Werke und Briefe: Band 1 Text 9783110621761, 9783110617856

The first edition faithful to the original, this volume includes the collection of essays On Language and the Art of Poe

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German Pages 520 Year 2019

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Declamatio, qua Poetas epopoeiae auctores, recenset Frideric. Gottlieb. Klopstock
Drey Gebete eines Freygeistes eines Christen und eines guten Königs
Aufsätze
Von der heiligen Poesie
Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmasses im Deutschen
‹Eine Betrachtung über Julian den Abtrünnigen›
‹Von der besten Art über Gott zu denken›
‹Von der Sprache der Poesie›
‹Von der Bescheidenheit›
‹Von dem Fehler, andre nach sich zu beurtheilen›
‹Von dem Range der schönen Künste und der schönen Wissenschaften›
‹Von dem Publico›
‹Von der Freundschaft›
‹Gedanken über die Natur der Poesie›
‹Ein Gespräch von der wahren Hoheit der Seele›
‹Zur Errichtung einer dänischen Gesellschaft zur Beförderung der schönen Wissenschaften in der dänischen Sprache›
‹Auszug aus dem Protocolle der Unsichtbaren›
‹Ein Gespräch, ob ein Scribent ungegründeten obgleich scheinbaren Critiken antworten müsse. Von Klopstock und Cramer›
‹Ein Gespräch von der Glückseeligkeit›
‹Nachricht von einem Dänischen in dem Ackerbaue sehr erfahrnen Landmanne›
‹Eine Beurtheilung der Winkelmannischen Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in den schönen Künsten›
‹Urtheile über die poetische Composition einiger Gemälde›
‹Beurtheilung einiger Gemälde aus der heiligen Geschichte›
Von der deutschen und griechischen Quantität
Von der Beobachtung der Quantität. Aus Klopstocks Abhandlung vom deutschen Hexameter
Grundseze und Zwek unsrer jezigen Rechtschreibung
Etimologi, und Aussprąche
Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock. ‹Hrsg von F. G. Klopstock.›
Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. Handschriftlich überlieferte Fragmente
Über Sprąche und Dichtkunst. Fragmente
Über Sprąche und Dichtkunst. Fragmente. Ęrste Fortsezung
Über Sprąche und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung
Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften
Über eine Ode: „Der Freyheitskrieg,“ und einen Brief an Roland, Minister des Innern der französischen Republik
Anzeige eines Kunstdiebstahls
Anzeige einer Bitte an eine Ungenannte
Das nicht zurückgeschickte Diplom
Erklärung zur Autorschaft einiger Oden
Fragmente aus dem Nachlass
Charaktere
‹… der gute Ausdruck …›
‹Keine Schreibart …›
Über Mark Aurel. Bruchstück
Über Demosthenes. Bruchstück
Fom Wirkungskreise. Bruchstück
Fon der Deklamazion
Über Friedrichs II. von Preußen Schrift „De la littérature allemande“. Bruchstück
Gespräche
Über Prosodie in Homers „Ilias“ (24. Gesang) und in deutscher Dichtung („Der Messias“). Bruchstück
Einleitung zu Klopstocks Fragmenten zur Geschichte des Siebenjährigen Krieges. Bruchstück
Vorrede
Warum Klopstock sein Leben nicht geschrieben habe
Varia-Faszikel
Subskriptionsaufforderungen
‹Nachricht von einer neuen Ausgabe des „Messias“.›
Gedrucktes Informationsblatt für die Beförderer der Subskription der „Gelehrtenrepublik“. 1773
Gedrucktes Informationsblatt für die Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“. 1773
Subskriptionsplan zur „Gelehrtenrepublik“. 1773
Nachricht von der Subscription auf die „Gelehrtenrepublik“. 1773
Gedrucktes Informationsblatt „Promemoria“ für die Beförderer und Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“ vom 30. Juli 1773
Gedrucktes Informationsblatt „Note“ für die Beförderer und Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“ vom Februar 1774
Nachricht von der Subskription auf die „Gelehrtenrepublik“. 1774
Subskriptionsaufforderung zur zweiten Ausgabe der „Gelehrtenrepublik“. 1774
Gedrucktes Informationsblatt mit Subskriptionsplan für die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“ vom April 1797
Gedrucktes Informationsblatt zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 8°. I. 1779
Gedrucktes Informationsblatt zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 4°. II. 1779
Aufforderung zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779
Nachricht zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779
Verweisungen
Editorisches Nachwort
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Werke und Briefe: Band 1 Text
 9783110621761, 9783110617856

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I Hamburger Klopstock-Ausgabe

II

III FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK WERKE UND BRIEFE HISTORISCH-KRITISCHE AUSGABE

Begründet von Adolf Beck, Karl Ludwig Schneider und Hermann Tiemann Herausgegeben von Horst Gronemeyer, Elisabeth Höpker-Herberg †, Klaus Hurlebusch und Rose-Maria Hurlebusch † Verlag Walter de Gruyter in Berlin und New York

Abteilung Werke: IX 1

IV

Friedrich Gottlieb Klopstock Kleine Prosaschriften

Band 1: Text Herausgegeben von Horst Gronemeyer und Klaus Hurlebusch Walter de Gruyter Berlin, New York 2019

VII

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Declamatio, qua Poetas epopoeiae auctores, recenset Frideric. Gottlieb. Klopstock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drey Gebete eines Freygeistes eines Christen und eines guten Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Aufsätze Von der heiligen Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmasses im Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . qEine Betrachtung über Julian den Abtrünnigen.p . . . . . . . qVon der besten Art über Gott zu denken.p . . . . . . . . . . qVon der Sprache der Poesie.p . . . . . . . . . . . . . . . . . qVon der Bescheidenheit.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . qVon dem Fehler, andre nach sich zu beurtheilen.p . . . . . . qVon dem Range der schönen Künste und der schönen Wissenschaften.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . qVon dem Publico.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . qVon der Freundschaft.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . qGedanken über die Natur der Poesie.p . . . . . . . . . . . . qEin Gespräch von der wahren Hoheit der Seele.p . . . . . . . qZur Errichtung einer dänischen Gesellschaft zur Beförderung der schönen Wissenschaften in der dänischen Sprache.p . . qAuszug aus dem Protocolle der Unsichtbaren.p . . . . . . . . qEin Gespräch, ob ein Scribent ungegründeten obgleich scheinbaren Critiken antworten müsse. Von Klopstock und Cramer.p . . . . . . . . . . . . . . . . . qEin Gespräch von der Glückseeligkeit.p . . . . . . . . . . . . qNachricht von einem Dänischen in dem Ackerbaue sehr erfahrnen Landmanne.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 86 . 96 . 100 . 107 . 113 . 116 . 118

. 122 . 129 . 144

VIII

Inhaltsverzeichnis

qEine Beurtheilung der Winkelmannischen Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in den schönen Künsten.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . qUrtheile über die poetische Composition einiger Gemälde.p qBeurtheilung einiger Gemälde aus der heiligen Geschichte.p Von der deutschen und griechischen Quantität . . . . . . . . Von der Beobachtung der Quantität. Aus Klopstocks Abhandlung vom deutschen Hexameter . Grundseze und Zwek unsrer jezigen Rechtschreibung . . . . Etimologi, und Ausspra˛che . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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147 152 159 162

. . 173 . . 179 . . 182

Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock. qHrsg von F. G. Klopstock.p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. Handschriftlich überlieferte Fragmente. I (1764–1767) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II (1764–1767, 1778) . . . . . . . . . . . . . . . . . . III (1767/1768) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Versification der spätern Skalden q…p s. HKA, Werke VII 2, S. 785/786. . . . . . . . . . . Zur Einleitung der Abhandlung? . . . . . . . . . . . . Zum Fragment „Vom gleichen Verse“? . . . . . . . . . Gedruckte Fragmente. Vom deutschen Hexameter, aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse (1769) . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Sylbenmaße aus dem ersten Gespräche. (Fragmente.) (1771) . . . . . . . . . . . . . . . . . . qVom deutschen Hexameter.p Vom gleichen Verse. Aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse (1773) . . Neüe Silbenma˛sse, Sibentes Fragment (1779) s. „Über Spra˛che und Dichtkunst“

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Fom deütschen Hexameter. E˛rstes Fragment . . . . . . . . . . 263 Über di deütsche Rechtschreibung. Mit Zusezen, di im Anfange und am Ende durch Punkte bezeichnet sind. Zweites Fragment . . . . . . . . . . . . . . 331

IX

Inhaltsverzeichnis

Fon der Da˛rstellung. Drittes Fragment . . . . . . . . . Fon der Wortfolge. F˛irtes Fragment . . . . . . . . . . Fon den abwexelnden Ferbindungen; und dem Worte: „Ferstehen.“ Fümftes Fragment . . . . . . . . . . . Zur Geschichte unsrer Spra˛che. Sextes Fragment . . . Neüe Silbenma˛sse. Sibentes Fragment . . . . . . . . . Na˛chläse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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363 365 367 372

Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Erste ˛ Fortsezung. Fon der Schreibung des Ungehörten. ˛ Achtes Fragment . . . . 375 Fom e˛dlen Ausdrukke. Neüntes Fragment . . . . . . . . . . . 378 Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment

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Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften Über eine Ode: „Der Freyheitskrieg,“ und einen Brief an Roland, Minister des Innern der französischen Republik Anzeige eines Kunstdiebstahls . . . . . . . . . . . . . . . Anzeige einer Bitte an eine Ungenannte . . . . . . . . . . Das nicht zurückgeschickte Diplom . . . . . . . . . . . . Erklärung zur Autorschaft einiger Oden . . . . . . . . . .

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Fragmente aus dem Nachlass Charaktere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . q… der gute Ausdruckp . . . . . . . . . . . . . . . . . . qKeine Schreibart …p . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über Mark Aurel. Bruchstück . . . . . . . . . . . . . . . Über Demosthenes. Bruchstück . . . . . . . . . . . . . . Fom Wirkungskreise. Bruchstück . . . . . . . . . . . . . Fon der Deklamazion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über Friedrichs II. von Preußen Schrift „De la littérature allemande“. Bruchstück . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . 463

X

Inhaltsverzeichnis

Gespräche. q…p Gespräch zwischen Klopstock und C. F. Cramer Über Prosodie in Homers „Ilias“ (24. Gesang) und in deutscher Dichtung („Der Messias“). Bruchstück . . . . . . . . . . . . . Einleitung zu Klopstocks Fragmenten zur Geschichte des Siebenjährigen Krieges. Bruchstück . . . . . . . . . . . . . . . Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum Klopstock sein Leben nicht geschrieben habe . . . . . . Varia-Faszikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

470 472 473 473 474 474

Subskriptionsaufforderungen Nachricht von einer neuen Ausgabe des „Messias“. 1753 . . . . Gedrucktes Informationsblatt für die Beförderer der Subskription der „Gelehrtenrepublik“. 1773 . . . . . . . . . Gedrucktes Informationsblatt für die Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“. 1773 . . . . . . . . . Subskriptionsplan zur „Gelehrtenrepublik“. 1773 . . . . . . . . Nachricht von der Subscription auf die „Gelehrtenrepublik“. 1773 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedrucktes Informationsblatt „Promemoria“ für die Beförderer und Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“ vom 30. Juli 1773 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedrucktes Informationsblatt „Note“ für die Beförderer und Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“ vom Februar 1774 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachricht von der Subskription auf die „Gelehrtenrepublik“ 1774 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subskriptionsaufforderung zur zweiten Ausgabe der „Gelehrtenrepublik“. 1774 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedrucktes Informationsblatt mit Subskriptionsplan für die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“ vom April 1797 . . . Gedrucktes Informationsblatt zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 8°. I. 1779 . . . . . . . . Gedrucktes Informationsblatt zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 4°. II. 1779 . . . . . . . Aufforderung zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

XI

Nachricht zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

Verweisungen Summarien zum Messias, Gesang I-XX . . . . . . . . . . . . . Textentwürfe zu Kupferstichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragment aus einem Geschichtschreiber des neunzehnten Jahrhunderts („Wiener Plan“) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bruchstücke eines Aufsatzes zur Förderung der Wissenschaften („Wiener Plan“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . An den Kaiser. (Widmung vor „Hermanns Schlacht“.) . . . . . Inschrift für ein Hermann-Denkmal . . . . . . . . . . . . . . . Inschrift für das Bethaus der evangelisch-reformierten Gemeinde in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denkmale der Deutschen: Addenda Nr 7–10 . . . . . . . . . . . Inschriften für das herzogliche Mausoleum in Oldenburg . . . . Über den Messias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom deutschen Hexameter. Aus einem Briefe Kl-s an den Herausgeber der „Auswahl aus Kl-s Nachlaß.“ . . . . . . . . Biblische Dramen. Vorrede qzu den Schauspielenp . . . . . . . .

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Editorisches Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

XII

Inhaltsverzeichnis

Declamatio, qua Poetas epopoeiae auctores, recenset Frideric. Gottlieb. Klopstock

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Declamatio, qua Poetas epopoeiae auctores, recenset Frideric. Gottlieb. Klopstock. In provinciali schola portensi. A. MDCCXLV. die XXI Sept. Rector Lycei praecellentissime, Viri, praenobilissimi, Summe et plurimum Reverendi, amplissimi, doctissimi, Patres ac professores provincialis Scholae portensis longe celeberrimi dexterrimique Commilitones aestimatissimi Amici optimi Exoptatissimi,

Si quicquam, ob amplitudinem suam et sublimitatem, humano ingenio dignum est existimandum; si, in augustam rerum seriem quicquam mentem introducit, atque ibi exspatiatam, immortali voluptate, perfundit: illud sane praecipua ac princeps naturae imitatrix, poesis est; sed illa poesis, quae, tanquam ceterarum omnium artium regina, incedit, novoque res ordine ita componit, ut, pulcritudinis ubique naturalis ac perfectionis summae studiosa, creatricis nomine, insignienda esse videatur. Facili igitur negotio, omnes mecum, Auditores, intelligitis, de ea, verba iam, ad vos, fieri poesi, quae tum demum satis, a vobis honoratur, quum vulgarem illam atque humilem, quae iniustissime poeseos nomen affectat, despectui habetis; quae terminis circumscribi tunc poterit; si in vastissimo rerum creatarum theatro finem ullum mortalis homo invenerit; quae tandem qui maximus eius est atque aeternus honor, ab ipso Deo ita profanis vulgi oculis est subducta et tam sublimi consecrata loco, ut dignam eam, qua se suamque maiestatem, hominibus antea incognitam, magna ex parte relevaret, arbitratus fuerit. Non igitur vanam esse poeseos gloriam videtis, si ceteris artibus sublimior, divinitatis sibi cuiusdam honorem tribuit. Non enim sua ipsius audacia aut temeritate admirandum hoc gloriae culmen conscendit; nec veneratione tantum hominum hoc in fastigio collocata cernitur; sed Deus ipse ita poesin honoravit, ut ponere illam hac in illustri ac divina luce

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provinciali schola portensi. (1745)

voluerit. Is scilicet, quum nihil magis, quem creaverat, homini conveniens nihil quod excellentiori cum laetitia, delectaret illum pariter et moneret esse aptius, quam poesin, sapientissime videret: saepius hanc divinis illis vatibus inspiravit, quibus arduum ac sublime negotium dederat, ut, remoto velo, se atque adoranda religionis mysteria hominibus aperirent. Plures igitur et praecipui, inter illos, viri, qui Deum et unam eius religionem divinitus humano generi videndam cognoscendamque, pleni spiritus sancti numine dederunt, poesi id duce et comite fecerunt, ac caeleste verum, tam ingenti cum pulcritudine eius sub involucris atque inventionibus proposuerunt, ut convestitum ita ornatumque amabile prorsus hominibus atque exoptandum magnopere redderetur. Ipsi haec omnia dudum, auditores, perspexistis, quippe qui caelestem divini numinis librum non solum tanquam perennem salutis nostrae fontem consideratis; sed ut perfectissimum etiam stili sublimis vereque divini exemplar admirati, in iis ante omnia huius libri operibus, quae poetica sunt excelsum dicendi genus, magnificentiamque ad Deum ipsum, sancta cum audacia exsurgentem, suspiciendam esse existimatis. Ita vero Moysem omnes, uti existimo, si quisquam alius, virum caelestissimum novistis. Fuitne ille tunc praesertim venerabilis, cum traiecto, per miraculum, mari rubro, Deum populi sui liberatorem poeta caneret? Audiitne illum tunc praecipue universus cum admiratione populus, quum caelo suo magis ac magis appropinquans, ultima vice coram illo publice adesset, Deique sui benefacta sacro hymno ignisque divini plenissimo repeteret? Immo ipsa futura aeternaque saecula Moysem tanquam poetam in primis venerantur. Verum enim vero, caelum erat et felicia eius atria, ubi Ioannes, testis ille revelationum prorsus admirandarum oculatus, propter crystallinum mare, novam Moysis cantionem audiebat. Sic qui eum sequuntur sacrarum litterarum scriptores poetae, secundum illustre huius exemplum, adsurgunt se seque ingenti prorsus vel pulcritudine vel maiestate admirandos attonitis lectoribus praebent. Sic ingenti quadam et summa laetitia unusquisque adficitur, qui mentem magna sentiendi aptam a Deo nactus, amplissimum illum, qui narratione Iobi, aperitur, campum ingreditur. Hic, uti mille miracula, augustamque rerum stupendarum seriem, ob oculos ponit: ita is praecipue, sacro quodam horrore, percelli debet, qui Deum, cum Iobo, ex tempestate, loquentem, audiens, tremenda eius vestigia procul mirabundusque adorat. Iobo autem excellentior fere Davides est, qui ut

Declamatio

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provinciali schola portensi. (1745)

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iuvenis caeli genius, Deique plenus audacia canit, inaccessumque aliis futurorum saeculorum theatrum multo illustre die contuetur. Hoc in spatio, uti soles inter regnorum suorum sidera magnifice procedunt, suus illi pariter et Dei filius tanquam, homines inter, pulcerrimus, apparet. Hunc magnumque eius patrem, caelesti ebrius gaudio, canit, triumphoque aeternitatis et ipse ovans interest. Dignus tanto patre filius, qui hominibus omnibus, ipsisque aetatis suae vatibus sapientior censetur, divinus Salomo, Dei amorem, id est, excellentissimum, quod de illius numine cogitare mortalis homo potest, sub casti piique, qui inter homines est, amoris imagine, in sacra sua ecloga, tam mirifice tener amabilisque est meditatus, ut dubium sit, huiusne naturali pulcritudine et decore, an paterni cantus gravitate et magnificentia Dei gloria magis celebrata fuerit. Iam vero vatum, qui Salomonem sunt secuti, visiones, quae futurarum rerum statum adumbrantes illis fuerunt obiectae, et pleraeque omnes poeseos indutae ornataeque habitu apparuerunt, silentio hic praeteream, ut, ad eum poeseos honorem, quo maior praestantiorque nullo unquam tempore illi habebitur, eo celerius accedam. Aeternae scilicet restaurator salutis, ipse Dei filius, tam pulcram, ad erudiendum, in caelesti doctrina, populum, poesin esse existimavit, ut omnes fere, quae, sacro illius ab ore, profluxerunt futurae vitae praeceptiones, sapientibus fabulis, involutae, ab ipso fuerint. Habes igitur, o sancta Poesis, cuius ope, magnitudinis gloriaeque perenni splendore, radiare, et, de contemtu humilium insipientiumque hominum, triumphare queas. Hac igitur illustrem luce circumfusamque poesin consideretis, aquditoresp si studium, quod, in illa, posui, meum diiudicare recte volueritis. Hoc in loco, collocatam suspiciatis, si, de veneratione, qua eos prosequor homines, qui artem tam sublimem excoluerunt digne, iustam ferre sententiam, animus vobis fuerit. Ex qua ipsa re, intelligetis etiam, cur poetae potissimum sint, quorum in laudem verba, ad vos, facere constituerim. Hos scilicet, ob artis suae excellentiam et paene divinitatem, dignos semper sum arbitratus, quos magno, inter homines, studio colerem et venerarer. Sed audite quaeso, auditores, quam pauci rarique sint, quos ex veri nominis poetis, quorum item, meo quidem iudicio, non ita magnus est numerus, ut oratione illos celebrem, elegerim. Animus nempe meus, nobili perfectionis desiderio incensus inflammatusque semper, principes Poetas, qui nominis sui immortalitate omne, post sese, aevum compleverunt, oratione celebrandos sibi sumsit. Ii vero ipsi sunt poetae epopoeiae scriptores. Quanta

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autem huic ipsi carmini quod praecipui inter omnia poematis nomen per tot saecula obtinuit, pulcritudo et excellentia insit, ut rectius intelligatis, honoremque vatum, qui eiusmodi perfecerunt carmen, aestimare, ex eo, felicius possitis, breviter exponam ea, quae, ad describendam huius carminis naturam facere potissimum videbuntur. Prima scilicet illius virtus atque eminentia, ex eo, elucet, quod illustrem sibi actionem, quae, nisi, ad universum terrarum orbem, ad multos tamen maximosque eius incolas, pertinet, canendam, aptisque et admirandis exornandam inventionibus, sibi eligit. Qua de re, mirum non est, quod, ubi tam ingens atque magnifica materies adfuerit, poeseos pulcritudo omnis, in uno quasi et amplissimo theatro, comparere debeat. Haud igitur magnificentius superbiusque quam res postulat, locuturum me esse existimo; si simile epicum carmen terrae nostrae iudico, caeteraque poemata omnia, cum singulis terrae huius partibus comparo. Terra enim ubi, quam late patet, considerata unoque velut adspecta intuitu fuerit, tum demum est, ob amicam partium omnium congruentiam, maxime admirabilis perfecteque pulcra; cum partes eius in sese spectatae, quamvis et sua gaudeant praestantia, ingenti tamen intervallo, a toto terrarum orbe, excellentia, superantur. Qua de re, quamvis nimis audax a quibusdam putetur, mihi iusta tamen videtur esse comparatio, si poetam epici carminis effectorem, caelesti genio; ceteros vero vates, qui minora meditantur poemata, hominibus pares esse existimem. Is nempe, de excelsa coeli sede, uno intuitu omnem terram, oceanum superbius assurgentem, montes sedi suae verticibus appropinquantes, felicia rura, vario concinnoque ornata decore, simul despicit, et, cum voluptate maxima, contemplatur: cum homines e contrario, aliam post aliam, terrae partem, eiusque ornamenta, novis semper circumscripti terminis, considerare cogantur. Ecce igitur vobis, auditores, epici carminis, quam late patet, amplitudinem, maiestatem, perfectionemque! Ecce campum, in quo, maxima quaeque et excellentissima mens exspatiari, ingeniique humani divinam paene vim ostendere potest. Nominabo igitur vobis grandes illos animos, qui humilium carminum contemtores, poema creare epicum ausi fuerunt; cum veneratione, illos, sed sine laude, tam multorum enim saeculorum applausus iam ampla satis ipsis laus est, nominabo. Quibus igitur non omnis veri honoris extincta prorsus sopitaque in pectoribus flamma est, qui, nobili incitati audacia et aemulatione, procul intueri tanta vestigia aliquando volunt, avide me et ardenter, non

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mei sed tantorum virorum caussa, audiant; ceteri orationem tantummodo meam silentio amico dignentur. Iam vero quis primas, in tam excelso honoris fastigio, sedes tenet? quis, et antiquitate, et eminentia, choro tam caelesti praesidet? Dicam; sed naturam prius omni sua decoratam amabilemque pulcritudine, mentis ante oculos, vobis ponite. Ecce naturam, ingens ille poeta, tanquam amicissimam sororem, tam tenere amplectitur, ut vates Britannus, quum hunc ipsum utriusque amorem olim et ipse Virgilium vidisse diceret, ambo argute confunderet, simulque exclamaret: Natura erat Homerus, et Homerus natura! Homerus igitur illud est ingens ac dives ingenium, quod, natura adiutrice, summam poeseos perfectionem complectens animo, epopoeiam non invenit solum, sed ipsam etiam, secundum pulcerrimum hoc exemplar, felicissime confecit. Haec igitur illa est Homeri excellentia, haec tam multis adhuc poetis inaccessa magnitudo, quam ordine tam longo, post eum saecula, vel perspicacissimo quoquam poeseos iudice applaudente, venerata sunt. Iusto fortasse magnificentius loqui quibusdam videor, sed illi ipsi sunt, qui nunquam Homerum, uti meretur, id est, perspecta totius operis uno intuitu, amplitudine, legerunt. Sic Aristoteles olim, in diiudicanda poesi acutissimus, Homerum, legit, sic legat unusquisque illum necesse est, qui omnem eius perspicere pulcritudinem cupit. Totus ille simplex et naturalis maiestas est, nunquam dormitat; lectores inter legendum, cum Popio loquor,* somniant. Ille igitur solus postquam imitatus naturam erat, quem Virgilius imitaretur, dignus fuit. Nulla enim alia in re Homero impar Maro, quam imitatione, tale composuit poema, ut, si eo careat Augusteum aevum, et magnifica, eo praesertim tempore, Roma, praecipuo quodam splendore, orbata conspiciatur. Augustus scilicet imperabat terrarum orbi; ut pie iusteque imperaret, Aeneae sui exemplo, inprimis efficiebat Virgilius. Divisum igitur tranquilli beatissimique imperii honorem cum poeta Caesar habebat. Honoravit etiam, tanta propter merita, vatem suum Roma, subiectique dominae illi terrarum, populi, venerati illum sunt. Illa ipsa perennitas, qua nostri nunc homines, in sese, celebrandis tam large iniusteque abutuntur, immortali lauro Virgilium decoravit. Nos adhuc Maro, nos tam seros posteros monet, oblectat; cum nostri plerique omnes poetae, qui se, tam

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multa onerare invicem immortalitatis laude, solent, aut mortui iam in carminibus sunt, aut mox intermorientur. At hunc, cum Homero suo, aeternis in ulnis fovebit poesis, dextra Graecum manu, sinistra Romanum amplexa. Hic manebunt interitus omnis securi; hic a poetis, qui magni aliquid audebunt, suspicientur; hic consecratis sibi his aemulationis meae lacrimis, quoniam vinci superarique non possunt, assidue decorabuntur. At umbrae amabiles defletaeque, una tantum res est, quae perfectioni vestrae deerat, propter quam sortem vestram doleo, una. Gentili religione eratis obcoecati; cum sacris nostris, adorandis illis mysteriis, essetis longe dignissimi. Haec canere, haec celebrare, ingenti vestro ingenio, talibusque carminibus debebatis, quae non hanc solum terrae nostrae aetatem ferrent, sed cum aeterno etiam coelestium incolarum applausu, acciperentur. Vos etiam otiose multa intercedere saecula prius vidistis, quam aliquis vestro nomine non indignus surgebat, quam christianum epopoeiae vatem orbis terrarum videbat admirabaturque. Torquatus nempe Tassus tandem nascebatur, ut Italos inter vates, principatum teneret, quem adhuc nullo illum de hoc fastigio deturbante, habet. Amplum nactus divesque ingenium, imaginationis praecipue admirabili praeditus erat vi. Felix in eligenda operis sui materia; quippe quae et religioni suae et saeculo conveniebat. Dei illam olim sanctissimam urbem, Hierosolymam liberatam, canebat. In hanc tam Europa omnis cum admiratione conversa erat, multorumque animis bella illa sancta tanquam recentia adhuc obversabantur. Haec carminis prima felicitas, vatis ipsius ad inveniendum magnificeque exornandum ingenio apto mirum in modum augebatur. Ecce igitur vobis viri mentem pictura quadam leviter descriptam. Viva erat et ignea; omnia videbat emota vehementius; ad ornatum facilis quidem sed, in eligendo decore illo parum delicata; interdum humilis et depressa; sed saepius grandis tamen et excelsa, at nunquam prorsus divina, ut admirationem in nobis saepius excitaverit, honestae vero nobilisque invidiae lacrimas nunquam expresserit. Praeter principatum igitur poeseos, quem paucis refragantibus tanto civi Itali detulerunt, singularem hunc inusitatumque adeptus est honorem, ut in orientales quasdam translatus linguas, his populis mirifice charus et in deliciis fuerit. At hunc longe superat et inter cetera honoris genera valde eminet, Romae illud in eum studium, quo coronatione illum maxime solemni insignire cupiebat. In capitolium nempe illud, ubi in Iovis gremio propter tonitru, victores romani laurum olim

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deponebant, sublimis triumphali curru celebratusque a confluente civitate ingredi, laurumque, cuius ope mortalitatem vinceret, accipere debebat. Sed iam satis gloriae vixerat; moriebatur vates, quum sese omnes ad hunc diem quasi ad festum pararent, ipsumque Capitolium, quod coronatum tanta celebritate in suis atriis post Franciscum Petrarcam viderat neminem, ob gaudium tam insolens gestire et superbire videretur. Nominarem et te, mollis Marine, Tassi non infelix aemulator, si Adonis digna esset epopoeiae materies. Inter huius igitur delicias ingloriisque Veneris sub nemoribus et umbris mea inornatus oratione, subinde dormias. Quoniam igitur cum Tasso relinquenda iam Italia est, quae quam magis veteri Ausoniae, poeseos gloria, cedit; eo superbius eam ipsam sibi gloriam temere arrogat, principesque se vates procreasse arbitratur; cum tamen plurimi illorum, dum arti nimius indulgent, naturae vestigia fugere videantur: reginam illam ceterarum in Europa nationum, magnam Britanniam, adeamus, quae, oceanio, ope, seclusa ab aliis terris propterea videtur, quod illas, excellentia ac magnitudine sua, tam egregie antecellit. Illa enim, uti, in omni doctrinae genere, magnarum mentium fertilis est, ita praesertim, quid, in fingendis poetarum animis, natura ibi effecerit, est natis, apud se, tot divinis vatibus experta. Quare cum praecipuum quendam ex tantae nationis viris non sine veneratione nominandi hic mihi locus concedatur; insigni animus laetitia perfunditur, illa, auditores, laetitia, quae ex contemplatione sensuque perfectionis oriri solet. In admirandum vos religionis campum prius, auditores, inducam necesse est, quam vatem hunc omni sua radiantem luce coram vobis sistere possum. Religionem enim, quo quis caelestiorem habet animum, eo sanctiore cum gaudio ac horrore, comtemplatur. Quare omnibus, qui ita divinae religionis sacra colunt suspiciuntque, venerabile poetae nomen esse debet, qui principem quandam, eius doctrinam illustrem hominibusque amabilem carminibus reddit. Talis vates illud attigit magnitudinis culmen, quo celsius nullam uspiam in poesi reperitur. Quam enim mirifice rationem Dei vincit revelatio: tam insigniter, poeta, qui, supra communem hominum sortem, grandis, caelestem sapientiam pietatemque canit, de humana sapientia virtuteque exponentem, superat. Et haec erat quasi quaedam praefatio, quae vos, ad illam, quae, in Ioanne Miltono, eminet, excellentiam praeparare quodam modo poterat. Is nempe, quam sanctissimae religionis partem nova poeseos luce convestierit, dum Paradisum

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amissum nomino, omnes intelligunt. Poteratne felicius quicquam exquisitiusve sumi quam illa Miltoni materia? Eratne aliquid quod hominem afficeret magis atque in pristinum perfectionis suae statum, cum divina quadam voluptate, quasi reduceret, quam illud amabile primorum hominum par, ad Dei imaginem pulcerrime factum, maiestate terraeque dominio insigne; parentes illi nostri tenerrime venerandi, vitaeque huius, quam ita feliciter, si modo placet, vivere possumus, auctores datoresque. O felicem poetam, vereque generi humano amabilem! Illius nempe gloria, quamdiu homines erunt, cum saeculorum fluxu, perennium instar amnium, amplior augustiorque reddetur. Tantum enim rerum canendarum theatrum ingredi, ante eum, ausus nemo fuerat. Ecce vobis Deus, coelum, infernus, Chaos, progressa ex illo tot mundorum series, incolae tantae molis, quieta angelorum concilia; homines felices et infelices; sed post calamitatem maioris capaces beatitudinis, haec omnia, id est, ingentia quaevis et excelsa Miltono sese canenda coram sistebant. Sic certe sibi vatem hunc complectebatur animo Iosephus Addisonus, quum, iusta commotus ira eius diceret obtrectatoribus, si Paradisum Miltoni epicum esse carmen negarent, sua pace vel divinum appellarent. Qua de re optaremus vehementius, ut quodammodo tantum nobis illud, quod, in describendo Britanniae suae decore hoc, Addisonus adhibuit, acumen et dicendi contingat vis, ut caelestissimi hominis imaginem levi tantum pictura adumbrare vobis, auditores, valeamus. Habuit certe illius cogitatio semper tam aliquid apud nos amabile et efficax, ut diligere illum ac venerari, pulcritudinis tantae quasi coacti vi, debuerimus. Qualem igitur vatem, qui, ad Dei hominisque honorem, tam multa contulit, animo nostro impresserimus et quam iusto propterea illum amore pietateque persequamur, dicemus. Cum Homero de excellentiae principatu, non sine aemulo animi ardore generosaque superbia Miltonus contendit; sanctorum vero scriptorum eminentia summo in loco vestigia procul et venerabundus sequitur. Quotiescunque his aliquantummodo appropinquat, toties ceteros sese poetas vicisse, sublimitate, existimat. Heic enim non modo naturalis illa pulcritudo, quae in praestantissimis profanis operibus summa est perfectio, reperitur; sed altius hi scriptores adsurgunt, veroque nomine enthei, divina simplicitate, maiestatem nulli penitus imitandam ostendunt. Tali igitur ratione praeparato Miltoni animo, naturae scilicet imitatori, divinae adoratori pulcritudinis quae inaccessa magnitudo aut invia esse poterat? Invenit feliciter, no-

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vamque rerum excogitatarum seriem dum coram transire iubet, ita lustrat, ut nihil nisi pulcrum, sublime et admirandum eligat; quae vero placuerint ita describit, ut oculis adspexisse, quamvis caecus fuerit, omnia illa videatur. Fidelis ubique accuratusque naturae pictor est. Adspicitatis illum in Paradiso beatos inter eius incolas, et illam fere narrationis facilitatem teneritatemque, quam in Salomonis Idyllio sacro adeo admiramini, reperietis. Sublimem in caeleste angelorum concilium euntem sequimini, tunc certe eam ubique dignitatem divinumque carminis fulgorem non sine admiratione invenietis, quem imitabilem nulli fere existimo. Adeo enim hic grandis et caelestis est, ut quemdam, e sancto hoc concilio, amicum nactus fuisse atque ex eo multas de caelo narrationes audivisse videatur. Amplius, at procul tremebundique, ad solium usque numinis vatem comitamini. Sed hic prostratus, ingentique perculsus maiestate iacet, adorat, summa illi hic eloquentia, silentium est, raro loquentem Deum inducit, si inducit, subtimidus semper, sanctaque illa destitutus audacia est. Et haec est ultima simulque summa Miltonianae imaginis pars. Demissa enim et humilis coram Deo mens si praecipua christiani hominis magnitudo est; maius profecto hac ipsa re, quod vatem vere christianum perficeret inveniri haud potuit. Tu vero ipsa lustrata Miltoni umbra, quocumque nunc caeli in orbe laetaris, illudque, quod dignum in carminibus tuis angelorum auribus est, spiritibus his, nunc amicioribus tibi, recinis, percipe, si quid, quod te deceat, dixerimus, neque nostrae huic irascere audaciae, quae te non sequi solum, sed maiorem etiam materie tua excellentioremque adgredi molitur. Iam vero ex hoc Britannorum fastigio descendere et ad Gallos, ingenii plerumque facilitate et argutia conspicuos elevatione raro, devenire liceat. Multi nobili impetu ad epopoeiam perficiendam ferebantur, paucorum audaciam fortuna iuvit. Puellam Aurelianensem meditabatur Capellanus, multaque illam Galliae suae gloriam pecunia emere volebat rex; sed, si arguto cuidam vatis irrisori credendum est, anus prodiit. Quamvis autem ex hoc levitas Gallorum cognosci possit, quod illo solo lusu adducti plerique Capellano insultaverint; negari tamen nullo modo potest, propter inconcinnam fictionis mediocritatem, singularemque versuum asperitatem, inter eos referendum esse hunc Parisiensis aulae laudatique tam superbe Ludoviciani saeculi vatem, qui male et infeliciter epopoeiae animum appulerunt. In audendis magnis rebus, sed non in perficiendis felices esse Gallos, suo etiam exemplo Perronus,

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purpuratus vir, testatur; suam enim Mosaida fervido primum animo aggressus est, sed longa operis amplitudine deterritus, mox reliquit. Scudery praeterea etiam Alaricum, sive Romam victam; Bussierus Scanderbegum; S. Aymantus (recte: Saint-Amant), Moysem servatum, Sorbierus denique restauratum, a Carolo Magno, imperium Romanum, epicis carminibus, cecinerunt: Sed cum Aristotelis legibus, quas natura Homeroque suffragantibus, epopoeiae ille praescripsit, convenire haec carmina nemo facile, philosophiae poeseos criticae gnarus existimaveritq.p Hi igitur omnes ab eminenti ista sede, quam poetae epici occupant, deturbentur, inferiusque, ne istam summam gloriam profanam reddant, collocentur. At vero dedecus hoc, quod, frustrato tam saepe huc ascendendi labore, consecuti Galli sunt, subito Telemachi sui splendore, felicissime Fenelonus delevit. Dubito sane illumne, ad dextram Homeri sui, an, ad sinistram manum, assurgere iubeam. Virgilius quidem, summo amicitiae iure, dextram diu securusque tenuit. Sed ecce Fenelonus venit, Virgiliumque simplici carminis ornatu aequat, vereque magna Mentoris sui virtute, prorsus superat. Succurrite quaeso igitur, qui tantas lites componere valetis, vatemque in eo, quem meruit, loco, collocate. Dubitatisne vos etiam ipsi? Quis certamen igitur tam amicum, ex machina Deus finiet? Sed ecce non his opus est, summa illa Fenelonii modestia Virgilio lubens et venerabunda cedit. Sinistram Homeri amplexatur, ibique Odysseam, quam praecipue adamaverat secutusque fuerat, cum manu ipsa, gratus exosculatur. In hunc itaque locum, Galli, suspicite, vatemque vestrum oculis paene ereptum, et choro poetarum vestro fere dissimilem, admiramini. Sublimitati huic adsuescite, cuius fulgorem, consentiente, ea in re, sincerissimo quoque, apud vos, iudice, raro ferre valetis. Videtur enim hic, quid efficere possit, apud vos, si severa esse voluerit, natura experta. Ornavit autem ille non modo ingenio, sed dignitate etiam poesin, quippe qui haud indignum episcopo poetae nomen censuit. Sed cuius nam poetae? Talis profecto, a quo universa Europa, cum delectatione, ad virtutem, erudiretur. Et utinam magnanimus ille princeps, quem terrae destinatum saluti, poemate suo, inprimis Fenelonus perficiebat, non tam cito in vivis esse desierit; tunc certe, et regem Gallia, et amicum Europa, vero nomine, a poeta, amabilem accepisset. Iam vero ex hoc Fenelonii fastigio, Voltairium adducturis declinandum nobis est, iterumque, in loco inferius sito, consistendum. Nemo enim facile cordatus rei iudex, episcopo Cambraciensi maiorem, prae Voltairio, quicquid ipse nimius sui

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aestimator, contra eius poema, proferat* praestantiam denegabit. Quamvis igitur, post Fenelonum, unus, quem Galli ostendere queant, poeta epicus sit, et plerisque huius carminis legibus obedierit; illas tamen ipsas, quas summas censemus, quae excellentiam quandam et sublimitatem, omni inimicae mediocritati exigunt, magnopere neglexisse visus est. Simplicitatem naturae, nativa quadam elegantia, Voltairius plerumque exprimit; raro eius illustris magnificentia adsurgit. Quae placeant lectori semper fere adsunt; quae vero admiretur attonitus, ubi demum illa occurrunt? Ubique veri simillimus est, si laudes excipias, in quibus cumulandis efferendisque, ad singulare poetarum opprobrium, quibus nihil minus quam adulatoribus esse licet, amplum se satis ac magnificum ostendit. Et sane lector, qui Germanum, id est igneum excelsumque intus animum alit, pervoluto toto opere, pulcra omnia et dulcia esse, sed languidus et dormitans, dixerit. Ut complectar paucis omnia, Rapini, hominis Galli, iudicisque maxime sinceri, hic repetam, quod, de universa hac prolatum natione, tam prorsus, ad Voltairium, pertinet, ut populum suum descripturus, fato nescio quo, hunc mente praevidisse videatur. Ille autem, si vel ad invidiam usque, inquit, spiritu nostro, delicatoque nationis genio, superbiamus; non tamen excitata satis et erecta, ad cogitationes magnas proferendas, mens nostra est. In minutis rebus, dici haud potest, quam mirifice seduli simus, quum vero ad sublimiora est accedendum, languemus. Vix umbra, in operibus nostris, divinae illius poeseos apparet, cuius perfectissimum exemplar Homerus Virgiliusque reliquerunt. Forte, ad altiora, pro nationis suae ingenio, feruntur, Britanni duo, Richard Blackmorus et Gloverus, qui novissime, in Anglia, de principe Arthuro, hic, et, de Leonida, ille, epicum poema confecerunt. Sed fortassis non omnis anglicanae mentis illis vis inest, quoniam obscurior tantum, ad nos, de iis, fama perfertur,

* Invidia enim nescio qua adductus Telemachum lubentius inter fabulas Romanenses, quam inter epica carmina, referret, ut scilicet unicus ipse Gallorum poeta epicus celebretur. vid. Temple du Goût et Essai sur le Poëme epique. In suo: Mondain, haec inveniuntur: – – – Monsieur du Telemaque, J’admire fort votre stile flatteur, Et votre Prose, encor qu’un peu trainante: Mais, mon Ami, ie consens de grand coeur D’être fessé dans vos murs de Salente, Si je vais là pour chercher mon bonheur.

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nullaque, quod sciam, ceterarum gentium lingua convestiti hactenus comparuerunt. Ne igitur indignabundi nos audiatis, si pauca tantum, quae, de his viris, dicenda habuimus, proferimus. Swiftius scilicet, extraordinarium illud, ipsos inter Satyricos, ingenium, mirum in modum, Blackmori nunc* tumorem affectatamque magnificentiam ridet; languorem nunc** genusque dicendi non satis vividum taxat. Popius autem, ille meus Popius, iudex longe aequissimus et amabilis, in carmine de Ignorantia***, ad huius regnum pertinere, Blackmorum, coram universo Britannorum populo, dicere haud dubitavit. Non haec profecto felix illud ingenium beatamque animi et doctrinae magnitudinem, quae ad faciendum hoc princeps poeseos opus pertinet, describere videntur. Melius de Gloveri Leonida, existimari propterea licet, quod, quas ille divulgavit, de communi honoris cupiditate, Satyrae tam plenae sapientiae et virtutis sint, tam insperata cogitationum novitate, atque acumine lectori placent, tanto denique ordine, et sapore tam delicato ornatae conspiciuntur, ut, si non, tanquam excelsum prorsus poetam, Gloverum, mireris, uti pulcrum tamen vividumque tibi ipsi tuaeque oblectationi commendes. Excitatus etiam, tanto accolarum suorum exemplo, nobilis nuper Belga epopoeiae manum admovere tentavit. Guilielmus nempe van Haaren, Frisonem, qui Alexandri Magni temporibus, vixisse, et regius, ex orientali India, princeps oriundus, in Belgium post multas terrae marisque calamitates, appulisse ibique regionem, ex suo nomine, Frislandiam appellasse dicitur, canendum sibi sumsit, narrationemque, de eo, tam vivam concinnamque contexuit, ut, ad Telemachi elegantem facilitatem augustamque virtutem, accedere proxime videatur. Ita vero et Belgium poetae epici gloria illustre nunc conspicitur. Semper igitur hic honor, ad nostros fines, o Germani, magis magisque appropinquat, nunquam ingreditur. Septentrionales, reor, frigidioresque terras occupabit prius, quam nostras adspiciet. Unaquaeque Europae gens, poeta epici carminis auctore, gloriabitur, nos tardi et expudorati quasi, quod ad sensum huius honoris attinet, eo vel tunc carebimus. Subit indignatio animum, cum tantum gentis nostrae hac, in re, torpo-

* Anti-Longin, ubi passim loca eius tumida adducuntur. ** In librorum conflictu p. XLVI. versionis Germanicae *** The Dunciad.

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rem iustissima exardescens ira, intueri cogor. Humilibus occupati nugis ingenii gloriam quaerimus; carminibus, quae nullam aliam ob caussam nasci videntur, quam ut moriantur et absint, sanctam illam immortalitatem, heu! indigni prorsus Germanorum nomine, adipisci audemus. Non ita tardi proavi nostri armis olim fulgurabant; Nec hoc ipso tempore, philosophiam et omnem doctrinam tam lassi et inglorii nostrates tractant. Adsurgimus, colimur, vel a superbis exteris, suspicimur. Cur vero hoc infelix poeseos, divinae huius artis, fatum est, ut illa fere sola a profanis contrectetur manibus, humique detineatur? Nolite mihi obiicere, esse tamen, apud nos, poetas, qui super mediocritatem elevati, suo se credant caelo; nolite, inquam, haec obiicere, de epopoeia, summo illo poeseos opere, loquor. Hanc nemo, apud nos, poeta hactenus confecit. Tentavimus. Sed quod huius operae pretium? quis exitus fuit? Carmen habemus, de Maximiliano Caesare, sed inconditum plenumque, sed simplici ruditate, non maiestate, conspicuum. Ingentia Wittekindi, venerandi illius nominis facta, hiulco carmine, nec, ad sancitas, a natura semel leges, composito, Italorumque tumore, non magnificentia, repleto, Postelius dedecoravit. Et congratulandum profecto Germaniae nostrae est, quod illa, de Alexandro Magno, epopoeia, cuius infelix nuper specimen vidimus, lucem adhuc formidet. Ea enim si prodierit, Galli certe aliique, temporibus saporique nostro, illudere pergerent. Praeteritam enim, ut obliviscamur, praesentem audaciam Gallorum recolere licebit. Ubi est nempe aurium vestrarum superbum iudicium Germani? Auditisne adhuc superbi quidem, sed vera forsan et iusta, hac in re, dicentis Galli vocem:* Nominate mihi, in Parnasso vestro, creatorem! id est poetam germanum, qui, ex sese, honoratum et immortale opus protulerit. Auditis, reor, imaque in mente reponitis insultantem Gloriae Germanorum, nec id iniuria prorsus, hominem, quotquot nobile patrii nominis studium adhuc incitat. Sed quid efficiemus? si contra hunc adversarium, uti, cum aliis, a nobis, iam actum est, multis verborum ambagibus, ostendamus, nec ingenio, nec sublimi spiritu, destitutos esse Germanos? Re ipsa, magno quodam nec intermorituro opere, quid valeamus, ostendendum est! O quam vellem, ut haec, in consessu coronaque poetarum Germaniae principum, dicere mihi contingeret. Gaudio certe tunc ego maximo adficerer penitusque

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perfunderer, si dignissimos hoc opere, ob neglectam tam diu, a sese, patriae gloriam, rubore quodam laudabili ac pio, suffundere valerem. Quod si vero inter virentes nunc poetas is adhuc forsitan non reperiatur, qui Germaniam suam hac gloria ornare destinatus est; Nascere, dies magne, qui hunc tantum procreabis vatem; et, o sol, appropera celerius, cui illum adspicere primo, placidoque lustrare vultu continget. Hunc virtus, hunc, cum caelesti Musa, sapientia, teneris in ulnis, nutriant. Ante oculos eius sese aperiat totus naturae campus, et inaccessa aliis adorandae religionis amplitudo, nec futurorum saeculorum ordo reclusus penitus obscurusque illi maneat. Fingatur, his ab doctricibus suis, humano genere, immortalitate Deoque ipso, quem inprimis celebrabit, dignus. Gratiarum actio Deo optimo maximo Regi augustissimo Praeceptoribus optimis Dominis M. Friderico Gotthilf Freytagio, Rectori M. Ioanni Ioachimo Gottlob am Ende Past. et Inspect. M. Danieli Peucero ConR. Salomoni Hentschelio Coll. III. Gottlob Geisslero Cant. et Colleg. M. Christophoro Haymanno Diac. et Colleg. Extraord. Ioanni George Gotthelf Hübschio Mathem. et Colleg. consecrata Pietas et officium, quo sanctius nullum maiorisque capax voluptatis mortalis homo nactus est, Tibi nempe, o aeternum Numen, gratum ostendendi animum, omnem me nunc incitat inflammatque. Sed primus me hoc ipso temporis momento maiestatis Tuae adspectus turbat, pioque horrore concutit volentemque multa loqui de Te, Tuaque, o Deus, quodammodo digna sublimitate, infantem reddit. Tueor procul, defixus, mirabundus, immobilisque, adsto. Sed quid adsto? tam humilis ego tam parva rerum Tuarum, o Creator, pars? Procumbam! ado-

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rabo! Hae lacrimae, balbutiens haec et ab ingenti attonitae mentis laetitia interclusa vox, haec meam Tibi, o Numen, pietatem, seu potius pietatis desiderium attestentur. Verum enim vero viae Tuae, qua hominem ducis, vestigia, a nemine prorsus detegi observarique possunt. Summam praeter misericordiam et amorem, nihil fere homo in hoc labyrintho, sapientissimo constante ordine, invenit. O quae tam mira haec cogitantem me admiratio tenet! A tempore scilicet condito multa praeterlapsa prius secula fuerant, quam hanc animam aut crearet, aut factam antea, in lucem hanc sensumque rerum, produceret Deus. Explicabat sese paullatim immortalis mens, et eo felicior tranquilliorque sibi videbatur, quo magis ignara rerum externarum erat. Colebatur in dies, et scire aliquid seu dubitare potius, de rebus, quum esset omnis, quam obtrusam sibi videbat, veritatis inimica, incipiebat. Seipsam denique inprimis cogitabat. Sed quam inextricabilis fere meditanti illi se error ostendebat! Heu! meditari se, ut erret, non sine indignatione, animadvertebat. At, quae omnium illi maxima contigit felicitas, quum pauca scire, et Te, o sanctissimum Numen, adorare, eam demum summam hominis esse sapientiam, meditaretur, se nullo modo errare videbat. Tui igitur contemplatione inprimis occupata, pura sinceraque laetitia, perfundebatur, dignitatisque suae et immortalitatis memor, divina illustris luce, gestiebat. Et haec sunt fere praecipua, quae mihi, o benignissimum Numen, munera tribuisti. Haec coram Te gratus cognosco, levique tantum adumbrata descriptione, Tibi accepta unice refero. O quam laetus ego mirabundusque munificentiam Tuam intueor, qua factum est, ut spiritum a Te ornatum intus alam, sanumque praeterea nactus corpus, mundum Tuum pulcerrimum, seu potius particulas quasdam illius finitasque valde series, contemplari studiose possim. Fac interea modo, o optimum Numen, ut his muneribus, a Te, mihi concessis, ita utar, ut acquirendae pietati virtutique, sanctissimis illis Numinis TUI imitatricibus, lubenti severoque animo, inserviam. Adde praeterea etiam beneficiis, quibus corpus donasti, perennitatem; iis vero, quae nacta est haec immortalis anima mea, aeternitatem. A Te igitur, Deus, ad Fridericum Augustum, quem Saxoniae regem dedisti, ut Numinis Tui imitator, benignitate et amore subiectos sibi populos ornet, descendo. Et quis mihi hic iterum caelestis copiae campus sese aperit! quae amplitudo divitiaeque! Scilicet haec omnia, electi a sese regis interventu, Saxoniae suae larga manu distribuit Deus. O quam vere Augustus, rex optime, felicitate Tua es, tam amplam eximi-

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amque, homines beneficiis beandi, occasionem nactus. Tu recreas, tu oblectas Saxoniam! Tu, non ultimum terrae Saxonicae decus, Scholam provincialem portensem, a maioribus Tuis, et constitutam et altam, benignissime nutris. In hanc ego etiam, quamvis Tuae ditioni non subiectus fuerim, missus, ea a Te beneficia accepi, quae tum demum quodam modo tantum honorantur, ubi ab excitato venerabundoque animo, uti sanctissima quaeque, nominata fuerint. Sine igitur, ut ad solium Tuum augustissimum haec grati hominis pertingat vox, meaque, pro Te, missa, ad Deum, vota, qua es amabili comitate, accipe. In Te scilicet depressi, appropinquantis belli malis, quoniam Fridericum nostrum Augustum intuemur, solatio pleniores suspicimus. Ne igitur frustremur hac spe nostra, coeli potentia, in Augusti recumbat manibus, ut territos, ante se, hostes, divinitus armatus profligare possit. Saxonia, sub eo, beata felicitatis altrice, tranquilla pace, perfruatur, et cum augustissimi regis salute, felicitas, in dies, civium crescat, exteris admiranda, perennisque maneat. Inter ea, vero beneficia, quae, clementissimi regis iussu, hic, in me, collata sunt, Vos, Patres amplissimi, praecipuum obtinetis locum, qui animum fingi cereum optimis praeceptis, efformastis. Quamvis enim et quaedam sint, quae sciendi cupiditati meae exquisitorumque librorum lectioni debeam, plura tamen et praecipua curae vestrae praelectionibusque vestris doctissimis accepta lubens gratusque refero. Solebam enim ea semper, quae vos dicebatis, diligenti studio cogitare meditarique. Sed non ore solum artes liberaliores, sed vita etiam vestra virtutem docebatis. Ad quam quidem docendi rationem quum mirifice attentus semper fuerim, in sensu virtutis diiudicandaque eius pulcritudine, me, non infitior mediocriter esse versatum. Quae quidem res, dici non potest, quam valde meam, erga vos, venerationem auxerit. Ubi enim examinata paullo severius virtus, primoque in ortu, adspecta fuerit, maximum sui splendorem, infucatamque nullo modo pulcritudinem, ostendit. Quum igitur maximum hominis, erga alium, meritum esse existimem; si quis alterum, exemplo suo virtuteque, erudiat et meliorem reddat; principes sane Vobis gratias propterea ago, quod me tam pulcre docere, Vos ipsos, id est, virtutem, volueritis. Nullo unquam tempore, hoc summum beneficii genus obliviscar, gratissima potius immortalique memoria, recolam, quod mihi tam esse felici licuerit, ut vestrum intuens exemplar, sapere ausus fuerim. Et vos, Commilitones dilectissimi, qui mecum hac eadem felicitate

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fruiti fuistis, gratiarum quandam actionem iure vestro, a me, exigitis. Multa scilicet eademque praeclara sunt, quae vestra mistus consuetudine, didici. Ipse enim, in vos, vitamque vestram, tanquam in amplissimum quendam librum, attentus inspexi, obscurissimis illius paginis saepius inhaesi, atque ita diligenter omnia et indefesse repetii, ut memoria pleraque adhuc teneam. Si curiosius ea, quae legi, legerim, ne velim nimis accuratam mihi industriam obiiciatis. Honos quidam, hac ex re, si modo honorare vos ego possum, ad vos redundat. Fui enim semper, in legendis libris, valde delicatus, longeque optimos oportebat esse libros, quos perlegere totos, imo repetere, mihi ipsi concedebam. Qua ex re, ipsi coniicietis, quam magno in pretio hic, quem modo dixi, liber, apud me, fuerit. Quare quae praecipue, in illo, continentur, benigne lubenterque audiatis. At vero quid tam longe lateque similitudine hac circumvagor? Vos ipsos intueor, vos alloquor, vos nomine vestro, commilitones, compello. Sed sine adulatione, qua nihil indignius quicquam amicitia est, quibus in rebus obstrictus vobis sim, declaro. Amavi quosdam, e vobis, quoniam vivida illos mens et delicatior, et cor virtutis pulcritudine tenerrime affectum et flexibile, amabiles mihi reddebat. Sunt alii, quos magni propterea feci, quod, quamvis supra mediocritatem vix surrexerint, rei tamen aliquando publicae sibique, summo studio ac diligentia, inservire cupiebant. Neminem praeterea, sed vitia quorundam odio prosecutus, ingenii, qua laborabant, imbecillitatem, ferre haud gravatus sum. Cum igitur antea nominatis praecipuas gratias habendas esse existimem; hos tamen quadam gratiarum actione non indignos sum arbitratus. Vitii enim illi deformitatem eo clarius mihi videndam dederunt. Sitis precor, commilitones optimi, qualicumque hac grati animi mei declaratione, contenti, credatisque, multos vos, intra concionem vestram, praestantiores ingenio, atque eruditione, et vidisse et visuros esse: accuratiorem autem morum vestrorum contemplatorem, sodalitiique vestri exoptatissimi amantiorem neminem. Tu tandem, Porta, huius amicitiae, et nutrix, et testis oculata, felix sis teneroque hos alumnos Tuos sinu foveas. Tui saepe nominis recordabor pius, Teque, tanquam illius operis matrem, quod Tuo in amplexu, meditando incipere ausus sum, recolam, venerabor.

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Drey Gebete eines Freygeistesq,p eines Christen und eines guten Königs. Des Freygeistes. Ach, wo soll ich mich hinwenden, Erstes der Wesen! daß ich dich finde, daß ich dich kennen lerne, wer du bist? daß ich lerne, wer ich bin? Dieser stille Wald, diese deine Zahllosen, deine Geschöpfe um mich her, diese Schönheit der Natur, haben in meine Seele jene Ruh zurück gebracht, die mich, nun seit Jahren schon, so selten besucht; haben in meine Seele – – Doch ach! habe ich eine Seele? habe ich eine? O, Grab, Grab! entsetzliches Grab! wird etwas Unsterbliches von mir übrig seyn? Oder nimmst du mich ganz? Ganz, wie ich mich itzt fühle? du fürchterlicher, aufgeworfner Staub! du Verwesung! Und darin sollen jene Sonnen noch rollen? und diese Lüfte noch athmen? Die sind besser, als ich? O, Wesen! Wesen! Erster! Namloser! wer bist du? Wer bin ich? ich? Itzt fühle ich mich noch, so ganz, so sanft, so gewaltig, so ausgeschaffen! Und Morgen! Morgen vielleicht! (warum erbarmt sich die Ungewißheit des entsetzlichen Morgens, und läßt ihn halb für mich künftig seyn?) Morgen wird dieses ganze Geschöpf, das sich heut noch so sehr fühlt, dies Gebäu deiner ungedachten stillen Allmacht, o du, den ich suche, und nicht finde! Dies Meisterstück! (o möchte ichs nicht kennen, noch Namen dazu haben!) Morgen wird es ein todter Körper, den man kaum würdigt aufzuheben, und ihn mit Erde zu beschütten; dann bald ein modernder, geschwollner, abscheulicher Leichnam; dann ein wenig Staub seyn, der ungesehn verfliegt, bis, auch sein kleinstes Theilchen, in der Tiefe des unnachgebildeten Kleinen der Schöpfung, verwest, und vielleicht die Bewohner seiner Sterne mit Dünsten der Pest anhaucht! Das alles werd ich, Morgen vielleicht, anfangen zu seyn! Aber dieses Bäumchen, dieser Zweig im Schoosse der Erde, noch schattenlos, mit diesen armen Spröslingen, er wird den andern Frühling wieder blühn! Ist er zu größren Endzwecken geschaffen, als ich? Wenn er das ist, so will ich ihn ausreissen, und hinwerfen, daß er verdorre, und keinen Frühling wieder blühe! – – O NUnerschaffnerM! Unerlöster! Unerlöster? Ach, wenn noch ein Schatten jenes goldnen Bildes von Unsterblichkeit, über meinem jauchzenden Traume, schwebte! Wenn ich noch der nachdenkende Knabe, der sanfte Jüngling, mit der

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stillen, rollenden Thräne, wäre, die damals noch über meine Wange floß, wenn mein Vater den Namen des Unerschaffnen nannte, und zu mir sprach: Du bist erst Sein Sohn, dann meiner! Ach, wenn diese Tage meiner zu gewissen Sterblichkeit wiederkämen! so wollte ich noch Einen Blick in die Gegenden mitternächtlicher Träume thun, wo Gespenster todter Wahrheiten herum wandeln, und sich mit wunderbarem Blute färben! Was zitterst du für Gedanken? Nerve! oder Gehirn! oder Lebensgeist! oder wie du sonst heissest! Du Gestern! Du Augenblick! Noch einer vielleicht! Du Nichts! Oder, damit ich doch etwas bleibe! Du Etwas, das unendlich klein, dicht ans Nichts hin, zertrümmert ist! O, wenn dort erst mein letzter Staub verweste, und den Fluch der Schöpfung, den Tod, weit um sich her, auch dort, verstreute! so fühlte ich diesen brennenden Widerspruch, dieses quälende Gezänk zwischen Tod und Unsterblichkeit in mir nicht mehr! Ach, dieses weit ausgeworfne Loos aller Gebohrnen, aber nur derer, die gen Himmel sehn, und weinen können; nicht jener, die, Begnadigter, über dem Staube kriechen, oder unter der Wolke am tonvollen Wipfel hangen, und, vielleicht! dem Schöpfer singen; wenn es anders so etwas ist, als was die Menschen Wahrheit nennen, daß Er Töne, und was nicht vielmehr, als Töne ist, Gedanken dazu, verlangt! Doch ich will meine Qualen hemmen! Ist dies die Stunde der Stille? die Stunde der Betrachtung? nach der ich so seufzte, und die so selten zu mir zurück kömmt! Aber, warum seufzte ich nach ihr? Warum kömmt sie itzt so selten wieder? Weil ich so elend bin! Ja, ich empfinde es! ich empfinde es! Ich bin elend! ganz elend! Hat denn der, der jene Himmel mit diesem Lächeln froher Empfindungen (wenn sie Empfindungen haben!) überkleidete, hat Er mich so elend gemacht? Oder bin ich es selbst, der sich so elend gemacht hat? Ich will es heraus sagen! Und es soll nicht mehr in meinem geheimsten Herzen herumschleichen! So wenig ich es mir länger verheelen konnte, oder wollte, daß ich ganz elend bin! so wenig kann ich, oder will ich mir den Gedanken ferner verbergen: daß Er anfieng! und ich das Werk seiner Hände vollendete! Er drückte mich gegen die Erde! Ich wurde zu schwer, und stürzte hin! Wenn man erst dort ist, wo Er nicht ist, im Elende, was kömmt alsdann auf einen Schritt, oder Sprung, oder Flug weiter, an? Diesmal habe ich den weitsten, unabsehlichsten Flug gethan, den ein Mensch thun kann! Ich habe Gott bey mir verklagt, und ihn verdammt. Ach! Wesen der Wesen! – – Das verdient ich nicht! Ich kann noch weinen! Ich darf dich nicht nennen! Ach, ich würde

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dich, Erbarmer! nennen, wenn ich dich nennen dürfte! – – Was habe ich gethan? Nun klagt Er mich bey sich selbst an! Doch – – (denn ich kann noch weinen!) Er würdigt mich nicht einmal, daß Er mich verdamme! Ich kann noch weinen! Aber das ist ein fürchterliches Weinen! – – Was durchschauert mich? Fühle ich eine Seele in mir? Und diese Seele das erstemal in dem Augenblicke, da sie gerichtet wird? O könnte ich mich aufmachen, und eilen, und mit diesen Thränen der Vernichtung flehn: Erbarme dich über mich! Denn verflucht sey der Mann, der mich gezeugt! und das Weib, die mich gebohren hat!

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Des Christen. Der Vorige, nach einigen Jahren.

Heut ist der Tag, da ich wieder zu Gott gekommen bin, der grosse feyerliche Tag der Entscheidung, da ichs gewiß wußte, daß ich unsterblich war, daß Gott sich versöhnen liesse, und daß ich mit ihm versöhnt war. Ich will den jauchzenden Tag vor deiner stillen Allgegenwart feyern, o du, den ich niemals aussprechen; aber zu dem ich ewig stammeln, mit heissem Herzen, mit lauten Thränen, und mit Schauern, die jenes Leben hier beginnen, stammeln werde! Wie glückselig bin ich nun! Und wie fehlen mir auch hier die Namen! Wär ein Unsterblicher gekommen, und hätte es mir in jener Zeit, da ich vor Gott floh, der mir mit allen seinen Erbarmungen nachrief, hätte mir ein Engel in dieser dunkeln Zeit gesagt, daß ich es werden würde, was ich nun bin, ich hätte es nicht geglaubt, so elend war ich! O, Dank, Dank! aus diesem ganzen vollen Herzen, der es fassen, und nicht fassen kann, lauter, jubilirender, ewiger Dank, daß ich geschaffen, und mit Gott versöhnt bin! Nun weiß ich, wer du bist? und wer ich bin? o du Naher! Hier um mich Gott, wie du es in der Unendlichkeit jener Himmel bist, die neue Unendlichkeiten gleich ferner Himmel auch nur mit den Gedanken ersteigen; du hier, und dort, und da, und weiter hin! und weiter hin! (steh hier still, Seele! aber steh jauchzend still!) Du dort überall Allgegenwärtiger! Angebeteter! Grosser! Ewiger! Aber auch hier ist Er um mich zugegen, hier, wo ich vor Ihm anbete! Welch ein Gedanke ist dieser! Und wer kann ihn ganz hinauf denken, ausser dem, der ihn werden hieß, und zu seinem Fluge sprach: Hier sind deine Gränzen! Wie selig bin ich! Hier ist Gott! – – Gott war. Da war ich noch nicht! Und lauter Ewigkeit, ein-

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same Ewigkeit, ist dort hinter meinem Rücken! Gott ist! Und ich bin! Gott wird seyn! Und ich werde seyn! Er wird seyn, der er seyn wird! Und ich, was er mich machen wird! Ein vollendeter Gerechter! Vor dem, der ewig ist? Ja, vor dem, der ewig ist! rein, und schuldlos, und einer der Begnadigten, die durch den Tod des grossen Gebohrnen neu erschaffen sind! O du Strom der Glückseligkeit! O du volle Wonne deines Vaters! und meine! Namenlosester unter allen, was die Stimme des Menschen, diesseits der Gräber, nicht aussprechen, noch der Gedanke deß, der den Tod sehn soll, begreifen kann; aber doch hier in meinem überströmenden, schauervollen, anbetenden Herzen empfunden! Ich bin im Einsamen mit Ihm! Hier liege ich tief unten an seinem Blute, und schaue das hohe Kreuz hinauf. O führt alle Morgensterne vor mir vorüber, und laßt mich alle ihre Wonne sehn, und zeigt mir einen Anblick, wie diesen! O, Empfindung! Empfindung! Die Gedanken der Wonne sie strömen, zu Tausenden, in meinem Herzen empor, und ich kann sie nicht aussprechen! Die ihr mit verhülltem Antlitze vorüber geht, Erstgebohrne der Schöpfung, Anbeter, Schutzengel, Engel des Todes, und des Gerichts! gebt mir eure Namen, mit denen ihr Ihn nanntet, da ihr Ihn bluten saht! Ich will dich mit der Stimme des Menschen nennen, o du, den meine Seele liebt! Mein Gebein soll dich noch in der stillen Verwesung nennen, und deinen nicht mehr blutenden Wunden entgegen schauern. Aber wie schön sind sie, deine quellenden Wunden! Mit welcher göttlichen Hoheit schaute dein letzter Blick herab, und brach! Wie neigtest du dein Haupt! O, dein letztes Rufen am Kreuze! Und – – nun entschliefst du! O du Liebenswürdiger! Du Schöner! Du Grosser! Du Angebeteter! O du volle Wonne meiner ganzen Seele! noch vollre! noch höhre! noch unaussprechlichre der jubilirenden, vollendeten Gerechten, wenn sie nun auch über das Grab hin gelächelt hat. Aber auch dann will ich hier stehn! Hier auf Golgotha! hier, wo Sein Blut hingequollen ist. Ich eile dann nicht mit zu jenen ewigen Hügeln, welche Erzengel mit Strömen ihrer Halleluja umtönen! Ich will hier auf Golgotha stehn, wo Sein Blut hingeqollen ist! Und wenn dann die neue Erde zum Eden aufblüht; so soll hier der Baum des Lebens, an meinen Füssen, empor wachsen! Ich will seine jungen Spröslinge entfalten, dann, unter seinen Schatten, mit Augen, die Jubellieder weinen, zu dem aufschaun, der für mich geblutet hat! Wo verweilst du? Unter welchen Bluhmen liegst du verborgen? sanftester unter den Freunden! Schöner Tod! Du Tod des Christen! Komm, komm! und hülle den müden Wandrer im

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Staube, zween Schritte tiefer ein! Und du, den meine Seele liebt, du mit den schimmernden Wunden, schau dann herunter, vom hohen Kreuz herunter, und erbarme dich meiner letzten Thränen, wie du dich meiner erbarmt hast, eh ich gebohren ward.

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Des guten Königs. Nun ist der ermüdende Tag vorüber! Hat der erste schon so viel Schweiß? Aber ich will den Schweiß mutig abwischen, und auf den grossen Lohn schaun! Wie wallte mein Herz diesem stillen Abend zu! Nun ist er gekommen! Ich will alles, was bey meiner grossen, unaussprechlichen Glückseligkeit menschliche Kleinigkeiten sind, vergessen, und mich ganz in mich hinein versammeln. Und nun –– nun lege ich, Grosser! Unaussprechlicher! Ewiger! nun lege ich meine Krone vor dir nieder, und lasse mein ganzes Herz vor dein Auge hinströmen! Du bist rund um mich allgegenwärtig. O wie jauchzt meine Seele, daß ich mich auf mein Angesicht werfen, und mit dem, der ewig ist, reden darf. Ich unterwinde mich nicht, die Geheimnisse deiner Vorsehungen, und ihre hundert tausend Tiefen, zu ergrübeln! Aber du weißt es, o du Schöpfer und Richter der Welt, wie meine Seele noch staunt, daß du mich über deine Tausende, der ich Staub, wie sie, bin, zum Könige gesetzt hast. Vielleicht sind Engel, die vor dieser Würde zitterten. Ich zittre mit ihnen! Verhülle mein Auge! und werfe meine Krone nieder! Ach! es wird ein grosser Tag kommen! Laß mich denn, du furchtbarer Richter! eine beßre Krone mit Freuden niederlegen können! Du hast mich zum Glückseligsten unter tausendmal Tausenden gemacht! Wer bin ich? Staub von Staube, wie die Zahllosen, über die du mich gesetzt hast! Mein Vater war, was ich bin, und ich bin geworden, was er war! Daß sein Gebein sanft ruhe, und er vor seinem Richter freudig stehn möge! Mir aber sende deine Weisheit, daß ich der Lasten, und des Schweisses, und der Ehre würdig sey, die du mir gegeben hast! O sende sie von deinem Himmel herab! Ein Engel führe sie mir zu! Und mein Auge sehe sie in ihrer Schönheit! Sie wollen mir lauter Bluhmen auf meinen Weg streun, daß die Bluhmen hoch aufwachsen, und mir die beßre Krone verdecken! Ich will die Bluhmen zertreten, und auf die Krone schaun! Er ist rauh mein Weg, ich kenne ihn wohl! Aber die Krone, die Krone! wie schimmert sie! Wenige Weise wissen, wie schön sie ist, und noch weniger Könige habens gewußt! Laß

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mich unverwandt auf ihren grossen Lohn schaun! Denn mein Weg ist sehr rauh, und ich will der Bluhmen nicht! Ich weiß meine grossen Pflichten. Anbetung, und heisses, ewiges Lob sey dir, mein Schöpfer und Gott, daß mein Herz willig war, sie zu lernen! Ich soll deine Tausende glücklich machen! Aber der Weise und der Tugendhafte will auf eine andre Art glücklich seyn, als die Tausende. Laß mich den Weisen und den Tugendhaften nicht umsonst suchen! Ihn zu finden, ist der Anfang meiner Belohnung hier. Aber laß ihn auch seiner würdig bleiben, wenn ich ihn gefunden habe! Ach, zu oft vergassen Könige im Taumel schlechter Freuden die Glückseligkeit ihres Volks; und, auch nüchtern, war ihre Seele zu klein, den Weisen zu suchen! Nun sind sie gerichtet! wenn ich sie dort sehn soll, wo die Krone, aus Hügeln aufgegraben, keine Würde mehr giebt; so laß sie mich mit den Freuden eines Manns sehn, der Recht gethan hat. Ja, mein heisses Verlangen, meine gerungne, emporgehobne Hand, die Thränen meiner heiligen Pflicht, bringen himmlische Freude in mein Herz! Ich bin ganz freudig! Ich fühle es! ich fühle es! hier in meinem schlagenden Herzen fühle ich es, daß ich Recht thun will! Und du wirst meine tiefe Anbetung erhören, o du grosser Menschenfreund! Du Schöpfer! Du Freund der Erschaffnen! Darum flehe ich dich nicht an, daß du mich vom Kriegsblute rein erhaltest! Du kennst den ganzen Ekel meiner Seele vor dem stolzen Erobrer, und meine Verachtung gegen ihn! Du weißt, wie mein Herz vor dem todtenvollen Gefilde schauert, und wie ich ihn hasse den Lorbeer, der aus Blute empor wächst! Aber wenn ein solcher Ungerechter kömmt, und mein theures Volk tödten will; dann will ich vor ihnen herziehn, und mit ihnen bluten! Und der Ungerechte soll sehn, daß der Gott der Könige und der Menschlichkeit mit mir ist! Das ist die Wonne meiner Seele, daß dein Auge meine Menschlichkeit sehn, und deine Weisheit mich immer lehren wird. Auf diesen Felsen trete ich sicher und jauchzend hin, und bin der Glückseligste unter den Menschen! Und nun soll mein ganzer Jubel vor dich hinströmen, daß du mich so glückselig gemacht hast! Aber mit welchem Namen soll ich sie nennen alle die Freuden die meine Seele füllen? Und ich bin (ich werde es ewig in meinem dankenden Herzen wiederholen!) ich bin, vor diesen tausendmal Tausenden, bestimmt, erwählt, auserkohren, von Gott auserkohren, sie alle zu Glückseligen zu machen? ich? –– Welch ein weiter, offner Schauplatz! Welch eine Aussicht der Wonne! O, ich lasse dich nicht, mein Schöpfer und Gott! ich lasse dich nicht, du segnest mich denn mit der Glückseligkeit aller, über die du mir diese hohe Gewalt ge-

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geben hast! Einem sterblichen Menschen ist eine solche Gewalt gegeben? Ach, einer, der im Frieden schlummert, ein Vollendeter, Rechtschaffner, ein ganz Unsterblicher, er würde wiederkehren, und von neuem ein Sterblicher werden wollen, wenn ihm dieses Höchste der Geschäfte, zahllose Glückselige zu machen, gegeben würde! Komm spät, verweile dich lange, ach, komm spät, sanfter Tod, der auf mich wartet! Ich muß erst den Knaben, der itzt im Arme der Mutter weint, oder lächelt, zu einem glücklichen Manne machen! –– Wie kann, wie soll ich dich, du grosser Ewiger! tief genung für alle die Freuden anbeten, die du mir ohne Maaß giebst! das ist der einzige Kummer meiner Seele, daß ich dich nicht genung anbeten kann. Aber du siehst ihre Fülle, ihren ganzen Strom, der sich fortreissen will, und nicht kann! Nun es soll dich, du grosser Glückseliger! du Vater aller Wonne! jede meiner Thaten, jeder Gedanke, der die Thaten zeugt, soll dich still anbeten! Wenn ich die trocknende Thräne des Leidenden, wenn ich die Freudenthräne meiner Glücklichen sehn; wenn ich ihren lauten Segen hören werde: dann, dann kann ich mich nicht mehr halten! dann eile ich in meine Einsamkeit! dann falle ich vor dir nieder, und weine vor Freuden! –– Laß, o laß mich, mein furchtbarer Richter! in dieser Gesinnung mit dem festen Herzen eines Mannes bleiben, der thut, was er sich vornimmt! Erhöre dies mein Gebet, und erhöre es noch, wenn du mich schon oft erhört haben wirst, wenn meine grauen Haare mit allen Ehren eines Manns, der Recht gethan hat, gekommen seyn werden! Dies sey mir ein Zeichen, daß du mich erhört hast: und laß mich jede Schmeicheley, auch die feinste, und verdeckteste, und alle ihre Schlangenwendungen von ferne sehn; die Schmeicheley jedes Eiteln und Stolzen, der haben will, daß ich in meinem Hause unaufhörlich lächle! und nicht haben will, daß ich es wisse, daß der Elende in seiner Hütte weint! Laß sie mich mit Thaten schrekken, die ihrer nicht bedürfen! Ja, selbst die gutgemeynte und sanfte Schmeicheley des rechtschaffnen Manns, der seiner Würde vergaß, laß auch sie mich sehn; aber niemals ahnden, niemals zürnen, daß auch er ein Mensch ist. Denn ich werde es selbst seyn, und ihm vielleicht zu froh vergeben! Erhalte mich in deiner Weisheit, daß ich es selten thue! –– Dank! und laute Anbetung! und alle Wonne, die Sterbliche und Unsterbliche empfinden können, sey dem grossen, ewigen Könige! Dem Unerschaffnen! Dem Glückseligen! Dem Liebenswürdigen! Dem Furchtbarsten der Richter! Dem Väterlichsten der Väter! Dem Wesen der Wesen!

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Von der heiligen Poesie. Das Publicum ist sehr berechtigt, von dem, der etwas den Aussprüchen desselben unterwirft, zu fordern, daß er, wenn er das Gemälde aufgestellt hat, weggehe, und schweige. Ich darf sagen, daß ich diesem Gesetze beynahe mit einer Art Gewissenhaftigkeit nachgelebt habe. Ich habe mich gleich von Anfange unter die Zuschauer gemischt, geschwiegen, und von einigen gelernt. Ich werde auch izt nichts anders thun. Ich werde nur einige von den Zuschauern, die mich hören wollen, auf die Seite nehmen, und sie auf eine Stelle führen, von welcher, wie ich glaube, Gedichte von dieser Art, in ihrem wahren Gesichtspunkte, angesehn werden. Meine Absicht ist also nicht, vom Messias; sondern von derienigen Poesie, die ich die heilige nenne, überhaupt zu reden. Ich weis sehr wohl, daß ich mich hier doppelter Gefahr aussetze. Die erste ist, daß ich von einer Sache nur etwas sage, von der man ein Buch schreiben müste, sie ganz zu sagen. Und es ist schwer, von einer wichtigen Sache genung zu sagen, wenn man sie nicht erschöpft. Die zweite Gefahr ist, daß ich meine Richter an die strengen Fordrungen erinnre, die sie, so sehr berechtigt, an denienigen thun, der es unternimmt, sie, durch diesen Weg, auf den erhabnen Schauplatz der Religion zu führen. Allein so wohl diese Vorstellung, als auch meine Abneigung, etwas, das zur Kritik gehört, zu schreiben, hat bey mir der Gedanke überwunden, daß ich dadurch vielleicht etwas thäte, das einigen nützen, und andern angenehm seyn könnte. Eh ich von der Sache selbst rede, kann ich die Frage nicht ganz unberührt lassen: Ob es erlaubt sey, den Inhalt zu Gedichten aus der Religion zu nehmen? Es können sie einige, aus wirklicher Frömmigkeit, thun. Diesen antworte ich mit der Ehrerbietung, die ich gegen iedes rechtschafne Herz habe. Der Theil der Offenbarung, der uns Begebenheiten meldet, besteht meistentheils nur aus Grundrissen, da doch diese Begebenheiten, wie sie wirklich geschahn, ein grosses, ausgebildetes Gemälde waren. Ein Dichter studirt diesen reichen Grundriß, und mahlt ihn nach den Hauptzügen aus, die er in demselben gefunden zu haben glaubt. Zugleich weis man von ihm, daß er dieß für nicht mehr, als Erdichtungen ausgiebt. Er thut, in seiner Art, nichts weiter, als was ein andrer thut, der, aus den nicht historischen Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet. Sie dachten, auf verschiedne Weise, über die Religion nach.

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Wenn aber ein andrer aus noch zärterer Sorgfalt, nichts Fremdes in die Religion einmischen zu lassen, einwendet: Der Dichter bringt mich, durch seine mächtigen Künste dahin, daß ich zu der Zeit, da ich ihn lese, oder auch noch länger, vergesse, daß es ein Gedicht ist. Ist es erlaubt, daß Jemand mich und viele zu einer solchen Art zu denken verleite, daß wir unvermerkt Geschichte, von denen wir nicht gewiß wissen, daß sie geschehn sind, für Geschichte von so grosser Bedeutung, von solchen Entzwecken, für Geschichte der Religion, ansehn? Wenn Jemand diesen Einwurf im Ernste machen könnte, würde ich sagen: Die Folgen, die er aus den Geschichten zieht, welche er, in diesem Feuer des Herzens oder der Einbildungskraft, für wahr hält, sind seinem moralischen Charakter nicht schädlich. So bald die Geschichte von einer Art wären, daß sie dieses seyn könnten, so wird er gewiß, eh er danach handelt, sich erinnern, daß es Erdichtungen sind. Da ich also, wie ich glaube, die Erlaubniß, in der Religion zu dichten, annehmen darf; oder mit andern Worten, da ich für erlaubt halte, auch nach poetischer Denkungsart, dasienige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln: so gehe ich zu dieser viel wesentlicheren Frage fort: Unter welchen Bedingungen man von Materien der Religion dichten dürfe? Diese Bedingungen werden von nichts Geringerm, als von dem innern Plane der Religion bestimmt. Ein Theil des Entwurfs und der Ausbildung eines heiligen Gedichts hängt zwar von dem Genie und dem Geschmacke des Poeten ab; ein andrer Theil aber, und vielleicht der größte, gehört vor den Richterstul der Religion. Es ist hier so gar nicht genung, daß der Verfasser des heiligen Gedichts den Riß der Religion tiefsinnig studirt habe, ihren grossen Umfang, nebst allen ihren Verhältnissen genau kenne; sie muß auch sein Herz, mit derienigen starken Hand gebildet haben, die an dem rechtschaffnen Manne, der sie versteht, so kennbar ist. Eh ich diese Gedanken weiter aus einander setze, und sie in einigen ihrer beynahe unzählbaren und fast immer moralischen Aussichten zeige, muß ich mich in wenigen Anmerkungen auf das beziehn, was in dem heiligen Gedichte von dem Genie und Geschmack allein abhängt. Einige meiner Leser bitte ich, dieß zu überblättern. Sie wissen, von welchem grossen Umfange des Schönen und des Nützlichen die Poesie ist; welche würdige und mannigfaltige moralische Absichten sie haben kann, immer haben sollte, und selten hat. Sie wissen, was die Welt, von dem aufgeklärtesten Richter an, bis auf den lezten Nachsager, von der

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höhern Poesie fordert. Sie haben gelesen, und selbst gedacht. Sie halten nur das durch die Zeit reifgewordne Urtheil des Publici, und nicht den Kritikus, für unfehlbar. Dieser hatte sie oft überzeugt, daß, was er Geschmack nenne, nicht selten Kurzsichtigkeit, Eigensinn, Einseitigkeit, oder gar nur Mode sey. Sie haben festgesetzt, daß in Einem kleinen Stücke des Virgils, und derer, die mit ihm genannt zu werden verdienen, mehr eigentliche, und wahre Regel, als in vielen Lehrbüchern sey. Es sind aber noch andre, und eben so verehrungswürdige Leser, die wenig von diesem allen wissen, es zu wissen verdienen, eine unverdorbne natürliche Empfindung, und ein gutes Herz haben. Sie sind ein sehr würdiger, so schätzbarer, und der größte Theil des Publici, wenn man nicht alle, die sich ins Urtheilen mischen, zum Publico rechnet. Der Verfasser eines heiligen Gedichts muß besonders auch für sie schreiben. Und für sie mache ich folgende wenige Anmerkungen über die höhere Poesie, welche ich voraussetzen muß, um die Frage zu erklären: Auf welche Art man von Materien der Religion dichten dürfe? Ich will jenes in kurzen Sätzen thun. Die höhere Poesie ist ein Werk des Genie; und sie soll nur selten einige Züge des Witzes, zum Ausmalen, anwenden. Es giebt Werke des Witzes, die Meisterstücke sind, ohne daß das Herz etwas dazu beygetragen hatte. Allein, das Genie ohne Herz, wäre nur halbes Genie. Die lezten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, daß sie die ganze Seele bewegen. Wir können hier einige Stufen der starken und der stärkern Empfindung hinaufsteigen. Dieß ist der Schauplatz des Erhabnen. Wer es für einen geringen Unterschied hält, die Seele leicht rühren; oder sie ganz in allen ihren mächtigen Kräften, bewegen: der denkt nicht würdig genung von ihr. Man fordert von demienigen, der unsre Seele so zu bewegen unternimmt, daß er iede Saite derselben, auf ihre Art, ganz treffe. Sie bemerkt hier ieden Miston, auch den feinsten. Wer dieses recht überdacht hat, wird sich oft entschlossen haben, lieber gar nicht zu schreiben. Wem es dennoch glückt, der hat Empfindungen in uns hervorgebracht, die, weder die höchste philosophische Überzeugung, noch die andern Arten der Poesie, verursachen können. Diese Eindrücke haben, in Betrachtung der Stärke und der Dauer, einige Ähnlichkeit mit dem Exempel, das ein grosser Mann giebt.

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Die höhere Poesie ist ganz unfähig, uns durch blendende Vorstellungen zum Bösen zu verführen. So bald sie das thun wollte, hört sie auf zu seyn, was sie ist. Denn so sehr auch einige sich selbst klein machen wollen, so können sie sich doch niemals so weit herunter bringen, daß sie etwas anderm, als was wirklich edel und erhaben ist, diese grosse und allgemeine Bewegung aller Kräfte ihrer Seele erlaubten. Der lezte Endzweck der höhern Poesie, und zugleich das wahre Kennzeichen ihres Werths, ist die moralische Schönheit. Und auch diese allein verdient es, daß sie unsre ganze Seele in Bewegung setze. Der Poet, den wir meinen, muß uns über unsre kurzsichtige Art zu denken erheben, und uns dem Strome entreissen, mit dem wir fortgezogen werden. Er muß uns mächtig daran erinnern, daß wir unsterblich sind, und auch schon in diesem Leben viel glückseliger seyn könnten. Der Mensch, auf diese Höhe geführt, und in diesem Gesichtspunkte angesehn, ist der eigentliche Zuhörer, den die höhere Poesie verlangt. Man kann hier, auch ohne Offenbarung, schon weit gehn. Homer ist, ausser seiner Göttergeschichte, die er nicht erfunden hatte, schon sehr moralisch. Wenn aber die Offenbarung unsre Führerinn wird; so steigen wir von einem Hügel auf ein Gebirge. Youngs Nächte sind vielleicht das einzige Werk der höhern Poesie, welches verdiente, gar keine Fehler zu haben. Wenn wir ihm nehmen, was er als Christ sagt, so bleibt uns Sokrates übrig. Aber wie weit ist der Christ über Sokrates erhaben! Vielleicht sind auch noch folgende Anmerkungen, in Betrachtung dessen, was ich von der heiligen Poesie zu sagen habe, nicht überflüssig. Wir haben uns gewöhnt, der Seele Verstand, Einbildungskraft, und Willen, als Hauptkräfte, zu geben. Das Gedächtniß, das immer mit ienen zugleich wirkt, gehört nicht hierher. Wer Werke der höhern Poesie unternimmt, sieht dieß, nach seinem Entzwecke, so an. Die Einbildungskraft ist ihm öfter eine Malerinn des grossen und furchtbaren Schönen in der Natur, als ihrer sanftrührenden Gegenstände. Indem er ienes malt, gelingen ihm alsdann die stärksten Züge, wenn er sich, durch das Feuer seiner Abbildung, der Leidenschaft nähert. Dem Verstande legt er am liebsten dieienigen Wahrheiten vor, die gewust zu werden verdienen, und die nur der rechtschafne Mann ganz versteht.

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Und in dem Willen, oder dem Herzen, dieser vielseitigen und gewaltigsten Kraft der Seele, sucht er vorzüglich dieienigen Empfindungen zu treffen, die es erweitern, die es groß und edel seyn lehren. Aber sein Zweck geht weiter, als Eine Kraft der Seele, indeß die andern schlummern, nur zu erregen, sie sanft zu unterhalten, und ihr einen stillen Beyfall abzulocken. Eine Absicht, welche auch Meisterstücke hervorgebracht hat! Er bringt uns, (welches ihm besonders alsdann glückt, wenn ihn der Schauspieler, oder der Vorleser verstanden hat,) er bringt uns mit schneller Gewalt dahin, daß wir ausrufen, uns laut freuen; tiefsinnig stehn bleiben, denken, schweigen; oder blaß werden, zittern, weinen. Die Kritik sollte sich fast nicht einlassen, die Ursachen dieser so schnellen und so mächtigen Wirkungen aufzusuchen. Sie sind von so verschiednen Feinheiten, und diese haben ein so mannichfaltiges Verhältniß untereinander, daß es unendlich schwer ist, sie alle mit Richtigkeit zu entwickeln. Und wenn sie entwickelt sind, so untersucht sie der Leser von tiefsinnigem Geschmacke zwar gern; allein der Poet wuste sie schon, und wuste noch mehr, als diese; oder, wenn er auch etwas Neues lernte, so würde er doch nicht mehr Poet dadurch. Überdieß sind diese feinen Entwicklungen, die den Faden durch das ganze Labyrinth ziehn, zu sehr der Gefahr ausgesetzt, unrichtig, durch ihre Feinheit, zu werden. Doch etwas läßt sich davon sagen. Das schwerste für den Verfasser und den Beurtheiler iedes grössern Gedichts ist der Grundriß des Ganzen. Das wesentlichste dieses Grundrisses ist, Einfalt und Mannichfaltigkeit auf eine Art verbinden, die grossen Entzwecken angemessen ist; eine gewisse Hoheit in die Hauptidee des Gedichts bringen; die kühne Erfindung eben an ihre Gränzen, und keinen Schritt darüber, führen; neue Charaktere, aber diese so groß und so liebenswürdig zeigen, daß es uns sonderbar vorkömmt, daß sie dennoch neu sind; die Hauptbegebenheiten Hand an Hand so auf Einem Schauplatz fortleiten, daß die Episode immer um sie und neben ihnen ist, und sich so wenig jenseits der Berge verirrt, daß sie sich vielmehr oft in die Reihe der Hauptbegebenheiten einflicht. Es ist noch eine gewisse Ordnung des Plans, wo die Kunst in ihrem geheimsten Hinterhalte verdeckt ist, und desto mächtiger wirkt, ie verborgner sie ist. Ich meine die Verbindung und die abgemeßne Abwechslung derienigen Scenen, wo in dieser die Einbildungskraft; in iener die weniger eingekleidete Wahrheit; und in einer andern die Leidenschaft, vorzüglich herrschen: wie sich diese Scenen einander vorbereiten, unterstüzen,

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oder erhöhn; wie sie dem Ganzen eine grössre, unangemerkte, aber gewiß gefühlte Harmonie geben. Wir wollen annehmen, daß sich der Poet vorgesetzt habe, in einer gewissen wichigen Stelle unser Herz in einem sehr hohen Grade zu bewegen. Vielleicht würde er unvermerkt auf folgende Art verfahren. Vielleicht würde er sich auch den Entwurf gemacht haben, es zu thun. Hier das Herz mit dieser Stärke zu bewegen, sagt er zu sich, muß ich immer, und so steigen, daß ieder meiner vorhergehenden Schritte Vorbereitung sey. Diesen stummen, erstaunungsvollen Schmerz will ich hervorbringen! Ich muß meine Hörer nach und nach mit wehmütigen Bildern umgeben. Ich muß sie vorher an gewisse Wahrheiten erinnern, die ihre Seele für diesen lezten grossen Eindruck aufschliessen. Wenn sie eine Weile bey Gräbern, die noch mit Blumen bedeckt waren, vorübergegangen sind, dann sollen sie, noch schnell genung, an die tiefe, todtenvolle Gruft kommen. Führte ich sie auf einmal dahin, so würden sie mehr betäubt werden, als fühlen. Es gehören diese Vorbereitungen ohnedieß zu meinem übrigen Plane; und izt will ich sie, aus dieser Ursache, so anordnen. Einige werden diese Anmerkungen über die Kunst des Plans für zu hoch getrieben halten; aber wohl nur dieienigen, die, wenn sie andrer Meinung gewesen wären, den Satz in der Ausübung übertrieben hätten. Das Erhabne, wenn es zu seiner vollen Reife gekommen ist, bewegt die ganze Seele. Und welche Seele am meisten? Die selbst Hoheit hat, die selten bewundert, aber auch mehr bewundert, als irgend eine kleine, wenn sie muß. Mittelmässige Seelen trift es nur mit einem gewissen Schlage, den sie nicht ganz fühlen, weil sie mehr durch ihn erschüttert werden, als ihn fühlen. Die Kräfte unsrer Seele haben eine solche Harmonie unter sich, sie fliessen, wenn ich es sagen darf, so beständig in einander, daß, wenn Eine stark getroffen wird, die andern mit empfinden, und in ihrer Art zugleich wirken. Der Poet zeigt uns ein Bild. Dem Bilde giebt er so viel Ebenmaaß und Richtigkeit, daß es auch den Verstand reizt, oder er weis ihm gewisse Züge mitzutheilen, die nahe an die Empfindung des Herzens gränzen. Die ungeschmükte Wahrheit, die allein den Verstand zu beschäftigen schien, hat gleichwohl unter seiner Hand einige helle Minen der Bilder angenommen, oder sie zeigt sich mit einer solchen Würde und Hoheit, daß sie die edelsten Begierden des Herzens reizt, sie in Tugend zu verwandeln. Ist es das Herz, so der Poet angreift, wie schnell entflammt uns dieß! Die ganze Seele wird weiter, alle Bilder der Einbildungskraft erwachen, alle

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Gedanken denken grösser. Denn ob gleich einige Leidenschaften eine gewisse ruhige Art zu denken ganz unterbrechen, so feuert uns doch überhaupt das bewegte Herz an, schnell, groß und wahr zu denken. Welche neue Harmonie der Seele entdecken wir dann in uns! Mit welchem ungewohnten Schwunge erheben sich die Gedanken und Empfindungen in uns! Welche Entwürfe! welche Entschlüsse! Aber dieser unsrer Erhebung hängt oft noch eine gewisse Mittelmässigkeit an. Wir fühlens, wir wollten uns noch höher erheben. Unsre Seele ist noch weiter. Sie kann noch mehr fassen. Uns fehlte die Religion noch. Wir waren nur noch in der Sphäre, wo wir selbst die Wahrheiten erfunden haben. Wie glücklich ist gleichwohl derienige, der hier viel weis, viel denkt, und viel empfindet. Aber wie glückselig der, der auch nur angefangen hat, die viel höhern Wahrheiten der Religion zu verstehn, und zu empfinden. Die Religion ist, in der Offenbarung selbst, ein gesunder männlicher Körper. Unsre Lehrbücher haben ein Gerippe daraus gemacht. Doch haben sie in ihren Absichten ihren grossen Nutzen. Der Verfasser des heiligen Gedichts ahmt der Religion nach; wie er, in einem nicht viel verschiedenen Verstande, der Natur nachahmen soll. Ob gleich die Offenbarung, in Absicht auf die Lehren fürs Herz, nur auf dem Wege der Natur fortgegangen war; so ist doch ihr Mittel uns von neuem glückselig und tugendhaft zu machen, weit über die Natur erhaben. Das heilige Gedicht ist auf einem viel höhern Schauplatze. Der Plan der Offenbarung ist seine erste Regel. Ein Gedicht, dessen Inhalt aus gewissen Geschichten des ersten Bundes genommen würde, müste nach einer andern Hauptidee gearbeitet werden, als eins, so das Innre der Religion näher anginge. Jenem wäre, wenn ich so sagen darf, noch eine Art Weltlichkeit erlaubt. Der Anstand oder die Würdigkeit, so wohl der handelnden Personen als ihrer Handlung, ist vielleicht das schwerste in dem heiligen Gedichte. Diese Schwierigkeit geht so weit, daß man mit vielen Gründen behaupten könnte, Gott gar nicht reden zu lassen. Die Offenbarung selbst führt Gott auf doppelte Art redend ein. Bald redet er ganz kurz, und ganz als der Schöpfer und Richter der Welt; bald so erbarmend, daß er den Menschen die Ursachen seiner Gerichte anzeigt, und die Bedingungen, unter welchen sie Gnade erlangen sollen, oft wiederholt. Diese Würdigkeit soll sich eben so in den menschlichen Bildern zei-

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gen, durch die der Dichter die Handlungen Gottes vorstellt. Er muß hier mit genauer Sorgfalt in den Fußtapfen der Offenbarung bleiben. Man könnte, den höchsten Grad dieses Anstands, Feyerlichkeit nennen. Eine Handlung, die an sich selbst wahrscheinlich ist, wird, durch den Mangel der Würdigkeit, unwahrscheinlich. Diese Würdigkeit muß für die geringsten Personen des heiligen Gedichts einige Züge übrig haben. Und um ihrentwillen gehören weder gewisse Personen, noch gewisse Handlungen darein, die in andern epischen Gedichten einen Platz verdienten. Die Geschichte der Bibel, besonders die, so das Innre der Religion näher angeht, enthält nur einige der grossen Thaten, die geschehn sind, und sie sagt uns selbst in starken Ausdrücken, daß die meisten für uns (gewiß nur so lange wir hier leben) verloren sind. Einige andre entwirft sie mit so wenigen Worten, daß wir nothwendig Umstände hinzudenken müssen, um sie uns vorzustellen. Dieß sind Gründe für die Wahrscheinlichkeit der Erdichtungen überhaupt. Gewisse Wahrheiten, deren völlige Erkenntniß uns in diesem Leben noch nicht nothwendig ist, sind uns so offenbart, daß sie so viel Winke zu seyn scheinen, weiter über diese Wahrheiten nachzudenken. Entdekkungen, die wir auf diese Art machen, gehören in das heilige Gedicht. Und oft können wir Erdichtungen darauf gründen. Einige Kritici sind viel zu freygebig mit der Erlaubniß gewesen, nach welcher der Dichter, auf die Sage, in Absicht der Geschichte; und auf den Wahn, in Betrachtung der Grundsätze, fortbauen dürfe. Der Verfasser des heiligen Gedichts muß hier vor allen andern Dichtern am behutsamsten seyn. Wenn alles dieß, was der Poet auf diese oder iene Art folgert, oder hinzudichtet, demienigen, was wir gewiß wissen, nicht allein nicht widerspricht, sondern auch in dem lichtvollen Plane der Religion kein zu dunkler Schatten ist; so hat er sich aufs wenigste bemüht, der Religion nicht unwürdig zu dichten. Dasienige, was uns die Offenbarung lehrt, besteht, aus moralischen Wahrheiten; aus Begebenheiten; aus Prophezeyhungen; aus Geheimnissen; und aus solchen Stellen, wo das Geheimnisvolle mit jenen, besonders mit moralischen Wahrheiten, vermischt ist. Ob gleich überhaupt dieses alles sehr deutlich geschrieben ist; so giebt es doch auch viele tiefsinnige Stücke. Es ist sonderbar, daß die Ausleger eben so oft bey

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den deutlichen Stellen, als bey den tiefsinnigen, geirrt haben. Ich nenne schon Irrthum, wenn man zuweilen da hundert Schritte sehn will, wo man nur einige sehn sollte, und wenn man sehn will, wo man nur glauben sollte. Im Gegentheil nenne ich eine Vermuthung, als eine solche betrachtet, noch nicht Irrthum. Denn wir dürfen, wo wir in der Schrift dazu veranlaßt werden, mit Demut vermuthen. Aber so wohl in Betrachtung dessen, was wir für eine vermuthliche Wahrheit, als auch dessen, so wir für eine gewisse halten, scheint es, daß der Verfasser des heiligen Gedichts sich folgendes zur Regel zu machen habe. Die moralische Wahrheit der Bibel, besonders da, wo sie eine Stufe höher, als die philosophische, steigt, muß in ihrer vollen Stärke gesagt werden; aber nicht mürrisch und trübsinnig. Die Offenbarung ist beydes nicht. Sie ist voll Ernst. Einige heilige Begebenheiten lassen eben so wenig eine Ausbildung zu, als sie andre zu fordern scheinen. Die Stelle: „Die Gräber thaten sich auf, und stunden auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen; und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung, und kamen in die heilige Stadt, und erschienen vielen.“ Diese Stelle ist von der lezten Art. Wo eine Anwendung der Prophezeihung nötig seyn sollte; so hat sie keine andre Regel, als die allgemeine Regel der Schriftausleger, die sie dabey zu beobachten haben. Nur müste der Dichter die Erfüllung in eben dem Tone beschreiben, in welchem der Prophet die Begebenheit vorher verkündigt hat. Die Geheimnisse sind dasienige, was mit der meisten Einfalt gesagt werden muß, ausser wo sie, daß ich so sage, zu Begebenheiten werden. Alles, was der Messias thut, ist Geheimniß, weil er der Gottmensch ist, aber dennoch ist es zugleich historisch. Bey den vermischten Geheimnissen, zum Exempel, bey der Ordnung, in welcher der Mensch selig werden soll, ist dem Dichter vorzüglich die äusserste Sorgfalt nöthig, seiner grossen Wegweiserinn, der Offenbarung, zu folgen. Da ich vorher sagte, der Dichter müsse der Religion nachahmen, wie er der Natur nachahmen soll; so meinte ich nicht die Schreibart der Offenbarung. Ich meinte den Hauptplan der Religion: Grosse wunderbare Begebenheiten, die geschehen sind, noch wunderbarere, die geschehen sollen! eben solche Wahrheiten! diesen Anstand! diese Hoheit! diese Einfalt! den Ernst! diese Liebenswürdigkeit! diese Schönheit! so weit sie sich durch eine menschliche Nachahmung erreichen lassen. Die Nachahmung der Propheten, so fern ihre Werke Meisterstücke der Beredtsamkeit in Absicht auf den Ausdruck sind, ist etwas anders.

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Die Griechen, die Römer, und die Franzosen, haben ein goldnes Weltalter ihrer schönen Wissenschaften, das in kurzer Zeit eingeschränkt ist. (Ich weiß nicht, warum wir vergessen haben, den Engländern auch eins zu geben? Es ist schon lange her, daß sie Meisterstücke haben. Und mindstens haben sie, durch Glover, nicht aufgehört.) Das goldne Weltalter der Hebräer ist von viel längrer Dauer. Es fängt mit Moses oder Hiob an. Und es sind zwo verschiedne Sachen, die Schreibart der Morgenländer überhaupt, und die Schreibart der Offenbarung. Die höhern Wesen, welche, für unsre philosophische Erkenntniß, ausser der Schöpfung waren, die wir kennen, sind durch die Offenbarung in dieselbe zurückgekommen. Aber sie musten, nach unsrer Art zu denken, auch für die Einbildungskraft gebildet werden. Und daß sie dieß würden, hat seine guten Gründe. Es ist wahrscheinlich, daß endliche Geister, die sich besonders auch mit Betrachtung der Körperwelt beschäftigen, Leiber haben. Und es ist nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeit, daß Wesen, die Gott auch so sehr bey der Seligkeit der Menschen braucht, einen Körper empfingen, der demienigen ähnlich war, welchen der Mittler dieser Seligkeit annahm. Der Verfasser des heiligen Gedichts ist hier auf eine ganz neue Scene der Einbildungskraft geführt. Hier kann er besonders seinem grossen Zwecke am nächsten kommen, den Bildern solche Züge zu geben, daß er zugleich den Verstand beschäftigt, oder die Empfindungen des Herzens in Bewegung setzt. Einfalt und Hoheit sind hier die Züge der lezten Hand. Und welche erstaunungswürdige Wahrheiten legt die Religion dem Verstande vor! Wie bringen diese in unsre Seele dieienige Hoheit zurück, die ihr angeschaffen war! Und wie vielseitig sind sie! Jeder ihrer Zweige giebt dem Wandrer, der von Kleinigkeiten ermüdet war, einen Schatten, unter dem er ausruhn, und sein wahreres Leben athmen kann. Seyd vollkommen, wie Gott! sagte der grosse Stifter unsrer Religion. Wenn der Dichter diese Wahrheiten nicht vergebens sagen will; so muß er sie so sagen, daß sie das Herz eben so sehr als den Verstand beschäftigen. Das Herz ganz zu rühren, ist überhaupt, in ieder Art der Beredtsamkeit, das höchste, was sich der Meister vorsetzen, und was der Hörer von ihm fordern kann. Es durch die Religion zu thun, ist eine neue Höhe, die für uns, ohne Offenbarung, mit Wolken bedeckt war. Hier lernen der Dichter und der Leser einander am gewissesten kennen, ob sie Christen sind. Nichts geringers darf derienige seyn, der hier unser

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ganzes Herz bewegen, und der, welcher hier den Dichter ganz empfinden will. Denn wird der Dichter, auch mit dem glücklichsten Genie, ohne wirkliche Empfindung der Schönheit der Religion, und ohne eine Rechtschaffenheit des Herzens, die nicht schimmern, noch vielweniger glänzen will, diese Bewegungen in uns hervorbringen können? Der Freygeist, und der Christ, der seine Religion nur halb versteht, sehn da nur einen grossen Schauplatz von Trümmern, wo der tiefsinnige Christ einen maiestätischen Tempel sieht. Und wie konnten iene etwas anders sehn? Denn nicht selten verwandeln so gar kleine Züge, die sie verkannten, den Tempel für sie in Trümmern. Und gleichwohl haben sie, wenn mir diese kühnste unter allen Vergleichungen erlaubt ist, die Mythologie studirt, den Homer zu verstehn.

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Vielleicht wäre es am besten das Schicksal des neuen Sylbenmasses der Entscheidung der Welt so zu überlassen, daß man gar nicht darüber schriebe. Ich habe dieß bisher geglaubt, und ich würde meine Meinung auch nicht ändern, wenn es nicht Kenner gäbe, die zwar die Alten gelesen, aber sich nicht so genau um ihre Versarten bekümmert haben, daß sie die Nachahmung derselben entscheidend sollten beurtheilen können. Diese haben wirklich dem neuen Sylbenmasse schon so viel Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie verdienen, veranlaßt zu werden, es ganz beurtheilen zu können. Ich darf, ohne mir zu sehr zu schmeicheln, vermuten, daß einige so freundschaftlich gegen mich gesinnt seyn werden, lieber zu wollen, daß ich über diese Sache, die sie vielleicht eine Kleinigkeit nennen, nicht schreiben möchte. So verbunden ich ihnen für dieß Urtheil seyn müßte; so wenig halte ich auch die lezten Nebenzüge der schönen Wissenschaften für Kleinigkeiten, besonders, wenn es Kenner der höheren Schönheiten sind, für die man sie aufdeckt. Bey der Untersuchung des neuen Sylbenmasses selbst kömmt es darauf an, daß man erweise: Wir können den Griechen und Römern in ihren Sylbenmassen so nahe nachahmen, daß diese Nachahmung, besonders grössern Werken, einen Vorzug gebe, den wir, durch unsre gewöhnliche Versarten, noch nicht haben erreichen können. Eine Nebenuntersuchung würde seyn, eben dieß von lyrischen Gedichten zu behaupten, denen wir zwar, durch einige unsrer Sylbenmasse, einen freyern Schwung, als den grossen Gedichten, gegeben haben; die aber, weil sie so vieler Schönheiten fähig sind, daß sie unmittelbar nach dem Trauerspiele ihren Platz nehmen dürfen, noch tonvoller und harmonischer zu seyn verdienen. Homers Vers ist vielleicht der vollkommenste, der erfunden werden kann. Ich verstehe unter Homers Verse nicht Einen Hexameter allein, wiewohl ieder seine eigne Harmonie hat, die das Ohr unterhält, und füllt; ich meine damit das ganze Geheimniß des poetischen Perioden, wie er sich vor das stolze Urtheil eines griechischen Ohrs wagen durfte, den Strom, den Schwung, das Feuer dieses Perioden, dem noch dazu eine Sprache zu Hülfe kam, die mehr Musik, als Sprache, war. Homer blieb, auch in Betrachtung des Klangs, ein solcher Meister seiner Spra-

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che, daß er die Griechen verführt zu haben scheint, ihre Verse mehr abzusingen, als herzusagen. Sein Hexameter hat die angemessenste Länge, das Ohr ganz zu füllen; und er überläßt es den Alcäen, so die vollkommensten lyrischen Verse sind, es, aus andern Absichten, mit einem kürzern, fallenden Schlage zu erschüttern. Er hat den grossen, und der Harmonie wesentlichen Vorzug der Mannichfaltigkeit. Da er aus sechs verschiednen Stücken, oder Füssen, besteht; so kann er sich immer durch vier, bisweilen auch durch fünf Verändrungen, von dem vorhergehenden oder nachfolgenden Verse unterscheiden. Und da diese Füsse bald zwo bald drey Sylben haben; so entsteht daher eine neue Abwechslung. Durch das, so ich bisher angeführt habe, und dann durch die glückliche Wahl der Sylbentöne, und ihrer Verhältnisse gegen einander; und durch den abwechselnden Abschnitt des Verses, bey welchem der Leser bald längere bald kürzere Zeit innehalten muß, erreicht der homerische Vers eine Harmonie, die izt fließt, dann strömt, hier sanft klingt, dort maiestätisch tönt. Denn dieß alles in dem höchsten Grade des Wohlklangs, und nach den feinsten Grundsätzen desselben, hervorzubringen, sind vorzüglich die griechische, und dann auch die römische Sprache am geschicktesten. Die Anzahl ihrer Buchstaben und Töne ist beynahe einander gleich, und iedes einzelne Wort hat daher schon viel Wohlklang, eh es noch durch die Stelle, die es in der Verbindung des Verses bekömmt, wenn ich so sagen darf, in den Strom der Harmonie einfließt, und dadurch seinen bestimmtesten und vollsten Wohlklang hören läßt. Es kömmt uns izt darauf an, zu untersuchen, wie nahe wir diesem grossen Originale kommen können? Der wesentliche Charakter unsrer Sprache, in Absicht auf ihren Klang, scheint mir zu seyn, daß sie voll und männlich klingt, und mit einer gewissen gesezten Stärke ausgesprochen seyn will. Wer ihr Schuld giebt, daß sie rauh klinge, der hat sie entweder niemals recht aussprechen gehört; oder er sagt es nur, weil es einige seiner Nation auch gesagt haben. Mit grösserm Rechte könnte man der französischen Sprache den Vorwurf machen, daß sie wenig volltönige Wörter habe, und noch weniger, wegen ihrer flüchtigen und fast übereilten Aussprache, periodisch zu werden fähig; der Italienischen, daß sie zu sehr von dem gesezten und vollen Accente ihrer Mutter ins Weiche und Wollüstige ausgeartet; und vielleicht der starken Sprache der Engländer, daß sie zu einsylbigt sey, und zu oft, statt zu

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fliessen, fortstosse, als daß sie die Fülle des griechischen Perioden so nahe, wie die deutsche, erreichen könne. Kennern des griechischen Wohlklangs glaube ich meine Vorstellung von dem Klange unsrer Sprache noch deutlicher zu machen, wenn ich sage, daß sie mit dem Dorischen des Pindar Ähnlichkeit habe, zugleich aber den Unterschied voraus setze, der, zwischen dem Dorischen des Pindar, und der griechischen Schäferdichter, ist. Ohne mich in die Entscheidung einzulassen, welche von unsern Provinzen am besten deutsch rede? so kömmt es mir doch als wahr vor, daß ein Sachse das Hochdeutsche, oder die Sprache der Scribenten, und der guten Gesellschaften, mit leichterer Mühe rein und ganz aussprechen lernen kann, als einer aus den übrigen Provinzen. Und wie einer von diesen seine Sprache spricht, so rein, so volltönig, so ieden Ton und Buchstaben, den die richtige Rechtschreibung sezt, zwar ganz, aber doch nicht selten, bey der Häufung der Buchstaben, mit unübertriebner Leisigkeit: dieß ist die Regel der längern und kürzern Sylben, der Art ihrer Länge und Kürze, und also auch der Harmonie des Verses überhaupt. Ich muß gestehn, es giebt zweifelhafte Aufgaben bey dieser Regel; und wir wären glücklich, wenn wir Eine grosse Stadt in Deutschland hätten, die von der Nation, als Richterinn der rechten Aussprache, angenommen wäre. Aber wir dürfen hierauf wohl izt nicht hoffen, da Berlin eifersüchtiger darauf zu seyn scheint, den zweiten Platz nach Paris, als den ersten in Deutschland, zu behaupten. Gleichwohl liebe ich meine Landsleute so sehr, daß ich von ihnen glaube, daß sie in den Städten, wo es nicht mehr unbekannt ist, daß Achtung und Sorge für einheimische schöne Wissenschaften eine von den vorzüglichsten Ehren einer Nation sind, sich bemühen werden, ihre Sprache recht auszusprechen; und, wofern sie sich auch hierinn noch einige Nachlässigkeit verzeihen wollten, doch, wenn sie öffentlich reden, oder gute Schriften in Gesellschaften vorlesen, sich selbst und ihren Scribenten die Ehre erweisen werden, daß sie ihre volltönige und mächtige Sprache richtig aussprechen. Diese Aussprache vorausgesezt, ahmen wir dem homerischen Verse so nach. Wir haben Daktylen, wie die Griechen, und ob wir gleich wenige Spondäen haben; so verliert doch unser Hexameter dadurch, daß wir statt der Spondäen meistentheils Trochäen brauchen, so wenig, daß er vielmehr fliessender, durch die Trochäen, wird; weil in unsern Sylben überhaupt mehr Buchstaben sind, als bey den Griechen. Es ist wahr, die Griechen unterscheiden die Länge und Kürze ihrer Sylben nach einer

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viel feinern Regel, als wir. Wenn wir unsre Sprache nach ihrer Regel reden wollten, so hätten wir fast lauter lange Sylben. Dieses ist der Natur des Gehörs zuwider, welches eine ungefähr gleiche Abwechslung von langen und kurzen Sylben verlangt. Die Aussprache hat sich daher nach den Fordrungen des Ohrs gerichtet. Und dieses ist biegsam genung gewesen, sich an die Kürze eines Vocals zu gewöhnen, auf den zween oder auch wohl drey Buchstaben folgen; und es wird nur alsdann verdrießlich, wenn diese Buchstaben mit einer gewissen Ungelenkigkeit der Zunge ausgesprochen werden. Ob wir nun gleich auf der einen Seite, in Absicht auf die Feinheit des Wohlklangs verlieren; so gewinnen wir, in Betrachtung einer ganz neuen Mannichfaltigkeit, welche die Griechen nicht hatten, beynahe mehr, als uns, durch die genaue Feinheit, entgeht. Zum Beweise dessen wähle ich vorzüglich den Daktylus, weil er hinter der langen Sylbe zwo kurze hat. Da unsre kurze Sylbe auf zwo Arten, und bisweilen auch auf die dritte, kurz ist; der Griechen ihre hingegen nur auf Eine und selten auf Zwo Arten: so entstehn daher so verschiedne Daktylen, und zugleich so viel Mannichfaltigkeit mehr, daß diese in Einem Perioden die Harmonie schon ungemein erhöht, und denn einem ganzen Werke zu einem Vortheile gereicht, der nicht sorgfältig genung gebraucht werden kann. Dazu kömmt, daß uns die Verschiedenheit der Daktylen auch deßwegen angenehm seyn muß, weil sie in unsern Hexametern mehr, als in den griechischen vorkommen. Dieser in einigen Fällen nothwendige öftere Gebrauch der Daktylen, ist auch wohl die Ursach gewesen, warum einige Neuere den so genannten spondäischen Vers, der den Hexameter mit zween Spondäen, statt eines Daktyls und Spondäen, schließt, mit dem Homer öfters brauchen, ohne deßwegen etwas wider den Virgil zu haben, der die Ursach nicht hatte, und es daher nur selten that. Wenn wir also unsern Hexameter, nach der Prosodie unsrer Sprache, und nach seinen übrigen Regeln, mit Richtigkeit ausarbeiten; wenn wir in der Aussuchung harmonischer Wörter sorgfältig sind; wenn wir ferner das Verhältniß, das ein Vers gegen den andern in dem Perioden bekömmt, verstehen; wenn wir endlich die Mannichfaltigkeit auf viele Arten von einander unterschiedner Perioden nicht nur kennen, sondern auch diese abwechselnde Perioden, nach Absichten, zu ordnen wissen: dann erst dürfen wir glauben, einen hohen Grad der poetischen Harmonie erreicht zu haben. Aber die Gedanken des Gedichts sind noch besonders; und der Wohlklang ist auch besonders. Sie haben noch kein

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anders Verhältniß unter einander, als daß die Seele zu eben der Zeit, durch die Empfindungen des Ohrs unterhalten wird, da sie der Gedanke des Dichters beschäftigt. Wenn die Harmonie der Verse dem Ohre, auf diese Weise gefällt, so haben wir zwar schon viel erreicht; aber noch nicht alles, was wir erreichen konnten. Es ist noch ein gewisser Wohlklang übrig, der mit den Gedanken verbunden ist, und der sie ausdrücken hilft. Es ist aber nichts schwerer zu bestimmen, als diese höchste Feinheit der Harmonie. Die Grammatici haben sie, „den lebendigen Ausdruck“ genannt, und sie oft dann nur im Virgil oder Homer gefunden, wenn diese sie etwa übertrieben, und ihr also ihre eigentliche Schönheit, die vorzüglich in der Feinheit besteht, genommen; oder in andern Stellen nicht daran gedacht hatten, daß Scholiasten kommen, und ihnen hier eine Schönheit von dieser Art Schuld geben würden. Verschiedne Grade der Langsamkeit oder Geschwindigkeit; etwas von sanften oder heftigen Leidenschaften; einige feinere Minen von demienigen, was in einem Gedichte vorzüglich Handlung genannt zu werden verdient, können, durch den lebendigen Ausdruck, von ferne nachgeahmt werden. Wenn der Poet dieses thut; so braucht er, oder glücken ihm vielmehr einige seiner zartesten Künste der Ausbildung, die ihm eben so leicht mislingen können, so bald er zu sehr mit Vorsatz handelt, oder seine Einbildungskraft das enge Gebiet dieser Nebenzüge zu hitzig erweitert, und sich aus der Harmonie eines Gedichts in die Musik versteigt. Ich muß zwar zugestehn, daß es Fälle giebt, wo der lebendige Ausdruck dasienige stark sagen muß, was er sagen will. Aber überhaupt sollte man die Regel fest setzen, sich demselben vielmehr zu nähern, als ihn zu erreichen. Und die Anwendung dieser Regel sollte man nur bey der Beurtheilung seiner Arbeit nöthig haben. Denn wenn diese Art Schönheit recht gelingen soll, so muß sie im Feuer der Ausarbeitung fast unvermerkt entstehen. Auf eine Verbeßerung der Harmonie von einer ganz andern Art, und die nur den Vers an sich angeht, haben sich einige unter uns eingelassen, da sie eine Sylbe mehr vor den Homerischen Hexameter sezten, um wie es scheint, durch einen jambischen Anfang das Ohr, wegen der Ungewöhnlichkeit des neuen Verses, schadlos zu halten. Aber sie haben zween nicht unwichtige Einwürfe wieder sich. Da der Hexameter eben so lang ist, als ihn das Ohr verlangt, wenn es einen merklichen Absatz einer vollen Harmonie, und nicht mehr auf einmal fordert; so dehnen sie die Länge des Verses über die Gränzen der Natur aus. Weil sich aber

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diese Gränzen nur durch ein gewisses Urtheil des Ohrs bestimmen lassen; so kann ich mich, wegen seiner wahrscheinlichen Richtigkeit, nur auf die beständigen Muster der Griechen und Römer berufen, die doch sonst so abgeneigt nicht waren, neu zu seyn, und in ihren theatralischen Jamben oft so sehr von einander unterschieden sind, daß es eben daher so schwer wird, diese Versart genau zu bestimmen. Der zweite Einwurf ist, daß die, so die Sylbe noch hinzusetzen, nicht selten in Gefahr sind, zween Verse statt eines zu machen. Noch eine andre Sorgfalt, dem neuen Verse eine gute Aufnahme zu verschaffen, war ein Einfall, der in dieser Absicht sehr glücklich war. So bald man ihn aber zur Regel machen wollte, würde man ihn übertreiben. In einem lyrischen Gedichte wurden die Regeln des Griechischen Sylbenmasses völlig nach der Prosodie der Alten beobachtet. Ohne die Schwierigkeit zu berühren, auch nur einige kleine Stücke in dieser Art zu verfertigen, scheint mir diese ganz gebundne Nachahmung, der Natur unsrer Sprache, ihres Hexameters, und seiner Harmonie, entgegen zu seyn. Man weis, daß Ovidius schon hüpfend wurde, statt den maiestätischen und eigentlichen Wohlklang Virgils zu übertreffen. Weil ich mich über das, was ich bisher von dem alten und neuen Hexamter gesagt habe, nicht gern in Exempel ausbreiten mögte; so will ich nur eins anführen, die Kenner der Alten an den poetischen Perioden zu erinnern. Da zu wenige sind, die Homers Sprache bis auf ihr Sylbenmaß kennen, so soll Virgil seine Stelle vertreten. Er sagt vom Salmoneus: Quattuor hic invectus equis, & lampada quassans Per Grajûm populos mediaeque per Elidis urbem Ibat ovans, divûmque sibi poscebat honorem: Demens! qui nimbos & non imitabile fulmen Aer’ & cornipedum cursu simularat equorum! At pater omnipotens dens’ inter nubila telum Contorsit, (non Ille faces nec fumea taedis Lumina!) praecipitemqu’ immani turbin’ adegit! Da wir uns diesem feurigen Klange, dieser Fülle der Harmonie, durch Nachahmung nähern können; so begreife ich nicht, warum wir es, besonders in grössern Gedichten, die auch in jeder Nebenausbildung Anstand und Männlichkeit erfordern, nicht thun sollen. Unsre eingeführten langen Jamben, haben, ausser der beständigen Einförmigkeit, den

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nicht weniger wesentlichen Fehler, daß sie aus zween kleinen Versen bestehn, und daß ein gewisser Abschnitt dieses zu selten hindern kann. Dazu scheint ihnen ohne den Reim etwas wesentliches zu fehlen. Der zehnsylbigte Vers hat viel Vorzüge vor dem zwölfsylbigten. Er ist an sich selbst klingender, und über dieß kan man seinen Abschnitt verändern. Es ist der Vers der Engländer, der Italiener, und auch einiger Franzosen. Selbst Milton und Glover haben ihn gebraucht. Er scheint aber gleichwohl für die Epopee zu kurz, und dieß doch nicht so sehr in der englischen, als in der deutschen Sprache. Wem dieser Umstand zu unwichtig vorkömmt, eine Regel daraus zu machen, dem gestehe ich zu, daß der zehnsylbigte Jambe die Wahl eines epischen Dichters verdiente, wenn der Hexameter unnachahmbar wäre. Der Trochäe ist zu lang, zu schleppend, und in grössern Werken noch schwerer auszuhalten, als der zwölfsylbigte Jambe. Was soll also der Verfasser einer Epopee wählen? Wenn ich nicht ganz irre; so muß er entweder nicht in Versen schreiben, und sich seine Worte wie Demosthenes, oder Fenelon von derienigen Harmonie, welcher die Prosa fähig ist, zuzählen lassen; oder er muß sich zu dem Verse der Alten entschliessen. Aber vielleicht ist in lyrischen Werken diese Entschliessung nicht so nothwendig? Und wir können, ohne die Sylbenmasse der alten Ode, Pindarisch oder Horazisch seyn? Ich gebe zu, daß unsre lyrischen Verse einer grössern Mannichfaltigkeit fähig sind, als die andern; daß wir einige glückliche Arten gefunden haben, wo, durch die Abwechslung der längern und kürzern Zeilen; durch die gute Stellung der Reime; und selbst manchmal durch die Verbindung zwoer Versarten in Einer Strophe, viel Klang in einige unsrer Oden gekommen ist. Aber daraus folgt nicht, daß sie die horazischen erreicht haben; daß es unsern Jamben oder Trochäen möglich sey, es der mächtigen alcäischen Strophe, ihrem Schwunge, ihrer Fülle, ihrem fallenden Schlage, gleich zu thun; mit den beiden choriambischen zu fliegen; mit der einen im beständigen schnellen Fluge; mit der andern mitten im Fluge, zu schweben, dann auf einmal den Flug wieder fortzusetzen; dem sanften Flusse der sapphischen, besonders wenn sie Sappho selbst gemacht hat, ähnlich zu werden; oder die feine Ründe derienigen Oden im Horaz zu erreichen, die nicht in Strophen getheilt sind. Horaz ist ein solcher Meister in der lyrischen Harmonie, daß seine Versarten einige besondre Anmerkungen verdienen, um uns recht aufmerksam auf ihre Schönheit zu machen, eine Schönheit, die in seinen meisten Arten mit einer so glücklichen Sorgfalt

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erreicht ist, daß sie verführen könnte, einige Kleinigkeiten wider ein paar andre Arten bey ihm zu sagen, welche die feine Wahl der übrigen nicht ganz zeigen. Wenn Horaz am höchsten steigen will, so wählt er die Alcäen, ein Sylbenmaß, welches, selbst für den Schwung eines Psalms, noch tönend genung wäre. Er läuft da am oftesten mit dem Gedanken in die andre Strophe hinüber, weil es, so zu verfahren, dem Enthusiasmus des Ohrs und der Einbildungskraft gemäß ist; da ienes oft noch mehr als den poetischen Perioden, der nur in Eine Strophe eingeschlossen ist, verlangt, und diese den Strom des schnellfortgesetzten Gedanken nicht selten fordert. Horaz wuste entweder den Einwurf nicht, daß, wegen des Singens, die Strophe und der Periode zugleich schliessen müßten, weil ihm die Sänger und die lyrische Musik seiner Zeit denselben nicht machten: oder er opferte die kleinere Regel der grössern auf. Die eine Choriambe, die aus vier Versen, und nur Einem ungleichen besteht, hat viel Feuer, sanfteres, und heftigeres, wie Horaz will, dazu eine ihr eigne lyrische Fülle. Aber sie dürfte wohl, wegen der Gleichheit ihrer drey ersten Zeilen, nur sehr selten aus so vielen Strophen bestehen, als die Alcäische. Die zweite Choriambe, die der vorigen bis auf den dritten Vers gleicht, welcher sich, mit einem sanften Abfalle herunter läßt, würde denienigen Oden vorzüglich angemessen seyn, die sich von der hohen Ode etwas zu dem Liede herablassen. Die Stellung dieser dritten Zeile allein sollte uns schon abschrecken, neue Sylbenmasse zu machen. Sappho hat eine Ode erfunden, deren Harmonie, ob wir gleich nicht einmal zwey ganze Stücke von ihr haben, sie am besten getroffen hat. Die drey ersten Zeilen sind in dieser Strophe einander gleich, und wenn der gewöhnliche, an sich harmonische Abschnitt immer wiederhohlt wird, so verliert die Harmonie des Ganzen; ein kleines Versehn, das Horaz mehr begangen, als vermieden hat. Es ist zwar dieß desto leichter zu verzeihn, je verführender der Abschnitt an sich durch seinen Wohlklang ist, und je weniger man ihm in den ersten zwo Strophen die Eintönigkeit ansieht, die er schon in der dritten und vierten verursacht. In der Ode an Pettius besteht die Strophe nur aus drey Zeilen, da eine vierzeiligte einer viel vollern Harmonie und eben der Ründe fähig ist. Die zweite Zeile ist vielleicht zu kurz, oder schlösse doch besser die Strophe. Vielleicht wäre auch in der Ode an Melpomene, und in den andern von eben dem Sylbenmasse, der längere Vers glücklicher der erste, als daß er der zweite ist. Wenn diese Fragmente einer Abhandlung (denn ich kan es keine Ab-

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handlung nennen) einigen Lesern von Geschmack einen bestimmtern Begrif von dem Sylbenmasse der Alten gemacht haben sollten, als sie bisher davon gehabt haben; so wird es ihnen vielleicht nicht unangenehm seyn, wenn ich noch etwas von der Kunst, Gedichte zu lesen, hinzusetze. Es ist mit Recht der zweite Wunsch iedes Dichters, der für denkende Leser geschrieben hat, daß sie diese Geschicklichkeit besitzen möchten; eine Geschicklichkeit, die Boileau, der sie besaß, für so wichtig hielt, daß er dem glücklichen Vorleser den zweiten Platz nach dem Dichter anwies. Zu unsern Zeiten, da man so sehr aufgehört hat, sich aus der guten Vorlesung ein Geschäft zu machen, ist es genung, dieß wenige davon zu sagen. Zuerst müßten wir die Biegsamkeit unsrer Stimme, und den Grad ihrer Fähigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des Gedankens mit dem Tone zu folgen, durch leichte und scherzhafte Prosa, kennen lernen. Hierauf versuchten wir die poetische Erzählung, und das Lied. Ein Schritt, der schwerer ist, als er scheint. Dann gingen wir zu dem Lehrgedichte, oder dem Trauerspiele fort. Hier würden wir finden, daß auch die sorgfältigste Reinigkeit der Jamben den Fehler der Eintönigkeit nicht ersetzen konnte; und daß so gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verführt, von der eigentlichen Aussprache mehr abwichen, als selbst dieienigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet sind. Von den Jamben erhüben wir uns weiter zu den volleren Perioden der Redner. Wenn wir diese lesen könnten; so fingen wir mit dem Hexamter an. Wir brauchten hierbey seine prosodische Einrichtung eben nicht zu wissen: und da die Geschicklichkeit, die Redner zu lesen, vorausgesezt wird; so dürften wir nur mit der gesezten Männlichkeit, mit der vollen und ganzen Aussprache, und, wenn ich so sagen darf, mit dieser Reife der Stimme, den Hexameter lesen, mit der wir die Prosa lesen. Wollten wir die Prosodie des Hexameters noch dazu lernen; so würden wir dem gearbeiteten seine völlige Gerechtigkeit wiederfahren lassen; dem weniger sorgfältigen mehr Zierlichkeit geben; und des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken können. Wir würden auch durch diese Kenntniß bestimmter wissen, wie man den Vers zwar noch anders, als den besten prosaischen Perioden lesen: aber niemals in die schülerhafte Verstümmlung desselben verfallen müsse, durch welche die Stücke des Verses dem Hörer vorgezählt; und nicht vorgelesen werden. Zulezt könnten wir uns mit den lyrischen Stücken beschäftigen, die dem Alcäus, der Sappho, oder dem

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Horaz gefolgt sind. Sollten einige ihrer Strophen, den Perioden des Hexameters, wenn er in seiner ganzen Stärke ist, und im vollen Strome fortfließt, auch nicht in Betrachtung der Vollkommenheit der poetischen Harmonie überhaupt, gleich kommen; so sind wieder andre Strophen, die diesem nur sehr wenig nachgeben, und dann verschiedne, von einer Ründe, und von so zierlichen Feinheiten des Wohlklangs, daß man von der lyrischen Dichtkunst überhaupt sagen kann, daß sie am nächsten an die Musik gränze.

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Man könnte gute Gründe anführen, wenn man behaupten wollte, daß es nicht mehr nöthig sey, die Freygeister zu widerlegen. Sie hätten ja, könnte man sagen, an statt die starken Beweise, mit denen sie bestritten worden sind, zu beantworten, bloß ihre alten, oft widerlegten und nicht selten lächerlichen Einfälle, bis zum Eckel, wiederhohlt. Man müßte also warten, bis sie nicht allein etwas neues, sondern auch etwas sagten, das die Mühe einer Beantwortung verdiente, ehe man sich, ihr verdrießliches Geschwätz zu untersuchen, von neuem einliesse. Ich würde von dieser Meinung seyn, wenn die Gründe für das Gegentheil nicht noch besser wären. Die meisten von denen, die durch die Freygeister verführt werden können, haben die Vertheidigungen der Religion nicht gelesen, oder sie haben sie doch nicht genug studiert; und wenn sie so gar beydes gethan haben; so wird es ihnen doch immer angenehm und nützlich seyn, die ihnen bekannten Wahrheiten in einem andern Kleide, und wo das nöthig war, richtiger bestimmt zu sehn. Zu diesem Hauptgrunde kommen noch besondre Gründe. Der alte Voltaire fährt noch immer fort, sich über die Sterblichkeit seiner Seele durch die Unsterblichkeit seines Namens zu trösten. Es ist nicht lange her, daß Bolingbroke der Welt ein ungemeines Vermächtniß hinterlassen hat, in welchem er mit der feurigsten Beredtsamkeit gegen die Religion wütet. Hume ist nicht besser gegen sie gesinnt, ob gleich seine Art zu denken und zu schreiben so fein ist, daß man ihn beynahe nur für einen bloßen Zweifler halten sollte. Diese drey großen Lehrer des Unglaubens schreiben so schön, sie umkränzen ihren Giftbecher mit so ausgesuchten Blumen, daß sie allein, auch ohne die vorher angeführten Ursachen, mich veranlassen würden, einige meiner Blätter der Vertheidigung des Christenthums zu widmen. Meine Absicht ist gleichwohl nicht, sie ausdrücklich zu widerlegen. Denn ich schreibe keine Streitschriften. Ich will nur überhaupt eben das für die Religion thun, was sie wider dieselbe unternehmen; ob es gleich bisweilen geschehn kann, daß ich sie da, wo sie die Vernunft am feinsten zu verwirren suchen, etwas genauer beurtheile. Wenn die Freygeister ihre Sache nur einigermassen unpartheyisch und ernsthaft überlegen wollen; so muß es ihnen wirklich ein wenig verdrießlich seyn, daß sie mit ihren Angriffen viel zu spät kommen.

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Wer hiervon noch nicht überzeugt genug ist, der darf sich nur erinnern, was Julian, der Apostat wider die Religion vergebens gethan, und geschrieben hat. Seit ihm hat es keinen Freygeist gegeben, der so viel dawider unternommen hätte, oder zu unternehmen im Stande gewesen wäre. Es ist schwer den Charakter dieses sonderbaren Mannes; denn diesen Beynamen verdient er vorzüglich vor allen andern, die ihm die Schmeicheleyen seiner ehmaligen und itzigen Proselyten gegeben haben, ich sage, es ist schwer, seinen Charakter genau zu entwickeln. Unterdeß glaube ich, daß ihn folgende Abbildung nicht verfehlt. Er war, von Natur, in Absicht auf die Wollust, ausserordentlich mäßig; aber er hielt sich, wegen dieser ihm nunmehr so leichten Tugend, dadurch vollkommen schadlos, daß er sich seiner heissen Ehrbegierde ganz überließ. Wenn er die Vielgötterey eben so gewiß glaubte, als er sie eifrig wiederherzustellen suchte; so ist er einer der merkwürdigsten Enthusiasten gewesen, die es jemals gegeben hat: Und hat er jenes nicht gethan; so übertrifft er die künstlichsten Heuchler. Der enthaltsame, der philosophische, der ernsthafte Julian, der Kaiser, der Nachahmer Antonins, tanzte bey einem öffentlichem Aufzuge mitten unter Priesterinnen der Venus, die dafür bekannt waren, daß sie ihrer Göttin an diesem Tage auf eine Art, die ich nicht beschreiben will, dienten. Aeskulap selbst hat ihm oft die Mittel angezeigt, durch die er geheilt worden ist. Jupiter sey sein Zeuge, daß er die Wahrheit sage. Er war in vielen Dingen nichts weniger als ein Originalgenie. Seine ganze Philosophie war die verwirrte verdorbne platonische Philosophie seiner Zeiten. Der Geschmack der Rhetoren seiner Zeiten war der seinige, bloß daß er in einigen Stellen seiner Satyren und seiner Briefe besser schreibt. Wie lächerlich künstlich ist nicht das Meiste seiner Lobreden! Seine Regierung folgte auf eine Weichliche; man bemerkte es daher mehr, daß er wieder römisch regierte, und dieß würde beynahe sein einziges Verdienst gewesen seyn, wenn er nicht auch die Wissenschaften und ihre Vertrauten auf eine Art, die ihm Ehre macht, geschätzt hätte. Er hatte es mit so vielen kleinen Seelen gemein, daß er durch den Krieg berühmt werden wollte; und vielleicht befürchtete er von der Nachwelt mit unter den großen Haufen der Helden geworfen zu werden; daher suchte er die Unsterblichkeit seines Namens durch eine neue Stütze, nämlich durch die Ausrottung der christlichen Religion, zu befestigen. Diese Unternehmung ist ihm auch in so fern gelungen, daß ihn die Geschichte viel öfter nennt, als sie sonst thun würde. Dieß ist, wie

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mich deucht, ein sehr wahrer Entwurf seines Charakters; es würde überflüßig seyn, ihn weiter auszubilden. Wir wollen bey seiner Unternehmung, die christliche Religion zu vertilgen, und die heidnische wieder einzuführen, stehn bleiben. Er bemühte sich, dieser einen neuen und ihr vortheilhaften Anstrich zu geben. Er verband seine enthusiastische Philosophie mit derselben. Er befahl seinen Priestern, auch durch das Beyspiel ihrer Tugend, wie die Christen, zu lehren. Er ließ sie öffentliche Anstalten zur Versorgung der Reisenden und Armen machen. Die Vielgötterey hatte noch niemals mit dem Christenthume auf diese Art um den Vorzug gestritten. Er dachte sehr richtig darinn, daß er die Christen nicht mit dem Schwerdte verfolgte; ob er gleich nicht immer seinen Haß gegen sie völlig zu verstellen wußte. Denn bisweilen begegnete er ihnen offenbar ungerecht und grausam. Überhaupt aber suchte er seinen großen Plan mit vieler Klugheit auszuführen. Er verbot das Lesen der heidnischen Scribenten in den christlichen Schulen. Er glaubte ihnen auf diese Art den guten Geschmack und mit ihm alles zu nehmen, was er zur Unterstützung der Religion beytragen kann. Einige werden dieß für einen geringen Verlust der Christen halten; aber Julian, der vielleicht niemals richtiger als hierin gedacht hat, hielt es mit Recht für einen sehr wichtigen Verlust. Er suchte die Christen durch Uneinigkeiten zu schwächen. Es wurde ihm desto leichter, dieses zu thun, weil er dabey, indem er die Bischöfe der verschiednen Sekten, und bisweilen so gar den Pöbel mit ihnen vor sich disputien ließ, sich seiner Lieblingsneigung, der Spötterey, überlassen konnte. Doch dieß alles war ihm gleichwohl noch nicht genug. Er glaubte nichts gethan zu haben, so lange ihm noch etwas zu thun übrig sey. Er schrieb also auch gegen die Christen. Allein weßwegen sind diese Schriften verloren gegangen? Die Christen haben sie auf die Seite geschafft, werden einige sagen. Als wenn mittelmäßige Schriften nicht eines sehr natürlichen Todes stürben, wenn sie von sich selbst untergehn. Wir haben aber seine Lobreden noch, und diese sind doch gleichwohl (selbst seine Bewunderer müssen dieses zugestehn) sehr mittelmäßig. Dieser Einwurf würde von einiger Erheblichkeit seyn, wenn nicht schon oft der Zufall gewollt hätte, daß Schriften von dieser Art auch ihrer verdienten Strafe entgangen wären. Seine Schriften gegen die Religion sind wahrscheinlich seine letzte Unternehmung gegen dieselbe gewesen. Nicht lange vorher hatte er es unternommen, die Juden wieder zu einem solchem Volke zu machen,

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als sie vor dem Gerichte, das über sie erging, gewesen waren. Er hatte keine geringere Absicht, als die Weissagung des Messias unwidersprechlich zu widerlegen. Niemals ist größere Kühnheit und mehr Überlegung vereinigt worden, um das Äusserste zu wagen. Ich werde von dieser ausserordentlichen Begebenheit, welche die einzige in ihrer Art ist, in einem der folgenden Blätter reden. Nach derselben scheinen mir seine Schriften wider die Religion derjenige unter allen seinen feindseeligen Anfällen zu seyn, der am meisten Aufmerksamkeit verdient. Sie sind nicht ganz untergegangen. Ein Bischof hat, in einer Widerlegung derselben, einige Fragmente davon erhalten. Es verdient die Mühe zu sehn, was für Gründe diesen mächtigen Philosophen bewogen haben, das Christenthum mit einem solchen heissen Eifer vertilgen zu wollen. Er glaube, sagte er, es sey gut gethan, wenn er die Ursachen öffentlich anzeige, die ihn dahin gebracht hätten, die Lehre der Galiläer für eine menschliche und boshafte Erfindung zu halten. Sie habe nichts Göttliches; sie misbrauche diejenige Kraft der Seele, die sich von dem Fabelhaften, dem Kindischen, und dem Unsinnigen fortreissen lasse. Dieß ihr Geschwätz von Wundern solle bey ihr ein Beweis der Wahrheit seyn. Ich mache hierüber weiter keine Anmerkung, als daß wir von dem, der uns dieß von der christilichen Religion sagt, die gewissenhafteste Wahrheitsliebe und die strengste Richtigkeit bey der Beurtheilung derselben erwarten. Im folgenden; (da ich nur Stellen aus Fragmenten anführe, so kann meine Absicht nicht seyn, sein System, wenn er anders eins gehabt hat, zu zeigen;) vergleicht er die Erzählung Mosis und Platons von der Schöpfung, und giebt diesem den Vorzug, weil der oberste Gott den Untergöttern befohlen habe, die menschlichen Leiber, die Thiere und die Pflanzen hervorzubringen. Diesen merkwürdigen Triumph zu halten führt er beyde Stellen ganz an. Die Vortreflichkeit der Stelle Platons sucht er so gar durch einen Commentarius, den er darüber macht, zu erweisen. Der Vorzug der platonischen Erzählung soll darin bestehn, daß der oberste Gott nichts Sterbliches gemacht habe. Aber gleichwohl war dieser oberste Gott der Schöpfer der Untergötter, und überdieß willigte er nicht nur darein, daß sie das Sterbliche erschaffen möchten; sondern er führte auch so gar zur Ursache an, daß das Ganze ohne die sterblichen Geschöpfe nicht vollkommen seyn würde.

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Er führt an, daß Gott gesagt habe: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sey; ich will ihm eine Gehülfinn machen. Dieß ist, sagt er, schlechterdings fabelhaft. Denn wie ist es vernünftig zu denken, daß Gott nicht vorher wisse, daß diejenige, die er zu einer Gehülfinn macht, demjenigen, der sie bekömmt, nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichen werde. Ich habe überhaupt die Absicht nicht, Julian, indem ich einige seiner Fragmente wider die Religion anführe, umständlich zu widerlegen. Aber würde dieß, wenn ich jene Absicht auch hätte, wohl eine Widerlegung verdienen? Daß es einen Mars, eine Minerva und einen Merkurius gebe, und daß jeder von ihnen gewisse Einflüsse auf die verschiednen Völker habe, beweist er dadurch, daß die Gallier und die Deutschen kühn, die Griechen und die Römer überhaupt gesittet und menschlich wären, und diese Eigenschaften mit der Standhaftigkeit und dem kriegerischen Geiste verbänden; die Egypter wären feiner, künstlicher, die Syrer unkriegerisch und zärtlich, aber klug, lebhaft, leichtsinnig und gelehrig. Die Nachricht von der Erbauung des babylonischen Thurms ist, seiner Meinung nach, deßwegen eine Fabel, weil man die ganze Erde hätte zu Ziegeln brennen müssen, um nur bis an den Mond zu bauen. Und ihr, beschließt er, die ihr solche Fabeln glaubt, erkühnt euch noch immer, euch die Erkenntniß Gottes anzumaßen? Moses hat, wie er glaubt, die Lehre von der Vielgötterey vorsetzlich verdunkelt, aber gleichwohl hat er sich verrathen, indem er sagt, daß Viele, die Sprachen der Menschen zu verwirren, heruntergestiegen wären. Jesus, sagt dieser Unglückliche, ist ungefähr seit dreyhundert Jahren berühmt. Er hat in seinem ganzen Leben nichts merkwürdiges gethan; man müßte denn glauben wollen, daß in den Flecken Bethsaida und Bethania Lahme und Blinde heilen, und Beseßne beschwören große Thaten wären. In einer andern Stelle aber sagt er: Bald hätte ich das Größte der Geschenke des Apollo und des Jupiters vergessen. Jupiter hat unter denen Göttern, die nur die Augen des Verstandes sehn, den Aeskulap aus sich selbst gezeugt. Auf die Erde ist er durch das fruchtbare Leben des Apollo gekommen. Da Aeskulap von dem Himmel auf die Erde herunter gestiegen war; so ist er nur einmal in menschlicher Gestalt in den epidaurischen Gegenden erschienen. Von hier ist er weiter fortgegan-

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gen, und hat über die ganze Erde seine helfende Rechte ausgebreitet. Er ist zu Pergamus, in Jonien, zu Tarent gewesen. Zuletzt ist er nach Rom gekommen. Er ist auf der Erde und dem Meere überall gegenwärtig; er kömmt zu jedem unter uns, und heilt unsre kranken Seelen und Leiber! Das Gelindeste, was man hierüber sagen kann, ist, daß Julian durch seine offenbare Partheylichkeit sehr unfähig wird, die christliche Religion zu beurtheilen. Ich würde selbst einigen partheyisch vorkommen, wenn ich nicht auch etwas, das weniger schwach ist, anführte. Ihr ahmt, sagt er zu den Christen, nur den Juden in ihrer Bitterkeit und Wut nach, indem ihr Tempel und Altäre verwüstet. Ihr tödtet nicht nur diejenigen, die in ihrer väterlichen Religion geblieben sind; sondern auch eure Ketzer, die doch überhaupt mit euch einerley Irrthum haben. Allein das ist euer eigen Werk. Denn nirgends hat euch Jesus dieß geboten; Paulus auch nicht. Hierin ist nichts falsch, ausser daß die Heiden von den Christen, wegen des Götzendienstes, wären getödtet worden. Übrigens scheint mirs eine Schönheit dieser Stelle zu seyn, daß er die Christen an die Menschenliebe Jesu erinnert. In wessen Munde konnte eine solche Erinnrung stärker seyn? Allein es war gewiß seine Meinung nicht, Jesu hierdurch auch nur einigen Beyfall zu geben. Denn er fährt gleich fort: Die Ursache warum euch Jesus und Paulus dieß nicht geboten haben, ist, weil sie nicht hofften, daß ihr jemals so mächtig werden würdet. Sie waren zufrieden, wenn sie das gemeine Volk verführen konnten, oder höchstens solche Leute, wie ein Cornelius und Sergius gewesen sind. Wenn einer von ihren Schülern unter den großen Männern dieser Zeiten (ich rede von des Tiberius und des Claudius Regierung) berühmt geworden ist; so will ich überhaupt die Unwahrheit geredet haben. Würde sich Julian, durch so etwas bloß Scheinbares, haben blenden lassen; wenn er, wie sein gewähltes Muster, wie Antonin gedacht, und die Menschen, gleich ihm, in dem rechten Gesichtspunkte angesehn hätte. Wer ist denn wirklich groß? Etwa allein der, welcher sich, die mannichfaltigen Veranlassungen der Geburt und des Glücks zu großen Thaten so zu Nutze macht, daß er die großen Thaten auch wirklich thut? Oder auch der, welcher zwar jene stärkre Veranlassung nicht hat, aber sich von den wenigen und geringen, die er hat, so führen läßt, daß er auch, obgleich keine solche, die von der Geschichte verewigt wer-

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den, dennoch wirklich große Thaten thut? Es ist so gar die Anzahl großer Leute von der letzten Art stärker als von der ersten. Denn die Anzahl derer, die Stand und Glück erhöhn, ist überhaupt viel kleiner, als derer, die jene äußerlichen Vorzüge entbehren müssen. Warum habt ihr unsre Götter verlassen, und seyd zu den Juden übergegangen? Etwa deßwegen, weil die Götter Rom die Herrschaft der Welt gegeben haben, den Juden aber auf kurze Zeit Freyheit und dann Knechtschaft? Er hatte gewiß nicht nöthig, die oft wiederkommne Dienstbarkeit der Juden, auch damit zu erweisen, daß sie von Richtern sind regieret worden. Auf eben die Art könnte man sagen, daß die Römer, selbst in ihren freysten Zeiten Sclaven gewesen wären, und zwar nicht etwa, weil sie einen tyrannischen Senat, sondern weil sie einen Senat gehabt hätten. Aber er ist so erhitzt, daß er das Lächerliche solcher Angriffe gar nicht zu merken scheint. Jesus, der die Geister beherrschte, der auf dem Meere wandelte, der die Beseßnen befreyte, der, wie ihr behauptet, Himmel und Erde gemacht hat, konnte zu dem Besten seiner Verwandten und Freunde (er redet von äußerlichen Vorzügen) nichts beytragen. Wie kalt ist dieser Spott, in dem Munde desjenigen, der nicht allein die christliche Religion kannte; sondern so gar auf seine Belesenheit in der Schrift eitel war! Denn wenn er darauf verfällt, biblische Stellen anzuführen, so hört er nicht auf. Er hält sich überhaupt mit vielem auf, daß nichts für ihn erweist. Wie weit er hierin auszuschweifen fähig sey, zeigt er besonders in der Stelle, in welcher er einen Bischof schimpft, weil dieser sich hatte einfallen lassen, zu behaupten, daß die Juden auch Hexameter hätten. Warum findet ihr, sagt er zu den Christen, an den Wissenschaften der Griechen so viel Geschmack, wenn euch das Lesen eurer Bibel zureichend ist? Es ist doch viel wichtiger, den Leuten jene, als die Götzenopfer zu verbieten. Denn Paulus sagt ja selbst, daß diese dem, der davon ißt, nicht nachtheilig seyn; nur das Gewissen der Schwachen, die es sähen, möchte dadurch verletzt werden. Ihr Thoren! Verlohnt es sich der Mühe, zu erweisen, daß dieß weiter nichts, als eine sophistische Chicane ist? Hierauf folgt eine Stelle, die uns seine Absicht, warum er das Lesen der heidnischen Scribenten in den christlichen Schulen verboten hat, in ihrem ganzen Umfange zeigt. Durch diese Wissenschaften, sagt er, ist unter euch jeder, der nur einige natürliche Gaben gehabt hat, von der

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Atheisterey; (so nennt er die Verlassung des Heidenthums;) zurück gebracht worden. Und wenn ich nicht irre, so wißt ihr es selbst genug, wie sehr unsre Wissenschaften von den eurigen unterschieden sind. Durch die eurigen wird keiner vortrefflich, oder auch nur mittelmäßig gut. Durch die unsrigen aber erhebt sich jeder über sich selbst, wenn er auch gleich von der Natur noch so sehr vergessen worden ist. Aber wenn dieselbe gegen einen unter uns freygebig war, und er sich dann durch unsre Gelehrsamkeit bilden läßt; so wird er einer von denen, die ein Geschenk der Götter zu nennen sind; so zündet er entweder den Wissenschaften ein neues Licht an; oder er wird ein weiser Gesetzgeber; oder auch ein berühmter Eroberer! Es kömmt mir vor, als wenn Julian hier an sich selbst gedacht habe. Doch ohne mich hierbey aufzuhalten, merke ich nur an, erst: Daß keine einzige Wissenschaft mit dem Heidenthume, und mit dem Christenthume, außer der Moral in einer nothwendigen Verbindung stehe, und daß also ein Heide oder ein Christ überhaupt groß oder klein in den Wissenschaften seyn kann, ohne daß seine Religion dabey in Betrachtung kömmt; Zweytens: Daß uns die Religion zu nichts anderm, als zur Aufklärung unsers Verstandes in Absicht auf die Erkenntniß Gottes und zur Beßrung unsers Herzens gegeben werden konnte. Ich will es daher nicht einmal gegen unsre Widersacher gelten machen, daß die Offenbarung diesen ihren großen Endzweck, oft auch durch Meisterstücke der Poesie und der Beredtsamkeit, erreicht habe. Er fährt fort: Versucht es nur, wählt aus allen euern jungen Leuten, unterrichtet sie in allen dem, was eure Bibel enthält; wenn diese in ihren reifen Jahren besser als Sclaven seyn werden: So will ich ausgeschweift, so will ich gerast haben! Und doch seyd ihr solche Thoren und solche Elende, daß ihr ein Buch für göttlich haltet, durch welches keiner weiser, männlicher, und überhaupt besser, als er war, geworden ist. Schon damals hätte ihn die Erfahrung von beynahe drey Jahrhunderten von dem Gegentheile überzeugen können. Wenn ich sage, daß uns eine Erfahrung von mehr als siebenzehn Jahrhunderten noch stärker davon überzeugt: So wird man mich mit dem Misbrauche, den einige Lasterhafte oder Unsinnige von der Religion gemacht haben, nicht widerlegen wollen. Er hatte sehr recht darin, daß er die Christen wegen ihrer abergläubischen Verehrung der Gräber der Märtyrer anklagte; aber wie sonder-

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bar ist sein Erweis, durch welchen er überzeugen will, daß sie hierin unrecht thun. Ihr seyd in eurer Bosheit so weit gegangen, daß ihr so gar nicht mehr den Worten Jesu gehorchen wollt. Er führt aber die Vergleichung der Pharisäer mit getünchten Gräbern an. Indem er, ohne die geringsten Ansprüche auf die Kenntnisse, die zur Schriftauslegung gehören, auch nur von sich vermuthen zu lassen, den Christen weitläuftig zu beweisen sucht, (denn er ist überhaupt sehr schwatzhaft) daß sie gewisse Weissagungen falsch von Christo verständen; so wird er von seiner Einbildungskraft so fortgerissen, daß er zwo dieser Weissagungen von David erklärt. Was können wir von einem Philosophen erwarten, der einer Religion, auf die sich, wie er wußte, die christliche gründete, erfüllte Weissagungen zugesteht. Und was waren es denn für Propheten, deren Weissagungen erfüllt worden sind? Sie haben, sagt er anderswo, gerast und nur mit alten Weibern zu thun gehabt! So ist die Schrift beschaffen, in welcher sich, nach dem Ausdrucke des Bischofs, der sie widerlegt, die stolze heidnische Stirn gegen die Ehre Christi erhoben hat! Einigen würden vielwenigere Stellen, als ich angeführt habe, und vielleicht Eine genug gewesen seyn, um zu urtheilen, daß Julian sich gar nicht als ein großer Mann in dieser Bestreitung der Christlichen Religion gezeigt habe. Sie werden, wenn sie ihn noch nicht von dieser Seite gekannt haben, erstaunt seyn, daß er über diese wichtige Sache, auf deren genaue Beurtheilung ihm so viel ankommen mußte, so schwach gedacht habe. Für andre waren mehr Stellen nöthig. Und vielleicht lernen auch die Freygeister diesen ihren Liebling dadurch noch besser kennen, als sie ihn bisher gekannt haben. Denn ich habe angemerkt, daß sie mit ihm, wie mit der Offenbarung umgehn. Diese greifen sie an, und haben sie nicht gelesen; und jenen vergöttern sie, und kennen ihn eben so wenig. Ich hatte anfangs vor, auch aus seinen übrigen Schriften, theils noch einige Feindseeligkeiten gegen die Religion; theils solche Stellen anzuführen, welche die besondern Wendungen seines Verstandes und Herzens verrathen, um auf diese Art seinen Charakter ganz auszubilden: Allein ich muß gestehn, daß mir das Lesen seiner Werke so unangenehm geworden ist, daß ich meinen Vorsaz, wenigstens auf einige Zeit, aufgegeben habe. Man muß, deucht mich, sehr für ihn eingenommen seyn, wenn man sie so schön finden will, als seine Sophis-

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ten, die ihn, um wieder von ihm gelobt zu werden, mit ihren Lobeserhebungen unaufhörlich belagerten. Ich beschließe mit einer Stelle, die ich, ihrer verdrießlichen Länge ungeachtet, ganz übersetzen will. Man wird nicht leicht etwas, das auf so vielen Seiten lächerlich ist, gelesen haben. Daß die Zahl hundert allen andern vorgezogen zu werden verdiene, und die Vollkommenheit aller Zahlen enthalte, wird der lernen, der sich mit mir in folgende Betrachtung darüber einläßt. Es ist mir zwar nicht unbekannt, daß die Lehre der alten Weisen der ungeraden Zahl den Vorzug vor der geraden giebt; (hier führt er ihre Gründe sehr ernsthaft an) aber ich will gleichwohl meine Meinung, so kühn sie auch ist, sagen. Überhaupt sind alle Zahlen von gleicher Beschaffenheit, und was den Zusatz der Vermehrung anbetrifft, so kann er durch jede Zahl gemacht werden. Allein es ist doch viel besser die gerade Zahl zur Ursache der Vermehrung als die Ungerade zu machen. Die Zahl Eins würde an sich selbst nicht ungerade seyn, wenn nicht etwas da wäre, wodurch sie es würde. Die Verbindung zwoer Einheiten, woraus die Zahl Zwey besteht, bringt eine doppelte Ungeradheit hervor, aus Zwey entsteht Drey, und vermehrt zugleich Zwey. Wenn noch Zwey damit verbunden werden, so verursacht Drey die Vermehrung der Viere; und überhaupt zeigt diese Verbindung, die aus einem von beyden entstandne Ungeradheit, und wird unter der Zahl Zwey begriffen. Dieses vorausgesetzt, sage ich, daß indem sich die erste Zehn in ihrem Zirkel herumdreht, das Ganze zu hundert werde, und zwar so, daß mit Eins die Vermehrung zu Zehn zugleich wirkt, und daß ferner die in sich selbst wiederkehrende Zehn die Zahl hundert vollendet. Daher ensteht das Ganze aller Zahlen aus hundert, wobey auch die Eins nicht unbeschäftigt ist, wenn nicht die Zwey durch die Verbindung eine beständige Ungeradheit hervor bringt, und in sich selbst zurückkehrt, bis durch ein anderes Hundert die Summe geschlossen wird, und dieses Hundert mit derselben die Vollkommenheit verbindet, nach und nach weiter fort geht, und unter der Benennung vieler Hundert das Ganze bis zum Unendlichen der Entdeckungen erhebt. Homerus scheint mir nicht obenhin, und ohne Ursache in seiner Epopee dem Jupiter ein Schild von hundert Fellen zu geben, sondern vielmehr ein wichtiges und tiefes Geheimniß darunter zu verbergen. Indem er mit dem Begriffe von dem vollkommensten Gotte das Vollkommne der Zahlen verbindet, welches ihm vorzüglich vor allen übrigen Zahlen angemessen

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war, und ihn in seiner Schönheit zeigte; oder weil die ganze Schöpfung, die er, zur Abbildung des Schildes, rund, wie dieses Urbild, vorstellt, von keiner andern Zahl, als Hundert, würdig ausgedrückt wird, und also die zirkelmäßige Zahl Hundert mit dem allgemeinen Verstande Jupiters, der alle denkende Wesen kennt, übereinstimmt. Eben diese Weisheit setzt den hundertarmigten Briareus neben dem Jupiter, und gesteht ihm zu, mit seinem Vater um den Vorzug der Macht zu streiten, indem sie ihn gleichsam mit dem Vollkommnen der Zahlen das Vollkommne der Stärke giebt. Wenn Pindarus, der Thebaner, die Niederlage des Typhons in seinen Siegsliedern besingt, und die Stärke dieses größten unter den Riesen dem höchsten Könige der Götter zuschreibt, so beweist er die vorzügliche Größe seines Ruhms durch nichts so sehr, als dadurch, daß er den hundertköpfigten Riesen, durch Einen Wurf, niederzuschmettern vermocht habe; und daß man von keinem andern Riesen glauben dürfte, daß er wider den Arm Jupiters streiten würde, als von dem einzigen, den seine Mutter mit hundert Köpfen bewafnet hatte; und daß keiner unter den andern Göttern, ausser allein Jupiter, des Siegs über einen solchen Riesen würdig sey. Dem Liederdichter, Simonides, ist es zum Ruhme des Apollo genug, wenn er ihn den hundertfältigen Gott nennt, und ihn, statt aller andern unterscheidenden heiligen Benennungen, mit diesem Beynamen schmückt, indem er nämlich den Drachen Pytho mit hundert Pfeilen erlegt habe, lieber der hundertfältige, als der pythische gegrüßt seyn wolle, und diesen Beynamen, den er gleichsam als ein Erbe betrachte, vorzüglich gern höre. Die Insel Kreta, Jupiters Säugamme, ist zur Belohnung, daß sie diesen Gott aufgenommen hat, durch hundert Städte berühmt. Theben, das hundert Thore hat, lobt Homer aus keiner andern Ursache, als weil daselbst hundert Thore von bewundernswürdiger Schönheit sind. Ich schweige von den großen Opfern, wo hundert Thiere auf einmal geopfert werden; von den Tempeln, die hundert Pfeiler haben; von den Altären, die auf hundert Grundsteinen ruhn; von den Speisesälen für hundert Gäste: von den Feldern, die hundert Morgen groß sind; ja von allen göttlichen und menschlichen Dingen, welche durch diese Zahl unterschieden werden. Sie schmückt den Stand des Soldaten und des Bürgers, sie erfreut die kriegrische Centurie, sie macht eine Versammlung von Richtern, die der Centurie gleicht, verehrungswürdig. Ich hätte noch vielmehr, als dieses zu sagen, allein die Kürze, die in Briefen erfodert wird, hält mich davon ab.

