auf dem Bild ist »Niemand« mit Hut und Stab abgebildet. Zudem trägt er ein Vorhängeschloß am Mund. Er läuft durch ein Zimmer, in dem zahlreiche zerbrochene Haushaltsgegenstände auf dem Boden liegen, für deren Unbrauchbarkeit »Niemand« v. a. von den Dienstleuten verantwortlich gemacht wird.
822
Zu Arnims Quelle/Die Stoffgeschichte von »Jemand« und »Niemand«
rodie auf die Seligpreisungen (vgl. Gil Vicente, Geistliche Spiele, hg. v. Margarete Kühne. Coimbra 1940, S. 86). Die Figur des »Jemand« hat darüber hinaus eine Entsprechung in einer französischen Farce von Tout, Rien et Chascun. Dort wird »Tout« ähnlich wie »Jemand« in Arnims Vorlage als Betrüger dargestellt (vgl. Frede´n 1939, S. 321–322). Im englischen Sprachraum werden im 16. und 17. Jh. Flugblätter und Spruchdichtungen über »Nobody« verbreitet, die z. T. in deutlicher Anlehnung an die deutsche Tradition der bildlichen Darstellung entstanden sind (vgl. Bolte 1894, S. 22). Im englischen Drama gelangen beide Figuren gemeinsam erst um 1600 auf die Bühne. »Nobody« tritt dort in einem signifikanten Kostüm auf, das ihn als den »Körperlosen« (»no body«) kennzeichnet: Seine Hose reicht ihm bis zum Halskragen, so daß der Rumpf zu fehlen scheint. Dieser Wortwitz gelingt zwar im Deutschen nicht und wurde vom Publikum vmtl. nicht verstanden,6 aber das Kostüm wurde offenbar auch bei Aufführungen in Deutschland verwendet. In Arnims Vorlage wird darauf zweimal angespielt.7 »Jemand« nimmt als Gegenpart »Niemands« eine intrigierende Funktion ein. So ist »Niemand« die Inkarnation des Guten und Unschuldigen, wird jedoch von »Jemand«, der das Böse verkörpert, zum Sündenbock gemacht.8 Zudem wird ein Kontrast zwischen arm (»Niemand«) und reich (»Jemand«) hergestellt, den bereits Vicente bei seiner Darstellung verwendete. Diese Figurenkonstellation erscheint in den Fassungen von 1606, 1608 und 1620 (zu den Unterschieden zwischen den drei Dramen vgl. Bolte 1894, S. 28–29; Frede´n 1939, S. 328–364).9 Arnim reduziert die kriminellen Machenschaften »Jemands« auf 6
Arnim kannte vmtl. diese bildliche Darstellung, wahrscheinlich durch seinen mehrmo-
natigen Englandaufenthalt 1803/1804. So findet sich laut Michael Braun auf Schloß Wiepersdorf, einem der Güter Arnims, eine Tür mit einer Darstellung des »Niemand« (vgl. Braun 1994, S. 43). 7
Vgl. Q, S. 796,32–33 sowie die bei der Darbietung der Quelle gekürzte Szene des Zwei-
kampfs zwischen »Niemand« und dem Soldat, der ihn dazu auffordert, sein Wams aus-
Niemandt. Das kan ich nicht thun / denn ich habe nur einen Nestel hie beym Halse / wenn ich den auffmache, so stehe ich gar nacket / nein, das thue ich nicht / denn die Frawen vnd Jungfrawen werden mich gar außlachen (ECuT I, zuziehen:
S. 512). 8
Wie sich in Vicentes Drama bereits durch die Namensgebung andeutet, wird die Figur
des »Jemand« im englischen Drama zu einer Figur wie »Jedermann«, zu einem Repräsentanten des schuldig gewordenen Menschen, der nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen (vgl. Bolte 1894, S. 7; Moering 1979, S. 250).
823
Zu: Jemand und Niemand
einige wenige Punkte. Dennoch entpuppt sich auch bei ihm »Jemand« als der Unehrenhafte, der am Ende verurteilt wird. Im Kontext seiner Sammeltätigkeit alter englischer und deutscher Dramen wird Ludwig Tieck auf das Stück Jemand und Niemand aufmerksam, besorgt sich eine Abschrift des Londoner Originals und leiht sich 1816 die ECuT I von Clemens Brentano.10 Die deutsche Version von 1620 nimmt er nicht in seine Edition des Deutschen Theaters (1817) auf, bietet aber im Vorwort eine Inhaltsangabe des Stückes.11 Zum Wanderbühnen-Stück aus den ECuT I bemerkt er folgendes:
Das sechste Schauspiel 〈in den ECuT I〉 ist eins der merkwürdigsten, weil es alte englische Geschichte sehr keck mit Allegorie vermischt, es heißt: Eine schöne lustige Comödie von Jemand und Niemand. Arcial und Ellidar werden umwechselnd vom Thron gestoßen, wobei der Schmarotzer jedes Mal die verstoßene Königin quält und verspottet, indessen der ehrliche Niemand aller Laster beschuldigt wird, hauptsächlich vom schelmischen Jemand, da er doch der tugendhafteste, uneigennützigste und großmüthigste Charakter ist. Die Satire liegt nahe, ist aber volksmäßig und gut durchgeführt, das Ganze ist selbst in dieser kauderwelschen Gestalt erfreulich (Tieck 1817 I, S. XXVII). Tieck hat hier offenbar ein Grundprinzip des elisabethanischen Historiendramas erkannt. Bei der Herausbildung dieses Dramentyps spielt die Allegorisierung der historischen Figuren eine maßgebliche Rolle, um eine Verallgemeinerung und gleichzeitig eine moralische Überhöhung der dargestellten Figuren zu erzielen. Das allegorische Moralitätendrama diente hierzu als Vorlage. Tiecks Betonung des »Volksmäßigen« ist insofern wichtig, als dies auch für Arnim ein entscheidender Faktor gewesen sein mag, eine Bearbeitung des Stückes vorzunehmen. »Jemand« und insbesondere »Niemand« werden auch noch in der Folgezeit als Figuren in literarischen Texten verwendet. Es sei nur auf Robert Burns Volksliedbearbeitung I Hae A Wife O’ My Ain (1788), Anettes von Droste-Hüls9
Das Stück aus den
ECuT I wurde 1645 als Vorlage für eine niederländische Bearbei-
tung in Alexandrinern verwendet, die von Isaak de Vos verfaßt wurde (vgl. näheres dazu bei Bolte 1894, S. 29–32). Vos’ Stück war wiederum Anlaß für eine freie Bearbeitung durch die Hand des Amsterdamer Johannes Nomsz, »der 1768 auf Ersuchen der Theaterregenten diese Arbeit übernahm« (ebd., S. 32). 10
Um 1816 schickt Brentano das Exemplar an Ludwig Tieck mit der Bitte, es nach zwei
Monaten wieder zurückzusenden (vgl. Briefe an Ludwig Tieck, hg. v. Karl von Holtei. 1. Bd. Breslau 1864, S. 106–107). 11
Vgl. zum
schichte der
Deutschen Theater Tiecks den Überblickskommentar zur EntstehungsgeSchaubühne, S. 458–461. 824
Die Stoffgeschichte von »Jemand« und »Niemand«/Die politischen Anspielungen
hoff Figur Johannes Niemand in Die Judenbuche (1842) und Emily Dickinsons Gedicht I’m Nobody! Who are you? (ca. 1861) hingewiesen, die zeigen, daß »Niemand« auch im 18./19. Jh. als Name einer Figur gebräuchlich war.12 In der Literatur sowie im Film taucht »Niemand« bzw. »Nemo« selbst heute noch auf.
Die politischen Anspielungen in Arnims Trauerspiel Was in dem Stück der englischen Wanderbühne als »satirische Tendenz« in der Nachfolge anderer »Niemand«-Konzeptionen thematisiert wird, ist bei Arnim durch eine Akzentverlagerung hin zu mehr Tiefe und Anspielungen zur eigenen Zeitgeschichte intensiviert. Durch die von Arnim vorgenommenen Streichungen, wodurch große Teile der Q entfallen, werden v. a. Derbheiten eliminiert. So sind einige der gegenseitigen Demütigungen der Königinnen (vgl. Q, S. 792,25–30; S. 815,19–20) oder die sich wiederholenden Passagen in den Zwischenspielen mit »Niemand« und dem anonymen Volk gestrichen (vgl. ebd., S. 803,14–19; S. 811,18–32). Ferner verzichtet Arnim auf ein langes Gespräch zwischen »Niemand« und »Gar nichts« (vgl. ebd., S. 809,10–810,35), die Befreiung der Gefangenen durch »Niemand« (vgl. ebd., S. 812,1–2) und die Diskussion zwischen »Niemand« bzw. »Jemand« und dem Sekretarius über Gerechtigkeit (vgl. ebd., S. 812,2–5). Die Handlung, die das englische Königshaus betrifft, hat ebenfalls Kürzungen erfahren. Die Antrittsrede König Arcials (vgl. ebd., S. 814,10–13), »Niemands« Gesuch beim Torwächter und Kellermeister, ins Schloß eingelassen zu werden, die sich anschließende Szene »Niemand« und Soldat (vgl. ebd., S. 818,28–31) sowie die Episode, in der »Jemand« und »Niemand« vor Gericht stehen (vgl. ebd., S. 819,3–13), fehlen in Arnims Adaption. Auch die gerichtliche Untersuchung des Falls wurde von ihm wesentlich gekürzt.13
12
Bänkelsängerlied verarbeitet Arnim später das »Niemand«-Motiv noch einWo hat er seinen Mantel / Zieh er sich aus dem Handel / Wir ziehn ihn auch heraus. / Wir sind es nicht gewesen / Die ihn zum Herrn erlesen / Der Niemand wars allein / Nun pack er sich von hinnen / Hier ist nichts zu gewinnen (Gedichte von Ludwig In einem
mal. Die Franzosen mokieren sich in dem Gedicht über den besiegten Napoleon:
Achim von Arnim. Zweiter Teil, hg. v. Herbert R. Liedke, Alfred Anger. Tübingen 1976, S. 113–114). 13
Bei der Darbietung der Q wurde aus Platzgründen auf die von Arnim gestrichenen
Stellen verzichtet und statt dessen eine kurze Wiedergabe des Inhalts in 〈〈doppelte Winkelklammern〉〉 gestellt.
825
Zu: Jemand und Niemand
Arnim nimmt in seinem »politische〈n〉 Trauerspiel« (Moering 1979, S. 248) deutlich Kritik an despotischen oder willkürlichen Herrschaftsformen, ähnlich wie in seinem Schattenspiel Das Loch (vgl. den Überblickskommentar zu S. 698–699). Der im Stück dargestellte Staat ist aus den Fugen. Die Herrschenden nehmen nicht die ihnen zugedachten, verantwortungsvollen Positionen ein, sondern streiten nur um die Regierungsgewalt. Mit Ausnahme Ellidors streben sie nach dem verloren gegangenen Symbol der königlichen Macht und Rechtssprechung, dem von »Jemand« gestohlenen Szepter. Ellidor erweist sich als gütig und gerecht, aber seine mahnende Stimme verhallt ungehört. Die Hofschranzen sind korrupt (Carniol, Marsian) oder opportunistisch (Schmarotzer), die Königinnen nur an der Macht interessiert, die sie gegenüber der jeweiligen Rivalin sadistisch ausleben. So zeigt sich die dargestellte Haupt- und Staatsaktion durchgängig in pessimistischem Grundton. Dies bezeugt auch der ambivalente Schluß: Am Ende ist »Niemand« König, eine Aussage, die konkret oder allegorisch aufgefaßt werden kann. Ist also zuletzt niemand oder »Niemand« Herrscher? Der neue König entpuppt sich in seiner Regierung als ebenso ambivalent wie sein Name. Als »Niemand« am Ende des Dramas als erste Amtshandlung befiehlt, laßt die Trommeten schallen, ruft den Frieden aus, Gar nichts sollt ihr bezahlen (in der vorliegenden Ausgabe S. 281,5–6), so meint er damit, daß sein Diener »Gar nichts« bezahlt werden soll. Von den Untertanen wird es als Aussicht auf Steuerfreiheit verstanden, so daß ihm jeder zujubelt. Durch die verwendeten Wortspiele kommt damit indirekt zum Ausdruck, daß der Herrscher mit der Sprache seine Untergebenen manipuliert. Die Bez. des Stückes als Trauerspiel – die Q benennt es dagegen als Comoedia – ist damit auch eine pessimistische Bewertung der dargestellten Welt (vgl. DWb 21, Sp. 1392).14 Implizit finden sich im Stück einige politische Fragestellungen und Anspielungen auf die eigene Zeit, die der Handlung auch aktuelle Brisanz verleihen. So könnten sich die Ereignisse der Französischen Revolution und die geschwächte Position des preußischen Königs in der Darstellung der Revolte gegen König Arrial und in der Verweigerung des sanften und milden Königs Ellidor, die Regierung zu übernehmen, widerspiegeln. Die Bestimmung des neuen Königs wird von den Grafen dem Zufall überlassen, worin sich vmtl. eine Kritik Arnims an der zurückhaltenden Vorgehensweise des preußischen Adels in den Jahren vor 14
Vgl. dazu auch die Erl. zu S. 264,3. Obwohl das Stück zahlreiche komische Passagen
enthält, weswegen es in der Forschung auch als »Tragikomödie« bezeichnet wurde (vgl. Bottermann 1895, S. 66), scheint für Arnim angesichts des tragischen Ausgangs (der Auslöschung eines Königsgeschlechts) die Bez. »Trauerspiel« angebrachter zu sein.
826
Die politischen Anspielungen/Entstehung
den »Befreiungskriegen« äußert (vgl. Moering 1979, S. 259). »Niemand« ist – sofern man ihn als nicht-allegorische Figur versteht – einer aus dem Volk, der durch Zufall und in Ermangelung eines anderen Herrschers zum König gekrönt wird. In der Realität vollzog sich etwas Ähnliches durch den Aufstieg Napoleons (vgl. ebd., S. 257), der jedoch im literarischen Kontext stärker mit dem Namen »Jemand« behaftet war.15 Die Handlung des Stückes situiert Arnim in einer vorchristlichen Zeit. Antike Gottheiten, Jupiter, Diana und Apollo, werden als schicksalshafte Mächte in den Repliken benannt. In der Q wird zwar bey den vnsterblichen Göttern (Q, S. 793,21) geschworen, Arnim forciert dies aber durch die ausdrückliche Verwendung von Götternamen aus der römischen Mythologie. Christliches Heilsgeschehen oder theologisch-teleologische Vorstellungen werden dadurch von vornherein ausgeklammert. Während in Das Loch am Ende das verlorene Paradies mit Hilfe der Engel, die das Schiff von Ritter und Kaiserin wieder zum Rhabarberland zurückbringen, wiedergefunden wird und sich dadurch eine zukunftsoptimistische Utopie ausdrückt, bleibt das Ende des Stückes Jemand und Niemand im ambivalenten Modus. Die Aussicht auf eine durch einen weisen Herrscher gesicherte Zukunft wird durch die Ambivalenz der Figur »Niemand« in Frage gestellt und damit offengelassen. Freilich wird die somit evozierte negative Wahrnehmung der dargestellten Welt durch die zahlreichen komischen Elemente und Wortspiele überlagert, so daß das Stück insgesamt durch eine zwiespältige Unentschiedenheit zwischen Komik und Tragik geprägt ist.
Entstehung Präzise Hinweise zur Entstehung des Stückes konnten nicht ermittelt werden. Da Arnim die Adaption in seinem Titelaufriß im Brief an Friedrich Christoph Perthes vom 3. Februar 1813 (vgl. EZ 26, S. 425–426)16 nicht erwähnt, ist es möglich, daß es in der kurzen Bearbeitungszeit zwischen Februar und Juni 1813, dem
15 Etwa zeitgleich zu Arnims Schaubühne erscheint 1813 August von Kotzebues Stück Der Flußgott Niemen und Noch Jemand, in dem durch die Figur des »Noch Jemand« Napoleon verkörpert ist. In späterer Zeit publizierte Kotzebue auch zwei Anhänge mit dem Titel Noch Jemands Reiseabentheuer sowie Noch Jemand’s Rasereien. Eine Vision. Moering
weist darauf hin, daß die Bez. »Jemand« für Napoleon in dieser Zeit »in der Luft gelegen« haben mag, weil sein Name einerseits von den Zeitgenossen nicht gerne verwendet wurde, »andererseits 〈weil〉 ein Unbekannter in ihm zum Mächtigsten der Erde aufgestiegen war und nun wieder zwar nicht zur Anonymität, aber zur Machtlosigkeit zurücksank« (Moering 1979, S. 259). 16
Vgl. dazu das Kap. zur Entstehungsgeschichte der
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Schaubühne, S. 443–444.
Zu: Jemand und Niemand
Monat der Veröffentlichung der Schaubühne, entstanden ist. Für diese Annahme sprechen die Flüchtigkeitsfehler, die sich in der Editio princeps nachweisen lassen. Die Verwechslungen der Figurennamen bei Sprecherangaben im D könnten ein Hinweis darauf sein, daß die Bearbeitung schnell vorgenommen wurde.17 Da sich die ECuT I nur in Clemens Brentanos Bibliothek, nicht aber im Besitz Arnims nachweisen lassen (vgl. Brentano-Bibl. I, Nr. 122, S. 43–44), ist es ferner möglich, daß die Anregung für die Dramenadaption auf die Zeit zwischen 1809–1811 zurückgeht, als Brentano und Arnim gemeinsam in Berlin lebten (vgl. Moering 1979, S. 252). Renate Moering hält es auch für wahrscheinlich, daß die ECuT I während Brentanos Aufenthalt in Böhmen und Wien bei Arnim verblieben, so daß die Vermutung, Arnim habe das Stück erst kurz vor Veröffentlichung der Schaubühne verfaßt, weiterhin plausibel bleibt.
Rezeption Wie bei den beiden anderen Adaptionen altenglischer Stücke bleibt die Rezeption nahezu aus. Zu Clemens Brentanos Reaktion auf das Trauerspiel sei auf den Überblickskommentar von Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 749 verwiesen, da sich Brentano nur allgemein und nicht im speziellen zu den altenglischen Dramenadaptionen äußert. In Wolframs Rezension in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung wird das Stück als sehr erheiternd und belustigend (RZ 6, S. 471,1) gelobt, insbesondere die Konzeption der Figuren »Jemand«, »Niemand« und »Schmarotzer« (vgl. ebd., S. 471,6–7). Kritisch wird die Bez. des Stückes als »Trauerspiel« gesehen sowie die Kürze einiger Aufzüge, wodurch das Ganze 〈 ..〉 sehr zusammengeschrumpft (ebd., S. 471,5) sei. In den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst äußert sich der Rezensent Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld – ähnlich wie Brentano – nur allgemein zu den Wanderbühnen-Stücken, so daß hier wiederum auf die Darstellung der Rezeptionsgeschichte bei Herr Hanrei und Maria vom langen Markte verwiesen wird, vgl. S. 749. Obwohl sich Ludwig Tieck intensiv mit den »Jemand«-und-»Niemand«-Dramen von 1606 und 1620 auseinandersetzt und Arnims Dramenadaption auch kennt, äußert er sich zu Arnims Stück nur in einer Fußnote seines Deutschen 17
Dagegen könnte der Einwand erhoben werden, daß Arnim allgemein auf formale Ein-
heitlichkeit nicht achtete. Seine Freunde kritisieren immer wieder seine Unordentlichkeit in formalen Angelegenheiten.
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Entstehung/Rezeption/Arnims Entwürfe eines Prologs
Theaters. Dort erwähnt er des Herrn v. Arnim Theater, wo dieses Stück 〈= Jemand und Niemand〉 nebst einem kleinen Schwank nach dem alten deutschen Buche gearbeitet ist (Tieck 1817 I, S. XXVII). Diese Art der Erwähnung der Schaubühne liefert implizit Informationen über Tiecks Bewertung der Arnimschen Dramensammlung. So unterlaufen ihm in diesem kurzen Hinweis zwei Fehler, indem er nicht den korrekten bibliographischen Titel, sondern die allgemeine Formulierung »Theater« wählt und nur von zwei statt drei Bearbeitungen altenglischer Stücke bei Arnim spricht. Die Nennung des kleinen Schwank〈s〉 bezieht sich vmtl. auf das Hanswurstspiel Der wunderthätige Stein. Die Adaption von Herr Hanrei und Maria vom langen Markte wird außer acht gelassen. Durch die Plazierung der Anmerkung im Fußnotenbereich wird Arnims Dramenadaptionen indirekt eine untergeordnete Rolle zuteil, die einer abwertenden Bemerkung gleichzukommen scheint, wenn man bedenkt, daß Tiecks Deutsches Theater ein Konkurrenzunternehmen zu Arnims editorischen Plänen darstellte (vgl. Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne, S. 458–461). Die diskreditierend wirkende Fußnote ist der einzige Hinweis darauf, daß Tieck Arnims Schaubühne zur Kenntnis genommen hat.18 Weitere Rezeptionszeugnisse von seiner bzw. anderer Seite wurden nicht ermittelt.
Arnims Entwürfe eines Prologs Arnim verfaßt Jahre später, vmtl. nach seiner Reise nach Salzburg im Jahre 1829 den zum Drama gehörenden Prolog Keiner als Geist mit einem Regenschirme (FDH 7711, das Mundum gedruckt erstmals bei Moering 1979, S. 263–264; zur Datierung S. 267). Es ist nicht bekannt, ob Arnim den Prolog im Zusammenhang mit einer umfassenden Überarbeitung des gesamten Stückes konzipiert, was bei der Möglichkeit einer Aufführung auf einer öffentlichen Bühne vmtl. der Fall gewesen wäre. Es ist bemerkenswert, daß Arnims Faszination für den Stoff so lange andauert, daß er ihn 16 Jahre später noch einmal aufnimmt und durch einen Prolog mit surrealem Inhalt erweitert: »Keiner«, der Zwillingsbruder »Niemands«, berichtet vom Tod und von der darauffolgenden Verbannung seiner Freunde »Niemand«, »Jemand« und »Gar nichts« auf den Mond. Er selbst sei ein Geist im Himmel, der den Zeitungslesern auf dem Lande zu vergleichen 〈sei〉, die nur einmal in der Woche, wenn die Post ankommt, 18
Vgl. auch Goethes ähnlich diskreditierende Haltung der
S. 412.
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Schaubühne gegenüber,
Zu: Jemand und Niemand
Zeitungen aus der übrigen Welt
erhalten (in der vorliegenden Ausgabe S. 344,10–13). Das hier beschriebene Leben in großer Abgeschiedenheit erinnert an Arnims eigenes zurückgezogenes Dasein in Wiepersdorf ab 1814.19 Indem »Keiner« nun die Karten interpretiert, die von den Spielern »Jemand«, »Niemand« und »Gar nichts« auf dem Tisch zurückgelassen wurden, skizziert er die Handlung, die sich im Schaubühnen–Stück vollziehen wird: den Diebstahl des Szepters, die wiederholte Entthronung der Könige. Am Ende bedauert »Keiner« seine lieben Spielkameraden, da sie nun dazu gezwungen seien, in ihrem Kartenspiel eine ernste Rolle mitspielen zu müssen. »Keiner« beschließt, der Erde den Rücken zu kehren. Als einziger bleibt »Auch nicht einer« auf Erden (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 345,12 bzw. S. 343,11) – das Spiel mit den Indefinitpronomina wird also (quasi ad in(de)finitum) fortgesetzt. Der Prolog ist in humoristischem Ton verfaßt. »Keiner« führt den Zuschauer mit seiner (selbst)ironischen und satirischen Erzählung in die Handlung ein. Die schicksalshafte Vernetzung des Kartenspiels mit der (Spiel)wirklichkeit ist nicht nur eine satirische Anspielung auf die philiströse »Stammtischwirklichkeit«, in der die grossen Begebenheiten und Liebesaffären 〈...〉 in Ordnung disputiert werden, sondern führt auch zu einem Verwirrspiel, das die Handlung auf eine surreale Ebene hebt. Schauplatz für das folgende Stück ist nun nicht mehr die Erde, sondern der Mond. In leicht abgewandelter Form wird sich im Drama noch einmal das vollziehen, was sich in der von »Keiner« erzählten Vorgeschichte bereits auf Erden beim Kartenspielen ereignet hat. Diese Verdoppelung entspricht dem Wesen der Figuren »Keiner« und »Niemand«, deren Ambivalenz sich durch die Verwendung der Indefinitpronomen als Allegorien ergeben.
Erläuterungen 264,3 E i n Tr a u e r s p i e l .] Arnim ändert die Gattungsbez. des Stückes, das ihm als Vorlage diente, von Eine schöne lustige Comoedia (Q, S. 790) zu Trauerspiel. Vmtl. trug die Veränderung des Dramenschlusses (entgegen der Vorlage bleiben Ellidor und Arria als einzige Überlebende des Herrscherhauses übrig, »Niemand« wird König) dazu bei, daß Arnim mit Blick auf das tragische Ende trotz der überwiegend komischen Passagen des Stückes die Bez. »Trauerspiel« bevorzugt. Es läßt sich daraus schließen, daß Arnims Definition der 19
Moering liefert weitere Hinweise zur Datierung des Stückes auf 1829 und nennt als
»Datierungshilfe 〈...〉 die technischen Neuerungen« (Moering 1979, S. 267): den im Prolog erwähnten Regenschirm und die Gasbeleuchtung, die erst ab 1820 eine gewichtigere Rolle im preußischen Alltag spielten (vgl. ebd., S. 268).
