Werke in sechs Bänden [2] 3534268210, 9783534268214


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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Zueignung
Vorrede zur ersten Auflage
Vorrede zur zweiten Auflage
Inhaltsverzeichnis der ersten Auflage
Einleitung
I. Von dem Unterschiede der reinen und empirischen Erkenntnis
II. Wir sind im Besitze gewisser Erkenntnisse a priori, und selbst der gemeine Verstand ist niemals ohne solche
III. Die Philosophie bedarf einer Wissenschaft, welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme
IV. Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urteile
V. In allen theoretischen Wissenschaften der Vernunft sind synthetische Urteile a priori als Prinzipien enthalten
VI. Allgemeine Aufgabe der reinen Vernunft
VII. Idee und Einteilung einer besonderen Wissenschaft, unter dem Namen einer Kritik der reinen Vernunft
I. Transzendentale Elementarlehre
Erster Teil. Die transzendentale Ästhetik
§ 1
1. Abschnitt. Von dem Raume
§ 2. Metaphysische Erörterung dieses Begriffs
§ 3. Transzendentale Erörterung des Begriffs vom Raume
2. Abschnitt. Von der Zeit
§ 4. Metaphysische Erörterung des Begriffs der Zeit
§ 5. Transzendentale Erörterung des Begriffs der Zeit
§ 6. Schlüsse aus diesen Begriffen
§ 7. Erläuterung
§ 8. Allgemeine Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik
Beschluß der transzendentalen Ästhetik
Zweiter Teil. Die transzendentale Logik Einleitung. Idee einer transzendentalen Logik
I. Von der Logik überhaupt
II. Von der transzendentalen Logik
III. Von der Einteilung der allgemeinen Logik in Analytik und Dialektik
IV. Von der Einteilung der transzendentalen Logik in die transzendentale Analytik und Dialektik
Erste Abteilung. Die transzendentale Analytik
Erstes Buch. Die Analytik der Begriffe
1. Hauptstück. Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe
1. Abschnitt. Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt
2. Abschnitt
§ 9. Von der logischen Funktion des Verstandes in Urteilen
3. Abschnitt
§ 10. Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien
§ 11
§ 12
2. Hauptstück. Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe
1. Abschnitt
§ 13. Von den Prinzipien einer transzendentalen Deduktion überhaupt
[§ 14.] Übergang zur transzendentalen Deduktion der Kategorien
2. Abschnitt. Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (B)
§ 15. Von der Möglichkeit einer Verbindung überhaupt
§ 16. Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption
§ 17. Der Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption ist das oberste Prinzip alles Verstandesgebrauchs
§ 18. Was objektive Einheit des Selbstbewußtseins sei
§ 19. Die logische Form aller Urteile besteht in der objektiven Einheit der Apperzeption der darin enthaltenen Begriffe
§ 20. Alle sinnliche Anschauungen stehen unter den Kategorien, als Bedingungen, unter denen allein das Mannigfaltige derselben in ein Bewußtsein zusammenkommen kann
§ 21. Anmerkung
§ 22. Die Kategorie hat keinen andern Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als ihre Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung
§ 23
§ 24. Von der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne überhaupt
§ 25
§ 26. Transzendentale Deduktion des allgemein möglichen Erfahrungsgebrauchs der reinen Verstandesbegriffe
§ 27. Resultat dieser Deduktion der Verstandesbegriffe
Kurzer Begriff dieser Deduktion
2. Abschnitt. Von den Gründen a priori zur Möglichkeit der Erfahrung (A)
Vorläufige Erinnerung
1. Von der Synthesis der Apprehension in der Anschauung
2. Von der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung
3. Von der Synthesis der Rekognition im Begriffe
4. Vorläufige Erklärung der Möglichkeit der Kategorien, als Erkenntnissen a priori
3. Abschnitt. Von dem Verhältnisse des Verstandes zu Gegenständen überhaupt und der Möglichkeit, diese a priori zu erkennen (A)
Summarische Vorstellung der Richtigkeit und einzigen Möglichkeit dieser Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (A)
Zweites Buch. Die Analytik der Grundsätze
Einleitung. Von der transzendentalen Urteilskraft überhaupt
1. Hauptstück. Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe
2. Hauptstück. System aller Grundsätze des reinen Verstandes
1. Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller analytischen Urteile
2. Abschnitt. Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile
3. Abschnitt. Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze desselben
1. Axiomen der Anschauung
2. Antizipationen der Wahrnehmung
3. Analogien der Erfahrung
A. Erste Analogie. Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz
B. Zweite Analogie. Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität
C. Dritte Analogie. Grundsatz des Zugleichseins, nach dem Gesetze der Wechselwirkung, oder Gemeinschaft
4. Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt
Widerlegung des Idealismus
Allgemeine Anmerkung zum System der Grundsätze
3. Hauptstück. Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena
Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechselung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen
Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe
Zweite Abteilung. Die transzendentale Dialektik Einleitung
I. Vom transzendentalen Schein
II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transzendentalen Scheins
A. Von der Vernunft überhaupt
B. Vom logischen Gebrauche der Vernunft
C. Von dem reinen Gebrauche der Vernunft
Erstes Buch. Von den Begriffen der reinen Vernunft
1. Abschnitt. Von den Ideen überhaupt
2. Abschnitt. Von den transzendentalen Ideen
3. Abschnitt. System der transzendentalen Ideen
Zweites Buch. Von den dialektischen Schlüssen der reinen Vernunft
1. Hauptstück. Von den Paralogismen der reinen Vernunft(B)
Widerlegung des Mendelssohnschen Beweises der Beharrlichkeit der Seele
Beschluß der Auflösung des psychologischen Paralogisms
Allgemeine Anmerkung, den Übergang von der rationalen Psychologie zur Kosmologie betreffend
1. Hauptstück. Von den Paralogismen der reinen Vernunft (A)
Erster Paralogism der Substantialität
Zweiter Paralogism der Simplizität
Dritter Paralogism der Personalität
Der vierte Paralogism der Idealität (des äußeren Verhältnisses)
Betrachtung über die Summe der reinen Seelenlehre, zu Folge diesen Paralogismen
2. Hauptstück. Die Antinomie der reinen Vernunft
1. Abschnitt. System der kosmologischen Ideen
2. Abschnitt. Antithetik der reinen Vernunft
Erster Widerstreit der transzendentalen Ideen
Zweiter Widerstreit der transzendentalen Ideen
Dritter Widerstreit der transzendentalen Ideen
Vierter Widerstreit der transzendentalen Ideen
3. Abschnitt. Von dem Interesse der Vernunft bei diesem ihrem Widerstreite
4. Abschnitt. Von den transzendentalen Aufgaben der reinen Vernunft, in so fern sie schlechterdings müssen aufgelöset werden können
5. Abschnitt. Skeptische Vorstellung der kosmologischen Fragen durch alle vier transzendentale Ideen
6. Abschnitt. Der transzendentale Idealism, als der Schlüssel zu Auflösung der kosmologischen Dialektik
7. Abschnitt. Kritische Entscheidung des kosmologischen Streits der Vernunft mit sich selbst
8. Abschnitt. Regulatives Prinzip der reinen Vernunft in Ansehung der kosmologischen Ideen
9. Abschnitt. Von dem empirischen Gebrauche des regulativen Prinzips der Vernunft, in Ansehung aller kosmologischen Ideen
I. Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Zusammensetzung der Erscheinungen von einem Weltganzen
II. Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Teilung eines gegebenen Ganzen in der Anschauung
Schlußanmerkung zur Auflösung der mathematischtranszendentalen, und Vorerinnerung zur Auflösung der dynamisch-transzendentalen Ideen
III. Auflösung der kosmologischen Ideen von der Totalität der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen
Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit, in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnotwendigkeit
Erläuterung der kosmologischen Idee einer Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnotwendigkeit
IV. Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Abhängigkeit der Erscheinungen, ihrem Dasein nach überhaupt
Schlußanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft
3. Hauptstück. Das Ideal der reinen Vernunft
1. Abschnitt. Von dem Ideal überhaupt
2. Abschnitt. Von dem transzendentalen Ideal (Prototypon transscendentale)
3. Abschnitt. Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen
4. Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes
5. Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes
Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins in allen transzendentalen Beweisen vom Dasein eines notwendigen Wesens
6. Abschnitt. Von der Unmöglichkeit des physikotheologischen Beweises
7. Abschnitt. Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft
Anhang zur transzendentalen Dialektik
Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft
Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft
II. Transzendentale Methodenlehre
1. Hauptstück. Die Disziplin der reinen Vernunft
1. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche
2. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen Gebrauchs
Von der Unmöglichkeit einer skeptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft
3. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen
4. Abschnitt. Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise
2. Hauptstück. Der Kanon der reinen Vernunft
1. Abschnitt. Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft
2. Abschnitt. Von dem Ideal des höchsten Guts, als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft
3. Abschnitt. Vom Meinen, Wissen und Glauben
3. Hauptstück. Die Architektonik der reinen Vernunft
4. Hauptstück. Die Geschichte der reinen Vernunft
Nachwort des Herausgebers
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Werke in sechs Bänden [2]
 3534268210, 9783534268214

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Kant_Cover_Bd_1_Broschur:24059-3_Platon 1 RZ

22.12.2016

9:47 Uhr

Seite 2

Immanuel

Kant Werke

II

7071_Kant_Band-2.indd 2

21.06.2016 07:18:47

IMM ANUEL K ANT

Kritik der reinen Vernunft

7071_Kant_Band-2.indd 3

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Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 8., unveränderte Auflage 2016 (unveränderter Nachdruck der Sonderausgabe Darmstadt 1998) © 1956 by Insel Verlag, Wiesbaden Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einband- u. Schubergestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26816-0 (Broschur) ISBN 978-3-534-26822-1 (Leinen) ISBN 978-3-534-26821-4 (Leder) Die Ausgabe ist auch als eBook (PDF) erhältlich.

7071_Kant_Band-2.indd 4

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TITEL DER ERSTEN AUFLAGE (A)

Critik der reinen Vernunft von Immanuel Kant Professor in Königsberg. Riga, verlegts Johann Friedrich Hartknoch 1781.

TITEL DER ZWEITEN AUFLAGE (B)

Critik der reinen Vernunft von Immanuel Kant, Professor in Königsberg, der Königl. Academie der Wissenschaften in Berlin Mitglied. Zweyte hin und wieder verbesserte Auflage. Riga, bey Johann Friedrich Hartknoch 1787.

1 BACODE VERULAMIO lnstauratio magna. Praefatio De nobis ipsis silemus: De re autem, quae agitur, petimus: ut homines eam non Opinionem, sed Opus esse cogitent,· ac pro certo habeant, non Sectae nos alicuius, aut Placiti, sed utüi­ tatis et amplitudinis humanae fundamenta moliri. Deinde ut suis commodis aequi - in commune consulant - et ipsi in partem veniant. Praeterea ut bene sperent, neque lnstaura­ tionem nostram ut quiddam in/initum et ultra mortale fingant, et animo concipiant; quum revera sit infiniti erroris finis et terminus legitimus.'

1 Zusatz von B. - Übersetzung des Herausgebers: •Bacon von Veru­ lam. Instauratio magna. Vorwort. Was uns selbst angeht, so schweigen wir.Was jedoch die Sache betrifft, um die es sich handelt, so bitten wir: daß die Menschen bedenken, daß sie nicht eine bloße Meinung, sondern eine notwendige Aufgabe sei; und daß sie es für gewiß halten, daß wir nicht die Grundlagen irgendeiner Schulrichtung oder Lehrmeinung schaffen, sondern die der menschlichen Wohlfahrt und Würde. Sodann, daß sie, ihrem eigenen Vorteil angemessen, .•• gemeinsam zu Rate gehen ... und selbst Anteil nehmen.Außerdem, daß sie gute Hoffnung hegen und unsere >lnstauratio< nicht als etwas vorstellen und empfin­ den, was endlos und über das Sterbliche hinaus ist, da sie doch in Wahrheit eines endlosen Irrtums Ende und rechtmäßiger Schluß ist.«

IBII

II SR. EXZELLENZ,

DEM KÖNIGL. STA ATSMINISTER FREIHERRN VON ZEDLITZ

11 Gn ädiger Her r! Den Wachstum der Wissenschaften an seinem Teile be­ fördern, heißt an Ew. Exzellenz eigenem Interesse arbei­ ten; denn dieses ist mit jenen, nicht bloß durch den erhabe­ nen Posten eines Beschützers, sondern durch das viel ver­ trautere' eines Liebhabers und erleuchteten Kenners, innigst verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des einigen Mittels, das gewissermaßen in meinem Vermögen ist, meine Dankbarkeit für das gnädige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Exzellenz mich beehren, als könne• ich zu dieser Absicht etwas beitragen. 3 Demselben gnädigen Augenmerke, dessen Ew. Exzel­ lenz di'e erste Auflage dieses Werks gewürdigt haben, widme ich nun auch diese zweite und hiemt't zugleick 4 alle übrilge Angelegenheit meiner literärischen Bestimmung, und bin mit der tiefsten Verehrung

I

i

Königsberg den 23sten April 1787. 5

Ew. Exzellenz untertänig-gehorsamster Diener Immanuel Kant.

'Akad.-Ausg.: •vertrautere Verhältnis•. - • A: »könnte#. - 3 An­ schließend folgt als neuer Absatz in A: ,Wen das spekulative Leben ver· gnügt, dem ist, unter mäßigen Wünschen, der Beifall eines aufgeklärten, würdigen Richters eine kräftige Aufmunterung zu Bemühungen, deren Nutze groß, obzwar entfernt ist, und daher von gemeinen Augen gänzlich verkannt wird. # - 4 A: > Einem Solchen und Dessen gnädigem Augenmerke widme ich nun diese Schrift, und, Seinem Schutze,#. - s A: •den 29sten März 1781.•

IB III, V, VI IA III, IV, V, VI

VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE

II

j VORREDE'

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer GaUung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen be­ lästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Ver­ mögen der menschlichen Vernunft. In diese Verlegenheit gerät sie ohne i"hre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer höher, zu entferneteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wi'rd, daß auf diese Art ihr Geschäfte iederzeit un­ vollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genötigt, zu Grundsätzen ihre Zu-P,ucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnz"sse stehet. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche, aus wel­ chen sie zwar abnehmen kann, daß irgendwo verborgene Irr­ tümer zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsätze, deren sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probierstein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampfplatz dieser end­ losen Streitigkei'ten heißt nun M e t aphysik. Es war eine Zeit, in welcher sie die Königin aller Wissen­ schaften genannt wurde, und, wenn man den Willen vor die Tat nimmt, so verdiente sie, wegen der vorzüglichen Wichtig­ kei't ihres Gegenstandes, allerdi'ngs diesen Ehrennamen. Jetzt bringt es der Modeton des Zeitalters so mit sich, ihr alle Ver­ achtung zu bewet'sen und dt'e Matrone klagt, verstoßen und ver­ lassen, wie H e c u b a : modo maxima rerum, tot generis natis­ que potens - nunc trahor exul, inops -• Ovid. Metam.

I

1

'Diese Vorrede zu A ist in B nicht übernommen. - • Übersetzung des Herausgebers: • eben noch die Allerhöchste, mächtig durch so viel Schwiegersöhne und Kinder ••• werde ich jetzt, verstoßen und hilflos, hinweggeführt.t

IA VII, VIII, IX

12

VORREDE

Anfänglich war ihre Herrschaft, unter der Verwaltung der Do g m a ti'k e r , despotis c h. Allein, weil die Gesetzgebung noch die Spur der alten Barbarei an st'ch hatte, so artete sie durch innere Kriege nach und nach in völlige A n a r c h i e aus und die S k e p t i k e r, eine Art Nomaden, die allen beständigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrenneten von Zeit zu Zeit die bürgerUche Vereinigung. Da ihrer aber zum Glück nur wenige waren, so konnten sie nicht hindern, daß fene sie nicht immer aufs neue, obgleich nach keinem unter sich einstimmigen Plane, wieder anzubauen versuchten. In neueren Zeiten schien es zwar einmal, als sollte allen diesen Streitigkeiten durch eine gewisse P h y s i o l o g i e des menschlichen Verstandes (von dem berühmten Loc k e) ein Ende gemacht und die Rechtmäßigkeit fener Ansprüche völlig entschieden werden; es fand sich aber, daß, obgleich die Geburt fener vorgegebenen Königin, aus dem Pöbel der gemeinen Er/ahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaßung mit Recht hätte verdächtig werden müssen, dennoch, weil diese G e n e a l o g i e ihr in der Tat fälschlich an­ gedichtet war, st'e ihre Ansprüche noch immer behauptelte, wo­ durch alles wiederum in den veralteten wurmstichigen Dog ­ m a t i s m und daraus in die Geringschätzung verfiel, daraus man die wi·ssenschaft hatte ziehen wollen. Jetzt, nachdem alle Wege (wie man sich überredet) vergeblich versucht sind, herrscht Überdruß und gänzlicher I ndi f f e r e n t i s m , die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wissenschaften, aber doch zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspt'el einer nahen Umschaf­ fung und Aufklärung derselben, wenn sü durch übel ange­ brachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden. Es ist nämlich umsonst, Gleichgültigkeit in Ansehung solcher Nachforschungen erkünsteln zu wollen, deren Gegen­ stand der menschlichenNatur n i c h t gleichgültig sein kann. Auch fallen fene vorgebliche I n d i f f e r e n t i s t e n , so sehr sie sz"ch auch durch die Veränderung der Schulsprache in einem populären T on unkenntlich zu machen gedenken, wofern sie nur überall etwas denken, in metaphysische Behauptungen un­ vermeidlich zurück, gegen die sie doch so viel Verachtung vor­ gaben. Indessen ist diese Gleichgültigkeit, die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften eräugnet und gerade diejenige IAX

ZUR ERSTEN AUFLAGE

13

triOt, auf deren Kenntnisse, wenn dergleichen zu haben wären, man unter allen am weniglsten Verzicht tun würde, doch ein Phänomen, das Aufmerksamkeit und Nachsinnen verdi"ent. Sie ist oOenbar die W irkung nicht des Leichtsinns, sondern der ge­ reiften Urteilskraf t• des Zei"talters, welches sich nicht länger durch Scheinwissen hinhalten läßt, und ei·ne Auffoderung an die Vernunft, das beschwerUchste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis aufs neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der si"e bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlose Animaßungen, nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen, abfertigen könne, und dieser ist kein anderer als d i e K r i t i k d e r r e i n e n Ver n u n f t selbst. Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Vernunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, u n a b h ä ngig von a l l e r Erfahrung, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung so wohl der Quellen, als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipien. Diesen Weg, den einzigen, der übrig gelassen war, bin ich nun eingeschlagen und schmeichle mir, auf demselben die Ab­ stellung aller Irrungen angetroOen zu haben, die bisher die Ver­ nunft im erfahrungsfreien Gebrauche mit sich selbst entzweiet hatten. Ich bin ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, • Man hört hin und wieder Klagen über Seichtigkeit der Denkungsart unserer Zeit und den Ver/all gründlicher Wissenschajt. Allein ich sehe nicht, daß die, deren Grund gut gelegt'ist, als Mathematik, Naturlehre etc. diesen Vorwurf im mindesten verdienen, sondern vielmehr den alten Ruhm der Gründlichkeit behaupten, in der letzteren aber sogar übertreffen. Eben derselbe Geist würde sich nun auch in anderen Arten von Erkenntnis wirksam beweisen, wäre nur allererst vor die Berichtigung ihrer Prinzipien gesorgt worden. In Ermangelung derselben sind Gleichgültigkeit und Zwei­ fel,und,endlich, strenge Kritik, vielmehr Beweise einer g r ü n d l i c h e n Den­ kungsart. Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kri t i k , der sich alles unterwerfen muß. R e l i g i o n , durch ihre Hei l i g k e i t , und G e s e tz­ g e b u n g , durch ihre M af e s t ä t , wollen sich gemeiniglich derselben entzie­ hen. Aber alsdenn erregen sie gerechten Verdacht wider sich,und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen,die die Vernunft nur demjeni­ gen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.

IAXI, XII

14

VORREDE

daß ich mich mit dem Unvermögen der menschlichen Vernunft entschuldigte; sondern i'ch habe sie nach Prinzipien vollständig spezifiziert und, nachdem ich den Punkt des Mißverstandes der Vernunft mit ihr selbst entdeckt hatte, sie zu i'hrer völligen Be­ friedigung aufJgelöst. Zwar ist die Beantwortung fener Fragen gar nicht so ausgefallen, als dogmatischschwärmende W ißbe­ gi·erde erwarten mochte; denn die könnte nicht anders als durch Zauberkünste, darauf ich mich ni'cht verstehe, befriedigt wer­ den. Allein, das war auch wohl nicht die Absicht der Natur­ bestimmung unserer Vernunft und die Pfiicht der Philosophie war: das Blendwerk, das aus Mißdeutung entsprang, aufzu­ heben, sollte auch noch so viel gepriesener und beliebter Wahn dabei zu nickte gehen. In dieser Beschäftigung habe ich Aus­ führlichkeit mein großes Augenmerk sein lassen und ich er­ kühne mich zu sagen, daß ni'cht eine ei'nzige metaphysische Aufgabe sein müsse, die hier nicht aufgelöst, oder zu deren Auflösung nicht wenigstens der Schlüssel dargeret'cht worden. In der Tat ist auch reine Vernunft eine so vollkommene Ei'n­ heit: daß, wenn das Prinzip derselben auch nur zu einer ei'n­ zigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufge­ geben sind, unzureichend wäre, man di'eses immerhin nur weg­ werfen könnte, weil es alsdenn auch keiner der übrigen mit völliger Zuverlässigkeit gewachsen sein würde. Ich glaube, indem ich dieses sage, i·n dem Gesichte des Le­ sers einen mit Verachtung vermischten Unjwillen über, dem Anscheine nach, so ruhmredige und unbescheidene Ansprüche wahrzunehmen, und gleichwohl sind sie ohne Verglet'chung ge­ mäßigter, als die eines jeden Verfassers des gemei'nesten Pro­ gramms, der darin etwa die einfache Natur der See l e , oder die Notwendigkeit eines ersten Wel t a n f a n g e s zu beweisen vorgibt. Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche Erkenntnis über alle Grenzen möglicher Er/ahrung hinaus zu erwei'tern, wovon ich demütig gestehe: daß dieses mein Vermö­ gen gänzlich übersteige, an dessen Statt ich es lediglich mit der Vernunft selbst und i'hrem reinen Denken zu tun habe, nach deren ausführlicher Kenntnis ich nicht wei't um mich suchen darf, weil ich sie in mir selbst antreffe, und wovon mir auch schon die gemeine Logik ein Beispiel gi'bt, daß sich alle ihre IA XIII, XIV

ZUR ERSTEcN AUFLAGE einfache Handlungen völlt"g und systematisch aufzählen lassen; nur daß hier die Frage aufgeworfen wird, wie viel ich mit der­ selben, wenn mir aller Stoff und Beistand der Erfahrung ge­ nommen wird, etwa auszurichten hoffen dürfe. So viel von der Vol l s t ä n d i g k e i t in Erreichung eines j e ­ d e n , und der A usf ü h r l i c h k e i t i n Erreichung a lle r Zwecke zusammen, die nicht ein beliebiger Vorsatz, sondern die Natur der Erkenntnis selbst uns aufgibt, als der M a t e r i e unserer kritischen Untersuchung. Noch sind G e w i ß h e i t und D e u t l i c h k e i t , zwei Stücke, die die F o r m derselben betreffen, als wesentli"che Foderungen anzusehen, die man an den Verfasser, der sich an eine so schlüpfrige Unternehmung wagt, mit Recht tun kann. Was nun die G e w ißh e i t betrifft, so habe ich mir selbst das Urteil gesprochen: daß es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sei, zu m e i n e n, und daß alles, was dari"n einer Hypothese nur ähnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht vor den geringsten Preis feil stehen darf, sondern, so bald sie entdeckt wird, beschlagen werden muß. Denn das kündigt eine jede Erkenntnis, die a priori fest stehen soll, selbst an: daß sie vor schlechthinnotwendig gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori noch vielmehr, dt"e das Richtmaß, mithin selbst das Beispiel aller apodikti­ schen (philosophischen) Gewißheit sein soll. Ob ich nun das, wozu ich mich anheischig mache, in diesem Stücke geleistet habe, das bleibt gänzlich dem Urteile des Lesers anheim gestellt, weil es dem Verfasser nur geziemet, Gründe vorzulegen, nicht aber, über die Wirkung derselben bei seinen Richtern zu urtei­ len. Damit aber nicht etwas unschuldigerweise an der Schwä­ chung deriselben Ursache sei, so mag es ihm wohl erlaubt sein, diejenige Stellen, die zu einigem Mißtrauen Anlaß geben könnten, ob sie gleich nur den Nebenzweck angehen, selbst anzumerken, um den Et"nfiuß, den auch nur die mindeste Be­ denklichkeit des Lesers in diesem Punkte auf sein Urteil, in An­ sehung des Hauptzwecks, haben möchte, bei zeiten abzuhalten. Ich kenne keine Untersuchungen, die zu Ergründung des Vermögens, welches wir Verstand nennen, und zugleich zu Be­ sti"mmung der Regeln und Grenzen sei·nes Gebrauchs, wichtiger