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Ist nicht diese Stelle, die ich so wenig verstehe, als sie von andern verstanden werden wird, ein bewundernswürdiger Beweis von Julians großem Geiste? K.

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Man könnte unser Leben, in eigentlichen Schlaf, in Schlummer, und in wirkliches Wachen, eintheilen. Der Schlummer wäre nicht etwa nur das Pflanzenleben, oder, welches noch schlimmer ist, dasjenige thierische Leben, da die Seele, um des Leibes willen, da zu seyn scheint; den Schlummer, den ich meine, hebt auch selbst unsre äußerste Geschäftigkeit nicht auf: Das wirkliche Wachen wäre derjenige glückliche Zustand unsrer Seele, da wir entweder Gott denken; oder etwas, das Gott geboten hat, und zwar weil er es geboten hat, thun. Nur von dem, der wirklich wacht, kann man sagen, daß er wirklich lebt. Ihr seyd nun bald achtzig Jahre alt; wie lange habt ihr gelebt? Oder, ihr seyd nur erst dreißig alt; wie vermuthet ihr, daß ihr diese Frage in eurem achtzigsten beantworten werdet? Und, wenn sie Gott nach eurem Tode an euch thäte? – Wofern der Unendliche nicht spielte, als er uns schuf; so ist diese Sache erstaunlich ernsthaft! Ich weiß wohl, daß wir, und alle andre moralischen Wesen, mehr zum Thun, als zum Denken, gemacht sind. Allein, da das Thun allezeit von dem Denken begleitet werden muß; da es eine gewisse Art zu denken giebt, die schon halb Handlung ist; und da sogar einige Gedanken völlig als Thaten von Gott angesehn werden: so hat man nicht zu befürchten, daß man von einer Kleinigkeit rede, wenn man von demjenigen Theile unsers wirklichen Lebens redet, der im Denken besteht. Welche von allen Arten, über das erste Wesen zu denken, ist die beste? Ich sehe die Schwierigkeiten einer Antwort auf diese Frage in ihrem ganzen Umfange ein; aber gleichwohl halte ich sie nicht für so groß, daß ich dem Recht geben würde, der mir, vielleicht mit vielen tiefsinnig scheinenden Gründen, sagte, daß man sich gar nicht darauf einlassen sollte. Eh ich meine Untersuchung anfange, muß ich einigen meiner Leser sagen, daß, wie es eine wirkliche Glückseeligkeit ist, sich nur überhaupt vorzustellen, daß man existirt, ohne dabey die verschiednen Arten unsers Daseyns zu zergliedern, daß es auch eine wirkliche und viel höhere Glückseeligkeit ist, uns überhaupt bewust zu seyn, daß wir fähig sind, Gott – den Unendlichen – zu denken! Fast alle Beweise für die Unsterblichkeit der Seele aus der Vernunft werden den, der so unglücklich ist, kein Christ zu seyn, nur zweifelhafter machen. Aber das

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Bewustseyn dieser unsrer höchsten Fähigkeit ist ein Beweis, der wie die Sonne leuchtet. Ich kann Gott, wie unvollständig meine Begriffe von ihm auch sind, ich kann Gott denken! Ich bin unsterblich! Derjenige, der Gott, auch nur Einen Augenblick, gedacht hat, sollte nicht unsterblich seyn? So kann ich fragen; und ein Erzengel, dem sich Gott nicht unmittelbar offenbart, wie sehr er seine höhern Kräfte auch fühlt, fragt eben so. Da die Anführung dieses Erweises nur eine Erläuterung des vorigen ist; so setze ich ihn nicht weiter fort. Ich könnte ihn so fortsetzen: Und ich darf Gott lieben! Der, welcher Gott, auch nur den hundertsten Theil eines Augenblicks, geliebt hat, sollte nicht unsterblich seyn? Aber welche ist die beste Art, über Gott zu denken? Man könnte sagen, wir müßten uns mit allen Arten so bekandt machen, daß wir zu der Zeit, da wir zu der einen nicht fähig genug wären, zu der andern unsre Zuflucht nehmen könnten. Ich habe nichts darwider. Denn alles, was uns zu Gott führen kann, ist höchstwichtig. Gleichwohl glaube ich, daß es eine von unsern vornehmsten Pflichten ist, uns an die beste Art, über Gott zu denken, so zu gewöhnen, daß wir die andern beynahe nicht nöthig haben. Ich hoffe meiner Materie genung zu thun, wenn ich drey Arten beschreibe; ob ich mir gleich nicht anmasse, die Sache dadurch bis auf ihre Nüancen zu bestimmen. Es giebt eine kalte, metaphysische, die Gott beynahe nur als ein Objekt einer Wissenschaft ansieht, und ebenso unbewegt über ihn philosophiert, als wenn sie die Begriffe der Zeit oder des Raums entwickelte. Eine von ihren besondern Unvollkommenheiten ist diese, daß sie in den Ketten irgend einer Methode einhergeht, welche ihr so lieb sind, daß sie jede freyere Erfindung einer über Gottes Größe entzückten Seele fast ohne Untersuchung verwirft. Ich verstehe hier durch Erfindungen neue, oder mindstens feiner bestimmte Gedanken über die Vollkommenheiten des Unendlichen. Ich gebe zu, daß diese Art dem, der noch nöthig hat, sich von dem Daseyn Gottes zu überzeugen, nützlich seyn könne. Derjenige aber, welcher weiß, daß die Sonne scheint, oder, welches eben so gewiß ist, das Gott existirt, der dieß weiß, und sich auf die angeführte kalte Art über Gott zu denken, allein einschränken wollte, der würde sich dadurch der nicht kleinen Gefahr aussetzen, gar zu selten, oder beynahe gar nicht, Gott, als den unendlich liebenswürdigen, als den über allen Ausdruck bewundernswürdigen, zu denken

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und zu empfinden; (denn dieß Denken kann von der Empfindung nicht getrennt werden) er würde sich auch sogar der Gefahr aussetzen, welche er doch am meisten zu vermeiden glaubt, nicht wahr genung von ihm zu denken. Denn wer sich nicht genung erhebt, wer nicht würdig genung von ihm denkt, der denkt auch nicht wahr genung von ihm. Ein solcher Philosoph, wie ich meine, wird mir einwerfen, daß ich dieß zwar sage, aber nicht erweise. Und ich kann ihm doch hier weiter nichts antworten, als daß der Umstand, daß er den Erweis einer an sich selbst so klaren Sache verlangt, zwar Viele, aber nur ihn nicht überzeugen wird, er habe seinen Verstand durch metaphysische Grübeleyen, denen er sich nicht einmal frey überläßt, sondern die er nur nach einer gewissen Schulmethode zusammensetzt, sehr kurzsichtig gemacht. Weil wir über dieß alles, durch diese Art von Gott zu denken, beynahe unfähig werden, uns zu der höhern, von der ich zuletzt reden werde, zu erheben; so müssen wir auf unsrer Hut seyn, uns nicht daran zu gewöhnen. Unterdeß wird sich ein wahrer Philosoph, ich meine einen, den sein Kopf, und nicht bloß die Methode dazu gemacht hat, bisweilen darauf einlassen, um sich, durch die Neuheit zu verfahren, aufzumuntern. Es giebt eine zweyte Art, die ich die mittlere, oder um noch kürzer seyn zu können, Betrachtungen nennen will. Die Betrachtungen verbinden eine freyere Ordnung mit gewissen ruhigen Empfindungen; und nur selten erheben sie sich bis zu einiger Bewundrung Gottes. Sie können sehr wahr, sehr fromm, und sehr werth seyn, oft wieder gedacht zu werden; allein sie thun einer Seele, die sich auf das Äusserste bestrebt, Gott zu kennen, noch nicht genung, selbst in denen Stunden nicht genung, wo ihr Verlangen nach dieser Erkenntniß, durch ein gewisses unsrer Einschränkung sehr natürliches Nachlassen, gemildert ist. Sie haben überdieß oft die Unvollkommenheit, daß sie uns veranlassen, klein von Gott zu denken. Nicht so würdig, als wir können, nenne ich schon klein von Gott denken. Und dieß geschieht am meisten dadurch, daß sie uns ohne unsern Vorsatz unvermerkt zu glauben verleiten, Gottes Gedanken seyn wie unsre Gedanken. Kurz, die Eigenliebe eines frommen, und in diesen Augenblicken vielleicht recht sehr frommen Mannes verführt ihn, Gott nach sich zu beurtheilen. Robert Boyle, und man wird doch nicht geneigt seyn, einen Mann, der in allen seinen Handlungen so viel edle Einfalt und ungesuchte Würdigkeit zeigte, deswegen einen Sonderling zu nennen, weil er in Ei-

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ner Sache anders, als fast alle Menschen gehandelt hat; und noch weniger wird man denjenigen einen Heuchler nennen wollen, der seine reine Frömmigkeit durch eine völlige Vermeidung aller Scheinheiligkeit so sehr bewiesen hat, Rober Boyle sprach den Namen Gottes niemals anders, als mit einer so tiefen Ehrfurcht aus, daß er nicht anders konnte, als, nach der Aussprechung desselben, eine Weile stillschweigen, und erst nach diesem merklichen Innehalten, wobey er sein Haupt entblößt gehabt hatte, seine Unterredung fortsetzen. Wie mochte dieser verehrungswürdige Mann seine Empfindungen von Gott, wenn er allein war, ausdrücken? wenn dieser ernste und von allem, was nur geschaffen ist, abgesonderte Tiefsinn zuletzt in Erstaunen ausbrach, in Erstaunen über Gott, das Höchste, ausser der Liebe zu ihm, wozu ein endlicher Geist fähig ist. Sich auf der obersten Stufe dieser Erhebung zu Gott lange zu erhalten, ist in diesem Leben unmöglich; aber sich ihr, durch mehr als Betrachtungen, oft und lange nähern, ist auch hier möglich, und die höchste aller Glückseeligkeiten. Sich der obersten Stufe nähern, nenne ich, wenn die ganze Seele von dem, den sie denkt, (und wen denkt sie?) so erfüllt ist, daß alle ihre übrigen Kräfte von der Anstrengung ihres Denkens in eine solche Bewegung gebracht sind, daß sie zugleich und zu einem Endzwecke wirken; wenn alle Arten von Zweifeln und Unruhen über die unbegreiflichen Wege Gottes sich verlieren; wenn wir uns nicht enthalten können, unser Nachdenken durch irgend einige kurze Ausrufungen der Anbetung zu unterbrechen; wenn, wofern wir darauf kämen, das, was wir denken, durch Worte auszudrücken, die Sprache zu wenige und schwache Worte dazu haben würde; wenn wir endlich mit der allertiefsten Unterwerfung eine Liebe verbinden, die mit völliger Zuversicht glaubt, daß wir Gott lieben können, und daß wir ihn lieben dürfen. Wofern man im Stande wäre, aus der Reihe, und daß ich so sage, aus dem Gedränge dieser schnellfortgesetzten Gedanken, dieser Gedanken von so genauen Bestimmungen, einige mit Kaltsinn herauszunehmen, und sie in kurze Sätze zu bringen; was für neue Wahrheiten von Gott würden oft darunter seyn! Die Erreichung der obersten Stufe in dieser letzten Art über Gott zu denken, ist ein Zustand der Seele, da in ihr so viele Gedanken und Empfindungen auf Einmal und mit einer solchen Stärke wirken, daß, was alsdann in ihr vorgeht, durch jede Beschreibung verlieren würde.

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Folgendes Fragment aus einem Gedichte drückt etwas davon aus. Henoch redet. Als ich das kleine Leben noch lebte, da noch die Stunde Meiner neuen Herrlichkeit säumte; da saß ich oft einsam An der Ceder im Haine; dann rauschten wallende Lüfte Durch die Ceder ihr Leben; es fühlten sich alle Naturen Um mich herum: ich aber empfand die unsterbliche Seele! Damals, o, da schon ergrif mich in Stunden, die ich noch segne, Oft, mit so unaussprechlicher Neuheit und Wonne, der beste Aller Gedanken, der grosse Gedanke, vom ersten der Wesen! Daß von seinem Anschaun die Seele zur tiefsten Bewundrung Schauernd hinunter erstaunte! so neu, so niemals empfunden War sein Gefühl mir! Ich rief, der zitternde Mund nicht! der starrte! Jede Stunde war todt! der Athem stand bebend! Das Leben Stutzt’, hielt inne! Die Zeit ging nicht fort! Doch laut aus der Tiefe, Laut, mit allen Empfindungen, rief die betende Seele: O, wer bist du? – Wer bist du? – du Wesen der Wesen, wer bist du? Gott! – unendlich! – der Erste! – da war es einsam! – du Schönster! Wesen ohn Ursprung! – doch wars nicht ewig einsam! du Liebe! Ach! – (nun kam mir die Stimme zurück, nun flossen die Thränen!) Ach! mein Schöpfer! mein Gott! ich vergeh in den mächtigen Freuden! Dicht, denn dicht um mich ruht deiner Allgegenwart Fülle! K.

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qVon der Sprache der Poesie.p Die Sprache meines zweyten Vaterlandes (Dänemarks), und diejenige, in welcher ich schreibe, haben so viel Ähnliches mit einander, daß ich mir schmeichle, folgende Anmerkungen werden denen nicht misfallen, welche die deutsche Sprache lieben, wenn sie gleich ihre mütterliche noch mehr lieben. Vielleicht theile ich ihnen auch über den Ausdruck der dänischen einige Gedanken mit, wenn ich mit ihren Eigenschaften noch bekannter geworden bin. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was man in vielen Büchern wiederhohlt hat, daß bey allen Nationen, die sich durch die schönen Wissenschaften hervorgethan haben, die Poesie eher als die Prosa zu einer gewissen Höhe gestiegen sey. So viel ist unterdeß gewiß, daß keine Nation weder in der Prosa noch in der Poesie vortreflich geworden ist, die ihre poetische Sprache nicht sehr merklich von der prosaischen unterschieden hätte. Die Griechen, und wer wird ihnen den vollkommensten poetischen Ausdruck absprechen? unterschieden diesen von dem prosaischen nicht allein auf alle Arten, auf welche es Nationen von Geschmack immer gethan haben; sie giengen noch weiter, und thaten es selbst durch den veränderten Klang der Wörter. Eben das Wort, das auch in Prosa gebräuchlich war, wurde, durch eine Sylbe mehr oder weniger, durch Hinzusetzung, Wegnehmung oder Verändrung eines Buchstabens, zum poetischen Worte gemacht. Die Römer ahmten den Griechen zwar in dieser letzten Unterscheidung der Prosa und der Poesie nur sehr selten nach; aber wie sehr ist gleichwohl der Ausdruck des Cicero und des Virgil unterschieden? Nach der langen Barbarey sind die schönen Wissenschaften zuerst nach Italien gekommen. Wer weiß nicht, daß die italienische Sprache, diese älteste Tochter der römischen, auf die meisten Vorrechte ihrer Mutter Anspruch macht? Sie hat eine nicht geringe Anzahl Wörter, die der Poesie allein gewidmet sind. Der Vers berechtiget sie, den Klang der Wörter zu verändern; und sie ist ungemein biegsam, jeder Wendung eines poetischen Gedankens zu folgen. Die Franzosen, welche die Prosa der Gesellschaften, und was derselben nahe kömmt, mit der meisten Feinheit und vielleicht am besten in Europa schreiben, haben ihre poetische Sprache unter allen am wenigsten von der prosaischen unterschieden. Einige von ihren Genies haben

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selbst über diese Fesseln geklagt, die sich die Nation von ihren Grammaticis und von ihren Petitsmaitres hat anlegen lassen. Unterdeß würde man sich sehr irren, wenn man glaubte, daß ihre Poesie gar nicht von ihrer Prosa unterschieden wäre. Sie ist dieß bisweilen sehr, und wenn sie es nicht ist; so haben wir wenigstens das Vergnügen, da, wo wir bey ihnen den poetischen Ausdruck vermissen, schöne Prosa zu finden: ein Vergnügen, das uns diejenigen unter den Deutschen selten machen, welche an die wesentliche Verschiedenheit der poetischen und der prosaischen Sprache so wenig zu denken scheinen. Ich würde den poetischen Ausdruck der Engelländer für den stärksten, und für denjenigen halten, der sich, den griechischen und römischen ausgenommen, am meisten von der Prosa unterschiede; wenn sie nicht so viele fremde Wörter, und mit ihnen alle Nebenbegriffe derselben in ihre Sprache aufgenommen hätten. Diese Nebenbegriffe bey den aufgenommnen Wörtern zu denken; ist mindstens denen unter den Engelländern und Fremden unvermeidlich, welche die Sprachen kennen, aus denen jene Wörter entlehnt sind. Ich gebe zu, daß die englische Sprache gleichwohl auch viel Eignes habe; und ich rechne unter dieß Eigne selbst den neuen Schwung, den sie den ausländischen Wörtern manchmal zu geben gewust hat: allein man wird, auf der andern Seite, auch nicht leugnen können, daß ihr neuer, kühner und glücklicher poetischer Ausdruck, den Nebenbegriffen der aufgenommnen oft sehr prosaischen Wörter, nicht selten unterliege. Es ist schon lange her, daß Luther die Deutschen durch die Art, auf welche er die poetischen Schriften der Bibel übersetzt hat, von dem Unterschiede der prosaischen und poetischen Sprache hätte überzeugen können. Aber sie haben von diesem grossen Manne überhaupt weniger gelernt, als sie von ihm hätten lernen sollen. Opiz hat sie nach ihm an jenen Unterschied von neuem erinnert; Haller noch stärker: allein sie scheinen noch immer daran zu zweifeln. Wenn man alle Stufen des prosaischen Ausdrucks hinaufgestiegen ist; so kömmt man an die unterste des poetischen. Die höchste prosaische und die letzte poetische scheinen sich in einander zu verlieren. Es ist dem Redner, wenn er in seinem stärksten Feuer ist, nicht allein erlaubt; sondern er muß sich auch einige Schritte höher erheben, als er gewöhnlich soll. Auch der Poet darf, nachdem ihn die Personen, die er aufführt, oder die Sachen, die er vorstellt, dazu Gelegenheit geben, sich ein wenig weiter herunterlassen, als es ihm überhaupt zu thun erlaubt ist. Allein

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niemals dürfen sie auf beyden Seiten zu weit gehn. Doch die Regeln, wie weit sie gehn, und nicht gehn sollen, gehören zu meiner Materie nicht. Um dasjenige, was ich sagen werde, genauer zu bestimmen, muß ich gleich Anfangs anmerken, daß ich von dem Unterschiede der Gedanken und Empfindungen nicht rede, die der prosaische Scribent, und derer, die der Poet vor andern ausdrücken soll. Wenn ich dieß thun wollte; so würde ich vor allen festsetzen: Daß es Gedanken und Empfindungen, oft nur einen gewissen Grad, eine Wendung, eine Art von Ausbildung derselben giebt, die allein in der Poesie; und andre, die nur in Prosa gebraucht werden müssen. Dieß weiter auszuführen, würde aus zwo Ursachen überflüßig seyn. Der gute Poet weiß es schon; und Leser von Geschmack finden Wahrheiten von dieser Art lieber an Gedichten selbst, als in Untersuchungen der Kritik. Ich werde daher nur von dem Ausdrucke dieser verschiednen Gedanken und Empfindungen etwas weniges sagen. Ich gebe zugleich zu, daß noch vieles, welches ich unberührt lasse, davon gesagt werden könne. Wenn man den Gedanken hat; so wählt man das Wort, welches ihn ausdrückt. Wenn wir das rechte Wort nicht wählen; so thun wir eben das, was derjenige thut, der durch eine Mine etwas sagen will, und dem die Mine mislingt. Es ist dem Zuschauer oder dem Leser unangenehm, daß sie uns entweder nicht genug verstanden; oder daß sie die vergebne Mühe bemerkten, mit der wir uns bestrebten, uns zu erklären. Die Poesie soll überhaupt vielseitigere, schönre, und erhabnere Gedanken, als die Prosa, haben. Wenn wir sie ausdrücken wollen; so müssen wir Wörter wählen, die sie ganz ausdrücken. Hier finden wir gleich Anfangs eine nicht geringe Anzahl, von denen wir gar keinen Gebrauch machen können. Sie haben in dem Munde des Volks allen ihren Nachdruck verloren; oder sie haben niemals einigen gehabt. Die Sprache hat also für den Poeten weniger Wörter und dieß ist der erste Unterschied der Poesie und der Prosa. Wir finden ferner viele Wörter, die zwar, in dieser oder jener Art der Poesie, noch edel genug wären; die es aber für die Art, in der wir arbeiten, nicht sind; ein neuer Unterschied, mindstens für diejenigen, die in jener Art der Poesie schreiben. Wie werden wir diesen Mangel ersetzen? Denn wir haben nun wirklich eine ärmere Sprache. Noch eine Anmerkung; so ist sie es noch mehr. Gewisse Wörter sind zwar edel genung; aber wir können sie, wegen ihres Übelklangs, oder auch wegen des Sylbenmaasses, das wir gewählt haben, nicht brauchen.

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Die edlen und für die Poesie vorzüglich brauchbaren Wörter sind, fürs erste, diejenigen, die keine niedrige oder lächerliche Nebenbegriffe veranlassen. Der Richter von der Niedrigkeit oder dem Lächerlichen der Nebenbegriffe ist allein der Geschmack. Die Franzosen finden vieles lächerlich, das es nicht ist. Wir treffen hier den rechten Punkt, wenn wir ihnen, in einer gewissen Entfernung, folgen. Ferner sind für die Poesie vorzüglich brauchbare Wörter, die wirklich etwas sagen, und nicht nur zu sagen scheinen. Mich deucht, die Deutschen können bey dieser Untersuchung nie zu sorgfältig seyn. Ihre Sprache hat wirklich noch eine nicht geringe Anzahl von Wörtern dieser Art. Es ist nicht nöthig, zu sagen, daß Wörter von ausgemachter Stärke unter die für die Poesie brauchbarsten gehören; allein es möchte vielleicht nicht überflüßig seyn, die Deutschen zu erinnern, daß diejenigen Wörter, die mit Geschmack zusammen gesetzt sind, unter die von ausgemachter Stärke zu zählen sind. Es ist der Natur ihrer Sprache gemäß, sie zu brauchen. Sie sagen sogar im gemeinen Leben: Ein gottesvergeßner Mensch. Warum sollten sie also den Griechen hierinnen nicht nachahmen, da ihnen ihre Vorfahren schon lange die Erlaubniß dazu gegeben haben? Der poetische Ausdruck soll sich nicht immer, besonders in gewissen Dichtarten, durch die Stärke, unterscheiden; er kann dieß auch oft, nachdem ihn der Gedanke dazu veranlaßt, durch angenehme und sanfte Wörter thun. Unterdeß verdient keine von Horazens Anmerkungen öfter wiederhohlt zu werden, als diese: Ihr sucht angenehm zu seyn; und ihr seyd ohne Nerven, ohne Seele! Die deutsche Sprache, die nun anfängt gebildet zu werden, hat noch neue Wörter nöthig. Ich rechne unter die neuen auch einige wenige veraltete, die sie zurücknehmen sollte. Aber, durch die Neuheit an sich selbst erhält ein Wort keine Vorzüge. Ausser dem, daß sein Schicksal sehr von der ungezwungnen Ableitung oder Zusammensetzung abhängt; so befördert, oder hindert auch seine Aufnahme die Güte oder Unbrauchbarkeit des Stammworts, von welchem es entstanden ist. Sogar eine zu nahe Verwandtschaft, mit einem andern Worte von niedriger Bedeutung, kann dem neuen Worte schaden. Himmling hätte man nicht wagen sollen, weil dem Leser Himmeln dabey einfallen könnte. Wenn ein Deutscher aus einem Alten einen Ausdruck, der ein Bild zeigt, bloß übersetzt und dazu in seiner Sprache ein eben so edles Wort

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wählt, als Virgil oder Homer in der seinigen gebraucht hätte; so kann derjenige, der ihn mit Recht tadeln will, nur folgendes anführen. Ihm misfällt entweder das Bild selbst; oder er tadlet den Dichter, daß es sich in seine Stelle nicht so gut schickt. Ist keine von beyden seine Ursache; so ist er verdrießlich darüber geworden, daß, fusus, hingegossen, im Deutschen heißt. Ausser den bisher angeführten Eigenschaften guter Wörter, sie seyn neu, oder schon aufgenommen, kömmt es noch sehr, wenn sie gut bleiben sollen, auf die Stelle, wo sie stehn, an. Sie sind dem Gedanken, den sie ausdrücken sollen, alsdenn erst angemessen, wenn sie an der rechten Stelle stehn. Der Leser macht besonders hier eine beständige, zwar sehr schnell gedachte, aber dennoch genaue Vergleichung zwischen dem Gedanken und dem Worte. Er fühlts, was wir haben sagen wollen; was wir gesagt; und was wir nicht gesagt haben. Die Anmerkungen, die ich bisher über die Güte der Wörter gemacht habe, gelten zwar größtentheils auch von der Prosa; allein es ist die Pflicht des Dichters, sie mit noch genauerer Sorgfalt zu beobachten. Wenn er mit der Wahl der Wörter glücklich gewesen ist; so erhebt er sich auch, durch die veränderte Ordnung derselben, über die Prosa. Nur selten sind die Leidenschaften, welche die Prosa ausdrückt, so lebhaft, daß sie eine nothwendige Verändrung der eingeführten Wortfügung erfordern. Die Poesie erfordert dieselbe oft. Denn die Abschildrung der Leidenschaften ist dasjenige, was in einem guten Gedichte herrschen soll. Die Regel der zu verändernden Wortfügung ist die: Wir müssen die Gegenstände, die in einer Vortstellung am meisten rühren, zuerst zeigen. Die Stellen, wo in dem Gedichte die Einbildungskraft herrscht, sollen ein gewisses Feuer haben, das sich der Leidenschaft nähert. Eine neue Ursache, die Wörter anders, als nach der gewöhnlichen Ordnung der Prosa, zusammen zu setzen. Doch dürfen wirs hier nicht mit gleicher Kühnheit thun. Eine fast unmerkliche Verändrung der Wortfügung möchte auch denen Stellen manchmal angemessen seyn, wo wir zwar vornehmlich beschäftigt sind, den Verstand zu unterhalten, aber uns auch erinnern, daß wir es als Poeten thun müssen. Bisweilen darf uns sogar der dadurch zu erreichende Wohlklang veranlassen, die Wörter zu versetzen. Ich meine nicht, daß es geschehen soll, den Vers bloß zu machen; sondern ihm durch diese Hülfe eine gewisse glückliche Wendung zu geben. Aber nicht allein die Wahl guter Wörter, und die geänderte Verbindung derselben unterscheiden den poetischen Perioden von dem pro-

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saischen. Es sind noch verschiedne von denen anscheinenden Kleinigkeiten zu beobachten, durch welche Virgil vorzüglich geworden ist, was er ist. Ich nehme an, daß die Wörter des Perioden und die Ordnung derselben, der Handlung, die der Periode ausdrücken soll, gemäß sind. Aber gleichwohl gefällt er noch nicht genug. Hier ist eine Redensart, wo nur ein Wort seyn sollte. Und nichts tödtet die Handlung mehr, als gewisse Begriffe in Redensarten ausdehnen. Es kann auch bisweilen das Gegentheil seyn. Hier sollte eine glückliche Redensart stehen. Der Gedanke erfordert diese Ausbildung. Dort sind die Partikeln langweilig, welche die Glieder des Perioden fast unmerklich verbinden sollten. Sie sinds, unter andern, wenn sie zu viel Sylben haben. Ein: dem ungeachtet könnte die schönste Stelle verderben. Sie sinds ferner, wenn sie da gesetzt werden, wo sie, ohne daß die Deutlichkeit oder der Nachdruck, darunter litte, wegbleiben konnten. Das doch, mit dem man wünscht, gehört vornehmlich hierher. In einer andern Stelle stand die Interjection nicht, wo sie stehen sollte. Das Ach fing den Perioden an; und es hätte glücklicher vor den Wörtern gestanden, welche die Leidenschaften am meisten ausdrücken. Ein andermal hat der Verfasser nicht gewußt, von welcher Kürze, und von welcher Stärke das Participium gewesen seyn würde. Darauf hat er es wieder gesetzt, wo es nicht hingehörte. Wenn in den poetischen Perioden zu diesen Fehlern noch die beyden grössern kommen, daß die Hauptwörter theils nicht gut gewählt, theils nicht nach der Natur der Handlung geordnet sind; so haben wir eine Statüe, die weder Bildung noch Stellung hat. Alles ist kraftlos und ohne Character. Die eine Hand ist zu groß; der eine Fuß zu breit. Die Gelenke sind geschwollen. Sie hat nichts Fleischiges, kein Leben. Gleichwohl sehn wir, daß der Hauptgedanke des Künstlers gut war. Aber er ist unter dem Ausdrucke erlegen. Die besten Gedanken sind in der Gefahr, auf diese Art verdorben zu werden. In vielen poetischen Schriften, welche die Deutschen noch nicht zu lesen aufhören, sind diese Fehler beynahe gar nicht vermieden worden. Es sind nur wenige, in welchen man nach den Grundsätzen, davon ich einige anfgeführt habe, gearbeitet hat. Allein diese wenige haben die Sprache noch nicht völlig so bilden können, wie sie, nach ihrer Natur, gebildet werden sollte. Die Mittel, die zu diesem Zwecke näher führen könnten, scheinen mir folgende zu seyn.

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Die deutsche Sprache ist reich; allein sie hat nicht selten einen unnützen Überfluß. Sie kann nicht zu streng in der Enthaltung von solchen Wörtern und Redensarten seyn, die, wenn man es genau untersuchte, nicht einmal in Prosa geduldet werden sollten. Wenn man diese Wörter wegnimmt, so ist die Sprache dadurch zwar noch nicht arm geworden; aber es würde doch gut seyn, jenen sehr entbehrlichen Überfluß durch einen wahren Reichthum zu ersetzen. Ich meine gar nicht, daß sich jeder, dem es nur einfällt, in diese Ersetzung mischen solle. Selbst die wenigen guten Scribenten sollten es mit der behutsamsten Sorgfalt und Beurtheilung thun. Auf die feurige Stunde der Ausarbeitung muß, besonders auch in Absicht auf den Ausdruck, die kältere der Verbeßrung folgen. Und nie darf diese ihren Rechten etwas vergeben. Der deutsche Poet, der zu unsern Zeiten schreibt, findet eine Sprache, die männlich, gedankenvoll, oft kurz, und selbst nicht ohne die Reize derjenigen Annehmlichkeit ist, die einen fruchtbaren Boden schmückt, wenn sie mit sparsamer Überlegung vertheilt wird; und die, wenn man sie zu sehr verschwendet, ein Blumenbeet aus einer schönen Gegend macht. Sie kann gleichwohl, wie mich deucht, auf zwo Arten noch weiter ausgebildet werden. Die eine ist: Ihre Scribenten richten sich nach der Wendung, die sie einmal genommen hat. Sie gehen auf dem Wege fort, den Luther, Opiz und Haller; (ich nenne diese großen Männer nicht ohne Ursache noch einmal;) zuerst betreten haben. Die andre Art ist: Sie ahmen der griechischen Sprache, der römischen und einigen unsrer Nachbarn nach: jenen, weil sie durch Meister gebildet worden sind, deren Werke in allen Jahrhunderten Muster bleiben werden; und diesen, in so fern sie theils von jenen ersten Mustern gelernt haben, theils eigne Schönheiten besitzen. Der glückliche Maler, der seine eigne Colorit hat, die ihn nachahmungswürdig macht, wird sich nicht schämen, von andern grossen Meistern zu lernen, ob er sich gleich sehr dabey hüten wird, dasjenige, was er entlehnt, auf eine Art anzubringen, die seiner eignen nicht angemessen wäre. Die Römer ahmten den Griechen auf diese Art nach. Und vielleicht hat die deutsche Sprache noch mehr Verwandtschaft mit der griechischen, als die römische mit ihr hatte. Wie glücklich die Engländer und Italiener in der Nachahmung jener beyden Sprachen oft gewesen sind, weiß jeder, der sie gelesen hat. Daß Ronsard es nicht war, daran ist weder Homers und Virgils, noch Corneilles Sprache Schuld. Die Grenzen dieser Nachahmung können viel bestimmter bey dieser

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und jener Stelle gezeigt, als durch allgemeine Regeln festgesetzt werden. Ich werde mich nur auf Eine Untersuchung einlassen. Jede Sprache hat ihre Idiotismos. Man nimmt öfters Ausdrücke für Idiotismos an, die es zwar in so fern sind, daß sie wirklich in einer Sprache so oft vorkommen, daß sie ihr allein eigen zu seyn scheinen; die aber gleichwohl keine grammaticalischen Idiotismi sind. Ich habe oft gefunden, daß man wider die Übersetzung eines solchen Idiotismi am Ende nichts mehr sagen konnte, als daß man diesen Gedanken in dieser Sprache nicht denken wollte. Welches besonders deßwegen lächerlich war, weil man zugegeben hatte, daß er in der andern Sprache schön wäre. Die Römer gingen so weit, daß sie auch die grammatikalischen Idiotismos der Griechen nachahmten. Meine Meinung ist nicht, daß die Deutschen dieses auch thun sollen; (ob ich gleich nicht zu viel zu wagen glaube, wenn ich die sparsame Nachahmung einiger Wortfügungen ausnehme) ich meine nur, daß sie sich das Geschrey derjenigen, welche die platte Sprache des Volks allein für gut Deutsch zu halten scheinen, nicht abhalten lassen sollen, den Griechen und Römern in ihren glücklichen Ausdrücken der Poesie nachzuahmen. Viele von diesen Ausdrücken könnten zwar auch, weil sie oft von ihnen gebraucht werden, Idiotismi heißen; sie sind aber vielmehr, auf der Seite des poetischen Ausdruckes überhaupt, anzusehn, und dieß so sehr, daß dabey gar nicht mehr die Frage von der Grammatik irgend einer Sprache ist; sondern von den Regeln desjenigen poetischen Ausdrucks, der in jede gebildete Sprache aufgenommen zu werden verdiente. Wenn man die hebräische Sprache allein, als eine morgenländische ansehn wollte; so würde man leicht darauf verfallen können, die Nachahmung derselben, wegen des zu grossen Unterschieds der abendländischen und der morgenländischen Sprachen, schlechterdings zu verwerfen. Allein man hört mit Recht auf, sie bloß in diesem Gesichtspunkte anzusehn, wenn man anmerkt, daß die Verfasser des alten Testaments, (ich betrachte hier ihre Werke bloß als menschliche,) das Übertriebne der morgenländischen Sprachen, ohne ihrem Feuer und ihren glücklichen Kühnheiten etwas zu vergeben, vermieden haben; daß wir, mit ihrer Art sich auszudrücken, schon vertraut geworden sind; und daß sie uns Begriffe sagen lehren, die für uns so wichtig sind, und von welchen wir fast keine Spur in den heidnischen Scribenten finden. Diese Umstände zusammengenommen machen den poetischen Ausdruck des al-

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ten Testaments besonders denen, die heilige Gedichte schreiben, zu einer reichen Quelle der Nachahmung, die ihnen dann am besten gelingen wird, wenn sie dem morgenländischen Ausdrucke, wo er am kühnsten ist, in einer gewissen Entfernung, zu folgen wissen. Gebildete Sprachen haben vieles mit einander gemein; und vieles, das sie von einander unterscheidet. Ich will nur etwas von dem, das einige nachahmungswürdige Sprachen von einander unterscheidet, anführen. Die feurige bildervolle Kürze der hebräischen Sprache; die Fülle, und die angemeßnen feinen Bestimmungen der griechischen; den Anstand, die Würde und den hohen Ton der römischen; die Stärke und die Kühnheit der englischen; die Biegsamkeit und die Annehmlichkeit der italienischen; und die Lebhaftigkeit und sorgfältige Richtigkeit der französischen, wird die männliche und ungekünstelte deutsche Sprache desto glücklicher erreichen, je freyer die Art und je reifer die Wahl seyn werden, womit sie nachahmen wird. Es scheint mir, daß eine von ihren guten Eigenschaften eine gewisse Biegsamkeit sey, etwas von dem Tone andrer Sprachen anzunehmen. Derjenige würde mich falsch erklären, der glaubte, daß ich ihrem Originalcharakter hierdurch etwas vergeben wollte. Sie könnte vielleicht mehr geben, als sie nimmt. Sie ist, wie die Nation, die sie spricht. Sie denkt selbst, und bringt die Gedanken andrer zur Reife. Man wird mir also die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, und von mir glauben, daß, wenn ich wünsche, daß sie einige angenehme oder starkgezeichnete Züge der Alten und Ausländer entlehnen möge, um sich vollends zu bilden, daß ich weit entfernt bin, mich dadurch für diejenige sclavische Nachahmung zu erklären, welche die Hälfte Deutschlands angesteckt zu haben scheint, und die es noch dahin bringen kann, daß die Ausländer glauben werden, die Deutschen am richtigsten von andern Nationen zu unterscheiden, wenn sie dieselben Nachahmer nennen. K.

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Die Bescheidenheit ist nicht nur ein richtiges Urtheil, das wir über den eigentlichen Grad unsers Werthes fällen, und, durch unser Betragen, auf eine ungezwungne Art andern zu erkennen geben: Sie ist auch eine beynahe furchtsame Sorgfalt, daß wir dennoch in diesem Urtheile, wie streng und unpartheiisch wir auch gegen uns gewesen sind, geirrt und uns mehr gute Eigenschaften zugeschrieben haben möchten, als wir wirklich besitzen. Wenn dieses letzte nicht wäre, so würde man einen Bescheidnen zwar hochachten; aber ihm nicht die Liebenswürdigkeit zugestehn, die selbst den Stolzen für ihn einnimmt. Der Bescheidne hat, ausser den angeführten Kennzeichen, auch noch dieses, daß er es nicht allein gar nicht zu scheinen affektirt; sondern diesen Schein so sehr vermeidet, daß sich über alle seine Handlungen diejenige Natürlichkeit und edle Einfalt ausbreitet, die auch dann schon, wenn sie nicht von der Bescheidenheit entsteht, und nur die Folge eines ofnen und freyen Charakters ist, einen Mann von Verdiensten entdeckt. Aber nur derjenige, der mit großen Verdiensten gleiche Tugenden verbindet, oder vielmehr, der, durch die Ausübung seiner Pflicht, gegen welche alle andre Verdienste von geringem Werthe sind, groß ist, nur ein solcher kann die Vorzüge der Bescheidenheit in ihrem ganzen Umfange zeigen. Der feine Stolz ist ein nur allzu künstlicher Nachahmer der Bescheidenheit; denn er kann die erfahrensten Kenner von Charaktern hintergehn. Es ist traurig, daß die schönste unter den Tugenden so entweiht werden kann. Ich sage nur, daß sie die schönste, und nicht, daß sie die größte sey. Denn diese ist, die unmittelbaren Pflichten gegen Gott ausgenommen, die Menschlichkeit. Wir lernen Philinten kennen. Er gefällt uns. Er scheint nichts von seinen bekannten Verdiensten zu wissen. Wir sehn bald aus seinem Betragen, daß er die Bescheidenheit für eine schätzbare Eigenschaft hält. Aber wir sind schon so oft durch die feine Nachahmung dieser Tugend betrogen worden. Wir sind also auf unsrer Hut, und fest entschlossen, unser Urtheil über seine Bescheidenheit, erst nach langer Untersuchung, zu fällen. Wir fahren fort mit ihm umzugehn. Denn er gefällt uns auch aus andern Ursachen, als wegen seiner anscheinenden Bescheidenheit. Wir finden ihn aufrichtig, wahrhaft und natürlich. Er ist sich beständig gleich; auch in der Bescheidenheit: und Heuchler sind es doch sehr selten. Wir fangen an, geneigt zu werden, ihn für wirklich be-

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scheiden zu halten. Aber weil wir dieses merken, so werden wir desto behutsamer. Denn wir haben uns schlechterdings vorgenommen, uns nicht wieder durch den Schein der Bescheidenheit hintergehn zu lassen. Philint wird auf eine feine Art gelobt; und zwar von Leuten, die er hochachtet. Er lehnt das Lob ungezwungen, und zugleich mit einer gewissen angenehmen Dankbarkeit von sich ab, daß wir gar nicht dabey entdecken, daß er bescheiden zu scheinen suche. Ein Stolzer, der Verstand und Lebensart hätte, würde es beynahe eben so machen. Wir kennen ihn nun schon ziemlich lange. Da wir ihn bisher ganz entfernt davon gefunden hatten, durch irgend etwas schimmern zu wollen; so hatten wir zwar nicht schlechterdings entschieden, daß ihm gewisse Sachen, wovon wir vieles wissen, und auf die er sich fast gar nicht eingelassen hatte, völlig unbekannt wären; aber wir hatten doch geglaubt, daß seine Einsichten in dieselben sehr unvollständig seyn müßten. Wie angenehm werden wir überrascht, wenn wir bey einer Gelegenheit, die ihn beynahe zwingt, sich über diese Materien zu erklären, finden, daß er sie mit der vollständigsten Genauigkeit auseinander setzt. Unsre Neigung, ihn für wirklich bescheiden zu halten, wird stärker; und noch stärker wird sie, da wir sehen, daß, da er von Einigen, die er recht sehr hochachtet, auf einen gewissen Grad verkannt wird, daß er dennoch fortfährt, ihren Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, und ihnen durch keine Art von Gegenstolz zeigt, daß er ihre Begegnungen empfunden habe. Wenn wir nicht durch die falsche Bescheidenheit so oft betrogen, und beynahe argwöhnisch geworden wären; so würden wir itzt, ohne weitere Untersuchungen im geringsten für nöthig zu halten, gerade zu entscheiden, daß Philint ein Mann von sehr wahrer Bescheidenheit sey. Wir hatten bisher mit scharfem Auge bloß auf ihn Acht gegeben; nun wollen wir ihn, um völlig gewiß zu werden, auch auf die Probe stellen. Wir sind bekandt genung mit ihm; wir können es thun. Wir tadlen daher etwas an denjenigen von seinen Unternehmungen, welche ihm die liebsten zu seyn scheinen. Wir thun es zwar nicht ohne Mässigung, aber zugleich mit dem kalten Blute, mit der gründlichen Strenge, welche die Sprache der Wahrheit ist. Wird Philint sogar diese Probe aushalten? Er hört uns mit gesetztem Wesen an, und ohne die geringste Gegenanklage in seinen Betragen zu zeigen. Unser Tadel war, weil wir ihn nicht genung kannten, in verschiednen Stücken nicht gegründet. Er sagt uns dieß mit eben der edlen Freymüthigkeit, mit welcher er dasjenige, was er wahr darinn fand, zugestanden hatte.

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Ein Versehn bloß durch Worte zugeben, ist nur ein halbes Geständniß. Dieß ist ihm nicht genung. Er verbessert daher dasjenige, worinn er gefehlt zu haben überzeugt worden war. Ist es uns nun noch zu zweifeln möglich, daß Philint die schönste der Tugenden in einem sehr hohen Grade besitze? Es ist gewiß! Selten, sehr selten, findet man einen Philint. Aber derjenige, der ihn für eine moralische Chimäre hält, scheint mir wenig Ansprüche auf den Besitz der übrigen Tugenden machen zu dürfen. Er kann gewisse Verdienste haben; allein die wahrsten, deren Mangel allen übrigen sehr nachtheilig ist, hat er nicht. Die nachgeahmte Bescheidenheit, dieser kluge Stolz, besticht den Stolz andrer, und erlangt dadurch diejenigen kalten Gegendienste, die Bestochne zu erzeigen pflegen. Und welch eine unnütze Verschwendung sind alle vorigen Bestechungen, wenn der andre entdeckt, daß er mit falscher Münze bestochen wird? Derjenige, dem es noch gar nicht eingefallen ist, daß er die Bescheidenheit für eine von den liebenswürdigsten Tugenden zu halten habe, die er ausüben kann, oder der, bey dem sie dem Stolze noch zu sehr unterliegt, wird, durch die Beobachtung folgender drey Punkte, gut anfangen; oder auf dem schon betretnen Wege glücklich fortgehn. Er gewöhnt sich, alle Dinge vornehmlich in dem Gesichtspunkte anzusehn, der ihren eigentlichen Werth entscheidet. Er fürchtet oft, daß er sich selbst noch nicht genung kenne, und fängt daher diese Untersuchung manchmal von neuem, und mit einer solchen Sorgfalt an, als wenn er sie noch niemals unternommen hätte. Er sieht viel seltner auf die Höhen, die er schon überstiegen hat, herunter, als er nach denen hinaufsieht, die er noch vor sich hat, und die er vielleicht niemals völlig ersteigen kann.

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qVon dem Fehler, andre nach sich zu beurtheilen.p Es ist eins von den sonderbarsten Schauspielen, das man sich geben kann, wenn man mit Aufmerksamkeit zusieht, wie fast jeder den andern nach sich selbst beurtheilt. Selbst der Rechtschafne fällt in den Fehler, von andern unrichtig zu urtheilen, indem er die Tugenden, die er selbst hat, auch bey andern findet. Aber welch ein edler Fehler ist dieser! Einen gewissen Unterschied auch wohl Vorzug einiger Verstandeskräfte und der Denkart gesteht man zwar noch bisweilen zu; allein in Absicht auf die Eigenschaften des Herzens, überredet man sich leicht, keinen über sich zu haben. Wenn man außerordentlich große Tugenden in der Geschichte findet; so hält man hier den Geschichtschreiber für einen Dichter, und wenn man sie selbst sieht, so ist man gar zu geneigt, denjenigen, der sie thut, für einen Heuchler zu erklären. Und wenn dieses von ihm zu behaupten gar zu unwahrscheinlich ist; so sucht man sie, durch die Erfindung kleiner Absichten derselben, herunter zu setzen; oder man würdigt sie nicht mehr, mit dem, was man selbst thun könnte, zu vergleichen, indem man sie aus einer Enthusiasterey des Herzens herleitet, durch die man sich in einer Welt, wie die unsrige ist, zwar lächerlich, aber gewiß nicht glücklich mache. Diese Gewohnheit, den weisen, den tugendhaften, den grossen Mann zu sich herunter zu erniedrigen, und ihn mit seinem eignen kleinen Maasse zu messen, hat unter andern auch diese schlimme Folge, daß man sich der Muster der Nachahmung und ihres vielseitigen Nutzens beraubt. Und diese Muster der Nachahmung sind gleichwohl für die Meisten die einzige Reitzung, die ihnen übrig ist, mindstens einige Stufen der Tugend zu ersteigen. Denn die Aussprüche der Pflicht sind ihnen zu kalt. Sie wirken nicht auf ihr Herz. Kleon könnte sich vielleicht zu einem gewissen Grade von Tugend erheben; allein wenn er fortfährt, Aristen nach sich selbst zu beurtheilen, so ist gar keine Hoffnung mehr dazu. Arist verzeiht seinem Feinde auf eine Art, welche die Zuschauer beynahe zweifelhaft macht, ob er beleidigt worden sey. Kleon, dem es unbegreiflich ist, daß man so verzeihen könne, hält Aristen für furchtsam. Denn das ist er selbst. Arist scheint nicht reicher zu werden, ob er gleich in Umständen ist, in welchen er es werden könnte. Er hatte einigen Unglücklichen ge-

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liehn, von denen er geglaubt hatte, daß sie rechtschaffen wären. Dieß weiß Kleon zwar nicht; allein er spricht doch Aristen die Geschicklichkeit ab, seinen Reichthum zu vermehren, diese so leichte Geschicklichkeit, wenn sie durch die Gewissenhaftigkeit nicht schwer gemacht wird, und die Kleon gleichwohl nicht hat, ob ihn gleich Schwierigkeiten von dieser Art überhaupt nicht sehr einschränken. Arist thut bisweilen etwas für die Nachkommen. Der arme Kleon, wie könnte er Aristen in einem solchen Verdachte haben, er, der seinen Vater kaum ein wenig liebt, welcher fast sein ganzes Vermögen für ihn hingegeben hat. Arist läßt sich nicht leicht herunter, Kleinigkeiten dadurch, daß er darüber etwas entschiede, wichtig zu machen. Kleon sieht, daß Arist schweigt, und hält dafür, daß Arist von seiner Meinung sey. Homer sagt, daß uns Jupiter die Armen zusende. Man könnte eben dieß von Männern sagen, deren Tugenden Beyspiele sind. Aber was macht die kleine Seele eines Kleons aus einem Arist, der ihm zugesandt ist? Eine kleine Seele, wie er selbst hat! Und was ist ihm dann für eine Reitzung übrig, in die Höhe sehn zu lernen, wenn er auf einen Arist nur nicht herabsieht? Wofern er nur ein wenig auf sich Achtung gäbe, so könnte ihn die Erfahrung sehr leicht überzeugen, wie sehr er in seiner Art zu beurtheilen irre. Wie klein müßte er sich finden, wenn er sich erinnern wollte, daß seine Vermuthungen, durch die er die Handlungen eines Arist bey gewissen wichtigen Veranlassungen vorherzusehen glaubte, so sehr falsch gewesen sind. Und gleichwohl kann ihn die Erinnerung dieser Erfahrungen von seiner Krankheit, andre nach sich zu beurtheilen, beynahe allein heilen. Wer schon angefangen hätte, seine Zuflucht zu diesem Heilungsmittel zu nehmen, dem würde es sehr nützlich seyn, wenn er die Geschichte in der Absicht läse, daß er sich bey merkwürdigen Begebenheiten vorstellte, was er, wenn er darinn verwickelt gewesen wäre, gethan haben würde, und dann zusähe, was grosse Männer gethan haben. Wer dieß oft wiederhohlt hat, wird die Lächerlichkeit des Contrastes sehn, die sein voriges Verfahren hatte. Es ist in der That nichts komischer, als einen Kleon zu kennen, und andre beurtheilen zu hören. Dieß Männchen steht in einem unbekannten Winkel; und glaubt doch mitten auf dem größten Schauplatze der Welt zu stehn. Wie dem Gelbsüchtigen alle Gegenstände gelb vorkommen, so scheinen einem Kleon alle

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Menschen eben so klein als er selbst ist. So bald er die Übrigen seiner Aufmerksamkeit würdigt; so ist er gleich mit seiner Zauberey fertig, sie in sich selbst zu verwandeln. Es ist ein grotesker Anblick, diesen Pigmäen zu sehen, der, sobald er einen wirklichen Menschen erblickt, den Stab seiner eignen Grösse neben ihn stellt, oder ihn auf seine Wagschale legt. Da ein gewisser hoher Grad des Lachens eine sehr gesunde Erschütterung des Leibes seyn soll; so ist es nicht völlig abzurathen, sich bisweilen einem solchen Pigmäen zu nähern, und sich auf seine Art von ihm handhaben zu lassen.

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Der Geschmack war schon oft von den schönen Wissenschaften und von den schönen Künsten gebeten worden, ihren alten Streit, um den Vorzug, zu entscheiden. Allein er hatte dieser Entscheidung noch immer auszuweichen gewust. Einst wurde ein Gedicht und ein Gemälde an einem feierlichen Versammlungstage in den Tempel des Geschmacks gebracht, der Vorzugsstreit wurde dießmal heftiger, als er jemals gewesen war. Der Richter konnte die Entscheidung nicht mehr von sich ablehnen. Man sagt, daß die Hitze, mit welcher itzt alles vorgieng, daher entstanden sey, daß der Geschmack zu der Zeit, die er der Untersuchung des Gemäldes zu bestimmen schien, einige begierige Blicke in das Gedicht gethan hätte. Er sahe sich endlich gezwungen, beyden Partheyen zu erlauben, ihm ihre Ansprüche auf den Vorzug mit aller der Umständlichkeit vorzutragen, zu der sie die Wichtigkeit des Streits und der Entscheidung berechtigte. Die Malerey, die Baukunst, die Kupferstecherkunst und die Musik trugens der Bildhauerkunst auf, die Vertheidigung ihrer gemeinschaftlichen Vorrechte zu übernehmen. Die Philosophie, nicht diejenige, die sich in den neuern Zeiten von den schönen Wissenschaften getrennt hat, und in grossen Bänden, die nicht gelesen werden, oft Sachen lehrt, die wenig wissenswürdig sind, und wenn sie wissenswürdigere vorträgt, sie auf eine Art sagt, die sich von jeder Kunst zu gefallen mit der äussersten Sorgfalt zu entfernen scheint: Diejenige Philosophie, deren Liebling Sokrates war, wurde von ihren Freundinnen, der Poesie, der Beredtsamkeit und der Geschichte gebeten, ihre gemeinschaftliche Sache vorzutragen. Die schönen Wissenschaften liessen es zu, daß sich die Bildhauerkunst hervordrang. Unser Richter, fing diese an, wird uns verzeihen, daß wir der Ungewißheit erwähnen, in der er, nach der Anklage Einiger, manchmal seyn soll. Wir thun es nur, um ihm zu sagen, daß wir gar keinen Theil an der Anklage nehmen, und daß wir aus dieser Ursache desto zuversichtlicher glauben, daß sein Ausspruch auf unsrer Seite seyn werde. Die Gründe, die uns zu dieser Hoffnung berechtigen, sind diese. Wenn deine Lieblinge, die feinsten Kenner des Schönen, grosse Städte auf ih-

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ren Reisen besuchen, so sind wir es, die machen, daß sie sich lange darinn verweilen. Unsre Werke suchen sie am eifrigsten auf. Diese betrachten sie. Zu diesen kommen sie am oftesten zurück. Wie todt wäre die größte, die volkreichste ja selbst die gesellschaftlichste Stadt ohne uns. Sind es etwa die Besitzer jener prächtigen Paläste, welche machen, daß sich der reisende Kenner so lange darinn aufhält? Wie selten sind es diese! Die Meisterhand der Baukunst, welche die Paläste aufgeführt, die majestätische Bildhauerkunst, die feurige Malerey, die sanfte Kupferstecherkunst, welche sie mit jeder Schönheit ausgeschmückt hatten, diese sind es, die das Auge des Kenners so lange und so angenehm beschäftigen. Er hört in einem von der Baukunst dazu eingerichteten Saale unsre Freundinn, die Musik. Und nur dieser erlauben wir es, daß sie ihn aufhalten, und ihn nicht so gleich nach der Galerie oder in die Gärten, welche Venus und die Gratien reizender machen, zurück kehren lasse. Welch ein trauriger Anblick muß es für ihn seyn, wenn er, aus unsern Palästen, in einen Buchladen, kömmt. Was sieht er da? Eine alte, bekandte verdrießliche Sache, Bücher! Bedrucktes Papier voll Zeilen, die immer auf die vorige Art wiederkommen, und welches er, ihm doch einige Zierde zu geben, in gefärbtes Leder einbinden lassen, und es irgendwo hin stellen kann, daß eine Art von Symmetrie herauskomme. Jeder kann diese Papiere kaufen, jeder, wenn ihm nichts bessers einfällt, sie lesen. Es ist so was gemeines, so was wiederhohltes, so was wohlfeiles, ein Buch! Man würde die Bücher gar nicht mehr haben, gar nicht mehr ansehn mögen, wenn sie nicht die gütige Hand der Kupferstecherkunst bisweilen ausschmückte. Wie viel vorzüglicher sind unsre Werke! Es ist kein geringer Theil der Ehre einer Nation, uns zu unterstützen, uns mit jeder Aufmerksamkeit zu unterscheiden. Die Baukunst macht das Leben durch die Bequemlichkeit und durch die Pracht der Werke, die sie errichtet, angenehmer, Die Bildhauerkunst, die Malerey, die Kupferstecherkunst belohnen und verewigen das Verdienst. Wer würde sich der grossen Männer, der Lieblinge des Vaterlandes, so oft erinnern, wenn er ihre unvergängliche Bildnisse nicht auf den öffentlichen Plätzen, und in den Galerien sähe? Wie traurig würde das Leben derer ohne Musik seyn, die sie kennen! Und wie wenige sind, die sie nicht, bis auf einen gewissen Grad, empfinden? Wir würden uns durch falsche Bescheidenheit schaden, wofern wir es nicht frey heraus sagten, daß wir uns nicht zu sehr zu schmeicheln glauben, wenn wir uns für schöner halten, als die Wissenschaften, denen man

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diesen Beynamen auch gegeben hat. Wir ahmen die Natur besser, als sie nach, weil wir, durch unsre Nachahmung unmittelbar auf die Sinne und durch ihre Hülfe zugleich auf die Einbildungskraft und aufs Herz wirken. Unsre Gegnerinnen arbeiten nur für die Einbildungskraft und fürs Herz. Ausser dem, daß die Nachahmung, mit welcher wir der Natur folgen, reizender ist, so ist sie auch wahrer. Wir lassen uns in keine philosophische Untersuchung dieses wichtigen Vorzugs ein. Genug daß er da ist. Und überhaupt haben wir uns nicht viel in Untersuchungen einzulassen, da die Welt ebenso von uns denkt, als wir von uns selbst denken. Belohnt sie uns nicht mit gleicher, und oft mit größrer Ehre, als die schönen Wissenschaften von ihr erhalten? Sie werden uns gewiß nicht vorwerfen, daß wir die Ehre weniger als sie suchen; oder daß wir nicht so fein darüber denken: Allein lebt man von der Ehre? Müssen sie nicht ganz andre Beschäftigungen als die, so sie am meisten lieben, übernehmen, um zu leben? Wir leben von unsern Werken; und oft machen sie uns so gar reich! Unsre Gegnerinnen, fing die Philosophie an, haben ihre Ansprüche auf den Vorzug ein wenig lebhaft und mit einem Stolze vorgetragen, dessen eine gute Sache, vor einem Richter, wie der unsrige ist, noch niemals bedurft hat. Überhaupt werden sie gestehn, daß sie uns seit je her weniger Gerechtigkeit, als wir ihnen, haben wiederfahren lassen. Vielleicht sind das Genie und die Kenntniß, die zureichen, ihre Arbeiten hervorzubringen, nicht von eben der Hoheit, und von kleinern Umfange, als das Genie und die Einsichten sind, die zu unsern Werken erfordert werden. Wenigstens können wir diesen Stolz mit dem ihr euren Vorzug vor uns behauptet, aus keiner andern Ursache herleiten. Wir haben diese eingeschränkte Art zu denken so wenig, daß wir dasjenige, was ihr für eure Sache noch hättet anführen können, hinzuthun wollen. Der Eindruck, den die Religion auf jeden rechtschaffnen Mann macht, kann durch euch vergrössert werden. Die Bildhauerkunst und die Malerey reizen die Andacht durch die Bilder, die sie aus der heiligen Geschichte nehmen und damit die vornehmsten Meisterstücke der Baukunst ausschmücken. Die Arbeiten der Kupferstecherkunst werden zwar zu dieser Absicht nicht gebraucht; allein dieß benimmt ihren Verdienste nichts, welches sie um die rührende Vorstellung der Begebenheiten der Religion haben kann. Und zu welchen Empfindungen würde die Seele von der Musik erhoben werden, wenn sie in den Kirchen die wahre Sprache des Herzens

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und der Andacht zu reden und vornämlich hier ihre Stärke in ihrem ganzen Umfange zu zeigen veranlaßt würde. Wenn wir dieser Unpartheiligeit ungeachtet, dennoch den Vorzug vor den schönen Künsten zu verdienen glauben; so ist die Neigung, ihn zu erhalten, zwar auch Eine Ursache davon: Aber es wird bey unsrer Sache doch vorzüglich auf die Gründe ankommen, die wir für uns anzuführen haben. Unsre Gegnerinnen glauben schöner, als wir zu seyn. Wir verdanken es dem schnellen Urtheile unsers Richters, daß wir über diesen Punkt unsers Streits kurz seyn können. Dasjenige, so durch die Schönheit hervorgebracht wird, sind gewisse angenehme Vorstellungen und Empfindungen, die nach den Graden der Lebhaftigkeit, der Feinheit, und der Stärke, die sie haben, die verschiednen Grade des Schönen bestimmen. Wenn wir theils erweisen, daß wir eben die Eindrücke, die ihr macht, sehr oft mit mehr Feinheit, mit mehr Lebhaftigkeit und nicht selten mit größrer Stärke zu machen wissen; theils euch daran erinnern, daß von dem, so schön vorgestellt werden kann, so vieles ist, das eure Sprachen auf keine Art auszudrücken fähig sind: So werdet ihr uns zugestehn, daß wir nicht wenig Recht auf den Vorzug der Schönheit haben. Diejenige unter euch, die nicht fürs Auge arbeitet, kann zwar vieles sagen, was die übrigen nicht sagen können; da sie aber wieder vieles von dem, was die übrigen vorstellen, nicht ausdrücken kann: So hebt sichs gegen einander auf, und sie bleibt so eingeschränkt, als die übrigen. Ihr arbeitet für die Einbildungskraft und fürs Herz; wir auch. Wir wirken unmittelbar auf dieselben; ihr durch die Hülfe der Sinne. Dieser Umstand, der euch so vortheilhaft schien, ist euch, in einer gewissen Betrachtung, nachtheilig. Die Seele bleibt hier zu sehr an den sinnlichen Vorstellungen hangen, als daß sie sich den Beschäftigungen der Phantasie und der Leidenschaft mit dem Feuer sollte überlassen können, mit dem sie es bey uns kann, da wir unmittelbar auf sie wirken. Aber wenn auch dieß nicht wäre; mit welchen neuen Umständen und Bestimmungen, mit welchem ganz andern Schwunge, wissen wir die Gegenstände der Einbildungskraft, die in eurer Sphäre liegen, vorzustellen! Könnt ihr uns durch irgend eine Art von Abbildung oder von Harmonie, auf allen den Stufen nachsteigen, auf denen wir uns erheben? Und, in Absicht aufs Herz, wer hat jemals, bey einer Statüe oder bey einem Gemälde, geweint? Die Musik allein nähert sich uns hier.

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Jede Geschichte, die ihr vorstellt, ist, und muß die Geschichte eines Augenblicks seyn. Welche Reihen von ähnlichen, und oft schönern Augenblicken verbindet die Aeneis! Welche Menge von Meistern müßte es seyn, die sie mahlen wollten? Wie lange müßten sie leben, um es zu thun? Und würde derjenige, der die Aeneis nicht gelesen hätte, sie gesehn haben, wenn er durch diese unendlich lange Gallerie gegangen wäre? Wie viel Neues, wie viel von euren Meistern ungesagtes, würde er finden, wenn er nun den Virgil läse! Wenn wir überdieß behaupten, daß es euren größten Meistern unmöglich ist, dasjenige was dem Verstande schön ist, in irgend einer eurer Sprachen zu sagen; so werdet ihr uns zwar antworten, daß es euer Geschäft nicht sey, die Wahrheit auszudrücken: Aber hört der reizende Ausdruck der Wahrheit dadurch auf, ein Verdienst zu seyn, weil es über eure Sphäre ist, sie vorzustellen? Könnt ihr, weil ihr, weder durch Abbildungen, noch durch Töne, wie unser Young zu denken vermögt, deßwegen leugnen, daß das, was er gedacht hat, nicht von der Nachwelt gedacht zu werden verdiene? Aber wir eilen zu dem wichtigsten von dem, was wir für uns zu sagen haben. Unsre Verdienste um die Ausbreitung der Tugend sind viel grösser, als ihr auch denn, wenn ihr es mehr wolltet, hier jemals haben werdet. Wir sind viel nützlicher, als ihr. Die Menschen moralischer zu machen, ist, und soll so sehr unsre Hauptabsicht seyn, daß wir unsrer Neigung, zu gefallen, nur in so fern folgen dürfen, als sie uns zu diesem letzten Endzwecke führt. Wir erniedrigen uns und wir sind nicht mehr schön, wenn uns die moralische Schönheit fehlt. Die grosse Nation, die ehmals so viel von der Welt besaß, ist auch durch den Namen merkwürdig, den sie uns gab. Sie nannte uns die Wissenschaften der Menschlichkeit. Die Wahrheit dieser Benennung wird durch die Erfahrung ganzer Jahrhunderte bestätigt. Eine Nation, die durch den Ackerbau, durch die Handlung, durch gute Gesetze, und durch diejenigen Wissenschaften groß ist, die man sich angewöhnt hat, die Höhern zu nennen, (die Theologie allein sollte so genannt werden) ist eine glückliche Nation! Aber ist sie glückseelig? Sie ist es nicht eher, als bis sie auch tugendhaft ist! Und wodurch wird sie dieses? Etwa durch den Reichthum? Durch Gesetze, die weiter nichts, als den Schein der Tugend gebieten, und auch nichts mehr gebieten können? Durch die höhern Wissenschaften? Wodurch also? Durch die Religion, und durch die moralischen Wahrhei-

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ten, welche die Religion dem menschlichen Verstande zu finden übriggelassen hat. Aber auf welche Art durch diese? Derjenige müßte ein merkwürdiger Fremdling in der Kenntniß des Menschen seyn, der behaupten wollte, es sey überflüssig, die philosophische, und die erhabnere Tugend der Religion dem Menschen liebenswürdig vorzustellen. Es ist dieß so wenig überflüssig, daß es nothwendig ist. Die Religion selbst, in so fern die heiligen Schriften, in welcher sie enthalten ist, als menschliche Werke anzusehn sind, ich meine, in so fern sie sich zu der Denkart der Menschen herunterlassen, um dieselben zu unterrichten, und zu rühren; die Religion ist durch Muster der Poesie und der Beredtsamkeit offenbart worden, die sich der tiefsinnigste Kenner nicht reizender, stärker, und erhabner denken kann. Und es ist keine geringe Ehre für uns, daß die Sprache, welche in der Offenbarung geredet wird, unsre Sprache ist. Unsre Lieblinge haben alsdenn die wahrste Hoheit und die vielseitigste Nützlichkeit erreicht, wenn sie diesen grossen Mustern auch nur von fern nachgefolgt sind. Die Religion hat das wichtigste von dem, was zur Ausübung der Pflicht gehört, theils wiederholt, theils offenbart. Sie hat der Untersuchung der Menschen fast nichts, als einige Entwiklungen ihrer erhabnen Lehren, übrig gelassen. Auch dieß gehört uns zu, es den Menschen auf eine Art zu zeigen, welche sie reizen kann, es nicht nur zu denken; sondern, auch zu thun. Die Menschen also zur Ausübung ihrer Pflichten, das ist, zu demjenigen, warum sie leben, und in andern Welten leben werden, anzufeuern, und ihren Verstand, noch mehr ihr Herz zu der Erreichung dieses letzten und höchsten Zwecks, zu erheben, dieser ist derjenige von unsern Vorzügen, worauf wir am meisten stolz sind, und ohne welchen uns der Vorzug unsrer Schönheit, und jeder Anspruch auf Schönheit überhaupt klein vorkommen würde. Wir leugnen gar nicht, daß die schönen Künste nicht auch einige Reize über die Tugend ausstreuen können. Sie wissen, wie wir gegen sie gesinnt sind, und wir haben es ihnen im Anfange unsrer Vertheidigung nicht verborgen. Aber wir sagen es eben so frey heraus, daß ihre Verdienste um die Ausbreitung der Tugend nur gering sind. Es scheint, auf der einen Seite, ihrer Natur gemäß zu seyn, daß sie sich mehr bemühen, schön, als, durch Schönheit, zugleich nützlich zu seyn: Auf der andern Seite, ist das, was sie auszudrücken fähig sind, von so engem Umfange, und so wenig zureichend, jene Reihen mannichfaltiger Gedanken und Empfindungen hervorzubringen, die nothwendig sind, wenn die Menschen für die Tu-

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gend eingenommen werden sollen, daß die Einflüsse, die sie auf die Erreichung dieser wichtigsten aller Absichten haben, nicht anders als nur schwach seyn können. Wir wollen eine Nation annehmen, die, auf die angeführte Art, glücklich ist. Wird sie, wenn wir ihr über das, so sie schon besitzt, noch die schönen Künste geben, glückselig werden? Es ist wahr, die Musik, wenn sie ausgebreitet genug ist, wird einige rauhe Seelen etwas weniger rauh seyn lehren. Die Bildhauerkunst und ihre Schwestern werden den Geschmack am Vergnügen dadurch feiner machen, daß sie ihn auf schönere Gegenstände richten; eine Eigenschaft, die wir über dieß mit ihnen in denjenigen von unsern Werken gemein haben, in welchen die Neigung, nur zu gefallen, den viel erhabnern Endzweck, durch die Kunst zu gefallen, für die Tugend einzunehmen, verdrungen hat. Dieser feinere Geschmack am Vergnügen ist eine Art von Vorbereitung, die Eindrücke, die ein gutes Herz bilden, leichter anzunehmen; aber er ist auch weiter nichts, als eine Vorbereitung. Man gebe ihn einer Nation in seinem weitesten Umfange; und sie wird doch dadurch nur sehr wenig zur Tugend gereitzt werden. Aber man lasse sie unsre auserlesensten Werke besitzen; was fehlt ihr denn noch an Reizungen zur Tugend? Man wird uns vielleicht einwenden, daß wir das Beyspiel, welches grosse Männer geben, und die mächtigen Wirkungen desselben vergessen. Wie könnten wir unsern Stolz, unsre vorzüglichste Ehre vergessen? Haben wir nicht fast immer zur Bildung dieser grossen Männer etwas beygetragen? Und wer erneut, wie wir, ihr Beyspiel für die künftigen Jahrhunderte? Unsre Gegnerinnen haben dieß letzte Verdienst zwar auch. Aber haben sie es in dem Grade, als wir? Durch wen kennt die Nachwelt den Socrates am besten, durch sie, oder durch uns? Selbst den grossen Männern, deren Beyspiele von so ausgebreiteten moralischen Nutzen sind, fehlt etwas, wenn wir ihnen fehlen. Sie hören zwar dadurch nicht auf, tugendhaft zu seyn; aber ihnen fehlt doch eine Reizung mehr, es zu bleiben. Allein man nehme uns einmal einer ganzen Nation. Die Sprache, ihr linker Arm, sey, weil wir von ihr nicht geschäzt werden, ungelenkig, mager, nervenlos! Sie sey weder zur Prosa noch zu der vortrefflichern Poesie fähig. Diese schweige, und schmücke die moralische Schönheit mit keinem neuen Reize; oder, wenn sie redet, so schläfre sie ein. Jede nützliche und wichtige Sache, die in guter Prosa glücklich gesagt werden kann, bleibe unbekannt; oder werde auf eine Art gesagt, daß man

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sie lieber nicht wissen mag. Die Geschichte, diese so nothwendige Oberrichterinn, erzähle keine grosse Begebenheiten, die Wege der Vorsehung, und oft die Vorschrift der Nachwelt; oder verunstalte sich durch den Vortrag. Mich, (denn heut darf ich von mir selbst reden,) sollen Schulmethode, Armseligkeit am guten Ausdrucke, und jene überflüssigen Untersuchungen verstellen, die nichts weniger, als die Kenntniß der Menschen und ihre Verbeßrung, angehen. Ich sey nicht mehr die Führerinn und die Freundinn des gesunden Verstandes, sondern eine Grüblerin, welche die von ihr erhitzte Einbildungskraft vergebens zu fesseln sucht. Diejenigen so sich durch Unterredungen oder durch Briefe unterhalten, seyn von allem, was der falsche Witz Plumpes oder Spielendes hat, so eingenommen, daß sie dadurch auch ihren Geschmack am moralischen Schönen verlieren. Die Erklärung der Offenbarung, die vorzüglich auf unsre Kenntniß gestützt werden sollte, weil die heiligen Bücher zugleich Muster der Poesie und der Beredtsamkeit sind, arte in theologische Spitzfündigkeiten aus. Die Beredtsamkeit des Predigers sey gemein, schwach, witzelnd, ohne Gedanken, ohne Empfindungen, kurz, derjenigen erhabnen Religion ganz unwürdig, durch deren Hülfe sie unterrichten und rühren soll. Die Lieder, die ganze Versamlungen zur Andacht entflammen sollten, seyn, wenn es möglich ist noch platter, und der entzückenden Religion noch unwürdiger. Es stehen keine rechtschaffnen Männer auf, die in andern Gedichten, aus jener reichen Quelle der Offenbarung schöpfen, und die Seele auf diese Art an ihren ganzen Werth, und an ihre Unsterblichkeit erinnern. Wird einer solchen Nation nicht sehr vieles zu ihrer Glückseligkeit fehlen? Und gleichwohl fehlt ihr nichts, als einige wenige Bücher. Unsre Gegnerinnen sahn in ihrer Vertheidigung die Bücher in einem sonderbaren Gesichtspunkte an. Und gleichwohl können diese Bücher die Seele mit mehr und mit schönern Bildern anfüllen, und das Herz zu lebhaftern und feinern Empfindungen fortreissen, als ihr jemals hervorzubringen fähig seyd. Aber vielleicht misfällt euch an den Büchern am meisten, daß sie länger, als eure Werke, dauern. Es ist mindstens eurer Aufmerksamkeit nicht ganz unwürdig, daß von der griechischen Nation, die so sehr aufgehört hat, eine Nation zu seyn, daß die itzige ihren Namen nicht mehr führen sollte, fast nichts wichtiges, als Bücher übrig geblieben ist. Ohne diese würden wir kaum wissen, daß sie da gewesen wäre. Die Werke, die ihr unter dieser Nation hervorgebracht hattet,

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sind mit ihr vergangen; und nur selten entdecken wir einige Ruinen davon. Unser Horaz sagt, und ihr werdet gestehen, daß er wahr geredet habe, er sagt von seinen Werken: Ich habe ein Denckmal vollendet, das daurender, als Erz, und erhabner, als die königliche Pracht der Pyramiden ist; das weder verzehrende Regen, noch wütende Winde, nicht die Reihen unzählbarer Jahre, nicht die Flucht der Zeit, zerstören werden. Wenn nun auch unsre Lieblinge von Werken, die vornämlich durch moralische und denn auch durch andre Schönheiten diese Unsterblichkeit verdienen, wenn sie, wie es wahr ist, von diesen Werken, nicht leben können: Sind sie deßwegen weniger schätzbar? Wenn wir, unsern Young, selbst eurem Raphael, mit Recht vorziehn, weil der erste der menschlichen Gesellschaft mehr genützt hat, als der letzte; verdient der vortrefflichere diesen Vorzug deßwegen weniger, weil gewisse Nebenumstände da sind, die den andern durch seine Arbeiten reich gemacht haben? Denn so lächerlich es seyn würde, sich wider die Neigung, Geld zu gewinnen, überhaupt zu erklären; so klein und erniedrigend würde man von euch und uns denken, wenn man unsern Werth, mit diesem Maasse, messen wollte. Als die Philosophie ihre und ihrer Freundinnen Sache auf diese Art vertheidigt hatte, so erwarteten beyde Theile den Ausspruch ihres Richters mit einer Unruhe, die Virgil unnachahmbar und unübersetzlich beschrieben hat, wenn er sagt; trepidantia haurit Corda pavor pulsans laudumqu’ arrecta cupido! Es schien, als wenn der Geschmack über die Art, auf welche er sein Urtheil sprechen wollte, nachsänne. Dieß kam nicht daher, daß er ungewiß war, welcher Parthey er den Vorzug derjenigen Schönheit geben sollte, die, so reizend sie auch an sich selbst ist, doch nichts anders, als die Aufwärterinn der viel erhabnern moralischen Schönheit seyn soll; da, auf der andern Seite diese Urheberinn der wahrsten menschlichen Glückseeligkeit nichts geringers als eine Gratie zur Aufwärterinn haben kann: ich sage, der Geschmack war, wegen der Entscheidung über jenen ersten Vorzug, nicht ungewiß. Die schönen Wissenschaften haben so gar behauptet, daß er ihre Gegnerinnen mit einem gewissen zärtlichen Mitleid angesehn habe. Sein noch daurendes Stillschweigen entstund am meisten von dem Zweifel, in welchem er war: Ob er sich auch, das mit zu berühren, einlassen wollte: Daß diejenige Parthey vorzüglichere Unterstützungen des gemeinen Wesens verdiene, die, durch

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größre moralische Schönheit nützlicher, als die andre sey? Doch sein Zweifel währte nicht lange. Er sahe bald, daß er diese Entscheidung der Politik zu überlassen habe. Er wollte eben anfangen zu reden, als er durch einen Zufall unterbrochen wurde. Die Tanzkunst, die bisher nicht zugegen gewesen war, erschien auf einmal mit ihrer gewöhnlichen Lebhaftigkeit. Sie erfuhr bald, was vorgegangen war, und worauf man wartete. Die schönen Wissenschaften konnten eine gewisse Freude über die Ankunft der Tanzkunst nicht verbergen. Ihre Gegnerinnen waren auch ein wenig misvergnügt darüber. Denn ob sie gleich nicht recht einsahn: Was ein moralischer Vorzug eben zu bedeuten haben sollte; so hatte sie doch die Zärtlichkeit, mit der sie der Geschmack angesehn hatte, so furchtsam gemacht, daß sie nicht ganz ohne Ahndung waren, daß jener Vorzug doch vielleicht von einigem Gewichte seyn könnte. Der Tanzkunst kam es sonderbar vor, daß man einer Schönheit, die sie kaum dafür erkennen wollte, nur hätte erwähnen können! Und überhaupt war sie so misvergnügt darüber, daß sie nicht wäre gerufen worden; bezog sich so lebhaft darauf, wie sie für sich und ihre Freundinnen geredet haben würde; und drang so sehr auf eine neue Versammlung, in welcher sie die gemeinschaftliche Sache führen wollte, daß sich der Richter entschloß, die Partheyen ohne sein Endurtheil von sich zu lassen.

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Man würde demjenigen Publico, das diesen großen Namen verdient, nicht alle Ehrerbietung erzeigen, die man ihm schuldig ist, wenn man es nicht, mit der sorgfältigsten Genauigkeit, von dem großen Haufen unterschiede. Es ist desto nöthiger diesen Unterschied fest zu setzen, je öfter der große Haufen sich es hat anmassen wollen, mit zum Publico zu gehören. Das eigentliche Publicum besteht überhaupt aus wenigern Mitgliedern, als viele denken, die sich gern dazu rechneten. Erst ist es ein andres Publicum, das Arbeiten der schönen Künste; ein andres, das Werke der schönen Wissenschaften; und wieder ein anderes, das gelehrte Schriften entscheidend beurtheilen kann. Ich will hiermit die Vorzüge der wenigen vortrefflichen Mitglieder des Publici nicht aufheben, deren Stimme in allen dreyen Arten von Gewicht ist. Zweytens, ist die Anzahl derer, die das Publicum ausmachen, im Anfange, wenn diese oder jene Werke zuerst erscheinen, niemals so groß, als sie alsdann ist, wann man sagen kann, das Publicum habe nun völlig entschieden. Oft müssen viele Jahre vorüber seyn, eh man mit Gewißheit glauben kann, daß diese völlige Entscheidung geschehen sey. Die Geschichte und unsre eigne Erfahrung überzeugen uns hiervon. Ich will, um meine Gedanken genauer zu bestimmen, diejenigen, die das wahre Publicum ausmachen, in zwo Ordnungen abtheilen. Zu der ersten gehören die, welche so sehr berechtigt sind, den Werth eines Werkes zu bestimmen, daß sie gleich im Anfange, wann dasselbe Werk bekannt gemacht wird, dieß ihr Endurtheil fällen dürfen. Daß ich von denen, welche die zweyte Classe ausmachen, nicht klein denke, beweise ich dadurch, daß ich keine dritte zugebe. Alle Stufen, die weiter heruntergehn, gehören für den großen Haufen. Die Art, wie sie der zweyten folgen, hat Virgil beschrieben, wenn er sagt: Der nächste; aber in weiter Entfernung, der nächste. Ich nenne, um mich in der Folge kürzer auszudrücken, jene ersten, Richter; und die vom zweyten Range, Kenner. Ich rede itzt nur von Richtern und Kennern in Absicht auf die schönen Wissenschaften. Die Begriffe, die ich mir von einem Richter mache, sind diese. Er hat von der Natur eine starke Anlage, Geschmack zu haben, bekommen. Diese reiche Fähigkeit hat er durch das Lesen der Meisterstücke der schönen Wissenschaften und durch Umgang mit denen we-

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nigen aus der großen Welt, die wirklich dazu gezählt zu werden verdienen, oder wenn es ihm hierzu an Gelegenheit fehlte, durch eine richtige Kenntniß von der Art zu denken, die diese seltnen Männer haben, nicht allein ausgebildet; sondern er ist auch so weit gegangen, daß er das Schöne, bis auf seine ersten Linien, durch Grundsätze bestimmt hat. Und da seine Grundsätze, bey aller ihrer Feinheit, gleichwohl noch Wahrheit geblieben sind; so ist sein Geschmack so gewiß, so vielseitig und ausgebreitet, daß er sich auf jede Denkart einzulassen, und verschiedne Werke, nach der ihnen eignen Wendung, diese liege in der Hauptidee, oder in der Colorite, oder in beyden, zu beurtheilen weiß. Weit entfernt ein Sclav gewisser allgemeiner Regeln zu seyn, die eben dadurch fast nichts mehr sagen, weil sie allgemein sind, findet er die neue Regel zu der neuen Schönheit aus. Er thut hier nichts anders, als was Aristoteles, durch eben die Werke veranlaßt, auch gethan haben würde. Und da die Regel seit je her auf das Meisterstück gefolgt ist; so veranlassen ihn zum Exempel Clarissa und Grandison, zu neuen Regeln. Auf der Seite, auf welcher ich ihn betrachte, ist es gleichgültig, ob er seine Urtheile sage, oder schreibe. Wenn er sie aber schreibt, so schreibt er selbst vortrefflich. Denn wenn er dieß nicht thäte, so würde er aufhören zu seyn, was er ist. Wofern er nebst diesem allen ein Herz hat, das ihn auf keine, auch nicht die unmerklichste Art, verführt, unrichtig, oder klein zu denken; so ist er der würdige Mann, dessen Beyfall immer der zweyte Wunsch eines jeden Scribenten seyn wird, der, aus moralischen Absichten, schön zu schreiben sich bestrebt. Ich habe mich schon erklärt, daß ich denjenigen Theil des Publici, dem ich den Namen der Kenner gebe, gar nicht weit unter die Richter setze. Es ist nur ein geringer Unterschied zwischen beyden. Denn Verdienste grenzen immer nahe an einander. Der Richter und der Kenner scheinen mir nur in folgenden verschieden zu seyn. Der Kenner ist bey der praktischen Ausbildung seiner angebohrnen Fähigkeit zum Geschmacke stehn geblieben. Und wenn er auch bisweilen auf dem Wege der Untersuchung einige Schritte weiter gegangen ist; so hat er sich doch demjenigen hohen Grade der Gewißheit nicht genug genähert, welche die Verbindung des durch Muster genährten und gereiften Geschmacks mit der tiefsinnigen Einsicht in die Grundsätze, allein erreicht. Daher kömmt es, daß er theils weniger ausgebreitete Aussichten in die Gegenden des Schönen vor sich hat, theils nicht ohne einen gewissen, oft liebenswürdigen Eigensinn ist, sich auf diese oder jene Seite

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partheiisch zu lenken. Er verfällt unterweilen in den Fehler, die höhere und eigentliche Kritik mit denjenigen gewagten Urtheilen, die wir in den meisten Lehrbüchern finden, zu vermengen, und durch diesen Gedanken unvermerkt verleitet, seiner bloßen Empfindung zu viel Gewißheit zuzutraun. Aber da er dennoch bey sich entdeckt, daß sein Geschmack noch hier und da irren könne; so entsteht eine Neigung bey ihm, dem Urtheile desjenigen, den er für einen Richter erkennt, nachzugeben. Ich meyne nicht, daß er sein eignes Urtheil von den Aussprüchen dieses Richters abhängen lasse; er wird aber doch dadurch, nicht selten, veranlaßt und geleitet. Dieses habe ich voraussetzen müssen, um mich umständlicher zu erklären, auf welche Art das Publicum nach und nach bis zu dem Zeitpunkte forgehe, da es, durch die mehrern, oder vielmehr beynahe durch alle Stimmen sein letztes entscheidendes Urtheil spricht. Itzt, setze ich, wird eine Schrift, die das Publicum seiner Aufmerksamkeit würdigt, herausgegeben. Andre Schriften, über deren monatliche, oder zwey dreyjärige Dauer der große Haufen zu urtheilen hat, überläßt man den kleinen Zänkereyen desselben. Ein Werk von der ersten Art erscheint. Die Richter fangen an, ihren Auspruch zu thun; auch einige Kenner erklären sich. Aber von diesen letzten, die den größten Theil des Publici ausmachen, sind noch zu wenige, die es öffentlich thun. Das Werk ist noch zu neu, als daß die Wahrheit der ersten Aussprüche schon alle ihre Eindrücke gemacht haben sollte. Unterdeß verurtheilt der große Haufen. Denn es wäre ein sehr seltner Fall, daß er Werke nicht verurtheilen sollte, die das Publicum würdig gehalten hat, ihr Schicksal zu entscheiden. Hundert kleine Richterstühle erschallen von nichts, als Aussprüchen. Das Publicum, das lange festgesetzt hat, daß Niederträchtigkeit verachtet; halber Geschmack verlacht; Unwissenheit mit Mitleiden angesehn werden muß; bemerkt diese kleinen Nebenrichter nicht. Es läßt sie ganz ausschreien, und sieht sie ruhig ihre angemaßte Gerichtbarkeit über ihre Gränzen ausdehnen. Wie wäre es möglich, daß das Publicum mit dem großen Haufen in Streit geriethe! Unterdeß sind einige neue Richter aufgetreten. Mehr Kenner haben sich erklärt. Die völlige Entscheidung macht sich nun merklicher: Die öffentlichen Urtheile haben sich auch in guten Gesellschaften ausgebreitet. Dort hatten schon vorher Richter und Kenner ihre Gedanken gesagt. Die gedruckten Urtheile waren einigen von den Gesellschaften nur eine Bestätigung desjenigen, was sie schon angenommen hatten.

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Und nun ist der Zeitpunkt gekommen, da der Scribent völlig belohnt, und das Werk seiner Ehrbegierde; oder, wenn er edler dachte, die Frucht reinerer moralischen Absichten den Nachkommen übergeben wird. Nun sind diejenigen, die dann unter dem großen Haufen das Richteramt verwalten, und die, einige Jahre früher, wie ihre Vorfahren, geschrien haben würden, ein unbedeutender Haufen von lobpreisenden Nachsagern, die itzt eben so wenig loben können, als sie ehmals zu tadeln vermocht hätten. Die Entscheidung des Publici kömmt gewöhnlich, auf die angeführte Art, zur Reife. Allein dieß geschieht früher, oder später, nachdem der Geschmack unter einer Nation mehr oder weniger ausgebreitet ist. Bisweilen trägt es sich zu, daß ein Werk, wie ich es beschrieben habe, zu einer Zeit herauskömmt, da die Nation, zu welcher der Verfasser desselben gehört, fast noch gar keine Kenner, und noch weniger Richter hat. Das Werk, so sich zu solchen Zeiten hervorwagt, scheint gleich nach seiner Geburt zu sterben. Aber nun, vielleicht erst nach vielen Jahren, bekömmt diese Nation Geschmack. Die fast ganz vergeßne Schrift wird hervorgesucht, und ihr die Stelle angewiesen, die sie bey der Nachwelt haben wird. Ist es zu der Zeit, daß unter einer Nation ein würdiges Werk erscheint, da ihr Geschmack erst anfängt sich zu bilden; so wird es zwar anfangs nicht völlig verkannt; allein das Utheil des Publici entwickelt sich doch nur langsam. Die Kenner selbst sind noch ein wenig schwankend, und viel zu gütig. Die Nachsicht, mit der gegen den halben Geschmack verfahren wird, geht noch zu weit. Die Anzahl der Richter ist noch zu klein. Hat aber ein Scribent das Glück zu einer Zeit zu schreiben, da der Geschmack seiner Nation schon völlig ausgebildet ist; so hat er bloß zu einigen niederträchtigen Angriffen stillzuschweigen, die nur deswegen auf ihn geschehn, weil er noch nicht todt ist. Denn wenn er auch menschlich genug wäre, so gar diejenigen nicht zu verachten, die so stolz sind, daß sie ihre Aussprüche über Sachen, die sie gar nicht beurtheilen können, für nöthig halten; welchen Nutzen würde es haben, wenn er sein Stillschweigen bräche? K.

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Der nordische Aufseher, Bd 2, 1759, St. 95, 9.8.: Die Freundschaft ist eine Glückseeligkeit, die so wenige ganz kennen, daß es mich oft recht traurig macht, wenn ich so Viele sehe, denen sie weiter nichts, als ein Wort ist, das sie, des Wohlstands wegen, bisweilen mit aussprechen, von ungefähr so, wie das andre Wort Tugend. Einige legen dieß Blatt schon weg, und haben, indem sie nun schon das drittemal dabey jähnen, heute eben keine Lust, eine lange Abhandlung von der Freundschaft zu lesen. Sie irren sich zwar sehr; denn sie werden nichts weniger als eine Abhandlung von den Pflichten der Freundschaft zu lesen bekommen: unterdeß bin ich doch sehr ungewiß, ob sie es reizen wird, weiter zu lesen, wenn ich ihnen sage, daß ich von der Glückseeligkeit der Freundschaft, von dieser unerschöpflichen Materie, etwas berühren will. Aber mit wem soll ich reden? Mit Freunden? Mit diesen redte ich freylich am liebsten. Ich dürfte ihnen nur ein halbes Wort sagen, so verstünden sie mich; und ich bin gewiß, daß ich ihnen ein Vergnügen machen würde. Aber ich wollte doch auch gern diejenigen, denen Freundschaft, Pflichten, Glückseeligkeit der Freundschaft, böhmische Dörfer sind, (man verzeihe mir diesen gemeinen Ausdruck, weil er der Sache angemessen ist) auf die Vermuthung bringen, daß es vielleicht einigermassen möglich sey, daß diese Wörter etwas bedeuten könnten. Wenn ich nicht in eine Assamblee müßte, mein Herr Aufseher, so würde ich Ihnen ein Paar Minuten zuhören. Ich wills kurz machen, mein Herr. Fahren Sie immer. Wir sehen einander wohl einmal im rosenburger Garten, oder sonst wo: Wenn Sie es alsdann nicht allzuviel länger machen wollten, und wir eben nichts wichtigers hätten; so würde mirs eine Ehre seyn, mich mit Ihnen von der Sache zu unterreden. Vielleicht treffen wir uns fürs erste nicht so gleich wieder an. Das ist noch kürzer. Einige von meinen gutherzigen Lesern werden, bey dieser Gelegenheit, ein wahres Mitleiden mit mir gehabt haben. Ohne mich in die Dankbarkeit, die ich ihnen dafür schuldig bin, allzuweitläuftig einzulassen, will ich ihnen nur im Vertraun sagen, daß ich eine ziemliche Portion Mitleiden bey mir vorräthig habe, welche ich Tag täglich, und, wie ich aufrichtig versichern kann, recht gut an den Mann zu bringen weiß.

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Es ist nothwendig, daß ich einiger Anfangsgründe erwähne. Ein Freund ist weder ein Bekannter, noch ein guter Bekannter; er ist auch kein guter Freund. Ein Bekannter ist nun so einer, den man sehen, und nicht sehen kann, ohne weiter an ihn zu denken. Ich habe ihrer leider! nicht wenige. Sie sind wie die Verläumder Shackespears, die, nach seinem Ausdrucke, den Ruhm andrer berupfen: Wer meine Zeit berupft, der stiehlt sich selbst nicht reich! Mich stiehlt er arm. Aus einem guten Bekannten wird zwar bisweilen ein Freund; aber wenn es bey der guten Bekanntschaft bleibt; so unterhalten wir sie bloß deßwegen, weil unser guter Bekannter doch einige nützliche und angenehme Eigenschaften hat. Leute, die sich in ihren Begriffen von der Freundschaft nicht höher schwingen können, als daß sie alle gute Bekannte für Freunde halten, denken, daß nichts gewöhnlicher in der Welt als die Freundschaft sey. Wie betrügen sie sich! Unterdeß werden auch diejenigen, welche zur Freundschaft fähig sind, eine nicht zu kleine Anzahl guter Bekannter alsdann haben wollen, wenn sie die Sache so einrichten können, daß sie nicht zu viel Zeit darüber verlieren. Ein guter Freund ist etwas unreifes, etwas das unvollendet geblieben ist. Er hat verschiedne Eigenschaften, die zur Freundschaft gehören; aber die Anzahl derer, die er nicht hat, ist auch nicht klein. Man wollte ihn gerne vollends zum Freunde ausbilden; aber es will nicht gehen. Er versteht, er fühlt einmal nur bis auf einen gewissen Grad. Ich habe oft Anlaß gehabt, die Anmerkung zu machen: Daß eher aus einem guten Bekannten ein Freund wird, als aus einem guten Freunde, der dieß lange geblieben ist. Er ist zwar der nächste nach dem Freunde, aber, wie Virgil sagt: In weiter Entfernung der Nächste! Ich habe noch keine Schrift von der Freundschaft gelesen, in welcher die Eigenschaften eines Freundes nicht durch ein Gemisch, durch kalte, durch weitschweifige und dann wieder übertriebne Beschreibungen verunstaltet worden wären. Der gebildete Verstand und das gebesserte Herz sind die beyden Grundsäulen der Freundschaft. Diese Grundsäulen haben einige sehr simple Zierrathen: Gewisse Züge eines Originalcharakters, ich meyne, gewisse Wendungen des Verstandes und Herzens, die sich herausnehmen, die interessiren. Eine solche Freundschaft macht nur etwas weniger glücklich, als diejenige Liebe, die man allein darunter verstehen sollte, wenn man dieses so oft

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gemisbrauchte Wort ausspricht. Die Freundschaft und die Liebe sind zwo Pflanzen aus Einer Wurzel. Die Letzte hat nur einige Blumen mehr. Wenn ich sage, daß die Freundschaft, nach dem Bewustseyn, unsre Pflicht ausgeübt zu haben, die zweyte große Glückseeligkeit ist, die wir nicht allein in dieser sondern auch in der künftigen Welt geniessen können; so glaube ich zwar beynahe alles gesagt zu haben, was sich davon sagen läßt; aber wie wenige sind glücklich genug, dieß nicht für eine Chimäre zu halten. Unterdeß will ich gleichwohl noch ein wenig von der süßen Chimäre reden. Wenn man den meisten Glückseeligkeiten, nach welchen so viele mit solcher Heftigkeit laufen, ein wenig näher, und entschlossen, nichts, als was wahr ist, zu sehen, ins Gesicht sieht; was für wirkliche Chimären entdeckt man alsdann! Die jähnenden Besitzer dieser Glückseeligkeiten mögen nur kommen, und es mit der Glückseeligkeit der Freundschaft auch so machen. Es sollte meinen Freund und mich nicht wirklich glücklich machen, daß wir uns für alles, was uns angeht, bis zu der geringsten Kleinigkeit, interessiren? Daß wir nichts Geheimes für einander haben, sondern, unsrer beyderseitigen Verschwiegenheit gewiß, uns Alles (die beschworne Verschwiegenheit unsers Amtes, und die einem andern Freunde versprochne, machen hier allein eine Ausnahme,) daß wir uns Alles, mit der offensten Aufrichtigkeit, anvertrauen? Daß mein Freund oft nicht wartet, bis ich seine Fehler entdecke, sondern daß er sie mir eher sagt? Daß er haben will, daß ich so strenge gegen ihn seyn soll, als er gegen sich selbst ist? (Welcher Rechtschafne ist nicht streng gegen sich selbst?) Daß er überzeugt ist, daß ich auch alsdann, wenn ich ihm meine Neigung am lebhaftesten ausdrücke, die heilige Freundschaft nicht durch das Geringste von dem, was zur Schmeicheley gehört, entweihe? Ich kann mich wohl aus Liebe zu meinem Freunde irren; aber schmeicheln kann ich ihm nicht! Daß uns keine Freude natürlicher ist, als die Freude, uns sehen? Und daß wir uns besonders deßwegen gern oft sehen, weil wir gern oft von Gott und der Reiligion mit einander sprechen? Daß wir einander über diese höchstwichtige Sache immer mehr aufklären, und uns bey der Hand unserm gemeinschaftlichen letzten Endzwecke zuführen? Wer die Heiterkeit, diese Ruhe und oft diese Hoheit der Seele nicht kennt, die bey solchen Unterredungen die Freundschaft giebt, wie wenig Glückseeligkeit kennt der! Vielen wird alles dieses zu ernsthaft vorkommen. Aber sind denn

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keine ernsthafte Freuden? Und wenn keine wären; wo ist der Scherz scherzhafter, als unter Freunden? Wo kann man sich demjenigen fröhlichen Humeur, welches dem Scherze sein eigentliches Leben giebt, freyer überlassen? Unter bloßen Bekannten sucht der Scherzende mehr zu brilliren, als zu vergnügen; er muß überdieß immer in den Ketten gewisser Zurückhaltungen gehn, die das, was er sagt, entkräften. Ein Tanz, der in einer muntern Gesellschaft durch die Freude, in der man ist, unvermerkt veranlasset wird; und ein prächtiger Ball, auf dem so mancher steife Tänzer schimmern will, und der natürliche bisweilen muß, sind zwo eben so verschiedne Sachen, als der Scherz unter Freunden, und unter Bekannten. Der nordische Aufseher, Bd 2, 1759, St. 98, 30.8.: Ich habe Ihnen, schreibt mir einer meiner neuesten Correspondenten, eine Anmerkung über Ihr Blatt von der Freundschaft (S. 100-103, Z. 124) zu machen, von welcher ich glaube, daß sie Ihnen nicht ganz unerheblich vorkommen wird. Ich denke, wie Sie, über die Freundschaft; ob ich gleich nicht so glücklich bin, Freunde zu haben: Allein ich muß Ihnen ohne weitere Umstände gestehen, daß ich den Umgang der grossen Welt der Freundschaft beynahe völlig an die Seite setze. Wenn ich vom Umgange der großen Welt rede; so verstehe ich alles dasjenige darunter, was die Politesse nur einnehmendes haben kann; und ich nehme dieses Wort zugleich in dem ganzen Umfange, in dem es ein Franzose braucht, der selber poli ist, und also von der Sache urtheilen kann. Sie wissen, es ist alsdann ein vielbedeutendes Wort. Dieses vorausgesetzt, behaupte ich, daß die Freundschaft nur sehr wenige und vielleicht nicht allzugroße Vorzüge vor jenem Umgange habe. Wie angenehm ist es, sich nicht allein niemals etwas, das auch nur von ferne einigermassen beleidigen könnte, sondern fast immer etwas zu sagen, das die Süssigkeit der feinen Schmeicheley hat, ohne ihren Gift zu haben; das uns, ohne uns in den Wolken schweben zu lassen, immer ein wenig über uns selbst erhebt, und uns in einem sanften Vergnügen über uns selbst auf eine reizende Art unterhält. Ich weis nicht, Freunde, (ohne von denen zu reden, die gar familiär gegen einander sind) Freunde sind zu naiv gegen einander. Sie sagen es sich so gerade heraus, daß sie sich lieben. Das nenne ich eine harte Art, wenn man sich es so sagt. Zeichnung mögen sie wohl haben; aber Colorit haben sie nicht.

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Ich kann Ihnen nicht sagen, was es mir für ein Vergnügen macht, wenn ich in Gesellschaft von Leuten bin, die sich, alles, was sie sich sagen, auf eine so glückliche Art, zuwägen, daß man es gar nicht merkt, daß sie die Wagschal in der Hand haben. Ein halbes Wort, das der Andre sagt, der Anfang einer Mine wird hier zu Gewicht, und verändert die Wagschal. Jeder kleine Umstand des Wohlstandes oder der Wendung, welche die Unterredung nimmt, hat hier seine Einflüsse. Federn ziehn nieder. Welch Vergnügen, in einer solchen Gesellschaft zu seyn, und selbst wägen zu können! Freunde hingegen, ob sie gleich nicht ohne Anstand sprechen, sagen sich immer ihre völlige Meinung, und sagen sie fast ohne alle Einkleidung. Verzeihen Sie mir, daß ich das Wort noch einmal brauche, es ist so was Hartes in diesem allen. Sie werden mir zugeben, man kann nicht immer, am wenigsten in Gesellschaften, von wichtigen Dingen reden; daher müssen der Kunst, Kleinigkeiten zu etwas zu machen, ihre Verdienste gelassen werden. Ich kann ihnen nicht verbergen, daß mich die glückliche Ausbildung eines Nichts oft sehr hinreißt. Sie sagen, daß der Scherz nirgends scherzhafter, als unter Freunden sey. Vielleicht ist dieß bisweilen wahr. Aber ich rede auch von solchen Kleinigkeiten, die nicht scherzhaft sind. Und Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß der freundschaftliche Umgang viel Ansprüche auf ihre Ausbildung zu machen habe? Ich könnte Ihnen noch viel mehr über diese Sache sagen; aber ein Brief muß auch nicht gar zu lang seyn. Überhaupt muß ich Ihnen bekennen, daß ich so viel Geschmack an dem Umgange der großen Welt finde, daß mir der freundschaftliche zwar als eine wünschenswürdige, aber doch nicht als eine so unentbehrliche Sache, als Ihnen vorkömmt. Mein Herr, Wenn Sie mir erlauben wollen mit dem harten Tone eines Freundes zu reden; so werde ich Ihren Brief, der mir, in gewissen Betrachtungen, sehr gefallen hat, umständlich beantworten. Vielleicht schmeichle ich mir nicht zu sehr, wenn ich glaube, daß ich die große Welt und diejenige Politesse kenne, die diesen gewiß nicht wenig bedeutenden Namen verdient. Und vielleicht gestehen Sie mir, nach einer Anmerkung, die ich gleich machen will, diese Kenntniß zu. Wenn man dem Ausdrucke: große Welt, seine Würde lassen will; so ist die Zahl derer, die eigent-

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lich dazu gehören, sehr gering. Wie sehr würde man ihm diese Würde nehmen, wenn man den ganzen Schwarm mit dazu rechnen wollte, dem bloß sein Stand und etwas von einer halbgebildeten Lebensart den Eintritt erlauben. Wenn Sie diese Anmerkung für wahr halten; so muß sich Ihr Vergnügen, das Sie in Ihren Gesellschaften finden, sehr verringern. Sie werden mir zugestehn, daß ich mich auf Ihre Materie völlig einlasse, wenn ich Ihnen noch sage, daß unter den Wenigen, welche die große Welt ausmachen, bisweilen Einer ist, der zur Freundschaft, und zu jeder andern ernsthaften Sache gemacht, das Joch deßjenigen Umgangs, der Ihnen so sehr gefällt, zwar bloß aus Pflicht, aber zugleich auf eine so glückliche Art trägt, daß er denen, die nur bis auf eine gewisse Weite sehn, Geschmack daran zu haben scheint. Erlauben Sie mir, daß ich nun ein wenig pünktlich in der Beantwortung Ihres Briefes werde. Ich zweifle sehr, daß irgend eine Art von Schmeicheley ohne Gift sey. Vielleicht hat die feinste den schlimmsten. Es mag wohl süß genug seyn, sich immer ein wenig über sich selbst erhoben zu fühlen; aber – – ich sehe wohl, daß ich Ihnen zu streng vorkommen werde; und gleichwohl bin ich es nicht, wenn ich Ihnen sage, daß diese Sache überhaupt sehr moralisch ist, und daß wir uns nicht genug hüten können, die Eitelkeit Andrer anzufeuern. Sie hat ohne dieß Nahrung genug in sich selbst. Daß Freunde naiv gegen einander sind, lassen Sie noch so hingehen; aber daß sie auch familiär mit einander umgehen, das beleidigt, in Ihren Augen, die feine Gezwungenheit der Politesse zu sehr. Ich sehe wohl, Sie haben niemals Anlaß gehabt, die Anmerkung zu machen, daß die Familiärität der Freundschaft einen gewissen ihr eignen Wohlstand beobachte. Und warum sollte man es sich nicht gerade heraus sagen, daß man sich liebt? Kann es die wahre Neigung anders sagen? Zeichnung, ich bitte um Verzeihung, daß ich ohne alle Einkleidung rede, Zeichnung haben Sie gar nicht; und Colorit – – es giebt verschiedne Arten derselben, gewiß keine natürliche! Mir wird ganz angst dabey, wenn ich mir Ihr beständiges Zuwägen, wie unvermerkt es auch geschehen mag, recht lebhaft vorstelle. Welch ein Vergnügen, sagen Sie, in einer solchen Gesellschaft zu seyn, und selbst wägen zu können. Ich weis nicht, ich habe immer, an der Größe dieses Vergnügens, ein wenig gezweifelt. Aber freylich, wenn man selbst wägen kann. Doch sind nur sehr wenige, die es recht können. Ich weis nicht zu welchem erniedrigenden Zwange Sie ihre Seele ge-

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wöhnt haben müssen, daß es Ihnen keine angenehme Vorstellung ist, Ihre völlige Meinung zu sagen? Wie beseelt es den Umgang der Freundschaft, wenn keiner von seiner Meinung etwas zurückhält; aber zugleich nicht so sehr von derselben ist, daß er unbiegsam seyn sollte, sich von stärkern Gründen, als die seinigen sind, überzeugen zu lassen. Wenn ich mir diese Freymütigkeit, diese Biegsamkeit, und die Freude, daß unser Freund unsrer Meinung wird, oder daß wir die seinige annehmen, als Gefährtinnen der Freundschaft vorstelle; so denke ich sie mir unter ihren Gratien. Ohne von der glücklichen Ausbildung eines Nichts jemals hingerissen zu werden, sehe ich sehr wohl ein, daß man nicht immer von wichtigen Dingen reden könne, und daß die Geschicklichkeit, Kleinigkeiten zu etwas zu machen, ihren Werth habe. Aber wie sonderbar ist es, so wie Sie, von einer Geschicklichkeit eingenommen zu werden, deren Anwendung, in den meisten Fällen, durch die Nothdurft veranlaßt wird. Lernen Sie nur die Freundschaft aus der Erfahrung kennen. Sie hat, ausser ihren scherzhaften Kleinigkeiten, auch noch andre, die viel interessenter als diejenigen sind, die Ihnen izt noch so sehr gefallen. Nur die Neigung zu dem, den wir lieben, kann eine Kleinigkeit, die er sagt, über ihre Sphäre erheben, und machen, daß wir Geschmack daran finden, sie zu hören. Wenn wir aber nur in einer Gesellschaft von Bekannten, von guten Bekannten, und von guten Freunden sind; so werden die Kleinigkeiten, durch ihre Ausbildung, noch kleiner. Wir bemerken, was sie eigentlich sind, desto mehr, je besser das Kleid ist, mit welchem sie ausgeschmückt werden, oder vielmehr, in welchem sie sich schleppen; denn es muß ihnen, ihrer Natur nach, immer ein wenig zu groß seyn. Wie aufrichtig ich es mit Ihnen meine, können Sie daraus urtheilen, daß ich Ihnen, wenigstens Einen Freund, wünsche. Ich sehe wohl ein, daß Sie nicht bedauert seyn wollen; unterdeß kann ich mich doch nicht ganz enthalten, Sie so lange ein wenig zu bedauren, bis ich erfahren werde, daß Sie nicht mehr ohne Freunde sind. Machen Sie mir das Vergnügen, mir diese Nachricht, so bald Sie können, zu geben.

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qGedanken über die Natur der Poesie.p Es sind so Wenige die sich einen rechten Begriff von dem machen, was eigentlich die Poesie ist, daß ich glaube, daß es für die Meisten von ihren Liebhabern nicht überflüßig seyn wird, folgende zertreute Gedanken darüber zu lesen. Ich habe bey weitem nicht alles darüber, und ich habe dieß wenige auf keine Art systematisch sagen wollen, um sie durch die Idee einer langen Abhandlung nicht abzuschrecken. Man hat viele überfließige Regeln der Poesie gegeben, und bis zum Ekel wiederhohlt. Man hat viele von den nothwendigsten noch nicht gegeben. Wenn man eine vollständige Poetik, ohne sie durch Beyspiele praktisch zu machen, schreiben wollte: so hätte man nur wenig Blätter dazu nöthig, und man würde gleichwohl noch viel Neues sagen können. In einer Poetik vom Epigramma handeln, wäre eben das, als wenn man in einer Rhetorik von Bonmots handeln wollte; obgleich ein Bonmot bisweilen mehr als eine ganze lange Rede werth seyn kann. Das Wesen der Poesie besteht darinn, daß sie, durch die Hülfe der Sprache, eine gewisse Anzahl von Gegenständen, die wir kennen, oder deren Daseyn wir vermuthen, von einer Seite zeigt, welche die vornehmsten Kräfte unsrer Seele in einem so hohen Grade beschäftigt, daß eine auf die andre wirkt, und dadurch die ganze Seele in Bewegung setzt. Wenn man mir einwirft, daß dieß eine Definition der höhern Poesie sey; so antworte ich, daß die angenehme Poesie vieles von diesem allen thun müsse, wenn sie nicht den Namen einer versificirten Prosa verdienen will. Ich sage: Eine gewisse Anzahl von Gegenständen. Weil es einige giebt, die, für die Poesie, in jedem Gesichtspunkte betrachtet, unbrauchbar sind. Unterdeß da einige bloß durch den Gesichtspunkt, in dem sie von den Meisten angesehen werden, ihre Wirkung verlohren haben; so kann sie der Poet oft in einem bessern zeigen. Nur ein verzärtelter Geschmack liebt diese Wiederherstellung nicht. Deren Daseyn wir vermuthen. Wenn man der Poesie engere Grenzen setzen wollte; so müßte man ihr keine Erdichtungen erlauben. Von einer Seite zeigt. Nicht wenige Objeckte haben so gar nur Einen Gesichtspunkt, in welchem sie die Poesie zeigen darf. Beschäftigt. Die tiefsten Geheimnisse der Poesie liegen in der Ac-

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tion, in welche sie unsre Seele setzt. Überhaupt ist uns Action zu unserm Vergnügen wesentlich. Gemeine Dichter wollen, daß wir mit ihnen ein Pflanzenleben führen sollen. Batteux hat nach Aristoteles das Wesen der Poesie mit den scheinbarsten Gründen in der Nachahmung gesetzt. Aber wer thut, was Horaz sagt: „Wenn du willst, daß ich weinen soll; so must du selbst betrübt gewesen seyn!“ ahmt der bloß nach? Nur alsdann hat er bloß nachgeahmt, wenn ich nicht weinen werde. Er ist an der Stelle desjenigen gewesen, der gelitten hat. Er hat selbst gelitten. Wenn mein Freund beynahe eben das empfindet, was ich empfinde, weil ich meine Geliebte verloren habe; und diesen Antheil an meiner Traurigkeit andern erzählt: ahmt er nach? Von dem Poeten hier weiter nichts als Nachahmung fodern, heißt ihn in einen Acteur verwandeln, der sich vergebens als einen Acteur anstellt. Und vollends der, der seinen eignen Schmerz beschreibt! Der ahmt also sich selbst nach? Wenn der Ausdruck dem Gedanken eben so angemessen ist, als der Gedanke dem Gegenstande, und dieser nicht allein gut gewählt, sondern auch in einem vorzüglich gefallenden Gesichtspunkte angesehn worden ist; so hat der Dichter allen Foderungen, die man ihm thun kann, genug gethan. Der Gegenstand ist gut gewählt, wenn er gewisse durch die Erfahrung bestätigte starke Wirkungen auf unsre Seele hat. Er wird in einem vorzüglich gefallenden Gesichtspunkte angesehen, wenn dieser die vorher angeführte Wirkung mehr als die andern hervorbringt, in welchem der Gegenstand auch angesehn werden könnte. Der Gedanke ist dem Gegenstande angemessen, wenn es scheint, als ob man keinen bessern dabey haben könnte; wenn er nicht da bloß Betrachtung bleibt, wo er Leidenschaft hätte werden sollen; wenn er überhaupt ein so genaues Verhältniß zu dem Gegenstande hat, als das Verhältniß zwischen Ursach und Wirkung ist. Der Ausdruck ist dem Gedanken angemessen, wenn er dem Leser besonders dadurch gefällt, daß er völlig bestimmt sagt, was wir haben sagen wollen. Er ist ein Schatten, der sich mit dem Baume bewegt. Es giebt eine Anordnung des Plans eines Gedichts, die einem Gebäude gleicht; und sie sollte einer schönen Gegend gleichen. Der Poet ist kein Baumeister; er ist ein Mahler. Ich nenne ihn hier in einem andern Verstande einen Mahler, als man diesen Ausdruck gewöhnlich nimmt. Ich rede von ihm, als von dem Zeichner seines Grundrisses.

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Wie wenig Kunst gehört dazu eine gewisse Symmetrie gerader Linien zu machen. Durch die Zusammensetzung krummer Linien Schönheit hervorzubringen, erfodert eine andre Meisterhand. Man sagt, daß die Epopee alle Schönheiten der Poesie vereinige. Es wäre also überfließig von ihr ins besondre zu reden, wenn man eine Poetik schriebe. Mich deucht jener Satz ist nur alsdann wahr, wenn man ihn auf die Schönheiten der höhern Poesie einschränkt; und ferner den Hauptton bestimmt, der die Epopee von den übrigen Arten der höhern Poesie unterscheidet. Den Sieger schützten die Götter; die Überwundenen Cato! Ist das erhabenste Epigramma, das man machen kann. Es müßte „Cato und die Götter“ darüber stehn. Man könnte eine nicht zu kleine Sammlung Epigrammata aus der Henriade machen. Die Materie und die Ausführung verhalten sich gegen einander wie das Original, und das Porträt. Man erlaubt dem guten Mahler gewisse kleine Abweichungen, gewisse feine Verschönerungen; aber man will erkennen, wer gemahlt ist. Die besten neuern tragischen Dichter haben oft zwar Cabinetstücke, aber keine Porträts gemacht, wenn sie ihre Materie aus der alten Geschichte genommen haben. Der Hauptton eines Gedichts besteht nicht allein in der Art und dem Grade der Schönheiten, die einer gewissen Dichtart vorzüglich eigen sind; sondern es kömmt auch sehr darauf an, daß die gewählten Objecte von Seiten gezeigt werden, die mit dieser Art und diesem Grade der Schönheiten harmoniren. Man nehme an, daß, in einem Gedichte vom Landleben, eine schöne Gegend beschrieben werde; und dann, daß ein lyrischer Dichter, in einem Lobe der Gottheit, sich mit einer ähnlichen Beschreibung beschäftige: werden sie nicht sehr verschieden seyn müssen? Jener muß fürs erste in dem Tone des Lehrgedichts schreiben, und dann seine Objekte in einem Gesichtspunkte betrachten, die den Eindruck einer sanften Freude auf uns machen. Der lyrische Dichter muß so wohl dadurch, daß er dem Tone der Ode gemäß singt, als auch dadurch, daß er die schöne Gegend, als ein Werk des Allmächtigen vorstellt, uns entzücken. Fast allen neuern Oden fehlt etwas von dem Haupttone, den die Ode haben soll. Ich gestehe zu, daß ich Unrecht habe, wenn folgende Anmerkung falsch ist. Horaz hat den Hauptton der Ode, ich sage nicht des Hymnus, durch die seinigen, bis auf jede seiner feinsten Wendungen, bestimmt. Er erschöpft alle Schönheiten, deren die Ode fähig ist. Man wird also den

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Werth einer Ode am besten ausmachen können, wenn man sich fragt: Würde Horaz diese Materie so ausgeführt haben? Aber man müste ein wenig streng bey Beantwortung dieser Frage seyn. Denn sonst bekommen wir zu viel Horaze unsrer Zeiten. Ich erkläre mich hierdurch gar nicht gegen die Ansprüche, die besonders der lyrische Dichter auf einen Originalcharakter hat. Ich rede nur von der Biegsamkeit, mit der sich selbst ein Originalgenie dem Wesentlichen, was die lyrische Poesie fodert, unterwerfen muß. Und dieses Wesentliche, behaupte ich, hat Horaz, durch seine Muster, festgesetzt. Es ist nichts gewöhnlicher, als daß man den Ausdruck mit dem Gedanken verwechselt. Man sagt: Es ist eben der Gedanke; es ist nur ein andrer Ausdruck. Und der Gedanke wird doch geändert, so bald der Ausdruck geändert wird. Dieser ist an sich selbst weiter nichts, als das Zeichen des Gedanken. Gleichwohl muß eine genaue Kenntniß aller Bestimmungen dieser Zeichen, die sie haben, und durch gewisse neue Stellungen haben können, zu erlangen, eine von den vornemsten Beschäftigungen eines guten Dichters und eines Lesers seyn, der sich nicht zu viel schmeicheln will, wenn er seine Urtheile für entscheidend hält. Wenn eine Sprache gebildet ist; so ist eine vollständige Kenntniß derselben einer von den weitläuftigsten Theilen der schönen Gelehrsamkeit. Es kann niemand drey kurze Sylben hinter einander aussprechen, c v v v ohne auf eine gezwungne Art zu eilen. Das E sse videatur des Cicero kann so, wie es gezeichnet ist, nicht ausgesprochen werden. Entweder müste man das e in esse beynahe gar nicht hören lassen, welches hart seyn würde; oder man muß auf das vi einen gewissen Ton legen, der es zu einer langen Sylbe macht. Es sind daher eigentlich nur sechs verschiedne Füsse, auf deren guten Zusammensetzung die ganze Harmonie der Prosa und der Poesie beruht. Ich verstehe durch einen Fuß so viele Sylben, als das Ohr auf einmal mit einander vergleicht. Es verc c gleicht eine lange mit der andern langen, in dem es hört: Schutzgeist. Es vergleicht die lange mit ihrer Hälfte der kurzen auf zweyerley Art, entv c c v weder so: Gestalt, oder so: Freudi g; Es vergleicht die lange mit zwo kurv v c c vv zen und dieß auf dreyerley Art, als: e wi ge , oder: u ne rhört, oder auch: vc v Geliebte. Diese letzte Art ist nicht so gut, als die übrigen fünfe. Denn der Umstand, daß die lange Sylbe in der Mitte steht, macht, daß die Vergleichung dem Ohre etwas schwerer wird. Eine gewisse Reihe von

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Worten kann aus keinen andern, als den angeführten Füssen bestehn, wenn sie Harmonisch seyn soll. Die Prosa ist deßwegen nicht so wohlklingend als die Poesie, weil sie diese angeführten Worte nicht nach einer so feinen Regel der Harmonie ordnet, als die guten Versarten thun. Wenn sie nun aber vollends zu viele kurze Sylben (und drey sind schon zu viel) hinter einander setzt; so macht sie dadurch einen besondern Übelklang, daß man gezwungen ist einige von diesen kurzen Sylben, als lange auszusprechen, und also dem Sylbenmasse eine Gewalt anzuthun, bey welchem die Harmonie immer verliert. Die deutsche Sprache hat zwar hier einigen Vortheil, weil sie viele gleichgültige Sylben hat, ich meine diejenigen, welche bald kurz bald lang gebraucht werden können; aber gleichwohl hilft dieser Umstand demjenigen nicht viel, der zu viele kurze Sylben häuft. Will man zum Exempel diese Worte: c vv v v v Verkündige die unerhörte That nach dem Sylbenmasse aussprechen; so wird man so sehr eilen müssen, daß man nicht verstanden werden kann. Man muß sie daher so aussprechen: c vv c v v Verkündige die unerhörte That c Aber wie wird hier das Ohr durch die Länge des die beleidigt. Doch der Wohlklang entsteht nicht allein durch die Verbindung der langen und kurzen Sylben; es kömmt auch sehr auf die Wahl harmonischer Wörter an. Eine gewisse Anzahl Wörter wird durch ihren Übelklang unbrauchbar. Unterdeß muß man dieses auch nicht zu weit treiben. Die deutsche Sprache muß von Ohren, die an sie gewöhnt sind, beurtheilt werden. Wenigstens müssen die Italiener, die zu viele Vocalen haben, nicht ihre Richter seyn. Wer sich auf die Aussprache versteht, kann das harte der vielen Consonanten, durch eine gewisse mässigende Leisigkeit sanfter machen; ein Vortheil, den die Italiener in Absicht auf ihre zu vielen Vocalen nicht haben. Und wie wollen sie es machen der Weichlichkeit ihrer Aussprache, und die Franzosen der Flüchtigkeit, mit welcher sie sprechen, Consistenz und Nerven zu geben? Ich irre mich entweder sehr, oder es ist mindstens ein sehr verzeihbares Vorurtheil, wenn ich dafür halte, daß die deutsche Sprache vor allen neuern Sprachen alsdann die größten Ansprüche auf die meisten Ar-

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ten des Wohlklangs hat; wenn diejenigen, die sie schreiben, sorgfältig genug sind, gewisse unharmonische Wörter gar nicht zu brauchen, eine Sorgfalt, die so gar Homer und Virgil nöthig hatten.

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qEin Gespräch von der wahren Hoheit der Seele.p Man ist zwar itzt wieder in der Stadt; aber mir ist es so angenehm, zu der Ruhe des Landlebens in Gedanken zurückzukehren, daß ich meine Leser bisweilen von denjenigen Anmerkungen unterhalten werde, die ich auf dem Lande zu machen Anlaß gehabt habe. Einigemal ist mir auch etwas begegnet, das mir nicht unmerkwürdig vorgekommen ist. Darunter gehört ein Gespräch, dessen ich mich immer mit Vergnügen erinnern werde. Wie selten hört man so etwas! Ich hatte mich, weil mir der Schatten nirgends kühl genug war, über dem Aufsuchen dichterer Bäume ein wenig verirrt, und mich endlich bey einem Busche niedergesetzt. Ich wollte lesen; aber ich blätterte nur. Denn wen läßt der Anblick der schönen Natur lange lesen? Als ich mich auf diese Art zwischen meinen und meines Buches Betrachtungen theilte; so hörte ich einige Worte eines ernsthaften Gesprächs, und es währte gar nicht lange, daß sich diejenigen, die sich unterredeten, auf der andern Seite des Busches niedersetzten. Ich will sie Damokles und Crito nennen. Ich glaube nicht, daß ich sie um Verzeihung zu bitten habe, daß ich ihr Gespräch drucken lasse; aber wie viele meiner Leser habe ich vielleicht um Verzeihung zu bitten, daß ich ihnen etwas so unbekanntes und dunkles wiederhole? damokles. Aber wenn denn die Ehrbegierde eben deßwegen so verführerisch ist, weil sie so viel Schein vom Edlen und Großen hat; und man also wegen ihrer so starken Reizungen auf das lebhafteste gegen sie streiten muß: Was bleibt denn übrig, womit sich eine Seele sättigen kann, die diese Nahrung vor allen andern sucht? crito. Ich habe dir schon gesagt, und dir war es ohne dieß schon bekannt, daß die Bestrebung nach großen Endzwecken, und die Erreichung derselben, die Belohnungen der Ehre nicht nöthig haben, den Durst einer Seele zu stillen, die ihren Werth fühlt. damokles. Aber der Beyfall solcher Männer, wie du eben beschrieben hast? crito. Den suche. Allein wenn du ihn auch nicht erlangen solltest; so habe Muth genug zu glauben, daß du ihn verdienest. damokles. Dieses Suchen, dieser Muth – – nein, Stolz ist es gewiß nicht; aber es ist doch Ehrbegierde. crito. Ehrbegierde, wenn du willst, nach dem man das Wort nimmt. Ich will dir sagen was es ist. Es ist Hoheit der Seele.

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damokles. Hoheit der Seele! Dieser Ausdruck hat mir immer wie Musik geklungen. O laß uns ein wenig davon reden, Crito. crito. Wer kann ohne Enthusiasmus davon sprechen? Und wir wollen es doch gern mit philosophischer Kälte thun, wie ich glaube. damokles. Beydes. Mit dieser überhaupt; und wenn wir uns nicht mehr enthalten können, mit Enthusiasmus. crito. Diese Hoheit ist nicht sowohl das Gefühl einer großen Seele, das sie von sich selbst hat, ob dieß gleich auch mit in Betrachtung kömmt: Sie zeigt sich vielmehr durch gewisse Handlungen, wobey eine außerordentliche Überwindung unsrer selbst nöthig ist, am meisten durch die Überwindung der Ehrbegierde, nicht des Stolzes; (das wäre ein zu kleiner Sieg für sie!) und derjenigen Rache, die in den feinsten Forderungen der Ehrbegierde ihren Grund hat. damokles. Aber gleichwohl scheint sie (denn ich zittre, mich irgend einer Art von Ehrbegierde zu überlassen;) scheint sie mir eine Tochter der Ehrbegierde zu seyn. crito. Eine weise Tochter einer stets heftigen und oft ausschweifenden Mutter. damokles. Glaubst du meinen Philemon so gut zu kennen, als ich? crito. Unsern Philemon, bitte ich mir aus. Aber freylich haben Jahre dazu gehört, ehe ich ihn habe ganz kennen lernen. Denn es lebet kein Mensch mehr, der so weit davon entfernt ist, die Entdeckung seines Charakters Andern aufzudringen. damokles. Und was sagst du sonst noch mehr von ihm? crito. Daß ich, ohne ihn, keinen recht bestimmten Begriff von der Hoheit der Seele haben würde. damokles. Das ist sehr viel von ihm gesagt. crito. Es ist genug gesagt; aber nicht zu viel. Ich glaube, heute könntest du mich böse machen, ob ich mich gleich rühme, daß es meine Freunde niemals können. Kennst denn du ihn? damokles. Rede nur. So mag ich dich wohl böse sehen. crito. Hat er nicht immer jede kleinere Ehre verachtet? und die größern jemals anders als Mittel zu wichtigen Endzwecken angesehen? Hat er sich jemals durch gleiche Begegnungen gerächt, wenn ihm diejenigen ihren Beyfall versagten, die er hochachtete, da es doch so sehr in seiner als in irgend eines andern Gewalt war, sie auf eine feine Art zu erniedrigen? Ist er nicht immer ein unpartheyischer Beurtheiler von den Verdiensten dieser Personen geblieben? Hat er sich jemals (so lerne ihn

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kennen!) den Vorstellungen von dem Triumphe dieser ausserordentlichen Unpartheylichkeit lebhaft überlassen? Kennst du ihn nun? damokles. Nun habe ich – – crito. Warte, ich habe noch mehr zu sagen. Er hat sich niemals an denen, die er eben nicht Ursache hatte, hochzuachten, und die schwach genung waren, ihn oft sehr zur Rache zu reizen, er hat sich so gar alsdann niemals an ihnen gerächt, wenn sie sein Stillschweigen, sein immer gleiches Betragen gegen sie, für Schwäche hielten. Und wo ist eine lebhaftere Reizung zur Rache, als hier? damokles. Mir wird ganz heiß dabey, wenn ich mir diese Reizung vorstelle. crito. Und dem Philemon noch heisser, um sie zu überwinden. damokles. Und er überwindet sie. Das ist viel, sehr viel, mein theurer Freund. Mir schwindelt, wenn ich ihm bis in seine Höhen nachsehe. crito. Ja, es ist viel. Zur Überwindung vieler andern Leidenschaften gehört Größe, aber dieß ist Hoheit der Seele. damokles. Hat er viel an sich arbeiten müssen? crito. Eine Seele, wie die seinige, ist beständig in Arbeit gegen sich selbst. Du kennst seine heftige Lebhaftigkeit. Er flammt nicht; er glüht. Und denn sein sanfter Charakter! Dieß ist sein beständiger Sieg über sich selbst. damokles. Ich kann mich nicht mehr enthalten, dir zu sagen, daß ich dich nun dahin gebracht habe, wohin ich dich habe bringen wollen. Du hast den Philemon, und dich sehr richtig beschrieben. crito. Mich? – – Ich habe nicht an mich gedacht. Doch glaube mir, wenn ich einst werde sagen können: Ich bin wie Philemon; so will ich dir es sagen, weil du mich kennst, und mich nicht eitel nennen wirst. Doch laß uns nun von etwas anderm sprechen. damokles. Du eitel? Du, der stolz zu seyn verachtet, und die Ehrbegierde nur in so fern an sich duldet als sie ein Mittel zu großen Zwecken ist? Er hätte das Gespräch gern fortgesetzt; aber Crito wollte nicht. Sie blieben gleichwohl noch, und fuhren fort sich zu unterreden. Ich werde in einem der künftigen Blätter (des „Nordischen Aufsehers“) dasjenige, was ich davon behalten habe, wiederhohlen, weil ich noch die Übersetzung eines dänischen an mich gerichteten Schreibens mittheilen will, dessen Innhalt in Absicht auf die Beförderung des guten Geschmacks, der schönen Wissenschaften und der Tugend von großer Wichtigkeit ist. Siehe den folgenden Beitrag zum „Nordischen Aufseher“.

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qZur Errichtung einer dänischen Gesellschaft zur Beförderung der schönen Wissenschaften in der dänischen Sprache.p Meine Herren, Ich habe lange keinen Brief erhalten, den ich mit so vielem Vergnügen gelesen und bekannt gemacht hätte, als den Ihrigen. Was für gute Wirkungen wird Ihr Entwurf vielleicht haben! Ich setze das Vielleicht hinzu, weil ich bey Sachen, über deren Ausführung ich mich recht sehr freuen würde, immer ein wenig furchtsam gewesen bin. Ich glaube Ihre Absichten völlig einzusehn. Sie hoffen, und ich hoffe es mit Ihnen, daß in Dänemark oder Norwegen Originalgeniee (Eins ist Ihnen Belohnung genug!) verborgen seyn, die Sie, auf diese Art, aus ihrem Schlummer aufwecken wollen, der Stolz ihres Vaterlandes zu werden. Wenn Sie nur diesen Zweck erreichen; so sind Sie entschlossen, diejenigen Stunden nicht für verlohren zu halten, welche Sie damit werden zubringen müssen, auch mittelmäßige Werke durchzulesen. Streng werden Sie gewiß seyn, und solche Werke verwerfen. Denn Sie würden hart, und nicht großmüthig handeln, wenn Sie, durch den Druck, diesen Werken ein Leben geben wollten, von dem sie voraussähen, daß es sich sehr bald endigen würde. Denn je frühzeitiger der Tod der Vergessung ist, den sie zu sterben pflegen, desto jämmerlicher ist er. – – Ich bin so voll von Ihrer rühmlichen Unternehmung, daß ich Ihnen einen sehr langen Brief schreiben würde, wenn ich dem Urtheile des Publici zuvorkommen möchte. Denn ich schmeichle mir, daß ich von einigen würdigen Mitgliedern desjenigen Publici, das allein diesen verehrungswürdigen Namen verdient, Briefe über diese Sache erhalten werde. Bis dahin will ich es aussetzen, umständlicher davon zu reden. Unterdeß kann ich folgendes nicht ganz unberührt lassen. Wenn Sie von Übersetzungen sprechen, so meinen Sie gewiß nicht, daß der Übersetzer jede herumfliegende neue Schrift wähle, die irgend einigen Beyfall hat. Sie wollen, daß Meisterstücke ausgesucht, und von Männern übersetzt werden, die wissen, daß halber Geschmack, und halber Fleiß sehr vieles an der Übersetzung eines Meisterstücks fehlen lassen. Sie haben ferner sehr Recht, daß Sie gute geistliche Reden unter die vornehmsten Werke der Beredtsamkeit rechnen; und Sie haben, wie ich glaube, bloß vergessen, von geistlichen Liedern zu reden, oder sie unter

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dem allgemeinen Namen der Gedichte begriffen. Mich deucht, Einer, der nur einige wenige gute machte, verdiente den ausgesetzten Preis. Was meinen Sie dazu, wenn Sie die Veranlasser gewesen wären, daß diejenige Kirche, die einmal die schönste in Norden seyn wird, durch Lieder eingeweiht würde, die dann noch wären, wenn sie selbst vielleicht – – denn es giebt, wie Sie wissen, Monumenta aere perenniora. Und die hätten Sie veranlaßt! Wie wünsche ich, daß Ihnen Ihr Vorhaben gelingen möge! Der Aufseher.

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Es hat mir nicht wenig Mühe gekostet, von den Aufseherinnen endlich die Erlaubniß zu bekommen, den Anfang zu einem kurzen Auszuge aus dem Protocolle zu machen, das ich in ihrer Gesellschaft gehalten habe. Die Briefe, die Ihnen geschrieben worden sind, mußten doch endlich einmal beantwortet werden. Wäre dieser Umstand nicht gewesen; so hätte ich Sie, glaube ich, noch nicht dahin gebracht, mir die Erlaubniß zum Auszuge zu geben. Ich bin in keiner kleinen Verlegenheit. Ich möchte mich gern bey dem Publico entschuldigen; und doch auch nicht gern meine Freundinnen bey demselben verklagen. Wenn Frauenzimmer etwas nicht wollen; so haben sie immer sehr viele Ursachen anzuführen. Ich berühre nur etwas von den Ursachen, warum mir die Aufseherinnen so lange meine Bitten abgeschlagen haben. Eine gewisse Furchtsamkeit, eine Art von Meinung (Vorurtheil befehlen Sie mir, soll ich setzen) daß ein gewisser Theil des Publici noch nicht fähig genug sey, verschiedne Dinge des Protocolls in ihrem wahren Gesichtspunkte anzusehen; und dennoch gerade drauf los urtheile, und zwar in Sachen, zu deren halben Entscheidung doch mindstens, (ich soll nur aufhören, sagen Sie; allein wie würden meine Leser lachen, wenn ich, aus grossem Gehorsam, den Perioden nicht zu Ende brächte) mindstens einige Feinheit erfodert würde; wobey ich, (nicht die Aufseherinnen,) dem geliebten Leser zu erwägen anheim stelle, daß es sich mit der völligen Entscheidung noch ein wenig anders verhalte. Den 23sten Junius Soll ich einen Mann heirathen, der mich, wie ich glaube, liebt; den ich liebe? Wie sehr lieb ich ihn! Einen Mann, der ein Freygeist ist, und den ich zu einem Christen zu machen hoffe? Nur eine Sache schwächt diese Hofnung ein wenig. Er ist sehr beredt. Aber wenn ich seinen Beweisen ihr schönes Kleid ausziehe; so sind sie eben so stark nicht. Diese Sache macht mich so ernsthaft, daß ich schon etliche Nächte nicht geschlafen habe. Lucinde. Man kann das Unglück haben, einige Zeit ein Zweifler zu seyn; aber man ist mehr als unglücklich, wenn man ein Freygeist ist. Wie können Sie, Lucinde, einen Freygeist lieben? Wir glauben, daß Sie die eigent-

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liche Bedeutung dieses Wortes wissen. Sie sind nicht in ihn verliebt; und Sie lieben ihn, einen Mann, den Sie vermuthlich nicht in jener Welt antreffen werden? Welch ein fürchterlicher Gedanke für die wahre Liebe! Doch Sie hoffen ihn zu einem Christen zu machen. Hiervon hernach. Aber sagen Sie, wie ist es Ihnen möglich, einen Freygeist zu lieben? Die eigentliche Liebe setzt, wo nicht vortreffliche, doch gute Eigenschaften voraus. Wer diese nicht hat, kann nicht lieben, und geliebt werden. Sie werden uns doch zugestehn, daß ein Freygeist aufs höchste nur einige scheinbar gute Eigenschaften haben kann. Zweifeln Sie ja recht sehr daran, daß er Sie liebt. Er hat gewiß zu wenig gute Eigenschaften, nur Sie lieben zu können. Verzeihen Sie uns, oder danken Sie uns vielmehr dafür, daß wir ganz aufrichtig reden. Er ist Ihrer nicht würdig. Und wie wollen Sie es anfangen, ihn zum Christen zu machen? Er ist beredt, sagen Sie. Dieß schöne Kleid wird er gewiß seinen Sophismen nicht so leicht ausziehn lassen, als Sie denken. Aber nun kömmt das schlimmste: Sie lieben ihn. Wie leicht wird man von der Meinung desjenigen, den man liebet! Man wird dieß oft, ohne daß der Geliebte die Absicht hat, uns dahin zu bringen. Wenn er aber nun vollends diese Absicht hätte; wenn er die Gewalt Ihrer Liebe zu ihm gegen Sie brauchte: An welchem Abgrunde stünden Sie denn! Die Liebe, durch deren Hülfe Sie ihn zurückbringen wollen, wird zum Dolche, der gegen Sie gekehrt werden wird. Und gleichwohl müssen Sie ihn lieben und er muß es wissen, daß Sie ihn lieben, wenn die Ausführung ihres Vorsatzes nur etwas Wahrscheinlichkeit behalten soll. Wenn Sie nun aber, nach dem Sie ihn hätten ganz kennen gelernt, aufhören müßten, ihn zu lieben: Wie unmöglich würde es Ihnen besonders alsdann werden, ihn zur Religion zurück zu bringen! In was für einer Ehe würden Sie alsdann leben! Und Ihre Kinder! – – – Stellen Sie sich einmal diese fürchterliche Aussicht vor. Wir rathen Ihnen nicht allein, wir beschwören Sie bey Ihrer ganzen Glückseligkeit: Heirathen Sie diesen Mann nicht! Aber Sie lieben Ihn! Lernen Sie ihn ganz kennen: So werden Sie aufhören, ihn zu lieben. Den 4. August. Ich bin verheirathet gewesen. Wie glücklich war ich durch meine Liebe, wie sehr glücklich! Und wie fühle ich jetzt die ganze Last dessen, was ich war; ob mir gleich mein äusserstes Bestreben, meinen Gram zu unterdrücken, nicht mislingt. Wie viel hätte ich Ihnen nicht zu sagen, wenn ich Ihnen meine Situation nur einigermassen umständlich be-

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schreiben wollte. Doch Frauenzimmern kann man von dieser Art der Glückseeligkeit, die vielleicht die unschuldigste und beste ist, mit wenigen Worten viel sagen. Wie klein sind alle Glückseligkeiten der Ehre gegen dieselbe! Das Bewustseyn der ausgeübten Pflicht ist allein eine grössere. Man könnte die unschuldige Liebe so gar unter die Pflichten zählen. Denn das Bestreben nach Glückseligkeit gehört auch zu den Pflichten, Sie sehen, wie ich über diese Glückseligkeit denke, die so wenige kennen. Sagen Sie mir nun: Soll ich meinen Verlust zu ersetzen suchen, wenn ich ihn ersetzen könnte? Ersetzen nenne ich, ein Frauenzimmer finden, die ich, und die mich eben so sehr lieben könnte, als ich geliebt habe, und geliebt worden bin; ob sie gleich gewisse andre Nebeneigenschaften haben könnte, als die Verstorbne. Aber ehe Sie entscheiden, noch eine Frage; und dann eine Hauptbedingung. Kann man zwo Personen fast völlig gleich lieben? Denn ich kann gewiß nicht, und würde, wenn ich auch könnte, die Lebende nicht mehr als die Verstorbne lieben wollen. Ich wollte aber auch die Lebende nicht weniger lieben. Wie könnte ich dadurch glücklich seyn? Und nun die Hauptbedingung: Die Lebende muß die Verstorbne so sehr, als mich, lieben können. Sie muß gern mit mir von ihrer Freundinn, und ohne alle Eifersucht, auch ohne die feinste, reden können. Was vermuten Sie: Sollte es ein Frauenzimmer geben, die hierzu fähig wäre? Doch ich muß hier abbrechen. Mein Brief würde sonst viel zu lang werden. Aber seyn Sie desto umständlicher. Entscheiden Sie ja nicht zu kurz. Es sind zwar nur sehr wenige, die meine Fragen und Ihre Entscheidungen interessiren können. Aber diese wenigen verdienen, daß man nicht darüber hingehe. Alcindor.

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Sie erwarten zu viel von uns, Alcindor, wenn Sie glauben, daß wir uns getrauen sollten, in einer so ernsthaften und delicaten Sache zu entscheiden. Wir wollen Ihnen einige von denen Gedanken mitheilen, zu welchen Sie uns veranlaßt haben. Unsre erste Anmerkung (sie ist traurig; aber sie scheint uns fast ohne Ausnahme zu seyn) unsre Anmerkung ist diese: Es kann kein Mensch lange sehr glückseelig seyn. Sehr viele Menschen werden es so gar niemals. Wer es einmal gewesen ist, muß entschlossen seyn, die Hoffnung aufzugeben, daß er es wieder werden könne.

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Haben Sie Muth genung, in Betrachtung Ihrer, eine Ausnahme zu hoffen? Vielleicht macht Sie dieser Muth, wenn Sie ihn haben, einigermassen glücklich. Aber Sie verlangen von uns, daß wir Ihnen unsre Meinung aufrichtig sagen sollen. Noch eine zu finden, die Sie fast auf gleiche Art lieben würden, was gehört nicht alles dazu? Das wissen Sie besser, als wir, daß die Anzahl solcher Frauenzimmer, von denen Sie eine lieben würden, sehr klein ist; und daß diese wenigen sehr zerstreut sind. Werden Sie eine finden? Und, wenn Sie sie gefunden hätten, werden Sie von ihr geliebt werden? Nichts von äusserlichen Umständen zu sagen; so wissen Sie, daß selbst diejenige Liebe, die sich vornehmlich auf ein schönes Herz, und auf die übrigen Eigenschaften der Seele gründet, wir wollen nicht sagen, ihre kleinen Capricen hat; aber doch gewisse feine, den meisten unmerkliche Bestimmungen der Charaktere verlangt, wenn ihr nichts zu der Glückseligkeit fehlen soll, welche sie zu geben fähig ist. Sie geben zu, daß die neue Schwierigkeit nicht gering sey. Und geht das fast völlig gleich lieben an? Gesetzt es gienge an; wird denn die Abwesende immer so starke Einflüsse auf Sie haben, als die Gegenwärtige? Gleichwohl macht es Sie nicht glücklich, wenn Sie diese mehr lieben. ––– Es giebt noch eine andre Eifersucht als die so mit Recht beschriene, und lächerlich gemachte. Und diese ist von der Liebe, von welcher wir reden, unzertrennlich. Sie kann die heiterste Seele bisweilen mit einem Wölkchen überziehn. Und was folgt alles daraus? Sie werden dieß mit einem Blicke übersehen. Wenn Sie uns einwenden; daß man zu viel Glückseligkeit fodere, wenn man nicht etwas Trübes darunter mit annehmen wolle; so können wir Sie zwar in einer gewissen Betrachtung nicht widerlegen: Aber Sie müssen uns doch auch zugeben, daß Sie durch Ihren Einwurf von Ihrem Systeme der Glückseligkeit abgehn. Noch Eins. Wagt man nicht zu viel Ruhe daran, wenn man sich in die Umstände setzt, noch Eine Geliebte vielleicht beweinen zu müssen? Man muß, werden Sie sagen, alle Ansprüche auf Glückseeligkeit fahren lassen, wenn man sich mit solchen schwarzen Möglichkeiten quälen will. Sie sollen sich nicht vorher damit quälen; aber wenn nun der Fall kömmt? Wägen Sie ja recht genau. Ruhe der Seele von gewisser Dauer; und Glückseeligkeit von sehr ungewisser. Uns kömmt es vor, daß es die zweyte Wagschale ist, welche in die Höhe steigt.

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Heute (31. 1. 1760) theile ich meinen Lesern ein Gespräch mit, welches keine Erfindung eines Einzigen, sondern eine wirkliche Unterredung ist. Ich war in der Gesellschaft einiger Freunde; man sprach über die Natur eines guten dialogischen Vortrages, und einer behauptete, daß, wenn eine Materie gesprächsweise abgehandelt werden sollte, solches am besten geschehen könnte, wofern die Unterredung nicht von Einem erdichtet, sondern wirklich von Personen, die über eine Sache verschiedner Meinung wären, gehalten würde. Er setzte voraus, daß beyden bloß um die Wahrheit oder um eine genauere Bestimmung derselben zu thun wäre. Es muß, sagte er, ein solches Gespräch, meinem Bedünken nach, mehr Abwechslung und Mannichfaltigkeit haben, als ein Erdichtetes; denn es scheint mir unmöglich zu seyn, daß einer den Charakter, die Art zu denken und besonders die Sprache eines andern ganz genau treffen sollte. Man machte die Einwendung, daß ein solches Gespräch nicht gemerkt und folglich nicht getreu genug wiedererzählt werden könnte, auch manches Überflüßige enthalten würde. Hierauf wurde geantwortet, daß nur jeder von den Unterredenden das, was er sagte, gleich selbst aufschreiben dürfte. Nun wurde von einem Versuche gesprochen, und zween meiner Freunde, die ich Cliton und Lycias nennen will, wurden einig, die Frage zu untersuchen, wie weit ein Scribent verbunden wäre, sich auf die Beantwortung einer zwar nicht gründlichen, aber doch scheinbaren Critik seiner Schriften einzulassen. Lycias dachte einen Augenblick nach und fieng das Gespräch an. lycias. Aber warum wollten sie auf eine solche Critik nicht antworten? Von einer Critik, die sowohl in der Art des Vortrags, als in ihren Gründen, seicht ist, begreife ichs. Aber wenn diese scheinbar sind und die Art, wie sie gesagt werden, etwas Überredendes hat: Warum sollten sie nicht antworten müssen? cliton. Wie viel Scheinbares und Überredendes sie auch haben mag; so bin ich viel zu stolz auf den Beyfall derjenigen, unter deren Gerichtsbarkeit ein solcher Critikus steht, als daß ich mich auf eine Vertheidigung einlassen könnte.