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Arnims Entwürfe eines Prologs/Erläuterungen
»Komödie« dem Kriterium des »happy ending« einen besonders hohen Stellenwert einräumt. Zugleich erfährt der Dramenschluß durch die Genrebez. »Trauerspiel« eine implizite Wertung, während in der Q der Fokus stärker auf den »Jemand«-und-»Niemand«-Episoden sowie auf der Evokation von Bühnenkomik durch Wortspiele und Mißverständnisse liegt. 264,4 F r e i n a c h d e m A l t d e u t s c h e n .] »Altdeutsch« dient um 1800 zur Bez. des »gesamten Bereich〈s〉 der deutschen Dichtungsüberlieferung vom Hildebrandslied bis zur Barockliteratur« (Ribbat 1978, S. 156). 264,6 S p i e l e r . ] Arnim führt nicht alle Figuren an. Es fehlen die Nebenfiguren Schmarotzer, ein Bauer, ein alter Bauer und dessen junge Frau, die im folgenden auftreten. Gegenüber der Vorlage hat Arnim die Zahl der Personen reduziert. Weitere dramatis personae sind dort Zweene Bürger, der Thorwärter, der Kellner und der Soldat. 264,6 A r r i a l ] Durch Arnim von Arcial zu Arrial geändert, vmtl. um die Ähnlichkeit zum Namen Arria, Arrials Gemahlin, stärker zu pointieren. Der Gleichklang der Namen der jeweiligen Herrscherpaare Arcial-Arcials, Ellidor-Ellidoris (Q) bzw. Elia-Ellidor, Arria-Arrial (Arnim) führt sowohl in der Vorlage Q als auch bei Arnim zu Fehlern bei der Benennung der Sprecher im Verlauf des Stückes. In der Historia Regum Britanniae, der historischen Quelle für die Darstellung der Haupt- und Staatsaktion (vgl. den Überblickskommentar, S. 821), ist der Name als Arthal überliefert (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 296). 264,8 E l l i d o r ] Aus der Vorlage übernommener Name. In der historischen Quelle ist er als Eleidir/Elaidir überliefert (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 296). 264,9 P e r i d o r ] Sprechender Name, lateinisch für »ich werde verderben«; in der Q wird bei der Auflistung der Spieler einer der Brüder Secretarius genannt, erscheint aber später unter dem Namen Peridorus (vgl. Q, S. 791,1; S. 816,6). Die Historia Regum Britanniae führt den Namen Predyr an (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 298). 264,10 E d u a r d ] Von Arnim aus Edovvart leicht modifiziert, in der historischen Überlieferung als Owain bezeichnet (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 298). 264,11 A r r i a , Arrials Gemahlin.] Durch Arnim von Arcials zu Arria geändert. Vmtl. Anspielung auf die aus der Antike überlieferte Arria, die Ältere oder Jüngere. Beide Frauengestalten werden von Plinius epist. 3, 16 bzw. epist. 7, 19, 10 beschrieben. Während Arria die Ältere, Frau des Senators Caecina Paetus, ihrem zum Tode verurteilten Mann durch Selbstmord folgte, wurde ihre Tochter, Arria die Jüngere, unter Kaiser Domitianus verbannt. Sie kehrte jedoch unter Nerva wieder zurück (vgl. DNP 2, Sp. 27–28). Arnim besaß Friedrich
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Zu: Jemand und Niemand
Maximilians von Klinger Schauspiel Die Neue Arria (1776, vgl. Arnim-Bibl. B 1126), welches das Leben Arrias der Älteren dramatisiert. Dieser Stoff wurde im 18. Jh. auch für Puppenspiele verwendet. Verbannung und Selbstmord spielen in der Q und in Arnims Stück ebenfalls eine Rolle, wenn sie auch die Konzeption der Arria-Figur nicht unmittelbar betreffen. 264,12 E l i a , Ellidors Gemahlin.] In der Q als Ellidoris bezeichnet. Der von Arnim verwendete Name erinnert an den biblischen Propheten (vgl. 1. Kön 17–19; 21; 22; 2. Kön 1, 2–2, 18). Dies hat jedoch keinerlei Auswirkung auf die Anlage der Figur in Arnims Stück. Lediglich den Wunsch zu sterben teilen sich die biblische Figur Elia (1. Kön 19, 4) und die Königin (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 277,33–34), und zwar sowohl in der Q als auch bei Arnim. 264,13 M a r s i a n ] Arnim kürzt das Suffix des lateinischen Namens Marsianus in der Q. Der Name ist vmtl. von dem historischen Marcianus abgeleitet, der 268 n. Chr. an der Verschwörung gegen den Kaiser beteiligt gewesen sein soll (vgl. DNP 7, Sp. 854). Marsianus/Marsian in der Q und bei Arnim ist ebenfalls maßgeblich in den Plan, König Arrial vom Thron zu stürzen, involviert. 264,14 C a r n i o l ] Aus der Q übernommener Name. Die folgenden zwei Personen, werden in der Editio Princeps im Personenregister nicht aufgeführt. Zur Vervollständigung werden sie – analog zu den SW – hier berücksichtigt. 264,19 G a r n i c h t s ] Die Figur erhält bei Arnim einen wesentlich größeren Sprechpart im Vergleich zur Vorlage. Vgl. als Begründung zu den im folgenden durch den Editor hinzugefügten Namen die vorangegangene Erl. 265,3–4 das uns so viele 〈...〉 entreißt,] In der Q nicht belegt. Carniol spricht lediglich davon, daß er 6. Graffschafftthümer 〈...〉 noch in possession habe (Q, S. 791,16). Bereits in der historischen Quelle wird König Arthal als brutal und tyrannisch beschrieben: »he harassed the hereditary nobles and raised the ignoble to honour, and plundered the wealthy and worthy, forcing them to pay him tribute;« (Historia Regum Britanniae, S. 296). Aus diesem Grund wird er vom Adel gestürzt und verbannt. Eleidir folgt ihm – wie auch in der Dramatisierung des historischen Stoffes in den ECuT I – auf den Thron (vgl. ebd., S. 296). 265,5 Bodenkammer] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage gehen die Grafen hienein (Q, S. 791,21), ihr Aufenthaltsort wird nicht näher als privater Bereich spezifiziert. 265,8–9 durch das neugierige 〈...〉 ist] Von Arnim hinzugefügt, wodurch die tyrannische Willkür der Herrschenden stärker akzentuiert wird. 265,18 eben] Das Temporaladverb ist von Arnim hinzugefügt worden. Durch die zeitliche Straffung der Handlung spielt sich die mehrmalige Krönung und
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Erläuterungen
Entthronung der Herrschenden bei Arnim zwischen Sonnenaufgang und -untergang des darauffolgenden Tages ab. 265,23–24 schwatze zu ihr 〈...〉 sie.] Von Arnim aus molestire sie auffs ärgste du kanst (Q, S. 792,9) geändert. Die Q exponiert die gegenseitigen Quälereien und Mißhandlungen der Königinnen in drastischerer Weise. 265,28–29 deren Name selbst 〈...〉 anfängt.] Von Arnim hinzugefügte, bewußt fragwürdige Herrschaftslegitimation. 265,30–32 Hörst du, heb 〈...〉 nicht!] Im zweiten Teil von Shakespeares Henry VI begegnet ebenfalls das Motiv der sich streitenden, um Macht heischenden Frauen. Zwischen der Königin und der ihr untergebenen Herzogin kommt es zu einer ähnlichen Szene wie in Jemand und Niemand: [The
Queen lets fall her fan.] Give me my fan. What, minion, can ye not? She gives the Duchess a box on the ear. I cry you mercy, madam; was it you? Duch. Was’t I? yea, I it was, proud Frenchwoman. Could I come near your beauty with my nails, I could set my ten commandements in your face (Shakespeare Works, S. 674, Z. 138–142, vgl. die Stelle in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels: Königin 〈...〉 (〈...〉 Die Königin läßt ihren Fächer fallen.) / Hebt meinen Fächer auf. Ey, Schätzchen, könnt ihr nicht? / (Sie giebt der Herzogin eine Ohrfeige.) / Wart ihr es? Ja, da bitt’ ich um Verzeihung. / Herzogin. War ich’s? Jawohl, hochmüthige Französin. / Könnt’ ich an euer schön Gesicht nur kommen, / Ich setzte meine zehn Gebote drein (Shakespeare’s dramatische Werke, übers. von August Wilhelm Schlegel. Achter Theil. (König Heinrich der Sechste. Zweiter Theil.). Berlin 1801, S. 31; Arnim-Bibl. B 1599h). 265,35 zähme] Arnim wählt hier einen moderateren Begriff. In der Q fordert Arcial den Schmarotzer auf, Ellidoris zu schlagen, was dieser auch ausführt (vgl. Q, S. 792,28–30). 266,2–3 ich muß ihr nachgehen 〈...〉 Nein.] Von Arnim hinzugefügt. 266,7–8 ihren Gemahl 〈...〉 setzen.] In der Q wird angedeutet, daß Ellidor zuvor König von England war: vnd ihr Gemahl wieder die Crone vonn Engellandt führe (Q, S. 793,5). Dies ist in der Historia Regum Britanniae nicht belegt. 266,12 wenn ihr uns vertrauen wollt,] Von Arnim hinzugefügt. In der Q soll Ellidoris ihnen Hülff vnd Beystand zusagen (Q, S. 793,14). 266,19 unser Plan reift,] Von Arnim hinzugefügt. In der Q wird nur die Absicht geäußert, am Abend den Anschlag auszuführen (vgl. Q, S. 793,26). 266,23 Was uns widersteht 〈...〉 nieder.] In der Q gehört diese Passage noch zu Marsianus’ Replik. Die Bereitschaft von Frauen, im Kampf mitzuwirken, begegnet auch in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, wo Judith als
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Zu: Jemand und Niemand
Mann verkleidet bei der Befreiung der Stadt mitwirkt, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 202,9–11. 266,25 In diesem Buche] Auch die Q bleibt bei der Angabe der Lektüre ungenau. 266,27–29 da freut 〈...〉 haben.] Von Arnim hinzugefügt. 267,2–3 die Ruhe 〈 ..〉 gestört.] Die Individualisierung Ellidors ist von Arnim hinzugefügt. 267,11–12 und was sie fordert, 〈...〉 Demuth.] Von Arnim hinzugefügt. Vgl. das ähnliche Sprichwort »Keine schönere Krone als die der Demuth« (Wander 2, Sp. 1637, Nr. 9). 267,14–15 sie ist mein Glück, 〈...〉 verderben.] Von Arnim hinzugefügt. Das Aussprechen von Gefühlen kennt die Q nicht. 267,17–18 es ist mein ältrer 〈...〉 Klügere.] Diese Gegengründe sind von Arnim hinzugefügt worden. In der Vorlage liest Ellidorus zwar weiter im Buch, weist aber nicht auf eine Belegstelle für die Herrschaftsansprüche seines Bruders hin. 267,21–22 ob ihr sie nehmet, 〈...〉 überlasset.] Von Arnim hinzugefügt. Die Stelle weist implizit auf den Dramenschluß hin, wenn »Niemand« König wird. 267,24–26 du warst 〈...〉 entschädigt.] Von Arnim hinzugefügt. 267,27–28 gedenk der 〈...〉 gelebt,] Von Arnim hinzugefügt. 267,28–29 Weg des Elends] In der Vorlage sollen dem ehemaligen König andere Wege gezeigt werden (Q, S. 795,34–35). 267,29–33 Jetzt Königin, 〈...〉 daran,] Von Arnim hinzugefügt. In der Q setzen die Grafen Ellidor die Krone auf (vgl. Q, S. 796,1–2). 268,4 Der König hoch!] Von Arnim hinzugefügt. 268,7 ich setze 〈...〉 andere,] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. Anspielung auf die Französische Revolution sowie auf Napoleon. In der Vorlage bekennt sich »Jemand« zu anderen kriminellen Taten wie Mord, Brandstiftung, Vergewaltigung (vgl. Q, S. 796,16–20). 268,10–11 in dem Lermen] Arnim läßt den Diebstahl zur gleichen Zeit wie den Grafenaufstand spielen. In der Q gibt »Jemand« lediglich an, ein groß Diebstück in des Königes Schatzkammer am Abend zuvor begangen zu haben (vgl. Q, S. 796,35–36). 268,11 Scepter] Die Vorlage bleibt in bezug auf das Diebesgut ungenau. Daß es sich dabei nicht um das Szepter handelt, geht aus der nächsten Krönungsszene hervor, wo Ellidorus seinem Bruder Kron vnd Scepter übergibt (vgl. Q, S. 805,21). In Arnims handschriftlichen Prologskizzen (vgl. Erl. im Überblickskommentar, S. 829–830) wird beim Kartenspielen von »Jemand«, »Niemand« und »Garnichts« durch »Jemand« das Herz-As, das mit einem Scepter
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Erläuterungen
gestempelt ist (S. 343,6–7 bzw. S. 345,8), ebenfalls unterschlagen, was anschließend zum Tod aller beteiligten Kartenspieler führt. Auf der übergeordneten, fiktionalen Ebene des Kartenspiels wird also die weitere Handlung im Drama antizipiert, da auch dort das gestohlene Szepter eine tragende Rolle einnimmt (vgl. S. 272,15–24; S. 278,25–281,6 in der vorliegenden Ausgabe). 268,20 da es 〈...〉 sieht.] Von Arnim hinzugefügt, wodurch Ellidors Gerechtigkeitssinn indirekt zum Ausdruck kommt. 268,28–29 Ich will sie 〈...〉 kitzeln] Von Arnim hinzugefügt. Die hier intendierte Verwendung eines Strohhalms erinnert an Christian Reuters Reise-Beschreibung des Schelmuffsky, ein Buch, dessen Inhalt Arnim in großen Teilen auswendig konnte und das er in Briefen an Clemens Brentano häufig zitierte: letztlich nahm ich einen Strohhalm und kützelte sie 〈die Mutter〉 damit in den lincken Nasen-Loche 〈...〉. (Reuter 1750, S. 2; Arnim-Bibl. B 960). 268,31 schlägt ein Schnipchen] Mit dem Finger schnippen (vgl. Adelung 2, S. 1633; DWb 15, Sp. 1333). 269,1 Tellerlecker] Andere Bez. für »Schmarotzer«, »Schmeichler« (Adelung 2, S. 1964; DWb 21, Sp. 241). In der Vorlage wird die Bez. toller Lecker (= Schmeichler, DWb 12, Sp. 482; Q, S. 797,36), an anderer Stelle aber auch Tellerlecker (vgl. Q, S. 798,22), verwendet. 269,1 von den Göttern] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. in Analogie zur Erwähnung der vnsterblichen Götter in der Q (Q, S. 814,31–32; S. 817,7), vgl. dazu auch Erl. zu S. 269,3–4). 269,2–3 Halte dein 〈...〉 bekommst.] Aus der Q übernommen (vgl. Q, S. 797,36–37), als Redensart weder bei Wander noch bei Röhrich zu ermitteln. 269,3–4 O Jupiter 〈...〉 Hände.] Von Arnim hinzugefügt. Andere antike Götter, Diana und Apoll, kommen im folgenden ebenfalls neu hinzu. Dies ist wohl durch die Anrufung der vnsterblichen Götter〈...〉 in der Q angeregt worden (Q, S. 814,31–32; S. 817,7), obwohl die Vorlage auch den christlichen Bereich durch die Erwähnung der Zerstörung einer Kirche mit einbezieht (vgl. Q, S. 811,3–4). Die Situierung der Handlung im unchristlichen Bereich ist bei Arnim offensichtlich bewußt forciert worden, um christliches Heilsgeschehen oder theologisch-teleologische Vorstellungen auszuklammern. 269,9–11 ich bin eine Löwin, 〈...〉 hast.] Von Arnim hinzugefügt, vmtl. angeregt durch die Frage Ellidoris’ an Arcial: bistu ein Löwin (Q, S. 798,15). Die hier verwendete Tiermetapher erinnert an die Redensart »Dem Löwen seine Beute entreißen« mit der Bedeutung: »Einem den Bissen aus dem Munde nehmen, aber nur dann, wenn große Gefahr mit einem solchen Unternehmen verbunden ist« (Wander 3, Sp. 243, Nr. 125). 835
Zu: Jemand und Niemand
269,12–13 da kommt ein Hahn, 〈...〉 wird.] Die Bez. des Schmarotzers als Hahn ist von Arnim hinzugefügt worden und erinnert an das Sprichwort »Der Hahn kräht« in der Bedeutung von »Man verleugnet und verräth« (Wander 2, Sp. 262, Nr. 34). 269,17–18 hier ist 〈...〉 verspeisen.] Von Arnim hinzugefügt. In der Q fallen die Quälereien derber aus (vgl. Q, S. 798,33–35). 269,29–32 sie wird 〈...〉 nach.] Von Arnim hinzugefügt. 269,35–270,1 wir schlagen 〈...〉 herlaufen,] In der Vorlage berichtet »Niemand« davon, daß »Garnichts« sich auf drastischere Art und Weise für ihn schlägt: ja offt ein hundert Mann / macht er gar todt (Q, S. 799,6). 270,2–8 Was er zerbricht, 〈...〉 ehren.] Von Arnim gekürzte und modifizierte Aufzählung der Taten, die »Jemand« verübt hat. In der Vorlage wird auf Kriegsereignisse Bezug genommen, indem »Niemand« davon berichtet, daß »Jemand« allen Tumult 〈macht〉 / in der gantzen Welt (Q, S. 799,8–9). Arnim fokussiert statt dessen den Diebstahl des Szepters, der im folgenden noch eine tragende Rolle spielt, vgl. S. 272,15–24; S. 278,25–281,6 in der vorliegenden Ausgabe. Die Aufzählung der von »Jemand« begangenen Delikte erinnert an die bildnerischen Darstellungen des »Niemand« auf Flugblättern des 15. Jhs., auf denen er für alles zur Verantwortung gezogen wird, vgl. den Überblicks-
Jemand und Niemand, S. 822. 270,9–10 die sind gewiß 〈...〉 hier.] Von Arnim hinzugefügtes Wortspiel. 270,13–17 davon weißt 〈...〉 Wort!] Von Arnim hinzugefügte Wortspiele, die durch die Doppelbedeutung der Begriffe entstehen; »Jemand« und »Niemand« sind zugleich Indefinitpronomen und Namen, die in den neu hinzugekommenen Repliken Bühnenkomik erzeugen. 270,23–25 (vor sich.) 〈...〉 horchen.] Von Arnim hinzugefügt. In der Q höret 〈Niemand〉 mit fleiß zu, kommentiert die Handlung aber erst im Nachhinein (vgl. Q, S. 800,10). 270,26 Gevatter] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage wird der Andere als Nachbar angeredet (Q, S. 800,18). 270,32–33 (vor sich) 〈...〉 nicht.] Von Arnim hinzugefügt. 271,3–6 er wars aber, 〈...〉 Stiefeln.] In der Q berichtet der Nachbar davon, daß ihm seine alten Ledern Hosen vor dem Bette weg gestohlen worden seien (Q, S. 801,19). Eine alte Frau bietet sie ihm später zum Kauf an. Er klagt »Jemand« nicht an, da er sich mit dem Kleidungsstück bereits lächerlich gemacht habe. Den Begriff »Frühlingsstiefel« prägt Arnim vmtl. assoziativ in Analogie zur Vorlage, in der die Lederhose auch als alte Sommerhosen (Q, S. 801,28–29) bezeichnet wird. kommentar zu
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Erläuterungen
271,7–9 Kommt Zeit, kommt 〈...〉 haben.] Von Arnim hinzugefügtes Sprichwort (vgl. Wander 5, Sp. 540, Nr. 374). 271,11–12 was soll 〈...〉 sicher.] Von Arnim hinzugefügt. 271,18–21 (vor sich.) 〈...〉 angeht.] Von Arnim hinzugefügte Belauschungsszene, die das Spiel mit den Indefinitpronomen stärker auslotet. In der Q kommentiert »Niemand« das Gespräch erst nach dem Abgang der Eheleute und betont dabei seine Integrität (vgl. Q, S. 802,32–803,7). 271,26–28 dem du 〈...〉 herunterwirfst,] Von Arnim modifizierte romantisierte Beschreibung des Liebesverhältnisses zwischen der Frau und »Jemand«. 271,29 ausgestäubt] ausstreichen (DWb 1, Sp. 984). In der Vorlage droht der Alte, seine Frau an den Kack (= Pranger, DWb 11, Sp. 14) außstreichen 〈zu〉 lassen (Q, S. 802,26–27). 271,30–32 Ihr thut 〈...〉 bleiben.] Von Arnim hinzugefügt. 272,2–3 wohnt. 〈...〉 Herr,] Arnim kürzt ein weiteres Gespräch zwischen zwei Figuren, die sich darüber unterhalten, wer den Meyerhof des einen angezündet haben könnte. Ähnlich wie in den vorhergehenden Szenen fällt der Verdacht zunächst auf »Niemand«, später auf »Jemand« (vgl. Q, S. 803,14–19). 272,5–7 morgen werde 〈...〉 (ab).] Von Arnim hinzugefügtes Wortspiel. »Garnichts« bleibt in der Vorlage als stumme Figur weiterhin auf der Bühne. 272,15–24 Wenn wir nur 〈...〉 Stunde.] Von Arnim hinzugefügte Wortspiele. 272,23 Zwillingsbruder Keiner] Diese Figur wird in der Q im folgenden nicht mehr erwähnt, erhält jedoch eine weitere Ausführung in Arnims Dramenfragment, incipit Prolog. Keiner als Geist mit einem Regenschirm, vgl. den Überblickskommentar, S. 829–830 sowie den Abdruck der beiden Prologfassungen, S. 342–345. 272,29–33 welch ein nüchternes 〈...〉 Todes.] Die pathetischen Sprachbilder wurden von Arnim hinzugefügt. 273,1 Diana] Göttin der Jagd, vgl. auch Erl. zu S. 269,3–4. 273,3 Doch, warum muß 〈...〉 begegnen,] In der Historia Regum Britanniae begegnen sich die beiden Brüder ebenfalls im Wald, als Eleidir auf der Jagd ist. Arthal hat in der Zwischenzeit (fünf Jahre sind vergangen) vergeblich versucht, Hilfe im Ausland zu erhalten, um wieder auf den Thron zu gelangen. Er ist nicht als Bettler gekleidet, sondern erscheint in Begleitung von zwölf Reitern. Auch im folgenden weicht die Q von der Historia Regum Britanniae ab: Dort nimmt Eleidir seinen Bruder mit sich und versteckt ihn zunächst in einer Kammer. Er gibt vor, schwer erkrankt zu sein, und läßt alle Adligen aus England an seinen Hof kommen. Die Besucher müssen einzeln in sein Zimmer treten und werden von Eleidir mit dem Tod bedroht, wenn sie nicht Arthal erneut die Treue schwören und ihn als König anerkennen. Daraufhin wird Arthal
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Zu: Jemand und Niemand
wieder Herrscher und regiert zehn Jahre lang bis zu seinem Tod als gerechter König. Eleidir wird sein rechtmäßiger Nachfolger (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 296–298). 273,4–5 wird er 〈...〉 Wege] Von Arnim hinzugefügt. Die Bitte des Bettlers ist im Märchen meist ein Prüfstein für den Angesprochenen. In der Bibel wird die Verpflichtung, sich um das Wohl der Bettler zu kümmern, häufig thematisiert, so z. B. 1. Mo 15, 7–8; Mt 25, 31–46; Lk 18, 22. 273,6–9 eine K r o n e 〈...〉 K r o n e n ] Die Ambivalenz der Begriffe und die daraus resultierenden Wortspiele beschränken sich auch in der Vorlage nicht nur auf die Figuren bzw. die Indefinitpronomina »Jemand«, »Niemand« und »Garnichts«, sondern verwenden auch das Wortspiel »(Königs)krone«-»Kronen(münze)« (vgl. Q, S. 805,1–9). Vgl. auch den von Arnim hinzugefügten Zwillingsbruder »Keiner«, Erl. zu S. 272,23 sowie die Einführung der Figur »Auch nicht einer« in den beiden Prologskizzen zum Stück, vgl. S. 345,12 bzw. S. 343,11.
273,12–13 mein Wille 〈...〉 bewegte.] Von Arnim hinzugefügte Akzentuierung des Despotismus Arrials. 273,14–15 Wenige haben so 〈...〉 hast.] Von Arnim hinzugefügt. 273,16 Willst du 〈...〉 kennen?] Zwischen der Entthronung und der erneuten Begegnung der beiden Brüder liegt bei Arnim nur eine Nacht (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 280,14), während in der Q unbestimmte Zeit vergangen ist. 273,16–17 Sind wir 〈... geboren?] Von Arnim hinzugefügt. 273,19–20 in meinen Thränen 〈...〉 Liebe,] Von Arnim hinzugefügte Individualisierung Ellidors. 274,2 euren König, 〈...〉 geschworen.] Von Arnim hinzugefügt. 274,3 euer Leib 〈 ..〉 heilig,] Von Arnim hinzugefügt. 274,5 seinen Schmarotzern 〈...〉 hat.] Von Arnim hinzugefügtes Detail zu Arrials tyrannischer Herrschaft. 274,6 Der Mensch ist kein Gott.] Vgl. Q, S. 806,17–18. 274,13–15 zwischen König 〈...〉 abgewendet.] Von Arnim hinzugefügt. In Jemand und Niemand wird die Vermittlerrolle durch das intrigante Verhalten der Grafen pervertiert. An anderen Stellen seines Werkes thematisiert Arnim wiederholt die Rolle des Vermittlers zwischen Regierung und Volk als wichtigen gesellschaftlichen Aspekt, der positiv bewertet ist. Meist wird die Vermittlerfigur von einer bedeutenden historischen Gestalt übernommen (vgl. Ehrlich 1970, S. 212). Nicht zuletzt versteht Arnim auch die Funktion des Dichters als die eines Vermittlers zwischen Poesie und »Volk«.
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Erläuterungen
274,16 was Jugend versehen,] Die Begründung für den Despotismus Arrials wurde von Arnim hinzugefügt. 274,16–18 die Grafschaften 〈...〉 vergessen.] Die Akzentuierung der Bedürfnisse des Volkes stammt von Arnim. In der Q stellt Arcial den Grafen gleich in Aussicht, die Besitztümer duppelt wieder geben zu wollen (Q, S. 807,16). 274,27 werde milder regieren] Von Arnim hinzugefügt. 274,29 So meinte ich 〈...〉 vorher.] Von Arnim hinzugefügt. 275,2 Irrland] In dieser Schreibung evtl. auch wörtlich zu nehmen als land in dem man herum irrt (DWb 10, Sp. 2172). 275,4–8 wählt die Grafschaften, 〈...〉 bekannt,] Von Arnim hinzugefügt. 275,13–18 Pferd, das 〈...〉 bevorstehen.] Von Arnim gegenüber der Q stark gekürzte Passage. Dort erhält »Niemand« das Pferd von den Bürgern der Stadt zum Geschenk (vgl. Q, S. 810,11). Das Motiv des sprechenden Pferdes, das im folgenden weder in den ECuT I noch bei Arnim eine Relevanz für den Gang der Handlung hat, erinnert zum einen an Pegasus, das z. B. in der Anrede an den Zuhörer in Arnims Novellenband von 1812 zum Ich-Erzähler spricht (vgl. Arnim 1812, S. XIV–XV), zum anderen an das Märchen Die Gänsemagd aus den KHM (KHM 1815, Nr. 3, S. 16–25), in dem das Pferd Falada der zur Gänsemagd abgestuften Königstochter letztlich wieder auf den Thron verhilft. Gustav Frede´n weist in bezug auf die Q auf die gefügelten Pferde hin, auf denen Albertus Magnus, Paracelsus und Faust der Sage nach reiten. Ferner erwähnt er die im Aberglauben wurzelnde Überzeugung, daß Pferde den Tod ihres Herrn voraussehen und weissagen können (vgl. auch HdA 6, Sp. 1619–1621), was in der Q ebenfalls thematisiert wird (vgl. Q, S. 810,16–17; vgl. Frede´n 1939, S. 351–354). Arnim kürzt die Repliken der Vorlage, in denen sich »Garnichts« und »Niemand« gegenseitig berichten, zu welchen Ehren sie in der Stadt gekommen sind. 275,19–22 die Jäger, 〈...〉 zertreten.] Die Anspielung auf den Dreißigjährigen Krieg in der Q, in der der Bauer darüber jammert, daß die Soldaten die Kirche zerstört hätten (vgl. Q, S. 811,3–4), wird von Arnim zu einem säkularen Problem umgestaltet, vgl. Erl. zu S. 269,3–4. 275,24–276,3 seyd ihr 〈...〉 König ist.] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage gibt »Niemand« dem Bauern Geld zum Bau einer neuen Kirche (vgl. Q, S. 811,18–19). Arnim kürzt die sich anschließenden Szenen, die »Niemand« als Wohltäter darstellen (Auslösung einiger Soldaten aus dem Schuldturm durch »Niemand«, Streit zwischen »Jemand« und »Niemand« um Gerechtigkeit, ein uneheliches Kind wird von »Niemand« aufgenommen). 275,34–35 Eulenspiegel, daß 〈...〉 sprecht.] Hier gelangt insofern die traditionelle Situation der »Eulenspiegeleien« zur Darstellung, als der Bauer »Nie-
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Zu: Jemand und Niemand
mand« im tatsächlichen Wortgebrauch als Indefinitpronomen versteht, während die Figur »Niemand« nur die zweifelhafte »Eindeutigkeit« ihres Eigennamens geltend macht und die Äußerungen des Bauern auf sich bezieht. Dadurch führt »Niemand« sein Gegenüber, Repräsentant des Bauernstandes, an der Nase herum – ein Motiv, das in den Historien des Eulenspiegel-Volksbuchs häufig auftaucht (vgl. die Historien 8, 32, 37, 60, 62, 79, 84, in: Eulenspiegel 1794, Arnim-Bibl. B 918). 276,15 tormentirt] gequält. 276,15–16 mit Hunger, 〈...〉 erschöpft ist.] Von Arnim hinzugefügt. 276,17–20 Dafür wird 〈 ..〉 nicht.] Von Arnim hinzugefügt, vgl. Erl. zu S. 269,3–4. 276,26 Träumt ihr, 〈...〉 Graf?] Von Arnim hinzugefügt. 276,30 Ich falle in Ohnmacht.] Von Arnim hinzugefügt. 277,3–10 Schmarotzer, reiß der 〈...〉 Thron.] Von Arnim veränderte Szene, vmtl. aus Rücksicht auf bestehende Theaterkonventionen: In der Q wird Arcial selbst gewalttätig gegenüber ihrer Rivalin (vgl. Q, S. 813,18–19).
277,11–12 (hat einen Fuchsschwanz 〈...〉 ab.)] besonders niedrige schmeichelei, niedrige schönthuerei, heuchlerisch freundliches bezeigen (DWb 4, Sp. 353; vgl. Adelung 2, S. 336), vmtl. angeregt durch die im folgenden verwendete Bez. des Schmarotzers als »Fuchsschwänzer«, vgl. Erl. zu S. 277,15. In der Q benutzt der Schmarotzer eine Kleiderbürste (vgl. Q, S. 813,25).
277,12–14
Wie tritt 〈...〉 Unterdrückung.]
Von Arnim hinzugefügte pathe-
tische Replik im Komplimentierstil.
277,15 Fuchsschwänzer] ein nach gunst strebender schmeichler (DWb 4, Sp. 355). Der Ausdruck wird auch in der Vorlage verwendet (vgl. Q, S. 813,27). 277,17 Molestiren] Belästigen. 277,18–21 aus der Ohnmacht 〈...〉 erwachen.] Von Arnim hinzugefügt. 277,26–27 Dem Bruder 〈...〉 Thron.] In der Q kündigt Arcial an, die Grafensöhne am Hofe erziehen zu lassen. Zudem läßt er einen Landtag ausschreiben, um für Gerechtigkeit im Königreich zu sorgen (vgl. Q, S. 814,11). Im folgenden weicht Arnim immer stärker von der Q ab und kürzt zahlreiche Passagen der Vorlage. 277,34–35 (Sie nimmt 〈...〉 sich.)] Von Arnim hinzugefügt. In der Vorlage wird Ellidoris weiterhin von Arcials und dem Schmarotzer gequält (vgl. Q, S. 813,18–19). Sie zieht den Freitod in Erwägung, entschließt sich jedoch dann, ihrer Rivalin zu Trotz, leben zu wollen (Q, S. 815,29).
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Erläuterungen
278,6–11 Mein lieber 〈...〉 zum Leben.] In der Q wird die Replik von Arcial gesprochen. Dort findet sich ebenfalls der Vorschlag, den Tag mit einem Fest zu beenden (vgl. Q, S. 814,14–15). Arnim fügt die pathetische Reflexion über Bosheit, Tücke und Schein hinzu. Mit der Erwähnung des »Nichts zum Leben« kündigt sich durch das Indefinitpronomen »Nichts« die Zusammenlegung der »Jemand«-und-»Niemand«-Episoden mit der Handlung der Haupt- und Staatsaktion an. 278,15 Trommeten] Veraltet für Trompeten. 278,15–22 mir wird 〈...〉 (stirbt.)] Zum plötzlichen Tod Arrials vgl. Q, S. 815,7–16. Wer der Mörder ist, bleibt auch in der Vorlage ungeklärt. 278,21 grün wirds 〈...〉 Augen,] Sprichwörtliche Redensart, aus der Vorlage übernommen (vgl. Q, S. 815,7; Wander 2, Sp. 155, Nr. 7). 278,25–26 (Peridor und 〈...〉 Scepter.)] Die Dramatisierung des historischen Stoffes unterscheidet sich hier erneut von der Historia Regum Britanniae: Dort gehen die zwei jüngeren Brüder Owain und Predyr gegen Eleidir kriegerisch vor und setzen ihn gefangen. Das Land wird zwischen den beiden aufgeteilt. Nach sieben Jahren stirbt Owain, woraufhin Predyr die Herrschaft über das ganze Königreich bis zu seinem Tod übernimmt. Erst dann wird Eleidir aus seiner Gefangenschaft befreit und zum dritten Mal zum König gekrönt (vgl. Historia Regum Britanniae, S. 298–299). 278,30–33 Ich hab den Scepter 〈...〉 ein,] Die Passage erinnert an Gotthold Ephraim Lessings Ring-Parabel (vgl. Moering 1979, S. 258) bzw. an Boccaccios Dekameron–Erzählung (Boccaccio 1519, Sp. 〈XII〉v–XIIIr: Wie ein jud genant
Melchisedech mit einer natürlichen histori vnd nüwen fabel grosser sorg vnd angst entgieng die ym von dem künig Soldan bereit was). Arnim kehrt das Motiv jedoch um. Aus dem religiösen Symbol bei Boccaccio/ Lessing wird ein säkularer, auf weltliche Macht ausgerichteter Magnet. Während bei Boccaccio/Lessing jeder Ring eine Daseinsberechtigung hat, bleibt bei Arnim nur das »echte« Szepter übrig.
278,33–34 daß nicht 〈...〉 verwüste.] Vgl. Q, S. 816,6–8. 279,2 Lust der Krone] Obwohl in den SW »Lust« zu »Last« geändert wurde, ist der im Erstdruck verwendete Begriff »Lust« beibehalten worden, da auch dieses Nomen im Kontext sinnvoll ist. In der Q ist ebenfalls von der Lust, die Krone zu tragen, die Rede (vgl. Q, S. 818,17). 279,15 er setzt 〈...〉 Todten.] Vgl. Q, S. 817,22. 279,17–21 Verzagter, schon 〈...〉 fallen.)] Vgl. Q, S. 817,29, wo die Anrede deutlich derber ausfällt. Die Betonung der Furchtsamkeit Peridors stammt von Arnim.