1

IAXV,XVI

VORREDE

wären, als die, welche ich in dem zweiten Hauptstücke der tran­ szendentalen Analytik, unter dem Titel der Deduktion d e r reinen V e rs t a n d e sbegriffe, angestellt habe; auch haben sie mir die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Mühe gekostet. Diese Betrachtung, die etwas ti'ef angelegt ist, hat aber zwei· Seiten. Die eine bezieht sich auf dz'e Gegenstände des rez"­ nen Verstandes, und soll die objektive Gültigkeit sei·ner Begriffe a priori dartun und begreiflich machen; eben darum ist sz'e auch wesentlich zu meinen Zwecken gehörig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach seiner Möglz'ch­ keit und den Erkenntniskräften, auf denen er selbst beruht, mz'thin ihn in subjektiver Bezielhung zu betrachten, und, ob­ gleich dz·ese Erörterung in Ansehung meines Hauptzwecks von großer W ichtigkez't ist, so gehöret sie doch nicht wesentlich zu demselben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie vz'el kann Verstand und Vernunft, frei von aller Erfahrung, er­ kennen, und nicht, wie ist d a s V e rmögen z u d e n k e n selbst möglz'ch? Da das letztere gleichsam eine Aufsuchung der Ur­ sache zu einer gegebenen Wi'rkung ist, und z'n so fern etwas ez'ner Hypothese Ahnliches an sich hat (ob es gleich, wie ich bei anderer Gelegenheit zeigen werde, sich in der Tat nicht so verhält), so scheint es, als sei hier der Fall, da ich mir dz'e Er­ laubnis nehme, zu m e i n e n , und dem Leser also auch frei stehen müsse, anders zu meinen. In Betracht dessen muß ich dem Leser mz't der Erinnerung zuvorkommen: daß, im Fall meine subjektz"ve Deduktion nfrht die ganze Überzeugung, die frh erwarte, bei z"hm gewirkt hätte, doch die objektive, um die es mir hier vornehmlich zu tun ist, ihre ganze Stärke bekomme, wozu allenfalls dasjenige, was Seite 92. bis 93 gesagt wird, allein hinreichend sein kann. Was endlich die D e u t l i c h k e i t betrifft, so hat der Leser ein Recht, zuerst die di s k u r s i ve(logische) Deutlichke it, d u rch Begriffe, denn aber auch eine i n lt u i'tive (ästhetische) D e u t l i c h k e i t , durch A n s c h a u u n g e n , d. i. Beispiele oder andere Erläuterungen, in concreto zu fodern. Vor die erste habe ich hz'nreichend gesorgt. Das betraf das Wesen mei·nes Vorhabens, war aber auch dz'e zufällige Ursache, daß frh der zweiten, obzwar nicht so strengen, aber doch billigen Foderung JA XVII, XVIII

ZUR ERSTEN AUFLAGE

nicht habe Gnüge leisten können. Ich bin fast beständig im Fortgange meiner Arbeit unschliessig gewesen, wie i'ch es hi·e­ mit halten sollte. Beispiele und Erläuterungen scht"enen mir ,·mmer nötig und fiossen daher auch wirklich im ersten Ent­ wurfe an i"hren Stellen gehörig ein. 1eh sahe aber die Größe meiner Aufgabe und die Menge der Gegenstände, womit frh es zu tun haben würde, gar bald ein und, da ich gewahr ward, daß diese ganz allein, i·m trockenen, bloß scholastischen Vor­ trage, das Werk schon gnug ausdehnen würden, so fand ich es unratsam, es durch Beispiele und Erläuterungen, die nur in p o p u l ä r e r Absicht notwendig sind, noch mehr anzuschwellen, zumal diese Arbeit keinesweges dem populären Gebrauche an­ gemessen werden könnte und die eigentliche Kenner der Wis­ senschaft düse Erleichterung nicht so nötig haben, ob sie zwar jederzeit angenehm ist, hier aber sogar etwas Zweckwidriges nach sich ziehen konnte. Abt Te rras s o n sagt zwar: wenn man die Größe eines Buchs nicht nach der Zahl der Blätter, son­ dern nach der Zeit mißt, di·e man nötig hat, es zu verstehen, so könne man von manchem Buche sagen: d a ß e s v i e l k ü r z e r s e in w ü r d e , w e n n e s n i c h t s o k u r z w ä r e. AndererSeits aber, wenn man auf dt"e Faßlichkeit eines wet"tläuftigen, den­ noch aber in einem Prinzip zusammenhängenden Ganzen spekulativer Erkenntnis seine Absicht richtet, könnte man mit eben so gutem Rechte sagen: m a n c h e s B u c h w ä r e v i e l d e u t l i c h e r g e w o r d e n , w e n n e s n i c h t so g a r d e u t l i c h hätt e w e r d e n sollen. Denn die Hülfsmittel der Deutlich­ keit fehlen' zwar in Tei l e n , zerstreuen aber öfters im G a n ­ z e n , indem sie den Leser nicht schnell gnug zu Überschauung des Ganzen gelangen lassen und durch alle ihre helle Farben gleichwohl die Artikulatt"on, oder den Gliederbau des Systems verkleben und unkenntlich machen, auf den es doch, um über die Einhei"t und Tüchtigkei"t desselben urteilen zu können, am meisten ankommt. Es kann, wie mich dünkt, dem Leser zu nicht geringer An­ lockung dienen, seine Bemühung mit der des Ver/assers zu vereinigen, wenn er die Aussicht hat, ein großes und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauer-

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' Akad.-Ausg.: •helfen•. IAXIX

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VORREDE

haft zu vollführen. Nun ist Metaphysik, nach den BegriOen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller Wissenschaf­ ten, die sich eine solche Vollendung und zwar i·n kurzer Zeit, und mt't nur weniger, aber vereinigter Bemühung, versprechen darf, so daß nichts vor die Nachkommenschaft übrig bleibt, als in der d i d a k t i s c h e n Manier alles nach ihren Absichten ein­ zurichten, ohne darum den Inhalt im mindesten vermehren zu können. Denn es ist nichts als das I n v e n t a r ium aller unserer Besitze durch r e i n e Ve r n u n f t , systematisch geordnet. Es kann uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gänzlich aus sich selbst hervorbri"ngt, st'ch nicht verstecken kann, sondern selbst durch Vernunft ans Licht gebracht wird, sobald man nur­ das gemeinschaftliche Prinzip desselben entdeckt hat. Die voll­ kommene Einhet't dieser Art Erkenntnisse, und zwar aus lauter reinen BegriOen, ohne daß irgend etwas von Erfahrung, oder auch nur b e s o n d e r e Anschauung, die zur bestimmten Erfah­ rung leiten sollte, auf sie einigen Et"nfiuß haben kann, sie zu erweitern und zu vermehren, machen diese unbedingte Voll­ ständigkeit nicht allein tunlich, sondern auch notwendig. Te­ cum habita et noris, quam sit tt"bi curta supellex'. Persius. Ein solches System der reinen (spekulativen) Vernunft hoOe ich unter dem Titel: M e t a p h y s i k der N a t u r , selbst zu liefern, welches, bei noch nicht der Hälfte der Wet"tläuftig­ keit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben soll, als hier die Kritt"k, die zuvörderst die Quellen und Bedingungen ihrer Mög­ lickkeit darlegen mußte, und et'nen ganz verwachsenen Boden zu reinigen und zu ebenen nötig katte. Hier erwarte ich an mei­ nem Leser die Geduld und Unparteilichkeit eines Ric h t e r s , dort aber die Willfährigkeit und den Beistand eines M i t k e l­ f e r s; denn, so vollständig auch alle P r i n z i p i e n zu dem Sy­ stem in der Kritt"k vorgetragen sind, so gekört zur Ausführlich­ keit des Systems selbst doch noch, daß es auch an keinen a b ­ g e l e i t e t e n BegriOen mangele, die man a priori nickt in Überschlag bringen kann, sondern die nach und nach aufge­ sucht werden müssen, imgleichen, da dort die ganze S y n t k es i s der Begriffe erschöpft wurde, so wird überdem hier gefodert,

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1 Übersetzung des Herausgebers: • Kehre bei dir ein, und du wirst bemerken, wie knapp bemessen dein Hausrat ist. c

IAXX,XXI

ZUR ERSTEN AUFLAGE

daß eben dasselbe auch in Ansehung der A n a lys i s geschehe, welches alles leicht und mehr Unterhaltung als Arbeit ist. Ich habe nur noch einiges in Ansehung des Drucks anzu­ merken. Da der Anfang desselben etwas verspätet war, so konnte ich nur etwa die Hälfte der Aushängebogen zu sehen bekommen, in denen ich zwar einige, den Sinn aber nicht ver­ wirrende, Druckfehler antreffe, außer demjenigen, der S. 379, Zeile 4 von unten vorkommt, da s p e z i f i s c h an statt s k e p ­ t i s c h gelesen werden muß. Die Antinomie der reinen Ver­ nunft, von Seite 42.5 bis 461, ist so, nach Art einer Tafel, ange­ stellt, daß alles, was zur T h e s i s gehört, auf der linken, was aber zur A n t i t h e s i s gehört, auf der rechten Seite immer fort­ läuft, welches ich darum so anordnete, damit Satz und Gegen­ satz desto leichter mit einander verglichen werden könnte.

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IAXXII

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VORREDE

VORREDE ZUR ZWEITEN AUFLAGE Ob die Bearbeitung der Erkenntnisse, die zum Vernunft­ geschäfte gehören, den sicheren Gang einer Wissenschaft gehe oder nicht, das läßt sich bald aus dem Erfolg beurteilen. Wenn sie nach viel gemachten Anstalten und Zurüstungen, so bald es zum Zweck kommt, in Stecken gerät, oder, um diesen zu erreichen, öfters wieder zurückgehen und einen andern Weg einschlagen muß; imgleichen wenn es nicht möglich ist, die verschiedenen Mitarbeiter in der Art, wie die gemeinschaftliche Absicht erfolgt werden soll, einhellt"g zu machen: so kann man immer überzeugt sein, daß ein solches Studium bei weitem noch nicht den sicheren Gang einer Wissenschaft eingeschlagen, son­ dern ein bloßes Herumtappen sei, und es ist schon ein Ver­ dienst um die Vernunft, diesen Weg wo möglich ausfindig zu machen, sollte auch manches als vergeblich aufgegeben werden müssen, was in dem ohne Überlegung vorher genommenen Zwecke enthalten war. 1 Daß die Lo g i k diesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem A r i s t o t e l e s keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbehr­ lichen Subtilitäten, oder deutlichere Bestimmung des Vorgetra­ genen, als Verbesserungen anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschaft gehört. Merk­ würdig ist noch an i"hr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach ge­ schlossen und vollendet zu sein scheint. Denn, wenn einige Neuere sie dadurch zu erweitern dachten, daß sie teils p syc h o­ l ogi s c h e Kapitel von den verschiedenen Erkenntniskräften (der Einbildungskraft, dem Wt"tze), teils m e t a p hys i s c h e über den Ursprung der Erkenntnis oder der verschiedenen Art der Gewißheit nach Verschiedenheit der Objekte (dem Idealism, Skeptizism u.s.w.), teils a n t h r o p o l o gi·s c h e von Vorurteilen (den Ursachen derselben und Gegenmitteln) hineinschoben, so rührt dieses von ihrer Unkunde der eigentümlichen Natur die­ ser Wissenschaft her. Es ist nicht Vermehrung, sondern Ver­ unstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen in ein-

lB VII, VIII

ZUR ZWEITEN AUFLAGE

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ander laufen läßt; die Grenze der Logik aber ist dadurch ganz genau bestimmt, daß sie eine Wissenschaft z'st, welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens (es mag a priori oder empirisch sein, einen Ursprung oder Objekt haben, welches es wolle, in unserem Gemüte zufällige oder natürliche Hindernisse antreffen) ausführlich darlegt und strenge beweiset. Daß es der Logik so gut gelungen ist, diesen Vorteil hat sie bloß ihrer Eingeschränktheit zu verdanken, dadurch sie berech­ tigt, ja verbunden z'st, von allen Objekten der Erkenntnz's und ihrem Unterschi'ede zu abstrahieren, und in ihr also der Ver­ stand es mit nichts weiter, als si"ch selbst und seiner Form zu tun hat. Weit schwerer mußte es natürlicher Weise für die Ver­ nunft sein, den sicheren Weg der wi·ssenschaft einzuschlagen, wenn sie nicht bloß mit sich selbst, sondern auch mit Objekten zu schaffen hat; daher jene auch als Propädeutik gleichsam nur den Vorhof der Wz'ssenschaften ausmacht, und wenn von Kenntnz'ssen di'e Rede ist, man zwar eine Logik zu Beur­ teilung derselben voraussetzt, aber die Erwerbung derselben in eigentlich und objektiv so genannten Wissenschaften suchen muß. So fern in di'esen nun Vernunft sein soll, so muß darin etwas a priori erkannt werden, und ihre Erkenntnis kann auf zweierlei Art auf ihren Gegenstand bezogen werden, entweder diesen und seinen Begriff (der anderweitig gegeben werden muß) bloß zu b e s t i m m e n , oder ihn auch w i r k l i c h z u m a c hen. Die erste ist t h e o r e t i s c he, die andere p r a k t i s c h e E r k e nnt­ nis der Vernunft. Von beiden muß der r e i n e Teil, so viel oder so wenig er auch enthalten mag, nämlich derjenige, darin Ver­ nunft gänzlich a priori ihr Objekt bestimmt, vorher allein vor­ getragen werden, und dasjenige, was aus anderen Quellen kommt, dami't nicht vermengt werden; denn es gibt übele Wirt­ schaft, wenn man blindlings ausgi·bt, was einkommt, ohne nach­ her, wenn jene in Stecken gerät, unterscheiden zu können, wel­ cher Tei'l der Einnahme den Aufwand tragen könne, und von welcher man denselben beschneiden muß. Ma t h e m a t i k und Physik sind die beiden theoretischen Erkenntnisse der Vernunft, welche ihre O b j e k t e a priori be­ stimmen sollen, die erstere ganz rein, die zweite wenigstens zum

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I

IBIX, X

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VORREDE

Teil rein, denn aber auch nach Maßgabe anderer Erkenntnis­ quellen als der der Vernunft. Die M a t h e m a t i k ist von den frühesten Zeiten her, wohin die Gescht'chte der menschlichen Vernunft reicht, in dem be­ wundernswürdigen Volke der Griechen den sichern Weg einer Wt"ssenschaft gegangen. Allein man darf nicht denken, daß es ihr so leicht geworden, wie der Logik, wo die Vernunft es nur mit sich selbst zu tun hat, jenen königlichen Weg zu trefifen, oder vielmehr sich selbst zu bahnen; vielmehr glaube ich, daß es lange mit ihr ( vornehmlich noch unter den Ägyptern) beim Herumtappen geblieben ist, und diese Umänderung einer R e ­ v o l u t i o n. zuzuschreiben sei, die der glückliche Einfall eines einzigen Mannes in einem Versuche zu Stande brachte, von welchem an die Bahn, die man nehmen mußte, nicht mehr zu verfehlen war, und der sichere Gang ei·ner Wt"ssenschaft für alle Zeiten und in unendliche Weiten eingeschlagen und vorgezeich­ net war. Die Geschichte dieser Revolution der Denkart, welche viel wichtiger war als die Entdeckung des Weges um das be­ rühmte Vorgebirge, und des Glücklichen, der st"e zu Stande brachte, ist uns nicht aufbehalten. Doch beweiset die Sage, wel­ che D i o g e n e s d e r La e r t i·er uns überliefert, der von den kleinesten, und, nach dem gemeinen Urteil, gar nicht einmal einesBeweises benötigten,Elementen der geometrischen Demon­ strationen den angeblichen Erfinder nennt, daß das Andenken der Veränderung, die durch die erste Spur der Entdeckung dieses neuen Weges bewirkt wurde, den Mathematikern äußerst wichtig geschienen haben müsse, und dadurch unvergeßlich ge­ worden sei. Dem ersten, der den g l e i c h s e i t i g e n' Tri a n g e l demonstrierte (e r mag nun T h a l e s oder wie man will geheißen haben), dem ging ein Licht auf; denn er fand, daß er nicht dem, was er in der Figur sahe, oder auch dem bloßen Begriffe derselben nachspüren und gleichsam davon ihre Eigenschaften ablernen,sondern durch das, was er nachBegriffen selbst a priori hineindachte und darstellete(durch Konstruktion), hervorbrin­ gen müsse, und daß er, um st"cher etwas a priori zu wissen, er der Sache nichts beilegen müsse, als was aus dem notwendig folgte, was er seinem Begriffe gemäß selbst i·n st"e gelegt hat.

I

' Akad.-Ausg.: � gleichschenklichten «.

IBXI,XII

ZUR ZWEITEN AUFLAGE

23

Mit der Naturwissenschaft ging es weit langsamer zu, bis sie den Heeresweg der Wissenschaft traf; denn es sind nur etwa anderthalb Jahrhunderte, daß der Vorschlag des sinnreichen Baco von Verulam diese Entdeckung teils veranlaßte, teils, da man bereits auf der Spur derselben war, mehr belebte, welche eben sowohl nur durch eine schnell vorgegangene Revolution der Denkart erklärt werden kann. Ich will hier nur die Natur­ wissenschaft, so fern sie auf empirische Prinzipi"en gegrün­ det ist, in Erwägung ziehen. Als Galilei· seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen, oder Torricelli dt'e Luft ein Gewt'cht, was er sich zum voraus dem einer ihm be­ kannten Wassersäule gleich gedacht katte, tragen ließ, oder in noch späterer Zeit Stahl Metalle in Kalk und diesen wieder- j um in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab:* so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß dt'e Vernunft nur das einst'ekt, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipt'en ihrer Ur­ teile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nöti­ gen müsse, auf t'hre Fragen zu antworten, nicht aber sich von t'hr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Ge­ setze zusammen, welches doch dt'e Vernunft sucht und bedarf. Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in ez'ner Hand, und mt't dem Experiment, das sie nach jenen aus­ dachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf dt'e Fragen zu antworten, dt'e er ihnen vorlegt. Und so hat sogar Pkyst'k die so vorteilhafte Revolutt'on t'krer Denkart lediglich dem Et'nfalle zu verdanken, demfelnigen, was die Vernunft selbst t'n die Natur ht'net'nlegt, gemäß, dasfenige i'n ihr zu suchen (nt'ckt ihr anzu­ dt'chten), was st'e von dieser lernen muß, und wovon st'e für sich

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Ich folge hier nicht genau dem Faden der Geschichte der Experimen­ talmethode, deren erste An/änge auch nicht wohl bekannt sind.

iB XIII.XIV

VORREDE

selbst nichts wissen würde. Hiedurch ist dz'e Naturwissenschaft allererst in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht wor­ den, da sie so viel Jahrhunderte durch nichts wez'ter als ein bloßes Herumtappen gewesen war. Der Me t a p hys i k , einer ganz isolierten spekulativen Ver­ nunfterkenntnis, die st'ch gänzlich über Erfahrungsbelehrung erhebt, und zwar durch bloße Begriffe (nicht wz'e Mathematik durch Anwendung derselben auf Anschauung), wo also Ver­ nunft selbst ihr eigener Schüler sein soll, ist das Schicksal bis­ her noch so günstig nicht gewesen, daß sie den sichern Gang einer Wt"ssenschaft einzuschlagen vermocht hätte; ob sie glet'ch älter ist, als alle übrige, und bleiben würde, wenn gleich die übrigen insgesamt z'n dem Schlunde einer alles vertilgenden Barbarei gänzlich verschlungen werden sollten. Denn in ihr ge­ rät die Vernunft kontinuierlich in Stecken, selbst wenn sie die­ jenigen Gesetze, welche dz'e gemeinste Erfahrung bestätigt (wie sie st'ch anmaßt), a priori einsehen will. 1n ihr muß man un­ zählige mal den Weg zurück tun, weil man findet, daß er dahin nicht führt, wo man hz'n will, und was die Einhelligkeit ihrer Anhänger in Be!hauptungen betrifft, so ist sz'e noch so wez't davon entfernt, daß sie vielmehr ez'n Kampfplatz ist, der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im Spiel­ gefechte zu üben, auf dem noch niemals irgend ein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz gründen können. Es ist also kein Zweifel, daß ihr Verfahren bisher ein bloßes Herumtappen, und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen,gewesen sei. Woran liegt es nun, daß hier noch kein st'cherer Weg der Wissenschaft hat gefunden werden können '11st er etwa unmög­ lt'ch 'I Woher hat denn die Natur unsere Vernunft mit der rast­ losen Bestrebung heimgesucht, ihm als einer ihrer wichtigsten Angelegenheiten nachzuspüren 7 Noch mehr, wie wenig haben wfr Ursache, Vertrauen in unsere Vernunft zu setzen, wenn sie uns in einem der wichtigsten Stücke unserer Wißbegierde nicht bloß verläßt, sondern durch Vorspiegelungen hinhält, und am Ende betrügt! Oder ist er bisher nur ver/ehlt: welche Anzeige kön­ nen wir benutzen, um bei erneuertem Nachsuchen zu hoffen, daß wir glücklicher sein werden, als andere vor uns gewesen sind 'I IBXV

ZUR ZWEITEN AUFLAGE

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1eh sollte meinen, die Beispiele der Mathematik und Natur­ wissenschaft, die durch eine auf einlmal zu Stande gebrachte Revolution das geworden sind, was st'e fetzt sind, wäre' merk­ würdig genug, um dem wesentlichen Stücke der Umänderung der Denkart, die ihnen so vorteilhaft geworden ist, nachzusin­ nen, und ihnen, so viel ihre Analogie, als Vernunfterkenntnisse, mit der Metaphysik verstattet, hierin wenigstens zum Versuche nachzuahmen. Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über st'e a pri"ori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Vor­ aussetzung zu nickte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkom­ men, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis rt"chten, welches so schon besser mit der verlangten Möglt"chkeit einer Erkenntnis derselben a priori zu­ sammenstt"mmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben wer­ den, etwas festsetzen soll. Es t"st hiemt"t eben so, als mit den ersten Gedanken des Ko p e r n i k u s bewandt, der, nachdem es mt"t der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zu­ schauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen dt'e Sterne in Ruhe Zt"eß. Jn der Metaphysik kann man nun, was die A n s c h a u ­ u n g der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegen­ stände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres An­ schauungsvermögens, so kann t"ch mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. Weil ich aber bei diesen Anschauungen, wenn sie Erkenntnisse werden sollen, nicht stehen blet"ben kann, son­ dern sie als Vorstellungen auf t"rgend etwas als Gegenstand beziehen und dt'esen durch fene bestimmen muß, so kann ich entweder annehmen, dt"e B e g r i f f e , wodurch t"ch diese Bestim­ mung zu Stande bringe, richten sich auch nach dem Gegen­ stande, und denn bin ich wiederum in derselben Verlegenheit,

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' Akad.-Ausg.: »wären«.

jBXVI,XVII

VORREDE

wegen der Art, wie ick a priori kievon etwas wissen könne; oder ick nehme an, die Gegenstände, oder, welches einerlei ist, die E r f a h r u n g , in welcher sie allein (als gegebene Gegen­ stände) erkannt werden, richte sich nach diesen Begriffen, so sehe ick sofort eine leichtere Auskunft, weil Erfahrung selbst eine Erkenntnisart ist, die Verstand erfodert, dessen Regel ick in mir, noch eke mir Gegenstände gegeben werden, mithin a priori voraussetzen muß, welche in Begriffen a priori ausge­ drückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfah­ rung notwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müs­ sen. Was Gegenstände betrifft, so fern sie bloß durch Vernunft und zwar notwendig gedackt, die aber (so wenigstens, wie die Vernunft sie denkt) gar nickt in der Erfahrung gegeben werden können, so werden die Versuche, sie zu denken (denn denken müssen sie sich doch lassen), hernach einen herrlichen Probier­ stein desjenigen abgeben, was wir als die veränderte Methode der Denkungsart annehmen, daß wir nämlich von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen.* Dieser Versuch gelingt nach Wunsch, und verspricht der Metaphysik in ihrem ersten Teile, da sie sich nämlich mit Be­ griffen a priori beschäftigt, davon die korrespondierenden Ge­ genstände in der Erfahrung jenen angemessen gegeben werden können, den sicheren Gang einer Wissenschaft. Denn man

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Diese dem Naturforscher nachgeahmte Methode besteht also darin: die Elemente der reinen Vernunft in dem zu suchen, w a s s i c h d urc h e i n Exp e r i m e n t b e s tä t i g e n o d e r w i d e r l e g e n lä ß t. Nun läßt sich zur Prüfung der Sätze der reinen Vernunft, vornehmlich wenn sie über alle Grenze möglicher Erfahrung hinaus gewagt werden, kein Ex­ periment mit ihren Obje k t e n machen (wie in der Naturwissenschaft): also wird es nur mit Be g r i f f e n und G r u n d sä tze n , die wir a priori annehmen, tunlich sein, indem man sie nämlich so einrichtet, daß die­ selben Gegenstände e i n e r s e i t s als Gegenstände der Sinne und des Verstandes für die Erfahrung, a n d e r e r s e i t s aber doch als Gegen­ stände, die man bloß denkt, allenfalls für die isolierte und über Erfah­ rungsgrenze hinausstrebende Vernunft, mithin von zwei verschiedenen Seiten betrachtet werden können. Findet es sich nun, daß, wenn man die Dinge aus jenem doppelten Gesichtspunkte betrachtet, Einstimmung mit dem Prinzip der reinen Vernunft stattfinde, bei einerlei Gesichtspunkte aber ein unvermeidlicher Widerstreit der Vernunft mit sich selbst ent­ springe, so entscheidet das Experiment für die Richtigkeit jener Unter· scheidung.