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lycias. Stolz? Ich will ihnen das erlauben; ein gewisser Stolz ist einer guten Sache nicht unanständig. Aber die Richter sind einander nicht alle gleich. Wenn nun einige von ihm gewonnen würden? Und vielleicht können die Meisten gewonnen werden. cliton. Sie erlauben also fürs erste etwas Stolz. Dieser Stolz hat wirklich seinen Werth. Er ist so gar Dankbarkeit, die man Richtern von der ersten Classe, wegen ihres Beyfalls, schuldig ist. Die andern Richter, gegen deren Urtheil ich diese Dankbarkeit nicht haben kann, mögen sich gegen mich einnehmen lassen. Wer sich durch solche Critiken einnehmen läßt, den kann ich ohne dieß nicht durch Wiederlegungen zurük bringen. lycias. Es ist aber doch, der Folgen wegen besser, auch ihr Urtheil für sich zu haben. Die erste Classe pflegt, was sie über gewisse Beurtheilungen denkt, aus eben dem Grunde, nicht zu sagen, aus dem Sie sich nicht vertheidigen mögen. Die andern sprechen vielleicht eher, wenn sie nur erst durch eine gute Widerlegung zurückgebracht sind. Und warum sollten sie sich nicht zurückbringen lassen? Überdieß müssen Sie bedenken, daß sie diesen mehr nützen können, als jenen, und daß solches eben deswegen ihre Absicht seyn müsse. cliton. Ich sehe nicht ein, warum die erste Classe ihre Meinung über gewisse Beurtheilungen nicht sagen sollte. Wenigstens ist jener Stolz nur selten die Ursache von ihrem Stillschweigen. Doch ehe wir weiter gehen, müssen wir festsezen: Ob es möglich sey, diese beyden Zwecke zugleich zu erreichen, nämlich: Gut zu schreiben; und den Meisten zu gefallen. Denn wenn man nur für Viele und nicht für die Meisten schreibt; so weis man, daß der Critikus seine Oberrichter hat, bey denen seine ungegründeten Verurtheilungen dem Scribenten nicht nachtheilig sind. Hernach können wir ausmachen: Ob ein Scribent in einem solchem Tone sich selbst vertheidigen könne, daß sein Critikus genung wiederlegt wird. lycias. Warum die Richter der ersten Classe schweigen würden, das ließe sich zwar erklären; aber ich will mich nicht weiter darauf einlassen, weil wirklich viel auf eine richtige Entscheidung ihrer Fragen ankömmt. Die erste, deucht mich, braucht einer sehr genauen Bestimmung. Ich gestehe, man kann auf eine gewisse Art gut schreiben, ohne daß man hoffen darf, den Meisten zu gefallen. Gewisse Gedichte gehören zu dieser Art. Der Endzweck, den man sich bey denselben vorsetzt, ist so beschaffen, daß man seiner verfehlen würde, wenn man nach

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dem Beyfalle der Menge strebte. Doch alsdann schreibt man nicht für die Menge. Daß man aber sehr oft auch für diese reden, und schreiben müße, das werden sie zugeben, und wenn man das muß, so werden sie wieder gestehen, daß man nicht schlecht schreiben dürfe. Sie wissen, daß Cicero oft an das Volk reden mußte; daß er alsdann gut redete, und so gut, daß er den Meisten gefiel. Moralische Schriftsteller befinden sich in einem ähnlichen Falle. cliton. Ich leugne nicht, daß einige wenige Schriften für die Meisten geschrieben werden und gute Schriften seyn können. Dieß ist aber eine Ausnahme von der Regel. Überhaupt kann ein guter Scribent nicht weiter gehn, als vielen gefallen wollen, in welcher Art, es sey Prosa oder Poesie, er auch schreibe. Dieses wird nur alsdann falsch seyn, wenn der gute Geschmack unter einer Nation sehr allgemein ist. Aber wie selten ist dieses! Glauben Sie, daß Cicero den Meisten durch seine Reden gefiel? Weil man einmal ein so großes Vorurtheil so wohl für seinen Patriotismus als für seine Beredtsamkeit hatte; so bildete man sich ein, man wäre im Stande, ihm Beyfall geben zu können. Man schrieb sich einen Geschmack zu, den man nicht hatte, bloß um seiner Neigung gegen den Cicero zu folgen. lycias. Vergeben sie mir, daß ich Ihnen nur wenig von Ihrer Antwort einräumen kann. Sie leugnen nicht, daß einige wenige Schriften für die Meisten geschrieben werden und gute Schriften seyn können, und geben dieß als eine Ausnahme von der Regel an. Allein ich wollte lieber das Gegentheil eine Ausnahme nennen. Denn wer bedarf wohl guter Schriften am meisten? Unstreitig diejenigen, die am meisten Unterricht und Aufmunterung nöthig haben. Sonst gestehe ich, daß eine gewisse Partheylichkeit eine mitwirkende Ursache von dem Beyfalle gewesen seyn könne, den Cicero erhielt. Allein ohne darauf zu sehen, wie allgemein schon der gute Geschmack unter den Römern war: So ist gewiß, daß es eine Art gut zu schreiben giebt, die so sehr selbst den gemeinsten Einsichten angemessen ist, und mit den wesentlichen Neigungen der menschlichen Natur so sehr übereinstimmt, daß sie leicht von allen empfunden werden kann. Die meisten Wahrheiten haben so viel eigenthümliche Schönheit, daß sie allen gefallen müßen, wenn der Scribent nur seine Leser in den gehörigen Gesichtspunkt zu setzen weiß. Aus diesem Gesichtspunkte kann ein Critikus sie verrücken, und zu ihrem eignen Nachtheile, den er nicht achtet. Sollte es da nicht der Mühe des Scribenten werth seyn, sie in denselben zurückzubringen? Ist er dieses

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nicht der Wahrheit und den Wirkungen schuldig, die er durch eine richtige und gute Vorstellung derselben zu befördern wünscht? cliton. Ich glaube nicht, daß wir einander darinn falsch verstehen, daß unter uns nur von solchen Schriften die Rede ist, die, in Absicht auf die Ausführung, der Beurtheilung des Geschmacks überlassen sind. Dieses vorausgesetzt, glaube ich noch immer, daß ich die Ausnahme da mache, wo sie gemacht werden muß. Es sind, nach meiner Meinung nur einige wenige Materien, die, in der Schreibart des Geschmacks, so ausgeführt werden können, daß sie den Meisten gefallen, z. E. gewisse Punkte der Moral, die weder viel Feinheit noch Tiefsinn erfordern. Ein ganz anders ist es, guter Schriften am meisten bedürfen, und ein anders, sie genug verstehen und empfinden können. Dieses letzte kann nur aufs höchste vielen zugestanden werden. Die Erfahrung redet zu laut für diese Anmerkung, als daß man sie leugnen könnte. Ich gestehe übrigens zwar zu, daß es sich der Mühe verlohnt, auch diejenigen Leser, die sich durch den Critikus haben irre machen lassen, zurückzuführen; aber kann es der Autor eines Buchs selbst mit gutem Erfolge thun? So gar in dem Falle, daß der Autor zu dem Publico sagen dürfte: Diese oder jene angegriffne Stelle ist schön, würde doch das Publicum geneigt seyn, den Critikus für unpartheyisch und den Autor für partheyisch zu halten. lycias. Ich kann mich zwar aus dem, was Sie sagen, noch nicht überzeugen, daß es nur wenige Materien gebe, die sich in der Schreibart des Geschmacks so ausführen lassen, daß sie den Meisten gefallen. Wenn Sie nicht den äußersten Grad der Vollkommenheit und Schönheit fodern, so lassen sich fast alle Wahrheiten der Moral auf eine für die Meisten gefällige und einnehmende Art vortragen; das ist, sie lassen sich gut schreiben. Ob sie darum aber, selbst wenn dieser gute Vortrag noch unter der Höhe bleibt, zu der sich ein Scribent für feinere Geister zuweilen, oder wenn sie wollen, sehr oft, aufzuschwingen suchen muß, von allen genug verstanden und empfunden werden, das will ich nicht ausmachen. Vielleicht empfindet und urtheilt die Menge richtig; aber sie weiß nur ihr Urtheil nicht zu rechtfertigen; ihre Empfindung kann auch wieder verdunkelt oder verwirrt werden. Doch ich will zugeben, daß es einem Scribenten anständig sey, sich vor solchen Richtern nicht zu vertheidigen, oder wenn sie schon eingenommen sind, sich nicht zu bemühen, ob er ihnen sein Recht begreiflich machen könne, so bald der Critikus bloß die Art des Vortrags, die Einkleidung und das angreift,

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was Genie und Geschmack zur Schönheit einer Schrift beytragen. Ich empfinde es mit ihnen, daß mir der beste Autor unerträglich anzuhören seyn würde, der, auch wenn er völlig Recht hätte, seinem Critikus sagte: Sie thun mir Unrecht mein Herr, wenn sie mich beschuldigen, daß dieß nicht sinnreich ist; in meiner Abhandlung herrscht wirklich mehr Beredtsamkeit und Munterkeit, als sie mir streitig machen; hier haben sie den Beweis, daß sie mir ohne Grund Erfindung und Genie absprechen; es ist, versichert, alles artiger und feiner, als sie vorgeben. Bey dergleichen Anklagen ist es unstreitig für den Scribenten am rathsamsten zu schweigen. Allein was soll er thun, wenn die Sache selbst von dem Critikus auf eine falsche, seinen Absichten und der Wahrheit nachtheilige Art vorgestellt wird, und zwar mit Scheine; denn das ist mit einigem Witze möglich; es sey nun daß der Beurtheiler irrt, oder seine Ursachen hat, andern solche irrige Vorstellungen beyzubringen? Mich dünkt, da müsse sich der Scribent vertheidigen, und zwar des grössern Theils wegen, ungeachtet er vor den Richtern der ersten Classe keiner Vertheidigung bedarf. Ein Mann, der rechtschaffen und zugleich galant ist, wird sich freylich nicht vertheidigen, wenn sichs jemand einfallen läßt, die Schönheit seines Anzugs zu tadeln; aber wenn man seine Rechtschaffenheit angreift – –. cliton. Ich rede nicht allein von der höchsten Vollkommenheit der Schriften; ich rede zugleich von allen den Stufen, die über dem Mittelmässigen sind. Alles, was über den Mittelmässigen ist, ist nicht für die Meisten. Wenn ich dieses erweisen soll; so muß ich sehr umständlich werden. Verlangen Sie diesen Erweis von mir? Wenn ich Ihnen noch einige Materien mehr, die für die Meisten schön geschrieben werden können, zugestehe; so gewinnen Sie damit nicht viel. Denn ich mache noch immer die rechte Ausnahme. Gleichwohl kann man, bey gewissen Anlässen, sich zu vertheidigen verbunden seyn; aber dieses ist wieder eine Ausnahme; und ich habe bisher von der allgemeinen Regel geredet. Jene findet freylich in solchen Fällen statt, auf welche Ihre Vergleichung mit dem rechtschaffnen und zugleich galanten Manne völlig paßt. Aber wenn dieses nicht ist; so muß man auch bey solchen Angriffen schweigen. Hätte Boyle antworten sollen, wenn ihm jemand gesagt hätte, daß er ein Atheist wäre? Kann ein Vorwurf ernsthafter, und zugleich einer Beantwortung unwürdiger seyn? lycias. Sie haben Recht, wenn die Beschuldigung so falsch ist, daß man den Autor und den Critikus nur gegen einander halten darf, um

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die Falschheit der Anklage einzusehen. Wollte sich der Scribent da selbst bey dem grössern Theile der Leser vertheidigen: So machte er sowohl ihrem Verstande, als ihrem Herzen ein Compliment, das sie mit Recht für eine Beleidigung annehmen könnten. Aber er kann in der Abhandlung einer Materie hier etwas voraussetzen, dort etwas nicht genug bestimmen, um kürzer und angenehmer zu seyn; der Critikus kann ihn nicht verstehen, oder nicht verstehen wollen, und eben darauf Anklagen bauen, dabey auch einen gewissen Witz brauchen, so daß schwache Leser, wenn sie auch nicht gleich verdammen, doch lieber erst von den Beklagten hören möchten, was er für sich anzuführen hat, als daß sie ihn gleich lossprechen wollten. Sie wissen überdieß, daß viele Richter bequem sind, ohne eben ungerecht seyn zu wollen. cliton. Es ist zwar wahr, was Sie sagen. Aber wenn man aus diesen Gründen immer antworten wollte; so müßte man einige Bücher schreiben, um Eins zu vertheidigen. Wenn man nur für Viele, und nicht für die Meisten schreibt, so kann man sich auf die Einsicht und die Billigkeit dieser Leser genug verlassen, um von solchen falschen Urtheilen, wie scheinbar sie auch seyn mögen, nichts befürchten zu dürfen. Sie werden ohnedieß bald vergessen. Die gute Schrift bleibt, und wird gelesen, ohne daß der etwas spätere Leser das geringste davon weiß, daß Sie einmal ein wenig bestäubt worden ist. lycias. Einige Bücher zu schreiben, um Eins zu vertheidigen, das wäre freylich viel von einem Scribenten gefodert. Auch ist solches für die spätern Leser unnöthig, das gestehe ich. Aber gute Schriften, die, ich will nicht sagen, für die Meisten, sondern nur für Viele geschrieben werden, werden auch nur selten solche Anfälle erdulden müssen, als diejenigen sind, zu denen meiner Meinung nach ein Verfasser nicht ganz schweigen sollte. Eben darum weil es etwas Ungewöhnliches ist, eine Schrift, die sich besonders in ihren Absichten ausnimmt, angegriffen zu sehen, möchte die Critik wenn sie auch nicht gegründet ist, zu viel schaden können, wenn nicht geantwortet wird. cliton. Daß ein guter Autor bey gewissen Angriffen nicht ganz schweigen soll, dawider habe ich weiter nichts, als daß er die Mitbrüder des Critici dadurch reizt, ihre Lanze auch zu vesuchen, und daß also des Geschwätzes immer mehr wird. Da unterdeß die Critik in dem angeführten Falle wirklich mehr schaden könnte, so gehört er mit unter die Ausnahmen, die ich von der allgemeinen Regel mache. Eine solche Antwort müßte aber sehr kurz seyn, und den Leser, durch die Berüh-

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rung einiger Einwürfe zu Schlüssen auf die übrigen bloß veranlassen. Ihr Verfasser müßte aber nichts dawider haben, wenn man ihm den Vorwurf machte, daß seine Antwort zu lakonisch sey. Lycias war mit Clitons Antwort zufrieden, ob er gleich hinzusetzte, daß er nicht in allen Nebenpunkten der Unterredung, mit ihm einig seyn könnte. Ich glaubte, das Gespräch könnte seinen Nutzen haben, und bat mir die Erlaubniß aus, es in meine Blätter drucken zu lassen. Clitons Antwort entscheidet, nach meinem Urtheile, die Frage hinlänglich; doch nehme ich mir die Freyheit, noch eine Anmerkung zu machen. Wofern die wahre und richtige Meinung eines Verfassers, und die Rechtschaffenheit theils seines Charakters, theils seiner Absichten aus seinen andern Schriften mit völliger Deulichkeit hervorleuchtet: So braucht er um so viel weniger sich auf eine Vertheidigung einzulassen, wofern die Critik wider eine seiner Arbeiten bloß scheinbar ist, zumal wenn seine Art zu denken so bekannt ist, daß man daraus mit Gewißheit schließen kann, sein Stillschweigen sey weder eine hochmüthige Verachtung des Critikus noch eine unanständige Vernachläßigung dessen, was er in einem andern Falle seinen Lesern schuldig seyn würde.

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qEin Gespräch von der Glückseeligkeit.p Sie haben mich bisher so gut geleitet, sprach der Jüngling Philobulus zu seinen beyden Freunden, Mesus und Aristus, daß mir es sehr natürlich geworden ist, mich in allen Sachen, die mir wichtig sind, an Sie zu wenden. Wenn ich wüßte, daß Sie jetzt eben geneigt wären, etwas weniger lakonisch zu seyn, als Sie gewöhnlich sind, so möchte ich wohl eine Hauptfrage an Sie thun, deren Entscheidung mich sehr nahe angeht. mesus. Ich hasse alle Vorreden, auch die kurzen. Ihre Frage also. philobulus. Meine Frage soll gleich kommen; aber noch ein wenig Vorrede müssen Sie mir erlauben. Ich muß Ihnen noch einmal danken, daß Sie mir geholfen haben, meine jetzige Lebensart zu erwählen. Eins wundert mich nur, daß ich meine Frage nicht vor dieser Wahl gethan habe, und daß ich nicht von Ihnen veranlaßt worden bin, sie damals zu thun. mesus. Wenn ich Ihre Frage wüßte, würde ich mich mit Ihnen wundern, oder auch nicht wundern. aristus. Sie sehen, mein lieber Philobulus, daß Ihre Bitte um etwas weniger Lakonismus eben keinen tiefen Eindruck gemacht hat. philobulus. Ich getraue mir nicht Ihnen zu antworten. Mesus möcht es für eine neue Vorrede halten. Meine Frage ist diese: „Darf ich es unternehmen, glückseelig in der Welt werden zu wollen? Oder muß ich es mir zur Pflicht machen, nur; (ich habe kein recht Wort zu meinem Begriffe, es ist so etwas in der Mitte zwischen Elend und Glückseeligkeit;) nur zufrieden zu seyn? mesus. Die Pflicht noch bis itzo bey Seite, was möchten Sie denn von beyden am liebsten? aristus. Was er von beyden am liebsten möchte? Werden, was ich bin, glückseelig! Und das Bestreben darnach ist seine Pflicht. mesus. Ich will mich in keine Untersuchung Ihrer Glückseeligkeit einlassen. Das wäre nicht freundschaftlich von mir gehandelt, wenn ich Ihnen herausgrübelte, daß – – aristus. Meine Glückseeligkeit kann die strengste Untersuchung aushalten, besonders deswegen, weil Sie mich ganz verstehen, wenn ich sie Ihnen ganz beschreibe. mesus. Nun gut! So sey es denn möglich, daß man bisweilen glückseelig seyn könne. Ich bin es ja selbst einmal gewesen. Aber ist denn die

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Ausnahme, die seltne Ausnahme die Regel? Wollen wir denn unsern geliebten Philobulus mit diesem Phantom auf den großen Schauplatz des Elends hinaus schicken? Und wollen wir ihm den Weg zur Zufriedenheit dadurch gerade zu abschneiden, daß wir ihn reizen, nach Glückseeligkeit zu streben? philobulus. Ach meine Freunde, so wären denn die süßen Träume meiner gewiß glückseeligen Kindheit von einer künftigen noch größern Glückseeligkeit – – – – mesus. Fasse Muth, mein Philobulus, du bist ja sonst muthig. Ist dieß Leben denn etwas anders, als ein Gang zum Grabe? und kann denn der Gang zum Grabe mit etwas anderm, als Nacht umringet seyn? aristus. Schauplatz des Elends – – Gang zum Grabe – – Nacht – – – Dieß hat gewiß Ihr Young gesagt, oder würde sich doch, wenn er es hörte, betrüben, daß er nicht auch dieses Dunkle über sein schwarzes Gemälde von dem menschlichen Elende ausgebreitet hätte. mesus. Ja, mein Young; aber auch Ihrer. Denn wie sehr lieben Sie ihn nicht! aristus. Freylich lieb ich ihn; und ich möchte fast sagen noch mehr als Sie, weil ich ihn, wenn ich es recht bedenke, wegen seiner schwarzen Abbildung des menschlichen Elends eigentlich hassen sollte. mesus. Einen Engel hassen? und zwar deßwegen, weil er die Wahrheit sagt? aristus. Ja, gewiß viele große, erhabne, himmlische Wahrheiten; aber in Absicht auf den Punkt, wovon ich rede, nur die Wahrheit seiner Empfindung. mesus. Wenn nun aber seine Empfindung die Sachen völlig so, wie sie sind, nicht stärker und nicht schwächer fühlte – – – – aristus. Das ist eben die große Frage unter uns. mesus. Ach, Aristus, wenn nur nicht fast alle Begebenheiten, die wir erlebt haben, und die uns näher angingen, wider Sie entschieden! Wenn z. E. die Glückseeligkeit der Freundschaft und der unschuldigen Liebe, so oft, und nach so kurzem Genusse, von dem Tode unterbrochen werden: Was sollen wir uns alsdann von der Erlaubniß, nach Glückseeligkeit zu streben für Vorstellungen machen? In drey Jahren vier noch lockre Gräber von Freunden! Oder soll ich Sie an diesen für mich so großen und für Sie nicht kleinen Verlust lieber nicht erinnern? – – philobulus. So oft verliert man Freunde, und so früh kann ich Sie verlieren?

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mesus. Muth, edler Jüngling! Wir reden ja nur von diesem Leben. Wie bald ist oft dieser Traum ausgeträumt! aristus. Ja, Muth, meine Geliebten, aber auch Dankbarkeit gegen den großen Geber, der uns, auch in diesem Leben, nicht selten lange glückseelig macht. mesus. Wer dankt Ihm lieber, als ich? Mit weniger Anhänglicheit an mich selbst, danke ich Ihm, so viel es meine Schwachheit zuläßt für Alles. philobulus. Wie zittert mein Herz, Aristus, daß Sie von unsers Freundes Meinung werden. aristus. Ich sehe, Sie haben einen Hang nach seiner Seite hin. – – – Ja, Mesus, für Alles! Aber vornämlich müssen wir uns bestreben, glückseelig zu seyn, um Ihm auch dafür danken zu können. Sie kennen Shackespears berühmten Vers: To be, or not to be, that is the question! Ich wende ihn für uns so an: Glückseelig, oder nicht glückseelig zu seyn, das ist die große Frage! mesus. Und wie wird die große Frage von der Erfahrung entschieden? Durch Elend auf der tiefsinkenden Wagschale. aristus. Wir müssen, wie mich deucht, ein wenig kälter seyn, wenn wir etwas ausmachen wollen. mesus. Ich dächte, Sie kennten mich. Wer mag so gern mit kaltem Blute von wichtigen Dingen sprechen, als ich? Was soll ich Ihnen, oder was wollen Sie mir erweisen? Doch ehe wir uns auf irgend einen Erweis einlassen, werden Sie mir zugestehn, daß derjenige nicht wenig verlange, der nach Glückseeligkeit strebt. Der Besitzer der Glückseeligkeit gehet seinen Weg zwischen dem ausschweifenden Forderer, der kein Mensch mehr, der ein Engel seyn wollte, und zwischen dem Genügsamen, der in diesem Leben alle Ansprüche auf Glückseeligkeit aufgegeben hat. Sie sehen leicht, daß ich hier nicht von dem Unwissenden und Kaltsinnigen rede, der aus Mangel der Fähigkeit zur Glückseeligkeit, genügsam ist. aristus. Ich setze dasjenige, was den großen Namen Glückseeligkeit verdient, an eben diese Stelle. mesus. Und bis dahin könnten wir gelangen? aristus. Ja, wenn wir mit anhaltenden Eifer darnach streben. mesus. Also hilft, nach Ihrer Meinung, Schnell seyn zum Laufen?

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philobulus. Darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen, meine Freunde? Welche Arten von Glückseeligkeit halten Sie für die vorzüglichsten? aristus. Wollen Sie ihm diese Arten nennen? mesus. Sie haben mehr Recht dazu, weil Sie sich für glückseelig halten. aristus. Man sollte denken, Sie kennten nicht einmal die Theorie der Glückseeligkeit. mesus. Vielleicht habe ich diese Theorie nur zu sehr studirt; und vielleicht ist dieser Umstand Eine von den Ursachen, warum ich nicht glückseelig bin. – – Die erste von allen ist das Bewustseyn, seine Pflicht gethan zu haben. Sie wollen jetzt zwar nur die verschiednen Arten der Glückseeligkeit von mir hören, aber es ist mir unmöglich, nicht hinzuzusetzen: Wer kann jemals dahin kommen, daß er sich hier nur einigermassen genug thue? Wer kann sich hier nur bis zur Zufriedenheit erheben? – Doch ich gehe weiter. Der wäre gewiß sehr glückseelig, der in Betrachtung der Wahrheiten, die uns am nächsten angehn, ich sage nicht aller dieser Wahrheiten, nur der meisten, durch das große Labyrinth des Grübelns, bis zur Gewißheit durchdränge. Nur einen Punkt zu berühren. Welche Marter ist es, die Arbeit, uns selbst völlig zu kennen, mit so wenigem Erfolge so oft von neuem zu unternehmen! Der Freundschaft und der edlern Liebe haben wir schon vorher erwähnt. Welche reiche Quellen sehr wesentlicher Glückseeligkeiten! Aber wie selten finden sich Freunde und Liebende, die für einander gemacht sind! Und wenn sie sich finden, meinst du, Philobulus, daß der Tod dann lange säumen werde? philobulus. Sie erschrecken mich. mesus. Kann ichs ändern? Und wenn denn der Tod auch säumte, entsteht denn nicht oft eine lebhafte Befürchtung desselben bey den kleinsten Veranlassungen; oder eine gewisse dunkle Ahndung (wenn diese sich nur nicht auf so viele Exempel gründete!) daß eine so große Glückseeligkeit nicht lange dauern könne; oder Vorwürfe, die wir uns machen, daß wir ein Mitgeschöpf zu sehr lieben, die allerdings oft gegründet seyn können, die aber auch oft übertrieben werden, weil uns der Geber hier viel erlaubt, wenn uns nur lebhafter und oft wiederhohlter Dank zu ihm erhebt. – – Und was sind noch für Glückseeligkeiten übrig? Eine von den großen Glückseeligkeiten wäre, nicht zu sehr eingeschränkt in Absicht auf das Wohlthun zu seyn. Aber welcher Gewis-

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senhafter kann reich werden, wenn er nicht erbt, oder ganz ungewöhnliche Folgen seiner Einrichtungen und seines Fleisses erlebt? – – – Und die Ehre? Wenn es auch erlaubt wäre, sich den Vorstellungen von ihr mit Anhänglichkeit zu überlassen, was ist sie? Sie bleibt freylich ein Mittel zu wichtigen Zwecken. Doch von dieser Seite betrachte ich sie itzt nicht. Was ist sie an sich selbst? Wer sind denn die Leute, die ehren können, wenn man nur einigermassen verwöhnt ist, nicht so gerade zu vorlieb zu nehmen? Aristus wollte eben anfangen zu reden, als Alphius dazukam und machte, daß sie die Fortsetzung ihrer Unterredung bis auf eine andre Zeit aufschieben mußten. Glückseelig ist der, fing Alphius an, der ferne von Geschäften sein väterliches Gut mit eignen Rindern pflügt, der – – er schwatzte noch vieles von dieser Art, indem er zugleich einen Überschlag machte, wie er seine Kapitale umsetzen wollte. Der Wuchrer Alphius befreyte endlich die kleine Gesellschaft, die sich von der Glückseeligkeit unterhielt, von seiner Gegenwart. Sie hatten ihn fast immer allein reden lassen. Nun fuhren sie, ohne seiner weiter zu erwähnen, in ihrem Gespräche fort. aristus. Lassen Sie mich Eine Hauptanmerkung machen, meine Freunde. Wir Menschen sind gebohrne Vergrösserer. Wenn wir glücklich sind, so vergessen wir fast ganz, daß es auch Unglück gebe; und wenn wir unglücklich sind, so vergessen wir beynahe aller Glückseeligkeit, die wir genossen haben, und wahrscheinlich künftig noch geniessen werden. Sie werden mir dieß zugestehn, Mesus. mesus. Ich gestehe Ihnen dieß so sehr zu, daß ich uns eben deßwegen für noch unglücklicher halte. Wir sind gewöhnlich so oft und so lange unglücklich, daß, gegen die Empfindung unsers Zustandes, die Vorstellung der geringen vergangnen und etwa zukünftigen Glückseeligkeit, (ich rede nur von dieser Welt) ganz und gar nicht aufkommen kann. aristus. Nicht die Menschen überhaupt sind gewöhnlich oft und lange unglücklich; sondern nur diejenigen unter ihnen, die entweder zu viel Glückseeligkeit fodern, oder die ihnen gegebne durch trübe Vorstellungen sich weniger genießbar machen. mesus. Wenn wir die Erfahrung fragen, so ist fast keiner von denen, die zur Glückseeligkeit fähig sind, dem sie, wenn er einige genießt, ihre Unvollkommenheit, und ihre oft so gar kurze Dauer nicht so sehr schwäche, daß er, wenn er es recht betrachtet, bloß zufrieden, nicht

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aber glückseelig ist. Und wenn auch dieß nicht wahr wäre, (wie wahr ist es gleichwohl!) was ist denn hier unten bey uns im irdischen Leben der Genuß eines so oft und heiß gewünschten, so lange gehoften, und endlich endlich erlangten Gutes? aristus. Glückseeligkeit! mesus. Ach, spotte unsers Elends nicht. Dieser Genuß ist weiter nichts, als ein Anlaß zu neuen Wünschen, und neuen Hofnungen, die mit viel lebhaftern Befürchtungen des Gegentheils unaufhörlich kämpfen müssen; und dann wieder ein solcher Anlaß, und wieder einer! Lauter Anlässe. – – Bis endlich der Tod die mühseelige Arbeit nach Glückseeligkeit unterbricht. philobulus. Dieß scheint mir eins von den besondern Räthseln in der menschlichen Natur zu seyn, daß die Hofnung froher als der Genuß, und die Furcht trauriger als das wirkliche Elend ist. mesus. Du verlangst doch nicht, daß ich dir es auflösen soll? Wie unglücklich ist derjenige nicht, auf den die Furcht lebhafter als die Hoffnung wirkt. Und gleichwohl ist er der scharfsichtigere. Denn es ist wirklich mehr Elend in der Welt, als Glückseeligkeit. philobulus. So muß man ein Philosoph seyn, und sich weder auf Furcht noch auf Hoffnung einlassen. Denn weder die eine noch die andre entscheiden etwas bey der Sache. mesus. Ich merke du wolltest wohl auf der dünnen Linie, die zwischen beyden gezogen ist, durchwischen. philobulus. Das möcht ich wohl. mesus. Und ich nicht. Denn ich bin lange davon zurück gekommen, nach dem Unmöglichen zu verlangen. aristus. Man muß sich auf beyden Seiten an der Linie halten. mesus. Wenn du ein rechter Behaupter der Glückseeligkeit bist, so must du auf der Seite der Hoffnung weit von der Linie wegfliegen. Denn, arm am Genusse, und noch ärmer durch den Genuß, was habt ihr viel anders als Hoffnungen? Und so gar diese oft so falsche Hoffnungen kann man sich nicht einmal machen, wenn man nicht mit der Fähigkeit, gern zu hoffen, gebohren ist. Die Furcht und die Hoffnung zwo zanksüchtige Schwestern; denn wie verschieden sie auch sind, so sind sie doch Töchter der Zukunft; sie theilen sich in die Beherrschung des menschlichen Geschlechts: Allein die Herrschaft der Furcht ist ausgebreiteter; denn das Elend verschafft ihr sehr folgsame Unterthanen. Wenn wir gebohren werden, so rührt uns die eine und die andre

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mit ihrem Zauberstabe an. Diejenige, die uns zuerst berührt, ist die Beherrscherinn unsers Lebens. Die beyden großen Laufbahnen, worauf es immer Nacht vor uns ist, sind durch eine dünne Linie von einander gesondert. Wer sich unterstehn wollte auf dieser Linie zu gehen, der würde sich vergebens herausnehmen, mehr als ein Mensch seyn zu wollen. Auf der Seite der Furcht wird es immer abhängiger, je weiter wir uns von der mittelsten Linie entfernen, und zuletzt ist nichts als Abgrund an Abgrund. Auf der Seite der Hoffnung sind, in gleicher Entfernung von der Mittellinie, hohe Gebirge, worauf es oft schimmert, und auf denen die ersten Lieblinge der Hoffnung leicht fortschlüpfen. philobulus. Wer wird wohl, wenn nun die Zeit der ungewissen Zukunft vorüber ist, am besten daran seyn, diejenigen, die zu viel gefürchtet, oder die, welche zu viel gehofft haben? mesus. Mich deucht die ersten. Denn ob sie gleich oft an tiefen Abgründen vorbey gegangen sind; so haben sie zugleich den großen Vortheil einer strengern Selbstbeurtheilung gehabt. aristus. Aber die Hoffnung feuert zu größern Thaten an. mesus. Und zugleich zu einer größern Zufriedenheit mit diesen Thaten. Und wie gefährlich ist die Zufriedenheit mit sich selbst, ehe man am Ende der Laufbahn ist! aristus. Aber die Furcht kann leicht eine Krankheit, und also schädlich werden. mesus. Die Hoffnung auch. Dazu kömmt noch, daß der an der Hoffnung Kranke seine Krankheit nicht so leicht fühlt, als der andre. philobulus. Wenn wir die Art zu denken, mit welcher wir uns die Zukunft vorstellen, bey Seite setzen, ist denn im Genusse des Gegenwärtigen keine Glückseeligkeit? aristus. Was auch Mesus für finstre Anmerkungen bey dem, was ich zu sagen habe, machen wird; so will ich dir doch meine Meinung sagen, Philobulus. mesus. Ich kann es nicht leugnen, wie ich die Wahrheit kenne, so sieht sie bisweilen ein wenig finster aus. aristus. Wenn wir unsre Pflicht, auch nur unvollkommen gethan haben; so sind wir – – – glückseelig. mesus. In welch Labyrinth, aus dem uns kein Leitfaden führen würde, würden wir uns verlieren, wenn wir hier den Begriff einer verzeihbaren und nicht zu verzeihenden Unvollkommenheit entwickeln wollten.

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aristus. Nicht alles Schwere ist deßwegen auch ein Labyrinth ohne Leitfaden – – Die Geschäftigkeit und die Arbeitsamkeit, die mit der Ausübung unsrer Pflichten verbunden ist, ist auch eine Glückseeligkeit. mesus. Kann zu unsrer Gesundheit und Zufriedenheit vieles beytragen. aristus. Nicht allein hierzu. Ist denn unsre ausgeübte Pflicht nicht die Bedingung, unter welcher wir die Glückseeligkeiten der zukünftigen Welt hoffen dürfen? mesus. So bald Sie von der zukünftigen Welt reden, hab ich nichts mehr zu sagen. Denn ich rede nur von dieser. Doch fahren Sie fort. Ich möchte gern überzeugt werden. aristus. So unvollkommen wir auch unsre Pflicht thun; so können wir uns doch wegen unsrer Unvollkommenheit beruhigen, wenn wir uns aufrichtig genug bestreben, sie uneigennützig, das ist, bloß deßwegen zu thun, weil sie unsre Pflicht ist. Das Bewußtseyn, sie allein deßwegen gethan zu haben, ist schon eine große Glückseeligkeit. mesus. Sollte das Bewußtseyn dieser Uneigennützigkeit nicht schon der Anfang einer Schmeicheley seyn, die wir uns selbst machen? Und so bald wir uns schmeicheln, so verwelckt diese zarte Pflanze, wie Pope die Glückseeligkeit nennt. Ein leiser Hauch kann sie welk machen. Doch fahren Sie fort. aristus. Sie sehen einen Mann vor sich, den auch Ihre feinsten Grübeleyen nicht erschrecken. mesus. Nicht erschrecken. Armer Aristus, wissen Sie auch, daß man bey gewissen Gelegenheiten zu viel Muth haben kann? Soll ich noch mehr sagen? aristus. Sagen Sie noch mehr. mesus. Wenn wir nun etwas thun, weswegen wir uns Vorwürfe zu machen haben? aristus. Soll ich Sie in die Religion, die Sie so sehr kennen, hineinführen? mesus. Wir wollen hernach von der Religion reden. Fahren Sie itzt fort, den Philobulus zu überzeugen, daß er hier glückseelig werden könne. aristus. Unser Philobulus hat schon einen ziemlichen Weg auf dem weiten Felde der Wißbegierde zurückgelegt, und er ist auch schon im Stande an denjenigen Vorstellungen Geschmack zu finden, die das Wissenswürdige schön abbilden. Welche reiche Erndte ist hier.

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mesus. Ja, gewiß ein großer Reichthum, wenn das Herz ruhig ist. Aber wie kann es ruhig seyn, wenn es bey den wichtigsten Objecten der Wißbegierde sich nicht bis zur Gewißheit durcharbeiten kann. Wenn auch diese Zweifelsucht eine Krankheit wäre, sind wir deßwegen weniger unglücklich, weil sie eine Krankheit ist? Man nenne es Krankheit, oder anders, was ist es denn in uns, das auch dann, wenn wir viele Wahrscheinlichkeiten vor uns haben, so heftig so unbezwingbar in uns strebt, noch gewisser zu werden. aristus. Es ist eine Forderung unsrer Natur, die einmal befriedigt werden wird. Unterdeß werden Sie mir zugestehn, daß es Erweise gebe, die uns überzeugen können. mesus. Ja, aber nur zu der Zeit, wenn wir an der Zweifelsucht nicht krank sind. aristus. Oder vielmehr, wenn wir unsre Forderungen, itzt schon fast alles zu wissen, einschränken. Und wir können sie einschränken, weil wir hoffen dürfen, daß eine Zeit kommen wird, in welcher wir sehen werden, daß sie nicht vergebens da gewesen sind. mesus. Sie haben Recht. Aber wir denken zu selten daran, daß es auch hier unsre Pflicht ist, uns zu mässigen. Denn uns kömmt nichts unschuldiger vor, als uns unsrer Wißbegierde völlig zu überlassen. aristus. Ich komme zu den Glückseeligkeiten, die uns die Freundschaft, und ihre Schwester, die Liebe, geben, oder vielmehr nicht ihre Schwester; denn Freundschaft und Liebe sind im Grunde einerley. Wer sie ein wenig unterscheidet, hat nicht Unrecht; wer sie aber zu sehr unterscheidet, kennt beyde nicht. Sie werden doch nicht leugnen, daß hier Freuden aufkeimen, die – – – ich rede von der Harmonie und der Neigung der Seele, die – – – mesus. Warum denken Sie so lange nach? Die (Sie getrauten sich nicht einmal zu sagen: Aufblühen) die in jener Welt Früchte tragen. aristus. Ist es Ihnen denn gleichgültig, daß Sie hier schon in dem Keime (ich darf nicht Blüthe sagen; sonst würden Sie gleich etwas wider mich herausgrübeln) die Frucht zum voraus geniessen. mesus. Weil ich heute einmal bey Ihnen in dem Verdachte eines Grüblers bin; so möchte ich Ihnen gar zu gern eine Chicane über das viel zu starke Wort geniessen machen. Sie müssen sich solcher starken Ausdrücke enthalten, wenn Sie Friede mit mir haben wollen. aristus. Ach, mein Freund, ich möchte unsre Unterredung lieber abbrechen. Denn ich muß Ihnen sagen, und wollte Sie doch nicht gern

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daran erinnern, daß Sie damals da Sie auf die Art, von welcher wir reden, glückseelig waren, nicht chicanirt haben würden. mesus. Sagen Sie alles was Sie wollen. Wird es denn nicht nach dem schwerem Traume Morgen werden? Also können Sie mir sagen, was Sie wollen. aristus. Ich will gleichwohl davon abbrechen. – – – Wir müssen uns niemals beklagen, daß wir nicht so viel Wohlthaten erweisen können, als wir wünschten. Wenn man thut, was man kann; so hat man genug gethan. Engel können nicht mehr thun! sagt Young. mesus. Aber der, der mehr Gutes thun kann, hat mehr Freuden. aristus. Wer sich bewußt ist, daß er in glücklichern Umständen mehr Gutes gethan haben würde, hat eben so viele Freuden. mesus. Kann er gewiß seyn, daß er es haben würde? Wie schwach sind wir oft! aristus. Sie wollen auch aller Sachen gar zu gewiß seyn. philobulus. Mesus schien mir neulich von der Ehrbegierde zu strenge zu urtheilen. aristus. Ich denke, wie er davon, nur mit dem einzigen Unterschiede, den er vielleicht bloß vergessen hat, nämlich, daß es unter denen, welche die Ehre austheilen, oft einige giebt, deren Beyfall eine wirkliche Glückseeligkeit ist. philobulus. Ich weis nicht, was Sie dazu sagen werden, meine Freunde, aber ich muß es Ihnen gerade herausbekennen, daß die Vorstellungen von der Ehre etwas sind, das mir sehr zur Glückseeligkeit zu gehören scheint. aristus. Verschweigen Sie uns nichts. philobulus. Ich weis nicht, wie mir ist, wenn ich die Namen derjenigen nennen höre, die unsterblich geworden sind. Sie klingen mir, wie Musik. Sie kennen denjenigen, welchen das Gemälde von der marathonischen Schlacht nicht schlafen ließ. Mich lassen die Werke derjenigen, ohne welche selbst solche große Thaten unbekannt seyn würden, nicht schlafen. mesus. Armer Philobulus auf diese durchwachten Nächte der Ehrbegierde folgen schlaflose Nächte der Reue, daß man sich die Mühe hat geben können, solchen Phantomen nachzulaufen. aristus. Drücken Sie ihn nicht so nieder, Mesus, lassen Sie ihn wachen. Ich habe nichts wider ihre schlaflosen Nächte, Philobulus, wenn Sie sie auch mit dazu anwenden, daß Sie sich eine Pflicht daraus ma-

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chen, diejenigen, die Ehre ertheilen können, so sehr zu lieben, daß Sie den Beyfall derselben, aus Neigung zu ihnen, wünschen. Auf diese Art wird die Ehrbegierde eine Pflicht der Menschlichkeit. philobulus. Sie schweigen, Mesus. Haben Sie uns nichts mehr zu sagen? mesus. Über diesen letzten Punkt eben nichts; aber sonst noch etwas. Alle angeführten Arten der Glückseeligkeit sind nichts; wir können keinen Antheil daran nehmen, wenn die erste, nämlich, das Bewußtseyn unsre Pflicht gethan zu haben, uns nicht eine gegründete Hoffnung giebt, die Glückseeligkeit einst zu erlangen, welche die Religion verheißt. Die Religion ist das letzte Ziel, wohin alle unsre Gedanken und Handlungen gehen müssen. Wer dieß noch nicht gelernt hat, der weis nichts, der kennt weder sich selbst, noch Gott, und der ist zu keiner eigentlichen Glückseeligkeit fähig. aristus. Sie gestehen also zu, daß es Glückseeligkeit gebe? mesus. Das habe ich ja vom Anfange zugestanden; nur habe ich zugleich angemerkt, daß bald Elend bald Zufriedenheit die Regel; und Glückseeligkeit die seltne Ausnahme sey. Denn der Grund, worauf wir gern ein großes Gebäude von Glückseeligkeiten aufführen wollten, ist gar zu schwach. Die Bedingungen, unter welchen wir, ich sage nicht, Gott gefallen, sondern der Vergebung gewiß bleiben, welche wir der Gnade unsers großen Erlösers zu danken haben, sind unsre guten Handlungen. Unsre guten Handlungen aber – – – Es ist kein schwarzes Gemälde; allein es liegt eine sehr ernsthafte Wahrheit darinn, wenn Young sagt: Vergieb mir meine Sünden, und meine Tugenden dazu, diese kleinern halbbekehrten Fehler! philobulus. Ich weis nicht, ich bin seit unsern letzten Unterredungen nicht so ruhig als ich vor dem war. Bey weniger Hofnung, als ich sonst hatte, glückseelig zu werden, fühle ich noch eben das starke Verlangen nach Glückseeligkeit. mesus. Das gehört mit zu unserm Loose, daß wir dieses Verlangen so selten unterdrücken können. aristus. Und auch das gehört dazu, daß es oft schon hier über unser Wünschen, wenn wir anders vernünftig wünschen, erfüllt wird. Doch genug hiervon. Sie sollen mir meine heutige Freude nicht unterbrechen, Mesus. mesus. Sie haben Recht. Denn ich so gar freue mich heute.

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aristus. Wie sich unsers Philobulus Gesicht aufheitert, daß Sie sich freuen. philobulus. Sie haben meine Hofnung übertroffen, Mesus. Denn ich dachte nicht, daß Sie so weit kommen würden. mesus. Sie müssen sich auch nicht zu trübe Vorstellungen von mir machen. Es sind wenige, die einen so empfindlichen Antheil an der öffentlichen Glückseeligkeit nehmen, als ich. Wie wallt mir schon mein Herz, wenn ich mir nur eine Familie als glücklich vorstelle; und wie wird es hingerissen, wenn ich mir eine ganze Nation so denke. aristus. Sie wissen nicht, wie lieb ich Sie habe, wenn Sie so sind, wie jetzt. mesus. Also haben Sie mich denn nicht so lieb, wenn ich anders bin? aristus. Eben so lieb, aber nur auf eine andre Art. mesus. Eben so lieb – – – aristus. Wir müssen hiervon aufhören; sonst grübelt er was unfreundschaftliches aus dem heraus, was ich gesagt habe. mesus. Ich sehe wohl, wenn man einmal in der Freundschaft für einen Herausgrübler gehalten wird; so hat man immer Unrecht. Heute will ich das so hingehen lassen. aristus. Ich lasse Sie heute nicht von mir, das versteht sich. Wir wollen uns so recht für uns freuen. Ich habe die besten Anstalten gemacht, daß uns Niemand stören soll. mesus. Ich liebe überhaupt diese geräuschlose Freude. Aber wird unsre Heutige durch kein Wölkchen überzogen werden? Sie wissen wohl, daß ich zu denen Leuten gehöre, die nicht vergessen, und bey welchen gewisse Eindrücke, durch die Zeit, stärker werden. aristus. Aber heute müssen Sie vergessen. mesus. Heute am wenigsten, weil mir dieß eine Veranlassung wird, mich desto mehr zu freuen. Wir werden die Glückseeligkeit des heutigen Tages, an welchem uns unser so sehr geliebter König gegeben worden ist, desto lebhafter geniessen, je lebhafter wir uns diejenigen Tage vorstellen, an welchen Er uns genommen werden konnte. philobulus. Kaum mag ich mir diese Tage zurückdenken. Welche Gefahr! Ach, was würde uns der heutige gewesen seyn, wenn – – – – aristus. Wie können wir der göttlichen Vorsehung genug danken, die Ihn uns erhalten hat! mesus. Wir müssen die Schwäche unsers Danks durch öftere Wiederholung desselben einigermassen ersetzen.

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philobulus. Auf welche Art danken wir am besten, meine Freunde? mesus. Wenn wir, ein jeder nach den Veranlassungen, die er hat, und sich machen kann, zur Erfüllung der väterlichen Absichten unsers Königs etwas beytragen. Wie leicht muß uns dieser Vorsatz, und die Ausführung desselben werden, wenn wir uns recht lebhaft vorstellen, daß Er unser Vater ist. Denn dieß ist Er in viel eigentlicherm Verstande, als der Redner oder derjenige das Wort braucht, der Inscriptionen der Denkmäler macht. philobulus. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, meine Freunde, was es mir für ein süßer Gedanke ist, daß wir den König so recht von ganzem Herzen unsern Vater nennen können. – – – Du sahest eben ungewöhnlich heiter aus, Mesus? mesus. Das macht ich verlier mich in einen sehr freudigen Gedanken. Ich dachte mir den Vater einer Familie, die er glücklich macht! Ich eilte zu einem Vater so vieler Familien fort, als zu einer ganzen Nation gehören, die er glücklich macht! Nun wurde die Erde klein, und das ganze menschliche Geschlecht zu Einer Familie. Zu dieser Einen, vielleicht sehr kleinen Familie, dachte ich mir die unzählbaren andern Familien in der großen Stadt oder vielmehr in dem großen Reiche Gottes, und den Vater nicht allein aller dieser Familien, sondern auch ihrer Väter, Gott, der sie alle glückseelig macht; – – aristus. Wie groß muß die menschliche Seele seyn, daß sie sich solche Entzückungen, zwar nur dunkel, aber doch vorstellen kann. philobulus. Ach, meine Freunde, die andern unzählbaren Familien! und die kleine hier, die in einer Strohhütte wohnt. – – Überdieß haben die meisten die arme Hütte verlassen, und schlafen in der Erde. mesus. Gleichwohl ist in dieser Strohhütte der König der Könige einmal eingekehrt. Nur der Leib ihrer vorigen Einwohner schläft in der Erde; sie selbst sind zu den andern großen Familien hingegangen. aristus. Wenn einst alle Unterthanen in dem großen Reiche Gottes einander kennen, und Alle an aller Glückseeligkeit Antheil nehmen werden, wie werden wir dann unsre Strohhütte vergessen, oder vielmehr mit welcher Freude werden wir uns erinnern, daß sie der Vorhof zu denen Hütten der Wonne gewesen ist, in welche wir dann eingegangen seyn werden. mesus. Und welche Glückseeligkeit werden die guten Könige in den Hütten der Wonne geniessen!

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philobulus. Die Vorstellung von einem guten Könige ist einer von den größten Gedanken der Menschlichkeit und der Freude, die man haben kann. Der Vater von so vielen Kindern, die er glücklich macht! – – Zu den Eigenschaften eines guten Königes gehört auch die Strenge mit welcher er sich selbst beurtheilt. Ich zweifle daher, ob er seine Glückseeligkeit auch genug geniessen könne. aristus. Wenn er weis, daß er geliebt wird, so kann er seine Glückseeligkeit geniessen. mesus. Aber wie kann er dieß so recht genau wissen? Wird ihn der Höfling davon überzeugen? aristus. So werden ihn die Freudenthränen der Witwen und Waisen und derer davon überzeugen, die diese Witwen und Waisen kennen. mesus. Ja, wenn ein guter König so glücklich wäre, alle Folgen seiner Handlungen zu sehen. aristus. Das wäre aber auch zu viel Glückseeligkeit für einen Menschen. mesus. Du hast Recht. So wie es zu viel Elend für einen ungerechten Blutvergiesser wäre; wenn er jede Stimme des von ihm vergoßnen Blutes hörte. aristus. Aber dieser wird sie einst hören, wenn er nicht umkehrt: und jener wird die Zahl der Freudenthränen wissen, wenn er beständig bleibt. mesus. Sie erschrecken, und entzücken mich, Aristus. philobulus. Meine Freunde – – – glauben Sie, meine Freunde, daß Sie den König so sehr lieben, als ich? mesus. Zu kühner Jüngling, welche Frage! philobulus. Zu kühn, oder nicht. Mein ganzes Herz wallt mir, wenn ich an Ihn denke. aristus. Und weist du denn, mit welchen Empfindungen wir an Ihn denken? Ja, dießmal warst du zu kühn, Philobulus. philobulus. Sie mögen mir sagen, was Sie wollen. Ich kann es nicht leiden, wenn Sie oder irgend ein andrer glaubt, daß er den König mehr als ich liebe. mesus. Auch der edle Stolz, wenn er so lebhaft ist, muß gedemüthigt werden. Beantworte mir nur zwo Fragen. Bist du der tugendhafteste unter uns? Und würdest du fortfahren, den König eben so sehr zu lieben, wenn du nicht hoftest, daß Er dich einst kennen würde? Mich deucht diese Fragen machen dich ein wenig tiefsinnig.

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philobulus. Also kann nur der Tugendhafte den König am meisten lieben? mesus. Ja, wenn er seine Liebe, durch das, wodurch sie am besten gezeigt wird, durch Thaten nämlich, zeigen will. Was sagst du zu der andern Frage? philobulus. Daß mir die Hofnung, einst von Ihm gekannt zu werden, zwar sehr angenehm ist; daß ich Ihn aber gleichwohl, wenn Er mich auch nicht kennen sollte, eben so sehr lieben werde. mesus. Nun will ich dirs verzeihen, daß du erst so kühn warst. philobulus. Aber ich werde mir es nicht eher verzeihen, als bis jene neue Ursache, tugendhaft zu seyn, recht merkliche Wirkungen bey mir hervor gebracht haben wird.

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Die einfachen Vergnügungen des Landlebens kommen nun mit dem Frühlinge zurück. Die gelindere Luft, der heitere Himmel, die Felder, welche uns künftige Erndten zu versprechen anfangen, die frohen Gesichter derjenigen, welche dieß alles zu geniessen wissen, vereinigen sich, um uns den lärmenden Winterfreuden zu entziehen, und uns denjenigen Freuden wieder zugeben, welche der Antheil des gesunden und oft unschuldigern Landmannes sind. Wie auch einige Städter die Stirnen dabey runzeln mögen, so kann ich mich doch nicht enthalten, etwas von einem Besuche zu erzählen, den ich den schönen Frühlingstag, den wir zuletzt hatten, mit einem meiner Freunde auf dem Lande abgelegt habe. Wir hatten schon verschiednes von einem gewissen Bauer gehört, der nicht weit von der Stadt wohnt, und wir machten uns keine kleine Freude daraus, ihn aufzusuchen. Weil der Mann unter andern Eigenschaften auch die hat, daß er Bücher liest, und es leicht kommen könnte, daß ihm dieses Blatt in die Hände fiele, und er aus demselben herausstudirte, wovon die Rede wäre; so wollen wir ihn, seiner Bescheidenheit zu schonen, nicht nennen. Wir fanden ihn in seinem Hause nicht, unterdeß hielten wir uns doch einige Zeit in demselben auf, um von seiner Frau zu erfahren, in welcher Gegend des Feldes er wäre. Wir trafen sie in einer Stube an, die reinlich und so meublirt war, daß vielerley Sachen in einer gewissen Ordnung bey einander Raum hatten. Dieß war schon Ein gutes Vorurtheil, das wir für ihn bekamen! Nachdem seine Frau, ein Weib von einem ofnen heitern Gesicht, und um die zwey rothe, runde Kinder, ihre jüngsten, waren, uns bedeutet hatte, wo wir ihren Mann antreffen würden, so gingen wir aufs Feld, ihn aufzusuchen. Ich kann gar nicht begreifen, wie man sich so viele Mühe geben kann, einen Bauer kennen zu lernen. Gedulden sich Ew. Gnaden nur ein wenig. So viel können wir unterdeß Denenselben vorläufig sagen, daß, wenn Sie viele solche Bauern auf Ihren Gütern hätten und diese Bauern Eigenthümer einiger derer Äcker wären, die sie bearbeiten; So würden Ew. Gnaden Ihre Töchter noch reicher ausstatten, oder wenn Sie hierzu keine Neigung haben, noch mehr – – – am Spieltische verlieren können. Wir hatten uns vorgestellt, daß der Bauer von dessen Einsichten und

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nützlichen Arbeitsamkeit wir so viel Gutes gehört hatten, schon ein Mann bey Jahren wäre. Allein wir fanden einen jungen Mann von ein und dreyßig Jahren. Denen, die vielleicht darüber erschrocken sind, daß er auch Bücher liest (das kleine Buch: von der Liebe zum Vaterlande hat ihm besonders gefallen) denen muß ich sagen, daß er viel gesunder und stärker ist, als die seeländischen Bauern gewöhnlich sind, daß er breite Schultern und Hände hat, denen man die Beschäftigung mit der Pflugschaar ansieht. Er schien zwar anfangs ein wenig verwundert über unsern Besuch zu seyn; allein er faßte sich bald, weil es ihm vorkommen mochte, daß er ihn verdiente. Fast das erste, was er sagte, war, uns seine Liebe zum Könige und seine Freude über desselben Regierung zu bezeugen. Hierauf sagte er verschiednes zum Lobe der Bauern seines Dorfs, ob man gleich weis, daß diese allerhand wunderliche Urtheile von ihm gefällt haben. Er begleitete uns zu dem Prediger, einem Manne, der mit einer gewissenhaften Amtsführung viel Kenntniß und Ausübung der Landökonomie verbindet. Dieser versicherte uns, daß es ein Theil seiner Glückseligkeit wäre, sich mit diesem Bauer alle Sonntage einige Zeit zu unterhalten. Der Bauer hat seinen Hof seit Zehn Jahren. Da er viel mehr Theorie des Landbaus hat, als ihm sein Vater und seines Vaters Nachbarn hinterlassen haben; so bereitet er seinen Acker so gut zu, daß er vor den andern einen sehr merklich verschiednen Nutzen davon hat, oder vielmehr, daß er der einzige im Dorfe ist, der etwas besitzt. Er pflügte im Anfange so sorgfältig und so tief, daß die Pferde dadurch litten, weil sie nicht daran gewöhnt waren. Seine Nachbaren triumphirten darüber, daß er seine Pferde verdorben hätte. Sie waren auch von der Meinung, daß er Gott versuchte. Hierauf, da es gut ging, behaupteten sie, daß er den Kobold hätte. Ich sagte ihm, daß er den Kobold in den Händen habe, und er dankte mir mit einem vergnügten Lächeln. Ich weis gewiß, daß einige Besitzer von Landgütern schon mehr als einmal bey meiner Erzählung gejähnt haben; unterdeß kann ich doch nicht unterlassen noch hinzuzusetzen, daß mich der gute Bauer so sehr für sich einnahm, daß ich mehr als einmal und sehr lebhaft den Wunsch bey mir that, daß er und sein Kobold frey seyn möchten. Es soll auch gar nicht der letzte Besuch seyn, den ich bey diesem meinem neuen guten Freunde abgelegt haben will. Ich werde ihm nicht wenig Fragen thun. Die vornehmste davon soll seyn: Was er mit einem Stücke Landes, das sein Eigenthum wäre, alles anfangen wollte?

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Die Schönheit des Tags und meine neue Bekanntschaft machten mich so vergnügt, daß ich mich gewissen frohen Ahndungen, die ich schon oft gehabt habe, von neuem ganz überließ. Ich wiederholte nämlich die Vorstellungen, daß ich es wohl noch erleben könnte, daß eine so grosse Anzahl von Unterthanen des Königs, als die Bauren sind, durch eine gewisse Veränderung ihrer Umstände, glücklicher werden, und diejenigen, welche sie beherschen, glücklicher machen würden.

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qEine Beurtheilung der Winkelmannischen Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in den schönen Künsten.p Winkelmann ist den Liebhabern der schönen Künste zu bekannt, als daß ich etwas zu seinem Lobe zu sagen nöthig hätte. Unterdeß wird es nicht überflüßig seyn, einige noch mehr in den Stand zu setzen, ihn richtig zu beurtheilen. Ausser diesem Zwecke habe ich noch den, ihm durch Kritiken meinen Beyfall zu bezeigen. Ich weis sehr wohl, daß, um dieser Art des Beyfalls einen rechten Werth zu geben, die Kritiken noch strenger seyn müssen, als ich sie machen kann; unterdeß werden die meinigen diesem großen Kenner doch zeigen, wie sehr mich seine Werke interessirt haben. Der Titel von seiner ersten Schrift ist dieser: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst. „Der einzige Weg für uns unnachahmlich zu werden ist die Nachahmung der Alten.“ Ich würde diese Einschränkung hinzusetzen: In denen Arten der Schönheiten, die sie erschöpft haben. Denn welches Genie würde nicht erschrecken müssen, wenn es sich nicht erlauben dürfte, an der Allgemeinheit jenes Satzes zu zweifeln. Haben zum Exempel die Griechen die Vorstellungen ausdrücken können, die wir uns von Engeln machen müssen? Aber wie vortrefflich haben sie nicht oft die Götter vorgestellt. Sollten wir nicht die Engel so machen? Gewiß nicht völlig so. Wir sollten jene Vorstellungen der Götter übertreffen. Bisher zwar sind wir von diesem Übertreffen sehr weit entfernt gewesen. Wir malen Kinderchen, Frauenzimmer, und wenn wir uns recht hoch schwingen, schöne Jünglinge, geben diesen Figuren Flügel, und bilden uns ein, Engel vorgestellt zu haben. So gar Raphaels Michael ist ein Jüngling; und er sollte doch wenigstens ein Jupiter seyn, der eben gedonnert hat. Wenn nun Raphael vollends einen Todesengel hätte machen sollen; z. E. einen, durch dessen blossen Anblick der erstgebohrne Sohn Pharaos niedersinkt. Michael Angelo also, wird man sagen. Nein der auch nicht. Denn er übertrieb zu oft. Der Contour des wahren Großen ist sehr fein. Wenn die Hand nur ein klein wenig ruckt; so kann es übertrieben werden. Wer also? Vielleicht ein noch ungebohrner Künstler, dem es aufbehalten ist, die heilige Geschichte würdig vorzustellen,

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nämlich die meisten schon oft wiederholten, neu, und dann viele sehr erhabne, die noch niemals gemacht worden sind. Wie würde ich mich freuen, wenn er schon lebte, und dieses läse. Er ist es, der noch viel was anders sagen würde, als die Griechen haben sagen können. Gott vorzustellen, würde er sich niemals unterfangen, niemals! Aber den Versöhner der Menschen einigermassen würdig abzubilden, würde er alle Kräfte seines Genies anstrengen, und sich den großen Empfindungen, welche die Religion giebt, ganz überlassen. „Die Kenner und Nachahmer der griechischen Werke finden an ihren Meisterstücken nicht allein die schönste Natur; sondern noch mehr als Natur – –“ Wenn es noch Natur ist, verschiedne zerstreute Schönheiten mit Urtheile in Einem Bilde zu vereinigen; so sehe ich nicht recht ein, was diese idealische Schönheit, dieses noch mehr als Natur seyn soll. Doch vielleicht könnte man einen höhern Grad desjenigen Vortrefflichen, das wir gesehen haben, so nennen. Auf diesen Stufen über der schönsten Natur würde ein Künstler auf und niedersteigen, der es unternähme Engel zu bilden. „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist eine edle Einfalt, und eine stille Größe so wohl in der Stellung als im Ausdrucke.“ „Alle Handlungen und Stellungen der griechischen Figuren, die mit diesem Charakter der Weisheit nicht bezeichnet sondern gar zu feurig und wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten Künstler Parenthyrsos nannten.“ Es kömmt bey den Künsten überhaupt sehr darauf an, daß die Meister in denselben die feine Linie des Schönen finden. Unterdeß ist der Parenthyrsos meistentheils viel eher zu entdecken, als wenn die stille Größe ein wenig zu ruhig ist. Raphaels Christus am Ölberge hat mich zu dieser Anmerkung veranlaßt. Er hat nichts von dem, was die Schrift so stark ausdrückt, indem sie sagt: Und es kam, daß er mit dem Tode rang, und heftiger betete. „Die Geschichte der Heiligen sind seit einigen Jahrhunderten der ewige und fast einzige Gegenstand der neuern Maler. – – Hierauf wird vorgeschlagen, mehr allegorisch zu malen, als bisher geschehen ist.“ Die beyden Hauptfehler der meisten allegorischen Gemälde sind, daß sie oft gar nicht oder doch sehr mühsam verstanden werden, und daß sie, ihrer Natur nach uninteressant sind. Man male eine fast gleichgültige Scene aus der Geschichte, und man zeige eine auserlesene Ver-

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sammlung von den abstrakten Ideen, die wir allegorische Personen zu nennen pflegen; die erste wird dennoch mehr gefallen. Ich bin sehr damit zufrieden, daß man endlich aufhöre, die Mythologie zu malen, man hätte schon lange aufhören können; aber die wahre heilige und weltliche Geschichte sey dasjenige, womit sich die größten Meister am liebsten beschäftigen. Welch ein weites Feld! und wie interessant kann man hier besonders alsdann seyn, wenn die rechten Momente gewählt werden. Man kann so gar das Wiederhohlte wiederhohlen, und dennoch neu seyn. Zuerst will ich (so müßte der junge Künstler, der sich fühlt, zu sich selbst sagen) zuerst will ich für die Religion arbeiten! Hierauf soll die Geschichte meines Vaterlandes mein Werk seyn, damit auch ich etwas dazu beytrage, meine Mitbürger an die Thaten unsrer Vorfahren zu erinnern, und denjenigen Patriotismus unter uns wieder aufzuwecken, der sie beseelte! Hierauf – – doch weder mein Leben, noch vieler andrer, reicht zu, jene Unternehmungen bis zu einer gewissen Vollständigkeit auszuführen. Die heilige Geschichte also, und die Geschichte meines Vaterlandes – – Die andern mögen die Geschichte ihres Vaterlandes arbeiten. Was geht mich, wie interessant sie auch ist, so gar die Geschichte der Griechen und Römer an? – – Aber wenn nur die Kupferstecher ihre unermüdete Gütigkeit behalten, und unsre Copisten bleiben! denn nur durch ihre Hülfe können unsre Arbeiten einen ausgebreiteten Nutzen haben. Ein verschloßnes Manuscript, und ein gedrucktes Buch sind zwey sehr verschiedne Sachen. Wenn sie nur nicht aufwachen, und sich erinnern, daß es ihnen niemand wehrt, so wohl wie wir, Erfinder, Zeichner und Alles zu werden. – – Wie kann man gewiß seyn, daß sie niemals aufwachen werden? Und wenn sie erst einmal recht aufgewacht sind, so schlafen sie gewiß nicht wieder ein. Da führen wir dann unser unbemerktes Leben in dem Exilio irgend eines Cabinets oder einer Galerie! Und dann kömmt noch überdieß die grausame Zeit, und wischt uns unsre geliebte Farbe weg. – – – Wenn ich der Sache recht nachdenke, so sehe ich nicht ein, warum ich denn nothwendig ein Maler werden muß? – – – Die Colorit – – haben nicht die großen Kupferstecher etwas, das der Colorit sehr nahe kömmt? Aber die Maler werden mehr geehrt. Vielleicht nicht von allen Kennern. Und wird man denn in diesem Vorurtheile bleiben, wenn die Kupferstecher aufhören, nichts als Copisten zu seyn? – – Mein Entschluß ist gefaßt. Es sey denn! Weniger Ehre; aber mehr Nut-

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zen! Vielleicht würde selbst Apelles so gedacht haben, wenn diese Kunst, deren vervielfältigte Werke so gar länger als der Marmor aufbehalten werden, zu seinen Zeiten erfunden gewesen wäre. Und vielleicht auch nicht weniger Ehre. Begeistre du mich nur, Genie der Erfindung und der Zeichnung, und leite meine Hand, daß ihr die Linie der Schönheit glücke; so – – ist dieß nicht zu kühn gedacht? nein, nicht zu kühn, wenn ich es ausführe! so soll es noch Gemälde geben, die Copien von Kupferstichen sind. – – – „Parrhasius hat so gar den Charakter eines ganzen Volkes ausdrükken können. Er malte die Athenienser, wie sie gütig und zugleich grausam; leichtsinnig und zugleich hartnäckig; brav und zugleich feige waren. Diese Vorstellung ist allein durch den Weg der Allegorie möglich.“ Ausser daß sie undeutlich und uninteressant hat seyn müssen, so hat sie auch, um die angezeigte Absicht zu erreichen, nicht anders als sehr gezwungen seyn können. Es ist wahr, „daß Rubens der Vorzüglichste unter den großen Malern ist, der sich auf den unbetretnen Weg der allegorischen Malerey gewagt hat,“ allein was wir an Rubens am meisten bewundern ist gewiß die Vermischung allegorischer Personen mit historischen nicht. Er kann uns hier eben so wenig gefallen, als uns Milton gefallen kann, wenn er die Sünde und den Tod mit den wirklichen Personen den Engeln und den Menschen zugleich handeln läßt. Solche Zusammensetzungen sind sehr gute Exempel zu der bekannten Stelle aus dem Horaz Delphinum silvis appingunt. „Der Künstler hat ein Werk nöthig, welches aus der ganzen Mythologie, aus den besten Dichtern alter und neuer Zeiten, aus der geheimen Weltweisheit vieler Völker, aus den Denkmalen des Alterthums auf Steinen, Münzen und Geräthen, diejenigen sinnlichen Figuren und Bilder enthält, wodurch allgemeine Begriffe dichterisch gebildet werden.“ Die Mythologie gehört hier nicht her. Wenn wir den Homer lesen, so sehen wir seine Götter als Personen an, die von den Heiden für wirklich sind gehalten worden. Sie sind also, in so fern wir uns an die Stelle der Griechen setzen, welches wir bey der Lesung des Homer thun müssen, historische Personen für uns. Sie werden freylich nicht völlig historische Personen für uns, weil wir sie nicht glauben; unterdeß sind sie doch von ganzen Nationen geglaubt worden, und dieß ist zu einem gewissen Grade von Antheil, den wir an ihren Thaten nehmen, zureichend. Nicht allein der Umstand, daß sie von ganzen Nationen als

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wirklich geglaubt worden sind, hindert, daß wir sie nicht als allegorische Personen denken mögen; sondern sie würden auch meistentheils sehr gezwungne und unvollständige Bilder von allgemeinen Begriffen seyn. Nun stelle man sich ein Gemälde vor, auf dem wirkliche Personen, allegorische, und mythologische wären. Z. E. Leonidas werde vom Mars nach Thermopylä geführt. Die Freyheit streue Blumen vor ihm her; und die Unsterblichkeit winke ihm von der Spitze der thermopylischen Gebirge entgegen. Erst Leonidas! Ein sehr ernsthafter und wahrer Gedanke, der unsre ganze Seele interessirt. Ein großer Mann, der wirklich einmal gelebt hat, und sich nicht etwa nur der Gefahr für sein Vaterland zu sterben ausgesetzt hat; sondern der einem gewissen Tode für dasselbe entgegen gegangen ist. Und nun Mars. Was soll Mars bey ihm? Wir bemühen uns vergebens, ihn in der Gesellschaft des Leonidas gern zu sehen. Er ist ein bloßes Phantom für uns, ob wir gleich wissen, daß ihn die Griechen für einen Gott gehalten haben. Soll er den Krieg bedeuten? Wie viel verderbt uns diese in Panzer gekleidete abstrakte Idee. Eben so ist es mit der Freyheit und der Unsterblichkeit. Sie sind etwas Fremdes, etwas Fabelhaftes, das wir bey dem wirklichen Leonidas nicht haben mögen. Er steige mit dem Ernste und der Ruhe, mit der er sich für sein Vaterland aufopfert, das jähe Gebirge hinauf. Einige junge Spartaner begleiten ihn voll Ehrfurcht und zurückgehaltnen Ungestüm; einige erwarten ihn oben, und schmücken sich zum Gefechte; oder werfen ihm Lorbeerkränze entgegen, die sie in das Blut eines noch rauchenden Opferthiers getaucht haben. Ich bin unterdeß nicht so sehr gegen die Allegorie, daß ich nicht zugestände, „daß der Geschmack in unsern heutigen Verzierungen in der Baukunst durch ein gründliches Studium der Allegorie gereinigt werden, und Wahrheit und Verstand erhalten könnte.“ Nicht allein hierzu sondern auch zu Vignetten, und Medaillen sind simple und deutliche Allegorien sehr brauchbar. Allein zur Verschönerung des Vortrefflichsten, was die Künste hervorbringen können, der historischen Werke, müssen sie nichts beytragen wollen.

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Man urtheilt von den schönen Künsten nicht richtig genug, wenn man allein bey dem Vergnügen stehen bleibt, das sie uns machen. Und gleichwohl giebt es unter den feinsten Kennern derselben nicht wenige, welche sie bloß von dieser Seite ansehn. Dieses Vorurtheil kann junge Leute, welche bey der Wahl ihrer künftigen Lebensart nicht ihrem Genie allein folgen, sondern auch aus moralischen Gründen handeln wollen, von dem Vorsatze, durch eine der schönen Künste groß zu werden, abschrecken. Es kann überdieß auch den Einfluß haben, daß die Bemühungen derer, welche die schönen Künste zu kennen und zu befördern suchen, für geringschätzig gehalten werden. Ich will jetzt nicht von der Musik, sondern nur von denen Künsten reden, die fürs Auge arbeiten. Welche Eindrücke kann der Zeichner und derjenige, der den Entwürfen desselben im Marmor, oder durch Farben, oder auf der Kupferplatte folgt, welche Eindrücke können sie auf unser Herz machen, wenn sie, (um dieses Nutzens der Künste vornämlich zu erwähnen) die heilige Geschichte würdig vorstellen. Dieß ist eine Erfahrung welche selbst diejenigen oft gehabt haben, welche, wie sehr sie auch vom Geschmacke verlassen sind, dennoch nicht haben hindern können, daß sie nicht von irgend einem ausserordentlich starken Werke eines Meisters wären hingerissen worden. Wer kann z. E. einem Rembrandt widerstehen, wenn in einer seiner Arbeiten, der Erlöser in einem weiten und hohen Totengewölbe mit der Stille und der Majestät der Allmacht steht, und weit unter seinen Füssen der erwachte Lazarus seine Arme (nur diese sieht man) aus einem tiefen Grabe nach seinem großen Helfer emporstreckt. Wenn die würdige Vorstellung der heiligen Geschichte solche Wirkungen in unsrer Seele hinterlassen, und daher so grosse Einflüsse auf unsre Handlungen haben kann; so kann man nicht sorgfältig, ich möchte sagen, nicht kritisch genug seyn, dieser Würdigkeit, diesem Edlen diesem Erhabnen einer solchen Vorstellung nichts zu vergeben. Dieß ist die Ursach, warum ich einige biblische Werke berühmter, und auch in ihren Fehlern nachgeahmter Künstler, in Absicht auf ihre Entwürfe untersuchen will. Wenn die Liebhaber mythologischer Arbeiten auch diese beurtheilt sehen möchten; so muß ich ihnen mein Bekenntniß ablegen, daß ich diese Arbeiten für uninteressant, und durch die öftere Wiederhoh-

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lung noch gleichgültiger halte. Selbst wenn sie von der Hand eines Meisters ausgeführt worden sind, was können wir dabey denken? Sind sie allegorisch? oder historisch? Sie sind weder das eine noch das andre. So bald wir sie uns als allegorisch vorstellen wollen; so erinnern wir uns gleich, daß es Völker gegeben hat, die diese Personen als wirkliche gedacht haben; dazu kömmt noch, daß sie verschiedne Eigenschaften haben, die keiner allegorischen Bedeutung fähig sind. Wollen wir sie uns als historisch denken; so muß uns gleich einfallen, daß sie Phantomen des Aberglaubens waren. Wir haben also sehr unbestimmte Vorstellungen davon. Und kann man sich für ein unbestimmtes Object interessiren? Gleichwohl hangen die Künstler noch immer an der Mythologie. Die vornehmste und fast einzige Ursach hiervon ist ihre Neigung Nacktheiten zu mahlen. Wenn sie nicht fürchteten, durch gewisse Nacktheiten, verführende Eindrücke zu machen; so sollten sie sich doch wenigstens schämen, daß sie nichts Neues sagen, und Wiederhohlungen welche die Griechen schon angefangen, und die Römer und die Neuern so lange fortgesetzt haben, noch itzt zu wiederhohlen. Ich kanns nicht genug ausdrücken, wie unbeschreiblich kalt mich diese Vorstellungen lassen. Wenn sie von einer Meisterhand ausgeführt worden sind; so sehe ich zwar einen schönen Leib; aber ich wollte auch eine Seele drinn haben. Ich komme zu den biblischen Werken zurück. Sie sollten das Genie und die Hand selbst desjenigen Meisters, der das Unglück hätte, ohne Religion zu seyn, vornämlich beschäftigen, weil sie so sehr interessant sind. Welch ein weites Feld, das aber noch größtentheils ungebaut ist. Wenn man die Stücke abrechnet, die bloße Wiederhohlungen sind, wie viele rührende Situationen und Zeitpunkte sind noch unausgearbeitet. Vielleicht wage ichs in einem der folgenden Blätter einige neue Entwürfe zu geben. Dieses und noch ein künftiges (S. 156, Z. 176–255; S. 159, Z. 3–96) hab ich zu einer kurzen Beurtheilung einiger bekannter Werke bestimmt. In einem Gemälde, das die Familie Jesu vorstellt, beschäftigt Raphael die Elisabeth zu sehr damit, daß sie ihrem Sohne die Arme hält, damit er die Hände gegen das Kind Jesus falte. Sie könnte dieß thun; es müßte aber nicht ihr Hauptgeschäft, sondern in ihrem Gesichte mehr Aufmerksamkeit auf das Kind und die Mutter seyn. Joseph stützt sich auf den Arm. Dieß so wohl, als seine Mine zeigen ihn zu ruhig. Er sollte mehr Antheil nehmen. Das Kind Jesus selbst hat nicht Edles

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genug im Gesichte. Sonst ist dieses eins von Raphaels schönsten Werken. In einer Maria von eben demselben ist die Stellung und die Mine Johannes, der das Kind anbetet, vortrefflich. Auch das Kind Jesus hat mehr Edles als in dem vorigen, und eine sehr reizende Ruhe. Nur hätte dieser große Maler seinen Namen nicht auf dem Saume der Maria anbringen sollen. Wenn man erlauben will, daß eine Person eines Gemäldes demjenigen, der es ansieht, etwas zeigt, so hätte, wie mir es vorkömmt, ein junger Johannes in der Wüste von Raphael gar keinen Fehler. Es ist ein Meisterstück von Simplicität und ungeschmückter Schönheit, so wohl in Absicht auf die Person, als auf die Gegend. Johannes weist auf ein Kreuz, das er vor sich hat. Ein Engel Michael von eben diesem großen Maler, der auf einen überwundnen Drachen trit, ist zwar sehr schön; allein die Nebenfiguren, die ihn umgeben, gehören fast alle zu einem Sabbathtanze und haben etwas komisches. Auch sollte die Hauptperson keinen Zorn sondern die Ruhe im Gesicht haben, die in einem andern Engel Michael, der auch von Raphael ist, einen so vortrefflichen Effect macht. Ein Evangelist Johannes von ihm, der auf einem Adler in den Wolken schwebt, und viel Andacht und Heiterkeit hat, sollte kein Dintefaß in der Hand halten, und mit keiner Feder auf eine dicke Tafel schreiben. Noch ein junger Johannes in der Wüste von ihm ist fast vortrefflicher als der vorige. Oben an dem Kreuze, auf welches er auch hier zeigt, ist Feuer, das der Wind bewegt, und in seinem Gesichte eine gemilderte Unruh, die sehr für das Stück interessirt. Jesus in Gethsemane von Raphael. Fürs erste ist die gewöhnliche falsche Vorstellung darinn, daß der Engel einen Kelch hält. Der Engel kam, Jesum zu stärken. Der metaphorische Ausdruck vom Kelche, den Jesus in seinem Gebete braucht, würde auch alsdann hier nicht her gehören, wenn es auch erlaubt wäre, Metaphern zu malen. Fürs andre ist in der Stellung und der Mine des Versöhners nichts, gar nichts von dem, was die Schrift mit den Worten zu beschreiben anfängt: Und es kam, daß Er mit dem Tode rang. Niemals ist ein großer Maler so weit unter seinem Süjet gewesen, als hier Raphael. Wenn es bey irgend einem Süjet erlaubt ist, unter demselben zu seyn, so ist es bey diesem; aber so weit darunter zu seyn, das war keinem Raphael erlaubt.

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Ein Gesicht des Ezechiel von ihm. Die Hauptperson ist edel. Aber die beyden kleinen Engel, die unter Hesekiels Armen schweben! Die Begriffe, die wir uns nach der Schrift von den Engeln machen müssen; und dann sie als Kinder vorzustellen, welcher Contrast! Ich kann diese Vorstellungen auch besonders deswegen nicht aushalten, weil sie so viel Ähnliches mit den Genien haben, mit welchen die meisten unsrer neuesten Künstler so verschwenderisch sind. Eine Maria mit dem Kinde Jesus von Raphael. Dieß ist das schönste Kind Jesus, das er gemahlt, weil er ihm einen gewissen reizenden Tiefsinn gegeben hat. Eine Maria mit dem Kinde Jesus von Benvenuto Garafalo. Die Mutter kniet bey dem schlafenden Kinde, gegen ihr über kniet ein Engel, der eine Dornenkrone über das Kind hält. Dieser Gedanke ist neu und schön; aber dadurch zu weit getrieben, daß oben im Himmel eine Menge Engel die Instrumente der Leiden des Erlösers halten. Eine Maria von Andreas Lingi (recte: Luigi) von Assise. Engel bringen dem Kinde Jesus Weintrauben. Wenn es jemals erlaubt werden kann, Engel als Kinder vorzustellen; so ist es hier. Das Kind Jesus hat viel Edles; die Mutter aber was Gemeines. Zween Engel auf einem Baume spielen zu sehr. Überhaupt wäre es ein ganz andrer und würdigerer Gedanke gewesen, wenn das Kind Jesus von Engeln in einer Pracht und Hoheit, wie sie ihnen der Maler nur hätte geben können, angebetet worden wäre. Pfingsten von Gaudentio Ferrari. Wie kann ein Maler, der die Mutter Christi in so erhabner Andacht und mit so feyerlichen Ernste vorzustellen wuste, darauf verfallen auf eben dem Gemälde einem der Apostel eine Cardinalskleidung und Ringe zu geben? Eine Auferweckung Lazari von Hieronymus Mutien. Christus und die beyden Schwestern sind vortrefflich; aber Lazarus der, schon ohne Leichentücher, aufgehoben wird, ist zu erschrocken. Die Schlagung des Felsen von Romanelli. Moses steht so und hält sein Kleid auf eine Art zurück, als wenn er nicht besprützt werden wollte. Wie konnte Moses bey einer so großen Begebenheit hieran denken? Eine Anbetung der Hirten von Feti. Man kann nicht leicht etwas gezierteres sehen, als die Stellungen und Minen der Maria, die sich über das Kind Jesus beugt, und des Engels, der ein Tuch hält, auf welchem das Kind liegt. Kaum ist dieser Maler werth ein andres Stück, das der

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Schutzengel heißt, gemacht zu haben. Der Engel und der Knabe, den der Engel hält, und gen Himmel weist, sind beyde sehr edel. Der reiche Mann auch von Feti. Bey der Tafel ist eine Statüe einer Pomone, der ein junger Faun einen Fruchtkorb hält. Johannes, der in der Wüste predigt, von Mola. Unter den vielen ernsthaften Zuhörern steht ein Mohr an einem Baume in einer komischen Aufmerksamkeit. Bey Johannes weidet ein Lamm. Es ist wahr, daß es sehr schön weidet; aber dieß kann mich doch nicht mit dem falschen Gedanken aussöhnen, daß man eine Vergleichung mahlt, die in einer Rede gebraucht worden ist. Christus, der sein Kreuz trägt von Andreas Sacchi. Es ist wenigen geglückt, unserm Erlöser eine so erhabne Mine zu geben, und ihn auf eine so würdige Art leidend vorzustellen, als diesem Maler. Wenn dieses vortreffliche Stück dadurch nur nicht so viel verlöre, daß die Veronica das auf dem Tuche abgedruckte Gesicht Christi zeigte. Wenn diese Geschichte auch keine Legende wäre; so gehörte sie doch gar nicht hierher. Paul Veronese hat die Jünger von Emaus, wie sie Christum erkennen zweymal gemacht. Die Stücke sind in Betrachtung der Hauptpersonen vortrefflich. Allein es ist sonderbar, daß ein so großer Mann beydemal Kinder mit Hunden unter dem Tische spielen läßt, und dieß noch dazu das eine mal auf eine so komische Art, daß man in dieser Vergleichung, von der Werft (recte: Werff) sein völlig ausgemahltes Caninichen, da Adam und Eva die Stimme ihres Richters im Garten hören, gern verzeiht. Ich fahre fort, Anmerkungen über der Composition einiger Gemälde zu machen, welche Stücke aus der heiligen Geschichte vorstellen. Ich könnte viel umständlicher bey der Beurtheilung dieser Arbeiten seyn; aber ich würde alsdann, für diese Blätter (Der nordische Aufseher) zu weitläuftig werden: und es ist zu meinem Zwecke genug, nur diejenigen Fehler vornämlich zu bemerken, welche der Würde und der Hoheit der Materie nachtheilig sind. Die heilige Geschichte muß mit dem Tiefsinn, der Feyerlichkeit und dem Ernste der Religion selbst vorgetragen werden. Wo diese fehlen, da fehlt dem besten Zeichner und dem besten Ausbilder der kühnsten und glücklichsten Zeichnung sehr vieles. Wer hier nicht mehr fodert, als gewöhnlich geleistet worden ist, der weis nicht wozu er berechtigt ist, und der ehrt die Künstler zu wenig, indem er nicht genug von ihnen fodert.

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Ist z. E. derjenige (um etwas Allgemeines zu sagen) nicht viel zu gütig, der nicht eine ganz andre Vorstellung der Engel verlangt, als wir bisher gesehen haben? Die Vorstellung der Engel als Kinderchen, oder als Köpfe in den Wolken, sind zu weit unter der Kritik, als daß ich davon etwas sagen mag: aber was sind denn die grössern Vorstellungen dieser erhabnen Geister? Sind sie vielmehr, als Frauenzimmer mit Flügeln? Ich wenigstens kenne nur sehr wenige Ausnahmen. Waren denn die Griechen nur allein fähig in den Köpfen und in den Stellungen ihrer donnernden Jupiters alles, was erhaben ist zu vereinigen? Es ist eine der sonderbarsten Contraste, daß wir, die wir keinen Engel vorzustellen wissen; uns doch unterstehen, Gott den Vater zu malen. Es gehört zwar nicht eigentlich hieher zu bemerken, daß dieß auch der größte Künstler niemals unternehmen sollte; unterdeß kann ich doch nicht unterlassen zu sagen, daß es beynahe wider die Religion ist, dieß zu thun, und ausser dem unmöglich ist, dieser Vorstellung nicht völlig zu unterliegen. Die obige Anmerkung zu bestätigen, daß wir Frauenzimmer mit Flügeln, für Engel, malen, dient im hohen Grade ein Stück von Paul Veronese in einer Heirath der heiligen Catharine. Der Engel spielt auf der Laute. Man nehme ihm die Flügel und den Glanz auf dem Kopfe; so ist er eins von den jüngsten Frauenzimmern. Dominicus Zampieri hat einen Adam und Eva gemacht, die gerichtet werden. Adams Stellung und Mine hat etwas sehr Gemeines, indem er auf Eva weist, daß sie ihn verführt habe. Eben so etwas Gemeines haben alle drey Gesichter auf einem Gemälde von Raphael, das Maria, das Kind Jesum, und den jungen Johannes vorstellt. Lukas Congiagi hat Christum am Kreuze gemalt, der eben ausruft: (die Worte stehen darunter) Mein Gott, warum hast du mich verlassen? – – Es ist so vortrefflich gemacht, daß die Worte darunter nicht nöthig wären. Er sieht so gen Himmel, und ruft auf eine solche Art, daß es Niemand mit dem Übrigen, was der Erlöser sonst am Kreuze gesagt hat, verwechseln konnte. Mir gefällt die Simplicität der Erfindung auch nicht wenig, daß Christus ganz allein ist. Ein Johannes der Täufer von Mola mit den Worten darunter. Johannes sahe Jesum zu sich kommen, und sagte: Siehe das ist Gottes Lamm. – – Fürs erste ist Johannes viel zu ruhig, für diese Begebenheit; dann hat er etwas sehr Gemeines; und dann hat Christus, der in der

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Ferne kömmt nichts von dem, was wir bey der Abbildung desselben zu erwarten berechtigt sind. Eine Tochter Pharaons, die Moses findet von Poussin. Der Nil muste hier nicht als ein Flußgott vorgestellt werden. Das Stillschweigen von Carrache, ist eine von den glücklichsten Erfindungen, die man sehen kann. Das Kind Jesus schläft; Johannes berührt leise den Fuß desselben; die Mutter winket dem Johannes, daß er ihn nicht aufwecken solle. Jeder andre Maler, und vielleicht Raphael selbst, würde hier etwas Spielendes hineingebracht haben, beym Carrache ist alles lauter Ernst. Ein Stück von Valentin. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ Das Gesicht und die Stellung Jesu sind sehr simpel und sehr würdig. Die berühmte Verklärung Christi von Raphael ist, mich deucht, nicht ohne Fehler. Elias schwebt nicht mit dem Anstande, wie Moses. Ausser den drey Jüngern, die niedergefallen sind, kommen noch zwo andre Personen den Berg herauf, die nach der Schrift hier nicht seyn sollten. Über dieß enthält das Gemälde eine doppelte Geschichte. Unten am Berge wird der Beseßne gebracht. Die Jünger zu Emaus von Titian. Es ist schon sehr oft von diesem Stücke gesagt worden, daß der eine Jünger kein Mönch seyn, und sich die Katze und der Hund unterm Tische nicht beissen sollten. Ich merke noch an, daß wenn der sehr überfliessige Wirth ja hätte da seyn sollen; er eben nicht so vollkommen wirthsmässig hätte gekleidet seyn dürfen. Eine Steinigung Stephani von Carrache. Paulus der auf den Kleidern sitzt, ruft und streckt die Hände nach einem Steine aus. Nach der Schrift hatte er nur Gefallen an Stephanus Tode. Eben diese Geschichte wieder von Carrache. Ich sehe nicht, warum Paulus hier die Arme auseinander wirft, und mit Erschrecken ruft.

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qBeurtheilung einiger Gemälde aus der heiligen Geschichte.p Ich fahre fort noch einige Gemälde aus der heiligen Geschichte zu beurtheilen. Ich habe gesagt, der Maler sollte sich schlechterdings enthalten, Gott vorzustellen. Wenn diese Regel auch nicht allgemein wäre; so würde sie doch bey den Schöpfungstagen, wegen der vorzüglichen Schwierigkeit der Ausführung, wahr seyn. Wir wollen sehen, wie sehr Raphael dieser Schwierigkeit unterlegen hat. Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht! Hier schwebt Gott im dampfenden Feuer, als wenn er davor erschrocken wäre. Oder man kann es auch so erklären, als wenn er eben ausriefe: Es werde Licht! ich sage, ausriefe; denn die sehr heftige Bewegung des Schöpfers zeigt ein Ausrufen und ganz und gar nicht jene göttliche Ruhe an, die in den Worten liegt: Gott sprach: Es werde Licht! Es werde eine Feste – – – Hier scheint Gott über das, was er gemacht hat, zu erstaunen. Die übrigen Schöpfungstage enthalten zwar nichts, das den Eigenschaften Gottes so sehr als das angeführte widerspräche: sie sind aber doch weit unter der Würdigkeit, die wir von einer solchen Vorstellung, wenn sie ja Statt finden soll, erwarten. Gott sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, von der Erde vertilgen – – Hier stellt Bernhard Gott vor, der einem wollüstigen Gastmale zusieht. Welche kleine Idee in Vergleichung mit dem, was er hätte vorstellen sollen! Welche Scene hätte er malen können, wenn er nur an die Worte hätte denken wollen: Und es waren Tyrannen auf Erden! Raphael läßt Noah die Arche bauen, nämlich, er läßt ihn einigen Arbeitern etwas befehlen.Wie wenig kannte er den Reichthum seiner Materie! Muste er nicht eine große Anzahl Menschen in solchen Handlungen zeigen, die den Bau der Arche veranlaßten? Die Sündfluth von Raphael. Ein Mann rettet unter andern seine fast todte Frau. Dieß sind zwo vortreffliche Figuren. Aber gleich neben ihm rettet sich ein Alter, der, auf eine fast bürleske Art, mehr auf dem Halse des Pferdes, als auf dem Pferde sitzt. Noah, der nach seiner Rettung opfert, von Raphael. Hier fehlt sehr viel an der feyerlichen Andacht, die man erwarten konnte. Abraham wird von Gott eine zahlreiche Nachkommenschaft verheis-

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sen, von eben demselben. Gott erscheint in den Wolken, und Abraham kniet. Ich finde es unter einem so grossen Künstler, daß er sich hier hauptsächlich damit beschäftigt, den anbetenden Abraham in einer schwer zu zeichnenden Stellung zu machen. Die drey Engel, welche Abraham erscheinen, von Raphael. Hier ist alles in einer sehr würdigen Einfalt. Nur Sara, die sich inwendig an die Thüre lehnt, steht ein wenig zu nachlässig. Loths Töchter machen ihren Vater trunken, von Rembrandt. Dieß ist das einzige Stücke, wo ich die Töchter anständig gekleidet gefunden habe. Gewöhnlich sind sie halbnakt. Dieß ist nicht allein unanständig; sondern es steht auch ganz und gar nicht in der Schrift. Unterdeß hat Raphael in einem Stücke, das unser Preisler vor kurzem vortreflich gestochen hat, diesen Fehler ganz und gar nicht vermieden. Rembrandt hat einen andern begangen. Er zeigt uns Loth schon ganz betrunken. Isaak auf dem Altare, vom Coypel. Es ist eine vortreffliche Stellung, in der Abraham gen Himmel weist. Le Süeur stellt Pharaons Träume vor, als wenn sie mit einer Art von Rahmen umgeben wären. Mich deucht, er hätte sie in einer ofnen Gegend abbilden sollen. Dieser vortreffliche Maler hat unter andern ein Stück gemacht, worinn alles, was seine Kunst Ernsthaftes und Würdiges sagen kann, ausgedrückt ist. Es ist eine Herabnehmung vom Kreuze. Ich kenne keine Vorstellung der Mutter Christi, die dieser gliche; Sie kniet von ferne. Welcher Ernst, und welcher Schmerz! Und überdieß welche Bildung zu jenen wesentlicheren Schönheiten! Eine vollkommne griechische Figur! Es ist alles so schön, daß ich es gerne vergessen möchte, daß Joseph oder Nicodemus, der nämlich an der Linken Christi, zu wenig Antheil an der großen Begebenheit nimmt. Joseph, der dem Pharao die Träume erklärt, von Raphael. Die Träume sind wieder in Rahmen. Und hier sollten sie, wie mich deucht, gar nicht seyn, oder wenigstens sollte nur etwas davon, ganz in der Ferne, gezeigt werden. Jacob, der nun auch Benjamin schickt, von Tempeste. Wie viel hätte hier gesagt werden können; und wie wenig ist gesagt worden! Jacob ist hier gar nicht seiner Kinder beraubt. Nur Ein Bruder ist mit Benjamin beym Abschiede, die andern reisen schon fort. Wie viel anders würde dieses Stück geworden seyn, wenn Jacob mit viel mehr Betrübniß, als hier abgebildet worden ist, in der Versammlung aller seiner übrigen Söhne, von Benjamin Abschied nähme.

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„Ich bin Joseph! Lebt mein Vater noch?“ Niemals haben wenigere Worte mehr edle Leidenschaft ausgedrückt. Ein Maler, der die Empfindungen Josephs und seiner Brüder hierbey völlig ausdrückte, hätte genug gethan, seinen Namen unsterblich zu machen. Unter andern hat Hoet wenig davon erreicht. Boucher, der mythologische, und kleine angenehme Vorstellungen nach unsern Sitten, vortrefflich zeichnet, hat es auch unternommen, Jacobs Ankunft in Ägypten zu machen. Er hat sie nicht wenig enjolivirt. Es giebt eine ernsthafte Grazie der Gemälde. Die ist diejenige, welche in den Werken der Griechen, auch in denen, die am meisten tragisch sind, herrscht. Wenige Franzosen haben dieselbe. Aber graces haben viele. Diese schicken sich schon für viele ernsthafte Materien nicht, besonders nicht in dem Grade, in welchem sie die Franzosen gewöhnlich anbringen. Diejenigen, die diesen Styl am weitesten treiben, verderben die besten Materien durch Enjolivemens, wie man ihren Ausdruck angefangen hat zu nennen. Man hat mir gesagt, daß itzt in Paris Bouchardon der einzige sey, der Muth genug habe, sich auf keine Weise von diesem Geschmacke hinreissen zu lassen. Die Ausländer haben gar nicht Unrecht, in vielen Stücken den Franzosen nachzuahmen; aber sie müssen es nur mit Urtheil thun, und z. E. in dem Punkte, wovon wir reden, Bourchardon zum Muster wählen.

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Eine Stelle aus einer Schrift, die vielleicht bald unter folgendem Titel herauskommen wird: Klopstock vom deutschen Hexameter. Worin die Schicklichkeit unsrer Sprache zu diesem Sylbenmaasse gezeigt, und seine Regeln aus den Grundsäzen der Verskunst hergeleitet werden. Die Quantität der Alten wurde bloß durch das Ohr bestimmt; sie war mechanisch. Die unsrige gründet sich auf die Begriffe; (Empfindung und Leidenschaft werden hier nicht ausgeschlossen) Mechanisches, das aber von andrer Art ist, nimmt sie nur bey Bestimmung der Zweyzeitigkeit zu Hülfe, wohlverstanden, daß sie dieß nicht eher thut, als bis durch die Begriffe nichts mehr entschieden werden kann. Wenn z.B. dich ohne Leidenschaft ausgesprochen wird, so ist es, nach einer Kürze, mechanisch lang: wenn aber mit Leidenschaft, so ist es, ohne Rücksicht auf die vorhergehende Kürze, lang; und dieß ist es, in dem gesezten Falle, auch nach einer Länge, wo es sonst mechanisch kurz seyn würde. Daß wir auch ein Ohr haben, das genau bemerkt, und dem das Mechanische nicht gleichgültig ist, zeigen wir also genug bey Bestimmung der Zweyzeitigkeit durch die Stellung der Wörter und Sylben. Das Mechanische der griechischen Quantität war auch darin mangelhaft, daß es die Zweyzeitigkeit nicht bestimmen konnte. Man lernte ihre jedesmalige Geltung nur aus dem Verse kennen. Hier muste man sich also immer die Regel des Sylbenmaasses denken; und in Dithyramben oder Prosa hatte man gar nichts, womit man sich helfen konnte. Dionys, um wenigstens Ein Beyspiel anzuführen, ist in einer kurzen Stelle aus Demosthenen (von der Krone, gleich im Anfange von hosän bis agoona) dreymal zweifelhaft, wie er aussprechen solle. Je mehr Zweyzeitigkeit eine Sprache hat, desto unvollkommener ist sie von dieser Seite, und dieß besonders alsdann, wenn das Zweyzeitige durch nichts anders als den Vers bestimmbar ist. Denn diese Bestimmung ist keine wahre. Man spricht da nur lang oder kurz aus, weil es so seyn soll, und nicht, weil es so seyn muß. Wie viel Zweyzeitigkeit die griechische Sprache hatte, erhellt unter andern auch daraus, Daß die vorhergehende Kürze zweyzeitig war, wenn das folgende Wort durch zwey Mitlaute anfing; Und daß es verschiedne einsylbige Wörter waren, wie Longin, oder,

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wenn auch die Stelle vom Rande ins Buch gekommen ist, doch immer ein Grieche sagt. Überdieß kömmt es dabey weder auf des Einen noch des Andern Sagen an. Denn man findet in Homeren Beyspiele genug. In unsrer Stelle werden aus ihm die Wörter ta und pros in: ta peri kala rheedra, und pros oikon Päläos zu Beyspielen angeführt. Ich komme zur Hauptsache der Quantität, nämlich zu den unveränderlichen Längen und Kürzen. Man stelle sich einmal vor, in welchen Strömen des Beyfalls wir uns über die begriffmässige Quantität ergiessen würden, wenn sie der Alten ihre wäre; und mit welcher Geringschätzung wir die mechanische, wenn sie die unsrige wäre, beekeln würden! Ich wende mich zu den Unpartheyischen. Zu diesen rechne ich auch die, welche bey Begünstigung der Alten wenigstens nicht wider uns Parthey genommen haben. Die Länge entsteht durch Anhalten und durch Anstrengung der Stimme, die hierbey nothwendig muß erhoben werden. Wenn wir sagen, daß die Länge den Ton habe, so meynen wir die Erhebung der Stimme. Das Anhalten erfodert eine gewisse Zeit, aber daß die Stimme während dieser Zeit angestrengt oder erhoben wird, ist das Wesentlichste bey der Sache. Ist die Dauer des Wortes See wol viel grösser, als der Sylbe se in diese, oder des Wortes drung, als der Sylbe drung in Wandrung? Und bey Vergleichung des Worts See und der Sylbe drung kann vollends das Ohr nicht einmal entscheiden, ob jenes eine etwas grössere Dauer habe. Gleichwol ist selbst hier der Unterschied zwischen Länge und Kürze sehr hörbar. Man kann also, denk ich, daran nicht zweifeln, daß bey uns die Länge, zwar auch durch die Zeit, in der man sie ausspricht, aber noch mehr dadurch entstehe, daß man diese Zeit über die Stimme erhebt. (Bey den Griechen kam die Zeit mehr in Betrachtung, als ihr weniger erhobner Ton, den auch die Kürzen, aber gleichwol viele Längen nicht, hatten. Hiervon hernach.) Unserm Ohre ist bey Hörung der Länge nicht so wol daran gelegen, wie viel Zeit der Redende, sondern wie er seine Zeit zubringe. Wir hören den Ton gern, mit dem er die Länge ausspricht. Auch folgendes ist ein Beweis von dem, was ich behaupte: wenn man in der Leidenschaft so schnell spricht, daß die Buchstaben nur eben gehört werden, und darüber die Länge beynahe weniger Zeit als sonst die Kürze hat, so ist es der Ton, was als unterscheidend hervorschallt. Ich muß hier beyläufig anmerken, daß Einige unter uns, und beson-

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ders neuere Scholiasten, denen es die andern nachsprachen, so unrichtig von unsrer Quantität geurtheilt, daß sie sogar gemeynt haben, unsre Längen wären es deswegen, weil sie den Ton hätten. Aber der Ton macht ja die Länge nicht, sondern sie, die es aus andern Ursachen ist, hat den Ton. Die Griechen sezten den steigenden Accent auch auf kurze Sylben. Dieser Accent also und unser Ton sind etwas ganz verschiednes. Hierbey hab ich nicht nöthig zu untersuchen, wie z. B. die Aussprache die Länge thróo in dem Worte anthróopu, von den beyden andern unterschieden habe, die wahrscheinlich gar keinen Ton, wenigstens nicht den unsrigen, hatten. Noch mehr: die Längen mit dem sinkenden Accente hatten gewiß keinen Ton, z. B. oòn in pesoòn. Nur die mit dem doppelten Accente dürften vielleicht den unsrigen ähnlich gewesen seyn. Unser Ton hat drey Modifikazionen. Er ist entweder offen: lo in loben, oder abgebrochen: sann, oder auch gedehnt: Strom. In phôotes konnte phôo nicht wie Strom klingen. Vielleicht klang es wie lo in loben. Nur ôon in theôon und andre solche werden vermutlich wie bey uns Strom ausgesprochen. Überhaupt kann es aber selbst von dem doppelten Accente der Griechen nicht ausgemacht werden, ob er wie unser Ton geklungen habe; und man kann daher sogar die damit bezeichneten Längen, in Vergleichung mit den unsrigen, tonlos nennen. Ich thue es aber gleichwol nicht, um, so viel mir nur immer möglich ist, einzuräumen. Die griechische und die deutsche Länge sind also darin nicht wenig unterschieden, daß bey jener gewöhnlich nur das Anhalten oder die Zeit der Aussprache, bey dieser aber die Anstrengung oder Erhebung der Stimme, und zwar eine stärkere, beständig und mehr als die Zeit, in Betrachtung kömmt. Bey Aussprechung der deutschen Länge merkt das Ohr am meisten auf den Ton. Dieser schallt vornämlich mit dem Selbstlaute. Darüber werden die Mitlaute, mit denen der Sprechende forteilt, weil es ihm hauptsächlich auf jenen ankömmt, weniger gehört. (Ihr übles Zusammenstossen ist nicht die Sache der Quantität, sondern des Klanges.) Die Mitlaute sind ausgesprochen, eh man sichs versieht, und eben dieses Vorübereilens wegen zieht selbst ihre Vielheit die Aufmerksamkeit nicht sehr auf sich, und ist daher auch von geringerer Wirkung. Dieß ist so wahr, daß die Schnelligkeit der Aussprache mit der Zahl der Mit-

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laute sogar zunimmt. Ich sage hierdurch nicht, daß z. B. die sechs Mitlaute in sprichst (auch die Griechen hatten, nach Dionysen, Längen von so vielen Mitlauten) kürzere Zeit dauren, als die zwey in Sin, sondern nur, daß man mit jedem einzelnen des ersten Worts mehr als mit des lezten eile. Der offne Ton bestätigt das Gesagte am meisten. Denn die Mitlaute vor dem Selbstlaute werden noch schneller, als die nach ihm ausgesprochen. Und hier folgen keine. Der gleichwol angenehmere Ton der Dehnung läst den Selbstlaut auf den folgenden Mitlauten ausschallen, fast wie die Stimme über den nicht zu stark gespielten Instrumenten schwebt. Der abgebrochne Ton läst den Selbstlaut etwas kürzere Zeit als die beyden andern hören, und bricht zugleich schnell mit den folgenden Mitlauten ab. Da also dasjenige, was sich bey unsrer Länge am meisten ausnimmt, der vornemlich mit dem Selbstlaute beschäftigte Ton ist; so sieht man, daß sie ohne Grund für zu lang gehalten wird. Der Ton überhaupt ist bald stärker, bald schwächer. Bey dem lezten wird die Stimme etwas weniger erhoben, als bey ei in forteilen, bey strom in Waldstrom (strom ist hier nicht kürzer wie Wald; denn es hat die Dehnung. Es ist nur nicht so lang, als es in Stromfall ist) und bey win in Sturmwinde. Unsre Länge verliert also manchmal, selbst durch den Ton, etwas von der Grösse, die man ihr vorwirft. Ich behaupte gleichwol nicht, daß sie nicht eine gewisse Fülle habe. Wem auch diese zu groß ist, den muß ich wol noch durch folgendes einigermassen zufrieden stellen: Die Länge wird bey uns, wie bey den Griechen, in gewissen Füssen, etwas schneller als sonst ausgesprochen. Ich würde mich tiefer, als mir hier nöthig zu seyn scheint, einlassen müssen, wenn ich es, wie ich könnte, von noch mehrern Füssen, als die Griechen thun, behaupten wollte. Die, von denen es die Griechen sagen, sind nur der Daktyl und der Anapäst. Gleichwol geben sie der Sache einen weitern Umfang, als ich, weil sie diese Füsse als künstliche nehmen. Denn mir scheint es nur von Wortfüssen wahr zu seyn. Ich würde also mit meiner Behauptung doch nicht so weit reichen, wie sie. Denn sie bekommen durch die beyden künstlichen viel mehr Wortfüsse, als derer sind, die nach meiner Meynung die schnellere Länge auch haben.

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Die lange Sylbe des Daktyls, sagen die Griechen, ist kürzer als die vollkommen lange. Gewisse Anapäste (deren Beschaffenheit aber nicht bestimmt wird) haben eben die unvollkommne Länge und werden dann Zirkel genannt. Kata gahn ist ein solcher Anapäst. Der bekannte Vers Homers: Aüthis epeita pedonde külindeto laas anaithäs hat lauter unvollkommene Längen. Wer sich überzeugen will, daß es bey uns auch so ist, der darf nur z. B. donnerte und Donnerton aussprechen, und er wird hören, daß don in dem ersten Fusse kürzere Zeit, als in dem lezten währt. Jeder weis, wie rasch der Anapäst ist, und daß daher auch seine Länge schnell ausgesprochen wird. Den Unterschied, den die Griechen zwischen den Anapästen machen, kennen wir nicht. Ich merke noch an, daß nach Homers Verse don und lin (man glaubte sogar, daß die anfangenden d d der beyden folgenden Sylben verlängern hälfen,) don und lin auch mit unter den unvollkommenen Längen der Griechen sind. Man muß also entweder die Wirkung der genannten Füsse, als überstark, das sie doch nicht seyn kann, annehmen, oder zugestehen, daß sich überhaupt die griechischen Längen den unsrigen, denn sie und wir haben ihrer viele wie die angeführten, in Ansehung des Mechanischen (das aber bey uns nur Beschaffenheit ist) bis auf den Ton so ziemlich nähern. Denn wofern der Unterschied so groß wäre, als gewöhnlich geglaubt wird; so müste, in unserm Falle, nicht von der unvollkommenen Länge, sondern bloß von der aufhörenden Überlänge die Rede seyn. Es ist übrigens aus den bisher angeführten Ursachen so wahr, daß unsre Länge keinen zu grossen Umfang hat, daß es auch für den Vorleser deutscher Gedichte eine gute Regel ist: Die Länge etwas merklicher hören zu lassen, als er bey Vorlesung der meisten Prosa, oder im Gespräche zu thun pflegt. Noch ein Wort vom Sprachtone. Er hat an sich selbst eine gewisse Annehmlichkeit. Denn er besteht in einer kleinen angehenden Modulazion, die der leidenschaftliche Ton, auf seine Art, ausdehnt oder verstärkt. Wenn eine Länge, die den Sprachton nicht hat, mit Leidenschaft soll ausgesprochen werden; so muß der Redende einen Sprung thun. Hierdurch entsteht zu viel Abstechendes zwischen der ruhigen und leidenschaftlichen Deklamazion, der gewöhnliche Fall bey den Griechen. Unsre Längen haben den Sprachton allezeit. Wir gehen daher immer nur

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über. Man sieht, daß die Griechen nicht nur das Angenehme der kleinen Modulazion oft entbehren, sondern daß sie auch, weil sie bey dem Leidenschaftlichen einen Sprung thun müssen, von der Stimmentragung (denn auch die Deklamazion hat die ihrige) nicht wenig verlieren. Allein unsre Kürzen, sagt man, sind denn doch wol wenigstens nicht kurz genug. Wem denn nicht kurz genug? Dem Deutschen, dessen Ohr sich an seine Sprache, und nicht an die griechische gewöhnt hat? Aber es gibt ein Häufchen Gelehrte, von denen die wenigsten Homeren in seiner Sprache lesen, und die meisten blos Nachsprecher sind, welches, so oft es auf den deutschen Hexameter kömmt, so davon redet, als ob es glaubte, daß auch die Deutschen, denen nie ein homerischer Laut zu Ohren gekommen ist, oder die Nazion, ihren Hexameter nur immer gegen den Griechischen hielte, und ihn, sobald er diesem ungleich wäre, verwürfe. Dieß ist die Ursache, warum man der Mühe, solche Einwürfe zu beantworten, nicht völlig überhoben seyn kann. Allerdings würden unsre meisten Kürzen für das Ohr der Griechen sogar Längen gewesen seyn. Denn mehr Mitlaute oder ein Doppellaut musten auf sie nothwendig einen starken Eindruck machen, weil sie, bey den vielen tonlosen Längen, die sie zu hören gewohnt waren, nur diesen Eindruck bekamen. Ich will doch, was die Mitlaute betrifft, ein paar Worte davon sagen, wie weit die Aufmerksamkeit auf den Einen von keinem andern geschwächten Eindruck die Griechen führte. Ihre kurzen Selbstlaute (auch die zweyzeitigen sind in denen Fällen hierher zu rechnen, in welchen sie, ohne Posizion, immer kurz sind) wurden auch dann lang, wenn 1) Der Eine von zwey folgenden Mitlauten zu der nächsten Sylbe oder zum nächsten Worte gehörte, als gel in segelte oder tes in sanftes Gelispel, und wenn 2) Die Mitlaute beyde zur nächsten Sylbe oder zum nächsten Worte gehörten, als Ge in Gestade oder te in Laute klang. (Das lezte ist zweyzeitig, und wird daher auch lang gebraucht.) Welche Feinheit des griechischen Ohrs! wird man ausrufen. Feinheit des Ohrs wärs also, wenn es hören mag, daß man die Kürze gewaltsam zur Länge ausdehnet? Und das thut man in den angeführten Fällen.

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Denn Sylben oder Wörter, die noch nicht ausgesprochen sind, können an denen, die es schon sind, und also auch die Mitlaute der folgenden Sylben oder Wörter an der Kürze der vorhergehenden nichts ändern. Wer dieß nicht zugesteht, der gesteht auch nicht zu, daß die Sylben wahre, das ist, durch die Aussprache unterscheidbare Theile der Wörter, und diese, der Säze sind. Man dehnet also hier die Kürze zur Länge aus, weil man wol will, und nicht, weil man durch das, was folgt, dazu gebracht wird. Die Griechen selbst merkten etwas davon, und noch mehr als sie die Römer, daß sie hier nicht auf dem rechten Wege wären. Denn sowol bey diesen als bey jenen wurde die vorhergehende kurze Sylbe wenigstens zweyzeitig, wenn die folgende zu eben dem Worte gehörige mit gewissen Mitlauten anfing, als be in Begrif. Wenn man mir mit den alten Grammatikern sagt, daß be hier deswegen zweyzeitig werde, weil ge leichter auszusprechen sey, wie z. B. st, welches die vorhergehende Kürze allezeit lang mache, als be in bestand; so antworte ich, daß es hier auf diese Verschiedenheit gar nicht ankömmt. Denn eine noch nicht ausgesprochene Sylbe kann einmal auf eine schon ausgesprochene keinen Einfluß haben. Es liegt also hier auch an ihrer Beschaffenheit nichts. Die Ursach scheint mir daher eine ganz andre zu seyn. Man fühlte das Unangenehme der Kürzendehnung; und so suchte man sich davon wenigstens da los zu machen, wo man es, unter dem Schuze des ersten des besten Scheingrundes, thun konnte. Gleichwol gelang es nicht recht damit. Denn es wurde in unserm Falle nur Zweyzeitigkeit gestattet, und es durften also die, welche Geschmack am Dehnen fanden, beym Alten bleiben. Es ist nicht nöthig zu untersuchen, was hier die Nazion von den Dichtern oder diese von jener annahmen, oder auch, ob die lezten (eine Sondrung, welche sich nach Quinktilianen die Römer manchmal erlaubten) von der gewöhnlichen Aussprache abwichen. Die mit einem kurzen Selbstlaute endende Sylbe, wenn das nächste Wort durch zwey Mitlaute anfing (te in Laute klang) war nur bey den Griechen zweyzeitig, und zwar, wie es scheint, nicht in Prosa, sondern bloß in Versen; aber die Römer verwarfen diese Verfeinerung der Posizion selbst in ihren Versen. Ich erkläre mich übrigens nur in sofern gegen die Posizion, als durch sie eine widrige Dehnung entsteht. Ganz was anders ist es also, wenn ein Grieche z.B. unser kurzes gelt in segelt, weil hier die beyden lezten Mitlaute zu eben der Sylbe gehör-

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ten, lang aussprach. Ich gesteh auch zu, daß dieses gelt, welches bey uns, dem Begriffe gemäß, kurz ist, keine leichte Kürze habe. Aber wenn es auf die Wahl zwischen der nicht leichten und der zur Länge gedehnten Kürze ankömmt; so zweifelt mein Ohr keinen Augenblick und zieht jene vor. Überdieß haben wir solcher mangelhaften Kürzen gewiß viel weniger, als die Griechen solcher noch weit mangelhafteren Längen hatten. Auch kommen wir mit jenen, durch Hülfe der schnelleren Aussprache, ganz gut zurecht, indem wir ihnen dadurch einige Leichtigkeit geben. Denn wir lassen überhaupt die Mitlaute unsrer Kürzen noch schneller hören, als der Längen ihre; und fürs zweyte eilen wir auch mit ihrem Selbstlaute, weil er tonlos ist. Ob sie nun gleich durch die Zeit des Aussprechens von den Längen schon unterschieden sind; so unterscheidet sie doch ihre Tonlosigkeit noch mehr, und zwar deswegen, weil der Umstand, daß ihnen der Ton immer fehlt, eben so merklich ist, als der, daß ihn die Längen beständig haben. (Ich merke hier beyläufig an, daß wir der grössern Schnelligkeit, mit der wir die Mitlaute der Kürze aussprechen, die richtige Aussprache des g in der Endsylbe ung, das in dem Worte drung in k verwandelt wird, vermutlich zu danken haben. Denn g ist schneller als k.) Bey den Alten ist das Mechanische Ursach der Quantität; bey uns ist es, bis auf dasjenige, welches die Zweyzeitigkeit mit bestimmt, nur Beschaffenheit. Die Ursach liegt bey uns tiefer. Die Wörter und die Sylben sind bey uns lang, wenn sie Hauptbegriffe, und kurz, wenn sie Nebenbegriffe ausdrücken. Das Wort Ruf ist lang. In Rufes ist die Sylbe ru lang, und die Sylbe fes kurz. Ich kann hier über die Sache nicht umständlich seyn, aber ich werde es in meiner Grammatik noch mehr seyn, als ich es in einem herausgegebenen Fragmente schon gewesen bin. Die Länge hatte, selbst nach der Meynung der Alten, einen gewissen Nachdruck. (Ja sogar etwas Grosses, das, wenn man den Perioden damit anfange, die Zuhörer sogleich erschüttre, und sie, wenn man ihn damit ende, in eben dieser starken Empfindung verlasse. Vielleicht übertreibe ich meine Unpartheylichkeit, daß ich dieß nicht mit in Rechnung bringe.) Aber wenn nun dieser Nachdruck da ist, wo er nicht hingehört, und ihn z. B. die Veränderungssylbe hat? und wenn er da fehlt (auch der öftere Fall) wo er hingehört, und ihn z. B. die Stamsylbe nicht hat? Widerspricht denn nicht etwa hier der Ausdruck dem Inhalte? Und sollte eine Quantität, die sich auf das Mechanische grün-

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det, und eben dadurch solche Widersprüche nothwendig macht, nicht in ihrer ersten Anlage ein wenig verwahrloset seyn? (Es ist, wie mir es vorkömmt, keine leichte Aufgabe: Die Ursachen zu finden, welche irgend eine Nazion dahin bringen können, sich zu einer so widersinnigen Vertheilung der Längen und Kürzen zu vereinigen.) Die Griechen selbst witterten etwas von der Sache. Einer ihrer Theoristen sagt: Man komme, so oft man kann, zu denen Benennungen zurück, die durch kurze Sylben umgeendet werden. Denn viele lange dieser Art sind dem Ohre zuwider. Er trifft freylich den rechten Punkt nicht, indem er das Urtheil des Verstandes dem Ohr zuschreibt, aber daran liegt nichts: genung, er fühlt, daß hier etwas nicht so recht in der Ordnung sey. Mich däucht, selbst die gedankenlosesten Bewunderer der Alten müsten einsehn, daß eine solche Quantität, in Vergleichung mit einer die, in einem so wesentlichen Punkte, gerade die gegenseitigen Vortheile hätte, nicht wenig verlöre. Und dieß ist gleichwol noch nicht Alles. Die Deklamazion kann den leidenschaftlichen Ton nur mit der Länge hören lassen. Die Kürze kann ihn nicht annehmen; sie ist zu flüchtig dazu. Wie soll man es aber nun machen, wenn man Längen vor sich findet, bey denen es schon unnatürlich ist, ihnen den erwähnten Nachdruck zu geben? Wie soll man z. B. bey Aussprechung der zweyten Länge in me miserum cvvc verfahren? Soll man sie ein wenig sinken lassen? Aber so bleibt sie ja nicht lang genung; und, welches noch nachtheiliger ist, so fast sie das Leidenschaftliche nicht mehr. Und wie soll man es vollends alsdann machen, wenn man Worte antrifft, die sich entweder (man erlaube mir auch dieß zu berühren, ob ich gleich anfangs vom Leidenschaftlichen allein sprach) in Ansehung des ausgedrückten Gedankens vor den übrigen ausnehmen, oder den stärksten leidenschaftlichen Ton erfodern; aber gar keine Länge haben? Als im ersten Falle; vv Scribendi recte saper’ est et principi’ et fons. Wie unbedeutend muß man hier dasjenige Wort aussprechen, worauf es in dem Verse vornämlich ankömmt! Und im zweyten Falle mögt ich doch wol einen von denen, welche die Alten immer im Munde führen, das Homerische: Zeu pa˘t˘er idäden (recte: idäthen) vorlesen hören, oder das, mit dem bey Simoniden sich Danae in ihrer Wehmut an Jupitern wendet, oder auch aus Virgilen:

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Iam, iam nec maxima Iuno, vv Nec saturnius haec oculis pater adspicit aequis. Ich hatte einen Freund, der die Alten wirklich kannte, und nicht bloß nach Art derer Reisenden, die nur in Beschreibungen herumgewandert sind, von ihnen schwazte, und der zugleich äusserst sorgfältig war, den Rechten der Deklamazion nichts zu vergeben. Ich ließ ihn mir aus Homeren vorlesen. Wenn er auf Stellen wie die angeführten stieß, und das geschah sehr oft, so wuste er seinem Leibe keinen Rath, wie er sich durcharbeiten sollte. Endlich must’ er sein Schiffchen treiben lassen. Ich war indeß, in der Vorstellung, am vaterländischen Ufer, und sah seinem Schicksale mit der Theilnehmung der bekannten Verse zu: Suave mari magno turbantibus aequora ventis, Et terra magn’ alterius spectare laborem; Non quia vexari quemqu’ est iucunda voluptas, Sed, quibus ipse malis careas, quia cernere suav’ est.* Wir wollen izt die Sache noch einmal, obgleich mit einigen Zusäzen, aber gleichwol im Kurzen übersehen: Deutsche Länge. Ton, das Herrschende. Schnelle Aussprache ihrer Mitlaute, die mit der Zahl derselben zunimmt. Hat eine gewisse Fülle, die dem Ohre und der Vorstellung von dem mit der Länge verbundenen Nachdrucke genug thut. Wird angenehm durch den Ton. Erleichtert durch ihn die Stimmentragung der leidenschaftlichen Deklamazion. Griechische Länge. Ist gewönlich (vielleicht immer) tonlos. Verliert dadurch, was die unsrige durch den Ton gewinnt. Hat nicht selten, wie die unsrige, viel Mitlaute. Ob man diese auch schnell aussprach, wissen wir nicht. Fülle und dadurch entstehendes Genugthun fehlt ihr wenigstens dann im hohen Grade, wenn sie wegen eines so beschaffenen Mechanischen, daß es nicht wirken kann, was es wirken soll, eigentlich in einer Dehnung der Kürze besteht. Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich sage, daß wol ein Drittel der griechischen Längen es durch die Kürzendehnung seyn mögten.

* Es ist angenehm, bey hohem Meer und wütendem Sturme den harten Kampf eines Andern vom Lande her zu sehen; nicht als ob fremdes Leiden eine so süsse Wollust wäre; sondern weil der Anblick von Unfällen, die uns selbst nicht treffen, angenehm ist.

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Deutsche Kürze. Muß nicht nach dem bösen Scheine, den ihr manchmal die Zahl der Buchstaben gibt, sondern nach der Aussprache derselben beurtheilt werden. Ist öfter leicht, als bisher ohne Untersuchung von einigen angenommen worden ist. Denn alle unsere Veränderungssylben (ich übergehe die Ableitungssylben be, ge, er, ver, u. s. w.) haben, bis auf est und end und solche wie dert in wundert, eine leichte Kürze. Und diese bleibt, was sie ist, wenn auch das Folgende durch Mitlaute anfängt. Selbst leichte Kürze wär also, was bey den Griechen Länge ist? Allerdings. Oder man zeige, daß die noch nicht ausgesprochne Sylbe etwas verändern könne. Griechische Kürze. Ist öfter leicht als die deutsche, aber nicht so oft, als gewönlich geglaubt wird. Denn die langen Selbstlaute der Griechen und ihre Doppellaute werden oft auch kurz ausgesprochen. Wie wichtig der Unterschied zwischen der deutschen begriffmässigen Quantität und der mechanischen der Griechen sey, zeigt sich besonders in guten Gedichten. Denn in diesen herrscht die Leidenschaft. Und die muß die Deklamazion in einem Gedichte, dessen Sprache die mechanische Quantität hat, oft an der unrechten Stelle, und oft kann sie sie gar nicht hören lassen. Das Verfehlende der Deklamazion ist dem Zuhörer, sobald es auf die Leidenschaft ankömmt, auch in seinen kleinsten Abweichungen, schon zuwider; allein wenn sie nun gar die rechte Stelle verfehlt? Ganz was anders ist es zwar, wenn sie gar keine Stelle findet, und deswegen auf einmal wie verstummen muß; aber weniger zuwider ist es dem Zuhörer gewiß nicht. __________________________________ Man gibt durch die Art, mit der man, in Ansehung der Quantität, bey uns die Alten vorliest, oder Reden in ihren Sprachen hält, der Prosa und dem Verse einen ganz andern Gang, als sie haben. Gleichwol würde derjenige, der es anders machte, für einen Sonderling gehalten werden, und in einer grossen Versammlung die prosodisch richtige Aussprache gewiß nicht ungestraft wagen. Denn die Zuhörer mögen eine Aussprache, die ihnen sogar Numerus und Sylbenmaaß zerstört, dennoch lieber hören, als eine, die so oft wider den Sinn und die Leidenschaft ist, oder gar über sie weghüpfen muß.

Von der Beobachtung der Quantität. ... (1778)

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Von der Beobachtung der Quantität. Aus Klopstocks Abhandlung vom deutschen Hexameter. Jezt ein Wort von der genauen Beobachtung der Quantität, in Beziehung auf diejenigen unsrer Dichter, die in Hexametern geschrieben haben. Ich schliesse hier andre Silbenmaasse in griechischem Tone nicht aus. Man wird zugestehen, daß es unter ihnen genaue Beobachter gebe. Nur von diesen red’ ich in Folgendem. Der deutsche Hexameter ist auch von dieser Seite mit dem griechischen verglichen worden. Unsre Scholiasten und ihre zahlreichen Nachschwäzer sind mit ihrer Entscheidung über die Sache hergefallen und haben den Ausspruch ergehen lassen: daß der deutsche Vers, in diesem Punkte, weit unter dem griechischen sey. Denn sie vermeinen, daß Homer durchgehends ein strenger Beobachter, und daß es die Deutschen sehr oft nicht seyn. Sie glauben dies deswegen, weil sie die griechische Prosodie nur so weit, als zum gewönlichen Geschwäz hinreicht, und die deutsche beinah gar nicht kennen. Doch jezt bei Seite gesezt, wie viel, oder wie wenig sie von der Sache wissen; so hätten sie denn doch mindstens dem deutschen Verse mit einiger Schonung begegnen sollen, und dies aus zwei sehr guten Gründen. Homer durfte nämlich den meisten Wörtern Buchstaben und Silben geben, oder nehmen; zweitens hatte seine Sprache eine viel freiere Wortfolge, als die unsrige. Was wird mir der Scholiast antworten können, wenn ich ihm sage, daß also Homer denn doch wol beinah die Hälfte weniger Schwierigkeit bei Bildung des Verses gefunden habe, als die deutschen Dichter? Aber jezt nichts weiter weder von Aussprüchen noch Bescheidwissen, noch Schonung; sondern allein von der wirklichen Beschaffenheit der Sache. Diese ist: Die deutschen Dichter haben die Quantität besser beobachtet, als Homer. Dies fält auf, weil man es noch nie gehört hat; aber ich habe gleichwol recht gute Ursachen es zu sagen. 1. Homer brauchte die Längen sehr oft kurz; der Deutsche bei Weitem nicht so oft: 2. Jener die Kürzen oft lang; dieser beinah gar nicht.

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Die Kürzendehnung ist dem Ohre noch unangenehmer, als die Kürzung der Länge. Wenigstens kam’s Longinen auch so vor. „Der Rhythmus, sagt er, macht oft so gar die Kürze lang.“ Daß also der Deutsche den grösseren Fehler beinah gar nicht beging. (Es versteht sich von selbst, daß ich hier diejenige Kürzendehnung der Griechen nicht meinen könne, die mir es zu seyn scheint, die aber bei ihnen regelmässige Länge ist. Es ist hier blos von denen langgebrauchten Kürzen die Rede, welche es nach ihrer Prosodie sind.) Am besten läst sich die Verlängerung der Kürze noch vertheidigen, wenn diese den Abschnitt des Verses macht, als: Ämen Odüssäos Schrecklicher Heerscharen. Man muß nicht sagen, daß dies wol im Griechischen angehe, aber nicht im Deutschen. Dies hiesse nichts gesagt. Denn es kömt hier gar nicht auf die Sprache, sondern allein auf den Umstand an, daß der Abschnitt (wie ich sonst selbst glaubte) soll verlängern können. Gleichwol halt’ ich es für besser, selbst diese Verlängerung zu vermeiden. Man sagt mir vielleicht, das Urtheil des deutschen Ohrs sey nicht stolz genung, um zu Bedenklichkeiten dieser Art zu veranlassen. Wer den Einwurf macht, mag ihn verantworten. Und vielleicht kömt er auch jezt mit der Verantwortung besser fort, als er etwan einige Jahre weiter hin damit fortkommen mögte. Ich verlange nicht, daß man obige beiden Bemerkungen auf mein Wort annehme. Ich muß sie also beweisen. Doch lasse ich mich nur, was Homeren betrift, darauf ein: in Ansehung der Deutschen mag ich nicht; ob ich gleich recht gut kan. Ich meine dies sogar nach denen strengeren prosodischen Regeln, nach welchen z. B. Geist in Schuzgeist lang ist, ob man gleich solche Silben noch immer in allen Grammatiken, die herauskommen, für kurz erklärt. Ich denke denn doch also, daß es eben keine Parteiligkeit ist, wenn ich will, daß man es hier mit deutschen Dichtern nach einer Strenge nehme, von der weder unsern Grammatikern, noch ihren meisten Lesern bisher etwas zu Ohren gekommen ist. Denn ich wäre ja selbst dann noch nicht parteiisch gewesen, wenn ich das bisher Gelehrte und Geglaubte unsern Dichtern hätte zu Nuze kommen lassen. Sagt man, daß sie durch jene Regel auf der einen Seite wieder gewinnen, was sie auf der andern verlieren; so zeigt man auch hier, daß man

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von der Sache nichts wisse. Denn dem deutschen Hexameter past die Kürze von Silben, wie Geist in Schuzgeist, viel öfter, als ihre Länge. Wer das noch erst zu lernen hat, der kent unsre Sprache nicht. Meint man bei dieser Gelegenheit, man habe mir Beschäftigung mit Kleinigkeiten zu verzeihen, so glaube ich meinerseits viel bessern Anlas zum Verzeihen zu haben. Denn man weis also noch nicht einmal, daß alles, was Sprache ist, aus einem Gewebe von feinen Bestimmungen bestehe; oder, wenn dies auch nicht wäre, man sieht nicht ein, was aus den Kleinigkeiten denn doch gleichwol folgen mögte; aus dieser z. B. die meinen Beweis enthält: im lezten Gesange der Ilias sind mehr als sechzig Kürzendehnungen; und (beinah die Hälfte weniger Schwierigkeiten bei Bildung des Verses) über zweihundert und dreissig Kürzungen der Länge. Wenn nun die Ausländer (denen es jezt noch nicht einmal träumt, daß ein Grieche bei Anhörung ihrer Versarten, oder vielmehr Reimarten, Voltärens epischer z.B. sein: Grieche und Barbar! gewiß nicht unterdrückt hätte) wenn sie mit der Zeit merkten, was ihnen in Ansehung der Verskunst fehle; und sie uns, wegen nicht durchgehends beobachteter Quantität, abstreiten wolten, daß wir es hätten: und wir ihnen dann gleichwol, durch Verweisung auf solche Kleinigkeiten, zeigen könten, daß es denn also die Griechen (ihre andern Dichter, die auch hierin unter Homeren sind, nicht einmal mitgerechnet) noch weniger gehabt hätten? Wenn daher ferner, der ganze grosse Lerm, der unter uns und den Ausländern seit jeher, in allen Lehrbüchern der schönen Wissenschaften, und in jedem dahin gehörigen Nebenschriftchen, gemacht worden ist: von der reinbeobachteten Quantität der Griechen, und der auch hieraus gefolgerten Unmöglichkeit, es ihnen, was den Vers betreffe, in irgend einer neuern Sprache zu bieten; wenn nun, sag’ ich, aller dieser Lerm ein blinder Lerm gewesen wäre? Und wenn überdies (man erlaube mir noch diese Nebensache mitzunehmen) Scholiasten und Gefolge vedienten, mit der Bemerkung entlassen zu werden: daß sie also, in aller Unschuld, ohne Arg daraus zu haben, und ohne nur einigermassen zu wissen, was sie thäten, im Grunde mehr von den deutschen Dichtern gefodert hätten, als die Griechen von Homeren? Ich muß doch wol nur anmerken, daß diese Foderung in gar keiner Verbindung mit dem stehe, was unsre Dichter von sich selbst gefodert haben.

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Es ist nicht überflüssig, die, welche etwa den angeführten Gesang der Ilias nachlesen, oder sonst wo in Homeren blättern mögten, an folgende drei Regeln der griechischen Prosodie zu erinnern: 1. Die kurzen Selbstlaute werden nur durch die Posizion lang. 2. Die zweizeitigen Selbstlaute sind in gewissen Fällen (deren Anführung hier unnötig wäre) allzeit kurz. 3. Die Selbstlaute ä und oo und die Doppellaute sind lang. Diese Regel greift weit um sich. Die neuern Prosodisten haben die Akzente ins Spiel gemischt, und ihr dadurch engere Grenzen sezen wollen. Wenn ich bei einem Akzente zeige, daß es mit der Sache nicht gehe, so werde ich ja, denk’ ich, davon abbrechen dürfen. Man hält z. B. das thai in agoreûesthai für zweizeitig, weil sonst der steigende Akzent nicht auf der dritten Silbe von der Endung stehn könte. Aber warum denn zweizeitig? denn, nach der Akzentregel, muß es ja kurz seyn, als: ánthropos, weil pos kurz ist. Doch wie denn selbst hier, wenn das folgende Wort mit einem Mitlaute anfängt? denn nun ist ja pos lang. Gleichwol rückt der Akzent in diesem Falle nicht fort; aber das lange u macht, daß er fortrückt: anthróopu. Die Länge der Posizion ist also eine andere Länge und des Doppellauts seine wieder eine andere. Man sieht, denk’ ich, schon allein hieraus, was es mit dem Verhältnisse, welches zwischen Akzent und Quantität seyn soll, für eine Beschaffenheit habe. Das obige thai ist übrigens weder zweizeitig noch kurz, und es wird auch etwa nicht erst durch den folgenden Mitlaut lang, sondern ist es schon an sich selbst. Denn Dionys nent, indem er von Thuzydidens Numerus redet, und eine Stelle aus ihm anführt, die mit: agoreu’esthai auton endet, die Siben reu’esthai au schliessende Spondeen. Man kan nicht einwerfen, Dionys nehme hier das zweizeitige thai, wie er dürfe, lang, so wie er es auch kurz hätte nehmen dürfen; denn er thut dies bei wirklichen Zweizeitigkeiten niemals, und sagt dann z. B. „ein Baccheus (ccv. nur er nent diesen Fus so) oder wenn man lieber wil, ein Daktylus,“ und er darf es auch nicht thun; denn er kan ja nicht wissen, wie der Prosaist die zweizeitige Silbe wolle ausgesprochen haben. Ich bin gewis, daß Longin auch die dritte Regel, ihrem ganzen Umfange nach, im Sinne hatte, wenn er sagte: „der Rhythmus reist die Quantität mit sich fort, wie er will.“ (Longin unterscheidet den Rhythmus vom Silbemaasse. Ob sein Unterschied philosophisch sey, oder

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nicht, braucht hier nicht untersucht zu werden. Genung, daß er in dieser Stelle nichts anders meinen kan, als was in folgender Anmerkung von ihm liegt: „Pros ist kurz; es steht aber anstatt einer Länge, wenn Homer sagt: Pros oikon Päläos, weil der Fus ein Spondeus seyn mus.“) Auch Dionys dachte wol die dritte Regel in keinem kleineren Umfange, da er der Abweichungen von der Quantität, welche die Griechen ihren Dichtern, ich weis nicht, ob erlaubten, oder verziehen, auf folgende Art erwähnte: „In Prosa wird die Quantität nicht gewaltsam umgekehrt, sondern man behält die langen und kurzen Silben, wie sie sind; allein in der Dichtkunst wirft man sie, durch Vermehrung und Verminderung, gleichsam herum, so daß oft das Gegentheil von dem, was seyn solte, herauskömt.“ Diese Vermehrung und Verminderung ist eben das, was ich Kürzendehnung und Kürzung der Länge heisse; und jener fortreissende Rhythmus nichts anders, als was ich oben, ohne ein solch Blatt vor dem Munde, Silbenzwang nente. Aber wir Neuern haben auch griechische Prosodien geschrieben; und in diesen steht denn nun freilich vielerlei, wovon die Griechen nichts wusten, als da ist: die Selbstlaute ä und oo und die Doppellaute sind in diesem, und dem, und wieder in jenem Falle zweizeitig; in lauter Fällen nämlich, wo man die angeführten Längen auch kurz gebraucht fand. Anstatt also, der Beschaffenheit der Sache gemäs, zu sagen: die griechischen Dichter erlaubten sich die Abweichungen von der Quantität; so überlies man sich lieber dem bei Beurtheilung der Alten so gewönlichen Hange zum Beschönigen, und brachte heraus, daß es keine Abweichungen wären. Und hierbei war denn nun nichts daran gelegen, daß man das Ding wider griechische Kritiker in Sachen ihrer Sprache vorbrachte, und daß man dieser ausserdem auch noch viel mehr Zweizeitigkeiten aufbürdete, als sie, die so reich daran ist, schon wirklich hat, und also mit ihr so ziemlich unsanft umsprang, damit man nur mit den Dichtern desto säuberlicher verfahren könte. Aber ich will einmal unsern heutigen griechischen Prosodisten alles, was sie, nach ihrer Meinung, nur immer fodern können, zugestehen. Zweizeitig sol also seyn (ich kan mich durch Beispiele am kürzesten ausdrücken): thai in agoreu’esthai, und daher auch: tai in k˜e itai, ferner: toi in brotoi, ferner sollen es alle hierher gehörigen einsilbigen Wörter mit und ohne Akzent seyn. Ich will mir nur dabei das, was die Prosodisten selbst lehren, vorbehalten, nämlich die Länge des nei in

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pi’nei, und des oo in chrüseõo. Gleichwol hat der genante Gesang der Ilias, selbst bei diesen freigebigen Einräumungen, beinah funfzig Kürzungen der Länge. (Auch diese Zahl ist den deutschen Dichtern bei der Vergleichung noch vortheilhaft.) Da ich aber mit der griechischen Sprache nicht nach Belieben schalten und walten mag; der Akzent bei der Sache nichts entscheidet; und keine Ursach da ist, warum die einsilbigen Wörter nicht mit in Rechnung gebracht werden solten: so kan ich mich auf jene Einräumungen im Ernste nicht einlassen, und es bleibt also dabei, daß der Rhythmus (um zu Longins Bemerkung zurück zu kommen) die Quantität so oft, als ich oben anführte, mit sich fortgerissen hat. Man sagt mir vielleicht, es wäre besser gewesen, wenn ich von der Homerischen Beobachtung der Quantität geschwiegen hätte; denn nun würde gewiß einige unsrer Dichter die Lust anwandeln, sich auf Homers Beispiel zu berufen. Mögen’s doch die, die es nicht dürfen; aber die dürfen, frag’ ich: ob sie, unverführt von der Gültigkeit der Entschuldigung, nicht lieber gar keine nötig haben wollen?

Grundseze und Zwek unsrer jezigen Rechtschreibung. (1781)

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Grundseze und Zwek unsrer jezigen Rechtschreibung. Das einzige Regelmässige, welches di gewönliche Ortografi in Betracht der Schreibung fon nicht wenigen Worten hat, beruhet auf dem Grundsaze der neüen, disem nämlich: Das Gehörte der deütschen, nicht landschaftischen Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben. Ich denke denn doch, daß dises bemerkt zu wärden ferdint, und daß där, welcher es für einen Näbenumstand bei der Untersuchung der Sache helt, nicht weis, was är sagt. Di neüe Ortografi hat keinen andern Fäler, als daß si jenen Saz überal anwendet. Der Fäler mus indes nicht klein sein. Denn si wird nicht nur mit Gründen bestritten, dären Erfinder so gar for dem Scheine der Warheit ekelt, (man läse und sehe, ob nicht selbst diser Ausdruk noch zu schwach sei) sondern si wird auch beina angefeindet. Doch dises nimt wol nur dän Wunder, där noch nicht weis, daß Forurteile fon alter und tifer Wurzel so gar solch Unkraut tragen. Ich rede in Folgendem fon der jezigen Rechtschreibung nicht in so fern, als si durch ir einziges Regelmässiges mit der neüen übereinstimt, sondern blos in Rüksicht auf ire Ausartung, oder dasjenige, wodurch si fon jener abweicht. Und hir kan si keine andre Grundseze, und keinen andern Zwek, als dise haben:

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Erster Grundsaz.

Si sol so beschaffen sein, daß si nicht in Regeln gebracht wärden könne. Man übersihet ire Unfähigkeit zur Regel mit Einem Blikke, wen man sich erinnert: Daß wir ferschidne überzälige, und merlautige Buchstaben, Schreibferkürzungen, und Denungszeichen haben, dären Gebrauch, one Gründe, forgeschriben, das heist zum Auswendiglernen gewürfelt ist; und daß wir überdis noch, gleichfals one Gründe, das Zeichen manchmal sezen müssen, wo keine Denung ist, und weglassen, wo gedent wird. Ist man ferschwenderisch genung mit dem Worte Regel, um z. E. das eine zu nennen, daß wir: th, und: ph in Wörtern brauchen, di aus dem Grichischen genommen sind, und da mit disen Buchstaben geschriben wärden; so erinre ich dawider, daß dises übel ersonnen, und unnüz sei, weil es Zeichen fodert, wozu wir keine Töne haben, und weil es, wägen

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Unbekantschaft mit dem Grichischen, beina Nimanden anwendbar ist. Oder wil mans zur Regel erhäben, daß, da ausser dem: h das: e zu Bezeichnung des gedenten: i ausgewürfelt ist, man uns hir mit der Ferdoplung, wi in: aa, ee, und oo ferschone; so hat es mit diser Regel fon ungefär äben di Bewandnis, als wen Jemand, där einen Kropf hette, es sich zum Forzuge anrechnen wolte, nicht auch puklicht zu sein. Es ist geradezu wider den Begrif, dän man sich fon den Regeln zu machen hat, wen man dis, und Änliches so nennet. Denn Regeln dürfen nicht Einfelle, sondern müssen Seze sein, die Gründe haben. Der folgende zweite Grundsaz scheint zwar der Algemeinheit des ersten zu widersprechen; aber es ist blosser Schein. Denn der dritte gestehet si im wider zu. Zweiter Grundsaz.

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Ir Regelmässiges sol widerartig sein. Wen es nicht widerartig ist, etwas Etimologisches zugleich mit dem Gehörten zu schreiben; so ist keine Ursache forhanden: Warum nicht alles Etimologische; keine: Warum nicht das übrige Grammattische; oder überhaupt: Warum nicht alles, was zur Sprachkentnis gehört. Was würde man einem Komponisten sagen, där di Schlüsse seiner Ritmen und Perioden, und di Ursachen seiner Ferbindungen und Übergenge hir und da in einem nicht zu spilenden, oder zu singenden Takte ankündigte, und mitanbrechte? Mich deücht, nur nicht föllig dasselbe, was man einem gewissen Mattheson hette sagen können, där das Wort: Rägenbogen so sezte, daß di Stellung der Noten einen machte. Dritter Grundsaz.

Di Anwendung, oder Nichtanwendung des mitzuschreibenden Etimologischen sol keine Gründe haben. 65

Man glaubte bei dem zweiten Grundsaze endlich zu einer zwar ser sonderbaren Regel, aber doch zu einer Regel gelangt zu sein. Allein man hatte nach einem Schatten gegriffen. Denn es bleibt auch hir bei dem blossen Auswendiglernen. Man mus etimologisch, oder nicht etimologisch, und beides oft in dämselben Worte schreiben, nachdäm der Eigensin des Härkommens dazu nikt, oder kopfschüttelt.

Grundseze und Zwek unsrer jezigen Rechtschreibung. (1781)

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Zwek.

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Di Ortografi, eine Sache, di beina jedem so notwendig, wi das Sprechen ist, sol auf alle Weise schwer gemacht wärden. Bei der neüen Ortografi geschit das Gegenteil; si ist aber besonders auch deswägen zu ferwerfen. Denn wir haben so fil Zeit zur Erlernung der Hauptsachen übrig, daß wir, um nur nicht müssig zu sein, ja recht lange mit diser Näbensache zubringen müssen. Und solte dis auch ein wenig zweifelhaft sein; so ferlont es sich gleichwol der Mühe nicht, sich mit Erleichterung der Ortografi abzugäben. Man kan mir einwenden: Di Leüte haben bei Einfürung der Rechtschreibung weder an Grundseze, noch an Zwek gedacht, und si sei nach und nach nun so aufgekommen. Man kan dis so gar durch allerhand Beispile unsrer neüesten Zeit in sein Licht sezen, z. E. daß es jezt aufkeme, di zweite Endung solcher Namen, wi: Richter Richter’s zu schreiben; da doch ni Jemand: Richteres umgeendet hette, und das Häkchen in: Richter’s nicht, wi in: Maria’s, das Zeichen der Denung sein könte. (Das fümfte fon mir übersene; denn man endet äben so wenig: Mariaes, wi: Richteres um.) Und es weren doch gleichwol nicht di dürren Zeiten der Mönche, sondern unsre grünen, da so was einrisse. Wen dises auch di Art der Entstehung ist; so hört doch deswägen nicht auf war zu sein, daß unsre jezige Rechtschreibung, irer Beschaffenheit nach, keine andre Grundseze, und keinen andern Zwek, als di angefürten haben kan. Übrigens dürfte, was di Art der Entstehung betrift, Folgendes wol nicht ganz one Warscheinlichkeit sein. Zu der Zeit, da di Mönche, und ires gleichen unsre Ortografi, wi si jezo gröstenteils noch ist, einfürten, waren si es allein, di schreiben konten. Si kanten den Anteil, dän si dadurch an der Regirung hatten, fil zu gut, um nicht auf alle Weise zu ferhindern, daß di Fürsten und ire bewafneten Diner nicht auch schreiben lernten. Und so hatten si denn zu ihrem Zwekke, wi di langdaurende Erreichung desselben genung zeigt, gar keine schlechte Mittel gewält. Nur noch zwei Fragen. Wen wir di Mönchsortografi nicht hetten, sondern eine bessere, und dan einer jene forschlüge, und zugleich Grundseze und Zwek anfürte; är könte aber keine andre, als di erwänten, weil es keine andre gibt: würde man im darüber nicht wenigstens ein leises Wort zu sagen haben? Und hat man sich selbst keins, wen man zur Ferteidigung der ersten, und zur Ferwerfung der lezten in lautes Geschrei ausbricht; endlich aber müde und heiser zu sich selbst komt, und dan nur mit einem halben Gedanken überlägt, wofür, und wowider man denn so geschrien habe?

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Di Etimologi in weiterem Ferstande le˛rt di Ferendrungen kennen, durch welche ein Wort zu einem andern wird. Na˛ch diser mus man nicht nu˛r wissen, daß z. E. los ˛ zu: lösen wärde, sondern auch, wi unsre jezigen Wörter ema˛ls lauteten. Z. E. Andawleiz, Antliz. Achs, Äre. Afarwerold, Afterwelt. Agis, Angst. Fidwor, F˛ir. Fairzna, Färse. Hausjan, Hören. Hnaiwjan, Neigen. Odmout, Demu˛t. Razda, Rede. Rebarmnussi, Erbarmnis. Tagr, Zäre. Di Etimologi in engerem Ferstande le˛rt di Ferenderungen, durch welche ein Wort zu einem anders genanten wird. Z. E. Aus dem Zeitworte di Benennung, aus diser das Beiwort. Aus: können, oder kennen: Kunst, und aus disem: künstlich. Man sollte di Ferendrungen einer angenomnen ersten Form der Wörter in andre Formen, welche jene, den Regeln der Umendung und Umbildung gemäs, bekommen, nicht mit zur Etimologi rechnen. Man gehet dadurch über di Grenzen derselben hinaus. Keiner rümt ˛ Jemanden wägen Kentnis der Etimologi, weil är dekliniren und konjugiren kan. Gleichwol rechnet man auch dises mit; fileicht nu˛r deswägen, damit man sagen könne, man schreibe etimologisch. Aber gu˛t; man mag denn auch eine Deklinazions˛ und Konjugazions˛ etimologi haben, und dis und das dafon bei dem Schreiben anbringen. Denn das Meiste lest man so ga˛r h˛ir weg. H˛irdurch komt man gleichwol, wen man anders aufhören wil in di Luft zu streichen, nicht dafon frei, auf folgende Fragen antworten zu müssen: Warum wird nicht wenigstens di Etimologi in engerem Ferstande geschriben? Wi man auch antworte; so bleib’ ich, da einma˛l Schreibung der Etimologi e˛rster, oder ga˛r einziger Grundsaz sein sol, doch immer berechtigt so fortzufaren: Warum nicht auch di Etimologi in weiterem Ferstande? Sol übrigens Etimologi in se˛r unrichtigem weitesten Ferstande (ich füre di Worte an) Herkunft, Sprachwesen, Bildung, Bildungsform, und Gleichförmigkeit sein; so ferbitet mir gleichwol nichz zu fragen, warum denn also dise Etimologi nicht geschriben wärde? Solten di Gegner endlich merken, wi se˛r si in der Enge sind, und dan hinten drein mit der späten Ausflucht kommen: W˛ir wollen nicht, daß

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man di Etimologi, sondern, daß man na˛ch i˛r schreibe; so brauche ich mich h˛irauf ga˛r nicht einzulassen. Denn si haben Schreibung der Etimologi gele˛rt; und haben z. E. in: Haß, haßte, kund (lautet: Has, haste, kunt) Etimologi geschriben, wenigstens zu schreiben geglaubt. Ich sagte: (Über Spra˛che und Dichtkunst, zweites Fragm. S. 188, HKA, Werke IX 1, S. 331) W˛ir müssen di Ausspra˛che noch etwas näher bestimmen, in so fern si nämlich geschriben wärden kan. Denn das Feinere, (und Gröbere, wi ich hette hinzusezen können) wozu w˛ir keine Zeichen haben, gehört ˛ nicht h˛irhär. Unter diser Einschrenkung also haben w˛ir eine nicht landschaftische, sondern deütsche, und fon der Nazion ˛ durch di algemeine Ortografi dafür ˛ erkante Ausspra˛che. Wen das nicht were, warum schribe man denn z. E. in Westfalen: Menschen, da man doch: Mens – gen ausspricht? Warum in Obersaxen: böse, übel, Feuer; ob man gleich: bese, ibel, Feier sagt? Und so in den übrigen Profinzen Deütschlands. Dise auf di angefürte ˛ Art ˛ anerkante Ausspra˛che ist dijenige, welche ich bei der Rechtschreibung zum Grunde läge; und ist zugleich, freilich me˛r und weniger, na˛chdäm man di Spra˛che l˛ibt, und wider frühe Angewönung auf seiner Hu˛t ist, di Ausspra˛che aller Deütschen, di wissen, daß w˛ir eine Spra˛che, und nicht blos ˛ Munda˛rten haben, und di nicht one Kentnisse, und Läbensa˛rt sind. Diese Ausspra˛che ist sich also, auch in diser Rüksicht, so ungleich nicht, als man dadurch gern behaupten möchte, daß man das h˛ir nicht här gehörige Zeichenlose mit ins Sp˛il mischt. Wär den notwendigen ˛ Untersch˛id zwischen disem, und däm, wozu w˛ir Zeichen haben, nicht macht, där tu˛t etwas nicht, wofon es sich fon selbst ferstanden hette, daß es geschehen müste, wen m˛ir es auch nicht eingefallen were dafon zu erwänen. Es gibt ja so manches, dessen Bemerkung f˛il schwerer ist, und das sich dennoch unter Leüten fon selbst ferstehet, welche bei Untersu˛chungen keine andre Absicht haben, als di Sachen anzuse˛n, wi si sind. Übrigens hat man bei dem Streite über di Ortografi, wi es scheinen kan, mit Forsaze ˛ fergessen, daß, welchen Grundsaz man auch wäle, dän der zu schreibenden Ausspra˛che, oder der Etimologi; man doch keinen Bu˛chstaben me˛rlautig brauchen, di überzäligen Bu˛chstaben und Denungszeichen abschaffen, und di Schreibferkürzungen entweder auch abschaffen, oder überal sezen müsse, wo di beiden durch si bezeichneten Bu˛chstaben forkommen. ˛ Oder gefelt man sich auch darin,

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daß man so ga˛r das Me˛rlautige, Überzälige, bald Ferkürzte, und bald nicht Ferkürzte in Schuz nimt? Und glaubt man, daß aus dem Saze: Man müsse, was man nicht darf, nämlich etimologisch schreiben, der andre Saz fom Gebrauche des Überzäligen u. s. w. folge? Wi parteiisch und sonderba˛r diser Streit fon der einen Seite gefürt ˛ wärde, erhellet fornämlich ˛ daraus, daß man fon nichz als Etimologi spricht, und doch kaum ein Jota dafon schreibt; und dis wenige noch dazu beina nu˛r allein fon der Deklinazionsetimologi, ˛ oder därjenigen, di keine ist: und dan, daß man fon dem Überzäligen u. s. w. schweigt, als ob es entweder ga˛r nicht mit in Betrachtung komme, oder di Beibehaltung desselben one Weiteres anzunämen sei.

Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock. (1759)

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Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock. qHrsg von F. G. Klopstock.p Texte, die Klopstock zum Verfasser oder Mitverfasser haben. An Ihre Gnaden die Frau Geheimeräthinn von Bernstorff.

Hochgebohrne Frau Geheimeräthinn, Gnädige Frau, Wenn es jemals einer Zuschrift an allen dem, was man von solcher Art Schriften zu erwarten, oder zu fürchten pflegt, gefehlt hat; so ist es diese. Ich habe mir nur die Freude machen wollen, Ew. Gnaden dasjenige, was mir von meiner Geliebten übrig ist, auf diese Art zu übergeben. Ich bin mit jeder Verehrung, die man Ihren Verdiensten schuldig ist, Hochgebohrne Frau Geheimeräthinn, Gnädige Frau, Dero

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unterthänigster Diener Klopstock.

Einleitung. Ich habe diejenige durch den Tod verloren, die mich durch ihre Liebe so glücklich machte, als sie durch die meinige war. Unsre Freunde wissen, was das für eine Liebe war, mit der wir uns liebten. Man wird aus dem folgenden sehn, warum ich mir jede Klage verbieten muß, und gern verbiete. Diese ist Eine von den Ursachen, daß ich kein Gedicht, welches so Viele von mir erwartet haben, auch alsdann nicht auf sie ma-

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chen werde, wenn ich mehr, als ich es izt bin, dazu fähig seyn werde. Meine andern Ursachen sind diese. Ich halte dafür, daß man vor dem Publico beynahe mit eben der Bescheidenheit von seiner Frau, als von sich selbst, sprechen muß. Aber wie nachtheilig würde die Ausübung dieses Grundsatzes dem Schwunge seyn, den man von Gedichten fodert. Dazu kömmt, daß sich die Leser nicht ohne Ursache für berechtigt halten, dem Lobredner seiner Geliebten nicht völlig zu glauben. Und ich liebe diejenige, die mich so sehr glücklich machte, viel zu sehr, als daß ich meinen Lesern auch nur den geringsten Anlaß hierzu geben möchte. Es ist noch ein Umstand, der Gedichte von dieser Art uninteressant macht. Wir haben ihrer zu viel. Da mich diese Ursachen auch alsdann zurück halten würden, wenn mir meine Geliebte auch nichts, das ich der Welt mittheilen könnte, hinterlassen hätte: so urtheilt man leicht, wie angenehm es mir seyn müsse, daß ich der Herausgeber von einigen kleinen Schriften seyn kann, durch die Sie sich selbst ein Denkmal stiftet. Ich bin darauf, daß Sie dieß selbst thut, so stolz, daß ich nicht einmal die Oden, die ich vordem an Sie gemacht habe, mit dieser Sammlung bekannt mache. Wenn ich Verzeihung wegen dieses Stolzes nöthig haben sollte; so wird man, wie ich glaube, auch deßwegen geneigt seyn, sie mir wiederfahren zu lassen, weil ich niemals auf mich selbst, aber immer auf meine Freunde stolz bin. Ich habe von diesen kleinen Schriften weiter nichts zu sagen, als daß sie nicht in der Absicht, sich ein Denkmal zu stiften, geschrieben worden sind. Man liebt gewisse Materien vorzüglich; man schreibt einige Gedanken darüber auf; und man ist geneigt, diese Papiere einigen wenigen Freunden zu zeigen, ohne dabey an eine künftige weitre Bekanntmachung zu denken. Es ist von ungefähr drittehalb Jahre her, daß Sie auf diese Art anfing, einige von ihren Lieblingsgedanken, wenn ich abwesend seyn muste, aufzuschreiben; und immer roth und angst wurde, wenn ich Sie dabey antraf, und Sie mir es vorlesen muste. Ach die Glückseligkeit meines Lebens die war Sie! Wie viel habe ich an Ihr verloren! Aber nein, nein, ich will nicht klagen! – Ich werde vielleicht künftig einmal einige von Ihren Briefen, oder wenigstens Fragmente derselben, herausgeben. Ich kann nur einige herausgeben. Denn die meisten von denen, die wir vor unsrer Ehe an einander geschrieben hatten, habe ich einige Stunden nach ihrem Tode verbrannt. Ich wurde von dem Gedanken hingerissen, daß ich darüber herfallen, sie lesen, und mir dadurch zu sehr schaden würde. Unterdeß

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fand ich nachher noch einige, die an einem andern Orte verwahrt waren. Ich bitte unsre Freunde, welche Briefe von Ihr haben, mir die Originale, die sie zurück bekommen sollen, zuzuschicken. Meine Absicht ist, wie ich schon gesagt habe, sie mit der Zeit heraus zu geben. Es möchte vielleicht einigen Rechtschaffnen daran gelegen seyn, dieses schöne Herz noch auf mehr Seiten kennen zu lernen. Ich habe lange und oft mit mir gestritten: Ob ich Ihren Character in dieser Einleitung beschreiben sollte? Denn ich bin es nicht allein dem Publico, sondern auch Ihr schuldig, jeden Schein der Vergrössrung zu vermeiden. Und wie wenige sind, die ihr eigen Herz berechtigt, dasjenige, was ich sagen müste, für unübertrieben zu halten. Diesen Wenigen kann ich mit Einem Zuge Ihren Hauptcharacter beschreiben. Sie war gemacht, mit der Arria zu sagen: Pätus, es schmerzt nicht! – Aber eben diese sind es, welche auch kleinere Züge von einem solchen Character wissen wollen. Sie werden einige davon in folgenden Fragmenten aus denen Briefen finden, die wir in unsrer Ehe an einander geschrieben haben. Wir sind sonst niemals von einander entfernet gewesen, als die beyden Monate, binnen welchen diese Briefe geschrieben worden sind. Sie lebte nur noch zween Monate nach meiner Zurückkunft. Da ich diese Einleitung vornehmlich deßwegen schreibe, um von Ihrem Tode zu reden; so scheint mir es zur Sache zu gehören, etwas von demjenigen bekannt zu machen, was die Zeit unsrer Abwesenheit von einander, die für mich und Sie eine Vorbereitung zu Ihrem Tode war, unter uns vorgegangen ist. Die Sternchen sondern die Briefe von einander ab; und die Absätze zeigen an, daß zwischen der vorhergehenden, und der abgesetzten Stelle etwas fehlt. Doch ehe ich diese Auszüge mache, muß ich noch etwas von Ihr erwähnen. Sie nahm sich von ungefähr vor drey Jahren vor, mein Leben zu schreiben. Alles, was Klopstock angeht, (dieß ist Ihre Einleitung) und alles, was er thut, ist mir so wichtig, daß ich dem Einfalle nicht länger widerstehen

Z. 81: Pätus] Einige würdige Leserinnen möchten die Arria nicht kennen. Ihr Mann Pätus erwartete die Wache, die ihm von dem Kaiser zugeschickt worden, und ihn umbringen sollte. Er zögerte ein wenig, es selbst zu thun. Seine rechtschaffne Frau (man muß sie als Heidin beurtheilen) nahm einen Dolch, stieß ihn in ihre Brust, zog ihn ruhig heraus, und gab ihn so, wie er von ihrem Blute voll war, ihrem Manne, und sagte: Pätus, es schmerzt nicht!