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Zu: Jemand und Niemand
279,23 Herrsucht] Der Begriff »Herrsucht« läßt sich weder im DWb noch bei Adelung ermitteln und wurde in den SW zu »Herrschsucht« verbessert. Da das aus »Herr« und »Sucht« gebildete Kompositum aber ebenso semantisch erschließbar ist wie das geläufigere »Herrschsucht« und das Wort in einem Drama aus dem 18. Jh. ebenfalls verwendet wird (vgl. Schlicht 1782, S. 56) wurde der von Arnim gewählte Begriff beibehalten. 279,27–34 Ihr Grafen, nein 〈...〉 folgt.)] In der Q wird Ellidorus wieder König (vgl. Q, S. 818,17–20). 280,9 ich nehme 〈...〉 an.] Die Krönung »Niemands« zum König erinnert an das Schicksal der Titelhelden von Arnims Novellen Owen Tudor und Hug Schapler, die – wie »Niemand« – nicht als Herrscher geboren sind und sich ihre Macht erkämpfen (vgl. Moering 1979, S. 258). Hier spiegelt sich Arnims Idee zu einer Neukonzeption der Gesellschaftsordnung wider, die er ca. 1806 entwickelte. Ziel seiner gesellschaftspolitischen Ideen in dieser Zeit war es, den Erbadel abzuschaffen und den Verdienstadel einzuführen, um die höchsten Ämter mit fähigen Bürgern zu besetzen. Dem Absolutismus gegenüber bezog er kritische Position (vgl. Knaack 1976, S. 13; 83; Moering 1979, S. 258). »Er sah aber immer auch die Vorteile des monarchisch-ständischen Systems und die Gefahren einer plötzlichen Auflösung dieser Ordnung« (Portmann-Tinguely 1989, S. 212). In seinem Trauerspiel spielt Arnim die Idee aus, wie es wäre, wenn »Niemand« König ist. »Niemand« entpuppt sich jedoch in seiner Regierung als ebenso ambivalent wie sein Name. Seine ersten Amtshandlungen weisen auf die Manipulation durch die Sprache hin, mit der »Niemand« als Herrscher seine Untertanen für sich gewinnt. Durch seinen Namen kann er in logischer Konsequenz für nichts zur Rechenschaft gezogen werden, da er zugleich die Personifizierung der Nicht-Existenz ist. 280,21 Landläufer] Landstreicher (vgl. Adelung 2, S. 1889; DWb 12, Sp. 122).
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Zu: Die Appelmänner. Ein Puppenspiel Quellen 1.1–1.2 Q 1.1: Paul Friedeborn, Bürgermeister Jochim Appelman zu Stargard / lest seinen vngehorsamen Sohn köpffen, in: StChr II, S. 113–115.
Bürgermeister Jochim Appelman zu Stargard / lest seinen vngehorsamen Sohn köpffen.
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Es hatte Bürgemeister Appelman einen Sohn Jochim genandt. Welcher in seiner Jugendt ein Freches vnd Wildes Leben geführet / vnd den Eltern / von denen er vnterschiedliche mahl außstaffiret vnd in Krieg geschicket worden / in vielen wegen Vngesorsamb gewesen. Deßwegen ihn auch der Vater etliche Wochen in Custodia zu halten genötigt worden. Dieser / wie er etwan von frembden örthern wieder angelanget / vnd von seinem Vater Geld begehret; Aber nach seinem Willen nicht erlangen können / Hat ihme einen Absage Brieff zu geschrieben / des Inhalts: Er solte ihme hundert Thaler schicken / oder er wolte ihme einen Rothen Hahn auff seine Schefferey oder Scheune setzen / vnd solte für ihme nicht sicher seyn. Als nun solche gefehrliche Diffidation in der Stadt Stargard lautbahr worden / haben die Bürger vnd zumahl die jenigen so nechst an dem Orht ihre Höffe vnd Scheunen liegende gehabt / diese besorgliche Gefahr einem Erbarn Rathe doselbst geklaget / justitiam requiriret, auch cautionem indemnitatis gefodert. Worauff ein Erbar Raht besagten Bürgemeister Appelman so damaln in Senatu zu gegen gewesen / mit Höchstem Fleiß / vnd Ernste ermahnet / dahin zudencken / das sein Vngeratener Feindseliger Sohn Angesichts abgeschaffet / die Stadt vnd Bürgerschafft aus der Gefahr gesetzet / vnd durch genugsame Caution dißfalß versichert werden möchte: Auff den Wiedrigen Fall musten sie ihres Ampts gebrauchen / vnd wieder seinen Sohn vermüge Rechtens verfahren. Er wolte 843
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Zu: Die Appelmänner
es aber dahin nicht gereichen lassen / sondern solchem Vbel bey zeiten vorkommen / vnd seiner Vhralten Löblichen Famili kein Makkel / oder Schandflecken dahero zuwachsen lassen. Ob nun wol diese scharffe vnd gleichwol nötige Erinnerung auch eventual commination dem Vater sehr durchs Hertze gangen / so hat er doch bey sich erwogen / das ihme als einem Bürgemeister gemeiner Stadt bestes zu wissen obliegen wolte: Das er auch die gefoderte Caution nicht wol leisten könte / vnd dahero allerhand zudringliche Gefahr von der Bürgerschafft zugewarten haben muste. Vnd weil periculum in moraˆ, auch nach geschehener That nicht wol Raht zuschaffen / als hat er geschlossen vnter zween bösen das geringste zuerwehlen / vnd mit schleuniger Execution allem Vnheil vorzukommen / als den kläglichen Fall zuerwarten / vnd anzusehen / das sein Sohn öffentlich zur Straff gezogen / vnd jederman zum schmähligen Spectacul dargestellet werden solte. Hat sich darauff mit kurtzen Worten erkleret: Sie solten nur ein wenig Gedult haben / er wolte die Sachen also richten / das sein Sohn keinen Schaden thun solte. Ist demnach alsforth mit einem Prediger ins Dorff Brockhusen gefahren. Die Diener aber / vnd Scharffrichter vorhin geschicket / vnd daselbsten seinen Sohn vnuermuthlich vberfallen / fangen / vnd folgendes mit Gott berichten lassen: Ihn aber selbst mit Hertzhafftigem Gemüht angeredet / zum sterben ermahnet / gesegnet vnd getröstet. Ob nun wol der Sohn ihn gantz flehenlich gebeten / ihme das Leben zuschencken / mit hochbetheurlicher Verpflichtung / das er sich bessern / vnd in frembde Lande ziehen / vnd nümmermehr wiederkommen wolte / so hat er doch solches auß Vrsachen / dz er dasselbe zuuor offt angelobet / vnd nie nicht gehalten / nicht erbitten können / Sondern es hat der Vater endlich dem Scharffrichter die Execution anbefohlen. 115 Welcher auch nach des Bürgemeisters Abzuge sein Ampt verrichtet / vnd ihme bey dem Kirchhoffe daselbst das Häupt abgeschlagen / da er dann alsforth auch im Kirchthurn begraben worden. 114
Q 1.2: Rede vor der deutschen Tischgesellschaft (BJ 36).
I. Ernst. Bürgermeister Jochim Appelmann zu Stargard läßt seinen ungehorsamen Sohn köpfen im Jahr 1576. 844
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Quellentexte Q 1.1–Q 1.2
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Es hatte Bürgermeister Appelmann einen Sohn Jochim genannt, welcher in seiner Jugend ein freches und wildes Leben geführt und den Eltern, von denen er unterschiedliche mahl ausstaffieret und in den Krieg geschickt worden, in vielen Wegen ungehorsam gewesen, weswegen ihn auch der Vater etliche Wochen in Custodia zu halten genöthigt worden. Dieser, wie er etwa von fremden Oertern wieder angelangt und von seinem Vater Geld begehret, aber nach seinem Willen nicht erlangen können, hat demselben einen Absage Brief zugeschrieben, des Inhalts: er solle ihm hundert Thaler schicken, oder er wollte ihm einen rothen Hahn auf seine Schäferey oder Scheune setzen, und solle er vor ihm nicht sicher seyn. Als nun solche gefährliche Diffidation in der Stadt Stargard lautbahr worden, haben die Bürger und zumahl diejenigen, so nächst an dem Ort ihre Höfe und Scheunen liegend hatten, diese besorgliche Gefahr einem ehrbaren Rathe daselbst geklagt, justitiam requirit und cautionem indemnitatis gefordert. Woraus ein ehrbarer Rath besagten Bürgermeister Appelmann, so damahlen in Senatu zugegen gewesen, mit höchstem Fleiße und Ernste ermahnet, dahin zu dencken, daß sein ungerathener feindseliger Sohn Angesichts abgeschafft, die Stadt und Bürgerschaft aus der Gefahr gesetzet, und durch genugsame Caution desfalls versichert werden möchte; auf den widrigen Fall müßten sie ihres Amts gebrauchen und wider seinen Sohn vermöge Rechtens verfahren. Er wollte es aber dahin nicht gereichen laßen, sondern solchem Uebel bei Zeiten zuvorkommen und seiner uralten löblichen Familie kein Mackel oder Schandflecken dahero zuwachsen laßen. Ob nun wohl diese scharfe und nöthige Erinnerung, auch eventual commination, dem Vater gleichwohl sehr durchs Herz gegangen, so hat er doch bei sich erwogen, daß ihm als einem Bürgermeister gemeiner Stadt Bestes zu wißen obliegen müße; daß er auch die geforderte Caution nicht wohl leisten könne, und dahero allerhand zudringliche Gefahr von der Bürgerschaft zu gewarten haben müße; und weil periculum in mora, auch nach geschehener That nicht wohl Rath zu schaffen so hat er beschloßen, unter zween Bösen das geringste zu erwehlen und mit schleuniger Execution allem Unheil vorzukommen, als den kläglichen Fall zu erwarten, und anzusehen, daß sein Sohn offentlich zur Straf gezogen und jederman zum schmählichen Exempel und Spektakel dargestellt werden sollte. Hat sich darauf mit kurzen Worten erkläret: Sie sollten nur ein wenig Gedult haben, er wolle die Sachen also richten, daß sein Sohn keinen Schaden thun sollte. Ist demnach sofort mit einem Pre845
Zu: Die Appelmänner
diger ins Dorf Brockhusen gefahren, die Diener aber und Scharfrichter vorausgeschickt, und seinen Sohn daselbst unvermuthlich überfallen, fangen und folgendes mit Gott berichten laßen, ihn aber selbst mit Hertzhaftigem Gemüth angeredet, zum Sterben ermahnet, gesegnet und getröstet. Ob nun wohl der Sohn ihn ganz flehentlich gebeten, ihm das Leben zu schencken, mit hochbetheuerlicher Verpflichtung, daß er sich bessern, und in fremde Lande ziehn und nimmermehr wiederkommen wolle, so hat er doch solches, weil er daselbige schon oft angelobet und nie gehalten, nicht erbitten können, sondern es hat der Vater endlich dem Scharfrichter die Execution anbefohlen, welcher auch nach des Bürgermeister Abzug sein Amt verrichtet, und ihm bei dem Kirchhof daselbst das Haupt abgeschlagen, da er dann sofort auch im Kirchthurm begraben worden. Als die vorhergehende rührende vaterländische Begebenheit auf Antrag Herrn L.A. von Arnim’s des Stifters von Herrn Hofrath Beckedorff, dem Sprecher, aus Paul Friedeborn’s Stettinischen Geschichten anderm Buch pag 113 Stettin 1613. 4°. vorgelesen worden, fiel dem Schreiber ein ähnliches Verhältnis zwischen Vater und Sohn aus neuerer Zeit ein, welches sich zu obigem ganz parodirend anschließt, und würde Bürgemeister Appelmann, dieser herrliche vaterländische Gegenstand jemahls für die Bühne bearbeitet, so könnte folgender etwas freche Scherz etwa einer lustigen Person aus des Sohnes Gesellen zugelegt werden. Scherz. Der Professor N.N. in Gießen läßt seinen ungehorsamen Sohn nicht köpfen. Es hatte Professor N.N. in Gießen einen Sohn N.N. genannt, der in seiner Jugend in akademischem Muthwill und einiger Lüderlichkeit zu viel gethan, sein Vater hatte ihn oft ausstafiert, und in die Fremde geschickt, er ist aber immer wieder in die Gegend zurückgekehrt, wenn er den Grund seines Seckels gesehen, und hat den Vater ersuchet, und genöthiget, ihm diesen verhaßten Anblick des Seckel Grundes zu entnehmen, um sich selbst des verhaßten Anblicks seines f i d e l e n Sohnes zu entledigen. Als aber der Sohn gar nicht ausbleiben wollte, und in kurzer Frist immer wieder von neuem des Vaters Aerger und Galle nicht sowohl aus dem Magen desselben als sein Geld und dessen Geldsack mit dem Brechweinstein seiner Erscheinung ausleerte, ließ der Vater ihm auf das Dorf hinaus, wo er sich in einer Kneipe nieder846
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Quellentext Q 1.2/Zu Arnims Quelle
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gelaßen, durch seinen Boten zurücksagen, er sey entschloßen, ihm nichts mehr zu geben, worauf der Sohn ihm zurückschrieb: er möge ihm nur diesmahl noch 100 Thaler senden, so wolle er ihm schriftlich auf alle Erbschaft resigniren. Als ihm der Vater hierauf durch den Pedell insinuiren ließ, daß Alles umsonst sey, daß er nichts mehr von ihm wißen wolle, und daß er sich als ein relegatus aus dem Bann der Universität begeben solle; ward der Sohn betrübt, und jugendlich unwillig, besonders da er wohl wußte, er sey nicht ganz eigentlich ein Herumstreicher und Vagant von seinem Vater zu nennen, da er als Apfel nicht weit vom Stamme gefallen; er verkaufte darum seine silberbeschlagene Tabakspfeife, die er noch von seinem Vater selbst hatte, an den Pedell um einen französischen Thaler, und schrieb seinem Vater folgenden Brief zurück, in welchem er den Laubthaler einsiegelte: Herr Professor, da Sie sich durch den Pedel N.N. gänzlich von mir als Ihrem Sohne lossagen laßen, will ich auch von meiner Seite nicht länger in Ihrer Schuld bleiben, und übersende ihn daher hiebei einen Laubthaler oder 2 Gulden 45 Kreuzer Macherlohn für meine Person, ich bitte Sie die Quittung meiner Mutter zuzustellen, ich habe von Ihnen selbst vernommen, daß diese Summe der Courante Preiß gewesen, als sie noch ihre Köchin war. Der Professor laß diesen Brief den andern Tag selbst seinen Zuhörern im Collegium vor. Uebrigens lebt der Sohn noch, und ist ein tüchtiger und rechtschaffener Beamter geworden. Hierher gehört auch jener Sohn, dem die Mutter immer vorwarf, sie habe ihn neun Monate unter ihrem Herzen getragen, und der ihr endlich unwillig antwortete: Wenn ich gleich glaube, daß ihr mich keine 4 Wochen länger getragen hättet, wäre es gleich in eurem Willen gestanden, so will ich euch doch einen Esel miethen, der euch ein Ganzes Jahr trägt, um eurer Vorwürfe los zu sein. Zu Arnims Quelle und der Rede vor der deutschen Tischgesellschaft Arnim nennt als Bezugswerk Paul Friedeborn’s Stettinische〈...〉 Geschichten, II. B., S. 113., Stettin 1613 (in der vorliegenden Ausgabe S. 335,13). Friedeborn stammte aus einer Stettiner Kaufmannsfamilie und arbeitete zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Stettinischen Geschichten als Stadtschreiber, später als Ratsherr, Bürgermeister und Landrat in Stettin. Durch seine Tätigkeit als Schreiber hatte er Zugang zu den geschichtlichen Quellen der Stadt und ihrer Umgebung (vgl. Vanselow 1728, S. 35). Die 1613 erschienene Chronik
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Zu: Die Appelmänner
enthält kompilierte Nachrichten, die Friedeborn aus Urkunden, gerichtlichen Beschlüssen und Berichten über so divergente Ereignisse wie Stadtadministration, Hansetage, Naturkatastrophen sowie über wunderliche Geschehnisse zusammentrug. Die Anordnung der dargestellten Ereignisse erfolgte rein chronologisch und bildet ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Berichte. Daß es sich um eine wahre Geschichte handelt, die er als Vorlage verwendet, betont Arnim in den Anmerkungen zu diesem Stück, bemerkt aber zugleich einschränkend, daß er einige Änderungen vorgenommen habe (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 335,13–15). Freilich wird dies dem Leser des Dramas schon allein durch die Szene deutlich, in der der hingerichtete Bürgermeistersohn wieder zum Leben erweckt wird. Die Geschichte über den Bürgermeister Appelmann, der seinen Sohn köpfen läßt, wurde erneut in Johann Jacob Schudts Jüdischen Merkwürdigkeiten abgedruckt. In Arnims Bibliothek ist ein Exemplar nachweisbar (vgl. Arnim-Bibl. B 2343). Schudt bezieht sich ausdrücklich auf den Vorgängertext, Paul Friedeborns Stettinische Geschichten (Q 1.1) und verwendet die Erzählung als Beispiel, um darzustellen, in welcher Form christliche Eltern ihre Kinder zu züchtigen gezwungen sein können.1 Arnim integriert die Appelmann-Geschichte auch in eine Rede, die auf Antrag Arnims Hofrat Georg Philipp Ludolf von Beckedorff2 1811 der deutschen Tischgesellschaft vorträgt (Q 1.2). Das dazugehörige Protokoll faßt kurz zusammen, welche neuen Bestimmungen während dieses Treffens eingeführt wurden:
In der zweiten Versammlung unsrer Gesellschaft ist der Vorschlag einstimmig angenommen worden, daß jeder der einen unbekannteren Zug vaterländischer Treue und Tapferkeit oder überhaubt tüchtiger Gesinnung, oder einen guten ehrbaren Schwank wisse, solchen der Gesellschaft zu allgemeiner Ergötzung kürzlich mittheile, und es dem Herrn Sprecher anzeige, welcher, ist es ein Ernstes mit der Messerklinge an das Glaß schlagend, ist ein Scherzhaftes mit dem Messerstiele auf den Tisch schlagend die gehörige Aufmerksamkeit erbitte – Sollten aber sechs Tischgenossen die Geschichte bereits kennen, so melden sie 1 Schudt beginnt den Bericht wie folgt: 〈...〉 wir wollen von Heyden nicht sagen / von denen Valerius Max. Lib.5. Cap.8. Beyspiele hat / sondern die fast Manlianam Severitatem eines Christl. Vatters dem Leser vor Augen legen / wie sie Friedeborn in der Histor. Beschreibung der Stadt Stettin in Pommern L. 2. p. 111. seq. Beschreibt 〈...〉 (Schudt 1714, S. 175). 2
Beckedorff übernimmt bis 18. Juni 1811 die Funktion des Sprechers der Tischgesell-
schaft. Noch im Sommer desselben Jahres verläßt er Berlin und wird Erzieher des Erbprinzen Alexander Carl von Anhalt-Bernburg (vgl. dazu auch WA 11, S. 460–461).
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Zu Arnims Quelle
es nach ihrer Erzählung dem Herrn Sprecher und der Erzähler erlegt die Strafe von 〈im Text freigelassen〉 in die Kaße (BJ 36). Die dadurch gesammelten Geschichten sollen in einem Buch für die Nachwelt zusammengetragen werden, das eigens dafür angeschafft wurde. Die Rede wurde im Februar oder Anfang März 1811 gehalten, da es sich dem Protokoll nach um eine Versammlung nach oder bei dem zweiten Treffen der Gesellschaft handelt.3 Die Mitglieder werden im folgenden dazu aufgefordert,
waß ihnen an guten Geschichten, oder Schwänken bekannt geworden, dem allgemeinen Vergnügen, nicht vorzuenthalten, es sei die Geschichte aus eigner Erfahrung, oder Mittheilung der reichen Zeit ihm zugekommen, es sei die Erinnerung an dießelbe durch den Augenblick in dem Erzähler angeregt, oder sie sey ihm zu Hauße schon eingefallen und er habe seinen guten Willen, die Gesellschaft durch ihre Erzählung zu erfreuen sich durch einen Knoten in das Taschentuch, oder durch ein Papierchen in der Schnupftabakdose sich angemerket (BJ 36). Es handelt sich hier um ein größer angelegtes Projekt der Tischgesellschaft, das indiziert, in seiner Bedeutsamkeit Luthers Tischreden nahestehen zu wollen (vgl. BJ 36).4 Diese einleitenden Worte sind von Clemens Brentano verfaßt und unterzeichnet worden. Darauf folgt, wiederum in der Handschrift Brentanos, die Erzählung über Vater und Sohn Appelmann. Der vorgetragene Text basiert eindeutig auf Friedeborns Stettinischen Geschichten. Da Q 1.1 weder in Arnims, Brentanos noch der Grimmschen Bibliothek nachweisbar ist und nicht ermittelt werden konnte, bei wem Arnim Einsicht in den Vorlagentext nehmen konnte,5 wird vermutet, daß er auf Friedeborns Chronik durch Schudts Jüdi3
Die Tischgesellschaft wurde im Januar 1811 gegründet und traf sich vierzehntägig (vgl.
WAA 11, S. 246–259). 4
Die Tischrede besteht aus sieben beschriebenen Seiten, die aus einem Buch mit grünem
Schnitt herausgerissen wurden (vgl. WAA 11, S. 321). Das Projekt wurde nicht weitergeführt. Reinhold Steigs Vermutung, »der Sommer und die Abwesenheit vieler Mitglieder« seien die Gründe für den Abbruch gewesen (Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe. Berlin, Stuttgart 1901, S. 36), kann nicht richtig sein, da die Erzählungen lange vor dem Sommer, wohl im Februar/März, vorgelesen und in das Buch eingetragen wurden. 5
Der im Quellenteil abgedruckte Text Q 1.1 folgt dem Druck des Exemplars in der HAAB
Weimar, Sign.: 4, XXV, 115. Es ist nicht bekannt, ob sich Arnim das Buch aus der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin entlieh. In den Katalogen zu deren Bestand konnten zwei Exemplare von Friedeborns Chronik ermittelt werden (Sign.: T 5840; T 5840〈a〉), die jedoch heute als Kriegsverluste verzeichnet sind. Da die Erfassung der Neuerwerbungen nach dem Erwerbungsjahr in Akzessionsjournalen überhaupt erst 1811 sporadisch begonnen wurde,
849
Zu: Die Appelmänner
sche Merkwürdigkeiten
aufmerksam gemacht wird und sich das Buch von Unbekannt entleiht. Q 1.1 liegt Arnim für die Tischrede vor, da die dort vorgetragene Geschichte in deutlicher Anlehnung an Q 1.1 unter Verwendung lateinischer Fremdwörter, die bei Schudt eingedeutscht wurden, konzipiert wurde.6 Neben der Appelmann-Geschichte findet sich in der Rede vor der deutschen Tischgesellschaft noch eine weitere Erzählung mit der Überschrift Scherz. Der
Professor N. N. in Gießen läßt seinen ungehorsamen Sohn nicht köpfen (vgl. Q 1.2, S. 846,66–847,109). In den einleitenden Worten zu dieser Geschichte wird darauf hingewiesen, daß sich nicht nur der Appelmann-Stoff, für eine Dramatisierung eignen würde. Die Anekdote über den Professor N.N. könne dabei ebenfalls verwendet werden, indem sie einer lustigen Person aus des Sohnes Gesellen zugelegt werden könne (vgl. ebd., S. 846,64–65). Schon allein durch den der Anekdote vorangestellten Titel wird deutlich, daß hier ein Kontrast zur vorangegangenen Geschichte erzielt werden soll (Ernst-Scherz). Die Anekdote hat jedoch nur partiell, mitunter bedingt durch Übereinstimmung mit Q 1.1, Eingang in das tatsächlich von Arnim realisierte Drama Die Appelmänner gefunden (vgl. Erl. zu S. 286,20–22, S. 289,12 und S. 290,29). Bei der Konzeption der lustigen Figuren, dem Wachtmeister Hans und dem Wirt, der seine Frau verlässt, lassen sich indes keine Übereinstimmungen mit der als Scherz bezeichneten Anekdote feststellen. Dennoch spielt die Mischung von tragischen und komischen Elementen in Arnims Stück eine entscheidende Rolle. Neben dem Appelmann-Stoff arbeitet Arnim eine Vielzahl unterschiedlichster Themenbereiche in das Stück ein, die in ihrer Pluralität zur Komplexität des Puppenspiels beitragen. Im Einzelstellenkommentar wird darauf detailliert eingegangen.
dieser herrliche vaterländische Gegenstand,
bleibt es offen, ob sich die Exemplare bereits zum Zeitpunkt von Arnims Beschäftigung mit dem Stoff im Bestand der Preußischen Staatsbibliothek befanden. Für diesen Hinweis danke ich Eva Rothkirch, Abteilung Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin. 6
Während Schudt maßgeblich in den Text eingreift, Satzumstellungen sowie Kürzungen
und sprachliche Modifizierungen vornimmt, bleibt die Tischrede inhaltlich sehr nahe an Q 1.1. Schudt deutscht z. B. den juristischen Begriff S. 843,18) ein und verwendet statt dessen
cautionem indemnitatis (Q 1.1, Caution wegen Schadloshaltung (Schudt
1714, S. 176). Der Text der Tischrede behält dagegen den lateinischen Begriff bei (vgl. Q 1.2, S. 845,18). Einige veraltete Ausdrücke werden 1811 jedoch modernisiert, so etwa »alsforth« »sofort«, »für« »vor«, »geschlossen« »beschlossen«. Ferner werden Partizipialkonstruktionen zu Konjunktiven umgewandelt, so daß der Text sprachlich gefälliger wird.
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Zu Arnims Quelle/Der historische Kontext des Stücks
Der historische Kontext des Stücks Ein kurzer geschichtlicher Überblick über den historischen Graf Brederode, der im Stück als Graf Bretterod auftritt, und dessen Rolle im niederländisch-spanischen Krieg sollen nicht zu einer reduktiven Deutung des Dramas als bloß historischem Stück führen, zumal anhand eines Vergleichs der geschichtlichen Ereignisse mit dem Schaubühnen–Stück deutlich wird, daß Arnim die historischen Begebenheiten für seine Zwecke stark verändert. Das Puppenspiel ist v. a. wegen des starken Spannungsverhältnisses zwischen geschichtlich fundiertem und phantastischem Geschehen, tragischen und komischen Passagen, Spiel und relativierendem Gegenspiel interessant. Arnim bewirkt durch die Situierung der Handlung im spanisch-niederländischen Krieg eine Parallelisierung der dargestellten historischen Ereignisse mit der Situation Preußens um 1813. Dazu liefern die Anmerkungen im Anhang der Schaubühne einen Hinweis, auch wenn dieser, wie die Rezeptionsgeschichte deutlich macht, nicht immer von den Zeitgenossen verstanden wurde. In seinen Anmerkungen schreibt Arnim, daß er durch das Stück wünschte manchen
scheinbaren Widerspruch in dem Gemüthe der Menschen zu einer wohlthuenden befriedigenden Einheit zu bringen (in der vorliegenden Ausgabe S. 335,17–18). Gemeinsam ist Arnims Gegenwart und der im Drama dargestellten Zeit um 1576, daß es sich in beiden Fällen um Umbruchzeiten handelt und die geschichtliche Lage von den jeweiligen Zeitgenossen als dissoziiert und verwirrend erlebt wird.7 Es ergibt sich die Opposition zwischen Altem (Appelmann, Remel) und Neuem (Vivigenius) sowie das zeitkritische Bild einer orientierungslos gewordenen Welt (Theobald), wobei am Ende des Stückes die Versöhnung zwischen Vater und Sohn steht und sich der Blick auf eine hoffnungsvolle Friedenszeit richtet, wodurch alle handelnden Figuren von ihrem Dilemma befreit werden. Dieser optimistische, harmonische Schluß weicht von den historischen Bedingtheiten von 1576 deutlich ab.
7
In Theobalds Konflikt, sich für oder gegen eine Beteiligung am Krieg zu entscheiden,
spiegelt sich z. B. auch Arnims persönlicher Konflikt ab 1806 (vgl. Erl. zu S. 323,1–2 und S. 323,8–14). Ehrlich bemerkt ferner, daß auch Vivigenius’ »patriotisch-nationale Haltung 〈...〉
dem militanten Verhalten Arnims vor und während der Kämpfe gegen den französi-
schen Imperator« entspreche (Ehrlich 1970, S. 158). Die so unterschiedlich sich präsentierenden Einstellungen zum Krieg, Theobalds zögerliches Handeln, Vivigenius’ begeistertes Auftreten, spiegeln demnach die Weiterentwicklung Arnims während der Zeit der Besatzung und der Vorbereitungen zu den »Befreiungskriegen«.
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Zu: Die Appelmänner
Über Henrik van Brederodes und Wilhelm von Oraniens Aufbegehren gegen die spanische Herrschaft in den Niederlanden hat sich Arnim ein breites Wissen verschafft. Das bezeugen die geschichtlichen Details, die sich in einigen Repliken des Stückes finden (vgl. u. a. Erl. zu S. 299,1–4, S. 329,5–6, S. 329,15) sowie Arnims souveräne Umgestaltung der historischen Fakten. Es konnte jedoch nicht eindeutig ermittelt werden, welche geschichtliche Quelle Arnim als Grundlage für die Konzeption der Figur Graf Bretterod verwendet. Der historische Brederode trat in den Niederlanden als Führer der verbündeten niederländischen Adligen, des sogenannten »Compromis des Nobles«, von 1566 und als Haupt der »Geusen« auf, wie sich die gegen das spanische Regime gewendeten Verschwörer auch selbst nannten. Über die Ereignisse des niederländisch-spanischen Krieges berichtet ausführlich Johann Ludwig Gottfrids Historische Chronica (Arnim-Bibl. B 25), Brederode wird dort jedoch nicht erwähnt. In der ebenfalls bei Matthäus Merian d. Ä. verlegten Topographia Circuli Burgundici (1654; Arnim-Bibl. B 753) findet sich dagegen ein kurzer Hinweis auf Heinrich Brederode (vgl. Merian 1654, S. VI).8 Arnim ändert insofern die geschichtlichen Begebenheiten ab, als der historische Brederode bereits im Jahr 1568 verstarb, das Stück dagegen im Jahr 1576 spielt. Zudem gelangen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Niederländern und Spaniern 1576 nicht an ihr Ende, während in den Appelmännern der Frieden ausgerufen wird (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 329,6). Wilhelm von Oraniens kriegerische Erfolge über Herzog von Alba in den Jahren 1572 und 1574 können allenfalls als Etappensiege bezeichnet werden. Die erfolgreiche Einnahme der von den Spaniern belagerten Stadt Leiden 1574 durch Überschwemmung des Umlandes (vgl. Erl. zu S. 299,1–4) sowie die schlechte finanzielle Situation der spanischen Regierung in den Niederlanden führten zu einer Eskalation des Konflikts. 1574–1576 begannen die Soldaten der spanischen Seite – Deutsche, Wallonen, Spanier und Italiener – zu meutern, da ihr Sold nicht ausbezahlt worden war. Bald konnte nicht mehr von einem stehen8
Im Vorwort der Topographia ist über Brederode folgendes zu lesen: Es haben aber erstliche auff die vierhundert vom Adel sich zusammen gethan; deren Vorgänger waren / Heinrich von Brederode / auß den alten Holländischen Grafen entsprossen; Ludwig Graff von Nassau / Fürst Wilhelms von Oranien Bruder; Florentius Pallantius, Graff von Culemburg / vnd Wilhelm Graff von Berg in Geldern. Die Bundtliche Verschreibung ist vom Philippo Marnixio, Herrn zu S. Aldegunde / (der in seiner Jugend den Ioan. Calvinum gehört / vnd hernach im Alter / auch andere in selbiger Lehr vnterwiesen hat /) angegeben worden (Merian 1654, S. VI). Eine andere Quelle ist in Arnims Bibliothek nicht zu ermitteln. Vmtl. hat sich Arnim ein entsprechendes Geschichtswerk von Freunden geliehen.