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IB XVIII, XIX

Anm.:

IB XIX

ZUR ZWEITEN AUFLAGE

kann nach dieser Veränderung der Denkart die Möglichkeit einer Erkenntnis a priori ganz wohl erklären, und, was noch mehr ist, dt'e Gesetze, welche a priori der Natur, als dem In­ begriffe der Gegenstände der Erfahrung, zum Grunde liegen, mit ihren genugtuenden Beweisen versehen, welches beides nach der bisherigen Verfahrungsart unmögli'ch war. Aber es ergibt sich aus dieser Deduktion unseres Vermögens a priori zu er­ kennen im ersten Teile der Metaphysik ein befremdliches und dem ganzen Zwecke derselben, der den zweiten Teil beschäftigt, dem Anschet'ne nach sehr nachteiliges Resultat, nämlich daß wir mit ihm nt'e über die Grenze möglicher Erfahrung hinaus­ kommen können, welches doch gerade die wesentlichste Ange­ legenheit dieser Wissenschaft ist. Aber hierin l liegt eben das Experiment einer Gegenprobe der Wahrheit des Resultats jener ersten Würdigung unserer Vernunfterkenntnis a priori, daß sie nämlich nur auf Erscheinungen gehe, die Sache an sich selbst dagegen zwar als für sich wirklich, aber von uns uner­ kannt, liegen lasse. Denn das, was uns notwendig über die Grenze der Erfahrung und aller Erscheinungen hinaus zu gehen treibt, ist das Unbedingte, welches die Vernunft in den Din­ gen an sich selbst notwendig und mit allem Recht zu allem Be­ dt"ngten, und dadurch die Reihe der Bedingungen als vollendet verlangt. Ft"ndet sich nun, wenn man annimmt, unsere Erfah­ rungserkenntnis richte sich nach den Gegenständen als Dingen an sich selbst, daß das Unbedingte o h n e Wid e r s p r u c h g a r n i c h t g e d a c h t werden könne; dagegen, wenn man annimmt, unsere Vorstellung der Dinge, wie st'e uns gegeben werden, richte sich nicht nach dt'esen, als Dingen an sich selbst, sondern diese Gegenstände vielmehr, als Erscheinungen, richten sich nach unserer Vorstellungsart, d e r Wid e r s p r u c h w e g f a l l e; und daß folglich das Unbedingte nicht an Dingen, so fern wir sie kennen (sie uns gegeben werden), wohl aber an ihnen, so fern wir sie nicht kennen, als Sachen an sich selbst, angetroffen werden müsse: so zeiget sich, daß, was wz'r anfangs nur zum Versuche annahmen, gegrünldet sei·.• Nun bleibt uns immer * Dieses Experiment der reinen Vernunft hat mit dem der Chymiker, welches sie mannigmal den Versuch der Red uktion, im allgemeinen aber das synthetische Verfa hr e n nennen, viel Ähnliches. Die An alysi s IBXX,XXI

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VORREDE

noch übrig, nachdem der spekulati"ven Vernunft alles Fortkom­ men in diesem Felde des Übersinnlichen abgesprochen worden, zu versuchen, ob sich nicht in ihrer praktischen Erkenntnis Data finden, jenen transzendenten VernunftbegriO des Unbe­ dingten zu bestimmen, und auf solche Weise, dem Wunsche der Metaphysik gemäß, über dt"e Grenze aller möglichen Er/ahrung hinaus mü unserem, aber nur in praktischer Absicht möglichen Erkenntnisse a priori zu gelangen. Und bei einem solchen Ver­ !ahren hat uns die spekulative Vernunft zu solcher Erweiterung immer doch wenigstens Platz verschafft, wenn sie ihn gleich leer lassen mußte, und es bleibt uns also noch unbenommen, ja wt'r sind gar dazu durch sie aufgefodert, ihn durch praktische Data derselben, wenn wir können, auszufüllen.* In jenem Versuche, das bisherige Verfahren der Metaphysik umzuändern, und dadurch, daß wir nach dem Beispiele der Geometer und Naturforscher eine gänzlt"che Revolution mit der­ selben vornehmen, besteht nun das Geschäfte dieser Kritik der reinen spekulativen Vernunft. Sie ist ein Traktat von der Methode, nt"cht ein System der Wi"ssenschaft selbst; aber st"e verzeichnet gleichwohl den ganzen Umriß derselben, so wohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Glt"e-

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I

des M etapkysikers schied die reine Erkenntnis a priori in zwei sehr ungleichartige Elemente, nämlich die der Dinge als Erscheinungen, und dann der Dinge an sich selbst. Die Dialektik verbindet beide wiederum zur Einhelligkeit mit der notwendigen Vernunftidee des Unbeding­ t e n, und 'findet, daß diese Einhelligkeit niemals anders, als durch iene Unterscheidung herauskomme, welche also die wahre ist. * So verschafften die Zentralgesetze der Bewegungen der Himmels­ körper dem, was K o p e r n i k u s anfänglich nur als Hypothese annahm, ausgemachte Gewißheit, und bewiesen zugleich die unsichtbare den Welt­ bau verbindende Kraft (der Ne w Io n i s c k e n Anziehung), welche auf immer unentdeckt geblieben wäre, wenn der erstere es nickt gewagt hätte, auf eine widersinnische, aber doch wahre Art, die beobachteten Bewe­ gungen nicht in den Gegenständen des Himmels, sondern in ihrem Zu­ schauer zu suchen. Ich stelle in dieser Vorrede die in der Kritik vorge­ tragene, fener Hypothese analogische, Umänderung der Denkart auch nur als Hypothese auf, ob sie gleich in der Abhandlung selbst aus der Besckaffenkeit unserer Vorstellungen vom Raum und Zeil und den Ele­ menlarbegriffen des Verslandes, nicht hypothetisch, sondern apodiktisch bewiesen wird, um nur die ersten Versuche einer solchen Umänderung, welche allemal hypothetisch sind, bemerklich zu machen.

IB XXII, XXIII

ZUR ZWEITEN AUFLAGE

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derbau derselben. Denn das hat die reine spekulative Vernun/t Eigentümliches an sich, daß st"e ihr eigen Vermögen, nach Ver­ schiedenheit der Art, wie sie sich Objekte zum Denken wählt, ausmessen, und auch selbst die mancherlei Arten, sich Auf­ gaben vorzulegen, vollständig vorzählen, und so den ganzen Vor­ riß zu einem System der Metaphysik verzeichnen kann und soll; wet"l, was das erste betrifft, in der Erkenntnis a priori den Objekten nichts beigelegt werden kann, als was das denkende Subjekt aus sich selbst hernimmt, und, was das zweite anlangt, sie in Ansehung der Erkenntnisprinzipien eine ganz abgeson­ derte für sich bestehende Einheit ist, in welcher ein jedes Glied, wie in einem organisierten Körper, um aller anderen und alle um eines willen dasind, und kein Prinzip mit Sicherheit in eine r Beziehung genommen werden kann, ohne es zugleich in der d u r c h g ä n g i g e n Beziehung zum ganzen reinen Vernunft­ gebrauch untersucht zu haben. Dafür aber hat auch die Meta­ physik das seltene Glück, welches keiner andern Vernunft­ wissenschaft, die es mit Objekten zu tun hat (denn die Log i k beschäftigt st"ch nur mit der Form des Denkens überhaupt), zu Teil werden kann, daß, wenn sie durch diese Kritik in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, sie das ganze Feld der für sie gehörigen Erkenntnisse völlig befassen und also ihr Werk vollenden und für die Nachwelt, als einen nie zu vermehrenden Hauptstuhl, zum Gebrauche niederlegen kann, weil sie es bloß mit Prinzipien und den Et'nschränkungen ihres Gebrauchs zu tun hat, welche durch jene selbst bestimmt werden. Zu dieser Vollständigkeit i"st sie daher, als Grund­ wissenschaft, auch verbunden, und von ihr muß gesagt werden können: nil actum reputans, si quid superesset agendum.' Aber was ist denn das, wird man fragen, für ein Schatz, den wir der Nachkommenschaft mit einer solchen durch Kritik geläuterten, dadurch aber auch in einen beharrlichen Zustand gebrachten Metaphysik zu hinterlassen gedenken 1 Man wird bei einerfiüchtigen Übersicht dieses Werks wahrzunehmen glau­ ben, daß der Nutzen davon doch nur n e g a t i v sei, uns nämlich mit der spekulativen Vernunft niemals über die Er/ahrungs-

1

' Übersetzung des Herausgebers: »nichts als getan anrechend, wenn etwas zu tun übrig wäre. •

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VORREDE

grenze hinaus zu wagen, und das ist auch in der Tat ihr erster Nutzen. Dieser aber wird alsbald p o s i t iv , wenn man inne wird, daß die Grundsätze, mit denen sich spekulative Vernunft über ihre Grenze hinauswagt, in der Tat nicht E r w e i t e r u n g , sondern, wenn man sie näher betrachtet, Ve r e n g u n g unseres Vernunftgebrauchs zum unausbleiblichen Erfolg haben, indem sie wirklich die Grenzen der Sinnlichkeit, zu der sie eigentlich gehören, 1 über alles zu erweitern und so den reinen(praktischen) Vernunftgebrauch gar zu verdrängen drohen. Daher ist eine Kritik, welche di"e erstere einschränkt, so fern zwar negat iv , aber, indem sie dadurch zugleich ein Hindernis, welches den letzteren Gebrauch einschränkt, oder gar zu vernichten droht, aufhebt, in der Tat von positiv e m und sehr wichtigem Nutzen, so bald man überzeugt wird, daß es einen schlechterdings not­ wendigen praktischen Gebrauch der reinen Vernunft (den mo­ ralischen) gebe, in welchem sie sich unvermeidlich über die Grenzen der Sinnli'chkez"t erweitert, dazu sie zwar von der speku­ lativen keiner Beihülfe bedarf, dennoch aber wider ihre Gegen­ wirkung gesichert sein muß, um nicht in Widerspruch mit sich selbst zu geraten. Diesem Dienste der Kritik den p o s i t iv e n Nutzen abzusprechen, wäre eben so viel, als sagen, daß Polizei keinen positiven Nutzen schaffe, weil ihr Hauptgeschäfte doch nur ist, der Gewalttätigkeit, welche Bürger von Bürgern zu be­ sorgen haben, einen Riegel vorzuschieben, damit ein jeder seine Angelegenheit ruhig und sicher treiben könne. Daß Raum und Zeit nur Formen der sinnlichen Anschauung, also nur Bedi"n­ gungen der Existenz der Dinge als Erscheinungen sind, daß wir ferner keine Verstandesbegriffe, mithin auch gar kei·ne Ele­ mente zur Erkenntnis der Dinge haben, als so fern diesen Begriffen korrespondierende Anschauung gegeben werden kann, folglich wfr von keinem Gegenstande als Dinge an sich selbst, sondern nur so fern es Objekt der si·nnlichen Anschauung ist, d. i. als Erscheinung, Erkenntnis haben können, wird im ana­ ly#schen Teile der Kritik bewiesen; woraus denn freilich dz"e Einschränkung aller nur möglichen spekulativen Erkenntnis der Vernunft auf bloße Gegenstände der Er/ ahrung folgt. Glei'chwohl wfrd, welches wohl gemerkt werden muß, doch dabei immer vorbehalten, daß wir eben dieselben Gegenstände auch

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als Dinge an sich selbst, wenn gleich nicht erke n n e n , doch wenigstens müssen denke n können.• Denn sonst würde der ungereimte Satz daraus folgen, daß Erlschez'nung ohne etwas wäre, was da erscheint. Nun wollen wir annehmen, die durch unsere Kritik notwendiggemachte Unterschei'dung der Dinge, als Gegenstände der Erfahrung, von eben denselben, als Dingen an sich selbst, wäre gar nicht gemacht, so müßte der Grundsatz der Kausalität und mithin der Naturmechanism in Bestim­ mung derselben durchaus von allen Dingen überhaupt als wir­ kenden Ursachen gelten. Van eben demselben Wesen also, z.B. der menschlichen Seele, würde ich nicht sagen können, ihr Wille sei frei, und er sei doch zugleich der Naturnotwendigkeit unter­ worfen, d. i. nicht frei·, ohne in einen offenbaren Widerspruch zu geraten; weil ich die Seele in beiden Sätzen i·n e b e n d e r­ s e l b e n B e d e u t u ng, nämlich als Ding überhaupt (als Sache an sich selbst) genommen habe, und, ohne vorhergehende Kritik, auch nicht anders nehmen konnte. Wenn aber die Kritik nicht geirrt hat, da sie das Objekt in zweierlei Bedeutung nehmen lehrt, nämlich als Erscheinung, oder als Ding an sich selbst; wenn die Deduktion ihrer Verstandesbegriffe richtig ist, mithin auch der Grundsatz der Kausalität nur auf Dinge im ersten Sinne genommen, nämlich so fern sie Gegenstände der Erfah­ rung si'nd, geht, eben dieselbe aber nach der zweiten Bedeutung ihm nicht unterworfen sind: so wird eben derselbe Wille in der 1 Erscheinung (den sichtbaren Handlungen) als dem Naturge­ setze notwendig gemäß und so fern n i c h t f r e i , und doch ande­ rersei'ts, als einem Dinge an sich selbst angehörig, jenem nicht unterworfen, mithin als f r e i gedacht, ohne daß hiebei ein Wi­ derspruch vorgeht. Ob ich nun gleich meine Seele, von der letzte• Einen Gegenstand e r k e n n e n , dazu wird erfodert, daß ich seine Mög­ lichkeit (es sei nach dem Zeugnis der Er/ahrung aus seiner Wirklichkeit, oder a priori durch Vernunft) beweisen könne. Aber d e n k e n kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d. i. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist, ob ich zwar dafür nicht stehen kann, ob im lnbeKriffe aller Möglichkeiten diesem auch ein Objekt korrespondiere oder nicht. Um einem solchen Begriffe aber objektive Gültigkeit (reale Mög· lichkeit, denn die erstere war bloß die logische) beizulegen, dazu wird etwas mehr erfodert. Dieses Mehrere aber braucht eben nicht in theoretischen Er­ kenntnisquellen gesucht zu werden, es kann auch in praktischen liegen.

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VORREDE

ren Seite betrachtet, durch keine spekulative Vernunft (noch weniger durch empirische Beobachtung), mithin auch nicht die Freiheit als Eigenschaft eines Wesens, dem ich Wirkungen in der Sinnenwelt zuschreibe, e r k e n n e n kann, darum weil t'ch ein solches seiner Existenz nach, und doch nicht in der Zeit, bestimmt erkennen müßte (welches, weil ich meinem Begrifje keine Anschauung unterlegen kann, unmöglich ist), so kann ich mir doch die Freiheit denken, d. i. die Vorstellung davon enthält wenigstens keinen Widerspruch in sich, wenn unsere kritische Unterscheidung beider (der sinnlichen und intellektu­ ellen) Vorstellungsarten und die davon herrührende Einschrän­ kung der reinen Verstandesbegrifje, mithin auch der aus ihnen fließenden Grundsätze, Statt hat. Gesetzt nun, die Moral setze not­ wendig Freiheit (im strengsten Sinne) als Eigenschaft unseres Willens voraus, indem sie praktische in unserer Vernunft lie­ gende ursprüngliche Grundsätze als D a t a derselben a priori anführt, die ohne Voraussetzung der Freijheit schlechterdings unmöglich wären, die spekulative Vernunft aber hätte bewiesen, daß diese sich gar nicht denken lasse, so muß notwendig jene Voraussetzung, nämlich die moralische, derjenigen weichen, deren Gegenteil einen ofjenbaren Widerspruch enthält, folglich F r e i h e i t und mit ihr Sittlichkei"t (denn deren Gegenteil ent­ hält keinen Widerspruch, wenn nicht schon Freiheit vorausge­ setzt wird) dem N aturme chanism den Platz einräumen. So aber, da ich zur Moral nichts weiter brauche, als daß Freiheit sich nur nicht selbst widerspreche, und sich also doch wenigstens denken lasse, ohne nötig zu haben, sie weiter einzusehen, daß sie also dem Naturmechant"sm eben derselben Handlung (in anderer Beziehung genommen) gar kein Hindernis in den Weg lege: so behauptet die Lehre der Sittlichkeit ihren Platz, und die Naturlehre auch den ihrigen, welches aber nt'cht Statt gefunden hätte, wenn nicht Kritik uns zuvor von unserer unvermeidlichen Unwi'ssenheit in Ansehung der Dinge an sich selbst belehrt, und alles, was wir theoretisch e r k e n n e n können, auf bloße Erscheinungen eingeschränkt hätte. Eben diese Erörterung des post'tt'ven Nutzens kritischer Grundsätze der reinen Vernunft läßt sich in Ansehung des Begrifjs von Gott und der ein­ f a c h e n N a t u r unserer S e e l e zeigen, die ich aber der Kürze IBXXIX

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halber vorbeigehe. Ich kann also G o t t , Fr eiheit und U n­ s t e r b l i c h k e i t zum Behuf des notwendigen praktischen Ge­ brauchs meiner Vernunft nicht einmal ann e h m e n, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung über­ schwenglicher Ez'nsichten benehme, wei'l sie sich, um zu diesen zu gelangen, solcher Grundsätze bedienen muß, die, indem sie in der Tat bloß auf Gegenstände möglicher Erfahrung reichen, wenn sie gleühwohl auf das .angewandt werden, was nicht ein Gegenstand der Er/ahrung sein kann, wirklich dieses jederzeit in Erscheinung verwandeln, und so alle p r a k t i s c h e E r w e i ­ t e r ung der reinen Vernunft für unmöglich erklären.Ich mußte also das Wis s e n aufheben, um zum G l a u b e n Platz zu be­ kommen, und der Dogmatism der Metaphysik, d. i. das Vor­ urteil, in ihr ohne Krz'tik der reinen Vernunft fortzukommen, z'st die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Un­ glaubens, der jederzeü gar sehr dogmatisch ist. - Wenn es also mit einer nach Maßgabe der Kritik der reinen Vernunft abge­ faßten systematischen Metaphysik eben nicht schwer sein kann, der Nachkommenschaft ein Vermächtnis zu hinterlassen, so ist dies kein für gering zu achtendes Geschenk; man mag nun bloß auf die Kultur der Vernunft durch den sicheren Gang einer Wissenschaft überhaupt, in Vergleichung mit dem grundlosen Tappen und leühtsinnilgen Herumstreifen derselben ohne Kri­ tik sehen, oder auch auf bessere Zeitanwendung einer wißbe­ gierigen Jugend, die bei'm gewöhnlichen Dogmatism so frühe und so viel Aufmunterung bekommt, über Dinge, davon sie nichts versteht, und dari·n sie, so wie niemand in der Welt, auch nie etwas einsehen wird, bequem zu vernünfteln, oder gar auf Erfindung neuer Gedanken und Meinungen auszugehen, und so die Erlernung gründlicher Wissenschaften zu verab­ säumen; am meisten aber, wenn man den unschätzbaren Vor­ teil in Anschlag bringt, allen Einwürfen wider Sittlt"chkeit und Religion auf s o k r a t i s c h e Art, nämlich durch den klärsten Bewez·s der Unwissenheit der Gegner, auf alle künftige Zeit ein Ende zu machen. Denn i'rgend eine Metaphysik ist immer in der Welt gewesen, und wird auch wohl ferner, mit ihr aber auch eine Dialektik der reinen Vernunft, weil sie ihr natürlüh ist, darin anzutreffen sein. Es ist also die erste und wz'chtigste AnlB XXX, XXXI

VORREDE 34 gelegenhei't der Philosophie, einmal für allemal ihr dadurch, daß man die Quelle der Irrtümer verstopft, allen nachteiligen Einfiuß zu benehmen. Bei dt"eser wt'chtigen Veränderung im Felde der Wissen­ schaften, und dem Ver l u s te, den spekulative Vernunft an ihrem bisher eingebildeten Besitze erleiden muß, bleibt dennoch alles mit der allgemeinen ! menschlichen Angelegenheit, und dem Nutzen, den die Welt' bisher aus den Lehren der reinen Vernunft zog, in demselben vorteilhaften Zustande, als es je­ malen war, und der Verlust tri"ßt nur das M o n o p o l d e r Sc h u­ l en, keinesweges aber das I n t e r e s s e d e r M e n s c h e n. Ich frage den unbi'egsamsten Dogmatiker, ob der Bewei's von der Fortdauer unserer Seele nach dem Tode aus der Einfachheit der Substanz, ob der von der Freiheit des Willens gegen den allge­ meinen Mechanz'sm durch di'e subtilen, obzwar ohnmächti''gen, Unterscheidungen subjektiver und objektiver praktischer Not­ wendigkeit, oder ob der vom Dasein Gottes aus dem Begri"ße eines allerrealesten Wesens (der Zufälligkeit des Veränderli­ chen, und der Notwendigkeit eines ersten Bewegers), nachdem sie von den Schulen ausgingen, jemals haben bi's zum Publikum gelangen und auf dessen Überzeugung den mindesten Einfiuß haben können 7 Ist dieses nun nicht geschehen, und kann es auch, wegen der Untauglichkeit des gemeinen Menschenver­ standes zu so subtiler Spekulation, niemals erwartet werden; hat vz'elmehr, was das erstere betri"ßt, die jedem Menschen be­ merkliche Anlage seiner Natur, durch das Zeitliche (als zu den Anlagen seiner ganzen Bestimmung unzulänglich) nie zufrie­ den gestellt werden zu können, dieHo"ßnung eines k ü n f t i g e n L e b e n s , i n Ansehung des zweiten die bloße klare Darstellung der Pfiichten im Gegensatze aller Ansprüche der Neigungen das Bewußtsein der F r e i h e i t , und endlich, was das dritte an­ langt, dz'e herrliche Ordnung, Schönheit und Vorsorge, die aller­ wärts in der Natur hervorblickt, allein den Glauben an einen weisen und großen We lturheber, die sich aufs Publikum verbreitende Überzeugung, so fern sie auf Vernunftgründen beruht, ganz allein bewirken müssen: so bleibt ja nicht allein dt"eser Besitz ungestört, sondern er gewinnt vielmehr dadurch noch an Ansehn, daß die Schulen nunmehr belehrt werden, sich

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jB XXXII, XXXIII

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keine höhere und ausgebreitetere Einsicht in einem Punkte anzumaßen, der die allgemeine menschliche Angelegenheit be­ trifJt, als diejenige ist, zu der die große (für uns achtungswür­ digste) Menge auch eben so lei'cht gelangen kann, und sich also auf die Kultur dieser allgemein faßlichen und in moralischer Absicht hinreichenden Beweisgründe allein einzuschränken. Die Veränderung betrifJt also bloß die arroganten Ansprüche der Schulen, die si'ch gerne hierin (wie sonst mit Recht in vielen anderen Stücken) für die alleinigen Kenner und Aufbewahrer solcher Wahrheiten möchten halten lassen, von denen sie dem Publz"kum nur den Gebrauch mitteilen, den Schlüssel derselben aber für sich behalten (quod mecum nescit, solus vult scire videri '). Gleichwohl ist doch auch für einen billigern Anspruch des spekulativen Philosophen gesorgt. Er bleibt immer aus­ schließlich Depositär einer dem Publikum, ohne dessen Wissen, nützlichen Wissenschaft, nämlich der Kritik der Vernunft; denn die kann niemals populär werden, hat aber auch ni'cht nötig, es zu sein; weil, so wenig dem Volke die /ein gesponnenen Argumente für nützliche Wahrheiten in den Kopf wollen, eben so wenig kommen ihm auch die eben so subtilen Einwürfe da­ gegen jemals in den Sinn; dagegen, weil die Schule, so wie jeder sich zur Spekulation erhebende Mensch, unvermeidlich in beide gerät, jene dazu verbunden ist, durch gründliche Untersuchung der Rechte der spekulativen Vernunft einmal für allemal dem Skandal vorzubeugen, das über kurz oder lang selbst dem Volke aus den Streitigkeiten aufstoßen muß, in welche st"ch Meta­ physiker (und als solche endlich auch wohl Geistliche) ohne Kritik unausbleiblich verwickeln, und die selbst nachher ihre Lehren verfälschen. Durch diese kann nun allein dem M a t e r i ­ a l ism, F atalism, A thei sm, dem freigeisterischen Ung l a u­ b e n, der S c h w ä r m e r e i und Aberglauben, dt'e allgemein schädlich werden können, zuletzt auch dem 1 d e a l i s m und S k e p t i z i s m, die mehr den Schulen gefährlich sind, und schwerlich ins Publikum übergehen können, selbst die Wurzel abgeschnitten werden. Wenn Regierungen sich ja mit Ange­ legenheiten der Gelehrten zu befassen gut finden, so würde es

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'Übersetzung des Herausgebers: owas er mit mir nicht weiß, will er allein zu wissen scheinen c.