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kann, was ich an ihm bemerke, und was mir bemerkenswürdig scheint, aufzuschreiben. Meine Absicht ist eigentlich nur, mich bey dem, was seinen Character betrifft, und was einige Verbindung mit dem Messias hat, aufzuhalten. Aber da ich ihn so liebe, wie ich ihn liebe; so werden wohl vielerley Kleinigkeiten, welche unsre Liebe, unsre Ehe und mich betreffen, mit vorkommen. Daß ich keine Zeitordnung beobachten werde, das versteht sich. Was mein Herz izt eben fühlt, was ich izt eben bemerke, oder was ich schon oft, schon lange bemerkt habe, und woran ich izt eben wieder erinnert werde, werde ich aufschreiben. Sie sagt in dem folgenden unter andern: Weil er weiß, daß ich so gerne gleich alles höre, was er macht; so liest er mir auch immer gleich vor, wenn es oft auch nur wenige Verse sind. Er ist so wenig eigensinnig, daß ich ihm auf dieses erste Vorlesen gleich Kritiken machen darf, so wie sie mir einfallen. Wie viel verliere ich, auch in dieser Betrachtung, an ihr. Wie völlig ausgebildet war Ihr Geschmack, und von welcher lebhaften Feinheit Ihre Empfindung. Sie bemerkte Alles sogleich bis auf die kleinste Wendung des Gedankens. Ich durfte Sie nur dabey ansehn, so konnte ich jede Sylbe, die Ihr gefiel oder mißfiel, in Ihrem Gesichte entdecken. Und wenn ich Sie zum Erweise Ihrer Anmerkungen veranlaßte, so konnte kein Erweis wahrer und richtiger seyn, oder mehr zur Sache gehören, als der Ihrige. Doch wir machten dieß gewöhnlich nur sehr kurz. Denn wir verstanden einander, wenn wir kaum angefangen hatten, uns zu erklären. q…p

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Nach den Auszügen aus Briefen von M. und F. G. Klopstock: Dieß war Ihr letzter Brief an mich. Sie starb den 28. Nov. 1758. Ich hatte Anfangs vor, aus dem, was meine hiesigen Freunde und ich uns von Ihren letzten Stunden erinnerten, eine Beschreibung Ihres martervollen und glückseligen Todes zu machen. Allein ich würde diese Beschreibung nicht zu Stande gebracht, oder doch zu sehr dabey gelitten haben. Was habe ich nicht schon bey der Ausführung meines Entschlusses, diese Beschreibung durch Stellen aus Briefen von meinen Freunden zu ersetzen, gelitten! Ich freue mich, daß sie dadurch mehr

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als ersetzt ist. Was ist die Freundschaft, besonders in den grossen Trübsalen des Lebens! Ich würde meiner Neigung nicht genung thun, wenn ich bey dieser so ungesuchten Gelegenheit davon schweigen wollte, daß ich, ausser meinen hiesigen alten Freunden, besonders seit dem Tode meiner Geliebten, hier noch andre gefunden habe, die wahren Antheil an meinem Schicksale genommen haben. Ich dachte oft nur in Gesellschaft zu seyn; und ich war unter Freunden. Ich habe diese mir so angenehme Entdeckung, mehr durch ein gewisses Stillschweigen, durch ein gewisses Betragen, das ich an Ihnen bemerkte, als durch Unterredungen von meinem Verluste, gemacht. Überhaupt muß ich sagen, daß nicht wenige freundschaftliche Begegnungen mir meinen Aufenthalt in der Vaterstadt meiner Geliebten unvergeßlich machen. Hier folgen die Stellen aus den Briefen meiner Freunde.

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Nach den Auszügen aus Briefen von Klopstocks Freunden anläßlich des Todes von M. Klopstock: Bis hieher gehn die Briefe meiner Freunde. Sie ist noch nicht an der Stelle begraben, wo ich einmal bey Ihr zu ruhen wünsche. Ich will unser Grab in Ottensen, oder auf einem andern Dorfkirchhofe weiter an der Elbe hinauf, machen lassen. Ich werde eine schöne Gegend um derer willen aussuchen, die sich im Frühlinge der Auferstehung freuen mögen. Aus eben dieser Absicht, und nicht aus Eitelkeit, ein sehr simples Grabmal auszuschmücken, habe ich Ihre beyden Schwestern, und Ihre liebste Freundinn gebeten, die ersten, zween Bäume bey das Grab zu setzen, und die letzte, Feldblümchen darauf zu unterhalten. Auf den in die Höhe gerichteten Grabstein sollen zwo unordentlich über einander liegende Weizengarben gemacht werden. Unter diesen steht: „Saat, von Gott gesät, dem Tage der Garben zu reifen!“ In der Mitte des Grabsteins:

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„Margareta Klopstock erwartet da, wo der Tod nicht ist, ihren Freund, ihren Geliebten, ihren Mann, den sie so sehr liebt! und von dem sie so sehr geliebt wird! Aber hier aus diesem Grabe wollen wir mit einander auferstehn, du, mein Klopstock, und ich, und unser Sohn, den ich dir nicht gebähren konnte.“ Noch auf eben der Erhöhung des Steins: „Betet den an, der auch gestorben, begraben, und auferstanden ist!“ Darunter: „Sie ward gebohren den 16 März 1728, verheirathet den 10 Juni 1754, und starb den 28 Nov. 1758. Ihr Sohn schlummert in ihrem Arme.“

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Hamburg, den 10 April 1759.

Nach M. Klopstocks „Briefen von Verstorbnen an Lebendige“:

An die Verfasserinn dieser Briefe.

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Ich habe den Vorsatz, etwas an Dich aufzuschreiben, das Dir vielleicht noch vor meinem Tode bekannt werden kann, deswegen bisher aufgeschoben, weil ich befürchtete, daß mich diese Empfindungen zu stark angreifen würden. Aber itzt, da ich eben meine letzten Briefe an Dich durchgelesen habe, kann ich diesem Gedanken nicht mehr widerstehen. Allein wo soll ich anfangen, meine nun ganz himmlische Geliebte? Sollte es wohl ein kleiner Theil deiner itzigen unaussprechlichen Glückseligkeit seyn, daß Du an mich denkst? Ach, ich armer Übriger war, und bin ein Sünder, und noch diesseits am Grabe. – Gleichwohl hat auch mich das Wesen der Wesen gewürdigt, mein Schicksal sogar vorauszusehn. Davon bin ich völlig gewiß, daß es zu deiner itzigen Glückseligkeit gehört, daß Du dich erinnerst, welche für mich ewig unvergeßbare Gnade mir damals wiederfuhr, da ich von Dir Abschied nehmen mußte. Du hast gewiß die Freude, die mir Gott gab, in meinem Gesichte gesehn. Weißt Du, wie mir war, meine Meta? (Ja ich will Dich noch mit diesem süßen Namen nennen!) Meine Seele war hoch in die Höhe gehoben. Ich sahe den Tod auf deinem Gesichte nicht mehr. Ich

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fühlte die Kälte deines letzten Schweisses nicht mehr. Ich kann meinen Zustand zwar nicht völlig beschreiben, aber das weiß ich wohl, daß ich einem Märtyrer, über dem ich den Himmel offen gesehen hätte, mit keinen andern Empfindungen zugerufen haben würde. – Dank, und Preis, und Anbetung sey dem Allweisen und dem Allerbarmherzigsten! Dieser sey also mein lebhaftester Gedanke, und zugleich derjenige, den Du zuerst von mir erfährst, wenn Du anders etwas vor meinem Tode von mir erfährst. Die Engel bekümmern sich um viele Dinge, die uns noch Sterbliche angehn; und vielleicht um mehr, als wir glauben. Oder vielleicht sagt Dir derjenige von unsern Freunden, der zuerst zu Gott geht, was ich itzt, besonders auch in dieser Absicht, an Dich aufschreibe. So wiederhole ich es denn: Dank, und Preis, und Anbetung sey dem Allweisen und dem Allerbarmherzigsten! Ja mit diesem himmlischen Gruße soll Dich unser frühglückselige Freund in meinem Namen zuerst grüßen, meine vollendete Geliebte!

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Ich mußte neulich abbrechen. Itzt will ich Dir etwas, denn wie kann ich alles? von dem sagen, was mit mir vorging, nachdem ich Dich verlassen hatte. Ich hatte vorher mit vieler Unruh und Angst gebetet; aber nun konnte ich anders beten. Ich bat um völlige Unterwerfung. Meine Seele hing an Gott, ich wurde erfrischt, ich wurde gelabt, und zu dem Schlage vorbereitet, der mir nun schon so nahe war, näher als ich dachte! Denn ich glaubte, daß Du noch einige Stunden leben würdest, (dieß war meine einzige Hofnung!) und daß ich, nach deinem Verlangen, das Du mir nicht lange vor meinem Weggehn sagtest, noch mit Dir würde beten können. Aber wie oft sind unsre Gedanken nicht Gottes Gedanken! Ich betete nur für mich, nicht für dich, da, dieses vornämlich zu thun, doch so natürlich war. Ich habe seitdem eine sehr freudige Vermuthung gehabt. Unser Versöhner bat in diesen letzten Augenblicken deiner Prüfung für dich! – Nun warst du hingegangen! Man sagte mirs, aber so, daß ich, du seyst von unserm Kinde befreyt worden, einen Au-

Z. 212: Ich mußte neulich] Dieser Brief, oder wie man dieses Stück sonst nennen will, ist binnen zween Monaten zu verschiednen Zeiten geschrieben worden. Aus dieser Ursache ist er mit Sternchen abgetheilt.

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genblick glauben mußte, um den folgenden zu hören, daß du bey Gott seyst! – Dieser Schlag, der die andern niederschlug, erschütterte mich nur. Wie ging das zu, du Geliebte meiner Seele? Mein Gebet war erhört. Ich strebte mich völlig zu unterwerfen. Und vielleicht hattest du auch da schon das erstemal in jener Welt für mich gebetet. Ich weinte nicht, und war doch nicht in dem heftigen Zustande, in welchem man nicht weinen kann. Ich sagte nicht lange nach deinem Tode: Sie ist nicht weit von mir! Und Du warst ja auch nicht weit von mir. Wir waren ja beyde in der Hand des Allgegenwärtigen. Einige Zeit hernach wollte ich hingehn, und dasjenige sehen, was ich in dem Augenblicke meine Meta nannte. Man hielt mich zurück, und eine zweyte Ruhe kam dadurch in meine Seele, daß ich zu einem unsrer Freunde sagte: So will ich es denn unterlassen. Sie wird ja auferstehn! Die andre Nacht kam der Segen deines Todes (bis dahin hatte ich deinen Tod nur für eine Prüfung gehalten) kam der Segen deines Todes in vollem Maaße über mich. Ich brachte über eine Stunde in einer stillen Freude zu. Ich habe nur einmal in meinem Leben etwas ähnliches empfunden, da ich in meinen jüngern Jahren dem Tode nahe zu seyn glaubte. Die Augenblicke meines Abschiedes waren noch etwas anders. Meine Seele war von Dank und Freude empor gehoben; aber jene Stille war nicht darin. Du weißt, wie lebhaft ich war, und wie mir die Worte zuströmten. Aber nun war der höchste Grad von Ruhe, den ich kenne, in meiner Seele. Diese Stunde fing sich damit an, daß mir auf einmal einfiel, daß dein Vollender und mein Fürbitter sagt: Wer Vater und Mutter mehr liebt, als mich, der ist mein nicht werth. – Es ist mir unmöglich, alle Empfindungen dieser Stunde zu beschreiben. Ich bin noch niemals, mit dieser Art von Gewißheit, von meiner Seligkeit überzeugt gewesen. Ich danke Dir aus meiner ganzen Seele, meine himmlische Geliebte. Denn ich habe eine starke Vermuthung, daß Du mir diesen großen Segen deines Todes erbetet hast. Und so hätte ich Dich bey unserm Abschiede (Ach einst werde ich nicht wieder Abschied nehmen. Ach meine Meta, itzt weine ich! – aber Dank sey dem, der machte, daß ich mich damals sogar freuen konnte!) so hätte ich Dich also bey unserm Abschiede vielleicht nicht vergebens gebeten, mein Schutzengel zu seyn, oder vielmehr, so hätte Gott diesen unsern letzten Wunsch erhört! – ***

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Wie viel würde ich unserm frühglückseligen Freunde an Dich aufschreiben, wenn ich nur einigermaßen umständlich in der Beschreibung desjenigen seyn wollte, was ich itzt, da ich nun allein bin, da ich ohne Dich lebe, für Dich empfinde! Was würde er Dir nicht alles von mir zu sagen haben? Aber ich muß mich einschränken. Einer gewissen Wehmuth, Meta, die mich oft überfällt, würde ich mich mehr überlassen, ich würde mirs für erlaubt halten, mich ihr mehr zu überlassen; wenn mir bey dem ersten Schlage, mit dem mich dein Tod traf, nicht so viel Gnade wiederfahren wäre. Wenn ich mich ihrer auch nicht mit Freude und Dank erinnerte; so müßte ich mich ihrer doch erinnern, um dadurch jene Wehmuth zu mäßigen. Ich habe eine besondre Pflicht der Mäßigung auf mir. Meine Wehmuth um Dich überfiel mich eben itzt, da ich daran dachte, daß bis zu deinem Geburtstage, den Du nicht erlebt hast, nur noch wenige Tage sind. Wie werde ich ihn ohne Sie zubringen? dachte ich. Aber ich will diese Frage nicht mehr thun. Wurde ich nicht deinen Todestag so sehr gestärkt! Vor einiger Zeit, da ich gegen die Nacht allein war, stellte ich mir: Daß du bey mir zugegen seyst! so lebhaft, ich könnte wohl sagen, mit einer solchen Gewißheit vor, daß ich Dich mehr als Einmal anredete. Ach wenn Du bey mir gewesen wärst! Ja, dann brauchte ich unserm Freunde fast nichts mehr zu sagen. Solltet ihr Himmlischen wohl bisweilen um uns seyn? Ach, wenn ihr dürft; so ist meine Meta schon oft bey mir gewesen. Und warum solltet ihr nicht bisweilen bey uns seyn dürfen? Seyd ihr nicht den Engeln gleich? und werden die Engel nicht zum Dienste derer ausgesandt, welche die Seligkeit ererben sollen? Aber wenn Du auch nicht gedurft hast; so erfährst Du doch vielleicht bald etwas von mir. Ich weiß, daß die Anzahl derer nicht gering ist, die meine Freunde sind, ohne daß ich sie kenne, und die ich lieben würde, wenn ich sie kennte. Vielleicht ist es nicht lange mehr hin, daß einer von diesen stirbt. Und dann, ach dann, Meta, eilt er Dir mit meinem himmlischen Gruße (darf ich ihn so nennen?) oder vielmehr mit der Erzählung von der Gnade entgegen, die mir wiederfahren ist! – Wie eingeschränkt ich denke! Als wenn Du nicht schon lange, auf andre Weise, wissen könntest, was mir seit deinem Tode wiederfahren ist; als wenn Du es nicht so gar viel bestimmter die Art, nämlich, die Absichten, und die Folgen davon wissen könntest. Ach die Folgen! – Werde ich sie erfüllen die Absichten, die Gott, mit dieser großen Prüfung, und mit der Gnade, womit Er mich dabey unterstützte, gehabt hat? Ich flehe, ich

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flehe dich an, ewiger Erbarmer, laß sie mich nicht ganz verfehlen! Ach was ist es, noch in der Wüste wallen, und nicht daheim seyn! Wie gefahrvoll ist die Reizung zur Sünde! – Wenn Dir, auf eine Art, die ich nicht weiß, vieles von mir bekannt wird; so ist doch vermuthlich vieles nicht wichtig genug dazu. Ich will daher unserm Freunde noch etwas von dem sagen, was ich wünschte, daß Du von mir erführst. Gewiß ohne Wehmuth, die deine Seligkeit nur im geringsten mindern könnte; aber doch mit einer sanften Rührung über mein Schicksal, empfindest Du es, was mir deine beyden Briefe, in denen Du mich dort, wo Du nun bist, und Dich noch hier voraussetztest, was mir diese Briefe itzt seyn müssen! – Für diese Welt auf ewig, meine Meta. Ja, es ist kurz, sehr kurz das Ewige dieser Welt. Wie bald wurdest Du mir genommen! Wie schnell war deine Zeit, und mit ihr so viel Glückseligkeit für mich vorüber! Aber niemals, niemals will ich klagen! auch darüber nicht, daß mir das Ewige dieser Welt so oft gar nicht kurz vorkömmt. Wie dürfte ich klagen? wie der Labsale, wie jener gnadevollen Erquickungen vergessen, die da meine Seele erfrischten, wo mein Weg am rauhsten, wo die Wüste meiner Pilgerschaft jenem finstern Thale, wodurch Du gingst, am ähnlichsten war! – Ja, Meta, nur von einem Herzen, wie deins war, konnte es mit einer Zärtlichkeit, die alles übertraf, gewünscht werden: Den Geliebten zu überleben! Ich weiß, ich weiß es noch wohl, wie oft, und wie lebhaft Du dieß in meinen Armen wünschtest! und was ich dabey empfand! Wenn Menschen etwas von Gott verdienen könnten; so würde ich sagen, Du hättest es, durch diese reine Zärtlichkeit, verdient, daß Du nicht die Nachgebliebne, daß Du so früh vollendet bist! – Es ist hohe Tugend, das Kreuz tragen, wie Gott will. Aber wie sehr unfähig würde ich, durch mich selbst, zur Ausübung derselben gewesen seyn! Du erinnerst dich, wie der mächtige Arm, der mich geführt hat, mich schon damals zu heben anfing, wenn wir von deinem Tode sprachen, und ich immer mich und dich dadurch herausriß, daß ich zu dir sagte: Wie unser Gott will! Du weißt, wie heiter wir dann wurden. Denn sie war nicht mehr fern, die Stunde meiner Angst; und ich sollte zu ihr vorbereitet werden. – Auch Du würdest nicht zu niedergeschlagen gewesen seyn. Auch Dir würde mehr Stärke gegeben worden seyn, als du zu hoffen dich getraut hättest. Und dankbar, dankbar, (denn mit welcher Dankbarkeit nahmst Du nicht immer Alles aus der Hand unsers Gottes!) dankbar würdest du gewesen seyn, und den

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Gram deines Herzens gehemmt haben. – Ach, Meta, du liebst mich also auch itzt? Du liebst mich so, daß sich dein Herz, so gar im Himmel, nach mir sehnt? Wie süß, wie unaussprechlich süß ist dieser Gedanke! Ja, Du bist auf ewig mein, meine für mich geschaffne, meine nun ganz himmlische Geliebte! Ach wenn sie nun kommen wird die Stunde des Wiedersehns, die Stunde voll Freuden ohne Namen, wenn sie nun kommen wird! Nein ich kann es nicht aushalten, mich den Vorstellungen von ihr zu überlassen! – Wenn ich jemals eingesehn habe, wie begränzt wir auch in Absicht unsrer liebsten Untersuchungen sind, ich meine die Untersuchungen deßjenigen, was eigentlich Glückseligkeit ist, wenn ich dieß jemals lebhaft eingesehn habe; so ist es damals gewesen, da ich mir, bald nach deinem Tode, bisweilen wünschte, daß du dich mir auf irgend eine Art zu erkennen geben möchtest. Welcher Wunsch ist natürlicher? und welche wahrere Glückseligkeit hätte ich mir auf dieser Welt wünschen können? Welchen Wunsch kann man aber auch mit wenigerer Hofnung thun? Und warum wird er nicht erfüllt? Weil eine solche Entdeckung der allgemeinen Glückseligkeit des Ganzen nicht gemäß ist. Du siehst itzt das ganze große Gewebe dieser allgemeinen Glückseligkeit. Würde ihr aber auch das zuwider seyn, daß Du dich mir in meiner letzten Stunde zu erkennen gäbst? Ach wenn Du darfst; so so thust Du es gewiß! so schwebst Du nicht nur unsichtbar um mich! so – wie viel Himmel ist in diesem Gedanken! so – erscheinst Du – meinem brechenden Auge! Aber wünsche ich nicht zu viel? Ja, viel zu viel, wenn ich von Belohnung spräche; aber ich spreche von Gnade, die mir Gott durch dich gäbe.

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*** Die Vorstellung von Dir, da Du dem Tode nahe warest, wird in mir itzt oft viel trauriger, als sie in den Augenblicken war, da ich dich sah, in diesen Augenblicken meiner großen Stärkung. Es ist mir alles das nöthig, was die Erinnerung der Auferstehung, und der Gedanke an den allmächtigen Erwecker, süßes, und entzückendes haben, um mich von diesem Bilde loszuarbeiten. Wer die Wonne der Auferstehung noch nicht kennt, wer ihre Labsale noch nicht geschmeckt hat; der sehe nur einen Freund, oder gar eine Geliebte sterben; er wird sie kennen lernen! Ob ich mich gleich durch sie herausreissen kann; so ist es mir dennoch itzt lieb, daß ich dich nicht todt gesehn habe, wie schwer mir es auch

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einigemal wurde, mich zurück zu halten. – Du, die keinen Tag Abwesenheit von mir ertragen konnte, (ach, ich weiß es noch wohl, wie wenig Du das konntest!) du sahst ruhig mich von dir gehn, und fodertest mich nicht einmal zurück, ob ich Dir gleich versprochen hatte, noch mit Dir zu beten. Was war das in Dir? Du warst ganz von dieser Welt los! Es war der Anfang des ewigen Lebens! Ob ich gleich weiß, daß Du niemals aufgehört hast, mich zu lieben; so würde dieser Gedanke doch traurig für mich seyn; wenn es nicht der große Angebetete wäre, um deßwillen Du dich, auch sogar von mir, losrissest. Aber da Du zum Genusse deiner Vollendung gekommen warst; da (dieß hoffe ich zu Gott, der dich mir gegeben hatte!) da dachtest Du wieder an mich, da wünschtest Du, mit einem ruhigen Wunsche des Himmels, daß ich bald zu Dir kommen möchte. Der Wille des Herrn geschehe wie im Himmel, also auch auf der Erde! – ***

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Ich denke oft an deine itzige Glückseligkeit; aber wie unvollkommen! So, wie wir, noch vor so kurzer Zeit! mit einander über die Glückseligkeit jener Welt dachten. Ich denke dich mir manchmal von Vieren mit dir Seligen umgeben, die unsre Kinder waren. Wenn die Seelen, bald nach der Entstehung der Leiber, mit denselben vereinigt werden; so sind es vier mit dir selige Kinder, die um dich sind, die du kennst, und die ich nicht kenne! deren Wonne Du siehst, du glückselige Mutter! und von deren Wonne ich kaum einen entfernten Begrif habe! – Aber ich werde ja dahin kommen, wo ihr seyd! Euer und mein Gott wird sich ja auch meiner erbarmen! ***

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Wie oft denke ich mir Dich, wie Du jene Welten durchschwebst, davon einige wenige unsre Nächte erheitern, und wie Du immer neue von jenen zahllosen Schaaren ihrer Bewohner kennen lernst! Wie weit wird dann meine Seele, und wie los von der Erde! Du weißt, welch ein Gedanke der Entzückung mir die Vorstellung von diesen Heeren von Glückseligen oft war. Wie viel entzückender ist sie mir itzt, da Du unter ihnen bist! Hier kann ich Dir noch einigermaßen folgen. Aber wenn ich dir dahin folgen will, wo du Den schaust, der uns versöhnt hat, und

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den du schon auf der Erde so sehr liebtest; so verliere ich mich, und so hören meine Vorstellungen beynahe ganz auf. Es sahe der Seher der Offenbarung auf Sion Hoch im Himmel ein Lamm, mit schimmernden Wunden bedeckt, stehn, Und mit schönem Blute des Heils! Da standen um Sion Hundert und vierzigtausend Erlöste, die hatten den Namen Hell an ihrer Stirne den Namen des Vaters geschrieben. Und wie Meere, wie Stimmen der Donner, erklangen die Harfen In der Hand der hundert und vierzigtausend Erlösten! Denn dem Sohne, sie sangen dem Sohne! denn ewiges Leben Stieg von den schimmernden Wunden des Lamms in die Seelen herunter.

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Ich nehme nicht wieder Abschied von Dir. Wir sind beyde in der Hand des Allgegenwärtigen.

Klopstock und Margareta Klopstock,

Fragment eines Gesprächs. Ich sagte Ihr einst, daß es mir vorkäme, daß diejenigen Gespräche am natürlichsten werden könnten, welche von einem Paar oder mehr Freunden geschrieben würden. Wir wollten dieß vornämlich auch in der Absicht bisweilen thun, um den Nachbleibenden von uns Beyden, und unsern Freunden ein Andenken von dieser Art zu hinterlassen. Diese unvollendete Kleinigkeit war eine Folge von diesem Einfalle. Wie wünschte ich, einige von Ihren ernsthaften Unterredungen mit mir so zu wissen, daß ich sie auffschreiben könnte. Denn welch ein Herz hatte Sie, und was für einen schnellen und zugleich richtigen Verstand. Sehen Sie die Unsterblichkeit des Nachruhms als eine Chimäre des Stolzes an? oder verdient sie, daß sich der Vernünftige, und der Rechtschafne bemühe, sie zu erlangen?

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Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock. (1759)

Ich sehe den Nachruhm als ein Mittel an, uns noch Freunde nach unserm Tode zu erwerben. Wie süß, und wie einem Vernünftigen anständig ist es nicht, auch noch dann Freunde zu haben! 440

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Aber gleichwohl haben viele von denen, die unsterblich geworden sind, über die Bemühung, es zu werden, gespottet. Und wie kaltsinnig pflegen überdieß diese Freunde nach dem Tode zu seyn! Wie oft spotten viele nicht über Sachen, die sie wünschen, und um welche sie sich bemühen, entweder weil sie nicht hoffen, jenen Wunsch zu erlangen; oder weil sie wohl wissen, wie sehr eine Bemühung getadelt wird, deren Absicht man zu deutlich entdeckt. Ihr Spott ist also nicht aufrichtig. Sie wollen entweder ihre Absicht verbergen, oder ihren Wunsch sich selbst nicht anvertrauen. Wer selbst verdient unsterblich zu werden, wird nicht ein kalter Freund von einem schon Unsterblichen seyn! Wenige heisse Freunde sind besser als eine grosse Menge kalte. Aber was das erste, so Sie mir antworteten, anbetrift, so kann ich mich nicht überreden, daß sich alle diese großen Männer hierin verstellt haben solten. Sie haben die Ehre überhaupt für etwas so Geringes gehalten, daß ihnen sogar ihre höchste Stufe, die Unsterblichkeit, zu erreichen, wenig wünschenswürdig vorgekommen ist. Wenn sie die Unsterblichkeit wirklich für so gering gehalten haben, so müssen sie gar nicht an ihren Nutzen gedacht haben, gar nicht, wie sehr sie uns mit den Nachkommen verbindet. Ich halte die wahre Ehre überhaupt für etwas unsrer Natur eben so eignes, als die Eitelkeit dieser einfachen schönen Natur vielleicht entgegen ist. Ich gebe zu, daß die Begierde nach wahrer Ehre unsrer Natur angemessen sey. Ich gebe ferner zu, daß vortrefliche Thaten und eben solche Schriften, wenn sie von einer ganzen Nachwelt betrachtet und gelesen werden, einen weit ausgebreiteten Nutzen haben. Aber man thue diese Thaten, man schreibe diese Werke, ohne daran zu denken, daß man dadurch unsterblich werden wolle. Die Ehrbegierde ist eine gar zu reizende Verführerinn. Sie kann uns unvermuthet dahin bringen, daß wir die Ehre nicht mehr als ein Mittel, nützlich zu seyn; sondern als einen

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Endzweck ansehn, und dadurch unsre Unternehmungen zwar nicht ihres Nutzens; aber uns selbst unsers moralischen Werths, in Betrachtung der Absicht, berauben, die wir bey unsern Unternehmungen hatten. Der Nutzen muß freylich der Hauptzweck unsrer Unternehmungen seyn. Wie klein ist die Unsterblichkeit derjenigen, die sie, ohne zu nützen, erlangt haben. Ich glaube nicht, daß die wahre Ehre uns verführen wird, sie als den Hauptzweck anzusehn. Sie ist immer zu sehr mit unsrer Pflicht und dem Nutzen verbunden. Aber warum sollten wir uns nicht freuen, wenn wir nützen, zugleich diese reine unschuldige Ehre zu erlangen? Ich würde zu strenge seyn, wenn ich alle Freude über eine gehoffte Unsterblichkeit verbieten wollte. Aber sich ihr nur selten, und mit grosser Mässigung zu überlassen, ist kein zu strenger Rath. Man kann sich hier gar zu leicht hinreissen lassen, das Mittel in den Zweck zu verwandeln. Was ich bisher Ehre genannt habe, ist hauptsächlich der Wunsch, von unsern Nachkommen geschätzt, und geliebt zu werden, so wie wir es von denen, die mit uns leben, wünschen, oder wie ich erst sagte: Freunde zu sammeln. Dieser Wunsch wird uns nicht leicht zu etwas anderm hinreissen, als vielleicht den Nutzen, den wir für diese Freunde stiften können, uns oft und von vielen Seiten vorzustellen. Wie viele ermuntert Young nicht aus einem Schlafe des Leichtsinns oder der Gleichgültigkeit. Und die, die nicht mehr leichtsinnig oder gleichgültig sind, wie belebt er nicht ihre Empfindungen! wie erhebt er sie zu seinen eignen! wie lehrt er Gott anbeten! wie lehrt er sie Christen bleiben! Und die Vorempfindung von allem diesen die sollte nicht erlaubt, nicht hohe himmlische Freude seyn dürfen?

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. Handschriftlich überlieferte Fragmente. I (1764–1767) Verweisungszeichen des Autors 5

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krito. Sie haben ausser dem Langsamern und Schnelleren nichts gehört. Denn dieß ist auch eine Wirkung der Sylbenstellung. sophron. Mir scheint es aber, daß auch die Sylbenstellung an sich selbst in Betrachtung kömmt. Sie gefällt dem Ohre auch ohne Beziehung auf die Bewegung, welche durch sie verändert wird. krito. Abwechselnde Längen und Kürzen können nichts anders hervorbringen, als mehr und weniger Langsamkeit oder Schnelligkeit. sophron. Erlauben Sie mir, Daphne, daß ich mit Krito nur noch ein Paar Worte besonders rede. Wenn Sie Füsse aussprechen, so höre ich Bewegung, eine sehr langsame, wenn sie aus lauter Längen, und eine sehr kurze, wenn sie aus lauter Kürzen bestehn; eine weniger langsame, wenn Kürzen zu den Längen, und eine weniger schnelle wenn Längen zu den Kürzen hinzukommen. Ausser dem wird die Bewegung der Füsse, in den einfachen, durch die Zahl der Sylben, und bey den abwechselnden nicht allein durch die Zahl sondern auch durch die Stellung der Sylben verändert. krito. Nun so ist ja keine andre Wirkung der Sylbenstellung übrig, als die veränderte Langsamkeit oder Schnelligkeit des Fusses. sophron. Es ist aber noch die Wirkung ihrer Symmetrie übrig. Welchen Vers von diesen beyden ziehn Sie dem andern vor: cvvc , vvcc , vvcc , vvcc , cvvc , vvcc . krito. Ich kann nicht gleich wählen. sophron. Sie finden doch, daß sie von einander verschieden sind? krito. Das sind sie. sophron. Wodurch denn? Ist die Bewegung des einen schneller, als des andern? Sie könnten den zweyten ein wenig schneller als den ersten nennen weil er mit Kürzen anfängt. Unterdeß ist dieser Unterschied so gering, daß er von dem Zuhörer nicht bemerkt wird, und also nicht ge-

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rechnet werden muß. Also wären diese beyden Verse bloß durch die Sylbenstellung unterschieden, und wenn sie einem oder dem andern den Vorzug gäben, wären sie es, die den Vorzug veranlaßte. krito. Meinen Sie, daß sie ausser dem daß sie dem Ohre gefiele, auch metrischen Ausdruk hätte? sophron. Schnelligkeit oder Langsamkeit ist vornämlqichp metrischer Ausdruk: Wenn zu dieser oder jener noch ein gewisser höherer Grad der Symmetrie hinzukömmt, so macht dieß, daß der eigentlqichep Ausdruk merklicher wird. Sie sehn, daß ich in Absicht auf die Anwendung, nicht mehr von der Sylbenstellung überhaupt, sondern von einer rede, die sich ausnimmt. daphne. Ich will nur bey dem stehn bleiben, was Sie mir auch, und nicht Krito allein gesagt haben. Wozu hilft mirs dieses alles so genau zu wissen?

II (1764–1767, 1778) 8) (Nr 1–7 verschollen) sophron. Der Pyrrhichmoloß „vvccc“ q„pVon dem Nachtthal her“ hat nicht völlig den erhabenen Gang des Chormolossen, er ist ihm aber sehr ähnlich. Der Hippeus „vccc“ „Gerichtsausspruch“ wird dadurch noch ernsthafter, als der Molossus, daß der Contrast nur Einer kurzen Sylbe mit drey langen diese noch merklicher hören läßt, als wenn drey lange Sylben allein stünden. daphne. Was ist das für ein Fuß, den Sie eben nannten? Ich dächte, ich hätte schon etwas davon wissen sollen, um Sie genung zu verstehn. –––– sophron. Der Moloß gehört mit zu den Ausnahmen. Und Sie wissen, daß ich Ihnen die Ausnahmen zulezt sagen wollte daphne. Ich bekümmre mich wenig um Ihre Ordnung. Sagen Sie mir die Sachen nur, wenn ich sie wissen mag, und, wie mir das jezt der Fall zu seyn scheint, wenn ich sie wissen muß. sophron. Der Umstand, wenn Sie die Sachen wissen mögen, ist mir gar nicht gleichgültig. Die Ausnahmen also. Der Spondeus „cc“ Heerschaar. wurde in den Gedichten, welche die Griechen bey der Sponda, oder dem Opfer sangen, oft gebraucht.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

Es ist aber hier nur von solchen Opfern die Rede, wodurch ein grosses allgemeines Elend abgewendet werden sollte. Der Spondeus ist ein ernsthafter Fuß, und sein Maaß das leichteste fürs Ohr. Denn es vergleicht zwey lange Sylben so gar noch leichter mit ein ander, als zwey kurze, weil sich die Aussprache bey jenen länger aufhält, und dadurch das Verhältniß desto merklicher macht. Wir haben sehr wenig Spondeen in unsrer Sprache, und auch eine ziemliche Anzahl, das erste, wenn wir die Spondeen als Wortfüsse ansehn, und das zweyte, wenn wir auf diejenigen Spondeen sehn, die in mehrsylbigten Füssen verstekt sind. Der Moloß „ccc“ q„pMiterbtheil“ heißt von den Molossen, einer kleinen Nation so, weil diese ihn oft in ihren Versen brauchte. Er vermehrt den Ernst des Spondeus durch eine lange Sylbe mehr. Als Wortfuß haben wir ihn sehr selten in unsrer Sprache. mesus. Oder vielmehr gar nicht. sophron. Erinnern Sie sich, was ich bey Gelegenheit des Baccheus von unsern einsylbigten Wörtern sagte. Ich halte z. E. diesen für einen wirklichen Moloß: Waldstrom steh. Nun kennen Sie, Daphne, die beyden langsamen von den Füssen der Ausnahme; die beyden schnellen sind: daphne. Erlauben Sie mir, daß ich Sie einen Augenblik unterbreche. Wenn ich Sie recht verstanden habe, da Sie von dem Rhythmus der Füsse sprachen, so haben diejenigen, die Sie ausnehmen, keinen Rhythmus. sophron. Es ist mir angenehm, daß Ihre Anmerkungen immer kritischer werden. Ich sagte, daß der Rhythmus der Füsse in der Art ihrer Bewegung bestünde: weil aber die meisten abwechselnde lange und kurze Sylben haben; so muste ich hinzusetzen, daß es dabey hauptsächlich auf die Stellungen der Längen und Kürzen gegen einander ankäme. Der Rhythmus der ausgenommenen Füsse ist also einfach, und der andern ihrer zusammengesezt. Sie sind Schuld, Daphne, daß ich eine Eintheilung habe machen müssen, die Mesus ganz gewiß für höchstüberfliessig halten wird. Unterdeß ist es doch nicht überfliessig anzumerken, daß das Einfache in diesen Füssen der Harmonie derselben gar nicht nachtheilig ist. Ich nenne Ihnen den Pyrrhichius und den Tribrachys nur, damit Sie die mehrsylbigten Füsse in kürzere auflösen können. Ich würde Ihnen mehr davon sagen, wenn sie in unsrer Sprache Wortfüsse seyn könnten.

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Der Pyrrhichius ist dieser „vv“ und der Tribrachys: „vvv“ Pyrrhus erfand Kriegstänze, deren Lieder fast aus lauter Pyrrhichien bestanden, und nur bisweilen mit dem Anapäst endigten. Die komischen Dichter mischten manchmal auch solche Verse ein, die doch nur alsdann für die Declamation seyn konnten, wenn der Inhalt den Acteur so schnell sprechen hieß, als der Geizige im Moliere thun muß, da er bestohlen zu seyn glaubt. Auch die tragischen Dichter und so gar Sophokles hatten unterweilen pyrrhichische Verse in ihren Chören, für den Gesang sind sie; aber gewiß nicht für die Declamation; und gleichwohl sollten auch diejenigen Verse declamiert werden können, die vorzüglich für die Musik gemacht sind. daphne. Fallen Ihnen keine solche tragischen Verse ein? sophron. Ich kann sie Ihnen ohne äusserst affektirte Schnelligkeit nicht aussprechen. daphne. Aber ich möchte sie gleichwohl gern hören. sophron. Da haben Sie zwey aus Euripides Phönizierinnen: Takea meleos agamed’ agamedon Hos epi thanaton oichetai daphne. Sie haben recht. Diese Verse sind ganz und gar nicht für die Declamation gemacht. 12) (Nr 9–11 verschollen) ich sie Ihnen auch, ohne Absicht auf ihre Schnelligkeit oder Langsamkeit, so wiederhohlen, wie sie an rhythmischer Schönheit zunehmen. Die schnellen sind: vcv , Gesänge vc , Gebeut cvcvv schnellentfliehende vcvc , mit Ungestüm vvcc in dem Reihntanz cvvc , Wonnegefühl vvvcc , In des Gesangs Flug + krito. Wie kann der Choriambus schneller als der grosse Päon seyn, da dieser eine kurze Sylbe mehr hat? sophron. Im Päon folgen die beyden langen Sylben auf einander, und sie halten die Schnelligkeit der drey kurzen dadurch auf. Im Choriambus sind jene so getrennt, daß diese noch merklicher gehört werden.

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cvv , vcvv , vvcv , vvc , cvvv , cvvvc , vvcvv , vvvc ,

Glükliche Beselende der Symblet (Simble˛t) In dem Liede der Didymär Mit empor! Flüchtigere + Heiligere Schaar + der Geflügelte Zu dem Triumph! +

Die Langsamen sind: — vvccv , In dem Palmhaine + der anapästische antispast vccvv , Gerichtdrohend + der daktylische vvvccc , Von dem Gebeinthal her der sechssylbige cv , Weine! ccvv Glükselige der Persikus cvcv Silberstimme der Dichorär vcc , Gerichtstag! vccv die Wehklage +++ cvc Donnerwort vvccc , Von dem Tod aufstand cc , Grabnacht. ccvc Waldstromgeräusch ccv , Rachauge + cccvv Schlacht ankündete cvcc , Gang der Heerschaar vccc , Vor Wehmut stumm cccv , Laut nachklagte. + ccc Wutausruf 13) sophron. Die Füsse folgen nach den Graden ihrer rhythmischen Schönheit so auf einander. krito. Sie müssen mir erst sagen, was Sie eigentlich durch diese rhythmische Schönheit verstehn. Denn die Verminderung und Vermehrung des Langsamen oder des Schnellen in der Bewegung scheint mir schon den ganzen Begriff der veränderten Stellungen der Längen und der Kürzen zu erschöpfen.

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sophron. Ich möchte Ihnen und Daphnen zugleich antworten können. Doch dieß geht nicht an. Ich will daher erst Daphnen, und dann Ihnen antworten. Sie hören, Daphne, zugleich mit der Schnelligkeit oder Langsamkeit eine gewisse Wendung, die diese Bewegungen nehmen, einen Aufschwung, einen Fortschwung, ein kurzes, ein fortgeseztes Nachlassen Töne, die bald sanft auf und nieder steigen, und bald schweben. Ihre Einbildungskraft glaubt Ähnlichkeiten zwischen diesen Arten der Bewegungen, und zwischen den Wendungen der Leidenschaften zu finden, die Ihnen der Dichter auch durch noch ganz andre Künste, als des Rhythmus seine sind, so lebhaft vorstellt, daß Ihre Seele jeden Antheil nimmt, den sie zu nehmen fähig ist. daphne. Haben Sie nun noch eine Antwort nötig, Krito? Ich werde nach dieser Beschreibung kaum im Stande seyn die Trockenheit einer Definition anzuhörenq.p krito. Mein Geschmak ist für beyde, für die Beschreibung und für die Definition. sophron. Wenn ich rhythmische Schönheit sage; so will ich dadurch die auch durch den Rhythmus vermehrte oder verminderte Schnelligkeit und Langsamkeit von dem Begriffe der Schönheit nicht ausschliessen; ich will auch damit nicht behaupten, daß diese Vermehrung oder Verminderung nicht den merklicheren Charakter des Rhythmus ausmache. Sie sehen also in welche Gränzen ich dasjenige einschränke, was ich rhythmische Schönheit nenne. Ich verstehe durch diese Schönheit eine Stellung der Längen und Kürzen, die unserm Ohre gefällt, und durch dieses Gefallen auf unsre Seele wirkt. Ich seze das lezte nur deßwegen hinzu, weil Sie vielleicht in diesem Augenblicke nicht daran denken könnten, daß alle Bewegungen unsrer Sinnen, auch die feinsten Einflüsse auf unsre Seele haben. Vielleicht kann nur ein sehr feines Ohr, und eine zugleich durch die Objekte des Dichters sehr bewegte Seele diese Schönheit empfinden. krito. Eine gefallende Stellung der Längen und Kürzen. So ist es ja doch nur der Begriff vom Langsamen und Schnellen. sophron. Das Ohr bemerkt ausser diesem, noch ein gewisses Verhältniß der Ordnung in der die Längen und Kürzen mit einander abwechseln. krito. Aber diese Stellung macht selbst mechanisch gleiche Füsse Länger oder Kürzer.

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sophron. Kann sie denn deßwegen, weil sie diese Wirkung hat, nicht auch die andre haben, Ihrem Ohre durch ihr Verhältniß zu gefallen? daphne. Ich fürchte, daß Sie zu genau aus einander sezen, und daß Ihnen diese Genauigkeit zu nichts hilft. sophron. Wovon spricht man nicht, wenn man so freundschaftlich bey einander ist, wie wir, und wozu kann uns ein Krito nicht verführen. krito. Sie geben Daphnen zu viel nach, Sophron. sophron. Wenn mir Daphnens Ohr nur auch wieder ein wenig nachgiebt; so hab ich nichts weiter zu erinnern. krito. Seyn Sie allenfalls ein wenig stolzer, und sprechen nicht von Nachgeben. sophron. Ihr Ohr also, Daphne, nachgebend, oder nicht nachgebend, wie Sie wollen, aber aufmerksam. Wie entscheidend mir schon oft seine Feinheit gewesen ist, wissen Sie. Die Grade der zunehmenden rhythmischen Schönheit sind nur kleine Schattirungen des Unterschieds, und ich werde nicht mit Ihnen streiten, wenn ihr Ohr ein wenig anders urtheilt als meins. Denn wir würden sonst zu viel zu streiten haben. cv Thräne 6Sophron:7 6Mänin7 vcv Gelinde 6aeide7 vc der Zorn 6Thea7 6Dieß für Sie, Krito.7 (daphne. Warum wollen Sie denn das Griechische vor mir Geheim halten? Sagen Sie mir gleich, was das für ein Vers war 6krito7 sophron. Es war der erste halbe der Ilias.) (krito. Hat Sie Homer veranlaßt, diese drey ersten Füsse in dieser 6Folge der7 Gradation der rhythmischen Schönheit zu setzen? sophron. Nein. Homers Anfang fiel mir in diesem Augenblicke ein.) cc Heerzug cvvv Seligere cvv Fliegende ccv „Pflugtreiber“ streun schreckend „Salzsaat ausq“p cvcv Wasserfälle vcvv „des steigenden“, und sinkenden „des feurigen“ Odenflugs vcvc der Lanze Wurf vccv Mit Kriegsblute

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krito. In welcher Betrachtung finden Sie den Rhythmus des Antispasts so schön, daß Sie ihn hierher setzen? sophron. Weil sein Gang einen sehr bestimten Ausdruk hat, und viel ausdrücken kann. cvcc Bittres Elend ccvv , Gott mache „den Toderbenden“ glükseliger ccvc , dem Erdkreis Verführung „Wahn Wut und Tod!“ vccvv , herabströmende vcc , der Nacht Schooß ccc , Bang wehklagt cvc , Siegsgesang vvc , Sie entflohn vvcvv , Mit dem Eilenden cccv , Wehmutsstimme vccc , des Grabmals Nacht. vvccv , In dem Sternheere. vvvc , Wie im Triumph vvcv , am Gestade vvvcc , zu dem Gericht kam. vvccc , Von dem Tod aufstand cvvvc , Schwangen sich empor. vvcc , Am Olymp scholl cvvc , Wonnegefühl. vvvccc , Wo die Posaun hinscholl „und das Gebirg einsankq“p. Ich will nicht gleich von den Füssen zum Verse übergehen; sondern Sie vorher mit einigen Doppelfüssen, oder in Ihrer Sprache zu reden, Daphne, mit einigen anfangenden Melodien bekannt machen. Sie urtheilen leicht, wie viel Dipodien nur unter denen Füssen, die ich angeführt habe, möglich sind. Ich will aus diesen nicht einmal alle melodische sondern nur diejenigen herausnehmen, welche mir es vorzüglich zu seyn scheinen. vvcc , vvc , vvcc , vvvc , vvcc , vvvccc ,

In dem Lautmaaß des Gefühls Da der Heerzug in dem Triumph zu dem Thron führt, wo unerforscht Gott herrscht

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ccv , vc , ccv , vvc , cvv , vvc , ccv , vccv , cvv , cvvc , cvvv , cvvvc , cvvv , cvc , vcv , vccv , vcvv , vc , cvc , vvc , cvvc , vvvcc , cvvvc , vvvc , cvvc , ccvv , cvvc , cvc , cvvc , cvvvc , cv , cvvc , ccc , vvvc ,

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Wo der Sturm sie, und das Meer Da der Wehausruf von dem Gebirg herscholl Wie liegt, Weh! sie zerstört da! des Herrn Arm rettet. Vor dem Reihntanz trat sie daher Von dem Gerichtsthron schrekte sie der Herr Laut tönte die Schlacht. Kriegswagen und Geschoß. Feurige Melodie. Wehklagen, und bang Seufzen Rauschte vom Hügel herab. Selige, die droben in der Ruh Glükliche, die weit von uns Mit Thränen, und Wehklagen. Ein fligendes Geräusch Sank sein Haupt, und entschlief Klagend erscholl in dem Gebeinthal Ewiger, wie rein, und wie gerecht Palmen und Lohn, Glükseliger! Wonn und Triumph sang ihr Lied derer, die du, Herrlicher, erhöhst. Preiset, Psalme, den Herrn.

daphne. Mich deucht, es sind schon ganze Verse unter diesen Dipodien. sophron. Einige lyrische Verse dürfen sogar noch kürzer seyn, als verschiedne von diesen Dipodien sind. mesus. Ich bin nicht völlig überzeugt, daß Sie das Sylbenmaaß durchgehends recht beobachtet haben. Mir kömmt es, zum Exempel vor, daß Sie so hätten aussprechen müssen: c v v c v v v c c Klagend erscholl in dem Gebeinthal sophron. Sagen Sie denn: c c Im Thal?

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mesus. Nein so sag ich nicht. sophron. Also hätten Sie allein die Anmerkung machen sollen, daß Sie, in Versen, denn in Prosa thun Sie es, nicht daran gewöhnt wären, drey kurze Sylben nach einander auszusprechen. Verweisungszeichen des Autors 14) krito. Eh Sie zum Verse übergehn, muß ich Ihnen noch eine kleine Anmerkung machen. Es giebt einsylbige Wörter, die einen solchen Nachdruk haben, daß sie für sich ein Ganzes ausmachen, und daher nicht als eine Sylbe zu einem Fusse genommen werden können. sophron. Wenn Sie einen einsylbigen Fuß, eine Pause zwischen den Füssen, oder wie Sie es sonst nennen wollen, annehmen: so ändern sie dadurch nur in denjenigen Versen Ihren Rhythmus, in welchen Sie einsylbige Wörter von solchem Nachdrucke sezen; in den übrigen bleibt er. Über dieß wird das einsylbige nachdrükliche Wort, wenn es den Vers nicht anfängt, und zugleich den Perioden schließt, doch mehr zu dem vorhergehenden oder folgenden genommen, als es davon abgesondert wird, und es trennt sich also auf eine zu wenig merkliche Weise von dem Fusse, zu dem es gehört. krito. An sich selbst ist es aber doch ein ganzes. sophron. Es kömmt uns allein darauf an, ob es die Aussprache und das Ohr so nehmen. krito. Also machen einige einsylbige Wörter zusammen erst einen Wortfuß? sophron. Nicht dieß nur, sondern sie werden auch zu den mehrsylbigen gerechnet, um mit diesen den Wortfuß zu machen. Überhaupt ist es eine von den größten Schwierigkeiten unsers Verses, solche einsylbige Wörter zu wählen, und sie so zu stellen, daß der Leser keinen anderen Fuß daraus machen kann, als der Dichter hat haben wollen. krito. Mich deucht auch, daß bisweilen selbst mehrsylbige Wörter so genau zusammen gehören, daß sie als ein Ganzes angesehn werden müssen. sophron. Sie haben völlig Recht. Alles, was nach dem Inhalte zusammen gehört, und was daher der Leser schnell hinter einander ausspricht, macht die eigentlichen Theile des Verses. Sie müssen aber auch den Begriff von dem Zusammengehörenden nicht zu weit ausdehnen. Denn sonst könnten Sie darauf verfallen zu glauben, daß ich

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

die kürzeren Absätze des Verses, oder die meisten Dipodien mitmeinte. Zum Exempel: v vc cv des Gesangs Töne ist der anapästische Antispast, aber: v c v, v v c die Töne des Gesangs der Amphibrachys und der Anapäst. Wie die Füsse Theile des Verses sind, so sind wieder die Verse Theile des poetischen Perioden. Einige Perioden

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selmer. Nun mit gothischer denn. Als wenn die Gothen in vielen Sachen auch nicht Barbaren gewesen wären. Überhaupt sind wir Neuern, die wir von dem, was in besten Verstande des Worts Bildung heißtq,p nicht wenig durch unsre Weichlichkeit verloren haben, zu verschwendrisch mit dieser Benennung. minna. Was geht mich jezt unsre Bildung und unsre Weichlichkeit an. Den altdeutschen Vers will ich hören. selmer. Leerraum für ca. 2 Ms-Zeilen Wenn wir Gedichte aus diesen Zeiten hätten; und wir finden vielleicht noch welche aus früheren, wofern die Abschriften, die Carl der grosse von den Barden machen ließ, nicht verloren sind; so könnte ich Ihnen vielleicht etwas ziemlich bestimtes von der Versification unsrer Vorfahren sagen. Denn ich glaube daß Sie mir erlauben würden, die Quantität dieser alten Sprache überhaupt nach unsrer zu beurtheilen. Der Barde Ossian, ein Caledonier, Picht, oder Albarich, wie Sie wollen, aber sehr wahrscheinlich deutscher Abkunft hat Versarten, die unsre Aufmerksamkeit verdienen. (Einweisungszeichen des Autors, dessen Entsprechungstext nicht ermittelt ist.)

Zur Einleitung der Abhandlung? (1767/1768)

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selmer. Es ist überfliessig, und nicht leicht zu untersuchen, ob die Gothen, welche sich theils auch an den deutschen Ufern der Ostsee niedergelassen hatten, Einen Hauptstamm mit denen Nachkommen der Scythen, unter denen Ovidius lebte ausmachten; aber es ist gewiß, daß die Sprache dieser Scythen, in welcher ihr Bischof Ulphila die Bibel übersezt hat, keiner andern so gleich kommt wie unsrer jezigen, ihre Dialekte mitgerechnet, als worinn die meisten alten Wörter übrig sind. Ovidius war nicht viel über drey hundert Jahre vor Ulphila in Pontus. Und vielleicht waren seine scythischen Hexameter diesen sehr ähnlich die Ulphila von ungefähr gemacht hatq.p minna. Ein scythischer Hexameter, den muß ich notwendig hören. selmer. Oder auch ein altdeutscher, Minna. heiners. Gestehen Sie mir nur, daß Sie das Wort, gothisch sehr künstl. vermieden haben.

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Vgl. HKA, Werke VII 2, S. 785/786: „Zeugnisse zum Text“, Nr 1a-b: Die Versification der spätern Skalden ist Künsteley q…p

Zur Einleitung der Abhandlung? (1767/1768) minna. Sie bringen mich auf etwas zurük, das ich nicht recht entwickeln kann, ich meine, in wie fern die Materie und die Ausführung sich zu einander schicken müssen. Helfen Sie mir da heraus. selmer. Der Dichter muß weder unter der Materie, die er gewählt hat, noch über derselben seyn. Er muß ihr Gedanken und Ausdruk (auch den Zeitausdruk) anmessen. minna. Ich habe immer gedacht, daß sich der Dichter zum Herrn der Materie macht, und sie hebt, und sinken läßt, wie er will. selmer. Wir kommen von unsrer Sache ab, sonst hätt ich Ihnen hierüber noch etwas zu sagen. minna. Lassen Sie uns immer ein wenig abkommen. selmer. Der Dichter wählt. Wenn er nicht gut wählt; so ist das Gedicht in der Grundlage verdorben, ist ein Krankgebohrner. Doch davon reden wir jezt nicht. Wir nehmen an, er hat eine gute Materie; und er kennt sie auch. Denn wenn er sie nicht kennt; so hat er sie nicht. Wenn er sie kennt; so denkt er etwas, das viel ausgezeichneten Charakter hat. Und dieses …

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

diese Materie, so bestimmt, fodert, in vielen Gesichtspunkten Herrschaft über ihn. Sie sehen, daß ich vornämlich das Wahre der Materie meine, das er durch keine grössere odere kleinere Ausbildung ändern darf. Man hätte erwarten können, daß die, welche die Untersuchung bis zur Schwazhaftigkeit herunter erniedrigt haben, uns ein Paar Worte hierüber gesagt hätten; aber ich kenne die wenigstens nicht, die es vielleicht gethan haben. Doch wir könnten zu umständlich werden. Die Sache ist kurz diese: Wenn die Materie und der Dichter Charakter, und zwar sehr bestimmten haben; so entstehen Gedichte, wie Sie sie lesen mögen. minna. Ich habe bisher nur von dem reden hören, was die Dichter Charakteristisches haben. selmer. Es ist immer so gewesen, daß man von einigen Sachen zu viel, und von anderen zu wenig gesagt hat. Z. E. viel zu wenig vom Ausdrucke der Leidenschaft; und viel zu viel von anderen noch dazu oft gesagten Nebensachen. Und ich kenne doch nichts, das den Theoristen mehr beschäftigen würde, als die Bestimmungen poetischer Materien, und als die noch viel schwereren Bestimmungen: wie die Leidenschaft und, in welchen Graden, nach der Verschiedenheit der handelnden Personen, sie auszudrücken sey. Doch Sie müssen auch meine Klage, daß dieses noch nicht abgehandelt ist, nicht für lebhafter halten, als sie ist. Ich meine nur, daß, wenn man je abhandeln wollte, man die seltner berührten und tiefsinnigeren Gegenstände wählte. Diese Untersuchungen (Fortsetzung nicht überliefert)

Zum Fragment „Vom gleichen Verse“? (1764–1779)

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Verweisungszeichen des Autors Dionysius von Halikarnaß, und Athenäus haben uns eine Stelle des Bacchylides aufbehalten, die sie, wie die griechischen prosaischen Scribenten oft thun, ohne Abtheilung der Verse hinsezen. Bacchylides scheint mir diese Strophe gemacht zu haben. cvc , cvc , cvc cvc , cvvc , cvc cvc , cvc , cvc cvvc , vcc Uch hedros ergon ud’ ambolas

Vom deutschen Hexameter, aus einer Abhandl. vom Sylbenmaasse. (1769)

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Alla chrysaigidos Itonias Chrä par eydaidalon naon el Thontas habron ti deixai. Wir müssen nicht säumen und aufschieben, sondern zu dem prächtigen Tempel der goldbewafneten Itonia eilen, und ihr Fest begehn. Der feyerliche Gang dieser Strophe schikt sich zu ihrem Inhalte. Der Choriamb unterbricht den Langsamen Kretikus nur zweymal. Sie würde mir ganz gefallen, wenn der dritte Vers dem ersten nicht völlig gleich wäre. Ich würde diesen durch eine kleine Änderung, die der Strophe ihre Simplicität liesse, so unterscheiden: cv , cvc , cvc

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Gedruckte Fragmente. Vom deutschen Hexameter, aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1769.) selmer. Die Regel unsers Hexameters ist, den Dactylus öfter, als den Trochäus, und diesen, als den Spondeus zu setzen. Wir dürfen den Daktylus nicht so oft, als die Griechen brauchen, weil der Trochäus nicht so langsam als der Spondeus ist, und weil dieser, als der dritte Fuß der Versart, zu selten vorkomt, dem öfter wiederhohlten Daktylus das Gleichgewicht zu halten. Sie werden mir zugestehn, daß unser epischer Vers mannigfaltiger, als der homerische sey: Ich nenne den Hexameter der Alten so, weil ihn Homerus schöner gemacht hat, als irgend ein Grieche oder Römer; aber Sie werden mir vermuthlich Partheilichkeit Schuld geben, wenn ich auch den Rhythmus unsers Hexameters vorziehe. werthing. Ich läugne es Ihnen nicht, daß Sie mir partheiisch vorkommen. selmer. Und warum komme ich Ihnen so vor? werthing. Weil ich mehr Wohlklang in dem griechischen, als in dem deutschen Hexameter höre. selmer. Ich sehe wohl, ich werde Sie beschuldigen müssen, daß Sie dießmal den Klang der Worte und ihr Zeitmaaß mit einander verwechselt haben.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

werthing. Es ist wahr, ich hatte jetzt diesen Unterschied nicht gemacht. selmer. Ich ziehe unsern epischen Vers dem griechischen in Absicht auf den Rhythmus aus zwey Ursachen vor. Die erste ist, weil sich der Daktylus und der Trochäus ähnlich sind, und der Spondeus kein näheres Verhältniß zu dem Daktylus hat, als zu allen andern Füssen, den Moloß ausgenommen. Diese Übereinstimmung der beiden vornehmsten Füsse unsers Hexameters gefiel den Griechen so sehr, daß sie diesen Doppelfuß: cv , cvv den musikalischen nannten. Ob nun gleich der Vers viel öfter aus Wortfüssen, als aus den Füssen der Regel bestehn muß, so dürfen doch diese manchmal einen Theil desselben bilden. In dieser Betrachtung kann uns das genauere Verhältniß nicht gleichgültig seyn. Die zweyte Ursach, warum ich unserm Verse den Vorzug gebe, ist, weil die Rhythmen, durch die er mannichfaltiger, als der homerische wird, einen schönen metrischen Ausdruk haben. Ich glaube, Sie machen mir jetzt den Vorwurf der Partheilichkeit nicht mehr. Gleichwohl will ich Ihnen meine Unpartheilichkeit noch mehr zeigen. Ich behaupte es nämlich als einen Vorzug des homerischen Verses, daß er die Schnelligkeit des Daktylus mehr durch seinen Spondeus, als der unsrige durch seinen Trochäus aufhält. Unsere Dichter können diesen Vorzug vermindern, wenn sie sich bemühen wollen, theils Gebrauch von den nicht zu wenigen Spondeen zu machen, die wir vornämlich durch Hülfe unsrer einsylbigen Worte haben können; und theils oft solche Trochäen wählen, die nach der girechischen Aussprache Spondeen seyn würden, und bey uns den Schein derselben haben. minna. Aber was hilft uns das, da wir Deutsche sind, und an diese Vergleichung nicht denken? Denn was gehet uns übrige der zwanzigste unter den wenigen Lesern des Homer an, der so gar sein Sylbenmaaß versteht? selmer. Sie haben so sehr recht, als man nur haben kan: Allein, auch ohne Vergleichung, bleibt doch auch für uns ein Unterschied. Sie hören nämlich andre Trochäen, wenn Sie spondeenähnliche hören. Man könnte vielleicht sagen, geben Sie mir einmal den Homer her, Werthing, daß die Griechen auch solche Trochäen hätten. Doch ich sehe jetzt die Sache nicht mehr in dem Gesichtspunkt an, daß wir durch diese Trochäen den Gang des Verses etwas spondeisch machen wollen. Ich vergleiche nur die Qvantität der Griechen mit uns-

Vom deutschen Hexameter, aus einer Abhandl. vom Sylbenmaasse. (1769)

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rer. Um die Sache mehr zu übersehen, wollen wir alle Arten der griechischen Trochäen nehmen, und sie mit unsern vergleichen. Sphooe, Ophra, Näi, Steuto. Wir haben nur solche, wie Sphooe. Spondeenähnliche sind bei ihnen, da nämlich, wo sie diese und ähnliche Worte als Trochäen brauchen: Diphru, Esthloo, Isä, Phainei, Nümphai, Hüoi. Alle diese Endigungen haben wir nicht. In beiden Sprachen sind eine große Anzahl Trochäen, die sich mit Einem Consonanten endigen. Ich will nur einige anführen: Ballen, werfen, Phootes, Mannes, hänich’, menschlich, Soisin, Freundinn. Viele unsrer Trochäen endigen sich mit zwey Consonanten, auch wohl mit dreyen. Diese haben die Griechen nicht. Unterdeß ist vielleicht unser: Wandeln, ein beßerer Trochäus, als das griechische: Bainei, Bildend, als Moisai, und Vaters, als Kaloi. Sie müßen nicht etwa glauben, Heiners, daß solche Worte selten als Trochäen gesetzt werden. heiners. Würde es Ihnen bey den Daktylen eben so gut gehen, wenn Sie noch ein wenig blättern wolten? selmer. Laßen Sie uns sehen. Leussete, dichtete: Deidechat’, heiliget. Auch der Schluß des Daktyls mit dem einsylbigen Worte: Pheuge mal’, fliehe denn; Chersin hüph’, wandte sich; Doomat’ es, höret es; Entha phil’, Schrecken will; Avtar hoth, tönte vor; Auch drey einsylbige Worte: Ae ge meg’, Flöh er doch; Ei de sü, Flog in der; Too ke tach’, Zog sie sich; Tän de kat’, Todt sie hat; Ae gar ap’, Wenn sie von; Hoi men ar, Sing ich, er; Kadd’ ar’, ep’, Stand er im; Hos rha t’ ap’, Wirf sie an. Doch, Minna, Sie wollen wohl, daß ich hier aufhöre. minna. Nein, ganz und gar nicht. Ich mag wohl, daß Sie bisweilen auch ein wenig umständlich mit unserm Freunde Heiners reden. selmer. Uranu, eben dieß dorisch: Ooranoo, Wanderers, Ae epei, Ewigkeit; Eisetai, Antioi, Ek domu, Heiligung. minna. Die Sache ist doch wirklich mit der griechischen Qvantität viel anders, als ich sie mir bisher vorgestellt hatte. Hören Sie, Heiners, ich habe Lust, Ihnen ganz leise ins Ohr anzuvertrauen, daß viele von denen, die ich bisher allerley von Homers Verse habe reden hören, vielleicht nicht sehr bekannt mit demselben gewesen sind.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

heiners. Es mögen dieß wohl wenige Stellen seyn, die Selmer zu seinem Vortheil ausgesucht hat. selmer. Schlagen Sie auf, wo Sie wollen, so werden Sie finden daß die angeführten langen Vocale und Diphthongen nicht allzuselten als kurz vorkommen. minna. Das müssen Sie wirklich thun. Da haben Sie den Homer. Warum wollen Sie nicht? werthing. Ich will Ihnen die Mühe abnehmen. Doch erst noch ein Wort mit Selmer. Homer ist mir zwar eben nicht unbekannt; aber ich hatte doch die Daktylen, die aus drey Worten bestehn, nicht so bemerkt. Blättern Sie noch ein wenig. Molossen von drey Worten können Ihnen, wegen ihrer Anmerkung, die Sie vorher machten, nicht gleichgültig seyn. selmer. Es scheint, daß Minna nichts dawider haben wird. Sie hat mir eben ein wenig Umständlichkeit empfohlen. Enth’ avt’ all’, Meer, braus’ auf; All’ ei dä, Berg, sink ein; Has ut’ an, Komm, stürz hin; Too nün mät’, Wut rief laut; Ei gar nün, Stand bang still; Tu men gar, Hört’s, blieb stumm; Hoos ho prosth’, Nacht kam schon; U man avt’, Pfeil fleug, trif; Hoi ton ge, Bleich sank sie; All’ u läth’, Schwert, blink her; Toon per tis, Luft, weh sanft; Ei per gar, Ach blick auf. Doch genung. Sie hörten wohl, daß es nur Artikel und Conjunctionen sind, die Homer in Molossen verbindet. Der Fuß scheint mir zu stark für Partikeln zu seyn. Homer hatte übrigens viel Worte, die Molossen waren, und die er oft braucht. Diese fehlen uns beynah ganz, und wir können unsre einsylbigen langen Worte, vor allen die von starker Bedeutung, nicht besser brauchen, als wenn wir sie in Spondeen, Baccheen, und Molossen zusammendrängen, und sie auf diese Art zu einem scheinbaren Ganzen machen. werthing. Welche Seite wollen Sie von diesen beyden, Heiners? Diese also. Sie hat dreyßig Verse. v v v v v v v v Härä, te kai, ei mä, otrünai, messatoo, einai, axioi, ädä. Sehen Sie hier. Dieß sind nur sieben Verse: v v v v v v Toiäde kai, cheei, gignetai, phüei, daämenai, müchoo.

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Und was sagen Sie von diesem Verse: v v v Plazomai hood’ epei u moi ep ommasi nädimos hüpnos. Man würde Ihnen, glaub ich, den Einwurf machen, Selmer, ob ich ihn gleich nicht mache, daß auf diese längere Kürzen ein Vocal folge. Aber man hätte deßwegen Unrecht, es zu thun, weil sie hier nicht in dem Gesichtspunkt angesehen werden, daß der Anfang des folgenden Worts sie noch länger macht. In dieser Betrachtung ist für uns, daß so gar die Römer den anfangenden Consonanten des folgenden Worts die Wirkung nicht zugestanden, welche sie in der griechischen Qvantität hatten. Gleichwohl läugne ich nicht, daß ich lieber höre: Des Wanderers Eilen, als: Des Wanderers Fortgang. Unterdeß kann es wohl seyn, daß ein Deutscher, der mit den Griechen nicht bekannt ist, diesen Unterschied nicht bemerkt. Noch Eins, Selmer, mögen Sie die längere Kürze, oder die kürzere Länge lieber hören? selmer. Viel lieber die erste. In der letzten ist eine gezwungne Dehnung. heiners. Aber dem griechischen Ohre war sie angenehm. selmer. Vielleicht. Wenn in: cc c cc v Häroooon toisin te die ersten vier Längen ihm vorzüglich gefielen, so konnte ihm die fünfte wenigstens nicht in gleichem Grade gefallen. Solte das angeführte den Griechen viel anders geklungen haben, als uns klingen würde: c c c cc v Heerschaar, steig Felsengebirg’ hinauf Weil wir keine Position haben, kann eine Sylbe wie hier: Sen, niemals lang bey uns seyn. Homer dehnt so gar, und nicht selten, die Kürzen, die es nach seiner Regel sind, und das in einer Sprache, die über die Hälfte weniger Schwierigkeit hat, den Vers zu machen, als unsre. Viel erlaubter scheint es mir zu seyn, ein einsylbiges Wort, über dessen Quantität ein Ohr, das feine Zweifel hat, nicht völlig zur Richtigkeit kommen kann, wenigstens da, wo keine, oder wenig Leidenschaft auszudrücken ist, als gleichgültig anzusehn. Möchten Sie, Minna, diesen Vers: cv v c v v c v v c v v c v v cv Tönender sangen verborgen von Büschen mit liebender Klage Nachtigallen

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

lieber so hören: c c c c c c c c c c c c c c c cv Tönender sangen verborgen von Büschen mit liebender Klage Nachtigallen Oder wollen Sie die Position der Griechen ferner entbehren, und es geduldig anhören, wenn die Deutschen selbst fortfahren, es ihrer Sprache vorzuwerfen, daß sie beynah ohne alle wahre Qvantität sey, weil sie die Regel der Position nicht hat. Noch einige wenige Anmerkungen werden zureichen, Ihnen, ohne daß ich weitläuftig seyn darf, einen vollständigen Begrif von unserm Hexameter zu machen. Wir haben in demselben, oder können wenigstens durch Hülfe unserer Spondeen alle Wortfüße der Griechen haben. Aber wir haben noch fünfe von gutem Ausdrucke, welche den Griechen fehlen, nämlich: vcvc , cvcv , cvcc , ccvc , cvc, Die Wortfüsse, die wir mit den Griechen haben, sind: vc , vvc , vcc , vvcc , vccc , vvccc , cv , cvv , ccv , ccvv , cccv , vcv , Der letzte kommt in unserer Sprache oft vor. Wir müssen gegen seinen zu wiederholten Gebrauch auf der Hut seyn, damit der Vers nicht weich werde. vcvv , vvcv , vvcvv , cvvc , cc , ccc , Sie sehen, wie viel unser Hexameter ausdrücken kann. Sie denken sich das, was ihn unterscheidet, am bestimmtesten, wenn sie sich seine neuen rhythmischen Schönheiten vorstellen, die durch die Verbindung unsrer Wortfüsse mit den griechischen entstehn. Diese Doppelfüsse, oder diese merklicheren Absätze des metrischen Ausdrucks geben Ihnen den meisten Anlaß auszumachen, ob das Urtheil ihres Ohrs ein wenig stolz seyn dürfe. Überhaupt kömmt es bey dem metrischen Ausdrucke vornämlich, auf die Wahl guter Wortfüsse, und ihre Stellung, an. Ich will nur einige aus den sehr mannichfaltigen Zusammensetzungen derselben herausnehmen, von welchen ich glaube, daß sie dem Verse einen vorzüglich schönen Rhythmus geben. Ich lasse andre bekanntere weg, die auch ihre Schönheit haben. Langsamere, oder schnellere Declamation, entscheidet oft die Theilung in einfache oder doppelte Wortfüsse.

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c v v c, v v c, v v c, v v c, v v c v. Eile dahin, wo der Tod, und das Grab, und die Nacht dich erwarten. c v v c, c c v v c, v v c, v v c v. Wende dich weg, wehmüthiger Blick, von der Angst des Erdulders. c v v, c v c v, v c c, c,v v c v. Nenne sie, Klagestimme des Nachhalls, ihrem Geliebten. c v c, v v c c c v, v c vv cv. Streit, und komm zu dem Miterbtheile des ewigen Lebens. c v c, v vc, v v c c cv, v c c. Freudig stieg ihr Genoß zu dem Lichterbtheile des Heils auf. c v v, c v c, c c v, v c v c v. Schreckliche Todesangst, graunvolle Verzweiflungsstimmen. c v v, cc c, v v c, v v c, v v c c. Furchtbarer Wehausruf, der hinab in das Thal aus der Kluft scholl. cv v, c c c, v v c c, c v, v c v. Ewiges Anschaun deß, der im Lichtreich Dulder belohnet. c v v c, c c, v v c c, c v v c v. Bebend erschollst, Nachtthal, und zurückgabst deine Verwesten. Ich kenne keinen Hexameter, der einen stärkeren metrischen Ausdruck hätte, als folgender. Ich würde Ihnen sehr danken, Werthing, wenn Sie ihn mir im Homer fänden, und mich wundern, wenn ihn derjenige Dichter, der den geizigsten Foderungen ihres Ohrs genung that, nicht gemacht hätte. c v v c, v v c v v, c v v c, v v c c. Drohend erscholl der geflügelte Donnergesang in der Heerschaar. c v v c, v v c, c c v, v c, c c v. Aber da nun in der Nacht Wehklage vom Grab’ aufrufte. c v c, c c vv, c v c v, v c v. Rühmt und preist, glückselige Mitgenoßen der Wonne. c v, c v v c, v c c c, v v c v. Ach wie liebt ich ihn sonst, ich einst Schuzgeist des Verworfnen. c v c c, c v c, c c v, v vc. Als der Erdkreis Gott vernahm, Gott nieder vom Paran c c c, v v c c c, v v c v c c. Strom, steh still! der Posaunhall ruft, und das Volk des Herrn kommt. c v, v c, v c v v c, v v c, c c c. Jeder, dem jetzt am Tage des Herrn das Gericht Weh zurief.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

c v v c, v v c, v vc c c, v v Ach es vernahm von dem Thron den Gerichtsausspruch die Verc v. sammlung. c v v c, v v c c c, v v c vv, c c. Aber da nun des Gerichts Ausspruch vom gefürchteten Thron scholl. minna. Sie führten uns vorhin gewöhnlich den langsamsten, den schnellsten, und den schönsten Vers von jeder Versart an. selmer. Der langsamste, den wir aber sehr selten werden machen können, wäre dieser: Wut, Wehklag’, Angstausruf, stieg laut auf von dem Schlachtfeld. Den andern langsamsten, der viel leichter ist, haben Sie schon gehört: Als der Erdkreis Gott vernahm, Gott nieder vom Paran werthing. Und den schnellsten auch, Minna. Wenn ich nicht irre, so war es dieser: Eile dahin, wo der Tod, und das Grab! und die Nacht dich erwarten. Ich will Ihnen, Selmer, denjenigen, den ich nicht allein für den stärksten, sondern auch für den schönsten halte, im Homer aufsuchen. Sie brauchen den spondeischen Ausgang weit öfter, als Virgil. selmer. Wenn von Ansehn die Rede ist, so gilt mir Homers Beyspiel mehr, als Virgils. Aber, auch ohne das Exempel des Griechen, würde mir die Regel der Mannichfaltigkeit, und der Rhythmus des trochäischen Ausgangs, lassen Sie uns ihn künftig so nennen, weil unser Hexameter nicht den Spondeus, sondern den Trochäus, zum zweyten Fuß angenommen hat, ich sage, die Regel der Mannichfaltigkeit, und der bedeutende Rhythmus des trochäischen Ausgangs würden mir es auflegen, durch ihn den daktylischen nicht selten zu unterbrechen. heiners. Nach ihrer Meinung ist es freylich ein Vorzug des deutschen Hexameters vor dem griechischen, daß er, statt zweyer künstlicher Füsse, drey zur Regel annimmt. selmer. Es ist einer, wenn anders Mannichfaltigkeit, deren Gränzen nicht allein bestimmt, sondern auch weder zu sehr eingeschränkt, noch zu sehr erweitert sind, mit zur Schönheit gehört. heiners. Aber Sie müssen mir beweisen, daß Sie den rechten Mittelweg zwischen der zu genauen Einschränkung, und der zu freyen Erweiterung getroffen haben. selmer. Geben Sie mir einige hundert Hexameter, die ich Ihnen als gut gearbeitet zugestehn muß; so will ich sie Ihnen vorlesen. Wenn ich

Vom deutschen Hexameter, aus einer Abhandl. vom Sylbenmaasse. (1769)

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Sie dadurch nicht überzeugen kann; so habe ich wenig Neigung, es durch einen Erweis zu thun, und wenig Hofnung, es zu können. Ich verstehe aber durch gute Hexameter solche, die mit schönen Rhythmen oft abwechseln, die diese Rhythmen dem Inhalt anmessen, und deren Inhalt dieser ganzen metrischen Ausbildung werth ist. heiners. Gut denn, diese neue, ungriechische, hexametrische Versart mag ihre Schönheiten, und recht viele haben; allein Sie müßen mir erlauben, daß ich zu dieser Frage noch einmal zurück komme, schickt sich unsre Sprache dazu? selmer. Sie schickt sich, in ihrem ganzen Umfange genommen, und wenn sie der Dichter versteht, beßer zum Hexameter, als zu Opizens Verse. Ich nehme diesen so, wie wir ihn gewöhnlich machen, da wir oft auf den Kürzen halten, und mit den Längen forteilen; denn unsre Absicht ist ja nicht Spondeen einzumischen. Wollten Sie hier genauere Beobachtung der Quantität von dem Dichter fodern, so würden Sie ihm zu denken verbieten, und er könnte dann mit Recht behaupten, daß sich unsre Sprache zu dieser Versart gar nicht schicke. Sie erinnern sich, was wir im Anfange unsrer Unterredung über die Declamation des jambischen Verses anmerkten. Auch der kürzeste Beweis meiner Antwort wäre für Werthing und Minna zu lang. Sie können also nichts dawider haben, daß ich ihn weglasse. Der Hexameter, wie ihn Kleist machte, ist ein schöner anapästischer Vers, der im Frühling noch schöner seyn würde, wenn der Jambus den Anapäst öfter unterbräche. Es würde einer der glücklichsten Gedanken einiger unser Dichter gewesen seyn, diesen Vers zum lyrischen aufgenommen zu haben, wenn er nicht, seltne Ausnahmen zugestanden, für die Ode zu lang wäre. Der mehr homerische Hexameter hat, außer dem, was ich schon angeführt habe, noch dieses, daß sein erster Fuß beständig mit einer langen Sylbe anfängt, ein Gang, der demjenigen Verse angemessen ist, welcher dem epischen Gedicht vornämlich zugehört. Dem Hexameter, sagt Aristides, ein neuerer Grieche, aber der diese Sachen verstand, geben Schönheit und Würde sein weiter Umfang, sein Anfang mit der Länge, und sein volltöniger Schluß.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

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werthing. Sie müssen heut Ihr Versprechen halten, Selmer, und uns mit Ihrer Theorie des Sylbenmaasses bekannt machen. selmer. Ich habe Ihnen dieß Versprechen mehr aus Gefälligkeit, als im Ernste gethan, weil Sie zu vertraut mit den Griechen sind, um die Theorie des Sylbenmaasses nicht zu kennen; und weil Heiners die Kunst des Verses für eine sehr kleine Nebenschönheit eines Gedichts hält. werthing. Wenn mir auch die Griechen so bekannt wären, als sie Ihnen sind; so würd ich gleichwohl Ihre Gedanken von den Versarten unsrer Lehrer wissen wollen. Überdieß will ich auch von Ihnen hören, in wie fern die Griechen, in Absicht auf das Sylbenmaaß, unsre Muster seyn dürfen. heiners. Ich bin kein solcher Verächter der Versification, als Sie mir Schuld geben. Aber darin werd ich wohl niemals Ihrer Meinung werden, daß wir von Opitzens Verse abgehn, und die Griechen nachahmen sollen. Erst der Gedanke, dann der Ausdruck. Das sind die beyden Hauptsachen. Wenn wir hierauf unsern alten Vers gut machen, so haben wir alles gethan, was unverwöhnte Leser von uns fodern können. selmer. Es ist bisweilen so übel nicht, vornämlich für die Verwöhnten zu schreiben, oder gar, wenn man kann, sie noch mehr zu verwöhnen. Ausserdem redten Sie nicht richtig genug, indem Sie die Kunst des Verses von dem Ausdrucke absonderten. Sie gehört mit dazu. Ich denke mir die Sache so: Erst der Inhalt, hierauf der Ausdruck, das ist Worte, die dasjenige bestimmt bedeuten, was wir damit sagen wollen, indem sie zu dieser Absicht sorfältig gewählt und geordnet sind; die denjenigen Wohlklang haben, der zu der vorgestellten Sache gehört und die durch die Bewegung, welche ihre Längen und Kürzen hervorbringen, noch mehr und noch lebhafter dasjenige bedeuten, was sie bedeuten sollen. werthing. Keinen Einwurf hierwider, Heiners, damit wir gleich zur Sache kommen. Halten Sie, Selmer, den Wohlklang, oder die Bewegung der Worte, für mitbedeutender?

Vom Sylbenmaasse aus dem ersten Gespräche. (Fragmente.) (1771)

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selmer. Die Bewegung, und zwar in hohem Grade. werthing. Wenn Sie recht haben, wie es mir vorkömmt, daß sie haben, so muß uns dieß in Absicht auf unsre Sprache sehr angenehm seyn. Denn ihr fehlt bisweilen derjenige Wohlklang, welcher sanfte Gegenstände ausdrükken hilft; allein sie ist desto geschickter, zwar nicht alle Versarten der Griechen, aber doch sehr mannigfaltige und bedeutende zu haben. selmer. Gleichwohl ist mirs oft nahe gegangen, daß wir so viele von denen Tönen verloren haben, die der unpoetische Otfried hatte. Wär er, oder Einer seiner Zeit nur Dichter gewesen; so hätten wir vielleicht diese harmonische Sprache behalten. Welch ein Verlust, Werthing: Ostana Morgenländer Sterrono Sterne Mit bitteremo Lide mit bitterm Tranke Gisamanot zusammen Honida, Hona Hohn Bigonda begann Legita legte Erda bibinota die Erde bebte Und dieß ist nur Otfried, dessen Sprache bey weiten noch nicht so sanft klingt, als die Sprache des Sachsen, der nicht lange nach Wittekinds Barden gelebt hat, und den ich, ich könnte beynah sagen, entdeckt habe, weil er uns, wie viel auch der Engländer Hikes von ihm sagt, dennoch unbekannt ist. Um nur einige Vergleichung zwischen unsrer jetzigen und unsrer recht alten Sprache zu machen, wie weit haben wir die Häufung der Consonanten nicht getrieben. Wie oft verdoppeln wir sie. Und viele sprechen wir so gar da aus, wo wir sie nicht einmal schreiben; da wir doch oft selbst diejenigen schreiben, die wir nicht aussprechen können. Müssen wir nicht, wenn man unsre Aussprache nicht für gesucht halten soll, schtand sprechen, ob wir gleich nur stand schreiben. Die Niedersachsen allein dürfen das letzte aussprechen, weil es in ihrem Munde nicht gesucht klingt. Wir schreiben und sprechen schweigen, nur die Niedersachsen sweigen; und gleichwohl setzten unsre Vorfahren das attische s blos des Wohlklanges wegen. Sie sprachen gewiß aus keiner andern Ursach, swenne für wenne, als die Athenienser smikros für mikros.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

werthing. Mich deucht, Sie waren wohl eh mit mir zufrieden, wenn ich, beym Vorlesen, bisweilen einige von den Consonanten, welche die jetzige Rechtschreibung sezt, und die wir aussprechen können, milderte, oder beynah wegließ. selmer. Ich bin noch zufriedner mit Ihnen, wenn Sie, anstatt ein Wort, das den Apostroph hat, durch die Aussprache, wie so viele thun, hart zu machen, es noch tönender hören lassen, als es ohne den weggeworfnen Vocal klingen würde. Sie lesen: Vom Too – d’ – erwacht. Sie lassen das o mit einer kleinen Dehnung, und das d sehr sanft hören. Ein Dichter, der Ihnen zugehört hat, könnte in die Versuchung kommen, um Ihrentwillen öfter, als er sonst thun würde, den Apostroph zu setzen. Wenn wir viele Vorleser hätten, wie Sie sind; so würd ich mit dem Klange unsrer Sprache zufriedner seyn, als ich bin. Da sie, in andern Gesichtspunkten, Ähnlichkeit mit der griechischen hat, so dürfen wir uns die kleine Freude erlauben, es zu bemerken, daß, da wir so viel Harmonie nicht haben, als die Griechen, wir auch einige ihrer weniger harmonischen Töne nicht haben. Bey uns kömmt das u nicht so oft vor, als bey ihnen. Wir haben ihr ai und oi gar nicht; und unser ä und ö klingen viel besser. Sie haben ein phth, und auch nicht selten unser sch. Dieß kann uns dafür schadlos halten, daß wir das sch so oft hören müssen. Wir haben ein langes a, und o, welches uns Vossius, kein kleiner Kenner des Wohlklanges, vorwirft, ohne im geringsten zu erweisen, daß dasjenige im Deutschen unangenehm klinge, was er bey den Griechen schön fand, und daß diese ihr gedehntes a und o anders ausgesprochen hätten, als wir unser aa, ah, und oo, oh. Ausser dem sm der Athenienser, das ich erst anführte, haben wir das doppelte t oft, welches sie da zu setzen pflegten, wo die andern Griechen ein doppeltes s aussprachen. heiners. Mich deucht, Sie sind sehr sorgfältig bey Untersuchung dieser Kleinigkeiten. werthing. Diese Kleinigkeiten sind so gleichgültig nicht, als Sie denken. Wenn Sie Ihr Ohr nicht mit dem Wohlklange oder Übelklange einzelner Töne bekannt machen; so werden Sie niemals aufmerksam genug auf die Harmonie der Worte werden. Und diese zu haben, ist keine Kleinigkeit. Ihr Ohr kann nicht auf einmal dahin kommen, durch ein schnelles Urtheil

Vom Sylbenmaasse aus dem ersten Gespräche. (Fragmente.) (1771)

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zu entscheiden. Was halten Sie von dem Klange dieser beyden Worte: Rauchdampf, Sturmwind? heiners. Ich ziehe Rauchdampf vor. selmer. Aber mich deucht, daß Sie Unrecht haben. Sturmwind hat das rechte Verhältniß des Klangs, etwas starkes auszudrücken; Rauchdampf klingt zu stark. Doch würd ich, wegen der beyden a auf Ihrer Seite seyn, wenn es Rauhdampf hiesse. heiners. Haben Sie das Wort Rauchdampf gemacht? selmer. Nein Luther, unser ältster classischer Scribent, hat es gemacht. Was ziehen Sie vor: Fittige schwebten? oder: Flügel entschwebten? heiners. Fittige schwebten. selmer. Da haben wir unsern Freund, Werthing. Er hat auf diese Sachen noch gar nicht Achtung gegeben. Ich muß es ihm also wohl sagen, daß Flügel entschwebten, sehr schön, und Fittige schwebten, ausser daß zwey i hinter einander keinen schönen Klang haben, für unsre Sprache, weich klingt, in der es einen zu grossen Contrast mit den andern Tönen macht. Überhaupt muß ich Ihnen sagen, daß Sie nicht alles gethan haben, was man von Ihnen fodert, wenn Sie sich genau nach dem Sylbenmaasse richten. Ihre gut abgemessnen Sylben müssen auch wohlklingend seyn. werthing. Wir wollen zwar vornämlich von dem Ersten reden; aber ich wünschte doch gleichwohl, daß Sie über das Letzte nicht so ganz weggingen. selmer. Ihr Ohr hat Ihnen hierüber schon alles gesagt, was ich Ihnen sagen kann. Und Sie werden niemals starke Töne mit rauhen; und sanfte mit weichen verwechseln. werthing. Zu der letzten Verwechslung haben wir in unsrer Sprache wenig Anlaß. selmer. Diese Anmerkung könnte mich verführen, Ihnen Schuld zu geben, daß so gar Sie das Vorurtheil hätten, nur diejenige Sprache für wohlklingend zu halten; in welcher das Sanfte so sehr herrscht, daß auch derje-

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nige Dichter, der am sorgfältigsten wählt, zu oft in Gefahr ist, ins Weiche auszuarten. Doch wir kommen unvermerkt in ein Gespräch über die Sache, bey dem ich zweyerley fürchte, erst, seine Länge, und dann, daß ich, weil Sie meine Theorie wissen wollen, bisweilen in eine Art des Vortrags gerathen werde; und ich liebe nichts weniger, als das Vortragen. Was meinen Sie, wär es nicht weit besser, wenn ich Ihnen meine Theorie in einigen kurzen Sätzen, und in eben so kurzen Erweisen und Erläuterungen aufschriebe? werthing. Wir haben Sie jezt hier, und die kurzen Sätze könnten wohl noch ziemliche Zeit unaufgeschrieben bleiben; ausserdem werden Sie uns, ich will Sie schon dahin bringen, hundert Sachen sagen müssen, die Sie beym Aufschreiben weglassen würden. selmer. Was kann ich machen? Denn Sie wollen auch in kleinern Dingen, was Sie wollen. (ich nur in grössern) Aber Eins müssen Sie mir verprechen, nämlich, mich nie zu verrathen, daß ich da umständlich gewesen bin, wo ich hätte kurz seyn sollen. Denken Sie sich den schönsten Klang der Sylben und stellen sich dabey vor, daß Sie dieselben immer auf eine Art, entweder beständig lang, oder beständig kurz hörten; so würde dieser Klang nicht allein seine Annehmlichkeit bald verlieren; …. minna. Aber warum brachen Sie Ihr Gespräch ab, da ich zu Ihnen herein kam? Sie schienen ja sonst zu glauben, daß ich Antheil an dem, wovon Sie sich unterredeten, nehmen könnte. selmer. Wir wissen zwar, daß Ihnen die Materie, wovon wir redten, nicht gleichgültig ist, und Sie erinnern sich, wie oft ich Sie gebeten habe, wenn ich Ihnen meine Arbeiten vorlas, über dieselben zu urtheilen; allein ich fürchte gleichwohl, daß Ihnen die Art unsrer Untersuchung, entweder zu kritisch, oder zu gelehrt, oder wenigstens zu umständlich vorkommen werde. minna. Seit wann fürchten Sie denn, daß ich aufgehört habe, die Sachen, die ich wissen mag, genau lernen zu wollen? selmer. Und seit wann glauben Sie denn, daß es mir unbekannt geworden sey,

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wie man mit Frauenzimmer von Sachen reden müsse, die viel öfter in Büchern, als in Gesellschaften vorkommen? minna. Kein Wort mehr in diesem Tone, oder Sie beleidigen mich. selmer. Sie wissen nicht, welcher Gefahr der langen Weile Sie sich aussetzen. Denn wir sprechen nicht etwa nur von einer Nebenschönheit der Poesie; sondern wir sprechen auch, welches noch viel ärger ist, umständlich davon. minna. Sagen Sie mir, wovon Sie sprechen. selmer. Von der Kunst des Verses. minna. Nun seh ich wohl, warum Sie mich fort haben wollen. Wenn ich sonst vom Sylbenmaasse etwas wissen wollte, so fertigten Sie mich damit ab, daß mich die Theorie desselben gar nichts angienge; und daß es genug wäre, wenn ich nur die Worte richtig ausspräche, und die Leidenschaft des Gedichts durch das bischen Stimme, das ich habe, auszudrücken suchte. Wenn mir dann die Verse gefielen, so hätte es der Dichter gut gemacht; und wenn sie mir nicht gefielen, so wäre es nicht meine Schuld. Aber nun seh ich wohl, daß ich doch mehr zu wissen brauche. selmer. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß Sie noch mehr zu wissen brauchen? minna. Sie irren sich sehr, wenn Sie glauben, daß Sie aufhören dürfen. Kurz, ich will alles wissen, wovon Sie sich mit unsern Freunden umständlich unterreden mögen. selmer. Noch einmal, Sie kennen die Gefahr nicht, der Sie sich aussetzen. Sie würden sogar griechische Verse mit anhören müssen, wenn wir fortführen. minna. Fahren Sie fort, und zwar jetzt gleich. selmer. Gut denn, weil Sie es schlechterdings so wollen, aber unter einer Bedingung, wegen deren zu genauen Erfüllung Sie mir niemals Vorwürfe machen müssen.

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minna. Und welche ist denn die merkwürdige Bedingung? selmer. Daß wir vergessen dürfen, daß ein Frauenzimmer unsre Zuhörerinn ist. minna. Ich bitte es mir ausdrücklich aus, dies zu vergessen. selmer. Denken Sie sich den schönsten Klang der Sylben, das heißt, einen Klang, der nach dem Inhalte sanft oder stark ist, und stellen sich zugleich dabey vor, daß Sie dieselben stets auf eine Art, entweder immer lang, oder beständig kurz hörten; so würde dieser Klang nicht allein seine Annehmlichkeit bald verlieren, sondern er würde Ihnen auch völlig zuwider werden. Ihr Ohr verlangt mehr, als Wohlklang, es will auch Bewegung hören. Und diese entsteht dadurch, daß sich die Aussprache bey einigen Sylben längere Zeit, und bey andern kürzere verweilt. Sie halten sich bey der Aussprache der langen Sylbe eine merkliche, obgleich nicht völlig abgemeßne Zeit auf. Bey der kurzen Sylbe ist die Zeit des Aufhaltens weniger merklich, und auch nicht völlig gleich abgemessen. werthing. Also giebt es lange, und längere; und kurze und kürzere Sylben? selmer. Für die Declamation, aber nicht für die Theorie des Sylbenmaasses. Man kann diese kleinern Unterschiede dem Dichter nicht zur Regel vorschreiben; aber der Vorleser läßt sie hören; er macht uns dadurch mehr Vergnügen, als wenn er die langen Sylben immer völlig gleichgültig ausspräche; und die kurzen beständig mit genauer Richtigkeit in die Hälfte der langen theilte. Er spricht die lange Sylbe länger aus, wenn mehr Consonanten, oder die Dehnung eines Vocals oder der Inhalt mehr Zeit erfodern; und die kurze kürzer, wenn sie weniger, oder keine Consonanten hat, oder der Inhalt eilen heißt. Doch sind diese Unterscheidungen da weniger merklich, wo die Ursachen des längern Aufhaltens oder des schnelleren Eilens nicht in dem Inhalte liegen. Gleichwohl muß der Vorleser, weil er den Gang des Verses merklich hören lassen soll, auch da, wo ihn weder viel Consonanten noch ausgedehnte Vocale aufhalten, die weniger lange Sylbe auf eine bestimmte Art lang, und die kürzere kurz, ohne zu sehr zu eilen aussprechen. Aber wenn sein Inhalt von solchem Nachdrucke ist, daß er es ohne den Vorwurf des Gesuchten thun kann, so muß er bey veranlaßter Schnelligkeit oder Langsamkeit selbst

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die langen Sylben, sie seyn es mehr oder weniger durch die Zahl ihrer Buchstaben, entweder fast eilen; oder selbst die kurzen, in welchem Grade sie es auch sind, beynah langsam fortgehn lassen. heiners. Wir haben ja nur lange Accentsylben; also ist es übertrieben, wenn wir es, in Absicht auf die prosodische Aussprache, so genau nehmen wollen. minna. Was verstehn Sie durch Accentsylben? heiners. Ich meine, daß diejenigen nur lang sind, die den Accent haben. Denn die andre Ursach der Verlängerung: die Mehrheit der Consonanten, kömmt in unsrer Sprache nicht in Betrachtung. selmer. Es ist sonderbar, daß Sie das Wort Accent brauchen, da wir keine Accente über unsre Sylben schreiben; und sie über dies bey den Griechen die Länge und Kürze der Sylben nicht anzeigt. Doch ich will mich bey Ihrem Ausdrucke nicht aufhalten. Sie könnten mit eben dem Rechte von den Griechen gefodert haben, daß sie ihre Sylben nach unsrer Regel lang oder kurz hätten aussprechen sollen, mit welchem Sie es von uns fodern, daß wir die Dauer unsrer Sylben nach der Regel der Griechen abmessen sollen. Sie haben, wie es scheint, nicht daran gedacht, daß, wenn wir Ihrer Foderung genug thun wollten, wir fast alle Sylben lang aussprechen müßten. Unsre Vorfahren haben uns eine Aussprache hinterlassen, die, wenn sie eilen will, zwey bis drey Consonanten nicht aufhalten. Daher ist diese Vielheit der Consonanten nicht dadurch eine Unvollkommenheit unsrer Sprache, daß sie unsre kurzen Sylben nicht noch kurz genug bleiben liesse, sondern nur dadurch, daß viele Consonanten, bey einander wenigstens, keinen sanften Klang haben. Übrigens scheint es mir fast mehr als Schadloshaltung zu seyn, daß alle unsre Worte mindstens durch Eine Länge zum Ausdrucke eines ernsthaften Inhalts fähig sind. Über welche Vorstellungen von dieser Art hüpfen die Griechen durch ihre Aussprache nicht weg? Sie hätten, nach der Regel ihrer cc v Sprache, thanatos aussprechen können; aber sie haben auf jenen Nachdruck, den wir haben, so wenig gesehn, daß sie Tod durch vvv thanatos hören lassen. Den Krieg und so gar Gott konnten sie nicht anders aussprechen,

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v vv vv als polemos, Theos. Stellen Sie sich eine gute Versart vor. Die Verbindung der Längen und Kürzen hat zwar in derselben an sich selbst ihre Schönheit, das heißt, es sind solche Abwechselungen der Längen und Kürzen darin, deren Bewegung der Ausdruck vieler poetischen Gegenstände in sich faßt: allein es kömmt doch bey dem Gebrauche dieser Versart zu Ihrem gewählten Gegenstande unter andern sehr darauf an, daß sie eine oder mehr Sylben derer Worte, die am meisten Bedeutung haben, dahin bringen, wo in ihrem Schema die Längen stehn. Haben Sie nun in ihrer Sprache viel bedeutende Worte, die gar keine Länge haben, so ist das Sylbenmaaß gleichsam allein da, weil es die Sprache ohne ihre Hülfe läßt, Und diesen nicht kleinen Vorzug hat unsre Sprache vor der griechischen, daß alle ihre mehrsylbigen Worte den Nachdruck wenigstens Einer langen Sylbe haben. Im Homer brauchen wir, wie Sie wissen, Werthing, nicht lange zu suchen, um uns zu überzeugen, daß wir hier ein wenig stolz seyn dürfen. v c vv c v v cc Dios d’etilaieto bulä Jupiters Wille geschah. Hier wird Jupiter mit dem Nachdrucke ausgesprochen, den unsre Sprache immer hat. Aber in: cc c vv cv Lätus kai Dios Hüos Latonens und Jupiters Sohn beschäftigt sich diejenige Aufmerksamkeit, welche durch die langsamere Aussprache verursacht wird, allein mit der Mutter des Apollo. werthing. Ob es gleich eine Unvollkommenheit unsrer Sprache ist, daß wir zu wenig zweysylbige und dreysylbige Worte von eben so viel langen Sylben haben; so ist doch diese Unvollkommenheit der griechischen noch grösser, daß sie solcher Worte, so gar viersylbiger, zu viel hat. Dazu kömmt noch, daß von ihren einsylbigen Worten, die nur Nebenbedeutungen haben, zu viele lang sind. minna. Der griechische Vers wäre also, was er ist, sehr oft durch seinen Gang allein; und der deutsche wäre es zugleich durch die mitgehende Sprache. heiners. Damit wir nicht in Gefahr kommen, uns zu sehr in unser eignes Lob

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auszubreiten, so erlauben Sie mir, Selmer, Sie zu fragen: Haben denn unsre Gedichte die ungriechischen Regeln fest gesetzt, nach welchen wir die Dauer der Sylben messen. minna. Ungriechische freylich, auch unchinesische, und dies zwar wegen des kleinen Nebenumstandes, daß wir Deutsche sind, und eine eigne Sprache für uns haben, die deutsche nämlich, Heiners. selmer. Wir sind, an die beständige und leicht zu übersehende Abwechslung Einer langen Sylbe mit Einer kurzen gewöhnt, zu verzeihend gegen unsre Dichter gewesen, wenn sie, wegen dieser Art der Abwechslung schnell vorübergehende, und daher weniger merkliche, Fehler wider das wahre Zeitmaaß gemacht haben. Daher dürfen auch nicht unsre jambischen und trochäischen Verse, sondern die Declamation unsrer Redner muß die Regel unsrer Aussprache seyn. werthing. Aber die Declamation des Redners erlaubt nicht allein, sondern sie schreibt es beynah vor, die lange Sylbe, oft nicht lang genug auszusprechen. Sie scheint eine Art von Mittelsylbe zwischen der langen und kurzen zu haben. selmer. So bald sie nicht nachläßig ist, so ist es nur eine scheinbare Mittelsylbe. Sie ist wirklich lang, nur daß es, wie ich vorher schon angemerkt habe, lange und längre Sylben für die Declamation giebt. Erinnern Sie sich zugleich, daß Sie mich wenigstens nicht widerlegten, als ich behauptete, daß diese kleinen Unterscheidungen in der poetischen Declamation weniger merklich, als in der prosaischen seyn müßten. heiners. Also meinen Sie, daß unsere Dichter durch die genaue Kenntniß der prosaischen Declamation dahin kommen könnten, ihrem Verse einen so bestimmten Gang zu geben, als der Vers der Griechen hat? selmer. Ja, wenn sie diese Kenntniß so anwenden, daß sie sich selbst viel weniger verzeihen, als ihnen bisher verziehen ist. Ich behaupte damit gar nicht, daß unsre kurzen Sylben jemals eine so leichte Kürze haben werden, als die griechischen. Aber treiben Sie auch die Vorstellung von dieser Leichtigkeit nicht zu weit. Die Griechen lassen viele Sylben kurz, auf welche zwey Consonanten folgen. Und auch ihre langen Vocalen

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und Diphtongen dürfen kurz gebraucht werden, wenn sie nicht vor Consonanten stehn. Noch Eins, das Sie vielleicht bisher nicht geglaubt haben, und das doch sehr wahr ist. Die Griechen haben mehr zweifelhafte Sylben als wir; ich meine diejenigen, die von ihren Dichtern bald als lange, bald als kurze gesetzt sind. werthing. Wundern Sie sich nicht so sehr, Heiners, denn Selmer hat Recht. Wenn von gewissen Consonanten (ihre Zahl ist nicht klein) zwey so auf einander folgen, daß sie leicht ausgesprochen werden können, und nach einem kurzen Vocal, oder nach einem von unbestimmter Zeitdauer, stehen; wenn da, wo solche Vocale das Wort endigen, das Folgende mit zwey Consonanten anfängt; wenn ein vorhergehendes Wort mit einem langen Vocale oder Diphtongus schließt, und das darauf folgende mit einem Vocal anfängt; (ich übergehe das Ungewöhnlichere, da der folgende Vocal in der Mitte der Worte eben diese Ungewißheit macht) wenn diese angeführten Bedingungen da sind: so hat der griechische Dichter die völlige Erlaubniß, die kurzen und langen Vocale und die Diphthongen zu brauchen, wie er will. Sie werden mir zugestehn, daß die zweyte Bedingung allein schon zureichend ist, der griechischen Sprache mehr zweifelhafte Sylben zu geben, als die unsrige hat; denn viele ihrer Worte endigen sich mit kurzen und solchen Vocalen, deren Zeitmaaß nicht festgesetzt ist, und nicht wenigere fangen mit zwey Consonanten an. minna. Also hatte bey den Griechen das folgende Wort so gar noch Wirkungen auf das vorhergehende? Diese Sorgfalt für die Vergnügung des Ohrs war gewiß sehr weit getrieben. Aber sie schadeten, mich deucht, ihrer Sprache hierdurch. Denn eine grosse Anzahl unbestimmter Sylben ist gewiß keine Vollkommenheit der Sprache. selmer. Doch ist es nur eine Unvollkommenheit in Absicht auf die Prosa und die Dithyrambischen Verse. Denn da kann der Leser nicht wissen, wie der Redner oder der Dichter die Sylbe der unbestimmten Dauer ausgesprochen haben wollen. minna. Und mich deucht auch in Absicht auf die Poesie, die festgesetzten Sylbenmaassen folgt. Denn man muß sich ja das Metrum beständig vorstellen, wenn man bey der Vorlesung nicht fehlen will. Sie haben mir keine kleine Freude durch das gemacht, was Sie mir von den Griechen

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gesagt haben. Denn nun verliert unser Vers durch die Vergleichung mit ihrem so viel nicht mehr, als man gewöhnlich glaubt. selmer. Unsre Sprache hat viel einsylbige Worte; aber unser Ohr ist so daran gewöhnt, daß ihm die Art, auf welche wir einigen derselben auch eine zweyte Sylbe geben könnten, bey vielen Worten als eine unangenehme Ausdehnung vorkommt. Wir hören lieber geht, als gehet, und einige Ausdehnungen dulden wir gar nicht. Wir sagen niemals läufet, sondern allezeit läuft. Unterdeß hat auch die Ausdehnung das für sich, daß sie die Zahl der Vocale vermehrt. Und aus dieser Ursach, aber nicht bloß den Vers zu machen, darf der Dichter sie sich bisweilen erlauben. Weil wir viele einsylbige Worte haben, und weil zwischen ihnen die Pause unmerklicher wird, als zwischen den mehrsylbigen; so können wir sie oft in drey und viersylbige Füsse zusammendrängen, und sie auf diese Weise zu einem scheinbaren Ganzen machen, daß die unangenehme Bewegung der Einsylbigkeit wenigstens verbirgt, wenn es sie auch nicht völlig unmerklich macht. minna. Es ist, wie ich sehe, nicht leicht, die einsylbigen Worte gut in der Poesie zu brauchen. selmer. Das Schwere liegt nicht in ihrem Zeitmaasse, denn das ist bestimmt genug; sondern in der Vernachläßigung unsrer Dichter, in welcher sie so weit gegangen sind, daß selbst die prosaische Declamation ein wenig dabey gelitten hat. Diese Vernachläßigung ist dem Zeitmaasse unsrer mehrsylbigen Worte weniger nachtheilig gewesen. Daher ist es nicht die Ungewißheit desselben, sondern die Vertheilung der Längen und Kürzen in den mehrsylbigen Worten, welche macht, daß uns einige Versarten der Griechen immer schwer bleiben werden. heiners. Also sollte man sich auf diese Versarten gar nicht einlassen. selmer. Wenn sie schön sind; so müssen sie dem Dichter erlauben, daß er sich auch von ihrer Schwierigkeit reizen lasse. Es gehört nicht zu unserm Zwecke, uns bey der Prosodie unsrer Sprache aufzuhalten; gleichwohl will ich doch ein Paar Anmerkungen darüber machen. Und diese sind, daß die Stellung der einsylbigen Worte bisweilen ihr Zeitmaaß verändert. Sie sprechen:

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v c v c Geh hin, rufs laut. Hin und laut reissen hier das sonst lange Geh und rufs gleichsam mit sich fort. Es bekömmt zwar keine schnelle Kürze dadurch; aber es verliert doch so viel von seiner Länge, daß es im Verse, wenn keine lange Sylbe vorhergeht, als kurz angesehen werden muß. Aber ein folgendes zweysylbiges Wort hat diese Gewalt nicht mehr. Sie sprechen: c cv c cv Geh unter, rufs lauter. Die Nothdurft des jambischen und trochäischen Verses hat zwar eingeführt, daß man die kurze Sylbe lang werden läßt, wo eine andre kurze folgt. Allein es v c v v v c v muß gleichwohl eigentlich wie: im Bache, so auch: in dem Bache, und c v c v nicht: in dem Bache, ausgesprochen werden. werthing. c v vc v Aber Sie sprechen doch: In dem Gefilde? selmer. c v c v Zwar besser, als: in dem Bache; aber doch auch nur um der Nothdurft des Hexameters willen, und solcher Versarten, in welchen nie mehr als zwey kurze Sylben auf einander folgen. Denn v v vc v die beste Aussprache ist gleichwohl: in dem Gefilde. heiners. Also hätte der Hexameter auch seine Nothdurften? selmer. Was sagen Sie zu diesem Verse des Homer: Aidoios te moi essi, c c phile hekyre, deinos te. minna. c v vc v c v c v Aber warum ist denn: in dem Gefilde, besser als: in dem Bache? selmer. Vornämlich deswegen, weil wir selbst in Prosa drey kurze Sylben hinter einander nicht so oft als zwey hören.

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werthing. v v vc v v v v c v v v v c v Allein: durch die Gefilde! auf die Gebirge! aus dem Gewässer? selmer. Wenn Ihr Ohr mehr an drey kurze Sylben hinter einander gewöhnt wäre, so würde es mit: c c c durch, auf und aus noch weniger zufrieden seyn. Ich rede nicht vom Hexameter. Denn da erwartet der Zuhörer niemals drey kurze Sylben. werthing. Also hätten wir, in Absicht auf gewisse einsylbige Worte, nachdem die Versarten verschieden wären, auch verschiednes Zeitmaaß? selmer. Bey Opitzens Verse ist dies ganz nothwendig. Denn Sie müssen ihn entweder im Vorlesen zerstören, oder man muß Ihnen die angeführte Erlaubniß geben. werthing. Vielleicht klänge er besser, wenn ihn der Vorleser, so wie ihn das wahre Zeitmaaß dazu veranlaßte, zerstörte? selmer. Machen Sie das mit Ihren Zuhörern aus. Wenn ich für mich lese, so lese ich diesen Vers niemals anders. Er verliert daduch viel von seiner Einförmigkeit, und bekömmt manchmal schöne Wendungen. Was ist daran gelegen, daß er sie durch den Zufall bekömmt? Dem Hexameter ist zwar die verschiedne Quantität nicht so nothwendig; aber er kann sie doch gleichwohl nicht ganz entbehren. heiners. Ich kann ihnen nicht verbergen, daß mir diese Nothdurft des Hexameters ein wenig lieb ist. selmer. Und mir ist es nicht unlieb, Ihnen sagen zu können, daß, obgleich die Griechen nicht mit uns in dem gleichen Falle der Nothwendigkeit oder nicht völligen Entbehrlichkeit waren; sie es doch wie wir machten, und das nicht etwa bloß unter der Bedingung, sich auf wenige einsylbige Worte einzuschränken, sondern mit viel grössrer Freyheit. „Der Rhythmus, sagt Longin, braucht nicht allein das unbestimmte Zeitmaaß, wie er will; er macht auch oft die kurze Sylbe lang.“ Lesen Sie Homer, und sehen Sie, ob er Longin widerlege. Unterdeß glaub ich gleichwohl von

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unsern Dichtern nicht zu viel zu fodern, wenn ich behaupte, daß sie in den Oden, in welchen bisweilen drey Kürzen hinter einander stehn, das verschiedne Zeitmaaß fast durchgehends sollten für entbehrlich halten. werthing. Aber die Griechen foderten das ja selbst in diesen Oden nicht. minna. Ich sehe aus dem, was Sie bisher gesagt haben, daß unsre Sylbenmessung viel bestimmter ist, als ich bisher geglaubt habe. Aber sagen Sie mir, worin denn hauptsächlich die Schwierigkeit liegt, die Versarten der Griechen in unsre Sprache herüber zu nehmen? selmer. Ich habe schon erwähnt, daß diese Schwierigkeit, die Sie sich aber auch nicht grösser vorstellen müssen, als sie ist, in der Vertheilung der Längen und Kürzen, und nicht in der Ungewißheit des Zeitmaasses liege. Die Griechen hatten ausser vielen drey- und viersylbigen Worten, worin oft zwey kurze oder zwey lange Sylben bey einander stunden, noch verschiedne andre von zwey, drey, vier und sogar einige von fünf Sylben, die entweder alle lang, oder alle kurz waren. Wir haben nicht einmal zweysylbige, die so viel kurze, und wenige, die zwey lange Sylben hätten. Ein viersylbiges Wort von so viel kurzen, und Eins von so viel langen Sylben hat freylich zu wenig, und viel Nachdruck der Bewegung. Diesen Fehler, und es ist, in Absicht auf den Zeitausdruck, kein kleiner Fehler, haben also die unsrigen nicht; es wird uns aber auch aus dieser Ursache desto schwerer, dem sehr mannigfaltigen Gange des griechischen Verses zu folgen. heiners. Sie veranlassen mich von neuem, meine Meinung zu behaupten, daß wir die Versarten der Griechen gar nicht aufnehmen sollten. selmer. Sie vermuthen doch nicht, daß ich ihnen jemals zugestehn werde, daß die angeführte Schwierigkeit unüberwindlich sey? Sie ist dies nur in Absicht auf diejenigen Versarten der Griechen, in welchen oft so viele kurze Sylben auf einander folgen, daß ich sie, auch ohne die Hindrung unsrer Sprache, nicht wählen möchte. Zu den schönern Versarten der Griechen geben uns kurze Sylben genug hintereinander viele einsylbige Worte, die an sich selbst, oder dadurch, daß sie den Nachdruck nicht haben, kurz sind, die meisten Endungen und viele Anfänge unsrer Worte; und lange Sylben genug hinter einander geben uns einige En-

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dungen, viele Anfänge, und die grosse Anzahl derjenigen einsylbigen Worte, die nur ein unwissendes oder zu gütiges Ohr als kurz duldet. werthing. Sie werden auch mit mir vergebens streiten, Heiners. Das was Selmer angeführt hat, scheint mir die Sache zu entscheiden. heiners. Das Zeitmaaß unsrer Worte wäre also, wie Sie meinen, bestimmter, als ich bisher gedacht habe? Ich zweifle gleichwohl noch sehr daran. Zum Exempel, haben wir denn Spondeen? selmer. Wir haben einige, selbst in zweysylbigen Worten; aber die meisten, und deren Zahl ist nicht klein, entstehn durch die Folge der Worte. heiners. Aber spricht denn nicht der Redner diejenigen Spondeen, welche zugleich das Wort ausmachen, als Trochäen aus? selmer. Ob ich gleich die Deklamation des Redners als die Norm der poetischen angenommen habe, so folgt doch daraus nicht, daß dieser die Längen und Kürzen nicht noch etwas genauer hören lassen dürfe, als jene thut. Der Redner hat Unrecht, wenn er denjenigen Spondeus, der das Wort ausmacht, nicht etwas anders, als den Trochäus ausspricht; und der Dichter, wenn er ihn nicht noch merklicher unterscheidet. werthing. Ich hätte wohl mögen die Griechen ihre Spondeen aussprechen hören. selmer. Der griechische Musikus verfuhr auf zweyerley Art mit dem Spondäus. Er ließ ihn bald so hören, daß die eine Sylbe etwas weniger lang als die andre war, und bald so, daß sich beyde völlig gleich waren. Vermuthlich richtete er sich hierbey, wenigstens oft (denn es immer zu thun, liessen ihm gewisse Rhythmen nicht zu) nach der Beschaffenheit der verschiednen Spondeen. Nach dieser Idee hätte, wer ihn im Deutschen nachahmen wollte, zum Exempel bey: Schauplatz, auf die erste Art, und bey: Waldstrom, auf die zweyte verfahren müssen. Mich deucht, Heiners, ich habe Ihnen Anlaß gegeben, sogar den Griechen die Spondeen abzusprechen. werthing. Aber ist nicht die kleinere Länge, die neben der grössern gehört wird, eigentlich eine Kürze, weil der Begriff von Länge und Kürze durch die Vergleichung entsteht?

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selmer. Denken Sie sich einen Vorleser, (und so muß der gute seyn,) der auf den Längen immer mit einigem Verweilen hält, (denn Kürzen sind gar keines Verweilens fähig) so wird der Zuhörer die kleinere Länge nicht mit der nächsten grössern, sondern mit der ganzen Folge der langen Sylben, die er gehört hat, vergleichen. heiners. Dies sollten Sie beweisen, wie sie schon vorher hier und da hätten thun sollen. selmer. Einige Sachen beweist man, und einige nicht. Wenigstens verlangen Werthing und Minna die Schwatzhaftigkeit nicht von mir, durch welche man sich gern das Ansehn eines tiefsinnigen Untersuchers gäbe, und gleichwohl weiter nichts thut, als daß man demjenigen, dem man etwas vorträgt, langweilig aufbürdet, daß er den leichten Beweis nicht würde gefunden haben. Wir wollen jetzt, Werthing, zu den Theilen, aus welchen der Vers der Griechen zusammengesetzt wird, fortgehen. Wenn wir sie in unsrer Sprache finden, so haben wir gegründete Ansprüche, in ihren Sylbenmaassen, oder auch in neuen, von ähnlichem Umfange des Zeitausdrucks, zu schreiben. cv Der Trochäus, – Klage. Eine Benennung, die wir behalten müssen, weil sie eingeführt ist. Einige neuere Griechen, die nicht wusten, daß man ihn vor ihnen Choreus genannt hatte, bildeten sich, nach der Bedeutung des Worts, ein, daß er eile. Einer von Häphestions Scholiasten, der bemerkte, daß dieser Fuß keine Eile ausdrücken könnte, half sich auf diese Art aus der Sache. „Der Trochäus, sagt er, wird metaphorisch nach dem Laufe benannt. Diese fangen oft einen langen Weg an, und verkürzen ihn bald darauf, indem sie nicht so weit laufen, als sie sich vorgenommen hatten.“ Die Benennung Choreus, wird von Choros hergeleitet. Die Chöre tanzten und sangen gewöhnlich ernsthaft. werthing. Der Trochäus eilt zwar nicht, wie der Jambus, mit dem er allein verglichen werden kann; allein er geht doch auch nicht langsam fort. selmer. Nicht das Zeitmaaß der Sylben überhaupt, sondern dasjenige, was durch ihre Stellung genau bestimmt wird, kommt hier in Betrachtung.

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Diese beyden Füsse müssen gar nicht verglichen werden, weil sie, durch die Sylbenstellung, einen Contrast machen. werthing. So hatten denn die Redner Unrecht, wenn sie da, wo sie eilen wollten, den Trochäus oft setzten? selmer. Haben Sie diese Anmerkung bey Lesung des Isokrates gemacht? werthing. Häphestions Scholiast macht sie. selmer. Ich besinne mich zwar nicht; aber vielleicht benennte der Scholiast den Tribrachys mit dem Namen Trochäus. Denn so hieß der Tribrachys, da man den Trochäus, nach der spätern Bedeutung, noch Choreus nannte. werthing. Mir kommt es gleichwohl noch immer vor, daß der Trochäus einige Schnelligkeit habe. selmer. Fällt Ihnen nicht ein, daß die tragischen Dichter der Griechen nur dann trochäische Verse wählten, wenn eine ihrer Hauptpersonen sehr klagte? werthing. Aber verbanden sie nicht auch in dieser Versart den langsamen Spondeus mit dem Trochäus? selmer. Sie wiederholten nur sehr selten denselben Fuß. Dies war wenigstens die Eine Ursach. Und dann sollte die Klage noch langsamer gehört werden, als es durch den Trochäus allein geschehen konnte. werthing, Wenn ich nun aber behauptete, daß der Vers, ohne den Spondeus, noch nicht langsam gewesen wäre? selmer. Nehmen Sie ihm den Trochäus, und setzen für denselben den Jambus, so nähern Sie sich nicht etwa bloß der Mitte, wo Langsamkeit oder Schnelligkeit ungewiß werden; sondern Sie bekommen auch einige Schnelligkeit. Und diese hatten Sie ihm durch den Fuß gegeben, der das Gegentheil des Trochäus ist. Was ich von der ungewissen Mitte sagte, müssen Sie nicht nach dem gewöhnlich angeführten Verhältnisse beurtheilen, da die Länge Zwey, und die Kürze Eins macht. Denn die Stel-

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lungen der Sylben und der Füsse bringen das Ohr zu einem ganz andern Urtheile. heiners. Aber diesmal wenigstens müssen Sie mir zugestehen, daß Sie etwas weitläuftig gewesen sind. selmer. Sie dachten nicht daran, daß der Trochäus der zweyte Fuß unsers Hexameters, und derjenige ist, der unsern Vers von dem Verse der Griechen unterscheidet.

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minna. Sie müssen uns nun auch etwas von der Vorlesung sagen. selmer. Sie denken nicht daran, daß ich bisweilen Stunden würde zubringen müssen, die Regeln zu finden, welche in der Vorlesung einer halben Zeile liegen, die Ihnen völlig gelungen ist, und uns eben so sehr gefallen hat. Und wie schwer würde es seyn, sich bey dieser Untersuchung nicht zu verirren. Aber wenn man sich auch nicht verirrt, und die Regeln durch die leichtesten Zeichen ausgedrückt hätte; welche Schwierigkeit für die Ausführung eines Vorlesers, welcher der Vorschrift folgen wollte. Sokrates sagt bey Plato, daß es vornämlich auf den Enthusiasmus des Rhapsoden ankomme. Ihr richtiges und lebhaftes Gefühl, Minna, ist dieser Enthusiasmus. Über das ist Ihre Stimme voller Wendungen, das Gefühlte auszudrücken. Denn ohne diese würden Sie dem Maler gleich seyn, der, mit der schönsten Zeichnung in Gedanken, sich mit zitternder Hand an die Leinwand setzte. minna. Aber es giebt doch einige allgemeine Regeln der Vorlesung? selmer. Diese helfen fast zu nichts. Ich sage Ihnen: Sie müssen sich nach dem Inhalte richten. Aber wie denn? fragen Sie mich mit dem größten Recht. Und so sind wir auf einmal mitten in dem Gewebe der besondern Regeln. Der Künstler, der seine Sache weiß, verwickelt sich niemals darin. Der Kunstrichter hütet sich gewöhnlich davor, sie einzuführen. Und auch der beste sollte es nicht thun wollen. Die Unterschiede sind zu fein. Diese Noten schweben zwischen den Linien.

Vom Sylbenmaasse aus dem zweyten Gespräche. (Fragmente.) (1771)

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Ich habe Ihnen nur noch ein Paar Anmerkungen über den Klang und über das Zeitmaaß der Worte zu machen. Es klingt in dem Munde der südlichen Deutschen gesucht, wenn sie die Aussprache der nördlichen, die, wenn sie wollen, fast ohne Fehler seyn könnten, annehmen. Das Vornehmste kommt überhaupt bey unsrer Aussprache darauf an, daß wir einige Vocalen und alle Diphthongen voll; die Consonanten zwar ganz, aber doch auch bey Häufung derselben einige etwas leise hören lassen. Das Zeitmaaß auszudrücken, müssen Sie auf den Längen, besonders, wenn sie die Dehnung haben, ein wenig halten. Die Kürzen werden sich alsdann, wenn Sie sie nicht ganz vernachläßigen, von selbst ausnehmen. Derjenige wird alle Füsse gut hören lassen, dem es nicht mehr schwer wird, diese auszusprechen: v v vc in dem Gesang v c c der Waldstrom cvc Donnerton cc v hineilte Ausser diesem ist es keine kleine Schwierigkeit, viele Längen nach einander auszusprechen. Doch unsre Dichter lassen den Vorleser nicht oft in diese Schwierigkeit kommen. Was man vornämlich zu vermeiden hat, ist, daß man nicht zu zählen scheine. Wenn diese Längen die Dehnung haben, so wird die Schwierigkeit dadurch vermindert, als: Des Meerstroms Wut kam; fühllos flohn aber viel schwerer ist auszusprechen: Der Bergwald brennt, sinkt schnell hin. Es ist nicht genug, wenn Ton und Zeitmaaß nur Richtigkeit und Haltung haben. Der Ton muß verschiedne Fälle und Stärke haben, und Ründung da, wo er kann. Die Haltung muß mit ungleicher Messung abwechseln. werthing. Aber die Näherung zum Singen beym Vorlesen? selmer. Muß ich deswegen verwerfen, weil ihrer zu wenige sind, die, ohne ins Gesuchte zu verfallen, diese unvollendete feine Modulation treffen

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

würden. Befürchtete ich dies nicht; so liesse ich mich vielleicht durch Aristides verführen, von Ihrer Meinung zu seyn. Ich merke, Minna, daß sie den Griechen hören wollen. Er sagt: Wenn man bey Vorlesung der Gedichte die Leidenschaft recht ausdrücken will; so kann dies nicht anders, als durch eine gewisse Lenkung der Stimme nach dem Gesange geschehn. minna. Wenn die Declamation nicht etwas sehr Veruraltetes unter uns wäre; so könnte man es sich einfallen lassen, das Gesangähnliche zu versuchen, und dabey Leute, die Ohr und Geschmack haben, fragen, wie es ihnen gefiele. selmer. Den Griechen war die Declamation zur Nothdurft geworden. Denn nur sehr wenige konnten die kostbaren geschriebnen Bücher besitzen. Aber, auch ohne diese Nothdurft, liebten sie ihre Dichter und ihr Vergnügen zu sehr, um es, wie wir, zu machen. Wir setzen uns in einen Winkel, sehen den Schall, und fühlen daher das Gedicht kaum halb. Was hatten die Griechen nicht, und was verlieren wir, das Vergnügen der gesellschaftlichen Theilnehmung, des Ohrs und der lebhaftern Empfindung des Gedichts, die von jenem doppelten Vergnügen war verursacht worden. minna. Könnte man nicht öffentliche Vorlesungen veranstalten? selmer. Wie leicht wäre das, besonders wenn uns Vorleserinnen, die Ihre Stimme hätten, in freundschaftlichen Zusammenkünften zeigen wollten, wie wir es in Versammlungen machen müßten. ___________________________________________________________ selmer. Sie hörten diese Strophe mit wenigerer Aufmerksamkeit an, als die vorigen. minna. Ich kann Ihnen nicht leugnen, ich dachte an das, was Sie vorher von dem genauen Ausdrucke des Sylbenmaasses in der Musik sagten. Ich möchte mir gerne einen bestimmten Begriff von der Art machen, auf welche die Griechen bey der metrischen Composition verfuhren.

Vom Sylbenmaasse aus dem zweyten Gespräche. (Fragmente.) (1771)

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selmer. Ich bin nicht im Stande, auf andre Weise etwas hierzu beyzutragen, als das ich Ihnen einige Stellen aus den Theorien der Griechen übersetze. Nach diesen wurden componirt: Der Pyerhichius im kurzen Niederschlage und kurzen Aufschlage; Der doppelte Pyerhichius in zwey kurzen Niederschlägen und zwey kurzen Aufschlägen. minna. Also hatten sie auch kurze Niederschläge? selmer. Ohne mich einzulassen, diese Sache aus einander zu setzen, will ich Ihnen wenigstens sagen, daß ich mir eine Ähnlichkeit zwischen unsern schnellern Noten im Niederschlage, Achteln z. E. und den kurzen Niederschlägen der Griechen denke. Und vielleicht waren gar die Niederschläge und Aufschläge bey ihnen nichts anders, als bey uns die langsamern und schnellern Noten sind; ohne noch auf die neue Bestimmung der Zeitdauer zu sehen, die sie durch ihre Stelle bekommen. Denn, nach Aristides besteht die Rhythmusführung in der Schnelligkeit oder Langsamkeit der Zeiten, wenn man nämlich die Zeitgrössen zwar verschieden, aber doch nur nach dem Verhältnisse hören läßt, welches die Niederschläge zu den Aufschlägen haben. Der Daktylus wurde componirt in einem langen Niederschlage und zwey kurzen Aufschlägen. Der Anapäst in zwey kurzen Aufschlägen, und einem langen Niederschlage. Der Spondeus, Niederschlag und Aufschlag beyde lang. Der doppelte Spondeus, vier Zeiten (jede lange Sylbe macht zwey Zeiten) im Niederschlage und vier im Aufschlage. Der Jambus eine Zeit (oder die kurze Sylbe) im Aufschlage, zwey Zeiten im Niederschlage. Der Trochäus zwey Zeiten im Niederschlage, eine im Aufschlage. Einige der Rhythmen oder zusammengesetzten Füsse wurden so componirt: Der Orthius cc|cccc vier Zeiten im Aufschlage, acht im Niederschlage. Dieser veranlaßt den tanzenden Minnus zu ernsthaft schönen Bewegungen. Der Trochäus semantos cccc|cc acht Zeiten im Niederschlage und vier im Aufschlage. Er braucht künstliche Noten, weil er lang-

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

same Zeiten hat, und wegen ihrer Folge die Niederschläge verdoppelt. minna. Dies versteh ich noch weniger, als das Vorige. selmer. Ich auch nicht, und dennoch glaub ich richtig übersetzt zu haben. Der Päon diojües cvc ein langer Niederschlag, ein kurzer Niederschlag, ein langer Aufschlag. Der Päon egibatos c|c|cc|c Ein langer Niederschlag, ein langer Aufschlag, zwey lange Niederschläge, ein langer Aufschlag. Er hat vier Theile, und ist aus zwey Aufschlägen, und aus zwey verschiednen Niederschlägen zusammengesetzt. minna. Also bestände die Verschiedenheit darin, daß zwey Niederschläge gegen einen gerechnet werden? selmer. Der Päon egibatos hat eine starke Bewegung, indem er die Seele durch das Verschiedne der Niederschläge erschüttert, und sie durch die Grösse der Aufschläge erhebt. minna. So bald ich einen unsrer grossen Componisten zu sehen bekomme, will ich ihm diese Räthsel aufzurathen geben. Sie übersetzen doch richtig? selmer. Mir kömmt es wenigstens so vor. Noch ein Paar Anmerkungen: Die Niederschläge sollen auf eine gefallende Art mit den Aufschlägen abwechseln. Wenn die Rhythmen mit Niederschlägen anfangen, so sind sie ruhig und besänftigen; sie verursachen heftige Bewegungen, wenn die anfangenden Aufschläge die Stimme fortreissen. Füsse von vielen langen Sylben drücken Ruh aus: diese herrschten in den Hymnen, und zeigten, daß der Singende ganz auf ihren grossen Inhalt gerichtet war, und durch dieses gleiche und langsame Fortgehn nach derjenigen gesetzten Stille, welche die Gesundheit der Seele ist, strebte. Die zusammengesetzten Rhythmen die aus andern ungleichen bestehen, sind zur Erregung der Leidenschaften geschickt. minna. Da einige Takte hinter einander einen musikalischen Rhythmus ausmachen, so kann ich mir hierbey, in so ferne wir es auszuführen im Stande

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sind, nichts anders als die, durch Unterabtheilungen der Noten gemachte, Verändrung des Taktes und die Wirkung dieser Verändrung vorstellen. selmer. Stellen Sie sich es vor, wie Sie wollen. Nur wünschte ich, daß Sie einen Componisten fragten, und ihn zur Entscheidung veranlaßten.

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qVom deutschen Hexameter.p Vom gleichen Verse. (1773.) Aus einer Abhandlung vom Sylbenmaaße. selmer. Wir unterhielten uns zuletzt von den lyrischen Versarten der Alten, und einigen Nachahmungen derselben; ich will Ihnen jetzt neue vorlesen, die mir zur Untersuchung sind mitgetheilt worden. Von andern schon bekannten neuen wollen wir zuletzt reden. Die Sylbenmaasse des ähnlichen Verses nahmen ihren Hauptton aus Einer Klasse der Füsse; die Sylbenmaasse des gleichen Verses thun dieß nur selten; und wenn es geschieht, so verbinden sie mehr Füsse der angeführten Art. Es ist der Strophe wesentlicher, daß sie jetzt steige, jetzt sinke, nun abwechsle, dann schwebe, oder auch übergehe. Ich muß mich erklären. Langsamkeit und Schnelligkeit haben Grade. Wenn die Langsamkeit oder die Schnelligkeit zunimmt, so steigt die Strophe; und sinkt, wenn eine von beyden abnimmt. Wenn diese oder jene bald abnimmt, und bald zunimmt; so wechselt die Strophe ab. Bleiben sich die eine oder die andre von ungefähr gleich, so schwebt sie; und gehet endlich von der Langsamkeit zur Schnelligkeit, oder von dieser zu jener, über. Vielleicht giebt es noch mehr Arten Strophen; allein ich zweifle, daß hier Mehrheit und Schönheit vereinigt werden können. Wir sprachen neulich von einer Schönheit des Rhythmus, die keine Beziehung auf Langsamkeit oder Schnelligkeit hatte, und die in gewissen verhältnißmäßigen, und dadurch gefallenden Sylbenstellungen bestand. Diese kommt bey meiner Eintheilung nicht in Betrachtung; aber dadurch sage ich gar nicht, daß sie den lyrischen Versarten nicht vorzüglich angehöre. werthing. Etwas müssen Sie uns doch auch hier davon sagen. Wenn z. E. die Bewegung zunimmt, und diese Schönheit des Rhythmus sich vermindert?

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

selmer. Ich ziehe die Strophen vor, in denen beyde zugleich zunehmen. minna. Und wenn nun, bey dem Sinken der Strophe, der schöne Rhythmus stiege? selmer. So würde die Strophe dadurch gewinnen. Denn diese Schönheit des Rhythmus darf nur selten, etwa einiges Kontrastes wegen, vermindert werden; aber das Nachlassen der Bewegung ist zum Ausdrucke gewisser Leidenschaften nothwendig. werthing. Meynen Sie, daß die Strophe vom Langsamen zum Schnellen, oder umgekehrt, auf Einmal übergehe? selmer. Dieß wäre kein Übergang mehr; sondern ein Sprung; und den dürfen nur Dithyramben thun. minna. Wie steigt die Strophe am besten? selmer. Eine der guten Arten des Steigens ist, wenn sie in den beyden ersten Versen zu schweben scheint; in dem dritten etwas, aber in dem vierten noch merklicher, als von dem zweyten zum dritten, zunimmt. minna. Welche Art der Strophen ziehen Sie vor? selmer. Das würde uns sehr weit führen, wenn wir in diese Untersuchung hineingehn wollten. Vielleicht werden Sie selbst, wenn ich gelesen haben werde, nicht sagen können, welche Art Sie vorziehn. minna. Nun so werden Sie mir doch wenigstens sagen, welche Art der Abwechslung Sie vorziehn? selmer. Ich kann mich nun einmal auf das Vorziehn nicht einlassen; aber eine gute Abwechslung ist es, wenn sich der zweyte Vers leise, der dritte merklicher senket, und der vierte nicht zu stark wieder steigt; oder wenn der zweyte und dritte Vers eben so steigen, und der vierte auf gleiche Weise sinkt. werthing. Die schwebende Strophe (ich stelle mir ihre Verse dabey von grösserm Umfange vor, als lyrische Verse gewöhnlich haben) scheint mir eines sehr vollen Ausdrucks fähig zu seyn. selmer. Eines vollen Ausdrucks; aber nur von einfachen Gegenständen. Sobald diese zu ihrem Inhalte gewählt werden; so ist die Strophe vortreflich. Doch es kann ja überhaupt keine Versart ihre Kraft recht zeigen, wenn sie dem Inhalte nicht angemessen ist. minna. Wenn in der schwebenden Strophe jeder Vers durch genug Veränderung der rhythmischen Schönheit (wir sprachen ja erst davon) von dem andern unterschieden ist; so denk’ ich, muß ich ihr einen klei-

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deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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nen Vorzug geben. Ich glaube, die musikalische Declamation würde mich, wenn ich irrte, allein zurechtweisen können. werthing. Die musikalischen Rhythmen zu solchen Strophen, wie uns Selmer vorlesen wird, (ich kenne schon einige davon) fehlen uns noch. Die Rhythmusstellung unsrer Musik gleicht den Verhältnissen der Baukunst noch zu sehr; und es ist vielleicht noch lange hin, eh’ sie ein grosser Komponist den Gruppen der Malerey ähnlich macht. selmer. Wir kämen zu weit ab, wenn wir uns auf die singende Declamation einließen. Ich werde mich bemühn, Ihnen die Bewegung der Strophen, die ich habe, durch die redende auszudrücken. Unterbrechen Sie mich nicht durch Anmerkungen. Sie können mir sie hernach machen. Wenn ich in Einem fortlese; so übersehen Sie die Mannichfaltigkeit des lyrischen Zeitausdrucks, welcher in diesen Strophen ist, desto leichter. Sie erinnern sich doch noch, Minna: Alles, was die Sprache sagen kann, sagt sie, durch den Wortsinn, in so fern nämlich die Wörter, als zu Zeichen gewählte Töne, einen gewissen Inhalt haben, ohne noch dabey auf den Klang, und die Bewegung dieser Töne zu sehen; durch den Zeitausdruck, in so fern die Bewegung, und durch den Tonausdruck, in so fern der Wohlklang ausdrücken hilft. minna. Ob ich mich erinnre? Ich soll keine Anmerkungen machen. Aber ein Paar Fragen werd ich doch wohl thun dürfen. selmer. Kurze denn wenigstens; wenns nicht anders seyn kann. minna. Lassen Sie mich mit einsehn. selmer. Damit Sie die übergeschriebnen Sylbenmaasse recht beurtheilen, muß ich Ihnen sagen, daß die Komma die Verse in ihre Rhythmen abtheilen. Theilt man anders ab; so macht man, ob gleich eben die Reihe Längen und Kürzen bleibt, eine ganz andre Strophe. Die Bildung derjenigen, welche der Erfinder im Sinn hatte, wird zerstört. Doch dürfen, der Mannichfaltigkeit wegen, bisweilen einige Verändrungen des Rhythmus gemacht werden. Es ist genug, wenn die Strophe, bey der Wiederholung, ihren Hauptcharakter nur nicht verliert. Die untergesetzten veränderten Längen oder Kürzen zeigen an, daß der Dichter sie manchmal brauchen dürfe; doch unter der Bedingung, daß der Fuß beynah derselbe bleibe; und dieß geschieht, wenn er Wortfuß ist.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

Schnelle, steigende Strophen.

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1. vvcc vcvc , cvvc , vvcc vcvvc , cvc , vvcc v, vvcv c , cvc , cvc , cvvc , cvvvc , Da der Gottmensch: Werde Welt! rufte, da ward, Wie der Thau träuft, zahllos ihr Heer, die er schuf, Daß ihr Heil stets sich erhöhe. Allen rief Er vom Kreuz höheres Heil, ewiges herab! 2. vcvvc , cvc , vvcvcc v, cvvc , vcvvccvvc , vvcvvvc , cvvvc .

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Er betet, da stürzt hoch herab Ein Gebot vom Thron her, Flammen herab! Das Opfer versank schnell in der Glut, Und die Wasser am Altar brannten in die Höh.

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3. vcvcv v, c c , cvvcvc vcvcv v, c c , cvvcvc cvvcvc , cvcvvcvvc . Dann heiß’ ichs kommen! Städte von Mauern hoch Und Hügeln, fallen öde zur Trümmer hin! Schaam, und des Todes Furcht Senkt zur Erde des Streitenden Arm!

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4. vcvvc , cvc , cvvc , vvccvvcvvc , v ccv vvcvvc , cvvcvc v, vvcc v , vvcc , vvc .

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Ertönet sein Lob, Erden, tönt’s, Sonnen, Gestirn! Ihr Gestirn’ hier in der Strasse des Lichts, hallt’s feyrend Des Erlösenden Lob, flehe des Herrlichen! Unerreichten von dem Danklied der Natur!

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5. ccvvc , cvvc , v ccvvc , vccvvcv , cvvvcvc , vvcvcvvc , vcvvc , cvvvc . Aussaat, o wie reif schimmerst du her! Laut ruft im Gefild Die Heerschaar zu der Erndte! Selige, die, Glanz zu Glanz, Der Vollender sammelt, wie nimmt Des neuen Aeoons Herrlichkeit euch auf!

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Schnelle, abwechselnde Strophen. 1. cvvc , cvvc , vvcv , cvvc , vvcc v, vvcv , cvcvvc , vcv , cvv cvvc . Zema, du kamst! töne das Lied zu dem Psalter, Zema, du kamst! so ergiesse, durch des Festes Lauben, sich der Gesang des Bundes, Zema, du starbst! und erstandst!

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

2. vvcvcvvc , c vcv cvvccc v, cvvc vcvvcvvc , vvcc v, vvcv . Labyrinth war, Erben, der Weg an dunkeln Felsen empor; Grabnacht hüllt’ ihn euch ein: Das Blut der Entsündigung rann; Und Gericht hält, wer erlöst ward! minna. In welchen Versen wechselten diese beyden Strophen ab? selmer. Jede in dem dritten. Die erste ließ in diesem Verse ein wenig an Schnelligkeit nach; die andre nahm auf gleiche Weise zu.

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3. ccv v, vvcc v, ccv , cvcc cvc , vvcvc , vvcvc , vvcc v, vvcc , vvc vcvcc , vvc v . c

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Gott sey und dem Lamm sey, das erwürgt ward, Anbetung! Jubelpreis dem erhabnen Sohn! Du entriefst der Nacht Der Verwerfung, die der Tod traf! o wir sind Entflohn dem Abgrund des Verderbens!

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4. cvvvc , cvvvc , cvvc , cvvc , cvvvc , cvc , vvcvcvvvc , cvvvc , cvvc , cvvvc . Ach zu dem Triumph schweben wir empor, Engel, und ihr, Erben des Lichts, kommen zu des Sohns Himmelsgang! Du o Tod, du Flug zu dem Genuß! Gräber, und ihr Graun, Wonne seyd ihr, Himmel und sein Heil!

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deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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5. vvcv , vvcv , vvvc , cvvcvvcvvc , ccv , vvc , vvc vvvc . Wie die Freude, wie die Wonne, wie des Triumphs Inniges, jauchzendes, heiliges Lied Nachhallen? wie den Preis Der Vollendeten am Thron? 6. cvvvc , cvvvc , vvc , cvvvc , cvvvvc , cvc , cvc , vvc vvvc , cvv vvc , cvvc , cvvvc .

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Schwinge dich empor, Seele, die der Sohn zu des Lichts Erbe sich erschuf! selige, die versöhnt Jesus hat! Sing ins Chor der Vollendeten am Thron! Stammelten sie nicht auch Laute, wie du, bebenden Gesang?

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Der Schluß des zweyten und der Anfang des dritten Verses machen in dieser Strophe die Abwechslung aus. Wenn der zweyte mit einem Daktylus schlösse, und der dritte in Einem fortliefe, so nämlich: cvc vv cvvvc, so würde die verminderte Schnelligkeit unmerklich seyn, und die alsdann zu schnelle Strophe zu den steigenden gehören.

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7. cvvv cvvc , cvv cvv cvv cvc , vvcv cc v, vvcv c, vvc vvvc . Donnr’ es, o Gesang, in der Nacht Schrecken hinab, zu Gehenna’s Empörer hin: Die am Staub’ einst Elend, und der Tod traf, Sie erwachen zu dem Schaun!

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

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8. vcc , vvc , vvcc , vvc vvc , vvcc v, vvcc , vvc vvc , vvccc , vvc vvcc v, vvcc v, cvvc .

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O Aufgang aus der Höh, o des Herrn Sohn! du o Licht Von dem Licht, der erlöst hat, doch dereinst auch auf den Thron Des Gerichts mit der Wagschaal steigt, und es wägt Was gethan hat, wem umsonst floß Golgatha’s Blut.

Langsame, steigende Strophe. 230

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vvccv , vccv vccv , ccv , vccv , vcccv , vvccv , vccv cccv , vccv , vccv , vcccc v. O der Angst Stimme, die herrufend vom Abgrunde Dumpf tönet’, aus Staubwolken zu Licht aufklagte! Und nunmehr sterbend noch graunvoller schwieg, furchtbarer, Verstummt, schrecket’, als hinsinkend sie Wehklag’ ausrief!

Langsame, sinkende Strophe. 240

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cvc , cvc , ccv ccv , ccv cvc , vvcc , cvcvc , cvc , cvc , vvcv . Meer, du standst! Gott gebot’s! Tagwolke, Nachtwolke schwebt’ hinten nach dem Heer Des Gesezvolks. Gott erschrekt’, und traf Pharao’s Roß und Mann von der Wolke.

qVom

deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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Langsame, abwechselnde Strophen. 1. vccv , vccv , vcccv , ccv , vcccv , vcccv , vcc ccv , vvccc , vvc , cvv ccv , cvc . Posaunrufen der Heerlager, die ernstanbetend Fortzogen, umscholl wehdrohend der Palmstadt Thürme: Der Todstag kam dunkel, und des Herrn Heer zog Und es sank fürchterlich aufdonnernd Jericho! 2. ccvv , ccvv , ccvv , ccc , vvcc , vvcc , vvccc , vvccvc , vvc , cvvc vvcc , vvvccc .

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Selbstständiger! Hochheiliger! Allseliger! tief wirft, Gott! Von dem Thron fern, wo erhöht Du der Gestirn Heer schufst, Sich ein Staub dankend hin, und erstaunt über sein Heil, Daß ihn Gott hört in des Gebeinthals Nacht.

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3. ccv , vcc , vcc , ccv ,

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ccv , ccv , vcc , vcc v, vvcc , vvcc v, ccv .

Geh unter, Stadt Gottes, geh unter! In Kriegsschrein! in Rauchdampf! und Glutstrom! Versink, ach! die des Herrn Arm von sich wegstieß, Sey Trümmer, Stadt Gottes!

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

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4. vcc , vvcc v , ccvv , vvcc , ccvv cvv , vvc vvcc , ccvv vcc , vvccc .

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Die Gott rächt, in Gestirnglanz, Glükselige, In des Heils Kleid, ausduldende Märtyrer, Zu dem Erb’ in dem Lichtreich, kommt freudig ihr, Die Gott rächt, von dem Nachtthal her!

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5. vcc , vcc , vccc , vcc , vvcc , vvccc vvcc , vvcc v, vvccc , vvccc . Sie sind’s, ach! die wehdroh’nd der Aufruf schreckt, Sie stehn auch von dem Tod’ auf! O verschlöß Nacht stets Und das Graunthal der Verwesung Die des Throns Ausspruch in den Abgrund stürzt!

Schnelle, schwebende Strophe. 295

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cvvc , cvvc , cvvc , vvcv ,

cvvc , vvcv , vvcc v , vvcv , vvcc v, cvvc , cvvc . cvvc .

Liebe des Sohns, himmlisches Heil, dem Verstande Göttliches Licht! vom Altar Glut dem Gefühle! Tag, der erwacht, in das Meer nicht unterzugehn, Der Erlösten ewiger Tag, Liebe des Sohns! Die Bemerkung des Ohrs muß oft sehr fein seyn, die den Unterschied, zwischen der abwechselnden Strophe, und der Strophe des Übergangs macht. Ich würde, wenn ich nicht in Gesellschaft so genauer Untersucher wäre, einige der letzten Art abwechselnd nennen. Die Stro-

qVom

deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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phen des Übergangs sind sich darinn unähnlich, daß der Übergang, bald durch einen oder zwey Verse, bald auch nur durch Einen Rhythmus; bald aber in jedem Verse durch veränderte langsamere oder schnellere Rhythmen, gemacht wird. Ich verlange eben nicht, daß Sie, indem ich vorlese, an dieses alles denken sollen; es ist mir genug, wenn Sie nur auf den Eindruck Acht haben, den die Bewegung der Strophen auf Sie macht. Gleichwohl will ich die, welche in jedem Verse übergehn, zuletzt lesen. Diese Strophen sind, in einer gewissen Betrachtung, schwebend. Bey den eigentlichen schwebenden Strophen bleibt sich entweder die Schnelligkeit oder die Langsamkeit gleich; und bey jenen das Übergehende. Doch sparen Sie diese, und alle andre Anmerkungen, für die zweyte Lesung auf; und hören jetzt.

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Übergehende Strophen. 1. cvcvc , cvc cvc , cvc , cvc , cvcvvc , vcvc vcc , vvcc , vvc . Fanget bebend an, athmet kaum Leisen Laut; denn es ist Christus Lob, Was zu singen ihr wagt. Die Ewigkeit Durchströmt’s, tönt von Aeoon fort zu Aeoon! 2. cc , vvcc , vvcc , ccv , cv cvc , cvvc , vvcc , vvcv , vvc , vvc , cvvc . Gott sey, ja dem Sohn sey, der zu Gott geht, Anbetung! Werft die Krone, werft, Engel, auch ihr In Triumphgange die Palme, Daß der Herr sie euch gab, nieder am Thron!

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

3. vvcvvc , cvvcvv c, vcc , vvc , ccvc , vcc , vvcc v , cvvc , vvcc , ccvv cvvc .

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Sie versinkt, sie versinkt Babel! Der Täuscherin Gefüllt ist mit Gifttrunk, schnelltödend schäumt Ihr Kelch auf! O es füllt dir, Babel, dafür Des Gerichts Kelch vollmessend, der wiedervergilt!

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4. vvcc v , vvcc , vccc , cvvc , vvvccc vvvc , vvccc , vvccc , vvvccc , vvvccc . Wo erhöht Er in dem Lichtreich, im Glanz thront, dort Stieg er herab, und den Gerichtsruf donnerte sein Heer! Und die Grabnacht gab, die sie wegnahm, her, Da des Gerichts Ruf tönt’, und das Gebirg einsank.

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5. cvc , cvc , vvccc , vcc , vcc v , vvc vcc , vcc , cvvc , cv , ccv , ccv , cvvvc .

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Todt’, erwacht! Todt’, erwacht! Der Gerichtstag hallt’s, Der Aufruf der Erndter, das Gefild Ertönt froh; der Staub hört’s da, wo er sanft Schlummert, hinschallen; Schutzengel rufen ins Gericht!

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6. vcc , vcc v, vvc vvc

vcc , vvcv , vvcc v , vvcv vvc vvc , vvvc , vvc .

qVom

deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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Ihr lieft nicht die Laufbahn des Erdulders, Des Pilgers, da hinab nicht, wo der Tod war; Ihr Unsterblichen, sahet das Grab Nicht eröfnet, und gefüllt mit Gebein! 7. vccv , cvcv cvc , vvccv , cvcvvc vvc , cvvcvvvc vccv , vc vvccc . Gerichtsdonner, ach zu furchtbar tönest du In die Grabmale! Längrer, ewiger Schlaf Ist ihr Flehn; aber sie kommen aus der Nacht Und wehklagen: O falle, Gebirg, deck’ uns! 8. vvcc , vvcc , vcc , vvcv , vvvcc , vvvcc , vvcc v, vccc , vvccc , vvccc , vvccc , vvvccc , vvccc .

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Da ihr Gang Flug, und ihr Ausruf Gesang ward der Entzückung, Da vom Gefild’ her sich ihr Triumphzug zum Gerichtsthron Emporschwang, nahm zu dem Erb’ auf Er, den am Kreuz Gott sah’, In das Lichtreich auf, die des Altars Blutruf vom Gericht lossprach!

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9. ccv , vccv , vccv , vccc ccv , vccv , vccv , vc , cvc , vcc , vcccv , vccc , vvcc v , cvvc , vvccc .

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Wehklagen, und bang Seufzen vom Graunthale des Abgrunds her, Sturmheulen, und Strombrüllen, und Felskrachen, das laut niederstürzt’, Und Wutschreyn, und Rachausrufen erscholl dumpf auf! Wie der Strahl eilt, schwebten wir schnell, und in Wehmut fort.

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

10. vcc , vcc , vcc v , vccc , vvcc , vvcc v , vvcc , vccc , cvvc , cvvc , vvccc , cvvc , cvvvc , vvvccc . Am Thron rollt die Heerschaar, als göß sie ein Meer weit aus, Des Gerichts Bücher voll Ernst auf; und die Glanzschrift erschreckt fernher! Eilet empor, Erstlinge, schwebt den Triumphflug, kommt, Richtet mit dem, welchem sich die Höh, und das Gebeinthal bückt! 11. vcc , vcc , vcc , vvcc , vvcc , vvccv c, cvcvc , cvvc , cvvcvvc , cvvvc .

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Begleit’ Ihn zum Thron auf, o Lichtheer, Mit der Harf’ Ihn, der Posaun’hall, und dem Chorpsalm, Jesus, Gottes Sohn! Menschlich ist Er! Gnädig! das rufest du laut, blutiger Altar!

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12. cvc , vcc , vcc , c ccv ,

vvcc v , cvc , vcc , vvcc v, vvcc v , cvc , ccv cvvc .

Goldpalast, und bemoost Dach stürzen ein! Im Erdgrab’, und Weltmeer, wer entschlummert Schon lang lag, der erwacht; wer lebet, hört Graunvolles Erdbeben, stirbt! und erwacht!

qVom 13. vvc vvc , vcc , vvc

deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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vvc , cv ccvvc , cv cc cvvvc , v , c vcc , vcc , vvcv , vvvc , cc v , cvvc .