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Der historische Kontext des Stücks
den spanischen Heer gesprochen werden. Antwerpen fiel 1576 den rebellierenden Soldaten zum Opfer. Um weiteren Plünderungen, Metzeleien und Zerstörungen zu entgehen, einigten sich Adel und Stadtregierungen der meisten niederländischen Provinzen in der sogenannten »Genter Pazifikation« vom November 1576 – dies ist der Zeitpunkt, den Arnim für sein Puppenspiel festsetzt (11. November, Martinstag, vgl. Erl. zu S. 282,27) – politisch und militärisch mit Holland und Seeland, die seit 1572 gegen Philipp II. kämpften, gegen die Spanier vorzugehen und den Krieg damit zu beenden. Eindeutige politische Zielsetzungen sowie Lösungsvorschläge für den Religionskonflikt wurden indes nicht formuliert. Die Union zerfiel in den folgenden Jahren aufgrund der unterschiedlichen politischen bzw. religiösen Gesinnungen der einzelnen Provinzen (vgl. Israel 1998, S. 114). Der niederländisch-spanische Krieg dauerte bekanntlich bis 1648 an. Durch diesen Vergleich zwischen den geschichtlichen Ereignissen und Arnims Handlung wird deutlich, daß es Arnim weniger auf die historischen Fakten ankommt, sondern v. a. auf die Darstellung einer Grundstimmung. Die »operative Setzung historischer Vergangenheit als stimulierendes Exemplum, als aktiver Eingriff in die Gegenwart« (Krogoll 1982, S. 319) begegnet in der Schaubühne in ähnlicher Form in dem »Agitationsstück« (Krogoll 1979, S. 85) Die Vertreibung der Spanier aus Wesel.9 Auch der historische Bericht Friedeborns erfährt bei Arnim eine starke Veränderung. Während in Q 1.1 der Sohn schuldig wird, indem er dem Vater mit Brandstiftung droht, wird Vivigenius bei Arnim lediglich durch die Vision Remels zum Mordbrenner gemacht. Die Prophezeiungen des Pfarrers bewahrheiten sich nur insofern, als sein eigenes Haus in Flammen aufgeht. Zur Verurteilung des Vivigenius kommt es, weil der Vater dem Pfarrer und dessen Visionen mehr Glauben schenkt als dem eigenen Sohn (vgl. Bottermann 1895, S. 68; Krogoll 1982, S. 332). Bei seiner dramatischen Bearbeitung von Q 1.1 scheint es Arnim 9
Gemeinsam ist beiden Stücken, daß sie »das Problem der je individuellen Beteiligung an
einer Erhebung wie das Problem der Auswirkung einer Volkserhebung auf die Verfassungsgebung« (Krogoll 1979, S. 85) ansprechen. Einen Vergleich beider Stücke nimmt auch Ehrlich vor (vgl. Ehrlich 1970, S. 164–165), der außerdem anmerkt, daß diese kleinen historischen Schauspiele Arnims »Durchbruch 〈...〉 zu einer partiellen realistischen Reproduktion der Wirklichkeit« (ebd., S. 153) markieren. Friedrich Sengle hebt hervor, daß Arnims Dramen possenhaft und historisch in einem seien: »Denn diesen beiden scheinbar widerstrebenden Elementen liegt Arnims betontes und überzeugendes Gefühl für Volk und Volkstümlichkeit zugrunde« (Sengle 1952, S. 90). Arnim will keine weltpolitischen Zusammenhänge auf die Bühne bringen oder die großen historischen Gestalten darstellen, »sondern 〈...〉
die unmittelbare persönliche Bewährung in einer bestimmten Situation« (ebd., S. 90).
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Zu: Die Appelmänner
v. a. um den Konflikt zwischen den Generationen zu gehen. Vivigenius, aber auch Theobald fassen im Gegensatz zu ihren Vätern »das Tradierte nicht als etwas Ewiges, sondern als Ve r ä n d e r b a r e s auf« (Ehrlich 1970, S. 157; Hervorhebung vom Vf.). Dabei tritt der Vater für Gesetzestreue ein, Vivigenius für die Freiheit, die nicht nur national, sondern auch religiös verstanden wird.10 Brederode als weitere Vaterfigur fungiert mit Vorbildfunktion für Vivigenius als »personelle〈s〉 Ideal des niederländischen Freiheitskampfes« (ebd., S. 163). Zusammenfassend läßt sich aus den von Arnim vorgenommenen Änderungen schließen, daß Die Appelmänner v. a. aufgrund der patriotischen und kriegsideologischen Thematik, die operationell als Appell an die Zeitgenossen gerichtet ist und als »realistisches Symbol« begriffen werden soll (ebd., S. 154), als ein Produkt der Zeit von 1813 bedeutsam sind. Dabei ist v. a. die Verbindung von Recht, Freiheit und Glauben entscheidend – der Krieg wird als ein »im Sinne Gottes« (ebd., S. 154) legitimierter Befreiungsakt dargestellt. Den scheinbaren Widerspruch in dem Gemüthe der Menschen (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 335,17–18), den Arnim mit Hilfe des Stückes zu beseitigen bestrebt ist, versucht er mit den eigenen Mitteln zu bekämpfen. So lassen sich eine Vielzahl von Widersprüchen im Drama nachweisen, die stets dem Prinzip einer semantischen Inversion unterliegen. Dieser Besonderheit des Dramas dürfte wohl einer der Gründe sein, warum Arnims Zeitgenossen und Rezipienten in späterer Zeit das Stück als »wunderlich« bezeichneten. Für das Stück läßt sich insgesamt eine widersprüchliche Struktur feststellen, die nicht nur die Charakterzüge der dramatis personae, sondern auch ihre Handlungen betreffen. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Pfarrer Remel vertritt einerseits lutherisch-protestantische Dogmen, andererseits ist er abergläubisch und beschäftigt sich mit Alchemie. Hämmerling tötet Vivigenius und macht ihn wieder lebendig. Vivigenius stellt sich als begeisterter Freiheitskämpfer dar, ist aber zu dieser Position nur durch Zufall gekommen und nimmt nicht aktiv am Kriegsgeschehen teil. Pura verbrennt scheinbar in den Flammen ihres Hauses und wird doch gerettet. Der Zugang zum Stück wird damit durch explizite Widersprüchlichkeiten erschwert, da dadurch esoterisch-hermetische Effekte und gegenläufige Sinnbezüge evoziert werden. Auch die Verknüpfung der tragischen Handlung mit komischen Elementen, z. B. in der Nebenhandlung im Wirtshaus, trägt zu der widersprüchlichen Struk10
Auf Arnims Bestrebung, »bei jeder Gelegenheit auf die geringe Resonanz der Religion in
der durch Revolution und rationalistische Konzeptionen (Aufklärung) für ihn partiell in Frage gestellten Zeit hinzuweisen, um für eine Erneuerung zu werben«, geht Ehrlich ausführlich ein (Ehrlich 1970, S. 160).
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Der historische Kontext des Stücks
tur des Dramas bei.11 Es ist auffallend, daß in den komischen Szenen stets der konkrete Bezug zur Haupthandlung gewahrt bleibt. Der Konflikt Theobalds, sich am Krieg zu beteiligen oder nicht, wird durch die Kriegsbegeisterung des Wirts persifliert. Die Problematik der Liebe und ihrer Hintanstellung wegen der Bedeutsamkeit des Krieges bei Vivigenius-Pura und Theobald-Apollonia wird durch den Rollentausch von Wirt-Brummer im vereinfachten, karikierenden Modus kontrastiert. Zudem werden die Hinrichtung Vivigenius’ und die Vorbereitungen dazu durch das Motiv des Gänseschlachtens profaniert (vgl. Johannes Schreyer, Die psychologische Motivierung in Arnims Dramen. Halle/S. 1929, S. 15). In »gewagter Parallelisierung (die bei Arnim nicht ganz selten ist)« (Ulfert Ricklefs, Sprachen der Liebe bei Achim von Arnim, in: Codierungen von Liebe in der Kunstperiode, hg. v. Walter Hinderer. Würzburg 1997, S. 237–291, S. 283) konnotiert zudem Vivigenius’ Tod und Wiederbelegung den Opferungstod und die Auferstehung Christi. Erst durch die Überwindung des Todes kann ein ganzheitlich harmonischer Zustand hergestellt werden, der sich durch die Verkündigung des Friedens und die Versöhnung von Vater und Sohn manifestiert (vgl. zu weiteren Beispielen in Arnims Werk Erl. zu S. 325,4–6). Nicht zufällig läßt Arnim die Handlung an einem Martinstag stattfinden (vgl. Erl. zu S. 282,27). Als letzter Tag im Wirtschaftsjahr markiert er einen Endpunkt, zugleich aber auch den Beginn der Karnevalszeit.12 Damit werden die Widersprüchlichkeiten auf die Spitze getrieben. Nur vor diesem Hintergrund ist die Darstellung der als höchst ambivalent eingeführten Figuren und ihrer Handlungen überhaupt verstehbar. Die Bez. des Stückes als »Puppenspiel« trägt zu der Brechung der Erwartungshaltung des Lesers ebenfalls bei. Es ist immer wieder vermutet worden, daß der Grund für die Bez. des Stükkes als Puppenspiel in der Enthauptung des Vivigenius auf offener Bühne zu finden sei (vgl. Brentano an Arnim, RZ 4, S. 464,23–25; Eichendorff, RZ 16, S. 478,15–479,18; Bottermann 1895, S. 70; Hermann August Korff, Geist der Goethezeit. Versuch einer ideellen Entwicklung der klassisch-romantischen Lite11
Die Nebenhandlung um Wirt und Wirtin wurde in der Forschung zudem negativ bewertet, da
sie »von der eigentlichen nationalen Problematik des Schauspiels 〈ablenke〉, indem sie die lächerliche, unwesentliche und nicht einmal die Funktion einer Kontrastierung ausübende Familienproblematik unzulässig« ausweite (Ehrlich 1970, S. 157). 12
Johannes Krogoll sieht in der Situierung der Handlung auf den Martinstag den »Schlüs-
Die Appelmänner unter eschatologischen und chiliastischen Prämissen. Dabei sieht er v. a. die »klassel« für die Deutung des Stückes (vgl. Krogoll 1982, S. 333) und interpretiert
sische« Errungenschaft des romantischen Dramas in der Verwendung der Ironie, was in den
Appelmännern »nicht nur formal, sondern auch inhaltlich realisiert wird« (Krogoll 1979, S. 78).
855
Zu: Die Appelmänner
raturgeschichte. IV. Teil. Hochromantik. 6. unveränderte Aufl. Leipzig 1964, S. 326; Ehrlich 1970, S. 165).13 Eine solche Auslegung greift wohl zu kurz, gerade wenn man die Bedeutung des Puppenspiels in der Romantik in die Überlegung einbezieht. Eine Aufwertung des Genres Puppenspiel findet zu Beginn des 19. Jhs. statt. Dabei wird es gerade von den Romantikern als Bestandteil des deutschen Volksdramas verstanden, das es zu tradieren und zu bewahren gilt (vgl. Christoph Lepschy, Puppenspiel, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York 2003, S. 198–201, hier S. 199).14 Arnim entwickelt um 1810 ebenfalls eine Affinität zum Puppenspiel. Sein zweiteiliges Drama Halle und Jerusalem konzipierte er ursprünglich als solches. In seinem Titelaufriß Alte deutsche Bühne. Erster Bande impliziert er außerdem, daß die angeführten kleinere〈n〉 Lustspiele zur Aufführung auf Puppentheatern bestimmt seien (vgl. EZ 15, S. 421,1–2). Ferner sieht er in diesem Genre eine national-patriotische Komponente: In seinem Taschenbuch FDH/B 69 spricht er sich gegen das Kartenspielen aus, da es dabei um Geld und Betrug gehe. Dagegen sollten Puppenspiel, Tanz, Ringen, Wett-
rennen, Schifferstechen auf alle Art aufgemuntert werden. Pupenspiele 〈sic〉 von den Thaten der edlen Preußen werden besonders hervorgehoben. Auch andere Romantiker sehen im Puppenspiel und in der Verwendung von Marionetten eine positiv zu bewertende Spielvariante, die auch als »Gegenentwurf zum zeitgenössischen Schauspieltheater« (Taube 1995, S. 122) gilt, dessen Zustand in dieser Zeit häufig kritisiert wird. Dabei wird v. a. »die Typenhaftigkeit der Marionetten, das Fehlen ihres außertheatralischen Lebens, der illusionsfördernde Guckkasten der Marionettenbühne und die Volkstümlichkeit des Marionettentheaters« (ebd., S. 126) hervorgehoben.15 Daß die gezogenen Puppen 13
Die Verwendung des Motivs der öffentlichen Hinrichtung ist z. B. für das Volksmario-
nettenstück
Die öffentliche Enthauptung des Fräuleins Dorothea, das sich schon im
17. Jh. großer Beliebtheit erfreute, nachweisbar (vgl. Magnin 1852, S. 313). Der Höhepunkt des Stückes, Dorotheas Enthauptung, wurde oft mehrmals hintereinander zur größten Belustigung der Zuschauer gespielt (vgl. Weichberger Kommentar 1901, S. 13). 14
Goethe führte 1774 mit seinem
Jahrmarktsfest zu Plundersweilern die Marionetten-
und Puppenspiele in den deutschsprachigen literarischen Diskurs ein. In England und Spanien war es bereits früher zum Gegenstand der Literatur geworden (vgl. Don Quichote, 8. Buch), Henry Fielding 1729:
Puppet-Show, called the Pleasures of the Town, ein aus
zwei Szenen bestehendes, mit zahlreichen Arien versehenes Stück (vgl. Weichberger Kommentar 1901, S. 6–7). Zu Justinus Kerners und Ludwig Uhlands intensiven Auseinandersetzung mit dem Puppenspiel vgl. Taube 1995, S. 116–122. 15
Für Bspe. vgl. ebd., S. 122–126.
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Der historische Kontext/Entstehung/Rezeption
von Holz die Stücke insbesondere komischen Inhalts eher und besser aufführen 〈könnten〉, als die hölzernen lebendigen auf unsern Haupt- und Staatstheatern (Mahlmann 1806, S. V), betont auch August Siegfried Mahlmann im Vorwort seiner Dramensammlung mit dem Titel Marionetten-Theater. Implizit spricht sich darin eine Kritik am Theater und am Können der Schauspieler aus, die sich auch bei Arnim in seinen Rezensionen zum Theaterbetrieb wiederholt findet. Die Aufwertung des Puppenspiel-Genres insbesondere für national-patriotische Belange zeigen einmal mehr Arnims Bemühung um eine Theaterreform und eine Verbesserung des Repertoirs. Arnims Wahl dieses in der Romantik als spezifisch volkstümlich rezipierten Genres könnte der Versuch sein, das Puppenspiel als literarische Form aufzuwerten, indem historische und tragische Inhalte mit einem üblicherweise dem Schwank, komischen Stoffen sowie der Satire nahestenden Genre kombiniert werden. Die Bemühung der Romantiker um eine Erneuerung des deutschen Dramas unter Verwendung alter Stoffe und Formen ist hier in radikaler und für Arnims Zeitgenossen nicht immer verständlichen Weise umgesetzt worden.
Entstehung Das Drama entstand vmtl. nach der in der Rede vor der deutschen Tischgesellschaft formulierten Idee, den Stoff zu dramatisieren (vgl. Q 1.2, S. 846,61–63).16 Die Rede ist frühestens auf den Tag der dritten Sitzung der Tischgesellschaft, d. h. nach dem 13. Februar 1811, zu datieren (vgl. WAA 11, S. 321). Dieser Zeitpunkt wird als Terminus post quem für die Entstehung des Dramas angenommen. Unklar bleibt, wann und wie Arnim von der Existenz der Chronik Friedeborns erfuhr und durch wen er darauf Zugriff erhielt.
Rezeption Die Rezeptionsgeschichte des Stückes ist geprägt von Extrempositionen, die von lobenden Äußerungen bis zu kritischer Verurteilung reichen. Auffallend häufig wird es von verschiedenen Rezensenten als »wunderlich«, »eigentümlich« oder »wunderbar« bezeichnet. Tendenziell stößt das Stück bereits zu Arnims Lebzeiten auf Unverständnis. Dies gilt auch noch für die neuere Forschungsliteratur. Erst Johannes Krogoll machte 1979 auf die politischen und religiösen Implikationen aufmerksam, die zum Verständnis des Stückes von entscheidender Be16
Die Idee zur dramatischen Bearbeitung stammt vmtl. von Clemens Brentano , der wäh-
rend der Lesung das Buch der deutschen Tischgesellschaft führt (vgl. Ehrlich 1970, S. 153).
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Zu: Die Appelmänner
deutung sind und würdigte Die Appelmänner als hoch komplexes, anspielungsreiches Drama (vgl. Krogoll 1979, S. 59–94). Clemens Brentano lobt das Stück zunächst zusammen mit Der Auerhahn und Die Vertreibung der Spanier aus Wesel (vgl. RZ 4, S. 463,5–6) und bezeichnet es als lebendigste〈s〉 fleischerne〈s〉 Stück (ebd., S. 464,24) der Schaubühne. Kritisch bewertet er das von Arnim gewählte harmonische Ende sowie die Bez. des Dramas als Puppenspiel (ebd., S. 464,21–25). Für eine Aufführung des Dramas auf einer Wiener Bühne favorisiert Brentano ein tragisches Ende. Wolframs Urteil in der Wiener Allgemeinen Literaturzeitung weist in eine ähnliche Richtung. Er hält das Stück in dieser Form für nicht aufführbar (vgl. RZ 6, S. 471,12–14). Während er die erste Hälfte des Puppenspiels als gelungen bezeichnet, insbesondere die Konzeption der Pfarrerfigur (vgl. ebd., S. 471,17–19), sei der weitere Handlungsverlauf von einem solchen Aberwitz geprägt (ebd., S. 471,15–16), daß dies für den Gesamteindruck der Schaubühne schädlich sein könne (vgl. ebd., S. 471,25–26). In den Blättern zur Kritik und Charakteristik deutscher Literatur und Kunst wird den Appelmännern dagegen eine ausnahmslos positive Bewertung zuteil. Wie in anderen Besprechungen von Schaubühnen–Stücken hebt der Rezensent Ferdinand Leopold Karl von Biedenfeld die national-patriotische Bedeutung des Puppenspiels hervor, da es Haß gegen Unterdrückung sowie Begeisterung für Recht und Freiheit (RZ 9, S. 473,34–35) thematisiere. Aus diesem Grund zählt es für ihn gemeinsam mit Die Vertreibung der Spanier aus Wesel zu den schönsten Stücken (ebd., S. 473,32), in denen Arnim in seiner höchsten Glorie erscheine (ebd., S. 473,37–38). 1842 äußert sich Friedrich Hebbel in seinem Tagebuch beeindruckt über Die Appelmänner und hält das Stück für eine tiefe eigenthümliche Schöpfung (RZ 14, S. 477,2–3). In bezug auf die »Nicht-Rezeption« der Schaubühne und anderer Werke Arnims zeigt sich Hebbel verwundert, warum Arnim in seiner Zeit so unbeachtet geblieben sei (vgl. ebd., S. 477,3).17 Auch wenn Hebbels Tagebucheintrag nur kurz auf seine Lektüre der Schaubühne eingeht, handelt es sich hier um eines der wenigen Rezeptionszeugnisse, die nach dem erneuten Abdruck der Schaubühne 1840 erfolgte. Fünf Jahre später veröffentlicht Joseph von Eichendorff seine Schrift Ueber
die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie 17
Diese Meinung revidiert Hebbel am 1. März desselben Jahres zumindest in bezug auf
Arnims Roman
Gräfin Dolores, den er kritisch bewertet. In sein Tagebuch notiert er: »Was
keinen rechten Anfang hat, kann auch kein rechtes Ende finden« (Hebbel 1966, S. 475.).
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Rezeption/Erläuterungen
in Deutschland (1847) und hebt Die Appelmänner als historisch interessantes Stimmungsbild der Zeit der »Befreiungskriege« hervor (vgl. RZ 15, S. 477,13–17), da sich in dem Stück durch die Figuren Vivigenius und Theobald unterschiedliche Auffassungen über den Krieg inkorporieren. Um dies anhand einiger Passagen zu exemplifizieren, zitiert Eichendorff u. a. die 6. und 7. Strophe des von Theobald verfaßten Liedes Heimlich und versteckt dem Kriege (in der vorliegenden Ausgabe S. 309,32–310,10; vgl. RZ 15, S. 478,22–37). In seiner Geschichte des Dramas fällt Eichendorff 1857 ein kritischeres Urteil über Die Appelmänner. Er bemängelt v. a. die phantastische Gestaltung, die zuvor schon von anderen Rezensenten kritisiert wurde. Zwar handle es sich um eine prächtige Tragödie des Befreiungskrieges (vgl. RZ 16, S. 479,17–18), Arnims Vorliebe für außerordentliche Motive, die höher sein sollen als die einfach religiösen (ebd., S. 478,15f.) verwandle die Appelmänner aber unversehens in ein Puppenspiel, was hier von Eichendorff – ähnlich wie bei seinen Vorgängern – als unstimmig empfunden wird. Zu einer Äußerung Franz Kafkas über die Sentenz Der Krieg ist wie der Ehestand, recht lustig, aber anders als der Junggeselle hofft aus den Appelmännern (in der vorliegenden Ausgabe S. 308,8–9), die weniger ein Urteil über das Stück, als vielmehr eine Charakterisierung der Arnimschen Persönlichkeit darstellt, vgl. die Erl. zu S. 308,8–9 sowie Härtl 2000, S. 321–346. Erläuterungen 282,2 D i e A p p e l m ä n n e r . ] Der hier verwendete Plural erinnert assoziativ an »Hampelmänner«, wodurch die ernste Handlung des Stückes bereits im Titel – wie auch bei der Bez. des Stückes als Puppenspiel – ins Komische gezogen wird bzw. – nach Detlef Kremer – groteske Züge erhält (vgl. Kremer 2001, S. 255). 282,3 E i n P u p p e n s p i e l .] Das Interesse am Puppenspiel gilt allgemein für die Romantik, deren Vertreter sich, ähnlich wie Goethe, um die künstlerische Legitimation des Genres bemühten (vgl. dazu Taube 1995, S. 115–126 sowie den Überblickskommentar, S. 855–856). 282,6 G r a f B r e t t e r o d .] Wahrscheinlich ist die Figur nach dem historischen Baron Hendrik/Heinrich von Brederode konzipiert, der allerdings zu der Zeit, in der das Drama spielt (1576), nicht mehr am Leben war. Der historische Brederode, von seinen Zeitgenossen als »Vater des Vaterlands« bezeichnet (vgl. Lademacher 1993, S. 226), war – ähnlich wie die Figur in Arnims Stück – Haupt der verbündeten niederländischen Adligen gegen Margarethe von Parma. 1565 wurde der Plan eines Adelsbündnisses gegen die katholische Inquisition entwik-
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kelt, wobei Brederode, die Grafen Lodewijk van Nassau und Karl von Mansfeld als Anführer bestimmt wurden. Lediglich der Nassauer und Brederode setzten das Vorhaben in die Tat um (Bittschrift vom 5. April 1566). Brederode stellte sich wiederholt der katholischen Regierung offen gegenüber. Seine Schlösser Vianen und Ameide wurden bald zum Mittelpunkt des Widerstands. Zum Feldhauptmann ernannt, sammelte Brederode Truppen um sich. 1566 gelang es ihm, in Amsterdam einzudringen, wo er mit seiner unbezahlten Truppe vier Monate lang Unruhe stiftete. Einen bewaffneten Widerstand zu organisieren gelang ihm indes nicht. Vier Monate vor Herzog Albas Ankunft in den Niederlanden (August 1567) schiffte sich Brederode nach Emden ein. Im Frühjahr 1568 starb er in Deutschland im Schloß Harnhof bei Recklinghausen (vgl. Lademacher, 1993, S. 96; Zedler 4, Sp. 1207). Die von Arnim verwendete Quelle für die Einbeziehung der historischen Umstände ist nicht bekannt. – Gottfrids Historische Chronica (Arnim-Bibl. B 25) berichtet von Lancelot Brederode, dem Halbbruder Heinrichs von Brederode, der mit anderen niederländischen Adligen den Aufstand Ende 1569 vorbereitete: Diese 〈Adligen, auch späterhin als »Wasser-
Geusen« und »Freybeuter« bezeichnet, unter denen sich Lancelot Brederode befand〉 rüsteten mit Zuthun etlicher Seefahrenden Leut / und einer Anzahl Exulirender / etliche Kriegs-Schiff auß / und fiengen an die Spanische Schiff anzugreiffen / und stattliche Beuthen zu machen (Gottfrid 1710, S. 923a-b). 282,7 A p p e l m a n n ] In Paul Friedeborns Chronik wird auch sein Vorname, Jochim erwähnt (vgl. Q 1.1, S. 843,1). 282,7 Burgemeister] Alte Form für »Bürgermeister«, von Arnim häufig verwendet (vgl. u. a. Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Der Wintergarten, Die Kronenwächter II). In der Q wird die heute geläufige Bez. »Bürgermeister«, aber auch »Bürgemeister« gebraucht (vgl. Q 1.1, S. 843,1; S. 843,3). 282,9 A p o l l o n i a ] Im Chroniktext nicht belegt. In den Kronenwächtern I verwendet Arnim den Namen ebenfalls. Appolonia 〈Steller〉 ist dort – wie die Figur im Stück – die Tochter des Bürgermeisters und seit dem Tode der Mutter des Vaters Augapfel (Arnim 1817, S. 33). Auch in den Appelmännern ist die Mutter nicht mehr am Leben (vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 296,9–11). Friedeborns Chronik berichtet statt dessen davon, daß sich beide Elternteile um den Sohn bemühen (vgl. Q 1.1, S. 843,5–6). 282,10 R e m e l ] Der Name ist in der Q nicht belegt. Vater Appelmann wird zur Hinrichtung seines Sohnes von einem unbenannt bleibenden Prediger ins Dorf Brockhusen begleitet (Q 1.1, S. 844,44). Ähnlich wie der Prediger im ersten Teil des Dramas Halle und Jerusalem (vgl. Arnim 1811, S. 122–124)
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Erläuterungen
ist Remel als Repräsentant der lutherisch-orthodoxen Kirche eine negativ gestaltete Figur (vgl. Ehrlich 1970, S. 155). 282,12 P u r a ] Lateinischer Name, übersetzt »die Reine«. Arnim bearbeitete für das Wh das Lied Pura aus einem Gesangbuch der Wiedertäufer von 1583 (Wh I 146), das die Geschichte der Christin Pura erzählt, die für ihren Glauben stirbt. Auch Hans Sachs hat die Geschichte in Versen bearbeitet: Pura die Junckfraw vnd heylig Martrerin (Sachs 1558, S. XCII; Arnim-Bibl. B 904). Es ist möglich, daß Arnim den Namen aus diesem Stoff entlehnt hat, da sich thematische Parallelen zwischen der Handlung des Stückes und der letzten Strophe des Wh–Liedes nachweisen lassen, vgl. Erl. zu S. 322,14–16. 282,13 H ä m m e r l i n g , Scharfrichter.] Im Marionettentheater früher als Bez. des Pickelherings oder Hanswursts, aber auch typischer Name für einen Scharfrichter (vgl. Adelung 2, S. 939; DWb 10, Sp. 318), ursprgl. als euphemistische Benennung des Teufels verwendet. In Frischs Teutsch-Lateinischem Wörterbuch (Arnim-Bibl. B 2906) findet sich folgende Definition: Hemmer-
ling, oder Hemmerlein, Meister Hemmerlein. Im Puppen-Spiel, da man die Hand in die Puppe steckt und damit den Leib, Kopf und Arme derselben bewegt, ist es der Pickelhering, morio. Meister Hemmerling, nennen einige den Henker, carnifex. Meister Hemmerling; ist beym Sebald in Breviario historico, der Teuffel, weil der Pickelhering im Puppen-Spiel meistens ein abscheuliches Larven-Gesicht hat, diabolus (Frisch 1741 I, S. 442c). In den Sagen der Brüder Grimm begegnet Meister Hämmerling als Berggeist (vgl. Grimm 1816, Nr. 2, Der BergGeist, S. 3–4; vgl. ergänzend zu Hämmerling als Name für eine Marionettenfigur Angstmann 1928, S. 25–26; Magnin 1852, S. 274–275). 282,14 H a n s ] Wie in den anderen Schaubühnen–Stücken, in denen Hans als Figur auftritt (vgl. Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, Der wunderthätige Stein), trägt Hans in diesem Stück Züge einer lustigen Person, die als Kontrast zur ernsten Handlung fungiert und hier v. a. durch das Vortragen von Liedern für Unterhaltung sorgt. 282,15 B r u m m e r ] Komische Figur, deren Name an 〈d〉icke Saiten auf der Baßgeige, brummende Pfeifen in den Orgeln (Adelung 1, S. 1219) bzw. an eine Kupfermünze von geringem Wert (vgl. ebd., S. 1219; DWb 2, Sp. 430) erinnert. 282,16 Bruckhausen] In Friedeborns Chronik als Dorff Brockhusen bezeichnet (Q 1.1, S. 844,44), eigtl. Dorf/Vorwerk Bruchhausen in der Provinz Pommern (vgl. Messow 1854, S. 96). 282,17 S t a r g a r d t ] Die an der Ihna gelegene Stadt Stargard (heute Stargard Szczecin´ski), 1809–1814 Sitz der Zivilverwaltung von Pommern und der
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Zu: Die Appelmänner
Neumark sowie des Militär-Gouvernements der Lande zwischen der Oder und Weichsel (vgl. Ernst Bahr/Klaus Conrad, Stargard, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Mecklenburg Pommern. Bd. 12, hg. v. Helge bei der Wieden, Roderich Schmidt. Stuttgart 1996, S. 276–279, hier S. 276–277). Der Schauplatz ist aus der Q übernommen. 282,17 1 5 7 6 ] Die Jahreszahl ist aus Friedeborns Chronik übernommen (vgl. StChr II, S. 108). 282,27 Martinstag] Seit dem Mittelalter bis ins 19. Jh. war der Martinstag (11. November) Rechts- und Zinstermin (Abschluß des Wirtschaftsjahres, Wechsel des Gesindes, Abgabe von Zehnt und Naturalien; vgl. HdA 5, Sp. 1711). Arnim besaß die von Georg Joachim Marks verfaßte Geschichte vom Martini-Abend und Martins-Mann von 1772 (Arnim-Bibl. B 2009), in der Bräuche, Lieder und die historischen Zusammenhänge zu diesem Feiertag mitgeteilt werden, so daß sich Arnim auch kulturgeschichtlich mit den festlichen Gebräuchen auseinandersetzen konnte. – Das Martinsfest wurde 650 erstmals begangen und vmtl. an die Stelle des heydnischen Festes der Weinlese gesetzt (Marks 1772, S. 12–13). Zum Martinstag gehört traditionell der Martinsschmaus (Gans und neuer Wein). Die zur Feier des Tages gesungenen Lieder nehmen z. T. auch auf Martin Luther Bezug, dessen Geburtstag auf den 10. November fällt, thematisieren aber vorrangig den Hl. Martin, der als Bischof von Tours v. a. als Wundertäter berühmt wurde. Die Festsetzung der Handlung auf den 11. November stammt von Arnim (vgl. dazu auch den Überblickskommentar, S. 855). Bei Friedeborn wird der Tag nur in anderem Zusammenhang erwähnt (vgl. StChr I, S. 95). Johannes Krogoll weist darauf hin, daß der Martinstag auch den Beginn der Karnevalszeit markiert, wodurch sich das Stück als karnevaleskes Spiel interpretieren läßt. 283,3–7 Heut ist für dich ein wichtger Tag, 〈...〉 nie.] Die Szene spielt auf die traditionell am Martinstag vollzogene Abrechnung des Wirtschaftsjahres an, vgl. Erl. zu S. 282,27. 283,5 Margaretha] Der Name Margaretha/Margarethe begegnet in Arnims Werk auch in Der falsche Waldemar sowie in einem Historischen Drama ohne Titel, incipit Gewölbtes Zimmer in einem Thurme des herzoglichen Schlosses zu Rügenwalde 〈...〉. Indirekt erinnert er an den Namen der Statthalterin Margarethe von Parma in den Niederlanden, vgl. S. 282,6. 283,7–8 Verzeichniß aller 〈...〉 schickt.] »Die Abgabe von Naturalien am Martinstag hielt sich bis ins 19. Jh. als Tradition« (HdA 5, Sp. 1713). 283,9 Stralsund] An der Ostsee am Strelasund gelegene Stadt. Von 1648–1807 stand Stralsund unter schwedischer, von 1807–1814 unter französischer und von 1814–1815 unter dänischer Herrschaft, bevor die Stadt 1815
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Erläuterungen
preußisch wurde. Am 31. Mai 1809 war Ferdinand von Schill, der 1809 ein Freiwilligenheer um sich gesammelt hatte, um gegen Napoleon vorzugehen, in Stralsund tödlich verwundet worden. Vgl. Erl. zu S. 184,24 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 283,12–14 Enkel jener 〈...〉 geschlichtet haben.] Vmtl. spielt Arnim hier auf den langjährigen Handelsstreit zwischen Stargard und Stralsund an, der 1460 vorläufig beigelegt, jedoch von dem bald darauf einsetzenden Stettiner Erbfolgekrieg verdrängt wurde (vgl. Bahr/Conrad 1996, S. 283). Im 1. Bd. von Friedeborns Chronik wird darüber berichtet, daß noch im Jahre 1487 aufgrund dieser Streitigkeiten der Stargarder Bürgermeister Thomas Parchen von Stralsunder Bürgern gefangen gesetzt wurde und andere Stargarder Händler ihre Güter an die Stralsunder verloren. Im Gegenzug machten die Stargarder einige Stralsunder Bürger zu ihren Gefangenen. Herzog Bogislaw X. legte den Konflikt zwischen den beiden Städten bei (vgl. StCh I, S. 125–126). 283,16 Sie senden 〈...〉 Hering.] Der Martinstag ist auch ein berühmter
Zeitpunkt zum Abtrag gewisser Erkenntlichkeits-Pflichten und Dienstleistungen (Marks 1772, S. 26). 283,31 das sich 〈...〉 ererbte,] Auch in Friedeborns Chronik werden die Appelmanns als eine 〈v〉hralte〈...〉 löbliche〈...〉 F a m i l i beschrieben (Q 1.1, S. 844,27). 284,2 Schandfleck] Aus der Q übernommener Ausdruck, dort ist von Schandflecken die Rede (Q 1.1, S. 844,28). 284,3 Wittenberg] Seit 1502 Universitätsstadt, in der Q nicht erwähnt. 284,5 ungerathnen Sohne,] Aus der Chronik Friedeborns übernommener Ausdruck (vgl. Q 1.1, S. 843,21). Vgl. auch die für Arnim typische Verwendung der assoziativen Paronomasie ›roth–Rath–ungerathnen‹, vgl. für weitere Bspe. Erl. zu S. 184,8–9 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 284,19–20 seh er 〈...〉 sterben.] Von Arnim hinzugefügt. Der Glaube, über die Physiognomie eines Menschen auf bestimmte Charakterzüge oder auf die Zukunft schließen zu können, hat lange Tradition. So findet sich etwa in einem Traumbuch aus dem Jahr 1594 der Hinweis, daß eine 〈s〉chlechte vngerunzelte Stirn auf einen schnöden, / kriegshafftigen / betrüglichen Menschen schließen ließe (Chiromancia. Kunst Wahr vnd Weissagens / von dem gegenwertigen vnd zukünfftigen Glück vnd Vnglück / welches erkündet wirdt. Frankfurt/M. 1594, S. 33). Arnim beschäftigt sich mit Johann Kaspar Lavaters Physiognomik und Franz Joseph Galls Schädellehre, dessen Vorlesungen er 1805 in Berlin besucht. Gall gilt als Begründer der Phrenologie. Arnim steht Galls Vorlesungen eher kritisch gegenüber, denen er recht eifrig mit ewigen Widerwillen beiwohnt (Arnim an Clemens Brentano, 8. April 1805; GSA 03/147).