lB XXXIV, XXXV

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ihrer weisen Vorsorge für wi·ssenschaften sowohl als Menschen weit gemäßer sein, die Freiheit ei·ner solchen Kritik zu begün­ stigen, wodurch die Vernunftbearbez"tungen allein auf einen festen Fuß gebracht werden können, als den lächerli"chen Des­ potism der Schulen zu unterstützen, welche über öffentliche Ge­ fahr ein lautes Geschrei erheben, wenn man ihre Spinneweben zerreißt, von denen doch das Publikum niemals Notiz genom­ men hat, und deren Verlust es also auch nie fühlen kann. Die Kritik ist ni"cht dem dogmatischen Ver f a h r e n der Vernunft in ihrem reinen Erkenntnis, als Wissenschaft, ent­ gegengesetzt (denn diese muß jederzeit dogmatisch, d. i. aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend sein), sondern dem Dogmatz"sm, d. i. der Anmaßung, mit einer reinen Er­ kenntnis aus Begriffen (der phi"losophi"schen), nach Prinzipien, so wie sie die Vernunft längst i·m Gebrauche hat, ohne Erkun­ digung der Art und des Rechts, womit sie dazu gelanget ist, allein fortzukommen. Dogmatism i·st also das dogmatische Ver­ fahren der reinen Vernunft, o h n e v o r a n g e h e n d e Kritik i h r e s eigenen Vermögens. Diese Entgegensetzung soll da­ her nicht der geschwätzigenSeichtigkeit, unter dem angemaßten Namen der Popullarität, oder wohl gar dem Skepti"zism, der mit der ganzen Metaphysik kurzen Prozeß macht, das Wort reden,· vielmehr ist die Kritik die notwendige vorläufige Ver­ anstaltung zur Beförderung einer gründli"chen Metaphysik als Wissenschaft, die notwendig dogmatisch und nach der streng­ sten Foderung systematisch, mithin schulgerecht (nicht popu­ lär) ausgeführt werden muß, denn diese Foderung an sie, da sie sich anheischig macht, gänzlich a pri·ori, mithi"n zu völliger Befriedigung der spekulativen Vernunft ihr Geschäfte auszu­ führen, t"st unnachlaßlich. In der Ausführung also des Plans, den die Krüik vorschreibt, d. i. im künftigen System der Meta­ physik, müssen wir dereinst der strengen Methode des berühm­ ten W o l f f, des größten unter allen dogmatischen Philosophen, folgen, der zuerst das Beispiel gab (und durch dies Beispiel der Urheber des bisher noch nicht erloschenen Geistes der Gründ­ lichkeit in Deutschland wurde), wie durch gesetzmäßige Fest­ stellung der Prinzipien, deutliche Bestimmung der Begriffe, versuchte Strenge der Bewei·se, Verhütung kühner Sprünge in lBXXXVI

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Folgerungen der sichere Gang einer Wissenschaft zu nehmen sei, der auch eben darum eine solche, als Metaphysik ist, in diesen Stand zu versetzen vorzüglich geschickt war, wenn es ihm beigefallen wäre, durch Kritik des Organs, nämlich der reinen Vernunft selbst, sich das Feld vorher zu bereiten: ein Mangel, der nicht sowohl ihm, als vielmehr der dogmatischen Denkungsart seines Zeitalters beizumessen ist, und darüber die Philosophen, seiner sowohl als aller vorigen Zeiten, einander nichts vorzuwerfen haben. Diejenigen, welche seine Lehrart und doch zugleich auch das Ver/ahren der Kritik der reinen Ver­ nunft verwerfen, können nichts andres im Sinne haben, als die Fesseln der Wis s e n s c h a f t gar abzuwerfen, Arbeit in Spiel, Gewißhei"t in Meinung, und Philosophie in Philodoxz'e zu ver­ wandeln. Was d i e s e zweite A u f l a g e betrifft, so habe ich, wie billig, die Gelegenheit derselben nt'cht vorbeilassen wollen, um den Schwierigket'ten und der Dunkelheit so viel möglich abzu­ helfen, woraus manche Mißdeutungen entsprungen sein mögen, welche scharfsinnigen Männern, vielleicht nicht ohne met'ne Schuld, in der Beurteilung dieses Buchs aufgestoßen sind. In den Sätzen selbst und ihren Beweisgründen, imgleichen der Form sowohl als der Vollständigkeit des Plans, habe ich nichts zu ändern gefunden; welches teils der langen Prüfung, der ich sie unterworfen hatte, ehe ich es dem Publikum vorlegte, teils der Beschaffenheit der Sache selbst, nämlich der Natur einer reinen spekulativen Vernunft, beizumessen ist, dt'e einen wah­ ren Gliederbau enthält, worin alles Organ ist, nämlich alles um eines willen und ein jedes einzelne um aller willen, mithin jede noch so kleine Gebrechlt'chkeit, sie sei ein Fehler (Irrtum) oder Mangel, st'ch i·m Gebrauche unausbleiblich verraten muß. In dieser Unveränderlichkeit wird sich dieses System, wie ich hoffe, auch fernerhin behaupten. Nicht Et''gendünkel, sondern bloß die Evidenz, welche das Experiment der Gleichheit des Resultats im Ausgange von den mindesten Elementen bis zum Ganzen der ret'nen Vernunft und im Rückgange vom Ganzen (denn auch dieses ist für sich durch die Endabsicht derselben i·m Praktt'schen gegeben) zu jedem Teile bewi'rkt, indem der Versuch, auch nur den kleinsten Teil abzuändern, sofort Wider-

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lB XXXVII, XXXVIII

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sprüche, nicht bloß des Systems, sondern der allgemeinen Men­ schenvernunft herbeiführt, berechtigt mich zu diesem Vertrauen. Allein in der D a r s t e llu ng ist noch vz"el zu tun, und hierin habe ich mit dieser Auflage Verbesserungen versucht, welche teils dem Mißverstande der Ästhett'k, vornehmlich dem im Be­ griffe der Zeit, teils der Dunkelheit der Deduktion der Verstan­ desbegriffe, teils dem vermeintlichen Mangel einer genugsamen Evidenz in den Beweisen der Grundsätze des reinen Verstan­ des, teils endlich der Mißdeutung der der rationalen Psycho­ logie vorgerückten Paralogismen abhelfen sollen. Bis hieher (nämlich nur bis zu Ende des erstenHauptstücks der transzen-J dentalen Dialektik) und weiter nicht erstrecken sich meine Ab­ änderungen der Darstellungsart,* weil die Zeit zu kurz und

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* Eigentliche Vermehrung, aber doch nur in der Beweisart, könnte ich nur die nennen, die ich durch eine neue Widerlegung des psychologischen I d e alisms, und einen strengen (wie ich glaube auch einzig möglichen) Beweis von der objektiven Realität der äußeren Anschauung S. 275 ge­ macht habe. Der Idealism mag in Ansehung der wesentlichen Zwecke der Metaphysik für noch so unschuldig gehalten werden (das er in der Tat nicht ist), so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns (von denen wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unsern inneren Sinn her haben) bloß auf Gl a u b e n annehmen zu müssen, und, wenn es jemand ein­ !ällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können. Weil sich in den Ausdrücken des Beweises von der dritten Zeile bis zur sechsten einige Dunkelheit findet: so bitte ich diesen Period so um­ zuändern: •D ie s e s B e h a r rliche a b e r k ann n i c h t e i n e A n s c h a u­ u n g in mir s e i n. D e n n a ll e B e s t i m m u n g s g r ü n d e m e i n e s D a­ s e ins, die in m ir a n g e t r o f f e n w e r d e n können, s ind Vor s t el· l u n g e n , und b e d ü rfe n, als s o l c h e , s el b s t e in v o n ihnen u n ter s c h i e d e n e s B e harrliches, w o r a uf in B e z i e h u n g d e r We c h s e l d e r s e l b e n , mithin m e i n D a s e i n i n d e r Zeit, d a r i n sie w e c h s e l n , b e s t i m m t w e r d e n k önn e.c Man wird gegen ·diesen Beweis vermutlich sagen: ich bin mir doch nur dessen, was in mir ist, d. i. meiner V o r s t ellung äußerer Dinge unmittelbar bewußt; folglich bleibe es immer noch unausgemacht, ob etwas ihr Korrespondierendes außer mir sei, oder nicht. Allein ich bin mir m e i n e s D a s e i n s in d e r Z e i t (folglich auch der Bestimmbarkeit desselben in dieser) durch innere Erf a h rung bewußt, und dieses ist mehr, als bloß mich meiner Vorstellung bewußt zu sein, doch aber einerlei mit dem e m p i r i s c h e n B e w ußt s e in m e in e s D a s e ins, welches nur durch Beziehung auf etwas, was, mit meiner Exi­ stenz verbunden, a u ß e r mir is t, bestimmbar ist. Dieses Bewußtsein meines Daseins in der Zeit ist also mit dem Bewußtsein eines Verhältnisses zu

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IB XXXIX, XL Anm.: l B XL

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mir in Ansehung des übrigen auch kein Mißverstand sach­ kundiger und unparteit}cher Prüfer vorgekommen war, wel­ che, auch ohne daß ich sie mit dem ihnen gebührenden Lobe nennen darf, die Rücksi'cht, die ich auf ihre Erinnerungen genommen habe, schon von selbst an ihren Stellen antreffen werden. Mit dieser Verbesserung aber ist ein kleiner Verlust

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etwas außer mir identisch verbunden, und es ist also Erfahrun{!, und nicht Erdichtung, Sinn und nicht Einbildungskraft, welches das Äußere mit meinem inneren Sinn unzertrennlich verknüpft; denn der äußere Sinn ist schon an sich Beziehung der Anschauung auf etwas Wirkliches außer mir, und die Realität desselben, zum Unterschiede von der Einbildung, beruht nur darauf, daß er mit der inneren Erfahrung selbst, als die Bedingung der Möglichkeit derselben, unzertrennlich verbunden werde, welches hier ge­ schieht. Wenn ich mit dem i n t e l l e k t u e l l e n B e w u ß t s e i n meines Da­ seins, in der Vorstellung Ic h b i n , welche alle meine Urteile und Verstan­ deshandlungen begleitet, zugleich eine Bestimmung meines Daseins durch i n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g verbinden könnte, so wäre zu derselben das Bewußtsein eines Verhältnisses zu etwas außer mir nicht notwendig ge­ hörig. Nun aber ienes intellektuelle Bewußtsein zwar vorangeht, aber die innere Anschauung, in der mein Dasein allein bestimmt werden kann, sinnlich und an Zeitbedingung gebunden ist, diese Bestimmung aber, mit­ hin die innere Erfahrung selbst, von etwas Beharrlichem, welches in mir nicht ist, folglich nur in etwas außer mir, wogegen ich mich in Relation betrachten muß, abhängt: so ist die Realität des äußeren Sinnes mit der des innern, zur Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt, notwendig verbunden: d. i. ich bin mir eben so sicher bewußt, daß es Dinge außer mir gebe, die sich auf meinen Sinn beziehen, als ich mir bewußt bin, daß ich selbst in der Zeit bestimmt existiere. Welchen gegebenen Anschauungen nun aber wirklich Obiekte außer mir korrespondieren, und die also zum äußeren S i n n e gehören, welchem sie und nicht der Einbildungskraft zuzuschreiben sind, muß nach den Regeln, nach welchen Erfahrung überhaupt (selbst innere) von Einbildung unterschieden wird, in iedem besondern Falle ausgemacht werden, wobei der Satz: daß es wirklich äußere Erfahrung gebe, immer zum Grunde liegt. Man kann hiezu noch die Anmerkung fügen: die Vor­ stellung von etwas B e h a r r l i c h e m im Dasein ist nicht einerlei mit der b e h a r r l i c h e n V o r s t e l lu n g; denn diese kann sehr wandelbar und wech­ selnd sein, wie alle unsere und selbst die Vorstellungen der Materie, und bezieht sich doch auf etwas Beharrliches, welches also ein von allen meinen Vorstellungen unterschiedenes und äußeres Ding sein muß, dessen Exi­ stenz in der B e s t i m m u n g meines eigenen Daseins notwendig mit ein­ geschlossen wird, und mit derselben nur eine einzige Er/ahrung ausmacht, die nicht einmal innerlich stattfinden würde, wenn sie nicht (zum Teil) zugleich äußerlich wäre. Das Wie? läßt sich hier eben so wenig weiter er­ klären, als wie wir überhaupt das Stehende in der Zeit denken, dessen Zu­ gleichsein mit dem Wechselnden den Begriff der Veränderung hervorbringt.

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IB XLI, XLII Anm.: !B XLI

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für den Leser verbunden, der nicht zu verhüten war, ohne das Buch gar zu voluminös zu machen, nämlich daß Verschiedenes, was zwar nicht wesentlich zur Vollständigkeit des Ganzen ge­ hört, mancher Leser aber doch ungerne missen möchte, indem es sonst in anderer Absicht brauchbar sein kann, hat weggelas­ sen oder abgekürzt vorgetragen werden müssen, um meiner, wie ich hoffe, jetzt faßlicheren Darstellung Platz zu machen, die im Grunde in Ansehung der Sätze und selbst ihrer Beweisgründe schlechterdings nichts verändert, aber doch in der Methode des Vortrages hin und wieder so von der vorigen abgeht, daß sie durch Einschaltungen sfrh nfrht bewerkstelligen ließ. Dieser kleine Verlust, der ohnedem, nach jedes Belieben, durch Ver­ gleichung mz·t der erstenAuflage ersetzt werden kann, wird durch dz"e größere Faßlichkeit, wz"e ich hoffe, überwz"egend ersetzt. Ich habe in verschiedenen öffentlichen Schriften (teils bei Gelegen­ heit der Rezension mancher Bücher, teils in besondern Ab­ handlungen) mit dankbarem Vergnügen wahrgenommen, daß der Geist der Gründlichkeit in Deutschland nicht erstorben, sondern nur durch den Modeton einer geniemäßigen Freijheit im Denken auf kurze Zeit überschrt"en worden, und daß dz"e dornichten Pfade der Krz'tik, dz"e zu einer schulgerechten, aber als solche allein dauerhaften und daher höchstnotwendigen Wissenschaft der reinen Vernunft führen, mutige und helle Köpfe nicht gehindert haben, sich derselben zu bemeistern. Die­ sen verdz'enten Männern, die mit der Gründlichkeit der Ein­ sicht noch das Talent einer lichtvollen Darstellung (dessen ich mz'r eben nicht bewußt bin) so glücklich verbinden, überlasse frh, meine i"nAnsehung der letzteren hin und wieder etwa noch mangelhafte Bearbeitung zu vollenden; denn widerlegt zu wer­ den, ist in diesem Falle keine Gefahr, wohl aber, nicht verstan­ den zu werden. Meinerseits kann ich mich auf Streitigkeiten von nun an nicht einlassen, ob ich ?"Dar auf alle Winke, es sei von Freunden oder Gegnern, sorgfältig achten werde, um sie in der künftigen Ausführung des Systems dieser Propädeutik gemäß zu benutzen. Da ich während dieser Arbeiten schon zz"emlich tz"ef i"ns Alter fortgerückt bt'n (in diesem Monate z·ns vier und sechzigstejahr), so muß ich, wenn ich meinen Plan, dz'eMetaphysik der Natur sowohl als derSz'tten, als Bestätigung jB XLIII

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der Richtigkeit der Kritik der spekulativen sowohl als prakti­ schen Vernunft, zu liefern, ausführen will, mit der Zeit spar­ sam ver/ahren, und die Aufhellung sowohl der in diesem Wer!ke an/angs kaum vermeidlichen Dunkelheiten, als die Verteidi­ gung des Ganzen von den verdienten Männern, die es sich zu eigen gemacht haben, erwarten. An einzelnen Stellen läßt sich jeder philosophische Vortrag zwacken (denn er kann ni'cht so gepanzert auftreten, als der mathematische), indessen, daß doch der Gliederbau des Systems, als Einheit betrachtet, dabei nicht die mindeste Gefahr läuft, zu dessen Übersicht, wenn es neu ist, nur wenige die Gewandtheit des Geistes, noch wenigere aber, weil ihnen alle Neuerung ungelegen kommt, Lust besitzen. Auch scheinbare Widersprüche lassen sich, wenn man einzelne Stellen, aus ihrem Zusammenhange gerissen, gegeneinander vergleicht, in jeder, vornehmlich als freie Rede fortgehenden Schrift, ausklauben, die in den Augen dessen, der sich auf fremde Beurteüung verläßt, ein nachteiliges Licht auf diese werfen, demjenigen aber, der sich der Idee im Ganzen bemäch­ tigt hat, sehr leicht aufzulösen sind. Indessen, wenn eine Theorie in sich Bestand hat, so di'enen Wirkung und Gegenwirkung, die ihr an/ängli'ch große Ge/ahr droheten, mit der Zeit nur dazu, um ihre Unebenheiten abzuschleifen, und, wenn sich Männer von Unparteüi'chkeit, Einsicht und wahrer Popularität dami't beschäftigen, i'hr in kurzer Zeit auch die erforderHche Eleganz zu verschaffen. Kön i g s b e r g im Apri'lmonat 1787.

!BXLIV

INHALTSVERZEICHNIS DER ERSTEN AUFLAGE

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1 INHALT

Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite'

!. Transzendentale El e m e n t a r l eh r e,............ 17 Erster Teil. Transzendentale Äs theti"k .......... 19 z. Abschnitt. Vom Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 30 2. Abschnitt. Von der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiter Teil. Transzendentale Logik, . . . . . . . . . . . 50 z. Abteilung.Transzendentale Analyt ik in zwei Bü­ chern und deren verschiedenen Hauptstücken und Abschnitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Abteilung.Transzendentale Dialek t ik i·n zweiBü­ chern und deren verschiedenen Hauptstücken und Abschnitten,., . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

1 II. Transzendentale Methodenlehre .. . . . . . . . . . . .

z. Hauptstück. Die D i s z i phn der reinen Vernunft 2. Hauptstück. Der Kanon der reinen Vernunft .. . 3.Hauptstück. Die Ar c h i t ek tonik der reinen Vernunft .................................. 4. Hauptstück. Die Ges c h i c h t e der reinen Vernunft

705 708 795 832 852

1 Die Seitenzahlen beziehen sich auf A, wo allein sich ein Inhalts­ verzeichnis findet. (Ausführliches Inhaltsverzeichnis des Herausgebers am Schluß des Bandes.)

IA XXIII, XXIV

EINLEITUNG

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! EINLEITUNG I. VON DEM UNTERSCHIEDE DER REINEN UND EMPIRISCHEN ERKENNTNIS

Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung an/ange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkennt­ nisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, tez'ls unsere Verstandestä­ tigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu ver­ knüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbei­ ten, die Erfahrung heißt 1 D e r Z e i t n a c h geht also keine Er­ kenntnis in uns vor der Er/ahrung vorher, und mit dieser fängt alle an. Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis m i t der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Er­ fahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntm"svermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veran­ laßt) aus sich selbst hergibt, welchen Zusatz wir von jenem! Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als bis lange Übung un; darauf aufmerksam und zur Absonderung desselben geschickt gemacht hat. Es ist also wenigstens eine der näheren Untersuchung noch benötigte und nicht auf den ersten Anschein sogleich abzuferti­ gende Frage: ob es ein dergleichen von der Er/ahrung und selbst von allen Et"ndrücken der Sinne unabhängiges Erkenntnis gebe. Man nennt solche E r k e n n t n i·ss e a p r i o ri", und unterschei­ det sie von den e m p i r i s c h e n , die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung, haben. Jener Ausdruck ist indessen noch nicht bestimmt genug, um den ganzen Sinn, der vorgelegten Frage angemessen, zu bezeich­ nen. Denn man pfiegt wohl von mancher aus Er/ahrungsquellen abgeleiteten Erkenntnis zu sagen, daß wir ihrer a priori fähig, oder teilhaftig sind, weil wir sie nicht unmittelbar aus der Er­ fahrung, sondern aus einer allgemeinen Regel, die wir gleich-

lB I, 2

EINLEITUNG

wohl selbst doch aus der Erfahrung entlehnt haben, ableiten. So sagt man von jemand, der das Fundament seines Hauses untergrub: er konnte es a priori wissen, daß es einfallen würde, d. i. er durfte nicht auf die Erfahrung, daß es wirklich einfiele, warten. Allein gänzlich a priori konnte er dieses doch auch nicht wissen. Denn daß die Körper schwer sind, und daher, wenn ihnen die Stütze entzogen wird, fallen, mußte ihm doch zuvor durch Erfahrung bekannt werden. Wir werden also im Verfolg unter Erkenntnissen a priori nicht solche verstehen, die von dieser oder jener, sondern die s c h l e c h t e r d i n g s von aller Erfahrung unabhängig stattfinden. Ihnen sind empirische Erkenntnisse, oder solche, die nur a posteriori, d. i. durch Erfahrung, möglich sind, entgegengesetzt. Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist. So ist z.B. der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache, ein Satz a priori, allein nicht rein, weil Veränderung ein Begriff i'st, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann.

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II. WIR SIND IM BESITZE GEWISSER ERKENNTNISSE APRIORI UND SELBST DER GEMEINE VERSTAND , IST NIEMALS OHNE SOLCHE

Es kommt ht'er auf ein Ivlerkmal an, woran wir sicher ein reines Erkenntnis von empirischen unterscheiden können. Er­ fahrung lehrt uns zwar, daß etwas so oder so beschaffen sei, aber nicht, daß es nz'cht anders sein könne. Findet sich also e r s t l i c h ein Satz, der zugleich mit seiner No t w e n d i g k e i t gedacht wird, s o ist e r ein Urteil a priori; ist e r überdem auch von keinem abgeleitet, als der selbst wiederum als ein not­ wendiger Satz gültig ist, so ist er schlechterdings a priori. Zw e i t e n s: Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und komparative A l l g e ­ me i n h e i t (durch Induktion), s o daß e s eigentlich heißen muß: so viel wir bisher wahrge!nommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme. Wird also ein Urteil in strenger Allgemeinheit gedacht, d. i. so, daß gar keine Aus­ nahme als möglich verstattet wird, so ist es nicht von der Er-

lB 3, 4

EINLEITUNG

47 fahrung abgeleitet, sondern schlechterdings a priori gültig. Die empirische Allgemeinheit t'st also nur eine willkürliche Steige­ rung der Gültigkeit, von der, welche in den meisten Fällen, zu der, die z'n allen gz'lt, wie z. B. z'n dem Satze: alle Körper sind schwer; wo dagegen strenge Allgemeinheit zu einem Urteile wesentlich gehört, da zeigt diese auf ez·nen besonderen Erkennt­ nt'squell desselben, nämlich ein Vermögen des Erkenntnisses a priori. Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori, und gehören auch unzertrennlich zu einander. Wez'l es aber im Gebrauche derselben bisweilen leichter ist, die empirische Beschränktheit derselben, als die Zufällz'gkeit in den Urteilen, oder es auch mannigmal einleuchtender t'st, die unbeschränkte Allgemein­ heit, die wir einem Urteile beilegen, als dz'e Notwendigkeit desselben zu zeigen, so ist es ratsam, sich gedachter beider Kriterien, deren jedes für sich unfehlbar ist, abgesondert zu bedienen. Daß es nun dergleichen notwendige und im strengsten Sinne allgemeine, mz'thin rez·ne Urteile a priori, im menschlichen Er­ kenntnis wz'rklich gebe, ist leicht zu zeigen. Will man ein Bei­ spiel aus Wissenschaften, so darf man nur auf alle Sätze der Mathematik hinaussehen; will man ein solches aus dem gemein­ sten Veristandesgebrauche, so kann der Satz, daß alle Verände­ rung eine Ursache haben müsse, dazu dienen; ja in dem letzteren enthält selbst der Begriff einer Ursache so offenbar den Begri-0 einer Notwendigkeit der Verknüpfung mz't einer Wirkung und einer strengen Allgemeinheit der Regel, daß er gänzlich ver­ loren gehen würde, wenn man ihn, wie Hume tat, von einer öftern Bezgesellung dessen was geschieht, mz"t dem was vorher­ geht, und einer daraus entspringenden Gewohnheit (mithin bloß subjektiven Notwendzgkeit), Vorstellungen zu verknüpfen, ableiten wollte. Auch könnte man, ohne dergleichen Beispiele zum Beweise der Wz'rklichkeit reiner Grundsätze a priori in unserem Erkenntnz'sse zu bedürfen, dieser ihre Unentbehrlich­ keit zur Möglichkeit der Erfahrung selbst, mithin a priori dar­ tun. Denn wo wollte selbst Er/ahrung ihre Gewißheit herneh­ me11, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirz'sch, mithin zufällig wären; daher man di'ese schwerlich

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EINLEITUNG

für erste Grundsätze gelten lassen kann. Allein hier können wir uns damit begnügen, den reinen Gebrauch unseres Erkenntnis­ vermögens als Tatsache samt den Kennzeichen desselben dar­ gelegt zu haben. Aber nicht bloß in Urteilen, sondern selbst in Begri'{Jen zeigt sich ein Ursprung ei'niger derselben a priori. Lasset von euremErfahrungsbegri'{Je eines K ö r p e r s alles, was daran empirisch ist, nach und nach weg: die Farbe, die Härte oder Weiche, die Schwere, selbst die Undurchdringlichkeit, so bleibt doch der Ra u m übrig, den er (welcher nun ganz ver­ schwunden ist) einnahm, und den könnt ihr nicht weglassen. Eben so, wenn ihr von eurem empirischen Begri'{Je ei'nes jeden, körperlichen oder nicht körperlichen, Objekts alle Eigenschaf­ ten weglaßt, die euch die Erfahrung lehrt: so könnt ihr ihm doch nicht diejenige nehmen, dadurch ihr es als S u b s t a n z oder einer Substanz a n h ä n g e n d denkt (obgleich dieser Begri'{J mehr Bestz·mmung enthält, als der eines Objekts überhaupt). Ihr müßt also, überführt durch die Notwendigkeit, womit sich die­ ser Begri'{J euch au/dringt, gestehen, daß er in eurem Erkennt­ nisvermögen a priori seinen Sitz habe.