O sie kommen herauf! Mühsam wandelten sie In des Tods bangem Nachtpfad; glückliche, befreyt, Entflohn sind sie weit weg vom Elend! und Entzückung Ist ihr Weinen da herauf, Wehmut himlischer Ruh! 14. cvc , cvc , vcc , vcc ,

vvc , cvc , vvcc v , cvc , vvcc v , cvc , vvcc v , vvccc .

Ernst ist er des Gerichts dunkler Tag; Todesgang und des Sturms Flug eilt des Herrn Gerichtstag! Prophezeihung gegen sie, Bewölkt einst, Prophezeihung, wie erfüllt Gott dich! 15. vvc , ccccvc , vvvc , cccccvc , cvvvc , cvc , cvv vvc , cvvvvc , cvc , cvv vvvc . Das Gewand weiß, bluthell hob zum Thron Sie sich empor, stand ernst, anschaunselig da, Schimmerte die Braut! Sanften Ton, festliche Melodien, Freudigeres Gefühl, strömtet ihr, Donnerer in dem Gericht!

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Von der jonischen Versart. selmer. Sie kennen den schönen Rhythmus des Jonikus. Ich habe eine mir mitgetheilte Versart nach ihm genannt. Ein großer Dichter könnte ihr, durch ein Gedicht von vielem Inhalte, seinen Namen geben;

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

und so würde ich gar nichts dawider haben, wenn sie ihre griechische Benennung verlöre. Ihr Schema ist: vcc vvcc vvcc vvcc vcv vvc vv c vv c vcc v cc vc c Der Jonikus ist der herrschende Fuß; nach ihm kommen der Anapäst und der Baccheus von ungefähr gleich oft vor. Da die beyden ersten schon so viel Bedeutung haben, so durfte ein Dritter, nur unter der Bedingung einer großen Ähnlichkeit mit dem herrschenden, hinzukommen. werthing. Aber warum wurde, eben dieser Ähnlichkeit wegen, der Baccheus nicht zum zweyten nach dem herrschenden gemacht, und der Anapäst merklich seltner gebraucht? selmer. Weil die Versart auf diese Weise Eintönig geworden wäre. Der Jonikus ist nicht in der ersten Abtheilung; weil er sonst zu oft vorkommen, und also zu stark würde gehöret werden. Der vierte ist ohne den Anapäst, weil der Schluß des Verses den Hauptton der Versart haben soll. Der Baccheus darf nur selten für den Jonikus in der vierten Abtheilung gesetzt werden; es muß aber auch nicht zu selten geschehn, damit der Schluß des Verses zwar merklich, aber auch nicht Eintönig sey. So oft nach der Regel, und nach der Erlaubniß, ähnliche Füsse mit einander abwechseln zu lassen, der Didymäus für den Jonikus steht (in der vierten Abtheilung steht er niemals) so ist er allezeit ein Wortfuß, damit er dem Verse seinen Hauptton nicht nehme. Überhaupt sind die Füsse in dieser Versart oft Wortfüsse. Ihr schnellster Vers ist: v v c, v v c, v vc, v v c c, O entfleuch zum Gebein, ins Gefild, wo die Schlacht schweigt, vc v Erobrer! der langsamste: v c c, v c c v, c c, v v c c, Und ruf dort dir selbst, Würger, Weh zu, daß des Herrn Zorn v c c nicht donnernd und vielleicht der schönste:

qVom

deutschen Hexameter. p Vom gleichen Verse. (1773)

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v c c, v v c c, v v c, v v c c, Dir aufsteh, du den Wehruf des Gerichts von dem Thron her v c c nicht todt hörst. werthing. Zu dem Schlusse eines Verses scheinen mir sieben Sylben, davon noch dazu viere lang sind, zu viel zu seyn. Man höret nur den letzten Fuß als Schluß. selmer. Es kommt nur darauf an, daß der Jonikus vor dem letzten Fusse gewöhnlich wieder gehört werde. Ob Sie diese beyden letzten Füsse den Schluß, oder die letztere kleinere Hälfte des Verses nennen, entscheidet in Absicht auf seinen Rhythmus nichts. werthing. Der jonische Vers scheint mir ein wenig zu lang zu seyn. selmer. Ich vermuthe, daß Sie den Hexameter zum längsten Verse annehmen, der gemacht werden darf. Wenn dieß der Entscheidungsgrund seyn soll, so ist der jonische Vers zu lang. Der Hexameter hat, wie Sie wissen, beständig vier und zwanzig Zeiten; der jonische wechselt von acht und zwanzig bis zu zwey und zwanzig ab. Wenn er Inhalt hat, und nicht bloß wegen seines starktönenden herrschenden Fusses eine gewisse Fülle der Declamation erfordert; so scheint er mir nicht zu lang zu seyn. werthing. Man könnte, deucht mich, auch das an ihm tadeln, daß er nicht beständig eben dieselben Zeiten hat. selmer. Tadeln Sie es an Sophokles Verse, daß seine Abwechslungen von ein und zwanzig bis zu achtzehn zurück gehn? oder an den andern Sylbenmaaßen der Griechen, die wir mit einander untersucht haben, daß die Zahl ihrer Zeiten ungleich ist? werthing. Wenigstens ist es ein Vorurtheil gegen die jonische Versart, daß die schönste Versart der Griechen, ihre epische, in jedem Verse gleiche Zeiten hat. selmer. Ich glaube nicht, daß der Erfinder des Hexameters an die Gleichzeitigkeit seiner Füsse gedacht hat. Sie wird nur von denen, und zwar nur einigermaßen gehört, welche die Anmerkung, daß sie da ist, gemacht haben. Was sagen Sie, Minna? scheinen Ihnen diese beyden Verse, die im Homer aufeinander folgen, gleichzeitig zu seyn: cc c c c c c c c c Tläton gar moirai thümon thesan anthroopoisin. c c c c c c Avtar hog’ Hektora dion epei philon ätor apäura!

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Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse. (1764–1779)

minna. Mir scheint der erste viel länger zu dauern, als der zweyte. werthing. Aber bey Versen, die nicht so sehr contrastiren, als diese, ist die Gleichzeitigkeit merklicher. selmer. Ich habe Ihnen schon zugestanden, daß diejenigen, welche die Anmerkung gemacht haben, die gleichen Zeiten einigermaßen hören können. Aber ich frage Sie: denken Sie daran, wenn Sie den Homer declamiren? werthing. Das thu ich freylich nicht. selmer. Überhaupt seh ich die Gleichzeitigkeit des Hexameters nur als eine Mannichfaltigkeit weniger an. Ich würde sie ein zu künstliches Ebenmaaß nennen, wenn sie merklicher wäre. werthing. Nicht jede Mannichfaltigkeit ist eine Schönheit. selmer. Aber diejenige, nach welcher die Verse ungleiche Zeiten haben, ist es deßwegen, weil sie etwas dazu beyträgt, daß der poetische Periode nicht immer in gleiche Absätze getheilt wird. Die Regel, daß der Künstler die Kunst verbergen müsse, fodert hier die Verbindung der Ähnlichkeit mit der Gleichheit. Sonst muß ich von dieser Versart noch anmerken, daß sie durch ihren starken Rhythmus nahe ans Lyrische gränzt.

Neüe Silbenma˛sse, Sibentes Fragment (1779), siehe „Über Spra˛che und Dichtkunst“, S. 367–371.

Fom deütschen Hexameter. E˛ rstes Fragment.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. ___________________________

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Fragmente fon Klopstock. Fom deütschen Hexameter. E˛rstes Fragment. ___________________________ Es sind etwa dreissig Jare, daß einige deütsche Dichter den Hexameter der Gr˛ichen, dessen Regel di Ferbindung des Dakt˛ils und des Spondeen, als künstlicher Füsse, ˛ ist, durch di Anname des Trocheen zum neüen künstlichen Fu˛sse, ferendert, und in disem Silbenma˛sse geschriben haben. Di Ferenderung ist wäsentlich. Denn si sezt einen Hauptzug zur Bildung des Ferses hinzu: und nicht nu˛r das, si wil auch, daß diser Hauptzug, der Trochee nämlich, merklich öfter als der Spondee forkomme. ˛ Unser Hexameter ist also nicht so wol eine gr˛ichischdeütsche Fersa˛rt, sondern f˛ilme˛r eine deütsche. Durch den Gebrauch der künstlichen oder der Füsse ˛ der Regel entstehen Wortfüsse, ˛ welche di eigentlichen Teile des Ferses sind, und auf di auch der Zuhörer, dän di künstlichen ga˛r nichz ange˛n, allein achtet. Fon jenen bekommen di Gr˛ichen na˛ch irer Regel s˛ibzän: und w˛ir na˛ch unsrer zwei und zwanzig, (di fümf und me˛rsilbigen, welche dise Mannichfaltigkeit noch se˛r fermeren, wärden h˛ir nicht mitgerechnet) und also fast den f˛irten Teil me˛r Abwexlung, oder so f˛i l me˛ r Anlas gewisse Beschaffenheiten der Emfindung und Leidenschaft und der sinlichen Gegenstende auszudrükken. Das neüe Silbenma˛s hat f˛il Widerspruch und f˛il Beifal gefunden; und disen zwa˛r, wi ich teils aus eigner Erfarung weis, am gewönlichsten ˛ bei fölligen Leien, di unferwarlost ˛ fon teoretischer Hörsagerei ˛ sich dem Eindrukke überl˛issen: und auf der andern Seite bei tifen Kennern der Ferskunst, di mit dem Alten, bis zu seiner Berichtigung, bekant, das Neüe bald durchschauten.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Der Raum zwischen disen und jenen ist nicht klein. Di Halbwisser, di ˛in einnämen, hetten aus den schlechten Hexametern lernen können, wi diser Fers nicht gemacht, und aus den guten, wi är gemacht wärden müsse. Aber es fälte inen wol auch h˛ir an der Gabe der Unterscheidung. Nu˛n so hatten si ja genung Teoretisches, das fon Fersch˛idnen über di Sache geschriben wa˛r; fileicht aber auch nicht genung. Denn es könte ja wol sein, daß man aus Neigung Folstendigkeit und Kürze zu ferbinden, etwan h˛ir und da se˛r naligende Erleüterungen nicht gegäben, oder Folgerungen dem Läser überlassen, und sich in der Hofnung, daß är si machen würde, betrogen hette. Solte ich in disem Punkte, denn ich habe das Teoretische des Hexameters auch berürt, ˛ ein Mitschuldiger sein; so denk ich meinen Fäler durch diese kleine Schrift wider gu˛t zu machen. Und da ich jezt nu˛n einma˛l umstendlicher sein wil; so wärd’ ich zugleich auf Fersch˛idnes kommen, das ich auch sonst wol dänen, welche der Umstendlichkeit nicht bedürfen, hette forlägen ˛ mögen. Warum ich m˛ir ema˛ls mit disen Näbensachen zu schaffen gemacht habe, und mich jezt so ga˛r auf ire umstendlichere Entwiklung einlasse? Gu˛t, Näbensachen; aber nu˛r in Fergleichung mit der Hauptsache, dem Denken: sonst gehört ˛ der Ausdruk des Gedachten, und zwa˛r in allen seinen Zweigen, za˛rten und starken, so wenig zu den Näbensachen, daß dagegen se˛r file Dinge, di für ˛ wichtig und gros ˛ gehalten wärden, zu den wa˛rsten Näbensechelchen einschrumfen. Ich bin se˛r entfernt dafon, es m˛ir zum Ferd˛inst anzurechnen, daß ich mit diser so leichten Untersu˛chung fileicht so ga˛r jezt noch zu frü komme. Fersch˛idnes fon däm, was man im Folgenden finden wird, ist teils durch Einwendungen und Angriffe, und teils durch Meinungen, di weder das eine noch das andre sind, feranlast worden. Ich habe mich fon disem Faden leiten lassen, um zu zeigen, daß di nähere Beleüchtung der Sache äben so überflüssig nicht sei. Ich nenne Nimanden; aber ich füre di Stellen, wider di ich etwas zu erinnern habe, wo nicht immer mit allen Worten, doch nima˛ls so an, daß man si nicht wider kennen solte. Ich muste dis tu˛n, weil man sonst dise und jene Stelle, wen si bei blosser ˛ Anzeige ires Inhalts weniger kentlich gewäsen were, für ˛ erdichtet hette halten können. Es kan sein, daß h˛ir und da Angriffe und Einwendungen unter einander zu stehen kommen. Gleichwol denk ich nicht, daß man si ferwexeln wärde; weil sich di Angriffe, durch stolze Parteilichkeit und demütige Gründe, immer merklich, und oft auffallend unterscheiden.

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Bei Erwänung der Angriffe fürchtet man fileicht, daß ich ein Betragen, mit däm man zufriden gewäsen ist, jezt endre, und mich, na˛ch so langem Stilschweigen, auf das Antworten einlasse. Aber man hat dise Furcht nicht nötig, weil ich nicht mich, sondern eine Fersa˛rt ferteidige, di Andre und ich forgezogen ˛ haben. Man wird dis beim Fortläsen fon selbst sehen; gleichwol sag’ ich es h˛ir. So f˛il ist m˛ir daran gelägen, daß man auch nicht einen Augenblik fon m˛ir glaube, ich sei nicht bei meiner alten gute Sitte gebliben. Ein föllig gr˛ichischer Hexameter im Deütschen ist ein Unding. Kein deütscher Dichter hat je solche Hexameter gemacht, oder machen wollen. Etliche eingestreüte diser Art ˛ können h˛ir nicht in Betrachtung kommen. Ich kan mich dabei nicht wol aufhalten, daß bald fon gr˛ichischem Hexameter im Deütschen; und bald fon deütschem di Rede ist. Genung, aus dem ganzen Fortrage, ˛ und aus einzelnen Stellen, in dänen der Mund one Häl überge˛t, felt se˛r deutlich in di Augen, daß jener Untersch˛id nu˛r zum Scheine gemacht wird, um dem deütschen Hexameter, durch Hülfe diser Gebärdung, denn doch wenigstens mit einiger Schonung zu begägnen. In folgenden Stellen wird unferholen herausgeredet: „Der Jambus ist das einzige, wahre, ächte, natürliche, heroische Metrum unsrer Sprache.“ „Wenn Homer, ein alter Teutscher im Zeitalter der Minnesänger oder Luthers, frey von klaßischer Schulfüchsery und poetischer Pedanterey, gelebt hätte, so hätte er auch seine Ilias in Jamben gesungen.“ „Nichts als Nachahmungssucht, verdamte Nachahmungssucht hat uns auch hier wieder von der Natur abgezogen, und gegen den Genius der Sprache empöret.“ Im deütschen Hexameter ist der Dakt˛il der herschende künstliche Fu˛s. Na˛ch ˛im wärden der Trochee am oftesten, und der Spondee am seltensten als künstliche Füsse ˛ gebraucht. H˛iraus folgt unter andern, daß är aus deütschen und gr˛ichischen Stükken zusammen gesezt sei. Dise zu unsrer Spra˛che in hohem Grade passende Fersa˛rt ist es, fon där ich rede, und dären Ferteidigung ich auch in so fern, als si der gr˛ichischen gleicht, übernäme. Es ge˛t mich h˛irbei nichz an, daß es h˛ir und da geschinen hat, als solte wider das Fantom ˛ eines gr˛ichischen Hexameters im Deütschen gestritten wärden. 1. „Man scandire das erste das beste prosaische Buch. Eher scandirt

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man hundert zehnsylbige Jamben oder Trochäen, als nur einen Hexameter heraus.“ Bei diser Fergleichung würde man dreierlei tu˛n müssen. Erstlich ˛ müste man, weil fon Jamben oder Trocheen di Rede ist, auch den kleistischen kurz anfangenden Hexameter mit in Rechnung bringen; zweitens nicht ganze Hexameter ferlangen, sondern zänsilbige hexametrische Stükke, als zur Fergleichung föllig zureichend, gelten lassen; und sich endlich erinnern, daß man deütsche Hexameter aufzusu˛chen habe. Ich ferlange übrigens, wi ich doch könte, nicht einmal, daß man dabei den Silbenzwang, one dän der Jambe schlechterdings nicht gemacht wärden kan, auch dem Hexameter solle zu statten kommen lassen. Bei diser Art ˛ zu ferfaren, der einzigen, durch di sich etwas zur Sache gehöriges ausmachen lest, mögte sich denn doch wol das angegäbene Ferheltnis so z˛imlich ferendern. 2. „Man kan sagen, daß neun Zehnthel der Sprache in das jambische Metrum recht bequem sich fügen, hingegen kaum ein Zehnthel im Stande sey, richtige, gute Hexameter zu bilden.“ H˛ir würde also das forhär ˛ ins Weite hin angegäbene Ferheltnis festgesezt. Der dem Jamben n otwendige ˛ öftere Silbenzwang, wen nämlich di unferenderlich langen Silben, als kurze, di gleichen kurzen, als lange, und di nu˛n bestimten zweizeitigen auf äben di Art ˛ unrichtig gebraucht wärden, der Silbenzwang widerspricht dem beqämen Fügen gerade zu. Di U ˛ rsach dises Zwanges ist, daß in unsrer Spra˛che se˛r oft zwei kurze Silben, und nicht selten zwei lange näben einander stehen. Ich habe ˛in (Di Silben in Reime zwingen, sagten unsre Alten, und tatens; w˛ir sagens nicht, aber w˛ir tu˛ns tapfer drauf los.) ˛ n otwendig ˛ genant, und zwa˛r deswägen, weil der Dichter, där in Jamben schreibt, i˛n nicht anders, als mit dem Ferluste se˛ r filer Wörter und Wortstellungen fermeiden könte, und dahär aufhören müste zu denken, wi är wolte. Aber auch nicht wenig zusammengesezte poetische Wörter, und file andere noch unentbärlichere Wörter und Wortstellungen, (widergegäben, untergegangen, näben, über den Bergen u. s. w. dis greift se˛r weit in der Spra˛che um sich) sind dem Jamben deswägen föllig unbrauchba˛r, weil bei inen selbst der Silbenzwang nicht stat findet. Und dis ist denn doch wol der höchste ˛ Gra˛d der Unschiklichkeit einer Spra˛che zu einem Silbenma˛sse, wen si um seinetwillen eine

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Menge solcher Wörter und Wortstellungen, als so file Reichtümer, dären Gebrauch gröstenteils so ga˛r zur Leibes Narung und Notdurft ˛ gehört, ˛ gleichsam im Kasten mus ferrosten lassen. Auf der andern Seite gewint der Hexameter äben dadurch, wodurch der Jambe ferl˛irt, nämlich durch das öftere Widerkommen zweier Lengen und zweier Kürzen, als welches fon der Notwendigkeit ˛ des Silbenzwanges befreiet, und di Spra˛che dem Dichter nicht allein nicht arm macht, sondern i˛m f˛ilme˛r di Bereicherung derselben erleichtert. Si stelt aber auch Eine Lenge näben Eine Kürze. Dis past äben so gu˛t für ˛ den Hexameter, als für ˛ den Jamben. Denn jener hat ja den Trocheen zum neüen künstlichen Fu˛sse angenommen. Zu dem Allen kömt nu˛n noch, daß man nicht ganz selten drei Lengen näben einander antrift. Dis ist dem Jamben noch na˛chteiliger, als es dem Hexameter, där auch den Spondeen zum künstlichen Fu˛sse angenommen hat, forteilhaft ist. Denn jener mus nu˛n ga˛r, in dem kleinen Umfange fon drei Silben, den so widrigen Silbenzwang manchma˛l ferdoppeln. Z. E. Wen ein Fers mit Angst weklagt anfengt, so wärden Angst und klagt zu Kürzen gezwungen; wen aber mit Und Angst weklagt, so ge˛ts nu˛r über we här. Daß also das nu˛n so hingewagte Ferheltnis fon eins zu neün nicht nu˛r föllig ungegründet, sondern der Hexameter f˛ilme˛r, in Ansehung des beqämen Fügens, in der ganzen Spra˛che zu Hause were; der Jambe aber nu˛r Einen Flügel, (wen man i˛m anders so f˛il einreümen kan) und zwa˛r mit dem Hexameter in Geselschaft, inne hette. Einige Wortstellungen lassen drei auch wol f˛ir Kürzen aufeinander folgen, und etliche Wörter und Wortstellungen bilden den Antispast (vccv Gesichtskreise). In dise kleinen Näbengebeüde darf der Hexameter nicht kommen; allein der Jambe auch nicht. Nu˛r di lirischen Silbenma˛sse, di mit dem e˛rsten zugleich angetastet wärden, gehen da zuweilen aus und ein. 3. „Der Verfasser giebt den Längen und den Kürzen drey Grade Verschiedenheit, (sie sollen sich gar noch viel weiter abstufen lassen) und glaubt auch dadurch das Nichteintönige des Jamben zu erweisen.“ H˛irfon herna˛ch. Bei disem Anlasse wird dem Hexameter forgeworfen, ˛ daß är „1) Kürzen und Kürzen, 2) Längen und Kürzen, (Lengen und Lengen, welches doch mit zur Sache gehört ˛ hette, wärden ausgelassen,) in Ansehung ihrer Verschiedenheit, nicht gut zusammen stelle.“

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M˛ir scheinen zwei Grade (auch bei den Gr˛ichen) zur richtigen Bestimmung der Sache zureichend zu sein: kleinere Lengen nämlich und grössere; so auch di Kürzen. Damit man aber nicht glaube, ich wolle durch Ferwerfung dreier Grade Schwirigkeiten ausweichen; so las ich mich darauf ein. Ich näme also gleichfals lange, lengere, und lengste; kurze, kürzere, und kürzeste Silben an. Di zweizeitigen Wörter und Silben, di me˛r lang als kurz, oder das Gegenteil sind, solten h˛ir, als solche, deswägen nicht mitgerechnet wärden, weil si im Ferse schon ˛ bestimt, und dan, wi di unferenderlichen Lengen oder Kürzen, es in fersch˛idnem Grade sind. Das O ˛ r fergleicht näben einander stehende Silben, doch unter der Einschrenkung, daß si auch zusammen gehören. In ewige gehören di beiden Kürzen zusammen; in Eile, durchdring ge˛n si sich nichz me˛r an, und wärden dahär auch nicht mit einander ferglichen, le wirds nu˛r mit ei, und durch mit dring. H˛irdurch hört ˛ denn auch di Wirkung des Fergleichens auf, nämlich der Gefallen oder das Misfallen an der Zusammenstellung. Da si der Hexameter oft durch solche Wortfüsse ˛ trent; so fallen dadurch nicht wenig Forwürfe ˛ der übeln Zusammenstellung weg. Es mus aber auch oft ferglichen wärden. Ich will nu˛r di Zusammenstellungen anfüren, di m˛ir beim Fergleichen dem Ore zu misfallen scheinen. Es ferstehet sich dabei fon selbst, daß ich di übrigen für ˛ gu˛t halte. Doch ich mus den misfallenden eine Anmerkung foran ˛ schikken, di m˛ir se˛r zur Sache zu gehören scheint. Wen uns nu˛n der kleine Untersch˛id zwischen Kürzen und Kürzen, um jezo nu˛r dis zum Beispile heraus zu nämen, äben so unmerklich forkeme, ˛ als w˛ir durch di Ferwandlung der Lengen und Kürzen, durch den Silbenzwang, beleidigt wärden? und also dijenigen Dichter, (ich gehöre mit darunter) di auf den angefürten ˛ Untersch˛id bei iren Arbeiten gesehen haben, nicht äben hoffen dürften, aufmerksam darauf zu machen? Man wird gleich sehen, daß es selbst di Gr˛ichen nicht waren. Di kurze, und di kürzeste (zitternde) scheinen m˛ir nicht gu˛t zusammen zu stehen. Allein hab’ ich auch recht? Würde daraus nicht ein Einwurf wider di lengste und di kürzeste (treümte) folgen? Denn dise stechen in irer Art ˛ noch me˛r gegen einander ab. Wär wird aber den Einwurf machen? Ferner: Selbst der gr˛ichische Hexameter

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(dessen Anfürung dem deütschen überhaupt so na˛chteilig äben nicht ist) lest di kurze und kürzeste näben einander hören. Und gesch˛it es etwa selten? Wär kent Home˛rs so oft widerkommendes te kai nicht? oder f˛ilme˛r wär kent so etwas, und spricht gleichwol nicht in einem Tone, als ob är nichz anders geta˛n, als nu˛r immer Homeren behorcht hette? Allein noch einige andre Beispile: protiballeai, mäti moi, hoi olümpon, ei de teü, ozoo eni. Doch ich hette dise Beispile kaum anfüren sollen, weil es im Grunde keine Kürzen, sondern durch den Silbenzwang gekürzte Lengen sind. Aber desto me˛r beweisen si für ˛ mich. Ausser däm kommen h˛ir auch di kurzen Silben in Betracht, welche den steigenden Akzent haben. Der Akzent hat überhaupt mit der Silbenzeit nichz zu tu˛n; aber an den kurzen Silben ferendert är etwas. Mein Beweis ist: Di Gr˛ichen lassen manchma˛l sex, siben Kürzen aufeinander folgen. Dise kan man unmöglich auf gleiche Art ˛ aussprechen; man mus eine oder zwei ein wenig häben. Und welche? Doch wol keine andre, als di den steigenden Akzent haben? M˛ir scheint es, daß är di kürzeste zur kurzen mache. Und so weren denn di Silben dó, in de dórü, pó, in pódes, mé, in ménos, si weren, sag’ ich, kurze, und stünden näben dazu gehörigen kürzesten. So machte also Home˛r seinen Fers nicht selten, (wi hette ich di Beispile heüfen können) und zwa˛r in einer Spra˛che, „in welcher der Hexameter kaum unerfunden bleiben konte,“ und gleichwol stelte sich kein Gr˛iche über nicht beobachtete Ferschidenheit der Kürzen ungebärdig an. W˛ir kommen zu dem Ferheltnisse, welches Lengen und Kürzen untereinander haben. Di lange und di kurze stehen nicht gu˛t bei einander. Gleichwol findet man in Homeren: pe, und spé in lipe spéos; te und pros, in aüte proseeipe, de und ptó, in de ptólemos, ta und phré, in kata phréna, gal’ und i, in megál’ iachon, und me˛r solche. In Ansehung des Ferheltnisses der Lengen zu Lengen, ferbindet man di lange und di lengste nicht gern, wenigstens nicht so, daß jene foran ˛ ste˛t. Dis ist das Einzige, was bei den Graden der Silbenzeit Aufmerksamkeit ferd˛int. Gleichwol stelt Home˛r, the for ˛ ptoox in elathe ptoox; ta for ˛ zeüs in mätieta zeüs; des for ˛ pür in thespiades (recte: thespidaes) pür; de for ˛ prüm in de prümnäs (recte: prümnas); de for ˛ smerd in de smerdnon.

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Ich hette auch h˛ir di Beispile heüfen können. (Man s˛it fon selbst, wi man das bishär Gesagte bestimmen müsse, wen man mit m˛ir zwei Grade Ferschidenheit für ˛ zureichend helt.) Ich berufe mich überhaupt bei der Sache auf jeden, där nu˛r ein wenig in Homeren blettern wil, wi oft är dan di eai, di ménos, di te pros, und di de smerd antreffen, und hören wird, was är, auch in diser Rüksicht, fon allen dem Lerme zu halten habe, där da ins weite Algemeine hin gemacht worden ist: „Von den Sechzehnteln der griechischen Quantität, und von ihren Härchen! und von ihrem ins Kleine und Feine getheilten Takte! und von ihrem Gange, der kaum die Spitzen des Grases krümt!“ Man seze foraus ˛ di bishär untersu˛chte Ferschidenheit sei so merklich, daß der Dichter se˛r darauf sehen müsse, welches gleichwol nicht ist; man fergesse ferner, daß einige Dichter darauf gesehen haben, und sage, daß si es, wägen der Unschiklichkeit der Spra˛che zum Hexameter, nicht haben tu˛ n können; man lasse inen nicht einmal zu, sich da, wo si etwa nicht darauf gesehen haben, mit Home˛rs Beispile zu entschuldigen, welches doch rechtfertigt, und dis so se˛r, daß es selbst das Unmerkliche jener Ferschidenheit bestätigt; (Nu˛r in Näbensachen wi dise ist, glaub’ ich mich auf Homeren berufen zu dürfen; sonst erlaub’ ich es, wen fon Rechtfertigen di Rede ist, weder m˛ir noch Andern.) kurz, man tue alles, was man nu˛r immer wil, um auch h˛ir unserer Spra˛che Unschiklichkeit zum Hexameter aufzubürden: was ist es denn, das dabei, wen man auch recht hette, und wi unrecht hat man gleichwol nicht, am Ende herauskeme? Nu˛r dis: Der Hexameter kan di Ferschidenheit der kleineren und grösseren Lengen oder Kürzen, nicht beobachten. Aber wi unbedeütend ist das in Fergleichung mit disem föllig Ausgemachten: Dem Jamben ist der Silbenzwang unfermeidlich. In der e˛rsten Fersa˛rt könte man also di Leüte nu˛r nicht im Horchen üben; aber in der zweiten, mus man inen das Hören ferbiten. Da ich durch das bishär Gesagte nicht one gute Ursach selbst den Ausflüchten zufor ˛ kommen wolte; so kont ich nicht kürzer sein, als ich gewäsen bin. 4. „Man werfe seinen Blick auf die grosse Menge von Mitlautern, womit unsre Sylben überhäuft sind;“ Dis ist schon ˛ im Forigen berürt ˛ worden, und komt bald noch umstendlicher for.

Fom deütschen Hexameter. E˛ rstes Fragment.

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„auf den grossen Einfluß, den der Accent, und auch die Stellung dieses und jenes Worts in die Länge und Kürze unsrer Sylben hat;“ Akzent kan h˛ir nicht wol etwas anders, als den leidenschaftlichen Ton ˛ bedeüten. Denn der Akzent im gewönlichen ˛ Ferstande oder der Spra˛chton ˛ hat disen Einflus nicht. Är macht weder lang noch kurz, sondern wird nu˛r mit der Lenge ausgesprochen. Di Zweizeitigkeit wird bei uns durch Regeln bestimt. Dise ligen teils in dem Tone des Na˛chdruks und der Leidenschaft, där si zur Lenge, und teils in der Stellung der Wörter und Silben, di si bald zur Lenge, und bald zur Kürze macht. Das Angefürte ˛ ist dahär unsrer Spra˛che so wenig na˛chteilig, daß si dadurch f˛ilme˛r einen Forzug ˛ for ˛ den beiden alten Spra˛chen bekomt. Denn in disen wird di Zweizeitigkeit allein durch den Fers bestimt, das heist: Man sol si so oder so, des Ferses wägen, aussprechen; aber man mus es nicht wägen des Inhalts oder der Spra˛che tu˛n. „auf die Ungewißheit, darin wir wegen der eigentlichen Quantität vieler Sylben, die in den verschiednen deutschen Provinzen oft so sehr verschieden ausfällt, schweben;“ Der anders ausgesprochnen Silben sind fürs ˛ e˛rste nu˛r wenige, und fürs ˛ zweite wird ire Qantite˛t blos ˛ diser und jener Munda˛rt, und nicht der Spra˛che gemäs geendert. Dis kan also nicht mit in Rechnung gebracht wärden. „auf die Ungleicheit von der Länge und Kürze vieler deutschen Sylben, wo öfters die lange, wenn sie neben einer längeren zu stehen kömmt, gewissermaaßen in eine kurze übergeht, oder die kurze durch die Nachbarschaft einer kürzern eine Art der Länge erhält.“ Ich widerhole h˛ir nu˛r, daß dis in jeder Betrachtung, in di es kommen kan, di beiden alten Spra˛chen auch ange˛t. „Aus dem allen urteile man, ob wol unsre Sylben eine so reine Quantität haben, daß wir uns in unsrer Sprache vom Hexameter eine gleiche Anmuth versprechen dürften, als er in der griechischen oder lateinischen Sprache hat.“ Anmu˛ t mögte nu˛n wol nicht me˛r fon der Qantite˛t, sondern blos ˛ fom Klange gelten. Aber ist denn nu˛r das Samfte des Klanges, und nicht auch seine Sterke Wolklang? ˛ Und ist nicht der starke Klang Ausdruk wichtigerer Gegenstende? Fon der Beschaffenheit der deütschen und der gr˛ichischen Silbenzeit weiter unten. Fon dem Reinen der gr˛ichischen merk ich forleüfig ˛ an,

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daß es denn doch wol nicht mit dazu gehört, ˛ wen si se˛r file Lengen hat, di im Grunde Kürzen sind, und di gleichwol zu Lengen ausgede˛nt wärden. Ich sprech i˛r h˛ir nicht etwa blos ˛ das Reine ab; sondern ich behaupte auch, daß i˛r Mechanisches h˛ir nicht mechanisch sei, oder daß di Mitlaute, in gewissen Stellungen, nicht wirken können, was si wirken sollen. Sonst ist es auch gewis kein Näbenumstand, daß di deütsche Silbenzeit nicht mechanisch, sondern begrifmässig ist. 5. „Sehn sie nur auf alle unsre ältere Gedichte, ob sie irgendwo das polymetrische eines Hexameters antreffen.“ Überhaupt Polimetri, auch hexametrische; und nicht Eintönigkeit, wi sich gleich zeigen wird. W˛ir haben nu˛r se˛r wenige Überbleibsel fon unsern Alten; und gleichwol könt ich f˛i l me˛ r Beispile anfüren, als h˛ir folgen: vvcccvvcv , cvcc , cvcvvc , cvcv . On thät Dagred dynedan Skyldas, Hlude hluin Mon, Dsäs se hlanka gefah Wulf in Walde. vcvvcvvcvvcvcv , vcvvcvcvc , vcvvcvcvvc , vcvvcvcvcvvcv , Ich klage dir, Meie, ich clage dir, Sumer Wunne, Ich klage dir brehtü Heide breit Ich klage dir ougebrehender Kle, Ich clage dir, grüner Wald, ich klage dir Sunne. Der Abschreiber hat das Gedicht des Saxen (är läbte zu den Zeiten Ludewigs des Frommen) wi Prose geschriben. Wen man folgende Stellen aus i˛m in andere Ferse abteilt, als ich tue; so endert das gleichwol, in Rüksicht auf das Polimetrische des Dichters, bei der Sache nichz. Denn es bleibt äben der poetische Periode.

Fom deütschen Hexameter. E˛ rstes Fragment.

vcvcvcv , cvcvcvc , cvvcvcvvcv , cvvcvcvvcv , Hwo iro Suno scolda Obar thesan Middulgard Managon werthan, sumon te Falle, Sumon te Frobhro, Firio Barnon. cvcvcvvc , vcvcvvcv , cvcvvc , cvvcv , Thoh thi all that Holitho Folc Geswican, thina Gesithos; Tho ik sinnon mid thi Tholoian willia vcvvcvvcv , vcvvc , cccv . Thuo quamun ok Wurdi Giskapu Them odagen Man, Orlag Whila. cvcvvc , cvcvc , cvvcv , cvcvvc , Nec it God ni giscoup, That the goudo Bom Gumono Barnon Bari bitteres wiht. cvcvvcvvcv , cvcvvcv , cvcvcvvv , cvcvcvvc .

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Fodda ina thuo fagaro Frio Skoniosta thia Muoder Thuru Minnea managero Drohtin helag, himilisk Barn. vcvcvcvvcv , cvcvvcvcv. Thar werthet mina Hendi gibundan, Fathmos werthet mi thar gifastnot. In folgenden beiden Stellen, di durchgehends hexametrisch sind, kommen einige ganze Hexameter for. ˛ Aber ich füre auch dise nu˛r als Beispile der altdeütschen Polimetri überhaupt an. Denn der Dichter streüte wol nicht mit Forsaz ˛ Hexameter ein; sondern är machte si fon ungefär, indäm är blos ˛ abwexeln wolte. Indes ist es doch der Bemerkung würdig, daß sich in zwei Stellen, dären eine f˛irzän, und di andre drei Zeilen hat, in der e˛rsten fümf Hexameter, und in der andern ga˛r zwei finden. Mich deücht, auch dis ist ein Beweis, wi gu˛t sich unsre Spra˛che zu diser Fersa˛rt schikke. Di e˛rste Stelle: Fader usa Firio Barno „Thu bist an them hohen Himilirikie, giwihit“ Si thin Namo Wordu gihwiliku. Cume thin craftige Rikie. Werthe thin Willeo „Obar thesa Werold alla so samo an Erdu“ „So thar up ist an them hohen Himilorikie.“ Gib us Dage gihwilices Rad, Drohtin thie guodo, thina helaga Helpu, Endi alat us, Hebanes Ward, Manegero Mensculdio, „Also wi odran Mannen duan, ni lat us farledan“ „Letha Wihti so fort an iro Willeon, so wi“ Wirdiga sind, ac hilp us Widar allon ubelon Dadeon. Die zweite Stelle: „Ef hie Dodes nu wirdig bi sulicon Wordon? That Werod“ All gisprac Folc Judeono, „That hie wari thes Ferahes Scolo, Wities so wirdig.“

Fom deütschen Hexameter. E˛ rstes Fragment.

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Ich finde auch sonst noch in den wenigen Fragmenten, di ich fon disem alten Dichter besize, f˛il Hexametrisches; auch noch einige Hexameter, als: Hier alosdi alliud Stamna Werod fon Witie Than thi Magu wirthit fon thinero aldero Idis Drothin selbon an thiem hohosten Himile Rikie Thina Kumi sindun te Doume endi ti Diurthun Ne it ni motha thie Mannes Tunga Wordon giwisan So git her an Jordane Strome Fiscos gifahat. 6. „Wie kan dem teutschen Ohre Eintönigkeit zur Last fallen, da es seine ganze – in Vergleichung mit der griechischen – monotonische oder oligotonische Sprache täglich reden hört, mithin völlig daran gewöhnt ist? Dem griechischen Ohre möchte freylich unser Jambus eintönig seyn, weil das der Polytonie gewohnt ist; aber dem unsrigen ganz gewiß nicht.“ Wär h˛ir Files, und dis recht genau fergleichen wil; und anders bringt är nichz Bestimtes heraus, där wird finden, daß der Gang der gr˛ichischen Spra˛che und der unsrigen nu˛r in Einem Punkte wäsentlich ferschiden sei; und daß gerade dasjenige, was den gr˛ichischen unterscheidet, se˛ r leicht zu Monotoni wärde. Di Gr˛ichen brauchen nämlich nicht selten solche Füsse, ˛ in dänen file Lengen oder file Kürzen auf einander folgen; und si stellen dise oft dicht oder na zusammen. Ire Teoristen warnen si aber auch, ja auf irer Hu˛t zu sein, und weder durch den Gebrauch zu filer Lenge oder zu filer Kürzen auszuschweifen. Demetrius rechnet file sich folgende Lengen (sein Beisp˛il hat nu˛r sex) in Prosa wenigstens soga˛r zum Frostigen. Und dise Regel ist kein Einfal, sondern aus den Beispilen irer besten Prosaisten genommen. Wi leicht kont es h˛ir auch der Gr˛iche ferse˛n, und dahin kommen, daß är, wi ein Melankolischer, bald se˛r langsam, und bald se˛r schnel reden muste. Da mit folgenden beiden Stellen aus dämjenigen Re˛dner, in dessen Beispilen di Teoristen di besten Regeln des Numerus fanden, nicht wenige andre äben dises Re˛dners überein kommen; so kan man sich durch si einigerma˛ssen einen Begrif fon dem Gange der gr˛ichischen Spra˛che machen, dän si nämlich dan hatte, wen unter andern auch jenes Unterscheidende recht gebraucht wurde. Di Stellen stehen beide in der Rede fon der Krone. Di e˛rste fengt an mit: all’uk estin, und endigt mit: Aischinä.

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cccv , ccv , vcccvv , cvvccc , vvccvcc , vcvvc , cccvc , cvv , cvvc , ccc , cvvcv , vcvccc , cvvc , cccvcc , vvcvvc , cccvvcv , cvccc , ccvcvvvc , ccc , vvc , ccccvvc , cvv , cvc , vvccc , cvcv , vcc , cvc , ccc , cvccv , cc , vcv , cvc . Di zweite fengt an mit: tosuton, und endigt mit: hüpologisamenos. vccv , vcc , vcc , vvc , vvv , ccvc , vvc , vcc , vvccc , vvvvc , vvvcv , vcv , vcv , cv , cvvcv , cvc , cvvcvv , ccc , vvv , cvvvcvvv.

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Man s˛it, daß in der e˛rsten Stelle h˛i r und da me˛r Lengen, und in der zweiten me˛r Kürzen als in unsrer Spra˛che, aber noch nicht zu file auf einander folgen; und dan, daß da, wo mit wenigeren Lengen oder Kürzen abgewexelt wird, di Abwexelung der unsrigen gleicht. Aber mancher gute Prosaist ge˛t auch, und das nicht selten, weil i˛n di Beschaffenheit der Spra˛che dazu bringt, in der Sache zu weit. Selbst Demoste˛n tu˛t es. Ich mus aus disem wenigstens Ein Beisp˛il anfüren. Es ist: vvccc , ccc , ccc , ccvccv , cvv , ccv , vvvvvv. (peri prooteioon – Eine bekante Stelle; ich besinne mich nu˛r auf di Rede nicht.) In Rüksicht auf disen Umstand ist der Untersch˛id zwischen uns und den Gr˛ichen där, daß selbst ire guten Skribenten oft genung därjenigen Regel nicht folgen können, di si zu Fermeidung eines Fälers, zu däm unsre Spra˛che schon ˛ an sich selbst unfähig ist, nötig haben. Di Gr˛ichen bedürfen überhaupt zu Beobachtung ires Numerus filer Regeln, und w˛ir beina keiner. Denn der unsrige, är ist aber, wi ich forhär ˛ anmerkte, dem gr˛ichischen bis auf den Einen Punkt der F˛ilheit änlich, ligt gröstenteils schon ˛ in der prosodischen Bildung, und in der festgesezten Folge der Wörter. Di erwänte Änlichkeit unsers Numerus mit dem gr˛ichischen zeigt, daß der Forwurf ˛ des Monotonischen oder Oligotonischen ungegründet ist. Übrigens gäb’ ich gern zu, daß der gr˛ichische den deütschen da übertreffe, wo di F˛ilheit mit strenger Genauigkeit fermindert worden, und also nicht in Aufheüfung oder ga˛r Überheüfung, und dadurch in Mo-

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notoni ausgea˛rtet ist. Aber wi oft ist selbst Demoste˛n (nu˛r wenige wissen recht, wän ich da nenne) weil är sich di ausdrükkendsten Worte fom Numerus nicht nämen lassen konte, an diser Klippe gescheitert. Überhaupt können w˛ir uns trösten, ˛ daß jene F˛ilheit und di mit ˛ir na ferwante Aufheüfung unsrer Spra˛che fält, und dis nicht etwa blos ˛ wägen der dadurch so leicht entstehenden Monotoni, sondern noch aus einer f˛il wichtigeren U˛rsach. Dijenige Bewägung der Worte nämlich, di im Aufheüfen ligt, hat einen so starken Ausdruk, daß es nu˛r wenige Gedanken gibt, für ˛ di är sich schikt. Es wird also dadurch gewönlich ˛ das Ferheltnis zerstört, ˛ welches zwischen dem Ausdrukke und dem Ausgedrükten sein mus. Dises oft unfermeidliche Aufheüfen ist di U˛rsach, daß dijenigen gr˛ichischen Hexameter, di siben oder ga˛r neün sich folgende Lengen haben, f˛il öfter als es der Inhalt wil, auch wol manchma˛l in fölligem Widerspruche mit i˛m forkommen. ˛ Dis ist das Schlimste bei der Sache; das Zweite auch äben nicht sonderlich Gute ist, daß Füsse, ˛ di aus lauter Lengen beste˛n, zwa˛r wol Zeitausdruk, aber keinen Tonferhalt ˛ haben. Ich irte sonst, und bildete m˛ir ein, daß der Deütsche den Gr˛ichen wägen seiner Spondeen beneiden müste. Ich bin zurük gekommen. Ich habe meine U˛rsachen angefürt; ˛ und mich deücht ja, daß si laut genung reden. Das wil nicht sagen, daß ich uns nicht einige Spondeen me˛r wünschte; aber sagen wil es, daß unsre Armu˛t f˛i l besser ist, als der Überreichtu˛m der Gr˛ichen. Und selbst one dise Fergleichung ist uns unser Mangel nicht na˛chteilig. Denn der Trochee (ich schweige h˛ir dafon, was sein Gebrauch im Hexameter noch sonst for ˛ Nuzen in Ansehung des metrischen Ausdruks hat) der Trochee fertrit beina di Stelle des Spondeen. Di Not ˛ brachte Anfangs di Deütschen (denn si sahen di Sache nicht gleich durch) zur Wa˛l des Trocheen; aber si haben, mich deücht, aus diser Not ˛ eine wirkliche Tugend gemacht. Di Gr˛ichen sahen ire Not ˛ nicht ein, freilich eine ganz andre, aber immer Not, ˛ di des so oft unfermeidlichen Aufheüfens, ja selbst Überheüfens, und aus där dan keine Tugend zu machen war. Es wundert mich, daß si das nicht einsa˛n, und daß also dise grossen ˛ Firtuosen in der Ferskunst einen Hexameter haben, där manchma˛l unter der Spondeenlast keücht, und kaum fort kan. Man stelle sich den Inhalt folgender Hexameter for, ˛ und höre dan auf ire Bewägung, disen so starken Ausdruk des Langsamen, dän so file sich folgende Lengen haben.

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vv v v Mä nü toi u chraismä skäptron kai stemma theoio v v vv Ei de k’ Alexandron kteinä xanthos Menelaos vv v v Zooma te kai miträ tän chalkäes kamon andres v v vv Alla min Atreidäs durikleitos Menelaos vv vv Ton d’ aüt’ Aineias Troooon agos antion äüda v v v v Too de dü’ Aineia dooken mästoore phoboio. vv Daitron pinoosin son de pleion depas aiei vv Däun alläloon amphi stäthessi boeias. Ich darf nicht unerinnert lassen, daß di Römer und unter inen besonders Owidius f˛il öfter als di Gr˛ichen disen starken Ausdruk des Langsamen da brauchen, wo är nicht zum Inhalte past. 7. „Di deutschen Dichter richten sich bey allen ihren Sylbenmassen allein nach dem hohen oder tiefen Accente, womit man die Sylben ordentlicher Weise ausspricht. Die lateinischen Dichter hörten genauer, wie lang diese Sylben an sich selbst waren. Bey ihnen war ein Wort, worinn zwey stumme Buchstaben auf einander folgten, lang; und dieses mit Recht: weil es mehr Zeit erfodert zwey Buchstaben hören zu lassen, als einen. Hierdurch bekamen sie ein sehr genau ausgerechnetes Sylbenmaß. Wir Deutschen haben unsre Sylbenmasse so buchstäblich genau wie die Griechen und Römer die ihrigen nicht abgemessen, und auch nicht allzuwohl abmessen können.“ Di Silbenzeit der Alten wurde blos ˛ durch das O ˛ r bestimt; si wa˛r mechanisch. Di unsrige gründet sich auf di Begriffe; (Emfindung und Leidenschaft wärden h˛ir nicht ausgeschlossen) Mechanisches, das aber fon andrer Art ˛ ist, nimt si nu˛r bei Bestimmung der Zweizeitigkeit zu Hülfe, wolferstanden, ˛ daß si dis nicht eher tu˛t, als bis durch di Begriffe nichz me˛r entschiden wärden kan. Wen z. B. dich one Leidenschaft ausgesprochen wird, so ist es, na˛ch einer Kürze, mechanisch lang: wen

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aber mit Leidenschaft, so ist es, one Rüksicht auf di forhärgehende ˛ Kürze, lang; und dis ist es, in dem gesezten Falle, auch na˛ch einer Lenge, wo es sonst mechanisch kurz sein würde. Daß w˛ir auch ein O ˛r haben, das genau bemerkt, und däm das Mechanische nicht gleichgültig ist, zeigen w˛ir also genung bei Bestimmung der Zweizeitigkeit durch di Stellung der Wörter und Silben. Das Mechanische der gr˛ichischen Qantite˛t wa˛r auch darin mangelhaft, daß es di Zweizeitigkeit nicht bestimmen konte. Man lernte ire jedesmalige Geltung nu˛r aus dem Ferse kennen. H˛ir muste man sich also immer di Regel des Silbenma˛sses denken; und in Ditiramben oder Prosa hatte man ga˛r nichz, womit man sich helfen konte. Dion˛is, um wenigstens Ein Beisp˛il anzufüren, ist in einer kurzen Stelle aus Demostenen (fon der Krone, gleich im Anfange fon hosän bis agoona) dreima˛l zweifelhaft, wi är aussprechen solle. Je me˛r Zweizeitigkeit eine Spra˛che hat, desto unfolkommener ist si fon diser Seite, und dis besonders alsdan, wen das Zweizeitige durch nichz anders als den Fers bestimba˛r ist. Denn dise Bestimmung ist keine ware. Man spricht da nu˛r lang oder kurz aus, weil es so sein sol, und nicht, weil es so sein mus. Wi f˛il Zweizeitigkeit di gr˛ichische Spra˛che hatte, erhelt unter andern auch daraus, daß der forhärgehende ˛ kurze Selbstlaut, oder ein zweizeitiger, där an diser Stelle sonst kurz gewäsen were, zweizeitig wa˛r, wen das folgende Wort durch zwei Mitlaute anfing. Der Fal ist ga˛r nicht selten. Ich komme zur Hauptsache der Silbenzeit, nämlich zu den unferenderlichen Lengen und Kürzen. Man stelle sich einma˛l for, ˛ in welchen Strömen des Beifals w˛ir uns über di begrifmässige Silbenzeit erg˛issen würden, wen si der Alten ire were; und mit welcher Geringschezung w˛ir di mechanische, wen si di unsrige were, beekeln würden! Ich wende mich zu den Unparteiischen. Zu disen rechne ich auch di, welche bei Begünstigung der Alten wenigstens nicht wider uns Partei genommen haben. Di Lenge enste˛t durch Anhalten, und durch Anstrengung der Stimme, di h˛irbei notwendig ˛ mus erhoben wärden. Wen w˛ir sagen, daß di Lenge den Ton ˛ habe, so meinen w˛ir di Erhäbung der Stimme. Das Anhalten erfodert eine gewisse Zeit, aber daß di Stimme wärend diser Zeit angestrengt oder erhoben wird, ist das Wäsentlichste bei der Sache. Ist di Dauer des Wortes Se wol f˛il grösser, als der Silbe se in dise, oder des

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Wortes drung, als der Silbe drung in Wandrung? Und bei Fergleichung des Wortes Se und der Silbe drung kan follends das O ˛ r nicht einma˛l recht entscheiden, ob jenes eine etwas grössere Dauer habe. Gleichwol ist selbst h˛ir der Untersch˛id zwischen Lenge und Kürze se˛r hörba ˛ ˛r. Man kan also, denk ich, daran nicht zweifeln, daß bei uns di Lenge, zwa˛r auch durch di Zeit, in där man si ausspricht, aber noch me˛r dadurch entstehe, daß man dise Zeit über di Stimme erhäbt. (Bei den Gr˛ichen ka˛m di Zeit me˛r in Betrachtung, als ˛ir weniger erhobner ˛ Ton, ˛ dän auch di Kürzen, aber gleichwol file Lengen nicht hatten. H˛irfon herna˛ch.) Unserm Ore ist bei Hörung der Lenge nicht so wol daran gelägen, wi f˛il Zeit der Redende, sondern wi är seine Zeit zubringe. W˛ir hören den Ton ˛ gern, mit däm är di Lenge ausspricht. Auch Folgendes ist ein Beweis von däm, was ich behaupte: Wen man in der Leidenschaft so schnel spricht, daß di Bu˛chstaben nu˛r äben gehört ˛ wärden, und darüber di Lenge beina weniger Zeit als sonst di Kürze hat, so ist es der Ton, ˛ was als unterscheidend herforschalt. ˛ Ich mus h˛ir beileüfig anmerken, daß Einige unter uns, und besonders neüere Scholiasten, dänen es di andern na˛chspra˛chen, so unrichtig fon unsrer Silbenzeit geurteilt, daß si soga˛r gemeint haben, unsre Lengen weren es deswägen, weil si den Ton ˛ hetten. Aber der Ton ˛ macht ja di Lenge nicht, sondern si, di es aus andern U ˛ rsachen ist, hat den Ton. ˛ Di Gr˛ichen sezten den steigenden Akzent auch auf kurze Silben. Diser Akzent also, und unser Ton ˛ sind etwas ganz fersch˛idnes. H˛irbei hab’ ich nicht nötig zu untersu˛chen, wi z. B. di Ausspra˛che di Lenge thróo in dem Worte anthróopu, fon den beiden andern unterschiden habe, di wa˛rscheinlich ga˛r keinen Ton, ˛ wenigstens nicht den unsrigen hatten. Noch me˛r: Di Lengen mit dem sinkenden Akzente hatten gewis keinen Ton, ˛ z. B. oòn in pesoòn. Nu˛r di mit dem doppelten Akzente dürften fileicht den unsrigen änlich gewäsen sein. Unser Ton ˛ hat drei Modifikazionen. Er ist entweder offen: lo in loben, oder abgebrochen: san, oder auch gede˛nt: Str om. ˛ In phõotes konte phõo nicht wi Str om ˛ klingen. Fileicht klang es wi lo in loben. Nu˛r õon in theõon und andre solche wurden fermu˛tlich wi bei uns Str om ˛ ausgesprochen. Überhaupt kan es aber selbst fon dem doppelten Akzente der Gr˛ichen nicht ausgemacht wärden, ob är wi unser Ton ˛ geklungen habe; und man kan dahär soga˛r di damit bezeichneten Lengen, in Fergleichung

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mit den unsrigen, tonl ˛ os ˛ nennen. Ich tue es aber gleichwol nicht, um, so f˛il m˛ir nu˛r immer möglich ist, einzureümen. Di gr˛ichische und di deütsche Lenge sind also darin nicht wenig unterschiden, daß bei jener gew önlich ˛ nu˛r das Anhalten oder di Zeit der Ausspra˛che, bei diser aber di Anstrengung oder Erhäbung der Stimme, und zwa˛r eine sterkere, bestendig und me˛r als di Zeit, in Betrachtung kömt. Bei Aussprechung der deütschen Lenge merkt das O ˛ r am meisten auf den Ton. ˛ Diser schalt fornämlich ˛ mit dem Selbstlaute. Darüber wärden di Mitlaute, mit dänen der Sprechende forteilt, weil es i˛m hauptsechlich auf jenen ankömt, weniger gehört. ˛ (˛Ir übles ˛ Zusammenstossen ˛ ist nicht di Sache der Silbenzeit, sondern des Klanges.) Di Mitlaute sind ausgesprochen, e man sichs fers˛it, und äben dises Forübereilens ˛ wägen z˛it selbst ire F˛ilheit di Aufmerksamkeit nicht se˛r auf sich, und ist dahär auch fon geringerer Wirkung. Dis ist so wa˛r, daß di Schnelligkeit der Ausspra˛che mit der Za˛l der Mitlaute soga˛r zunimt. Ich sage h˛irdurch nicht, daß z. B. di sex Mitlaute in sprichst (auch di Gr˛ichen hatten, na˛ch Dionisen, Lengen fon so filen Mitlauten) kürzere Zeit dauren, als di zwei in Sin, sondern nu˛r, daß man mit jedem einzelnen des e˛rsten Worts me˛r, als mit des lezten eile. Der ofne Ton ˛ bestätigt das Gesagte am meisten. Denn di Mitlaute for ˛ dem Selbstlaute wärden noch schneller, als di na˛ch i˛m, ausgesprochen. Und h˛ir folgen keine. Der gleichwol angenämere Ton ˛ der Denung lest den Selbstlaut auf den folgenden Mitlauten ausschallen, fast wi di Stimme über den nicht zu stark gesp˛ilten Instrumenten schwäbt. Der abgebrochne Ton ˛ lest den Selbstlaut etwas kürzere Zeit, als di beiden andern hören, und bricht zugleich schnel mit den folgenden Mitlauten ab. Da also dasjenige, was sich bei unsrer Lenge am meisten ausnimt, der fornämlich ˛ mit dem Selbstlaute bescheftigte Ton ˛ ist; so s˛it man, daß si one Grund für ˛ zu lang gehalten wird. Der Ton ˛ überhaupt ist bald sterker, und bald schwecher. Bei dem lezten wird di Stimme etwas weniger erhoben, z. E. bei ei in forteilen, bei str om ˛ in Waldstr om ˛ (str om ˛ ist h˛ir nicht kürzer wi Wald; denn es hat di Denung. Es ist nu˛r nicht so lang, als es in Str omfal ˛ ist) und bei win in Sturmwinde. Unsre Lenge ferl˛irt also manchma˛l, selbst durch den T on, ˛ etwas fon der Grösse, ˛ di man i˛r forwirft. ˛

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Ich behaupte gleichwol nicht, daß si nicht eine gewisse Fülle habe. Wäm auch dise zu gros ˛ ist, dän mus ich wol noch durch Folgendes einigerma˛ssen zufriden stellen: Di Lenge wird bei uns, wi bei den Gr˛ichen, in gewissen Füssen, ˛ etwas schneller, als sonst ausgesprochen. Ich würde mich tifer, als m˛ir h˛ir nötig zu sein scheint, einlassen müssen, wen ich es, wi ich könte, fon noch meren Füssen, ˛ als di Gr˛ichen tu˛n, behaupten wolte. Di, fon dänen es di Gr˛ichen sagen, sind nu˛r der Dakt˛il und der Anapest. Gleichwol gäben si der Sache einen weitern Umfang, als ich, weil si dise Füsse ˛ als künstliche nämen. Denn m˛ir scheint es nu˛r fon Wortfüssen ˛ wa˛r zu sein. Ich würde also mit meiner Behauptung doch nicht so weit reichen, wi si. Denn si bekommen durch di beiden künstlichen f˛il me˛r Wortfüsse, ˛ als därer sind, di na˛ch meiner Meinung di schnellere Lenge auch haben. Di lange Silbe des Dakt˛ils, sagen di Gr˛ichen, ist kürzer als di folkommen lange. Gewisse Anapeste (dären Beschaffenheit aber nicht bestimt wird) haben äben di unfolkomne Lenge und wärden dan Zirkel genant. Kata ga˛n ist ein solcher Anapest. Der bekante Fers Home˛rs: Aüthis epeita pedonde külindeto laas anaithäs hat lauter unfolkommene Lengen. Wär sich überzeugen wil, daß es bei uns auch so ist, där darf nu˛r z. B. donnerte und Donnert on ˛ aussprechen, und är wird hören, daß don in dem e˛rsten Fu˛sse kürzere Zeit, als in dem lezten wärt. Jeder weis, wi rasch der Anapest ist, und daß dahär auch seine Lenge schnel ausgesprochen wird. Den Untersch˛id, dän di Gr˛ichen zwischen den Anapesten machen, kennen w˛ir nicht. Ich merke noch an, daß nach Home˛rs Ferse don und lin (man glaubte soga˛r, daß di anfangenden d d der beiden folgenden Silben ferlengern hülfen,) auch mit unter den unfolkommenen Lengen der Gr˛i chen sind. Man mus also entweder di Wirkung der genanten Füsse, ˛ als überstark, das si doch nicht sein kan, annämen, oder zugestehen, daß sich überhaupt di gr˛ichischen Lengen den unsrigen, denn si und w˛ir haben irer file wi di angefürten, ˛ in Ansehung des Mechanischen (das aber bei uns nu˛r Beschaffenheit ist) bis auf den Ton ˛ so z˛imlich nähern. Denn wofern der Untersch˛id so gros ˛ were, als gewönlich ˛ geglaubt wird; so müste, in unserm Falle, nicht fon der unfolkommenen Lenge, sondern blos ˛ fon der aufhörenden Überlenge di Rede sein. Es ist übrigens aus den bishär angefürten ˛ U ˛ rsachen so wa˛r, daß unsre Lenge keinen zu grossen ˛ Umfang hat, daß es auch für ˛ den Forläser ˛

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deütscher Gedichte eine gute Regel ist: Di Lenge etwas merklicher hören zu lassen, als är bei Forläsung ˛ der meisten Prosa, oder im Gespräche zu tu˛n flägt. Noch ein Wort fom Spra˛chtone. Är hat an sich selbst eine gewisse Annämlichkeit. Denn är beste˛t in einer kleinen angehenden Modulazion, ˛ di der leidenschaftliche Ton, ˛ auf seine Art, ˛ ausde˛nt oder fersterkt. Wen eine Lenge, di den Spra˛chton ˛ nicht hat, mit Leidenschaft sol ausgesprochen wärden; so mus der Redende einen Sprung tu˛ n. H˛irdurch entste˛t zu f˛i l Abstechendes zwischen der ruhigen und leidenschaftlichen Deklamazion, ˛ der gewönliche ˛ Fal bei den Gr˛ichen. Unsre Lengen haben den Spra˛chton ˛ allezeit. W˛ir gehen dahär immer nu˛r über. Man s˛it, daß di Gr˛ichen nicht nu˛r das Angenäme der kleinen Modulazion ˛ oft entbären, sondern daß si auch, weil si bei dem Leidenschaftlichen einen Sprung tu˛n müssen, fon der Stimmentragung (denn auch di Deklamazion ˛ hat di irige) nicht wenig ferliren. Allein unsre Kürzen, sagt man, sind denn doch wol wenigstens nicht kurz genung. Wäm denn nicht kurz genung? Dem Deütschen, dessen O ˛ r sich an seine Spra˛che, und nicht an di gr˛ichische gewönt ˛ hat? Aber es gibt ein Heüfchen Gele˛rte, fon dänen di wenigsten Homeren in seiner Spra˛che läsen, und di meisten blos ˛ Na˛chsprecher sind, welches, so oft es auf den deütschen Hexameter kömt, so dafon redet, als ob es glaubte, daß auch di Deütschen, dänen ni ein homerischer Laut zu Oren gekommen ist, oder di Nazion, ˛ iren Hexameter nu˛r immer gegen den gr˛ichischen h˛ilte, und i˛n, sobald är disem ungleich were, ferwürfe. Dis ist di U ˛ rsache, warum man der Mühe, solche Einwürfe zu beantworten, nicht föllig überhoben sein kann. Allerdings würden file fon unsern Kürzen für ˛ das O ˛ r der Gr˛ichen soga˛r Lengen gewäsen sein. Denn me˛r Mitlaute oder ein Doppellaut musten auf si notwendig ˛ einen starken Eindruk machen, weil si, bei den filen tonlosen ˛ Lengen, di si zu hören gewont ˛ waren, nu˛r disen Eindruk bekamen. Ich wil doch, was di Mitlaute betrift, ein pa˛r Worte dafon sagen, wi weit di Aufmerksamkeit auf den Einen fon keinem andern geschwechten Eindruk di Gr˛ichen fürte. Ire kurzen Selbstlaute (auch di zweizeitigen sind in dänen Fellen h˛irhär zu rechnen, in welchen si, one Posizion, ˛ immer kurz sind) wurden auch dan lang, wen

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

1) Der Eine fon zwei folgenden Mitlauten zu der nächsten Silbe oder zum nächsten Worte gehörte, ˛ als gel in sägelte, oder tes in samftes Gelispel, und wen 2) Di Mitlaute beide zur nächsten Silbe oder zum nächsten Worte gehörten, ˛ als Ge in Gestade oder te in Laute klang. (Das lezte ist zweizeitig, und wird dahär auch lang gebraucht.) Welche Feinheit des gr˛ichischen O ˛ rs! wird man ausrufen. Feinheit des O ˛ rs wers also, wenn es hören mag, daß man di Kürze gewaltsam zur Lenge ausdenet? Und das tu˛t man in den angefürten ˛ Fellen. Denn Silben oder Wörter, di noch nicht ausgesprochen sind, können an dänen, di es schon sind, und also auch di Mitlaute der folgenden Silben oder Wörter an der Kürze der forhärgehenden ˛ nichz endern. Wär dis nicht zugeste˛t, där geste˛t auch nicht zu, daß di Silben ware, das ist, durch di Ausspra˛che unterscheidbare Teile der Wörter, und dise der Seze sind. Man denet also h˛ir di Kürze zur Lenge aus, weil man wol wil, und nicht, weil man durch das, was folgt, dazu gebracht wird. Di Gr˛ichen selbst merkten etwas dafon, und noch me˛r als si di Römer, daß si h˛ir nicht auf dem rechten Wäge weren. Denn sowol bei disen als bei jenen wurde di forhärgehende ˛ kurze Silbe wenigstens zweizeitig, wen di folgende zu äben dem Worte gehörige mit gewissen Mitlauten anfing, als be in Begrif. Wen man m˛ir mit den alten Grammattikern sagt, daß be h˛ir deswägen zweizeitig wärde, weil gr leichter auszusprechen sei, wi z. B. st, welches di forhärgehende ˛ Kürze allezeit lang mache, als be in bestand; so antwort ich, daß es h˛ir auf dise Ferschidenheit ga˛r nicht ankömt. Denn eine noch nicht ausgesprochene Silbe kan einma˛l auf eine schon ˛ ausgesprochene keinen Einflus haben. Es ligt also h˛ir auch an irer Beschaffenheit nichz. Di U˛rsach scheint m˛ir dahär eine ganz andre zu sein. Man fülte ˛ das Unangenäme der Kürzendenung; und so su˛chte man sich dafon wenigstens da los ˛ zu machen, wo man es, unter dem Schuze des e˛rsten des besten Scheingrundes, tu˛n konte. Gleichwol gelang es nicht recht damit. Denn es wurde in unserm Falle nu˛r Zweizeitigkeit gestattet, und es durften also di, welche Geschmak am Denen fanden, beim Alten bleiben. Es ist nicht nötig zu untersu˛chen, was h˛ir di Nazion ˛ fon den Dichtern, oder dise fon jener annamen, oder auch, ob di lezten (eine Sondrung, welche sich na˛ch Qinktilianen di Römer manchma˛l erlaubten) fon der gewönlichen ˛ Ausspra˛che abwichen.

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Di mit einem kurzen Selbstlaut endende Silbe, wen das nächste Wort durch zwei Mitlaute anfing (te in Laute klang) wa˛r nu˛r bei den Gr˛ichen zweizeitig, und zwa˛r, wi es scheint, nicht in Prosa, sondern blos ˛ in Fersen; aber di Römer ferwarfen dise Ferfeinerung der Posizion ˛ selbst in iren Fersen. Ich erkläre mich übrigens nu˛r in sofern gegen di Posizion, ˛ als durch si eine widrige Denung entste˛t. Ganz was anders ist es also, wen ein Gr˛iche z. B. unser kurzes gelt in sägelt, weil h˛ir di beiden lezten Mitlaute zu äben der Silbe gehörten, ˛ lang ausspra˛ch. Ich gestehe auch zu, daß dises gelt, welches bei uns, dem Begriffe gemäs, kurz ist, keine leichte Kürze habe. Aber wen es auf di Wa˛l zwischen der nicht leichten und der zur Lenge gede˛nten Kürze ankömt; so zweifelt mein O ˛ r keinen Augenblik, und z˛it jene for. ˛ Überdis haben w˛ir solcher mangelhaften Kürzen gewis f˛il weniger, als di Gr˛ichen solcher noch weit mangelhafteren Lengen hatten. Auch kommen w˛ir mit jenen, durch Hülfe der schnelleren Ausspra˛che, ganz gu˛t zurecht, indäm w˛ir inen dadurch einige Leichtigkeit gäben. Denn w˛ir lassen überhaupt di Mitlaute unsrer Kürzen noch schneller hören, als der Lengen ire; und fürs ˛ zweite eilen w˛ir auch mit irem Selbstlaute, weil är tonl ˛ os ˛ ist. Ob si nu˛n gleich durch di Zeit des Aussprechens fon den Lengen schon ˛ unterschiden sind; so unterscheidet si doch ire Tonlosigkeit ˛ noch me˛r, und zwa˛r deswägen, weil der Umstand, daß inen der Ton ˛ immer fält, äben so merklich ist, als där, daß ˛in di Lengen bestendig haben. (Ich merke h˛ir beileüfig an, daß w˛ir der grössern Schnelligkeit, mit där w˛ir di Mitlaute der Kürze aussprechen, di richtige Ausspra˛che des g in der Endsilbe ung, das in dem Worte drung in k ferwandelt wird, fermu˛tlich zu danken haben. Denn g ist schneller als k.) Bei den Alten ist das Mechanische U ˛ rsach der Silbenzeit; bei uns ist es, bis auf dasjenige, welches di Zweizeitigkeit mit bestimt, nu˛r Beschaffenheit. Di U˛rsach ligt bei uns tifer. Di Wörter und di Silben sind bei uns lang, wen si Hauptbegriffe, und kurz, wen si Näbenbegriffe ausdrükken. Das Wort Ru˛ f ist lang. In Rufes ist di Silbe ru lang, und die Silbe fes kurz. Ich kan h˛ir über di Sache nicht umstendlich sein, aber ich wärde es in meiner Grammattik noch me˛r sein, als ich es in einem heraus gegäbenen Fragmente schon ˛ gewäsen bin. Di Lenge hatte, selbst na˛ch der Meinung der Alten, einen gewissen

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Na˛chdruk. (Ja soga˛r etwas Gr osses, ˛ das, wen man den Perioden damit anfange, di Zuhörer sogleich erschüttre, und si, wen man i˛n damit ende, in äben diser starken Emfindung ferlasse. Fileicht übertreibe ich meine Unparteilichkeit, daß ich dis nicht mit in Rechnung bringe.) Aber wen nu˛n diser Na˛chdruk da ist, wo är nicht hingehört, ˛ und i˛n z. B. di Ferenderungssilbe hat? und wen er da fält, (auch der öftere Fal) wo är hingehört, ˛ und ˛in z. B. di Stamsilbe nicht hat? Widerspricht denn nicht etwan h˛ir der Ausdruk dem Inhalte? Und solte eine Silbenzeit, di sich auf das Mechanische gründet, und äben dadurch solche Widersprüche notwendig ˛ macht, nicht in irer e˛rsten Anlage ein wenig ferwarloset sein? (Es ist, wi m˛ir es forkömt, ˛ keine leichte Aufgabe: Di U˛rsachen zu finden, welche irgend eine Nazion ˛ dahin bringen können, sich zu einer so widersinnigen Ferteilung der Lengen und Kürzen zu fereinigen.) Di Gr˛ichen selbst witterten etwas fon der Sache. Einer irer Teoristen sagt: „Man komme, so oft man kan, zu dänen Benennungen zurük, di durch kurze Silben umgeendet wärden. Denn file lange diser Art ˛ sind dem Ore zuwider.“ Är trift freilich den rechten Punkt nicht, indäm är das Urteil des Ferstandes dem Ore zuschreibt, aber daran ligt nichz: genung är fült, ˛ daß h˛ir etwas nicht so recht in der Ordnung sei. Mich deücht, selbst di gedankenlosesten Bewunderer der Alten müsten einse˛n, daß eine solche Silbenzeit, in Fergleichung mit einer, di, in einem so wäsentlichen Punkte, gerade di gegenseitigen Forteile hette, nicht wenig ferlöre. Und dis ist gleichwol noch nicht Alles. Di Deklamazion ˛ kan den leidenschaftlichen Ton ˛ nu˛r mit der Lenge hören lassen. Di Kürze kan i˛n nicht annämen; si ist zu flüchtig dazu. Wi sol man es aber nu˛n machen, wen man Lengen for ˛ sich findet, bei dänen es schon ˛ unnatürlich ˛ ist, inen den erwänten Na˛chdruk zu gäben? Wi sol man z. B. bei Aussprechung der zweiten Lenge in me miserum cvvc ferfaren? Sol man si ein wenig sinken lassen? Aber so bleibt si ja nicht lang genung; und, welches noch na˛chteiliger ist, so fast si das Leidenschaftliche nicht me˛r. Und wi sol man es follends alsdan machen, wen man Worte antrift, di sich entweder (man erlaube m˛ir auch dis zu berüren, ob ich gleich anfangs fom Leidenschaftlichen allein spra˛ch) in Ansehung des ausgedrükten Gedankens for ˛ den übrigen ausnämen, oder den sterksten leidenschaftlichen Ton ˛ erfodern; aber ga˛r keine Lenge haben? Als im e˛rsten Falle:

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Scribendi recte sa˘peˇr’ est et principi’ et fons. Wi unbedeutend mus man h˛ir dasjenige Wort aussprechen, worauf es in dem Ferse fornämlich ˛ ankömt. Und im zweiten Falle mögt ich doch wol einen fon dänen, welche di Alten immer im Munde füren, das Homerische: Zeü pa˘t˘er idäden (recte: idäthen), forläsen ˛ hören, oder das, mit däm bei Simoniden sich Danae in irer Wemu˛t an Jupitern wendet, oder auch aus Wirgilen: Iam, iam nec maxima Iuno, vv Nec saturnius haec oculis pater adspicit aequis.

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Noch für ˛ beide Felle: (wi f˛il Beispile könt ich anfüren) vv vv At venus aetherios inter dea candida nimbos Und Bachus mit so starken Beiwörtern in disem Ferse, där aus lauter Kürzen beste˛t:

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Bromie doratophore, enüalie, polemokelade! Ich hatte einen Freünd, där di Alten wirklich kante, und nicht blos ˛ na˛ch Art ˛ därer Reisenden, di nu˛r in Beschreibungen herum gewandert sind, fon inen schwazte, und där zugleich eüserst sorgfeltig wa˛r, den Rechten der Deklamazion ˛ nichz zu fergäben. Ich l˛is i˛n m˛ir aus Homeren forläsen. ˛ Wen är auf Stellen wi di angefürten ˛ st˛is, und das gescha se˛r oft, so wuste är seinem Leibe keinen Ra˛t, wi är sich durcharbeiten solte. Endlich must är sein Schifchen treiben lassen. Ich wa˛r indes, in der Forstellung, ˛ am faterlendischen Ufer, und sa seinem Schiksale mit der Teilnämung der bekanten Ferse zu:

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Suave mari magno turbantibus aequora ventis, E terra magn’ alterius spectare laborem; Non quia vexari quemqu’ est iucunda voluptas, Sed, quibus ipse malis careas, quia cernere suav’ est.* W˛ir wollen izt di Sache noch einma˛l, obgleich mit einigen Zusezen, aber gleichwol in Kurzem übersehen: Deütsche Lenge. Ton, ˛ das Herschende. Schnelle Ausspra˛che irer Mitlaute, di mit der Za˛l derselben zunimt. Hat eine gewisse Fülle, di dem Ore, und der Forstellung ˛ fon dem mit der Lenge ferbundenen Na˛chdrukke genung tu˛t. Wird angenäm durch den Ton. ˛ Erleichtert durch ˛in di Stimmentragung der leidenschaftlichen Deklamazion. ˛ Gr˛i chische Lenge. Ist gewönlich ˛ (fileicht immer) tonl ˛ os. ˛ Ferl˛irt dadurch, was di unsrige durch den Ton ˛ gewint. Hat nicht selten, wi di unsrige, f˛il Mitlaute. Ob man dise auch schnel ausspra˛ch, wissen w˛ir nicht. Fülle und dadurch entstehendes Genungtu˛n fält ˛ir wenigstens dan im hohen Grade, wen si, wägen eines so beschafnen Mechanischen, daß es nicht wirken kan, was es wirken sol, eigentlich in einer Denung der Kürze beste˛t. Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wen ich sage, daß wol ein Drittel der gr˛ichischen Lengen es durch di Kürzendenung sein mögten. Deütsche Kürze. Mus nicht na˛ch dem bösen Scheine, dän i˛r manchma˛l di Za˛l der Bu˛chstaben gibt, sondern na˛ch der Ausspra˛che derselben beurteilt wärden. Ist öfter leicht, als bishär one Untersuchung fon einigen angenommen worden ist. Denn alle unsere Ferendrungssilben (ich übergehe di Ableitungssilben be, ge, er, fer, u. s. w.) haben, bis auf est und end und solche wi dert in wundert, eine leichte Kürze. Und dise bleibt, was si ist, wen auch das Folgende durch Mitlaute anfengt. Selbst leichte Kürze we˛r also, was bei den Gr˛ichen Lenge ist? Allerdings. Oder man zeige, daß di noch nicht ausgesprochne Silbe etwas ferendern könne. Gr˛i chische Kürze. Ist öfter leicht, als di deütsche, aber nicht so oft, als gewönlich ˛ geglaubt wird. Denn di langen Selbstlaute der Gr˛ichen

* Es ist angenäm, bei hohem Me˛r und wütendem Sturme den harten Kamf eines Andern fom Lande här zu sehen: nicht als ob fremdes Leiden eine so süsse ˛ Wollust were; sondern weil der Anblik fon Unfellen, di uns selbst nicht treffen, angenäm ist.

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und ire Doppellaute wärden oft auch kurz ausgesprochen. Ausser däm macht auch der steigende Akzent di kleine Kürze zur grössern. Das e˛rste gehört ˛ zwa˛r eigentlich zum Silbenzwange; aber gerade där Umstand, daß sich di Gr˛ichen auch dänjenigen Silbenzwang erlaubten, welcher in der gekürzten Lenge beste˛t, zeigt se˛r auffallend, daß das Urteil ihres O ˛ rs, in Ansehung der leichten Kürze, so überstolz nicht wa˛r, als es iren Anstaunern forkomt. ˛ Wi wichtig der Untersch˛id zwischen der deütschen begrifmässigen Silbenzeit, und der mechanischen der Gr˛ichen sei, hört ˛ man besonders in guten Gedichten. Denn in disen herscht di Leidenschaft. Und di mus di Deklamazion ˛ in einem Gedichte, dessen Spra˛che di mechanische Silbenzeit hat, oft an der unrechten Stelle, und oft kann si si ga˛r nicht hören lassen. Das Ferfälende der Deklamazion ˛ ist dem Zuhörer, sobald es auf di Leidenschaft ankömt, auch in seinen kleinsten Abweichungen, schon ˛ zuwider; allein wen si nu˛n ga˛r di rechte Stelle ferfält? Ganz was anders ist es zwa˛r, wen si ga˛r keine Stelle findet, und deswägen auf einma˛l wi ferstummen mus; aber weniger zuwider ist es dem Zuhörer gewis nicht. Man gibt durch di Art, ˛ mit där man, in Ansehung der Silbenzeit, bei uns di Alten forlist, ˛ oder Reden in iren Spra˛chen helt, der Prosa und dem Ferse einen ganz andern Gang, als si haben. Gleichwol würde därjenige, där es anders machte, für ˛ einen Sonderling gehalten wärden, und in einer grossen ˛ Fersamlung di prosodisch richtige Ausspra˛che gewis nicht ungestra˛ft wagen. Denn di Zuhörer mögen eine Ausspra˛che, di inen soga˛r Numerus und Silbenma˛s zerstört, ˛ dennoch liber hören, als eine, di so oft wider den Sin, und di Leidenschaft ist, oder ga˛r über si weghüpfen mus. 8. „Der Takt unsrer Sprache begnügt sich meist mit ganzen, und halben, und nur sehr wenigen viertel Schlägen, und kan es daher der griechischen in ihren viel theilbareren Takte mit alle seinen halben, viertel, achtel und sechzehntel Schlägen nicht nachthun, noch die Mensur eines jeden Hexameters solchergestalt ausfüllen, daß es weder zu viel noch zu wenig ist. In dieser Mensur läst die griechische Sprache nicht die kleinste Lücke, die sie nicht, ohne nur um ein Härchen zu überfüllen, auf das genaueste ausfüllen könte. Dies Geschick hat sie ihrem so sehr ins Kleine und Feine getheiltem Takte zu verdanken.“ Di gr˛ichischen Lengen sind also halbe Schläge oder Firtel, und di Kürzen Achtel oder Sechzäntel.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Warum mögen doch nu˛r bei den Gr˛ichen, und nicht auch bei uns di Endungen der Wörter wi Mere und eilte Achtel; und därer ire wi Aue oder wehe Sechzäntel sein dürfen? Doch ich halte mich izt h˛irbei nicht auf. Der Punkt, worauf es h˛ir ankömt, ist: Wen di Fergleichung, in Rüksicht auf di Worte: „Die kleinste Lücke wird, ohne nur um ein Härchen zu überfüllen, auf das genaueste ausgefüllt“ einen anwendbaren Ferstand haben sol; so musten di Gr˛ichen, stat der Achtelkürzen, di doppelte Za˛l fon Sechzäntelkürzen sezen. Auf gleiche Art ˛ musten si bei den fersch˛idnen Lengen ferfaren. Und so ga˛b es denn, z. E. was di Kürzen betrift, auch f˛i r und fümfsilbige Daktile. 9. „Welche nordische Sprache mit ihren vielen starkleibigen ein oder zweisylbigen Wörtern hinten und vorn mit rasselnden Consonanten verpanzert, bey deren Niedertritt der Boden dröhnt, wäre wol im Stande den leichten flüchtigen grichischen Hexameter in seinem schwebenden Gange, der kaum di Spitzen des Grases krümt, nachzubilden? Man will, daß eine Sprache, die weit weniger, und ganz andere Gelenke hat, einer Sprache, die ganz und gar Gelenk ist, ihre Zauberkünste nachmache… Der Grieche tanzet Heldentanz, der Teutsche, der das nicht kann, schreitet dafür Heldenschritt. Aber wie wenn der Lezte den Tanz des Ersten plump nachtanzte?“ Gelenke sollen doch wol Silben bedeüten. Aber fon welcher Seite sind si h˛ir anzusehen? in Bezihung auf iren Klang? oder auf ire Zeit? Denn di Starkleibigkeit, das Rasselnde, di Ferpanzerungen und das Bodendrönen macht irre. Man glaubt da fom Klange reden zu hören. Unterdes sind ja W olklang ˛ und Silbenzeit ganz ferschidene Sachen, und nu˛r fon diser ist di Frage, wen man die Schiklichkeit einer Spra˛che zu irgend einer Fersa˛rt untersu˛cht. Also fon den Silben in Bezihung auf ire Zeit. Entweder haben di Worte: Ganz andere Gelenke, und plumpes Na˛chtanzen keinen bestimten Ferstand, oder es wird h˛ir behauptet: Nicht etwa nu˛r di Kürzen, sondern auch di Lengen unsrer Spra˛che sein überhaupt für ˛ den Hexameter zu lang. Aber warum dis denn nicht auch für ˛ jede andre Fersa˛rt, und also auch für ˛ den Jamben, där, wen man i˛n ausnimt, als ein Fers, der wol fürl˛ ˛ ib nämen müsse, herunter gesezt wird? Es folgt nichz weniger aus der Behauptung, als daß w˛ir am besten tu˛n, ga˛r keine Ferse zu machen. Es folgt noch me˛r. W˛ir dürfen uns soga˛r nicht einfallen lassen in Prosa auf den Numerus zu sehen. Und warum solten w˛ir auch das eine oder das andere tu˛n? Denn in un-

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serer Spra˛che sind ja nu˛n einma˛l beina alle Silben zu lang, weil si den Hauptfäler hat, daß si nicht di gr˛ichische Spra˛che ist. Wen das nicht were, so könte man freilich wol sagen: Das Wäsentliche, worauf es bei der Silbenzeit irgend einer Spra˛che ankeme, were, daß si wirkliche Lengen und wirkliche Kürzen hette, und nicht wägen filer unbestimbarer Zweizeitigkeiten hin und här schwankte. Me˛r Mitlaute, könte man fortfaren, und Doppellaute kemen zwa˛r in unsrer Spra˛che auch als Näbenbeschaffenheiten der Lengen und Kürzen, in Absicht auf ire Grade, in Betrachtung; müsten aber fornämlich ˛ fon Seiten des Wolklangs ˛ oder Übelklangs angesehen wärden. Ich halte es nicht für ˛ überflüssig, h˛ir etwas fom Klange unserer Spra˛che zu sagen. Ich habe fast noch nichz über Ferskunst und Numerus geläsen, worin man nicht W olklang ˛ und Silbenma˛s so leicht, und so notwendig ˛ zu unterscheidende Sachen oft miteinander ferwexelt hette. Einige mischen soga˛r di Qantite˛ t mit ins Sp˛il, und lassen si neüe Ferwirrung anrichten. Di Deütschen machen es h˛ir wol so schlim als andere; aber beina noch schlimmer als andere machen s˛is, wen si fon dem Klange irer Spra˛che reden, indäm si diselbe für ˛ ga˛r gewaltig rau und hart ausschreien. Wobei si denn Files, und unter andern das nicht so recht bedenken, daß si dadurch di Auslender auf alle Weise berechtigen, in dem einma˛l angenommenen Tone immer lauter zu wärden. Es ist eine rechte Lust jene fon der Sache sprechen zu hören. Si können da kaum Worte genung finden, um sich ja recht stark auszudrükken. Obige Stelle ist ein Beweis dafon. Ich widerhole si, weil es denn doch wirklich nicht wenig Fergnügen macht so etwas zu läsen. „Die deutsche Sprache mit ihren vielen starkleibigen ein oder zweysylbigen Wörtern, hinten und vorn mit rasselnden Consonanten verpanzert, bey deren Niedertritt der Boden dröhnt.“ Ich merkte forhär ˛ an, daß dijenigen unter uns, di unserer Spra˛che in Ansehung ires Klanges so unhold sind, gleichwol files dabei nicht so recht bedechten. Folgendes (es ist eine Stelle aus meiner Grammattik,) kan si, wofern si anders in disem Punkte noch einiger Unparteilichkeit fähig sind, überzeügen, daß es äben so ungegründet nicht ist, was ich anmerkte. Ein Selbstlaut hat in unserer Spra˛che gewönlich ˛ zwei Mitlaute zu Begleitern, di bald durch i˛n getrent wärden, und bald näben einander for ˛ ˛im oder hinter ˛im stehen. Dis ist di Haupteigenschaft ires Klanges.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Dise Sterke wird Herte, wen di Mitlaute nicht gu˛t zusammen stossen. ˛ Zwei Selbstlaute und Ein Mitlaut sind das Gegenteil fon der genanten Haupteigenschaft. Es ist diser Klang aber auch nicht samft, sondern är ist weich. Besser ist es in Herte, als in Weichheit auszua˛rten. Wen fon Ausa˛rtung di Rede ist; so ist der Sterke ire menlicher. Di gr˛ichische Spra˛che ferbindet gewönlich ˛ nu˛r Einen Mitlaut mit dem Selbstlaute. Di Haupteigenschaft ires Klanges ist also nicht Sterke, sondern Samftes. Si wird aber auch hart durch das se˛r oft forkom˛ mende, und übelklingende oi, welches noch oben ein nicht selten na˛ch oder for ˛ ai stehet; und durch di äben nicht ungewönliche ˛ Ferbindung solcher Mitlaute, di nicht gu˛t zusammen stossen, ˛ als wen z. E. pt, tm, mn, und phth di Silben anfangen: und si wird weich, durch di z˛imlich gewönliche ˛ Zusammensezung zweier Selbstlaute mit Einem Mitlaute. W˛ir ferbinden manchma˛l noch me˛r als zwei Mitlaute mit Einem Selbstlaute, und h˛irdurch wird unsere Spra˛che, jedoch nicht immer, hart. Denn es komt nicht wenig darauf an, in welcher Folge dise Mitlaute bei irem Selbstlaute stehen. Auf der andern Seite sezen w˛ir f˛il öfter auch nu˛r Einen Mitlaut zu dem Selbstlaute, als w˛ir über zwei dazu sezen. Der Klang der gr˛ichischen Spra˛che were also fornämlich ˛ samft, dan aber auch nicht selten hart, und weich; und der deütschen fornämlich ˛ stark, h˛irnächst oft auch samft, und selten hart. Si a˛rtet nu˛r in Einem Punkte aus; di gr˛ichische aber in zweien, und dis, wenigstens in Ansehung des Weichen, noch dazu öfter. Aber fileicht geste˛t man di seltne Ausa˛rtung ins Harte unserer Spra˛che nicht zu, und sagt, daß da, wo zwei Mitlaute for ˛ oder na˛ch dem Selbstlaute gehört ˛ wärden, es oft solche sind, di nicht gu˛t zusammen stossen. ˛ Gu˛t denn, ich wil in Absicht auf selten geirt haben, ich wil oft gelten lassen. Aus meinem Gestendnisse, das ich gleichwol nu˛r so halb und halb, und aus übertr˛ibner Libe zur Gerechtigkeit geta˛n habe, folgt indes nichz me˛r, als daß Forteilhaftes und Na˛chteiliges auf beiden Seiten fon ungefär gleich sei. Und doch fürcht ich beina, (denn so sind w˛ir Deütschen, immer gegen uns selbst!) daß man, wi sorgfeltig ich auch das Gesagte aus der Spra˛che selbst, und nicht aus parteiischen Forstellungen ˛ fon ˛ir genommen habe, dennoch behaupte, si ferlire bei der Fergleichung. Allein weis man denn auch, welche schwe˛r zu fürende Erweise man sich durch di Behauptung aufgebürdet hat? Keine leichtere, als: Di Ausa˛rtung ins Weiche sei eine schöne Ausa˛rtung; und:

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Das Samfte habe den Forzug ˛ for ˛ dem Starken. Ich sage h˛irdurch nicht, daß ich dises jenem forzihe; ˛ ob ich es gleich mit recht guten Gründen tu˛n könte: aber das kan ich auch nicht zugeste˛n, daß man das Samfte über das Starke seze. Der Forzug ˛ des einen oder des andern mus durch di Beschaffenheit der Gegenstende entschiden wärden. Der Klang der Wörter ist Mitausdruk. Es kömt also darauf an, ob di Gegenstende des samften Mitausdruks oder des starken wichtiger sind. Aber oft, sagt man m˛ir, ist der Klang nicht allein nicht Mitausdruk, sondern soga˛r das Gegenteil des Wortsins. Weil in disem Falle der Klang lerer Schal wird; so ist är nun für ˛ das O ˛ r allein da, und disem gefelt auch das Starke. Es hört ˛ den rauschenden Strom ˛ äben so gern, als den riselnden Bach. Auch di Doppellaute tragen das irige zum starken Klange bei.W˛ir müssen u.s.w. Dis aus der Grammattik. Ich seze h˛ir noch etwas hinzu, das di gr˛ichische Spra˛che betrift. Ich sagte, daß di Haupteigenschaft ires Klanges das Samfte were. Ich erwänte auch der Einschrenkung dises Sazes. Folgendes, das ein Gr˛iche fon seiner Spra˛che sagt, bestätigt dise Einschrenkung. Wen es, sagt är, bei Homeren der Inhalt erfodert; so wält är Selbstlaute, di am wenigsten gu˛t klingen, und fon den Mitlauten überhaupt di, welche am meisten rauschen, und fon den stummen dijenigen, di am schwe˛rsten auszusprechen sind. Är heüft si; und di Silben sind dan nicht leicht, sondern haben f˛il Gewicht, und ire Töne stossen nicht gu˛t zusammen. Der Kritiker fürt ˛ nu˛r wenig Stellen an, und sezet hinzu, daß es eine zu müsame Arbeit sein würde, wen är, wi man etwa ferlangen mögte, fon Allem, was är gesagt hette, Beispile anfüren wolte. Da är sich h˛irdurch auf file andere Beispile bez˛it; so zeigt är uns, daß seine Spra˛che äben nicht arm daran ist. Welchen üblen ˛ Eindruk das Weiche des Klanges mache, ist m˛ir besonders in einer Stelle Home˛rs aufgefallen, wo unter folgenden Wörtern, di alle einen starken Klang haben, und dadurch zum Inhalte passen: ulümpoio, karänoon, phareträn, eklanxan, chooomenoio, kinäthentos, eoikoos, auf Einmal äie (cvv) auch was zu sagen haben wil. Auch Folgendes füre ich nicht, weil es was entscheidet, sondern des Mannes wägen an, där es gesagt hat. Denn sein ferd˛intes Ansehen

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

könte di Leien irre machen. Wi ich denn überhaupt dise kleine Schrift fornämlich ˛ um irentwillen schreibe, und darin so manches berüre, das sonst wol Ruhe for ˛ m˛ir gehabt hette, damit si sehen, woran si bei der Sache mit disem und jenem Teoristen sind, und daß si ganz recht daran tu˛n, sich one Weiteres dem Eindrukke zu überlassen. Ausser däm habe ich dabei noch eine Näbenabsicht. Man sol nämlich einst Anlas zur gehörigen Ferwundrung über di haben, für ˛ welche zu unserer Zeit di deütsche Ferskunst, dise kleine leichte Kentnis, ganz eigne Schwirigkeiten hatte. Dürft ich übrigens den Leien einen Ra˛t gäben, so were es diser: Si solten di Gele˛rten, di inen mit dem Wenigen immer in den Oren ligen, was si fon der kleinen Kentnis entweder wirklich nu˛r haben, oder zu haben scheinen wollen, dise Gele˛rten ga˛r nicht me˛r anhören, und glauben, was so wa˛r ist, und was ich aus so filen Erfarungen weis, daß si di Wirkungen des Silbenma˛sses richtiger und sterker emfenden, und soga˛r auch di Prosodi unserer Spra˛che gewönlich ˛ besser kenten, als jene, und zwa˛r selbst in dem Falle, daß man noch etwas me˛r Kentnis hette, als forgegäben ˛ wird. 10. „Mir kam es immer vor, wenn man Hexameter machen wolte, wie sie gemeiniglich sind, so wäre di Arbeit zu leicht; und leichte Arbeit ist auch in der Poesie schlecht. Solte man aber die Harmonie beybehalten, und richtige Füße von langen und wirklich kurzen Sylben abwechseln lassen, wie Herr Uz und von Kleist gethan haben, so wäre die mechanische Arbeit sehr schwer.“ Sind di deütschen Lengen auch keine wirkliche? Dis wird nicht bestimt genung gesagt. Ich bleibe dahär nu˛r bei den Kürzen stehen. Kleist gehört ˛ nicht h˛irhär; är hat ni den Einfal gehabt, sich auf dijenigen Kürzen einzuschrenken, di es auch na˛ch den Regeln der beiden alten Spra˛chen sind; und di andern, der Fersa˛rt wägen, als werens Lengen, zu brauchen. Man trift in Gegenteil manchen Silbenzwang bei i˛m an. So wenig hat der Ferfasser das untersu˛cht, worüber är zu entscheiden meint. Aber Uz hat das, wessen Kleist felschlich beschuldigt wird, einma˛l in einem kurzen Gedichte geta˛n. Ich glaube nicht, daß är disem Spile di Folgerung zugestehe, di daraus gemacht wird. Doch dis ge˛t mich nichz an; ich hab’ es nu˛r mit däm zu tu˛n, där so etwas darin findet. Daß also di meisten fon dänen Kürzen, di in unsern Jamben wirkliche Kürzen weren, sobald si der Zaubersta˛b des Hexameters berürte, ˛ aufhörten ˛ es zu sein, und Lengen würden.

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Und daß also gleichfals, wi sich ferste˛t, um di Harmoni beizubehalten, und richtige Füsse ˛ zu haben, file fon dänen Kürzen der Alten, di es in irem Hexameter weren, sobald der fon inen aufgenomne Jambe seine Zauberei damit forneme, ˛ auch aufhörten ˛ es zu sein, und Lengen würden. Es ist z. E. um das, worauf es bei der Fergleichung hauptsechlich ankömt, heraus zu nämen, den beiden alten Spra˛chen äben so eigentümlich ˛ file kurze Stamsilben zu haben, als der deütschen di durchgengige Kürze der Ferendrungssilben eigentümlich ˛ ist. Dahär denn h˛ir di Ferwandlung am gewönlichsten ˛ forfallen ˛ würde. Ich zweifle, daß selbst di Alten, bei dänen es denn doch f˛il natürlicher ˛ gewäsen were, fon uns gefodert hetten, unsere Silbenzeit zu ferendern, wen w˛ir Hexameter machen wolten. Denn was würden si uns haben antworten können, wen w˛ir dan unsrerseits für ˛ den aufgenomnen deütschen Jamben z. E. folgende Silbenzeit fon inen ferlangt hetten: c c c c Retegiturque merito ea sciola. Übrigens dürfen sich unsere Zeiten gleichwol nicht rümen, di Entdekkung gemacht zu haben, daß, der Fersa˛rt wägen, eine solche Ferwandlung forgehen ˛ müsse, und wirklich forgehe. ˛ Der alte Conrad Geßner, där sich schon ˛ for ˛ filen Jaren an den Hexameter wagte, hat si gemacht. I˛ r zufolge beste˛t diser Hexameter: Tönender sangen ferborgen fon Büschen mit libender Klage aus lauter langen Silben. Aus gleicher U ˛ rsach sind in folgendem Ferse aus Uzen di bezeichneten Silben lang: c c c c Den Frühling, welcher anizt durch Florens Hände bekränzet Oder sollen si kurz sein? Wen das ist; so haben w˛ir ga˛r für ˛ eine und äben diselbe Fersa˛rt zweierlei Silbenzeit, der Alten ire da, wo zwei sich folgende kurze Silben hingehören; und unsre, wo Eine hingehört, ˛ nu˛r daß w˛ir der e˛rsten, bei Sezung der Einen Kürze, auch folgen dürfen. Zu sagen, daß man nicht ferlangen könne, irgend eines Silbenma˛sses wägen, di Qantite˛t einer Spra˛che, wen dis auch möglich were, zu ferendern, gehört ˛ freilich zu dem Zweima˛l Zwei ist F˛ir der Grammattik; und wär würde so etwas, wen är auch di Weitleüftigkeit l˛ibte, aus der seinigen nicht weglassen: gleichwol mus ich auch deswägen mich endlich überwinden es zu sagen, weil di sonderbare Foderung diser Ferwand-

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

lung, ich weis nicht das wi f˛iltema˛l, aber nu˛r noch for ˛ Kurzem, in einer gele˛rten Zeitung, di Fersch˛idne für ˛ unsre beste halten, widerholt ˛ worden ist. Allein di deütsche Ferskunst, dise kleine leichte Kentnis, hat, wi gesagt, nu˛n einma˛l, zu unsrer Zeit, für ˛ Einige, ganz eigne Schwirigkeiten; und diser mus man ausser däm auch, damit si den Leüten desto wichtiger forkommen, ˛ fein oft erwänen. Ich habe bishär Fersch˛idnes auf meinem Wäge angetroffen, das mich hette feranlassen können ein Wort fon der genauen Beobachtung der Silbenzeit in Bezihung auf dijenigen unsrer Dichter zu sagen, di Hexameter (oder andre Ferse in gr˛ichischem Tone) gemacht haben. Di jezige Gelägenheit ist zu gu˛t, um si forbei ˛ zu lassen. Denn es benimt i˛r ganz und ga˛r nichz, daß bei der Beobachtung eine ganz andre Silbenzeit zum Grunde ligt, als di fon Conrad Geßners Erfindung. Man wird zugeste˛n, daß es unter den erwänten Dichtern genaue Beobachter gäbe. Nu˛ r fon disen red’ ich im Folgenden. Der deütsche Hexameter ist, auch fon diser Seite, mit dem gr˛ichischen ferglichen worden. Wär bei der Sache nu˛r in das algemeine Gesinge des Forurteils ˛ mit eingeschr˛in hat, fermutet schlechterdings nichz dafon, wi gu˛t es den deütschen Dichtern bei diser Fergleichung gehen könne. Allein auch di, welche nicht äben gleich annämen, was Andre sich einfallen lassen zu sagen; aber doch auch wol Manches für ˛ untersu˛cht halten, was es nicht ist, wärden sich ein wenig wundern, daß der Streit, so wi ich es tue, geendigt wärden konte. Unsre Scholiasten, und ire za˛lreichen Na˛chschwezer sind mit irer Entscheidung über di Sache härgefallen, und haben den Ausspruch ergehen lassen: Daß der deütsche Fers, in disem Punkte, weit unter dem gr˛ichischen sei. Denn si fermeinen, daß Home˛r durchgehends ein strenger Beobachter, und daß es di Deütschen se˛ r oft nicht sein. Si glauben dis deswägen, weil si di gr˛ichische Prosodi nu˛r so weit, als zum gewönlichen ˛ Geschwez hinreicht, und di deütsche beina ga˛r nicht kennen. Doch jezt bei Seite gesezt, wi f˛il, oder wi wenig si fon däm wusten, worüber si entschiden; so hetten si denn doch mindstens dem deütschen Ferse mit einiger Schonung begägnen sollen, und dis aus zwei se˛r guten Gründen. Home˛r durfte nämlich den meisten Wörtern Bu˛chstaben und Silben gäben, oder nämen; zweitens hatte seine Spra˛che eine f˛i l freiere Wortfolge, als di unsrige. Was wird m˛ir der Scholiast ant-

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worten können, wen ich i˛m sage, daß also Home˛r denn doch wol beina di Helfte weniger Schwirigkeit bei Bildung des Ferses gefunden habe, als di deütschen Dichter. Aber jezt nichz weiter, weder fon Aussprüchen, noch Bescheidwissen, noch Schonung; sondern allein fon der wirklichen Beschaffenheit der Sache. Dise ist: Di deütschen Dichter haben di Silbenzeit besser beobachtet, als Home˛r. 1. Home˛r brauchte di Lengen se˛ r oft kurz, der Deütsche bei Weitem nicht so oft: 2. Jener di Kürzen oft lang; diser beina ga˛r nicht. Di Kürzendenung ist dem Ore noch unangenämer, als di Kürzung der Lenge. Wenigstens ka˛ms Longinen auch so for. ˛ „Der Ritmus, sagt är, macht oft so ga˛r di Kürze lang.“ Daß also der Deütsche den grösseren Fäler beina ga˛r nicht beging. (Es ferste˛t sich fon selbst, das ich h˛ir dijenige Kürzendenung der Gr˛ichen nicht meinen könne, di m˛ir es zu sein scheint, di aber bei inen regelmässige Lenge ist. Es ist h˛ir blos ˛ fon dänen langgebrauchten Kürzen di Rede, welche es na˛ch irer Prosodi sind.) Am besten lest sich di Ferlengerung der Kürze noch ferteidigen, wen c dise den Abschnit des Ferses macht, als: Ae men Odüssäos, schrekc licher He˛ rscharen. Man mus nicht sagen, daß dis wol im Gr˛ichischen angehe, aber nicht im Deütschen. Dis h˛isse nichz gesagt. Denn es kömt h˛ir ga˛r nicht auf di Spra˛che, sondern allein auf den Umstand an, daß der Abschnit (wi ich sonst selbst glaubte) sol verlengern können. Gleichwol halt ich es für ˛ besser, selbst dise Ferlengerung zu fermeiden. Man sagt m˛ir fileicht, das Urteil des deütschen O ˛ rs sei nicht stolz genung, um zu Bedenklichkeiten diser Art ˛ zu feranlassen. Wär den Einwurf macht, mag ˛in ferantworten. Und fileicht kömt är auch jezt mit der Ferantwortung besser fort, als är etwan einige Jare weiter hin damit fortkommen mögte. Ich ferlange nicht, daß man obige beide Bemerkungen auf mein Wort annäme. Ich mus si also beweisen. Doch lasse ich mich nu˛r, was Homeren betrift, darauf ein: in Ansehung der Deütschen mag ich nicht; ob ich gleich recht gu˛t kan.

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Ich meine dis soga˛r nach dänen strengeren prosodischen Regeln, na˛ch welchen z. B. geist in Schuzgeist lang ist, ob man gleich solche Silben noch immer in allen Grammattiken, di herauskommen, für ˛ kurz erklärt. Ich denke denn doch also, daß es äben keine Parteilichkeit ist, wen ich wil, daß man es h˛ir mit den deütschen Dichtern na˛ch einer Strenge näme, fon där weder unsern Grammattikern, noch iren meisten Läsern bishär etwas zu Oren gekommen ist. Denn ich were ja selbst dan noch nicht parteiisch gewäsen, wen ich das bishär Gele˛rte und Geglaubte unsern Dichtern hette zu Nuze kommen lassen. Sagt man, daß si durch jene Regel auf der einen Seite wider gewinnen, was si auf der andern ferliren; so zeigt man auch h˛ir, daß man fon der Sache nichz wisse. Denn dem deütschen Hexameter past di Kürze fon Silben, wi geist in Schutzgeist, f˛il öfter, als ire Lenge. Wär das noch e˛rst zu lernen hat, där kent unsre Spra˛che nicht. Meint man bei diser Gelägenheit, man habe m˛ir Bescheftigung mit Kleinigkeiten zu ferzeihen, so glaube ich meinerseits f˛il bessern Anlas zum Ferzeihen zu haben. Denn man weis also noch nicht einma˛l, daß alles, was Spra˛che ist, aus einem Gewäbe fon feinen Bestimmungen bestehe; oder, wen dis auch nicht were, man s˛it nicht ein, was aus den Kleinigkeiten denn doch gleichwol folgen mögte; aus diser z. B. di meinen Beweis enthelt: Im lezten Gesange der Ilias sind me˛r als sechzig Kürzendenungen; und (beina di Helfte weniger Schwirigkeiten bei Bildung des Ferses) über zweihundert und dreissig Kürzungen der Lenge. Wen nu˛n di Auslender (dänen es jezt noch nicht einma˛l treümt, daß ein Gr˛iche bei Anhörung irer Fersa˛rten, oder f˛ilme˛r Reima˛rten, Woltärens epischer z. B. sein: Gr˛i che und Barba˛r! gewis nicht unterdrükt hette) wen si mit der Zeit merkten, was inen in Ansehung der Ferskunst fäle; und si uns, wägen nicht durchgehends beobachteter Silbenzeit abstreiten wolten, daß w˛i r es hetten: und w˛ir inen dan gleichwol, durch Ferweisung auf solche Kleinigkeiten, zeigen könten, daß es denn also di Gr˛i chen (ire andern Dichter, di auch hirin unter Homeren sind, nicht einma˛l mitgerechnet) noch weniger gehabt hetten? Wen dahär ferner der ganze grosse ˛ Lerm, där unter uns und den Auslendern seit jehär, in allen Le˛rbüchern ˛ der schönen Wissenschaften, und in jedem dahin gehörigen Näbenschriftchen, gemacht worden ist: Fon der reinbeobachteten Silbenzeit der Gr˛ichen, und der auch hiraus gefolgerten Unmöglichkeit, es inen, was den Fers betreffe, in irgend ei-

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ner neüern Spra˛che zu biten; wen nu˛n, sag’ ich, aller diser Lerm ein blinder Lerm gewäsen were? Und wen überdis (man erlaube m˛ir noch dise Näbensache mitzunämen) Scholiasten und Gefolge ferd˛inten, mit der Bemerkung entlassen zu wärden: Daß si also, in aller Unschuld, one Arg daraus zu haben, und one nu˛r einigerma˛ssen zu wissen, was si teten, in Grunde me˛r fon den deütschen Dichtern gefodert hetten, als di Gr˛ichen fon Homeren. Ich mus doch wol nu˛r anmerken, daß dise Foderung in ga˛r keiner Ferbindung mit däm stehe, was unsre Dichter fon sich selbst gefodert haben. Es ist nicht überflüssig, di, welche etwa den angefürten ˛ Gesang der Ilias nachläsen, oder sonst wo in Homeren blettern mögten, an folgende drei Regeln der gr˛ichischen Prosodi zu erinnern: 1. Di kurzen Selbstlaute wärden nu˛ r durch die Posizion ˛ lang. 2. Di zweizeitigen Selbstlaute sind in gewissen Fellen (dären Anfürung h˛ir unnötig were) alzeit kurz. 3. Di Selbstlaute ä und oo und di Doppellaute sind lang. Dise Regel greift weit um sich. Di neuern Prosodisten haben di Akzente ins Sp˛il gemischt, und ˛ir dadurch engere Grenzen sezen wollen. Wen ich bei einem Akzente zeige, daß es mit der Sache nicht gehe, so wärde ich ja, denk ich, dafon abbrechen dürfen. Man helt z. B. das thai in agoreü´ esthai für ˛ zweizeitig, weil sonst der steigende Akzent nicht auf der dritten Silbe fon der Endung ste˛n könte. Aber warum denn zweizeitig? Denn, na˛ch der Akzentregel, mus es ja kurz sein, als ánthroopos, weil pos kurz ist. Doch wi denn selbst h˛ir, wen das folgende Wort mit einem Mitlaute anfengt? Denn nu˛n ist ja pos lang. Gleichwol rükt der Akzent in disem Falle nicht fort; aber das lange u macht, daß är fortrükt anthróopu. Die Lenge der Posizion ˛ ist also eine andere Lenge, und des Doppellauts seine wider eine andere. Man s˛it, denk ich, schon ˛ allein hiraus, was es mit dem Ferheltnisse, welches zwischen Akzent und Qantite˛t sein sol, for ˛ eine Beschaffenheit habe. Das obige thai ist übrigens weder zweizeitig noch kurz, und es wird auch etwa nicht e˛rst durch den folgenden Mitlaut lang, sondern ist es schon ˛ an sich selbst. Denn Dion˛is nent, indäm är fon Tu´ zididens Numerus redet, und eine Stelle aus i˛m anfürt, ˛ di mit agoreü´ esthai aüton endet, di Silben reüesthai aü schl˛issende Spondeen. Man kan nicht einwerfen, Dion˛is näme h˛ir das zweizeitige thai, wi är dürfe, lang, so wi är es auch kurz hette nämen dürfen; denn är tu˛t dis

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bei wirklichen Zweizeitigkeiten nima˛ls, und sagt dan z. B. „ein Bacheus, (ccv nu˛r är nent disen Fu˛s so) oder wen man liber wil, ein Dakt˛il“ und är darf es auch nicht tu˛n; denn är kan ja nicht wissen, wi der Prosaist di zweizeitige Silbe wolle ausgesprochen haben. Ich bin gewis, daß Long˛in auch di dritte Regel, irem ganzen Umfange na˛ch, im Sinne hatte, wen är sagte: „Der Ritmus reist di Qantite˛t mit sich fort, wi är wil.“ (Long˛in unterscheidet den Ritmus fom Silbenma˛sse. Ob sein Untersch˛id filosofisch sei, oder nicht, braucht h˛ir nicht untersu˛cht zu wärden. Genung, daß är in diser Stelle nichz anders meinen kan, als was in folgender Anmerkung fon i˛m ligt: „Pros ist kurz; es ste˛t aber anstat einer Lenge, wen Home˛r sagt: Pros oikon Päläos, weil der Fu˛s ein Spondee sein mus.“) Auch Dion˛is dachte wol di dritte Regel in keinem kleineren Umfange, da är der Abweichungen fon der Silbenzeit, welche di Gr˛ichen dem Musiker, wi dem Dichter, ich weis nicht, ob erlaubten, oder ferzihen, (bei dem e˛rsten beleidigt es das O ˛ r noch me˛r) auf folgende Art ˛ erwänte: „Im Sprechen wird di Silbenzeit nicht gewaltsam umgeke˛rt, sondern man behelt di langen und kurzen Silben, wi si sind; allein im Gesange wirft man si, durch Fermerung und Fermindrung, gleichsam herum, so daß oft das Gegenteil fon däm, was sein solte, herauskömt.“ Dise Fermerung und Fermindrung ist äben das, was ich Kürzendenung und Kürzung der Lenge heisse; und jener fortreissende Ritmus nichz anders, als was ich oben, one ein solch Blat for ˛ dem Munde, Silbenzwang nente. Aber w˛ir Neüern haben auch gr˛ichische Prosodien geschriben, und in disen ste˛t denn nun freilich filerlei, wofon di Gr˛ichen nichz wusten, als da ist: Di Selbstlaute ä und oo und di Doppellaute sind in disem, und däm, und wider in jenem Falle zweizeitig; in lauter Fellen nämlich, wo man di angefürten ˛ Lengen auch kurz gebraucht fand. Anstat also, der Beschaffenheit der Sache gemäs, zu sagen: Di gr˛ichischen Dichter erlaubten sich di und di Abweichungen fon der Silbenzeit; so überl˛is man sich liber dem bei Beurteilung der Alten so gewönlichlichen ˛ Hange zum Beschönigen, und brachte heraus, daß es keine Abweichungen weren. Und h˛irbei wa˛r denn nu˛n nichz daran gelägen, daß man das Ding wider gr˛ichische Kritiker in Sachen irer Spra˛che forbrachte, ˛ und daß man diser ausser däm auch noch f˛il me˛r Zweizeitigkeiten aufbürdete, als si, di so reich daran ist, schon ˛ wirklich hat, und also mit i˛r so z˛imlich unsamft umsprang, damit man nu˛r mit den Dichtern desto seüberlicher ferfaren könte.

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Aber ich wil einma˛l unsern heütigen gr˛ichischen Prosodisten alles, was si, na˛ch irer Meinung, nu˛r immer fodern können, zugestehen. Zweizeitig sol also sein (ich kan mich durch Beispile am kürzesten aus´ drükken) thai in agoreüsthai, und dahär auch tai in ke˜ı tai, ferner toi in brotoi’, ferner sollen es alle h˛irhär gehörigen einsilbigen Wörter mit und one Akzent sein. Ich wil m˛ir nu˛r dabei das, was di Prosodisten selbst leren, forbehalten, ˛ nämlich di Lenge des nei in pi’nei, und des õo in chrüseõo. Gleichwol hat der genante Gesang der Ilias, selbst bei disen freigäbigen Einreümungen, beina fufzig Kürzungen der Lenge. (Auch dise Za˛l ist den deütschen Dichtern bei der Fergleichung noch forteilhaft.) Da ich aber mit der gr˛ichischen Spra˛che nicht na˛ch Beliben schalten und walten mag; der Akzent bei der Sache nichz entscheidet; und keine U ˛ rsach da ist, warum di einsilbigen Wörter nicht mit in Rechnung gebracht wärden solten: so kan ich mich auf jene Einreümungen in Ernste nicht einlassen, und es bleibt also dabei, daß der Ritmus (um zu Long˛ins Bemerkung zurük zu kommen) di Qantite˛t so oft, als ich oben anfürte, ˛ mit sich fortgerissen hat. Man sagt m˛ir fileicht, es were besser gewäsen, wen ich fon der homerischen Beobachtung der Silbenzeit geschwigen hette; denn nu˛n würde gewis einige unsrer Dichter di Lust anwandeln, sich auf Home˛rs Beisp˛il zu berufen. Mögens doch di, di es nicht dürfen; aber di dürfen, frag’ ich: Ob si, unferfürt ˛ fon der Gültigkeit der Entschuldigung, nicht liber ga˛r keine nötig haben wollen? 11. „Ossian, Milton, Young und alle Britten haben die herrlichsten Gedichte in Jambischer oder ähnlicher Versart gesungen, und ich wüste nicht, daß wer über ermüdende Monotonie ihrer langen Gedichte geklagt hätte. Und warum nicht? Weil dies Metrum in der Natur ihrer Sprache lag.“ Dis und me˛r h˛irhär gehöriges wird in folgender Stelle meiner Grammattik berürt: ˛ Man ist in dänen Spra˛chen, di fon der lateinischen abstammen, und der englischen, seit der Widerhärstellung der Wissenschaften bis jezo, in Ansehung der Ferskunst, nicht weiter gekommen, als daß man gewisse Silbenzalen beobachtet hat. H˛irbei ferfärt der Dichter auf zweierlei Weise: Entweder lest är es, zufriden richtig zu zälen, darauf ankommen, was i˛m der Zufal denn nu˛n so for ˛ Füsse ˛ gäben wärde; oder är s˛it auch beim Zälen mit einiger

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Sorgfalt darauf, daß sein Fers gute Füsse ˛ habe. Aber wen man h˛ir auch noch grössere Sorgfalt annimt, als man gewönlich ˛ bemerkt; so beobachtet der Dichter gleichwol noch kein Silbenma˛s, sondern nu˛r Silbenza˛l. Denn der Hauptbegrif, dän man bei jenem hat, ist där, daß dadurch eine gewisse Bewägung der Wörter bestimt wird. Durch ein gutes Silbenma˛s wird so f˛il Mannichfaltigkeit der Bewägung bestimt, als nötig ist, genung ausdrükken zu können. Dis kan man aber nicht, wen nicht so bestimt worden ist, daß di Bewägung fornämlich ˛ aus bedeütenden Füssen ˛ bestehet. (Ich mus doch wol hinzusezen, daß h˛ir nu˛r fon Wortfüssen ˛ di Rede sein könne.) In den bedeütenden Füssen ˛ ligt einesteils di metrische Kraft. Andernteils ligt si in der durch di Bestimmung notwendig ˛ gewordnen Widerholung der Füsse ˛ überhaupt, wobei sich fon selbst ferste˛t, daß di Rükke˛r der bedeütendsten di grössere ˛ Kraft habe. Das Bestimte eines guten Silbenma˛sses ist also bedeütende und widerholte ˛ Bewägung, und dadurch herforgebrachte ˛ doppelte metrische Kraft. Di Ferskunst ge˛t in Ansehung der Widerholung äben den Wäg, dän di Mus˛ik ge˛t. Were es doch überflüssig anzumerken, daß h˛ir dijenige Widerholerei nicht könne mit ferstanden wärden, di uns unaufhörlich ˛ Eins und äben dasselbe hören lest. Unter den Dichtern, welche blos ˛ di Silbenza˛l beobachten, haben nu˛r di englischen wenige selten gebrauchte lirische Silbenma˛sse. Es bleibt also, was di Ferskunst betrift, di Silbenza˛l das Eigentümli˛ che in den genanten Spra˛chen. Der Untersch˛id zwischen Silbenza˛l und Silbenma˛sse würde nicht föllig so gros ˛ sein, als är ist, wen di, welche blos ˛ jene zur Forschrift ˛ haben, mit anhaltender Sorgfalt darauf sehen, irem Ferse bedeütende Füsse ˛ zu gäben. Es ist aber h˛ir nicht di Rede fon däm, was si tu˛n könten, sondern, was si bishär geta˛n haben. Di Deütschen haben schon ˛ seit Luthern, und fornämlich ˛ seit Opizen Silbenma˛sse gehabt. Aber di Einförmigkeit derselben, der dadurch entstehende immer gleiche metrische Ausdruk, (dis wird bei lengern Gedichten auffallend, bei kürzern bemerkt mans weniger) und beina noch me˛r, daß file poetische und oft soga˛r noch unentbärlichere Wörter durch si unbrauchba˛r wärden, könte den Wunsch feranlassen, daß unsere Dichter mögten fortgefaren haben, disen Silbenma˛ssen di Silbenzalen forzuzihen. ˛ Was aber, sagt man, wen das so ist, mit so filen auslendischen und inlendischen fortreflichen ˛ Dichtern machen? Si läsen. Wen si recht

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fortreflich ˛ sind, so wärden si schon ˛ dafür ˛ sorgen, daß man iren Fers darüber fergesse. Di jeztlebenden Deütschen haben Silbenma˛sse eingefürt, ˛ di teils na˛ch der Alten iren mit einigen, mich deücht guten Ferendrungen gemacht, und teils (dis ist di grössere Anza˛l) neü, aber im Geschmakke der Alten sind, das heist, di di erwänte doppelte metrische Kraft haben; eine Unternämung, durch di zweierlei gesche˛n ist: Di Dichter haben fürs ˛ e˛rste di Spra˛che, fon där inen durch di eintönigen Fersa˛rten so files ferloren gegangen wa˛r, ganz wider bekommen; und zweitens ist dadurch der Umfang des Ausdruks, (di Bewägung der Wörter gehört ˛ mit dazu,) erweitert worden. Wär dis für ˛ eine Kleinigkeit helt, der weis nicht, was eine Spra˛che ist. Und ein solcher weis denn auch nichz dafon, ferd˛int auch nicht was dafon zu wissen, daß es keiner, dessen Urteil mitwigt, als etwas Gleichgültiges ans˛it, daß eine Sache, welche di Franzosen und Englender, und selbst di Italiäner fergäbens unternommen haben, den Deütschen gelungen ist. Wi es di gr˛ichischen und di römischen Dichter, und nu˛n so lange na˛ch inen di deütschen in Absicht auf di Ferskunst gemacht haben, ligt in iren Werken se˛r deütlich for ˛ Augen: allein di Teoristen alte und neüe haben files fon däm, was doch so offenba˛r daligt, ga˛r nicht, fersch˛idnes halb, und über das noch allerlei gesehen, was nicht da ist. Und so haben si denn, aus dem wenigen Waren, so manchem Halben, und däm und jenem nicht Forhandnen ˛ Le˛rgebeüde zusammen gesezt. Ich rede h˛ir zwa˛r fornämlich ˛ fon den Scholiasten, und fon dänen, welche mit inen genant zu wärden ferdinen; aber ich näme doch auch Zizeron, ˛ (Numerus und Silbenma˛s haben f˛il Gemeinschaftliches) Dionisen, Qintilianen, Aristiden, und Longinen nicht föllig aus. Fileicht schreibe ich noch einma˛l einige Bletter fon däm, was man bishär fon der Teori der Ferskunst gewust hat, ich meine, was di Kritiker dafon gewust haben; (di Dichter haben i˛r Wissen durch ire Gedichte gezeigt) und dan wärde ich auch einige Neüere nennen, di ich in jener guten Geselschaft nicht ganz ausnäme. So weit aus der Grammattik. Nu˛n noch ein pa˛r Worte fon Miltonen und Ossianen. Was der Ferfasser h˛ir durch jambische und änliche Fersa˛rt ferstanden habe, weis ich nicht, aber das weis ich wol, daß english Jambics ganz was anders sind, als deütsche Jamben, so se˛r was anders, daß z. E. folgende beiden Ferse aus Miltonen darunter gehören:

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v v vcv v v c v c In the Beginning, how the Heav’ns and Earth c v v cv v v cv c Rose out of Chaos, or if Sion Hill. Di Englender halten Miltonen für ˛ einen grossen ˛ Meister in der Ferskunst. Är lasse, sagen si, mit filem Urteile fersch˛idne Füsse ˛ abwexeln, und das äben sei di U ˛ rsach des Fergnügens, welches ˛ir O ˛ r an seinem Ferse finde. Är gäbe i˛m me˛r Mannichfaltigkeit, als irgend ein andrer irer Dichter, und nenne i˛n dahär auch selbst a various measur’d Verse. In den e˛rsten sechzän Zeilen des ferlornen ˛ Paradises, sagen si ferner, finden sich alle di abwexelnden Zusammenstellungen der Füsse, ˛ welche in iren Jamben eingefürt ˛ sein. Und zu disen sechzän Zeilen gehören, ausser den obigen, denn nu˛n noch folgende: c c vv v c v c v c Brought Death into the World, and all our Woe c cv c c c v cv c That Sheperd, who first taught the chosen Seed vc vcvv c v v vc Above th’ aonian Mount while it pursues. So se˛r abwexelnd ist der Jambe der Englender. Wi könten si also dabei über etwas, dafon är nu˛r zu se˛r das Gegenteil hat, über ermüdende Monotoni klagen? Aber mit wi lautem Ferdrusse würden si es tu˛n, wen ˛ir Jambe dem unsrigen auch nu˛r fon fern änlich were, si, di bei dem Anlasse der sechzän Ferse auch di Anmerkung machen, daß darunter nu˛r zweima˛l gleiche Ferse forkommen, ˛ nämlich der fümfte und der sibente, der zänte und der zwölfte; und dan soga˛r noch hinzu sezen, daß dise gleichen Ferse jedesma˛l durch eine se˛r fersch˛idne Bewägung unterbrochen wärden, um a dull Uniformity zu fermeiden. Ich mus h˛ir über Miltons Fersa˛rt eine Anmerkung machen. Es kan sein, (ich hab’ es nicht untersu˛cht) daß in den e˛rsten sechzän Fersen des Paradises, oder f˛ilme˛r nu˛r in firzän, denn zwei kommen doppelt for, ˛ sich alle abwexelnde Zusammenstellungen der Füsse ˛ finden, di in den englischen Jamben eingefürt ˛ sind, das heist, daß di übrigen Ferse des Gedichts aus Teilen diser e˛rsten zusammen gesezt sind. Dis ist nu˛n zwa˛r wol Einschrenkung des Mannichfaltigen, aber eine fon f˛il zu weitem Umfange, ein blos ˛ scheinbares Silbenma˛s, das dijenige metrische

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Kraft, di in der Widerholung ligt, nicht hat, denn eine unmerkliche Widerholung ist keine, und das also, der Wirkung na˛ch, der Silbenza˛l föllig gleich ist. Allein fon därjenigen metrischen Kraft, di in bedeütenden Füssen ˛ ligt, scheint Milton files zu haben, und fornämlich ˛ deswägen fon seinen Landsleüten für ˛ einen grossen ˛ Meister in der Ferskunst gehalten zu wärden. Und follends Ossian. Där sang also nicht in den föllig freien Fersa˛rten unsrer alten Norden, di soga˛r di leichteste unter allen Forschriften ˛ der Ferskunst, di Silbenza˛l, nicht kanten; fermischte nicht mit erzälenden Fersen seiner Erfindung andre lirische mit dem Inhalte einstimmige, auf di uns Macpherson so oft aufmerksam macht? M˛ir hat är folgende, di pindarisch sind, geschikt. Aus Komala: c v v c, v c v v c c, v c v c v c c, v c c v c c, c c c c c c v, c c c c, c v c v c c c c c. Aus Fingal: c c v c c v c, v c v c v c v c, c v c c v c c v, c c c v c v c. Sondern Ossia˛n sang in englischen Jamben, oder weil dis, wo nicht föllig, doch beina einerlei ist, in deütschen. Wär dis in Ernste behauptet, där sezt foraus, ˛ man glaube fon ˛im, daß är Ossia˛ns Spra˛che, allein durch Hülfe des sexten Gesangs fon Temora, denn nu˛r dän kennen w˛ir in Deütschland, bis auf ire Qantite˛t, und zwa˛r noch besser, als si Macpherson ferste˛t, habe lernen können. 12. „Ich habe die Leute auf ihr Gewissen gefragt: Lieber, sagt mir, klingt euch das zu eintönig? Könntet Ihrs wol einige Stunden, durch ein Paar tausend Verse hindurch, so fort tönen hören? Und sie haben mir auf ihr Gewissen geantwortet. Ja! sie könntens.“

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Sonst macht man Erfarungen diser Art, ˛ wen si wirkliche Erfarungen sein sollen, ganz anders. Man fragt di Leüte nicht, sondern man list inen for, ˛ one inen di Absicht, warum man es tue, zu sagen. Man bemerkt den Eindruk, und selbst na˛ch dem Forläsen, ˛ fragt man nicht, wenigstens nicht gerade zu, sondern auf eine Weise, daß man di Erfarung, one Zuseze, rein heraus bringen könne. Wär es wi der Ferfasser macht, där ist in Gefa˛r, daß är Leüte for ˛ sich finde, welche bis zur Gewissenlosigkeit höflich, ˛ oder Waghelse sind, di sich blindlings ins Unglük stürzen; aber auch herna˛ch, denn dis ist ire Gewonheit, ˛ wen si nu˛n mitten drin sind, desto lauter weklagen. 13. „Prüfen sie den teutschen Jambus nur mal genauer, so werden sie unendliche Abwechselung in Ansehung der Cäsuren und Ruhpuncte des männlichen oder weiblichen Ausgangs der Perioden, des ganzen Auf- und Niederschwungs derselben, der bald jambisch auf- bald trochäisch niedersteigenden Füße, und endlich des Zeitmasses der Silben selbst finden. Freylich wechselt nur immer kurz und lang, und lang und kurz ab, aber selbst in der kürzern Kürze und längern Länge, einer Sylbe vor der Andern, ist so viel Verschiedenheit, daß sie kaum sich ausrechnen läßt.“ Es leüft h˛ir Alles, nu˛r nicht, was di Ferschidenheit der Lengen und Kürzen betrift, hauptsechlich darauf hinaus: Ob di Wortfüsse, ˛ welche diser Fersa˛rt ˛ir einziger künstlicher Fu˛s gibt, hörba ˛ ˛r sind. Es sind irer nu˛r siben. Aber ich wil mich bei der geringen Anza˛l, und dem dadurch entstehenden eingeschrenkten metrischen Ausdrukke nicht aufhalten, weil das h˛ir se˛r überflüssig sein würde. Denn das Fälerhafte diser Fersa˛rt ligt eigentlich darin, daß i˛r künstlicher Fu˛s, weil är an sich selbst läbhaft ist, und fornämlich, ˛ weil är unaufhörlich ˛ widerkomt, daß är, sag’ ich, diser U ˛ rsachen wägen, so laut herforschalt, ˛ und di Wortfüsse ˛ därma˛ssen überschreit, daß si for ˛ ˛im (man erlaube m˛ir den Ausdruk) nicht zu Worte kommen können. Dises Überschreien wirkt so stark, daß nu˛n dadurch beina ga˛r kein Eindruk entste˛t, ob ein Abschnit durch me˛r oder weniger Wortfüsse ˛ fon dem andern unterschiden sei; oder ob der lezte Wortfu˛s des Perioden mit einer kurzen Silbe endige. Ferner sind di Pausen, womit di Abschnitte und di Perioden schl˛issen, fon f˛il zu kurzer Dauer, um das O ˛ r fon der Aufmerksamkeit auf das abzubringen, was es immer wider zu hören gewont ˛ ist, und dahär auch bestendig erwartet. Man s˛it, daß in diser Fersa˛rt der Fu˛s der Regel keine Wortfüsse ˛ herforbringt, ˛ sondern dise immer in seine eignen Teile auflöst. ˛

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Di Eindrükke, welche durch dise Monotoni der Bewägung entste˛n, einigerma˛ssen zu schwechen, ist es gu˛t den Reim mit der jambischen Fersa˛rt zu ferbinden. Diser hat zwa˛r auch Monotoni, des Klanges nämlich, und di, welche i˛n nicht liben, wärden fileicht sagen, daß man auf dise Weise ein Übel durch ein anderes fermindern wolle. Aber warum solte man durch dises kleinere Übel; denn di Monotoni des Klanges wird doch wenigstens immer zu einer andern, dem grösseren nicht steüren dürfen? Dis würde freilich nicht gelten, wen man sich auf andere Art ˛ helfen könte. Allein das kan man ja nu˛n einma˛l nicht. Dis emf˛ilt zwa˛r weder di jambische Fersa˛rt noch den Reim; (ich sage dis fornämlich ˛ in Rüksicht auf grössere Gedichte) aber es zeigt doch das Mittel, wodurch di Monotoni der Bewägung, welche dises Silbenma˛s hat, etwas weniger auffallend wird. Bei Gedichten in diser Fersa˛rt helf ich m˛ir, ausser däm daß ich den Reim z˛imlich laut hören lasse, auch noch dadurch, daß ich si nicht na˛ch dem Silbenzwange, sondern na˛ch der waren Qantite˛t läse. Manchma˛l gibt inen dan der Zufal so ga˛r gute Ferse; und wen dis nicht ist, doch wenigstens andere, als di gewönlichen ˛ eintönigen sind. Di Ferschidenheiten der Lengen und Kürzen musten, wi w˛ir oben gese˛n haben, dem Hexameter nicht wenig na˛chteilig sein; aber dem Jamben sind si, wi h˛ir behauptet wird, besonders forteilhaft. Dise Ferschidenheiten sind entweder, wi es gekommen ist, überal zerstreüt, und si machen dan keinen andern Eindruk, als dän einer dunkel gefülten ˛ Abwexlung; oder si stehen näben einander, und gehören zusammen, und man hat bei disen, weil si das O ˛ r fergleicht, auf ire gute Zusammenstellung gese˛n. Di zerstreüten Ferschidenheiten, di der Ferfasser, na˛ch den gegäbnen Beispilen, allein im Sinne haben kan, sollen denn nu˛n zu der übergrossen ˛ Abwexlung der jambischen Fersa˛rt so files beitragen, daß, wen das Aufhäben, welches fon dem Dinge gemacht wird, Grund hette, überhaupt kein eintöniges Silbenma˛s möglich were. Nu˛r di kleineren Ferschidenheiten (bis auf di zwischen Lenge und Kürze) stehen gu˛t bei einander. Dise Zusammenstellung ist eine Näbenschönheit ˛ der metrischen Bewägung, di zwa˛r der Hexameter oft, der Jambe aber nu˛r selten haben kan. Denn diser stelt blos ˛ Lengen und Kürzen zusammen; da jener überdas auch Lengen und Lengen, ferner auch Kürzen und Kürzen zusammen stelt. Daß also der Jambe so ga˛r h˛ir, wo es nicht etwan auf di Bewägung selbst, sondern nu˛r auf ire Nä-

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benbeschaffenheit ankömt, seine Eintönigkeit nicht los ˛ wärden kan. Und so bleibt ˛im denn beina weiter nichz übrig, als der dunkle Eindruk fon Abwexlung, welche durch di zerstreüten Ferschidenheiten entste˛t; und es leüft bei diser Abwexlung, di är mit allen andern Fersa˛rten, und selbst mit der Prosa gemein hat, und di gleichwol fast seine einzige Zuflucht ist, es leüft dabei Alles darauf hinaus, daß är, wen i˛m follends auch dis fälte, noch eintöniger sein würde, als är ist. Überhaupt mus ich gestehen, „daß diese kaum auszurechnenden, und daher zu der unendlichen Abwechslung des Jamben so Vieles beytragenden Verschiedenheiten, die man sieht, und hört, und fühlt, daß einem Ohren und Nerven davon gellen“ m˛ir wi der Strohalm forkommen, ˛ an däm sich der Ertrinkende zu halten flägt. Dasjenige, worauf zulezt alles bei jedem Silbenma˛sse ankömt, ist, daß es fon däm, was durch di Bewägung der Wörter ausdrükba˛r ist, genung ausdrükken könne. Was erreicht nu˛n aber wol das jambische fon disem lezten Zwekke der Ferskunst? Man fergist h˛ir beina, daß di Eintönigkeit dem Ore schon ˛ an sich selbst zuwider ist, und s˛it si fast allein fon der andern, i˛r noch na˛chteiligeren Seite an. Eine eintönige Fersa˛rt drükt nämlich f˛il zu wenig fon däm aus, was di metrische Bewägung ausdrükken kan. I˛ r Ausdruk wird durch seine bestendige Rükke˛r überstark. Si mus dem Inhalte, där ja nicht immer äben derselbe bleiben kan, fast durchgehends, und, wägen ihres Überstarken, se˛r laut widersprechen. Und dis ist di Fersa˛rt, „welche die einzige, wahre, ächte, natürliche, heroische unsrer Sprache seyn soll, und dieß zwar besonders auch deswegen, weil wir es uns, als Satz der Wahrheit, nach der Erfahrung deßjenigen zu abstrahiren haben, der es behauptet, und der mit hundert den wahren ächten Sinn des homerischen Originals darstellenden Jamben, die Homer, wenn er ein Teutscher gewesen wäre, wahrscheinlich eben so gut gemacht hätte, viel eher, als nur mit zehn erträglichen Hexametern fertig geworden ist; und weil er sehr gewiß weiß, (keiner redt es ihm aus) daß Homer, wäre er ein Teutscher gewesen, seine Ilias in Jamben gesungen hätte.“ Dise Gründe sind nu˛r nicht sonderbarer, als es der Umstand ist, daß därjenige, där si für ˛ Gründe helt, und där überhaupt fon allem, was nu˛r deütsches Silbenma˛s heissen kan, in einem se˛r entscheidenden Tone spricht, so ga˛r nicht einma˛l –– Doch man mag, wen man wil, di Qan-

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tite˛t über dem Stük aus der ferdeütschten Ilias selbst na˛chsehen, wo denn gede˛nte Kürzen, falschbestimte Zweizeitigkeit, und ferschobne ˛ Grade ein solches prosodisches Gewir machen, daß es eine rechte Lust zu hören ist. Jezt noch zwei Worte Folgerung, ferkürzte Widerholung, und kleine Zuseze, in der Absicht, daß man das Ganze besser überse˛n könne. Der deütsche Hexameter übertrift den gr˛ichischen dadurch, daß är di Silbenzeit genauer beobachtet; daß är di Lengen nicht überheüft, und dennoch durch seine Trocheen, und wenigen Spondeen di zur Sache gehörige Langsamkeit erreicht; und daß är beina den f˛irten Teil me˛r metrischen Ausdruk hat. Im lezten Gesange der Ilias sind me˛r als sechzig gede˛nte Kürzen, und über zwei hundert und dreissig Kürzungen der Lenge. In äben so filen Fersen eines deütschen Gedichts sind fümf oder sex fon disen, und keine fon jenen. Es ferste˛t sich, daß dabei di oben erwänten strengeren Regeln der Prosodi zum Grunde ligen. Der gr˛ichische Hexameter übertrift den deütschen dadurch, daß är di schöne Wendung oft nämen kan, na˛ch welcher f˛ir Spondeen fon zwei Daktilen an fersch˛idnen Stellen unterbrochen wärden. Wär zwa˛r zusammen schlagen, aber nicht leüten gehört ˛ hette, dürfte fileicht h˛ir noch hinzu sezen: Auch di schöne Wendung hatte der gr˛ichische Hexameter oft, di immer einen Spondeen auf einen Dakt˛il so folgen lest: Aber da nu˛n hochwogig ˛ di Flu˛t Schifbrüchige härtr˛ib. Disem würd’ ich antworten: Der Fers darf zwa˛r zuweilen Langsames mit Schnellem abwexeln lassen, aber är mus es so tu˛n, daß eins fon beiden herforschalle. ˛ Man mus nicht ungewis bleiben, ob der Fers langsam, oder schnel sei. Und dis ist h˛ir der Fal. W˛ir können einen Hexameter fon gleich schöner Wendung auch oft machen, där aber den Forzug ˛ hat, daß är entschiden schnel ist. Aber är ka˛m begleitet einhär fom Rufe der Siger. Es ist denn doch, deücht mich, so etwas, di Gr˛i chen in der epischen Fersa˛rt zu übertreffen. Si sagen von der irigen, daß si di schönste unter allen sei, di man kenne, und daß si Apollo erfunden habe. Fileicht lernt man bei uns e˛rst alsdan recht, was dis Übertreffen sei, wen di Auslender einst einse˛n, daß si durch ire Ferse f ürs ˛ Auge (den Reim abgerechnet, där aber ein se˛r unmetrisches Ding ist,) weit hinter uns sind, und sich dan auch an Ferse f ürs ˛ O ˛ r wagen.

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Aber wärden si dis auch tu˛n dürfen? Denn es ist ein gewisser Punkt, ich meine di genaue Beobachtung der Silbenzeit, in däm es schon ˛ se˛r schwe˛r ist den Gr˛ichen nu˛r gleich zu kommen. Ich weis nicht, ob inen der Mu˛t steigen oder sinken wird, wen si dis nicht zu können glauben, und zugleich hören wärden, daß di Deütschen den Gr˛ichen h˛ir zuf or ˛ gekommen sein, und dis noch dazu in einer Spra˛che, di beina di Helfte me˛r Schwirigkeit bei Bildung des Ferses antreffe, als di gr˛ichische, und ausser däm noch na˛ch strengeren prosodischen Regeln, als bis dahin selbst der Grammattiker gekant habe. Zu der Zeit, da dis durch Beispile gezeigt wurde, f˛il man mit allerhand Angreifereien über di deütsche Qantite˛t här. Es macht Fergnügen, daß man sich dabei fornämlich ˛ darauf einschrenken muste, sich nicht an ire eigentliche Beschaffenheit, sondern nu˛r an di Formen der Lengen und Kürzen zu wagen, und daß man soga˛r h˛ir nicht fortkommen konte. Aber Schadenfreüde, di bei einem Anlasse diser Art ˛ se˛r erlaubt ist, macht es, daß zu der Aufname der Silbenma˛sse der Alten auch di Aufname irer Qantite˛t ferlangt wurde. H˛irbei bedachte man dreierlei nicht. Es wa˛r fürs ˛ e˛rste eine Unmöglichkeit, was man durch di Ferendrung der Qantite˛t foderte. Zweitens wa˛r es, im Falle der Möglichkeit, eine sonderbare Zumutung, daß w˛ir unsre bessere begrifmässige Silbenzeit gegen eine weniger gute fertauschen solten. Drittens durfte man uns dabei nicht forenthalten, ˛ welche Silbenzeit w˛ir zu wälen hetten, ob di römische, oder di gr˛ichische. Di Foderung ist eine fon dänen Merkwürdigkeiten der gele˛rten Geschichte, di zwa˛r föllig unglaublich, aber doch wa˛r sind. Ich habe si blos ˛ als eine solche aufgezeichnet. Man wird, denk ich, nicht erwarten, daß ich fon däm etwas widerhole, oder erweitre, was ich über di Beschönigung des jambischen Ferses gesagt habe, di, in irer Art, ˛ beina äben so merkwürdig ist, als di ferlangte Ferwandlung unsrer Silbenzeit, in der irigen. Da w˛ir uns, indäm w˛ir di Lenge aussprechen, fornämlich ˛ bei dem Selbstlaute der Silbe, und merklich weniger bei iren Mitlauten, am wenigsten bei den anfangenden, aufhalten; so bekomt di Lenge dadurch eine gehörige Grösse, ˛ di zwa˛r manchma˛l das Auge, welches doch h˛ir nichz zu entscheiden hat, aber nicht das O ˛ r zu gros ˛ findet. Dise so beschafne Lenge stimt äben so se˛r mit dem starken Klange unsrer Spra˛che überein, als si starken Gedanken angemessen ist. W˛ir lassen den tonlosen ˛ Selbstlaut der nicht leichten Kürze, und mit

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i˛m ire Mitlaute so schnel fallen, daß si dadurch kurz genung wird. Allein w˛ir haben auch eine Menge Kürzen fon so wenigen Bu˛chstaben, daß si, um leicht zu sein, di Tonlosigkeit ˛ entbären könten. Um di Sache föllig auf das Reine zu bringen, erinre ich noch daran, daß der Aussprechende f˛il an der Silbenzeit ferderben könne; und daß man der Spra˛che nicht zur Last lägen müsse, was diser fers˛it. „Das O ˛ r, sagt Long˛in, urteilt, na˛chdäms di Stimme hören lest. Denn wi bei Ferlengerung oder Ferkürzung des Schalles di Stimme di Silben bildet, so emfengt, und beurteilt si das O ˛ r.“ In unsrer Spra˛che ist kein einsilbiges Wort kurz, dessen Sin di Lenge erfodert. Di me˛rsilbigen Wörter, di bei uns nima˛ls aus lauter Kürzen, und se˛r selten aus lauter Lengen beste˛n, haben di Lenge, oder die Lengen, und di Kürze oder di Kürzen an där Stelle, wo si, dem Sinne gemäs, hingehören. Di gr˛ichische Spra˛che hat se˛r oft di entgegen gesezte Silbenzeit. Man s˛it unter andern h˛iraus, warum so manches unbedeütende Wort mit lauter Lengen, und so manches bedeütende mit lauter Kürzen in diser Spra˛che ist. Dis sind ga˛r keine gute Wörter. Denn si widersprechen sich selbst. Di fon der ersten Art ˛ erfodern eine sterkere Deklamazion, ˛ als sich für ˛ den Gegenstand schikt; und di fon der lezten machen soga˛r, daß di Deklamazion ˛ fon Zeit zu Zeit wi ferstummen mus. So forteilhaft ist es uns, daß unsre Silbenzeit begrifmässig, und so na˛chteilig den Alten, daß es di irige nicht ist. Dis ist fon ungefär di e˛rste Helfte der Schrift, di ich unter dem Titel heraus zu gäben forhatte: ˛ Fom deütschen Hexameter. Worin di Schiklichkeit unsrer Spra˛che zu disem Silbenma˛sse gezeigt, und seine Regeln aus den Grundsezen der Ferskunst härgeleitet wärden. Fon der zweiten Helfte folgen h˛ir nu˛r di meisten Grundseze. (Di der Doppelfüsse, des Ferses, und des poetischen Perioden fälen.) Ich halte es jezo für ˛ überflüssig, weiter etwas über di Regeln des Hexameters zu schreiben. Wär me˛r braucht, als Andre und ich dafon gesagt haben, dän wärden di Grundseze, auch one meine Leitung, schon ˛ zurecht weisen. Aber auch däm, där jenes nicht braucht, dürften si fileicht, in Ansehung der Ferskunst überhaupt, seiner Aufmerksamkeit nicht unwürdig zu sein scheinen. Di Bewägung der Worte ist entweder langsam, oder schnel. Si hat, fon diser Seite angese˛n, Zeitausdruk. Diser bezeichnet fornämlich ˛

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Sinliches, und dan auch gewisse Beschaffenheiten der Emfindung und der Leidenschaft. Di Bewägung mus aber auch noch fon einer andern Seite angese˛n wärden. Di Lengen und Kürzen haben nämlich solche übereinstimmende, oder abstechende Ferheltnisse unter einander, daß selbst das O ˛r vvcc des Unachtsamen aufmerksam darauf wird. Wen z. E. in dem Reintanz ausgesprochen wird; so fergleicht man (es gesch˛it schnel, und dahär desto läbhafter) di beiden Kürzen mit den beiden Lengen; bemerkt dabei eine Art ˛ des Steigens fon jenen zu disen, und hört ˛ darin vccv Übereinstimmung. Wen hingegen Gerichtsdonner ausgesprochen wird; so bemerkt man das Steigen in Gerichts und das gleich drauf folgende Sinken in donner, und hört ˛ darin beina noch me˛r Abstechendes, als man forhär ˛ Übereinstimmendes gehört ˛ hatte. Wi stark di Wirkung des so ferbundnen Steigens und Sinkens sei, wird auch dadurch hörba ˛ ˛r, daß di umgeke˛rte Stellung: cvvc Wonnegesang eine der schönsten Übereinstimmungen herforbringt. ˛ Di Bewägung fon diser Seite angese˛n hat T onferhalt. ˛ (Man s˛it fon selbst, daß lauter Lengen, und lauter Kürzen keinen haben können.) Di Gegenstende des Tonferhalts ˛ sind gewisse Beschaffenheiten der Emfindung und der Leidenschaft, und was etwa durch i˛n fom Sinlichen kan ausgedrükt wärden. Das wenige, was di Bewägung fon den Forstellungen ˛ der reinen Einbildungskraft, oder därjenigen, di ganz unfermischt mit Emfindung und Leidenschaft ist, etwan ausdrükken mögte, darf ich, seines geringen Umfangs wägen, unberürt ˛ lassen. Um richtig fon der Bewägung zu urteilen, mus man sich di Wirkung forstellen, ˛ di si dan hat, wen man, nicht kalt fon teoretischer Untersu˛chung, sondern hingerissen fon dem Gedichte, sich iren Eindrükken überlest. Bei jener Wirkung kömt es fornämlich ˛ darauf an, daß di Bewägung dem Inhalte angemessen sei. Ein Fu˛s hat nu˛r Einen Zeitausdruk. Ein Abschnit oder Teil des Ferses kan den Zeitausdruk änlich erhalten, oder i˛n den Graden na˛ch fermeren, und fermindern, oder auch sein Langsames mit dem Schnellen abwexeln lassen. Im Ferse finden äben dise Ferendrungen stat, auch im Perioden in Bezihung der Abschnitte oder der Ferse auf einander, na˛chdäm entweder dise oder jene di Teile des Perioden sind. Was den Tonferhalt ˛ anlangt, so fergleicht das O ˛ r in den Füssen: ˛ Sil-

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ben mit Silben; in den Abschnitten oder Fersen: Füsse ˛ mit Füssen; ˛ und in den Perioden: entweder Abschnitte mit Abschnitten, oder Ferse mit Fersen. Di Abschnitte, Ferse, und Perioden können auch den Tonfer˛ halt änlich erhalten, oder i˛n den Graden na˛ch fermeren und fermindern, oder auch sein Übereinstimmendes und Abstechendes abwexeln lassen. Zeitausdruk und Tonferhalt ˛ sind immer zusammen, und wirken dahär zugleich; doch das lezte unter der Einschrenkung, daß keiner fon beiden merklich sterker, als der andre sei. Denn in disem Falle hört ˛ di Wirkung des schwechern auf. Di F˛ilsilbigkeit der Füsse ˛ gibt irer metrischen Bedeütung noch den Näbenbegrif des Grossen. ˛ Diser kan bei einigen Füssen ˛ so merklich wärden, daß jene darüber iren Eindruk ferl˛irt. Doch gesch˛it dis nicht oft. Dis ist der Umfang desjenigen, was ich Wortbewägung nenne. Si ist di Hauptsache, worauf es in der Ferskunst ankomt. Der Wolklang, ˛ oder der Klang der Wörter, wi är überhaupt, und im Einzelnen, durch Sterke, oder Samftes zum Inhalte past, der Wolklang ˛ ist der Ferskunst zwa˛r auf keine Weise gleichgültig; allein är ist schwecherer Ausdruk. Überdis ist är im Einzelnen auch selten anzutreffen. Denn es sind äben nicht f˛il Wörter in den Spra˛chen, dären Klang mit dem Sinne überein komme. Wäm dis zu umstendlich, oder ga˛r deswägen, weil es se˛r genau bestimt ist, und nichz aus der Luft greift, undeütlich forkomt, ˛ där stelle sich di Sache etwa so for: ˛ Di Ferse haben in iren Bewägungen teils Langsamkeit oder Schnelligkeit, und teils fersch˛idnen Tonferhalt; ˛ und sehe dan zu, ob sein Begrif nicht fornämlich ˛ durch di Unfolstendigkeit an Richtigkeit ferlire. Wär ausmachen wolte: Ob di Alten den Tonferhalt ˛ gekant, das ist, bestimt gedacht hetten, där müste wol fornämlich ˛ di filen Bedeütungen untersu˛chen, welche das Wort Ritmus hat, und dan zuse˛n, ob är eine darunter fende, di fom Tonferhalte ˛ zu ferstehen were. Das einzige h˛irhär Gehörige tref ich bei Demetrius an. Är sagt, „daß file sich folgende Lengen keinen Ritmus haben.“ Aber wi wenig ist das. Ich hab’ es oben, als etwas, das sich fon selbst ferstehe, angemerkt. Di Wirkungen des Tonferhalts ˛ haben di Alten gefült, ˛ zwa˛r fornämlich ˛ ire guten Dichter, di es in iren Werken zeigen, aber doch auch wol ire Teoristen. Denn dise schreiben zuweilen dem Zeitausdrukke Wirkungen zu, di nu˛r der

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Tonferhalt ˛ haben kan. Da, wo si dis nicht tu˛n, erklären si sich gewön˛ lich unbestimt, und manchma˛l föllig falsch über di Sache. So sagt z. E. Dion˛is fom Daktile, daß är ungemein f˛il Ernstes habe, und am meisten zu der Schönheit ˛ der Harmoni beitrage. Und nu˛n das Beisp˛il: c c c c Iliothen, me pheroon, anemos, c c Kikonessi, pelassen. und in demelben eine offenbare Ferwexlung des künstlichen Fu˛sses, des Dakt˛ils nämlich, mit den Wortfüssen, ˛ di ein Choriamb, zwei Anapeste, ein Peon, und ein Amfibrach sind. Was w˛ir also h˛ir zu hören bekommen, ist nicht di Beschaffenheit des Dakt˛ils, di gewis nicht im Ernsten beste˛t, sondern di der angefürten ˛ Wortfüsse. ˛ Das Wort Ritmus (wen ich es etwa gebraucht habe, so hab’ ich Tonferhalt ˛ darunter ferstanden) ist Eins fon dänen, di zeigen, zu was for ˛ Ferwirrungen der Begriffe zuweilen Worte ferleiten, und wi lange si es tu˛n können. Denn wi wimmelt es in dänen Schriften, di fon der Teori der schönen Wissenschaften handeln, nicht schon ˛ bei den Alten, und wi f˛il me˛r noch bei den Neüern, bei Vossius z. E. fon Fermischungen und Ferwexlungen der Begriffe, wozu si dises Wort gebracht hat. Wi file Worte sind sonst noch, di änliches Gewir beina in allen Wissenschaften gewirt haben! Der Zeitausdruk erreicht den höchsten ˛ Gra˛d der Langsamkeit, wen file lange, und der Schnelligkeit, wen file kurze Silben auf einander folgen. Man solte nicht leicht me˛r als sex fon jenen, und fire fon disen folgen lassen. Di Gr˛ichen gingen oft z˛imlich f˛il weiter; aber si hatten, wi m˛ir es forkömt, ˛ unrecht. Es ist unter andern etwas Übertr˛ibnes darin. Es endert bei der Sache nichz, daß si ire Spra˛che zu disen Sprüngen über di Grenzen des metrischen Schönen ferleitete. Wen ein Fu˛s –– Doch e ich weiter gehe, mus ich fon künstlichen F üssen, ˛ und fon Wortf üssen ˛ etwas sagen. Für ˛ gewisse Fersa˛rten (es sind di änlichen) gibt man di Regel am bestimtesten, und zugleich am kürzesten (welchen Umwäg muste Home˛r bei Gelägenheit des Hexameters nämen, weil är disen Wäg nicht ging) am kürzesten so: Man zeigt di Füsse ˛ an, welche na˛ch gewissen Abwexlungen und Folgen in den Wörtern ferstekt ligen sollen. Dise Füsse ˛ heissen künstliche. Di der Forschrift ˛ gemäs gebrauchten Wörter wärden, in Ansehung irer Bewägung, und nu˛r fon diser Seite betrachtet

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man si h˛ir, Wortfüsse ˛ genant. (Zuweilen können Wortfu˛s und künstlicher diselben sein.) Dise bestehen nicht immer aus einzelnen Wörtern, sondern oft aus so filen, als, nach dem Inhalte, zusammen gehören, und dahär beina wi Ein Wort müssen ausgesprochen wärden; doch dis unter der Einschrenkung, daß, wen ein Wort file Silben hat, es nicht mit zu däm, welchem es dem Sinne na˛ch zugehört, ˛ genommen wird. Denn es fült in disem Falle das O ˛ r zu se˛r, um nicht für ˛ sich einen Fu˛s auszumachen. Diser Hexameter: Schreklich erschol der geflügelte Donnergesang in der He˛rscha˛r. hat sex künstliche, und f˛ir Wortfüsse. ˛ Di künstlichen: cvv Schreklich er cvv schol der ge cvv flügelte cvv Donnerge cvv sang in der cc He˛rscha˛r. Di Wortfüsse: ˛ cvvc Schreklich erschol vvcvv der geflügelte cvvc Donnergesang vvcc in der He˛rscha˛r. Di in den Wortfüssen ˛ ferstekten künstlichen ge˛n den Zuhörer ga˛r nichz an. Är hört ˛ si nicht; är hört ˛ nu˛r di Wortfüsse: ˛ und felt, na˛ch disen allein, sein Urteil über den Fers. Ich ferstehe alzeit Wortfüsse, ˛ wen ich kümftig fon Füssen ˛ rede; und sag’ es ausdrüklich, so bald ich künstliche meine. Wen ein Fu˛s me˛r Lengen als Kürzen hat, so ist der Zeitausdruk langsam, und wen me˛r Kürzen, schnel. Der Tonferhalt ˛ bestimt oft di Grade des so entstandnen Langsamen oder Schnellen. Folgende Füsse ˛ gleichen sich in Ansehung der Za˛l irer Silben, und der Zeit, di jede hat. Dennoch bekommen si durch den Tonferhalt ˛ dise Grade:

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Langsam vcc Der Ausru˛ f. Langsamer ccv Ausrufe. Noch langsamer cvc Wetterstra˛l. Schnel vcv Gesenge. Schneller cvv Flüchtige. Noch schneller vvc Di Gewalt. Wen di Za˛l der Lengen und der Kürzen gleich ist; so entste˛t nicht etwa, wi man glauben solte, eine Mittelbewägung zwischen Langsam und Schnell, sondern di Füsse ˛ wärden, und zwa˛r durch den Tonferhalt, ˛ entweder das Eine oder das Andere. Dis so wol, als das äben Angefürte ˛ ist nu˛r Näbenwirkung des Tonferhalts. ˛ Man s˛it, wi bedeütend är überhaupt sei, da är Näbenwirkung fon diser Sterke hat. Man näme f˛ir Silben, zwei lange und zwei kurze. Durch ire fersch˛idne Stellung entste˛n sex Füsse, ˛ drei langsame, und drei schnelle. Di langsamen: cvcv Silberstimme. ccvv härströmende. vccv di Sturmwinde. Di schnellen: vcvc mit Ungestüm. ˛ vvcc in dem Lautma˛s. cvvc Wonnegefül. ˛ Dise Ferbindung zwischen Zeitausdrukke, und Tonferhalte ˛ zeigt, wi m˛ir es forkömt, ˛ auffallend, daß di Regeln der Wortbewägung tifer ligen, als es Filen bei dem e˛rsten Aufhören scheinen mögte. Ich sagte, daß vccv di Sturmwinde ein langsamer Fu˛s, und cvvc Wonnegef ül ˛ ein schneller were. Di Teoristen der Alten fanden, na˛ch einer gewissen Berechnung, di Sache ganz anders. Inen waren nicht etwa nu˛r di angefürten ˛ Füsse, ˛ der Zeit na˛ch, föllig gleich; sondern diser, und ein ander warens auch: ccc Wu˛ tausru˛ f, und vvv vvv Ei c ligeres in dem Ge c sang. Denn, sagten si, di kurze Silbe hat Eine Zeit, und di lange zwei Zeiten. Si benenten so ga˛r gewisse Füsse ˛ na˛ch disem Einfalle. So wa˛r z. E. der cccv Fu˛s: unrufolle einer der Heptasämen, oder der Sibenzeitigen.