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BvA schreibt am 10. Juni 1806 von Frankfurt/M. an Arnim über ihren Besuch der Gallschen Vorlesungen: Gall sagt von mir, ich habe ein starkes Mu-
sikorgan, wie auch viel Gedächtnis, was ich aber in einem hohen Grad besitze, sei der Mordsinn. – Tatsächlich glaubte Gall, den Rauf- bzw. Würge-, Mord- und Diebessinn am Schädel ertasten und lokalisieren zu können (vgl. Dr. F. J. Galls neue Entdeckungen in der Gehirn- Schedel- und Organenlehre. Mit vorzüglicher Benutzung der Blöde’schen Schrift über diese Gegenstände, ganz umgearbeitet und nach den neuesten Gall’schen Untersuchungen bereichert. Carlsruhe 1807, S. 217). 284,30 wie er sein mütterliches 〈...〉 zurückgefordert,] In Friedeborns Chronik nicht belegt. Dort ist an einer Stelle von beiden Elternteilen die Rede, die den Sohn wiederholt außstaffiret vnd in Krieg geschicket hätten (Q 1.1, S. 843,5–6). 284,37 Stettin] An der Oder gelegene Hansestadt (ab 1278), die mit dem Vorhafen Swindemünde Zugang zur Ostsee besaß. Vgl. ergänzend Erl. zu S. 146,6 zu Mißverständnisse. 285,4 Ehrwürdger Herr] Geläufiger Titel für einen Geistlichen (vgl. Denecke 1892, S. 340). 285,27 ihr habt 〈 ..〉 Weissagung,] Eine ähnliche Fähigkeit besitzt das Mädchen Walpurgis in Der Auerhahn, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 65,23–31 – in den Appelmännern deutet Remel die Vision jedoch falsch. 285,36 Mordbrenner] Zu Arnims Zeit Bez. für heimliche Brandstifter, häufig im Kontext der Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten verwendet. Auch in den Appelmännern unterstellt Pfarrer Remel Vivigenius religiöse Beweggründe zur Brandstiftung, da Appelmanns Sohn durch der Wiedertäufer Geist verleitet sei (in der vorliegenden Ausgabe S. 289,35). Arnim setzt sich 1810 in der Schrift Erinnerung an eine ältere Mordbrennerbande mit weiteren Beispielen für Brandstiftung aus dem 16./17. Jh. auseinander (vgl. Werke 6, S. 323–325). In seiner Bibliothek lassen sich mehrere Titel zu dieser Thematik nachweisen (vgl. Kirchmeyer 1541, Arnim-Bibl. B 901; Hortleder 1617, Arnim-Bibl. B 92a-b; Kindervater 1712, Arnim-Bibl. B 54). 286,20–22 Bist du entlaufen 〈...〉 gethan.] Die Vita des unentschlossenen Appelmann-Sohnes ähnelt in diesem Punkt der des jungen Clemens Brentano, dessen zahlreiche gescheiterte Ausbildungsansätze der Familie Brentano Sorgen bereiteten. Das Studium der Mineralogie in Bonn (1794) sowie eine 1796 begonnene Kaufmannslehre im thüringischen Langensalza bei dem Geschäftsfreund der Brentano-Familie, Christoph Ernst Polex, scheiterten (vgl. Schultz, H. 2000, S. 24–25). Zum Kaufmannsstand fühlte sich Clemens Brentano nun einmal nicht geschaffen, und auch sein sich anschließendes Studium der Philo-
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Erläuterungen
sophie in Göttingen beendete er nicht. Die hier dargestellte Unentschlossenheit des Sohnes Vivigenius erinnert auch an den mit Scherz überschriebenen Teil der Rede vor der deutschen Tischgesellschaft (vgl. den Überblickskommentar, S. 848–850), in der der Vater seinen Sohn oft ausstaffiert, und in die Fremde geschickt, ohne daß der Sohn erfolgversprechende Leistungen erzielt (Q 1.2, S. 846,71–72). 287,19 Damascener Säbel,] Ein aus Damaskus bzw. aus Syrien stammender Stahl, eine Art vortrefflicher Degen- und Säbelklingen (Adelung 1, S. 1375), der besonders gehärtet, gewässert oder flammigt gearbeitet und mit goldenen Figuren ausgelegt ist (Busch 1790, S. 200; Arnim-Bibl. B 2724a). 287,24 Wittenberger Noth] Bildhafter Ausdruck für die finanzielle Not der Studenten. 288,10–11 weiße Fahne 〈...〉 Löwen,] Beschreibung des Wappens des Hauses Nassau-Oranien.
288,17–18
vielen Dogmen 〈...〉 betrifft.] Als Vertreter der lutherischen OrConfessio Belgica (1561) an, die in
thodoxie spielt Remel hier vmtl. auf die
bezug auf die Sakramente der Lehre Johann Calvins folgt. Calvin ging über ein rein symbolisches Abendmahlsverständnis hinaus: Die Hostie, ein materielles Element, mit dem erhöhten Christus zu identifizieren, hält er für Gotteslästerung. Im Abendmahl wird Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes gegenwärtig. Die lutherische Abendmahlslehre tendiert hingegen zur Lehre der Konsubstantiation, d. h. beim Abendmahl ist die Substanz Christi real präsent. Nach Luthers Verständnis ist Christus überall gegenwärtig (vgl. Hans-Martin Barth, Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen. Ein Lehrbuch. Gütersloh 2001, S. 643–644). Hier vmtl. auch im Zusammenhang mit den Wiedertäufern zu sehen, vgl. Erl. zu S. 289,35. Denkbar ist auch eine Anspielung auf die
Confessio Helvetica (Confessio Helvetica posterior,
1566), die durch ihre einfache und klare Ausdrucksweise zu einer der erfolgreichsten reformatorischen Bekenntnisschriften avancierte und auch in den Niederlanden verbreitet wurde. In bezug auf die Abendmahlslehre lehnt die Confessio Helvetica die lutherische Konsubstiationslehre ebenfalls ab (vgl. Hans Ulrich Bächtold, Confessio Helvetica, in: RGG 2, S. 446).
288,22 Schulfüchserei] Pedanterie, Gelehrsamkeit, die zu nichts führt (vgl. DWb 15, Sp. 1946). 289,1 Landläufer] Landstreicher (vgl. Adelung 2, S. 1889; DWb 12, Sp. 122). 289,2 Kriegsgeissel] Als Schimpfwort bei Frisch, Adelung, im DWb nicht zu ermitteln.
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289,7 Philister] Während Arnims Engagement in der deutschen Tischgesellschaft und in der Zeit der »Befreiungskriege« sowie für die Romantik allgemein stets pejorativ verwendeter Ausdruck als Bez. der Mitglieder des sich etablierenden Bürgertums, das sich aufgrund der charakteristischen Sicherheits- und Konsolidierungsbestrebungen in Opposition zum Künstler- und Intellektuellendasein befand. 289,12 hundert Thaler] Der Taler war die wichtigste deutsche Silbermünze ab Ende des 15. Jhs. bis ins späte 19. Jh. Ab 1750 betrug der Wert eines Reichstalers 24 (gute) Groschen. Auch in der Q wird dieser Betrag vom Sohn gefordert (vgl. Q 1.1, S. 843,11), ebenso auch in dem als Scherz überschriebenen Teil der Tischrede, in der Der Professor N.N. in Gießen 〈...〉 seinen ungehorsamen Sohn nicht köpfen läßt, vgl. Q 1.2, S. 847,83 sowie den Überblickskommentar, S. 848–850. 289,25–33 in dieser kriegerischen 〈...〉 Bauern.] Die Beweggründe des Sohnes, erneut Geld vom Vater zu erbitten, jedoch nicht für sich, sondern für die »große Sache« des Krieges, ist von Arnim hinzugefügt worden. Friedeborn erwähnt nicht, für welche Zwecke der Sohn das Geld benötigt. 289,32–33 Hafenplatz ihm zu eröffnen] Zu den historischen Begebenheiten vgl. Erl. zu S. 282,6. 289,35 Wiedertäufer] Diffamierende Bez. einer niederländischen religiösen Gruppe, welche die Kindertaufe sowie jede kirchliche und staatliche Ordnung ablehnte. Die Wiedertäufer glauben an persönliche Offenbarung und prophetische Berufung sowie an die Heiligung des Menschen durch Wiedertaufe. Vgl. ergänzend zu der Wiedertäufer-Thematik, die Arnim auch in einem Fragment gebliebenen Drama bearbeitet, Simmgen 1992 sowie die folgende Erl. 289,36 Johann von Leiden] Eigtl. Johann Bockelson, der als »König von Zion« 1534 in Münster das »Neue Jerusalem« der Wiedertäufer begründete (Gütergemeinschaft und Polygamie). Die Wiedertäufer konnten sich 1534/1535 in Münster durchsetzen, bis sie 1535 von Reichstruppen aus der Stadt vertrieben wurden. Der ehemalige Priester Menno Simons trug ab 1536 dazu bei, daß sich das niederländische Täufertum bis in den Ostseeraum weiter verbreitete. Mit deren Geschichte setzt sich Arnim nicht nur in seinem Dramenfragment Die Wiedertäufer auseinander; erwähnt wird Johann von Leiden u. a. auch in Holländische Liebhabereien sowie im Konzept zu den Kronenwächtern II. 289,37 Gleisner] Heuchler (DWb 7, Sp. 8309). 289,37 Knicker] Geizhals (Adelung 2, S. 1661; DWb 11, Sp. 1419). 289,38 rothen Hahn] Arnim übernimmt diesen Ausdruck aus Friedeborns Chronik (vgl. Q 1.1, S. 843,12). Bei Friedeborn droht der Sohn mit Brand-
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Erläuterungen
stiftung in einem Absage Brieff an den Vater, während bei Arnim Vater Appelmann den nebulösen Argumenten Remels unterliegt und dessen Vision mehr als dem eigenen Sohn glaubt. Zur Verwendung des Ausdrucks »roter Hahn« vgl. auch Arnims Drama Die Wiedertäufer sowie das von Arnim bearbeitete Wh–Gedicht Das Feuerbesprechen (Wh I 21, V. 10; 13). 290,1 Heimchensucherei] Aufstöbern von Kleinigkeiten, Kleinigkeitskrämerei (vgl. DWb 10, Sp. 869). 290,7 Schandrachen] Grobes Schimpfwort, Schandmaul (vgl. DWb 14, Sp. 2156). 290,8 Kriegsgurgeln] 〈M〉it Verachtung verbundene Benennung eines wilden, ungesitteten und ruchlosen Kriegers (Adelung 2, S. 1788). Schimpfwort für die Kriegsknechte des 16./17. Jhs. (vgl. DWb 11, Sp. 2274). 290,9–10 wie Christus 〈...〉 gekrönt.] Vgl. Mt 27, 29; Mk 15, 17; Jh 19, 2. 290,12 Brenngläser] Alte Bez. für Lupe. 290,16–17 viel lieber stecke 〈...〉 Rad.] Zum Rädern vgl. Erl. zu S. 184,11 zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel. 290,29 Der Apfel 〈...〉 Stamme,] Sprichwort (vgl. Wander 1, Sp. 106, Nr. 14), das im zweiten Teil des mit Scherz überschriebenen Textes der Tischrede verwendet wird, vgl. Q 1.2, S. 847,90 sowie den Überblickskommentar, S. 848–850. 291,6–7 Abraham, als 〈...〉 forderte.] Vgl. 1. Mo 22, 2. 291,11 Beichtkind] Im frühen Luthertum wurde die Einzelbeichte noch praktiziert und war bis zum letzten Drittel des 18. Jhs. geläufig (vgl. Martin Ohst, Beichte, in: RGG 1, Sp. 1220–1222, hier Sp. 1222). Das Verraten eines Beichtgeheimnisses ist im ev. Kirchenrecht erlaubt, wenn dadurch ein Kapitalverbrechen verhindert werden kann, wobei die Identität des Beichtenden möglichst nicht aufgedeckt werden sollte (vgl. ebd., Sp. 1226). 291,21–22 ich wünschte 〈...〉 zur Kühlung.] Im Volksglauben wurde der Scharfrichter auch als Arzt mit magischen Kräften angesehen, was sich in dieser Berufsgruppe als einträglicher Nebenverdienst nutzen ließ. Das Ansehen der Scharfrichter als Heilkünstler, die sympathetische Zaubermittel verwendeten, korrespondierte mit der allgemeinen Furcht vor deren Amt (vgl. Angstmann 1928, S. 90). 291,33 Meister] Als Amtstitel für den Scharfrichter gebräuchlich (vgl. Danckert 1963, S. 31). 292,4–5 Gott gab 〈...〉 geschehen.] Vgl. Lk 22, 42 bzw. das Vaterunser, Mt 6, 9–13. 292,11 Calis] Kaliß (inzwischen Neu Kaliß), Dorf in Mecklenburg. 292,14 mit dem Schwerdt begnadigt] Redewendung, vmtl. in Anlehnung an die Memoiren des Scharfrichters Meister Frantz, in denen häufig der Aus-
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druck »aus Gnaden mit den Schwerdt gericht« verwendet wird (Schmidt 1801, passim, z. B. S. 122, Nr. 287, 289–290). Das Geköpftwerden mit dem Schwert galt als ehrenvollerer Tod und gnädigere Strafe als z. B. Rädern oder Hängen. Vgl. zu Meister Frantz ergänzend Erl. zu S. 292,20–21. 292,15–17 vierhundert neun und neunzig 〈...〉 Menschen,] Diese Art des »Ehrlichwerdens« (d. h. der Reintegration in die »ehrenhafte« Gesellschaft) konnte historisch nicht nachgewiesen werden (zu den Möglichkeiten einer sozialen Rehabilitierung des unehrlich Gewordenen vgl. HdA 2, Sp. 1122; Angstmann 1928, S. 82; Danckert 1963, S. 49). – Die Zahl 500 bezeichnet in der Zahlenallegorese die Vergebung der Sünden (vgl. Meyer/Suntrup 1987, Sp. 838), vgl. ergänzend die folgende Erl. 292,20–21 daß ich es schon gelesen habe.] Arnim macht Jacob und Wilhelm Grimm in seinem Brief vom 3. September 1810 auf die bekanten An-
nalen des Nürnberger Schinders, der fünfhundert Menschen hingerichtet, als eine viel lieblichere Dichtung im Gegensatz zu Dante aufmerksam (SPK Nachlaß Grimm 642/I; vgl. Jacobs/Rölleke Kommentar 1980, S. 224–226). Arnim bezieht sich mit diesem Hinweis auf das Buch Meister Frantzen Nach-
richter allhier in Nürnberg, all sein Richten am Leben, so wohl seine Leibs Straffen, so Er ver Richt, das 1801 von Johann Martin Friedrich von Endter herausgegeben wurde. Das Buch läßt sich in Clemens Brentanos Bibliothek nachweisen, Arnim selbst besaß es nicht (Brentano-Bibl. I, S. 66, Nr. 816). In seinen Memoiren beschreibt der Scharfrichter Meister Frantz am Ende, daß er sein Amt abgelegt habe und wieder ehrlich geworden sei, wobei er – entgegen Arnims Angabe im Brief an die Brüder Grimm – weniger als 500 Hinrichtungen vollzogen hat: Summa Summarum aller derer So vom Leben zum
Thodt, seyndt durch Frantz Schmidt hiesigen Nürnbergischen Scharff richter, hingerichtet worden 361 Persohnen. Ferner so am Leib gestrafft und mit Ruden auß streichen, Ohren abschneiden und Finger abschlagen worden 345 Persohnen. Darmit hat er seinen dienst auff geben, und wider redlich gemacht worden (Schmidt 1801, S. 184). Vmtl. änderte Arnim die in diesem Buch angegebene Anzahl der Hinrichtungen, um die Symbolik der Zahl 500 als Zeichen der Vergebung der Sünden mit einzubeziehen, vgl. Erl. zu S. 292,15–17. 292,21–23 Ist euch nicht bange 〈...〉 treffen.] Das Fehlrichten konnte für den Scharfrichter verhängnisvolle Folgen haben. Es existieren historische Belege dafür, daß die Zuschauer über eine mißglückte Hinrichtung so erzürnt waren, daß sie über den Scharfrichter herfielen (vgl. Danckert 1963, S. 30 sowie Wolfgang Scheffknecht, Scharfrichter. Eine Randgruppe im frühneuzeitlichen Vorarlberg. Konstanz 1995, S. 37). Döpler fordert in seinem Theatrum Poenarum
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Erläuterungen
für solche Fälle die Bestrafung des Henkers (vgl. Döpler 1693, S. 592). In den von Arnim als Vorlage verwendeten Memoiren des Scharfrichters Meister Frantz (vgl. Erl. zu S. 292,20–21) wird von einer Situation berichtet, in der die Hinrichtung zunächst mißlang, die Arnim aber offensichtlich in seiner begeisterten Beschreibung des Buches übersah (Schmidt 1801, S. 64, Nr. 168; vgl. Jacobs/Rölleke Kommentar 1980, S. 226; zu dieser Thematik und ihrer Verarbeitung in Sagen und Balladen vgl. auch Angstmann 1928, S. 108–109). 292,32–33 mein Sohn 〈...〉 übertrage.] Vmtl. in Anlehnung an die Memoiren des Scharfrichters Meister Frantz konzipiert (vgl. Erl. zu S. 292,20–21), der das Amt von seinem Vater übernahm (vgl. Schmidt 1801, S. 5, Nr. 14; vgl. Jacobs/ Rölleke Kommentar 1980, S. 226). 292,33 Hochamt] Eigtl. Ausdruck zur Bez. der Messe vor dem Hochaltar, als Fachjargon der Scharfrichter nicht zu ermitteln (vgl. DWb 10, Sp. 1605; Adelung 3, S. 185).
293,19–21 So ists beschlossen, 〈...〉 Namen,] Die Szene erinnert an die Verheißung Jesu, in der vom Weltende als Anfang der Wehen gesprochen wird, Mk 13, 12. Vgl. die Szene in Marino Caboga, in der über Cabogas Hinrichtung verhandelt wird: Herzog. Tod über ihn ist euer Wille, doch heimlich sei sein Tod, daß niemand von den Seinen sei dadurch beschimpft. 〈...〉 Vollbringen werde ich des Rathes Willen (Arnim 1826, S. 445). 293,28 ausgetreten] flüchtig geworden (vgl. Adelung 1, S. 664; DWb 1, Sp. 1004). 294,27 da wirds unehrlich.] Im Aberglauben wird alles, was der Scharfrichter berührt – wie er selbst –, unehrlich (d. h. aus der ständischen Gesellschaft ausgeschlossen, unehrenhaft). Historische Belege und deren vielfältige Gestaltung in Sagenstoffen zeigen, daß ein geselliger Umgang mit dem Scharfrichter dazu führen konnte, selbst den Bürgerstatus zu verlieren (vgl. Angstmann 1928, S. 80–83; Danckert 1963, S. 40). Dennoch gab es soziale Kontakte zwischen dem Scharfrichter und den Bürgern durch andere ökonomische Beziehungen, wie etwa das Verordnen von Heilmitteln (vgl. Jacobs/Rölleke Kommentar 1980, S. 209). 294,31–32 ehrlich, daß 〈...〉 fordern.] Scharfrichter heirateten üblicherweise nur unter ihresgleichen. Ferner bestand die in Balladen häufig thematisierte Möglichkeit der Losbittung eines zum Tode verurteilten Mädchens, wenn dieses einwilligte, den Scharfrichter zu heiraten (vgl. Angstmann 1928, S. 84–87). 294,33 Schelm] Durchtriebener Kerl, Lügner. In der älteren Bedeutung auch Schinder, Abdecker und Scharfrichter (von mhd. »schalme«, d. h. Leiche, Aas; vgl. Adelung 3, S. 1410; DWb 14, Sp. 2507–2508).