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III. DIE PHILOSOPHIE BEDARF EINER WISSENSCHAFT, WELCHE DIE MÖGLICHKEIT, DIE PRINZIPIEN UND DEN UMFANG ALLER ERKENNTNISSE A PRIORI BESTIMME'

' Anstelle des Textes der Abschnitte I ff. steht in A: • 1 I. Idee derTranszendental-Philosophie Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand hervorbringt, indem er den rohen Stotf sinnlicher Empfindungen bearbeitet. Sie ist eben dadurch die erste Belehrung, und im Fortgange so unerschöpf­ lich an neuem Unterricht, daß das zusammengekettete Leben aller künftigen Zeugungen an neuen Kenntnissen, die auf diesem Boden gesammlet werden können, niemals Mangel haben wird. Gleichwohl ist sie bei weitem nicht das einzige Feld, darin sich unser Verstand einschränken läßt. Sie sagt uns zwar, was da sei, aber nicht, daß es notwendiger Weise, so und nicht an­ ders, sein müsse. Eben darum gibt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche nach dieser Art von Erkenntnissen so begierig ist, 1 wird durch sie mehr gereizt, als befriediget. Solche allgemeine Erkennt­ nisse nun, die zugleich den Charakter der innern Notwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewiß sein; !B 6 Anm.:

IA r, 2

EINLEITUNG

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Was' noch weit mehr sagen will, als alles vorige•, ist die­ ses, daß gewisse Erkenntnisse sogar das Feld aller möglichen Erlfahrungen verlassen, und durch Begriffe, denen überall kein entsprechender Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann, den Umfang unserer Urteile über alle Grenzen derselben zu erweitern den Anschein haben. Und gerade in diesen letzteren Erkenntnissen, welche über die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leit­ faden, noch Berichtigung geben kann, liegen die Nachfor­ schungen unserer Vernunft, die wir, der Wichtigkeit nach, für weit vorzüglicher, und ihre Endabsicht für viel erhabe­ ner halten, als alles, was der Verstand im Felde der Erschei­ nungen lernen kann, wobei wir, sogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als daß wir so angelegene Unter­ suchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschätzung und Gleichgültigkeit aufgeben sollten. Diese unvermeidlz'chen Aufgaben der reinen Vernunft selbst sind Got t , Fr eiheit und Un s t e r b l i c hkei t. Die Wi's­ senschaft aber, deren Endabsicht mit allen ihren Zurüstungen eigentlich nur auf die Auflösung derselben gerichtet ist, heißt Met aphysik, deren Verfahren im Anfange dogmatisch ist, d. i. ohne vorhergehende Prüfung des Vermögens oder Un­ vermögens der Vernunft zu einer so großen Unternehmung zu­ versichtlich die Ausführung übernimmt.•

I

man nennt sie daher Erkenntnisse a priori: da im Gegenteil das, was ledig­ lich von der Er/ahrung erborgt ist, wie man sich ausdrückt, nur a posteriori, oder empirisch erkannt wird. Nun zeigt es sich, welches überaus merkwürdig ist, daß selbst unter unsere Erfahrungen sich Erkenntnisse mengen, die ihren Ursprung a priori haben müssen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unsern Vorstellungen der Sinne Zusammenhang zu verschaffen. Denn, wenn man aus den erste­ ren auch alles wegschafft, was den Sinnen angehört, so bleiben dennoch ge­ wisse ursprüngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urteile übrig, die gänzlich a priori, unabhängig von der Erfahrung entstanden sein müssen, weil sie machen, daß man von den Gegenständen, die den Sinnen erschei­ nen, mehr sagen kann, wenigstens es sagen zu können glaubt, als bloße Erfahrung lehren würde, und daß Behauptungen wahre Allgemeinheit und strenge Notwendigkeit enthalten, dergleichen die bloß empirische Erkennt­ nis nicht liefern kann.�

' A: »Was aber•. - • Zusatz von B.

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EINLEITUNG

Nun scheint es zwar natürlich, daß, so bald man den Boden der Erfahrung verlassen hat, man doch nicht mit Erkenntnissen, die man besitzt, ohne zu wissen woher, und auf den Kredit der Grundsätze, deren Ursprung man nicht kennt, sofort ein Gebäude errichten werde, ohne der Grund­ legung desselben durch sorgfältige Untersuchungen vorher versichert zu sein, daß man also vielmehr• die Frage vor­ längst werde aufgeworfen haben, wie denn der Verstand zu allen diesen Erkenntnissen a priori kommen könne, und welchen Umfang, Gültigkeit und Wert sie haben mögen. 1 In der Tat ist auch nichts natürlicher, wenn man unter dem Worte.natürlich' das verste�t, was billiger und vemünfs tiger Weise geschehen sollte; versteht man aber darunter das, was gewöhnlicher Maßen geschieht, so ist hinwiederum nichts natürlicher und begreiflicher, als daß diese Unter­ suchung lange 3 unterbleiben mußte. Denn ein Teil dieser Erkenntnisse, als 4 die mathematische, ist im alten Besitze der Zuverlässigkeit, und gibt dadurch eine günstige Erwar­ tung auch für andere, ob diese gleich von ganz verschiedener Natur sein mögen. Überdem, wenn man über den Kreis der Erfahrung hinaus ist, so ist man sicher, durch Erfahrung nicht widerlegt 5 zu werden. Der Reiz, seine Erkenntnisse zu erweitern, ist so groß, daß man nur durch einen klaren Widerspruch, auf den man stößt, in seinem Fortschritte auf­ gehalten werden kann. Dieser aber kann vermieden werden, wenn man seine Erdichtungen nur 6 behutsam macht, ohne daß sie deswegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathe­ matik gi�t uns ein gläi;izendes Beispiel, wie weit wir es, un­ abhängig von der Erfahrung, in der Erkenntnis a priori bringen können. Nun beschäftigt sie sich zwar mit Gegen­ ständen und Erkenntnissen bloß so weit, als sich solche in der Anschauung darstellen lassen. Aber dieser Umstand wird leicht übersehen, weil gedachte Anschauung selbst a priori gegeben werden kann, mithin von einem bloßen reinen Begriff kaum unterschieden wird. Durch einen solchen Be­ weis von der Macht der Vernunft eingenommen 7, sieht der

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1 Zusatz von B. - • A: .. diesem Wort�. -3 A: &lange Zeit«. - 4 Zusatz von B. - s A: .. widersprochen�. - 6 Zusatz vonB. - 7 A: .. auflgemuntert,.

!B 8 !A 4 Anm.: IA 5

EINLEITUNG

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Trieb zur Erweiterung keine Grenzen. Die leichte Taube, indem sie im freieri Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, daß es ihr im luft­ leeren Raum noch viel besser gelingen werde. Eben so ver­ ließ Plato die Sinnenwelt, weil sie dem Verstande so enge Schranken setzt', und wagte sich jenseit derselben, auf den Flügeln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Verstan­ des. Er bemerkte nicht, daß er durch seine Bemühungen keinen Weg gewönne, denn er hatte keinen Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er seine Kräfte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu bringen. Es ist aber ein gewöhnliches Schicksal der menschlichen Vernunft in der Spekulation, ihr Gebäude so früh, wie möglich, fertig zu machen, und hintennach allererst zu untersuchen, ob auch- der Grund dazu gut gelegt sei. Als­ denn aber werden allerlei Beschönigungen herbeigesucht, um uns wegen dessen Tüchtigkeit zu trösten, oder auch• eine solche späte und gefährliche Prüfung lieber gar• abzuweisen. Was uns aber während dem Bauen von aller Besorgnis und Verdacht frei hält, und mit scheinbarer Gründlichkeit schmeichelt, ist dieses. Ein großer Teil, und vielleicht der größte, von dem Geschäfte unserer Vernunft besteht in Zer g l i e d e r u n g e n der Begriffe, die wir schon von Gegen­ ständen haben. Dieses liefert uns eine Menge von Erkennt­ nissen, die, ob sie gleich nichts weiter als Aufklärungen oder Erläuterungen desjenigen sind, was in unsern Begriffen (wiewohl noch auf verworrene Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Einsichten gleich ge­ schätzt werden, wiewohl sie der Materie, oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, sondern nur aus einander setzen. 1 Da dieses Verfahren nun eine wirkliche Erkenntnis a priori gibt, die einen sichern und nützlichen Fortgang hat, so erschleicht die Vernunft, ohne es selbst zu merken, unter dieser Vorspiegelung Behauptun­ gen von ganz anderer Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begriffen ganz fremde und zwar a priori 3 hinzu tut, ohne daß

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I

1 A: .. vielfältige Hindernisse legte,. - • Zusatz von B. - 3 A: •zu ge­ gebenen Begriffen a priori ganz fremde•.

!B 9, IO IA 6

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EINLEITUNG

man weiß, wie sie dazu gelange, und ohne sich eine solche' Frage auch nur in die Gedanken kommen zu lassen. Ich will daher gleich anfangs von dem Unterschiede dieser zwie­ fachen Erkenntnisart handeln.

rv.•

VON DEM UNTERSCHIEDE ANALYTISCHER UND SYNTHETISCHER URTEILE

In allen Urteilen, worinnen das Verhältnis eines Subjekts zum Prädikat gedacht wird (wenn ich nur die bejahende erwäge, denn auf die verneinende ist nachher• die Anwen­ dung leicht), ist dieses Verhältnis auf zweierlei Art möglich'. Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekt A als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ga,nz außer dem Begriff A, ob es zwar mit dem­ selben in Verknüpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urteil a n a l y t i s c h , in dem 3 andern s y n t h elt i s c h. Ana­ lytische Urteile (die bejahende) sind also diejenige, in wel­ chen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, diejenige aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen. Die erstere könnte man auch Er l ä u t erungs-, die andere Er w e i t e r u n g s u r t e i l e heißen, weil jene durch das Prädi­ kat nichts zum Begriff des Subjekts hinzutun, sondern die­ sen nur durch Zergliederung in seine Teilbegriffe zerfällen, die in selbigen 4 schon (obgleich 5 verworren) gedacht waren: da hingegen die letztere zu dem Begriffe des Subjekts ein Prädikat hinzutun, welches in jenem gar nicht gedacht war, und durch keine Zergliederung desselben hätte können her­ ausgezogen werden. Z. B. wenn ich sage: alle Körper sind ausgedehnt, so ist dies ein analytisch Urteil. Denn ich darf nicht über den Begri0 6, den ich mit dem Körper 7 verbinde, hinausgehen, um die Ausdehnung, als mit demselben ver­ knüpft, zu finden, sondern jenen Begriff nur zergliedern, d. i; des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, mz'r'

I

1

A: #diese,. - • Zusatz von B. -

3 A: �im,, - • Akad.-Ausg.:

»selbigem«. - 5 A: »obschon,. - 6 A: »aus dem BegriOe,. - 7 A: ,Wort

Körperc,

jBu jA7

EINLEITUNG

53 nur bewußt werden, um dieses Prädikat darin anzutreffen; es ist also ein analytisches Urteil. Dagegen, wenn ich sage: alle Körper sind schwer, so ist das Prädikat etwas ganz anderes, als das, was ich in dem bloßen Begriff eines Kör­ pers überhaupt denke. Die Hinzufügung eines solchen Prä­ dikats gibt also ein synthetisch Urteil. Erfahrungsurteil e, als solc he, sind insgesamt syn­ t h e t i sc h. Denn es wäre ungereimt, ein analytisches Urteil auf Erfahrung zu gründen, weil ich aus meinem Begriffe gar nicht hinausgehen darf, um das Urteil abzufassen, und also kein Zeugnis der Erfahrung dazu nötig habe. Daß ein Körper aus­ gedehnt sei, ist ein Satz, der a priori feststeht, und kein Erfah­ rungs!urteil. Denn, ehe ich zur Erfahrung gehe, habe ich alle Bedingungen zu meinem Urteile schon in dem Begriffe, aus welchem ich das Prädikat nach dem Satze des Widerspruchs nur herausziehen, und dadurch zugleich der Notwendigkeit des Urteils bewußt werden kann, welche mt'r Erfahrung nicht ein­ mal lehren würde. Dagegen ob I ich schon in dem Begriff eines Körpers überhaupt das Prädikat der Schwere gar nicht einschließe, so bezeichnet jener doch einen Gegenstand der Erfahrung• durch einen Teil derselben, zu welchem ich also 3 noch andere Teile eben derselben Erfahrung, als zu dem ersteren gehöreten 4, hinzufügen kann. Ich kann den Begriff des Körpers vorher analytisch durch die Merkmale der Aus­ dehnung, der Undurchdringlichkeit, der Gestalt etc., die alle in diesem Begriffe gedacht werden, erkennen. Nun er­ weitere ich aber meine Erkenntnis, und, indem ich auf die Erfahrung zurücksehe, von welcher ich diesen Begriff des Körpers abgezogen hatte, so finde ich mit obigen Merkmalen

1 A: • Nun ist hieraus klar: t) daß durch analytische Urteile unsere Er· kenntnis gar nicht erweitert werde, sondern der Begriff, den ich schon habe, aus einander gesetzt, und mir selbst verständlich gemacht werde; 2) daß bei synthetischen Urteilen ich außer dem Begriffe des Subjekts noch etwas anderes (X) haben müsse, worauf sich der Verstand stützt, um ein Prä· dikat, das in jenem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen. Bei empirischen oder Erfahrungsurteilen hat es hiemit gar keine Schwie• rigkeit. Denn dieses X ist die vollständige Erfahrung von dem Gegenstande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Teil dieser Erfah· rnng ausmacht. Denn ob«. - • A: »er doch die vollständige Erfahrung,. 3 A: •also ich,. -4 A: »gehörig.-.

I

!B)2 Anm.: jA 8

EINLEITUNG 54 auch die Schwere jederzeit verknüpft, und füge also diese als Prädikat zu jenem Begriffe synthetisch hinzu. Es ist also die Erfahrung, worauf sich die Möglichkeit der Synthesis des Prädikats der Schwere mit dem Begriffe des Körpers gründet, weil beide Begrt'Oe, ob zwar einer nicht in dem an­ dern enthalten ist, dennoch als Teüe eines Ganzen, nämlich der Erfahrung, die selbst eine synthetische Verbindung der Anschauungen i'st, zu einander, wiewohl nur zufälliger Wet"se, gehören.' Aber bei synthetischen Urteilen a priori fehlt dieses Hülfs­ mittel ganz und gar. Wenn ich über den Bejgriff• A hinaus­ gehen soll, um einen andern B als damit verbunden zu er­ kennen, was ist das, worauf ich mich stütze, und wodurch die Synthesis möglich wird ? da ich hier den Vorteil nicht habe, mich im Felde der Erfahrung darnach umzusehen. Man nehme den Satz: Alles, was geschieht, hat seine Ur­ sache. In dem Begriff von etwas, das geschieht, denke ich zwar ein Dasein, vor welchem eine Zeit vorhergeht etc., und daraus lassen sich analytische Urteile ziehen. Aber der Be­ griff einer Ursache liegt ganz außer jenem Begriffe, und 3 zeigt etwas von dem, was geschieht, Verschiedenes an, ist also 4 in dieser letzteren Vorstellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was überhaupt geschiehet, etwas davon ganz Verschiedenes zu sagen, und den Begriff der Ursache 5, ob zwar in jenem 6 nicht enthalten, dennoch, als dazu und so gar notwendig 3 gehörig, zu erkennen. Was ist hier das Unbekannte = 3 X, worauf sich der Verstand stützt, wenn er außer dem Begriff von A ein demselben fremdes Prädikat B 3 aufzufinden glaubt, welches er gleichwohl damit verknüpft zu sein erachtet 7 7 Erfahrung kann es nicht sein, weil der angeführte Grundsatz nicht allein mit größerer All­ gemeinheit, sondern 8 auch mit dem Ausdruck der Notwen­ digkeit, mithin gänzlich a priori und aus bloßen Begriffen,

1

1 A: nerknüpft. Es ist also die Erfahrung ienes X, was außer dem BegriUe A liegt, und worauf sich die Möglichkeit der Synthesis des Prädikats der Schwere B mit dem Begriffe A gründet.• - • A: »außer dem BegriUu. - .3 Zusatz von B. - 4 A: •und istc. - s A: »Ursachen,. 6 A: »;enen,, - 7 A: »das gleichwohl damit verknüpft sei., - 8 A: •Allgemeinheit, als die Erfahrung verschaUen kann, sondern•.

EINLEITUNG

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diese zweite Vorstellung zu der ersteren hinzugefügt'. Nun beruht auf solchen synthetischen, d. i. Erweiterungs­ Grundsätzen die ganze Endabsicht unseirer spekulativen Erkenntnis a priori; denn die analytischen sind zwar höchst wichtig und nötig, aber nur,! um zu derjenigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer sicheren und ausge­ breiteten Synthesis, als zu einem wirklich neuen Erwerb•, erforderlich ist. 3 V. IN ALLEN THEORETISCHEN WISSENSCHAFTEN

DER VERNUNFT SIND SYNTHETISCHE UR TEILE APRIORI ALS PRINZIPIEN ENTHALTEN l. Mathematische Urt e i l e s i n d insgesamt s y n ­ thetis ch. Dieser Satz scheint den Bemerkungen der Zerglie­ derer der menschlichen Vernunft bisher entgangen, ja allen ihren Vermutungen gerade entgegengesetzt zu sein, ob er gleich unwidersprechlich gewiß und in der Folge sehr wichtig ist. Denn weil man fand, daß die Schlüsse der Mathematiker alle nach dem Satze des Widerspruchs fortgehen (welches die Natur einer jeden apodiktt"schen Gewißheit er/odert), so überredete man sich, daß auch die Grundsätze aus dem Satze des Wi"der­ spruchs erkannt würden; worin sie si'ch irreten;denn ein synthe-

' A: ,hinzufügt�. - • A: »Anbau�. - 3 Anschließend folgt als neuer Absatz in A: »Es liegt also hier ein gewisses Geheimnis r,erborgen, *

dessen Aufschluß allein den Fortschritt in dem grenzenlosen Felde der reinen Verstandeserkenntnis sicher und zur,erlässig machen kann: nämlich mit gehöriger Allgemeinheit den Grund der Möglichkeit synthetischer Ur· teile a priori aufzudecken, die Bedingungen, die eine fede Art derselben möglich machen, einzusehen, und diese ganze Erkenntnis (die ihre eigene Gattung ausmacht) in einem System nach ihren ursprünglichen Quellen, Abteilungen, Umfang und Grenzen, nicht durch einen -/Züchtigen Umkreis zu bezeichnen, sondern vollständig und zu fedem Gebrauch hinreichend zu bestimmen. So viel vorläufig von dem Eigentümlichen, was die syn· thetischen Urteile an sich haben. * Wäre es einem von den Alten eingefallen, auch nur diese Frage auf­ zuwerfen, so würde diese allein allen Systemen der rei11en Vernunft bis auf unsere Zeit mächtig widerstanden haben, und hätte so vic le eitele Ver­ suche erspart, .die, ohne zu wissen, womit man eigentlich zu tun hat, blindlings unternommen worden • .,

IB 14 IA 10

EINLEITUNG

tischer Satz kann allerdings nach dem Satze des Widerspruchs ei·ngesehen werden, aber nur so, daß ein anderer synthetischer Satz vorausgesetzt wfrd, aus dem er gefolgert werden kann, niemals aber an sich selbst. Zuvörderst muß bemerkt werden: daß eigentliche mathema­ tische Sätze jederzeit Urteile a priori und nicht empirisch sein', weil sie Notwendigkeit bei sich führen, welche aus Er/ahrung nicht abgenommen werden kann. 1 Will man aber dieses nicht einräumen, wohlan, so schränke ich meinen Satz auf die r e i n e Mathematik ein, deren Begriff es schon mit sich bringt, daß sie nicht empirische, sondern bloß reine Erkenntnis a priori enthalte. Man sollte anfänglich zwar denken: daß der Satz 7+j= 12 ei·n bloß analytischer Satz sei, der aus dem Begriffe einer Sum­ me von Sieben und Fünf nach dem Satze des Widerspruches erfolge. Allein, wenn man es näher betrachtet, so findet man, daß der Begriff der Summe von 7 und 5 nichts weiter enthalte, als die Vereinigung beider Zahlen in eine einzige, wodurch ganz und gar nicht gedacht wfrd, welches diese einzige Zahl sei, die beide zusammenfaßt. Der Begriff von Zwölf ist keinesweges dadurch schon gedacht, daß frh mi'r bloß jene Vereinigung von Sieben und Fünf denke, und, üh mag meinen Begriff von einer solchen möglichen Summe noch so lange ?ergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen. Man muß über diese Begriffe hi'nausgehen, indem man die Anschauung zu Hülfe nimmt, die einem von beiden korrespondiert, etwa seine fünf Finger, oder (wie S egner in seiner Arithmetik) fünf Punkte, und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zu dem Begriffe der Sieben hinzutut. Denn ich nehme zuerst die Zahl 7, und, indem ich für den Begriff der 5 die Finger meiner Hand als Anschauung zu Hülfe nehme, so tue ich die Ei'nheiten, die ich vorher zusamjmennahm, um die Zahl 5 auszumachen, nun an jenem meinem Bilde nach und nach zur Zahl 7, und sehe so die Zahl 12 entspringen. Daß 7 zu 5 hi'nzugetan werden sollten, habe ich zwar in dem Be­ griff einer Summe = 7 + 5 gedacht, aber nicht, daß diese Summe der Zahl 12 gleich sei. Der arithmetische Satz t"st also 1

Akad.-Ausg.: ,sind•.

iB 15, 16

EINLEITUNG

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jederzeit synthetisch; welches man desto deutlicher z·nne wird, wenn man etwas größere Zahlen nimmt, da es denn klar ein­ leuchtet, daß, wir möchten unsere Begriffe drehen und wenden, wie wir wollen, wir, ohne die Anschauung zu Hülfe zu neh­ men, vermittelst der bloßen Zerglz"ederung unserer Begriffe die Summe niemals finden könnten. Eben so wenig ist irgend ein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch. Daß die gerade Lz'nie zwischen zweien Punkten die kürzeste sei", ist ein synthetischer Satz. Denn mez"n Begriff vom G e r a d e n enthält nz'chts von Größe, sondern nur ez"ne Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu, und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriffe der geraden Lz'nie gezogen werden. Anschauung muß also hier zu Hülfe genommen werden, vermittelst deren allein die Synthesis mög­ lich ist. Einige wenige Grundsätze, welche die Geometer voraussetzen, sind zwar wirklich analytisch und beruhen auf dem Satze des Widerspruchs; sie dienen aber auch nur, wie identische Sätze, zur Kette der Methode und nicht als Prinzipien, z.B. a = a, das Ganze z'st sich selber glez'ch, oder (a + b) > a, d. i. das Ganze ist größer als sein Teil. Und doch auch diese selbst, ob sie gleich nach bloßen Begriffen gelten, werden in der Mathe­ matz'k nur darum zugelassen, wez'l sie in der Anschauung kön­ nen dargestellet werden. Was uns hz'er gemeiniglich glauben macht, als läge das Prädikat solcher apodiktischen Urteile schon in unserm Begriffe, und das Urtez'l sei also analytz'sch, z'st bloß die Zweideutigkeit des Ausdrucks. Wir s o l l e n näm­ Hch zu einem gegebenen Begriffe ein gewisses Prädikat hinzu­ denken, und diese Notwendzgkeit haftet schon an den Begriffen. Aber die Frage ist nz'cht, was wir zu dem gegebenen Begriffe hinzu d e n k e n s o l l e n , sondern was wir wz'rkl i c h z'n ihm, obzwar nur dunkel, denken, und da zeigt sz'ch, daß das Prä­ dikat jenen Begriffen zwar notwendig, aber nicht als im Begriffe selbst gedacht, sondern vermittelst einer Anschauung, die zu dem Begriffe hinzukommen muß, anhänge. 2. Na t u r w i s s e n s c h a f t ( physica) e n t h ä l t synt h e­ tz' s c h e U r t e i l e a p r i o ri a l s P r i n z i p i e n i n sz'ch. Ich will nur ein paar Sätze zum Beispiel anführen, als den Satz:

I

IB 17

EINLEITUNG 58 daß in allen Veränderungen der körperlichen Welt die Quanti­ tät der Matert"e unverändert bleibe, oder daß, in aller Mitteilung derBewegung, Wirkung und Gegenwirkung jederzeit einander gleich sein müssen. An beiden ist nicht allein die Notwendig­ keit, mithi·n i"hr Ursprung a priori, sondern auch, daß sie syn­ thetische I Sätze sind, klar. Denn in demBegrifje der Materie denke z"ch mir nz"cht die Beharrlichkeit, sondern bloß ihre Ge­ genwart im Raume durch di·e Erfüllung desselben. Also gehe ich wirklich über denBegrifj von der Materie hinaus, um etwas a priori zu ihm ht"nzuzudenken, was ich in i hm nicht dachte. Der Satz ist also nicht analytisch, sondern synthetisch und dennoch a priori gedacht, und so in den übrigen Sätzen des reinen Teils der Naturwissenschaft. 3. In d e r M e t ap hys i k , wenn man sie auch nur für eine bisher bloß versuchte, dennoch aber durch dt"e Natur der mensch­ lichen Vernunft unentbehrliche Wissenschaft ansieht, sollen s y n t h e t i s c h e Erkenntnisse a priori e n t h a l t e n s e i n, und es ist ihr gar nicht darum zu tun, Begrifje, die wfr uns a pri·ori von Dingen machen, bloß zu zergliedern und dadurch analytisch zu erläutern, sondern wir wollen unsere Erkenntnis a priori erweitern, wozu wir uns solcher Grundsätze bedienen müssen, die über den gegebenenBegrifj etwas hinzutun, was in ihm nicht enthalten war, und durch synthetische Urteile a priori wohl gar so weit hinausgehen, daß uns die Erfahrung selbst nicht so weit folgen kann, z.B. in dem Satze: dz"e Welt muß einen ersten Anfang haben, u. a. m., und so besteht Meta­ physik wenigstens ihre,m Zw e c k e n a c h aus lauter synthe­ #schen Sätzen a priori. 1 VI. ALLGEMEINE AUFGABE DER REINEN VERNUNFT

Man gewinnt dadurch schon sehr viel, wenn man eine Menge von Untersuchungen unter die Formel einer einzigen Aufgabe bringen kann. Denn dadurch erleichtert man sich nicht allein selbst sein eigenes Geschäfte, indem man es sich genau be­ stimmt, sondern auch jedem anderen, der es prüfen will, das Urteil, ob wir unserem Vorhaben ein Gnüge getan haben oder nfrht. Die eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft ist nun in !B 18, 19

EINLEITUNG

59 der Frage enthalten: Wie s i n d synthetische U r t e i l e a p r iori mög l i c h? Daß die Metaphysik bisher in einem so schwankenden Zu­ stande der Ungewißheit und Widersprüche geblieben ist, ist lediglich der Ursache zuzuschreiben, daß man sich diese Auf­ gabe und vielleicht sogar den Unterschied der analytischen und synthetischen Urteile nicht früher in Gedanken kom­ men ließ.Auf derAuflösung dieserAufgabe, oder einem genug­ tuenden Beweise, daß die Möglichkeit, die si"e erklärt zu wissen verlangt, in der Tut gar nicht stattfinde, beruht nun das Stehen und Fallen der Metaphysik. D avid H u m e , der dieser Auf­ gabe unter allen Philosophen noch am nächsten trat, sie aber sich bei weitem nicht bestimmt genug und in ihrer Allgemein­ heit dachte, sondern bloß bei dem syntheti'schen Satze der Ver­ knüpfung der Wirkung mit ihren Ursachen (principium causalitatis) stelzen blieb, glaubte lzeraus zu bringen, daß ein solcher Satz a priori gänzlich unmöglich sei, und nach seinen Schlüssen würde alles, was wir M etaphysik nennen, auf einen bloßen Wahn von vermeinter Vernunfteinsicht dessen hinaus­ laufen, was i·n der Tat bloß aus der Erfahrung erborgt und durch Gewohnheit den Schein der Notwendigkeit überkommen hat; auf welche, alle reine Phüosophie zerstörende, Behauptung er niemals gefallen wäre, wenn er unsere Aufgabe in ihrer All­ gemeinheit vor Augen gehabt hätte, da er denn eingesehen haben würde, daß, nach seinem Argumente, es auch keine reine Mathematik geben könnte, weü diese gewiß synthetische Sätze a priori enthält, für welcher Behauptung ihn alsdenn sein guter Verstand wohl würde bewahrt haben. In derAuflösung obigerAufgabe ist zugleich die Möglichkeit des rei·nen Vernunftgebrauchs in Gründung und Ausführung aller Wissenschaften, die eine theoretische Erkenntnis a priori von Gegenständen enthalten, mit begrifjen, d. i. die Beantwor­ tung der Fragen: Wie i s t r e i n e M a t hema t i k mö g l i c h? Wie i s t r e i n e N a t u r w i s s e n s c h a f t mö g l i c h? Von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: w i e sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklich-

J

60

EINLEITUNG

keit bewiesen.• Was aber Metaphysik bejtrif}t, so muß ihr bisheriger schlechter Fortgang, und weil man von keiner einzi­ gen bisher vorgetragenen, was ihren wesentlt"chenZweck angeht, sagen kann, sie sei wirklich vorhanden, einen jeden mt"t Grunde an ihrer Möglühkeü zweifeln lassen. Nun ist aber diese A r t von E rkenntnis in gewissem Sinne doch auch als gegeben anzusehen, und Metaphysik ist, wenn gleich nicht als Wissenschaft, doch als Naturanlage (metaphysica naturalis) wirklich. Denn die menschliche Ver­ nunft geht unaufhaltsam, ohne daß bloße Eitelkeit des Viel­ wissens sie dazu bewegt, durch eigenes Bedürfnis getrieben bis zu solchen Fragen fort, die durch keinen Erfahrungsgebrauch der Vernunft und daher entlehnte Prinzipien beantwortet wer­ den können, und so ist wirklich in allen Menschen, so bald Vernunft sich in ihnen bis zur Spekulation erweitert, irgend eine Metaphysi·k zu aller 'Leit gewesen, und wfrd auch immer darin bleiben. Und nun ist auch von dieser die Frage: 1 Wie i'st M e t a p h y s i k a l s N a t u r a n l a g e m ö g l i c h 7 d. i. wie entspringen die Fragen, welche reine Vernunft sich aufwirft, und die sie, so gut als sie kann, zu beantworten durch ihr eige­ nes Bedürfnis getrieben wfrd, aus der Natur der allgemeinen Menschenvernunft7 Da sich aber bei allen bisherigen Versuchen, dt"ese natürlt"che Fragen, z.B. ob die Welt einen Anfang habe, oder von Ewigkeit her sei, u. s.w. zu beantworten, federzeit unvermeidliche Wider­ sprüche gefunden haben, so kann man es nicht bei der bloßen Naturanlage zur Metaphysik, d. i. dem reinen Vernunftver­ mögen selbst, woraus zwar immer irgend eine Metaphysik (es sei welche es wolle) erwächst, bewenden lassen, sondern es muß möglich sein, mit ihr es zur Gewißheit zu bringen, entweder im Wissen oder Nicht-Wissen der Gegenstände, d.i. entweder • Von der reinen Naturwissenschaft könnte mancher dieses letztere noch bezweifeln. Allein man darf nur die verjschiedenen Sätze, die im Anfange der eigentlichen (empirischen) Physik vorkommen, nachsehen, als den von der Beha"lichkeit derselben Quantität Ma!erie, von der Trägheit, der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung u.s.w., so wird man bald über­ zeugt werden, daß sie eine physicam puram (oder rationalem) ausmachen, die es wohl verdient, als eigene Wissenschaft, in ihrem engen oder weiten, aber doch ganzen Umfange, abgesondert aufgestellt zu werden.

IB 21, 22

Anm.:

IB 21

EINLEITUNG

61

der Entscheidung über die Gegenstände ihrer Fragen, oder über das Vermögen und Unvermögen der Vernunft, in Ansehung ihrer etwas zu urteilen, also entweder unsere ret"ne Vernunft mit Zuverlässigkeit zu erweitern, oder ihr bestimmte und sichere Schranken zu setzen. Diese letzte Frage, die aus der obigen allgemeinen Aufgabe ·f/,ießt, würde mit Recht diese sein: Wie i s t M e t a p h y s i k a l s Wis s e n s c h a f t m ö g l i ch? Die Kritik der Vernunft führt also zuletzt notwendig zur Wissenschaft; der dogmatische Gebrauch derselben ohne Kritik dagegen auf grundlose Behauptungen, 1 denen man eben so scheinbare entgegensetzen kann, mithin zum Skeptizism us. Auch kann düse Wissenschaft nicht von großer abschrecken­ der Weitläuftigkeit sein, weil sie es nicht mit Objekten der Ver­ nunft, deren Mannigfaltigkeit unendlich ist, sondern es bloß mit sich selbst, mit Aufgaben, die ganz aus ihrem Schoße entspringen, und ihr nicht durch dt"e Natur der Dinge, die von ihr unterschieden sind, sondern durch ihre eigene vorgelegt sind, zu tun hat; da es denn, wenn st"e zuvor ihr eigen Vermögen in Ansehung der Gegenstände, die ihr in der Erfahrung vor­ kommen mögen, vollständig hat kennen lernen, let"cht werden muß, den Umfang und die Grenzen ihres über alle Erfahrungs­ grenzen versuchten Gebrauchs vollständig und sicher zu be­ stimmen. Man kann also und muß alle bisher gemachte Versuche, eine Metaphysik d o g m a t i s c h zu Stande zu bringen, als un­ geschehen ansehen; denn was in der einen oder der anderen Analytisches, nämlich bloße Zergliederung der Begriffe ist, die unserer Vernunft a priori beiwohnen, ist noch gar nicht der Zweck, sondern nur eine Veranstaltung zu der eigentlichen Metaphysik, nämlich seine Erkenntnis a priori synthetisch zu erwez"tern, und ist zu diesem untauglich, weil sie bloß zeigt, was in diesen Begriffen enthalten ist, ni'cht aber, wie wir a priori zu solchen Begriffen gelangen, um darnach auch ihren gültigen Gebrauch in Ansehung der Gegen !stände aller Erkenntnis über­ haupt bestimmen zu können. Es gehört auch nur wenig Selbst­ verleugnung dazu, alle dt"ese Ansprüche aufzugeben, da die nicht abzuleugnende und im dogmatischen Ver/ahren auch unver­ meidliche Widersprüche der Vernunft mit sich selbst jede bis-

iB 23, 24

EINLEITUNG

herige Metaphysik schon längst um ihr Ansehen gebracht haben. Mehr Standhaftigkeit wird dazu nötig sein, sich durch die Schwierigkeit innerli"ch und den Widerstand äußerlich nicht abhalten zu lassen, eine der menschlichen Vernunft unentbehr­ liche Wi"ssenschaft, von der man wohl jeden hervorgeschossenen Stamm abhauen, die Wurzel aber nicht ausrotten kann, durch eine andere, der bisherigen ganz entgegengesetzte, Behandlung endlich einmal zu einem gedeihlz'chen und fruchtbaren Wuchse zu befördern. VII. IDEE UND EINTEILUNG EINER BESONDEREN WISSENSCHAFT, UNTER DEM NAMEN EINER KRITIK DER REINEN VERNUNFT'

Aus diesem allem ergibt sich nun die Idee einer beson­ dern Wissenschaft, die Kritik der reinen Vernunft 1 heißen kann. Denn• ist Vernunft das Vermögen, welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori an die Hand gibt. Da­ her ist reine Vernunft diejenige, welche die Prinzipien, etwas schlechthin a priori zu erkennen, enthält. Ein O r g a n o n der reinen Vernunft würde ein Inbegriff derjenigen Prinzipien sein, nach denen alle l reine Erkenntnisse a priori können erworben und wirklich zu Stande gebracht werden. Die aus­ führliche Anwendung eines solchen Organon würde ein Sy­ stem der reinen Vernunft verschaffen. Da dieses aber sehr viel verlangt ist, und es noch dahin steht, ob auch hier 3 überhaupt eine 4 Erweiterung unserer Erkenntnis und in welchen Fällen sie möglich sei: so können wir eine Wissen­ schaft der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propädeutik zum System der reinen Vernunft ansehen. Eine solche würde nicht eine Doktrin, sondern nur Kritik der reinen Vernunft heißen müssen, und ihr Nutzen würde in Ansehung der Spekula-

' Der Text der Abschnitte V ff. ist Zusatz von B. - • A: »zur Kritik der reinen Vernunft dienen könne. Es heißt aber iede Erkenntnis r e i n, die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Er­ kenntnis schlechthin rein genannt, in die sich überhaupt keine Er/ahrung oder Empfindung einmischt, welche mithin völlig a priori möglich ist. Nun�. 3 Zusatz von B. - 4 A: »eine solche•.

J

IB 25 JA II

EINLEITUNG

tion' wirklich nur negativ sein, nicht zur Erweiterung, son­ dern nur zur Läuterung unserer Vernunft dienen, und sie von Irrtümern frei halten, welches schon sehr viel gewonnen ist. Ich nenne alle Erkenntnis t r a n s z e n d ental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Er­ kenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori mögli'ch sein soll, überhaupt beschäftigt.• Ein S y s t e m solcher Be­ griffe würde Transzendental-P h i l o s o p h i e heißen. Diese ist aber wiederum für den Anfang noch 3 zu viel. Denn, weil eine solche Wissenschaft so wohl die analytische Er­ kenntnis, als die synthetische a priori vollständig enthalten müßte, so ist sie, so weit 4 es unsere Absicht betrifft, von zu weitem Umfange, indem wir die Analysis nur so weit trei­ ben dürfen, als sie unentbehrlich notwendig 5 ist, um die Prin­ zipien der Synthesis a priori, als warum es uns nur zu tun ist, in ihrem gan!zen Umfange einzusehen. Diese Untersu­ chung, die wir eigentlich nicht Doktrin, sondern nur tran­ szendentale Kritik nennen können, weil sie nicht die Erwei­ terung der Erkenntnisse selbst, sondern nur die Berichtigung derselben zur Absicht hat, und den Probierstein des Werts oder Unwerts aller Erkenntnisse a priori abgeben soll, ist das, womit wir uns jetzt beschäftigen. Eine solche Kritik ist demnach eine Vorbereitung, wo möglich, zu einem Or­ ganon, und wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Kanon derselben, nach welchem 6 allenfalls dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Ver­ nunft, es mag nun in Erweiterung oder bloßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen, so wohl analytisch als synthe­ tisch dargestellt werden könnte. Denn daß dieses möglich sei, ja daß ein solches System von nicht gar großem Um­ fange sein könne, um zu hoffen, es ganz zu vollenden, läßt sich schon zum voraus daraus ermessen, daß hier nicht die Natur der Dinge, welche unerschöpflich ist, sondern der Verstand, der über die Natur der Dinge urteilt, und auch dieser wiederum nur in Ansehung seiner Erkenntnis a priori,

I

' Zusatz von B. - • A: •sondern mit unsern Begrifjen a priori von Gegenlständen überhaupt beschäftigt.• - 3 Zusatz von B. - • A: »in so fern,. - 5 A: »nötig,. - 6 A: »welchen,.

IB 26 IA 13

Anm.:

IA 12

EINLEITUNG

den Gegenstand ausmacht, dessen Vorrat, weil wir ihn doch nicht auswärtig suchen dürfen, uns nicht verborgen bleiben kann, und allem Vermuten nach klein genug ist, um voll­ ständig aufgenommen, nach seinem Werte oder Unwerte be­ urteilt und unter richtige Schätzung gebracht zu wer!den.

Noch weniger darf man hier eine Kritik der Bücher und Systeme der reinen Vernunft erwarten, sondern die des reinen Vernunftvermögens selbst. Nur allein, wenn diese zum Grunde liegt, hat man einen sicheren Probierstein, den philosophischen Gehalt alter und neuer Werke in diesem Fache zu schätzen; widrigen/alls beurteilt der unbefugte Geschichtschreiber und Richter grundlose Behauptungen anderer, durch seine eigene, die eben so grundlos sind.' Die Transzendental-Philosophie ist die Idee einer Wis­ senschaft', wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen

Plan architektonisch, d. i. aus Prinzipien, entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicher­ heit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen 3. Sie ist das System aller Pri'nzipt'en der rei"nen Vernunft. 4 Daß diese Kri­ tik nicht schon selbst Transzendental-Philosophie heißt, be­ ruhet lediglich darauf, daß sie, um ein vollständig System zu sein, auch eine ausführliche Analysis der ganzen mensch­ lichen Erkenntnis a priori enthalten müßte. Nun muß zwar unsere Kritik allerdings auch eine vollständige Herzählung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkenntnis ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausführlichen Ana­ lysis dieser Begriffe selbst, wie auch der vollständigen Re­ zension der daraus abgeleiteten, enthält sie sich billig, teils weil diese Zergliederung nicht zwecklmäßig wäre, 1 indem sie die Bedenklichkeit nicht hat, welche bei der Synthetis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze Kri­ tik da ist, teils, weil es der Einheit des Plans zuwider wäre, sich mit der Verantwortung der Vollständigkeit einer sol­ chen Analysis und Ableitung zu befassen, deren man in An­ sehung seiner Absicht doch überhoben sein konnte. Diese 1 Zusatz von B. Anschließend folgt in A die Überschrift: »II. Ein­ teilung der Transzendental-Philosophie�. - • A: »hier nur eine Idee,. � A: »ausmacht�. - 4 Zusatz von B.

iB 27, 28 IA 14

EINLEITUNG

Vollständigkeit der Zergliederung sowohl, als der Ableitung aus den künftig zu liefernden Begriffen a priori, ist indessen leicht zu ergänzen, wenn sie nur allererst als ausführliche Prinzipien der Synthesis dasind, und in Ansehung dieser wesertlichen Absicht nichts ermangelt. Zur Kritik der reinen Vernunft gehört demnach alles, was die Transzendental-Philosophie ausmacht, und sie ist die vollständige Idee der Transzendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst; weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur vollständigen Beurteilung der synthetischen Erkenntnis a priori erforderlich ist. Das vornehmste Augenmerk bei der Einteilung einer sol­ chen Wissenschaft ist: daß gar keine Begriffe hineinkommen müssen, die irgend etwas Empirisches in sich enthalten; oder daß die Erkenntnis a priori völlig rein sei. Daher, ob­ zwar die obersten Grundsätze der Moralität, und die Grund­ begriffe derselben, Erkenntnisse a priori sind, so gehören sie doch nicht in die Transzendental-Philosophie, weil sie' die Beigriffe der Lust und Unlust, der Begierden und Nei­ gungen 3 etc., die insgesamt empirischen Ursprungs sind, zwar selbst nicht zum Grunde ihrer Vorschriften legen, aber doch im Begriffe der PfHcht, als Hindernis, das überwunden, oder als Anreiz, der nicht zum Bewegungsgrunde gemacht wer­ den soll, notwendig i·n die Abfassung des Systems der reinen Sittlichkeit mit hineinzt"ehen müssen 4. Daher ist die Transzen­ dental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen bloß speku­ lativen Vernunft. Denn alles Praktische, so fern es Trieb­ federn 5 enthält, bezieht sich auf Gefühle, welche zu empiri­ schen Erkenntnisquellen gehören. Wenn man nun die Einteilung dieser Wissenschaft aus dem allgemeinen Gesichtspunkte eines Systems überhaupt anstellen will, so muß die, welche wir jetzt vortragen, erst­ lieh eine E l e m e n t a r -Leh r e , zweitens eine M e t h o d e n ­ Leh r e der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieser Haupt­ teile würde seine Unterabteilung haben, deren Gründe sich I

1

1 A: rnnd ihnen«. - • Zusatz von B. - 3 A: •Neigungen, der Will­ kür«. -4 A: •sind, dabei vorausgesetzt werden müßten«. - s A: »Bewe­ gungsgründe«.

!B 29 IA 15

66

EINLEITUNG

gleichwohl hier noch nicht vortragen lassen. Nur so viel scheint zur Einleitung, oder Vorerinnerung, nötig zu sein, daß es zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis gebe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekann­ ten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände g e g e b e n, durch den zweiten aber g e d a c h t werden. So fern nun die Sinnlichkeit Vorstellungen a priori enthalten sollte, welche die Bedin­ gung' ausmachen, unjter der uns Gegenstände gegeben wer­ den, so würde sie zur Transzendental-Philosophie gehören. Die transzenjdentale Sinnenlehre würde zum ersten Teile der Elementar-Wissenschaft gehören müssen, weil die Bedin­ gungen, worunter allein die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden.

1

A: ,Bedingungen�.

IB 30 IA 16

II KRITIK DER REINEN VERNUNFT

I TRANSZENDENTALE ELEMENTARLEHRE

TRANSZENDENTALE .Ä.STHETIK

!\

DER TRANSZENDENTALEN ELEMENTARLEHRE ERSTER TEIL DIE TRANSZENDENTALE .Ä.STHETIK

§z

'

Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt,dieA n s c h a u­ ung. Diese findet aber nur statt, so fern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum,uns Menschen wenig­ stens,' nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlich­ keit also werden uns Gegenstände gegeben,und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe. Alles Denken aber muß sich, es sei geradezu (directe), oder im Umschweife (indirecte), vermittelst gewisser Merkmale,' zuletzt auf An­ schauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann. 1 Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungs­ fähigkeit, so fern wir von demselben affiziert werden, ist j Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschau­ ung heißt Erscheinung. In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die Materie derselben, dasjenige aber, wel­ ches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in ge­ wissen Verhältnissen geordnet werden kann 3, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worinnen sich die Empfin­ dungen allein ordnen, und in gewisse Form gestellet werden können, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori 1 Die Paragraphierung ist Zusatz von B. - • Zusatz von B. - 3 A: ,, Erscheinung, in gewissen Verhältnissen geordnet, angeschauet wird«.

!B 33, 34

IA 19,

TRANSZENDENTALE .Ä.STHETIK

gegeben, die Form derselben aber muß zu ihnen insgesamt im Gemüte a priori bereit liegen, und dahero abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden. Ich nenne alle Vorstellungen r e i n (im transzendentalen Verstande), in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird. Demnach wird die reine Form sinnlicher Anschauungen überhaupt im Gemüte a priori angetroffen werden, worinnen alles Mannigfaltige der Erscheinungen in gewissen Verhältnissen angeschauet wird. Diese reine Form der Sinnlichkeit wird auch selber r e i n e A n s c h a uun g heißen. So, wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Teil­ barkeit etc., imgleichen, was davon zur Empfindung gehört, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüte stattfindet. Eine Wissenschaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit a priori nenne ich die t r a n sz e n d e n t a l e Äst h eti k*. Es muß also eine solche Wissenschaft geben, die den ersten

i

1

I

* Die

Deutschen sind die einzigen, welche sich jetzt des Worts Äs t h e t i k bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Kritik des Geschmacks heißen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische Beurteilung des Schönen unter Vernunftprinzipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln, oder Kriterien, sind ihren vor­ nehmsten' Quellen nach bloß empirisch, und können also niemals zu bestimmten' Gesetzen a priori dienen, wornach sich unser Geschmacks­ urteil richten müßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierstein der Richtigkeit der ersteren aus. 1 Um deswillen ist es rat­ sam, diese Benennung entweder' wiederum eingehen zu lassen, und sie derjenigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wissenschaft ist (wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Alten näher treten würde, bei denen die Einteilung der Erkenntnis in aluDr,rd ,tal vo71-rd sehr berühmt war), oder sich in die Benennung mit der spekulativen Philo· sophie zu teilen und die Ästhetik teils im transzendentalen Sinne, teils in psychologischer Bedeutung zu nehmen'. 1

Zusatz von B. jB 35, 36 !A 21 Anm.: IB 36

VON DEM RAUME

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Teil der transzendentalen Elementarlehre ausmacht, im Ge­ gensatz derjenigen, welche die Prinzipien des reinen Den­ kens enthält, und transzendentale Logik genannt wird. In der transzendentalen Ästhetik also werden wir zuerst die Sinnlichkeit i s o l i e r e n , dadurch, daß wir alles abson­ dern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung übrig bleibe. Zwei­ tens werden wir von dieser noch alles, was zur Empfindung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinungen übrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann. Bei dieser Untersuchung wird sich finden, daß es zwei reine For­ men sinnlicher Anschauung, als Prinzipien der Erkenntnis a priori gebe, nämlich Raum und Zeit, mit deren Erwägung wir uns jetzt beschäftigen werden. I

1

1 DER TRANSZENDENTALEN .Ä.STHETIK ERSTER ABSCHNITT VON DEM RAUME §2 METAPHYSISCHE ERÖRTERUNG DIESES BEGRIFFS'

Vermittelst des äußeren Sinnes (einer Eigenschaft unsres Gemüts) stellen wir uns Gegenstände als außer uns, und diese insgesamt im Raume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegen einander bestimmt, oder be­ stimmbar. Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschauet, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt; allein es ist doch eine bejstimmte Form, unter der die An­ schauung ihres innem Zustandes allein möglich ist, so, daß alles, was zu den innem Bestimmungen gehört, in Verhält­ nissen der Zeit vorgestellt wird.Äußerlich kann die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich zu' A: • Gegensatz milf. - • Zusatz von B.