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Und h˛iraus wurde denn nu˛n gefolgert, daß z. E. ccWaldstr om, ˛ und: cvv flüchtige gleichzeitige Füsse ˛ weren. Und so müsten denn auch folgende zwei Ferse gleichzeitig sein: Wu˛t, Weklag’, Angstausru˛f laut aufschol fon dem Schlachtfeld Eile dahin, wo di Lanz und das Schwärt im Gedreng dich erwarten. Aber wär hört ˛ nicht in inen se˛r fersch˛idne Dauer, grosse ˛ Langsamkeit in dem e˛rsten, und f˛il Schnelligkeit in dem zweiten? Ein änlicher Fal ist es, (ich sage nicht gleicher, weil in der Spra˛che Lengen und Lengen, und Kürzen und Kürzen nicht äben diselben sind) wen uns jezt eine Stunde langsam, und eine andre schnel forüber ˛ ge˛t. Es komt dan ga˛r nicht darauf an, was eine Stunde na˛ch der U ˛ r, sondern was si na˛ch unsrer Forstellung ˛ ist. Noch me˛r. Fon folgenden beiden Fersen: Eile dahin, wo di Lanz und das Schwärt im Gedreng dich erwarten; Hör ˛ den Klageton, ˛ und schau di Wunden des Freündes. hat der lezte f˛i r Zeiten weniger, als der e˛rste, und gleichwol dauert är uns lenger. So wenig bekümmert sich das O ˛ r darum, ob mans h˛ir in Momente teilen, und dan berechnen könne. Aber mindstens, sagt man, wurde denn doch auf dise Gleichzeitigkeit bei gewissen freieren Fersa˛rten der Alten gese˛n. Man hatte da di Erlaubnis z. E. vvv für: ˛ vc zu sezen, weil: vv so lange dauert, c als: . Gewis nicht, antwort ich, wägen diser Dauer, di, der Wirkung na˛ch, nicht gleich ist; sondern nu˛r, damit di freie Fersa˛rt wenigstens einige Einschrenkung hette, und nicht na˛ch fölligem Beliben herumschweifen könte; damit man, in unserm Falle, für: ˛ vc nicht auch: vv, oder ga˛r: vvvv sezen dürfte. Ich weis wol, daß man dise Bemerkung in den alten Scholien nicht antrift; aber ist si denn aus diser U ˛ rsach weniger gegründet? Und wa˛r si den Dichtern, welche in den freieren Silbenma˛ssen schriben, etwa deswägen unbekant, weil si es den Scholiasten wa˛r? Wen w˛ir Lengen und Kürzen hören; so macht das O ˛ r di Berechnung, auf welche sich di erwänte Gleichzeitigkeit gründen sol, so wenig, daß es nicht einma˛l eine andre h˛ir f˛il natürlichere ˛ macht, na˛ch där man di Kürze, als di Helfte der Lenge, anse˛n kan. Di Silben sind di Teile des Worts. Wen w˛ir dises f˛irsilbige Wort: cvvc Donnergesang hören, so hören w˛ir f˛ir Teile eines Ganzen,

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und nicht sex; und dis müsten w˛ir doch, wen jene Berechnung eine Sache were, di das O ˛ r etwas ange˛n könte: w˛ir hören auch nicht eins, halb, halb, eins. Daß w˛ir Teile des Worts hören, ist wenigstens wa˛r; aber in Betrachtung kömts deswägen gleichwol nicht sonderlich. Was das O ˛r h˛ir f˛il me˛r, und beina allein bemerkt, ist, daß es Schnelligkeit, und Sterke der Bewägung hört. ˛ Man s˛it, daß ich auch h˛ir di Sache fon der Seite irer Wirkung ansehe. Ich weis wol, daß man das im Teoretischen der Künste nu˛r selten tu˛t; aber ich weis auch, daß äben dis zu mancher Ferwirrung und Unrichtigkeit ferfürt ˛ hat. Beharte man, meiner Gründe ungeachtet, bei der Meinung der alten Teoristen, und glaubte, daß es Silbenma˛sse gebe, das hexametrische z. E. dären Ferse als gleichzeitig gehört ˛ würden; so ist noch etwas zurük, das Alles über den Haufen wirft. Es sind nämlich am gewönlichsten ˛ nicht di Ferse, sondern ire Abschnitte di eigentlichen Teile des poetischen Perioden; und fon disem urteilt das O ˛ r, in so fern auch Fergleichung der Teile bei dem Urteile zum Grunde ligt, nu˛r na˛ch den angefürten ˛ eigentlichen Teilen. Jeder Forläser ˛ sezt na˛ch diser Teilung ab; und Nimand mag es anders hören. Es belustigt dahär, wen man findet, daß Dion˛is, diser sonst so scharfsichtige Kritikus, da är unter andern auch fon diser Sache sprechen wil, eine Einleitung macht, als ob är forhette ˛ fon den t˛ifsten Geheimnissen der Kunst zu reden. „Daß nu˛r der Geweite, ru˛ft är aus, in das Heiligtu˛m träte, und dem Unheiligen di Türe ferschlossen wärde.“ Nu˛r di lirischen Silbenma˛sse haben, bis auf den Untersch˛id, där durch di kleineren und grösseren Lengen oder Kürzen entste˛t, auch für ˛ das O ˛ r Gleichzeitigkeit. Denn h˛ir wärden in jeder neuen Strofe immer äben diselben Füsse ˛ widerholt. ˛ Dennoch ist es nicht di Gleichzeitigkeit, worauf der Zuhörer achtet. I˛ n bescheftigt ganz was Anders, nämlich der Zeitausdruk und der Tonferhalt, ˛ den di Strofe hat, und das Fergnügen an irer Widerke˛r, wen si ˛im das e˛rstema˛l gef˛il. Fersch˛idne Langsamkeit oder Schnelligkeit ist das Wäsentliche des Zeitausdruks. Sein Geb˛it ist fornämlich ˛ das Sinliche; und er drükt nu˛r so fern etwas fon der Emfindung oder Leidenschaft aus, als Langsamkeit oder Schnelligkeit auch Beschaffenheiten derselben sind. Auch das mit dem Langsamen oder Schnellen in einer gewissen Nähe Ferwante gehört ˛ mit zu däm, was der Zeitausdruk in sich begreift.

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So hat z. E. Home˛r durch den langsamsten Hexameter, welchen man machen kan, (är beste˛t aus lauter Spondeen) den ferwanten Begrif des Schweren ausgedrükt: Situ kai kreioon äd’ oinu bebrithasin. Di Tische Waren fon Brot ˛ und Fleisch und Wein belastet. Ich hab’ eine Abstufung der Füsse ˛ gemacht fom langsamsten bis zu däm, där es am wenigsten ist; und dan weiter fon dem am wenigsten schnellen bis zu dem schnelsten. Allein ich lasse dis weg, weil m˛ir es überflüssig zu sein scheint. Man wird dabei nicht leicht me˛r, als um Eine Stufe fälen; und daran ligt wenig. Das Samfte, das Starke, Muntre, Heftige, Ernstfolle, Feierliche, und Unruhige sind, oder können Beschaffenheiten der Emfindung und der Leidenschaft sein. Dis kömt mir, wen ich fom Sinlichen di gehinderte Bewägung noch mitnäme, als der Inbegrif fon däm for, ˛ was der Tonfer˛ halt ausdrükken kan. Auch das mit den angefürten ˛ Beschaffenheiten in einer gewissen Nähe Ferwante gehört ˛ mit zu däm, was der Tonferhalt ˛ in sich fast. So ist z. E. das Samfte mit seiner Ausa˛rtung, dem Weichen, ferwant. Überhaupt machen, so bald der Dichter gu˛t da˛rstelt, di Einbildungskraft und das Gefül ˛ des Zuhörers solche Ferwantschaften z˛imlich za˛lreich. Ich sagte oben fom Zeitausdrukke, und h˛ir fom Tonferhalte, ˛ daß si Beschaffenheiten ausdrükken. Ich muste dis sagen, wen ich di Sache richtig bestimmen wolte. Denn di Emfindung und Leidenschaft selbst, oder auch den sinlichen Gegenstand drükt das Wort, seiner Bedeütung na˛ch, aus. Wendet man m˛ir ein, daß der Zuhörer, fon der Läbhaftigkeit seiner Teilnämung hingerissen, an disen Untersch˛id nicht denke, sondern di Leidenschaft selbst, auch in der Bewägung der Worte, zu hören glaube: so kan ich dis gern zugeste˛n, one daß meine Bestimmung dadurch etwas fon irer Richtigkeit ferl˛irt. Überdis bin ich mit dem nichtunterscheidendem Zuhörer recht wol ˛ zufriden. Desto besser für ˛ den Dichter, wen, wär i˛n hört, ˛ so teüschba˛r, und auch für ˛ disen, wen är des Fergnügens einer solchen Teüschba˛rkeit fähig ist. Ich habe noch einen Schrit zu tu˛n, um das, was den Tonferhalt ˛ der Füsse ˛ betrift, föllig aus einander zu sezen. Ich mus nämlich dijenigen Füsse ˛ anzeigen, welche di erwänten Beschaffenheiten, me˛r oder weni-

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ger, ausdrükken. Ich löse dabei di Füsse, ˛ welche über drei Silben haben, nicht in zwei- oder dreisilbige auf; weil dis wi überhaupt, so auch h˛ir zu nichz fürt. ˛ Di bezeichneten sind abstechend. Ich wünsche, daß man nicht fergessen habe, was ich oben sagte, daß man sich nämlich, um richtig fon der Bewägung des Silbenma˛sses zu urteilen, di Wirkung forstellen ˛ müsse, di jene dan hat, wen man, nicht kalt fon teoretischer Untersu˛chung, sondern hingerissen fon dem Gedichte, sich iren Eindrükken überlest. Auch glaub’ ich h˛ir widerholen zu dürfen, daß di Regeln der Wortbewägung tifer ligen, als es Filen bei dem e˛rsten Aufhören forkommen ˛ mögte. Samftes. cv Laute. cvcv Klagestimme. cvcvv l˛iblichtönende. vcv Gesenge. vcvcv di Widerhalle. vcvvcv des Baches Gelispel. vcvv gewendete. Starkes. vcc der Ausru˛ f. vcvcc des Krigers Ausru˛f. cvvcvv innigerschüttertes. cvvcc schreklicher Angrif. cvvc Donnergereüsch. vvccc mit des Weltme˛rs Schal. vvvccc da es fom Sturm aufbraust. Muntres. vvcvv der geflügelte. vvcv das Geseüsel. vvcc in dem Lautma˛s. cvvcv Silbergewölke. vc began, und cvv freüdige haben auch Muntres, aber das sich weniger ausnimt. Es fält inen der tanzende Gang der drei e˛rsten. vvcc in dem Lautma˛s hat disen Gang am hörba ˛ ˛rsten.

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Heftiges. vcvc mit Ungestüm. vvc im Gefecht. ˛ vcvvc der Panzer Getön. ˛ vvcvc des Geschwaders Flug. vvcvvc mit der Schwärter Geklir. vvvc „zu dem Getös.“ ˛ vvvcc „da fom Gefild’ auf.“ vvvcv „in dem entflamten.“ vvvcvv „zu der fertilgenden.“ Ernstfolles. cccv mitausrufend. vccc des Anfals Wu˛t. cvc „Wetterstra˛l.“ vcccv des Aufru˛rs Brausen. vcccvv di Unglüksälige.

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Feierliches. ccvv aufschauende. cccvv Unglüksälige. Unruhiges. Dise Füsse ˛ sind alle abstechend. ccv Sturmwinde. cvvv Flüchtigere. vccvc des He˛rzugs Getös. ˛ cvvvc tötliches ˛ Geschos. vvccvv fom Gebirg’ hallende. vccvv der abtrünnige. vvccv in der Nacht Schrekken. vccv im Abgrunde. cvcc Sonnenaufgang, und ccvc Anbruch des Di Füsse: ˛ Tags scheinen m˛ir nu˛r Zeitausdruk, aber keinen Tonferhalt ˛ zu haben. Unter den fümf- und me˛rsilbigen hab’ ich nu˛r in den angefürten ˛ Füssen, ˛ Tonferhalt ˛ gefunden. Ferhört ˛ ich mich bei den übrigen; so ist dis desto besser für ˛ den metrischen Ausdruk. Di Doppelf üsse ˛ (ich ferstehe zwei Wortfüsse ˛ darunter) kommen for, ˛

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wo fom Ferse di Rede sein wird. Es ist da noch Files zu bemerken, das den Tonferhalt, ˛ oder das Fornämste ˛ der Wortbewägung, betrift. Ich wil h˛ir etwas dafon in foraus ˛ berüren. Der Fu˛s: cvvcWonnegesang ist übereinstimmend; aber wen zwei sich folgen; so ferl˛irt sich etwas fon der Übereinstimmung, als: Stürme des Nords huben di Flu˛ t. Denn in disen beiden ligt där: vccv Gesichtskreise ferstekt. Diser lezte Fu˛s ist in Gegenteile se˛r abstechend; aber wen sich irer zwei folgen, so wird das Abstechende ein wenig schwecher, als: Da Waldströme sich härwelzten. Denn in disen beiden ligt nu˛n der Fu˛s: cvvc Wonnegesang ferstekt. In den angefürten ˛ Doppelfüssen ˛ wurde, in dem e˛rsten das Übereinstimmende, und in dem zweiten das Abstechende fermindert. Es gibt auch Felle, wo das Eine oder das Andre ferme˛rt wird. Der Fu˛s: cvc Winterluft hat nu˛r wenig Abstechendes. In: Wetter dr on ˛ schreklich här wird es durch den ferstekten: vccv Gesichtskreise ferme˛rt. Der Fu˛s: vvvc in dem Gesang ist abstechend. In dem Doppelfu˛sse: Da das He˛ r in dem Getös sticht är noch me˛r ab. Denn da w˛ir das Übereinstimmende des Fu˛sses: vvc im Gefecht äben e˛rst gehört ˛ haben; so wird uns das Abstechende des vvvc in dem Gesang noch merklicher. So f˛il h˛ir fon den Doppelfüssen. ˛ c Der einsilbige Fu˛s: Wu˛ t hat zwa˛r mit dem Tonferhalte ˛ nichz zu tu˛n, auch kan man nicht wol sagen, daß är langsam sei; aber är gibt dem Worte, woraus är beste˛t, besonders wen är gu˛t gestelt ist, f˛il Bedeütung: zugleich errägt är, welches h˛ir das wichigste ist, di Aufmerksamkeit dadurch nicht wenig, daß är, wen ich so sagen darf, den He˛rzug der mannichfaltigen metrischen Bewägungen Halte machen lest. cccc ccc NWär auf di Eindrükke acht gegeben hat, welche Gedichte machen, där wird bemerkt haben, (nu˛r Harthörigen oder Füllosen ˛ ist dises unbekant) daß di Eindrükke des Silbenma˛sses sterker sind, als man fermuten solte, daß si sein könten, wen man den Ausdruk, där darin ligt, an sich selbst betrachtet. Di U ˛ rsach h˛irfon scheint m˛ir folgende zu sein.M Doch man erlaube m˛ir, h˛ir ein wenig aus meinem Wäge zu ge˛n. Denn es könte leicht sein, daß Einige aus U ˛ rsachen, dänen na˛chzuforschen überflüssig were, dafür ˛ h˛ilten, ich überschritte durch das, was ich fon

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diser Sache sagte, di Grenzen irer Wirkung. Aber wen nu˛n di Alten h˛irin weiter als ich gegangen weren, und man inen also entweder noch läbhaftere Forwürfe ˛ als m˛ir machen, oder im Falle, daß man durch si feranlast würde seine Meinung zu endern, m˛ir so ga˛r meine Sorgfalt nichz zu übertreiben anrechnen müste? W˛ir können h˛irüber nichz ausmachen, one di Alten selbst zu hören. Si reden in däm, was ich fon inen anfüren wärde, meistens fom Numerus, oder dem prosaischen Silbenma˛sse; allein was fon disem gilt, das gilt noch me˛ r fom poetischen. Ich lasse mich h˛ir auf di Beurteilung der Alten nicht ein, weil ich si nu˛r in der Absicht anfüre, daß man ire Meinungen kennen lerne. Auch in der Rede, sagt Dion˛i s, ist etwas Musikalisches, welches, nu˛r dem Grade, aber nicht der Beschaffenheit na˛ch, fon däm unterschiden ist, das der Gesang und di Instrumente haben. Denn auch di Worte haben ire Modulazion, ˛ ire Bewägung, ire Abwexlung, und i˛r Schikliches. Das Gehör ˛ wird durch dise Modulazion ˛ fergnügt; durch di Bewägung fortgerissen; ferlangt na˛ch der Abwexlung, und l˛ibt fornämlich ˛ das Passende. Dis sind di Dinge, welche der Rede forzüglich ˛ Schönheit ˛ und Anmu˛t gäben. (Unter der Schönheit ˛ begreift är das Grosse, ˛ Na˛chdrükliche, Ernstfolle, Würdige, und Überredende.) Durch e˛dle Füsse, ˛ und di eine gewisse Würde und Grösse ˛ haben, entste˛n Würde, Sterke, und Pracht in der Bildung des Perioden. Dijenige Art ˛ zu schreiben mus notwendig ˛ schön ˛ sein, di durchgehends aus schönen Füssen ˛ beste˛t. Dafon finden w˛ir in Platon ˛ unzälige Beispile. Är ist ungemein glüklich in der guten Stellung und Ferbindung der Füsse. ˛ Were är so stark in der Wa˛l der Wörter, als är unerschöpflich ist si gu˛t zu ferbinden; so übertrefe är Demostenen, oder gliche i˛m wenigstens an Schönheit ˛ des Ausdruks. Wol nu˛r di, welche nicht sonderlich scharfsinnig, und desto zanksüchtiger sind; oder di, welche Files müsam erlernt haben, aber unbekant mit dem Angenämen, und auch nicht äben di t˛ifsinnigsten sind, wärden in Demostenen seine Aufmerksamkeit auf Harmoni, Füsse, ˛ und Silbenma˛s nicht finden können, weil dis, wi si glauben, eigentlich nu˛r den Musiker und Dichter angehe. Di sich h˛irum nicht bekümmert haben, di haben nidrige, haben schwache, haben durch noch andre Schandflekke ferunstaltete Werke herforgebracht. ˛ H˛ir ste˛t der Sofist Hegesias oben an, und unten an, und

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in der Mitte. Ich weis bei Jupitern und allen Göttern nicht, was ich fon ˛im sagen sol. Wa˛r är so one alles Gefül, ˛ ein solcher Dumkopf, daß är nicht einsehen konte, welche Füsse ˛ edel, und welche unedel weren? oder so blödsinnig ˛ und zerrüttet, daß är di besseren kante, und di schlechteren wälte? Na˛ch Demetrius drükken zwei der Peonen Grösse ˛ aus. Wen man auch nicht immer den langanfangenden (cvvv) zue˛rst sezen, und mit dem langendenden (vvvc) schl˛issen kan; so mus man doch etwas inen Änliches anzubringen su˛chen. Teofrast fürt ˛ dise peonische Wenccvvv dung als Ausdruk des Grossen ˛ an: , cvv , cvv ; vvvcc . Wen Plato di Füsse ˛ so: vvvccvvvv , oder so: ccv cvvv cv folgen lest, so ist es schön ˛ und gesangmässig; (är redet fon einem Senger) wen man aber dis so: vvvcvc cvc , oder so: vvcvc cvcv ferenderte; so würde man i˛m alle Anmu˛t nämen, di allein in der Stellung der Füsse, ˛ aber nicht in dem Sinne, auch nicht in den Worten ligt. Das Grosse, ˛ das man in Tuzididen findet, entste˛t beina nu˛r dadurch, daß är Füsse ˛ fon filen langen Silben braucht. Diser Man hat durchgehends eine gewisse Grösse, ˛ und zu diser gelangt är, wo nicht allein, doch fornämlich durch dise Zusammensezung. Wen man di Prose ein wenig metrisch wendet; so macht uns dis Fergnügen, und aus disem Fergnügen entste˛t unfermerkt Anmu˛t. Man findet dise Art ˛ der Ausbildung oft bei den Peripatetikern, Platon, ˛ Xenofonen, und Herodoten; mich deücht auch nicht selten bei Demostenen: aber Tuzidides fermeidet si. Es ist unsrer Sele, sagt Zizero, nichz so na ferwant, als Numerus und Klang. Si ermuntern und entflammen und besemftigen uns; durch si schmachten w˛ir hin; si bringen uns zur Freüde oder zur Traurigkeit. Ire höchste ˛ Sterke gehört ˛ für ˛ Gedichte und Lider. Fragt man: Welchen Zwek der Numerus des Re˛dners habe? so antwort ich: Das Fergnügen. Wen är darauf sehen müsse? Immer. Wo? In der ganzen Folge der Worte. Was jenes Fergnügen herforbringe? ˛ Nichz anders, als was es in den Fersen herforbringt, ˛ dären Ma˛s di Regel kaum anzuzeigen braucht, weil es di Oren durch i˛r schnelles Urteil fon selbst und one Regel bestimmen. Man sezt den Peon na˛ch Aristotelen, Teofrasten, Teodekten, und Eforen se˛r gu˛t im Anfange, in der Mitte, und auch am Ende des Perioden, wo ich gleichwol den Kretikus forzihe. ˛

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Der Dochimus (vccvc) schikt sich für ˛ jede Stelle des Perioden; aber är mus nu˛r Einma˛l forkommen. ˛ Denn widerholt ˛ nimt är sich zu se˛r aus. Di Feldherren brauchten, wen si das He˛r anredeten, fornämlich ˛ den Anapest. Karbo schlos in einer Rede an das Folk eine Abteilung des Perioden so: vvvc cvc cvcv. Durch den endenden Dichoreen (cvcv) entstand ein so lauter Beifal der Fersamlung, daß es eine rechte Freüde wa˛r. Was anders als der Numerus brachte h˛ir wol dise Wirkung herfor? ˛ cvcc cvc v Man ferendre di Ordnung der Worte, und stelle si so: vvc und es wird nichz me˛r sagen, ob w˛ir gleich dänjenigen Fu˛s zulezt hören, där Aristotelen, fon däm ich h˛ir abgehe, so se˛r gefelt. Es sind äben di Worte, äben der Sin. Der Ferstand ist befridigt; aber nicht das O ˛ r. Wi di Atleten, und fast äben so di Gladiatoren bei dem Weichen nichz mit Behu˛tsamkeit, und bei dem Angriffe nichz mit Ungestüme tu˛n, wobei ire Bewägung nicht etwas fon irer Kunst habe, so daß alles, was zum Kamfe gehört, ˛ auch für ˛ das Auge schön ˛ ist: auf gleiche Weise wird der Re˛dner nicht t˛if ferwunden; wen är sich bei dem Angriffe nicht gu˛t richtet, oder den Anfal unfermerkt genung fermeiden; wen är nicht weis, wi är mit Anstande weichen müsse. Es scheinen mir dahär di Reden därer, di ire Seze nicht mit Numerus fortragen, ˛ di Bewägung därjenigen zu haben, welche di Gr˛ichen apalestische Kemfer nennen; und es fält so f˛il, daß, wi di behaupten, welche dis aus Mangel der Anweisung, oder ires langsamen Begrifs wägen, oder auch aus Abneigung for ˛ der Arbeit, nicht erreicht haben, daß, sag’ ich, di Reden, durch di gute Stellung der Worte, geschwecht wärden, daß si f˛ilme˛r, one diselbe, weder Feüer noch Kraft haben. Und dise, di es nicht erreichen konten, lassen sich gleichwol treümen auf Einma˛l Attiker geworden zu sein. Als wen ein Trallia˛n Demoste˛n were, dessen Blize nicht treffen würden, wi si treffen, wofern si der Numerus nicht mit sich fortrisse. Wen di Teile des Grossen, ˛ sagt Long˛i n, fon einander gesondert sind; so zerfelt mit inen das Erha˛bne: wen si aber wi in Einen Leib fereint, und durch das Band der Harmoni zusammen gehalten wärden; so bekommen si äben dadurch e˛rst iren rechten Klang, und nu˛r im Perioden trägt alles das Seinige zur Erhabenheit bei. W˛ir wärden fon Natu˛r durch di Harmoni nicht blos ˛ überredet und fergnügt; sondern auch zum Grossen ˛ und zur Leidenschaft fortgeris-

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sen. Welche Wirkungen Flöte und Leier auch auf uns haben, so amen si doch nu˛r unfolkommen na˛ch, und sind keine ware der menschlichen Natu˛r gemässe Tr˛ibfädern, wen es auf di Überredung ankömt. W˛ir können also nicht zweifeln, daß di Zusammensezung, di eine gewisse Harmoni der Worte ist, welche dem Menschen angeboren sind, und i˛m auch in di Sele, nicht ins O ˛ r allein dringen, eine Harmoni, di mannichfaltige Bilder der Benennungen, der Gedanken, der Sachen, der Schön˛ heit, des Äbenma˛sses, kurz alles dessen in uns erwekt, was fon unsrer Gebu˛rt an auf uns wirkte; di zugleich mit der Mischung und Abwexlung irer Töne di Leidenschaft des Redenden in di Herzen därer, di um ˛in sind, erg˛ist, und si zur Teilnämung bringt; di durch di Ferbindung der Worte Grosses ˛ mit Grossem ˛ wi in ein Gebeüde fereint, daß dise Zusammensezung uns einnäme, uns mit Kraft und Würde und Hoheit, mit allen däm, was si in sich begreift, erfülle, und unsre ganze Sele behersche! In folgender fortreflichen ˛ Stelle Demoste˛ns: cvv ccv cvv cvc vccv cvc vcc vccv ccvv ist di Harmoni auf keine Weise unter dem Inhalte. Si beste˛t aus daktilischen Füssen. ˛ Dise sind di edelsten, und schikken sich for ˛ andern zu dem Grossen. ˛ Auch bilden si das heroische Silbenma˛s, das schönste unter dänen, di w˛ir kennen. Man näme: ccvv fon seiner Stelle, und seze es wohin man wil, z. E. cvv cvv ccvv vccv cvv cvc vcc ; oder man lasse auch nu˛r Eine Silbe weg, und mache: cvv , aus: ccvv ; und man wird sehen, wi se˛r di Harmoni mit dem Erha˛bnen übereinstimme. Denn das: ccvv (hoosper nephos) ge˛t mit der Lenge seines e˛rsten f˛irzeitigen Fu˛sses einhär. Wen man ˛im aber di eine Silbe nimt, und sagt: cvv (hoos nephos) so wird das Grosse ˛ durch dise Wegwerfung forn ferstümmelt. De˛nt man es in Gegenteile zu: cvcvv (hoosperei nephos) aus; so bedeütet es zwa˛r äben das, allein es schalt uns nicht so zu, weil das Erha˛bne durch di beiden eüsersten Lengen, welche cvc (hoosperei) hat, aufgelöst ˛ wird, und erschlaft. (Durch daktilische Füsse ˛ ferste˛t Long˛in solche, di mit den Daktilen eine gewisse Änlichkeit haben. Na˛ch der Beschaffenheit der Qantite˛t, welche di Stelle hat, konte är keine andre Änlichkeit meinen, als di des Anfangs mit der Lenge, und des Schlusses mit der Kürze. Und so müste man di Stelle in folgende künstliche Füsse ˛ teilen: cvv , ccv , cvv , cv , cv , ccv , cv , cv , ccv , ccv , ccvv . Di Teoristen der Alten (merk ich in Forbeige ˛ ˛ n an) hetten immer, auch

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für ˛ den Numerus, künstliche, oder Füsse ˛ der Regel annämen mögen; wiwol dise Metode h˛ir bei Weitem nicht so gu˛t, als bei den änlichen Fersa˛rten past: allein si hatten se˛r unrecht, wen si di künstlichen Füsse ˛ mit däm, was dadurch entstand, mit den Wortfüssen, ˛ ferwexelten, und dan den e˛rsten di Wirkung der lezten zuschriben. Und dis hat selbst Long˛in h˛ir geta˛n. Denn zu den Wortfüssen ˛ unsrer Stelle gehören unter andern: vccv (peristanta) und vcc (parelthein). Zweifelt man, ob Long˛in durch daktilische Füsse ˛ (Es endert bei der Sache nichz, daß är den Fu˛s: ccvv, indäm är sich besonders bei i˛m aufhelt, in zwei Füsse ˛ teilt.) durch daktilische Füsse ˛ den Daktilen änliche ferstehe; so kan man sich durch Folgendes aus Demetrius überzeügen. „Wen w˛ir auch, sagt diser, keine eigentliche Peone (är meint nu˛r dise: cvvv , vvvc) anbringen können; so müssen w˛ir doch wenigstens peonische Zusammensezungen machen, nämlich bald mit Lengen anfangen, und bald mit Lengen schl˛issen. So beste˛t z. E. folgende Stelle, ccvvv , cvv , cvv ; vvvcc nicht aus eidi Teofrast anfürt: ˛ gentlichen Peonen; aber si hat doch etwas Peonisches.“) So weit aus den Alten. Man kan bemerkt haben, daß inen di Sache noch wichtiger als m˛ir wa˛r; und daß si nicht immer di Wage fest h˛ilten, und scharf auf den kleinen Weiser oben sa˛n. Ich komme wider in meinen Wäg. Wär auf di Eindrükke acht gegäben hat, welche Gedichte machen, där wird bemerkt haben, (nu˛r Harthörigen oder Füllosen ˛ ist dis unbekant) daß di Eindrükke des Silbenma˛sses sterker sind, als man fermuten solte, daß si sein könten, wen man den Ausdruk, där darin ligt, an sich selbst betrachtet. Di U ˛ rsach h˛irfon scheint m˛ir folgende zu sein: W˛ir bekommen di Forstellungen, ˛ welche di Worte, irem Sinne na˛ch, in uns herforbringen, ˛ nicht föllig so schnel, als di, welche durch di Worte, irer Bewägung nach, entste˛n. Dort ferwandeln w˛ir das Zeichen e˛rst in das Bezeichnete; h˛ir dünkt uns di Bewägung gerade zu das durch si Ausgedrükte zu sein. Dise Teüschung mus dem Dichter äben so wichtig sein, als si i˛m forteilhaft ist. Bedarf Jemand noch Überzeügung, daß, wär di Wirkungen des Silbenma˛sses leügnet, nicht äben, wi es Fischart nent, sonderlich orenza˛rt sei; so kan ˛in fileicht folgende Bemerkung zurecht weisen. Der Takt ist etwas se˛r Hörbares; ˛ (oder wird auch h˛iran gezweifelt?) gleichwol schalt über seine Bewägung, wolferstanden, daß si sich gu˛t ˛ anschmige, di Wortbewägung se˛r merklich herfor. ˛ Ich meine h˛ir nicht

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di Silbenma˛sse, di mit dem Takte Einen Schrit halten, sondern ganz andre; z. E. dise beiden lirischen Ferse in F˛irfirteltakte: vvccc , vvccc , vvvccc , vvvccc . Das Silbenma˛s kan nu˛r in däm Grade wirken, in welchem es dem Inhalte angemessen ist, oder scheint; das lezte, weil das Gefül ˛ und di Einbildungskraft des Zuhörers se˛r geneigt sind dem Silbenma˛sse fortzuhelfen. Gleichwol ist auch h˛ir das Sein dem Scheinen forzuz˛ ˛ in. Aber der Dichter kan sich bei disem zur Sache gehörigen metrischen Ausdrukke nicht immer genung tu˛n. Zwei U ˛ rsachen, dafon di e˛rste seltner, und di zweite gewönlicher ˛ ist, hindern i˛n daran. Es gibt nämlich einige poetische Gedanken, für ˛ welche das Silbenma˛s keinen Ausdruk hat; und dan mus är di dem Sinne na˛ch ausdrükkendsten Wörter und Wortstellungen, dänen aber oft di passende Bewägung fält, n otwen˛ dig wälen. Denn er darf das Wichtigere dem weniger Wichtigen nicht aufopfern. Doch hat dis folgende Einschrenkung: Wen ein Wort dem ausdrükkendsten beina gleich kömt, und f˛il metrische Bedeütung hat; so ferd˛int es di Wa˛l. Denn h˛ir gewint der Dichter auf der einen Seite me˛r, als är auf der andern ferl˛irt. So bald entweder nu˛r der Zeitausdruk, oder nu˛r der Tonferhalt ˛ zu dem Gedanken past; so schalt das Passende dadurch so herfor, ˛ daß darüber das andre nicht bemerkt wird. Und dis muste so sein, wofern der Ausdruk des Silbenma˛sses nicht ferliren solte. Wen der Dichter sagt: Aber da rolte der Donner fon dunkeln Gewölken herunter. so wird über der Schnelligkeit des Zeitausdruks, weil si sich zur Sache schikt, das nicht passende Samfte des Tonferhalts ˛ nicht bemerkt. Der Fu˛s: vcv da rolte ist samft. Der Fers widerholt ˛ ˛in noch dazu bestendig; und gleichwol überwigt der schnelle Zeitausdruk. So f˛il Einflus hat es, daß diser dem Gegenstande angemessen ist. Sagt hingegen der Dichter: Da di Lüfte des Lenzes mit Blüte das Mädchen beweten. so hört ˛ man nu˛r auf das Samfte des Tonferhalts. ˛ Di h˛ir nicht här gehörige Eile des Zeitausdruks ge˛t uns nichz an. In disem Ferse: Und der Donner schlug ein, und durchschol das Geklüft. sind Zeitausdruk und Tonferhalt ˛ fereint, und wirken dahär desto sterker. Der Tonferhalt ˛ der drei lezten Füsse ˛ (des Jamben auch, weil är mit

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Anapesten ferbunden ist) drükt Heftigkeit aus. Es ferendert h˛ir beina nichz, daß di beiden e˛rsten dis nicht tu˛n. Denn di herforschallenden ˛ Füsse ˛ (h˛ir sinds di drei lezten) gäben dem Tonferhalte ˛ eines Ferses seine Bestimmung. In dem Ferse: Da Waldströme durch Felsklüfte sich härwelzten. hören w˛ir, dem Tonferhalte ˛ na˛ch, das Gehinderte der Bewägung, und dem Zeitausdrukke, ire Langsamkeit. Ferner in disem: O Weklage, di aufsteigend fom Abgrunde. dem e˛rsten na˛ch, Unru der müden Qa˛l, und dem zweiten, das Langsame diser Ermüdung. Wen das Silbenma˛s dem Inhalte nicht angemessen ist; (so oft ich fom Angemesnen rede, begreif ich den Schein mit darunter) so ferl˛irt es, weil es, ununterstüzt fom Inhalte, nicht Bedeütung genung hat, das meiste fon seiner Wirkung. Und es ist auch gu˛t, daß dis gesch˛it. Denn sonst würde man di Abweichung zu se˛r bemerken. In dem angefürten ˛ Falle hört ˛ man nu˛r so obenhin auf das Silbenma˛s. Es ist dan Näbensache, auf di man allein in so fern achtet, als man an allem, was durch Bewägung Läben zeigt, Geschmak findet. Man s˛it, daß ich h˛ir nicht fon dänen rede, welche mit der Teori des Silbenma˛sses bekant sind. Denn dise haben sich angewönt ˛ auf den Fers genau acht zu gäben; und inen macht är auch one Rüksicht auf das, was är ausdrükken sol, Fergnügen. Dahär di Ausrufe über di schönen Ferse der Alten überhaupt. Und gleichwol solte man bei dänen Fersen schweigen, di iren Gang für ˛ sich ge˛n, und den Inhalt seiner Wäge ge˛n lassen. Das nicht angemesne, oder getrente Silbenma˛s misfelt, wen es so starke metrische Bedeütung hat, daß es durch di Trennung nicht genung fon seiner Wirkung ferl˛irt. Wen z. E. f˛il Abstechendes des Tonfer˛ halts, oder grosse ˛ Langsamkeit des Zeitausdruks mit einem Inhalte, der disem widerspricht, gehört ˛ wird; so felt es auf, daß dis nicht zusammen passe. Aber nicht nu˛r föllig widersprechendes, sondern auch merklich abweichendes Silbenma˛s gehört, ˛ wen es f˛il Bedeütung hat, h˛irhär. Es scheint m˛ir nicht, daß der Ausdruk, dän der Tonferhalt ˛ hat, könne übertriben wärden; aber der Zeitausdruk kans. Man kan zu schnelle, oder zu langsame Ferse machen. Di neüern Teoristen wissen so wenig, was der so genante läbendige

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Ausdruk sei, daß si nu˛r den übertr˛ibnen Zeitausdruk so nennen. Di Teoristen der Alten waren auch nicht f˛il weiter gekommen. Ob der Ausdruk, dän der Tonferhalt ˛ hat, nicht zuweilen auch läbendig zu heissen ferdine, ist eine Frage, auf dären Beantwortung sich File blos ˛ deswägen nicht wärden einlassen wollen, weil si kein gr˛ichischer oder römischer Kritikus geta˛n hat. (Si konten si nicht einma˛l tu˛n, weil si den Tonferhalt ˛ zwa˛r wol manchma˛l fülten, ˛ aber nicht kanten.) Auch ich mag mich auf dise Frage nicht einlassen, allein aus einer ganz andern U ˛ rsache. Ich glaube nämlich, daß si di Dichter, di alten und unsre schon ˛ beantwortet haben. Der läbendige Ausdruk mus fornämlich ˛ auch dem Inhalte angemessen sein. Är ist dis aber besonders alsdan nicht, wen jener nicht wichtig genung ist, um durch so etwas Heraushäbendes, als der läbendige Ausdruk hat, unterschiden zu wärden. Es ist überhaupt nicht leicht di Bewägung des ungetrenten Silbenma˛sses iren Tanz so halten zu lassen, daß man si in Wendungen leitet, di weder Anstrengung noch Schweche zeigen, und den Zeitausdruk und Tonferhalt ˛ mit gleichem Schritte fortfürt; ˛ oder da, wo nu˛r der eine fon beiden zum Inhalte past, dafür ˛ sorgt, daß der passende recht weit forträte, ˛ und der andere darüber desto weniger bemerkt wärde. Ich nenne dis follendete metrische Schönheit. ˛ Ungeblendete und sorgfeltige Untersu˛cher wärden finden, daß soga˛r di Dichter der Alten nu˛r zuweilen, und selbst Home˛r nu˛r f˛il öfter, als di andern diser Forstelung ˛ fon der metrischen Schönheit ˛ genung geta˛n haben. Denn auch Home˛rs Ferse gehen nicht selten iren Wäg für ˛ sich; und lassen den Inhalt den seinigen ge˛n: oder si gehen ga˛r geradezu gegen den Inhalt an. Und gleichwol durfte Home˛r den Wörtern Silben gäben oder nämen, und konte also di dem Sinne na˛ch ausdrükkendsten für ˛ den mitgehenden Fers bilden. Überhaupt gelten h˛ir das Öfter oder Seltner, und das Me˛r oder Weniger so se˛r, und das Z˛il, di durchgengige follendete Schönheit ˛ des Silbenma˛sses, ist so unerreichba˛r, daß man so ga˛r weit dafon der nächste sein kan.

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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Über di deütsche Rechtschreibung. Mit Zusezen, di im Anfange und am Ende durch Punkte bezeichnet sind. ______________________

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Zweites Fragment. ____________ Germani primi, a renovatis artibus, ausi Mansurae propriâ tantum signare figurâ Vocis quemque sonum, semotis pluribus umbris. ____________ Deutschland geste˛t, durch di algemeine Rechtschreibung, gewissen Gegenden di richtige Ausspra˛che zu. In einigen Gegenden hört ˛ man auch oa, ua, ie, chch, scht, dis an der unrechten Stelle, sg, und was sonst noch fon där Art ˛ sein mag; allein Nimand schreibt das. Anderswo hört ˛ man es zwa˛r nicht me˛r; aber man hört ˛ da auch weder eu, (eigentlich eü) noch ö, noch ü, noch g. Gleichwol schreibt ganz Deütschland d˛i se Bu˛ chstaben. Wider in andern Gegenden hört ˛ man di lezten, one di e˛rsten. Dis sind also di Gegenden, welchen Deütschland, durch di algemeine Rechtschreibung, di richtige Ausspra˛che zugeste˛ t. (Ich wärde dise in Folgendem gewönlich ˛ schlechtweg di Ausspra˛che, und was dafon abweicht, Aussprecherei nennen.) W˛ir müssen di Ausspra˛che noch etwas näher bestimmen, in so fern si nämlich geschriben wärden kan. Denn das Feinere, wozu w˛ir keine Zeichen haben, gehört ˛ nicht h˛irhär. Auch d und t, b und p, di man in dänen Gegenden fast immer ferwexelt, in welchen eü, ö, ü, und g der Spra˛che zu fälen scheinen, lest si da hören, wo di algemeine Rechtschreibung si sezt; aber nu˛r im Anfange der Silbe. H˛irhär gehören auch di d und b mit dem Häkchen, dem Zeichen des

Z. 11: (geste˛t) Ich habe dis Zeichen gewält, den Ton ˛ der Denung anzudeüten. Man ist durch das Französische (und Gr˛ichische) schon ˛ an eine Bezeichnung unter dem Bu˛chstaben gewönt. ˛ Dis kan dazu beitragen den Eindruk des Ungewönlichen ˛ zu schwechen.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

weggeworfnen e. Denn si fangen nu˛n di folgende Silbe an. Man spricht Im Bad’ erkeltet aus, als ob man geschriben hette: Im Baderkeltet; und: Lib’ erh ört, ˛ als ob es geschriben were: Li-berh ört. ˛ Am Ende der Silbe, das ist, unmittelba˛r na˛ch dem Selbstlaute, oder auch na˛ch dazwischen stehenden Mitlauten, wärden gewönlich ˛ nu˛r t und p gehört, ˛ wi man auch schreibe. Das Ba˛d, und är ba˛t, file sind, und är sint; gib, Lip-pen gleichen sich föllig. Ausnamen sind: Wid in Widder, Krab in Krabbe, und solchen; ferner sch˛i d in fersch˛i dnen, bl˛i b in gebl˛i bnen, und solchen. Di fon der lezten A˛rt machen eine z˛imliche Za˛l aus. Desto besser für ˛ den Wolklang. … Wär zu hören glaubt, daß in sind und solchen d fon t unterschiden sei, där mus in Gegenden läben, wo man das lezte ausserordentlich stark ausspricht. Ich hab’ es ni so gehört ˛ … Noch ein Wort fom Unterschide des d und t. Man schreibt besser Deütsche, als Teütsche, (es fält nu˛r noch, daß man der Aussprecherei gemäs ga˛r Teitsche schreibe,) weil es in den Gegenden der guten Ausspra˛che so lautet. Ausser däm wird dis auch, wenn es nu˛ n anders noch Bestätigung bedarf, zwa˛r nicht durch di algemeine, aber doch durch di me˛ rstimmige Rechtschreibung bestätigt. Unser Geschreibe, zu Odfr˛ids und solchen Zeiten, das überhaupt, und auch h˛ir schwankt, oder ga˛r di Rechtschreibung der Auslender wird h˛ir denn doch wol nicht mit in Betrachtung kommen sollen? Auch das g wird gewönlich ˛ nu˛r im Anfange der Silbe (anderwerz lautet es da j oder k) recht ausgesprochen. Denn man spricht am Ende der Silbe Sig wi S˛i ch aus; (anderwerz wi S˛i k) ferner Gesang, wi Gesank. (So auch in andern Gegenden.) Was das g betrift, darf an der Rechtschreibung nichz geendert wärden. Denn was sol man wälen? Etwa das ch der guten, aber h˛ir auch, und nu˛r auf andere A˛rt, fälenden Ausspra˛che? Ich wünschte, daß uns di Beibehaltung des End-g ein Wink würde, seine durchgengige rechte Ausspra˛che (si ist zwischen j und ch) entweder wider härzustellen, oder damit anzufangen. Denn Gesang, klingt ja besser, als Gesank, und selig besser, als selich. In der Endung ung, und in Wörtern wi sing hört ˛ man das End-g richtig. Dis g könte unser Schibolet wärden, mit dem Unterschide fon dem englischen th, daß unsers angenämer klenge. Das schl˛issende h sah froh, (oder auch das na˛ch dem Mitlaute Rhein) kan nicht ausgesprochen wärden. H ist schon ˛ for ˛ dem Selbstlaute ein leiser Hauch; und hinter i˛m ferschwindet är. Also sa, fro.

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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Das ff spricht man in Wörtern, di nicht zusammen gesezt sind, na˛ch einem Doppellaute oder Mitlaute nicht aus, wen gleich ein Selbstlaut folget. Lau-fen, nicht lauf-fen. Dürfen nicht dürf-fen; aber auffallen. Das p in pf wird, wen dis di Silbe anfengt, oder si, na˛ch einem andern Mitlaute, endet, jezt nicht me˛r ausgesprochen. Also solte man auch nicht me˛r Pfender, Pfründe, sondern Fender, Fründe; nicht stumpf sondern stumf schreiben, damit di Leüte nicht immer wider aufgefodert würden, dise feraltete Herte zu bearbeiten. … Selbst di Wenigen, welche die Ausspra˛che des p h˛ir für ˛ regelmässig halten, lassen es nur dan hören, wen si äben daran denken, daß si es tu˛n müssen. Diser Übelklang ferunstaltet so ga˛r den Mund durch den Zusammendruk der Lippen. … Das ss zwischen zwei Selbstlauten wird ausgesprochen. Fl˛i ssen, beflissen. Dis können gleichwol in gewissen Gegenden so ga˛r di Grammattiker nicht fon Flisen unterscheiden. Ich hoffe disen wenigstens begreiflich zu machen, daß es aussprechba˛r ist, wen si es auch nicht aussprechen können. (Ich weis nicht, ob si etwa s schon ˛ so stark aussprechen, daß ss Herte sein würde.) Unsre lange Silbe hat dreierlei Töne, den ofnen, den gede˛ nten, und den abgebrochnen. W˛ir wollen si mit allen Selbstlauten hören: Ofner T on ˛

gede˛ nter

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Ein Selbstlaut (endet di Silbe) Ka – ne Le – re Ä – re Rö – re Fli – sen Drü – sen Tro – ne Spu – ren

Ein (Mitlaut) Ka˛n le˛r Bär schön ˛ Fl˛is – sen süs ˛ Tron ˛ U ˛r

Ein (Mitlaut) kan West (ä kan ˛in nicht haben) gön – te beflis – sen müs – sen kon – te mur – ten

W˛ir haben auch halbe Denungen. H˛irfon weiter unten. Unsre Grammattiker faren noch immer fort fon einander abzuschreiben, (mich deücht ich hab’ es noch for ˛ einem pa˛r Jaren wo gefunden)

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daß dijenigen Lengen, dären Modifikazi on ˛ im Abbrechen des T ons ˛ beste˛ t, Kürzen sind. Si gehen dabei ga˛r so weit, daß si den Selbstlaut derselben kurz nennen. Gleichwol hatten nu˛r di Gr˛ichen auch kurze Selbstlaute; und w˛ir haben lauter zweizeitige. Jener Saz fon einer Kürze, di keine Kürze ist, scheint zue˛rst aus einer gr˛ichischen Grammattik dadurch in eine deütsche gekommen zu sein, daß Jemand gemeint hat, w˛ir hetten, wi di Gr˛ichen, auch kurze Selbstlaute. Und so ist denn on ˛ Untersu˛chung des Dings bis auf unsere Zeiten damit fortgefaren worden. Es hatte unsern Grammattikern freilich Nimand gesagt, daß es bei der deütschen Lenge hauptsechlich auf den Ton ˛ ankeme, und daß diser Ton ˛ drei Modifikazionen hette; gleichwol hetten si sich denn doch darüber erklären sollen, was si eigentlich damit meinten, daß si di angefürte, ˛ äben so ware Lenge, als es di mit dem ofnen und dem gede˛nten Tone sind, zur Kürze machten. In stand, spra˛ch, schlug, schnit, schmidete, schwam und solchen, hören w˛ir weder das Lispeln des s noch das Zischen des sch; (Ich meine kein eigentliches Lispeln, oder Zischen) w˛ir hören einen Mittelklang zwischen beiden. Es were, mich deücht, so übel nicht, wen w˛ir ein eigenes Zeichen zu disem Mittelklange hetten. Da w˛ir aber keins haben; so ferlont ˛ sichs, denk ich, der Mühe nicht, entweder in schtand, schpra˛ch, oder in snit u. s. w. zu ferendern. Man kan nicht wissen, ob di Aussprecherei den Ton ˛ der Denung da überal auch, und nu˛r da hören lasse, wo es di Ausspra˛che tu˛t. Denn zu dem Gewirre der bishärigen Tonbezeichnung ˛ gehört ˛ auch das mit, daß der gede˛nte Ton ˛ oft unbezeichnet bleibt. Durchgengige Bezeichnung würd’ uns in den Stand sezen, di Stimmen über disen Ton ˛ zu sammeln. Seine öftere Widerkumft gehört ˛ zum Wolklange ˛ einer Spra˛che. Ich habe, na˛ch langem Herumhören, gefunden, daß eu fon äu (oder, wi man schreiben solte eü, äü; h˛irfon herna˛ch) Leute fon läute nicht unterschiden sei. Wär m˛ir in disem Punkte, oder in andern na˛chuntersu˛chen wil, mus nicht fragen: Wi man dis oder jenes ausspreche? sondern är mus zuhören, wi man es ausspricht, wen man nichz dafon weis, daß darauf acht gegäben wird. Genung fon Bestimmung der Ausspra˛che. H˛irmit wil ich gleichwol nicht sagen, daß nicht noch in Folgendem dis und jenes dafon forkommen ˛ wärde. 1.) „Der Zwek der Rechtschreibung ist: Das Gehörte ˛ der guten Ausspra˛che na˛ch der Regel der Spa˛rsamkeit zu schreiben.“

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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Den Zwek, denk ich, wollen w˛ir Alle; ob aber auch di Mittel … wird sich zeigen. 2.) „Kein Laut darf me˛r als Ein Zeichen; und kein Zeichen me˛r als Einen Laut haben.“ Wen der Laut f auch durch v und ph angedeütet wird, so hat är drei Zeichen; wen der Laut m auch durch das Zeichen n, so hat jener zwei Zeichen, und dises zwei Laute; und wen e auch durch ä und umgeke˛rt, so bezeichnen beide doppelt, und beide sind zweilautig. Weren unsre überzäligen Bu˛chstaben nu˛r dis, und könte man si also, einen für ˛ den andern, na˛ch Beliben brauchen; so mögt es damit zur Not ˛ noch ge˛n: aber si haben ire angew˛isnen Stellen, und di mus man, on ˛ alle U ˛ rsach der Anweisung, gröstenteils bl os ˛ durch Hülfe des Gedechtnisses kennen. Ich glaube dahär, daß w˛ir es lange genung damit ausgehalten haben. Auch solten w˛ir aufhören di Bu˛chstaben me˛ rlautig zu brauchen. W˛ir müssen weder ferschwenden, noch geizen. a) Also nu˛r k und z, und nicht auch c, oder ga˛r das wi z auszusprechende t. Blikken, Zizero, Proporzi on, ˛ nicht Blicken, Cicero, Proporti on. ˛ e) Nu˛r t und nicht auch dt und th. Br ot, ˛ Ra˛t; nicht Br odt, ˛ Ra˛th. Ausser wo d etwan einma˛l for ˛ t gehört wird. ä) Nu˛r i und nicht auch y. Sei, nicht sey. ö) Nu˛r M, und nicht zugleich auch s. Wa M nicht was. Wozu brauchen w˛ir Endbu˛chstaben, da w˛ir di Wörter schon ˛ durch den gelasnen Zwischenraum fon einander trennen? Und wen w˛ir gleichwol welche brauchen; warum haben w˛ir denn nu˛r disen Einen? Überdis ferl˛irt auch das Auge äben keinen schönen Bu˛chstaben an dem s. Es endet zwa˛r auch di Silben; aber es ist auch h˛ir fon keinem Nuzen. Denn wär spricht Mis-laut und Mi M-laut ferschiden aus? Dazu kömt, daß man, wen dis s bleiben sol, auch mis- Men, wis- Men u. s. w. schreiben mus. W˛ir solten zu unsern Esch, das se˛r weitleüftig s-c-h geschriben wird, und überdis das c beibehelt, ein andres Zeichen haben. So lange aber das fält, schreibt man, als Ausname Flüschen u. s. w. auch Lispeln, damit das sp nicht, wi in Sp˛i l, Li- Mpeln ausgesprochen wärde. i) Nicht ph, und nu˛r entweder f oder v. Ph wird man leicht aufgäben; aber unter f und v wird man nicht wälen können. Und gleichwol ist di

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Abschaffung des Einen beina notwendig. ˛ Denn wi müsam erlernt man nicht, ob ein Wort f oder v haben müsse, weil ga˛r kein Grund da ist, das eine oder das Andre zu sezen. Zu wissen, wo f oder v hingehöre, ist allein f˛i l schwerer, als di ganze Rechtschreibung, di ich for˛ schlage. Man denke sich in di Zeit zurük, da man es gelernt hat, oder an di Stelle eines Auslenders, där es lernen wil. Ich finde h˛ir keinen andern Auswäg, als daß Jedem frei stehe, entweder f oder v allein zu brauchen. Eine solche Ungleichheit der Rechtschreibung ist f˛il besser, als eine müsame, und auf nichz gegründete Gleichheit. (Es ferste˛t sich von selbst, daß di deütschen Namen so wol h˛ir, als sonst überal ausgenommen wärden.) ü) Nicht manchma˛l auch ä für e, und umgeke˛rt Beche nicht Bäche; Räben nicht Reben. (H˛irfon herna˛ch, wo fon der Ableitung etwas zu sagen sein wird.) o) Nicht zuweilen auch n für m. Samft, nicht sanft. … Man betrügt sich, wen man sanft auszusprechen glaubt. Denn es wird sanneft mit einem leisen e daraus. In Fernumft (fon fernämen) und solchen, kommen Ableitung und Ausspra˛che überein … u) In ei klingt e, wi a mit wenig geöfneten Munde, oder wi ein halbes a. H˛ir hette also a me˛r als Ein Zeichen, nämlich auch e; und e me˛r als Einen Laut. Gleichwol, denk ich, behelt man h˛ir das e. Denn sonst mögten sich File einbilden, das si das ganze folle a müsten hören lassen. Überdis ist di Abweichung fon der Regel genau bestimt. Denn nu˛r in dem Dopellaute ei (und eü) klingt das e wi ein halbes a. Aber w˛ir müssen auch nicht me˛r Hain u. s. w. schreiben, weil Hain und Hein äben denselben Klang haben. Da w˛ir einmal e zur Bezeichnung des halben a, for ˛ i, brauchen; so können w˛ir es auch for ˛ ü. Also Leüte, wi es ausgesprochen wird, und dahär auch geschriben wärden mus. Denn eu kan kein Doppellaut sein. Das u, wi se˛r man auch damit eile, wird doch besonders gehört ˛ Leute. (Man wird äben so wenig ge-übt: geübt läsen, als man jezt beurteilt: beurteilt list.) Aus gleicher U ˛ rsach müste man auch nicht läute sondern läüte schreiben. Da aber läü fon leü nicht unterschiden, und äü also überflüssig ist; so ge˛t uns auch seine Schreibung weiter nichz an. Man glaubt fileicht, daß man nu˛n durch das Schreiben nicht zeigen könne, daß äu fon au z. E. Gesträuch fon Strauch abstamme. Es gehört ˛ zwa˛r nicht mit zur Rechtschreibung, Abstammung anzuzeigen; gleichwol wird si es in unserm Falle doppelt. Strauch, Ge-

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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streüch. Das folle a wird in e, oder das halbe, und u in ü ferwandelt. Eüch, feücht klingt zwa˛r wi Gestreüch; aber h˛ir ist ja nicht di Rede fon der Abstammung. Es ist mit Gestreüch und eüch wi mit dem abgeleiteten Röte, und den Stamwörtern öde, sch ön. ˛ 3 „Me˛r Laute, di oft fereint widerkommen, dürfen Ein Zeichen, oder man darf Schreibferkürzungen haben.“ W˛ir haben x, für ˛ ks; (oft wird auch chs so ausgesprochen) z, für ˛ ts; und tz, für ˛ tts. Wen w˛ir noch eine machen wolten; so würd’ ich se˛r für ˛ das en sein, womit unsre Wörter so oft schl˛issen. Ich sehe nicht, warum man z nicht überal, und also auch hinwerz, stez, nichz u. s. w. schreiben sol. Wen man fortfärt es h˛ir und da wegzulassen; (und warum in disem Falle z. E. nicht in tsu?) so erschwe˛ rt man di Sache, weil nu˛n Ausnamen gelernt wärden müssen. Das x brauchen w˛ir beina ga˛r nicht. W˛ir solten es liber abschaffen, als es nicht überal sezen, wo es hingehört, ˛ als Wexel drexeln u. s. w. … Ich wolte, so f˛il m˛ir nu˛r immer möglich were, fon der jezigen Rechtschreibung beibehalten. Aus diser U ˛ rsach hab’ ich es in Folgendem ferse˛n. Ich schr˛ib z. E. das ferkürzte fl˛i t es nicht, wi ich hette tu˛n sollen, fl˛i z, sondern fl˛i ts; so auch nicht Lichz Wollauz, sondern Lichts, Wollauts, u. s. w. Ferner nicht, wi ich gleichfals hette tu˛n sollen, Glüx sondern Glüks u. s. w. Ich gestehe übrigens gern, daß Glüx ganz anders auss˛it, als Glücks; und daß fl˛i z für ˛ flieht’s noch f˛il weiter fon dem Gewönlichen ˛ abweicht. Ich leügne äben so wenig, daß mein Auge durch alles dis Ungewönliche ˛ anfangs auch beleidigt wurde. Aber das wa˛r bald forbei. ˛ Jezt se ich es gern so rein for ˛ m˛ir, wi mans hört, ˛ und spricht. Man kömt m˛ir zuweilen mit den Englendern und Franzosen, und sagt, daß di es noch f˛il toller machten wi w˛ir. Ein Grund sol dis doch wol nicht sein? Nu˛n ein Trost ˛ denn. Aber wen w˛ir es nu˛n wi di Gr˛ichen und Römer machten, und dan nicht nötig hetten ˛ … uns zu trösten? Q müssen w˛ir entweder als überflüssig wegwerfen; oder es, durch Weglassung des u, zu einer Schreibferkürzung machen. Qelle, nicht Quelle. Das tz für tts behalten w˛ir nicht bei, weil dise Herte nicht me˛r ausgesprochen wird. Man kan nicht einwerfen, daß, wen man z. E. nicht settsen, sondern setsen schreibe, se˛ t-sen oder ga˛r se-tsen würde ausgesprochen wärden. Denn es kömt Nimanden ein dis zu tu˛n, weil di

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Ausspra˛che wi set-sen (fileicht bis auf ein pa˛r Wörter, di man durch das Tonzeichen ˛ unterscheiden müste) durch di ganze Spra˛che ge˛t. Überdis hört ˛ man das, one N ot, ˛ zur Hülfe geru˛fne tz z. E. in set-tsen fon Nimanden, so daß das t des tz in Grunde nicht Schreibferkürzung, sondern Schreibferlengerung ist. Man hatte schon ˛ ema˛ls for, ˛ das tz abzuschaffen; aber man bildete sich ein, daß an seine Stelle zz NgesetststM wärden müste. Ich kan bei diser guten Gelägenheit nicht unterlassen, di, welche zu unsrer Zeit solche F orschläge ˛ tu˛n würden, zu bitten sich in di Sache der neüen Rechtschreibung liber ga˛r nicht zu mischen. 4. „Fon den drei fersch˛idnen Tönen unsrer langen Silbe wird nu˛r der Ton ˛ der Denung (auch der halben) bezeichnet.“ Sa in sa-hen kan Nimand anders aussprechen, als es lautet; es hat also kein Zeichen nötig: und so bald man sa˛n (sahn) oder san (sann) bezeichnet; so ferste˛t sichs fon selbst, daß das unbezeichnete nicht den Ton ˛ des bezeichneten habe. Es braucht also nu˛r Ein Ton ˛ das Zeichen. Am besten bekömt es der gede˛nte. Denn diser komt nicht so oft, als der abgebrochne for. ˛ Überdis sind auch noch drei Felle, in welchen es nicht nötig ist ˛in zu bezeichnen. Der e˛ rste Fal: Wen i˛n Doppellaute haben. Denn dise können überhaupt, in Ansehung des Tons, ˛ nicht anders ausgesprochen wärden, als man si ausspricht. Der zweite: Wen ˛in ä hat. Es hat ˛in aber alzeit, wen ein Mitlaut di Silbe schl˛ist, zu där es gehört. ˛ Denn der abgebrochne Ton ˛ kan h˛ir nicht ausgesprochen wärden. Der dritte: Wen i˛n eine Silbe hat, auf dären Selbstlaut unmittelba˛r g folgt. (Di richtige Ausspra˛che des g wird h˛ir forausgesezt.) Denn nu˛n mus di Silbe di Denung bekommen. Es wa˛r forhär ˛ auch fon der halben Denung di Rede. Dise hat di Silbe mit g (es ferste˛t sich di lange) durchgengig. Denn der Ton ˛ der Denung schalt mit dem Mitlaute aus; und das gu˛t ausgesprochne g hat zu disem Ausschallen nu˛r wenig Haltung. Man spreche getragnen, gebognen, gedignen aus, und höre, was ich meine. (B s

Z. 256: (fileicht) Wen dis Wort so geschriben wird, sagt man, so ge˛t ja ein Stambu˛chstaben, där noch dazu ein Mitlaut ist, ferloren. Als wen dis nicht auch sonst geschehe? Unser jeziges eilf (man solte elf schreiben) h˛is ema˛ls einlif.

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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und d nähern sich diser samften Ausspra˛che, in solchen wi erha˛bne, gew˛i sne, A˛ dler.) Ich merke h˛ir noch an, daß das gu˛t ausgesprochne g nicht nu˛r an sich selbst angenäm klingt; sondern daß es auch fon dem Wolklange, ˛ dän di Denung hat, bestendig begleitet wird. Auch einige zweizeitige Wörter und Silben haben den Ton ˛ der Denung, aber nu˛r der erwänten halben, da nämlich, wo si kurz gebraucht wärden. Eilten i˛ m zu. Ging är hinab. Denn so bald si lang sind, bekommen si di folle Denung. Man s˛it, daß so wol di ganze, als di halbe Denung nu˛r da bezeichnet wärden, wo es nötig ist. Denn wozu auch da Bezeichnung, wo di Denung nicht unausgesprochen bleiben kan? W˛ir haben bishär so wol den abgebrochnen, als den gede˛nten Ton ˛ bezeichnet, und disen so ga˛r auch da noch, wo är in äben dem Worte zum ofnen Tone geworden wa˛r. Dise Bezeichnung ist also oft teils unnötig, teils unnötig und falsch zugleich. Unnötig in Ansehung des abgebrochnen Tons. ˛ Denn na˛chdäm sa˛n bezeichnet ist, so darf nu˛n das a in san nicht wi in sa˛n, und überdis kan es nicht wi in sa ausgesprochen wärden. Unnötig und falsch zugleich in Ansehung des nu˛n ofnen Tons ˛ eines Wortes, das forhär ˛ den gede˛nten hatte. Denn der ofne braucht überhaupt keine Bezeichnung; und der nu˛n nicht me˛r gede˛nte durfte nicht, als ein solcher, bezeichnet wärden. Stroh klingt in Strohmes nicht me˛r, wi es in Strohm klang. Wozu also das bleibende Zeichen? Etwa, daß man lerne, das umgeendete Wort sei noch dasselbe? W˛ir bezeichnen jezt den gede˛nten Ton ˛ so: a bald durch h und bald durch noch ein a. Strahl, Saal. e wider h oder ee. hehl, scheel. i bald durch h und bald durch ein hinzugeseztes e. ihn, fiel. o wie a, und e. hohl, Schoos. u nu˛r durch h. So auch ä, ö, und ü. Und da mus man denn nu˛n bl os ˛ auswendig lernen, denn Gründe gibt es h˛ir nicht: Ob h, oder e, oder der widerholte ˛ Selbstlaut, oder ob keine Bezeichnung, (nu˛r i hat si alzeit) oder ob eine an di unrechte Stelle (auch dise hat i alzeit) zu sezen sei? Ich merke noch an, daß w˛ir so ga˛r di unferenderliche Kürze, obgleich ˛ir Hauptuntersch˛id fon der Lenge darin beste˛t, daß si tonl ˛ os ˛ ist, mit dem Tone der Denung schreiben. Die Sache.

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Den abgebrochnen Ton ˛ bezeichnen w˛ir durch Ferdoplung des Mitlautes, där di Silbe endet. Nimm, ob es gleich nämen, und nicht nemmen heist; Schrifft u. s. w. Auch h˛ir wird oft nicht bezeichnet. Genom-men ist es nicht; genomm-men were es e˛rst. (Man hette nimstt nicht nimmst schreiben sollen. Denn di Ferdoplung des Endbu˛ chstabens bezeichnet ja den abgebrochnen Ton.) ˛ Allein di Ferdoplung sol auch Bezeichnung der Ableitung sein, als Tritt, damit man nicht Tri-tes umende. Aber wär tu˛t denn das, wen är auch noch so unbekant mit der Ausspra˛che, und mit den Regeln der Ableitung ist? Wozu also Zurechtweisung in einer Sache, in där selbst der Unwissende nicht irt? Und däm, där Ris-se nicht anders, als Ri-se forbringen ˛ kan, würd’ es ja doch zu nichz helfen, wen man i˛n durch di Schreibung Riß auch noch so gern zurecht wise. … Da w˛ir soga˛r di Modifikazionen der Lenge bezeichnen; so solten w˛ir auch für ˛ di richtige Ausspra˛che der zweizeitigen Wörter und Silben, in Fersen wenigstens, durch eine Bezeichnung sorgen. Si sind zwa˛r durch Stellung, Na˛chdruk und Leidenschaft fast überal bestimba˛r; allein Filen sind dise Bestimmungen, besonders di der Stellung, noch ein unerhört ˛ Ding. Ich wärde kümftig da, wo me˛r zweizeitige Wörter bei einander ste˛n, das langgewordne beizeichnen. Es ferste˛t sich dan fon selbst, daß di unbezeichneten kurz sind. Ich bin noch ungewis, wi weit ich in der Sache ge˛n wil. Denn ich mögte gern nu˛r di feineren Zweifel des O ˛ rs häben. Ich wärde z. E. bezeichnen, wen ein Hexameter so anfengt: c Wanten si ch zu dem Berge. Aber mus ich es auch, wen är so anfengt: Wanten sich zu dem Gebirge. Denn jeder, där den Fers nu˛r ein wenig kent, weis ja, daß zu h˛ir lang sei. Mus ich es ferner auch, wen der Anfang diser ist: Wanten sich na˛ch dem Berge. Denn h˛ir schalt ja das gede˛nte na˛ch so herfor, ˛ daß di Stellung des sich (es folgt auf eine unferenderliche Kürze) ire Wirkung darüber ferl˛irt. Auch di e˛rste und di forlezte ˛ Silbe? Auch in den gleichen Fersa˛rten, wo immer äben diselbe Strofe widerholt ˛ wird? Und selbst da, wo Na˛chdruk oder Leidenschaft se˛r stark sind? …

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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5. „Man nimt di waren Ableitungsregeln bei der Rechtschreibung zu Hülfe.“ H˛ir ist nicht fon där Kentnis der Ableitung, di der Spra˛chuntersu˛cher haben mus, und durch di är z. E. weis, daß frisch fon dem alten Fera (Sele, Läben) härkomme, oder daß öde in Einöde nichz anders sei, als unser jeziges heit oder keit: sondern es ist nu˛r fon däm Wenigen diser Kentnis di Rede, das man bei der Rechtschreibung nicht wol entbären kan. Und dis beste˛t fon ungefär in Folgendem: A wird zu ä, und zu dem mit ä na ferwanten e. Sa˛l, Säle, Saz, Seze; Fach, Fecher; Bach, Beche. Doch ich sol doch wol nicht ein kleines Wörterbu˛ch fon nicht geschr˛i bnen, aber ausgesprochnen Ferenderungen des Stam-a in e härsezen? Ich brauchte kaum fortzufaren; aber ich wil gleichwol di Regel, in Absicht auf e, (nu˛r h˛ir ist es nötig) erweisen. Ä, und der abgebrochne T on ˛ können nicht zugleich ausgesprochen wärden. Also ist es misferstandne Ableitung, wen man Silben, di mit einem Mitlaute enden, (nu˛r dise kommen h˛ir in Betrachtung) und di den abgebrochnen Ton ˛ haben, mit ä schreibt. Denn h˛ir mus entweder ä, oder der abgebrochne Ton ˛ wegfallen. Es gibt kein Drittes. Man spreche ä in Länder aus, und di Silbe bekömt den gede˛nten Ton: ˛ zu dem abgebrochnen hingegen past das e Lender. (Es endert bei der Sache nichz, daß es auch zu dem gede˛nten past.) Es ist übrigens freilich f˛il leichter nu˛r immer ä fon a abzuleiten; aber was ligt denn an der Leichtigkeit eines Wäges, där das Z˛il ferfält. E wird zu i, und zu dem mit i na ferwanten ü. Gelten, gilt, gültig. O nu˛r zu ö. R ot, ˛ röter. U nu˛r zu ü. Bu˛ ch, B ücher. ˛ Wär der Ableitung unkundig, meint, daß a nu˛r zu ä wärden könne, glaubt dis wol blos ˛ deswägen, weil är ä zur Helfte wi a geschriben s˛i t. Är lest das Auge in Sachen des O ˛ rs urteilen. Oder helt man ga˛r etwa noch dafür, ˛ daß ä ein Doppellaut sei, und dahär der Selbstlaut e seine Stelle nicht einnämen dürfe? Wen man sich na˛ch diser falschen Ableitungsregel richtet; so fürt ˛ man di gerade zu irre, welche di Ausspra˛che aus Büchern ˛ lernen müssen. Es ist m˛ir ga˛r nicht unbekant, daß, na˛ch der waren Ableitungsregel, der Konjunkt˛if fon na˛m, neme; und där des nimt näme geschriben

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wärden mus; dis lezte, weil es nämen h˛is. Aber was tu˛t denn das? Denn alles, was h˛ir ferse˛n wird, wen es anders etwas wird, das fers˛it ja di Ausspra˛che. Und mit där mag ich wol Unrecht haben. Doch es ist kein Unrecht da. Der Saz ist: Es sol Untersch˛id zwischen den beiden Konjunktifen sein. Allein disen Untersch˛id macht ja di Ausspra˛che, obgleich auf andere A˛ rt, als es di wollen, di äben darin irren, daß si nu˛r ä fon a abstammen lassen. H˛ir macht si ˛in so; und dort wider so: aber si macht i˛n. nimt ccc näme na˛m ccc neme H˛ir also durch ä und e; aber freilich in Widerspruche mit der misferstandnen Ableitung. Denn dise ferlangt nimt ccc neme na˛m ccc näme Si macht i˛n ferner in trift ccc treffe tra˛f ccc trefe durch den abgebrochnen, und den ofnen Ton. ˛ Ferner in spricht ccc spreche spra˛ch ccc spre˛ che durch den abgebrochnen, und den gede˛nten Ton. ˛ Aber wen si denn nu˛n auch etwan einma˛l nicht unterschide; was we˛r es denn? Und wen ich dis nu˛n ga˛r nu˛ r in Bezihung auf zwei oder drei der Zeitwörter mit dem Umlaute sagte, di im Konjunktife der jezigen und der forigen Zeit e haben. Ich mag es kaum noch anfüren, daß man selbst h˛i r das nicht Untersch˛idne fermeiden kan. Denn man bildet um nicht nu˛r: warf ccc werfe, sondern auch: wurf ccc würfe. Da man übrigens, des Unterscheidens wägen, so gleich bei der Hand ist, das werfe fon warf in ein nicht ausgesprochnes wärfe zu ferwandeln; so se ich nicht ein, warum man nicht f˛ilme˛r da beispringt, wo wirkliche Not ˛ ist, und also nicht dem ganzen grossen ˛ Here fon Wörtern, di z. E. är eilte, und daß är doch eilte, nicht unterscheiden, durch irgend eine, wi sichs ferste˛t, auch nicht ausgesprochne Schreibung zu Hülfe kömt.

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Ich habe bishär nu˛r fon der Ableitung geredet, in so fern si bei der Umendung und Umbildung der Wörter (bis auf gültig) forkömt. ˛ Aber si stimt auch sonst mit der Ausspra˛che überein, ob man ˛ir gleich, wägen Ferdorrung so filer alter Wurzeln, nicht immer auf di Spu˛r kommen kan. Ich merke h˛ir in Forbeige ˛ ˛ n an, daß di gewönlicher ˛ abgeleiteten ä, ö, und ü manchma˛l auch Stambu˛chstaben, wi di andern Selbstlaute, sind. Ich wil doch etwas fon der Sache berüren. Man schreibt z. E. der Ausspra˛che, und der Ableitung gemäs: här, Ärde. Unser jeziges u˛r h˛is ema˛ls auch ar; und dises ar ist di Wurzel beider angefürter ˛ Wörter. Ferner nicht nu˛r: Lasten wägen; sondern auch: wägen diser U ˛ rsach. Beide Wörter stammen fon dem alten Wag (Bewägung) ab. Auch der Wäg ist dises U ˛ rsprungs. Wohär mögen wol dijenigen, di Leben, schweben, Reben u. s. w. schreiben, ob si gleich Läben, schwäben, Räben aussprechen, ˛ir geschr˛ibnes e ableiten? Fon a dürfen si na˛ch der zwa˛r falschen, aber fon inen doch angenomnen Regel nicht. Wohär also? Oder sol h˛ir das e, welches si schreiben, fileicht Stambu˛chstaben sein, (di hinzugekomnen en ferbiten dis nicht) so wi es ä auch sein kan? Also haben si auf Einma˛l mit der Ableitung nichz me˛r zu tu˛n, durch di si gleichwol h˛ir Alles ausmachen wolten? Doch gu˛t; es mag denn Stambu˛chstaben sein. Aber warum sind si denn so na˛chgäbend, und ferwandeln es mit uns Andern beim Aussprechen in ä? Auf einen Stambu˛chstaben solte man, deücht mich, doch wol ein wenig fester halten. Man erinre sich, daß ich bishär fon der Ableitung teils in Absicht auf Umendung und Umbildung, und teils auch one dise Bezihung geredet habe. Dort war es offenba˛r, dass z. E. aus Bach, fand, nicht Bäche, fände wärden konte, sondern daß Beche, fende daraus wärden muste; und zwa˛r weil di Silbe den abgebrochnen Ton ˛ hat. H˛ir ist es, deücht mich, äben so offenba˛r, daß, so bald man nicht mit Gewisheit ableiten kan, (und wi selten kan man das, wenigstens wen es dabei auch auf di Selbstlaute ankömt) daß dan di Ausspra˛che allein entscheidet. Dis ge˛t so weit, daß der Untersch˛id der Ausspra˛che eine an sich selbst scheinbare Ableitung ferdechtig macht. Und wen follends nicht fon abgeleiteten, sondern fon Stamwörtern di Rede ist; so wird doch wol Nimand der Ausspra˛che di Entscheidung abstreiten wollen? So weit fon der Ableitung, in so fern si bei der Rechtschreibung nicht

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wol entbärt wärden kan. Das nicht so leichte Übrige diser Kentnis hat mit der Rechtschreibung nu˛r in där Rüksicht noch zuweilen etwas zu tu˛n, daß man dana˛ch etwan einma˛l di Schreibung eines Wortes endern kan, als ereügen fon Auge, stat ereignen; wen w˛ir anders di Bedeütungen des se˛r alten Wortes eigen genung kennen, um zu wissen, daß ereignen nicht gu˛t dafon abgeleitet wärde. Überhaupt aber hat es auf di Rechtschreibung keine Einflüsse, daß z. E. fergessen, Geist fon dem noch jezt gebrauchten niderdeütschen gissen, (fermuten, denken) oder Wemu˛ t fon dem alten wimen (weinen) abstammen, oder daß man aus dem Namen Celten, mich deücht, mit z˛imlicher Wa˛rscheinlichkeit s˛it, daß sich dise Nazionen, so wi auch nicht wenig amdre geta˛n haben, forzugsweise ˛ Menschen nanten. Zu Ludewigs des Frommen Zeiten h˛is dises Wort Helithos, bedeütete aber keine Nazion ˛ me˛r, sondern nu˛r Menschen in e˛dlem Ferstande. In unserm Worte Helden hat di Bedeütung noch me˛r fon irem Umfange ferloren. Doch genung h˛irfon. Wär übrigens mit der Zurechtstellung der ä und e, ungeachtet meiner Gründe dafür, ˛ nicht zufriden ist, där seze sich denn hin, und läse for, ˛ und spreche dabei aus, wi är es geschriben findet; aber är höre, und bemerke dan auch, wi i˛m, und Andern di Spra˛che nu˛n klinge. … Man findet weiter unten, „daß ä und ä in manchen Wörtern ferschiden sein.“ Wär dis nicht bemerkt hat, där kan den Gebrauch, dän ich fon dem ä im Schreiben mache, nicht richtig beurteilen. Und dis tu˛t är, wen är glaubt, daß ich di Ausspra˛che des sterkeren ä überal ferlange. Läben hat z. E. das sterkere ä; läbendig hat schon ˛ das leisere, obgleich lä in dem lezten Worte auch lang ist. Aber es hat di kleinere Lenge. Wen man mit Nachdrukke sagt: Är beurteilt es auf dise A˛rt? so ist das ä das sterkere, und das Wort hat di grössere Lenge. Sagt man hingegen, one Na˛chdruk auf är zu lägen: Är urteilt in den Tag hinein; so ist das ä nicht allein das leisere, sondern das zweizeitige är ist h˛ir auch kurz, ob es gleich di halbe Denung hat, oder di Denung nicht ganz ferl˛irt. … Ich mus geste˛n, daß ich nicht begreife, warum man schreibt, was man nicht läsen darf; und warum man nicht schreibt, was man läsen mus. Das Schreiben hat h˛ir nu˛n so einen Hader mit dem Sprechen, als jene Reichsstat mit irer Nachbarin, di immer einen hinschikt, där sich, di Tür ˛ in der Hand, i˛r fermeintes Recht forbehelt; ˛ aber sich dan auch im-

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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mer wider, unferrichteter Sache, aus dem Staube macht. Ich dechte denn doch, daß w˛ir dise altfätrischen Hendel endlich einma˛l schlichteten. Allein, sagt man, wen nu˛n, selbst in den Gegenden der guten Ausspra˛che, der Eine fon dem Andern, in Ansehung des e oder ä, wol zuweilen abwiche; würde da nicht Ungleichheit des Schreibens entste˛n? Als wen ein wenig Ungleichheit diser A˛rt nicht f˛il besser were, als eine Gleichheit, di auch das für ˛ ausgemacht erklärt, was es nicht ist. Und ist sich denn unsre jezige Rechtschreibung etwan überal gleich? Überhaupt scheint m˛ir durchgengig gleiche Rechtschreibung nicht möglich zu sein. Man stelle sich di filen Abweichungen in allen andern Punkten der Spra˛chen for, ˛ (ich meine nicht di festgesezten Ausnamen) und halte si gegen dise seltnen Abweichungen in Ansehung zweier so naferwanter Bu˛chstaben, als es e und ä sind; und man wird sich ferwundern, daß man den Einwurf hat machen können. … Wär h˛ir und da zweifelt: Ob är ä oder e schreiben müsse, där braucht nu˛r das eine oder das andre mit Na˛chdrukke auszusprechen; und so wird är schon ˛ hören, was är zu schreiben habe. Wär dan z. E. noch Erde oder werde hört, ˛ där mus es auch schreiben. Und warum solt är nicht? Denn di Ausspra˛che hat ja einma˛l h˛ir nicht alles entschiden. … Nu˛n noch ein Wort fon den Mitlauten, b, p; und d, t, aber nu˛r in so fern, als si bei der Umendung und Umbildung in Betrachtung kommen. W˛ir behalten der Ableitung wägen, b und d am Ende der Silbe bei, ob si gleich p und t lauten. Tra˛b, Trabes; Kind, Kindes; fand, fanden. Denn di Ferwexlung ist h˛ir der Ausspra˛che nicht na˛chteilig, weil b und d am Ende der Silbe nicht anders, als p und t können ausgesprochen wärden. (Es ferlont ˛ sich nicht der Mühe mit seid, sind, ob u. s. w. fon dänen nichz abstamt, Ausname zu machen.) Überdis ist es gu˛t fon dem Eingefürten ˛ so f˛il zu behalten, als nu˛r immer mit dem Zwekke der Rechtschreibung beste˛n kan. 6 „Di grossen ˛ Bu˛chstaben sind nu˛r für ˛ das Auge. (Ausgenommen Einer zum Unterschide fon einer. Denn das lest der Sprechende hören.) Da si dem Ore wenigstens nichz ferderben; so darf man si, wi m˛ir es forkömt, ˛ beibehalten.“ 7 „Auch di Ferdoplungen in daß, denn und hatt (hatte) dürfen beibehalten wärden.“ Um das Buch, den Leüten, und hat überal desto schneller zu unterscheiden.

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Bei wen (wenn) ist keine Ferdoplung nötig. Denn so bald es das Fürwort ˛ ist, wird wän geschriben. Di grossen ˛ Bchstaben, und di angefürten ˛ Ferdoplungen sind beide nu˛r fürs ˛ Auge. Es ist z˛imlich sonderba˛r, auch das Ungeh örte ˛ schreiben zu wollen. Denn man s˛it nicht, warum ferlangt wird, daß der Schreibende deütlicher sein sol, als der Redende. Überdis haben w˛ir ja noch genung Gehörtes ˛ übrig, das nicht geschriben wird. Z. E. den gede˛nten Ton, ˛ dessen Bezeichnung w˛ir so oft fälen lassen. Ferner sind ä und ä in manchen Wörtern ferschiden; aber w˛ir haben nu˛r Ein Zeichen. Und wen ich nu˛n follends noch mit Grunde behaupten könte, daß w˛ir wenigstens das Wäsentlichste der Deklamazion ˛ (denn gibt es wol was Gehörteres, ˛ als si?) oder wofern ich so sagen darf, ire Grundtöne andeüten solten. Unterdes kümmert uns das Alles nicht; aber, auch fürs ˛ Auge zu schreiben, daran ligt es uns. Mit den grossen ˛ Bu˛chstaben sind w˛ir h˛ir na˛ch und na˛ch bis zum Regelmässigen gekommen; si haben ire bestimten Stellen: allein alles Andre ist blos ˛ zufellig, und beru˛t noch dazu auf Fälern. W˛ir unterscheiden z. E. Vilen Dingen, und: Beüme filen, durch das überflüssige v oder f. Äben so ist es mit: Di wahren Seze, und: Sie waren da. Das Denungszeichen h, das man in wahr gehört ˛ hatte, wird in wahren, wo keine Denung me˛r ist, fälerhaft fortgebraucht. Überdis sind dise und änliche Unterschide manchma˛l da, und manchma˛l auch wider nicht da. Also weit sind w˛ir in der Sache äben nicht gekommen. Si l˛isse sich, mich deücht, nicht nu˛r ferbessern; sondern sie bekeme auch fon ungefär den i˛r nötigen Umfang; wen w˛ir, ausser den Benennungen, auch di Zeitwörter bezeichneten; aber dise gleichwol blos ˛ da, wo es di Deütlichkeit zu erfodern schine. Wen man also z. E. di Ferwexlung des Beiwortes waren mit dem Zeitworte waren befürchtete; so bezeichnete man das lezte: aber wen mit der Benennung Waren; so bezeichnete man nicht, weil es Waren schon ˛ durch den grossen ˛ Bu˛chstaben ist. Doch ich komme zum Forigen zurük, und behaupte, daß man fon dem Schreibenden nicht me˛r Deütlichkeit, als fon dem Redenden fodern könne: und dis besonders auch deswägen, weil man si bei Sachen fodert, in welchen es so ga˛r schwe˛ r ist zu irren, wi f˛il blinder Lerm auch fon Ferwexlung, und Zweideütigkeit, und wi es weiter heist, gemacht zu wärden flägt. 8 „B, w, d, g, (wen dis auf den Selbstlaut der Silbe folgt) und s gehen, so bald si i˛r e ferliren, zur folgenden Silbe über. Diser Wolklang ˛ wird durch ein Häkchen (’) bezeichnet.“

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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Häb’ es hä-bes. Löw’ erwacht Lö-wer. Dem Rand’ entsank Randent. Zum Sig’ emp or ˛ Si-gem. (Sing i˛ n, nicht sin-g˛i n) Im Kreis’ umhär Krei-sum. Wen di angefürten ˛ Mitlaute doppelt sind; so wird der Eine mit dem e weggeworfen, und das Häkchen wird nicht gesezt. Denn sonst könte man in Ansehung des gede˛nten Tons ˛ irre wärden. Also für ˛ O l˛i sse es, l˛i s es, nicht l˛i s’ es. Man würde li-ses läsen wollen, und däm widerspre˛che doch das zu denende i. Di andern Mitlaute ge˛n nicht über, brauchen dahär auch keine Bezeichnung. Das weggeworfne e hat si nicht nötig. Denn wozu etwas bezeichnen, das nicht gehört ˛ wird? Jene würden, wen si übergingen, manchma˛l soga˛r Übelklang feru˛rsachen. Rüst’ i˛ n, Rü-st˛i n u. s. w. Nu˛r daß zuweilen di Ausspra˛che den Übergang notwendig ˛ macht. Als donr i˛ n; sondr ˛i n. In dem lezten sind es ga˛r zwei Mitlaute, di überge˛n son-dr˛i n. Man bezeichnet h˛ir gleichwol nicht. Denn man kan nicht anders, als auf di angezeigte A˛rt aussprechen. Wen di nicht übergehenden Mitlaute doppelt sind; so wird Einer mit dem e weggeworfen, und auch kein Häkchen gesezt. Ich bit es klingt föllig, wi ich bitt’es. 9 „W˛ir schreiben di auslendischen Wörter, wi w˛ir si aussprechen.“

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_______________ Unsre jezige Rechtschreibung ist, bis auf di Bezeichnung des Tons, ˛ gegen di französische und englische fortreflich. ˛ Denn dise haben wirklich (der Ausdruk ist nicht übertriben) eine gewisse Barbarei. Aber äben deswägen, weil w˛i r sch on ˛ so weit sind, (w˛ir schreiben schon ˛ izt nicht wenig Wörter na˛ch dänen Regeln, fon welchen ich bishär geredet, und di ich teils aus disem Eingefürten ˛ genommen habe) weil w˛i r sch on ˛ so weit sind, so solten w˛i r follenden. Es ist sonderba˛r genung, daß Mu˛t dazu gehört, ˛ dise Follendung forzuschlagen. ˛ Es wird mich indes ni reüen i˛n gehabt zu haben, wi di Sache auch ausfalle. … W˛ir haben seit einiger Zeit Fersch˛idnes an unserer Ortografi ferendert. Dis zeigt, daß w˛ir ire Mengel einse˛n. Aber w˛ir sind dabei me˛r na˛ch Einfellen als na˛ch Grundsezen, und na˛ch disen nicht so ferfaren, daß w˛ir si überal, wo es gesche˛n muste, angewendet hetten. Wär nu˛r ein wenig in der Sache bewandert ist, trift Beispile genung dafon an. Und so ist denn auch der Erfolg diser fon wenigen angenomnen Fer-

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endrungen gewäsen, daß unsre Rechtschreibung dadurch nu˛r noch schwankender geworden ist. Si ist jezt so beschaffen, daß si selbst di, welche si sorgfeltig stud˛irt haben, durch Zweifel, wi dis und das zu schreiben sei, se˛r oft ferdrüslich ˛ macht. Und wi mus es follends dänen, di si f˛il weniger kennen, das ist den Meisten, h˛ir ge˛n? Ich begreife nicht, wi man di Gabe einer so unaussprechlichen Geduld haben kan, und bei diser Ungewisheit nu˛r eine Zeile schreiben mag. Aber äben durch dises Schwankende ist unsre jezige Rechtschreibung zu einer Ferendrung na˛ch Grundsezen reif geworden. M˛ir wenigstens hat di Zeit diser Reife da zu sein geschinen; sonst würd’ ich meinen alten Forsaz ˛ einma˛l meine Meinung über eine solche Ferendrung zu sagen jezt noch nicht ausgefürt ˛ haben. Es ferste˛t sich, daß man mit der Ferendrung in den Büchern ˛ anfangen müsse. Denn nu˛r aus disen kan si ins gemeine Läben überge˛n. Aber auch di Erziher würden das Irige zur Beförderung der Sache beitragen; wen si fon der forgeschlagnen ˛ leichten Ortografi zu der jezigen f˛il schwerern fortgingen. Denn jezt noch müssen si freilich auch dise leren. Noch ein Wort zur Kentnis der e˛rsten. Si endert sich mit der Ausspra˛che. Denn warum solten Schatten und Baum, wi es auch wehe, sich nicht gleichen? Si bewa˛rt also etwas auf, und zwa˛r mit chronologischer Genauigkeit, das mit zur Geschichte der Spra˛che gehört. ˛ Das hat di jezige nicht geta˛n. Mosheim schr˛ib noch immer darumb, warumb, ob man gleich schon ˛ se˛r lange for ˛ i˛m dis b nicht me˛r hören l˛is. Aber da wa˛r es einma˛l gewäsen. Denn um h˛is for ˛ Alters umbi. In Gegenteil waren di unaussprechbaren Ferdoplungen z. E. des f in Freundschafft, Zukunfft, u. s. w. gewis nima˛ls gehört ˛ worden. Dis Geschreibe wa˛r also me˛r als chronologischer Fäler; es wa˛r Ferfelschung der Spra˛chgeschichte. … Ich darf fom Forigen nichz widerholen; aber auf das, was für ˛ dän schon ˛ darin lag, där genau sa, darf ich, um Andrer willen, aufmerksam machen, darauf nämlich, daß di Rechtschreibung, dären Annämung ich wünsche, se˛ r leicht ist. Denn si ist, ausser iren Gründen, in Folgendem ganz enthalten: _______________

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

Bu˛ chstaben überflüssige

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y; c, dt, th, das End-s, ph, f oder v. Auch di Doppellaute ai und äü (äu)

grosse ˛

bleiben.

Selbstlaute ä, e

keins von beiden zweilautig zu brauchen.

Mitlaute d, b

auch, wen si am Ende der Silbe t, p klingen. Kind; Sta˛b.

h

nicht am Ende der Silbe. sa.

pf

nu˛r f im Anfange der Silbe, und wen es si na˛ch einem Mitlaute endet. Fender, stumf.

n

ni für ˛ m. Samft, nicht sanft.

g

überal, wo es di jezige Rechtschreibung sezt.

ferdoppelte

ss

Schreibferkürzungen

nu˛r, wo si ausgesprochen wärden, ausser daß, denn, und hatt. wird zwischen Selbstlauten, wi di andern ausgesprochen. gr osse. ˛ überal zu brauchen, wo si hingehören.

tz

überflüssig.

q

one u. Qelle.

Das T onzeichen ˛

hat nu˛r der Ton ˛ der Denung, (auch der halben) und nu˛r da, wo man i˛n mit dem abgebrochnen ferwexeln könte.

Das Häkchen (’)

bekommen nu˛r b, w, d, g, und s.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Wozu man sich entschl˛issen wird? Man kan nu˛r fon dreien Eins wälen. Man bleibt entweder genau beim Eingefürten, ˛ so se˛r es auch oft fon sich selbst abge˛t; oder man beobachtet alle Regeln ganz, welche das Eingefürte ˛ hat; oder man ferwirft einige derselben, und ersezt si durch bessere. Ich würde noch ein F˛irtes hinzusezen, und sagen, daß man es na˛ch und na˛ch mit disem und jenem einer besseren Rechtschreibung fersu˛chen könte; wen w˛ir nicht in Zeiten läbten, di es mit den Forurteilen ˛ kurz und gu˛t abtu˛n. Wär das e˛rste wält, ist einer fon den Gemechlichen und Endrungsscheüen, di nichz untersu˛chen mögen, und kein höheres Gesez, als di Mode kennen. So einer ist denn nu˛n blos ˛ damit bescheftigt, daß är herumblettre, und zusehe, ob etwan ein neües h und so was aufgekommen, oder wider ferschwunden sei, damit är es ja schreibe, oder weglasse. Denn är würde sichs kaum ferzein, wen är auch nu˛r Einen Bu˛chstaben, där geschriben wird, nicht mit machte. H˛irbei stöst ˛ i˛m denn freilich manchma˛l etwas fon se˛r sonderbarer A˛rt auf, als schmäucheln fon Schmauch; (fon schmigen; sich schmigen und bigen, also schmeicheln) aber är lest es ja auch gleich wider faren, so bald es abkömt. Wär di zweite Wa˛l trift, ist ein Man, där mit sich selbst eins ist. Är hat nicht nu˛r Regeln; är wendet si auch an. Fon ˛im ist zu fermuten, daß, so bald är di Unrichtigkeit fon einigen seiner Regeln, oder den Umwäg s˛it, dän man na˛ch inen nämen mus, är si ferwerfen wärde. Jezt muß är, unter andern, noch so schreiben: Flieh’n, lächel’n, wander’n. Plahn, (oder Plaan u. s. w.) kahm; bequehm, wehm, wehrth; schohn, Throhn; nuhr, Natuhr, Cultuhr; ferner binn, hinn; hellleuchtend, gewonnnen, gewintt; gestrittten, stritstt. In Chuhrfürstt sind beide Bezeichnungen beisammen. Wil man di lezte nicht gelten lassen; so frag’ ich: Ob man denn liber Chuhrfürrst (wi Schrifft, und solche) schreiben mögte? Denn Eins fon beiden mus sein, damit nicht Chuhrführst ausgesprochen wärde. In Ansehung des Dritten hab’ ich nu˛r noch Folgendes zu sagen. Helt man di Wegwerfung des End-s, und di Beibehaltung der grossen ˛ Bu˛chstaben; der Ferdoplungen daß, denn, hatt; und des ei; (das regelmässiger ai geschriben würde, und folglich auch aü stat eü) oder di Schreibung der auslendischen Wörter na˛ch unsrer Ausspra˛che, helt man dis für ˛ weniger wäsentlich, als das Übrige; oder z˛it man auch ein anderes

Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragment.

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Tonzeichen ˛ for: ˛ so wärd’ ich, on ˛ Anstand zu nämen, der Me˛rheit der Stimmen folgen. Aber bei dem Übrigen kan ich nu˛r überwigenden Gegengründen weichen. Und dise müssen in dem Zwekke, welchen di Rechtschreibung allein haben kan, ligen, nämlich: „Das Gehörte ˛ der guten Ausspra˛che na˛ch der Regel der Spa˛rsamkeit zu schreiben.“

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Fon der Da˛rstellung. __________________________ Drittes Fragment. ______________________ 5

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werthing. Ire Teori fon der Da˛rstellung. selmer. Fon der Da˛rstellung des Prosaisten und des Dichters zugleich? W. Nu˛r fon des lezten. S. Aber ich wärde mit wenigen Worten sagen, worüber Andre bücherlang ˛ sein würden. W. Nu˛n Si wärden di Sache denn doch aus einander sezen? S. Na˛chdäm Si es nämen. Ich wärd’ alles Überflüssige weglassen. W. Was nennen Si überflüssig? S. Das meiste z. E. fon den poetischen Teorien, di w˛ir haben. W. Wen Si nu˛r nicht zu f˛il weglassen. S. Ich wärde dafür ˛ sorgen, daß nichz Wäsentliches fäle. W. Und wäsentlich ist? S. Was der gute Dichter anwendba˛r findet. Doch w˛ir reden zu lange for. ˛ Fon der Da˛rstellung überhaupt sei dises genung. Es gibt wirkliche Dinge, und Forstellungen, ˛ di w˛ir uns dafon machen. Di Forstellungen ˛ fon gewissen Dingen können so läbhaft wärden, daß dise uns gegenwertig, und beina di Dinge selbst zu sein scheinen. Dise Forstellungen ˛ nen ich fastwirkliche Dinge. Es gibt also wirkliche Dinge, fastwirkliche, und blosse ˛ Forstellungen. ˛ Di Gründe h˛irzu ligen tifer, als es däm etwa scheinen mögte, där den Menschen nicht kent, und nu˛r Filosofi schwazt. minna. Wi können Si fon der Da˛rstellung, di m˛ir als eine Zauberei forkomt, ˛ so kalt, und so einteilend sprechen? S. Man ist nicht immer kalt, wen man es zu sein scheint. W˛ir glühen fon dem Forsaze, ˛ wa˛r fon der Sache zu sprechen. Wen w˛ir es mit där Werme teten, di Si zu ferlangen scheinen, so würden w˛ir uns durch bildliche Redensa˛rten blenden, und uns der Gefa˛r aussezen dise Wexelbelge, denn das sind si, wo es auf Untersu˛chung ankomt, der Wa˛rheit unterzuschiben.

Fon der Da˛rstellung. Drittes Fragment.

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M. Ich hatte unrecht. Denn ich kan das widrige Geschrei diser Wexelbelge, das in unsern neüesten Büchern ˛ immer lauter wird, auch nicht ausste˛n. S. Wär se˛r glüklich, oder se˛r unglüklich, und läbhaft dabei ist, där wird wissen, daß ˛im seine Forstellungen ˛ oft zu fastwirklichen Dingen geworden sind. Wi diser di Gegenstende sich selbst da˛rstelt, so stelt si der Dichter Andern da˛r. Der Zwek der Da˛rstellung ist Teüschung. Zu diser mus der Dichter den Zuhörer so oft är kan, hinreissen, und nicht hinleiten. Wehe jenem, wen är das lezte one Not ˛ tu˛t. Di Da˛rstellung des Dichters ist teüschender, als des zeichnenden Künstlers seine. Der Sin entscheidet bei der lezten, und diser untersu˛cht das Gesehene, weil är lenger daran haftet, genauer, als der Geist das Gedachte, und kan dahär leichter entdekken, daß är geteüscht wird. So weit fon der Da˛rstellung überhaupt. „Der Gegenstand mus da˛rstelba˛r sein.“ Es gibt Gegenstende, di selbst grosse ˛ Dichter auch den fähigsten Läsern nicht da˛rstellen können. Ire Za˛l ist nicht klein. Wär di unglükliche Wa˛l trift, där bringt (är kan das nu˛n nicht endern) ein Gedicht herfor, ˛ dessen edelste Läbensteile schwach sind. Der Gegenstand ist fornämlich ˛ alsdan da˛rstelba˛r, wen är erhaben ist, und wen är f˛il Handlung und Leidenschaft in sich begreift. Handlung beste˛t in der Anwendung der Willenskraft zur Erreichung eines Zweks. Es ist ein falscher Begrif, dän man sich fon i˛r macht, wen man si fornämlich ˛ in der eüserlichen Ta˛t sezt. Di Handlung fengt mit dem gefasten Entschlusse an, und ge˛t in fersch˛idnen Graden und Wendungen bis zu dem erreichten Zwekke fort. Bekommen Handlung und Leidenschaft, jene dadurch, daß si nicht nu˛r gros, ˛ sondern zugleich gu˛t, und dise, daß si edel ist, auch sitliche Schönheit; ˛ so nimt di Da˛rstelba˛rkeit des Gegenstandes zu. Auch alsdan nimt si zu, wen, was keiner Handlung und Leidenschaft fähig ist, aber dadurch, daß es in Bewägung ist, sich der Handlung zu nähern scheint, auch sinliche Schönheit ˛ hat. Wirklich handeln darf dise Gegenstende der Dichter nu˛r dan lassen, wen är glaubt den Zuhörer durch das Forhärgehende ˛ schon ˛ so entflamt zu haben, daß är sich an diser Künheit ˛ nicht stossen ˛ wärde. Gleichwol dürfen si nima˛ls lange handeln. Denn man bekömt sonst Zeit sich zu besinnen; und di Teüschung hört ˛ auf.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Unfermutetes, scheinbare Unordnung, schnelles Abbrechen des Gedankens, errägte Erwartung, Alles dis sezt di Sele in eine Bewägung, di si für ˛ di Eindrükke emfenglicher macht. Das Angefürte ˛ trägt das Seinige zur Da˛rstellung bei; aber herforge˛ bracht wird si durch Folgendes, wofon, seiner Beschaffenheit und dem Inhalte gemäs, me˛r oder weniger bei einander sein kan: 1. „Durch Zeigung des Läbens, welches der Gegenstand hat.“ Es ist f˛il me˛r Läben in der Natu˛r, als där, welcher nicht scharf s˛it, bemerkt. Hat mans bemerkt; (di kleinste Läbendigkeit ist h˛ir nicht ausgeschlossen) so kömts dan fornämlich ˛ darauf an, es recht zu fassen, und ganz zu nämen, und ja nichz Läbloses darein zu mischen; dis lezte besonders alsdan nicht, wen das Da˛rzustellende nu˛r ein wenig Läbendigkeit hat. Daß man den Gegenstand in seinem Läben zeigen müsse, ist der e˛rste Grundsaz der Da˛rstellung. Denn gezeigtes Läben bringt uns fornäm˛ lich dahin, daß w˛ir di Forstellung ˛ ins Fastwirkliche ferwandeln. Wen, Schlag auf Schlag, Läbendiges Läbendigem folgt; so nimt dadurch seine Kraft beina so se˛r zu, als di Schnelligkeit der fallenden Last durch den grösseren Raum zunimt. Ganz was anders ist es übrigens, wen der Dichter den angefürten ˛ Grundsaz mit einem Geiste anwendet, där es fermag; und wider ganz was anders, wen är sich blos ˛ läbhaft anstelt. Dise Gebärdung ferfält ires Zwekkes gerade zu. Es ist eines der tolkünsten ˛ Wagstükke, das ich kenne, Läben, das man nicht mitfült, ˛ ausdrükken zu wollen. 2. „Durch genau waren Ausdruk der Leidenschaft.“ M. Ach meine Italiäner! S. Nu˛r dis ist noch schwerer, als di pla˛nmässige Wa˛l des Grades, dän man der Leidenschaft zu gäben hat. Schwe˛r ist jenes genau Ware, weil der Dichter sich gefreüt haben mus, wen sich der Zuhörer freüen, und geweint, wen är weinen sol. 3. „Durch Einfachheit und Sterke.“ Dise mus aber eine ware, und nicht Anstrengung sein. Der Untersch˛id wird in seinen Wirkungen se˛r auffallend. Fon der Einfachheit ist di Kürze nima˛ls, und fon der Sterke nu˛r selten trenba˛r. W. Durch Hülfe der Kürze denkt oder fült ˛ man schneller. S. Und dise Schnelligkeit fergrössert den Eindruk des Da˛rgestelten. Si ist einer der wäsentlichsten Punkte, worauf es ankömt. Denken Si sich

Fon der Da˛rstellung. Drittes Fragment.

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dän, där, se˛r glüklich oder se˛r unglüklich, sich selbst etwas da˛rstelt, wi dan Alles in seiner Sele fligt! Doch der Löwe wird nicht nu˛r an der Klaue gekant, sondern auch an der Mäne. 4. „Durch Zusammendrengung des Mannichfaltigen.“ Allein dis mus nicht Überflus sein, und mit der möglichsten Spra˛chkürze ausgedrükt wärden. Bei der Einfachheit und Sterke kommen Gedankenkürze und Spra˛chkürze zusammen; h˛ir findet nu˛r di lezte stat. 5. „Durch di Wa˛l kleiner, und doch f˛ilbestimmender Umstende.“ 6. „Durch eine Stellung der Gedanken, daß jeder da, wo är ste˛t, den t˛ifsten Eindruk macht.“ 7. „Durch Innerlichkeit, oder Heraushäbung der eigentlichen innersten Beschaffenheit der Sache.“ W. Aber wen nu˛n der Zuhörer dise oft se˛r t˛ifligende Beschaffenheit nicht kent? S. So lernt är si durch den Dichter kennen. 8. „Durch Ernst. Der Dichter hat eine solche Überzeügung fon der Wa˛rheit und Wichtigkeit seiner Gegenstende, daß man s˛it, är rede f˛ilme˛r um irentwillen, als aus Neigung zu gefallen.“ H˛irdurch entste˛t gleicher Ernst der Zuhörer, und där macht, daß der Inhalt ganz auf si wirkt. 9. „Durch herzlichen Anteil des Dichters an däm, was är sagt.“ Dis reizt zu gleicher Teilnämung. Wär kent di Folgen der Teilnämung nicht? Dis ist es, wodurch di Da˛rstellung herforgebracht ˛ wird. Wen der Dichter di Sache besser gedacht hat, als är si sagt; so hilft i˛m dis bessere Denken zu nichz. Denn auf di Zuhörer wirkt nu˛r das, was gesagt wird. Wen är si durch Da˛rstellung teüschen wil: so mus är reden; und nicht lallen, oder stammeln. H˛ir komt fornämlich ˛ zweierlei in Betrachtung: Der genau gekante Bedeütungsumfang der Worte; und di sorgfeltige Wa˛l der e˛dlen. Zwischen einem äben nicht une˛dlen Worte, und einem guten ist schon ˛ ein grosser ˛ Untersch˛id; aber welcher Abstand ist zwischen den une˛dlen, und den e˛dlen. Di Gr˛ichen, di Gr˛ichen, wen w˛ir si anders recht ferste˛n! W. Nicht auch di Römer? S. Auch si. M. Und di Englender?

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S. Di Teüschung ist eine so za˛rte Blume, daß si fon jedem zu külen Lüftchen hinwelkt. Ein solches Lüftchen ist z. E. jedes une˛dle, unschikliche, oder auch nu˛r übelgestelte Wort. Der Wolklang, ˛ und noch me˛r das bedeütende Silbenma˛s, diese    , (bese˛lte Töne, Minna) haben f˛il Ausdruk; wen si zu dem Inhalte passen: und unterbrechen di Teüschung; wen si nicht dazu passen. Auch h˛ir kan so manches welkmachende Lüftchen leicht zum Wehen kommen. Der Dichter kan dijenigen Emfindungen, für ˛ welche di Spra˛che keine Worte hat, oder f˛ilme˛r nu˛r (ich sage dis in Bezihung auf den Reichtu˛m unsrer Spra˛che) di Näbenausbildungen solcher Emfindungen, är kan si, durch di Sterke und di Stellung der föllig ausgedrükten änlichen, mit ausdrükken. W. Oder auch wol nu˛r darauf deüten. S. Freilich wen di änlichen nicht stark genung sind, und nicht an der rechten Stelle ste˛n; wen beides nicht so beschaffen ist, daß es das Feüer in der Sele weiter ausbreitet. Mich deücht, daß auch das Silbenma˛s h˛ir und da etwas mitausdrükken könne. Überhaupt wandelt das Wortlose in einem guten Gedicht umhär, wi in Home˛rs Schlachten di nu˛r fon Wenigen gesenen Götter. Fon der Da˛rstellung scherzhafter Gegenstende (meine Seze berüren nu˛r wenig dafon, und si hat f˛il feinere Regeln, als ausgeübt ˛ wärden) merk ich in Forbeige ˛ ˛ n an, daß si ire Eindrükke blos ˛ auf di Einbildungskraft macht. Di Da˛rstellung des Ernsthaften macht di irigen auf di ganze bewägte Sele. Wen man Handlung, Leidenschaft, und sitliche Schönheit ˛ jede besonders betrachtet; (im Gedichte sind si beisammen, und wirken zugleich) so wird, na˛ch diser A˛rt di Sache anzusehen, di durch di e˛rsten schon ˛ bewägte Sele durch di lezte nu˛r noch me˛r bewägt. Aber dises Me˛r ist fon grosser ˛ Bedeütung, weil schon ˛ so Files da ist. Es trägt nicht wenig dazu bei, daß di Gel˛ibte aufhört ˛ marmorn zu sein, und läbendig wird. Nu˛r noch zwei Bemerkungen; und alles, was Gegründetes und Anwendbares zu sagen wa˛r, ist gesagt. 1. Auch di beste Da˛rstellung in disem und jenem Teile eines Gedichts ferl˛irt etwas, manchma˛l nicht wenig fon irem Eindrukke, wen das Ganze nicht durch Wa˛rscheinlichkeit, Äbenma˛s, Abstechendes, gehalt-

Fon der Da˛rstellung. Drittes Fragment.

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nen Hauptton, ˛ und Zwekke, di auch Zwekke sind, ein schönes Ganzes ist. Ein solches Ganzes stimt di Sele für ˛ di Wirkungen des da˛rgestelten Einzelnen, und erhelt si in diser Stimmung. 2. Wen der Dichter, di Wagscha˛l in der Hand, und mit reinem Gefüle des Eindruks, dän är herforbringen ˛ wil, fon dem Angefürten ˛ immer so f˛il, und dis, in so genauen Abstufungen, fereint, als der jedesmaligen Beschaffenheit der Gegenstende gemäs ist; so erhäbt är seine Da˛rstellung bis zum Follendeten. Allein je näher är disem, oder dem föllig richtigen Umrisse der Da˛rstellung, gekommen ist, und äben dadurch zu grossen ˛ Foderungen berechtigt hat, desto läbhafter felt auch dem Zuhörer ein wenig Unerreichtes, oder ga˛r Ferfältes auf. Gute Richter sind gelinde: allein h˛ir wissen si nichz fon Gelindigkeit. Denn nu˛n ferlont ˛ es sich inen der Mühe streng zu sein. Äben so ferfaren si, wen si einen Senger hören, där bis zum höchsten ˛ Ausdrukke der Leidenschaft gestigen wa˛r; aber nu˛n der so se˛r gereizten Erwartung einma˛l nicht föllig genung tu˛t, oder den waren leidenschaftlichen Ton ˛ auch nu˛r um Einen Hauch ferfält. Nu˛r müssen sich di nicht unter di Beurteiler drengen, und über jenen Umris mitsprechen wollen, for ˛ dänen es überhaupt demmert. Denn was haben si mit dem Follendeten zu schaffen.

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Di Wortfolge handelt fon der Ordnung, in welcher di Wörter, und di trenbaren Silben bei einander ste˛n. Di Wörter haben schon ˛ durch di Wortendrung Zusammenhang, aber si können durch ire Stellung in noch genaueren Zusammenhang kommen. In den beiden alten Spra˛chen löst ˛ di Wortfolge Manches fon däm, was die Endrung ferknüpft hatte, gleichsam wider auf. So se˛r kömt es bei der Stellung auf ire Beschaffenheit an. Eine gute Stellung, oder eine, di was dem Gedanken na˛ch zusammen gehört, ˛ sich folgen lest, macht nicht etwa blos, ˛ daß man den Perioden deütlicher als bei einer nicht guten, sondern auch, daß man i˛n schneller denkt. Denn man braucht da nicht, wi bei den Alten, di Worte, welche dem Sinne gemäs bei einander ste˛n solten, aber h˛ir und da getrent herum taumeln, e˛rst mit Zeitferluste zusammen zu su˛chen. Und wen man dis auch mit noch so f˛il Geschwindigkeit tu˛n kan; so ferl˛irt man doch immer Zeit dabei. Das Schneller ist überhaupt fon nicht kleinem, und bei der Da˛rstellung ist es fon se˛r grossem ˛ Gewicht. Das Reden, und di Mus˛ik lassen uns ire Gegenstende na˛ch und na˛ch hören; di Malerei hingegen zeigt uns di irigen auf Einma˛l, oder f˛ilme˛r beina auf Einma˛l. Dis ferwandelt sich so ga˛r in das Na˛ch und na˛ch, wen der Maler se˛r file Gestalten, und schlechte Gruppen gemacht hat; allein das sol h˛ir nicht in Betracht kommen, und w˛ir wollen jenes bei der Malerei annämen. Es gehört ˛ nicht h˛irhär über den Forzug ˛ des Einen oder des Andern etwas zu sagen; aber angemerkt mus wärden, daß das Na˛ch und na˛ch in zwei Punkten fon dem Beina auf Einma˛l wäsentlich ferschiden sei. Der e˛rste: Der Redende bringt di Forstellungen ˛ in där Ordnung bei dem Zuhörer herfor, ˛ in welcher är di Worte stelt; der Maler hingegen mus seine Gegenstende dem herumschweifenden Auge Preis gäben, welches denn an disem oder jenem so hengen bleibt, daß es darüber, einige Zeit, di andern fast ga˛r nicht s˛it. Är heftet es zwa˛r allerdings auf di Gruppen, wen si gu˛t sind; allein auch di Gruppen haben Teile, und in Ansehung diser kan är dem Herumschweifen nicht genung Einhalt tu˛n. Är kan

Fon der Wortfolge. F˛i rtes Fragment.

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also di Forstellungen ˛ nicht so herforbringen, ˛ wi es zu seinem Zwekke am besten sein würde. Der zweite Punkt: Weil der Redende seine Gegenstende, einen na˛ch dem andern, wi aus NDufteM, herforträten ˛ lest; so macht är dadurch di Erwartung därer räge, di noch nicht da sind. Und wär kent di Läbhaftigkeit des Erwartens nicht. Seine Wirkung ist bei der Da˛rstellung nicht klein. Man denkt sich das bishär Gesagte in seinem weitesten Umfange, wen man sich gute Gemälde, und gute Gedichte forstelt. ˛ Man s˛it, wi f˛il daran lige, welche Wortfolge eine Spra˛che habe. Jezo fon der deütschen Wortfolge. Ich habe bishär immer, wo ich dazu feranlast wurde, angemerkt,* wi der Dichter fon dem Prosaisten abgehe. In Ansehung der Wortfolge tu˛t är dis am oftesten; und är mus es tu˛n, wen är sich anders, auch in disem Betrachte, poetisch-richtig ausdrükken wil. Das Abweichen ist i˛m also nicht etwa blos ˛ erlaubt, sondern es ist Flicht. Ich näme di föllig kalte Prosa zum Ma˛sstabe an, na˛ch welchem ich di auch regelmässigen Abweichungen des Dichters bestimme. Ich weis wol, daß andre Prosa bisweilen auch abge˛t; aber das hindert mich gleichwol nicht, in Prosaisch und Poetisch zu teilen. Denn di Poesi ist zu den erwänten Abweichungen fornämlich ˛ berechtigt; und aus diser U ˛ rsach benenne ich na˛ch i˛r. Di kalte Prosa ist deswägen am geschiktesten Ma˛ssta˛b zu sein, weil si immer diselbe bleibt. Über di poetische Wortfolge ist hauptsechlich zweierlei anzumerken. Fürs ˛ e˛rste macht der Inhalt der Worte, durch di Ordnung selbst, in welche si der Dichter gestelt hat, einen Teil seines Eindruks. Zweitens wird dise Ordnung auch deswägen, weil si abweicht, bemerkt. Di Frage der Ferwunderung z. E. di w˛ir in Prosa so tu˛n: Du hettest ˛in übertroffen? können w˛ir in der Poesi auch so tu˛n: I¸n hettest du übertroffen? und auch so: Übertroffen hettest du i˛n? Forausgesezt, ˛ daß nicht auch auf du ein Na˛chdruk kommen solle; so darf man in dem e˛rsten Beispile i˛ n nicht mit Na˛chdru˛kke aussprechen; denn man redet da noch kalt; aber in den beiden andern Beispilen mus man es so aussprechen. Der Römer oder Gr˛iche mag das i˛ n hinstellen, wohin är wil; so weist di Stellung in nichz zurecht, man kan, na˛chdäm man dabei denkt, den Na˛chdruk darauf lägen, oder auch nicht darauf lägen. Denn seine Spra˛che hat

* Dis Fragment ist eine Stelle aus meiner Grammattik.

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keine festgesezte prosaische Stellung, und also auch keine abweichende, und deswägen bemerkte poetische. Bei ˛im wird, wen är anders stelt, nu˛r der Numerus ferschiden; und das wird är, ausser däm, was w˛ir durch di Stellung ausdrükken, bei uns auch. E ich weiter gehe, und di U ˛ rsachen, warum der Dichter di Ordnung der Worte endert, anfüre, wil ich eine Stelle aus einem Alten übersezen, um den Begrif der Wortfolge überhaupt zu erleütern. Ich mache zwei Übersezungen, di e˛rste mit unsrer, und di zweite mit der lateinischen Wortfolge. Ich bezihe mich h˛irbei auf das U ˛ rteil der Ungele˛rten. Denn di Gele˛rten können h˛ir kaum mitsprechen, weil si zu se˛r an di Wortfolge der Alten gewönt ˛ sind. Hora˛z sagt (ich überseze mit Fleis beina wörtlich) bei Gelägenheit, daß är den jungen Römer krigerischer wünscht: „I¸n fon der feindlichen Mauer erblikkend seüfze das Weib des krigenden Fürsten, und ire reife Tochter: We uns, wen nu˛r der in Schlachten unerfa˛rne königliche Breütigam den beim Berüren wütenden Löwen nicht reizt, welchen der blutige Grim mitten durch das Würgen fortreist.“ Und nu˛n äben di Worte, aber na˛ch Horazens Stellung. „I¸n fon der Mauer feindlichen das Weib des krigenden Fürsten erblikkend, und ire reife Tochter seüfze: We uns, wen nu˛r nicht der unerfa˛rne in Schlachten Breütigam reizt königliche den wütenden beim Berüren Löwen, welchen der blutige mitten durch fortreist Grim das Würgen.“ Und dis ist gleichwol einer fon den schönsten poetischen Perioden, di Hora˛z gemacht hat. Ich sagte oben, bei Gelägenheit des schnelleren Denkens, daß man di Worte, wen si h˛ir und da getrent herum taumelten, mit Zeitferluste zusammen su˛chen müste. Und mich deücht ja, daß es di angefürte ˛ Strofe laut genung bestätigt. Di Gr˛ichen gingen in diser Ferwerfung der Worte nicht so weit, als di Römer. Home˛r ist unter jenen der enthaltsamste. Der gute Alte, där überhaupt ein treflicher Witterer wa˛r, mocht auch wol dafon wittern, daß dise Wortordnung Tükken hette, di der Da˛rstellung zuweilen wol ga˛r bis ans Läben kemen. Di Wortfolge na˛chstehender Stelle aus i˛m ist beina föllig deütsch: Är stig fon des Olimpus Hön ˛ fol Zorn di Sele, den Bogen an der Schulter habend, den ringsferwa˛rten und Köcher. Es erklang das Ge-

Fon der Wortfolge. F˛i rtes Fragment.

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schos an der Schulter des Zürnenden, des Einhärstürmenden. Är ging der Nacht gleich. Är sezte sich h˛irauf fern fon den Schiffen; und hin di Feile sant är. Und ein furchtbarer Klang entstand des silbernen Bogens. Ich glaube gefunden zu haben, wi di ferworfne Wortfolge der Alten entstanden sei. Si hatten eine Menge Wörter mit lauter Lengen, oder lauter Kürzen; und dise Wörter waren noch dazu nicht selten f˛ilsilbig. Oft brachte di natürliche ˛ Wortordnung irer me˛r fon Einer A˛rt zusammen. Dis bald se˛r langsame, und bald se˛r schnelle Sprechen wa˛r denn nu˛n nicht aufzuhalten. Und so trente man, was, der Gedankenfolge na˛ch, zusammen gehörte. ˛ Es wa˛r ein küner Schrit, aber immer einer der Not; ˛ und di hat kein Gesez. Allein man hette nicht gesezloser sein sollen, als es di Not ˛ erfoderte. Dis wa˛r man gleichwol, und oft in hohem Grade. Denn di Trennungen wurden nicht etwa nu˛r gemacht, das erwänte üble ˛ Sprechen zu fermeiden, sondern auch, um einen schönen Numerus zu haben. Ich kenne di Wirkungen des Numerus; aber ich weis auch, daß di dem Denken und Emfinden gemässe Wortfolge überhaupt wichtiger; und daß ire Zerstörung ins Besondre der Da˛rstellung se˛r na˛chteilig ist. Es scheint, bei dem e˛rsten Hinblikke, nu˛r ein kleiner Umstand zu sein, daß in den Spra˛chen der Alten so manches Wort mit lauter Lengen, oder lauter Kürzen ist; und doch hat dis disen Spra˛chen einen se˛r unterscheidenden Zug, und zugleich einen gegäben, där si, fon diser Seite, unter di neüern herabsezt. Der Dichter hat fornämlich ˛ f˛ir U ˛ rsachen, warum är di Wortfolge endert: 1). „Er wil den Ausdruk der Leidenschaft fersterken; 2). etwas erwarten lassen; 3). Unfermutetes sagen; 4). dem Perioden gewisse kleine Näbenschönheiten ˛ gäben, wodurch är etwa me˛r Wolklang, ˛ oder leichtere und freiere Wendungen bekömt.“ Ich nenne dis di Grundseze der Leidenschaft, der Erwartung, des Unfermuteten, und der Näbenausbildung. Der e˛ rste Grundsaz wird wol so am kürzesten und deütlichsten ausgedrükt: Wessen das Herz am folsten ist, dafon ge˛t der Mund am e˛rsten über. Na˛ch dem zweiten wird das Wofon, weiter als gewönlich ˛ ist, fom Anfange des Sazes entfernt. Es ferste˛t sich, daß der Gegenstand ferdinen müsse, so unterschiden zu wärden.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Unsere Spra˛che zeigt schon ˛ darin einen Hang Erwartung zu feranlassen, daß si das Beiwort f or ˛ di Benennung, und di Modifikazion ˛ for ˛ das Modifiz˛irte sezt. Als Unaussprechlich elend. Da, wägen des Na˛ch und Na˛ch der Spra˛chen, errägtes Erwarten überhaupt in irer Natu˛r ligt; so scheint m˛ir dijenige Spra˛che Forzüge ˛ zu haben, di auf disem Wäge weiter als andre fortge˛n kan. Na˛ch dem dritten kömt da noch etwas hinzu, wo di gewönliche ˛ Wortfolge nichz me˛r fermuten l˛is. Als: Herman richtete in der e˛rsten Sigsfreüde ein unordentliches Denkma˛l fon Schilden, Schwärtern, und Lanzen auf, und fon den A˛ dlern der Legionen. Das Hinzukommende mus wichtig genung sein, um so ausgezeichnet zu wärden. Ein Dichter, där den f˛i rten Grundsaz nicht unrichtig anwenden wil, mus f˛il kleine, aber genaue und ware Unterschide machen können, und stark in der Spra˛che sein. Denn sonst mislingen i˛m dise lezten Ründungen des Perioden so se˛r, daß si Auswüxe ˛ wärden. File unsrer neüesten, und in andern Betrachtungen schönen Werke sind fol fon solchen Auswüxen. ˛ Und das ferunstaltet denn doch gleichwol di grösseren Schönheiten. ˛

Fon den abwexelnden Ferbindungen ... Fümftes Fragment.

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Fon den abwexelnden Ferbindungen; und dem Worte: „Ferstehen.“ ______________________________________ Fümftes Fragment. ______________________ W˛ir haben zän abwexelnde Ferbindungen, oder solche, di bald di Abzwekkung und bald di Behandlung erfodern. Si sind: Bei, an, in, f or, ˛ auf, unter, über, zwischen, näben und hinter. Ich rechne bei mit darunter. Dis ligt in dem Begriffe fon bei nicht weniger, als in däm fon näben. Auch brauchten es unsre Forfaren ˛ so; und diser Gebrauch ist jezt noch nicht föllig abgekommen. Mich deücht man mus nichz aus der Spra˛che ferstossen, ˛ was darin zu sein ferd˛int. Reg. 1. Di abwexelnden Ferbindungen haben auf di Fragen: Wan oder Wo di Abzwekkung; und auf: Wi lange oder Wohin di Behandlung. Bei Näben, zwischen, und hinter kan immer gefragt wärden; aber bei den übrigen ge˛t es oft nicht an. Reg. 2. Wen bei disen nicht gefragt wärden kan; so „ferliren si ˛ir Unterscheidendes, si hören nämlich auf abwexelnd zu sein“ und haben dan An, in, bei, f or, ˛ und unter di Abzwekkung; und Auf, und über di Behandlung. Der Ausnamen sind h˛ir so wenige, daß ich si unangefürt ˛ lassen könte. Si schrenken sich nicht nu˛r auf An, in, und auf ein: sondern si kommen auch blos ˛ in folgenden und etwa noch einigen gleichen Redensa˛rten for: ˛ An eine Sache erinnern, an das Wort halten; in das Geld ferl˛ibt, sich in sein Schiksa˛l finden: auf seinem Saze beste˛n. Überhaupt kan Jeder di f˛ir erwänten Fragen leicht tu˛n. Es wa˛r also überflüssig Beispile anzufüren. Doch mögte fileicht einigen bei Folgendem di rechte Frage schwe˛r sein: Das Regiment kam an den Wald, oder an dem Walde zu ste˛n. Das lezte; und also Wo. Denn man denkt es nicht so: ka˛m an den Wald, um dort zu ste˛n; sondern zu ste˛ n kommen, und ste˛ n ist beina einerlei. In: Wolken hingen über sein Haupt fragt man Wohin. Es sol ein fortwärendes Herunterwallen ausgedrükt wärden. In über seinem Haupte stünde di Handlung stil. Di Wörter, durch welche w˛ir di Handlung der Sele, das Ferste˛n, ausdrükken, scheinen beim e˛rsten Anblikke fon sinlichen Handlungen

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blos ˛ in der Absicht härgenommen zu sein, um jene mit disen zu fergleichen, und si dadurch deütlicher zu machen. Ich glaube aber, daß es sich mit der Sache anders ferhalte. Zu der Zeit, da man anfing di erwänten Wörter nötig zu haben, waren di Gegenstende des Denkens gröstenteils sinlich; und man na˛m also sinliche Handlungen for, ˛ wen man si erkennen wolte: und so lag es in der Beschaffenheit der Sache, dijenigen Wörter zu brauchen, welche äben dise Handlungen, wen si nicht in der Absicht des Erkennens ferrichtet wurden, schon ˛ ausdrükten. Man faste also etwas, um es zu häben, fortzutragen u. s. w. man faste es aber auch, um es zu fülen, oder genauer anzuse˛n; und nu˛n wurde di erreichte Absicht, nämlich das Erkennen, durch das Wort der Handlung, di in diser Absicht gesche˛n wa˛r, na˛ch einem gewönlichen ˛ Gedankengange, bezeichnet. (Für ˛ fassen braucht man im Nidersexischen so ga˛r das Wort pakken.) Begreifen zeigt eine genauere Untersu˛chung als fassen an. Abnämen z. E. Ich kan daraus abnämen, daß u. s. w. Man nimt etwas fon einer andern Sache ab, oder weg, um es näher zu betrachten. Fernämen, zu sich hinnämen. Es wird zwa˛r jezt gewönlich ˛ für hören gebraucht; man sagt aber auch: Ich kan mich ga˛r nicht daraus fernämen. Fernumft zeigt di folle Bedeütung des Worts. Sich etwas f orstellen. ˛ Man stelt also das Ding, das man betrachten wil, f or ˛ sich hin. Einse˛ n, so f˛il als hineinse˛ n, also se˛r sorgfeltig bese˛n. Unser Sele h˛is im Gotischen Saiwala (ein Ferkleinungswort, di bei unsern Alten überhaupt se˛r gebreüchlich sind) fon saiwan, sehen, also Sehende oder Seherin. In gewissen Gegenden sagt man noch jezt stat: trit h˛i rhin, dorthin; ste h˛i rhin, dorthin. In entste˛ n hat ste˛ n äben dise Bedeütung. Das Entstehende trit herfor, ˛ heraus. Einem nicht entste˛ n. Man trit nicht fon i˛m weg; man ferlest ˛in nicht. In diser Bedeütung fon stehen heist also ferste˛ n so f˛il als hinzuträten. (Im Nidersexischen bedeütet ferste˛ n noch jezt, nicht nu˛r begreifen, sondern auch ausste˛ n, aushalten. Wär etwas ausste˛t, tu˛t me˛r, als daß är hinzutrit; är bleibt ste˛ n. In Rüksicht auf dise Bedeütung würde ferste˛ n, als begreifen genommen, noch na˛chdrüklicher sein.) W˛ir haben gese˛n, daß man, um besser untersu˛chen zu können, faste, begrif, abna˛m, zu sich hinna˛m, f or ˛ sich hinstelte, hineinsa; warum solte man nicht auch, aus gleicher U˛rsach, hinzugeträten sein?

Zur Geschichte unsrer Spra˛che. Sextes Fragment.

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Zur Geschichte unsrer Spra˛che. _______________________________ Sextes Fragment. ____________________ Wen auch di e˛rsten einfachen Stamwörter unsrer Spra˛che, als in der Beschaffenheit des Menschen gegründet, entstanden, und nicht wilkürlich ˛ gewälte Zeichen des Emfindens und Denkens gewäsen weren; so sind w˛ir doch fon der Entstehung diser Spra˛che˛rstlinge f˛il zu weit entfernt, um beurteilen zu können, ob si noch di rechten sind, oder f˛ilme˛r, ob sie es zu Ulfila˛s Zeiten noch waren, das ist, ob si nicht aus anfangs unwilkürlichen, ˛ durch Ferwexlung, und zuweilen wol ga˛r Auslassung der Bu˛chstaben schon ˛ dama˛ls zu wilkürlichen ˛ geworden waren. Weiter als bis zu Ulfila˛n, där noch dazu in seinen kurzen Fragmenten nu˛r wenige Wörter hat, können w˛ir nicht zurükge˛n. Das Zeltische weist uns nirgends hin. (In einem Gesange der Temora kömt nu˛r Boe, Bogen for.) ˛ Denn dis, und das Deütsche waren schon ˛ zu Ariowistens Zeiten se˛r ferschiden. Na an di Zeiten des nicht wilkürlichen ˛ Sprechens, wen anders jema˛ls so gesprochen worden ist, reicht also di auf di Stamwörter gegründete Kentnis fon unsrer Spra˛che nicht: und wi ist si, zu nicht geringer Ferdunklung diser Kentnis, selbst fon Ulfila˛n bis auf uns, fon dem Strome der Spra˛chferenderlichkeit, welcher Zeichen und Bezeichnetes ergreift, fortgerissen worden. Wär also über jenes u˛rsprüngliche Unwilkürliche ˛ f˛il forbringt, ˛ där kan sich und andern zwa˛r als ein tifer Untersu˛cher forkommen; ˛ ob är es aber sei, ist eine ganz andre Frage. Und wi kan är es auch sein? Denn är weis ja so ga˛r noch nicht einma˛l, daß aus der Luft gegrifne Meinungen, und Geschwez se˛r genau fereinigte Dinge sind. Unsre Spra˛che wa˛r bishär unter iren Müttern den Munda˛rten (denn di Spra˛chen haben file Mütter) mit der Wildheit unerzogner Kinder herum geirt. Luther, ein Man, där finden konte, su˛chte si dort auf, und fürte ˛ si in sein Haus. Si mochte dama˛ls etwa zwölf Ja˛r alt sein. Der gute Alte gewan si gleich innig l˛ib. Är ging se˛r freündlich mit i˛r um. Denn si wa˛r ein samftes und heftiges Kind. Är lernte fon ˛ir; und le˛rte si auch wol, mit aller seiner Freündlichkeit, ferste˛t sich: aber wen si störrisch wurde, so sezte är i˛r den Kopf zurecht. Är ga˛b ˛ir folle schmakhafte Trauben; und merkte es i˛r bald ab, welche so recht für i˛ren Gaumen

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weren. Dise la˛s är ˛ir aus. Und dana˛ch gedi und wu˛x si, daß es eine Lust zu sehen wa˛r. Aber är ga˛b ˛ir noch etwas, das seit je här nu˛r Wenige haben gäben können. Es sind Morgen, heilige Frühen, an dänen etliche Tautropfen fom Himmel fallen, di där nu˛r finden kan, däm der Genius das Auge wakker macht. Luther brachte der jungen Spra˛che nicht wenig dises Taues, so wi är in seiner Schönheit ˛ und Frische noch am Palmblatte herunter hing, und sterkte ire innersten Läbensgeister damit. Luther wa˛r nicht me˛r; und nu˛n wurde di Spra˛che nicht me˛r wi zuvor ˛ geflägt. Endlich ka˛m Opiz. Där gab i˛r wider Trauben. Seit i˛m hat si z˛imlich lange fürl˛ ˛ ib nämen müssen. In den lezten Tagen der schlechten Kost hat man ˛ir so ga˛r Krezer und Kirbisbrei aufgetischt. Si wa˛r in irem sechzänten Jare, und hatte seit Kurzem wider fon guten Räben gekostet, als einer zu ˛ir ka˛m, där gleich bei irer e˛rsten Erblikkung ernst, und fon der wexelnden Röte und Blesse der schnelentstehenden Libe ergriffen wurde. Das sol si ˛im ni fergessen haben. Auch hat si, wi man erzält, nu˛r for ˛ i˛m getanzt. Es ist fon ˛im des Fabelns noch me˛r. Är bra˛ch i˛r, heist es weiter, …. di man gu˛tedel nent, ………… getroffen wa˛r; und fon däm sol so ga˛r dem hohen stolzen Mädchen das Auge glenzen. Na˛ch und na˛ch fand är bei ˛ir immer me˛r gute Geselschaft mit reifen Körben aus den Weinbergen. Aber zulezt überl˛if si auch Geselschafterei, welche ˛ir, di ni etwas aus dem T˛irreiche gekostet hatte, noch kosten wird, nu˛r alzugern Sperlinge, Habichte, und Krähen aufgedrungen hette. Ungefär um dise Zeit, si wa˛r for ˛ Kurzem in i˛r s˛ibzäntes Ja˛r geträten, sol si einma˛l zu jenem, dessen forhär ˛ erwänt wurde, gesagt haben: Wen du wirklich l˛ibst; so las dich fon m˛ir auf di Probe stellen. Wilst du di Läbensregeln, di ich m˛ir forgeschriben ˛ habe, bekant machen, damit sich, wär mich mit Narung fers˛it, dana˛ch richte? Denn so nu˛r wärd’ ich so spät, als möglich ist, eltern. Aber wird dich di Trokkenheit, di dis für ˛ so File hat, nicht dafon abschrekken? Wilst du in der Sache ga˛r so weit ge˛n, daß du bei Erwänung der Farben, mit dänen ich am redendsten gema˛lt wärde, di unnötigen wegwirfst, den treffenden ire Stelle bestimst, und dich dadurch um meinentwillen al dem Geklage der Leüte aussezest, daß inen di Augen nicht aufhörten, ˛ und ni aufhören würden fon der neüen Farbenmischung we zu tu˛n? Ich wil Alles, antwortete är, denn ich libe.

Neüe Silbenma˛sse. Sibentes Fragment.

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Neüe Silbenma˛sse. ______________________________ Sibentes Fragment. (Siehe „Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse“, gedruckte Fragmente) _______________________ selmer. Der Anapest, dän ich nu˛r spa˛rsam in der tragischen Fersa˛rt brauchen durfte, hat einen so schönen Gang, daß är ferd˛int in einer andern der herschende Fu˛s zu sein. Ich gäbe ˛im den Bacheus zum Begleiter, weil diser das Feüer desselben, one es zu unterdrükken, am besten mässigt. Das Schema der anapestischen Fersa˛rt ist: vvc , vvc , vvc , vvc , vvc , vc . vcc , vcc , vcc , vcc . Si sehen gleich, daß der schnelste Fers dises Silbenma˛sses folgender ist: vvc , vvc , vvc , vvcvv , cvc . Es erschol fom Gebirg in der Nacht ein geflügelter Donnerru˛ f. Und der langsamste: vccv , cc , vccv , ccv , vc , vc . Da lautheülend Sturmwind’ an Felsklüften härbrausten, und Schlag auf Schlag Fileicht hat diser den schönsten Tonferhalt: ˛ vvc , vcc , vvc , vvcv , vcvc . Und är sang, was stilste˛nd der Eürot, ˛ fon Apollo, där Schäfer wa˛r. Oder där: vvc , vcc , vvcvv , cv , vc , vc . Mit dem We˛n des Palmbaums in gelerigen Heinen entzükt ferna˛m. werthing. Für ˛ welche Materien würden Si dise Fersa˛rt forzüglich ˛ bestimmen? S. Für ˛ alle, di mit einem gewissen feürigen Ernste müssen ausgefürt ˛ wärden. Überhaupt gehört ˛ si nu˛r für ˛ eine Ausfürung, di starke poetische Farben hat. Weil Si doch so f˛ilwissend in der Kentnis des Silbenma˛sses geworden sind, Minna; so wil ich Si eine andre Fersa˛rt, di ich habe, entdekken lassen. Hören Si, und sagen Si m˛ir das Schema derselben.

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Wen der Morgen in dem Mei mit der Blüten e˛rstem Geruch erwacht; So begrüsset ˛ i˛n entzükt fom betauten Zweige des Walds Gesang, So emfindet, wär in Hütten an dem Walde wonet, wi schön ˛ du bist, Natu˛r! Jugendlich helt sich des Greises Blik, und dankt! Lauter freüt Sich der Jüngling. Är ferlest mit des Rehes leichterem Sprung den Busch, Und ersteigt bald den erhöteren Hügel, stehet und schaut umhär, Wi Aurora mit dem rötlichen ˛ Fu˛s auf di Gebirge trit, Und den Früling um sich här mit dem We˛n der frühen Luft samft bewägt. Wen der Morgen des Dezembers in des Frostes Düften erwacht, und glenzt; So begrüsset ˛ i˛n mit Hüpfen fon dem Silberzweige der Senger Folk, Und ersinnet für ˛ den kümftigen Mei neüe Gesenge sich, So emfindet wär in Hütten auf dem Lande wonet, wi schön ˛ du bist, Natu˛r! Munter erhelt sich des gesterkten Greises Blik! Me˛r noch fült ˛ Sich der Jüngling. Är enteilt mit des Rehes leichterem Sprung dem Härd, Und im Laufe zum besternten Landse, blikt är umhär, und s˛it, Wi Aurora mit dem rötlichen ˛ Fu˛s halb im Gewölke ste˛t, Und der Winter um sich här das Gefild mit Schimmer bedekt, und schweigt. O ˛ir Freüden des Dezembers! Är ru˛fts, seümt nicht, betrit den Se, Und beflügelt sich mit Stale den Fu˛s. Ein Stäter sein Freünd ferl˛is Den Kam˛in frü. Är entdekt fon dem hohen Ros in der Ferne schon ˛ Den Landman, wi är schwäbt, und den Kristal hinter sich tönen lest. O ˛ir Freüden des Dezembers! so ru˛ft der Stäter nu˛n auch, und springt Fon dem Rosse, das in Wolken des Damfes ste˛t, und di Mäne senkt. Jezt lägt auch di Beflüglung des Sta˛ls der Stäter sich an, und reist Durch di Schilfe sich herfor. ˛ Si entschwingen, Feilen im Fluge gleich, Sich dem Ufer! Wi der schnellende Bogen hinter dem Feil ertönt, ˛ So ertönt ˛ das erstarte Gewesser hinter den Fligenden. Mit Gefüle der Gesundheit durchströmt ˛ di frohe Bewägung si, Da di Külungen der reineren Luft i˛r eilendes Blu˛t durchwe˛n, Und di za˛rteste des Nerfengewäbs Gleichgewicht halten hilft. Unermüdet fon dem flüchtigen Tanze schwäben si Tage lang, Und mus˛iklos ˛ gefelt är. Wen am Abend rauchender Winterkol ˛ Si gelezt hat, so ferlassen si schnel di sinkende Glu˛t des Härds, Und beselen sich di Färse, di Ru der schimmernden Mitternacht

Neüe Silbenma˛sse. Sibentes Fragment.

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Durch di Freüden des gewagteren Laufs zu stören. Si eilen hin, Und ferlachen, wär noch jezt bei dem Schmause weilet, und schlummernd gänt. Di Gesünderen und Froheren wünscht der kennende Zeichner sich, Und fertauschte das gelonte ˛ Model gern mit dem freieren! Da der Weichling Alzindor so gesprochen, gürtet er fester noch Sein Rauchwerk! Und di Flamme des Kam˛ins schwinget noch lermender In dem neüen Gehölze sich empor! ˛ Dikker und höher steigt, Aus der follen unermeslichen Schale, duftend fon weissem Rak, Der Punschdamf! An des Schwezenden Stalen naget indes der Rost! (Vgl. HKA,Werke I 1, S. 252, 254, 256; Werke I 3. S. 596–602.) M. I¸r Blat. Ich mus es selbst durchläsen. Haben Si di Fersa˛rt schon ˛ heraus, Werthing? W. Es komt m˛ir so for. ˛ M. Wen Si Irer Sache gewis sind; so schweigen Si. Dis ist Ire Fersa˛rt, Selmer. Je gewisser ich meiner Sache zu sein glaube, desto weniger müssen Si mich auslachen, wen ichs nicht getroffen habe; sonst wärde ich böse, und nicht in Scherze böse. W. Es ist m˛ir se˛r angenäm, daß Si es nicht in Scherze wärden wollen; aber schreiben Si. M. Noch einen Augenblik. vvcv , vvcv , vvcv , cvv , cvc . vvc , vvc , vvc , cvc , cvc . vcc , vcc , vcc . Der Didimeus ist der herschende Fu˛s, (an dessen Stelle, der Änlichkeit wägen, der Jonikus auch wol einma˛l gesezt wird) der Anapest därjenige, där am oftesten mit ˛im abwexelt; der Bacheus, där am seltensten forkömt. ˛ Der gewönlichere ˛ Ausgang ist der Dakt˛il und Kretikus. S. Heiners, wollen Si Richter sein: Ob ich Minna böse machen kan? Da haben Si unsre beiden Bletter. H. Ich mus Inen geste˛n, daß ich nicht genau genung Achtung gegäben habe. M. Oder haben Si fileicht noch eine andre U ˛ rsache, daß Si den Ausspruch nicht tu˛n wollen? H. Lassen Si m˛ir wenigstens etwas Zeit.

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M. Ich kan das nicht abwarten. Sagen Si m˛ir, Selmer, hab’ ichs getroffen, oder nicht? S. Ich wolte jezt, ich het es nicht schon ˛ so oft gesagt, daß Si eine se˛r angenäme Zuhörerin sind. M. Wen ich jema˛ls Dichterin wärde, so zi ich dise Fersa˛rt gewis andern for. ˛ E˛rst, welche Schnelligkeit, so oft drei kurze Silben hinter einander; und dan helt man dise Schnelligkeit doch auch durch den Bacheus, und den doppelten Kretikus des zweiten Ausgangs auf. S. Di Anmerkungen, di ich noch darüber zu machen habe, sind ungefär dise: Der Bacheus darf nima˛ls auf den Didimeus folgen, um di Gleichheit mit dem Schlusse des Hexameters zu fermeiden. Der herschende Fu˛s mus wenigstens einma˛l in jedem Ferse forkommen. ˛ Ich nenne dis Silbenma˛s na˛ch disem Fu˛sse das peonische. *

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Lirische Silbenma˛sse: cvvc , vcvc , vcvvc , cvvc , vvc , cvvcv , vcc , vvcv . Klang des Gefüls, ˛ du ladest mich Zum neüen Gesang immer noch ein! O des Heins Qelle, Siloa, Di stilste˛nd bei der Harfe vvcvcvcvvcvc , vcvvcvcvcvvc , vcvcvvcvcvvc , vcvcvcvvcvvc . Zu der Schlacht, zum Sig’ heran! Der Gespilen Schwärt Beströmte ˛ schon ˛ Blu˛t! Heran! zum Tode fileicht. Si trauert nicht des Geschrekten Mutter; es weint Di e˛dle Träne gern, di den Künen geba˛r! cvcvvcvvccv , vvc , vvc , v ccc cvvcv cv , c vcc , vcc , vvcv.

Neüe Silbenma˛sse. Sibentes Fragment.

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Endlich stürzte das Wetter den Schlag furchtba˛r In das Me˛r! und der Stra˛l zükt hoch ˛ här! Aber noch schwig das Me˛r stez; Und bleich sa der Steürman zu der Wolk auf. cvvc , vvcvv , cvvc , vvcc , cvvc , vvccc , vvcvvcv , cvc , vvcvvcvvcvcv , cvvvcvvccc . Schreklich erschol der geflügelte Donnergesang in der He˛rscha˛r! Jeden entflamt in des Angrifs Zorn des unsterblichen Namens Heisser Durst; und je blutiger einem di Wunden strömten, ˛ Desto triumfirender drang där ein!

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. (1779)

Na˛chläse. (Zu „Fom deütschen Hexameter. E˛rstes Fragment.“) _________________________________ Seite 101 (299). 5

1. „Di kurzen Selbstlaute …q“p 2. (recte: 3.) „Di Selbstlaute ä …q“p ___________________________

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Aristides sagt, „daß di kurzen und di langen Selbstlaute, am Ende der Wörter, zweizeitig sein.“ Bei den langen sezt är di Bestimmung hinzu, daß das folgende Wort mit einem Selbstlaute anfangen müsse, und färt dan fort: „Weil h˛ir kein Mitlaut ist, där di beiden Selbstlaute ferbinde; so wird, indäm der ofne Mund den Schal herforbringt, ˛ der gute Klang aufgelöst. ˛ W˛ir bemühen uns dan mit fortgehender Stimme den zweiten Selbstlaut zu erreichen, e w˛ir noch den e˛rsten föllig ausgesprochen haben; und so ferl˛irt denn diser etwas fon seiner Dauer.“ Ich hette h˛irwider Files zu sagen; allein es ist nicht nötig, weil Eine Bemerkung alles über den Haufen wirft. Man näme dise beiden Beispile chrüseoo ana, und geneto iachä. In dem e˛rsten ist der h˛ir für ˛ zweizeitig erklärte lange Selbstlaut oo kurz; und in dem andern ist der h˛ir gleichfals für ˛ zweizeitig erklärte kurze Selbstlaut o lang. Beide sinds unter einerlei Umstenden, und müssens dahär auch aus einer und äben derselben U ˛ rsach sein. Daß also der kurze Selbstlaut o lang wurde, weil är etwas fon seiner Dauer ferlor. ˛ Der Grund, warum Aristides glaubt, daß di kurzen Selbstlaute in der Endsilbe, oder auch als Endbu˛chstaben, zweizeitig sein, ist diser: „Der Abstand, sagt är, welcher fon der Endung des forhärgehenden ˛ Wortes bis zu dem Anfange des folgenden ist, gibt diser Silbe di Lenge.“ Ich übergehe, daß di einsilbigen Wörter mit einem kurzen Selbstlaute fergessen sind; und daß das h˛ir Gesagte dem Forigen widerspricht. Denn na˛ch däm, was wir jezt hören, wird oo in chrüseoo ana noch lenger, als es an sich selbst ist. Das also o in geneto iachä, wägen des fast unmerklichen Aufhörens, wodurch der Sprechende ein Wort fon dem andern sondert, lang würde. Ich kan dis nicht als wa˛r annämen. Denn weil Aufhören, und Reden etwas se˛r fersch˛idnes sind, so dürfen auch ire Zeiten nicht, als

Na˛chläse.

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einerlei geltend, ferbunden wärden. Aber gesezt, daß si dürften; so ist ja doch nicht auszumachen, ob di Zeit des Aufhörens zum Forhärge˛ henden oder Folgendem, in unserm Beispile, zu o oder i gerechnet wärden müsse. Auch di Pause des Musikers hören w˛ir nicht, als eine Mitzeit der gesp˛ilten oder gesungnen Note; sondern w˛ir hören nu˛r di Zeit der Note selbst. Di Pause wird übrigens aus bekanten guten U ˛ rsachen gesezt. Ich hette unsre neüern Prosodisten nicht allein beschuldigen sollen, daß si den Silbenzwang der gr˛ichischen Dichter zu beschönigen su˛chten. Denn etliche der alten Prosodisten habens auch nicht daran fälen lassen. Ich besan mich h˛irauf nicht, als ich jenes sagte. Ich habe Aristiden, där überhaupt ein Kritikus fon filem Urteile ist, auf eine A˛rt widerlägt, daß dabei selbst keine Ausflüchte stat finden. Man wird m˛ir also, denk ich, zutraun, daß ich dijenigen Kritiker, di unter i˛m sind, wenigstens äben so gu˛t widerlägen würde. Und so het ich denn auch nicht nötig me˛r über di Sache zu sagen. Aber gleichwol dürft es fileicht für ˛ Einige nicht ganz überflüssig sein noch Folgendes hinzu zu sezen: So oft Dion˛is prosaische Stellen in künstliche Füsse ˛ teilt, so sagt är es alzeit, wen är zweizeitige Silben darin antrift. Es sind ˛im also alle Silben, bei dänen är der Zweizeitigkeit nicht erwänt, unferenderlich lang, oder kurz. In wenigen Zeilen, di är so geteilt hat, sind fon folgenden Silben, welche di Beschöniger für ˛ zweizeitig ausgäben, kurz men, di dritte des Antibacheus, ferner dres, di e˛rste des Anapestes; und lang thai, (es folgt ein Selbstlaut) di dritte des Dispondeen. Men macht das Wort selbst aus; dres und thai sind Endsilben. Diser Untersch˛id kömt bei der Sache nicht in Betrachtung. Man stelle sich jezt eine ganze Rede for, ˛ di Aristides teilt: Wi oft är da widerholen mus: Ein solcher Fu˛s, oder wen man liber wil, ein solcher; und wi man, wen man ˛im glaubt, an dem Schwankenden der so se˛r angestaunten gr˛ichischen Qantite˛t nu˛n follends sein blaues Wunder hört. ˛ Wen man also durch Dionisen weis, daß folgender Fers (Di zweizeitigen Selbstlaute sind in gewissen Wörtern bestimt, und gehören als solche h˛irhär.) der Fers: Lege de sü kata poda neolüta melea. aus lauter Pirrichien bestehe; so kan man gleichwol, wen man wil, fon Aristiden lernen, daß är auch so könne ausgesprochen wärden:

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_ _ _ _ _ _ Lege de sü kata poda neolüta melea. Wir haben seine Gründe gehört. ˛ Di Ferwandlung der langen Selbstlaute in kurze, und diser in jene ist Silbenzwang; wi mans da, wen man andrer Meinung ist, auch bige oder breche. Wär sich also fon Aristiden irre machen lest, där beschuldigt di Gr˛ichen, nicht etwa der Na˛chsicht, den Silbenzwang erlaubt, sondern der Harthörigkeit, einen regelmässigen gehabt zu haben. Seite 104 (300). „Pros ist kurz …. Spondee sein mus.“

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Der Ferfasser, där fileicht nu˛r Long˛ins Scholiast ist, ferga˛s, da är das Angefürte ˛ schr˛ib, sein prosodisches Siste˛m, na˛ch welchem är sich, wi man aus dem Forhärgehenden ˛ s˛it, fon ungefär so hette ausdrükken müssen: „Pros ist zweizeitig; Home˛r braucht es dahär, wi är darf, lang in Pros oikon, weil da der Fers einen Spondeen erfodert.“ So drükte är sich aber nicht aus, sondern l˛is sich fon der wirklichen Beschaffenheit der Sache überraschen, und schr˛ib hin: „Pros ist kurz; es ste˛t aber stat einer Lenge, wen Home˛r sagt: Pros oikon, weil der Fu˛s ein Spondee sein mus.“ Solche Fingerzeige der Übereilung sind äben nicht zu verachten. Man folgt inen oft wol so sicher, als ordentlichen Wägweisern.