869
Zu: Die Appelmänner
295,11 in seinem Garten] Arnim selbst war ein begeisterter Gärtner, der sich z. B. während seiner Zeit in Königsberg (1807) einen eigenen Garten anlegt und ihn selbst bewirtschaftet. Arnims Freude am Gärtnern hielt zeitlebens an. – In einem Brief an Clemens Brentano vom 17. Juni 1807 (Heidelberg 2110, 6, Briefnr. 75) beschreibt er seine Königsberger »allegorische Gartenkunst« und verweist dabei indirekt auf seine Liebe zu Auguste von Schwinck. Die Verwendung biographischer Details in seinem literarischen Werk ist für Arnim durchaus typisch. Reminiszenzen an Auguste finden sich selbst noch in den Kronenwächtern I (vgl. Nitschke 2004, S. 260). In den Appelmännern werden die angepflanzten Blumen in dem von Theobald gesungenen Lied Heimlich und versteckt dem Kriege ähnlich allegorisch verstanden, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 308,26–310,10. – Das in der Romantik gängige Garten- und Landschaftsmotiv wird in anderen Werken Arnims ebenfalls verwendet, so z. B. in der Tragikomödie vom Hylas, die er in die Gräfin Dolores (vgl. Arnim 1810 II, u. a. S. 320) integrierte, in den Kronenwächtern I (vgl. Arnim 1817, S. 48–49), in den Gleichen (vgl. Arnim 1819, S. 20) oder im Falschen Waldemar (vgl. SW 9, S. 119). 295,15–16 Schüler, die 〈...〉 fordern.] Als Gymnasialschüler erhielt Arnim selbst eine seiner dreimal im Jahr fälligen Schülercharakteristiken jeweils im November, vgl. WAA 1, S. 373–379. 295,31 Muhme] Nahe Verwandte (DWb 12, Sp. 2644), aber auch Kinderwärterin (vgl. Adelung 3, S. 304). 296,13 Geisterseherei] Vgl. Jutta in Der Auerhahn, die in ähnlicher Weise überall lebendge Wesen sieht, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 60,21–25. 296,15 kleinen grauen Mann] Grau ist die Farbe der Geister und Zwerge. Auch der Teufel trägt im Volksglauben gelegentlich einen grauen Rock und wird »graumann«, »graumännlein« genannt (vgl. Grimm 1835, S. 556). Das Erscheinen eines kleinen grauen Mannes ist ein schlechtes Vorzeichen und kündigt häufig den Tod an (vgl. HdA 3, Sp. 1123–1126). Vgl. auch eine Passage in Schillers Wallensteins Lager, V. 373–377, in der Gerüchte um Wallenstein thematisiert werden: Wachtmeister. 〈...〉 Ein graues Männlein pflegt bei
nächtlicher Frist / Durch verschlossene Türen zu ihm einzugehen, / Die Schildwachen habens oft angeschrien, / Und immer was Großes ist drauf geschehen, / Wenn je das graue Röcklein kam und erschien (NA 8, S. 24). 296,30 Bei den Blumen 〈...〉 ein,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 177. Es liegen keine weiteren Fassungen vor. 297,6 Der beste Vogel, 〈...〉 weiß,] Die Verse entsprechen z. T. der zweiten Strophe, V. 11–21 des Liedes Martinsgans im Wh I 226b, das aus zwei Liedern
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Erläuterungen
von Georg Forsters Frischen Teutschen Liedlein kontaminiert wurde (Ausgabe von 1540, Nr. 5 und 6; vgl. FBA IX, 1, S. 394). In Forsters Liedlein heißt es Nr. 6: Den besten Vogel den ich waiß dz ist ein gans. sie hat zwen
preyte füß, / dar zu ein lange halß / Jr füß sein gel jr stim ist hell sie ist nit schnell. das best gesang das sie kan da da da da dz ist gick gack gick gack gick gack da da da da das ist gick gack gick gack gick gack singen wir zu sant Mertens tag (Forster 1903, S. 85). – Arnim kannte nicht nur die Martinslieder aus Georg Forsters Liedersammlung, sondern vmtl. auch die in seiner Bibliothek nachweisbare Verserzählung Wolfharts Spangenberg von Mansfeld mit dem Titel Ganß König (1607; Arnim-Bibl. B 965). Dort wird die Gans aufgrund ihrer Vorzüge anstelle des Adlers zum König der Vögel gewählt. Das Martinslied in den Appelmännern geht jedoch eindeutig auf die zuerst genannte Quelle zurück, auch wenn sich das Lob der Gans und der Refrain des Trinkliedes Martine, lieber Herre mein in leicht abgewandelter Form auch in Ganß König finden (vgl. ebd., S. 1 des Kapitels Begängnuß vnd Requiem). – In seinen Anmerkungen zur Schaubühne führt Arnim an, daß das Martinslied nicht ihm, sondern der ältern deutschen Zeit gehört (in der vorliegenden Ausgabe S. 335,22). Vgl. auch die Erl. zu S. 328,14 und S. 332,32. 297,16 Martine, lieber 〈...〉 mein,] Arnim verwendet hier Teile des Liedes Nr. 5 aus Georg Forsters Frischen Teutschen Liedlein (1540), kehrt jedoch die Reihenfolge der beiden Strophen um. Bei Forster lautet das Lied: Nun zu
disen zeyten / sollen wir alle fröhlich sein / Gens vögel bereyten / darzu trincken ein guten wein / Singen vnd hofiren / In sant Mertes ehr. / Cum Jubilo omnes clamate / Cum Ju iu / Ju iu iu iu iu iu / Jubilo vt sit deum rogans bratne gans rogans rogans. // Secunda pars. / Martine lieber herre mein / nun schenck vns gar dapffer ein / Ja heut in deinen ehren / wöllen wir alle fröhlich sein / O Martine (Forster 1903, S. 85). – Vgl. zu den Versen »Martine, lieber Herre, mein« auch Lied Nr. 40 bei Forster (1540): Martine lieber Herre mein / schenck guten wein / vns dapffer ein / darbey wir mögen fröhlich sein (Forster 1903, S. 95). 297,21–23 Cum jubilo 〈...〉 gens, Gänsebraten.] Übersetzung: Wenn ich jubiliere, ruft alle laut, daß die Bratgans (oder der Heilige Martin) Gott bitte, Bratgans, bittendes Volk. Die Verszeilen zielen wohl v. a. auf das paronomastische Wortspiel »rogans« (vmtl. im Sinne von »roher Gans«) – »Bratgans« (aus der Vorlage übernommen) bzw. »gens – Gänsebraten« ab (von Arnim hinzugefügt; vgl. Yvonne Pietsch, »Wie soll ich mich gebährden, was soll ich sprechen?« Die sprachlichen Gestaltungsprinzipien Arnims im Drama am Beispiel der Schaubühne, in: Performanz der Romantik. Heidelberger Kolloquium der Inter-
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Zu: Die Appelmänner
nationalen Arnim-Gesellschaft, hg. v. Walter Pape. Tübingen 2005, S. 135–146, hier S. 137). 298,4 Das Herz 〈...〉 Stelle,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 224. Das Lied wird mehrfach unterbrochen durch den Replikenwechsel der Zuhörer, besteht jedoch aus vier Strophen zu je 18 Z., wobei die letzte fragmentarisch bleibt. Es erinnert thematisch an das Gedicht Kriegsregeln (Werke 5, S. 363–366; vgl. ebd. Kommentar, S. 1495). 299,1–4 da ists bei euch ganz anders 〈...〉 ersoffen.] Vmtl. Anspielung auf die berühmte Belagerung der Stadt Leiden 1574, die lange Zeit unentschieden blieb. Wilhelm von Oranien errang schließlich durch Überschwemmung der Umgebung der Stadt den Sieg über die Spanier, die sich daraufhin aus Südholland auf ihre Stützpunkte in Haarlem, Amsterdam und Utrecht zurückzogen (vgl. Israel 1998, S. 113). Arnim konnte dieses historische Detail z. B. aus Johann Ludwig Gottfrids Historischer Chronica entnehmen: Solchem nach haben
sie 〈die Spanier〉 sich an die Stadt Leyden in Holland gemacht / und dieselbe belägert. Die Inwohner haben sich eines solchen nicht versehen / und dahero weder mit Soldaten / noch mit genugsamen Proviant sich versorget / gleichwol aber die Belägerung in 7. Monat lang mannlich außgehalten. Da es nun endlich an dem war / daß sie durch Hungersnoth zur Ubergab gezwungen worden / wurden sie wunderlich entsetzet / indem sie mit Durchstechung der Teich / darzu ihnen der Wind und das Meer damals behülfflich waren / das Land umbher unter Wasser setzten / und also Proviant hinein brachten. Worauff die Spanier von der Belägerung / welche sie manchen Mann gekostet / wieder fortwandern musten (Gottfrid 1710, S. 925 ). 299,5 Wir ließen 〈...〉 walten] Vgl. Erl. zu S. 298,4. Anklang an das Kirchenlied Wer nur den lieben Gott lässt walten (1657) von Georg Neua-b
mark (vgl. Werke 5 Kommentar, S. 1495).
299,8
fest]
Im Aberglauben auch unter der Bedeutung »schuß- und hiebfest
durch Magie« (Werke 5 Kommentar, S. 1495).
299,26–27
möcht auch 〈...〉 sehen,] Die Passage erinnert an eine Äußerung Die Vertreibung der Spanier aus Wesel: Dierecke will
der Figur Dierecke in
als Historiker auch einmal bei einem Kampf aktiv dabei sein, in der vorliegenden Ausgabe S. 184,31–33. 299,30 Erzählen und 〈...〉 lügen] Vgl. Erl. zu S. 298,4. 300,14 Die Lüge 〈...〉 schwächen,] Vgl. Erl. zu S. 298,4. 300,35 Glück auf,] Ursprgl. Wunsch für den Bergmann, hier vmtl. verkürzt für »Glück auf den Weg« (vgl. Wander 1, Sp. 1773, Nr. 1004–1005).
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Erläuterungen
301,25–26 wie er die erste 〈...〉 sammelte,] Vgl. Erl. zu S. 282,6. 301,36 Kommt zum 〈...〉 Bauern,] Bei Ricklefs 1980 nicht zu ermitteln. Ein ähnlicher Hymnus auf kriegerische Heldentaten findet sich in Arnims fragmentarischem Drama Alba und die Fürstin von Rudolstadt, wo Musiker lobend besingen, was die Fürstin für ihre Untertanen, besonders für die von ihren Eltern zurückgelassenen Kinder, getan hat (vgl. Als die Feinde kamen dräuend 〈...〉; Ricklefs 1980, Nr. 70). Für die im Gedicht geschilderten Ereignisse konnte keine Quelle ermittelt werden. Der historische Brederode ließ 1566 sein Schloß Vianen gegen Albas Heer aufrüsten und lieh sich für diesen Zweck drei Kanonen von Wilhelm von Oranien (vgl. Parker 1979, S. 98). Brederode scheute keine Mittel, um den Widerstand gegen die Spanier zu finanzieren: So ließ er etwa das Familiensilber einschmelzen und daraus Münzen prägen (vgl. ebd., S. 106). Das lange, durch Zwischenrufe unterbrochene, agitatorische Kriegslied, das von den Zuhörern im Wirtshaus und besonders vom Wirt begeistert aufgenommen wird, ist vor dem Hintergrund der Zeitumstände von 1813 wohl als indirekter Aufruf zur Mobilmachung gegen die Franzosen zu verstehen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg entfällt deshalb, wie auch in anderen Kriegsliedern Arnims, die er 1806 an die nach Auerstedt ziehenden Soldaten verteilte. In Aufsätzen und Rezensionen dagegen nimmt Arnim eine kritischere Position ein, indem er v. a. die Regierung und deren Militärpolitik verurteilt. 303,19 Feurio] Warnungsruf bei Feuer (vgl. DWb 3, Sp. 1594). 303,19 Mordio] Ruf, mit dem ein geschehener Mord an die Öffentlichkeit gebracht wird (vgl. DWb 12, Sp. 2547). 303,21 Sodebrennen] Eigtl. »Sodbrennen«, vmtl. wegen des Versmaßes um einen Vokal erweitert. (Bei Adelung findet sich der Ausdruck »mit dem Sode geplagt seyn«, Adelung 4, S. 123). 304,7–10 Wer die Rache 〈...〉 blicken.] Im historischen Kontext des niederländisch-spanischen Krieges sind die religiöse Legitimierung und Idealisierung des Krieges verständlich. Für die um 1806 konzipierten Kriegslieder Arnims und andere Schriften der Zeit von 1806–1813/1815 läßt sich die Verbindung zwischen militärischer Welt und religiöser Idee in pathetischem Sprachduktus ebenfalls feststellen, so etwa in dem im Brief an Clemens Brentano formulierten programmatischen Satz: Wer aber des Vaterlandes Noth vergisst, den wird Gott vergessen (Brief vom 8. September 1806, Hs UB Heidelberg; vgl. auch Portmann-Tinguely 1989, S. 204–205). Dieser Ausspruch korrespondiert mit einer Replik des Vivigenius, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 288,6–8: Mit
Gott, für Freiheit – und wenn ich je den Spruch vergesse, so soll mich Gott am Auferstehungstage auch vergessen. 873
Zu: Die Appelmänner
Muskete] Soldatenflinte, die waffe war durch romanische krieger im heere Albas zunächst in den Niederlanden bekannt geworden, der name daher zufrühest hier (DWb 6, Sp. 2747; vgl. auch Adelung 3, S. 326). 304,33–34 ihr wißt, 〈...〉 steht.] Zeichen der Anerkennung, im Sinne von »ihr 304,17
seid bibelfest«. 304,35–305,2 Die Bibel weiß 〈...〉 Thun.] Theobalds Ablehnung des Biblizismus entspricht der Auffassung der lutherischen und reformierten Glaubenslehre des frühen 18. Jhs. Vmtl. wird auch auf die Völkerrechtslehre des niederländischen Theologen Hugo Grotius angespielt, der ein allgemeines Völkerrecht als Naturrecht vor und über alle Offenbarung stellte. Nach Grotius wird die Bibel nicht mehr als Begründungsinstanz des Völker- und Naturrechts anerkannt. 304,36–305,1 durch Erziehung 〈...〉 Gottesnähe,] Im N.T. wird durch das Doppelgebot der Liebe die enge Zusammengehörigkeit zwischen Nächstenliebe und Liebe zu Gott betont. Paulus sieht in der Liebe keine ethische Haltung, die auf einer strikten Befolgung von Gesetzen beruht, sondern ein Leben im Geist, vgl. Röm 13, 8–10 (vgl. Morgen 2002, Sp. 352). 305,6–8 ich glaub 〈...〉 Willens,] Einerseits kann hier die pietistische Abkehr von der durch die Orthodoxie forcierten objektiven Heilsvermittlung, die von außen auf den Menschen in Wort und Sakrament wirkt, gemeint sein. Andererseits ist die Gleichsetzung von »mein Geist« und »heiliger Geist« zu radikal und im pietistischen Sinne blasphemisch. Die hohe Bewertung des eigenen Willens als heilig steht der philosophisch-urteilstheoretischen Auffassung, der menschliche Wille sei der Grund für die Schwäche menschlichen Urteilens (u. a. Descartes) diametral entgegen. 305,17 Candidat] 〈J〉eder welcher sich um ein Amt bewirbt; besonders derjenige, welcher auf Beförderung zu einem Predigtamte wartet (Adelung 1, S. 1298; vgl. DWb 2, Sp. 604). Theobald wird zuvor auch als Adjunkt bezeichnet, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 298,30. Demnach arbeitet er als Amtsgehilfe seines Vaters. 305,25–26 Seelenverkäufer] Menschenhändler, im Niederdeutschen auch als Bez. für hintertriebene Kriegswerber verwendet (vgl. Adelung 4, S. 13; DWb 16, Sp. 36). 305,27 auf meine Worte hört 〈...〉 Werke.] Umkehrung der Rede Jesu an seine Jünger, Joh 14, 10–11. 306,20 Daus] ausgezeichneter mensch (DWb 2, Sp. 855), bei Adelung auch in der Verwendung niedlich, vortrefflich (Adelung 1, S. 1422). 306,23 Großvaterstuhl] Bequemer Stuhl mit Armlehne (vgl. Adelung 2, S. 819; DWb 9, Sp. 588).
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Erläuterungen
306,28–29 in unsrer Zeit 〈...〉 verwandelt.] Hans entwirft ein apokalyptisches Szenario, das an Das Kommen des Menschensohns erinnert (Mt 24, 30; Mk 13, 25; Lk 21, 25–26), das von bestimmten Zeichen begleitet wird. »Naturereignisse, Himmelserscheinungen, Not und Teuerung« sind Signale dafür, daß das Weltende nicht mehr fern ist (Krogoll 1979, S. 82; vgl. HdA 4, Sp. 866). Kalte Winter und Kometen werden in Friedeborns Chronik erwähnt, im Drama können sie aber auch v. a. als Anspielung auf Arnims Gegenwart gedeutet werden. 1811 war ein Komet mit einer Schweiflänge von 90 Mio. km zu sehen, der für Arnim und seine Zeitgenossen ein Indiz für die Krisenhaftigkeit der Zeit darstellte (vgl. Arnims Gedicht Komet 1811 (SW 23, S. 61)). 306,29–31 Die Kinder 〈...〉 zweie,] Als Anzeichen für den jüngsten Tag gilt im Aberglauben, daß die Menschen kleiner und schwächer geboren werden, jedoch früher anfangen zu sprechen (vgl. HdA 4, Sp. 870). Ferner wird das Geld wertlos (vgl. ebd., Sp. 873). Eine Beschreibung mit dem Titel Tewre vnd Wolfeile Zeit läßt sich bei Friedeborn ebenfalls feststellen, betrifft jedoch das Jahr 1587 (vgl. StCh II, S. 131–132). 307,16 du sollst 〈...〉 seyn,] Die Stelle erinnert an eine Szene in Jann’s erster Dienst. Jann beginnt sein Dienstverhältnis bei Emmerich mit den Worten: Ich schlag ein. Herr, ich hoffe, daß ich mit euch zufrieden seyn werde (in der vorliegenden Ausgabe S. 12,13–14). Sowohl Brummer als auch Jann erweisen sich im folgenden als unzuverlässig, entsprechend ihrer Konzeption als lustige Figur. 307,19–20 Werd alt wie eine Kuh, 〈...〉 zu.] Vgl. das ähnlich lautende Sprichwort »Je älda de Ku ˆ , desto meˆ le´at se dazuˆ« (Wander 2, Sp. 1674, Nr. 218). Der Reim wird auch in Arnims Drama Die Capitulation von Oggersheim verwendet: Ja, ja, man wird so alt wie eine Kuh und lernt alle Tage was zu (SW 6, S. 316). 308,8–9 Der Krieg ist wie der Ehestand, 〈...〉 hofft.] Franz Kafka äußerte sich zu dieser Stelle in einem Brief an Josef Körner vmtl. am 16. Dezember 1917, nachdem er dessen Aufsatz Achim von Arnim und der Krieg gelesen hatte, der im Beiblatt zum Berliner Tageblatt Der Zeitgeist vom 18. Januar 1915 (Nr. 3) erschienen und ihm von Körner zugeschickt worden war: »Es ist doch etwas Phantastisches von Drückebergerei und Kriegslust, er 〈Arnim〉 steht förmlich die ganzen Jahre in vollständiger Ausrüstung hinter der Tür und bleibt dort. 〈...〉 Es ist eben der Grundkampf, das Leiden daran, daß es nicht zweierlei Wahrheit gibt, sondern höchstens dreierlei: es ist notwendig sich aufzuopfern. Darüber ist auch Arnim nicht weggekommen und seine Meinung über sich wird im Lauf der Zeit nicht besser geworden sein. Den Vergleich mit dem Ehestand hätte ich, allerdings erst auf Grund seines Einfalls, anders geschrieben:
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Zu: Die Appelmänner
›Der Krieg ist wie der Ehestand, traurig, aber anders, als der Junggeselle fürchtet.‹« (Kafka 1975, S. 227. Ergänzend zu Kafkas Briefen an Josef Körner über Arnim vgl. Härtl 2000, S. 321–346 sowie Neues von und über Arnim. Eine Wiepersdorfer Kabinett-Ausstellung. Zusammengestellt von Christian Deuling, Bettina Zschiedrich unter der Leitung v. Heinz Härtl. Weimar 2002, S. 36). 308,20–21 hab hier den Garten 〈...〉 zusammen.] Vgl. Erl. zu S. 295,11. 308,23–24 Doppelbier] Starkbier, das zweimal gekocht wird (vgl. Adelung 1, S. 1519; DWb 2, Sp. 1261). 308,26 Heimlich und 〈...〉 Kriege] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 731. Arnim schreibt die erste Fassung des Gedichts im Rahmen eines kleinen dreiteiligen Zyklus mit dem Titel Abschied (I). An das Mädchen zur Erklärung einer Blume, in dem er Auguste von Schwinck, die er in Königsberg vergeblich umwarb, Lebewohl sagt. 1807 will sich Arnim im Freikorps in Pommern an einem Volksaufstand beteiligen, was jedoch nicht realisiert wird. Das Gedicht wurde für
Die Appelmänner erweitert und verändert. Thematisch ist es mit Gefunden und Im Vorübergehen verwandt, in denen die Allegorie für die Geliebte fungiert. Goethes Gedicht Gefunden ist
Goethes Gedichten Blume als
auf den 26. August 1813 datiert und an Christiane anläßlich der »informellen Silberhochzeit« geschickt worden (vgl. Goethe Werke 2 Kommentar, S. 930). Zur Entstehung des Gedichts
Im Vorübergehen
ist nichts bekannt (vgl. ebd.,
S. 1064).
308,30–33 In den Kelchen 〈...〉 zanken.] Die hier verwendete Bildmotivik erinnert an die naturmystischen Gemälde Philipp Otto Runges, z. B. an den oberen Teil des Bildes Der große Morgen (1809), vgl. den Abdruck des Bildes u. a. bei Wolf Stubbe, Philipp Otto Runge. Bild und Symbol. Zürich, München 1977. 309,14–15 der Teufel 〈...〉 auch.] Vmtl. Christian Reuters Schelmuffsky nachempfunden, wo dieser Fluch, dialektal umgeformt als »der Tebelhohlmer«, ständig wiederholt wird (vgl. Reuter 1750, passim). Arnim verwendet die Phrase auch in Briefen an Clemens Brentano sowie in der Erzählung Die drey Erznarren im Wintergarten, für die Reuters satirischer Reisebericht u. a. als Vorlage diente (vgl. Arnim 1809, S. 318–348). 311,5 Federposen] Federkiele (vgl. DWb 3, Sp. 1405). 311,10 Oraniens Farbe] Orange. 311,13 Marketenderin] Wirtin oder Lebensmittelverkäuferin bei den Soldaten (vgl. DWb 12, Sp. 1638). Vgl. das Wh–Lied II 28, Die Marketenderin, in dem sich ein Mädchen in einen Fähnrich verliebt und mit ihm in den Krieg zieht.
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Erläuterungen
311,27–29 O Heldenseele, 〈...〉 Lauf,] Die Opposition zwischen geniehaftem Wollen und gleichzeitigem Scheitern an der Realität begegnet auch bei der Figur des Cardenio in Halle und Jerusalem (vgl. Ehrlich 1970, S. 158). 311,27–28 wie Christus 〈...〉 wird] Vgl. Mt 26, 14–15; Mk 14, 11; Lk 22, 4–5. 312,14–15 Ich gehe 〈...〉 Wasser,] Bildhafte Sprache, die an den Durchzug des Volkes Israel durchs Schilfmeer erinnert, vgl. 2. Mo 14, 21–22 sowie an Mt 7, 13–14. 313,22 erzählen lassen 〈...〉 Bräuten,] Beispielhaft ist die zu Arnims Zeit vielfältig literarisch bearbeitete Geschichte der durch den tragischen Tod des Bräutigams verlassenen Braut, die sich in den Bergwerken von Falun zutrug (vgl. u. a. Hebel 1811, Unverhofftes Wiedersehen sowie später (1819) E.T.A. Hoffmann, Die Bergwerke von Falun). 313,28–33 ich habe oft der Seligkeit 〈...〉 angehören,] Die Entscheidung zwischen »der sinnlichen oder übersinnlich-höheren Liebe« wird auch in Arnims Drama Halle und Jerusalem vielfältig thematisiert. »Der nationale Auftrag« (Ehrlich 1970, S. 159) steht – ähnlich wie in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel – vor der Erfüllung der Liebe und führt im Fall der Appelmänner zunächst zur Bereitschaft, der Liebe zu entsagen. 313,29 Ahndungsfülle] Zum Gebrauch des Nomens »Ahndung« bzw. des Verbs »Ahnden« vgl. Erl. zu S. 29,17 zu Der Auerhahn. 314,32 der edle Nassau] Gemeint ist Wilhelm von Oranien, der bereits 1568 mit dem bewaffneten Widerstand gegen Philipp II. begonnen hatte. Kurz vor der Ankunft Albas war er auf sein Stammschloß nach Dillenburg geflohen und organisierte die Befreiungsbewegung im Exil. Finanzielle Mittel standen ihm durch den kleinen Staat Nassau-Dillenburg, dem in Deutschland gelegenen Familiensitz, sowie durch im Exil lebende Niederländer und lutherische sowie kryptolutherische Fürsten Deutschlands zur Verfügung. Oraniens Soldaten begannen zu Land von Nordwestdeutschland und auf dem Wasserweg von Emden gegen die Spanier vorzugehen und stellten eine ernstzunehmende Bedrohung für die spanische Regierung in den Niederlanden dar (vgl. Israel 1998, S. 113). Vgl. zur historischen Quelle, die Arnim vmtl. für diese Passage heranzog, Erl. zu S. 282,6. 314,36 deutschen Norden] Die Niederlande gehörten bis zum Westfälischen Frieden 1648 zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. 315,7 Mammon] Reichtum (vgl. DWb 12, Sp. 1519). 315,12 Diebslaterne] Blendlaterne (vgl. DWb 2, Sp. 1096). 316,3–4 ich glaub der That 〈...〉 Wort.] Vgl. ähnlich lautende Sprichwörter bei Wander (Wander 4, Sp. 1139, Nr. 50; Sp. 1142, Nr. 107–109).
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316,16–20 Gerecht ist euer Mißtraun, 〈...〉 dienen!] Hier wird explizit zwischen Kämpfen, »in denen es um nationale Einheit und Freiheit geht«, und »Angriffs- und Eroberungskriegen« unterschieden (Ehrlich 1970, S. 159), was vmtl. als Anspielung und Aufruf zur Beteiligung am (gerechten) »Befreiungskrieg« gegen Napoleon verstanden werden sollte. Ähnliche Rechtfertigungstendenzen, die sich auch auf die religiöse Unterdrückung beziehen, sind im Drama Die Vertreibung der Spanier aus Wesel zu beobachten (vgl. S. 172,3– 173,16 in der vorliegenden Ausgabe). 316,28–31 auch wollen 〈...〉 versteht] Bezug auf den niederländischen Freiheitskampf gegen die Spanier (1568–1648), der sich gegen König Philipps II. Tendenz richtete, die Niederlande politisch und religiös »hispanisieren« zu wollen. Vgl. zur Geschichte den Überblickskommentar, S. 851–853. 317,14 Greif im blutgen Felde,] »Stadtwappen von Stargard« (Kluckhohn Kommentar 1938a, S. 288). 317,27 sandgen Knochenthale] Neben dem Strafvollzug waren Scharfrichter auch als Abdecker tätig (vgl. Angstmann 1928, S. 76). 317,28–29 wir hielten euch 〈...〉 Zauberer,] Vgl. zu dieser abergläubischen Auffassung Döpler 1693, S. 597: Viele Scharffrichter sind auch heimliche Zauberer und Hexenmeister 〈...〉. Als Außenseiter der Gesellschaft und durch ihren ständigen Kontakt mit Hinzurichtenden wurden den Scharfrichtern oft außerordentliche Fähigkeiten zugeschrieben. Der Verkauf von »Zaubermitteln« stellte eine Aufbesserung ihres Lohnes dar (vgl. HdA 4, S. 50). Vgl. auch Erl. zu S. 282,13. 318,2–3 Kriegesknechte ausgesehen 〈...〉 würfelten.] Vgl. Mt 27, 35; Mk 15, 24; Lk 23, 34. 318,9 peinlichen Gerichte] Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532, die gegen die Rechtszersplitterung wirken sollte. Die Constitutio Criminalis Carolina fußt auf dem italienischen Strafrecht und birgt trotz ihrer allgemeinen Tendenz zur Verbesserung der Strafrechtspflege auch gefährliche Ansätze in sich, wie etwa die Einführung von schriftlichen, geheimen Verfahren oder die Verwendung von Folter (vgl. HRG 1, Sp. 592–594). 318,27–28 deine Leiche 〈...〉 bestatten,] In Friedeborns Chronik wird der hingerichtete Appelmann-Sohn vom Scharfrichter im Kirchthurn begraben (Q 1.1, S. 844,58). 318,33–34 Wo wär ich weniger 〈...〉 Vaterstadt,] Vgl. die ähnliche Reaktion Jesu beim Besuch seiner Heimatstadt Nazareth, Mt 13, 57; Jh 4, 44. 319,14–15 ihr wißt nicht, 〈...〉 thut,] Die Worte erinnern an Jesu Worte am Kreuz, vgl. Luk 23, 34.