IB 37 IA 22, 23

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TRANSZENDENTALE Ä.STHETIK

kommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder sind sie solche, die nur an der Form der Anschauung allein haften, und mithin an! der subjektiven Beschaffenheit unseres Gemüts, ohne welche diese Prädikate gar keinem Din­ ge beigeleget werden können? Um uns hierüber zu belehren, wollen wir zuerst den Begriff des Raumes erörtern'. Ieh ver­ stehe aber unter Erört e r u n g (expositio) die deutliche (wenn gleich nicht ausführliche) Vorstellung dessen, was zu einem Be­ griffe gehört; m e t ap hys i s c h aber ist die Erörterung, wenn sie dasjenige enthält, was den Begriff, als a priori gegeben, darstellt.' 1) Der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äuße­ ren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit gewisse Empfindungen auf etwas außer mich bezogen werden (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes, als darinnen ich mich befinde), imgleichen damit ich sie als außer und neben• einander, mithin nicht bloß verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vor­ stellung des Raumes schon zum Grunde liegen. Demnach kann die Vorstellung des Raumes nicht aus den Verhält­ nissen der äußern Erscheinung durch Erfahrung erborgt sein, sondern diese äußere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich. 2) Der Raum ist eine notwendige Vorstellung, a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angeltroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angese­ hen, und ist eine Vorstellung a priori, die notwendiger Weise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt. 3

1

1 A: »den Raum betrachten�. - 2 Zusatz von B. - iAnschließend folgt als neuer Absatz in A: » 3) Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich die apodiktische Gewißheit aller geometrischen Grundsätze, und die Nög­ lichkeit ihrer Konstruktionen a priori. Wäre nämlich diese Verstellung des Raums ein a posteriori erworbener Begrifj, der aus dPr allgemeinen äußeren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die e,-ste,i Grundsätze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahrnehmun�en sein. Sie hätten also alle Zu/älligkeit der Wahrnehmung, und es wäre eben nicht notwendig,

!B 38, 39

IA 24

VON DEM RAUME 1

73

3) Der Raum ist kein diskursiver, oder, wie man sagt,all­ gemeiner Begriff vonVerhältnissen der Dingelüberhaupt, son­ dern eine reine Anschauung. Denn erstlich kann man sich nur einen einigenRaum vorstellen, und wenn man von vielenRäu men redet, so verstehet man darunter nur Teile eines und des­ selben alleinigen Raumes. Diese Teile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raume gleichsam als dessen Be­ standteile (daraus seine Zusammensetzung möglich sei) vor­ hergehen, sondern nur i n i h m gedacht werden. Er ist wesent­ lich einig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allge­ meine Begriff von Räumen überhaupt, beruht lediglich auf Einschränkungen. Hieraus folgt, daß in Ansehung seiner eine Anschauung a priori (die nicht empirisch ist) allen Begriffen von demselben' zum Grunde liegt 3• So werden auch alle geome­ trische Grundsätze, z. E. daßin einem Triangel zwei Seiten zu­ sammen größer sein 4, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, sondern aus der Anschau­ ung und zwar a priori mit apodiktischer Gewißheit abgeleitet.

4) Der Raum wird als eine unendliche g e g e b e n e Größe vorgestellt. Nun muß man zwar einen jeden Bejgrifj als eine Vorstellung denken, die in einer unendlichen Menge von ver­ schiedenen möglichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches 11,Jerkmal) enthalten ist, mithin diese u n t e r s ieh enthält; aber kein Begriff,als ein solcher,kann so gedacht werden,als ob er eine unendliche Menge von Vorstellungen i n s i c h enthielte. Gleich­ wohl wird der Raum so gedacht (denn alle Tei'le des Raumes i·ns Unendliche sind zugleich). Alsoi'st die ursprüngliche Vorstellung vom Raume A n s c h a u u ng a priori, und nicht B eg r iff.5 daß zwischen zween Punkten nur eine gerade Linie sei, sondern die Er­ fahrung würde es so iederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur komparative Allgemeinheit, nämlich durch Induktion. Man würde also nur sagen können, so viel zur Zeit noch bemerkt worden, ist kein Raum gefunden worden, der mehr als drei Abmessungen hätte., 1 A: »4),. - 'A: »denselben,. - 3 A: »liege,. - 4 Akad.-Ausg.: »sind«. 5 Dieser Abschnitt lautet in A: »5) Der Raum wird als eine unend­ liche Größe gtgeben vorgestellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der so wohl in dem [Akad.-Ausg.: •sowohl einem«] Fuße, als einer Elle gemein ist) kann in Ansehung der Größe nichts bestinnnen. Wäre es nicht die Gren­ zenlosigkeit im Fortgange der Anschauung, so würde kein Begriff von Ve1 hältnissen ein Principium der Unendlichkeit derselben bei sich führen.,

IB 40 IA

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TRANSZENDENTALE ÄSTHETIK

§3 TRANSZENDENTALE ERÖRTERUNG DES BEGRIFFS VOM RAUME

Ich verstehe unter et"ner t r a n s z e n d e n t a l e n E r ö rt e r u n g die Erklärung eines BegritJs, als eines Prinzips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori ein­ gesehen werden kann. Zu dieser Absicht wird erfordert, z) daß wirklich dergleichen Erkenntnt"sse aus dem gegebenen BegritJe herf/,ießen, 2) daß diese Erkenntnt"sse nur unter der Voraus­ setzung einer gegebenen Erklärungsart dieses BegritJs möglich sind. Geometrie ist eine Wissenschaft, welche dt'e Eigenschaften des Raums synthetisch und doch a priori bestimmt. Was muß die Vorstellung des Raumes denn sein, damit eine solche Er­ kenntnis von ihm möglich seil Er muß ursprünglich Anschau­ ung sein; denn aus einem bloßen BegritJe lassen sich keine Sätze, die über den BegritJ hinausgehen, ziehen, welches doch in der Geometrie geschieht (Einleitung V). Aber diese An­ schauung muß a priori, d. i. vor aller Wahrnehmung eines Gegenstandes, in uns angetroffen werden, mithin reine, nicht empirische Anschauung sei·n. Denn die geometrischen Sätze sind insgesamt apodi'ktisch, d. i. mit dem Bewußtsein ihrer Notwendigkeit verbunden,z. B. der Raum hat nur drei Abmes­ sungen; dergleichen Sätze aber können nicht empirische oder Er/ahrungsurteile sein, noch aus ihnen geschlossen werden ( fünlei't. 11). Wt'e kann nun eine äußere Anschauung dem Gemüte bei­ wohnen, die vor den Objekten selbst vorhergeht, und i·n welcher der BegritJ der letzteren a priori bestimmt werden kann7 Offen­ bar ni'cht anders, als so fern sie bloß im Subjekte, als die for­ male BeschatJenheit desselben, von Objekten affiziert zu werden, und dadurch u n m i t t e l b a r e Vor s t el l u ng derselben,d. i.An­ s c h a u u n g zu bekommen, ihren Sitz hat, also nur als Form des äußeren S i n n e s überhaupt. Also macht allein unsere Erklärung die Mög l i c h k e i t d e r G e o m e t r i e als einer synthetischen Erkenntnis a priori be­ greiflich. Eine jede Erklärungsart, die dieses nicht liefert, wenn

I

IB41

VON DEM RAUME

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sie gleich dem Anscheine nach mit ihr einige Ähnlichkeit hätte, llann an diesen Kennzeichen am sichersten von ihr unterschie­ den werden.'

II SCHLÜSSE AUS OBIGEN BEGRIFFEN a) Der Raum stellet gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an sich, oder sie in ihrem Verhältnis aufeinander vor, d. i. keine Bestimmung derselben, die an Gegenständen selbst haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen subjektiven Bedingungen der Anschauung abstrahierte. Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut werden. b) Der Raum ist nichts anders, als nur die Form aller Er­ scheinungen äußerer Sinne, d. i. die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist. Weil nun die Rezeptivität des Subjekts, von Gegenständen affiziert zu werden, notwendiger Weise vor allen Anschauungen dieser Objekte vorhergeht, so läßt sich verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirk­ lichen Wahrnehmungen, mithin a priori im Gemüte gegeben sein könne, und wie sie als eine reine Anschauung, in der alle Gegenstände bestimmt werden müssen, Prinzipien der Ver­ hältnisse derselben vor aller Erfahrung enthalten könne. Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen vom Raum, von ausgedehnten Wesen etc. reden. Gehen wir von der subjektiven Bedingung ab, unter wel­ cher wir allein äußere Anschauung bekommen können, so wie wir nämlich von den Gegenständen affiziert werden mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Raulme gar nichts. Dieses Prädikat wird den Dingen nur in so fern beigelegt, als sie uns erscheinen, d. i. Gegenstände der Sinnlichkeit sind. Die beständige Form dieser Rezeptivität, welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine notwendige Bedingung aller Verhältnisse, darinnen Gegenstände als außer uns ange­ schauet werden, und, wenn man von diesen Gegenständen

1

' Der Text von § 3 ist Zusatz von B. iB 42, 43 JA 26, 27

TRANSZENDENTALE ÄSTHETIK

abstrahiert, eine reine Anschauung, welche den Namen Raum führet. Weil wir die besonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Möglichkeit der Sa­ chen, sondern nur ihrer Erscheinungen machen können, so können wir wohl sagen, daß der Raum alle Dinge befasse, die uns äußerlich erscheinen mögen, aber nicht alle Dinge an sich selbst, sie mögen nun angeschaut werden oder nicht, oder auch, von welchem Subjekt man wolle. Denn wir kön­ nen von den Anschauungen anderer denkenden Wesen gar nicht urteilen, ob sie an die nämlichen Bedingungen gebun­ den sein', welche unsere Anschauung einschränken und für uns allgemein gültig sind. Wenn wir die Einschränkung eines Urteils zum Begriff des Subjekts hinzufügen, so gilt das Ur­ teil alsdenn unbedingt. Der Satz: Alle Dinge sind neben ein­ ander im Raum, gilt• unter der Einschränkung, wenn diese Dinge als Gegenstände unserer sinnlichen Anschauung ge­ nommen werden. Füge ich hier die Bedingung zum Begriffe, und sage: Alle Dinge, als äußere Erscheinungen, sind neben einander im Raum, so gilt diese Regel allgemein und ohne Einschränkung. Unlsere Erörterungen lehren demnach die Realität (d. i. die objektive Gültigkeit) des Raumes in Ansehung alles dessen, was äußerlich als Gegenstand uns vorkommen kann, aber zugleich die Id ealität des Raums in Ansehung der Dinge, wenn sie durch die Vernunft an sich selbst erwogen werden, d. i. ohne Rücksicht auf die Beschaf­ fenheit unserer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaupten also die e m p i r i s c h e Re alität des Raumes (in Ansehung aller möglichen äußeren Erfahrung),ob zwar3 die t r a n s z e n d e n­ tale Idealität desselben, d. i. daß er nichts sei, so bald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zum Grunde liegt, annehmen. Es gibt aber auch außer dem Raum keine andere subjek­ tive und auf etwas Äu ßeres bezogene Vorstellung, die a priori objektiv heißen könnte. Denn man kann von keiner

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derselben synthetische Sätze a priori, wie von der Anschauung im Raume, herleiten ( § 3). Daher ihnen, genau zu reden, gar 'Akad.·Ausg.: »seien•. - 'A: »gilt nurt. - 3 A: wb zwar zugleich«. !B 44

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77 keine Idealität zukommt, ob sie gleich darin mi·t der Vorstellung des Raumes übereinkommen, daß si"e bloß zur subjektiven Be­ schaffenheitderSi"nnesart gehören,z.B.des Gesichts,Gehörs,Ge­ fühls,durch dieEmpfindungen der Farben,TöneundWärme,die aber, weil sie bloß Einpfindungen und nicht Anschauungen si"nd, an sich kez"n Objekt, am wenigsten a priori, erkennen lassen.' i Die Absicht dieser Anmerkung geht nur dahin: zu ver­ hüten, daß man die behauptete Idealität des Raumes nicht durch bei weitem unzulängliche Beispiele zu erläutern sich einfallen lasse, da nämlich etwa Farben, Geschmack etc.mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern bloß als Veränderungen unseres Subjekts, die so gar bei verschie­ denen Menschen verschieden sein können, betrachtet wer­ den. Denn in diesem Falle gilt das, was ursprünglich selbst nur Erscheinung ist, z.B. eine Rose, im empirischen Ver­ stande für ein Ding an sich selbst, welches doch jedem Auge in Ansehung der Farbe anders erscheinen kann. Da­ gegen ist der transzendentale Begriff der Erscheinungen im Raume eine kritische Erinnerung, daß überhaupt nichts, VON DEM RAUME

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1 A: »Daher diese subjektive Bedingung aller äußeren Erscheinungen mit keiner andern kann verglichen werden. Der Wohlgeschmack eines Weines gehört nicht zu den objektiven Bestimmungen des Weines, mithin eines Objekts so gar als Erscheinung betrachtet, sondern zu der besondern Be­ schaffenheit des Sinnes an dem Subjekte, was ihn genießt. Die Farben sind nicht Beschaffenheiten der Körper, deren Anschauung sie anhängen, son­ dern auch nur Modifikationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Lichte auf gewisse Weise affiziert wird. Dagegen gehört der Raum, als Bedingung äußerer Objekte, notwendiger Weise zur Erscheinung oder Anschauung derselben. Geschmack und Farben sind gar nicht notwendige j Bedingun­ gen, unter welchen die Gegenstände allein vor uns Objekte der Sinne werden können. Sie sind nur als zu/ällig beigefügte Wirkungen der besondern Organisation mit der Erscheinung verbunden. Daher sind sie auch keine Vorstellungen a priori, sondern auf Empfindung, der Wohlgeschmack aber so gar auf Gefühl (der Lust und Unlust) als einer Würkung der Empfin· dung gegründet. Auch kann niemand a priori weder eine Vorstellung einer Farbe, noch irgend eines Geschmacks haben: der Raum aber betrifft nur die reine Form der Anschauung, schließt also gar keine Empfindung (nichts Empirisches) in sich, und alle Arten und Bestimmungen des Rau­ mes können und müssen so gar a priori vorgestellt werden können, wenn Begriffe der Gestalten so wohl, als Verhältnisse entstehen sollen. Durch denselben ist es allein möglich, daß Dinge vor uns äußere Gegenstände sein [Akad.-Ausg.: •sind«].�

1B 4j

JA 30 Anm.: jA 29

TRANSZENDENTALE ÄSTHETIK

was im Raume angeschaut wird, eine Sache an sich, noch daß der Raum eine Form der Dinge sei, die ihnen etwa an'. sich selbst eigen wäre, sondern daß uns die Gegenstände an sich gar nicht bekannt sein', und, was wir äußere Gegen­ stände nennen, nichts anders als bloße Vorstellungen unse­ rer Sinnlichkeit sein deren Form der Raum ist, deren wahres Correlatum aber, d. i. das Ding an sich selbst, da­ durch gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann, nach welchem aber auch in der Erfahrung niemals gefragt wird. 1

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1 DER TRANSZENDENTALEN ÄSTHETIK ZWEITER ABSCHNITT VON DER ZEIT

§4

METAPHYSISCHE ERÖRTERUNG DES BEGRIFFS DER ZEIT•

Die Zeit ist 1) 3 kein empirischer Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden. Denn das Zugleichsein oder Aufeinanderfolgen würde selbst nicht in die Wahrneh­ mung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht a priori zum Grunde läge. Nur unter deren Voraussetzung kann man sich vorstellen: daß einiges zu einer und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nach einander) sei. 2) Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung, die allen An­ schauungen zum Grunde liegt. Man kann in Ansehung der Er­ scheinungen überhaupt die Zeit selbsten nicht aufheben, ob man zwar ganz wohl die Erscheinungen aus der Zeit wegneh­ men kann. Die Zeit ist also a priori gegeben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich. Diese können insgesamt wegfallen, aber sie selbst (als die allgemeine Be­ dingung ihrer Möglichkeit) kann nicht aufgehoben werden. l 3) Auf diese Notwendigkeit a priori gründet sich auch die l\iöglichkeit apodiktischer Grundsätze von den Verhältnis­ sen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit überhaupt. Sie hat

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1 Akad.-Ausg.: >>seien«. - • Zusatz von B. - 3 In A steht die Ziffer über dem Text.

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79 nur Eine Dimension: verschiedene Zeiten sind nicht zu­ gleich, sondern nach einander (so wie verschiedene Räume nicht nach einander, sondern zugleich sind). Diese Grund­ sätze können aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn diese würde weder strenge Allgemeinheit, noch apodiktische Gewißheit geben. Wir würden nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung; nicht aber: so muß es sich ver­ halten. Diese Grundsätze gelten als Regeln, unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind, und belehren uns vor derselben, und nicht durch dieselbe. 4) Die Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten sind nur Teile eben der­ selben Zeit. Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, ist aber Anschauung. Auch würde sich der Satz, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können, aus einem allgemeinen Begriff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch, und kann aus Be­ griffen allein nicht entspringen. Er ist also in der Anschau­ ung und Vorstellung der Zeit unmittelbar enthalten. 5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe der Zeit nur durch I Einschrän­ kungen einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich sei. Daher muß die ursprüngliche Vorstellung Z e i t als un­ eingeschränkt gegeben sein. Wovon aber die Teile selbst, und jede Größe eines Gegenstandes, nur durch Einschrän­ kung bestimmt vorgestellt werden können, da muß die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein (denn die ent­ halten nur Teilvorstellungen'), sondern es muß ihnen• un­ mittelbare Anschauung zum Grunde liegen. VON DER ZEIT

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§5 TRANSZENDENTALE ER ÖR TER UNG DES BEGRIFFS DER ZEIT

Ich kann mich deshalb auf Nr. 3 berufen, wo ich, um kurz zu sein, das, was eigentlich transzendental ist, unter die Ar­ ' A: •denn da gehen die Teilvorstellungen vorher sind«. jB 341 JA 285

VON DER AMPHIBOLIE DER REFLEXIONSBEGRIFFE 303 lieh macht es stutzig, zu hören, daß ein Ding ganz und gar aus Verhältnissen bestehen solle, aber ein solches Ding ist auch bloße Erscheinung, und kann gar nicht durch reine Kategorien gedacht werden; es besteht selbst in dem bloßen Verhältnisse von etwas überhaupt zu den Sinnen. Eben so kann man die Verhältnisse der Dinge in abstracto, wenn man es mit bloßen Begriffen anfängt, wohl nicht anders deniken, als daß eines die Ursache von Bestimmungen in de� andern sei; denn das ist unser Verstandesbegriff von Verhältnissen selbst. Allein, da wir alsdenn von aller An­ schauung abstrahieren, so fällt eine ganze Art, wie das Man­ nigfaltige einander seinen Ort bestimmen kann, nämlich die Form der Sinnlichkeit (der Raum), weg, der doch vor aller empirischen Kausalität vorhergeht. Wenn wir unter bloß intelligibelen Gegenständen die­ jenigen Dinge verstehen, die durch reine Kategorien, ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind der­ gleichen unmöglich. Denn die Bedingung des objektiven Gebrauchs aller unserer Verstandesbegriffe ist bloß die Art unserer sinnlichen Anschauung, wodurch uns Gegenstände gegeben werden, und, wenn wir von der letzteren abstra­ hieren, so haben die erstem gar keine Beziehung auf irgend ein Objekt. Ja wenn man auch eine andere Art der Anschau­ ung, als diese unsere sinnliche ist, annehmen wollte, so wür­ den doch unsere Funktionen zu denken in Ansehung der­ selben von gar keiner Bedeutung sein. Verstehen wir dar­ unter nur Gegenstände einer nichtsinnlichen Anschauung, von denen unsere Kategorien zwar freilich nicht gelten, und von denen wir also gar keine Erkenntnis (weder Anschauung, noch Begriff) jemals haben können, so müssen Noumena in dieser bloß negativen Bedeutung allerdings zugelassen wer­ den: da sie denn nichts anders sagen, als: daß unsere Art der Anschauung nicht auf alle Dinge, sondern bloß auf Ge­ Jgenstände unserer Sinne geht, folglich ihre objektive Gültig­ keit begrenzt ist, und mithin für irgend eine andere Art An­ schauung, und also auch für Dinge als Objekte derselben, Platz übrig bleibt. Aber alsdenn ist der Begriff eines Nou­ menon problematisch, d. i. die Vorstellung eines Dinges, von

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TRA:\'SZENDENTALE ANALYTIK

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dem wir weder sagen können, daß es möglich, noch daß es unmöglich sei, indem wir gar keine Art der Anschauung, als unsere sinnliche kennen, und keine Art der Begriffe, als die Kategorien, keine von beiden aber einem außersinnlichen Gegenstande angemessen ist. Wir können daher das Feld der Gegenstände unseres Denkens über die Bedingungen unserer Sinnlichkeit darum noch nicht positiv erweitern, und außer den Erscheinungen noch Gegenstände des reinen Denkens, d. i. Noumena, annehmen, weil jene keine anzu­ gebende positive Bedeutung haben. Denn man muß von den Kategorien eingestehen: daß sie allein noch nicht zur Er­ kenntnis der Dinge an sich selbst zureichen, und ohne die Data der Sinnlichkeit bloß subjektive Formen der Verstan­ deseinheit, aber ohne Gegenstand, sein würden. Das Den­ ken ist zwar an sich kein Produkt der Sinne, und so fern durch sie auch nicht eingeschränkt, aber darum nicht so fort von eigenem und reinem Gebrauche, ohne Beitritt der Sinnlichkeit, weil es alsdenn ohne Objekt ist. Man kann auch das Noumenon nicht ein solches O b j e k t nennen; denn dieses bedeutet eben den problematischen Begriff von einem Gegenstande für eine ganz anidere Anschauung und einen ganz anderen Verstand, als der unsrige, der mithin selbst ein Problem ist. Der Begriff des Noumenon ist also nicht der Begriff von einem Objekt, sondern die unvermeidlich mit der Einschränkung unserer Sinnlichkeit zusammen­ hängende Aufgabe, ob es nicht von jener ihrer Anschauung ganz entbundene Gegenstände geben möge, welche Frage nur unbestimmt beantwortet werden kann, nämlich: daß, weil die sinnliche Anschauung nicht auf alle Dinge ohne Unterschied geht, für mehr und andere Gegenstände Platz übrig bleibe, sie also nicht schlechthin abgeleugnet, in Er­ mangelung eines bestimmten Begriffs aber (da keine Kate­ gorie dazu tauglich ist) auch nicht als Gegenstände für un­ sern Verstand behauptet werden können. Der Verstand begrenzt demnach die Sinnlichkeit, ohne darum sein eigenes Feld zu erweitern, und, indem er jene warnet, daß sie sich nicht anmaße, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, so denkt er

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IA 287,288

VO'.'I DER A:'.\IPHIBOLIE DER REFLEXIONSBEGRIFFE 305 sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transzen­ dentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz etc. gedacht werden kann (weil diese Begriffe immer sinnliche Formen erfordern, in denen sie einen Gegenstand bestimmen); wovon also völlig unbekannt ist, ob es in uns, oder auch außer uns anzutreffen sei, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden, oder, wenn wir jene I wegnehmen, noch übrig bleiben würde. Wollen wir dieses Objekt Noumenon nennen, darum, weil die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist, so steht dieses uns frei. Da wir aber keine von unseren Verstandesbegriffen darauf anwenden können, so bleibt diese Vorstellung doch für uns leer, und dient zu nichts, als die Grenzen unserer sinnlichen Erkenntnis zu bezeichnen, und einen Raum übrig zu lassen, den wir weder durch mögliche Erfahrung, noch durch den reinen Verstand ausfüllen können. Die Kritik dieses reinen Verstandes erlaubt es also nicht, sich ein neues Feld von Gegenständen, außer denen, die ihm als Erscheinungen vorkommen können, zu schaffen, und in intelligibele Welten, sogar nicht einmal in ihren Begriff, aus­ zuschweifen. Der Fehler, welcher hiezu auf die allerschein­ barste Art verleitet, und allerdings entschuldigt, obgleich nicht gerechtfertigt werden kann, liegt darin: daß der Ge­ brauch des Verstandes, wider seine Bestimmung, transzen­ dental gemacht, und die Gegenstände, d. i. mögliche An­ schauungen, sich nach Begriffen, nicht abrr Begriffe sich nach möglichen Anschauungen (als auf denen allein ihre ob­ jektive Gültigkeit beruht) richten müssen. Die Ursache hie­ von aber ist wiederum: daß die Apperzeption, und, mit ihr, das Denken vor aller möglichen bestimmten Anordnung der Vorstellungen vorhergeht. Wir denken also etwas über­ haupt, und bestimmen es einerseits sinnlich, allein uniter­ scheiden doch den allgemeinen und in abstracto vorgestell­ ten Gegenstand von dieser Art ihn anzuschauen; da bleibt uns nun eine Art, ihn bloß durch Denken zu bestimmen, übrig, welche zwar eine bloße logische Form ohne Inhalt ist, uns aber dennoch eine Art zu sein scheint, wie das Objekt

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TRANSZENDENTALE ANALYTIK

an sich existiere (noumenon), ohne auf die Anschauung zu sehen, welche auf unsere Sinne eingeschränkt ist. * * *

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Ehe wir die transzendentale Analytik verlassen, müssen wir noch etwas hinzufügen, was, obgleich an sich von nicht sonderlicher Erheblichkeit, dennoch zur Vollständigkeit des Systems erforderlich scheinen dürfte. Der höchste Begriff, von dem man eine Transzendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Einteilung in das Mögliche und Unmögliche. Da aber alle Einteilung einen eingeteilten Be­ griff voraussetzt, so muß noch ein höherer angegeben wer­ den, und dieser ist der Begriff von einem Gegenstande über­ haupt (problematisch genommen, und unausgemacht, ob er etwas oder nichts sei). Weil die Kategorien die einzigen Begriffe sind, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, so wird die Unterscheidung eines Gegenstandes, ob er et­ was, oder nichts sei, nach der Ordnung und Anweisung der Kategorien fortgehen. 1 1) Den Begriffen von Allem, Vielem und Einern ist der, so alles aufhebt, d. i. Ke i n e s , entgegengesetzt, und so ist der Gegenstand eines Begriffs, dem gar keine anzugebende Anschauung korrespondiert, = Nichts, d. i. ein Begriff ohne Gegenstand, wie die Noumena, die nicht unter die Möglich­ keiten gezählt werden können, obgleich auch darum nicht für unmöglich ausgegeben werden müssen (ens rationis), oder wie etwa gewisse neue Grundkräfte, die man sich denkt, zwar ohne Widerspruch, aber auch ohne Beispiel aus der Erfahrung gedacht werden', und also nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden müssen. 2) Realität ist e t w a s, Negation ist n i c h t s , nämlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kälte (nihil privativum). 3) Die bloße Form der Anschauung, ohne Substanz, ist an sich kein Gegenstand, sondern die bloß formale Bedin­ gung desselben (als Erscheinung), wie der reine Raum, und die reine Zeit, die zwar etwas sind, als Formen anzuschauen,

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A: �worden�.