Fon der Schreibung des Ungeh örten. ˛ Achtes Fragment.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. __________________

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Fragmente fon Klopstock. E˛rste Fortsezung. Fon der Schreibung des Ungeh örten. ˛ Achtes Fragment. ___________________ In Blumenstükken wärden Blumen, und weiter nichz gema˛lt. Dem Künstler f˛ils selber nicht in Traum ein di Gerüche mitmalen zu wollen. Und gleichwol sinds gema˛lte Gerüche, was där fon der Ortografi fodert, där auch das Ungehörte ˛ geschriben se˛n wil. (Ich glaubte schon ˛ genung h˛irfon gesagt zu haben; aber di Erfarung überzeügt mich, daß ich irte.) Der Schreibende sol also deütlicher, als der Redende sein. Denn nu˛r h˛irauf kan sich di sonderbare Foderung gründen. Aber warum denn deütlicher? Etwa deswägen, weil, wär list, so oft är wil, zurükläsen kan; der Hörende hingegen nu˛r se˛r selten fragen darf? Man stelle sich eine nu˛r mässig gute Geselschaft for, ˛ und Jemanden darin, där gesagt hette: „Da si du zu, wi du si dafon überzeügst.“ und dan einen, där h˛ir fragte: „Welches fon den beiden si ist das Zeitwort, und welches das Fürwort?“ ˛ wi da di Andern den Frager mit Spot oder Mitleiden anse˛n würden. Und gleichwol ist es nu˛ r so etwas, das man fon däm, där schreibt, beantwortet haben wil. Allein auch in däm Falle, daß es dadurch, daß Zurechtweisung dabei nötig zu sein schine, wichtiger were, könte doch fon dem Schreibenden nicht me˛r Deütlichkeit, als fon dem Redenden ferlangt wärden. Denn der Läsende müste ja so ga˛r zufriden sein, wen man sich ˛im noch weniger deütlich, als dem Hörenden machte, weil är sich dadurch helfen kan, daß är noch Einma˛l list, was är nicht gleich ferstanden hat.

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Ich habe einen Fal gesezt, där bei unserm eingefürten ˛ Geschreibe des Ungehörten ˛ ga˛r nicht forkomt. ˛ Denn wozu braucht es in folgenden Punkten, di ich m˛ir denn also di Mühe nämen mus anzufüren, Zurechtweisung? Jeder Deütsche weis, seitdäm är lallen konte, daß är kommen, nicht komen; Tritte, nicht Trite aussprechen müsse: warum sol är also dafon durch di Schreibung komm und Tritt bele˛rt wärden? Und wen är ja so harthörig were, (man flägt dis, so f˛il ich weis, nu˛r bei gr ossen, ˛ und grosen zu sein) so harthörig, daß är kommen und komen, Tritte und Trite nicht unterscheiden könte: so we˛rt es i˛m ja Nimand di Ferdoplung der Mitlaute in den geschr˛ibnen kommen, und Tritte mit sichtlichen Augen zu se˛n; und är müste, mich deücht, mit Ferdrus bemerken, daß man es i˛m überdis auch noch durch kom m und Trit t einbleüen wolte. Kurz, wen är recht bedenkt, wi man i˛n h˛ir gengelt; so kan es nicht fälen, daß i˛n dise gema˛lten Gerüche anstinken. Es ist ferner ga˛r t˛ifligende und f˛illerende Etimologi, wen man den in ziehen durch das überflüssige e gemachten Fäler in ziehet widerholt; ˛ oder in zieht durch das nicht ausgesprochne h einen andern macht. Denn man kan ja, wen ziet, oder ga˛r mit einem neüen Zeichen der Denung z˛i t geschriben wird, auf keine Weise zu der grossen ˛ Einsicht kommen, daß das h in ziehet zurükke˛rt, ob man es gleich tagtäglich so mit Oren hört, ˛ oder, hat man keine, mit Augen s˛it. Mit dem durch ein Häkchen ausgedrükten weggelasnen e ferhelt es sich nicht f˛il anders. Wen durch: Si l˛i bt es, für: Si l˛i bt’ es, etwas ferse˛n wird; so fers˛it es die Spra˛che, aber nicht die Rechtschreibung. Und wofern jener Frager auch h˛ir zum Forscheine ˛ keme, und das Gespräch unterbre˛che: „In welcher Zeit redeten Si, in der jezigen, oder forigen?“ so würde man i˛n, wen man sich anders aufs Antworten einl˛isse, mit der Bitte heimweisen, auf di Ferbindung Acht zu gäben. Auch das ä, welches bei der Ableitung unrichtig für ˛ das richtige e gesezt wird, ist zur Schreiberei des Ungehörten ˛ zu rechnen. Denn w˛ir sprechen nu˛n einma˛l fon Land nicht Länder, sondern Lender aus. So auch fende fon fand, scherfer fon scharf. In besser machen w˛ir es schon, ˛ wi es sein mus; fermu˛tlich, weil w˛ir das Stamwort bas nicht kanten, und dahär auch keinen Anlas hatten, di Regel der Gemechlichkeit, na˛ch welcher a nu˛r zu ä wird, durch bässer anzubringen. Unsre Alten, ob si gleich in der Ortografi noch me˛r als w˛ir schwankten, waren gleichwol darin weniger als w˛ir zurük, daß si gewönlich ˛ Hende,

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were, gefellig u. s. w. schriben. Da di Einwürfe wider den Grundsaz: „Das Gehörte ˛ der guten Ausspra˛che na˛ch der Regel der Spa˛rsamkeit zu schreiben“ gröstenteils fon der zu bezeichnenden Etimologi härgenommen sind; so ist es sonderba˛r genung, daß man dabei so weit ge˛t, auch die Bezeichnung der falschen Etimologi zu ferlangen. Welche winzige, unna˛rhafte, etimologische Brokken sind es überhaupt, di uns di jezige Ortografi zum Besten gibt. Bei der Rechtschreibung kan nu˛r in so fern fon Andeütung der Etimologi di Rede sein, als dise mit der Ausspra˛che übereinstimt. Wen sich dis nicht so ferh˛ilte; so würden w˛ir se˛r unrecht haben mit jenen unna˛rhaften Brokken für ˛ l˛ib zu nämen. Di Rechtschreibung müste uns dan ganz andre Etimologien (auch mit neüen Zeichen, wen es nötig were) andeüten. Z. E. di Abstammung unsers Wortes Sele fon dem alten saiwan (sehen) und andre fon gleicher Erhäblichkeit. (Fon saiwan, Saiwala. Beide Wörter hat Ulfila. W˛ir haben das lezte in Sele zusammengezogen. Es ist also das Ferkleinungswort bis auf uns gekommen; obgleich in den spätern Zeiten Ludewigs des Frommen bei den nördlichen Deütschen Sebo wenigstens me˛r in Gebrauch wa˛r.) Di grossen ˛ Bu˛chstaben. mit dänen w˛ir di Benennungen, Namen, Ferse, und Perioden anfangen, haben zwa˛r nichz mit der Etimologi zu tu˛n, aber si lauten wi di kleinen, und gehören dahär, als grosse, ˛ zu dem Ungehörten. ˛ Di Alten fangen ni di Benennungen damit an. Die Neüern tu˛ns nu˛r h˛ir und da, w˛is kömt. W˛ir schwankten ema˛ls auch so. Fileicht het ich di grossen ˛ Bu˛chstaben nicht beibehalten sollen. Es ist dis einer fon dänen Punkten, bei welchen ich one Weiteres der Me˛rheit der Stimmen folgen wärde. Ich habe di Gründe, welche m˛ir ferbiten auch das Ungehörte ˛ zu schreiben, angefürt. ˛ Man untersu˛che si; nu˛r lasse man den kurzdaurenden Eindruk, där durch den Anblik des Ungewönlichen ˛ entste˛t, keinen Gegengrund sein. Überhaupt ist m˛ir wider di Ortografi, di ich forschlage, ˛ noch kein Einwurf gemacht worden, dän ich nicht in der Ferne kommen gese˛n, und ˛in dahär nicht, wenigstens mit einem Winke der Zurechtweisung, zurük zu halten gesu˛cht hette. Wär m˛ir ferner Einwürfe machen wil, där wird nicht übel tu˛n, wen är sich di forgeschlagne ˛ Ortografi, als eingefürt, ˛ und zugleich di Aufname desjenigen forstelt, ˛ welcher dan di jezige einfüren wolte. Dis könte, mich deücht, machen, daß ˛ir Ungegründetes desto sichtlicher in di Augen file.

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Der Dichter mag di Forstellung, ˛ di är fon seinem Gegenstande machen wil, mit noch so reiner Bestimmung angelägt, und si bis zu den lezten Ründungen ausgebildet haben; är mag auch seine Spra˛che in dem ganzen Bedeütungsumfange i˛rer Worte, und jeder Bildsamkeit na˛ch kennen, mit där si di Gestalt des Inhalz annämen kan: so teilt är doch seine Forstellung ˛ dem Zuhörer nicht so mit, wi si ˛im forschwäbt; ˛ wen di Spra˛che nicht dazu hinreicht. In seiner Sele wa˛r fileicht Gemälde; und es wird Kupferstich: Saz zum Singen; und är wird nu˛r gesp˛ilt: wol ga˛r Gedanke des Gr˛ichen; und är ferwandelt sich in Gedanken ich weis nicht welcher Neüern. So se˛r komt es auf di Beschaffenheit der Spra˛che an, in welcher der Dichter schreibt. Das Wenige, was ich h˛irfon in Folgendem sagen wärde, bez˛it sich, wen nicht allein, doch fornämlich ˛ auf die höhere Poesi. Di Gegenstende sind h˛ir in dem Geiste des Dichters so follendet, daß si, so bald si durch di Spra˛che hörba ˛ ˛r wärden, in nicht kleiner, und oft widerkommender Gefa˛r sind, in Tönen, di si nicht ganz und nicht rein ausdrükken, zu ferhallen. Der Gra˛d, in welchem ein Wort me˛r oder weniger gut ist, entscheidet, ob es der Gegenstand zu sich erhäben kan; oder ob diser weichen, und sich zu dem Worte mus herunterz˛in lassen. Gewittert haben dis einige wenige Dichter; aber ich zweifle, daß si es durchgese˛n haben. Der Dichter, där hohen Inhalt, und eine Spra˛che hat, in welcher är erhäbbare Worte antrift, feredelt, wen är si wält, seine Spra˛che. Allein oft ist es ein steiler und schlüpfriger Wäg, dän är ge˛t. Überhaupt ligt, in Ansehung des e˛dleren Ausdrux, so manche Schlange im Grase, (man denke sich unter andern den grossen ˛ Schwarm der Näbenbegriffe) di den Zuhörer, där fro an der Hand der Da˛rstellung fortging, durch ˛ir schleüniges Aufzischen, zum Seitensprunge zwingt, daß man se˛r kurz sein, und doch nicht wenig darüber zu sagen haben könte. Ich will nu˛r bei dem Gebrauche fremder, und zugleich widera˛rtiger Worte ste˛n bleiben. Widera˛rtige Worte werens, welche di italiänsche oder französische

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Spra˛che, oder auch, wen w˛ir uns di Mutter als noch läbend forstellen, ˛ di lateinische aus der deütschen neme. Eben so ferh˛ilte es sich, wens unsre Spra˛che umkeren, und aus jenen nämen wolte. Di englische, welche ˛irer Grundanlage na˛ch eine der deütschen ist, hat dis wirklich geta˛n, und so unmässig, daß si jezt der widera˛rtigen Fremdlinge in grossen ˛ hellen Haufen auf dem Halse hat. Und dise ferfüren denn nu˛n auch einen solchen Lerm bei i˛r, daß si for ˛ ˛inen, als deütsche Spra˛che, nu˛r se˛r selten einma˛l recht zu Worte kommen kan. Schon ˛ di fremden nicht widera˛rtigen Worte haben das gegen sich, daß si, bei der Aufname, Files fon der Bedeütung, di si in irer Heima˛t haben, ferliren. So, wen di neülateinischen Spra˛chen aus der alten namen, oder es jezt tu˛n; oder wen w˛ir aus unsern Munda˛rten, oder dem Altdeütschen nämen. Dis z˛it oft mancherlei schlimme Folgen für ˛ di Spra˛che na˛ch sich, in welche dise Worte kommen. Sind si aber ga˛r zugleich widera˛rtig; so ge˛t es noch me˛r über di einheimische Bedeütung här, am meisten über di e˛dle: und das besonders alsdan, wen di aufnämende Spra˛che dise Worte entweder ferstümmelt vex, wexare, oder wexer; oder si zugleich na˛ch der unrechten Form bildet, expreß, exprimere; oder dabei den guten auslendischen barbarische untersch˛ibt eternal, äternalis; (äternus) oder inen ga˛r, durch Ferenderungen der Ausspra˛che, wi di des Contemplatio in Contempläschjen ist, gleichsam Schellen anhengt. Folgender Stelle aus Miltonen wird Nimand gute poetische Anlage, und beina follendete Ausbildung absprechen; allein wozu ist dis Alles aus däm, was es in dem Geiste des Dichters wa˛r, durch di Spra˛che, geworden? Ich höre di Leüte schon ˛ mit dem unüberlägten Einwurfe kommen: Dis macht auf di Englender dän Eindruk nicht, welchen es auf uns macht. Wär zweifelt denn h˛iran? und wäm sind di mächtigen Einflüsse der Angewönung unbekant, wobei es, ich weis nicht, wi weit gehen kan, und gegangen ist? Aber h˛irfon konte ja unter uns schlechterdings nicht di Rede sein; sondern einzig und allein fon der Beschaffenheit der Sache an sich selbst. Man wird sich dise recht gu˛t bestimmen können, wen man sich einen deütschen Dichter forstelt, ˛ där mit dem tolkünen, oder f˛ilme˛r dumdreisten Forsaze ˛ unter uns auftrete, dise Spra˛che der höheren Poesi in der Hofnung einzufüren, daß w˛ir uns an di nicht etwa nu˛r geschmaklose, sondern oft auch den Inhalt entweihende Wortmischung mit der Zeit auch schon ˛ gewönen würden. (Ich rede fon der

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Spra˛che, und nicht fon dem Dichter. Ob är si, oder wenigstens an i˛r, nicht hette ferbessern sollen, ist eine andre Frage.) Di Stelle ist folgende: „Sei gegrüsset, ˛ heiliges Licht, e˛rstgeborner ˛ Son ˛ des Himmels, oder des Eternellen koeterneller Stra˛l! Aber darf ich dich unblam˛irt exprimiren?*) Denn Got ist Licht, und wonte ˛ fon Eternite˛t här ni anderswo als in unapprosch˛irtem Lichte, wonte ˛ in d˛ir, helle Effluenz der hellen unkre˛irten Essenz. Oder hörest du liber: Purer, eterischer Strom, ˛ dessen Fontäne Nimand kent? For ˛ der Sonne, for ˛ den Himmeln warest du; und auf Gottes Stimme inwest˛irtest du, wi mit einem Mantel, di aus dunkeln und tifen Wassern emporsteigende ˛ Welt, si, di dem wüden (void) und formlosen Infiniten entrissen wa˛rd. Dich rewisitire ich jezo mit künerem Schwunge, eschap˛irt dem stigischen Fule (Pool), wi lange mich auch der obskure Seju˛r detin˛irte (detaind). Auf meiner Flucht durch di eüserste und di mitlere Dunkelheit schwäbend, sang ich in andern Noten, als zu der orfeischen Leier, fom Chaos, und fon der eternellen Nacht, gele˛rt durch di himlische Muse, hinab zu awangtüriren di dunkle Deszangte (venture down the dark descent), und herauf zu reaszendiren, wi schwe˛r und ra˛r dis auch ist. Dich rewisitire ich salw˛irt, und füle deine suweräne witale Lampe: allein du rewisitirest dise Augen nicht, di ang weng (in vain) sich rollen deinen perzirenden Rejong (piercing ray) zu finden, aber selbst nicht Demrung finden; so hat ein dikker serener Tropfen ire Orbe ausgelöscht, oder trübende Suffusion ˛ si wel˛irt. Dennoch zessire ich nicht zu wallen, wo mich di Musen besu˛chen, der klare Qel, oder schattige Wald, oder sonnenhelle Hügel mich zur Libe des sakr˛irten (sacred) Gesangs hinreist. Aber for ˛ allen wisitire ich dich bei Nacht, o Sion, und deine florigen (flowrie) Beche unten, di d˛ir den geweiten Fu˛s külen,**) und wirbelnd fl˛issen: und oft fergesse ich dabei nicht jener Beiden m˛ir in Fatum eqal˛irten (were ich inen nu˛r auch an Renommee eqal˛irt!) des blinden Tamiris, und des blinden

*) Dis und andre fremde Wörter sind im Deütschen nicht unschiklicher gebraucht, als im Englischen. **) Ich habe di eigentlichen englischen Wörter, oder di niderdeütschen in der Übersezung manchma˛l feredeln können, als h˛ir: wash durch: külen; weiter hin: feed, durch: laben; oben: smit durch: fortreist. Denn di englische Spra˛che ist oft, selbst in irer Grundanlage, nicht edel genung, das heist, si hat file irer alten Wörter behalten, di es, auch durch den besten Gebrauch, nicht wärden können.

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Meonides, auch nicht der alten Profeten, Tiresias und Fineüs. Dan laben mich Gedanken, di woluntarisch harmoniösen Nomber mowiren, wi der wache Fogel im Dunkeln singt, und fom schattigen Kuwerte ferborgen seine nokturnale Note tönt. ˛ So returniren mit dem Jare di Säsongs, aber zu m˛ir return˛irt der Tag nicht, oder di süsse ˛ Approsche des Abends und Morgens, oder der Anblik wernaler (vernal) Blumen, oder di Sommerrose, di kleinen und grossen ˛ He˛rden, oder di humane diwine Fasse (human face divine). Stat dessen umringen mich Wolken, und immerwärende Dunkelheit; ich bin fon den frohen Wägen der Menschen gesondert; und present˛irt wird m˛ir, für ˛ das Bu˛ch der schönen Erkentnis, ein uniwersales Weisses der Natu˛rwerke, di m˛ir expung˛irt und rad˛irt (expung’d and ras’d) sind. Desto me˛r leüchte du in m˛ir, zelestielles Licht, und irradiire jedes Puwoä˛r der Sele; flanze da Augen; purifizire si, und dispergire (disperse) fon i˛r allen Näbel, damit ich Dinge sehen und erzälen könne, di dem mortellen Gesicht inwisibel sind.“ Wär s˛it h˛ir nicht ein Gemälde mit Ö ˛ lfarben, in däm aber zugleich h˛ir eine Hand, dort ein Fu˛s, und da wol ga˛r ein Kopf, bald in Pastel, und bald mit Wasserfarben, dis noch dazu mit keiner guten Auftragung, gema˛lt sind. (Di englische Spra˛che könte, mich deücht, wider zu genung Ö ˛ lfarbe gelangen, wen si file irer alten deütschen Wörter zurük rife; fon disen würden gewis manche gleich bei irer Ankumft ferstendlicher sein, als das neüe, zum erstenma˛l gehörte, ˛ auslendische, und noch dazu widera˛rtige Geklingel: und wen si, zweitens, aus unsrer Spra˛che (dise ist eine gute Mutter, und haz zum Härgäben) Wörter, und Wortfolgen, das Beste das L˛ibste, neme. Was si auch immer neme, were i˛r wenigstens doch nu˛r halbfremd; und si dürft es ja nu˛r na˛ch irer angelsexischen A˛rt bilden. Mich wundert, daß Milton das nicht gese˛n hat. Denn är wa˛r der Man dazu.) Was würde ein widergekomner Gr˛iche, där unter uns Neüern herumreiste, und unsre Spra˛chen untersu˛chte, bei dem Anblikke des Gemäldes sagen. Der Deütsche, welcher noch me˛r Anlas über di Sache zu urteilen bedarf, där gehe denn hin, und wäle aus französischen, oder italiänischen Dichtern, oder auch aus lateinischen, Stükke der höheren Poesi, und durchmale si mit Worten aus unsrer Spra˛che; är kan fon den edelsten nämen: und sehe dan, wi i˛m dise Pinselei behagt. Wen ˛im auch jezt noch nichz fon däm, was dem Gr˛ichen so se˛r widerstand, sichtba˛r wird; so hab’ ich i˛m weiter nichz zu sagen.

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Was würden w˛ir Neüern mit dem widergekomnen untersu˛chenden Gr˛ichen in Absicht auf unsre Spra˛chen nicht alles abzutu˛n haben. Ich meine besonders di neülateinischen, nämlich di italiänische, spanische, und portugisische; di lateinischgallische, oder französische; di niderdeütschneüaltlateinische, oder englische; di deütsche, und di mit i˛r durch di niderdeütsche Munda˛rt ferwanten, di hollendische, schwedische, dänische, und norwegische. Di Spra˛che eines Folx bewa˛rt seine Begriffe, Emfindungen, Leidenschaften, dis alles oft bis zur feinsten Näbenausbildung, wi in einem Beheltnis auf. Man könte das Aufbewa˛rte di Sele der Spra˛che nennen. Di deütsche Spra˛che hat file reinere sitliche Begriffe und Gesinnungen aus der neüen Filosofi genommen; und aus der Religion, ˛ dären Erhabenheit selbst der Freigeist, wen är ein Denker ist, nicht ferkennen wird, hat si noch me˛r grosse ˛ götliche Gedanken, und himlische Emfindungen, wi aus einer tifen Qelle, in ire f˛ilfassenden Schalen geschöpft. Si scheint m˛ir fornämlich ˛ in Ansehung des Lezten me˛r als sonst eine der neüen geta˛n zu haben. Solte man diser U ˛ rsachen wägen nicht fon i˛r sagen können, si habe, wenigstens in Bezihung auf di höhere Dichtkunst, eine e˛dlere Sele, als di gr˛ichische? Wen dis wa˛r ist: so wird schon ˛ eine Zeit kommen, daß man es auch dafür ˛ halten wird. *

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Ich schrenke mich bei den Untersu˛chungen unsrer Spra˛che, denn ich bin ni parteiisch gewäsen, nicht auf di poetische ein. In Folgendem, welches eine Stelle aus dem zweiten Teile der Gele˛rtenrepubl˛ik ist, findet man etwas, das di Prosa der abhandelnden Wissenschaften ange˛t. (Ich würde mit dem zweiten Teile nicht so zögern, wi ich tue, wen in disen neüesten Zeiten nicht immer me˛r Wu˛cherkraut fon Narheiten und Narrenteidungen aufschösse. Ich möchte das gern noch ein wenig fortwaxen lassen, um, wens nu˛n zum algemeinen Ausgäten komt, desto me˛r Wa˛l zu haben. Di Gele˛rtenrepubl˛ik ist eine Allegori, weil di Berliner und Manheimer Akademien darin genant sind; oder auch, weil di Personen einer erdichteten Geschichte, wen si etwas allegorisch andeüten, es dadurch selbst wärden. Gerade so ist es ja auch in der wirklichen Welt. Z. E. Draussen for ˛ dem Gerichzhause di Abbildung der Gerechtigkeit; und

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drin allegorische Richter. Wen das nicht were; so l˛isse sich fon dem Bu˛che allenfals wol sagen, daß es den historischen Wäg mit jedem Tritte und Schritte ginge.) H˛irauf sagte der wortfürende Alderman: Was uns, da w˛ir hörten, ˛ daß Landtag sein solte, for ˛ Allem Freüde wa˛r, wona˛ch w˛ir wärend desselben, daß es uns gelenge, nicht nu˛r im öffentlichen Fortrage, ˛ sondern auch in Unterredungen am meisten gesträbt, und worüber w˛ir uns bei dem Anscheine, es würde mislingen, fornämlich ˛ betrübt, ˛ und beina gegrämt haben, di Entscheidung diser wichtigen, und, um Alles auf Einma˛l zu sagen, diser faterlendischen Sache ist heüte so na, als Sig, oder Flucht däm ist, där di Schlacht begonnen hat. Denn wird uns anders unser Recht di Stimmen sammeln zu lassen, wen w˛ir wollen, nicht jezo zum e˛rstenmale srreitig gemacht; so sol heüt offenba˛r wärden: Ob ˛ir, zu eürer und unsrer Ere! den Entschlus gefast ha˛bt? oder: Ob i˛r, zu eürer Schande! den Entschlus nicht gefast ha˛bt? W˛ir haben ein fürchterliches Wort, w˛ir haben Schande! ausgesprochen; und w˛ir wissen, was w˛ir ausgesprochen haben. Denn i˛r glaubt doch nicht etwa, daß uns der traurige Zwispalt unbekant sei, durch dän sich di Republ˛ik bei disem Anlasse gesondert hat? daß w˛ir, denn es sind ja so gar Namen der Sonderung aufgekommen, di Modernen nicht haben nennen gehört? ˛ nicht den Namen därer, di allen guten Zeiten angehören, aber selbst den irigen, wen dise schlecht sind, nicht angehören, den Namen der fon den Modernen so ga˛r angefeindeten Gu˛te˛dlen? Eüch Schaligen, Kleindenkenden, Ungeweiten, eüch Modernen, fersprechen, und ferheissen w˛ir, und w˛ir sind Worthalter! fersprechen w˛ir, denn w˛ir sind der schonendsten der Schonungen müd’ und sat, daß w˛ir, wen es eüch, und nicht uns gelingt, wen i˛r sigt, und das jemmerliche, schandefolle Kleinod ˛ dafon tragt, daß w˛ir dan den Landtag aufhäben, ni wider auf einen kommen, und eüch bei der Na˛chwelt (bei den wenigen Gu˛te˛dlen seid ˛ir es jezt schon) ˛ in einer Geschichte eürer Gesinnungen und eüres Tuns, där keine jema˛ls an Genauigkeit und Wa˛rheit gleichen sol, eüres kurzsichtigen, und meisternden, eüres kleinmütigen, und eiteln Ferfarens, eüres Hochferra ˛ ˛z anklagen wollen. Und damit ˛ir sehet, daß w˛ir eüch kennen, und lernet, daß i˛r eüch noch nicht gekant ha˛bt; so wollen w˛ir eüch einige Blikke in unsre Geschichte fon eüch tu˛n lassen. I¸r begreifet denn doch wol, hoffen w˛ir, das wenigstens one unsre weitere Belerung, daß w˛ir eüch da nu˛r Bruchstükke hinwerfen.

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Was hatte unter den Neüern di Na˛chamung der Alten, auf der einen Seite, und auf der andern, der fon jeder Fähigkeit ferlasne Hang U ˛ rbild zu sein nicht alle for ˛ Schreiba˛rten herforgebracht, ˛ wi mancherlei Früchte des Treibhauses, und welche wildwaxende, und widrige. Nu˛r dise Schreiba˛rten bewunderten di Modernen: und da si selbst nichz sein, sondern blos ˛ na˛chamen konten; so hatten si auch di zweite Schweche, nu˛r inen na˛chzuamen. Weil si selbst alsdan, wen si ire Eitellkeit, denn des Stolzes waren si nicht einma˛l fähig, noch f˛il weniger der e˛dlen E˛rbeg˛irde, am höchsten ˛ treümte, se˛r stark fülten, ˛ daß si an der Ausfürung des Entschlusses keinen Anteil haben könten: so ernidrigten si sich dadurch noch unter ire übrige Kleinheit, daß si aus Grol gegen di, welche es konten, der Fassung eines Entschlusses, in där ein solcher Reiz fortreflich ˛ zu wärden, so file Keime grosser ˛ Namen lagen, sich so ga˛r mit Renken, und nu˛r nicht mit offenbarer Meüterei, widersezten. Und wen es inen gleichwol mit iren Renken nicht gelang; so namen si ire Zuflucht zur Spötterei, därjenigen nämlich, di si allein kanten, zur gemeinen: und glaubten dadurch einer Sache zu schaden, di selbst über den feinen Spot so se˛r erhaben wa˛r, daß si i˛n unedel machte. Es waren Krit˛ikschulen gestiftet worden. Disen Schu˛lhaltern, und Schülern hingen si, wen si auch selbst keine Mitschüler waren, fon ganzen Herzen an. Man hat ja einen solchen Tr˛ib der Geselligkeit gegen einander, wen man sich gleich ist. Ausser däm wa˛r den Modernen dises Schu˛lwäsen auch deswägen so wärt, weil si, durch seine Mitwirkung, iren Einflüssen einen grössern ˛ Umfang gaben. Krit˛ikschulen? Eüre Frage, Na˛chkommen, nimt uns nicht Wunder, weil das Ding schon ˛ lange nicht me˛r da ist, und ˛ir eüch um die Kleinigkeiten der forigen Zeit nicht f˛il bekümmert. Stelt eüch einen Haufen Leüte for, ˛ dänen di Gaben anderer, weil si selbst keine hatten, ein Dorn im Auge waren. Freilich hatten manche fon inen ire geglaubten Gaben der Welt zeigen wollen; weil aber ire Werke schon ˛ na˛ch Ja˛r und Tag so ganz fergessen waren, daß nu˛r di Samler und Bletterer aller Bücher, ˛ di geschriben wärden, noch etwas dafon wusten: so wa˛r es selbst inen kein Geheimnis me˛r, daß i˛r Glaube an sich selbst wol eben nicht so ganz rein fon Aberglauben sein möchte. Je einleüchtender inen nu˛n dises wa˛rd, desto heftiger sta˛ch si der Dorn. Was dise Leüte, so wol ˛ di, welche es mit iren Gaben schon ˛ fersu˛cht, als di, so es noch nicht fersu˛cht hatten, was si taten, um iren Schmerz wenigstens zu lindern? Si su˛chten sich, fanden sich leicht

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und schnel, denn si hatten eine scharfe Witterung fon einander, ferbanden sich zu festgesezten Zusammenkümften, und zu gemeinschaftlichen Schriften. Und dan wa˛rd nichz als Krit˛ik gesprochen, und geschriben. Das Ding, das inen für ˛ Krit˛ik galt, wa˛r ein Schwal rezensentischer Redensa˛rten, mit dänen si in di Luft strichen. I¸r meint, ˛ir seid schon ˛ mitten in einer Schu˛lhalterei. Noch nicht föllig. Denn si waren über das Alles auch noch so einseitig, so se˛r an ire Landschaft, an ire Stat gebunden, daß, da si, wen dis nicht gewäsen were, denn doch wenigstens als Knaben an Ferstande hetten aufträten können, si sich durch dise eingeschrenkte Denkungsa˛rt bis dahin ernidrigen l˛issen, daß si fon ˛ir als Kinder gegengelt wurden. Doch genung fon eüch, und an eüch, i˛r Kleindenkenden, ˛ir Modernen! Denn wen es eüch auch unbekant ist, was w˛ir noch hinzu sezen könten, und weglassen; so sehen w˛ir doch Menner um uns här, di es recht gu˛t wissen. Und über dises ekelt uns auch dafor, ˛ uns an dem Tage einer solchen Entscheidung weiter mit eüch einzulassen. Di Aldermenner hetten sich, sagt man uns fileicht, mit Leüten dises und änliches Gelichters überhaupt ga˛r nicht einlassen, und tu˛n sollen, als ob si nicht auf dem Landtage weren. Meint i˛r etwa, di ˛ir uns den Forwurf ˛ macht, daß w˛ir disen hohen Sin nicht auch haben? Aber sol är denn so hoch ˛ sein, daß är die Gu˛therzigkeit, mit där man sich auch solche Schäden zu heilen bemüt, ˛ ganz unwirksam mache? Und wen nu˛n follends dise Schäden, selbst in Ansehung einiger, di jenes Gelichters nicht sind, kräbsa˛rtiger weren, als i˛r wol denkt; und w˛ir also nicht blos ˛ gu˛therziger, als ˛ir uns haben wolt, gewäsen weren, sondern auch weiter gesehen hetten, als i˛r? W˛ir wenden uns jezo zu dänen, di w˛ir zwa˛r auf keine Weise mit den Modernen fergleichen; dänen w˛ir aber doch auch noch keinen Plaz unter den Gu˛te˛dlen gäben können, zu eüch, di i˛r f˛il Geist, und noch me˛r Fleis zeigt; wichtige Sachen läbhafter wünscht, als hoft; wolt, allein nicht se˛r wolt; anfangt, fortfa˛rt, doch di feürige Ausdauer nicht kennet, di noch unrufoller endet, als sie begonnen hatte; weise, aber zu bedechtig seid; handelt, und gleichwol zögert; den Auslender e˛rt, one for ˛ der Überschezung desselben auf eürer Hu˛t zu sein; und der falschen Grösse ˛ zwa˛r nicht gestattet, daß si eüch blende, allein for ˛ der waren so erschrekt, daß i˛r si für ˛ unübertrefba˛r haltet, zu eüch, di w˛ir fereren und liben, aber di w˛ir noch me˛r fereren, noch me˛r liben wärden, wen i˛r eüch über ˛ eüch selbst erhe˛bt.

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I¸r zweifelt also noch, ˛ir seid nicht one Befürchtung des Mislingens, da w˛ir eüch auffodern den grossen ˛ Entschlus mit uns zu fassen? Ist das der Forfaren ˛ würdig? Luthers, welcher, är Ein Man, und durch Ein Bu˛ch, di Spra˛che, und welche Spra˛che, beina umschu˛f? Opizens, där zue˛rst dise Spra˛che recht brauchte? Melanchthons, där Deütschlands Lerer h˛is, und wa˛r, und noch nicht föllig aufgehört ˛ hat es zu sein? Keplers, där di U ˛ rsach der Weltbewägung for ˛ Neütonen sa? Leibnizens, där auch treümend erfand? Bei disen wa˛rhaftig deütschen Mennern! höret endlich auf bis zur Kleinmu˛t bescheiden zu sein, und for ˛ der Grösse ˛ der Auslender (ich meine di wirkliche; aber f˛il flimmerz auch unter inen fon scheinbarer) for ˛ jener Grösse ˛ zu erschrekken; und erkünt ˛ eüch deütsch zu denken! Di Franzosen und Englender haben nicht etwa nu˛r ire Werke der Da˛rstellung, sondern auch ire besten unter den abhandelnden, in iren Spra˛chen, geschriben; und si haben es recht gemacht. Ich hoffe, daß es kaum me˛r nötig ist, eüch daran zu erinnern, daß kein Neüerer in der lateinischen Spra˛che schreiben kan. I¸r ha˛bt doch wol Menner, di Geist hatten, mit einander sprechen gehört, ˛ dafon der eine, in seiner Spra˛che, und der andere, in äben diser fon i˛m recht gu˛t erlernten Spra˛che, redete; und i˛r ha˛bt dan bemerkt, welche Überlägenheit, na˛ch einer solchen Unterredung allein zu urteilen, der e˛rste über den lezten zu haben sch˛in? eine Überlägenheit, welche diser nu˛r aus übertr˛ibner Gu˛therzigkeit dulden konte; denn sonst würd’ är schnel abgebrochen, und den Auslender haben allein reden lassen. Meinet nicht etwa, daß dis föllig der Fal sein würde, wen ein Römer aufstünde, und ein Neüerer mit i˛m spre˛che. Denn der Alte würde h˛ir noch weit höher auf den Neüern herabse˛n. W˛ir können di läbenden Spra˛chen f˛il besser lernen, als di toten; und w˛ir lernen si auch f˛il besser. Wär eine Spra˛che nicht föllig weis, där ist ˛ir Skla˛f, und mus denken, wi si es haben wil: wär si aber ganz ferste˛t, där ist Her, är denkt wi är wil, und di Spra˛che mus ˛im folgen. Bei dem Gebrauche der lateinischen Spra˛che kömt noch besonders in Betrachtung, daß der Neüere, welcher si schreibt, grossenteils ˛ Begriffe darin ausdrükken mus, welche di Römer nicht gehabt hatten. Da nu˛n jener di lateinische Spra˛che nu˛r se˛r unfolkommen lernen konte, und si auch (ich kans fon den besten Latinisten beweisen, daß si keine Ausname ferdinen) nu˛r so gelernt hat; und da es selbst für ˛ Zesarn oder Zizeron ˛ keine leichte Sache gewäsen were, dise ganz andern Begriffe auszudrükken: (Wär nicht weis, wi weit es dem lezten gelang, oder

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mislang, wen är dem Gedankengange der gr˛ichischen Filosofi und irer Teori über di schönen Wissenschaften folgen wolte, där darf h˛ir nicht mitsprechen.) so sihet man leicht ein, was eine solche mangelhafte Kentnis der Spra˛che alle for ˛ Ferwirrungen, Ferunstaltungen, Ferwarlosungen, und manchma˛l beina Zerstörungen der Begriffe, di man hatte, sagen wolte, und nicht sagte, herforbringen ˛ muste. Und gleichwol ˛ red’ ich h˛ir fon der t˛ifgegründeten Foderung därer noch nicht, dänen weder das feürigste Gedicht, noch di kelteste Untersu˛chung genung tu˛n, wen di Bestimmung des Gegenstandes nicht bis zur Follendung richtig ist. Ich schäme mich beina noch etwas hinzu zu sezen; aber ich mus doch wol, wi schwe˛r ich auch daran gehe. Indäm w˛ir Neüern eine Spra˛che schreiben, di w˛ir nicht schreiben können, so begehen w˛ir unter andern auch dän Fäler; und dis besonders alsdan, wen w˛ir di Begriffe unsrer Zeit auszudrükken haben, (wär h˛ir seine Zuflucht zu Umschreibungen nimt, fers˛it es äben so se˛r) dän Fäler, sag ich, daß w˛ir di Eigentümlich˛ keiten unsrer Spra˛chen in di römische mischen, daß der Franzose, der Englender, und der Deütsche in Gallizismen und so weiter reden. Und der Erfolg h˛irfon? Daß si sich einander nicht ferste˛n; und dis denn oft alsdan, wen es auf nichz geringers als auf erweiterte Grenzen der Wissenschaften ankomt. Daß also, nicht etwa nu˛r in Bezihung auf di Werke der Da˛rstellung, sondern auch auf di besten der abhandelnden di genanten Auslender es denn doch wol recht gemacht hetten. Beschuldigt uns nicht, daß w˛ir eüch h˛irdurch zur Na˛chamung der Auslender auffodern. Man ist nicht Na˛chamer, wen man etwas tu˛t, fon däm es sich fon selbst ferste˛t, daß es geschehen müsse, und das Andere nu˛r früher geta˛n haben. W˛ir haben eüch, aus ganz andern U ˛ rsachen, als di i˛r uns aufzubürden scheint, an di Franzosen und Englender erinnert. Unsre Absicht ist, eüch fornäm˛ lich auf Eine Sache aufmerksam zu machen, di zur Ausfürung des Entschlusses nicht wenig beitragen kan. Leibniz, (ferzeit dem erha˛bnen Manne den Fältrit seiner französischen Teodizee*) Leibniz ta˛t den Ausspruch: „Was ich nicht deütsch sagen kan, das ist nicht wa˛r.“ Aber können w˛ir denn wirklich alles, was wa˛r ist, deütsch sagen?

*) So auch: Armee, um di Lenge der lezten Silbe zu bezeichnen. Ich hoffe, man übers˛it m˛irs, daß ich dis zur Schreibung des Auslendischen gehörige ferga˛s.

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Dise grosse ˛ Frage durfte man zu Leibnizens Zeit noch nicht so beantworten, wi man jezo darf. W˛ir können. Könnens di Englender? di Franzosen? Läst, und entscheidet. Aber i˛r müsset den Inhalt und di Spra˛chen ferste˛n: wo nicht; so enthaltet eüch des Entscheidens! I¸r sehet doch, auf welche Höhe ich eüch gefürt ˛ habe? Wen w˛ir alles, was wa˛r ist, sagen können; so dürfen w˛ir ja nu˛r auf dem grossen ˛ Wäge der Wa˛rheitsbestimmung (ich näme h˛ir alte noch nicht genung entwikkelte, und neüe Wa˛rheiten zusammen) immer weiter forwerz ˛ ge˛n; und w˛ir wärden di Franzosen und Englender, weil si oft nicht alles sagen können, was wa˛r ist, hinter uns lassen. Ich meine nicht di gewönliche ˛ halb unrichtige Bestimmung; denn bei diser kans keine Spra˛che der andern zeigen, daß si me˛r fermöge: ich meine di follendete, si, di dem scharfen Untersu˛cher allein genung tu˛t. Stelt eüch einen Deütschen, und einen Auslender for. ˛ Si sollen beide äben dasselbe heraus gebracht haben; beider Gedanken sol zu äben där lichten, und über alle weitere Weglassungen oder Zuseze erha˛bnen Follendung gekommen sein, dären Durchschauung dem recht tifen Forscher Wonne ist; aber der Auslender sol nicht ganz sagen können, was är dachte; (nicht sagen, und nicht ganz sagen, ist h˛ir fast einerlei) der Deütsche sol es können: was ge˛t es nu˛n den Zuhörer a˛n, denn är weis es ja nicht, daß beide gleich gedacht hatten? und wen är durch das Gesagte in neüe Bezirke des Denkens tra˛t, durch wän wa˛rd är hinein gefürt? ˛ Und eine solche, h˛irzu fähige Spra˛che braucht ˛ir nicht etwan e˛rst zu schaffen; ˛ir habt si schon. ˛ Wen ich fon eürer Spra˛che rede; so meine ich si in irem ganzen Umfange, zu däm di Bildsamkeit als etwas i˛r forzüg˛ lich Eigentümliches ˛ gehört, ˛ durch welche si jede Wendung des Gedankens, und zwa˛r des tifen und des starken am willigsten, auch nimt. Daß sich h˛ir di Ungeweiten, und unter inen fornämlich ˛ unsre ditirambischen Prosaisten entfernen, di mit den reinen und schönen Umrissen föllig unbekant, nicht mit samftem Finger in den Ton ˛ drükken, sondern mit der Faust derb darauf herum arbeiten. Dise Spra˛che ha˛bt i˛r. Wen ˛ir also in däm Grade Untersu˛cher, Entdekker, und Erfinder seid, daß i˛r file wichtige bekante Wa˛rheiten bis zur fölligen Richtigkeit bestimt, und file wichtige neüe heraus bringt, di beiden Zile des Entschlusses in A˛nsehung der abhandelnden Wissenschaften; so sezet eüch eüre Spra˛che in den Stand, andern das ganz mitzuteilen, was i˛r bestimt, oder heraus gebracht, und si alle Tritte und Schritte, di i˛r auf der grossen ˛ Laufba˛n geta˛n ha˛bt, auch tu˛n zu lassen. Aber nu˛r dan wist ˛ir,

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was ˛ir an diser eürer Spra˛che ha˛bt, wen ˛ir sie ganz kent. Ferzeit m˛ir meine Befürchtung. Es kömt m˛ir for, ˛ daß es fileicht file unter eüch nicht so recht wissen, wi hoch ˛ si, durch den fölligen Gebrauch der Spra˛che, kommen, oder, welches h˛ir einerlei ist, wi weit si sich über di Auslender erhäben können, und das deswägen, weil si in den Geheimnissen der Spra˛che nur halb eingeweit sind. Der Gedanken, und di Spra˛che ste˛n mit einander in filen genauen und festen Ferbindungen. Är gibt i˛r, na˛ch seiner Beschaffenheit, dise oder eine andere Wendung, und si i˛m, na˛ch irer, und dis zwa˛r öfter, oder seltner, na˛ch der Anza˛l, und der Änlichkeit därjenigen Begriffe, di si iren Worten schon ˛ anfertraut hat. Si kan zu reinern Bestimmungen feranlassen, und manchma˛l wol ga˛r Miterfinderin wärden. Welche Einflüsse das Denken auf eine Spra˛che, di alles, was wa˛r ist, sagen kan, oder di eürige habe, überlas ich eüch in seinem Umfange zu übersehen. Aber wissen müst i˛r, was wa˛r ist, und was nicht wa˛r ist, und ferste˛n müst ˛ir di Spra˛che; sonst enthaltet eüch ja h˛ir zu entscheiden. Wen i˛r eine Forstellung, ˛ ich rede fon einer, di richtig sondert, und folstendig ist, dafon ha˛bt, wi genau di Gr˛ichen in irer Spra˛che das Ware ausdrükten; und wen i˛r di eürige kent: so werdet i˛r es ganz durchse˛n, was ich meine, wen ich behaupte, daß sich di Deütschen, in Betracht der alles wägenden, und alles erreichenden Wa˛rheitsbestimmung, auch durch Hülfe irer Spra˛che, über di Auslender erhäben können. Einst schon ˛ erhuben? Durch Wolfen nicht. Denn dazu ferstand är di Spra˛che nicht genung; obgleich seine deütschen Werke allein auf di Na˛chwelt kommen wärden. Denn di Folzäligkeit einiger weniger Büchersäle ˛ wird denn doch wol seine lateinischen, di so überfolstendig, und in Ansehung der Spra˛che nu˛r nicht barbarischer als der Scholastiker ire sind, auf di Na˛chwelt bringen sollen? Damit ˛ir sehet, daß unser Idea˛l des wissenschaftlichen Ausdrux fest gegründet ist; so wollen w˛ir aus dem t˛ifsinnigen Lambert Stellen se˛r fersch˛idnes Inhalz nämen, und mit genauer Untersu˛chung seiner Spra˛che so lange fortfaren, bis w˛ir glauben dürfen, der Denker wärde nu˛n aufhören Einwürfe zu machen, der Schwezer aber lauter als jema˛ls wärden. cccccc

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Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. _____________________ Zäntes Fragment. (Vgl. HKA, Werke IV 3, S. 94–137; Werke IV 6, S. 127–129.) ____________

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Es ist eine traurige Ere für ˛ Dichter übersezt zu wärden. Si wärden dadurch nicht etwa nu˛r ferschleiert, oder ga˛r fermumt; sondern ferstümmelt, und dan, zum Ersaze, ferschönert; und wens recht über si härge˛t, und das gesch˛it ga˛r nicht selten, ferwandelt. Ich red’ aus Erfarung; und dürfte also wol ein Wort mitsprechen. Aber mich zu beklagen ist ni meine Sache gewäsen; und sol es auch jezo nicht sein. Indes möcht ich doch wol, daß den Auslendern bis auf einen gewissen Gra˛d gezeigt würde, wi m˛irs bei inen gegangen sei. Ich habe geglaubt, daß eine lateinische Übersezung des Messias zu disem Zwekke füren könte. Aber selbst darf ich si filer guter Ursachen wägen nicht machen. Ich wünschte dahär, daß es m˛ir gelenge Andre dazu zu feranlassen. In diser Absicht mache ich folgende wenige Stükke einer eignen Übersezung bekant. (Ich habe mit Fleis fon den schwe˛rsten gewält.) Si sind zu weiter nichz bestimt, als blos ˛ den Ton, ˛ dän na˛ch meiner Meinung di Übersezung haben müste, anzugäben. Um den rechten zu treffen, fragt ich mich: Wi würde ein Römer, där ein Christ gewäsen were, dis Gedicht in poetischer Prosa geschriben haben? Ich muste so fragen, wen ich mich des Ferschleierns u. s. w. nicht selbst schuldig machen wolte. Man findet meine Antwort in den Beispilen. Ich darf in Ansehung diser nicht unangemerkt lassen, daß irer zu einer föllig genauen Antwort noch nicht genung sind. Gleichwol brauchte es für ˛ di nicht me˛r, welche di Sache untersu˛chen können. Denn dise wärden das etwa Fälende erraten. Daß übrigens h˛ir ein Neüerer das nicht ganz tu˛n könne, was der Römer geta˛n haben würde, wird in folgender Einleitung nicht etwa nu˛r zugestanden, sondern behauptet. ____________________________

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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Cum romanis ipsis, si reviverent, perdifficile foret, quae hodie noscuntur et sentiuntur res, earumque effictionem et colorem suâ linguâ exprimere; nemo est, quin videat, nos, qui hanc linguam, si optime, male scimus, idem ausos, in difficultatem haud perrumpendam incurrere. Existit eâ de causâ tantus fere linguarum latinarum numerus, quantus eorum est, qui a renatis inde litteris, sibique et aliis, sese latine scribere, persuadere voluerunt. His dictis, omnes intelligunt, nos versionem hanc vere latinam vocare nec posse, nec velle; magnopere tamen fallerentur ii, qui nobis propterea nullam sincerae latinitatis curam fuisse crederent. Fuit omnis, ne numeri quidem exceptâ, (quamvis eo, quod versu, parcissime exprimatur) quae nobis secundum imperfectam, de qua diximus, linguae romanae notitiam esse poterat, et per interpretationis fidae licere legem videbatur, quâ non servatâ, nil agebamus, quoniam eius, quod mente affectuve percipitur, formae, variaeque «*) lineae, quarum et ultima ducenda, haud amplius eaedem erant. Scripta haec versio praesertim iis est, qui germanicae linguae ignari de aliis poematis huius versionibus iudicare volunt. Inter illos hi, quibus perspicax in hisce rebus vis est, ubi animadvertendae et tenues parvi discriminis umbrae, latinae versionis ope, si non clarissime, haud obscure tamen videbunt, esse penetralia quaedam germanorum sermoni, quae aliis linguis, (non hic de culpâ interpretum loquimur, quâ, reliquis fere innocentibus, anglicus mirifice eminet) quarum hodie inprimis celebrantur ingenium et elegantia, inaccessa videantur. Dubitabunt de hoc fortasse ii, qui in linguâ vetere romanâ tam mediocriter sunt versati, ut haecne versio illius fonte cadat parce detorta, parum sciant, atque ideo, quod ad sensum vocum plenum attinet et intimum, saepius fallantur. Dubitent, dummodo ne causâ non satis cognitâ iudices sedeant, litemque dirimant; cum ad hoc ne is quidem ipse suffecerit, qui optime calluerit latina. Si quis igitur causam hanc penitus pernoscere, litemque

*) Non hic de eo, quod hodie vulgo vocant picturam poeticam, sed de longe aliâ re sermo nobis est, de ea nempe, quam Longinus definit quadammodo dicens: ²  4   « #   «     «,  #   « «   .

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. E˛ rste Fortsezung. (1779)

velit diiudicare bene et recte; linguam germanicam discat, necesse est. Quo facto illa, de quibus diximus, plane intrabit penetralia, et ibi percipiet secretas piasque voces, et his dantem iura sublimis linguae genium, cuius tunc videbitur summo de vertice Fundere lumen apex, tactuque innoxia molli Lambere flamma comas, et circum tempora pasci. ____________ CANTUS I. Pag 7–9 Schon ˛ hör ˛ ich …. unterste Hölle. ____________

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Iam te audio, mundorum iudex, solum e longinquo venire, atque inexorabilem tuos per coelos incedere. Iam me transit horror spirituum generi omni haud sensilis, et si tu illos ardens irâ dares morti, haud sensilis. Iam cerno hortum nocturnum ante me iacentem, iam prolabor humilem in pulverem, iaceo, adoro, meque, Pater, volvo mortis in sudore. Ecce adsum, Pater. Iram omnipotentis, iudicia tua imus obedientiâ feram. Tu es aeternus. Finitorum spirituum nullus iram Numinis, atque Infinitum terrentem necantemque cogitavit unquam, aut sensit. Potest tantum ferre Numen Deus. Adsum, Pater, occide me, et quae te expiet, accipe me victimam aeternam. Liber adhuc sum, orare te adhuc queo; et coelum effusis serapharum myriadibus discedet, meque, Pater, exultando ad solium tuum immortale reducet triumphantem. Ast sum passurus, quod nec seraphes capit, neque profundo cogitabundus contemplatu cherubes perspicit, passurus, mortem maxime tremendam passurus aeternus sum. Dicit dein, profaturque: Ad coelum tollo caput, in nubes manum, et tibi per me ipsum iuro, qui Deus sum, uti tu: Homines sum redemturus. Dixit Iesus, et surrexit. Erat in vultu eius celsitas, miseransque severitas, et quies animi, cum staret coram Deo. Ast haud audiendus angelis, et a se tantum perceptus et filio, fatus Pater aeternus est, convertens ad Messiam faciem tuentem: Extendo per coelos caput, brachiumque per immensitatem, et dico: Aeternus sum! dico, tibique iuro, Fili: Peccata sum remissurus.

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Dixit ita, et conticuit. Cum farentur Aeterni, per naturam omnem venerabundus meabat tremor. Animae, quae iam fiebant, nec adhuc cogitare coeperant, trepidavêre, primumque senserunt. Corripit horror seraphen potentior, pulsat illi cor, et cui praefectus est, circa ipsum orbis, ceu propinquâ tellus tempestate, expectando iacet mutus. In futurorum modo Christianorum animos dulcis devenit ecstasis, leniterque vitae aeternae sensu percelluntur. Verum amentes prorsus, nisi quod desperationem adhuc sentirent, ita amentes, ut cogitare Deum contra nil valerent, suis spiritus inferni soliis sunt devolutati. Super quemvis, qui procumbit, deturbata cautes, sub quovis profunda ruunt compulsa, tonansque resonat inferni abyssus ima. Pag. 12 .. 14. Di du … Halleluja! ____________ O quae me coelestes doces hymnos, socia angelorum, adspectatrix Dei, altarum auscultatrix immortaliumque vocum, memora mihi, o Sioniti, quem iam coeli canebant hymnum. Salve, o sanctum revelationum Dei solum! Hic cernimus Deum, ut est, ut erat, utque futurus est, ecce beatum sine velamine, sine opacitate mundorum longe imitantûm. Tuemur te in redemtorum tuorum concilio, quos simul beato adspectu dignaris. Perfectus sine finitu es! Equidem coelum te nuncupat, atque Ineffandus vocatur Iova; hymni nostri vibratu et concentibus abrepti tuam vestigant imaginem, at incassum: defixae in glorificatu tuo vix queunt fari inter se cogitationes tuo de Numine. Solus tu magnitudine tuâ perfectus, Aeterne, es. Quaevis cogitatio, quâ te, ens gloria plenum, perspicis, multo est sublimior sanctiorque tranquillo contemplatu, quem ad res creatas demittis. Attamen decrevisti et extra te videre entia, atque in ea animans flamen demittere. Primum creasti caelum, dein nos caeli incolas. Aberatis tum longe à natu, o terrarum orbis iunior, tuque o sol, et tu luna, beatae sodales terrae! Quid, o creationis primigene, sentîbas, cum post aeternitatem haud cogitandam ad te descenderet Deus, teque ut sanctum gloriae suae esses domicilium sacraret? Orbis tuus immensus novae vocatus existentiae, in suam se formam adhuc effingebat, meabat adhuc primo cum maris crystallini fremitu vox creans, atque illius litora, quae glomerabantur e montibus similibus mundorum, audîbant ipsam, at nullus adhuc immortalium. Tum, o

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Creator, in novo sublimique stabas throno, te ipsum contemplans, solus, verendus. Exultate Numini meditabundo! Tunc, tunc creavit vos, seraphae, entia, quae estis spiritus, cogitationum pleni potentûmque virium, quibus cogitationes Creatoris, quas de se ipso creat in vobis, capiatis cum adoratione. Halleluja tibi, festum Halleluja, o Prime! simus semper cantaturi. Dicebas solitudini: Ne esto amplius! entibusque: Explicaminor! Halleluja! Pag. 18, 19. Sibenma˛l hatte … schwig. ____________

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Septies nox sacra est aperta tonitru, et vox Aeterni leni incessu descendit: Deus est amor. Is eram ante illorum, quos creavi, existentiam; cum mundos crearem, eram is; atque nunc, dum perficio opus prae omnibus mysticum, sublime, idem sum. Ast vero oportet vos, morte Filii, iudicem mundorum, totum me cognosse, ac precibus novis Tremendum adorare. Si tunc non teneret vos dextera Iudicantis, magnae huius mortis obtutu essetis perituri. Nam finiti estis. Desiit fari Expiandus. CANTUS III. Pag 92, 93. Aber … ste˛n bleibt. ____________

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At Satanas, qui aversus reconditâ in speluncâ, quicquid de discipulis suis narrassent angeli, exaudierat, irascens prorupit, et cogitationibus in exitium flammatis sese super Iscarioten demisit. Sic horâ noctis mediae dormitantibus propinquat urbibus pestis. Iacet in expansis eius alis sub moenibus mors, halatque circum se exitiales vapores. Quietae adhuc iacent urbes, ad lampada nocturnam sapiens adhuc vigilat, colloquuntur adhuc amici nobiliores inter vina non contaminata, frondetoque umbrati vaporo, de animâ, de amicitiâ, earumque duratione immortali: ast mox luctûs die super eis terribilis sese expansura mors est, die cruciatûs moribundique lamenti, cum complodens sponsa manus luget sponsum; cum orba nunc liberis omnibus desperans mater cum furore in diem, quâ genuisset, essetque genita, execratur, cum cavis et extinctis oculis sepultores per cadavera incedunt, donec desuper olympo turbido, cogitabundâ fronte, angelus descendit leti, et circum-

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spicit, et cuncta videt nuda, muta, desolata, superque sepulcra severo contemplatu constat. CANTUS V. Pag. 163, 164. Dem Sterbenden … erhöte. ____________ Morienti cadunt oculi, ac dirigent, non cernunt amplius. Evanescit illi terraeque et coeli facies longe in noctem. Non amplius audit vocem hominis, nec teneros amicitiae questus. Ipse fari haud potest, ac vix tremente lingua moestum balbutire vale, respirat sublimius, frigidus illi et anxius facie demanat sudor, lenta pulsat cor, fit tunc immobile, ac ille moritur. In amantis iniecto brachio matris, quae cum eâ lubens esset moritura, sed mori nequit, moritur filia. Amplexatus a patre, pressusque ad pectus efflorescens moritur iuvenis, filius patris unicus. Coram liberis lugentibus parentes moriuntur, eorum solatium, annorumque fulcimen vacillantûm. In suâ defixa miseriâ cara moritur amata, super teneri iuvenis pectore. Amor caelestis, quaeque ille lenia ac nobilia inspirat sensa, fere sola, sed ut imago tantum umbrae, paucis ac melioribus de innocentiâ superant; attamen non diu, ah non diu, moriuntur enim, neque eos miseratur Deus, haud piae vale dicentem arrisum amatae, haud oculos cadentes, qui lubenter adhuc flerent, haud, quo precatur, angorem, Deumque horam modo unicam rogat, haud trementis desperationem iuvenis, qui muto illam complexu tenet, neque te, virtus moesta, ad quam amor, teneraque eorum sensa mortales hos extulerant.

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Pag. 169 Über den Staub …. Richter. ____________ Inclinatus terrae pulveri, quae iudicem pavescens illius versus vultum tacito tremebat cum horrore, tremendoque innumerabilium Adami filiorum pulverem, cuncta illa torrida commovebat mortuorum peccatorum ossa, hic iacebat Messias convertensque rigidos in Taborem oculos, nihil, quod esset creatum, videbat, in iudicis modo vultum tuebatur, anxius, mortis fluens sudore, manibus complosis, haerente voce, sed intimo perculsus sensu. Potentes ceu ferit mors, ad instar cogitationum Dei veloces concussêre post horrorem horror, sensus post sensum,

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mortis sensus aeternae eum, qui Deus erat et homo. Ast vero cum semper pavor mage pavidus, pressiorque fieret angor, obscurior nox, sonaretque valentius tuba tonans, cum vehementius semper sub Iovâ Taboris tremeret, mortis pro sudore de perpetientis facie stillaret sanguis: pulvere sese erexit, et in coelum tetendit brachia. Defluxêre in sanguinem lacrimae, atque ipse altâ voce adoravit iudicem. Pag. 171. Und da …. Gotmensch. ____________ Tum vero Messiae cogitationem praeteribant terrentes mortis aeternae facies. Cernere ille animas sontes, quae creationis in diem, in existentiam aeternam execrabantur! Audire raucum resonantis inferni ululatum; tonantes amnes de rupibus in profundum iaculatos, tonantibus super amnibus alatam angoris vocem; clementiora flumina, quae ad requiem animas, utque obdormirent annihilandae, fallentia invitabant. Crescebat tum illusorum planctus, in unum tunc atque infinitum antiquae desperationis gemitum effusa generis humani rebellabat vox, accusabat creatorem creationis, eum qui erat, et futurus est, existentiae ac aeternitatis. Miseriam illorum sentîbat homo Deus. CANTUS VII. Pag 29, 30. Du Eloa … denkt dich. ____________

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Stabas, Eloa, matutino in rubore, telluris ipsum custodes circumstetêre. Accinebat barbito potenti. Ecce ita iubilaturi excitati a morte sunt, uti canebat. Aeternitas sit tibi! veni, nascere, o nascere, dies sanguinis! Graditur in caelum ascendendo! nomen eius miserator est! Illi, illi bene oriones dicunt, clamantque minoribus circa se solibus, soles terris: Io, dies expiator, care dies, pulcer, cruentate, te misit amor! Insona eis, barbiton. Transformat ille in angelos pulverem. Aeternitates quietis triumphi sui comitatus sunt. Ecce attollo vultum, ac tueor. Collis terrae ara est! venientem tremit ara victimam. Si stellas velut e rivis lapides sustulisset Expiandus, stellisque struxisset aram filio, venientem tamen fuisset tremitura ara victimam. Late circumspicio. Quam arrident telluri lucidiores soles, quamque eorum comitatus per caelos

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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ocyor denatat. O festorum maxime festi quies, o sabbatum! Patrisque sabbatum et Filii! Audio, audio, fremunt conversa ad nos cunctis a barbitis iubila! Serapharum coronae delabuntur omnes. Facta, facta creatio sabbatum est. Io, cogitatio, saeclorum millia prius sunt transitura, quam seraphes in sanctam tuam suspiciat lucem, cogitatio: Filius Patris moriebatur! te cogitat Aeternus!

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Pag. 35. … 38. Als är … Leichnam. ____________ Cum cerneret nullum, et mutus nunc urbis fremitus ab aure omnis recederet, decrevit mori. Haud potest, certe haud potest corripere me terribilius a morte cruciatus hic infandus! Cruciatus nimis horridi, saevite modo, saevite, dum potestis. Quando oculus hic clauditur, cunctaque huic auri obmutescunt; haud amplius video sanguinem, nec audio truncam eius vocem. At dicebat ille in Horebo: Ne trucida! Non est Deus meus! Mihi nullus amplius Deus est. Tu, o miseria, tu mihi es Deus! Imperas altâ mihi imperas voce mortem; obedio! Moriare igitur, moriare, perdite! Tremiscis? hic agitaris? Unâ adhuc vice intra te rebellat vita, luctatur, ut vivat? Vine tu vivere, proditor? cui inusta prae omnibus macula est, qui unquam prodidêre, tu? Ante me ceu sepulcrum late apertum terribilis expandit sese, estque anxia maxime cogitationum anxiarum, quas sensit unquam moribundus: Illum prodidi! Moriare, et ipsam animam, quae tibi misera post mortem superat, trucida! O quae in me, quasi esses immortalis, te extollis, tua fata disce, anima mortui: Ecce et te annihilatu devoveo! Sic fatur, et prospectat dirigescens, miscetque desperationi in altum detrusae adversus eum, qui aeternus est, vindictam. Sontis gressum Ithurieles letique angelus Obaddoneos sequebantur. Dum premit vestigia Iscariotes, iamque quovis obtutu magis sese devovet iudicio, igneus celeritate Obaddoneum affatur seraphes Ithurieles: Ecce ad mortem vadit. Unâ adhuc vice illum eram visurus, eius enim fui angelus. Iam vero linquo peccatorem tibique et vindictae! Equidem eius eram custos, sed recipias eum, trado tibi, leti angele, victimam solennem, recipias eum, se ipsum immolat, ducasque morti aeternae. Quomodo id faciundum, et haec iudicis novisti iussa. Ast me obvelo, et faciem averto. Abiit festinans cum alatâ voce. Iam destinabat mortis locum Iscariotes. Cum Obaddoneos conspiceret col-

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. E˛ rste Fortsezung. (1779)

lem, in fastigio collis constitit, dexteramque sustulit cum ense flammifero, et in caelum tetendit; iamque dixit verba solennia, quae tum dicunt mortis angeli, cum mensuram rebellionum complet homo, et se ipsum interimit: Letum, per tremendum magni Infiniti nomen, letum venito ad terrigenam. Esto super ipso sanguis eius. Ecce solem tibi extinguis. Letum ac vita ante te iacebant, ut optares. Letum tibi, mortalis, optasti. Extinguitor, sol, et, angor mortis, venito! et late rumpitor, sepulcrum, eumque capessito, tabes! super ipso sanguis eius. Percepit Iudas vocem immortalis. Sic in solitario noctisque pleno nemore voces audit devius, cum trans montes multis remotae milliaribus tempestates e nubibus deturbant cedros. Et furens ac desperans vociferatus est: Sonitum tuae vocis bene novi. Trucidatus Messias es. Persequeris me, tuumque poscis sanguinem. Adsum, adsum! Clamavit ita Iudas rigido tuore, seque interemit. Cedebat ipse Obaddoneos retro obstupescens, cum moreretur. Correpta ac titubans anima ter cohorruit, cum solveretur cor; at quartâ vice illam letum vincens e morientis fronte in altam pellebat. Illa se prolibrabat. Leviflui spiritus eam sequuntur e cadavere, ocyusque cogitatione circumvehuntur, et librans sese fiunt corpus, uti oculo clariore contueatur infernum, atque subtiliore magisque tremefactâ aure tonitrus iudicis exaudiat. Erat autem corpus haud plane creatum, debile, tantum sensile cruciatibus, formâque hominis osorum. Iam subito se receperat anima, quam attonasset mors, coepitque cogitare. Rursus sentio! Quisnam sum factus? quam levi libramine tendo in aethera! Ossane hoc? Non ossa sunt; corpus autem est. Obscura mihi adhuc acies. Quisnam sum? Verum horrifer sensus est meus, sentio, me esse miserum! Sumne Iudas, qui moriebatur? Ubinam sum? Quaenam in colle forma illa lucida, magis semper tremendum affulgens? Utinam obscura mansissent lumina! At semper sit illa clarior, adhuc clarior, heu modo clarior terribili! Age, aufuge, Iuda! Vae mihi! iudex ille mundi est. Nequeo aufugere. Et ecce ferale meum cadaver! CANTUS VIII. Pag. 65. Di du …. Gotmensch. ____________

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O quae in sione sanctissimum inter cantatores Iovae videns, ex illo discebas, cum aeterno edoctus spiritu caneret, quem morientem dereliquerat iudex, inter mortuos maximum, doce me, Sioniti et tu; discebas

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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enim caelestia. Veni, et duc tremebundum me devotumque tibi, atque ipsa treme, duc me in noctem Crucifixi. Iam me horror corripit adyti! Cernere fert animus morientem, oculos cadentes rigentesque, in genâ mortem, inque pulcerrimis mortem inter vulnera, cernere te, o piatûs sanguis! Inclinabat, et ipse cruentabatur, inclinabat se caput eius, et cruentabatur ipse, in noctem se eius sanctum inclinabat caput, atque homo Deus obmutescebat. Pag. 74, 75. Di Kreüziger …. Ärde. ____________ Propinquabant, qui ipsum crucifixuri erant, expiatori. Tum vero mundi omnes latius flante cum murmure perveniunt ad ambientis cursûs loca, de quibus expiatum erant annunciaturi. Constitêre. Detonabant poli lenius, atque obmutescebant. Silebat stans creatio, ac horas victimae per caelos indicabat. Stabas et tu, peccatorum munde ac sepulcrorum, et tecum illius sepulcrum, qui esset cruentandus. Tuebantur angeli cum omni immortalitatum vi. Tuebatur Iova, tuebatur, tenebatque terram illabentem, tuebatur Iova, ecce, qui erit, et erit, desuper in Iesum Christum: et crucifixerunt eum. O quae es immortalis ut ii, qui videbant ipsum, tu, quae et eius visura es vulnera, humilius te ad infimam inclina crucem, amplectere illam, teque, o anima, obvela, dum vox tremebunda tibi redeat. Ceu in omni circum circa creatione omnipotens iaceret mors, dormiretque cunctis in mundis tabes muta, neque vivus amplius ullus in pulvere staret tabescentûm: exanimi sic festoque cum silentio tuebantur in te angeli et patres, Crucifixe! Ast vero ut vita eius, vita eius immortalis coepit cum mortium valentissimâ luctari iam, et iam nunc primus ipsius fluxit sanguis; stupere vestrum, seraphae, factum vox est. Iubilavêre et lacrimarunt, novisque resonuit caelum adorationibus. Iam unâ adhuc vice, et iam adhuc unâ Eloa despiciebat in cruentatum, et tum evolatu, qualem in eo nullus hucdum viderat immortalis, vibrabat sese vocalisque et stupescens in caelos caelorum, et clamabat, (sonant ita sidera circinante festina cursu) clamabat: Fluit sanguis eius! volabat in abyssum Immensi, clamabat: Fluit sanguis eius! exin tacitâ se cum admiratione ascendendo tellurem versus librabat. ____________

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Pag. 86 … 88. Darf ich … ein. ____________ Ausimne te filium appellare, te adhuc appellare filium? Ne avertas, ne avertas hunc, qui iam cadit, oculum! Ignovisti mihi, Expiator, meus Expiator natorumque. Sonuêre caeli, thronusque Aeterni amoris clanxit voce, quae vivere iubebat sontem, in omne aevum vivere. Ast moreris, iam nunc moreris. Aeterna illa quidem est, quâ absoluta sum, gratia; sed tu moreris. Tempestatis ad instar haec in me incumbit cogitatio noctis plena, retro in sepulcra deturbat immortalitatem. Ah liceat mihi, o Die, lacrimas tibi fundere; longe tu quidem supra lacrimas, at liceat tamen fundere. Ecce sitibunda sum solatii, ignosce mihi, ignosce et lacrimas. Expiator, victima, mortis victima, meus mediator, plene vulnerum, o amate, o tu amate, o amor, tu ignoscis! Vosne etiam ignoscitis nati ad mortem, quos enisa Eva est? Si ipsorum anhelitus supremusque et rigescens mihi tuor maledicunt; tu mihi, o Letate, benedicas. Ne mortuae nati, maledicatis! Propter vos ego omni plorabam vitâ, cum mihi solveretur cor, vestri causâ plorabam, et tabescebant cum tabescente lacrimae. Si et vobis olim, nati, cor solvitur morientibus; tum ipsius e vulneribus laetitia, melioris laetitia vitae vobis affluit! Haud morimini, dormitantûm more ad plenum ascenditis vulnerum. Splendent tum vulnera, Illius vulnera, vulnera Increati, at qui fuisset mortuus. Ne matri, nati, maledicatis; estis enim immortales, et ipse est, Iesus Christus etiam meus est filius. At, o amate, o inter amatos amatissime, tu .. (sed te nomina haud valent nominare omnem) ecce tu moreris! O si turbida illa tremensque hora iam praetervolasset alis luminis! Ne, cogitatio, ne sepulcralis in me cogitatio saevi! Pallidior fit adhuc, conciditque moribundi gena! inhorrescunt adhuc vulnera eiiciendo sanguinem! ah divinum ipsius caput in profundiorem iam noctem inclinatur! Spiramen hoc vox tua, o mors, est! sic tu anhelas! Haec tua, mors, vox est! Quo abripior? At vero in me convertit vultum! Iubila serapharum canant, ipsum in me convertisse vultum, resonentque caelorum portae, expiatorem Dei unâ adhuc vice vultum suum in mortalium convertisse matrem! Denuo me vitae quies aeternae obumbrat. Ad creatorem tollo lumina, nexasque cum ardore manus ad illum tendo, qui letatur, ac vobis, o nati, benedico. Ipsius ego nomine, (haud eum includunt caeli, habetque coram illo terminos Immensum!) sancti

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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nomine, innocentiae instauratoris, resuscitatoris mortuorum, mundorumque nomine iudicis, morientis nomine, qui afflictorum numerat lacrimas, perque illum cruentum gethsemanes sudorem, per impleta haec vulnera, per, qui ab his vulneribus destillat, sanguinem, per inclinatum hoc caput, fessa haec moerore lumina, frontem hanc angore plenam, hunc moribundum obtutum, horrorem hunc, per ipsius clamorem ad Deum, vos ego, nati, benedicendo morti consecro!

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CANTUS IX. Pag. 91, 92. O du …. Gericht h˛ilt. ____________ O quem nomina haud nominant, non cogitant cogitationes, Prime! .. Ad Illum ascendebam, a facie visurus ad faciem, qui iudicabat iudicium, Inexpiatum in obscuro, tremendâ in gloriâ Deum. Veni ad soles; opaci erant. Ad polum veni caeli; et nitores turbidi luctati cum noctibus. Propinquabam solio; tum maior circum me fiebat obscuritas, et nunc maior adhuc, et nunc … at quaero nomina, neque reperio, quae erat circa Infinitum, nocti; nulla horrori nomina, qui ab Infinito exibat. Stabam, et procul audîbam torrentes inferni sub profundâ ac silenti creatione strepitare. Lenta me prolibrabam. Tum versus in me primus mortis angelus est vociferatus: Cuiusnam libramen finiti huius libramen est? Tum recedens ego contremere, prolabi in faciem, et adorare eum, et obmutescere, et adorare eum, qui iudicabat iudicium.

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CANTUS X. Pag. 158 .. 160. Als är noch … und starb. ____________ Cum oraret adhuc Adamus, sustulit Eloa vultum, conversusque ad patrum concilium de culmine templi tam alte clamavit, ut cum Moriae radicibus sancta contremerent atria, moerentis stupentisque voce, qualem ex eo nondum audierant immortales, clamavit, desuper ad patres: Adventat! Iudicantis nuntius Numinis pependit ad terram, descendit in sinam, stetit, obstupuit. Solus, Dei oneratus iussis, adstabat in sinâ. Caelumque et terra videbantur illi fugere, labi, interire. Servator finitorum firmabat eum, ne fugeret ipse, laberetur, interiret. Stupor iam ferreum ab eo reducebat brachium; sed prorsus adhuc erat attonitus,

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percitusque moestitudine. Dependens dextera cum nisu flammantem tenebat ensem. In nitorem pallescebant radii eius rutili, sanguinei, qui, fulmen quisque, ignescunt, volant transversi, et necant, cum mittitur à iudice necaturus. Sic moribundi expiatoris perculsus adspectu, collem leti versus labebatur in faciem adoratum, priusquam iussa perageret Iovae. In lenem tristitiae sonum mutata vox non ut olim tonabat; attamen illum sanctorum orbis audîbat. Sic oravit: Mittit, Fili, iudex mundorum finitum me ille, quem tua victima, et tua sola expiat! O firma, Increate, firma lassum, ut potis sim iussa peragere. Heu ingentis iussi moles, mundorum instar collapsorum, ex quo in cruce iudicium perfers haud indagatum, recumbit, regnator, in me finito. Deus, iudex mundi, quisnam ego sum, heu quinam ego sum, ut me mittat Deus, mortem maxime terribilem annunciatum? Spiritus heri creatus, et corpore, primo finitûs monitore, inclusus, quod e noctis mediae nubilo, flammarumque torrentibus creasti. Mediator omnipotens, pavor me circumdat moestitiaque et angor, uti nunquam sensi! Ast peragenda mihi sunt iussa. A Iovâ illa fero. Sic fatus in sinae culmine cum horrore surgit. At quemvis illi terrorem, cum surgeret, Iova reddidit. Stat tremendus, ensemque versus Golgotham demittit, ensem late flammantem. Pone ipsum oritur procella. Miscuit procellae festinae insonans vocem immortalis. Et nemora strepebant palmarum, iordanus, genezaretum, potens cum ingrueret procella. Defluitabat in solum victima vesperis igne provoluto. Fatus immortalis est: Cui te immolas, divinam Iova accepit victimam. Infinita iustitiae suae ira est. Irae, Fili, te subiecisti infinitae, tu solus, et tecum haud ullus creatorum est. Sanguinis tui clamor flagitans misericordiam, misericordiam aeternam, ad Illum ascendit; sed dereliquit te, estque derelicturus, dum expiatrice Dei morte moriare. Vix superant momenta, et illâ es, homo Deus, moriturus. Sic dicit leti angelus, vultumque avertit. Tollebat Iesus Christus rigentes in caelum oculos, et altâ clamabat voce, haud voce morientis, illâ omnipotentis, qui finitos omnes reddens attonitos liberâ obedientiâ morti sese tradebat mediatrici, clamabat ipse: Deus meus, Deus meus, cur me dereliquisti? At caeli in istud tuentes mysterium faciem obvelabant. Extemplo ipsum, sed vice ultimâ, sensus humanitatis corripiebat omnis, et aridâ clamabat linguâ: Sitio! Clamavit ita, bibit, sitivit, tremuit, mage palluit, cruentatus est, clamavit: Tuis ego, Pater, manibus committo animum. Tum vero: (Mediator Deus, miserare nos!) Perfectum est. Et inclinans caput moriebatur.

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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CANTUS XIII. Pag. 121. Ungestüm ˛ … Trümmern. ____________ Cum impetu revertitur Adramelechas voluitque sub furibundo et saxeo corde blasphemium nigrum ceu imi est inferni nox, et decernens monstrum effundere in concilio sanctorum vociferatur: Sequor te, angele. Avertitor! clamabat cum tonitrûs clamore exterminator, creationem haud videbis! oculum tuum feritura est caecitas, ducturus te, tremito pone eum, ululatus! Iam oculus illi in noctem rigebat, iam circa ipsum strepebant atque exululabant ductrice in procellâ. Lugubri ululatu, sequebatur eum compulsus, nunc procul emoriente, nunc propinquo et quassante plena erat procella. Corripere eum pavor subitus, ineluctabilis, infandus, cum ululatus iudicii ad instar tubarum, illi vociferaretur: Vae tibi! vae, vae tibi! atque illi tum viderentur vicinorum eo siderum vacillare montes, ac detrudi in eum fragosi, ipsumque ruinis in fumantibus volutare.

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Pag. 126, 127. Wi es ….. auferstand. Quod sensuri olim millies millia consecratorum morte Deo sunt, quando a primo inde delicto durans usque ad diem iudicii ingens illud vae queri desierit, nec amplius cum quâvis guttâ temporis, quae mutationum destillat in mare, nascentis fletus, aut anhelitus morientis ascendent ad caelum misti hymnis intemeratorum leto, quod sensuri illi sunt, quando illucescente dierum ultimâ longum illud vae fletusque et anhelitus obmutescet aeternum; gaudentes ac laetabundi tremebunt, et vultu erecto gratantique lacrimas deiicient beatitudinis, iubilantûmque cantus triumphalis certaturus cum excitatrice mortuorum tubâ est, certaturus, victurusque! quod tum sensuri sunt millies millia iustorum, id iam sentîbat parvum agmen, quod ad sepulcrum Domini speque et exspectatu eorum, quae futura erant, languescebat, cum scinderentur nubes, cum Gabrieles inde flamma Dei deferretur, cum Bethlemide super colle ossium ad sepulcrum volaret, a tugurio Ephratae ad crucem, a cruce usque in sepulcrum contremeret tellus, cum ad instar montis Satanas, Mortui custodes ceu tumuli prociderent, cum sepulcro cautem devolveret immortalis, cum laetitiâ Dei laetaretur Iova, cum Iesus resurgeret.

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CANTUS XIV. Pag. 169. Und schon ˛ ….. seümen.

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Iam propinquabant Cleophae tugurio. Spectabant hunc, cum hauriret e fontis ore potui lympham, celerisque eam propter se sisteret, herbasque lavaret halantes et odoriferas. Fluebant circa manum eius evulsi cum herbis flores, quorum pars delapsa cum coeptantis rivi murmure. At conspexit Matthian, conspexitque divinum hospitem accedere, et properus prosiliit. Salve, o homo Dei, benedictio omnis, quâ tibi benedixit Dominus, tecum intret, o homo Dei, meum in tugurium. Sequebatur Matthias, et ferebat vas, vivumque in eo fontem, ac herbarum simul rorantûm lenimina. Posuerat iam Cleophas in mensâ haud onerosâ divitias tugurî omnes, lac et mella ficosque, et panem firmantem, hilaransque vinum pectora; expanderat et strata. Accubuêre cibis hospes solus, ipsi adversi. Tum vero coepit in illos convertere hospes aciem gravisque et laetus. Cum tranquillitate, agendo grates, ac sollenni cum decore, tenebat panem; sic illum consuêrat tenere Iesus! tacitusque susspiciebat in caelum; sic consuêrat in caelum susspicere Iesus! Tum rigentes intueri semet, ipsumque. Orabat ille. Iesu erat orantis vox; et subito facies Iesu Christi, facies orantis. Sic oravit: Patri nostro in caelis sit ob munus gloria, quod benigne nobis tribuit, uti corpora egentia serventur. Multis tenue videtur esse, quamvis id eâdem, quâ creavit caelos, omnipotentiâ, pater noster parârit. Ah et ipsa eius dicta! Gaudio pallidi procumbere simul adoraturi. Rursus ille fatus est: Gloria illi! iussit solem nobis luceat, lunamque siccet sudorem in fronte fessi. Quotidianum nobis creavit panem. Gloria illi et adoratio! Fregit iam deditque ipsis panem. Acceperunt hunc pallidiores gaudio, ac ipsum sunt intuiti, locuturi erant, haud potuêre loqui. Unâ adhuc illos vice benedicentis adspexit mansuetudine, et abiit. Illi exilîbant, sequebantur, festinabant, quaerebant, neque reperiebant eum. Tranquilli revertebantur. O revisemus ipsum. Sum in caelo, Amate, haud supra terrâ, in caelo, ah Cleopha! Cleophas ad pectus eius inclinatus tacebat; tum amplectebatur illum igneus, tenebatque diu, et iterum amplectebatur. Exarsitne, o Matthia, nobis cor, cum in viâ de Deo faretur, nobisque aperiret revelationem? Ast moramur?

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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CANTUS XV. Pag. 254. Als si …. Freüden. ____________ Cum escenderent in culmina, Cidelisque attonita vix scitaretur, cernebat illa longe in cedrorum umbrâ Semidan venientem cum hospite, qui nunc etiam suo effulgebat nitore. Cernebat ipsos et Semidas. Mortales ambo stare, ire, tremere, quiescere. Coeperant ab omni latere radiantes circum eos librari formae, ipsisque arridere. O quam effulgebant ignoti adhuc senexque et caecus, homo vulneratus, fratresque eius adventantes. Auctum semper Coelituum agmen, et factum semper est lucidius. Quis omnem nomine ecstasin nominarit, quâ ambo corripiebantur! Ut manibus nexis stupentesque circumspiciebant, rursusque humi ponebant vultum, ut scitaturi, in trepidâ scitatione fiebant muti. Ut circumdati propinquorum radiis immortalium, mox nitore solum lenique circumdati murmure benedicentûm, laetabundi erant, et anxii. Iam propinquabant sibi; tum vero factae cogitationes illorum evanidae, subitoque fortunati ambo clarificati sunt. Librabant cursum, et inter se complectebantur, ah tunc primum illî, neque discidii in tuguriis. O revisendi olim, revisendi sese tempus Amantium, quo propter unius pulverem et alterius requiêrit pulvis, ipsa tui cogitatio somniat tantum laetitiam Cidelidos, Semidaeque longe aliis iam flentium lacrimis laetitiam.

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CANTUS XVI. Pag. 27 .. 29. Där miskennet … Richters. ____________ Aeternum male novit filium, gloriâ plenum a Deo, qui ignorat, perque eum, et propter eum Patrem creasse creationem, atque ipsum esse regnatorem immensorum, quae illi numerabilia sunt soli, agminum, donec e labyrinthis mundorum omnium, viae Dei cunctae ad unam metam maximam, beatitudinem omnium, fuerint progressae. Si ille non exclamasset in cruce: Perfectum est! carens numero creatorum agmen, omnino tunc beatum per caelos haud posset exclamare: Perfectum est! Ast cum ipse creare decerneret, decernebat et mori! Iesus Christus divinus Patris aeterni Filius, atque homo rursus vadebat in fastigium montis, qui eius, donec ad Patris dexteram ascenderet, erat thronus, ecce thronus in terrâ; illius vero, cuius esset in mundos imperium. Sub eo treme-

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. E˛ rste Fortsezung. (1779)

bat, lucebatque Taboris. Stabant circa ipsum excitati e sepulcris, longiusque iis cherubae Dei. Erant aperti verendi orbes versus caeli adytum. Christus stabat medius, rupi acclinis quietae, non is amplius, qui pateretur. Illius praesentiâ extinctus patrumque et angelorum nitor mutabatur in nascens crepusculum, atque oriens fundensque iubar Eloae dies in aestivam lunae noctem. Obtuebatur oculus Christi Numine plenus; et dulci sensu, se esse finitu circumscriptos, afficiebantur omnes, consistebant omnes libenter in gradibus iis, ubi in serie entium eos posuisset ipse, atque sentîbant omnes, factos se esse per ipsum beatos. Nutum obversi oris Christi comprehendebat cherubes, atque avolabat. Revertebatur mox animarum cum agmine, ductor mortuorum, qui inde a divini Filii resurrectione expiraverant, quorumque iam corporibus sepulcra effoderent amici flentes, seu recipiendum ad pulverem circumdarent urnas cupresso. Aperitur iam flos, quem sparsuri mox sunt in quorundam sepulcra amati; attamen iam maturescit iudicium mortui floreo iacentis in sepulcro. Ducebat, quem miserat Christus, animas in Taborem. Uti pluvia nimbi, hic irradiante sole lucidior, obscurior ibi, ubi plures sunt nubes, decidit caelo, sive, cum in sublimiori ac fervidâ mente passioque et ratio luctantur invicem, cogitationes illam turbatim circumvolitant verae ac falsae, hae quidem veritatis vultu decipientes, mutatae in tales, passionis incantatricis virgâ. Animae iudicio primo propinquarant. Advolabant ad Christum, subitâque admiratione exclamabant laetabundae et anxiae, cum in medio cernerent Deum, atque circum eum Deos. Profatur mundorum dominus: Quaenam estis animae? Rauco illae mistoque vociferabantur murmure, quae essent, modestâ de seipsis sententiâ, plures superbâ. At videbant statim in ore fulgentissimi Deorum, illi sese frustra occultare. Dii quidam secernebant animas e turbâ, illasque adducebant supremum ad Deum. Iudicabat iudex. Audîbant angeli celerium dictorum imperia, nutuum celeriorum. Testabantur angeli, retegebant scripta flammis, moxque revolvebant libros, spargentes parum fulgoris tremendi. Animae loquebantur, volitabant mutae. Breves erant sententiae iudicis, ferîbant ceu fulgura, circumlucebant laetitiâ, ut diei radii eos, qui fuerunt caeci; aut nutus eius tantum iubebant angelos viam, quâ ascensurae animae, sive descensurae.

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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Pag. 37, 38. Here ….. betraten. ____________ Acies congressae; duces acierum, sontes ambo debellatores, cadebant. Circum circa silenti in campo iacebant cadavera, pleni iacebant vulnerum, extendebanturque. Ceu ruptae nubes ac devolutatae affluebant mortuorum animae, simul animae ducum. Sustulit iudex mundi dexteram; tum vero deiecta vibrataque cum fragore in ambo illos immanes, facinerosos fulmina. Diu insonabant pone laesae humanitatis reos, raucum, longâ viâ, pone eos insonabant, terrificum pone eos usque gehennae in cavernas. Et nunc audiri ex abysso detestantûm fata vox, sonorque uti verberum. Miles vix internectus verberavit, estque vociferatus: Et hic saevitur pugnâ! rotavitque simul lacertos altius, ferocius. Stridens lento concussu sonabat sontium catena debellatorum, ast feralius irrisor orci cachinnus. Dulcissimae iam mele socia laetitiae ascendebant, simulque barbitos angelorum suave sibila. Venîbant enim liberae terrenâ mole a Gange Rhenoque Niagarâ et Nilo Taboris propter cedros animae infantum. Uti a multis seiuncti magnisque gregibus, longissimum ad collem, nutriti vere agni pascuntur, sic propter Taboris lucum venîbant animae. Iudex non iudicabat. Multis illae ductae viis, a stellis ductae prius ad stellas, quam caelites nunc iuvenes sublimiori graderentur in tramite.

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CANTUS XVIII. Pag. 84. Einst am ….. Hörer. ____________ Die olim Domini, cum propinquantis in alâ crepusculi praeter me solitariae laetaeque fugerent horae, atque ego scrutarer, sancta Sionitis versus me incessit. Talis mihi haud visa vates, neque tam multum aeternitatis unquam gesserat vultu. Illa mihi canebat visionem Adami. Saepius obmutescebat ipsa canens. Ardebat ei gena; tum faciem cernebam ardentiorem subito pallore suffundi. Labia haerente voce clamabant tonitrua, atque oculus severum obtuebatur. Barbitos fere rigescenti excidebat dexterae, tremebatque volitantes circa crines corona. Tum vero sese extollebat rursus, atque omnis ipsius facies aeternae plena quietis renidebat. Tum centum alatae alis, praepete nimborum

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. E˛ rste Fortsezung. (1779)

pennâ, cogitationes verissimae, primigenae illae animi, ascendebant ad Deum. Talem illam videbat oculus meus, inque noctem tuebatur fixus. Laevâ terram, meum sepulcrum, tangebam, ad caelum extollebam dexteram. O vos terrae, sive sepulcri incolae, quod potero, vobis canam. Ad mille cogitationes haud pertingebat mea mens volatu, mille aliis careo et voce et cantu, atque millies mille abscondebat ipsa audienti. ____________

CANTUS XX. Pag. 181, 182. Ertönet …. Labirint. ____________ 640

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Resonate laudem illius, terrae, sonate eam, solesque et astra! vos circa nos astra, in lucis viâ festo dicite cum murmure Redimentis laudem, ecce gloriosi, inaccessi gratantibus naturae melis. Accine tamen, natura, ei, qui te creavit! Effluat in caelos cantus tuus, detonet illum laetansque et venerabundus, a culmine tremente, fulguris socius in Cedronâ, palmarumque Valle. Vos lunarum lymphae, tuque o telluris oceane, vestra illi miscete murmura. Ceu barbiti sonum dulce sibilae in chorosque psalmosque tubarum aura suspirat palmae, sic elevate vos ad agminis cantum siderei. Ut vero inceditis, quae innummera creavit Deus! O means astrorum agmen, ut radiatis, quam sonacia clamatis Redimentis laudes ad sublimitatem, effulgentem ad coetum, qui est Dei circa solium. Tu ille, o Fili, es, cui resonat cum iubilo mundus! Tu omnem effundens beatitudinem fons, regnator, salutifer, eorum fons non exhauriende, quae dant felicitatem, ubinam via, volatus ubi ad lucem, Ad salutem est, nos quibus non ducas, omnes non ducas? O salutis labyrinthe ingentis, ineffandae, remuneratricis, beatos Ille per te ab aeone ducit ad aeona, labyrinthe!

Fon einer lateinischen Übersezung des Messias. Zäntes Fragment.

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Pag. 196. Tot erwacht …. Gebärerinangst. ____________ Excitantor mortui, tuba clangit, excitantor mortui! Sinus noctis, marisque profunda, ac terrarum orbis intremunt raucum; ossa audiunt sonorem clamare imperantûm; alte eo clamant archangeli.*) Arx aurea, tectumque muscosum procumbunt. Telluris qui in sepulcro, seu in oceano iam longo iacebat dormitu, excitatur is; quique vivit, horrendos audit tremores terrae, moritur, excitaturque. Erat adhuc nox; incedebat per obscura terror. Campique et luci ac montium illabuntur cacumina, proiiciunt sese in mare. Sile, barbiton. Clamatur iam pavide, angore clamatur parientium. Tonitru de solii clamat culminibus. Sile, barbiton. Tubae simul sonant clarae, minaces, vocant in iudicium. Tremenda volat strepitque tempestatum procella; simul lamentabile angore clamatur parientium.

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* Ich habe dänen, di es übernämen wollen aus dem Messias zu übersezen, nu˛r noch Folgendes zu sagen: Ich ersu˛che si, m˛ir das fon inen gewälte anzuzeigen. Ich gäbe inen h˛irauf, wen dis etwa schon ˛ ein Anderer gewält hette, Nachricht dafon. Ich bitte um di Erlaubnis an den übersezten Stellen endern zu dürfen; nicht daß ich glaube, es besser als Andre zu wissen; sondern nu˛r, weil ich natürlicher ˛ Weise me˛r als si über

*) Solt es nicht so ga˛r for ˛ den Augen unsrer Scholiasten, in Ansehung eines gewissen Unterschides, der zwischen unsrer Spra˛che, und der lateinischen ist, ein wenig hel wärden, wen ich inen sage, daß dise e˛rste Strofe, forausgesezt, ˛ daß si ˛ir Silbenma˛s behelt, zwa˛r wol mit andern Weglassungen, aber gewis nicht getreüer, als so ins Lateinische übersezt wärden kan: Mortui, tuba clangit, mortui Resurgant! Sinu nox, et abyssus Tremiscunt, et ad ossa it vox, sonat Archangelorum altaque imperium. Der Knoten ligt da. Das Zerhauen wils ˛im nicht tu˛n; är mus also aufgelöst ˛ wärden: und das kan är nicht. Gleichwol haben Deütsche so manchen horazischen beina ganz aufgelöst. ˛ Ich sage: beina; weil ich gern immer alles mit auf di Wagscha˛l läge, was darauf gehört. ˛ H˛ir sinds di im Deütschen nicht föllig gleichen Silbenma˛sse.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. E˛ rste Fortsezung. (1779)

das Karakteristische diser Übersezung gedacht habe. Lest man m˛ir bei den Endrungen nicht freie Hand; so überschik ich di fon m˛ir gemachten dem Ferfasser zu seiner Beurteilung. Nu˛r noch ein Wort fom Numerus, där für ˛ dise Übersezung der angemessenste sein würde. Am seltensten, deücht mich, müste es Isokratens Numerus sein; öfter Zizeros; ˛ noch öfter Tuzididens; am gewönlichsten ˛ Demoste˛ns: doch dis mit dem Forbehalte ˛ eines eignen in Stellen, dären Gegenstende i˛n, für ˛ di Emfindung, und das O ˛ r der recht genauen Kenner diser Sachen, erfoderten.

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. ______________

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Fragmente fon Klopstock. Zweite Fortsezung. Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. _______________________

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Elftes Fragment. Es ist m˛ir angenäm mit einem Manne zu streiten, där endlich (eine Sache, di man in disen lezten zän Jaren nu˛r se˛r selten erläbt hat) einma˛l auch weis, wofon är spricht. Ich erh˛ilt for ˛ Kurzem folgende Schrift: „Urschprung und Fortgang des heütichen wichtichen Ferbeserungsgescheftes der deütschen Rechtschreibung. Manheim 1780.“ Ich fange damit an dem Ungenanten (auch sein Br˛if war one Namen) dafür ˛ zu danken, daß är der Welt Folgendes bekant macht: In unserem wertesten Faterlande hat di neüe rechtschreibung sonderlich file libhaber bekomen. Mir ist eine nicht geringe anzal fererer unserer muterschprache aus ferschidenen gechenden der Pfalz bekant, di ganz oder zum deile nach den recheln des grundrises schreiben. Unter denselben ist her Anton Rau im jare 1778 als schriftschteler zu Heidelberch aufgetreten. In seiner abhandlung über di selbstlibe und simpati ferbanet er grosen deils das ferlengerungs-h, das ferlengerungs-e, das c, das th in deütschen wörtern, das q, das t als ein z, di ferdopelung der selbstlaute, di ferdopelung des k und so weiter. Doch ist seine rechtschreibung noch

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

ser schwankend. Alein das gute, das darin ist, der filosofische schrit, den der h. ferfaser gedan hat, lest uns hofen, das er bis an die grenzen, welche di fernunft ausgeschteket hat, mit festem trite forzudringen suchen werde. – Der Ferfasser findet es auch sonst noch se˛r tröstlich, ˛ das, wi er bei dem schluse seines werkchens erfare, auch di berümte pflanzschule zu Dessau di neüe rechtschreibung angenomen habe. H˛ir mus ich ˛in eines andern beleren. Das dessauische Filantrop˛in hat, in seinem Kamfe mit dem ortografischen Forurteile, ˛ auf den krummen, kümmerlichen, mürrischen, und grämlichen Alten weder gehaun noch gestochen, sondern blos ˛ in di Luft gestrichen. Meine Freüde über di e˛rste Nachricht hatte indes ire Wölkchen, nicht deswägen, weil dise Ortografi nicht di meinige ist; denn dis hette di Gestalt der Sachen bei m˛ir nicht geendert: sondern weil ich unwiderlägliche Gründe wider di landschaftischen Ortografien habe. Ich denke zwa˛r meinerseiz dem Ungenanten auch eine angenäme Na˛chricht zu gäben, wen ich i˛m sage, daß in unsern Gegenden einige aus dem Schwedischen übersezte Bletter na˛ch meiner Ortografi herausgekommen sind, nämlich: „Sr. Königl. Majeste˛t zu Schweden gnädige Bestätigung der Grund-Geseze der Gotenburgischen Geselschaft der schönen und andern Wissenschaften, Drotningholm den 19ten August 1778.“ aber auch seine Freüde darüber wird so wenig föllig rein sein, als es die meinige wa˛r. Dis mag h˛ir gegen einander aufge˛n. Denn w˛ir sind noch nicht in den Schranken. 1. Klopstock schreibet zum gebrauche der buchschtaben di drei algemeinen recheln for, di im grundrise a. d. 13 und 14 s. zu finden sind, nemlich, a) man schreibe nicht, was man nicht schpricht, b) kein laut sol durch merere buchschtaben ausgedrüket werden, c) ein jeder buchschtab sol nicht mer als einen laut anzeigen. „„Ich habe fürs ˛ e˛rste nicht geläsen, was Hr. Hemmer, oder Domitor über di Ortografi geschriben hat. Zweitens erklär ich mich, durch Anfürung der guten Ausspra˛che, noch anders über Sache, als man h˛ir findet. (Fragm. S. 198. Über Spra˛che und Dichtkunst, zweites Fragment. HKA, Werke IX 1, S. 334/335.) W˛ir bekommen fon Her Hemmern auch sonst noch Fersch˛idnes zu hören. Z. E. a) Er sei der erste, der bewisen habe, das das u des doppellautes eu in der ausschprache kein u, sondern ein ü sei. – „Es brauchte keines Beweises, weil eu Nimand, als einen Doppellaut, aussprechen

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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kan. Überdis schriben unsre Alten schon ˛ eü; und w˛ir haben es nu˛r, ich weis nicht na˛ch welchem Einfalle, in eu ferwandelt.“ e) Das ng sei ein einfacher deütscher buchstab, wiwol er mit zweien ferschidenen züchen geschriben werde. – „Es ist doch ein ganz besondrer einfacher Bu˛chstaben, där im Anfange der Silben, so ga˛r unmittelba˛r for ˛ dem Selbstlaute, unaussprechba˛r ist. Z. E. ngu˛n, Ngamen. Gleichwol sol Her Hemmer bewisen haben, das ng, dem Laute nach, eben so, wi ch und sch ein ganz einfacher und undeilbarer Buchstab sei; und di gelerten sollen di richtichkeit dises beweises auch schon grosen deils eingeseen haben. Besonders wärden überzeügte Schwaben angefürt.“ ˛ ä) Er sei der Urheber der neüen buchschtabirart, indem er si zuerst in deütliche recheln gefaset, und den unfuch der alten gemeinen art zu buchschtabiren dar gedan habe. – „Seitdäm Grammattiken geschriben sind, hat man gewust, daß man, bei Untersu˛chung der Wortbildung, di Wörter anders teilen müsse, als es im Sprechen gesch˛it. Man hat aber auch gewust, daß dise A˛rt der Teilung einzig und allein in di Etimologi gehöre; und daß man den Leien erlauben müsse zu tu˛n, was si, auch one Erlaubnis, gewis immer tu˛n wärden, nämlich na˛ch der Ausspra˛che zu teilen. Selbst di Gele˛rten hetten se˛r unrecht, wen si h˛ir anders ferfuren.“ ö) Er zeige, daß wir es wi di Grichen machen müssen, unter denen der anhenger jeder Mundart nach seiner ausschprache geschriben, weil er recht zu schprechen geglaubet habe. – „Also bildete man di Wörter nicht ferschiden, wen man z. E. h˛ir: antthroopu, dort: anthroopoio, h˛ir: polios, und anderswo: ptoleoos sagte; sondern man spra˛ch si nu˛r anders aus?q“p““ 2. Kl. untersuchet kürzlich, wo di gute ausschprache zu finden sei. Und da zeichet er seinen lesern auf gewise gechenden Deütschlands, man kan sich wol einbilden auf welche. Nescio, qua natale solum dulcedine cunctos ducit. Di ausschprache diser gechenden wil er schlecht wech di ausschprache, und was dafon abweicht, di ausschprecherei nenen. Aber ist dan dise so genante ausschprache in alem rein, echt, und folkomen? Her Klopstock findet selbst ofenbare feler darin. Wi kan er si also Deütschland zum muster forschtelen, und di güte eines wortes blos daher beweisen, weil es in den gechenden der guten ausschprache gebreüchlich ist, wi er z. b. an der 190 s. (S. 332) dut? Gewis ein alzuschtrenger, unbarmherzicher beweis! Di übrichen profinzen werden sich schön dafür bedanken. Si glauben auch das recht zu haben, im hoen rate zu sizen, und bei samlung der schtimen ein wort mit schprechen zu dörfen.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

„„Ich sagte: Deütschland geste˛t, durch di algemeine Rechtschreibung, gewissen Gegenden di richtige Ausspra˛che zu. (Fragm. S. 187. HKA, Werke IX 1, S. 331.) In disem Saze ligt zweierlei. Das E˛rste, und allein Wäsentliche ist: Deütschland hat sich, durch di algemeine Rechtschreibung, erklärt, welche Ausspra˛che di richtige, oder deütsche, und nicht landschaftische Ausspra˛che sei. (Ob dise Rechtschreibung gleich auf krummen und dornichten Wägen ge˛t; so komt si doch zu irem Zwekke, und kan, in den Hauptsachen, dasjenige ausdrükken, worüber man sich erklären wolte.) Das Zweite: Gewisse Gegenden haben beina durchgengig (Ich erwänte ja im Folgenden auch der Fäler; aber gewis nicht in der Absicht, si mit zur Richtschnu˛r zu machen.) si haben dijenige Ausspra˛che, welche fon der Nazion ˛ für ˛ deütsch erklärt worden ist. Der e˛rste Punkt würde bleiben, was är ist, wen der zweite auch so lauten müste: Di richtige Ausspra˛che ist in den fersch˛idnen Profinzen Deütschlands fon ungefär gleich ferteilt; di eine hat dis dafon, di andre das. Är kan aber so nicht lauten, weil sich di Sache nicht so ferhelt. Doch h˛irfon herna˛ch me˛r. Denn ich eile über den e˛rsten, allein wäsentlichen Punkt noch etwas zu sagen. Wen ich stolz darauf bin, ein Deütscher zu sein; so bin ich gerade deswägen nicht demütig genung zu glauben, daß ich nu˛r där Profinz angehöre, in welcher ich geboren bin. Ich erkläre also, als ein Deütscher, (Man zwingt mich, etwas zu sagen, das sich fon selbst ferste˛t.) daß di ganze Zeit über, da durch Einfürung der algemeinen Rechtschreibung entschiden wurde: Welche Ausspra˛che di richtige, oder gute, oder deütsche were; alle Profinzen Deütschlands in dem hohen Rate gesessen, und bei Samlung der Stimmen mitgesprochen haben. Ferner, daß si noch jezt darin sizen, und endern können, was si wollen, z. B. daß si di fon m˛ir forgeschlagne ˛ Rechtschreibung, di nu˛r auf einem kürzeren Wäge na˛ch äben dem Zile ge˛t, nämlich: Zu schreiben, was di fon inen selbst für ˛ deütsch erklärte Ausspra˛che hören lest, daß si dise Rechtschreibung annämen, oder ferwerfen können. Aber nu˛n mus ich auch dijenigen for ˛ dem hohen Rate anklagen, di, wider seinen emaligen, durch di algemeine Rechtschreibung bekant gemachten Ausspruch, jezt damit umge˛n: Halb deütsche, und halb landschaftische Ortografien einzufüren; und ausserdäm auch noch (man erlaube m˛ir dis h˛ir mit zu berüren) allerlei, das nicht taugt, zum Na˛chteile der Spra˛che, in Gärung zu bringen.

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Wen es inen in Ansehung der Ortografien gelingt, so darf man kümftig, denn jede Profinz hat dan gleiches Recht, unter andern auch so schreiben: Buach, ischt, Mensgen, Beite, beteren, ibel, beflisen, Lachche, Dat, Puch, lawen, chechlaubt, keklaubt, jejlaubt. Aber si haben auch sonst noch eine solche Neigung zu iren Munda˛rten; es scheint si so läbhaft zu ferdr˛issen, daß di Spra˛che nicht fornäm˛ lich aus disen Qellen zum Strome geworden ist, daß si diselbe, nicht etwa nu˛r durch landschaftische Wörter, sondern so ga˛r durch solche Formen, gleichsam umbilden wollen. Unter den Wörtern, sind inen dan di l˛ibsten, nicht di fon ungeelterter Kraft und Schönheit, ˛ und dahär fon jeziger Brauchba˛rkeit; sondern di altertümelnden und altfätrischen: und unter den Formen, di hertesten, rauhesten, und ungelenksamsten. H˛irbei meinen si unter andern auch dadurch di Munda˛rten in me˛r Anse˛n zu bringen, als man disen, weil si so f˛il Gemeines und Une˛dles haben, zugeste˛n kan, daß si sich gebärden, (Hetten si h˛ir doch liber fon Wielanden gelernt, was si fon i˛m lernen konten; und nicht fon Göthen, was är si, wen är es bei Lichten bes˛it, fileicht selbst noch bitten wird wider zu ferlernen) sich gebärden, als ob si nicht wüsten, daß w˛ir eine Spra˛che haben; und si dan di hochdeütsche ˛ Munda˛rt, oder, wen inen das Wort Spra˛che ja einma˛l über di Zunge ge˛t, di Bücherspra ˛ ˛che nennen. Doch genung, oder f˛ilme˛r zu f˛il fon einer Abgeschmaktheit, fon där dan, wen erfolgt sein wird, was man aus dem Emaligen se˛r leicht als kümftig forhärse ˛ ˛ n kan, di Leüte kaum glauben wärden, daß si einma˛l da gewäsen sei. Ich komme zu dem zweiten Punkte. In gewissen Gegenden fon Nidersaxen (Ich bin in denselben weder geboren noch erzogen: aber wen ich es auch were; so würde mich doch di m˛ir forgeworfne ˛ dulcedo zu keiner Begünstigung ferfürt ˛ haben.) wird beina alles ausgesprochen, was fon der Nazion, ˛ als deütsche Ausspra˛che, festgesezt ist. In disen Gegenden der Niderelbe fengt fon da di gute Ausspra˛che an sich na˛ch und na˛ch zu ferliren, wo man (es sind nu˛r Hauptkenzeichen) h˛ir di Kinder: a-e, be-e, ce-e, zu leren, dort: Mang-gel, Eng-gel, und da: jäben, juter, auszusprechen anfengt. Wär m˛ir na˛chuntersu˛chen wil, där komme, und höre. Aber är mus dan nicht fragen: Wi man dis oder jenes ausspreche? sondern är mus zuhören, wi man es ausspricht, wen man nichz dafon weis, daß darauf acht gegäben wird. One dise Regel wird är keine ware Erfarungen herausbringen. Wi f˛il, oder wi wenig fon der als richtig anerkanten Ausspra˛che in

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den übrigen Profinzen Deütschlands gehört ˛ wärde, überlasse ich andern auszumachen. Es sol m˛ir ein Fergnügen sein, fon inen zu lernen; aber si müssen auch mit meiner Unparteilichkeit ferfaren. Ich mus h˛ir auf etwas aufmerksam machen, wofon man in dem südli˛ chen Deütschland nichz zu wissen scheint, das aber, wi ich denke, di Sache in i˛r rechtes Licht sezen wird. In dänen Gegenden, di ich bezeichnet habe, (auch auf allen Seiten so f˛il weiter hin, als das Platdeütsche reicht) mischen sich di Munda˛rt und di Spra˛che auf keine Weise unter einander, weder in Absicht auf di Ausspra˛che, noch in andrer Betrachtung. Wen da Fälerhaftes ist; so entste˛z nicht durch den Misch der Munda˛rt. Denn diser findet, wägen des grossen ˛ Abstands zwischen beiden, ga˛r nicht stat. Di lezte ist beina eine zweite Spra˛che. Allein in dem südlichen ˛ Deütschland ist di Sache ganz anders. Da fermischen sich Spra˛che und Munda˛rt in jeder Rüksicht. Es komt also nu˛r darauf an, di Schlakken fom Golde zu sondern; so wird sichs mit dem Me˛r und Weniger schon ˛ zeigen. Ich könte, deücht mich, h˛ir aufhören. Denn schon ˛ dis, was ich bishär gesagt habe, lag gröstenteils in däm, was man in den Fragmenten findet; und das, wofon nu˛n noch etwas folgen kan, ist entweder auch schon ˛ in foraus ˛ beantwortet, oder es ist fon einer Beschaffenheit, daß ich, auch mit aller Na˛chsicht, nicht darauf ferfallen konte es, als Einwurf, zu fermuten. Aber welche Mühe bleibt müsam, so bald man glauben kan, auch durch si noch immer etwas für ˛ eine Sache zu tu˛n, womit di Nazion, ˛ där man angehört, ˛ wen auch nicht jezo gleich, doch kümftig einma˛l, zufriden sein wärde. Dis sonst äben nicht starke Wort wird m˛ir zu einem der sterksten, so bald ich es mit wa˛rscheinlicher Fermutung bei m˛ir aussprechen kan. Ich kenne dan nichz me˛r, das mir widrig were; und sandige Landstra˛ssen ferwandeln sich m˛ir in Fu˛sstäge durch di Wise. Also, mein unbekanter Freünd, w˛ir bleiben noch in den Schranken. Aber, e w˛ir wider anfangen, ein Wort in Fertraun: Das wa˛r nicht Mu˛t, daß ich meinen Regeln folgte; aber das wa˛rs, daß ich di Sache unterna˛m. Und zu disem Mute gehörte ˛ auch, daß ich, bei der Foraussehung, ˛ selbst solche ferstendige Menner, wi Si einer sind, würden m˛ir Dinge sagen, di si m˛ir nicht sagen solten, dennoch bei meinem Entschlusse bl˛ib. Ich mus h˛ir dänen, di ich unter meinen Läsern am meisten scheze, noch fon zweierlei Rechenschaft gäben:

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Ich wärde durch Fürung dises Streites meinem eisernen Grundsaze des Stilschweigens, ich darf i˛n der langen Anwendung wägen so nennen, nicht ungetreü. Den är erstrekt sich so weit nicht, daß är auch Ferteidigung des Teoretischen ferbite. Es kan scheinen, daß ich zu Files widerläge. Einige Jare später würde man h˛ir recht gegen mich haben: jezt hat man unrecht. Wen m˛ir Andre nu˛r nicht den Forwurf ˛ des zu Wenigen machen. Denn ich höre recht mein blaues Wunder daran, was sonst noch Alles fon däm, das sich auch dis Neüe mus biten lassen, für ˛ wichtig gehalten wird.““ 3. Fast in keinem schtüke geen di deütschen profinzen kleine wi grose mer fon einander ab, als in der aussprache des e. Was hir geschlossen ist, (e) ist dort ofen (ä) und nicht weit fon danen wider geschlosen. So ferhelt di sache sich in einer unzelichen Menge Wörter. „In dänen Gegenden fon Nidersaxen, dären Grenzsteine ich oben sezte, weicht man, in Ansehung diser beiden Bu˛chstaben, nu˛r se˛r selten fon einander ab. Aber da es denn doch gesch˛it; so muste, nicht allein wägen der öfteren südlichen ˛ Abweichungen, sondern auch wägen der seltneren nördlichen, di Wa˛l zwischen e und ä frei gelassen wärden. (Fragm. 227. HKA, Werke IX 1, S. 345.) Das Ei durfte sich auch h˛ir nicht herausnämen, klüger als di Henne sein zu wollen. Doch kan man, deücht mich, dise Freiheit nicht one di Einschrenkung gäben, daß, wen di Silbe den abgebrochnen Ton ˛ hat, durchgengig e geschriben wärde. Wo man z. E. in: Schmerz, Herte, Fechten, Herz ein gescherftes ä (ein ä mit dem abgebrochnen Tone) ausspricht, mag man zuse˛n, wi weit man damit komme, wen mans wagt, dise Ausspra˛che, als nicht landschaftisch, anzufüren.“ – So wol das ofene, als das geschlosene e hat seine Stufen. „Di Stufen des lezten ken ich nicht, und si anzunämen, scheint m˛ir eins der grammattischen Hirngespinste zu sein, fon dänen w˛ir bald me˛r zu hören bekommen wärden.“ – Es kostet dem schreibenden nicht wenich müe unter dem ä und e überal gehörich zu welen. Dem übel were auf einmal abgeholfen, wen man auf di schriftliche unterscheidung ferzicht dete, und das Zeichen ä abschafte. Zur Bildung des ä und e werden di selbiche werkzeüche nur mit einicher ferenderung gebraucht. Solche ferenderung einerlei werkzeüche machet aber keine ferschidene buchschtaben, sondern gibt einem und demselbichen buchschtaben nur ferschidene schatirungen; sonst müste man aus den ferschidenen schtufen des e, und ä, so wol auf einer als der andern Seite, auch ferschidene buchschtaben machen. Und erwüksen nicht solcher geschtalt aus dem

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o ebenfals zwei ferschidene buchschtaben, da es gewis und ungezweifelt ist, das es in der ausschprache eben so ferschiden ist, als das ä und e immer sein möchen? „Das o, welches fom a etwas na˛chschallen lest, ist landschaftisch.“ – Her Domitor behauptet in seinem grundrise, das unser ch so filerlei sei, als wir selbstlaute haben: eine anmerkung, di so neü, als richtig ist. Ich habe disen mitlaut nach jedem selbstlaute besonders und bedachtsam ausgeschprochen, und bin fon seinen ferschidenen se˛r merklichen schatirungen überzeüchet worden. Ich habe aber auf gleiche weise auch gefunden, das sich das sch in disem schtüke ferhalte, wi das ch. Desen ungeachtet haben wir bisher in der reie der selbstlaute nu˛r ein o, in der reie der mitlaute nu˛r ein ch, nur ein sch gezelet. Warum den zwei e, ein ä, und e? „M˛ir scheint nu˛r ein Zeichen zu dem Laute zu fälen, dän w˛ir in ei, und eü durch e schreiben; eins zu dämjenigen s, das, wen es for ˛ t, p, l, n, m, und w ste˛t, einen Mittelklang zwischen dem Lispeln des s, und dem Zischen des sch hat; und ein zweites zu dem ä, dem leiseren nämlich. Aber deswägen, weil w˛ir di angefürten ˛ Zeichen nicht haben, auch das ä abschaffen, were äben so als, weil der Armee Husaren und Jäger fälen, auch di Dragoner fortschikken. Was übrigens di na˛ch jedem Selbstlaute anders klingenden Ech und Esch betrift; so mus es doch wol se˛r leicht sein sich allerhand Laute zu ersinnen, und so lange daran auszusprechen, bis man si endlich zu hören glaubt: weil man sich mit den Behorchungen dises waxenden Grases gerade in Gegenden zu schaffen macht, in dänen man, wen es auf f˛il was anders, auf di Beobachtung des Wolklangs ˛ in Prosa und Gedichten, ankomt, beina durchgehends taub zu sein scheint, und dan weder den dürren Strauch rasseln, noch di Ärengefilde rauschen hört.q“p““ ˛ 4. Er behauptet noch nach dem alten wane, ein mitlaut werde zwischen zweien selbstlauten, wofon der erste gescherft ist, dopelt ausgeschprochen, und schreibet deswechen: fallen, flamme, zerren u. s. f. „Ich habe di Einschrenkung auf den gescherften Selbstlaut, oder dän mit dem abgebrochnen Tone, nicht hinzugesezt. Denn ich schreibe: fl˛issen, büssen, ˛ Grösse. ˛ Aber der Ferfasser ist so fol fon seiner Meinung: Man ferdople auch h˛ir blos ˛ zur Bezeichnung des abgebrochnen Tons, ˛ daß är darüber nicht merkt, är lasse mich etwas sagen, das ich nicht gesagt habe.“ – Und wi unterstüzet er, färt der Ferfasser fort, dise seine meinung? Mit nichts als mit seinem anseen, mit seinem blosen ausschpruche, ich höre es. Dises fermeinte hören hat nun h. Domiter ganz

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zernichtet. Er hat über dises das gechendeil mit gründen dar gedan, di aus dem inersten der schprache, aus den reinsten gwelen der weltweisheit her geholet sind, di merere berümte schprachforscher überzeüchet haben, und di mir ganz unumschtöslich scheinen. Allein h. Kl. dut nicht desgleichen, als wen solche gründe („di ich, wi man schon ˛ weis, nicht geläsen habe“) in der welt weren, und get seines weches. Wen man es in dem reiche der Wisenschaften überal so machte: würde man nicht weit komen. „„Auch im Sprechen, und nicht blos ˛ im Schreiben, ferdoppeln alle Deütsche, di ich gehört ˛ habe, (unsere Forfaren, ˛ und di Gr˛ichen auch, wi man gleich se˛n wird) in gewissen Wörtern zwischen zwei Selbstlauten den einfachen Mitlaut; in andern Wörtern ferdoppeln si i˛n nicht. Nu˛r Jot, Ha, We, Ech, und Esch wärden nicht ferdoppelt; di beiden lezten deswägen nicht, weil si, einzeln, schon ˛ einen so starken Klang haben, daß si, widerholt, ˛ nicht auszuhalten weren. Nu˛r dis, aber es ist se˛r f˛il, kan man, ausser der Ausspra˛che, dänen entgegen sezen, welche sich for ˛ einiger Zeit einfallen l˛issen: raschsche Rachche zu schreiben. Unsre Alten spra˛chen zwei Mitlaute aus, wen si diselben im Schreiben ferdoppelten. Denn in dem winsbekkischen Gedichte, in welchem nichz Ungehörtes ˛ geschriben wird, wärdens di doppelten Mitlaute zwischen zwei Selbstlauten. Der Ferfasser merkt nicht, wi f˛il dis wider ˛in beweise, und glaubt, unsre erleüchtete und manhafte nazion werde nicht eer ruen, bis si di Rechtschreibung noch um einen grad reiner, (si sol nämlich di Ferdoplung abschaffen) als di alte winsbekische sehe, das heist, bis si, was disen Punkt betrift, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet habe. Wen di Gr˛ichen und Römer, na˛ch der Regel der Posizion, ˛ durch den Zusaz noch Eines Bu˛chstabens, aus der kurzen Silbe eine lange machten, z. E. in: tosos, tossos; Jupiter, Juppiter: so wa˛r denn doch wol di Meinung nicht, daß di hinzugekomnen s und p, als das O ˛ r nichz angehend, unausgesprochen bleiben, und also, fürs ˛ Auge, ferlengern solten. Gleichwol mus es, auch wider dises Hören der Gr˛ichen und Römer, gelten, wen Hr. Hemmer (Ich habe jezt in seinem m˛ir mit der Schrift fom Ferbeserungsgeschefte zugeschikten Kerne der Sprachkunst geläsen.) das Unaussprechbare des zweiten Mitlauz auf folgende A˛rt beweiset: Bei dem aussprechen des p in: kappe schliset man den Mund, und stöst hernach di hinten her geholte luft mit gewalt heraus. Nun aber ist es offenbar, das der Mund in: kappe (Juppiter) zwischen dem a und e nicht

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zweimal geschlossen, und di luft nicht zweimal heraus gestosen werde, man spricht allso in demselben nicht zwei, sondern nur ein p aus. – Ich denke in folgender Stelle meiner Grammattik das Gehörige fon der Sache gesagt zu haben. Denn es ka˛m dabei nu˛r darauf an zu bemerken, wi der zweite Mitlaut der ferdoppelten ausgesprochen würde; und nicht darauf, daß är es würde, weil mich h˛iran unter andern auch di tossos der Gr˛ichen nicht zweifeln l˛issen. Wen eine Silbe f˛il Mitlaute hat; so wird jeder einzelne schneller, und dahär auch leichter ausgesprochen, als jeder einzelne einer Silbe fon wenigen Mitlauten. Man ist mit: sprichst fast so bald zu Ende, als mit: Sin. S gleicht h˛ir beina spr. Dise Leichtigkeit haben di Mitlaute for ˛ dem Selbstlaute noch me˛r, als di na˛ch ˛im. Man bemerke in spri besonders di Leichtigkeit des Pe. Na˛ch dem Selbstlaute sind si h˛ir nicht einma˛l aussprechba˛r ispr. Dis fermindert den Eindruk, dän file sich folgende Selbstlaute machen. Man wird nicht so wol fon dem Ore, sondern f˛ilme˛r fon dem Auge feranlast, di Silben mit me˛r Mitlauten für ˛ hart zu halten. Ich rede nu˛r fon der Za˛l der Mitlaute, und nicht fon der Stellung, in där si sich folgen. Denn man kan si so zusammenstellen, daß si notwendig ˛ Herte feru˛rsachen müssen. Noch eine Anmerkung, und zwa˛r über di ferdoppelten Mitlaute. Weil man den Mitlaut for ˛ dem Selbstlaute leichter, als na˛ch demselben ausspricht; (diser Untersch˛id, ob si forn, oder hinten ste˛n, ist, wi man schon ˛ aus dem Forigen gese˛n hat, se˛r wichtig) so hat der zweite der ferdoppelten einen leiseren Klang, als der e˛rste. Denn är fengt di folgende Silbe an: Tref-fen, ir-ren, wis-sen, fl˛is-sen. (Nu˛r bei der Ferdoplung des s findet di Denung in der e˛rsten Silbe stat.) Spricht man di angefürten ˛ Wörter so aus, daß di Anfangssilben der drei e˛rsten den abgebrochnen Ton ˛ haben, und di Anfangssilbe des f˛irten den gede˛nten hat; und schreibt man gleichwol: Trefen, iren, wisen, flisen; so spricht man anders (aber deswägen gleichwol noch nicht recht, indäm man dadurch den e˛rsten Bu˛chstaben der Endsilben noch nicht hören lest,) anders aus, als man schreibt. Denn wär di etimologische Wortteilung, di man h˛ir ferlangt, nicht kent, der wird: Tre-fen, i-ren, wi-sen, fli-sen läsen, und also durchgengig in den Anfangssilben den ofnen Ton ˛ aussprechen. Man müste, wen man i˛n zurecht weisen wolte, notwendig ˛ me˛r als Ein Tonzeichen ˛ haben. Är kan sich one das nicht helfen, und w˛ir wärden fon ˛im anstat: Wis-se, daß in der Wi-se ein Bach fl˛is-se, zu hören bekommen: Wi-se, daß in der Wi-se ein Bach fli-se.

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So weit aus der Grammattik. Di etimologische Wortteilung in: tref-en u. s. w. (Besser würde da: tref-(f)en geschriben.) kan h˛ir ga˛r nicht in Betrachtung kommen. Denn fon ˛ir ist überhaupt nu˛r dan di Rede, wen man di Wörter, in der Wortbildung, in ire u˛rsprünglichen Teile auflöst, und dan nicht darauf s˛it, wi si, der Ausspra˛che gemäs, durch andere Teile, zusammenfl˛issen, und fornämlich ˛ dadurch zu einem Ganzen wärden. Bei dem Aussprechen wird z. E. di etimologische Zerstükkung: Fer-sch˛id-en-heit-en in: Fer-schi-den-hei-ten wider fereinigt. Di Wisen schreib’ ich, wi sich ferste˛t, etimologisch: Wis-en; aber: wissen schreib’ ich: wis-(s)en, um anzuzeigen, daß, so bald man bei der Ausspra˛che das Wort durch einen Zusaz zum Ganzen macht, (Di Stamsilbe braucht i˛n gerade deswägen, weil es ein Zusaz ist, nicht schon ˛ enthalten zu haben.) h˛ir das eingeschlosne s diser Zusaz sei, und di zweite Silbe anfange. Aber, sagt man fileicht, dis fom Zusaze ist ganz was Neües in der Etimologi. Di Sache ist se˛r alt; nu˛r hat man si noch nicht bemerkt, oder i˛r wol nu˛r nicht erwänt. Zu welcher Silbe der Zusaz gehöre? Nicht zur Stamsilbe, wi ich schon ˛ gesagt habe; also zur Ferenderungssilbe. Weswägen är gemacht wärde? Eine nicht kleine Anza˛l Wörter wi: di rote, blasse, (Farbe) fon: di Rotte, das Blasen (des Windes) durch di Ausspra˛che zu unterscheiden. In diser gewis nicht unwichtigen Absicht ferlonte ˛ es sich doch wol me˛r der Mühe, daß w˛ir einen Bu˛chstaben hinzusezten, als daß di Franzosen, welche gleichwol in der Sache se˛r recht haben, es mit irem Zwischen-t, blos ˛ des Wolklangs ˛ wägen, (a-t-il) äben so machten. Auch in unserm: wissentlich ff ist das t blos ˛ des Wolklangs ˛ halben hinzugekommen.““ 5. Schp, scht für: sp, st zu anfange der silben sind keine blose zuseze. – Und nu˛n fon reisenden schtrömen, ferner fon feiner geselschaft, hübschen Leüten ff. „„Ich habe gesagt, (Fragm. 196. HKA, Werke IX 1, S. 334.) for ˛ welchen Mitlauten das s weder lisple, noch zische, sondern einen Mittelklang habe; daß es uns an einem Zeichen zu disem Klange fäle, und es sich m˛ir dahär nicht der Mühe zu ferlonen scheine, entweder in: schtand, oder in: snit zu ferendern. Es hette sich also, deücht mich, recht gu˛t gez˛imt, sich des Spottes über das Lispeln einiger weniger Nidersaxen zu enthalten; so wi es nicht übel gewäsen were, sich in der Freüde über das Zischen zu mässigen, welches der Ferfasser so gern hört, ˛ und es zugleich dem grösten Teile fon Deütschland aufbürdet.““

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6. Der Ferfasser hatte angefangen fon dem End-g zu sprechen; aber im Flusse der Rede fergist är das, und kömt auf Einma˛l auf das Anfangs-g, dessen Laut doch di deütsche Ausspra˛che nima˛ls in einen andern ferwandelt; ein Punkt, där forzüglich ˛ mit zu däm gehört, ˛ was di Nazion ˛ durch di algemeine Rechtschreibung festgesezt hat, weil h˛ir das Landschaftische z. E. durch: chechlaubt, keklaubt, und jejlaubt di meisten und unangenämsten Endrungen macht. Wi lang, färt är fort, wärden wir den unselichen widerschpruch zwischen schprechen und schreiben hechen? Frisch zugegrifen mit dem ch; di fernunft gebitet es; ich mache den Anfang. „„In dem Worte: Gegenden ist das g der zweiten Silbe ein Anfangs-g; und das wird, wen man: Gechenden schreibt, in ein ch ferwandelt. Aber är ferendre ja, wird mir der Ferfasser sagen, durch sein Schreiben das Anfangs-g der zweiten Silbe in ein endendes ch der e˛rsten. Man s˛it, daß ich h˛irauf nichz anders, als desto schlimmer! antworten kan. Ausser däm ist auch das nicht sonderlich gu˛t, daß är zugleich fon seiner Regel abweicht. Denn na˛ch i˛r mus är: chechenden schreiben. Ich seze noch hinzu: Wen är: Frage in: frache ferwandelt, so mus är bezeichnen; denn sonst weis man nicht, ob frache, wi Spra˛che, oder wi Sache lauten sol.““ 7. Unsere Pfalz, und merere Profinzen, di ich kene, sprechen das n in: sanft, und dergleichen wörtern auf das deütlichste aus. Er ist schtark, lautet in der dat, wi: ere isete schetareke; aber in Anseung des zugesezten e ser leis und sanft. Und dises macht, das di wirklichen silben eines wortes di silben des gebrauches an der zal mersten teils weit übertrefen. – Man erweche nun, wi betrübt und erbermlich es were, wen di gechenden der guten ausschprache nicht blos in der Einbildung des h. Kl. beschtünden, sondern wirkliche gechenden weren, nach welchen sich das ganze übriche Deütschland zu richten hete. „„Es ist wa˛r, man kan: sanft aussprechen; es ist aber h˛ir nicht di Frage fon däm, was man mit Anstrengung zur Not ˛ tu˛n könne, sondern was man mit Leichtigkeit tu˛t. Und in dem lezten Falle ist es gewis, daß, wär meint, är müsse in: sanft das n aussprechen, mit einem zwa˛r leisen, aber doch ausgesprochnen e: sanneft hören lasse. Di so genanten stummen e in: ere isete hört ˛ Nimand. Es fand also h˛ir keine Fergleichung stat. Wär aber das n in: sanft nicht für ˛ regelmässig helt, oder an di Regel nicht denkt, där spricht es h˛ir, for ˛ dem f nämlich, mit den Gr˛ichen f˛il natürlicher ˛ m aus. Di Gr˛ichen, welchen man, denk ich, denn doch

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wol in Sachen des Wolklangs ˛ trauen darf, ferwandelten z. E. i˛r: sün for ˛ dem ph (auch dem b, und p) alzeit in: süm, als: sümphora; und würden si dis etwa nicht geta˛n haben, wen si Wörter wi: sünph gehabt hetten, wo n und ph f˛il sterker zusammenstossen, ˛ als in: sün-phora? Wär also in: sanft das n in Schuz nimt, (schon ˛ unser: damft, kemft, emfindet, empor, ˛ könt i˛n dafon abbringen) där mus seiner Sache se˛r gewis sein, daß är h˛ir an Feinheit des O ˛ rs di Gr˛ichen übertreffe. Denn är tu˛t gerade zu das Gegenteil fon däm, was si taten, indäm är das m des Stamworz bei der Ableitung (fernämen, Fernunft) in n ferwandelt. Und gleichwol komt m˛irs for, ˛ daß, da selbst der Klang fon: samft noch weit entfernt ist di Bedeütung des Wortes auszudrükken, där fon: sanft, wen man es one das leise e herauszwingt, i˛r föllig widerspreche.q““p 8. Wir dürfen nicht: Mühe, sehe sprechen; dise Ausschprache ist ofenbar falsch. Den unter di endungen der weiblichen hauptwörter gehört wol ein e: kürze; und unter di endungen der Zeitwörter wol ein n: laufen; wer hat aber in seinem leben gehört, das zu den erstern auch: he und zu den leztern: hen zu rechnen sei? „„Di Regel ist: Kürze, laufen; und di Ausname: Mühe, sehen. Di Ausname hat i˛r Regelmässiges. Denn das h trent immer nu˛r zwei Selbstlaute, di, ungetrent, mit weniger Wolklange ˛ auf einander stossen ˛ würden. Es were zu wünschen, daß w˛ir überal für ˛ disen Wolklang ˛ gesorgt hetten. In: wäsentlich ff. waren w˛ir f˛il aufmerksamer. Denn da trenten w˛ir so ga˛r zwei Mitlaute, n und l, di, einander folgend, weichlich geklungen hetten. In: Schönheit, ˛ und: Kleinod, ˛ Heimat, Wermu˛t keren w˛ir es um. Das gebrauchte h ist da di Regel, und das weggelasne di Ausname.q““p 9. Den ferkürzungen ist Kl. se˛r zugedan. An schtat das q mit h. Domitor fölich zu ferwerfen, brauchet er es für kw, oder gw, qer für kwer. Wiwol dise Ferkürzung ganz wilkürlich angenomen ist, und wider den urschprünglichen laut des q leüft: so mus man doch geschteen, das si ga˛r nicht auffalend ist, und leicht durchgeen kan. „„Di Schreibferkürzungen haben, als solche, nichz mit der Ortografi zu tu˛n. l¸r komt es nu˛r auf di rechten Laute an, und es ist i˛r einerlei, ob der Läsende ts oder z sehe, wen är nu˛r s˛it, was är hören lassen sol. Aber daran wa˛r gelägen, daß man nicht auch h˛ir, ich weis nicht welche Regeln und Ausnamen zu lernen hette. Wär also liber me˛r Züge macht, där kan, der Ortografi unbeschadet: sitsen, Akst, und Kuel schreiben.

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Man erlaubt m˛ir, denk ich, daß ich mich weder auf di fermeinte Kentnis fom u˛rsprünglichen Laute des q, noch auf das altfätrische w na˛ch q oder ga˛r g einlasse. Das q hat so wenig irgend einen andern Laut als das k, daß man di Regel seines jezigen ortografischen Gebrauchs so ausdrükken müste: Wen man den Laut k for ˛ u, und noch Einem Selbstlaute hört; ˛ so schreibe man i˛n nicht durch das Zeichen k, sondern durch dises q. Ich schreibe übrigens: Wollauz, fl˛iz, und nicht: Wollauts, fl˛its, weil ts h˛ir nicht me˛r, und nicht weniger ts ist, als in den noch nicht umgeendeten Stamwörtern, z. E. in: Reiz. Ich merke h˛ir beileüfig an, daß dis Wort for ˛ Alters: Reitus h˛is. Wen man es, wi: fl˛it’s, nämlich mit der Andeütung des weggelasnen Selbstlauz, (auf welche es bei diser Fergleichung allein ankomt) schreiben wolte; so müste es: Reit’s geschriben wärden. Ich brauche das Häkchen (’) nu˛r, um den Übergang der Bu˛chstaben anzudeüten. Ich habe bei weiterer Untersu˛chung dises Wolklangs ˛ gefunden, daß irer in gewissen Fellen noch me˛r überge˛n, als ich (Fragm. 232, HKA, Werke IX 1, S. 346) genant habe.““ 10. Er sagt, das man in ei das e wi ein halbes a ausschpreche. Wir wisen aber nicht, was dises halbe a sei, und er hat es auch nicht erkleret. „„Ich habe (Fragm. 202, HKA, Werke IX 1, S. 336) gesagt, daß e in ei, wi a mit wenig geöfnetem Munde, oder wi ein halbes a klinge; ferner, daß h˛ir nicht das ganze folle a gehört ˛ wärde. Dis scheint m˛ir auch jezt keiner weitern Erklärung zu bedürfen. Denn di Definizionen des Schalles gehören nicht in di Grammattik. Eu ist, als Doppellaut, unaussprechba˛r. Dise Selbstlaute lassen sich nicht fereinen. In ei fl˛ist das e, wen es seinen waren Laut behelt, nicht gu˛t mit i zusammen; es fereint sich weder leicht, noch angenäm. Dahär lassen auch File das i weg, (in fersch˛idnen Munda˛rten ge˛z mit dem e so) und sprechen: kle˛n, re˛n, für: ˛ klein, rein. Ich habe das ei nu˛r fon L˛iflendern erträglich aussprechen gehört.““ ˛ 11. Man wird bisher bemerket haben, das ich mich im Anfange der Wörter for einem Selbstlaute oft des d bedint habe, wo man sonst ein t zu schreiben pflechet. Dises habe ich gemes unsrer pfelzischen Mundart geda˛n, mit welcher unsre Nachbarn di heren Schwaben samt merern angrenzenden gechenden hirin überein schtimen. „„Di Obersaxen machen es h˛ir f˛il anders, und f˛il besser. Si sprechen, w˛is komt, d oder t, b oder p aus, fermu˛tlich, weil inen der Untersch˛id

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zu klein deücht, um aufmerksam darauf zu sein; auch wurden si in irer Kindheit gele˛rt: Schreibt ein weiches t, ein hartes b; ferner wird ein Auslender, där si zue˛rst reden gehört ˛ hat, sich bei dem Weiterreisen se˛r ferwundern, daß är nu˛n auch ö, ü, eü und ein Anfangs-g in der Spra˛che antreffe: gleichwol lassen si sich durch i˛r Aussprechen nicht irren, und widerrufen im Schreiben nicht, worüber si ema˛ls mit den andern Profinzen, durch di Einfürung der algemeinen Ortografi, entschiden hatten, daß es deütsche Ausspra˛che were. Ich weis übrigens nicht, in welchem Grade si an der Meinung so wol der Auslender, als der südlichen ˛ Deütschen Schuld sind, daß man bei inen di beste Ausspra˛che habe; es ligt m˛ir auch nichz daran es zu wissen: denn dise Behauptung darf sich ja doch nu˛r hinter dem Rükken der Rechtschreibung hören lassen. Ich erwänte der Sache blos, um ein merkwürdiges Beisp˛il anzufüren, wi weit Meinungen, di ire Widerlägung in sich selbst haben, sich ausbreiten, und wi lange si fortdauren können. So wird z. E. noch jezt in ganz Eüropa geglaubt, daß dijenige Bildung, welche das epische Gedicht in jedem Betracht, und also auch in Ansehung des Ausdrux, haben mus, daß sich dise Bildung, und der Reim recht gu˛t zusammen schikken. Ein Gr˛iche würde freilich einen Widerspruch darin finden, und es wol ga˛r barbarisch nennen: aber das tu˛t i˛m nichz; und w˛ir Neüern sind ja einma˛l in keiner Sache me˛r Barbaren.““ 12. In pf wird das p ser deütlich gehöret. „„Ich dachte zu där Zeit, da ich meine emaligen Gedanken über unsre Ortografi wider zurükr˛if, und ordnete, so wenig als irgend einer meiner jezigen Gegner, daß fon den Meisten pf, in gewissen Stellungen, nu˛r f ausgesprochen würde, daß ich dama˛ls, in andern grammattischen Fragmenten, um dise Herte, als deütsch, annämen zu dürfen, pf mit den Doppellauten ferglich, und es unter di fereinten Bu˛chstaben rechnete. Allein als ich h˛irauf di Ausspra˛che noch genauer untersu˛chte, das ist: Bemerkte, one zu fragen, und one eine Meinung zu haben, hört ˛ ich fon allen Seiten f, stat pf, und freüte mich, daß di alte Herte endlich einma˛l abgekommen were. (Alt genung ist si. Ich besinne mich jezt auf di eigentliche Zeit nicht; aber es wa˛r eine, da man der Mitlaute nicht sat wärden konte. Forhär ˛ hatten di Niderdeütschen das p, und di Oberlender das f gel˛ibt; nu˛n aber kontens dise one das p nicht lenger ausste˛n, und l˛issen sich nichz dafon abbringen, es mit gewaltiger Faust dem f einzupfropfen. Also grau und e˛rwürdig sind si feilich: di Pfender, und Pflanzen, und Pfründe, und Pfeifen.) Als ich zulezt, na˛ch dem lan-

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gen Herumhören, meinen Leüten erzälte, daß si: Flanze, und nicht: Pflanze ausspre˛chen; wa˛rd der Eine und der Andre an sich selbst irre, und behauptete, na˛ch der eigentlich deütschen Ausspra˛che, müste man: Pfropf sagen; auch spre˛che är ja nima˛ls anders aus, wi är denn auch wirklich, in disem kritischen Augenblikke, seinen Lippen das elterfäterliche: Pfropf nicht one guten Erfolg, zumutete. Ich strit lange; denn es waren ja meine Leüte: doch endlich erlit ich eine föllige Niderlage, und schwig. Und nu˛n komt follends noch mein e˛rlicher Freünd in der Falz, und fertraut m˛ir an, das bei im, und anderswo das p for dem f ser deütlich gehört werde; und das er es aus diser Ursache nicht ferstosen köne. Gleichwol hat man m˛ir erzält, daß di Felzer sich selbst: Pelzer nennen, und daß si es so ga˛r nicht dahin bringen können: Pfelzer na˛chzusprechen. Aber dis mag wol, wi ich fermute, zu däm Landschaftischen gehören, das man dort, als deütsch, nicht aufgenommen hat. Doch dis bei Seite. Es ferste˛t sich übrigens, daß ich selbst h˛ir zu schweigen fortfare. Dis hindert indes nicht, daß ich, so kleinlaut ich auch geworden bin, doch noch manchma˛l zwischen den Zänen murmle: Wen nu˛r kein Italiäner Witerung fon disem Streite bekomt.““ 13. Nun zu der schweren frache, ob das zeitmas (das denen, oder scherfen der selbstlaute) bezeichnet werden müse. „„Ich kan mich unmöglich darauf einlassen alles das, was h˛ir weiter folgt, zu entwirren. Ich habe mich in den Fragmenten (194, 195, 196, 208, 209, 210. HKA, Werke IX 1, S. 333/334, 338/339) über das, was h˛irhär gehört, ˛ se˛r bestimt erklärt. Doch noch ein Wort fon der Sache. Di Bezeichnung der Römer, und di meinige ge˛n einander ga˛r nichz an. Si bezeichneten di Qantite˛t selbst: und ich bezeichne nu˛r ire Modifikazionen; und dis zwa˛r auf di kürzeste A˛rt, auf di es gesche˛n konte. Di Modifikazionen der Kürzen waren zu unmerklich, um h˛ir in Betrachtung zu kommen. Unsre Lengen sind es durch den Ton. ˛ (Wär das e˛rste Fragment geläsen hat, mutet m˛ir gewis nicht zu, daß ich über den Untersch˛id etwas sage, där zwischen Zeitma˛sse, und Tonma ˛ ˛sse sein sol. Es ist da alles falsch. Z. E. Das Wort: Zunft hat einen kurzen Selbstlaut; ist durch seine Mitlaute lang; ist es nicht durch den Ton.) ˛ Der durch das Ofne modifiz˛irte Ton ˛ des Wortes: sa wird nicht bezeichnet, weil ˛in Nimand anders aussprechen kan, als är ausgesprochen wird. Der durch das Gede˛nte modifiz˛irte Ton ˛ des Wortes: di Ba˛n wird bezeichnet, weil Einer fon den Tönen därjenigen Lengen, welche di mitlautig endenden Wörter oder Silben haben, bezeichnet wärden, und weil jenen di Wa˛l

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treffen muste. Der durch das Abgebrochne modifiz˛irte Ton ˛ des Wortes: der Ban wird nicht bezeichnet, weil man i˛n durch di Nichtbezeichnung fon dem gede˛nten unterscheidet. Der auch unbezeichnete ofne Ton ˛ kan h˛ir nicht irre machen. Denn är braucht überhaupt kein Zeichen. Der gede˛nte Ton ˛ ferd˛inte deswägen di Wa˛l, weil är f˛il seltner, als der abgebrochne forkomt; ˛ und weil är über dises noch, in drei genau bestimbaren, und fon m˛ir so bestimten Fellen, nicht unausgesprochen bleiben kan, und also da kein Zeichen nötig hat. Wäm es indes schwe˛r wird dise Felle zu merken, fers˛it nichz, wen är auch h˛ir bezeichnet; är fermeidet nu˛r das Überflüssige nicht. Auch das wird denn doch wol kein Einwurf wider di Bezeichnung sein sollen, daß unsre Drukkereien noch keine Bu˛chstaben mit dem Zeichen haben. Denn das Gr˛ichische ist ja se˛r f˛il za˛lreicher an diser A˛rt Bu˛chstaben. Di Frage fon der Bezeichnung des gede˛nten Tons, ˛ ist eigentlich dise: Sol nicht, da w˛ir bishär bei so filen Wörtern, wo nicht leicht Jemand di Denung im Sprechen weglest (schon, nur, Natur ff.) di Bezeichnung weggelassen, und dadurch überhaupt di Ausspra˛che, was disen Ton ˛ betrift, ungewis gemacht haben, (Fragm. 197, HKA, Werke IX 1, S. 334) sol nicht aus diser U˛rsache, wär schreibt, durch Bezeichnung der Denung, wo är si ausspricht, seine Stimme gäben, um auf dise Weise zur Festsezung der Sache das Seinige beizutragen? Wen dis nicht gesch˛it, so wird si ni aufhören schwankend zu sein. Denn was der Ferfasser aus Hr. Hemmern anfürt, ˛ das di natur des geschribenen wortes das gedente und gescherfte der Silben hinlenglich zu erkenen gebe, braucht wol keiner Widerlägung. Es ferlont ˛ sich, mich deücht, der Mühe mitzustimmen, weil di Denung des Tons ˛ zu dem Wolklange ˛ einer Spra˛che gehört. ˛ Z. E. disem Ferse: Wu˛t, Weklag’, Angstausru˛f laut aufstig fon dem Schlachtfeld sind seine Lengen mit disem Tone, des Wolklangs ˛ halben, beina notwendig. ˛ So bald entschiden ist, was in Ansehung dises Tons ˛ deütsche Ausspra˛che sei, so felt, wi sich ferste˛t, seine Bezeichnung weg.“ q“p Der Ferfasser sagt noch: Bei alen denen gründen, di in h. Hemmers grundrise wider dises bezeichnen zu finden sind, war es fon einem so scharfsichtichen mane, wi h. Fulda ist, nicht zu fermuten, das er dise frache mit ja beantworten würde.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

„Dis ist blos ˛ Berufung auf das Anse˛n. Denn Hr. Hemmers Meinung hat es i˛m wol äben nicht geta˛n. Es komt also darauf an, ein wenig zu se˛n, mit welcher Wa˛rscheinlichkeit w˛ir bei Hr. Fulda˛n starke Gründe foraus ˛ zu sezen haben. Ich kenne, und scheze seine Ferd˛inste um unsre Spra˛che; und ich habe dise durch i˛n, oder f˛ilme˛r ire emaligen Munda˛rten, denn si wa˛r dama˛ls noch keine Spra˛che, h˛ir und da in noch greiseren Haren gese˛n, als ich si forhär ˛ kante. Aber das blendet mich nicht, di Sachen für ˛ was anders zu halten, als si sind: Wen är Landschaftisches mit dem Deütschen fermengt; wen är bei Bestimmung der Umendungen, zu dänen di beiden der persönlichen ˛ Namen (Keplers, Leibnizens) notwendig ˛ gehören, so ferfärt, daß f˛ir Regeln mit sex Ausnamen herauskommen; wen är das Zeitwort na˛ch den Fragen: wessen, wäm und wän? di Endungen regiren lest, wobei denn doch gleichwol forausgesezt ˛ wärden mus, daß di Lernenden di Sache, welche man si leren wil, schon ˛ wissen, weil si sonst di rechte Frage nicht tu˛n können; ferner das Bestimmungswort: der, di, das zum Geschlechtzworte macht, da man doch, indäm man z. E. nicht: Schönheit, ˛ sondern: di Schönheit ˛ sagt, es wägen des ferenderten Gedankens tu˛t, wobei sich: di, so wi in den Endungen, blos ˛ na˛ch der Benennung richtet, und da über dis, indäm man z. E. das Werk sagt, der Begrif des Geschlechz, där so schon ˛ bei den meisten Wörtern mit: der, und di ferschwunden ist, ga˛r nicht stat findet; wen är manchen grammattischen Knoten, där aufgelöst ˛ wärden mus, zerhaut, und dan so ga˛r nicht einma˛l ganz durchhaut; wen i˛n unsre uralten Spra˛chtrümmern, di är me˛r treümt, als kent, und auch nicht genung kennen kan, so se˛r anlachen, daß är si als ein besseres Gebeüde anpreist, als das, worin w˛ir jezo, und zwar desto angenämer wonen, je me˛r w˛ir Denker sind, und dan an dem jezigen Gebeüde, welches so gewis keine Strohütte ist, so gewis jenes zerfalne eine wa˛r, kaum etwas dulden wil, was nicht trümmerhaft auss˛it; wen är, wi es scheinet, ferlangt, denn was kan är, da man bei i˛m foraussezen mus, daß är weis, was är wil, mit allem disen Bewundern des Alten, und Beekeln des Neüen anders meinen? ferlangt, daß w˛ir di Hütte wider zusammen flikken, und über di weklagen sollen, welche keine Lust haben, das Haus n˛iderzureissen; und wen är endlich heraus zu bringen meint, daß unsre Spra˛che, iren Wurzeln na˛ch, (dänen Nimand, welches h˛ir doch se˛r zur Sache gehört, ˛ bis zu den eüsersten Fasern na˛chgraben kan) nicht aus wilkürlichen ˛ Zeichen, sondern aus solchen bestehe, di in der Natu˛r des Menschen ligen. Gleichwol dank ich ˛im dafür, ˛ daß är darauf gegrilt hat, h˛ir etimologisches

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Gold zu machen. Denn är hat dabei, wi sonst auch wol mancher arme Adept, Sterkungsmittel für ˛ dijenigen entdekt, di mit saurer Arbeit di Gedankenwäge su˛chen, welche di Nazion ˛ bei Bildung der Spra˛che genommen hat. In Absicht auf di Wortkunde ist übrigens das Wurzelgrübeln nicht notwendig. ˛ Denn man kan di jezige Bedeütung der Wörter se˛r richtig bestimmen, one mit der e˛rsten bekant zu sein. Dis ist so wa˛r, daß dise Kentnis bei Festsezung des Neüern so ga˛r manchma˛l irre fürt. ˛ – – Was ich h˛ir absondre, kan man überschlagen, one den Faden unsrer Materie zu ferliren. Es ist nu˛r etwas, das ich Hr. Fulda˛n mitteile, um ˛im meinen Dank für ˛ das, was ich fon i˛m gelernt habe, abzustatten. Es kan uns, in Ansehung der Spra˛che, auch der Kirchengeschichte, nicht gleichgültig sein: Ob w˛ir Kedmons Werke, des e˛rsten christlichen Dichters unter den Angelsaxen, (Ja˛rh. 7, na˛ch Ulfqilasp das Elteste) so wi är si geschriben hat, oder nu˛r eine Na˛chamung dafon besizen. Hikes ist für ˛ das lezte, one gehörig untersu˛cht zu haben. Ich könte dis beweisen, wen ich es für ˛ nötig ˛ h˛ilte. Ich glaube, daß sich di Sache so ferhelt: Ein späterer Abschreiber Kedmons enderte, nicht di Worte, noch weniger sonst etwas, sondern nu˛r Bu˛chstaben, sezte auch wol welche hinzu, oder l˛is si weg, alles, na˛chdäms di Spra˛che seiner Zeit mit sich brachte. Daß däm so sei, beweiset di se˛r alt scheinende, fon Wanley gefundne, oder wenigstens zue˛rst bekantgemachte Handschrift fon Kedmons Traume. In Kedmons Geselschaften wa˛r es der Gebrauch, daß man bei Gastmalen eine Zitter fon Hand zu Hand zu gehen l˛is, und Lider, di man auf der Stelle machte, dazu sang. Dis konte är nicht, und flägte sich dahär zu entfernen, wen di Zitter ka˛m. Als dis einst wider gesche˛n wa˛r, treümte ˛im di Nacht darauf ein kleines Gedicht fon der Schöpfung. Är erzälte den Traum. Man fürte ˛ i˛n zu der frommen und ferstendigen Abtissin Hilda. Dise l˛is Gele˛rte kommen, welche fon der Sache urteilen solten. Es wa˛r, na˛ch irer Meinung, eine besondre götliche Gnade. Si machten den Leien, där kein Latein wuste, mit der Bibel bekant. Fon nu˛n an flägte är, wen är si heüte unterrichtet ferlassen hatte, morgen mit einer poetischen Na˛chamung der Bibel wider zu kommen. Auf dise Weise sind di Gedichte entstanden, welche w˛ir so, wi si der spätere Abschreiber ferenderte, noch jezt fon Kedmon haben. Nu˛r der Traum ist noch so forhanden, ˛ wi är i˛n forsagte, ˛ oder aufschr˛ib. Denn da hat di Spra˛che file Kenzeichen des höheren Alters; und ausser däm findet man si auch in dänen Zeiten nicht, welche auf di des Abschreibers folgen.

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Kedmons Traum. (Di eingerükten Ferse sind di ferenderten.)* Nu seylun hergan Nu we sceolon herigean Hefaen Riceas Ward, Heofon Rices Weard, Metudäs Mäcti, Metodes Mihte, End his Mod Gidanc, And his Mod Gedhanc, Were Wuldur Fadur! Weore Wuldor Fäder! Swe he Wundra gihwaes Swa he Wundra gehwäs Eci Drictin Ora stelidä, Ece Drihten Ord onsteald, He erist scopa Elda Barnum He ärest scop Ylda Barnum Heben til Hrofe, haleg Scepen!

* Di Ferschidenheit ist merklich, aber nicht jede gehört ˛ der elteren Spra˛che. So komt z. E. anderwerz in dem ferenderten Kedmon for: ˛ hergende wäs, hergan, Meotudes. Das höhere Alter beweisen nu˛r di Endungen in: i für ˛ e, in: NurM für ˛ or und er, das c für ˛ h (fermu˛tlich unser ch) und das altnordische: til für ˛ to. (Metud) Messer, ein Wort, das di angelsexischen Dichter se˛r oft fon Got brauchen. (Mod Gidanc) Muot Githahti, Muod Hugi. Des Saxe aus Ludewigs des Frommen Zeit. (Ora) Anfang. W˛ir haben es in: U˛rsprung ff. Ordhanc, U ˛ rgedanke. Ceastra beoth feorran gesyne, Ordhanc Enta, Geweore. Stäte wurden fon fern gese˛n, di Erfindung der Helden, ˛ir Werk. Am Ende des Gedichz fon den Festen. (Ylda) Na˛ch der Handschrift des Coll. Trinit. zu Kembritsch. Hikes l˛is, ich weis nicht na˛ch welcher andern: Eorthan (der Ärde) drukken. Dis ist ein Schreibfäler. Denn Beda übersezte, fon ungefär sechzig Jare später, als Kedmon bekant geworden wa˛r: filiis hominum. Di Ausgabe des Abschreibers wird, mich deücht, in Alfre˛ds des Grossen ˛ Übersezung fon Beda˛s Geschichte zum e˛rstenma˛l angefürt. ˛ (Foldu) Di Ärde, auch das Gefilde. Di lezte Bedeütung hat es in einem burgundischen Geseze; di e˛rste in einem Lide, mit däm di Ekker eingesägnet wurden: Hel wäs du, Folde, Fira Moder! Sei gegrüsset, ˛ Ärde, der Menschen Mutter.