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Erläuterungen
319,31–32 dir ist Gesetz 〈...〉 Freiheit,] Ein ähnlicher Konflikt zwischen (Kriegs)gesetz und Neigung läßt sich in Heinrich von Kleists Prinz Friedrich von Homburg erkennen (vgl. Kluckhohn Kommentar 1938a, S. 288). Vergleichbar mit der Figurenkonstellation Vater-Sohn Appelmann ist der Prinz von Homburg dem Kurfürst 〈w〉ert wie ein Sohn (Kleist Werke 2, S. 600, V. 830); da von Homburg jedoch gegen das Kriegsgesetz verstößt, läßt der Kurfürst ihn zum Tode verurteilen. Begriffe wie Gesetz und Freiheit begegnen in Kleists Drama an entscheidenden Stellen, vgl. Kottwitz’ Rede vor dem Kurfürsten, V. 1570–1608. Arnim hat Kleists Drama vmtl. nicht gekannt, als die Schaubühne veröffentlicht wurde, da es erst 1821 von Ludwig Tieck herausgegeben wurde und in diesem Jahr seine Uraufführung in Wien und Dresden erfuhr (vgl. Ehrlich 1970, S. 161). Daß sowohl Kleist als auch Arnim diese Thematik unabhängig voneinander aufgreifen, läßt vermuten, daß die zur Darstellung gelangende Konfliktsituation eine allgemeine Zeittendenz repräsentiert. 319,34–39 Mein Sohn, ich ahnde 〈...〉 Stimme.] In Friedeborns Chronik findet der Vater offensichtlich die richtigen Worte, da er den Sohn selbst mit
Hertzhafftigem Gemüht angeredet / zum sterben ermahnet / gesegnet vnd getröstet habe (Q 1.1, S. 844,47–48). 320,8–9 Balsam der 〈...〉 Welterlösers] Eines der Kernstücke der lutherischen Dogmatik ist die Versöhnungslehre, d. h. der Glaube an den stellvertretenden Sühnetod Jesu am Kreuz, wodurch die Sündenschuld der Menschen vor Gott getilgt wird. Bereits im 16. Jh. wurde dieses Dogma angegriffen und durch die von Fausto und Lelio Sozzini entwickelte Dogmenkritik widerlegt. Christian Demokrit reformulierte die im 18. Jh. unter aufgeklärten Theologen bereits verbreitete Kritik an der Versöhnungslehre noch einmal verschärft in seiner Vera demonstratio Evangelica (Arnim-Bibl. B 2181). Arnim mag hier auf die Herzstücke der christlichen Dogmatik sowie auf den Streit um die Versöhnungslehre anspielen, da er offensichtlich durch die in seiner Bibliothek vorhandenen Bücher über die theologischen Auseinandersetzungen informiert war. 320,18 die guten Geister 〈...〉 Herrn!] Vgl. Erl. zu S. 260,10 zu Der
wundertäthige Stein. 321,2 Stillen in dem Lande,]
Allgemeine Bez. für die Herausbildung von radikalpazifistischen, unpolitischen christlichen Gruppierungen, die sich nach Ps 35, 20 die »Stillen im Lande« nannten. Im 16. Jh. werden sowohl die Wiedertäufer (Mennoniten) als auch die huterischen Brüdergemeinden unter diesem Namen subsumiert. Die Bewegung der Wiedertäufer wurde nach der Eroberung des von ihnen gegründeten »Neuen Jerusalem« 1534 in Münster verfolgt. Ihre Anhänger flüchteten aus Tirol, Süddeutschland und der Schweiz nach Mähren (zum Hinweis auf Mähren in den Appelmännern vgl. in der vorliegenden
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Zu: Die Appelmänner
Ausgabe S. 327,33–34). Dort schlossen sie sich unter dem Prediger Menno Simons zu den Mennoniten-Gemeinden zusammen. Die huterischen Brüder standen ab 1533 unter dem Einfluß des Tirolers Jakob Huter. Zwischen 1564 und 1592 erlebte die christliche Gemeinschaft, die sich zu sogenannten huterischen Bruderhöfen formierte, ihre Blütezeit mit bis zu 70 000 Mitgliedern (vgl. Lexikon für Theologie und Kirche V, Sp. 347; ergänzend: Hans-Jürgen Goertz, Religiöse Bewegungen in der frühen Neuzeit. München 1993, S. 27). 321,8–10 Haupt, das 〈...〉 Stadt.] Schwerthiebe dieser Art werden auch in Sagen thematisiert und gelten als Beweis für das große Können des Scharfrichters, da der Kopf nicht vom Rumpf abgetrennt wird (vgl. Angstmann 1928, S. 107). 321,28–30 der jüngste Tag 〈...〉 Gräber,] In Mt 27, 51–53 wird von Erdbeben, die die Gräber öffnen und anderen Zeichen, die sich nach Christi Tod ereignen, berichtet, vgl. auch Mt 28, 2–3. Bei dieser Stelle könnte es sich auch um eine erneute Anspielung auf die Apokalypse handeln, vgl. Erl. zu S. 306,28–29 sowie Das Kommen des Menschensohns Mt 24, 31; Mk 13, 27. 322,7 chemische Küche?] In der Alchemie, die v. a. im MA. ihre Blütezeit hatte, ging es hauptsächlich um den Versuch, gewöhnliche Metalle in Gold oder Silber umzuwandeln (vgl. Adelung 1, S. 198) und um die Suche nach einem Mittel zur Unsterblichkeit. Die alchemistischen Absichten und Praktiken fußten z. T. auf metaphysischem Gedankengut und weniger auf wissenschaftlich nachweisbaren Erkenntnissen (so etwa z. T. die Lehre des Paracelsus; vgl. HdA 1, S. 247–248). – Alchemistische Versuche, die fatal enden, finden sich auch in anderen Geschichten der Romantik. Berühmtestes Beispiel ist hierbei wohl E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann, in welcher der Vater Nathanaels durch eine Explosion in seiner alchemistischen Küche getötet wird. 322,14–16 es stand der Vivigenius 〈...〉 Luft.] Die hier beschriebene Szenerie erinnert an die letzte Strophe des Wh–Lieds Pura (vgl. Erl. zu S. 282,12): Der Jüngling bey der Jungfrau stand, / Das Feuer löset ihr
Gewand, / Doch von dem Scheiterhaufen / Gen Himmel führt sie seine Hand, / Drauf Heiden lassen sich taufen (Wh I, 146, V. 71–75). 323,1–2 Von Liebe, 〈...〉 geviertheilt,] Das Gefühl der Zerrissen- und Unentschlossenheit beschreibt Arnim mit einem ähnlichen Bild in einem Brief an BvA vom Juli/August 1807 im Zusammenhang mit seinen eigenen Zweifeln, ob er sich am Krieg beteiligen solle oder nicht: Welch ein heißer Sommer, 〈...〉 es
gibt nur vier Elemente, vier Weltteile, um uns damit zu vierteilen, alles reift; nur der Mensch, nur ich stehe unschlüssig zwischen den Saaten und weiß nicht, ob ich zu ihnen gehöre, die da grün sind, die da gelb werden, oder die vom Feinde abgeschnitten nur trostlose Blumen übrig lassen (FDH 7236). 880
Erläuterungen
323,8 Schlossenschauer] Hagel, der schnell vorübergeht (vgl. DWb 15, Sp. 776). 323,8–14 Ich bin zu weich, 〈...〉 bestimmen.] Theobalds zögernde Haltung erinnert an Arnims eigenes Schwanken, aktiv am Kriegsgeschehen teilzunehmen oder nicht. Beschämt über das träge Leben, das er führt, entschließt sich Arnim 1805, Soldat zu werden. Der nach der Schlacht von Austerlitz eintretende Waffenstillstand hindert ihn an seinem Vorhaben. Für den Krieg 1806/1807 engagiert er sich mit ideellen Projekten wie etwa der Verteilung seiner Kriegslieder. In seinen Briefen versucht er sich häufig für seine Entscheidung gegen eine Beteiligung am Krieg zu rechtfertigen, wie etwa in seinem Brief an BvA vom 12. März 1809 anläßlich des österreichisch-französischen Krieges: Statt des Bu-
ches hätte ich das Schwerdt nehmen sollen, jetzt ist es doch eigentlich zu spät, die Gewohnheit hat mich mit Millionen unsichtbarer Fäden so fest angezogen, daß ich mich nicht mit völliger Freiheit je davon trennen könnte; mitten in einer Schlacht würde ich bedauern, daß sie nicht vorbei und daß ich sie nicht dargestellt lesen oder sehen könnte (FDH 7293). Im Wintergarten läßt sich eine ähnliche Stelle nachweisen, als Ariel berichtet: Ich stamme aus rühmlichem und reichen Geschlechte; meine erste Neigung würde mich zum Soldaten gemacht haben, doch das läppische Wesen, das durch lange Friedenszeit in diesen Stand gekommen, machte ihn mir verächtlich; ich wählte das Buch statt des Schwertes. 〈...〉 Der Krieg brach ein, 〈...〉. Ich hätte gern mitgefochten, aber ich konnte das Schwerdt nicht führen; tausend Gewohnheiten hielten mich gefangen, die eben darum sich hielten, weil sie nicht leer, sondern in würdigen Zwecken erworben; doch fühlte ich, wenn ich auch meinen Sinn und meine Bemühung achten muste, daß ich etwas Verkehrtes getrieben, was in der verderblichen Zeit nicht paßte, ich trauerte tief und hoffte dann wieder abwechselnd mit aller Thorheit (Arnim 1809, S. 349–350). 324,10 Was du gewollt, 〈...〉 werden,] Ähnliche Worte finden sich in Jesu Gebet im Garten Gethsemane (vgl. Mt 26, 39; Mk 14, 36; Lk 22, 42;). 324,30 Licht der Welt] Vgl. die biblische Metapher für Jesus, Mt 5, 14. 325,3 Adepten] Jemand, der in eine geheime Lehre eingeweiht ist. Wundermittel gelangen in der Märchenliteratur meist in die Hände eines Menschen, wenn dieser einen Geist, bei dem es sich um den Teufel handelt, aus einem Glas befreit (vgl. Karl Otto Brogsitter, Artustradition, in: EdM 1, Sp. 828–849, hier Sp. 849). 325,4–6 Öhl, der 〈...〉 geheilt,] Die Wiedererweckung des Hingerichteten erinnert an die Auferstehung Jesu. Die Auferstehung von den Toten bzw. wun-
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Zu: Die Appelmänner
derbare Heilungen sind auch gängige Märchen- und Sagenmotive (vgl. z. B. KHM 1812, Nr. 74, Von Johannes-Wassersprung und Caspar-Wassersprung, S. 343–350; KHM 1815, Nr. 11, Das Wasser des Lebens, S. 79–87; Grimm 1816, Nr. 93, Die Lilie, S. 152–153; diese Sage verwendet Arnim in den Kronenwächtern II, vgl. SW 16, S. 251–252). Die englischen »mummers’ plays«, die vmtl. im MA. entstanden, sind hier wegen der thematischen Ähnlichkeit ebenfalls zu nennen. In diesen Stücken wird stets als zentrales Element der Handlung eine der auftretenden Figuren (oft ein türkischer Ritter) getötet und später von einem herbeigerufenen Arzt wieder lebendig gemacht. Auch dort werden wunderbare Salben oder Pillen für die Wiedererweckung verwendet. Vgl. dazu Brody 1970, S. 47–59 sowie Erl. zu S. 223,20–21 zu Das Loch. – Ob die Szene in den Appelmännern in Anlehnung an »einen der grotesken Kerntexte des 16. Jahrhunderts«, Franc¸ois Rabelais’ Gargantua und Pantagruel (1532–1564; im 30. Kap. des 2. Buches) entstand, wie dies Detlef Kremer vermutet (vgl. Kremer 2001, S. 256), mag angesichts der zahlreichen anderen Quellen, in denen das Motiv ebenfalls auftritt, dahingestellt bleiben. Dort wird mit einem »ressusciatif« (übersetzt: Auferstehungspflaster) der Kopf Epistemons durch Panurg wieder auf den Rumpf gesetzt und angeheilt (Franc¸ois Rabelais, Œuvres. Augmeinte´es de la vie de l’Auteur & de quelques Remarques sur la vie & sur l’histoire. Bd. 1. O. O. 1691, S. 281; Arnim-Bibl. B 1717a). – Die Auferstehung von den Toten sowie Wunderheilungen werden in Arnims Werk wiederholt thematisiert, so z. B. in der Päpstin Johanna, wo Oferus den ermordeten Raphael wieder lebendig macht (vgl. SW 10, S. 299). Vgl. auch die sympathetische Heilung des verwundeten Markgrafen in Arnims Drama Markgraf Carl Philipp von Brandenburg, SW 20, S. 8, 11. Eine ähnliche »märchenhafte Heilung« erfolgt in den Kronenwächtern I durch die von Faust vorgenommene Blutübertragung bei Anton und Berthold (vgl. Bottermann 1895, S. 68). Des weiteren glaubt Fingerling in den Kronenwächtern I in Faust den Mann wiederzuerkennen, der den Leuten die Köpfe abgehauen und wieder 〈habe〉 anheilen können (vgl. Arnim 1817, S. 147). In den Kronenwächtern II vollzieht sich die Heilung eines verstümmelten Fingers durch Auflegen eines wundertätigen Pflasters (vgl. SW 16, S. 36; 40–41). In Die Kirchenordnung besitzt der alte Jacob ein lebenverlängerndes Mittel (Arnim 1822, S. 192). 325,14–15 die Worte, 〈...〉 gelingt,] Daß zur Heilung nicht nur das Öl ausreicht, sondern auch eine Zauberformel gesprochen werden muß, geht auf den u. a. in der Bibel verankerten Glauben zurück (vgl. Jes 55, 11; Joh 1, 1–4; Mt 8, 8–9), das gesprochene oder geschriebene Wort habe eine Entität, die schöpferisch wirke (vgl. Schulz, M. 2003, S. 19–20).
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Erläuterungen
325,19 Kopf und 〈...〉 zusammen,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 981. Mittelalterliche Beschwörungsformeln, die zur Heilung von Wunden oder Fieber angewandt wurden, enthalten häufig eine auf einen Heiligen oder Jesus zurückgehende Geschichte, die sog. Historiola, die von den Taten der Götter bzw. des Gottes in der Vergangenheit dergestalt berichtet, daß »das präsentische Anliegen (die Heilung einer Krankheit etc.) als eine bereits uranfänglich durch diesen Gott gewirkte erscheint« (Schulz, M. 2003, S. 29). Im Stile dieser Beschwörungsformeln spielt Arnims Zauberspruch auf die Geburt und Auferstehung Jesu sowie auf die Trinitätsformel an. – In der Auflistung von Beschwörungen in der Deutschen Mythologie Jacob Grimms läßt sich kein Spruch ermitteln, der dem von Arnim hier verwendeten ähnelt (vgl. Grimm 1835, S. CXXVI–CL). Zur Deutung vgl. Gerhard Kluge, Das romantische Drama, in: Handbuch des deutschen Dramas, hg. v. Walter Hinck. Düsseldorf 1980, S. 186–199, hier S. 195–196; Krogoll 1982, S. 334, Scherer 2003, S. 539. 325,23 Und der Geist 〈...〉 geworden,] Vgl. Joh 1, 14. 325,28 Habera Kadabra] Zauberwort, das gegen Schmerzen, Fieber und Wunden wirken sollte und bereits im 1. Jt. v. Chr. für Beschwörungen verwendet wurde (vgl. Schulz, M. 2003, S. 23). Der Ursprung des Wortes ist nicht geklärt. Die spätere Deutung, das Wort komme aus dem Hebräischen und bedeute »Vater, Sohn und Geist« (vgl. HdA 1, Sp. 95f.), scheint in den Kontext von Arnims Gedicht zu passen, vgl. Erl. zu S. 325,19. Ob Arnim von dieser etymologischen Deutung wußte, ist nicht bekannt. 326,26–27 begrabt den Leib, 〈...〉 Sarg.] Das hier verwendete Sprachbild erinnert an Röm 8, 10. 326,33–35 was Geistern 〈...〉 verbrennen.] In präanimistischer Auffassung bleibt die Seele nach dem Tod noch eine Zeit lang in der Nähe ihres Körpers, so daß der Tote als Geist erscheinen kann. Die Berührung eines Geistes kann tödlich sein oder zu einer Erkrankung führen (vgl. HdA 3, Sp. 477–478; 483). So reagiert der Soldat Schwartenmagen in Herr Hanrei und Maria vom langen Markte mit Flucht, als er dem tot geglaubten Hanrei auf der Straße begegnet, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 249,14–15. 327,4–5 faßt seine 〈...〉 Narbenstrich,] Die Szene erinnert an das Erscheinen des auferstandenen Jesu vor seinen Jüngern, vgl. Jh 20, 27. In Konrad von Würzburgs Versepos Engelhard, das Arnim aus Johann Joachim Eschenburgs Nacherzählung (1776) gekannt haben könnte, enthauptet der König Engelhard seine beiden Kinder (V. 6288), um Dietrich mit deren Blut zu heilen. Die Kinder werden durch ein Wunder wieder lebendig. Eine Parallele zu Arnims Stück findet sich in dem Strich am Hals, der nach der Wiedererweckung sichtbar bleibt (V. 6386–6389; vgl. Klaus Jörg Schmitz, Stellenkommentar und Nachwort, in:
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Zu: Die Appelmänner
Konrad von Würzburg, Engelhard. Nach dem Text von Ingo Reiffenstein ins Neuhochdeutsche übertragen, hg. v. Klaus Jörg Schmitz. Göppingen 1989, S. 3–151, hier S. 76). In den Kronenwächtern II weist Katharina auf den rothen Strich an ihrem Hals als ein Zeichen ihrer adligen Abstammung hin, was sich als Anspielung auf die Französischen Revolution deuten läßt (vgl. SW 16, S. 313). 327,33–34 stillen Christen, 〈...〉 bewahren.] Vgl. Erl. zu S. 321,2. 328,10 Babels Brut,] Anspielung auf das Lied Auf, auf, auf ihr Helden, das im folgenden gesungen wird. Eingangs bezieht sich dieses Lied auf das Buch Jos 6, 1–21, Die Eroberung Jerichos (vgl. FBA IX, 3, S. 347). 328,14 Auf, auf, auf, 〈...〉 Blut,] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 136. Als Vorlage verwendet Arnim das Wh–Lied Kampf des erwählten Volkes (Wh III 206), dessen Quelle der Anmuthige Blumen-Krantz von 1712, Nr. 40, S. 40 ist. In seinen Anmerkungen zur Schaubühne führt Arnim an, daß der Hauptstoff 〈 ..〉 des geistlichen Liedes S. 301 nicht ihm, sondern der ältern deutschen Zeit gehört (in der vorliegenden Ausgabe S. 335,21–23). Vgl. auch Erl. zu S. 297,6; S. 332,32. 328,17 Kartaunen] Kanonen, grobes Geschütz (vgl. Adelung 2, S. 1506; DWB 11, Sp. 233). 328,21 Unser Löwe brüllet] Wahrscheinlich ist hier der Löwe aus dem Wappen des Hauses Nassau-Oranien gemeint. 328,26–27 Auf, sie sollen 〈...〉 schallen,] Die Stelle erinnert an Die Eroberung Jerichos, Jos 6, 4–20. 329,4–5 Sieg, Sieg 〈...〉 uns,] In Arnims Drama Marino Caboga begegnet eine ähnliche Stelle. Nicht alle Soldaten beteiligen sich dort am siegreichen Kampf gegen die Türken, woraufhin Carofilli zu den versammelten Bürgern spricht: Habt ihr am Sieg heut keinen Theil, des Sieges Segen, die neue
gute Ordnung strahlet über alle, erhebt die Schwachen, die Gebeugten (Arnim 1826, S. 489). Die in den Liedstrophen verwendete Sprache weist Ähnlichkeit zur Psalmensprache auf, vgl. »Gnadenstärke«, »starker Hort« (Ps 71, 3), »Siegeskrone«, »Friedenswort«. 329,5–6 die Spanier 〈...〉 geschlossen,] Evtl. Bezugnahme auf die am 8. November 1576 eingeleitete Pazifikation von Gent, dem Zusammenschluß aller niederländischen Provinzen gegen die Spanier. Wilhelm von Oranien wollte dadurch eine Einigung der Provinzen unter der Voraussetzung eines Abzugs der spanischen Truppen auf der Grundlage von religiöser Freiheit erwirken. Die Einheit währte jedoch nicht lange. 1579 zerfiel die Union in eine nördliche, fast rein protestantische (die »Sieben Provinzen«) und in eine südliche, hauptsächlich katholische »Utrechter Union«. Die Bedeutung der Genter Pazifikation ist v. a. in
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Erläuterungen
dem vereinten niederländischen Auftreten gegen die Spanier zu sehen (vgl. Parker 1979, S. 213–214). Vmtl. sah Arnim hierin ein Vorbild für eine zukünftige, vereinte deutsche Nation. Johann Ludwig Gottfrids Historische Chronica könnte hierbei als Quelle gedient haben: Umb selbige Zeit waren die Deputirte 〈= Abgeordneten〉 der Staaten in Niederland zu Gent beysam-
men / und handelten miteinander / wie ein beständiger Friede in den Niederlanden wieder möchte angerichtet werden / welchen sie auch endlich auff etliche gewisse Articul / welche bey dem Meterano zu finden / beschlossen. 〈...〉 Zu Außgang dieses Jahrs / kam der neue Regent 〈Johann von Österreich〉 in den Niederlanden an / und als ihm von den Staaten die Articul der Pacification zu Gent / vorgeleget / und daß er sie genehm halten und confirmiren wolte / begehret wurde / nahm er sie / auff Gutachten der Theologen von Löwen an / und versprach das Außländische Kriegsvolck auß dem Land abzuschaffen: Derhalben er im Februario des 1577. Jahrs mit grossem Frolocken aller Inwohner / für einen Regenten und Stadthalter angenommen wurde / sonderlich / weil er zu Anfang des Frühlings / alles Spanische Volck beurlaubt: Aber diese Freude und gute Hoffnung nam bald ein End: Dann Don Johann suchte kurtz hernach bey Prästirung der meisten Articul der Gentischen Pacification / allerhand Außflücht und Auffschub / und gab den Staaten offentlich zu verstehen / daß er den Printzen von Uranien / und die Holländer und Seeländer zu bekriegen gesinnet wäre (Gottfrid 1710, S. 948 ). Ferner ist es möglich, daß sich Arnim a
auf kriegerische Auseinandersetzungen des Jahres 1568 bezieht. Einen Sieg über die Spanier trug Wilhelm von Oranien dabei jedoch nicht davon. In Gottfrids Historischer Chronica wird von dem militärischen Fehlschlag berichtet (vgl. Gottfrid 1710, S. 922b). 329,15 Grafschaft] Der historische Brederode war einer der reichsten Grundbesitzer in den Niederlanden, vgl. Erl. zu S. 282,6. 329,18 Landmilizen] aufgebot von wehrhaften landeseingesessenen, zur vertheidigung des landes (DWb 12, Sp. 126; vgl. auch Adelung 2, S. 1880). 329,18–19 wie lang der Friede dauert.] Vgl. Erl. zu S. 329,5–6. 329,27–28 als Oberster 〈...〉 führen,] Von Arnim hinzugefügt. Die Küstenprovinz Friesland liegt im Norden der Niederlande, die im Westen vom Ijsselmeer, im Norden von der Nordsee sowie im Süden und Osten von den Provinzen Overijssel, Groningen und Drente begrenzt wird. 330,3 unser gnädger Herzog] 1347/1348 wurden die Fürsten zu Stargard zu Herzögen erhoben. Die Stadt wurde mecklenburgisch.
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Zu: Die Appelmänner
330,9 alchemischen Kochereien] Vgl. Erl. zu S. 322,7. 330,14 der Friede 〈...〉 Bund,] Im Drama Die Vertreibung der Spanier aus Wesel werden – ähnlich wie hier – nach der erfolgreichen Rückeroberung der Stadt zwei Ehen geschlossen. 331,4 abgetriebnes] erschöpft, durch antreiben entkräftet (DWb 1, Sp. 141; vgl. Adelung 1, S. 126). 331,7–8 Undank ist Weltlohn,] In der Päpstin Johanna wird das Sprichwort (vgl. Wander 4, Sp. 1422, Nr. 15) von dem Schmiedgesellen verwendet, der von Johannes nicht bezahlt wird (vgl. SW 10, S. 258). 331,11–12 dies Bündlein 〈...〉 mitnehmen,] Vgl. zu »Federposen« Erl. zu S. 311,5. Die Gänsefeder als Attribut des Dichters erinnert hier zugleich an die Schlachtung der Gänse zum Martinstag. 331,12 Pathmos] Die griechische Insel Patmos gilt als Verbannungsort des Evangelisten Johannes, der dort die Apokalypse geschrieben haben soll, vgl. Offb 1, 9; als Metapher zur Bez. eines Zufluchtsortes von Arnim auch in einem Brief an BvA vom 7. Oktober 1809 verwendet (vgl. FDH 7309, 21/22–25). 331,12–13 zur Belehrung 〈...〉 erlebte] Der Vorsatz Hämmerlings, seine Erlebnisse aufzuschreiben, erinnert an die Memoiren des Scharfrichters Meister Frantz, vgl. Erl. zu S. 292,20–21. Laut Vorerinnerung des Herausgebers Johann Martin Friedrich von Endter (1801) sollte den Lesern des 19. Jhs. darüber Aufschluß gegeben werden, wie vielfach damals die Verbrechen, gegen
jetzt, waren; welche Arten von Strafen damals im Gebrauch waren, und wie selbige nach und nach in andere verwandelt und abgeschafft wurden, wie geschwind man oft ehehin über den Unglücklichen den Stab brach und ihn den Händen unsers rüstigen Frantzens übergab (Schmidt 1801, S. III). Zur Relevanz der Memoiren des Meisters Frantz vgl. auch Jacobs/Rölleke Kommentar 1980, S. 226; S. 228–231. 331,33 Juchhe, ich bin gesund,] Eine ähnliche Szene findet sich am Ende des Dramas Mißverständnisse, als der Sohn des Grafen Pergament von seiner vermeintlichen Verletzung gesundet, vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 167,26–28. 332,9 Die liebe Gottesgabe,] Bez. von angenehmen, erfreulichen dingen, die jemandem zufallen (DWb 8, Sp. 1243). Vgl. auch die Verwendung des Begriffs in Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, Erl. zu S. 174,20–22. 332,15 Martine, lieber 〈...〉 mein,] Vgl. Erl. zu S. 297,6. 332,32 Triumph, Triumph! 〈...〉 Pracht] Vgl. Ricklefs 1980, Nr. 1421. Bei diesem Schlußlied handelt es sich um den Refrain des Liedes im Wh III 231, Triumph der erwählten Seele, aus dem Anmuthigen Blumen-Krantz
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Erläuterungen
von 1712
(vgl. Schier Kommentar 1920, S. 471; FBA IX 3, S. 391–392). Arnim führt in seinen Anmerkungen zur Schaubühne an, daß das Lied nicht ihm, sondern der ältern deutschen Zeit gehört (in der vorliegenden Ausgabe S. 335,22–23). Vgl. auch Erl. zu S. 297,6; S. 328,14.
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Zu: Anmerkungen und Druckfehler Erläuterungen 333,6 Airer, S. 110.] Vgl. den Überblickskommentar zu Jann’s erster Dienst, S. 517 sowie Q, S. 501–516. 333,12–13 das ich 〈...〉 abdrucken lassen,] Vgl. das Kap. zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne im Überblickskommentar S. 430–461. 333,13 Anekdote] Adelung verweist bei seiner Definition auf die französische Herkunft des Wortes und sieht in der Anekdote einen kleine〈n〉 unwichtige〈n〉 Umstand des Privat-Lebens verhandelt (Adelung 1, S. 284). Arnim versteht den Begriff hier wohl eher als Bez. eines kurzen, witzigen, pointierten Einfalls (vgl. zur ungenauen Verwendung des Begriffs Elfriede Moser-Rath, Anekdote, in: EdM 1, Sp. 528–541, hier Sp. 533). Zeit seines Lebens hat sich Arnim für diese literarische Kleinform interessiert. Seine Freunde bittet er z. B. um die Zusendung von Anekdoten, die er 1813 im Preußischen Correspondenten veröffentlichen will. Seinen Briefen an Clemens Brentano oder an die Grimms fügt er gelegentlich Anekdoten hinzu, die er in Berlin gehört hat. Seine Erzählung Angelika die Genueserin (1812) bezeichnet er ebenfalls als »Anekdote«. 1811 beginnen die Mitglieder der deutschen Tischgesellschaft, kurze Geschichten in einem eigens dafür angeschafften Buch zu sammeln, die laut vorgelesen werden (vgl. dazu den Überblickskommentar zu Die Appelmänner, S. 848–850; zu persönlichen Anekdoten aus dem Arnimschen Familienkreis vgl. Härtl 2003). 333,24–27 daß ich mir 〈...〉 überflüssig gemacht wäre;] Vgl. dazu den Überblickskommentar zu Der Auerhahn, S. 552–553. Zu den vmtl. von Arnim herangezogenen Quellentexten aus alten Chroniken vgl. die dargebotenen Quellen in der vorliegenden Ausgabe, S. 541–547. 333,30–31 Alles in der 〈...〉 kann.] Ähnlich argumentiert Arnim in einem Brief von Ende Januar 1813 an die Grimms: Warum ich ein Urtheil über
Poesieen aus Geschichte nicht anerkenne, ist eben der Grund, warum ich die Beurtheilung gegenwärtiger Thaten aus Geschichte als nothwendig täuschend anerkenne; Gott müßte die Prätension machen, daß 888
Erläuterungen
die Leute erst alles wissen sollten, was geschehen, ehe sie handelten, daß sie alles sollten gelesen haben, ehe sie dichteten; in diesem Falle würde nie etwas gethan und noch weniger gedichtet (GSA 03/174). In Arnims Schrift Hamlet und Jakob. Anmerkungen zum Shakespeare erscheint ein ähnlicher Gedankengang: Mag nun in den unzähligen kritischen Büchern und Blättern irgendwo Ähnliches vorkommen: so wie es mir unbekannt geblieben, brauchen es meine Leser auch nicht zu wissen; wer kann denn überhaupt für Leser schreiben, die alles in der Welt gelesen, erfahren, empfunden und bedacht haben? (Werke 6, S. 883). 333,31–32 Folgende böse Druckfehler 〈...〉 aufgefallen.] Vgl. in der vorliegenden Ausgabe S. 123,7; S. 123,14 sowie die dazugehörige Erl. S. 406. 334,5–6 von der ich 〈...〉 gegeben habe] Das in den Roman integrierte Fragment aus der Päpstin Johanna fungiert dort als Spiegelung des Romanthemas (vgl. Arnim 1810 II, S. 176–204 sowie Ricklefs 1990, S. 79–80). 334,7–8 Vorsatz, die Johanna 〈...〉 abzudrucken,] Vgl. Arnims Brief an Friedrich Christoph Perthes vom 3. Februar 1813, in dem er ausführlich über die Päpstin Johanna berichtet, EZ 26, S. 425,18–26. 334,8–9 aber die Zeiten 〈...〉 mußte.] Diese Argumentation findet sich auch in einer Vorrede zu einer 1806 veröffentlichten Dramensammlung mit dem Titel Marionetten-Theater. Der Verfasser, Siegfried August Mahlmann, gibt eine ähnliche Begründung für die Wahl heiterer Stoffe an: Gut gespielt, das heißt
mit Freiheit, Lebendigkeit und grotesker Charakterzeichnung, werden sie 〈die Stücke lustigen Inhalts〉 Beifall erhalten, manche Stirn erheitern und manchem gedrückten Herzen die wohlthätige Erschütterung des Lachens zu einer Zeit verschaffen, wo trübe und ängstliche Umgebungen eine Aufheiterung nothwendiger als je machen. Für diesen Zweck wurden sie geschrieben (Mahlmann 1806, S. VI). Die implizite Anspielung auf die Zeitumstände, denen man mit heiteren Stoffen entgegentreten möchte, ist symptomatisch für die Zeit nach 1806. 334,10–11 Die Veranlassung dazu 〈...〉 entfallen ist.] Vgl. den Überblickskommentar zu Mißverständnisse, S. 620–622. 334,12–14 Die Veranlassung ward 〈...〉 einschlägt,] Vgl. den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 639–642 sowie Abb. 4, S. 352. 334,15 hat aber doch 〈...〉 geliefert.] Vgl. den Überblickskommentar zu Die Vertreibung der Spanier aus Wesel, S. 639–642. 334,16–17 Die Geschichte 〈...〉 Meistern,] Vgl. den Überblickskommentar zu Das Loch, S. 693–697 sowie Q, S. 688–693.
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Zu: Anmerkungen und Druckfehler
334,17–20 es hat allein 〈...〉 Lokalscherzen.] Vgl. den Überblickskommentar zu Das Loch, S. 705. Clemens Brentano äußert sich zu den vorgenommenen Änderungen am Stück, vgl. RZ 4, S. 464,55–57. 334,20–21 Kupfer von dem Umrisse 〈...〉 waren,] Die für die Aufführung im privaten Kreis angefertigten Schattenfiguren haben sich nicht erhalten. Vgl. den Überblickskommentar zu Das Loch, S. 705. 334,22 Zeit, die 〈...〉 giebt] Der zu Arnims Zeit sprichwörtlich gewordene Wahlspruch »Gold gab ich für Eisen« bezieht sich auf die Opferbereitschaft der preußischen Bürger zur Zeit der »Befreiungskriege«, die 6,5 Mio. Taler für die Ausrüstung des Heeres spendeten (vgl. Nipperdey 1998, S. 84). 334,24–28 Frei bearbeitet nach 〈...〉 1620.] Vgl. den Überblickskommentar zu Herr Hanrei und Maria vom langen Markte, S. 743–745 sowie Q, S. 725–743. 334,28–29 Wegen seiner Seltenheit 〈...〉 lassen,] Vgl. zu Arnims Projekt, eine Dramensammlung mit dem Titel Alte deutsche Bühne herauszugeben den Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne, S. 430–461. 335,1–2 nur im Einzelnen 〈...〉 Ganzen,] Vgl. den Überblickskommentar zu Der wunderthätige Stein, S. 777–779. 335,2–8 ich habe 〈...〉 Kartoffel.] Die Erweiterung des Namens »Hans« der Vorlage zu »Hanswurst« resultiert aus der noch heute z. T. geläufigen Annahme, daß die lustigen Figuren nach nationalspezifischen Lieblingsgerichten benannt wurden; Im 20. Jh. wurde diese (umstrittene und kontrovers diskutierte) Theorie von Walter Hinck und Eckehard Catholy weiterhin aufrecht erhalten (vgl. Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts und die italienische Komödie. Stuttgart 1965, S. 83; Catholy 1966, S. 120), obwohl sie, wenn überhaupt, nur auf englische und deutsche Theaterstücke beziehbar ist. Für diese These sind die vier deutschen Narrennamen »Hans Wurst«, »Hans Supp«, »Hans Knapkäse« und »Hans Salat« als Belege heranziehbar (vgl. Asper 1980, S. 21; 327), für das englische Theater »(John) Costard«, »Onion« oder »Oatcake«, »Posset« (= Milchsuppe; vgl. Eckhardt 1902, S. 463). Sieht man sich die Art der »Speisen« genauer an, kann es sich nicht um »Lieblingsgerichte« eines Volkes handeln, sondern vielmehr um die Nahrung der Armen (Kartoffel, Knapkäse, Salat, Oatcake), um Lebensmittel mit signifikantem Geschmack (Costard, Pickelhering, Onion, Posset) oder mit der Möglichkeit einer phallischen Konnotation (Wurst). 335,11–12 in meiner altdeutschen 〈...〉 erscheinen.] Vgl. den Überblickskommentar zur Entstehungsgeschichte der Schaubühne S. 430–461 sowie Q, S. 790–820.