VON DER AMPHIBOLIE DER REFLEXIONSBEGRIFFE 307 aber selbst keine Gegenstände sind, die angeschauet werden (ens imaginarium) '. !4) Der Gegenstand eines Begriffs, der sich selbst wider­ spricht, ist nichts, weil der Begriff nichts ist, das Unmög­ liche, wie etwa die geradlinige Figur von zwei Seiten (nihil negativum). Die Tafel dieser Einteilung des Begriffs von Ni c h t s (denn die dieser gleichlaufende Einteilung des Etwas folgt von selber) würde daher so angelegt werden müssen:

1 Ni c h t s, als I.

Lee r e r Begriff ohne Gegenstand, ens rationis 2. 3· Lee r e A n s c h a u u n g Lee r e r Geg e n s t a n d ohne Gegenstand, e i n e s Begriffs, ens imaginarium nihil privativum

4.

Lee r e r Geg e n s t a n d o h n e Begriff, nihil negativum Man siehet, daß das Gedankending (n. 1 ) von dem Un­ dinge (n. 4) dadurch unterschieden werde, daß jenes nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden darf, weil es bloß Erdichtung (obzwar nicht widersprechende) ist, dieses aber der Möglichkeit entgegengesetzt ist, indem der Begriff sogar sich selbst aufhebt. Beide sind aber leere Begriffe. Dagegen sind das nihil privativum (n. 2) und ens imagina­ rium (n. 3) leere Data zu Begriffen. Wenn das Licht nicht den Sinnen gegeben worden, so kann man sich auch keine Finsternis, und, wenn nicht ausgedehnte Wesen wahrge­ nommen worden, keinen Raum vorstellen. Die Negation so­ wohl, als die bloße Form der Anschauung, sind, ohne ein Reales, keine Objekte.

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'A: &Zeit (e11s imaginarium), die zwar etwas sind, als Formen an­ zuschauen, aber selbst keine Gegenstände sind, die angeschauet werden«.

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TRANSZENDENTALE DIALEKTIK j DER TRANSZENDENTALEN LOGIK ZWEITE ABTEILUNG DIE TRANSZENDENTALE DIALEKTIK EINLEITUNG I. VOM TRANSZENDENTALEN SCHEIN

Wir haben oben die Dialektik überhaupt eine L o g i k des Scheins genannt. Das bedeutet nicht, sie sei eine Lehre der W a h r s c h e i n l i c h k ei t; denn diese ist Wahrheit, aber durch unzureichende Gründe erkannt, deren Erkenntnis also zwar mangelhaft, aber darum doch nicht trüglich ist, und mit­ hin von dem analytischen Teile der Logik nicht getrennt werden muß. Noch weniger dürfen E r s c h e i n u n g und Schein für einerlei gelhalten werden. Denn Wahrheit oder Schein sind nicht im Gegenstande, so fern er angeschaut wird, sondern im Urteile über denselben, so fern er gedacht wird. Man kann also zwar richtig sagen: daß die Sinne nicht irren, aber nicht darum, weil sie jederzeit richtig urteilen, sondern weil sie gar nicht urteilen. Daher sind Wahrheit so­ wohl als Irrtum, mithin auch der Schein, als die Verleitung zum letzteren, nur im Urteile, d. i. nur in dem Verhältnisse des Gegenstandes zu unserm Verstande anzutreffen. In einem Erkenntnis, das mit den Verstandesgesetzen durch­ gängig zusam)menstimmt, ist kein Irrtum. In einer Vorstel­ lung der Sinne ist (weil sie gar kein Urteil enthält) auch kein Irrtum. Keine Kraft der Natur kann aber von selbst von ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher würden weder der Verstand für sich allein (ohne Einfluß einer andern Ursache), noch die Sinne für sich, irren; der erstere darum nicht, weil, wenn er bloß nach seinen Gesetzen handelt, die Wirkung (das Urteil) mit diesen Gesetzen notwendig übereinstimmen muß. In der Übereinstimmung mit den Gesetzen des Ver­ standes besteht aber das Formale aller Wahrheit. In den Sin­ nen ist gar kein Urteil, weder ein wahres, noch falsches. Weil wir nun außer diesen beiden Erkenntnisquellen keine an­ dere haben, so folgt: daß der Irrtum nur durch den unbe­ merkten Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand bewirkt

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VOM TRANSZENDENTALEN SCHEIN

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werde, wodurch es geschieht, daß die subjektiven Gründe des Urteils mit den objektiven zusammenfließen, und diese von ihrer Bestimmung abweichend machen,* so wie ein be­ wegter Körper zwar für sich jederzeit die gerade Linie in derselben Richtung halten würde, die aber, wenn eine an­ dere Kraft nach einer andern Richtung zugleich auf ihn ein­ fließt, in krummlinige Bewegung ausschlägt. Um die eigen­ tümjliche Handlung des Verstandes von der Kraft, die sich mit einmengt, zu unterscheiden, wird es daher nötig sein, das irrige Urteil als die Diagonale zwischen zwei Kräften anzusehen, die das Urteil nach zwei verschiedenen Rich­ tungen bestimmen, die gleichsam einen Winkel einschließen, und jene zusammengesetzte Wirkung in die einfache des Verstandes und der Sinnlichkeit aufzulösen, welches in rei­ nen Urteilen a priori durch transzendentale Überlegung ge­ schehen muß, wodurch (wie schon angezeigt worden) jeder Vorstellung ihre Stelle in der ihr angemessenen Erkenntnis­ kraft angewiesen, mithin auch der Einfluß der letzteren auf jene unterschieden wird. Unser Geschäfte ist hier nicht, vom empirischen Scheine (z. B. dem optischen) zu handeln, der sich bei dem empi­ rischen Gebrauche sonst richtiger Verstandesregeln vorfin­ det, und durch welchen die Urteilskraft, durch den Einfluß der Einbildung verleitet wird, sondern wir haben es mit dem t r a n s z enden t a l e n S chei n e allein zu tun, der auf Grund­ sätze einfließt, deren Gebrauch nicht einmal auf Erfahrung angelegt ist, als in welchem Falle wir doch wenigstens einen Probierstein ihrer Richtigkeit haben würden, sondern der uns selbst, wider alle Warnungen der Kritik, gänzlich über den empirischen Gebrauch der Kategorien wegführt und uns mit dem Blendwerke einer Erweiterung des reinen Verstandes hinhält. Wir wollen die Grundsätze, deren An­ wendung sich ganz und gar in den Schranken möglicher Erfahrung hält, i m m a n e nte, diejenigen aber, welche diese

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"'Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Objekt, worauf dieser seine Funktion anwendet, ist der Quell realer Erkenntnisse. Eben dieselbe aber, so fern sie auf die Verstandeshandlung selbst einfließt, und ihn zum Urteilen bestimmt, ist der Grund des Irrtums.

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TRANSZENDENTALE DIALEKTIK

Grenzen überfliegen sollen, t r a n s z e n d e n t e Grundsätze nennen. Ich verstehe aber unter diesen nicht den t r a n s z e n­ d e n t a l e n Gebrauch oder Mißbrauch der Kategorien, wel­ cher ein bloßer Fehler der nicht gehörig durch Kritik ge­ zügelten Urteilskraft ist, die auf die Grenze des Bodens, worauf allein dem reinen Verstande sein Spiel erlaubt ist, nicht genug Acht hat; sondern wirkliche Grundsätze, die uns zumuten, alle jene Grenzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden, der überall keine Demarkation er­ kennt, anzumaßen. Daher sind t r a n s z e n d e n t a l und t r a n s z e n d e n t nicht einerlei. Die Grundsätze des reinen Verstandes, die wir oben vortrugen, sollen bloß von empiri­ schem und nicht von transzenden!talem, d. i. über die Erfah­ rungsgrenze hinausreichendem Gebrauche sein. Ein Grund­ satz aber, der diese Schranken wegnimmt, ja gar sie zu über­ schreiten gebietet', heißt t r a n s z e n d e n t. Kann unsere Kri­ tik dahin gelangen, den Schein dieser angemaßten Grundsätze aufzudecken, so werden jene Grundsätze des bloß empirischen Gebrauchs, im Gegensatz mit den letztem, i m m a n e n t e Grundsätze des reinen Verstandes genannt werden können. Der logische Schein, der in der bloßen Nachahmung der Vernunftform besteht (der Schein der Trugschlüsse), ent­ springt lediglich aus einem Mangel der Achtsamkeit auf die logische Regel. So bald daher diese auf den vorlieJgenden Fall geschärft wird, so verschwindet er gänzlich. Der tran­ szendentale Schein dagegen hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die transzendentale Kritik deutlich eingesehen hat. (Z. B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der Zeit nach einen An­ fang haben.) Die Ursache hievon ist diese: daß in unserer Vernunft (subjektiv als ein menschliches Erkenntnisver­ mögen betrachtet) Grundregeln und Maximen ihres Ge­ brauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen objektiver Grundsätze haben, und wodurch es geschieht, daß die sub­ jektive Notwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zu Gunsten des Verstandes, für eine objektive Not­ wendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehal1

A: �ja gar gebietet, sie zu überschreiten«.

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VON DER VERNUNFT ÜBERHAUPT

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ten wird. Eine Illu sion , die gar nicht zu vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden können, daß uns das Meer in der Mitte nicht höher scheine, wie an dem Ufer, weil wir jene durch höhere Lichtstrahlen als diese I sehen, oder, noch mehr, so wenig selbst der Astronom verhindern kann, daß ihm der Mond im Aufgange nicht größer scheine, ob er gleich durch diesen Schein nicht betrogen wird. Die transzendentale Dialektik wird also sich damit be­ gnügen, den Schein transzendenter Urteile aufzudecken, und zugleich zu verhüten, daß er nicht betriege; daß er aber auch (wie der logische Schein) sogar verschwinde, und ein Schein zu sein aufhöre, das kann sie niemals belwerkstelli­ gen. Denn wir haben es mit einer n a t ü r l i c h e n und unver­ meidlichen Il lusion zu tun, die selbst auf subjektiven Grundsätzen beruht, und sie als objektive unterschiebt, an­ statt daß die logische Dialektik in Auflösung der Trug­ schlüsse es nur mit einem Fehler, in Befolgung der Grund­ sätze, oder mit einem gekünstelten Scheine, in Nachahmung derselben, zu tun hat. Es gibt also eine natürliche und un­ vermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, nicht eine, in die sich etwa ein Stümper, durch Mangel an Kenntnissen, selbst verwickelt, oder die irgend ein Sophist, um vernünf­ tige Leute zu verwirren, künstlich ersonnen hat, sondern die der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhängt, und selbst, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedeckt haben, den­ noch nicht aufhören wird, ihr vorzugaukeln, und sie unab­ lässig in augenblickliche Verirrungen zu stoßen, die jeder­ zeit gehoben zu werden bedürfen.

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II. VON DER REINEN VERNUNFT ALS DEM SITZE DES TRANSZENDENTALEN SCHEINS A. VON DER VERNUNFT ÜBERHAUPT

Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande, und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der An­ ' Akad.-Ausg.: •dieses«. IB 354, 355 IA 298

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TRANSZENDENTALE DIALEKTIK

schauung zu bearbeiten und unter die höchste EinJheit des Denkens zu bringen. Da ich jetzt von dieser obersten Er­ kenntniskraft eine Erklärung geben soll, so finde ich mich in einiger Verlegenheit. Es gibt von ihr, wie von dem Ver­ stande, einen bloß formalen, d. i. logischen Gebrauch, da die Vernunft von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, aber auch einen realen, da sie selbst den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze enthält, die sie weder von den Sinnen, noch vom Verstande entlehnt. Das erstere Vermö­ gen ist nun freilich vorlängst von den Logikern durch das Vermögen mittelbar zu schließen (zum Unterschiede von den unmittelbaren Schlüssen, consequentiis immediatis) er­ klärt worden; das zweite aber, welches selbstBegriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht eingesehen. Da nun hier eine Ein­ teilung der Vernunft in ein logisches und transzendentales Vermögen vorkommt, so muß ein höherer Begriff von dieser Erkenntnisquelle gesucht werden, welcher beide Begriffe unter sich befaßt, indessen wir nach der Analogie mit den Verstandesbegriffen erwarten können, daß der logische Be­ griff zugleich den Schlüssel zum transzendentalen, und die Tafel der Funktionen der ersteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde. Wir erkläreten, im erstem Teile unserer tranzendentalen Logik, den Verstand durch das Vermögen der Regeln; hier unterscheiden wir die Vernunft von demselben dadurch, daß wir sie das V e rmö g e n der P r i n z i p i e n nennen wollen. J Der Ausdruck eines Prinzips ist zweideutig, und bedeu­ tet gemeiniglich nur ein Erkenntnis, das als Prinzip ge­ braucht werden kann, ob es zwar an sich selbst und seinem eigenen Ursprunge nach kein Principium ist. Ein jeder all­ gemeiner Satz, er mag auch sogar aus Erfahrung (durch Induktion) hergenommen sein, kann zum Obersatz in einem Vernunftschlusse dienen; er ist damm aber nicht selbst ein Principium. Die mathematischen Axiomen (z. B. zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade Linie sein) sind sogar allgemeine Erkenntnisse a priori, und werden daher mit Recht, relativisch auf die Fälle, die unter ihnen subsumiert werden können, Prinzipien genannt. Aber ich kann darum

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VON DER VERNUNFT ÜBERHAUPT

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werden�. - • Akad.-Ausg.: tsind•.

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TRANSZENDENTALE DIALEKTIK

redteres Erstaunen auflösen muß. Allerwärts sehen wir eine Kette von' Wirkungen und Ursachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmäßigkeit im Entstehen oder Vergehen, und, indem nichts von selbst in den Zustand getreten ist, darin es sich befindet, so weiset er• immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als seiner Ursache, welche gerade eben die­ selbe weitere Nachfrage notwendig macht, so, daß auf solche Weise das ganze All im Abgrunde des Nichts versinken müßte, nähme man nicht etwas an, das außerhalb diesem unendlichen Zufiilligen, für sich selbst ursprünglich und un­ abhängig bestehend, dasselbe hielte, und als die Ursache seines Ursprungs ihm zugleich seine Fortdauer sicherte. Diese höchste Ursache (in Ansehung aller Dinge der Welt), wie groß soll man sie sich denken? Die Welt kennen wir nicht ihrem ganzen Iniihalte nach, noch weniger wissen wir ihre Größe durch die Vergleichung mit allem, was möglich ist, zu schätzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Absicht auf Kausalität ein äußerstes und oberstes Wesen bedürfen, wir 3 es nicht zugleich dem Grade der Vollkom­ menheit nach ü b e r a l l e s a n d e r e M ö g l i c h e setzen soll­ ten? welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abstrakten Begriffs, bewerkstelligen können, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Substanz, alle mög­ liche Vollkommenheit vereinigt vorstellen; welcher Begriff der Foderung unserer Vernunft in der Ersparung der Prin­ zipien günstig, in sich selbst keinen Widersprüchen unter­ worfen und selbst der Erweiterung des Vemunftgebrauchs mitten in der Erfahrung, durch die Leitung, welche eine solche Idee auf Ordnung und Zweckmäßigkeit gibt, zu­ träglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entschiedene Art zuwider ist. Dieser Beweis verdient jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste, kläreste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er belebt das Studium der Natur, so wie er selbst von diesem sein Dasein hat und dadurch immer neue Kraft bekommt. Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie unsere Beobachtung 1

A: »de��. - 2 Akad.-Ausg.: •es«. - 3 Zusatz von B.

UNMÖGLICHKEIT DES PHYSIKOTHEOLOG. BEWEISES 551 nicht von selbst entdeckt hätte, und erweitert unsere Natur­ kenntnisse durch den Leitfaden einer besonderen Einheit, deren Prinzip außer der Natur ist. Diese Kenntnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache, nämlich die veranlassende Idee, zurück, und vermehren den Glauben an einen höch­ sten Urheber bis zu einer unwiderstehlichen Überzeugung. Es würde daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst sein, dem Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch so mächtige und unter ihren Händen immer wachsende, obzwar nur empirische Beweisgründe unablässig gehoben wird, kann durch keine Zweifel subtiler abgezogener Spekulation so niedergedrückt werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischen Unentschlos­ senheit, gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den sie auf die Wunder der Natur und der Majestät des Weltbaues wirft, gerissen werden sollte, um sich von Größe zu Größe bis zur allerhöchsten, vom Bedingten zur Bedin­ gu ng, bis zum obersten und unbedingten Urheber zu er­ heben. Ob wir aber gleich wider die Vernunftmäßigkeit und Nützlichkeit dieses Verfahrens nichts einzuwenden, sondern es vielmehr zu empfehlen und aufzumuntern haben, so können wir darum doch die Ansprüche nicht billigen, welche diese Beweisart auf apodiktische Gewißheit und auf einen gar keiner Gunst oder fremden Unterstützung bedürftigen Beifall machen möchte, und es kann der guten Sache kei­ nesweges schaden, die dogmatische Sprache eines hohn­ sprechenden Vernünftlers auf den Ton der Mäßigung und Bescheidenheit, eines zur Beruhigung hinreichenden, ob­ gleich eben nicht unbedingte Unterwerfung gebietenden 11 Glaubens, herabzustimmen. Ich behaupte demnach, daß der physikotheologische Beweis das Dasein eines höchsten Wesens niemals allein dartun könne, sondern es jederzeit dem ontologischen (welchem er nur zur Introduktion dient) überlassen müsse, diesen Mangel zu ergänzen, mithin dieser immer noch den einzigmöglichen B e w e i s g r u n d (wo­ fern überall nur ein spekulativer Btiweis stattfindet) ent­ halte, den keine menschliche Vernunft vorbeigehen kann.

II

iB 652, 653 IA 624, 625

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TRANSZENDENTALE DIALEKTIK

Die Hauptmomente des gedachten physischtheologischen Beweises sind folgende: 1) In der Welt finden sich allerwärts deutliche Zeichen einer Anordnung nach bestimmter Ab­ sicht, mit großer Weisheit ausgeführt, und in einem Ganzen von unbeschreiblicher Mannigfaltigkeit des Inhalts sowohl, als auch unbegrenzter Größe des Umfangs. 2) Den Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz fremd, und hängt ihnen nur zufällig an, d. i. die Natur verschiedener Dinge konnte von selbst, durch so vielerlei sich vereinigende Mittel, zu bestimmten Endabsichten nicht zusammenstim­ men, wären sie nicht durch ein anordnendes vernünftiges Prinzip, nach zum Grunde liegenden Ideen, dazu ganz eigentlich gewählt und angelegt worden. 3) Es existiert also eine erhabene und weise Ursache (oder mehrere), die nicht bloß, als blindwirkende allvermögende Natur, durch Fruchtbarkeit, sondern, als Intelligenz, durch Freiheit die Ursache der Welt sein muß. 4) Die Einheit derselben läßt sich aus der Einheit der wechselseitigen Beziehung der Teile der Welt, als Glieder von eijlnem künstlichen Bau­ werk, an demjenigen, wohin unsere Beobachtung reicht, mit Gewißheit, weiterhin aber, nach allen Grundsätzen der Analogie, mit Wahrscheinlichkeit schließen. Ohne hier mit der natürlichen Vernunft über ihren Schluß zu schikanieren, da sie aus der Analogie einiger Naturpro­ dukte mit demjenigen, was menschliche Kunst hervorbringt, wenn sie der Natur Gewalt tut, und sie nötigt, nicht nach ihren Zwecken zu verfahren, sondern sich in die unsrigen zu schmiegen (der Ähnlichkeit derselben mit Häusern, Schiffen, Uhren), schließt, es werde eben eine solche Kau­ salität, nämlich Verstand und Wille, bei ihr zum Grunde liegen, wenn sie die innere Möglichkeit der freiwirkenden Na­ tur (die alle Kunst und vielleicht selbst sogar die Vernunft zuerst möglich macht), noch von einer anderen obgleich übermenschlichen Kunst ableitet, welche Schlußart viel­ leicht die schärfste transz. Kritik nicht aushalten dürfte: muß man doch gestehen, daß, wenn wir einmal eine Ursache nennen sollen, wir hier nicht sicherer, als nach der Analogie mit dergleichen zweckmäßigen Erzeugungen, die die einzi!B 654

IA 626

UNMÖGLICHKEIT DES PHYSIKOTHEOLOG. BEWEISES 553 gen sind, wovon uns die Ursachen und Wirkungsart völlig bekannt sind, verfahren können. Die Vernunft würde es bei sich selbst nicht verantworten können, wenn sie von der Kausalität, die sie kennt, zu dunkeln und unerweislichen Erklärungsgründen, die sie nicht kennt, übergehen wollte. Nach diesem Schlusse müßte die Zweckmäßigkeit und Wohlgereimtheit so vieler Naturanstalten bloß die Zufällig­ ! ikeit der Form, aber nicht der Materie, d. i. der Substanz in der Welt beweisen; denn zu dem letzteren würde noch erfodert werden, daß bewiesen werden könnte, die Dinge der Welt wären an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen, untauglich, wenn sie nicht, selbst ihr e r Substanz nach, das Produkt einer höchsten Weisheit wären; wozu aber ganz andere Be­ weisgründe, als die von der Analogie mit menschlicher Kunst, erfodert werden würden. Der Beweis könnte also höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Taug­ lichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer sehr einge­ schränkt wäre, aber nicht einen W e l t s c h öpfe r , dessen Idee alles unterworfen ist, dartun, welches zu der großen Absicht, die man vor Augen hat, nämlich ein allgenugsames Urwesen zu beweisen, bei weitem nicht hinreichend ist. Wallten wir die Zufälligkeit der Materie selbst beweisen, so müßten wir zu einem transzendentalen Argumente unsere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden sollen. Der Schluß gehet also von der in der Welt so durchgängig zu' beobachtenden Ordnung und Zweckmäßigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung, auf das Dasein einer i h r pr oportionierten Ursache. Der Begriff dieser Ursache aber muß uns etwas ganz Bestimmtes von ihr zu erkennen geben, und er kann also kein anderer sein, als der von einem Wesen, das alle Macht, Weisheit etc., mit einem Worte, alle Vollkommenheit, als ein allgenugsames Weijsen, besitzt. Denn die Prädikate von s e h r g r o ß e r , von erstaunlicher, von unermeßlicher Macht und Trefflichkeit geben gar kei­ nen bestimmten Begriff, und sagen eigentlich nicht, was das ' Zusatz von B.

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TRANSZENDENTALE DIALEKTIK

Ding an sich selbst sei, sondern sind nur Verhältnisvorstel­ lungen von der Größe des Gegenstandes, den der Beobach­ ter (der Welt) mit sich selbst und seiner Fassungskraft ver­ gleicht, und die gleich hochpreisend ausfallen, man mag den Gegenstand vergrößern, oder das beobachtende Subjekt in Verhältnis auf ihn kleiner machen. Wo es auf Größe (der Vollkommenheit) eines Dinges überhaupt ankommt, da gibt es keinen bestimmten Begriff, als den', so die ganze mög­ liche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realität ist im Begriffe durchgängig bestimmt. Nun will ich nicht hoffen, daß sich jemand unterwinden sollte, das Verhältnis der von ihm beobachteten Weltgröße (nach Umfang sowohl als Inhalt) zur Allmacht, der Welt­ ordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit zur abso­ luten Einheit des Urhebers etc. einzusehen. Also kann die Physikotheologie keinen bestimmten Begriff von der ober­ sten Weltursache geben, und daher zu einem Prinzip der Theologie, welche' wiederum die Grundlage der Religion ausmachen soll, nicht hinreichend sein. Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den empirischen Weg ganz und gar unmöglich. Nun tut man ihn doch aber im physischtheologischen Beweise. Wel!Jches Mittels bedient man sich also wohl, über eine so weite Kluft zu kommen? Nachdem man bis zur Bewunderung der Größe der Weis­ heit, der Macht etc. des Welturhebers gelanget ist, und nicht weiter kommen kann, so verläßt man auf einmal dieses durch empirische Beweisgründe geführte Argument, und geht zu der gleich anfangs aus der Ordnung und Zweck­ mäßigkeit der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben. Von dieser Zufälligkeit allein geht man nun, lediglich durch transzendentale Begriffe, zum Dasein eines Schlechthinnot­ wendigen, und von dem Begriff der absoluten Notwendig­ keit der ersten Ursache auf den durchgängig bestimmten oder bestimmenden Begriff desselben, nämlich einer allbe­ fassenden Realität. Also blieb der physischtheologische Be­ weis in seiner Unternehmung stecken, sprang in dieser Ver' A: #der