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Heofon to Rofe, halig Scippend! Tha Middungeard Moncynnäs Ward, Dha Middangeard Moncynnes Weard, Eci Drictin, äfter tiadä Ece Drihten, äfter teode Firum Foldu, Frea almectig! Firum Foldan, Frea almihtig! Ich wil doch dise e˛rste Begeisterung des guten Leien, där zu seiner Zeit so f˛il für ˛ di Religion ˛ geta˛n hat, um därer willen übersezen, di seine Spra˛che nicht ferste˛n. Ich tue es so wörtlich, wi möglich; nu˛r daß ich zu: Frea kein Wort habe; auch ist: Herscher nicht so stark, wi: Drictin. Denn dis Wort brauchte man allein fon Got. Als man anfing es auch fon Menschen zu brauchen, wurde: Mandrihten gesagt. .. Nu˛n wollen w˛ir ferherlichen den Hüter des Reichs der Himmel, di Macht des Alweisen, und seines Ferstandes Gedanken, das Werk des Faters der Herlichkeit! Da är jedes Wunders Anfang, der ewige Herscher, hinstelte, schu˛f är zue˛rst den Sönen der Menschen den Himmel zur Dekke, der heilige Schöpfer! Dan machte das Mittenland des Menschengeschlechz Hüter, der ewige Herscher, di Ärde den Menschen, Got der Almechtige! .. Fileicht ist es den Gele˛rten nicht unangenäm, Beda˛s Übersezung h˛ir zu finden. Nunc laudare debemus auctorem regni caelestis, potentiam creatoris, & consilium illius, facta patris gloriae. Quomodo ille, cum sit aeternus Deus, omnium miraculorum auctor extitit, qui primo filiis hominum caelum pro culmine tecti, dehinc terram custos humani generis omnipotens creavit. – – 14. Das meiste fon däm, was ich unbeantwortet gelassen habe, wird durch meine Erklärung (Fragm. 242. HKA, Werke IX 1, S. 350/351) beantwortet: „„Daß ich, was das weniger Wäsentliche betrefe, one Anstand zu nämen, der Me˛rheit der Stimmen folgen würde. Ich freüe mich, daß in Ansehung der grossen ˛ Bu˛chstaben, und der: denn, daß, und hatt schon einige Stimmen wider mich sind.““

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* Ich wa˛r h˛irmit äben zu Ende, als ich eine andre Beurteilung meiner Ortografi beka˛m.

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Also ein neüer Sandwäg zu gehen. Doch auch i˛n sol m˛ir di angefürte ˛ U˛rsache, one di ich gewis keinen Fu˛s darauf sezte, zum Wisengange machen. Oder wird är m˛ir etwa dadurch angenäm, daß ich wider Dinge streiten mus, dären Ungegründetes auch dem halben Blikke durchscheint? 1. Wird nicht die algemeine Rechtschreibung zur Richtschnur der Aussprache gemacht? Müssen wir sie nicht aus diesem Grunde beybehalten, da wir daraus sehen, ob unsre Aussprache richtig ist? „„Si wird in so fern beibehalten, als si di richtige Ausspra˛che ausdrükt, aber nicht in so fern, als si dis durch Umschweife tu˛t, oder Ungehörtes ˛ bezeichnet. Und sol denn deswägen, weil si auch wol Bezeichnungen weglest, bei der Ferkürzung und Erleichterung nicht auch h˛irauf gese˛n wärden? Wen d˛is gesch˛it, so wird si me˛r als nu˛r beibehalten; si wird auch irem Zwekke gemäs erweitert. Aber lag denn dis nicht schon ˛ in däm, was ich über di Sache geschriben habe? Wozu also, wen in Ernste gestritten wärden solte, diser Staub fon der Opponentenbank?““ 2. Wenn diejenigen Gegenden, denen man die richtige Aussprache zugestehet, darinn etwas ändern, so würde auch gleich die Rechtschreibung müssen geändert werden. Sollte nun wohl die blosse Aussprache der einzige Grund seyn können, worauf wir unsre Rechtschreibung bauen müssen? „„So bald di Nazion ˛ di Endrung irgend einer Profinz annimt, so gehört ˛ si zur deütschen Ausspra˛che, und mus geschriben wärden. Oder meint man, di Ausspra˛che wärde sich auf irem Wäge na˛ch dem Schreiben umsehen, und zurükkeren, wen es nicht folgt? (Fragm. 236. HKA, Werke IX 1, S. 348.) Bei den Franzosen ist si z. E. for ˛ eaux so weit foraus, ˛ daß dis si ganz aus den Augen ferloren hat. W˛ir Neüern haben me˛r Kultu˛r diser A˛rt.““ 3. Welche Aussprache soll in unserer Rechtschreibung zum Grunde gelegt werden? Sollen wir so schreiben, wie wir in dem gemeinen Umgange sprechen? oder so, wie es in erhabenen oder zierlichen Reden gebräuchlich, und den Regeln der Grammatik gemäß ist? – – „Di Ausspra˛che des guten Forläsers, ˛ Re˛dners, und Schauspilers, wen der Inhalt ernsthaft ist.“ Der Ferfasser scheint in manchen Stücken das erste zu begünstigen, denn er schreibt überall: sten, gen, sen, und dergleichen, wie es in der geschwinden Sprechart des gemeinen Umgangs lautet, da man doch in erhabenen Reden: stehen, gehen, sehen sagt. – „Was hat

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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doch di durch Zusammenzihung oder Nichtzusammenzihung fersch˛idne Bildung der Wörter, mit der Ausspra˛che zu tu˛n? Ich brauche di e˛rste nicht überal; beide sind grammattisch richtig, nu˛r daß di lezte bisweilen so schleppend wird, (leüfet) daß man si ga˛r nicht brauchen darf. Di Zusammenzihung kan übrigens dem e˛dlen Ausdrukke so wenig genommen wärden, daß es Felle gibt, wo ein stehen, oder so was den besten Fers ferderben würde.““ 4. Das ä hat den abgebrochnen Ton, wenn es von einem Worte herstammet, in welchem ihn das a hat: Stamm, Stämme; („Nu˛r Schade, daß a h˛ir zu e wird.“) und kann ihn eben so gut haben, als ö und ü in: können, und Schlüsse. „„Ich möchte wol den Deütschen reden hören, welcher ä, wen di Silbe mit den Mitlaute endet, wirklich ausspre˛che, und ˛im zugleich den abgebrochnen Ton ˛ gebe. Seine Ausspra˛che würde, mich deücht, auch sonst noch f˛il sonderbares haben. Übrigens ist h˛ir nicht fom Können, sondern blos ˛ fom Sein di Frage. Solten indes, was das e˛rste betrift, di Werkzeüge des Sprechens nicht fileicht so gebildet sein, daß man das auf Mitlaute stossende ˛ ä nicht anders aussprechen könte, als man tu˛t? Doch ich halte mich h˛irbei ga˛r nicht auf; und hab’ es auch nicht nötig.““ 5. Das schliessende h wird wirklich in Wörtern wi sah ganz gelinde ausgesprochen. – „Das h, welches der Ferfasser h˛ir erhorcht haben wil, und es mit dem dan e˛rst gu˛t reimenden: da äben so hette machen können, gehört ˛ zu dänen Dingen, durch welche man ferrät, daß einem zwa˛r f˛il daran lige, seine Meinung zu behaupten; aber wenig oder nichz daran, ob si wa˛r sei.“ Jenes h ist zwar ein blosser Hauch, allein er macht, daß der Ton auf dem Vokal noch etwas länger ruhet, indem man ihn (den Hauch) etwas brauchen muß, welches daraus erhellet, weil es in der Verlängerung gleich deutlich gehöret wird: Du sahest. – „Das h wa˛r nu˛n einma˛l in: sah gehört ˛ worden, also muste auch gleich eine U ˛ rsache da sein; di aber freilich so ausf˛il, wi man si zu haben flägt, wenn man dem schon ˛ Angenomnen di Erfarung so lange anzwingt, bis si zu passen scheint. Wi können wol in: sa-hest a und h einander noch etwas ange˛n, da das lezte di zweite Silbe anfengt? Wen si können: so mus s in: bla-sen auch auf das a der schon ˛ ausgesprochnen Silbe zurük wirken; und zwa˛r um so f˛il sterker, als sein Laut for ˛ des h seinem gehört ˛ wird.“ In einigen Wörtern z. B. gestet, sit, ist der Verf. genöthiget sein angenommenes Dehnungszeichen zu sezen. Sollte man da nicht

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lieber das wurzelhafte h stehen lassen? – „In: si-het gehört ˛ h nicht zur Stamsilbe, sondern zur Ferenderungssilbe. In: s˛it wird es mit dem e der Ferendrungssilbe weggelassen; und nu˛n bleibt weiter nichz übrig, als ein einsilbiges Wort mit dem gede˛nten Tone, und das nu˛r Ferendrungsbu˛chstaben ferloren hat. Wen dise geschriben wärden sollen; so mus es h˛ir auch das e na˛ch dem h. Aber warum sollen si es denn, da es selbst di ferlornen ˛ Stambu˛chstaben nicht wärden? Z. E. unser jeziges: eilf h˛is ema˛ls: einlif, und bestand aus zwei Stamsilben: ein, und: lif. H ist also, wen man: siht schreibt, blos ˛ Denungszeichen; und zwei Denungszeichen brauchen w˛ir nicht. Man kan zwa˛r sonst noch aus Filem, aber doch auch schon ˛ recht gu˛t aus dem jezigen: eilf sehen, was es for eine dürftige Sache mit der etimologischen Ortografi sei.““ 6. Die Rechtschreibung wird durch die zu Hülfe genommne Wortforschung zur Wissenschaft, da sie sonst bloß eine Handwerksmalerey seyn würde. – Der Gelehrte bauet sie auf sichere Gründe. Er muß die Ursachen zeigen, warum ein Wort so, und nicht anders geschrieben wird. Z. B. ab, und nicht: ap, ob es gleich in der Aussprache so lautet. – Der Ausländer, der, wen man z. E. fileicht schreibt, gar nicht weiß, was: fi in dem Worte bedeuten soll, möchte die Deütschen wohl gar wegen einer solchen Rechtschreibung verachten, („Warum das nicht jezt schon ˛ z. E. wägen: eilf, wo ga˛r zwei Stambu˛chstaben fälen? Ich fürte ˛ dis bei: fileicht an. Der Ferfasser sagt nichz dafon. Es ist äben keine gute A˛rt zu widerlägen, wen man di Beweise des Andern weglest.“) uns wegen einer Rechtschreibung verachten, die weiter nichts thut, als daß sie die gehörten Laute durch Buchstaben nachmalet, und sonst weder Kenntniß, noch Wissenschaft erfodert. „„Ich hatte fon der Etimologi in Bezihung auf di Rechtschreibung (Fragm. S. 215, HKA, Werke IX 1, S. 341) das Gehörige gesagt; ich hatte so ga˛r zu f˛il eingereümt. Wen man Jemanden widerlägt, so mus man wissen, was är über di Sache, fon där di Frage ist, gesagt habe; oder man komt in den Ferdacht, es nicht wissen zu wollen. Es hat übrigens mit diser Wissenschaft, där es di fermeinte Handwerxmalerei so wenig biten darf, folgende Bewandnis: Di Ausspra˛che lest di Töne hören, welche in der Spra˛che angenommen sind, um dadurch ire Gegenstende auszudrükken. Di Forstellun˛ gen fon beiden sind nu˛r darin wäsentlich ferschiden, daß man bei der lezten Ausdrükkendes, und Ausgedrüktes zugleich, und bei der e˛rsten blos ˛ Ausdrükkendes denkt. Di Ausspra˛che ist geredete Spra˛che; und

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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das Schreiben nichz anders, als Schatten des Baums, oder Gus in di Form. Jeder darf seine Weide schatten lassen, oder seine Ferzeichnung abbilden: wen i˛m di Nazion ˛ nicht drein geredet, und, was bestimmen sol, festgesezt hat. Allein w˛ir sollen ausser däm, was man hört, ˛ auch sonst noch etwas schreiben. Di Foderung ist überhaupt z˛imlich sonderba˛r. Doch h˛irbei halt ich mich nicht auf. W˛ir sollen auch schreiben, was man fom Etimologischen in demselben Worte, oder in andern abgeleiteten, hören wird. Warum nicht auch, was man etwa sonst noch fon Ferenderungen in demselben Worte? Denn dis hat nu˛n gleiches Recht, da einma˛l Fremdes hinzukommen sol. Aber schon ˛ das e˛rste fürt ˛ uns, fon dem Schreiben des jezt Gehörten, ˛ in ein se˛r weites Feld hinaus. Und da müssen w˛ir gleichwol hin; wen anders di Regel nicht fergäbens da sein, sondern angewendet wärden sol. Allein wo müste nu˛n das gotische Beiwerk nicht angebracht wärden? Etwa nu˛r in: Sinn, weil w˛ir: Sinne sagen? und nicht auch in: Fluüß, wägen: Flüsse? Wen w˛ir also unsre Regel durch aufgegäbne Anwendung nicht selbst ferachten wollen; so müssen w˛ir: Fluüß getrost ˛ darauf los ˛ schreiben, und di Gr˛ichen weit hinter uns finden, daß si nicht wenigstens « wägen der fersch˛idnen Umendung fon « schriben. Di Idee, Etimologisches mit anzubringen were fileicht ferzeiba˛r, wen si uns bei dem Wichtigsten der Etimologi D˛inste leistete. Aber dafon dürfen w˛ir keinen Strich schreiben. Z. E. fon: einlif, eins drüber, über zän nämlich; oder: Köning, einer fon Geschlechte, ein Geschlechter, reges ex nobilitate. Jezt fon den wenigen etimologischen Scherfen, welche man, als zur Rechtschreibung gehörig, nu˛n so mit hinzält. Man wird: Sinnes hören, dahär: Sinn; Abend, kundig, Trabes, Bades (Fragm. 228. HKA, Werke IX 1, S.345) also: ab, kund, Tra˛b, Ba˛d, ob dise Wörter gleich: ap, kunt, Tra˛p, Ba˛t lauten; wird: flieht mit dem gede˛nten Tone hören, dahär: flieh. Oder wen man sich ga˛r nu˛r einbildet, daß man etwas hören wärde; so kündigt man auch dis durch das Schreiben an. Z. E. spritzet (spritt-set) durch: spritzt. (sprittst.) Aber w˛ir haben h˛ir nu˛r kleine Schritte über di Grenze geta˛n. Wen w˛ir gewust hetten, was w˛ir wolten, und dahär bemerkt, daß nicht schreibende Ortografi ein Widerspruch were; so hetten w˛ir auch: Fluüß geschriben. Fluüß ist noch lange so schlim nicht, als wen: flieht durch:

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flieh angekündigt wird. Denn h˛ir sind zwei Zeichen zu Einer Sache, di noch dazu, weil si blos ˛ Modifikazion ˛ eines Tones ist, weniger Aufmerksamkeit ferd˛int. Doch was konten w˛ir auch mit einer Spizfindigkeit weiter anfangen, di aus den Mönchszeiten auf uns gekommen wa˛r? Allein jezo, gegen das Ende des achtzänten Ja˛rhunderz, ein solches Geschrei darüber erhäben, und etwas, das zu der bei der Ausspra˛che, und dahär auch bei dem Schreiben notwendig ˛ forauszusezenden ˛ Spra˛chkentnis gehört, ˛ fon i˛r absondern, und zum Wissenschaftlichen der Rechtschreibung, und dan gleichwol so wenig Gebrauch dafon machen, dis lest, mich deücht, auch etwas fon der Kutte se˛n. Di Ausspra˛che ist geredete Spra˛che, und das Schreiben geschr˛ibne Ausspra˛che. Beide lassen sich one di erwänte notwendige ˛ Spra˛chkentnis nicht denken. Wen di Rechtschreibung durch dise Kentnis wissenschaftlich wird; so wird es di Ausspra˛che auch. Das, was man hören wird, kan fon der lezten nicht getrent wärden. Einlif, König u. d. g. darf nicht geschriben wärden; so file Ankündigungen, di mit den wenigen, welche man schreibt, gleiches Recht haben, wärden nicht geschriben: w˛ir ernidrigen uns also, wi wissenschaftlich w˛ir uns auch anstellen, (man s˛it, daß ich h˛ir fon dänen rede, di das Beiwerk in Schuz nämen) beina durchgehends zu der Handwerxmalerei, und schreiben blos, ˛ was di Ausspra˛che hören lest. Daß w˛ir si bei der Schreibung: Leben, schon, Bäche zu fergessen scheinen, ferd˛int h˛ir kaum erwänt zu wärden. Aber auch selbst alsdan, wen uns das alte Klösterliche ˛ so se˛r behagte, daß w˛ir an den Anhengseln (zieh, zieht) nicht genung hetten, sondern notwendig ˛ auch Einsch˛ibsel haben müsten, und uns dahär durch Geschreibe, wi Saa(ä)l wägen: Säle; Ku(ü)nst, künstlich; bu(u)nt, bunter; (mit: ru(u)nd, oder: ru(ü)nd ginge es da nicht, wägen: Ründe, und: Runde) zu me˛r Ankündigungen entschlössen: so würden w˛ir doch nu˛r durch di Ausspra˛che wissen, oder wen man liber wil, durch di bei i˛r forauszusezende ˛ Spra˛chkentnis, di se˛r unbedeütend ist, und es deswägen nicht aufhört ˛ zu sein, weil File in i˛r nicht recht zu Hause sind, durch dise wissen, daß w˛ir dis, und nichz anders anzukündigen hetten. Man s˛it, daß Einsch˛ibsel, und Anhengsel fon ungefär gleich schlim sind, und daß jene aus dem Saze fon der Mitschreibung des erwänten so genanten Etimologischen nicht weniger, als dise folgen. Der Untersch˛id zwischen beiden ist blos ˛ där, daß di Anhengsel unter dem hohen Schuze des Härkommens stehen.

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Wen ich jenem Mitgeschr˛ibnen den Namen des Etimologischen ungern gäbe; so erkläre ich dadurch ausdrüklich, daß ich es nicht dazu rechne. Ich streite also nicht über das Wort. Ich näme h˛ir selbst di Schreibung: kund ff nicht aus. Denn was gehet der kleine Umstand di Etimologi an, daß t bei der Ableitung zu d, aus: kunt, wi das Wort lautet, kundig wird? Di Etimologi bescheftiget sich mit einsilbigen Wörtern, e˛rsten, und abgeleiteten; zweitens mit me˛rsilbigen Wörtern, zusammengesezten, und abgeleiteten; auch mit solchen me˛rsilbigen, di beides zugleich sind. Es komt i˛r h˛ir hauptsechlich auf di Mitlaute, und zugleich darauf an, daß man di Mitlaute der Stamwörter in den abgeleiteten wider finde. Aber noch f˛il me˛r ligt i˛r daran, daß di Bedeütung des früheren und späteren Wortes, ferner di des Stamwortes und des abgeleiteten übereinstimmen. Daß dise Übereinstimmung fornämlich zurecht weise, zeigt sich durch das, was bei dem e˛rsten Punkte noch zu bemerken ist. a) Di Wörter haben zuweilen Mitlaute ferloren, und zwa˛r solche, di zum Stamme gehören: König, sonst: Köning. Das Wort beste˛t aus zwei Stamsilben. e) Manchma˛l sind Mitlaute später hinzu gekommen: Gewand, sonst: Giwad. ä) Einige stehen bei dem Selbstlaute anders als fordäm: ˛ Demu˛t, sonst: Odmut. ö) Wider andre wärden bei der Ableitung auf ungewönliche ˛ A˛rt ferendert: hisig fon: h˛ir. Und nu˛n sol es noch in Betracht kommen, daß bei der Abstammung auch p zu b: ap, Abend; t zu d: kunt, kundig; g zu ch: mögen, mochte, oder umgeke˛rt: mochte zu: mögen wird? sol tife etimologische Wissenschaft, und nicht gemeine Spra˛chkentnis sein, wen man weis, daß Mutter und Tocher sich durch eine Sommersprosse ungleich sind? Noch ein Wort fon der Etimologi, da man einma˛l, one recht zu wissen, was man meine, bei dem Anlasse der neüen Rechtschreibung, so f˛il Geschrei über dise Wolle gemacht hat. Dijenigen, di h˛ir nicht wissen, wo bei den Entwirrungen aufzuhören sei, und daß di Spra˛chferenderlichkeit alle möglichen Launen, Grillen, und Schrollen habe, di wissen nichz in der Etimologi. Si sind es äben, welche dise Kentnis, fon där man einen recht guten Gebrauch machen kan, durch ire gewagten, und mit nichz, oder mit Hirngespinsten zusammenhengenden Ableitungen in üble Na˛chrede gebracht haben. Wen dise halben Untersu˛cher, oder mit noch geraderer Fingerweisung, dise le˛rhaften Schüler, welche, wi überhaupt fon der Spra˛che, so auch h˛ir, des Schwazens kein Ende machen, nicht einse˛n, daß ich si meine; so wil ich si durch einige wenige

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

Fragen in den Stand der Anwendung auf sich selbst sezen. Di Fragen sind fon den leichtesten, und haben wenig oder nichz mit dem rechtzeitigen Aufhören, und dem Wittern der Launen zu schaffen. Wen indes di auf der Stelle zu gäbende Antwort (diser Umstand mus nicht fergessen wärden) gleichwol etwas schwe˛r fallen solte; so dürfte dis fileicht zu der erwänten Anwendung behülflich sein. Warum sagen w˛ir: ferteidigen, und nicht: ferteiden? Wi komt das i in: Nachtigal, Breütigam? Mus: erkisen fon: erkor ˛ abgeleitet wärden, forausgesezt, ˛ daß nichz daran lige, ob di forige Zeit fon der Weglassung abstamme, oder dise fon jener? Aus welchen Teilen bestehet: glüksälig? und was ist über seine Silbenzeit anzumerken? Wohär komt: ung in den Wörtern, wi Richtung? Ist: ing, oder: ling in: Frühling di Ableitungssilbe? Schribe man, wen di Ausspra˛che nicht so f˛il entschide, als si entscheidet, besser: Mädgen, als: Mädchen? Haben: Antliz, Färse, f˛ir, Äre, Afterwelt, hören, neigen, Angst, Kni, Rede, Zäre; Mitlaute des Stammes ferloren, oder in späterer Zeit neüe zu den alten, oder auch, stat der weggeworfnen, merklich fersch˛idne bekommen? Und gesezt, si hetten; welche dis, oder das, oder jenes, oder ga˛r zweierlei zugleich? Doch ich falle zur Last, und lasse es dahär bei disen Fragen bewenden. Ich merke über di Mitschreibung des Ungehörten ˛ noch an, daß diser Unterricht auch se˛r geschwezig ist. Denn w˛ir läsen ja überal: Sinne; warum sollen w˛ir uns auch noch oben ein durch: Sinn dafon beleren lassen? Man stelle sich h˛ir Jemanden for, ˛ där im Reden, wen är: Blik gesagt hette, di Glosse machte: W˛ir müsten in der Me˛rheit nicht: Blike, sondern: Blikke sagen. Gleichwol tu˛t, wär: Blick schreibt, nichz anders, nu˛r daß är sich bei der Glosse kürzer fast. Noch me˛r: Das e˛rste hört ˛ nu˛r irgend eine Geselschaft; das zweite gesch˛it, wens gedrukt wird, for ˛ den Augen aller Welt. Oder einen Maler, där näben ein Gesicht mit heitrer Stirn eine trübe ma˛lte, um uns zu bena˛chrichtigen, wi der Man wol bei andrer Gelägenheit auszuse˛n flägte. Man mag übrigens immer bei der Meinung bleiben, man dürfe der eigentlichen, nicht schreibbaren Etimologi (di man dadurch herunter sezt) Kleinigkeiten gäben, welche man därjenigen Spra˛chkentnis, one di sich Ausspra˛che und Schreiben kaum denken lassen, genommen hat; man mag ferner so wenig wi möglich fon disen Kleinigkeiten bei der Rechtschreibung brauchen, und dadurch ferraten, daß man sich des ungr˛ichischen, und, wen w˛ir in gewisse Zeiten zurükgehen, des un-

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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deütschen Gemisches fon jezt Gehörtem, ˛ und zu Hörendem schäme: so gehet mich di Beschaffenheit des Zusazes in Grunde nichz an. Denn ich behaupte, daß man nichz, was es auch sei, zu dem Gehörten ˛ hinzusezen dürfe; und dis untern andern auch deswägen, weil uns dise Regel bis dahin fürt, ˛ daß w˛ir am Ende alles, und dahär nicht blos ˛ Etimologisches, schreiben müssen, was man in demselben nu˛n ferenderten Worte, (z. E. auch: Ko(ö)rn (r) wägen: Körner) oder in andern fon i˛m abgeleiteten hören wird. Man denke sich dises ortografische He˛r mit Weib und Kind in Rei und Glidern; und entscheide. Aber di, welche mit der Ausspra˛che nicht bekant genung sind? Dise mögens haben, daß si, bei irem Eifer sich bis zu dem Stammeln auslendischer Spra˛chen zu erhäben, durch Kaltsin gegen di eigne, auch was disen Punkt betrift, an den Genzen des Landschaftischen, äben nicht auf Lorbern, eingeschlafen sind. Was si indes fon der Ausspra˛che zum Schreiben zu wissen brauchen, das lernen si, na˛ch wi for, ˛ durch di Rechtschreibung Andrer, oder aus Büchern, ˛ und zwa˛r aus dänen mit der neüen f˛il besser, als aus dänen, di sich mit der gewönlichen, ˛ folstendigen, wi si Jemand gegen mich nante, herumschleppen. Denn si sehen da, daß si sich nicht me˛r zu den Herten: Ankunft, Pfropf ff zu zwingen brauchen; sondern daß si: Ankumft, Fropf sagen dürfen. Wen si sonst: Schweben, Stämme geschriben sa˛n; so zweifelten si, ob es auch: Schwäben, Stemme lautete. Dis macht si jezt nicht weiter irre. Si finden di Denung überal bezeichnet. Kein th ferleitet si, sich einen Mittelklang zwischen d und t einzubilden. Si erfaren, daß es übergehende Bu˛chstaben gäbe; (Rand’ entsank, Ran-dent ff) und wen si O ˛ r haben, so macht inen di Anzeige dises Wolklangs ˛ Fergnügen. Das Angefürte ˛ kan teils auch dazu beitragen, daß di Auslender aufhören unsrer Spra˛che Herte Schuld zu gäben. Aber wen auch di neüe Ortografi di Erlernung der Ausspra˛che nicht erleichterte; so ist denn wol entschiden, daß si durch di A˛rt, auf welche si das Gehörte ˛ ausdrükt, das Schreiben, und zwa˛r in hohem Grade, erleichtre. Denn nu˛n braucht man nicht lenger auswendig zu lernen: Wo man di überzäligen, und di zweilautigen Bu˛chstaben, (diser sind sex t, ä, e, n, uq,p qpp; und jener acht, den Doppellaut ai mitgerechnet, y, c, dt, th, ph, v, und das End-s) wo di Schreibverkürzungen; wo das Denungszeichen i, wo h, wo das ferdoppelnde, ferner eins, wen di Silbe gede˛nt, und eins, one daß si gede˛nt wird, gröstenteils na˛ch gewürfelten Regeln, sezen, oder nicht sezen müsse.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

Man denke sich h˛ir den Erfinder des Schreibens, und daß är sich in der e˛rsten Freüde übereilt, und einem Qärkopfe dafon gesagt hette; jezo aber wider bei seiner Sache were, und festsezen wolte: Wi f˛il Grundtöne är angäben, oder in wi f˛il Bu˛chstaben är sondern müste. A. Du wirst es denn doch wol nicht bei Einem Zeichen zu jedem Laute bewenden lassen? B. Me˛r Zeichen? A. Notwendig; ˛ denn das erfodert di Natu˛r der Sache. B. Ich Armer! Het ich doch geschwigen! A. Nu˛r keine Ausrufe; aber Gründe. B. Nu˛n, nu˛n! Wi f˛il Zeichen denn me˛r? A. Eins oder zwei. B. Warum nicht zän? A. Das were so übel nicht. Das Auge hette da desto me˛r Abwexlung. Wi du doch Alles gleich durchs˛ist! Aber las mich in Ru. Ich sinne jezt na˛ch, welcher Gebrauch fon meiner Erfindung zu machen sei. Ich hab’ es heraus. Di fersch˛idnen Zeichen na˛ch festgesezten Regeln, eins zu disem Worte, und wider eins zu däm; aber ja nicht, wi si fon ungefär aus dem Griffel springen. Du köntest mich nicht erger misferstehen, als wen du m˛ir dise Unregelmässigkeit Schuld gebest. – Ob ich gleich so wol in disem Fragmente, als in den forigen schon ˛ se˛r umstendlich gewäsen bin; so wil ich doch, wi se˛r ich auch sonst di Kürze libe, di Sache der neüen Ortografi und der gewönlichen ˛ noch zur schnellen Übersicht zeigen: „Man schreibe, was man hört.“ ˛ Der neuen Orthographie wird es ohne allen Zweifel fehl schlagen; aber mit der unsrigen würde es, wenn si jetzt anstatt jener eingeführt werden sollte, gewiß gut gehn. 1. Schreibt nach Regeln, von welchen man sehr unrichtig sagt, daß die ihnen zugehörigen Wörter wie aus dem Glückstopfe gezogen sind, die Schreibverkürzungen, die überzähligen Buchstaben, und Dehnungszeichen, (h ist das rechte) wo sie hingehören, und laßt sie weg, wo sie nicht hingehören: Reiz, bereits; vor, für; Schaar, Jahr, ließ, ihn. 2. Schreibt, wegen des Wissenschaftlichen der Orthographie, was ihr entweder wirklich, oder auch nur in der Einbildung, hören werdet: Blick, Blicke; sitzt, sitzet. Cautel: Thut dieß selten. 3. Schreibt das Eine, das ihr hören werdet, manchmahl durch zwey Zeichen: flieh, flieht. 4. Schreibt nicht, was ihr hören werdet: Kunst, Künste. Cautel: Thut dieses oft. 5. Schreibt halb, was ihr hören werdet, und halb nicht: Guß, aber nicht: Gu(ü)ß, wägen: Güsse. 6. Schreibt, was ihr nicht hört, und nicht hören werdet: sie, Rahmen, Reben, euch. 7. Schreibt nicht, was ihr hört: schon, nur. 8. Schreibt nicht, was ihr hört, und hören werdet: Thron, Throns. 9. Laßt keinen männlichen Laut der Sprache ungeschrieben: Pfründe, Vernunft.

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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Wir werden in einer besondern Abhandlung darthun, daß der zweyte Punct von Nummer 2, und dan, von Nummer 4 an, di übrigen sich gleichfalls auf das Scientifische der Rechtschreibung, und nicht auf die Aussprache gründen. Es ist wahr, wir sind hier ein wenig in der Enge. Denn es hat denn doch gleichwohl eine Art von Schein, daß das meiste von dem Erwähnten, ja selbst Nummer 1, mit keinem fon beyden durch irgend einen Faden zusammenhänge; sondern nun so aufgekommen, und hergebracht sey: und dabey könnte, wie möglich wäre, hier und da wohl etwas, das nirgends Grund hätte, eingeschlichen, oder etwa gar, wie Andre gewissermassen vermuthen, plumper Weise eingerissen seyn. Aber dieses alles ist am Ende weiter nichts als Schein, der uns nicht täuschen soll; und wir wollen schon dafür sorgen, daß der Knoten, ohne alle Beyhülfe des Zerhauens, aufgelöst werde. 10. Ihr müßt leider! auch, und, wir gestehen es, oft genung nach der bloßen Aussprache schreiben: Raum, Last, Luft, Schimmer, Bewundrung ff ff. * * Ich fürchte, daß ich bei meinen Widerlägungen alzu durchsichtige Schleier weggenommen habe. Där ist mein Freünd, där m˛ir sagt, daß ich bei disem Anlasse, und bei där Absicht, di ich h˛ir allein haben konte, nicht anders ferfaren durfte. Ich habe jezo das Meinige bei einer Sache geta˛n, fon där: Es lige nichz daran si festzusezen; wol nu˛r di behaupten wärden, welche entweder allein in ˛ir Werk eingefädelt sind, oder, was entsch˛idne Kleinigkeit ist, für ˛ wichtig ausgäben. Ich möchte doch wol dem widergekomnen Gr˛ichen zuhören, där in Deütschland gereist were, und angefangen hette, uns nicht für ˛ Barbaren zu halten; aber jezt unsre Rechtschreibung ansichtig würde. Ich fürchte fast, der Man bricht der Kleinigkeit wägen auf, und z˛it seiner Stra˛sse. Denn är folgert aus ˛ir auch sonst noch allerlei. Ich wärde nichz me˛r über di Sache schreiben. Denn si hat entweder jezt ire gewisenen Wäge; oder wird si ni haben. Di Qäreinwürfe wigen, so schwe˛r si sich auch zu machen su˛chen, doch nu˛r wi Fädern auf der Wagscha˛l: und es ist m˛ir dahär nichz daran gelägen, das lezte Wort, aber alles daran, das beweisendste zu behalten. Dis hört ˛ nicht auf zu sein, was es ist; wen es Andre, bei Behaltung des lezten, auch noch so oft misdeüten, ferdre˛n, oder ferschweigen. Aber wi nu˛n weiter? Doch noch eine Anmerkung, e ich mich näher

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

über di Frage erkläre. Das Neüe hat eine ganz besondre Kraft. Kaum hat es di, welche Ferstand zu haben scheinen, wens auf Widerholung des Alten ankomt, wi mit einem Zauberstabe berürt: ˛ so s˛it man, wär si denn nu˛n so recht sind; und si stehen da, als Leüte fon se˛r kerglichem und kümmmerlichen Urteile. Ich behaupte, und ich greife dis nicht aus der Luft, sondern se˛r merkwürdige Erfarungen haben mich in dem Reiche der Wissenschaften aller Enden und Orten dafon bele˛rt, daß, wen Leüte diser A˛rt zum e˛rstenma˛l in irem Läben hörten: ˛ Nichz könne zugleich sein, und nicht sein, der eine di Axeln zukken; der andere, der Begrif fon Nichz schlösse dän fon Sein aus, sagen; und wider ein anderer se˛r laut darüber wärden würde, daß es unmöglich were etwas über di Sache auszumachen, denn bekantlich teüschte ja der Schein se˛r oft, und könte uns also auch, in Ansehung des Seins oder Nichtseins, nu˛r alzu leicht irre füren. Es belustigt nicht wenig zuzuse˛n, wi das Neüe mit Leüten dises Gelichters sein Sp˛il treibt: und ich freüe mich, was unsre Sache betrift, schon ˛ in foraus, ˛ und zwa˛r desto me˛r, je leichter si zu überse˛n ist, auf alle di Tenze, zu welchen der Zauberer inen, besonders den Selbstischen mit der fallenden Wizsucht, noch feifen wird. Es ferste˛t sich fon selbst, daß dises dijenigen am wenigsten auf sich anwenden, welche es gerade zu trift. Allein das tu˛t ˛im ja nichz. Denn wen es h˛ir auch an Einer Stimme fält; so unterlassen deswägen doch di Andern nicht di irige zu gäben. Doch di nähere Erklärung. Wird man noch lange sagen müssen? Germani nondum, famae si creditur, audent Mansuram propriâ vocem signare figurâ. Noch fersu˛chen di Deütschen es nicht, wen der Ru˛f uns nicht teüschet, Mit den rechten Farben di bleibende Stimme zu malen.

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Oder bald sagen können? Germani primi, a renovatis artibus, ausi Mansurae propriâ tantum signare figurâ Vocis quemque sonum, semotis pluribus umbris. Deütschland unterna˛m es zue˛rst seit der Künste Zurükke˛r, Jeden Laut der Stimme, di bleiben solte, der Farben Überladung ferwerfend, mit seinem Zuge zu bilden.

Ich weis so gu˛t, wie einer, und fileicht besser, als Jemand, was der Anname einer neüen Ortografi alle for Hinderungen und Hindereien in Lichten, und im Wäge, oder wo man sonst wil, stehen; als da ist, daß

Na˛chläse über di deütsche Rechtschreibung. Elftes Fragment.

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sich i˛r nicht etwa nu˛r allerlei Pöbelfolk, sondern selbst Leüte fon Welt, der gele˛rten nämlich, widersezen: m˛ir felt aber darunter besonders Eine, als forzüglich ˛ lecherlich, auf. W˛ir wollen nämlich f˛il liber in der gewönlichen ˛ Ortografi, auf immer, Le˛rlinge bleiben, (man nenne m˛ir das Bu˛ch, oder zeige m˛ir Ungedruktes, worin si, na˛ch allen iren Regeln und Ausnamen, beobachtet wird) als uns, in wenigen Stunden, mit der neüen bekant machen, di selbst durch dän Umstand, daß di deütsche Ausspra˛che auch wol zuweilen einma˛l schwankt, nichz fon irer Leichtigkeit ferl˛irt, weil man h˛ir di Freiheit hat zu schreiben, wi man wil. _____________________________________ ______________________________ Ich sehe bei der Durchläsung des Gedrukten, daß noch etwas übrig ist, welches ich nicht unberürt ˛ lassen darf. Ich brauche das End-s wider, weil das M an der Stelle fon jenem am meisten auff˛il, und weil sein Gebrauch bis auf: faMMen für: ˛ fasMen ff regelmässig ist. Meine U ˛ rsachen sollen übrigens me˛r entschuldigen, als rechtfertigen. W˛ir müssen den gede˛nten Ton ˛ auch dan bezeichnen, wen w˛ir, was in Ansehung seiner deütsche Ausspra˛che sei, entschiden haben. S. 42 (S. 427). Di Denung hat nicht drei, wi ich sagte, sondern f˛ir Zeichen. Denn di Weglassung des einen fon den ferdoppelten Mitlauten (schuf, schaffen) gehört ˛ mit dazu. W˛ir können mit den Franzosen und Englendern darum losen: Ob si, oder w˛ir me˛r fon der so oft geprisenen Kultu˛r der Neüern haben; si, wen si z. E. o durch eaux, und rof durch rough bezeichnen: oder w˛ir, wen w˛ir zu der Modifikazion ˛ eines Tones f˛irerlei Bezeichnungen für ˛ nötig halten. Beides ist in seiner A˛rt fortreflich, ˛ nu˛r daß es dort fon dem e˛rsten in der ganzen Ortografi wimmelt, und h˛ir das zweite auf Einen Fal eingeschrenkt ist. Das f˛irfache Bezeichnen ist di Krone unsrer jezt herschenden Rechtschreibung; und si ferd˛int keine bessere, welchen Forzug ˛ si auch durch den erwänten Untersch˛id for ˛ den beiden auslendischen hat.

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Über Spra˛che und Dichtkunst. Fragmente. Zweite Fortsezung. (1780)

Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften

Über eine Ode: „Der Freyheitskrieg ... (1793)

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Über eine Ode: „Der Freyheitskrieg,“ und einen Brief an Roland, Minister des Innern der französischen Republik. Freunde, denen ich beynah nichts abschlagen kann, wünschen, daß ich von dieser Ode, und von diesem Briefe öffentlich etwas sage, weil sie durch einen Zufall gerade zu dieser für sie nicht günstigen Zeit herauskommen, da Ludewig XVI. durch einen gerichtlichen Mord, das Leben verloren hat. Indem ich jenes jetzt thue, gebe ich vielmehr den Wünschen meiner Freunde nach, als daß ich durch ihre Gründe überzeugt bin. Vorher muß ich das, was der Herr von Archenholz darüber sagt, theils ergänzen, theils berichtigen. 1) Brissot hat aus dem Briefe die Worte: les meutriers d’Avignon weggelassen. 2) Er hat, in der Einleitung zu dem Briefe, der Ode nicht erwähnt. – Ich habe sie jetzt bloß deswegen drucken lassen, weil ich fürchtete, irgend Jemand würde sie durch Druckfehler verunstaltet herausgeben. Der Anfang der Ode wird (so partheyisch ist man auf beiden Seiten!) von Einigen kaum bemerkt werden; man wird ihnen die Stelle: Raphaels oder Angelo’s Werk, dicht vor die Augen halten müssen; Andere werden mich wegen dieses Anfanges beschuldigen, viel zu gelinde, nein das nicht, denn sie müßten es nur heraus sagen, schmeichlerisch, (o ich der Schmeichler)! von den europäischen Staatsverfassungen geurtheilt zu haben. Ich muß hier überhaupt sagen, daß ich meine Oden über Frankreichs Revoluzion allein deswegen noch nicht bekannt mache, weil ich falsche Erklärungen, sehr falsche, nur nicht sinlose Erklärungen (ich rede hier nicht von denen, welche Hirngeburten von Dummköpfen sind,) weil ich jene Erklärungen, wie das verbrannte Kind das Feuer, scheue. Und gleichwohl will ich mich jetzt solchen Erklärungen, durch eine Stelle aus einer Elegie, Preis geben; doch nicht allein dieses, sondern ich will dadurch auch zeigen, was es besonders, und vornämlich, und vorzüglich, und vor allen Dingen ist, das macht, daß mir der Gedanke an diese einzige große Weltbegebenheit nie aus der Seele komt. Die Elegie (vom September 1790) ist an la Rochefoucauld gerichtet, meinen sehr edlen, und ermordeten Freund. Die Stelle ist diese: Was vollbringt sie nicht. Sogar das gräßlichste aller Ungeheuer, der Krieg, wird an die Kette gelegt. Cerberus hat drey Rachen: der Krieg hat tausend: und dennoch Heulen sie alle durch dich, Göttin, am Fesselgeklirr.

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Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften (1793–1797)

Und diese Nazion, die sich, durch das menschlichste aller Gesetze, wider den Eroberungskrieg erklärt hat, sie ist es, die mir durch ihre zweyte Assemblee, oder die Legislatur, ihr Bürgerrecht, (ich getraue mich kaum das Wort zu brauchen) anbietet, oder wenn man den Ausdruck des Decrets lieber hört, deferirt. Dieses macht mir noch dazu Roland, einer der hellsehendsten, entschlossensten, mutvollsten Männer, die ich kenne, im Namen der Nazion bekannt: und auf diesen Brief hätte ich anders antworten sollen, als ich geantwortet habe? Man weiß also, was ich soll? Ich muß gestehn, daß man zu viel Wissenschaft hat. Denn ich weiß dieses ganz allein; und ich habe es, seit meinem sechszehnten Jahre, ganz allein gewust. Einer von den Gründen, durch welche man mich belehren will, was ich hätte thun sollen, lautet so: Es ist doch so manches, und mit Recht, an dem Verfahren der Legislatur getadelt worden, und also.. Ich muß mich kurz fassen. Zwey Sachen stehn in gar keiner Verbindung mit einander, die erste: Die Legislatur wird in manchem mit Recht getadelt; die zweyte: Sie macht einige Ausländer zu französischen Bürgern. Wenn indeß dieses vielleicht auch mit Recht getadelt werden kann: so ist es freylich nur die nun so hingewagte Meynung eines Partheyischen, wenn ich, wie es mir vorkomt, nicht ganz mit Unrecht, glaube, daß der begangene Fehler ein schöner Fehler sey. Ich will doch das Gesagte durch ein Gleichniß noch ein wenig erläutern, dem man, nach den Begriffen, welche man von der Ehre hat, die bekanten falschen Tritte der Gleichnisse hier aus dieser, und dort aus jener Ursache, vorwerfen wird. Das Gleichniß ist: Zwey Sachen stehn in gar keiner Verbindung mit einander, die erste: Die Fürsten werden in manchem mit Recht getadelt; die zweyte: Sie beehren einige, welche sie gewöhnlich darum bitten, mit Schlüsseln oder Bändern. Man hat doch so verschiedene Begriffe von der Ehre! An einer von Italiens Bildsäulen steht: Scipio Maffei, dem Lebenden. Wenn ein Engländer hervorragende Verdienste um sein Vaterland hat, so schikt ihm irgend eine gute Stadt ihr Bürgerrecht in einem schönen Behältnisse zu. So etwas, wie jene Bildsäule, und dieses Bürgerrecht, scheint einigen eben nichts unbedeutendes zu seyn; andere hingegen sind dieser Meinung nicht; es komt ihnen beynah als nichts vor. Noch ein Wort von dem Briefe an Roland. Was ich darin in Beziehung auf Dännemark sage, würde mich, wenn ich in Paris wäre, in sehr heisse, und vielleicht sehr weitführende Streitigkeiten verwickeln, und nur nicht solchen Gefahren aussetzen, als die wegen meiner Behaup-

Über eine Ode: „Der Freyheitskrieg ... (1793)

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tung seyn würden, daß Ludewig, wider die Konstituzion, und daher, durch einen gerichtlichen Mord, umgekommen sey. Ich würde es behaupten. Unsere Blätter kommen nach Paris; und hier steht mein Namen Klopstock. Zu Z. 34: (sie) Vorher war von Galliens Freyheit die Rede.

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Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften (1793–1797)

Anzeige eines Kunstdiebstahls.

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Nachricht und Bitte. Es hat ein junger Fremder, der sich einige Monate hieselbst aufgehalten – sein Name soll aus Schonung noch verschwiegen bleiben – bey seiner unvermutheten Entfernung von hier am 23sten November, folgende, unter allerley Vorwand zu sich genommene, treffliche Kunstwerke, von Alabaster, ihrem Verfertiger, dem Bildhauer, Herrn Landolin Ohmacht, hieselbst, weder bezahlt, noch wieder zurückgegeben. Nemlich: Amor und Psyche, Gruppe, beynahe 12 Zoll hoch; Büste des Antinous, stark erhobene Arbeit en façe, etwa 7 Zoll hoch; Kopf des Merkur, Profil, 5 Zoll hoch; und Kopf des Genius, in der Pio Clementinischen Antiken-Sammlung zu Rom, Profil, 4 Zoll hoch. Namens des braven, durch diesen Verlust so sehr beeinträchtigten Künstlers, werden diejenigen, welchen obbenannte Kunstwerke entweder vieleicht hieselbst zurückgelassen sind, oder auswärts in Händen kommen sollten, von den beyden hier Unterzeichneten ersucht, solche an sich zu halten, und, sobald als möglich, ihnen Nachricht davon zu geben. Hamburg, den 2ten December, 1794. Klopstock, Legationsrath. in der Königstraße, No. 232. Meyer, Dr. und Domherr, in dessen Dom-Curie, neben der Petri-Kirche.

Anzeige einer Bitte an eine Ungenannte. (1796)

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Anzeige einer Bitte an eine Ungenannte. Ich habe aus Würzburg ein Gemälde von einer Ungenanten mit einem Briefe erhalten, der noch schöner ist, als das schöne Gemälde. Dieß ist aus Hermanns Schlacht genommen, und zeigt den Sieger in dem Augenblicke, da Thusnelda vor ihm kniet. Der Name der Unbekanten soll mir, wie Sie sagt, ein Geheimniß bleiben. Liesse Sie sich doch von mir erbitten, und änderte einen Vorsaz, der mir gar keine Freude macht. Ich verliere zu viel durch Ihre Beharrlichkeit. Denn ich kan Ihr alsdann durch Briefe nicht „bezeugen, was Sie mir sey,“ und ich entbehre zugleich das Vergnügen, Ihren Namen vor eine meiner Oden zu setzen. Ich bin, was die Wahl der Ode betrift, noch zweifelhaft. Der Zustand des Zweifelns ist unangenehm. Die liebenswürdige Unbekante muß mich da heraus reissen, und nach Brechung des Worts, das Sie sich gegeben hat, die Ode wählen. Thut Sie es nicht, so räche ich mich, und glaube dem Wunsche nicht, der Beziehung auf den Kranz hat, welchen der Retter des Vaterlandes aus Thusnelda’s Hand empfing. Hamburg, den 22sten Januar, 1796. Klopstock.

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Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften (1793–1797)

Das nicht zurückgeschickte Diplom.

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Endlich hört auch der Geduldigste auf es zu sein, wenn man nicht aufhört falsche Nachrichten von ihm zu verbreiten. Ich bin in diesem Falle. Denn vor kurzem noch fand wieder Einer für gut (diesmal war’s ein Engländer, Namens Playfair), daß er mich an die Französische Nazionalversammlung schreiben, und ihr mein Bürgerdiplom zurückschicken ließ. Ein Franzose, dessen Namen mir nicht einfällt, hat mir vor einiger Zeit in einem gelesenen Journale denselben Dienst gethan; und noch verschiedene Andre haben, wie man mir erzählt, mich ihnen auf gleiche Art verpflichtet. Der Urheber von diesem nun doch wirklich zu oft wiederhohlten Gerücht ist ein Deutscher, welcher, nicht völlig so stark im Dichten, als im Andichten, eine Ode in meinem Namen machte (die unter den Händen der beiden Ausländer zu einem Briefe wurde), und dabei kund und zu wissen that, ich hätte die Ode mit dem Diplom an die Nazionalversammlung geschickt. Wer sich an die Stelle eines Anderen setzen will, der sollte sich, deucht mir, vorher erst fragen, ob er diesen Andern auch kenne. Meint er, daß die Frage überflüssig sei; so ist er in der Gefahr, daß er, indem er die Stelle verfehlt, nicht zu sitzen, sondern zu liegen kommt. Die Zurücksendung des Diploms konnte mir nicht einfallen, und ist mir nicht eingefallen. Aber gesetzt, es geschah; so verwarf ich den Einfall. Denn ich hielt es gewiß für ungerecht, mich durch die Zurücksendung deswegen wider die ganze Nazion zu erklären, weil unter ihren Stellvertretern, den gewählten und den ungewählten (den Klubisten), nicht wenige Buben waren; ich hielt es ferner, auch darum, für undankbar gegen die Nazion, weil ich durch sie Mitbürger von Washington geworden war; und es kam mir überdies auch noch lächerlich vor, wenn ein Einzelner sich gegen eine ganze Nazion erklärte. Warum ich dies nicht gleich nach Lesung jener Ode, und jener Kundthuung, gesagt habe? Ich habe es nicht gesagt, weil mich ekelte von der Sache zu reden; und weil ich glaubte, man würde einsehen, daß ich die Ode nicht gemacht hätte, und würde daher auch an der gemeldeten Zurücksendung zweifeln. (In dem Diplom wird auch der „renonciation à toutes conquêtes“ erwähnt.) Diejenigen, welche nicht gezweifelt haben, glauben vielleicht jetzt, da ich sie über die Sache verständige, (denn was kann der nicht alles glauben,

Das nicht zurückgeschickte Diplom. (1796)

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der dort nicht zweifelte?) sie glauben, daß ich zu gelinde von den Verbrechern urtheile, die meine Französischen Mitbürger in so hohem Grade elend gemacht haben. Dies ist die Ursache, warum ich noch fortfahre. Folgende Stellen aus Oden, die ich in Zeitschriften drucken ließ, werden zeigen, wie ich von jenen Verworfnen denke. An La Rochefoucault’s Schatten. (Im Februar, 1793.) – – – So starbst du denn vergebens, du Guter, Für dein Vaterland! waltet auf immer die Wut Jener Empörer! tritt ihr Fuß auf immer die große Nazion, mit des Hohns bitterer Lach’ in den Staub! Duldet auf immer, daß sie gehöhnt da liege, die große Nazion in dem Staub’, unter der Wütenden Fuß! Kehret sie qdie Freiheitp nie zurück, die gen Himmel wieder emporstieg, Und versöhnen sie die, welche sie lästerten, nie! Die Verwandlung. (Im September, 1793.) Aber sie hatt’ ihn qdie Freiheit das Gesetzp kaum geboren, selber gehuldigt Ihrem lieblichen fröhlichen Sohn; Da entstand .. Gern nennt’ ichs (den Elendstiftern am liebsten!) Doch der Sprache fehlet das Wort Für dies Scheusliche. Ha Es beschloß zu verwandeln die Göttinn; Und die Verwandlung gelang. Zwillingshöhlen dampfen auf einem Erobererschlachtfeld, Werden bewohnt, Die von der Raubsucht, die von der wilderen Wilden, der Herrschsucht: Dreimal heulten sie, sprengten sie Blut, Schlugen dreimal auf ein Hohngelach; und das NamenLose war itzt von den Schwestern geweiht, Hatte Beschwörung gelernt: die schrien sonst Zaubergesänge, Schreierinn war die Beredtsamkeit jetzt; Und Es verwandelte. ….

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Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften (1793–1797)

Das Denkmal. (Im September, 1794.) Wahrheit du, und du o Geschichte, wenn ihr vereint seid: Schreibet Flammen der Griffel, mit welchem ihr zeugt von erhöhten Buben; und die Stimme, mit der ihr das Zeugniß aussprecht, Spricht, ihr Rächenden! Donner aus. Rächet sie jetzt die Menschheit an Frankreichs Oligokraten, Ernste Vergelterinnen! Zu schonend rügt der Verbrecher Tod; Europa will das warnende Schandmal, will die Ewige Piramide sehn! Ich habe jetzt etwas gethan, was ich, weil ich es hasse, noch nie that; ich habe mich selbst angeführt. Und hiezu bin ich denn von Deutschen, von dem Andichter der Zurücksendung, und von denen die ihm glaubten, veranlaßt worden. Solchen Deutschen verbiete ich die Ode „Mein Vaterland“ zu lesen, weil ich, da ich dies Gedicht machte, sehr entfernt davon war an ihres Gleichen zu denken. – Wie ich das verbieten könne? Sollte denn, antworte ich, Horazens Verbot: Odi profanum vulgus, et arceo, ganz ohne Wirkung gewesen sein? Ich schrieb (den 16 Nov. 1794) an den Konvent. Ich ließ den Brief ins Französische übersetzen; denn er sollte in beiden Sprachen überschickt werden. Aber ich habe ihn zurückbehalten. Ich mache ihn jetzt bekannt; und das auch in der Nebenabsicht, damit, wer mir etwa wieder die Ehre erweist meine Stelle einzunehmen, der Welt die Ursachen sage, warum ich den Brief nicht überschickt habe. Der Bürger Klopstock an den Bürger Präsidenten. Es folgt der nicht abgeschickte Brief, der in HKA, Briefe VIII, 225, abgedruckt ist. Zu den zitierten Oden vgl. HKA, Werke I 1, S. 480, V. 29–36; 491, V. 15/16, 19–31; 504, V. 1–8.

Erklärung zur Autorschaft einiger Oden. (1797)

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Erklärung zur Autorschaft einiger Oden. In dem litterarischen Anzeiger (No. 75. den 24sten Juny. 1797.) las ich vor kurzem das erstemal den Anfang einer Ode, die ich schon vor 1771 gemacht haben soll. Der Hr. Anzeiger hat sie in: Klopstock’s Werken (Frankf. u. Leipz. 1771. 8.) (F. G. Klopstock, Kleine poetische und prosaische Werke, Frankfurt und Leipzig (recte: Stuttgart) 1771, S. 119–121) gefunden. Ich kenne diesen Nachdruck nicht. So bald ich ihn bekomme, soll man durch mich erfahren, ob noch mehr mir Angedichtetes darin sey. In Darmstadt wurden wenige Exemplare von einer kleinen Samlung meiner Oden, ehe ich sie selbst herausgab, für Freunde gedruckt (Klopstocks Oden und Elegien, Vier und dreyssigmal gedrukt, Darmstadt 1771). Auch unter diesen findet man zwey oder drey, auf die ich keinen Anspruch mache. (Ich besitze diese selten gewordene Ausgabe nicht; sonst würde ich die Oden nennen (S. 37–39, S. 134–139)) Dem lieben Manne, welcher mir eine Ode verfertigte, und zugleich für gut fand, der Welt zu erzählen, ich hätte sie, mit meinem Bürgerdiplome, an die Nationalversammlung geschickt, habe ich, in der Berliner Monatsschrift, meine Dankbarkeit bezeigt. Man ist, wie das Gesagte zeiget, denn doch wirklich oft genung, und nicht wenig freygebig gegen mich gewesen (siehe S. 452–454: Das nicht zurückgeschickte Diplom.). Ich schmeichle mir übrigens, es werde denen Deutschen, die meine Schriften kennen, eben so unangenehm, wie mir selbst seyn, daß ich mich damit abgeben muß, mich über litterarischen Lug und Trug zu erklären, der sich, als solchen, laut genug verräth. Hamburg, den 17ten Julius 1797. Klopstock.

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Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften (1793–1797)

Fragmente aus dem Nachlass

Charaktere. (1747–1767)

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Charaktere * Fanny hat eine Ernsthaftigkeit, die sie über alles das wegsezt, was gewöhnlich macht, daß man den Frauenzimmern nicht Gerechtigkeit genung wiederfahren läßt; sie verbindet aber eine ihr allein eigne Liebenswürdigkeit mit dieser Ernsthaftigkeit, so daß auch der strengste Beurtheiler der Frauenzimmer, durch sie, veranlaßt werden würde, das andre Geschlecht auf seine schöne Seite anzusehen.

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* Laura wird in allem, was sie thut, so sehr von den Gratien begleitet, daß es nicht zu poetisch gesagt ist, wenn man sagt, daß man ihr beständig Bluhmen streun, beständig Kränze aufsezen möchte. Ihr Blick hat jede Feinheit, und ihre Stimme so etwas Süsses und Melodisches, daß auch enthusiastische Liebhaber der Musik sie lieber hören mögen.

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Daphne (ich will mit Ihrem einzigen Fehler anfangen) vertraute sich demjenigen unter ihren Freunden, der sie über alles liebt, nicht ganz; und sie kennt ihn doch, und weis, daß sie sich ihm ganz anvertrauen könnte. Sie hat das schönste Herz, das man jemals geliebt hat. Sie unterscheidet jede Nüance in jeder edlen Empfindung; nur denjenigen ihrer Freunde, der sie am meisten liebt, scheint sie recht, bis auf alle seine Nüancen zu kennen.

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* Cynthia hat so viel Wiz als man nur haben kann, aber sie hat zugleich so viel Urtheil, daß sie ihren Wiz so braucht, wie ein Frauenzimmer von Geschmack ihre Bluhmen braucht. Die meisten stecken ihrer zu viele an. Eine kleine leichte Bluhme an der rechten Stelle ist viel reizender.

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* Hoheit und Naivetät sind die Hauptzüge, welche die vortrefliche Seele der Clarissa unterscheiden. *

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Fragmente aus dem Nachlass. (1747–1801)

Wenn Byblis etwas weniger traurig ist, so spricht sie wohl bisweilen von ihrer Traurigkeit; aber wenn sie am traurigsten ist, so ist sie allein. Was würde es helfen, wenn man auch alsdenn bey ihr wäre; sie würde doch nicht sprechen. *

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Auch die Freundschaft ist in dieser Welt unvollkommen. Ich sagte einmal zu Doris, daß das ein grosser Vorzug der Freundschaft in jener Welt seyn würde, daß man dort eben so sehr geliebt werden würde, als man liebte. Ich glaube, daß ich sehr recht hatte. Doris würde sich, aus Bescheidenheit, doch nicht erkennen, wenn ich ihr ihr schönes Herz auch noch so genau beschriebe. *

q… der gute Ausdruck …p 45

„ …. der gute Ausdruck kommt nur dann in Betrachtung, wenn das, was er enthält, auch gut, oder würdig ist gehört zu werden.“

qKeine Schreibart …p

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Keine Schreibart hat einen Charakter, die nicht den der vorgetragenen Sache hat. Die prosaischen Schreibarten sind verschiedener von einander als die poetischen, weil die Zahl ihrer Gegenstände oder dessen, was ihren Char. bilden muss, grösser ist.

Über Mark Aurel. (um 1778)

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Über Mark Aurel. Bruchstück + Leben 0 Schriften ______________________ + im 12ten Jahre nahm er die Lebensart der Stoiker an. im 15ten den bürgerlichen Rock / im XVIII Jahre zum Nachfolger von Hadr. erklärt, und traurig darüber. / Pius erklärt ihn gleich nach Had. Tode zum Cäsar. Die öffentlichen Geschäfte entzogen ihn der Philosophie nicht. Faustina war schön. hat 23 Jahre als Cäsar unter dem Pius gelebt. Er hat diese ganze Zeit nur 2 Nächte ausser dem Pallaste geschlafen. Pius, da er sterben wollte, lies ein goldnes Glück aus seinem Zimmer in Aurels tragen. Einen Monat nach Antritt der Regierung nahm er, aus eigner Bewegung den L. Verus, der Cäsar war, zum Mitregenten an. Zween Regenten hatte Rom noch nie gehabt. An eben dem Tag nahm er den Nahmen Antoninus an. Das erste das besyde befahlen war, daß die neuen Bürger an der Kornaustheilung theil haben sollten. Er widerstand anfangs den Anklagen wider die Christen. Den Krieg wider die Parther überlies er dem Verus, und gab ihm Rathgeber mit. Er stellte sich, als wenn er die Laster des Verus nicht sähe.

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Über Demosthenes. Bruchstück Ru˛ft uns h˛ir Demoste˛n nicht gleichsam zu, und zeigt uns, wi dis auszusprechen sei. Es fält nu˛r, daß är ausdrüklich sage: H˛ir den Ton ˛ eines Mans fon Läbensa˛rt! Dis mit Eile! Dis langsam! H˛ir brich ab! Dort verbinde! Da traure mit! Ferachte das. For ˛ disem erschrik! Ferurteile dis! Das fergrössre! M˛ir scheint es, daß, wär di Sele eines unvernümftigen T˛irs, oder f˛ilme˛r di träge NgefülldeM ˛ unbewägliche zur Leidenschaft unfähige Natu˛r eines Steins hat, Demostenen nicht deklamiren müsse; ja um Files nicht: denn är nimt i˛m sein schönstes Eigentum, den Geist; und lest ˛im nichz als den Leib, zwa˛r einen schönen, aber einen unbewäglichen und toten.

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Fragmente aus dem Nachlass. (1747–1801)

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Der Wirkungskreis, dän Jemand hat, mus fon drei Seiten angese˛n wärden: Na˛ch seinem Umfange in Absicht auf Grösse ˛ und Dauer, und na˛ch der Beschaffenheit des Gewirkten. Der Untersch˛id der Beschaffenheit ist von nicht geringem Gewicht. Man mus das Läben haben, um es zu gen˛issen; aber gleichwol tu˛t där weniger, wär nu˛r zu der Erhaltung des Läbens, als wär zu dem Genusse desselben, oder zur Glüksäligkeit, etwas beiträgt. Ich wil das Me˛r und Weniger nicht gegen einander abwägen: aber der Untersch˛id ist so bedeutend, daß är bei der Untersuchung, was man zu wälen habe, den Ausschlag gäben kan. Di Grösse ˛ wird durch di Za˛l därer, auf di man auf Einma˛l Einflüsse hat, und durch di Sterke der Einflüsse bestimt. Ich würde mich zu weit ausbreiten müssen, wen ich jeden kleineren Wirkungskreis for ˛ Augen haben wolte. Der Arzt, der Offiz˛ir, der Beamte, wär one Amt f˛il Geschefte hat, es sei bei dem Landbaue oder dem Gewerbe, der Entdekker, der Erfinder, wär das Entdekte und Erfundne untersu˛cht oder anwendet, der Erziher, der Re˛dner, Geschichtschreiber und Dichter, der Künstler, der Man fon merkwürdigem Beispile, wär Anteil an der Regirung hat, (selbst der Fürst hat, wen är auch noch so se˛r Selbstherscher ist, nu˛r Anteil) alle dise treffen darin zusammen, daß si Wirkungen herforbringen. ˛ H˛irin ligt unter andern, daß es unrichtig gedacht sei, wen man Handeln und Schreiben, zum Na˛chteile fon d˛isem, einander entgegen sezt; so unrichtig, daß es f˛ilme˛r Einen Gesichzpunkt gibt, in welchem der Gegensaz zum Nachteile des Handelns stat findet. Denn di Handlung wirkt nu˛r Einma˛l, und dan in iren notwendigen ˛ und zufelligen Folgen nu˛r eine gewisse Zeit fort; die Schrift hingegen, wofern si sich auch (Fortsetzung nicht überliefert.)

Fon der Deklamazion.

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Fon der Deklamazi on ˛ zu handeln haben di Redekunst und di Schausp˛ilkunst oder auch etwa di Poetik nicht me˛r Ansprüche, als di Gram-

Über Friedrichs II. von Preußen Schrift „De la littérature allemande“. (1781)

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mattik. Denn nicht nu˛r der Redner der Schauspiler und der Forläser ˛ ferbinden, mit dem Aussprechen der Wörter, se˛r file, und se˛r fein abgestu˛fte Töne, di einen erklärenden oder emfindenden oder leidenschaftlichen Ausdruk haben; sondern es ist auch kein Auftrit des gemeinen Läbens, där ganz one disen Ausdruk sei; und es sind file bei dänen är in ser hohem Grade forkomt. ˛ Di Deklamazion ˛ ist also gewisserma˛ßen untrenbar fon der Spra˛che. Dise ist one jene nu˛r eine Bildseule; keine wirkliche Gestalt. Di Bildseüle kan zu läben scheinen; so auch di Spra˛che, wen si nämlich mit tifer Kentniß gebraucht wird: aber si läben denn doch nicht. List man blos ˛ mit dem Auge, und nicht zugleich mit der Stimme; so wird die Spra˛che dem Läsenden nu˛r dan gewisserma˛ßen läbendig, wen är sich di Deklamazion ˛ hinzudenkt. Den Begrif der Grammattik folstendig zu machen, merk ich noch an, daß bei der Wortendrung di Wortenderniß (si le˛rt umenden und umbilden) und bei dem W olklange ˛ und der Ferskunst di Ausspra˛che forausgesetzt ˛ wärden. Di Wortkunde lifert Steine und Kalk; di Grammattik fürt ˛ das Gebeüde auf.

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Bruchstück Sie fahren fort, meine Freunde, mich aufzufodern, daß ich mich darüber erklären soll, wie mir das Urtheil vorkommen will qdasp der König des Jahrhunderts von der Sprache und von der Litteratur seiner Nation gefällt und dadurch sowohl die Fremdlinge im Vaterlande als die Ausländer irre geführet hat; und zwar die ersten am weitesten, weil sie so unbekannt mit uns sind, daß die lezten in Vergleichung mit ihnen beynah einheimisch zu seyn scheinen. Da Sie mir also alle fernere Weigerung verbieten, so verstatten Sie mir wenigstens die veranlaste Ursach anzuführen, warum ich bisher bey Ihrer ehrenvollen Einladung zurückgetreten bin; und bemerken Sie zugleich daß ich Ihnen kein geringes Opfer durch Brechung meines Stilschweigens bringe. Die Ursach ist: ich kann, da ich einer von denen bin, welche der Ausspruch des Königs trift, den Schein der Partheylichkeit kaum vermeiden; und ich liebe

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Fragmente aus dem Nachlass. (1747–1801)

doch nichts so sehr, als selbst in Dingen, die mich nah angehn, unpartheyisch zu seyn: ich habe dieß mein ganzes Leben durch gezeigt. Durch Partheylichkeit werden wir noch enger eingeschränkt als wir schon sind; und unterandern wird uns durch sie das Genauwahre verdunkelt und die Freude daran getrübt. Es ist indeß doch Ein Ausweg, auf welchem ich jenen Schein bey Ihnen zu vermeiden hoffe: ich werde ihn nehmen, indem ich nicht allein von mir schweigen, sondern auch nichts sagen werde, wovon man mit Grunde behaupten könne, daß ich da bey an mich gedacht habe. Dieser Erklärung ungeachtet bleibt es dennoch wahr, daß ich Ihnen durch Brechung meines Stillschweigens (in der Voraussetzung nämlich daß meine Meynung auch Andern bekannt wird) kein geringes Opfer bringe. Denn viele von diesen Andern würden, wenn sie zugegen wären, mich nach sich beurtheilen, und mir daher nicht zugestehn, daß ich ohne Rücksicht auf mich redete. Aber ich denke sie mir in diesem Augenblicke gegenwärtig und sage ihnen daß sie mich nicht kennen. Zu den vielen großen und angenehmen Vorstellungen von dem Könige, welcher den Thron mit dem Ruhm bestieg, daß er hohes Geistes und ein Geweyhter der Wissenschaft und der Ehre sey gehörte auch die, daß er Unterstützer der schönen Wissenschaften seyn würde. Es verging einige Zeit; und es geschah nichts. Damals hätte er zu Werken, seiner Belohnungen würdig, reizen können. Dieß wollte er nicht, meynen Sie vielleicht: Ich hoffe Sie zu überzeugen daß er es nicht sah – Es verging mehr Zeit; es verging viele. Mit welcher Ausdauer, mit welchem Zutrauen, und, ich darf es sagen, mit welcher edlen Art zu denken, weil er jezt Ausländer, und nur sie belohnte, fuhr man fort auch diese Größe von ihm zu erwarten, allein es geschah nichts. Er hatte nicht gereizt, und war nicht reizbar. Nun hörte man auf zu erwarten und man war zugleich stolz darauf daß ohne seine Beyhülfe Werke entstanden waren, welche die seinigen überleben werden; denn nicht allein, was untergeht, sondern auch, was aus irgend einer Nebenursache zwar bleibt, aber ein sieches Leben führet, wird überlebt. Jetzo, nachdem immer und immer nichts erfolgt war, und man den Gedanken von jener Unterstüzung der Wissenschaften schon vergessen hatte, da endlich geschah etwas. Der große König trat unter den Lorbeern des 7jährigen Krieges hervor, und belohnte unsre standhaften und grosmütigen Erwartungen dadurch, daß er sich wider die Sprache und die Litteratur seiner Nation erklärte; eine Belohnung wie sie in der Geschichte eben

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nicht vorkommt, und die daher durch den Vorzug der Seltenheit ausnehmend hervorragt. Und die Ursachen, oder vielmehr die einzige ganz zureichende Ursache warum dieß jezo geschah, und vorher nichts geschehen war? Ich werde durch den Erweis daß dem Könige seine Sprache völlig unbekannt sey, zweyerley auf einmal thun, die Frage beantworten und zugleich das Denkmal erhöhn, welches er sich durch seinen Ausspruch über Dinge gesezt hat, wovon er, wie weit sein Geist sonst auch reichen möge, zu urtheilen nun nicht im Stande war. Ich muß, meine Freunde, eh ich mich mit Erhöhung des Denkmahles beschäftige, es Ihnen wieder vor Augen bringen, da Sie vielleicht in Betracht desselben ein wenig vergeßlich gewesen sind, worin Sie gleichwohl, wenn sich dieß so erfülte, gewiß sehr gefehlt hätten. Denn es ist äußerst merkwürdig, daß der König, dieser Geweyhte der Ehre, wie ich ihn mit Bedacht noch einmal nenne, es wagte, ob ihn gleich dieser und jener Wink, bald von Deutschen und bald selbst von Ausländern hätte zurückscheuchen können, es wagte, sag’ ich, mit diesem seinen Urtheil auf den großen Schauplatz hervorzutreten. Ich übergehe daß er zugleich unvaterländisch verfuhr, weil er von dem Räthsel, was ein vaterländischer Mann sey, wohl nie etwas errathen hat. Glauben Sie mir, das Denkmahl ist unzerstörbar; und Sie haben mit Ihrer Vergeßlichkeit so Unrecht als man nur immer haben kann. Hören Sie denn von neuem, was uns der König von einer vaterländischen Sache in einer ausländischen Sprache kund thut; und hören Sie es in dieser Sprache selbst: Denn ich mag ein Denkmahl, welches aus einem bloc de marbre sans defaut errichtet ist durch Verdeutschung nicht verunstalten. Ich kann übrigens nicht leugnen, daß ich keine Vorstellung von der Art des Beyfalls habe, den sich der König von einer Nation verspricht, die unter allen Europäern ihre Sprache am meisten liebt und nur sie redet und schreibt, wenn er die seinige geringschäzt – nein! ich muß sagen, verachtet, und, was er schreibt, selbst die Geschichte seines Hauses und seine eigene nicht ausgenommen, (Cäsar verfuhr hier ein wenig anders!) gerade in der Sprache eines Landes schreibt, wo man so verschieden von ihm denkt, so sehr Recht wider ihn hat, und erröthen würde auf gleiche Art zu verfahren. Sollte daher der Beyfall, welchen ihm hierin die Franzosen dennoch geben, wohl etwas anders als in Grunde Ausbruch des Stolzes seyn, diesen großen König, unter andern auch ihren Überwinder, bis zu dieser Geistesunterwerfung erniedriget zu haben, und der Absicht nach etwas anders als

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Fragmente aus dem Nachlass. (1747–1801)

Einschläferung, damit er von dorther, wohin er versank, nie wieder empor komme? Aber jetzo die Erinnerungen an das Denkmahl, ohne eigentliche Widerlegung, nur hier und da etwan ein eingestreutes Wort dieser Art! Lesen Sie uns was nach meiner Bezeichnung hierhergehört: Il-y-a longstems = sur le papier. – – En toute chose = Fruits – Aber wenn nun Luther der Pflanzer gewesen wäre Je trouve une langue a demi barbare – Il est physiquement = langue brute. – J’entends parler = caprice. Dieß mag wohl besonders von denen Großen wahr seyn, die das auch von ihnen vorgezogne Französische so mittelmäßig reden, daß der König so gar die Sprache lieber hört, die sie bey ihm mit leichter Erreichung ihres Zweckes für Deutsch ausgeben. – Pour ne rien = l’Allemand. Und an seinem Hofe, obgleich das Land der Geburt nicht entschuldigte sondern vielmehr geradezu wider ihn entschied – „Les sectateurs zelès du Tudesque“ – Tudesque in dem Munde eines Deutschen zeigt Verachtung. Ich weis nicht in welcher Stärke man dieß Wort in Frankreich nimmt, wenn man es von den Gedichten des Königs braucht. – Aber Lesen Sie! Si l’on exige = point d’Artiste. Ohne zu erwähnen, daß nicht nur die Gnidsche Venus sondern auch die Himmlische (ich rede von einigen ernsthaften Gedichten meiner Zeitgenoßen) dem Meissel der Deutschen gelungen ist, frage ich blos: können die Ausländer, können die unter ihnen, welche der König vornehmlich im Sinne hat, die Franzosen uns, oder wie wir die Griechen übersetzen? Unser Verurtheiler wird, wie sich versteht hier nicht gefragt, aber seine und unsere Richter, werden vielleicht allein deswegen nicht antworten mögen, weil keine Antwort mehr nöthig ist. So urtheilt der König von seiner Sprache die er nicht kennt. Ich habe versprochen das lezte zu erweisen. Beyspiele pflegen hier den kürzesten Weg zu führen. Ich wähle ihn, und könnte mit einem ganzen Schwarm von Beyspielen bey meinem Ziele ankommen: aber wenige werden es auch nicht verfehlen. Etwas eigenhändiges (ich weis dies von Jemanden, der es selbst gesehn hat) war so buchstabirt, daß jeder Zug den Wildfremden zeigte. Wenn Sie mir sagen daß Sie hieran zweifeln, weil ich es nicht selbst gesehn habe; so antworte ich, daß ich die Ursache Ihres Zweifels besser kenne: es ist die Unglaublichkeit der Sache: aber diese Ursache wird Ihrer Überzeugung eben nicht lange im Wege stehn.

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Pompejus hatte einen Tempel vollendet. Bey der Ungewissheit ob es in der Aufschrift tertium oder tertio heißen müsse trug er Cicero die Entscheidung auf; dieser entschied indessen nicht, weil auf beyden Seiten viele Stimmen waren, sondern schlug vor, in tert. abzukürzen. Bey folgender Aufschrift, die Sie zu Berlin an einem öffentlichen Gebäude finden, kommt es auf Bedenklichkeiten dieser feinern Art nicht an, da in Ansehung ihrer Veränderung kein Vorübergehender auch nur Einen Augenblik ungewiß ist. Die Aufschr. lautet so: Im Ms. Leerzeile

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In dem berühmten Protokolle finden Sie auch folgendes: Im Ms. Leerzeile Ich halte mich hier bey Vielem nicht auf wie ich doch könnte, weil es nicht zu der Schreibart der Kanzelleyn gehört und also auch dadurch nicht entschuldigt werden darf; sondern ich bleibe allein dabey stehen, „ im Ms. halbe Zeile leer „ und behaupte daß selbst das Volk und zwar mitten im Feuer der Leidenschaft so etwas nie sage. Dieses lezte beweiset so viel für mich, daß ich in Dingen dieser Art keinen Beweis, ich sage nicht, von gleicher, sondern nur von ähnlicher Stärke kenne. Es ist also überflüssig noch durch irgend etwas zu zeigen, daß dem Könige seine Sprache unbekannt sey, und in einem Grade, wie Sie gehört haben, unbekannt, daß sie kaum noch die seinige heißen kann. Da er sich dieses nicht verbergen konnte, nicht einmal mochte; denn er verachtet sie ja; so muß ich gestehn, daß ich nicht begreife wie Er, bey der Vorstellung daß ihm Europa zuhörte, sich zu dieser Verurtheilung zu entschließen im Stande war. Führet die Erinnerung ein ganzes Leben durch entschieden zu haben, so gar bis dahin? Doch ich halte dieß für unmöglich: (Besonders wegen der Stelle: il-y-a longtems que j’ai reflechi) Der Knoten scheint mir daher unauflösbar; und wer ihn zerhauen will, der hüte sich daß er die Ehre des Königs nicht mit treffe. Je schwerer etwas, davon man gern eine bestimmte Vorstellung hätte herauszubringen ist, je tiefer und täuschender es sich bey der Nachforschung verbirgt: desto öfter und lebhafter kommt man zu dieser zurück. Ich habe das Lezte gethan, aber immer umsonst. Ich vermuthe von Ihnen nicht daß Sie mir sagen werden: vielleicht ist das Urheil des Königs nicht die Folge eigener Untersuchung sondern er hat dies nur von An-

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Fragmente aus dem Nachlass. (1747–1801)

dern, denen er Kenntniß und Einsicht zutraute, gehört, und von diesen angenommen, denn dieß sezte voraus, daß sie ihn beynah eben so wenig kennten als Er unsre Sprache. Er wäre jemals der Meynung eines Andern gewesen, und nicht immer seiner eigenen? Doch wozu diese Frage an Sie? Sie haben sich viel zu sorgfältig um den König bekümmert, daß Sie ihn nicht besonders auch von dieser Seite kennen sollten. Aber Sie sagen mir vielleicht: Man glaubt oft dieses und jenes zu wissen, das man im Grunde doch nicht weis. Sie führen überdieses Beyspiele an: (Preceptes qu’Horace donne aux Auteurs dans sa Poetique: tot verba tot pondera. Prenons chés les Grecs Thucidide, Xenophon – Nous prendrons des Latins le Manuel d’Epictete, les Pensees de l’Empereur Marc Aurele Sie setzen noch hinzu, daß Sie schon ehemals gelernt haben: Que … (Sie gingen aus Fionie in fühnen ( ? ) Es steht in den Memoires de Brandqepburg) Sie führen, wie ich vermuthe diese Beyspiele blos in der Absicht an, um anzumerken daß so erlaubt es auch sey vieles nicht zu wissen, und selbst das Bekannteste dem der regiert, man doch von dem, worüber man Unterricht ertheilt, unterrichtet seyn müsse. Was übrigens jenen Satz anbetrift; so hat er gleichwohl auch seine Einschränkungen: ((nämlich der Satz daß man oft dieses und jenes zu wissen glaubt was man nicht weis)) in unserm Falle diese: es ist unmöglich zu glauben daß man eine Sprache wisse, die man nicht weis. Sie sehn, meine Freunde daß der Knoten unauflösbar ist. Mit dieser Kenntniß der Sprache also entschied der König über unsre Litteratur wie folget: Lesen Sie! Soyons sinceres et confessons de bonne foi que jusqu’ici les belles lettres n’ont pas prosperés dans notre sol. Quant aux belles lettres convenons de notre indigence N’imitons pas les pauvres qui veulent passer pour riche; convenons de bonne foi de notre indigence Dieses ist es was unser Verurtheiler von unserer Litteratur weis; oder er weis vielmehr daß wir keine Litteratur haben. Es ist Ihnen schon bekannt worauf sich diese seine Wissenschaft gründe. Er trägt sie sehr nachdrücklich durch öftere Erwähnung unserer Dürftigkeit vor. Sie sehen dieß denke ich als ein wiederholtes Bekenntniß an, welches er, ohne es selbst zu wissen, von seiner Unbekanntschaft mit der Sprache ablegt. Sie müssen entweder dieß annehmen, oder ihn beschuldigen, daß er

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Geist darinn gefunden habe, wenn er über Skribenten, die Deutschland und nicht wenige Ausländer kennen, dadurch spottete daß er ihnen ihr Daseyn abspräche. Es scheint Ihnen vielleicht, meine Freunde, daß hier der Anlaß nicht sey, das zu sagen, was Sie gleich hören werden; dennoch kommt mir dieß sosehr anders vor, daß ich mir keinen Anlaß, den ich vorziehen möchte, denken kann. Ich behaupte nämlich, von der Geschichte belehrt, daß keine Nation in den schönen Wissenschaften in so kurzer Zeit so weit gekommen sey als unsre. Ich bestimme nicht, wie weit: das sind Gränzsteine welche selbst die größere Zahl der Nachkommen nicht an die rechte Stelle sezt. Denn jede Nation nimmt auch hier ohne jemals aufzustehn, den ersten Platz ein. Gleichwohl reifet mit dem Fortgange der Jahre eine gewisse Entscheidung, welche dem genauen Kenner und Bemerker nicht verborgen bleibt. Es sind überall immer einige tiefsinnige Untersucher, denen zugleich Unpartheylichkeit, diese seltne Gabe des Himmels, geworden ist. Diese legen, ohne sich an die hocherrichteten Grenzsteine der Nation zu kehren, hier und da ihre schwarzen und weissen Steinchen hin: und derer werden zu lezt so viele, daß man, wenn man neben ihnen hingeht, wegen richtiger Messung des Umkreises eben nicht im Zweifel zu seyn braucht. Doch wir kehren aus diesen entfernten Zeiten in die unsrigen zurück. Der König will denn doch nicht daß wir völlig an uns verzweiflen sollen. Er läßt uns nicht ganz ohne Hofnung. Lesen Sie: On commence = remarque deja. Also nun erst, und nicht schon damals da der König zu glänzen d. H. zu regieren anfing? und so gar jetzt noch wird eine ganz besondre Feinheit erfodert, um es auch nur zu wittern? Gleichwohl wußten die von ihm so sehr vorgezognen Franzosen schon seit 20 und mehr Jahren daß man unter den so weit nachgesezten Deutschen manches von dem, was in jenen Tempel führt, nicht etwa erst erwartete, sondern daß es schon da wäre. Jemand hatte vor eine Samlung französischer Urtheile über unsre Litteratur und zwar nicht ohne Zuschrift zu machen; doch man rieth es ihm ab, denn es schien nicht anständig zu seyn, den König durch eben die Mittel zu näherer Untersuchung zu veranlassen, durch welche unseren Großen von der unbedeutenden Art, die ohne ausländischen Unterricht nie etwas von uns wissen würden, auch wohl einmal die Augen aufgehen. Aber lesen Sie! Ceux qui viennent = Virgile. In diese so oft schon und nun von neuem aufgewärmte Schüssel gehört nicht etwa ein Körnchen Salz sondern ein Korn, und dieß zwar aus der Hand des Königs; denn er sagt selbst: on ne fait pas naitre des Genies a

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Fragmente aus dem Nachlass. (1747–1801)

point nommè; aber ich halte mich jezt bey dieser Berichtigung der Sache nicht weiter auf. Vorher hörten wir, daß sich ein gewisser Geist zu regen anfange: und nun wie vieles die Auguste beytragen können diese Flamme zu unterhalten. Wem fällt hier die Frage nicht ein: warum er sich denn diese Ehre (es ist mehr Verdienst bey der Entstehung zu ermuntern als Entstandenes zu belohnen) sich diese Ehre mit beynahe stoischer Enthaltsamkeit versage. Doch er ist ja einer von den kleinsten Fürsten Deutschlands und thut daher wohl daran, wenn er wartet, bis die Reihe endlich auch an ihn komme, und dan fürlieb mit dem Lorberblätchen nimmt, das ihm die großen Fürsten etwan übrig gelassen haben. Aber noch ein ernsthafteres Wort! Keine Nation hat es in so kurzer Zeit in den schönen Wissenschaften so weit gebracht als unsere: und daß dieses ohne Aufmunterung unserer Fürsten geschah, ist ein zweyter Vorzug, dessen sich keine andere Nation, wenigstens nicht bey gleicher Veranlassung rühmen kann. Daß übrigens diejenigen unter uns, welche der für immer merkwürdigen Verurtheilung ungeachtet, auf der ehrenvollen Laufbahn fortgehen, dadurch ein Verdienst mehr als ihre Vorgänger haben sollten, kann ich nicht zugestehn: denn was ihnen zu Theil wird und was wir entbehrten, ist mehr Reizung, mehr Anfeurung weil der König des Jahrhunderts nicht allein nicht aufgemuntert sondern geringgeschätzt gespottet und verachtet hat! II. Ich könnte hier aufhören, allein die Frage: Wie würde der

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Gespräch zwischen Klopstock und C. F. Cramer. Der Gedanken ist m˛ir schon ˛ oft wiedergekommen, mit einigen meiner Freunde Gespräche, zum Andenken unsrer Freundschaften, so zu halten, daß wir si aufschreiben. Wir schreiben also keine Gespräche, sondern wir reden schreibend; das lezte blos ˛ deswägen, weil es zum Andenken sol aufbehalten wärden. Also äben di Ofenheit, di Ordnung, und Unordnung, di in dem gewönlichen ˛ Gespräch ist, äben di Schnelligkeit, so weit das h˛ir möglich ist. Wär fom Blatte aufgestanden ist, hat sein Wort gesagt; är kan dan nichz me˛r reden. Wärend des

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Schreibens kan är; so wi är im Reden dis und das zurüknimt, es anders sagt, um bestimter, oder kürzer zu sein, oder was är sonst for U ˛ rsachen hat. Sezen Si sich, l˛ibster Cramer; und fangen an. Ich habe selbst in diser Einleitung nichz geendert, weil ich schon ˛ aufgestanden wa˛r, da ich noch was zu reden fand. C. F. Cramer: Ich habe noch immer einen Punkt in der Orthographie, in welchem ich Sie entweder noch nicht ganz faße, oder nicht einerley Meynung bin: Ich hätte schon längst wieder mit Ihnen darüber gesprochen, wenn mirs nicht dunkel im Sinne schwebte, daß ich es schon eher gethan, und Sie mir schon eher das Ihrige darüber gesagt haben. Wenn das ist, so habe ich Ihre Lösungen des Knotens vergessen. Sie nehmen dreyerley Sylben an: die offene (da, o sa) die abgebrochene (sann) und die gedehnte (sahn.) Allein mich deucht es giebt ihrer viere 1) Die sich auf einen Vokal endigende abgebrochne (sa) am rechten Rand: diese / Hei sa! 2) ......... gedehnt (sa˛) am rechten Rand: Er sah / die See ( ? ) 3) .. die beyden übrigen wie Sie – Ich bin in dieser meiner Empfindung auch dadurch bestärkt worden, weil ich z. E. sehe, daß Wiser, der Ihre Orthografie annimmt, und Sie gewiß nicht minder als ich studirt hat, Ihr Dehnungszeichen sehr oft bey Sylben die sich auf einen Vocal endigen (wie zum Exempel: sah) setzt. Klopstock: Sa in: Heisa ist kurz. Es ist bei m˛ir nu˛r fon langen Silben di Rede (Über di deütsche Rechtschreibung. Zweites Fragm. In: Über Spra˛che und Dichtkunst, S. 194/195; HKA, Werke IX 1, S. 333). Der Hauptbegrif der gede˛nten Lenge ist där, daß der Selbstlaut mit dem folgenden Mitlaute oder Mitlauten ausschalle. Übrigens gibt es auch eine halbe Denung, oder eine, di kürzere Zeit wärt. Aber auch h˛ir bleibt jener Hauptbegrif.

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C. F. Cramer: Allein – kann man nicht sagen, daß gleich wie in sahn das a mit dem n ausschallt; auch in sah das a für sich ausschalle, dahin gegen in heisa es nicht ausschallt oder abgebrochen wird. – Freylich sehe ich wohl so viel ein, daß eine gedehnte Sylbe mit dem Consonant nicht allemal lang ist, dahingegen eine gedehnte Sylbe mit dem Vocal es allemal seyn muß. Sie werden mir also in Absicht meiner verlangten( ? ) Dehnungsmahlerey antworten: Lerne welche Sylben lang und welche kurz sind so weißt du schon welchen Vocal du gedehnt aussprechen mußt. Aber warum dieß erst lernen. Warum nicht gleich durch das Dehnungszeichen daran erinnert werden? Klopstock: Daß der Selbstlaut: a in: sa für sich ausschalle, hat für ˛ mich keinen reinen Begrif. Ich bemerke nu˛r, daß: sa lang ist, und daß dise Lenge dijenige Modifikazion ˛ habe, di ich den ofenen Ton ˛ nenne. Bei den drei ferschidnen Tönen braucht man nicht e˛rst zu lernen, welche Silbe lang oder kurz sei, sondern man weis es schon. ˛ Diese Töne sind weiter nichz, als Modifikazionen der Länge.

Über Prosodie in Homers „Ilias“ (24. Gesang) und in deutscher Dichtung („Der Messias“). Bruchstück

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Zum Gebrauche, wenn es etwa einem Engländer einfallen solte Einwürfe gegen die Silbenzeit unsrer Sprache drucken zu lassen. –––––––– Die Deutschen konten von ihren Dichtern, in Ansehung der zu beobachtenden Silbenzeit, denn doch wohl nicht mehr fodern, wie die Griechen von Homeren foderten. Im lezten Gesange der Ilias (dieß Beyspiel kann zureichen) sind mehr als sechzig Verlängerungen der Kürzen, und über zwey hundert und dreyssig Kürzungen der Längen. Hiervon kan sich jeder Engländer überzeugen, der den Griechen bis auf sein Silbenmaß kent. Bey guten deutschen Dichtern wird man, in einer gleichen Anzahl von Versen, (der genante Gesang der Ilias hat 800) nicht leicht zehn

Einleit. zu K. Fragmenten z. Geschichte des 7-jährigen Krieges. (1787/1788)

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Kürzungen der Längen antreffen; und Kürzendehnungen (das Schlimmere) trift man beynah gar nicht an. Daß also die deutschen Dichter mehr leisteten, als die Griechen von Homeren foderten. ––––––––

Einleitung zu Klopstocks Fragmenten zur Geschichte des Siebenjährigen Krieges.

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Bruchstück Wem Menschenschiksal nicht gleichgültig war, der hatte sich mit lebhafter Nachforschung bemüht, den siebenjährigen Krieg, diesen merkwürdigeren als selbst der dreyssigjährige ist, genauer kennen zu lernen: und so oft ihn die Erzählungen in Ungewißheit liessen, mit neuer Ungeduld nach der Geschichte ausgesehn, die sein grosser Führer schrieb. Ich folge diesem Faden durch das blutige Labirinth; aber ich thue es, nicht unbegleitet von anderen Wegweisern. Vielleicht gelingt es mir, daß ich ungetäuscht vom hartnäckigen Zweifel, und vom leichten Glauben, die Bahn finde, welche zur Wahrheit bringt. Diese, und wo sie es nicht seyn kan, die Wahrscheinlichkeit, sind mein Ziel. Der Geschichtschreiber, der nicht mit Strenge untersucht, scheinet denen, welche es auch nicht thun, auf sicherer Fahrt mit vollen Segeln und fliegenden Wimpeln in den Hafen einzulaufen; doch das ist nur Blendung, denn er scheitert: der untersuchende hingegen komt, den Bleywurf in der Hand, zwischen den Felsen durch, und läuft wirklich ein. Man thue was man will; und man wird den ersten der Geschichtschreiber, weil ihm die römische Grösse Abgöttin war, vom Sande nicht losarbeiten. Er ist unerreichbar: aber die Wahrheit ist keine Abgöttin; sie ist eine himlische Venus, und die Wahrscheinlichkeit ist ihre Grazie.

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Vorrede. Vorrede. Die Aussprüchler unsrer neuesten Zeit vermeinen: Das Gedicht sey allein durch die poetische Schönheit, was es seyn müsse; und diese be-

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dürfe auf keine Weise die Vereinung mit der sittlichen Schönheit. (Das Sittliche begreift alles Unschuldige, und Schuldige in sich was den Geist in Bewegung setzt, und oft zu Handlung wird.) Wer sich auf die unvereinte poetische Schönheit verlässt, und die Sittliche für entbehrlich hält, der weiss unter anderm noch nicht, das jene ohne diese, wegen der nicht abweisbaren Fodrungen des Herzens, oft nicht ganz sie selbst seyn könne: und über das, was den Namen des Vollendeten verdient, hat er nie gedacht. Man stelle sich zwey Dichter vor, deren Talent völlig gleich sey. Der eine verkenne die seelenvolle Harmonie, von der ich rede; und der andere verstehe, und fühle sie, dann werden die Gleichen ungleich: der erste ist nun dem lezten Proximus, sed longo proximus intervallo.

Warum Klopstock sein Leben nicht geschrieben habe.

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März 1800. Nicht Wenige haben mir ihren Wunsch gesagt, daß ich mein Leben schreiben möchte.Wenn ich dieser Erzählung auch nur einige Bildung gäbe, und sie nicht ganz ohne Wärme ließ; so klagte man mich dessen an, worüber ich, wenn ich’s an andern sah, nicht selten gelächelt oder gelacht habe, des Stolzes, oder wohl gar der Eitelkeit. Wer dieses mit mir glaubt, der verlangt keine Lebensbeschreibung von mir: wer es nicht glaubt, der mag wohl mit recht vielen Menschen umgegangen seyn, und nicht weniges über sie gelesen haben; aber kennen hat er sie nie gelernt. Ja, wenn Handschriften für Freunde dies blieben; so wäre die Sache anders.

Varia-Faszikel. 1 1800 Lange Theorien haben entweder den Fehler, daß man darin oft durch mehre Regeln lehrt, was man durch Eine könte; oder den, daß man nicht wenig ungegründete vorbringt: oder gar den, daß man Beydes vermischt. Dieses habe ich, in Beziehung auf die Theorieen der Künste, schon in meinen früheren Jahren bemerkt; und in späteren noch wahrer gefunden. Aber die Theoretiker waren da, bey ihrem Überreich-

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thume, nicht selten auch arm. Denn nicht wenig Tiefgegründetes lag ihnen jenseit der Berge. (Textverlust) 2. Ich habe eben meine Denkmale verbrant. Ich wolte sie noch Einmal durchsehn. Es waren ihrer zu wenige; und gleichwol auch zu viele. Denn die Franzosen kamen zu oft darin vor. Der Gebrauch der Feile war mir nicht zuwider; aber der Inhalt. –– 3. Ich suche ein Blatt umsonst, auf welchem die Ursachen standen, warum ich von meinem Leben nicht schrieb. Ich kann es aus dem Gedächtnisse nicht genau herstellen; ich schweige daher lieber ganz davon. Wie ich geschrieben habe, wissen Verschiedene; und mit der Zeit werden’s noch mehre. (Wer dieß nur durch Andere kennet, komt mir nicht in Betracht.) Wie ich gelebt habe, wissen meine noch übrigen Freunde; auch meine Feinde können’s. Ich glaubte einst, daß ich dieser nicht hätte, weil ich es nicht verdiente. **** –– 4. Ich habe Nelson gesehn. Ein solcher Reisender hatte mich noch nie besucht. Der grosse Krieger, und der gutmüthige Mann ist ohne alle Ansprüche. Er hatte Flaxmans Britannia triumphant noch nicht gesehn. Es fehlte nicht viel, so hätte er den Blick nicht verstanden, mit welchem ich ihm die Siegerin (vermutlich eine Zeichnung von Flaxman) übergab. Ich habe auch einen Abend bey ihm zugebracht, und seine heitere Mine von neuem so genau bemerkt, daß ich, wäre ich Zeichner, sie zeichnen könte. Der Schluß meiner Ode: Freude und Leid. war ihm jezt nicht mehr unbekant. Über den Schluß* einer anderen: Die Unschuldigen. merke ich hier an, daß Mylady Hamilton vor der Geselschaft (Dumourier war zugegen) wiederhohlte, daß sie mir spielte. (Es waren Antiken, unter andern die Niobe. Die Nina (Oper von N.-M. Dalayrac) sang sie zugleich.) Bey dem Abschiede küßte die Zauberin den Greis; dieß that auch Nelson. Späterer Nachtrag: *Diesen habe ich jezt ausgestrichen; und ich führe

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ihn nicht an, weil diese Ode noch Niemand gesehn hatte. Anders muste ich es mit dem Schlusse der Ode: Freude, und Leid. machen. Denn diese hatten schon einige gesehn. S. die Anmerkung zu der erwähnten Ode. (Vgl. HKA, Werke I 1, S 560.) –– 5. Keinen Dichter ahmet’ er nach. Auch hielt er mit keinem Wettstreit. Wer so wenig ihn kent, daß er dieses nicht siehet, Mach’ ihn glüklich, und dankbar, und laß ungelesen ihn ruhen. (Epigramm qKeinen Dichter ahmet’ er nach …p, vgl. HKA, Werke II, Nr 153; zur Streichung des Textes vgl. Apparat, S. 307.) 1801 Auch das gehöret dazu, daß er (Homer) den spondeischen Ausgang nicht selten braucht. Im vierten Gesange der Ilias, V. 1 bis 402 endigt er 24 Verse mit zwei Spondeen, und 6 mit dreyen. Ich habe die Mühe des Zählens nicht gescheut, um aufmerksam darauf zu machen, wie sehr hier die Römer ihre Meister meisterten. Homer hat übrigens in der angeführten Stelle, in Beziehung auf seine Manichfaltigkeit, Einmal geschlummert. Denn von vier sich folgenden Versen haben drey den spondeischen Ausgang. Er gibt dem Verse auch wohl vier oder gar fünf Spondeen. Pros de theoon makaroon, pros te thnätoon anthroopoon Huneka ton Chrysän ätimäs’ arätära Dieß zeigt zugleich, wie manichfaltig er in Ansehung des Silbenmaßes sey. Man kent Homers Hexameter nicht, wenn man die Verschiedenheit seiner Versbildungen überhört.

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8. Die Himlischen, welche das Kreuz, und hernach das Grab umgeben, sind gewöhnlich zwar nur theilnehmende Zuschauer; sie tragen zu der Handlung nichts bey: aber sie können gleichwohl auf Christen mehr wirken, als die meisten handelnden Personen in der Ilias auf die Griechen konten. Denn sie sind erhabner, und sie nehmen an etwas viel Grösserem Antheil, als das war, was jene Mithandelnden thaten. Wirkung hervor zu bringen ist Zweck; vorgestellte Handlung, oder Theil-

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nahme sind nur Mittel. Bey der lezten komt auch das in Betracht, daß der Theilnehmende zuweilen mehr Lebendigkeit (und was ist diese nicht in Absicht auf die Darstellung) zeigen kan, als der, welcher bloß mitausführt. Auf die Neueren wirkt Handeln und Theilnehmen in der Ilias nicht wie auf die Griechen, sondern nur, wie eben dieses im Messias auf die Nichtchristen wirkt. Ich erhielt vor Kurzem (nachträglich eingefügt: Den 25. Jul. 1801) einen Brief, in welchem mir folgende Stelle merkwürdig war: q„pOft habe ich schon Gelegenheit gehabt Gläubige und Ungläubige zu bemerken, wenn vom Messias die Rede gewesen ist. Sein Lob ist allgemein; nur mit dem Unterschiede, daß ihn die Christen im Geist und in der Wahrheit, die Unchristen aber als blosses Kunstwerk anschauen. Jedoch habe ich auch die Freude gehabt in Leipzig, wo ich bey meinen Landsleuten auch den Vorleser machte, zu bemerken, daß Ihr Messias selbst auf solche, die gar nichts zu glauben vorgaben, die heilsamsten Eindrucke machte. Wir hatten uns immer viel lieber, wenn die Vorlesung geschlossen war, und wären alle für einander gestorben, so groß fühlten sich unsere Seelen.“ Kustode: „Sueton

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Nachricht von einer neuen Ausgabe des „Messias“. (1753)

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qNachricht von einer neuen Ausgabe des „Messias“.p Herausgeber: Notificaion, som Hr. Klopstock har ladet udgaae, angaaende et nyt Oplag af hans Messias. Klopstock: Es sind bisher vier Ausgaben von dem Meßias gemacht worden, die aber alle sehr uncorrect sind, weil der Verfasser bey keiner hat zugegen seyn können. Da aber gleichwohl die beyden letzten, in Betrachtung der Lettern und des Papiers, gut sind, so wird hiermit erklärt, daß dem Verleger derselben erlaubt ist, die hinzukommenden Gesänge auf die Art, wie er angefangen hat, nachzudrucken; und daß diese neue Ausgabe, zu der sich der Verfasser allein bekennt, nur für diejenigen Leser gemacht wird, denen an einer genauen Richtigkeit gelegen ist. Ausser dieser genauen Richtigkeit wird sie auch folgende Vorzüge haben. Sie wird auf dieses feine Papier; in diesem grossen Octav, mit breitem Rande, nach Art der Engelländer; mit diesen Lettern, die dazu nach der neuesten Art gegossen sind; und in dieser Weite der Zeilen, so, daß zwanzig Verse auf einer Seite stehen, gemacht werden. Es kommen drey neue Gesänge hinzu. In den fünf ersten sind beträchtliche Veränderungen gemacht worden, die vorzüglich das Sylbenmaaß, bisweilen den Ausdruck, und nur selten den Inhalt angehen. Diese 8 Gesänge machen zween Bände aus. Dem ersten werden zwey prosaische Stücke vorgesetzt. Das eine handelt „Von der heiligen Poesie“ und das andre, „Von der Nachahmung des Griechischen Sylbenmaasses im Deutschen.“ Der ganze Messias wird einst aus fünf Bänden bestehen. Da man die Zeit nicht bestimmen kann, wenn die künftigen Bände herauskommen sollen, so wird dieß jedes mal den Herren Subscribenten in den Zeitungen vorher bekannt gemacht werden. Da diese Ausgabe unter der Aufsicht des Verfassers gedruckt wird, so dürfte sie vielleicht die correcteste seyn, die jemals gemacht werden wird. Wenn noch künftig etwas in den ersten oder folgenden Gesängen verändert werden sollte, so wird dieß jedem neuen Bande besonders beygefügt werden. Die Hrrn. Subscribenten bezahlen für jeden Band einen Thaler dänisch Courant, oder nach leichtem Gelde einen Thaler und funfzehn Kreutzer. Die Subscribtions-Zeit ist künftige Michaelmesse zu Ende. Da dießmal zween Bände auf einmal herauskommen; so wird ein Thaler bey der Subscription, und noch einer beym Empfange der zween ersten Bände bezahlt. Wer nicht subscribirt, bezahlt künftig einen Dritthel mehr. Die Exemplare werden Ostern 1754. auf der Leipziger Messe

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Gedrucktes Informationsblatt für die Beförderer der Subskription der „Gelehrtenrepublik“. Text: HKA, Briefe VI, 36, 2–25. Auch: HKA, Briefe VI, 37 und 38.

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Gedrucktes Informationsblatt für die Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“. Text: HKA, Briefe VI, 37, 55–101.

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Subscriptions-Plan zu folgender Schrift. „Die Deutsche Gelehrten-Republik. Ihre Einrichtung, ihre Gesetze, Geschichte ihres letzten Land-Tages. Auf Befehl der Aldermänner durch Salogast und Wlemar. Herausgegeben von Klopstock. Erster Theil.“ (Es folgt noch einer.) Vorerinnerung: Man sieht diesen Plan von einer falschen Seite an, wenn man glaubt, daß ich ihn genannter Schrift halben gemacht habe. Meine Absicht ist, zu versuchen, ob es möglich sey, daß die Gelehrten durch so eingerichtete Subscriptionen Eigenthümer ihrer Schriften werden. Denn jetzt sind sie dies nur dem Scheine nach; die Buchhändler sind die wirklichen Eigenthümer, weil ihnen die Gelehrten ihre Schriften, sollen sie anders gedruckt werden, wohl überlassen müssen. Es wird sich bey diesem Anlasse zeigen, ob man darauf hoffen könne, daß das Publicum den Gelehrten, und diese sich untereinander (von dem letzten weiß ich schon jetzt nicht wenig) dazu beförderlich seyn werden, daß sie zu dem wirklichen Besitze ihres Eigenthums gelangen. Ich wünsche nichts so sehr, als bald Nachfolger zu haben; und diese bitte ich, mir zu schreiben, weil ich glaube, ihnen dieß und jenes nicht ganz gleichgültige über die Sache sagen zu können.

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I. Papier und Druck: 1) Scharfe Lettern, vollkommene Schwärze der Farbe, Postpapier, und dies durchgehends von gleicher Güte. 2) So correct, daß, wenn man fortfährt, wie ich anfangen will, Correction künftig das Unterscheidungszeichen der Subscriptionsbücher und der Verlagsbücher sein wird. II. Wie die Namen der Subscribenten vorgedruckt werden. 1) Die Namen der Städte, nicht nur der größern, sondern auch der kleinern. 2) Bey diesen die Zahl der Subscribenten. 3) Die Namen der Subscribenten selbst. 4) Die Zahl der Ungenannten. III. Preis. 1 Rthlr. in schwerem Gelde, oder 1 Rthlr. 3 Gr. nach Louis d’or. IV. Schließung der Subscription. Zeit der Herausgabe. 1) Nach dem 12ten October d. J. werden keine Subscribenten mehr angenommen. Wer später Exemplare verlangt, bezahlt sie mit einem Drittheil mehr, und sorgt auch für den Transport. Dieses bleibt so auch in dem Falle eines Nachdrucks. Wird einer gemacht, und der ehrlose Mensch, der ihn gemacht hat, entdeckt; (dies ist ziemlich leicht, wenn man es recht will) so wird der Name desselben in die Zeitungen gesetzt. 2) Der Druck wird den 1sten Januar 1774. vollendet seyn.

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V. Früher Empfang. Wenn die Collecteur nicht saumselig sind; so bekommen die Subscribenten ihre Exemplare eher, als man sonst neue Bücher zu bekommen pflegt. Denn es wird gleich nach der Überlieferung emballirt und versendet. Man hat hier fast täglich Gelegenheit in Versendungen.

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VI. Geführte Correspondenz. Verschiedene meiner Freunde, und ich, haben schon seit einiger Zeit in der Absicht correspondirt, um zu erfahren, ob diese litterarische Unternehmung (ich rede von der Sache in ihrem Fortgange betrachtet, und nicht von dem jetzigen kleinen Anfange) Beförderer finden werde; und zugleich auch in der Absicht, um Collecteur nicht nur für mich, sondern auch für die zu bekommen, welche auf gleiche Art wollen subscribiren lassen. Ich sage es mit keinem kleinen Vergnügen, daß mir

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nun schon viele und eifrige Beförderer bekannt sind; und ich statte ihnen hiermit den lebhaftesten Dank, vornehmlich auch deswegen ab, weil sie sich der gemeinschaftlichen Sache der Gelehrten annehmen wollen. Es ist mir angenehm gewesen, daß auch Gelehrte haben Collecteur seyn wollen. Weil aber Deutschland so groß ist, und die Correspondenz so viel Zeit und Kosten erfordert, so breche ich sie hiermit ab, und erkläre zugleich, daß die, welche Collecteur seyn wollen, mir es so schreiben müssen, daß ich die Briefe spätestens den 20ten Julii erhalte. Ich werde hierauf die Namen und Addressen sowol derer Collecteur, die ich schon habe, als derer, die mir noch schreiben werden, in dieser Zeitung bekannt machen. Doch die für Hamburg und Altona will ich schon jetzt nennen. Sie sind: Herr von Winthem im Grimm, Mad. Schmidt auf dem Gertruden-Kirchhof, Herr Professor Ehlers. VII. Transportörter. Die Örter, nach denen allein von Altona aus transportiret wird, müssen auch deswegen angezeigt werden, damit die Collecteur in den umliegenden Örtern sagen können, wohin für sie versendet werden soll. Es sind folgende: Aachen, Augsburg, Basel, Bayreuth, Bern, Berlin, Braunschweig, Bremen, Breslau, Cassel, Coburg, Colberg, Cotbus, Darmstadt, Dessau, Dresden, Düsseldorf, Embden, Frankfurt am Mayn, Frankfurt an der Oder, Gera, Glogau, Göttingen, Grätz, Greifswald, Halle, Hannover, Heidelberg, Hirschberg, Inspruck, Itzehoe, Kiel, Langensalze, Leipzig, Lenzen, Lübeck, Lüneburg, Magdeburg, Marpurg, München, Meinungen, Münster, Neiße, Nördlingen, Nürnberg, Olmütz, Osnabrück, Passau, Prag, Quendlinburg, Regensburg, Rostock, Salzburg, Schafhausen, Schleswig, Stargard, Stettin, Straßburg, Stutgard, Ulm, Wesel, Wetzlar, Wien, Wismar, Würzburg, Zelle, Zittau, Zürch. VIII. Collecteur. qap Ich biete ihnen diese Bedingungen an: 1) Wenn der Ort ihres Aufenthalts einer der Transport-Örter, und von Altona 25 Meilen und darunter entfernt ist, so bezahle ich ihnen für 50 Exemplare, und darunter, 16 pr. C. und für alle Exemplare, die über 50 sind, 18 pr. C. Wenn die Entfernung 50 Meilen, und darunter ist, 17 pr. C.: für 50 Exemplare und darunter, und 19 pr. C. bey der angegebenen größern Zahl der Exemplare. Dies geht, bey weiterer Entfernung, nach

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der Abtheilung durch 25 Meilen, und in Beziehung auf die Zahl der Exemplare, mit gleicher Vermehrung der pr. C. fort. 2) Ich trage die Kosten der Emballage und der Spedition auch da, wo umgeladen wird. qbp Dagegen sind die Collecteur verbunden: 1) Ihre Briefe zu frankiren, und sich empfehlen zu lassen. (Bey Gelehrten, oder sonst bekannten Personen, fällt dies von selbst weg.) Die, welche mir Collecteur empfehlen, verpflichten sich dadurch gleichwol nicht zur Bürgschaft für sie. 2) Die Collecteur lassen ihre Exemplare binnen 14 Tagen von der Zeit der Herausgabe an in Altona in Empfang nehmen, und zugleich nach Abzuge der ihnen versprochenen pr. C. bezahlen. Weil so viele Subscription und Pränumeration mit einander verwechseln, so merke ich hier an, daß, wer subscribiren läßt, die Bezahlung nicht vor, sondern erst bey der Überlieferung der Waare bekomme. Die Collecteur mögen (auf Verlangen zeige ich ihnen Commißionaire an) so genau nachsehen lassen, als sie nur immer wollen, ob die Exemplare gut und unbeschädigt sind. Man muß hier, wie ich glaube, lieber sogar der Chicane nachgeben, als nicht alles Mögliche dazu beytragen, daß die Subscribenten völlig gute Exemplare erhalten. 3) Die Collecteur bezahlen den Transport. Hierzu wird der kürzeste Weg gewählt. 4) Die Collecteur in umliegenden Örtern bekommen, nach der angezeigten Verschiedenheit der pr. C. gerechnet, 1 pr. C. mehr, als die in den Transport-Örtern. Sie können von diesen wählen, welchen sie wollen. Es wird eben nicht darauf gesehen, ob er ihnen der nächste ist. 5) Sie treffen mit den Collecteur in den Transport-Örtern ihre Einrichtung, der bis dorthin für sie bezahlten Fracht halben. (Da alles, was unter 50 Pfund wiegt, in das Brandenburgische nur mit der Post geschickt werden kann; so erbiete ich mich, dortigen Collecteur, auf den Fall des genannten geringen Gewichts, zu 2 pr. C. mehr, als die andern Collecteur zu bekommen.) 6) Wenn ein Collecteur nicht spätestens den 15ten Jan. 1774. in Empfang nehmen und bezahlen läßt, so hört dadurch meine Verbindlichkeit gegen ihn auf. Ich werde übrigens schon dafür sorgen, daß die Subscribenten dennoch ihre Exemplare bekommen.

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IX. Beförderer der Subscription. Ich verstehe darunter nicht nur Gelehrte, sondern auch Liebhaber und Liebhaberinnen der Wissenschaften. Ich überlasse ihnen auf alle Weise, bey der Sache so zu verfahren, wie sie es dem Zwecke am gemäßesten finden; um eins nur muß ich sie ersuchen, nämlich, mir binnen oben angezeigter Zeit von 6 Wochen, sowol in dem Orte ihres Aufenthalts, als in umliegenden Örtern, die kleinen nicht ausgenommen, sichere, und solche Collecteur zuzuweisen, die sich regen, und die Sache nicht nachläßig treiben. Die gehabten Unkosten, als: Porto, Ausgaben an die, welche sie bey der Subscription brauchen, oder was es sonst seyn mag; ferner die von ihnen vermutheten künftigen Unkosten der Fracht, die manchmal ungleich sind, (Emballage und Spedition gehen sie nicht an) lassen sie bey Überlieferung der Exemplare von der Bezahlung abziehen, und melden mir nur überhaupt die Summe des Abzugs, ohne alle Specification. Ich lasse die Namen derer, die mir es erlauben, unter der Aufschrift: Beförderer der Subscription, nebst der Zahl ihrer Subscribenten, besonders vordrucken. Die Ungenannten werden durch die Zahl der Subscribenten unterschieden. Hamburg, den 8ten Junii, 1773. Klopstock.

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Nachricht von der Subscription auf die „Gelehrtenrepublik“. 1773. Nachricht von der Subscription auf folgende Schrift: Die Deutsche Gelehrten-Republik, ihre Einrichtung, ihre Gesetze, Geschichte ihres letzten Landtages. Auf Befehl der Aldermänner durch Salogast und Wlemar. Herausgegeben von Klopstock. Erster Theil. (1 Alphabet stark. Preis 1 Rthlr. in schwerem Gelde, oder 1 Rthlr. 3 Gr. den Louis d’or zu 5 Rthlr.) In dem Subscriptions-Plane ist versprochen worden, (s. Nr. VI.) bald nach dem 20sten Julii die Namen der Collecteur anzuzeigen. Dies geschieht hierdurch.

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Es folgen, geordnet nach 105 Städtenamen, die Namen der Kollekteure. Ich wiederhole es: Die Hauptabsicht, warum ich auf die angezeigte Schrift subscribiren lasse, ist, zu versuchen, ob die Gelehrten hoffen dürfen, durch Subscriptionen nach dem den 8ten Junii bekannt gemachten Plane sich der Abhängigkeit, in welcher sie die Buchhändler so lange erhalten haben, zu entziehen, und als nunmehrige nicht bloß scheinbare, sondern wirkliche Besitzer ihrer Werke, bey dem Verkaufe derselben von dem Publico abzuhängen. Ohne diese Absicht hätte ich die Schrift einem Verleger überlassen. So wenig habe ich um ihrentwillen einen so umständlichen Plan gemacht. In diesem Gesichtspunkte muß man die Sache ansehen, wenn ich sage, daß die Anzahl der Städte, in denen Collecteur sind, noch nicht zureichend zu einem Versuch ist, der nicht eher als gemacht kann angesehen werden, als bis man sich mit demselben durch ganz Deutschland ausgebreitet hat. Um ihn also zu machen, wie er gemacht werden muß, und damit, wenn er so gelingen sollte, wie es schon jetzt scheint, daß er gelingen werde, diejenigen, welche in diesem Falle meine Nachfolger werden seyn wollen, das Wesentlichste völlig eingerichtet vor sich finden; so wende ich mich hiermit vornehmlich an die Gelehrten in verschiedenen noch fehlenden, auch kleinern Städten, und ersuche sie, die Collectur daselbst zu übernehmen. Ich wünsche, daß da, wo Beförderer sind, gleichwol auch Collecteur seyn mögen. Andere Scribenten werden andere Beförderer ha-

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ben; aber die Collecteur, wo nicht alle, doch die meisten bleiben es für jeden. Die Namen der sämmtlichen Collecteur werden in einer Nachricht von der Subscription, die ich dem Buche beydrucken lasse, angezeigt. Diejenigen, welche noch Collecturen übernehmen wollen, schreiben es entweder an mich, oder auch an meinen Freund, Herrn Boie, in Göttingen, der schon sehr vieles zum bisherigen guten Fortgange der Sache beygetragen hat, und bey dem es dem Publico nicht gleichgültig seyn kann, ihn schon jetzt auch von dieser Seite gekannt zu haben, wenn dasselbe mit der Zeit sehen wird, daß man seinen Vorheil dabey findet, wenn man Subscriptions-Bücher kauft. Daß dem so sey, erhellet aus folgenden: 1) Subscribenten sind nicht eher zu bezahlen verbunden, als bis sie die Bücher bekommen; ein Vorzug der Subscription vor der Pränumeration. 2) Die Subscriptions-Bücher haben den Vorzug des frühern Empfangs vor den Verlags-Büchern. (Nach manchen Örtern kommen diese sogar nicht einmal, wenn sie nicht verschrieben werden.) 3) Vor den gutgedruckten Verlags-Büchern haben die Subscriptions-Bücher (mich deucht, daß alle gutgedruckt seyn müßten,) den Vorzug der genaueren Correction, und wo nicht vor allen, doch vor den meisten, auch des geringern Preises. 4) Den letzten Vorzug haben sie zwar vor den auf die gewöhnliche Art gedruckten Verlags-Büchern nicht; diese sind aber auch, was die Güte des Drucks anlanget, so beschaffen, daß die Vergleichung beynahe ganz aufhört. 5) Noch mehr hört die Vergleichung bey dem Nachdrucke auf, der zwar sehr wohlfeil, allein, zugleich auch wahre Sudeley zu seyn pflegt. Man denkt von dem Publico nicht, wie man soll, wenn man glaubt, daß es den Nachdruck der Subscriptions-Bücher werde begünstigen wollen. Ich für mein Theil mag mich einer solchen Vermuthung nicht schuldig machen; ich hoffe vielmehr, dieser Nachdruck werde in seinen Winkeln liegen bleiben, und das nicht nur deswegen, weil die, welche ihn machen, schlechte Leute sind, sondern auch, weil er, wenn er gekauft wird, den Fortgang einer guten Sache hindert. Damit ich Zeit gewinne, noch mehr Collecteur zu bekommen, so setze ich die Termine weiter hinaus. Die Subscription wird den 12ten November d. J. geschlossen, und das Buch den 1sten Februar 1774 herausgegeben. Die Beförderer und Collecteur lassen binnen 14 Tagen nach der Herausgabe in Altona in Empfang nehmen, und bezahlen. Einige meiner Correspondenten haben gewollt, daß ich den Inhalt der Schrift anzeigen möchte. Ich würde ihrem Rathe

Nachricht von der Subscription auf die „Gelehrtenrepublik“. (1773)

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gerne folgen, wenn ich einen Mittelweg kennte, zwischen einer ganz kurzen, trocknen, und dadurch nachteiligen Anzeige, und einer umständlichern, aber eben dadurch auch so beschaffenen Anzeige, daß dabey der Schein der Selbstempfehlung unvermeidlich ist. Hamburg, den 30sten Julii, 1773.

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Klopstock.

Gedrucktes Informationsblatt „Promemoria“ für die Beförderer und Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrenrepublik“ vom 30. Juli 1773. Text: HKA, Briefe VI, 70; 71.

Gedrucktes Informationsblatt „Note“ an die Beförderer und Kollekteure bei der Subskription der „Gelehrtenrepublik“ vom Februar 1774. Text: HKA, Briefe VI, 121.

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Nachricht von der Subscription. Dieser erste Versuch nach dem von mir gemachten Subscriptionsplane ist weit über meine Erwartung gelungen. Viele würdige Gelehrte, und auch andre schäzbare Männer haben mit Eifer, und durch die That gezeigt, daß ihnen diese gemeinschaftliche Sache der Gelehrten nicht gleichgültig wäre. Sie ist jezo völlig eingerichtet. Denn die Beförderer und Collecteur, oder kürzer, meine Correspondenten haben die von mir vorgeschlagnen Bedingungen angenommen. Ein Gelehrter, der künftig ein Buch nach diesem Plane herausgeben, das heist, der die in demselben festgesezten Bedingungen erfüllen will, hat nun weiter nichts zu thun, als daß er sein Buch öffentlich anzeige, dabey erkläre, daß er nach meinem Plane subscribiren lasse, und dann erwarte, was ihm die Correspondenten zu der von ihm bestimten Zeit schreiben werden. (Ich erbiete mich hierdurch allen denen, die auf die angeführte Art wollen subscribiren lassen, zum Correspondenten; aber ich verbitte mir zugleich ein Correspondent derer zu seyn, die einen andern Plan haben, besonders wenn Pränumeration mit dazu gehört.) Ich habe denen, die auf meine Art subscribiren lassen, nur dieses zu sagen: Wenn sie auch in diesem oder jenem Orte besondre Freunde haben, von denen sie glauben, daß sie die Sache mit vorzüglichem Eifer betreiben würden; so müssen sie sie gleichwol diesen Freunden nicht auftragen. Denn die Subscriptionen müssen mit der Zeit eine nicht ganz zu verachtende Nebeneinname für diejenigen werden, welche die Collecturen übernommen haben. Es ist wol keinem Zweifel unterworfen, daß derjenige, welcher subscribiren läst, das Buch herausgeben müsse, wenn er auch nur eben so viel Subscribenten hat, als zur Bestreitung der Unkosten erfodert werden. Wenn aber einer hierzu nicht Subscribenten genung bekäme, und also das Buch nicht heraus geben könte; so solte er gleichwol, wie mir es vorkomt, denen seiner Correspondenten, welche Subscribenten eingesandt haben, die festgesezten p. C. bezahlen. Denn es ist nicht ihre Schuld, daß das Buch nicht kann heraus gegeben werden. Sollte hier und da ein Correspondent es nicht ferner seyn können, oder wollen, oder auch den Ort seines Aufenthalts verändern; so kann, mich deucht, der, welcher subscribiren läst, erwarten, daß ihm Nachricht davon gegeben werde. Ich überlasse es denen Correspondenten, die Herrn

Nachricht von der Subskription auf die „Gelehrtenrepublik“. (1774)

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Boie oder mir zulezt nicht mehr geschrieben haben, was sie bey einer neuen Subscription thun wollen. Ich habe nach geschlosner Subscription noch folgende Correspondenten bekommen: Frankfurth an der Oder Hr. Prof. Zobel. Helmstädt Hr. Prof. Schirach. Hr. v. der Lühe. Jauer Hr. Prorector Flögel. Regenspurg Hr. Legat. Secretär Loder. Saarbrük Hr. H. L. Wagner, Hofmeister. Soest Hr. F. W. Balke, Buchhändler. Hr. F. C. Müller, Cand. Stockholm Hr. Gjörwell, Königl. Bibliothekar. Stolzenau Hr. Amtsvogt Tappen. Würzburg Hr. Doct. Schmidt. Zweybrücken Hr. Prof. Piel. An verschiednen Örtern (die kleineren werden nicht ausgenommen) fehlen noch Correspondenten. So wie ich mehre bekomme, werd ich sie von Zeit zu Zeit in den Zeitungen, und zulezt Alle in dem Anhange des zweyten Theils der G. R. anzeigen. Folgendes enthält das Wesentlichste aus dem Subscriptionsplane (8ten Jun. 73) aus der Nachricht (30ten Jul.) aus einem nur für die Correspondenten gedrukten Promemoria, (30ten Jul.) und ausser dem noch 2 jezt hinzukommende Zusäze zum Vortheile der Correspondenten. I. 1 Die Bücher werden auf gut Papier*, und correct gedrukt, aber ohne vertheurende Kupfer oder Vignetten. 2 Sie müssen nicht nur keinen hohen Preis haben, sondern wohlfeil seyn. 3 Die Subscribenten bezahlen erst beym Empfange** der Bücher. 4 Es wird so schnell, als es nur möglich ist, versendet.

* (gut Papier) zum wenigsten auf das beste Drukpapier, das zu haben ist. (correct) Es muß also auf die Kosten nicht gesehn werden, die der Umdruk einiger Blätter macht. (Kupfer Vignetten) Wenn die Subscriptionssache Dauer haben soll; so muß diese bey den meisten Büchern überfliessige Vertheurung vermieden werden. (wohlfeil) Ohne diese Rüksicht auf den Vortheil des Publicums, kann es mit den Subscriptionen keinen Bestand haben. ** (beym Empfange) Geld vor der Waare kann in keiner Art Handlung Bestand haben. Wollen indeß einige Subscribenten zur Erleichterung dieser guten Sache früher bezahlen; so ist das zwar recht gut: aber in dem Plane konte nicht darauf gerechnet werden. (schnell versendet) Hieraus folgt, daß, wer an einem Orte lebt, von dem wenig oder keine Frachten ausgehn, an einem andern drucken lassen müsse. Versendung mit der Post würd auch deswegen zu hoch zu stehen kommen, weil nunmehr für noch bessere Emballirung, und die sehr schlechtes Wetter doch wol nicht aushielte, gesorgt werden müste.

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II. 1 Beförderer und Collecteur sind dadurch unterschieden, daß diese p. C. und jene Ersezung ihrer Unkosten bekommen. Den Collecteuren werden keine Unkosten ersezt. 2 Wenn ein Collecteur an dem Orte lebt, wo die Bücher gedruckt werden, so erhält er 15 p. C. 3 Die p. C. steigen* (dieß gilt nur von Deutschland; mit auswärtigen Collect. hab ich andre Bedingungen gemacht) von 25 Meilen zu 25 Meilen immer mit 1 p. C. mehr. 4 Wenn ein Collecteur über 50 Subscribenten hat, so bekomt er für diejenigen, die über diese Zahl sind, 2 p. C. mehr. 5 Wenn ein Collecteur so wenig Subscribenten hat, daß sein Packet mit der Post geschikt werden, oder wenn dieß, wegen der Einrichtungen im Brandenburgischen, geschehn muß; so bekomt er 2 p. C. mehr. 6 Die Transportörter** sind: Aachen, Augsburg, Basel, Bayreuth, Bern, Berlin, Braunschweig, Bremen, Breslau, Cassel, Coburg, Colberg, Cotbus, Darmstadt, Dessau, Dresden, Düsseldorf, Embden, Frankfurt am Mayn, Frankfurt an der Oder, Gera, Glogau, Göttingen, Grätz, Greifswald, Halle, Hannover, Heidelberg, Hirschberg, Inspruck, Itzehoe, Kiel, Langensalze, Leipzig, Lenzen, Lübeck, Lüneburg, Magdeburg, Marpurg, München, Meinungen, Münster, Neisse, Nordhausen, Nördlingen, Nürnberg, Olmütz, Osnabrück, Passau, Prag, Quedlinburg, Regensburg, Rostock, Salzburg, Schafhausen, Schleswig, Stargard, Stettin, Straßburg, Stutgard, Ulm, Wesel, Wetzlar, Wien, Wismar, Würzburg, Zelle, Zittau, Zürch. 7 Ein Collecteur, der nicht an einem dieser Örter lebt, wählt sich von denselben, welchen er will, um seine Bücher mit den andern dorthin bringen zu lassen. Er bezahlt seinen Antheil für die Fracht bis dahin, besorgt den ferneren Transport bis nach dem Orte seines Aufenthalts, und bekomt, nach der Weite des gewählten Transportortes gerechnet, 1 p. C. mehr. 8 Der Herausgeber trägt die Kosten der Emballirung und der Spedition. 9 Er frankirt seine Briefe. 10 Er vergütet den Correspondenten für jedes liegen bleibende Exemplar 1/3 des Subscriptionspreises. 11 Er ersezt die verloren ge-

* (die p. C. steigen) Wer also auch nur Eine Meile von dem Drukorte entfernt ist, bekomt 16 p. C. und wer nur 26 Meilen 17 p. C. u.s.w ** (Transportörter) So bald mit der Post versendet werden muß; so fält die Unterscheidung der Transportörter und der Nebenörter, und was daraus folget, weg. Falls ein Packet nach einem T. O. so klein ist, daß es in ein anderes gelegt werden muß, so wird dieser T. O. als ein N. O angesehn.

Nachricht von der Subskription auf die „Gelehrtenrepublik“. (1774)

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gangnen Packete. 12 Er erhält zu der Zeit der Herausgabe* und der Empfangnehmung nur 2/3, wenn die Zahl der Subscribenten über 30 ist; und wenn über 50, nur die Hälfte der Bezahlung, und erst in 2 Monathen nach Ankunft der Bücher den Rest. III. 1 Beförderer und Collecteur lassen binnen 14 Tagen von der Zeit der Herausgabe an, in dem Orte, den der Herausgeber anzeigt, in Empfang nehmen, und bezahlen**. Die Collecteur lassen die p. C. bey der Bezahlung abziehn; und die Beförderer ihr Ausgelegtes nebst dem, was der Transport wahrscheinlich kosten wird. (Muß an die lezten mit der Post versendet werden; so frankirt der Herausgeber.) 2 Die Collecteur frankiren ihre Briefe. 3 Beförderer und Collecteur bezahlen den Transport. Verzeichnis der Subscribenten, Beförderer, und Collecteur. Die Zahlen bey den Städten (zu diesen werden alle umliegende Örter gerechnet, die nicht Städte sind) zeigen die Anzahl ihrer Subscribenten an, und die bey den Namen der Beförderer und Collecteur zeigen an, wie viel sie Subscribenten in der Stadt, wobey sie stehn, oder auch anderswo gehabt haben. Ich habe bey die Namen der B. und C. die Anzahl ihrer Subscribenten nicht immer sezen können. Bisweilen sind ihrer mehre an Einem Orte, und es wurde mir nicht immer gemeldet, wie viel jeder hätte; und dann kont ich auch die oft an verschiednen Örtern zerstreuten Subscribenten wegen Zeitmangels nicht alle aufsuchen. Es folgen, geordnet nach Städtenamen, die Namen der Subskribenten, Beförderer und Kollekteure.

* (Zeit der Herausgabe) Ich bin es meinen Subscribenten schuldig, wegen späterer Herausgabe (mein Termin war der 1 Febr.) Rechenschaft zu geben. Es wurden mir bey Anschaffung des Papiers nicht vorauszusehende Chicanen gemacht. Das nun aus Holland verschriebne Papier kam langsam an. Die Druckerey hatte von Zeit zu Zeit Arbeiten, die nicht konten abgewiesen werden. 8 Blätter musten umgedrukt werden; und ich liefere 5 Bogen mehr, als ich versprochen habe. ** (in Empfang nehmen, und bezahlen) Diese frühere Bezahlung, durch welche die Correspondenten auf kurze Zeit in Vorschusse sind, (sie ist keine Pränumeration, weil sie erst beym Empfange geleistet wird) kann, wie mir es vorkomt, wol erwartet werden. Denn auch die Puncte: II. 10. 11. 12. sind sehr billig; und der Herausgeber muß das Papier für baares Geld anschaffen, und den Druk, so bald er fertig ist, bezahlen.

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„Die deutsche Gelehrtenrepublik. Zweyter und lezter Theil.“ „Ein Alphabet stark; auf Postpapier; mit neuen Lettern; (S. 5 (S. 493, erste Anm.) erwähnte Chicane hatte auch die Folge, daß keine Zeit mehr übrig war, neue Lettern zu diesem 1sten Theile giessen zu lassen) Preis 1 Rthlr Hamb. Cour. oder 1 Rthlr. 3 Gr. nach alten Louisd. Der Subscriptionstermin geht mit dem 1sten Octob. dieses Jahrs zu Ende. Das Buch wird den 1sten Febr. 1775. herausgegeben, und binnen dem 1sten und 15ten Febr. in Empfang genommen und bezahlt.“

Subskriptionsaufforderung zur zweiten Ausgabe der „Gelehrtenrepublik“. 1774. Subscription auf die zweyte Ausgabe des 1sten Theils der Deutschen Gelehrten-Republik. Von dieser zweyten Ausgabe, die ich machen lasse, um dem Nachdrucke etwas entgegen zu setzen, habe ich meinen Correspondenten schon vor einiger Zeit Nachricht gegeben. Ich wiederhole sie jetzo, weil zwey Punkte darinn haben müssen geändert werden. Die zweyte Ausgabe wird ein genauer Abdruck der unveränderten ersten seyn, auf eben das Papier, für denselben Preis (1 Rthlr. Hamburger Courant oder 1 Rthlr. 3 Gr. nach alten Louisd’or) und gleichfalls mit einem Verzeichnisse der Subscribenten gedruckt werden. Die Subscription gehet mit dem letzten Julius d. J. zu Ende, ich muß nämlich alsdann die Briefe haben. Die Zeit der Herausgabe ist den 15ten October, und der Empfangnehmung und Bezahlung zwischen dem 15ten und letzten October. Wer in hiesigen Gegenden keinen Commißionair hat, kann sich an Herrn Matthias Matthiessen, in Altona, addreßiren. Eben derselbe übernimmt auch die Commißionen für den zweyten und letzten Theil der Gelehrten-Republik. Hamburg, den 7ten Junii, 1774. Klopstock. P.S. Ich ersuche hierdurch den Hn. Hofrath Deinet in Frankfurt am Mayn, diesen Artikel in die Zeitungen der dortigen Gegenden einrükken zu lassen.

Gedrucktes Informationsbl. mit Subskripttionsplan ... (1779)

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Gedrucktes Informationsblatt mit Subskriptionsplan für die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779. Text: HKA, Briefe VII, 101, 103, 120.

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Gedrucktes Informationsblatt zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 8°. I. 1779. Der Messias. Ausgabe der letzten Hand. Mit kleinen Verändrungen, und wenigen kurzen Zusätzen. Dieß Papier; dieses Format; Lettern von dieser Grösse; (die neuen, welche gebraucht werden sollen, sind noch nicht fertig) dieser Raum zwischen den Zeilen. Ohne alle Druckfehler, in so fern man nehmlich die jetzige Rechtschreibung als festgesetzt annehmen kann. Es wird manches Blatt umgedruckt werden müssen; aber weder diese Mühe, noch diese Kosten sollen gespahrt werden. Die Subscribenten haben die Wahl zwischen der gewöhnlichen, und einer neuen* Rechtschreibung. Ihre Nahmen werden vorgedruckt. Preis 3 Rthlr. in Louisd’or zu 5 Rthlr. oder 8 Mark Hamburger Geld. Die wenigen überzähligen Exemplare kosten ein Dritthel mehr, und sind nur in Hamburg zu haben. Die Zeit der Subscription gehet mit dem Julius dieses Jahrs zu Ende. So wohl wegen der ungewissen Anzahl der Subscribenten, als wegen der vielen Mühe, die drey Ausgaben ohne alle Druckfehler erfordern, (es wird ausser diesen beyden Ausgaben noch eine in groß Octav gemacht) kann ich die Zeit der Herausgabe nicht festsetzen. Sie soll indeß, so bald als es möglich ist, angezeigt werden. Von der Ausgabe mit der neuen Rechtschreibung wird man bey Herrn Eckhardt, Buchdrucker in Altona, Probebogen sehn können. Wer einen oder mehr Druckfehler zuerst darinn findet, bekommt für jeden einen Louisd’or. Es folgt ein Probedruck: Der Messias XVI 307–329, 342–348 und eine Liste mit Personen, die Vorschuss nehmen. * Man kann diese aus Campens Erziehungsschriften, und aus den Fragmenten über Sprache und Dichtkunst kennen kernen, bis auf die Ausnahme, daß das dort verworfene s wieder gebraucht wird.

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Gedrucktes Informationsblatt zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 4°. II. 1779. 460

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Der Messias. Ausgabe der letzten Hand. Mit kleinen Verändrungen, und wenigen kurzen Zusätzen. Dieß Papier; dieses Format; Lettern von dieser Grösse; (die neuen, welche gebraucht werden sollen, sind noch nicht fertig) dieser Raum zwischen den Zeilen. Ohne alle Druckfehler, in so fern man nehmlich die jetzige Rechtschreibung als festgesetzt annehmen kann. Es wird manches Blatt umgedruckt werden müssen; aber weder diese Mühe, noch diese Kosten sollen gespahrt werden. Die Nahmen der Subscribenten werden vorgedruckt. Preis 4 Rthlr. in Louisd’or zu 5 Rthlr. oder 3 ½ Rthlr. Hamb. Geld. Die wenigen überzähligen Exemplare kosten ein Dritthel mehr, und sind nur in Hamburg zu haben. Die Zeit der Subscription gehet mit dem Julius dieses Jahrs zu Ende. So wohl wegen der ungewissen Anzahl der Subscribenten, als wegen der vielen Mühe, die drey Ausgaben ohne alle Druckfehler erfordern, (es werden ausser dieser noch zwey Ausgaben in klein Octav gemacht, die eine mit der gewöhnlichen, und die andre mit einer neuen Rechtschreibung) kann ich die Zeit der Herausgabe nicht festsetzen. Sie soll indeß, so bald als es möglich ist, angezeigt werden. Es folgt ein Probedruck: Der Messias XVI 307–329, 342–357.

Aufforderung zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779.

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Der Meßias. Ausgabe der letzten Hand. Mit kleinen Veränderungen, und wenigen kurzen Zusätzen. – Auf gutes Postpapier; (man kann die darauf gedruckten Subscriptionsblätter bey meinen Correspondenten sehn) zwey Formate, groß und klein Octav; mit Lettern von verschiedener Größe. Ohne alle Druckfehler, in so fern man nehmlich unsere jetzige Rechtschreibung als vestgesetzt annehmen kann. Es wird manches Blatt umgedruckt werden müssen;

Aufforderung z. Subskription auf die „Altonaer Ausg.“ d. „Messias“ (1779)

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aber weder diese Mühe, noch diese Kosten sollen gespart werden. Bey dem kleinen Formate haben die Subscribenten die Wahl zwischen der gewöhnlichen, und einer neuen* Rechtschreibung. Von der Ausgabe mit der letzten wird man bey Herrn Eckardt, Buchdrucker in Altona, Probebogen sehen können. Wer darinn einen oder mehr Druckfehler zuerst findet, der bekommt für jeden einen Louisd’or. Die Namen der Subscribenten werden vorgedruckt. Preis für das große Format: 4 Rthlr. in Louisd’or zu 5 Rthlr. oder 3 ½ Rthlr. Hamb.Geld; für das kleine Format: 3 Rthlr. in Louisd’or zu 5 Rthlr. oder 8 Mark Hamb. Geld. Die wenigen überzähligen Exemplare kosten ein Dritthel mehr, und sind nur in Hamburg zu haben. Die Zeit der Subscription geht mit dem Julius dieses Jahrs zu Ende. Sowohl wegen der ungewissen Anzahl der Subscribenten, als wegen der vielen Mühe, die drey Ausgaben ohne alle Druckfehler erfordern, kann ich die Zeit der Herausgabe nicht vestsetzen. Sie soll indeß, so bald es möglich ist, angezeigt werden. Man subscribirt bey den Herren: Es folgen die Namen, nach Städtenamen geordnet. Wofern etwa noch sonst wo, als an den genannten Orten, einer oder der andere mein Correspondent seyn will, so bitte ich Ihn, mir es bald zu melden. Ich glaube von den Editionen, die ich itzt mache, nicht weil sie das empfehlen soll, sondern nur, weil es sich so verhält, noch sagen zu dürfen, daß sie, in Vergleichung mit unsren itzigen gutgedruckten Büchern, wohlfeil sind; und daß außerdem auch der beste Nachdruck, in Ansehung des Correcten, dagegen eine solche Sudeley seyn wird, daß selbst die, welche die Nachdrucke durch ihr Kaufen in Protection nehmen, einen Eckel daran haben werden. Hamburg, den 7ten May 1779. Klopstock.

* Man kann diese aus „Campens Erziehungsschriften“ und aus den „Fragmenten über Sprache und Dichtkunst“ kennen lernen, bis auf die Ausnahme, daß das dort verworfne s wieder gebraucht wird.

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Subskriptionsaufforderungen

Nachricht zur Subskription auf die „Altonaer Ausgabe“ des „Messias“. 1779. Der Meßias. Ausgabe der letzten Hand. Von den vier Nachdrucken des Meßias hat Christian Gottlieb Schmieder den letzten, und zwar schon zum zweytenmale gemacht. Dieser Mann hatte, nebst den andern Eigenschaften seiner Mitgesellen, auch die Schamlosigkeit, daß er um Erlaubniß zum Drucke, in nothwendig gewisser Erwartung, daß ich sie nicht geben würde, bey mir ansuchen ließ, und dann that, was er wollte. (Solche Rechte der Nachdrucker sollten, mich deucht, eine Veranlassung werden können, daß ihre erschlichenen Privilegia ihnen wieder genommen würden.) Dieser Nachdruck ist, wie mir verschiedene meiner Correspondenten schreiben, der Subscription auf die Ausgabe, welche ich zu machen vorhabe, besonders in den südlichen Gegenden Deutschlands hinderlich. Die angezeigte Sudeley hat, allein in den beyden letzten Gesängen, nicht wenig Druckfehler aller Art, z. E. andre Worte für die von mir gebrauchten; Seite 196. Segnend schaut’ in den Seligen nach 201. die andre führen. 258. allein rief. 267. vom Thron der Flammen. S 198. ist ein Wort zu viel in: Siehst den du ihn an. In folgenden Stellen fehlen Worte: S. 202. Dich an? Folge mir nach. 275. Tief in den Klüften ihr Grab. 300. Wie des Sommers Mondnacht. 302. Bluthell zum Thron. S. 242 ist ein Vers in diesen, der kein Hexameter mehr ist, verändert worden: Sie mit Schatten umgab, oder mit Schimmer des Mondes. Dies, denk ich, ist zureichend zu zeigen, was man an diesem Nachdrucke besitze. Ich glaube vermuthen zu dürfen, daß einige von denen, die ihn haben, nun, da sie ihn kennen, nicht ferner damit zufrieden seyn werden. Dies ist die Ursach, warum ich den Subscriptionstermin meiner Ausgaben, von denen ich nur wiederhole, daß sie ohne alle Druckfehler seyn werden, bis zum 15ten October d. J. verlängere. Hamburg, den 27sten August 1779. Klopstock.

Verweisungen

Verweisungen

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1751–1773 Summarien zum Messias, Gesang I-XX. Text: HKA, Werke IV 3, S. 145–161. Apparat: HKA, Werke IV 6, S. 137/138 . 1751, 1755, 1800 Textentwürfe zu Kupferstichen. Text: HKA, Werke IV 3, S. 165–169. Apparat: HKA, Werke IV 6, S. 139–143. 1768 Fragment aus einem Geschichtschreiber des neunzehnten Jahrhunderts („Wiener Plan“). Text: HKA, Werke VII 1, S. 220–222, Werke VII 2, S. 132–140. Apparat: HKA, Werke VII 2, S. 873–878. 1768 Bruchstücke eines Aufsatzes zur Förderung des Wissenschaften („Wiener Plan“). Text: HKA, Werke VII 2, S. 141–149. Apparat: HKA, Werke VII 2, S. 878–884. 1769 An den Kaiser. (Widmung vor „Hermanns Schlacht“). Text: HKA, Werke VI 1, S. 3–6. Apparat: HKA, Werke VI 2, S. 29–34.

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1782 Inschrift für ein Hermann-Denkmal Text: HKA, Briefe VII, 233, 19–55. Apparat: HKA, Briefe VII, zu 233, einführende Erläuterungen.

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1783 Inschrift für das Bethaus der evangelisch-reformierten Gemeinde in Wien Text: HKA, Briefe VIII, 18,16–27. Apparat: HKA, Briefe VIII, zu 18, einführende Erläuterungen.

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Verweisungen

1790–1795 Denkmale der Deutschen: Addenda Nr 7–Nr 10. Text: HKA, Werke VII 2, S. 166/167. Apparat: HKA, Werke VII 2, S. 662–664, 900–903. 35

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1791 Inschriften für das herzogliche Mausoleum in Oldenburg Text: HKA, Briefe VIII, 156, 29–65. Apparat: HKA, Briefe VIII, zu 155, einführende Erläuterungen. 1797–1801 Über den „Messias“. Text: HKA, Werke IV 3, S. 173/174. Apparat: HKA, Werke IV 6, S. 144–149. Zum Teil in „Varia-Faszikel“ 1800/1801, in diesem Band S. 476/477. 1799 Vom deutschen Hexameter. Aus einem Briefe Kl-s an den Herausgeber der „Auswahl aus Kl-s Nachlaß.“ Text: HKA, Briefe X, 49, 21–49 (recte: 22–50). Apparat: HKA, Briefe X, zu 49, 21–41 (recte: 22–42). 1799 Biblische Dramen. Vorrede qzu den Schauspielenp. Text: HKA, Werke V, S. 273. Apparat: HKA, Werke V, S. 448/449.

Editorisches Nachwort

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Editorisches Nachwort Klopstocks erstem Biographen C. F. Cramer kommt auch das Verdienst zu, Klopstocks lateinische Abschiedsrede, die er am 21. 9. 1745 in Schul-Pforte anlässlich seiner Entlassung aus der Schule gehalten hat, im ersten Band seiner Biographie „Klopstock. Er; und über ihn“ (Hamburg 1780) ediert und übersetzt zu haben: Declamatio, qua poetas epopoeiae auctores, recenset Frideric. Gottlieb. Klopstock (S. 99– 132, Übersetzung S. 54–98). Damit war die Rede, obwohl eine schulische Pflichterfüllung, dem Corpus der poetologisch relevanten Prosa des Autors einverleibt. A. L. Back und A. R. C. Spindler haben dann in ihrer Ausgabe „Sämmtliche sprachwissenschaftliche und ästhetische Schriften q…p“, Band 16 (1830), S. 45–82, den lateinischen Text unter dem Titel „Von der epischen Poesie q…p Genau nach dem in SchulPforta befindlichen Originalmanuskript“ weiter tradiert. Die Klopstock-Forschung hat seit langem diese Rede des einundzwanzigjährigen Schulabsolventen als ein Dokument von hoher Aussagekraft erkannt (H. Pape, Klopstock q…p Idee und Wirklichkeit dichterischer Existenz um 1750. Frankfurt/M. u. a. 1998. S. 61). Das betrifft sowohl die Klopstocksche Poetik einer heiligen Poesie als auch die vom Autor in unterschiedlichen Bereichen verfolgte Leitidee des einzeldichterischen und nationalliterarischen Wettstreits sowie das bereits beim Schulabsolventen hoch entwickelte Selbstbewusstsein. Es war deshalb selbstverständlich, die Edition der kleinen Prosaschriften mit dem lateinischen Text der Abschiedsrede zu beginnen. Cramers Übersetzungstext bietet der zugehörige Apparat im zweiten Band dieser Edition (HKA, Werke IX 2). Es folgen alle Prosatexte Klopstocks, die noch nicht in anderen Bänden der Hamburger Klopstock-Ausgabe ediert sind. Die Prosaübersetzungen aus antiken griechischen und lateinischen Autoren, die nicht in den Anmerkungen zu den Hermann-Dramen (vgl. HKA, Werke VI 1, S. 146–154; 263–266; 334–337; 339–341 sowie den Tacitus-Text vor „Hermanns-Schlacht“) und im zweiten Band der „Gelehrtenrepublik“ (vgl. HKA, Werke VII 2, S. 169–225) enthalten sind, werden in der Edition der „Grammatischen Gespräche“ (HKA, Werke VIII) geboten. Auf die bereits editierten Prosatexte wird im letzten Abschnitt „Verweisungen“ hingewiesen, um eine Gesamtübersicht über die kleine Prosa Klopstocks ohne Wiederabdruck zu ermöglichen. Nur im Falle

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der beiden erstmals im „Nordischen Aufseher“ gedruckten Aufsätze „qVon der Sprache der Poesiep“ und „qVom Range der schönen Künste und der schönen Wissenschaftenp“, von denen sich jeweils eine Handschrift deshalb erhalten hat, weil sie Bestandteil in „Klopstocks Arbeitstagebuch“ ist, wurde die jeweils letzte handschriftliche Fassung, dokumentiert als Lesefassung unter dem Titel „qVom Ausdruck“p bzw. „qVon den schönen Wissenschaftenp“(HKA, Addenda II, S. 125–144), erneut wiedergegeben: jeweils im Apparat als Basistext zur Verzeichnung der Varianten in der Druckfassung. Die Textwiederholung war in diesen Fällen um der Darstellung der Textgenese willen erforderlich. Maßgeblich bei der Wahl der Grundlage der Textwiedergabe im Falle mehrfacher Textüberlieferung waren auch in dieser Edition zwei Postulate: die textkritisch zuverlässigere Textfassung und bei gleicher textkritischer Qualität die spätere Textfassung. Vorrang hat die textkritische Bewertung. Da diese in Bezug auf die spätere Fassung von fünf Aufsätzen fraglich ist, die erstmals im „Nordischen Aufseher“ erschienen und in einer vom Autor veränderten Fassung in der Göschen-Ausgabe der „Werke“, Band 11 (Leipzig 1816) unter dem Titel „Vermischte Aufsätze“ postum gedruckt sind („Von der besten Art über Gott zu denken“, S. q233p–243; „Betrachtungen über Julian den Abtrünnigen“, S. 244–264; „Von der Freundschaft“, S. 269–284; „Ein Gespräch von der wahren Hoheit der Seele“, S. 285–292; „Gespräche von der Glückseligkeit“, S. 293–330), diente auch in diesen Fällen die Fassung im „Nordischen Aufseher“ als Textgrundlage. Dass Divergenzen der späteren Fassung gegenüber dieser ersten auf „Veränderungen“ des Autors beruhen, wie aus einer Herausgebernotiz zu schließen ist (vgl. a.a.O., S. q230p), ist nicht in Zweifel zu ziehen; problematisch ist hingegen in vielen Fällen die Unterscheidung der Änderungen des Autors von den autorfremden. Im Hinblick auf diese zweideutigen Befunde ist der textkritische Wert der Erstdruckfassung höher zu veranschlagen. (Die Änderungen sind im Abschnitt „Varianten/Lesarten“ der zugehörigen Apparate verzeichnet.) Die überwiegende Anzahl der kleinen Prosaschriften wurde in Zeitschriften, Zeitungen und in Textsammlungen gedruckt. Zu diesen Drucken sind nur ausnahmsweise Handschriften überliefert, nämlich nur in den Fällen, in denen die Handschriften textliche Vorfassungen enthalten und nicht Druckvorlagen waren, die in der Regel nach der Drucklegung vernichtet wurden. Dagegen sind in der Gruppe der Frag-

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mente aus dem Nachlass die Texte, sowohl Entstehungs- als auch Überlieferungsfragmente (textliche Relikte aus verschollenen Kontexten), überwiegend in Handschriften erhalten geblieben. Abweichend von früheren vorkritischen Ausgaben, die Klopstocks kleine Prosaschriften thematisch gruppiert bieten (vgl. HKA, Addenda I, Nr 50, 53, 59, 61), sind die Texte und Textsammlungen – wie andere Textcorpora in der Hamburger Klopstock-Ausgabe (Oden, Epigramme, Dramen) – jeweils in ihren Abteilungen chronologisch geordnet. Das Gleiche gilt für die Texte, auf die nur verwiesen wird (Abschnitt „Verweisungen“). Die beiden Textabschnitte, die als Vorabdrucke aus dem ersten, der Verteidigung des deutschen Hexameters gewidmeten Teil der Abhandlung „Fom deütschen Hexameter“ 1777 und 1778 in der Zeitschrift „Deutsches Museum“ erschienen („Von der deutschen und griechischen Quantität“ und „Von der Beobachtung der Quantität“), sind textintegral in der Gruppe der „Aufsätze“ wiedergegeben. Das geschieht weniger der Varianz wegen, die überwiegend geringfügig ist, als vielmehr wegen des apologetischen Publikationszusammenhangs. In diesen Vorabdrucken kommt zum Ausdruck, dass Klopstock offenbar G. A. Bürgers Invektive gegen den deutschen Hexameter („Bürger an einen Freund über seine teutsche Ilias“ in: Der Teutsche Merkur, 1776, S. 46–67) so ernst nahm und aufgrund ihrer lebendigen wie auch metrisch-analytischen Darstellung für so verführerisch hielt, dass er gegen die Widersacher dieser Versart rasch reagieren zu müssen meinte. Er wollte nicht bis zur Veröffentlichung der Abhandlung „Fom deütschen Hexameter“ warten. Außerdem zeigen beide vorabgedruckten Textausschnitte, worauf es dem Autor in seiner Entgegnung besonders ankam. Im Unterschied zur bisherigen editorischen Behandlung der Fragmenten-Sammlung „Über Spra˛che und Dichtkunst“ (1779/1780), deren diskursive Bestandteile herausgelöst und nach thematischen Gesichtspunkten neu gruppiert wurden, ist in dieser Edition die Sammlung als solche, integral, orthographiegetreu und in Annäherung an die äußere Textgestalt wiedergegeben. Das ermöglicht die chronologische Grundanlage der Edition, eine die Verschiedenheit der textlichen Überlieferungsbefunde bewahrende Anordnungsweise. Die Kriterien der chronologischen Gruppenbildung sind folgende: Genre (Aufsätze bzw. Mitteilungen in Zeitungen und Zeitschriften),

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Überlieferungsbeschaffenheit (Fragmente aus dem Nachlass) und Thema („Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse“). Die „Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse“ sind Überbleibsel eines vom Autor schließlich unausgeführt gelassenen Werkplans. Er gab ihn schließlich auf zugunsten der großen Abhandlung „Fom deütschen Hexameter“(1779), die in ihrem ersten Teil eine ausführliche Auseinandersetzung des Autors mit Gegnern des deutschen Hexameters enthält. Die „Fragmente aus einer Abhandlung vom Sylbenmaasse“ wurden deshalb in einer Gruppe zusammengefaßt, um aus ihr den ursprünglichen Werksammenhang erschließen zu können, in dem Klopstock die begrifflichen Grundlagen seiner Verstheorie erarbeitet hat. Außerdem liegt die Gruppierung dieser Fragmente deshalb nahe, weil die handschriftlichen Bruchstücke nur annäherungsweise zu datieren sind. Die Spitzklammer q p bedeutet entsprechend dem allgemeinen Gebrauch in der Hamburger Klopstock-Ausgabe, dass das Eingeklammerte nicht vom Autor stammt, also z. B. Überschriften von Aufsätzen, die im „Nordischen Aufseher“ erschienen sind, vermutlich vom Herausgeber dieser Zeitschrift, J. A. Cramer, herrühren, oder im Falle von Fragmenten aus dem Klopstock-Nachlass jeweils Überschriften aus dem Textanfang gebildet wurden. Von den Herausgebern dieser Edition ergänzte Überschriften sind kursiv gesetzt. Die Wiedergabe getilgten Entwurftextes erfolgt in Kastenklammern ( (, 6 7, )). Das Zeichen N M markiert textkritisch fragliche Stellen. Auf S. 322 problematisiert es die Einordnung des betreffenden Absatzes in Bezug auf den Autorwillen. Der Absatz kommt noch einmal vor auf S. 327. Möglicherweise hatte Klopstock die Absicht, den Absatz an der bezeichneten Stelle zu tilgen, und ließ diese Absicht versehentlich unausgeführt.

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Herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Freien und Hansestadt Hamburg Gesetzt aus der Sabon-Antiqua. Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Gesamtherstellung nach Entwürfen von Richard von Sichowsky, Hamburg © Copyright 2019 by Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printed in Germany www.degruyter.com

ISBN 978-3-11-061785-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062176-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061911-9 Library of Congress Control Number: 2018953199

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