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Erläuterungen
335,13–15 Die wahre Geschichte 〈...〉 erzählt,] Vgl. den Überblickskommentar zu Die Appelmänner, S. 847–850 sowie Q 1.1, S. 843–844. 335,19–20 Um den Pfau 〈...〉 geschmückt hat,] Vgl. zum Pfau auf dem Titelblatt der Erstausgabe Abb. 1, S. 349. Arnim spielt hier auf eine Äsop-Fabel an, in der eine Krähe die Federn eines Pfaus aufliest und sich mit diesen schmückt. Mit ihrem neuen Federkleid mischt sie sich unter die Pfauen und schmäht die anderen Krähen. Zornig darüber reißen die Pfauen ihr die fremden Federn und ihre eigenen aus, so daß sie häßlicher als zuvor zu ihren Artgenossen zurückkehrt. Diese werfen ihr vor, daß sie zu Höherem als ihr eigentlich zustehe habe streben wollen. 335,21 Martinliedes S. 272] Vgl. den vollständigen Abdruck des Liedes im Einzelstellenkommentar zu den Appelmännern, vgl. Erl. zu S. 297,6. 335,21 des geistlichen Liedes S. 301.] Vgl. die Erl. zu S. 328,14. 335,22 des andern geistlichen Liedes, S. 305] Vgl. die Erl. zu S. 332,32 zum Schlußlied in Die Appelmänner. 335,24–29 Der Pfau ist 〈...〉 erfreulich,] Der Pfau, Vogel der Juno, wurde in der christlichen Kirche zum Sinnbild der Unsterblichkeit. Aufgrund der abergläubischen Angst vor dem bösen Blick wurden Pfauenfedern als Schmuck im Theater vermieden (vgl. HdA 6, Sp. 1659). Diesen Brauch scheint Arnim nicht gekannt zu haben.
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Personenregister Dieses Register erschließt die im Überblicks- und Einzelstellenkommentar enthaltenen historischen und biblischen Personen und berücksichtigt dabei auch Verweise auf indirekt erwähnte Personen. Regierende Fürsten, Könige und Kaiser werden unter ihrem Vornamen, Päpste unter ihrem Amtsnamen angeführt. Alternative Namensformen werden in runden Klammern angegeben. Konnte bei mehreren Vornamen der Rufname ermittelt werden, ist er durch gesperrten Druck hervorgehoben. Wird im Registereintrag nur der Familienname angeführt konnte zu dieser Person Vor- und Zuname nicht ermittelt werden. Literarische Figuren und die Autoren der verwendeten Nachschlagewerke, Wörterbücher oder der Sekundärliteratur (z.B. Adelung, Zedler) wurden nicht aufgenommen. Im Schlußband der Schaubühnenbände der WAA ist ein kommentiertes Personenregister mit weiteren Verzeichnissen vorgesehen. Für die Unterstützung bei der Erstellung des Registers danke ich Dr. Gert Theile.
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Personenregister
Abele (Abelinus), Johann Philipp 636, 640, 642 Adelar, Erich 543, 545, 549, 551, 558 Adelheid von Hessen (Adelajda Heska), Königin von Polen 571, 579 Aesop siehe Äsop Agricola, Johann 439, 578, 580, 782 Aischylos 562 Alba, Herzog von siehe Toledo, Fernando A´lvarez de Alexander Carl, Herzog von AnhaltBernburg 848 Alexander I., Zar von Rußland 707 Alta Silva, Johannes von 697 Angelus Silesius 420 Appelman, Jo(a)chim der Ältere 843–846, 848–850, 853, 860, 867, 879 Appelman, Jo(a)chim der Jüngere 843–846, 848–850, 853, 860, 864, 866, 878f. Aristoteles 605 Arndt, Ernst Moritz 445f., 699, 703, 714–716, 722 Arnim, Amalie Caroline von (geb. von Labes) 610 Arnim, Bettina von (geb. von Brentano) 359, 361, 363, 408, 423, 443, 448, 451, 453f., 458, 475f., 480, 492–494, 525f., 554, 558, 569f., 578, 592, 599–601, 607, 612, 616, 618f., 631, 651, 656, 658, 668, 672, 704f., 715, 864, 880f., 886 Arnim, Carl Otto Ludwig von 443, 494, 574
Arnim, Familie 705 Arnim, Johannes Freimund von 558, 705 Arnim, Magnus Wilhelm von 574 Arria die Ältere 831f. Arria die Jüngere 831 Ashmole, Elias 641 Äsop (Aesopus) 578, 612, 891 Augustus (Gaius Octavius, nach der Adoption durch Caesar: Gaius Julius Caesar Octavianus) 675 Ayrer, Familie 518 Ayrer, Jacob 333, 420–422, 436–438, 458, 467f., 501, 517–524, 526–540, 573, 601, 745, 750f., 777f., 888 Beauharnais, Euge`ne de 462, 707 Beck, Heinrich 623 Beckedorff, Georg Philipp Ludolf von 846, 848 Bendavid, Lazarus 764 Bertuch, Friedrich Justin 631 Beschar(d)t, Beschordt, Friedrich Jonas 483, 653 Bethmann, Heinrich Eduard 494 Biedenfeld, Ferdinand Leopold Karl von 472, 475, 497f., 568, 619, 627, 659, 708f., 749, 828, 858 Biester, Johann Erich 426, 445 Blümner, Heinrich 562 Boccaccio, Giovanni di 609, 746, 778, 841 Bockelson, Johann siehe Leiden, Johann von Böckh, Philipp August 704 Bogislaw X., der Große, Herzog von Pommern 863
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Personenregister
Boltz, Valentin 439 Bottermann 680 Bradstreet, Thomas 519 Brederode, Hen(d)rik/Heinrich von 851f., 859f., 873, 885 Brederode, Lancelot 860 Brentano, Christian 479, 705 Brentano, Clemens 366–368, 419f., 423f., 430–433, 435, 437, 440, 442, 451, 453, 457f., 463–465, 472, 479f., 485–491, 495, 523–526, 531, 550, 562, 564, 567–570, 575, 600, 607, 609, 613, 618, 621f., 625–627, 631f., 653, 655–660, 668, 672f., 675, 677, 687, 696, 701, 704f., 708, 712, 714, 717, 748f., 755, 763, 779, 824, 828, 835, 846, 849, 857f., 863–865, 868, 870, 873, 876, 888, 890 Brentano, Familie 704f., 711 Brentano, George 704, 711 Brentano, Marie (geb. Schröder) 704 Brentano, Sophie (geb. Mereau) 417, 433 Bröffel, Martin 409 Brown, Robert 519 Brühl, K a r l Friedrich Moritz Paul Graf von 420–422, 492, 523, 570 Brühl, Jenny Gräfin von (geb. von Poortalis) 493, 570 Brutus, Marcus Iunius 674–676 Bucer, Martin 646 Burns, Robert 824 Busch, Gabriel Christoph Benjamin 712, 865
Büsching, Johann Gustav Gottlieb 419, 436f., 439, 567, 588, 597, 613, 696, 720 Byron, George Gordon Lord 494 Caecina Paetus 831 Caldero´n de la Barca, Pedro 464, 567, 609, 659 Calvin, Johannes 852, 865 Cäsar (Caesar), Gaius Iulius 674–676 Casper, Johann Ludwig 749f., 755, 787f. Cassius Longinus, Gaius 675 Chamisso, Adelbert von 785 Chiari, Pietro (Peter) 621, 629 Christiaenzoon, Pieter Bor 644, 661, 663, 674, 679 Clausewitz, Carl von (geb. von Brühl) 706 Clausewitz, Marie Sophie von 493, 570 Cochem, Martin von 604 Collin, Matthäus Casimir von 495 Corneille, Pierre 417, 433 Cornelius, Peter 631 Costenoble, Karl Ludwig 780f. Creuzer, Georg Friedrich 704 Daniel 661 Dante Alighieri 868 d’Antoine, Ferdinand 552 Dehmel, Richard 410 Demokrit, Christian siehe Dippel, Johann Konrad Dernath, Gräfin Charlotte von (geb. von Bernstorff) 493, 570 Descartes, Rene´ 874 Devrient, Ludwig 491, 494, 526, 569, 657f.
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Personenregister
Dickinson, Emily 825 Didem, Freiherr von (auch: Dieden, Dyden van) 636–638, 640, 644, 663 Diebitsch, Johann Karl Friedrich Anton von 446 Dippel, Johann Konrad, (auch Demokrit(us), Christian) 879 Diest 637, 663, 681 Dohna-Schlobitten, Alexander Graf zu 462f., 706 Domitian (Titus Flavius Domitianus) 831 Döpler, Jacob 868f. Dorow, Wilhelm 419–422, 436f., 440, 522f., 620, 748 Dorth, Anton von 643 Droste-Hülshoff, Anette von 825 Drusus (Nero Claudius Drusus; Drusus der Ältere) 676 Dumas, Alexandre der Ältere 554 Dürer, Albrecht 420 Edward III., König von England 721 Eichendorff, Joseph von 446, 477f., 569, 718, 750, 858f. Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 445 Ekstein 486, 491 Elia 832 Elisabeth von Hessen (geb. Prinzessin von Meißen) 555, 571 Elisabeth von Kleve (Mark; geb. von Hülchrath) 548, 554, 572 Elisabeth von Thüringen (geb. Prinzessin von Ungarn) 553, 561, 575, 582f., 585, 606, 610 Endter, Johann Martin Friedrich von 868, 886
Ernst, Herzog von Bayern 646f. Eschenburg, Johann Joachim 591, 883 Esperstedt, Johann Friedrich 483, 653 Eule, Karl 780 Ferdinand II., röm.-dt. Kaiser 536, 647, 666, 668, 671 Fichte, Johann Gottlieb 441, 699, 713 Fielding, Henry 856 Fischer, Hedwig (geb. Landshoff) 410 Fischer, Samuel 410 Flitner, Johann 642 Florentius Pallantius 852 Folz, Hans 519 Forster, Johann G e o r g Adam 871 Francken, Johann 661 Franz I., Kaiser von Österreich 449 Friedeborn, Paul 335, 360, 843, 846–849, 853, 857, 860–864, 866, 875, 878f. Friedrich He(i)nrich, Prinz von Oranien 639 Friedrich I. (Barbarossa), rö,.–dt. Kaiser 585 Friedrich II., der Strenge, Markgraf von Meißen 574 Friedrich II., der Große, König von Preußen 537 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 413, 421, 446, 448f., 456f., 462, 483f., 628, 652, 655, 676, 686, 716, 826 Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen 707
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Personenregister
Frisch, Johann Leonhard 861, 865 Gall, Franz Joseph 863f. Galleron, de la Plare 639, 670 Gallienus, Publius Licinius Egnatius 832 Gaudi, Friedrich Wilhelm Leopold Freiherr von 462, 707 Gebhard I., Truchseß von Waldburg 646 Gellert, Christian Fürchtegott 695 Geoffrey of Monmouth (auch Galfridus Monemutensis) 821, 813–833, 873, 841 Gneisenau, August Neidhardt von 449, 452 Goethe, Christiane (geb. Vulpius) 656, 876 Goethe, Johann Wolfgang von 412, 457, 464, 488–490, 526, 553, 573f., 577, 579–582, 589, 605, 615, 625f., 635, 650, 652–654, 656, 701, 704, 712, 715, 718, 720, 753, 782, 829, 856, 859, 876 Görres, Familie 717 Görres, Johann J o s e p h (von) 432, 457, 471f., 524, 557, 614, 694, 696, 717 Gottfrid, Johann Ludwig 329, 641, 852, 860, 872, 885 Gottsched, Johann Christoph 520f., 526, 695, 724, 748 Gozzi, Carlo 467 Gregor XIII., Papst 646 Gregorius, Johann Gottfried (Melissantes) 587 Grillparzer, Franz 562, 701
Grimm, Jacob 432, 434, 453, 550, 696f. Grimm, Ludwig Emil 601 Grimm, J a c o b Ludwig Karl 359, 409, 419, 421, 423f., 432, 434, 437, 441f., 453, 457, 465, 495, 523, 535, 550, 557f., 566, 568, 584, 588, 595–597, 608, 670, 672, 695f., 701f., 705, 717, 720, 784, 839, 849, 861, 868, 870, 882f., 888 Grimm, Carl W i l h e l m 421, 423f., 428, 432, 437, 441, 453, 457f., 465, 495, 523, 535, 550, 557f., 566, 584, 588, 595, 600, 670, 672, 695–697, 701f., 705, 709, 717, 720, 784, 839, 849, 861, 868, 882, 888 Große, Familie 743 Grotius, Hugo (Hugo de Groot) 874 Gryphius, Andreas 416–419, 421f., 433–435, 438, 440f., 458, 461, 559, 571, 660 Gryphius, Christian 417, 433 Guaita, Antonie Georgine von 704 Guaita, Familie 711 Guaita, Georg Friedrich von 479f., 705, 711 Guaita, Marie Magdalena von ( M e l i n e geb. Brentano) 704, 706, 480 Gubitz, Friedrich Wilhelm 483, 658 Guercino, Giovanni Francesco 718 Günderrode, Karoline von 618 Gustav Adolf II., König von Schweden 654 Hagemann, Friedrich Gustav 552f., 555, 590
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Hagen, Friedrich Heinrich von der 409, 437, 573, 696 Hannibal 676 Hanstein, Gottfried August Ludwig 685 Hardenberg, Carl August Freiherr von 445, 588, 630, 652, 698f., 706–708, 711, 714–716, 719 Hardenberg, Georg Philipp Friedrich Freiherr von (Novalis) 604, 612, 632 Hartl, Joseph 487 Hartmann, C. F. A. 495 Hauptmann, Gerhart 410 Hayneccius, Martin 421, 438, 440, 622 Hebbel, Friedrich 477, 568, 858 Hebel, Johann Peter 604, 877 Heimann, Moritz 410 Heine, Heinrich 460, 476, 568, 687 Heinrich I. von Hessen, das Kind 571, 582, 586 Heinrich II., der eiserne Landgraf von Hessen 496, 549, 555, 567, 571f., 579, 582f., 587–589, 615 Heinrich IV., König von Frankreich 647 Heinrich Julius, Herzog von Braunschweig 520, 745 Heinse, Gottlieb Heinrich 553f., 586, 592, 601 Helvig, Anna Amalie von (geb. von Imhoff) 492, 494, 525 Henrich (Heinrich), Graf van den Berg 639, 680 Herder, Johann Gottfried 431f., 477, 600, 718 Hermann der Gelehrte 589f., 615
Hippel, Theodor Gottlieb von 448 Hirschberg, Leopold 409 Hoffmann, E.T.A. (d.i. Ernst Theodor Amadeus) 411, 612, 718, 785, 877, 880 Hohenheim, Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von (Paracelsus) 783, 880 Holberg, Ludvig 699 Holofernes 662 Holtei, Carl Eduard von 494, 525f. Homburg, Heinrich von (auch Homberg, Hoenberg) 548 Homer 822 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 676 Hormayr, Joseph von 495 Hortleder, Friedrich 864 Hubertus, der Heilige 604, 612 Hüllmann, Karl Dietrich 462, 706f. Hus, Jan 421, 439f. Huter, Jakob 880 Hüther, Johann Nikolaus 645, 661–664, 670, 674, 685 Hutten, Ulrich von 822 Hütter, Karl 580, 590, 614 Huygens, Jan(n) (auch Huigens, Johann) 637, 663, 681f. Hyazinth, der Heilige 595 Iffland, August Wilhelm 445, 463, 480–483, 570, 623, 651–654, 658, 671, 673, 677f., 683f., 686 Immermann, Carl Leberecht 712 Isselstein 644 Jephta 633 Jesus von Nazareth 598, 601, 668, 677, 682, 855, 865, 869, 874, 578–883
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Personenregister
Johann Gottfried Gregorii 587 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 647 Johann, Erzherzog von Österreich 329, 885 Johann Wilhelm, Herzog von JülichKleve-Berg 546, 647 Jojakim 661 Jordis, Familie 704f. Jordis, Karl 705 Jordis, Ludovica ( L u l u , geb. Brentano) 705 Judas Makkabäus 633 Judith 662 Junker, Maria Sabina 574 Justi, Carl Wilhelm 582 Jutta (Judith) von Hessen (verh. Herzogin von BraunschweigGöttingen) 555, 571f. Kafka, Franz 451, 859, 875f. Kant, Immanuel 495 Karl II., Erzherzog von Steiermark 671 Karl V., röm.-dt. Kaiser 646, 756, 878 Kerner, Justinus 701f., 720, 856 Keyser, Friedrich 497 Kind, Friedrich 657 Kindervater, Johann Heinrich 864 Kinkel, Gottfried 554 Kinkel, Johanna (geb. Mockel) 554 Kirchmeyer, Thomas 864 Kleist, Heinrich von 446f., 581, 608f., 676, 709f., 786, 879 Klemens IV., Papst 673 Klingemann, Carl 475f., 569, 592 Klinger, Friedrich Maximilian von 832
Konrad von Würzburg 557, 883 Körner, Josef 875f. Körner, Karl Theodor 447, 486 Kornmann, Heinrich 558 Kosegarten, Ludwig Gotthard 582 Kotzebue, August von 470, 496, 592, 623, 625, 633, 635, 658, 749, 827 Kuchenbecker, Johann Philipp 549, 552, 583, 589f. Kuchenreuter 592 Kuhnau, Johann 422, 439 La-Motte-Fouque´, Friedrich Heinrich de 649 Labes, Caroline Maria Elisabeth von (geb. Daum) 443 Lachmann, Karl 409 La Motte-Fouque´, Friedrich Heinrich de 446f., 592, 649 Laublin, J. M. 497 Lauwyck (auch Lauwijck, Lauwick) 637, 663, 681 Lavater, Johann Caspar 863 Leiden, Johann von 866 Leo, Karl Friedrich 657 Lessing, Gotthold Ephraim 432, 579, 695, 753, 841 Livius, Titus 676 Lobkowitz, Josef Franz Fürst von 485, 487, 655 Loerke, Oskar 410 Lohenstein, Daniel Caspar von 458 Louis Ferdinand, Prinz von Preußen 451 Louise (geb. Prinzessin von HessenDarmstadt) von Sachsen-Weimar und Eisenach, Herzogin 573
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Personenregister
Lozanus, Franciscus 639, 660, 669f., 684 Ludwig IV., der Eiserne, Landgraf von Thüringen 468, 496, 549, 567, 571, 585, 587, 606 Ludwig von Nassau-Oranien 852, 860 Luise, Königin von Preußen (geb. von Mecklenburg-Strelitz) 628 Luther, Hans 535 Luther, Margarethe (geb. Lindemann) 535 Luther, Martin 527, 529, 531, 535, 573, 577, 631, 649, 660f., 667, 670, 673, 686f., 756, 849, 862, 865 Lützenburg, P. Dionysius von 604 Maaßen, Carl Georg von 411f., 627 Magdalena von Bayern, Pfalzgräfin von Neuburg 647 Mahlmann, Siegfried August 857, 889 Maltitz, Franz von 750 Mansfeld, Karl von 860 Mansfeld, Wolfhart Spangenberg von 871 Marcianus, Aurelius 832 Margarete von Hessen 571 Margarethe von Parma, Statthalterin der habsburgischen Niederlande 859, 862 Marie Louise, Kaiserin der Franzosen (geb. von Habsburg-Lothringen) 449 Marks, Georg Joachim 862f. Marlowe, Christopher 437, 743, 786
Marquette 637, 663, 681 Martin von Tours 862, 871 Marwitz, Friedrich August Ludwig von der 715 Matthiae, Christian 641 Mauritius (auch Moritz), Georg 439f. Max I. Joseph, König von Bayern 707 Meierotto, Johann Heinrich Ludwig 676 Melissantes siehe Gregorius, Johann Gottfried Mendoza, Francisco de 647 Menius, Friedrich 421, 725, 744, 750, 756, 762, 765, 777, 782, 787, 790, 820, 839 Merian, Familie 641, 654 Merian, Matthäus der Ältere 423, 640–642, 685, 852 Metternich, Fürst Clemens Lothar von 450 Meyer, Heinrich 717 Meyer, Johann Friedrich von 417, 433 Mislick, Wolf, Gouverneur van Brevoort 637, 663, 681 Mohr, Jakob Christian Benjamin 416, 418, 436, 441 Molie`re, Jean-Baptiste Poquelin 621, 630, 634, 746 Moller (auch Mölder, Möller, Mülder, Müller, Muller), Derick (Dirick, Dietrich) 636f., 640, 644, 661f., 673f., 677, 682, 685 Moller (auch Mölder, Möller, Mülder, Müller, Muller), Maria (geb. Enichs) 661
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Personenregister
Moller (auch Mölder, Möller, Mülder, Müller, Muller), Peter 352, 636–638, 640, 644f., 649, 660–662, 664, 669, 671, 673f., 677, 680, 682, 684 Moller (auch Mölder, Möller, Mülder, Müller, Muller), Trintgen (geb. Rebbers) 662 Montgelas, Maximilian Joseph Graf von 463, 707f. Moreau, Jean-Victor 462, 707 Mörike, Eduard 701 Moritz, der Gelehrte, Landgraf von Hessen-Kassel 552 Moritz, Herzog von Sachsen 668 Möser, Justus 580, 614, 665f., 751 Mozart, Wolfgang Amadeus 599 Mülder, Derick siehe Moller, Derick Mülder, Peter siehe Moller, Peter Müller, Johannes von 440 Müller, Wilhelm 437, 743, 786 Müllner, Adolph 463, 562, 564, 593 Napoleon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen 445–450, 634, 649f., 654, 656, 659, 665f., 670, 675f., 706f., 711, 719, 722f., 825, 827, 834, 851, 863, 878 Nebukadnezar 662 Nerva, Marcus Cocceius 831 Neumark, Georg 872 Niebuhr, Barthold Georg 425f., 443, 453 Nomsz, Johannes 824 Novalis siehe Hardenberg, Georg Philipp Friedrich Freiherr von Nuhn, Johannes 550f. Octavian(us) siehe Augustus Oehlenschläger, Adam Gottlob 699
Oettingen-Wallerstein, Fürst Ludwig von 408 Oettinger, Friedrich Christoph 420 Opitz, Martin 458 Otto der Schütz siehe Otto II., Landgraf von Hessen Otto I., genannt der Quade, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 589 Otto I., Landgraf von Hessen 575 Otto II., Landgraf von Hessen (Otto der Schütz) 548–555, 566, 571–573, 586, 598, 601, 615 Otto III. von Ravensberg 579 Pa´lffy von Erdöd, Ferdinand Graf von 486f., 655 Paracelsus siehe Hohenheim, Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von Parchen, Thomas 863 Pauli, Johannes 533f., 578, 612f., 761 Paul, Jean siehe Richter, Johann Paul Friedrich Paulus von Tarsus 874 Perthes, Friedrich Christoph 425f., 443f., 524, 566, 625, 651, 655, 748, 779, 827, 889 Philipp II., König von Spanien 646f., 853, 877f. Philipp III., König von Spanien 679 Philipp IV., König von Spanien 670 Pilatus 668 Pistor, Carl Philipp Heinrich 453 Platen, August Graf von 709 Plautus 697 Plinius 831 Plümike, Carl Martin 467, 496
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Personenregister
Plutarch 674f. Polex, Christoph Ernst 864 Praetorius, Johann(es) 541, 547, 558, 595, 763 Priebsch, Robert 411 Publius Terentius Afer siehe Terenz Rabelais, Franc¸ois 882 Racine, Jean Baptiste 417, 433 Radulfus aus Anjou 822 Rasche, Johann Christoph 755 Raumer, Friedrich von 579 Reichardt, Johann Friedrich 678f. Reichardt, Louise 569, 607, 679 Reimer, Georg Andreas 424, 426, 428, 441–445, 457f., 486 Reimer, Georg Ernst 579 Rembrandt, Harmensz van Rijn 684 Reuter, Christian 419, 433, 531, 756, 835, 876 Reventlow, Hedwig Gräfin von 493, 525 Reynolds, Robert 747 Rhode, Johann Gottlieb 657f. Richter, Johann Paul Friedrich (Jean Paul) 785 Ringseis, Johann Nepomuk 679 Ritschl, Carl 558 Ritter, Johann Wilhelm 611, 686 Roleer (auch Rottleer, Rootler, Rohleer, Roleer, Rothleder), Jan(n) (Johann) 636f., 640, 662, 673, 677, 680, 682, 685 Rosenplüt, Hans 458, 519, 521 Rückert, Friedrich 447 Rudorff, Ernst Karl Friedrich 569 Rühs, Friedrich 559f. Runge, Philipp Otto 721, 876
Rüte, Hans von 439 Sachs, Hans 419, 421, 436, 439f., 458, 519, 521f., 578, 861 Sackeville, Thomas 519f., 747 Sallust 676, 679f. Sartori, Franz 495 Saul 633 Savigny, Friedrich Carl von 408, 423f., 428, 452, 463, 465, 476, 479, 491f., 563, 568, 608, 658, 704–706, 717 Savigny, Kunigunde ( G u n d a , Gundel, geb. Brentano) 453, 463, 492, 658 Schäffer, Wilhelm 551 Schan, Jörg 822 Scharnhorst, Gerhard Johann David von 449, 452, 634 Scheffner, Johann George 462, 707f. Schenkendorf, Max von 447 Schikaneder, Emanuel 599, 627 Schill, Ferdinand Baptista von 649, 675, 682, 863 Schiller, Friedrich von 496, 530, 562, 579, 620, 625, 635, 650, 668, 680, 718, 870 Schinkel, Karl Friedrich 453 Schlegel, August Wilhelm 252, 521, 591, 649f. 764, 833 Schlegel, Friedrich 427, 457, 463, 604, 749, 755, 779 Schlegel, Johann Elias 432 Schleiermacher, Friedrich 441, 445, 535 Schleiermacher, Henriette (verw. von Willich) 494, 525
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Personenregister
Schlicht, Friedrich Gustav von 552f., 555, 592, 595, 600, 608, 613, 842 Schlosser, Johann Georg 535, 538 Schmeltzl, Wolfgang 439 Schmidt, Franz 867–869, 886 Schmiege 657 Schmincke, Johann Hermann 551f., 555 Schneider, Ernst Christian Gottlieb 552f., 555, 592, 595f., 600, 603f., 608, 613 Schoch, Johann Georg 417, 419, 433f. Schön, Heinrich Theodor von 462f., 706f. Schönberger-Marconi 657 Schreiber, Aloys Wilhelm 554 Schröder, Friedrich Ludwig 623, 625, 635 Schroetter, Friedrich Leopold von 462, 707f. Schroetter, Karl Wilhelm Reichsfreiherr von 462f., 706–708 Schubert, Franz 615 Schubert, Gotthilf Heinrich von 597 Schuckmann, Kaspar Friedrich von 482, 653 Schudt, Johann Jacob 422, 439, 848–850 Schulz, Friedrich 492, 570 Schwinck, Auguste von (verh. von Wißmann) 870, 876 Schwinck, Familie von 522 Senckenberg, Heinrich Christian 550 Shakespeare, William 252, 418, 434, 461, 464, 479, 517f., 521f., 567, 591, 609, 625, 635, 659, 683, 700, 753, 764, 833, 889
Simon, Johann Philipp 554 Simons, Menno 866, 880 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 578f. Solon 716 Sophie von Brabant (geb. Prinzessin von Thüringen) 571, 575 Sozzini, Fausto 879 Sozzini, Lelio 879 Spangenberg, Cyriacus 541, 548f., 551, 554, 566, 573, 575, 590, 610 Spinola, Ambrosio 648 Staegemann, Johanna E l i s a b e t h von (geb. Fischer) 492 Staegemann, Familie von 522 Staegemann, Friedrich August von 422 Steffens, Heinrich 445, 491 Stegmeyer, Matthäus 524f. Stein, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum 452, 652, 706, 715, 719 Stolberg-Stolberg, Sophie Charlotte Eleonora Gräfin zu (geb. von Redern) 493, 525 Stoß, Franz 411 Strampf(f), Heinrich Leopold von 494, 525 Susanna 661 Tauler, Johannes 420 Terenz (Publius Terentius Afer) 236, 754 Thibaut, Anton Friedrich Justus 704 Thomas, Johann Gerhard Christian 423f., 688, 695–697, 710 Tieck, Friedrich 705
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Personenregister
Tieck, Ludwig 412, 428f., 432, 437, 442, 458–461, 521f., 525, 531, 537, 540, 573, 578f., 610, 612, 654, 712, 721, 749f., 777, 781, 820, 824, 828f., 879 Toledo, Fernando A´lvarez de, Herzog von Alba 646, 667, 683, 852, 860, 873f., 877 Tournier, Michel Edouard 560f. Trimberg, Hugo von 695 Tyrolff, Johann 439 Uhland, Ludwig 447, 701, 856 Unger, Johann Friedrich 404 Unzelmann-Bethmann, Christiane F r i e d e r i k e Conradine (geb. Flittner) 657 Unzelmann, Karl Wolfgang 657 Valentin, Karl 532 van den Berg, Henrich 680 Varnhagen von Ense, Karl August 494, 525 Vergil 718 Vincente, Gil 822f. Vincint, George 747 Voltaire 675 Vondel, Joost von 417 Vos, Isaak von 824 Voß, Johann Heinrich 578, 704
Websky 657 Weise, Christian 417, 433f. Wendt, August Amadeus 562 Werner, Zacharias 535, 562–564, 567, 570f., 583, 611, 686, 750, 755 Weseken, Heinrich von 643f. Wickram, Jörg 423, 435 Wieland, Christoph Martin 683 Wilhelm I., der Einäugige, Markgraf von Meißen 574 Wilhelm Graf von Berg 852 Wilhelm IV., der Weise, Landgraf von Hessen-Kassel 551 Wilhelm von Nassau-Oranien 329, 646, 852, 872f., 884f., 877 Wilke, Heinrich Reinhart Franz 554 Wilken, Friedrich 428, 457, 704 Winkelmann, Stephan August 579 Wolff, Kapitain 636, 644 Wolff, Pius Alexander 492, 494, 526 Wolfgang Wilhelm, Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg 647f. Wolfram 465, 471, 495–497, 524f., 567, 571, 587, 612, 619f., 626f., 708, 749, 764, 781, 828, 858 Wolfram von Eschenbach 557 Yorck, David Ludwig von 446, 448
Wackernagel, Wilhelm 408f. Wagner, Johann Ernst 611 Wagner, Richard 557 Wallenstein, Albrecht von 536, 654 Walpurgis, die Heilige 593 Warsch, Hans 641
Zeiller, Martin 483, 654 Ziegenhayn, Gottfried XII. Graf von 590 Zimmer, Johann Georg 416, 418–420, 423, 436, 441 Zuccalmaglio, Vincenz von 554 Zwingli, Ulrich 646
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